»Und warum bleibst du dann bei ihm?«, fragte Cabera. In dem Krieger in der silbernen Rüstung war nur noch selten etwas von dem Jungen zu erkennen, der er früher einmal gewesen war, und nur wenige andere im Lager hätten es gewagt, Brutus eine solche Frage zu stellen.
Sie beobachteten, wie Julius die Eichenstufen zur Bogenschützenmauer der Sperranlagen hinaufstieg, die sie gebaut hatten. Er war zu weit entfernt, um Einzelheiten zu erkennen, aber Brutus sah, wie sich das Sonnenlicht auf seinem Brustpanzer spiegelte. Endlich riss er seinen Blick los und funkelte Cabera scharf an, als hätte er sich eben erst an dessen Anwesenheit erinnert.
»Sieh ihn dir doch an«, erwiderte er. »Vor weniger als zwei Jahren hat er Spanien mit nichts verlassen, und jetzt ist er Konsul, mit Generalvollmacht vom Senat. Wer sonst hätte mich hierher bringen können, mit dem Befehl über meine eigene Legion? Wem sollte ich deiner Meinung nach sonst folgen?«
Seine Stimme klang verbittert, und Cabera hatte Angst um die beiden Männer, die er schon als Kinder gekannt hatte. Ihm waren Einzelheiten über Julius’ Abschied von Servilia zu Ohren gekommen, obwohl ihr Sohn nie darüber gesprochen hatte. Er hätte Brutus gerne danach gefragt, wenn auch nur, um festzustellen, wie viel Schaden dabei angerichtet worden war.
»Er ist dein ältester Freund«, sagte Cabera, und Brutus schien bei diesen Worten wieder munter zu werden.
»Und ich bin sein Schwert. Wenn ich das, was er erreicht hat, ganz nüchtern betrachte, raubt es mir schier den Atem, Cabera. Sind sie denn Narren in Rom, dass sie seinen Ehrgeiz nicht erkennen? Julius hat mir von dem Abkommen erzählt, das er mit ihnen getroffen hat.
Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich frage mich, ob Pompeius wirklich der Meinung ist, er habe dabei für sich das Beste herausgeschlagen? Er mag jetzt die Stadt in seiner Hand haben, aber er ist lediglich ein Mieter, der darauf wartet, dass der Besitzer nach Hause zurückkehrt. Das Volk weiß es. Du hast die Massen gesehen, die auf den Campus hinausgekommen sind, um uns zu verabschieden. Pompeius muss ein Dummkopf sein, wenn er glaubt, Julius würde sich mit weniger als einer Krone zufrieden geben.«
Dann brach er ab und sah sich um, ob sie jemand hören konnte. Die beiden Männer lehnten an Befestigungsmauern, deren Errichtung Monate gedauert hatte. Zwölf Meilen Mauer und Erdwall, nirgends weniger als drei Mannslängen hoch. Das Bollwerk überragte die Rhone und beherrschte ihren Verlauf entlang der Nordgrenze der römischen Provinz. Als Hindernis war die Anlage ebenso unüberwindbar wie die Alpen im Osten.
Auf der Mauer hatte man genug Steine und Eisen angehäuft, um jede Armee zu versenken, die den Fluss zu überqueren versuchte. Die Legionäre waren voller Selbstvertrauen, während sie Wache hielten, doch nicht einer von ihnen glaubte, dass sich Julius mit der Verteidigung zufrieden geben würde. Nicht mit dem Dokument, das er bei sich trug.
Julius hatte dieses Dokument dem Prätor der winzigen römischen Provinz, die sich an den Fuß der Alpen schmiegte, vorgelegt, und der Mann war beim Lesen blass geworden und hatte ehrfurchtsvoll mit dem Finger über das Siegel des Senats gestrichen. Nie zuvor hatte er einen so vage formulierten Befehl gesehen, und er konnte nur den Kopf neigen, während er über die Auswirkungen nachdachte. Pompeius und Crassus hatten sich nicht lange mit Einzelheiten aufgehalten; Brutus wusste sogar, dass Julius den Brief Adàn diktiert und ihn dann den beiden ehemaligen Konsuln geschickt hatte, um ihn siegeln und im Senat darüber abstimmen zu lassen. Das Schreiben war nicht sehr umfangreich und räumte Julius in Gallien sämtliche Vollmachten ein, und alle Legionäre, die er mitgenommen hatte, wussten dies.
Cabera rieb die schlaffen Muskeln seiner einen Gesichtshälfte, und Brutus betrachtete ihn voller Mitgefühl. Nachdem er Domitius geheilt hatte, war er erschöpft zusammengebrochen. Seitdem war eine Gesichtshälfte wie gelähmt, und auch die eine Körperseite war nahezu unbrauchbar geworden. Er würde nie wieder einen Bogen spannen können, bei dem Marsch über die Alpen war er von den Männern der Zehnten in einer Sänfte getragen worden. Er hatte sich nie beklagt. Brutus glaubte, dass es allein die ungebrochene Neugierde war, die den alten Mann am Leben hielt. Er wollte einfach nicht sterben, solange es noch etwas zu sehen gab, und Gallien war für ihn genauso wild und fremd wie für alle anderen.
»Hast du Schmerzen?«, erkundigte sich Brutus.
Cabera zuckte die Achseln, so gut er es vermochte, und ließ die Hand fallen. Ein Augenlid hing herunter, als er den Blick erwiderte, und hin und wieder tupfte er sich den linken Mundwinkel ab, um den Speichel zu entfernen, ehe er heruntertropfte. Die Handbewegung war zu einem Teil seines Lebens geworden.
»Es ging mir nie besser, geliebter Heerführer Roms, den ich schon als rotznäsigen kleinen Jungen gekannt habe. Nie besser, obwohl ich gerne einmal den Ausblick von oben genießen würde und jemand brauchen könnte, der mich hinaufträgt. Die Schwäche hat mich gepackt, und der Aufstieg erfordert ein Paar kräftige Beine.«
Brutus stand auf. »Ich wollte sowieso hinauf, jetzt, wo sich die Helvetier am anderen Ufer versammeln. Wenn sie hören, dass Julius sie nicht durch unsere kleine Provinz ziehen lässt, könnte es ganz interessant werden. Hoch mit dir, alter Mann. Ihr Götter, du wiegst ja überhaupt nichts!«
Cabera ließ sich auf Brutus’ Rücken ziehen, wo die kräftigen Arme des Generals seine Beine umfassten, während er sich selbst mit dem rechten Arm festhielt. Der andere hing nutzlos herab.
»Es ist die Qualität deiner Last, die du in Betracht ziehen musst, Brutus, nicht ihr Gewicht«, sagte er, und obwohl die Worte durch die Krankheit undeutlich waren, verstand Brutus sie und lächelte.
Julius stand an der Brustwehr und blickte über das schnell dahinfließende Wasser der Rhone hinweg, auf dem sich an manchen Stellen durch die Gewalt des Frühlingshochwassers weiße Schaumkronen zeigten. Das andere Ufer des breiten Flusses war bis zum Horizont mit Menschen bedeckt, Männer, Frauen und Kinder. Manche saßen da und ließen die Füße im Wasser baumeln, als hätten sie nichts weiter geplant als einen vergnüglichen Nachmittag. Die Kinder und die Alten trugen einfache Gewänder, die von einem Gürtel oder einer Kordel zusammengehalten wurden. Unter ihnen sah er auch gelbe oder rote Haarschöpfe neben dem häufigeren Braun. Sie führten Ochsen und Esel mit sich, die die riesigen Mengen an Lebensmitteln und Vorräten schleppten, die man brauchte, um eine so große Armee unterwegs zu versorgen. Julius hatte Verständnis für ihre Schwierigkeiten, weil er wusste, wie schwer es war, die Legionen unter seinem Kommando zu ernähren. Bei so vielen hungrigen Mäulern war es einfach nicht möglich, lange an einem Ort zu bleiben, und die Länder, durch die sie zogen, würden aller Lebewesen beraubt, der Viehbestand für Generationen dezimiert werden. Die Helvetier ließen auf ihrem Weg Armut hinter sich zurück.
Die Soldaten waren an einer Art Rüstung aus dunklem Leder zu erkennen. Sie schritten durch die Menge und ermahnten diejenigen, die zu nah ans Wasser gingen. Julius beobachtete einen dabei, wie er sein Schwert zog und mit der flachen Seite Raum für ein Boot schaffte, das herbeigetragen wurde. Es war eine chaotische Szene, und Julius konnte die Töne eines Liedes hören, die durch die kalte Luft hinüberwehten; der Musiker war in der Menge nicht auszumachen.
Die Helvetier ließen das Boot unter rhythmischem Sprechgesang in den Fluss hinunter und hielten es im seichten Wasser fest, bis eine Mannschaft von Ruderern ihre Plätze eingenommen hatte. Selbst mit drei Mann auf jeder Seite würden sie es schwer haben, gegen die reißende Strömung anzukämpfen. Der Gedanke an eine folgende Massenüberquerung war absurd, und die Römer, die sie beobachteten, blieben vollkommen gelassen.
Selbst eine grobe Schätzung nach Zenturien war unmöglich. Julius war berichtet worden, dass die Helvetier das Land hinter sich verbrannt hatten, ehe sie nach Süden aufgebrochen waren. Er zweifelte nicht daran. Der riesige Stamm hatte seine Heimat bis auf den letzten Mann verlassen, und wenn es den Römern nicht gelang, sie aufzuhalten, würde sie ihr Weg direkt durch die schmale römische Provinz am Fuß der Alpen führen.
»Eine solche Völkerwanderung habe ich noch nie gesehen«, sagte Julius wie zu sich selbst. Der römische Offizier neben ihm sah ihn an. Er hatte die Legionen, die Julius mitgebracht hatte, begrüßt, vor allem die Veteranen der Zehnten. Einige Leute im Handelsposten hatten sich über den Wechsel der Amtsgewalt geärgert, für andere jedoch war es wie ein plötzliches Bad in der Energie ihrer alten Heimatstadt gewesen. Wenn sie sich jetzt unterhielten, taten sie es mit kaum verhohlener Fröhlichkeit und einem neuen Selbstbewusstsein. Nie wieder würden sie die Verachtung der gallischen Händler zu spüren bekommen, die ihnen immer das Gefühl gegeben hatten, geduldet, aber niemals akzeptiert zu sein. Mit nur einer Legion war der Außenposten von Rom kaum anerkannt gewesen, und ohne den Weinhandel hätte man die Provinz womöglich schon längst aufgegeben. Diejenigen, die immer noch an Beförderungen und eine Karriere dachten, hießen Cäsar mit offenen Armen willkommen, und niemand mehr als ihr Befehlshaber Marcus Antonius.
Als Julius ihm den Befehl des Senats gezeigt hatte, hatte er das breite Grinsen, das sich auf sein Gesicht stahl, nicht unterdrücken können.
»Dann werden wir hier wohl bald was erleben«, hatte er zu Julius gesagt. »Ich habe schon so viele Briefe geschrieben, dass ich die Hoffnung fast aufgegeben hatte.«
Julius hatte mit Entsetzen gerechnet, sogar mit drohender Befehlsverweigerung. Er war mit finsterem Gesicht in die römische Stadt eingeritten, um seine Entschlossenheit kundzutun, aber bei dieser Reaktion war jegliche Anspannung von ihm gewichen, und er hatte laut über Marcus Antonius’ offene Fröhlichkeit gelacht. Sie schätzten einander ab und fanden beide etwas am anderen, das ihnen gefiel. Julius hatte dem Befehlshaber fasziniert zugehört, als er ihm Bericht über die Region und den brüchigen Frieden mit den Stämmen der Gegend erstattete. Marcus Antonius hatte die Probleme, denen sie sich gegenübersahen, nicht verheimlicht, aber seine Worte hatten von einem tiefen Verständnis gezeugt, woraufhin Julius ihn sofort an seinen Beratungen beteiligt hatte.
Falls die anderen sich über den schnellen Aufstieg des neuen Mannes ärgerten, ließen sie es sich nicht anmerken. Marcus Antonius war schon seit vier Jahren in der Provinz und konnte ein detailliertes Bild des Netzes von Bündnissen und Fehden zeichnen, das ein großes Hindernis für den Handel darstellte und eine effiziente Verwaltung unmöglich machte.
»Es ist eigentlich weniger eine Völkerwanderung als ein Eroberungsfeldzug, Herr«, sagte Marcus Antonius. »Alle kleineren Stämme werden ihre Frauen verlieren, ihre Getreidevorräte, einfach alles.« Er hatte große Ehrfurcht vor dem Mann, den Rom gesandt hatte, aber ihm war aufgetragen worden, offen zu reden, und er genoss den neuen Status, den er dadurch erworben hatte, vor allem bei seinen eigenen Männern.
»Dann lassen sie sich wohl nicht zur Umkehr bewegen?«, fragte Julius und beobachtete dabei die Massen am anderen Ufer.
Marcus Antonius blickte von der Brustwehr zu den Legionen hinab, die dort in voller Schlachtordnung aufgestellt waren. Ein angenehmer Schauer lief ihm über den Rücken bei dem Gedanken an die Stärke, die diese Quadrate darstellten. Neben den 10000 Mann, die Julius mitgebracht hatte, waren drei weitere Legionen aus Norditalien herbeigerufen worden. Die Tatsache, dass er lediglich Reiter mit seinen Befehlen aussenden musste, die dann mit 15000 Soldaten im Gewaltmarsch über die Alpen zurückkehren würden, zeigte besser als alles andere die neue Macht, die Julius verliehen worden war.
»Wenn sie umkehren, werden sie im Winter alle verhungern, Herr. Meine Kundschafter haben von 400 Dörfern berichtet, die in Flammen aufgegangen sind, mit ihrem gesamten Wintergetreide. Sie wissen, dass sie nicht umkehren können, und werden deshalb umso entschlossener kämpfen.«
Brutus erreichte hinter ihnen die Plattform und ließ Cabera von seinem Rücken gleiten, damit er sich mit seinem gesunden Arm an der hölzernen Brüstung festhalten und das Geschehen beobachten konnte. Brutus salutierte, als er auf Julius zutrat, wobei er vor dem Neuling mehr als sonst auf den Anschein von Disziplin achtete. Er mochte Marcus Antonius nicht besonders. Irgendetwas an der Art und Weise, wie er mit Julius’ Zielen und Ambitionen so vollkommen übereinstimmte, kam Brutus seltsam vor, aber er hatte nichts gesagt, weil er nicht eifersüchtig erscheinen wollte. Dabei verspürte er gerade jetzt einen Anflug von Eifersucht, als er die beiden Männer sich wie alte Freunde unterhalten sah, während sie die Armee der Helvetier am anderen Ufer beobachteten. Brutus zog eine finstere Miene, als Marcus Antonius eine witzige Bemerkung über die riesige Streitmacht von sich gab. Er und Julius schienen sich gegenseitig bei der Demonstration ihrer Gelassenheit übertreffen zu wollen.
Dass Marcus Antonius ein so kräftiger, herzlicher Mann von der Sorte war, die Julius zum Lachen bringen konnte, machte es nicht einfacher. Brutus wusste, wie sehr Julius das schallende Gelächter und den Mut von Männern vom Schlage seines Onkels Marius schätzte, und Marcus Antonius entsprach diesem Bild, als hätte er Marius persönlich gekannt. Er war einen Kopf größer als Julius, und seine Nase verkündete der ganzen Welt, dass er von altem römischen Blut war. Sie beherrschte sein Gesicht unter den dichten Augenbrauen, und wenn er nicht gerade lachte, wirkte er auf natürliche Art ernst und würdevoll. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit erwähnte er seine Familienabstammung, und Marcus Antonius schien sein adliges Blut allein durch die Anzahl der Ahnen, die er aufzählen konnte, beweisen zu wollen.
Sulla hätte diesen Mann ohne Zweifel gemocht, dachte Brutus gereizt. Marcus Antonius war voller Ideen, die jetzt, nach Julius’ Ankunft, in die Tat umgesetzt werden konnten, aber irgendwie hatte er nichts davon alleine zuwege gebracht. Brutus fragte sich, ob diesem edlen Römer wohl klar war, was Julius an seiner Stelle erreicht hätte, auch mit nur einer Legion.
Er schob diese Gedanken beiseite und lehnte sich ebenfalls gegen die Brüstung. Jetzt sah er, wie sich das Boot dem römischen Ufer näherte und die Ruderer ins seichte Wasser sprangen, um es an Land zu ziehen. Sie standen im Schatten der Mauer, die die Römer errichtet hatten, um sie aufzuhalten. Brutus glaubte nicht, dass sie versuchen würden, die römischen Linien zu durchbrechen, trotz ihrer Überzahl.
»Die müssen doch sehen, dass wir jedes Boot mit Speeren und Steinen versenken könnten, ehe sie landen. Ein Angriff wäre glatter Selbstmord«, sagte Julius.
»Und wenn sie friedlich abziehen?«, fragte Marcus Antonius, ohne den Blick von den Boten abzuwenden, die unten standen, ein Stück abseits von den Ruderern.
Julius zuckte die Achseln. »Dann habe ich sie trotzdem die römische Autorität spüren lassen. So oder so werde ich Fuß in diesem Land gefasst haben.«
Brutus und Cabera drehten sich gleichzeitig um und sahen den Mann an, den sie kannten. Sie bemerkten eine wilde Freude in seinem Gesicht, als er so stolz und aufrecht auf der Sperrmauer stand, um die Worte der Helvetier anzuhören.
Einen ähnlichen Gesichtsausdruck hatten sie schon einmal bei ihm gesehen, als Marcus Antonius vor einigen Monaten zum ersten Mal vor den versammelten Heerführern gesprochen hatte.
»Ich freue mich, dass ihr hier seid, meine Herren«, hatte Marcus Antonius gesagt. »Wir stehen kurz davor, überrannt zu werden.«
Julius hatte beabsichtigt, ein wildes Land zu erobern, dachte Brutus. Die Helvetier waren nur einer von vielen Stämmen in diesem Gebiet, ganz zu schweigen von dem gesamten unerforschten Land, das Julius für Rom in Besitz nehmen wollte. Es war kaum vorstellbar, in welch finstere Stimmungen er in Spanien verfallen war, wenn man den Mann betrachtete, der neben ihnen auf der Brustwehr stand. Sie alle konnten es spüren, und Cabera schloss die Augen, als seine Sinne sich gegen seinen Willen die Pfade in die Zukunft hinabstürzten.
Der alte Mann sackte in sich zusammen und wäre gefallen, wenn ihn Brutus nicht aufgefangen hätte. Niemand bewegte sich, während die Boten sprachen, und Julius wandte sich an seinen Übersetzer, der die Worte in holpriges Latein übertrug. Ohne dass ihn die Krieger unten sehen konnten, grinste er vor sich hin, bevor er sich ihnen wieder zuwandte und beide Hände auf die breite Brüstung legte.
»Nein!«, rief er hinunter. »Ihr dürft nicht passieren!« Julius sah Marcus Antonius an.
»Wenn sie entlang der Rhone nach Westen ziehen, ehe sie sich nach Süden wenden, welche Stämme liegen dann auf ihrem Weg?«
»Die Haeduer siedeln direkt westlich von uns, deshalb würden sie am meisten zu leiden haben, obwohl die Ambarrer und die Allobroger ... «, fing Marcus Antonius an.
»Welcher Stamm ist der reichste von ihnen?«, unterbrach ihn Julius.
Marcus Antonius zögerte. »Die Haeduer sollen riesige Viehherden besitzen, und ...«
»Ruf ihre Anführer zu mir, mit den schnellsten Reitern und der Zusage sicheren Geleits«, sagte Julius und blickte wieder über die Brüstung. Das Boot war schon wieder auf dem Weg zum anderen Ufer, aber er konnte trotzdem erkennen, wie wütend die Männer darin waren.
Zwei Tage später lag die kleine Festung ruhig da, obwohl Julius die Schritte hörte, als die Wachen auf den Mauern abgelöst wurden. Neue Unterkünfte waren für die Soldaten, die er aus Rom mitgebracht hatte, gebaut worden, aber die drei Legionen aus Ariminum nächtigten immer noch in ihren Zelten in befestigten Lagern. Julius hatte nicht vor, für sie etwas Dauerhaftes zu errichten. Er hoffte, dass es nicht nötig sein würde.
Ungeduldig wartete er, als seine Worte dem Häuptling der Haeduer von dem Dolmetscher, den Marcus Antonius gestellt hatte, übersetzt wurden. Der Mann schien viel länger zu reden, als es Julius für gerechtfertigt hielt, aber er hatte beschlossen, ihnen nicht zu verraten, dass Adàn ihre Sprache sprach, um daraus womöglich einen geheimen Nutzen zu ziehen. Sein spanischer Schreiber hatte sich bei den ersten Worten der Gallier überrascht gezeigt. Sein Volk sprach eine Variante der gleichen Sprache, zumindest ähnlich genug, um den größten Teil der Unterhaltungen verstehen zu können. Julius fragte sich, ob sie vielleicht in der fernen Vergangenheit ein Volk gewesen seien, ein Nomadenstamm, der Gallien und Spanien besiedelt hatte, als Rom noch ein kleines Dorf zwischen sieben Hügeln gewesen war.
Adàn wohnte danach jedem Treffen bei, wobei er fleißig die von Julius diktierten Botschaften und Briefe kopierte, um nicht als Zuhörer aufzufallen. Wenn sie alleine waren, fragte ihn Julius aus, und sein Gedächtnis erwies sich meistens als fehlerlos. Julius warf dem eifrigen jungen Spanier einen kurzen Blick zu, während der Dolmetscher die Gefahren, die von den Helvetiern ausgingen, in endlosen Details wiederholte. Der Stammesführer der Haeduer war ein typischer Vertreter seiner Rasse, ein dunkelhaariger Mann mit schwarzen Augen und energischem, hageren Gesicht, das zum Teil unter einem ölglänzenden Bart verborgen war. Die Haeduer behaupteten, keinen König zu haben, aber Mhorbaine war ihr oberster Richter, durch eine Wahl bestimmt, nicht Kraft seiner Geburt.
Julius trommelte mit den Fingern einer Hand auf den Rücken der anderen, als Mhorbaine antwortete und der Dolmetscher überlegte, wie er seine Worte übersetzen sollte.
»Die Haeduer sind gewillt, deine Hilfe anzunehmen, um die Helvetier von ihren Grenzen zurückzuschlagen«, sagte der Mann dann endlich.
Julius lachte laut auf, und Mhorbaine zuckte zusammen.
»Sind gewillt?«, sagte er spöttisch. »Sag ihm, ich werde sein Volk vor der Vernichtung retten, wenn sie mich dafür mit Getreide und Fleisch bezahlen. Meine Männer müssen essen. Für dreißigtausend Mann müssen jeden Tag mindestens zweihundert Rinder geschlachtet werden. Ich akzeptiere auch die gleiche Menge an Wild oder Hammelfleisch, dazu Getreide, Brot, Öl, Fisch und Gewürze. Ohne Verpflegung rühren wir uns nicht von der Stelle.«
Nun begannen ernsthaft die Verhandlungen, immer wieder von der langsamen Übersetzung behindert. Julius sehnte sich danach, den Dolmetscher zu entlassen und ihn durch Adàn mit seiner schnellen Auffassungsgabe zu ersetzen, aber er riss sich zusammen, während die Stunden zäh verrannen und der orangefarbene Mond über den Bergen hinter ihnen aufging. Mhorbaine hingegen schien langsam die Geduld zu verlieren, und als sie alle wieder auf den Übersetzer warteten, der gerade zögernd einen Satz zu Ende bringen wollte, schnitt ihm der Gallier mit einer Handbewegung das Wort ab und begann in sauberem Latein mit römischem Akzent zu sprechen.
»Ich habe genug von diesem Trottel. Ich verstehe dich gut genug, um ohne ihn auszukommen.«
Julius musste bei dieser Offenbarung laut auflachen. »Meine Sprache verhunzt er auf jeden Fall, so viel weiß ich. Wer hat dich die Sprache Roms gelehrt?«
Mhorbaine zuckte die Achseln. »Marcus Antonius hat Männer zu allen Stämmen geschickt, als er hierher kam. Die meisten wurden umgebracht und ihre Leichen zu ihm zurückgeschickt, aber ich habe den meinen bei mir behalten. Dieser erbärmliche Wicht hat die Sprache von demselben Mann gelernt, aber nur schlecht. Er hat kein Ohr für Sprachen, aber ich hatte keinen anderen.«
Danach gingen die Verhandlungen schneller voran, und Mhorbaines Versuch, seine Kenntnisse zu verbergen, erheiterte Julius. Er fragte sich, ob dieser auch Adàns Funktion bei diesem Treffen erraten hatte. Es war anzunehmen. Der Führer der Haeduer war ein sehr kluger Kopf, und Julius spürte bis zum Ende, wie ihn der andere kühl einzuschätzen versuchte.
Als sie fertig waren, stand Julius auf und packte Mhorbaine bei der Schulter. Unter dem Wollstoff spürte er Muskeln. Der Mann war wohl eher ein Kriegsherr als ein Richter, wenigstens nach dem zu urteilen, was Julius darunter verstand. Er führte Mhorbaine hinaus zu den Pferden, ging dann aber noch einmal hinein, wo Adàn auf ihn wartete.
»Nun?«, sagte Julius. »Habe ich irgendetwas Wichtiges verpasst, ehe Mhorbaine die Geduld verloren hat?«
Adàn musste über Julius’ Belustigung lächeln. »Mhorbaine hat den Übersetzer gefragt, ob du stark genug bist, um die Helvetier abzuwehren, und der hat geantwortet, dass er das für wahrscheinlich hält. Das war alles, was du nicht gehört hast. Ihnen bleibt keine andere Wahl, wenn sie ihre Herden nicht an die Helvetier verlieren wollen.«
»Perfekt. So habe ich mich von einem fremden Eroberer, der genauso gefährlich ist wie die Helvetier, in einen Römer verwandelt, der von einem Stamm in Not zu Hilfe gerufen wird. Schreib das in die Berichte für Rom. Ich will, dass mein Volk gut über das denkt, was wir hier tun.«
»Ist das wichtig?«, fragte Adàn.
Julius schnaubte verächtlich. »Du hast keine Ahnung, wie wichtig das ist. Die Bürger wollen nicht wissen, wie andere Länder gewonnen werden. Sie glauben lieber, dass sich die feindlichen Armeen unserer moralischen Überlegenheit beugen, nicht unserer Stärke. Ich muss hier sehr vorsichtig vorgehen, trotz Freiheiten, die mir der Senat zugebilligt hat. Wenn sich die Machtverhältnisse in Rom ändern, kann ich jederzeit zurückbeordert werden, und es wird immer Feinde geben, die es gerne sehen, wenn ich in Ungnade falle. Schick die Berichte mit genügend Geld los, damit sie auf jeder Straße und auf dem Forum verlesen werden. Die Menschen sollen erfahren, welche Fortschritte wir in ihrem Namen machen.«
Julius hielt inne, und seine Heiterkeit verflog, als er an die Probleme dachte, die ihm bevorstanden.
»Jetzt müssen wir nur noch die größte Armee schlagen, die ich je gesehen habe, dann können wir gute Nachrichten nach Rom schicken«, sagte er. »Ruf Brutus, Marcus Antonius, Octavian und Domitius zusammen, meinen ganzen Beraterstab. Und Renius auch, sein Rat ist immer vernünftig. Richte Brutus aus, er soll seine Kundschafter ausschwärmen lassen. Ich will wissen, wo sich die Helvetier befinden und wie sie organisiert sind. Beeil dich, mein Junge. Wir müssen eine Schlacht planen, und bei Morgengrauen will ich unterwegs sein.«
Julius lag auf dem Bauch und beobachtete, wie die Helvetier über die Ebene zogen. Bei aller Konzentration fiel ihm doch auf, wie üppig grün das Land war. Die Erde Roms wirkte im Vergleich dazu trocken und karg. Statt der kahlen Berge des Südens, die er kannte, an deren Hängen die Bauern unter großen Mühen ihren Lebensunterhalt verdienten, boten sich seinen Blicken hier gewaltige, weite Ebenen voller fruchtbarer Erde. Es verlangte ihn danach, mit dem primitiven Begehren eines Mannes, der selbst schon eigenes Land bestellt hatte. Gallien konnte ein ganzes Imperium ernähren.
Das Tageslicht schwand bereits, und er ballte vor Erregung die Fäuste, als der Wind die klagenden Töne von Hörnern herüber- wehte. Die riesige Marschkolonne schlug ihr Nachtlager auf. Einer seiner Kundschafter kam herbeigeeilt und warf sich keuchend neben ihn.
»Sieht so aus, als wären das alle, Herr. Ich konnte keine Nachhut oder Reserve entdecken. Sie marschieren schnell, aber sie müssen heute Nacht rasten, sonst werden sie bald anfangen, Leichen hinter sich zurückzulassen.«
Julius zog ein flaches Lederbündel unter seiner Rüstung hervor und breitete es auf dem Boden aus. Der Kundschafter sah fasziniert zu, wie sein Feldherr zwei polierte Scheiben aus Bergkristall hervorzog und sie in ein Rohr aus Leder einfügte, das er schließlich mit zwei Ringen verschloss, die beim Zuschnappen leise klickten. Das Teleskop hatte Marius gehört, und es war zu alt und zu wertvoll, um es aus der Hand zu geben. Julius musterte damit die Helvetier und nickte, als er sie erspähte.
»Sie machen Halt. Siehst du, wie sich die Soldaten zu Gruppen um den Kern herum zusammenfinden? Das sieht mir nach einer griechischen Speer-Phalanx aus. Ich frage mich, ob sie selbst darauf gekommen sind oder ob ihre Vorfahren jemals in Griechenland waren. Sobald ich Gelegenheit dazu habe, muss ich einen von ihnen dazu befragen.«
Er suchte die Ebene ab und überlegte, welche Möglichkeiten er hatte. Eine Meile hinter ihm standen 30000 Legionäre bereit, um sich auf die Helvetier zu stürzen, aber nach einem Gewaltmarsch von fast 40 Meilen, mit dem sie dem Stamm den Weg abgeschnitten hatten, waren die Männer erschöpft. Zu Julius’ großer Enttäuschung hatte er die riesigen Wurfmaschinen und Skorpione, die einen großen Anteil der Stärke der Legion ausmachten, nicht dabei. Die Ebene wäre perfekt für sie gewesen, aber bis er Straßen durch das Land gebaut hatte, mussten sie, in Einzelteile zerlegt, auf den Karren bleiben, die er aus Rom mitgebracht hatte.
»Kannst du erkennen, wie viele Krieger sie haben?«, fragte der Kundschafter, beeindruckt von der Armee, der sie gegenüberstanden. Die Helvetier waren zu weit entfernt, um sie hören zu können, aber die gewaltige Größe des Völkerzugs war erdrückend.
»Achtzigtausend, schätze ich, aber wegen der vielen anderen bin ich mir nicht sicher. Es sind mehr Menschen, als ich jemals auf einem Haufen gesehen habe«, erwiderte Julius leise.
Es waren zu viele, um die Legionen zum offenen Angriff übergehen zu lassen, selbst wenn sie nicht so erschöpft gewesen wären. »Hol Brutus her!«, befahl er.
Es dauerte nicht lange, bis er hörte, wie jemand angerannt kam, und Brutus sich neben ihn ins feuchte Laub kauerte.
Die Helvetier waren durch ein breites Tal marschiert, das in das Gebiet der Haeduer führte. Sie hatten bei der Umgehung des Flusses ein schnelles Tempo vorgelegt, und Julius war beeindruckt von ihrer Ausdauer und ihrer Organisation, als sie jetzt ihr Nachtlager vor ihren Augen in der Ebene aufschlugen. Falls sie noch tiefer in das Land der Haeduer vorstießen, würden sie in dichte Waldgebiete kommen, in denen der Vorteil der Legionen verloren wäre. Die Wälder hier waren nicht so licht wie die, die er aus Rom kannte. Dichtes Unterholz behinderte das Vorankommen der Pferde und machte jede Art von koordiniertem Kampf unmöglich. Die reine Überzahl wäre dann entscheidend, und die Helvetier hatten eine riesige Menge an Kriegern und keine andere Möglichkeit, als weiterzumarschieren.
Der Stamm hatte das erste Dorf, auf das sie an der Grenze der Haeduer stießen, niedergebrannt, und die Kundschafter hatten gemeldet, dass es keine Überlebenden gab. Frauen und Tiere hatte man im Tross mitgenommen, den Rest niedergemetzelt. Dorf für Dorf würden sie das Land wie Heuschrecken durchqueren, falls es Julius nicht gelang, sie in der Ebene zu stellen. Er dankte seinen Göttern, dass sie nicht die Nacht hindurch weitermarschierten. Ohne Zweifel wiegte sie ihre große Zahl in falscher Sicherheit, obwohl es selbst mit den bereitstehenden Legionen schwer vorstellbar war, wie er sie angreifen und gegen sie gewinnen sollte.
Julius wandte sich an Brutus.
»Siehst du diesen Hügel dort im Westen?« Er zeigte auf eine grün und grau gestreifte Felsenspitze in der diesigen Ferne. Brutus nickte. »Das ist eine starke Stellung. Besetze mit der Zehnten und der Dritten den Kamm, damit ihr bei Tagesanbruch bereit seid. Die Helvetier werden die Bedrohung sehen, und sie können euch nicht einfach da oben lassen, weil ihr von dort aus über sie herfallen könntet. Nimm die Bogenschützen aus Ariminum mit, aber halte sie im Hintergrund. Sie werden dir auf dem Hügel mehr nützen als in der Ebene.«
Er lächelte grimmig und schlug Brutus auf die Schulter.
»Diese Stammeskrieger haben noch nie gegen eine Legion gekämpft, Brutus. Wenn die Sonne aufgeht, werden sie sich gerade mal zehntausend Mann gegenübersehen. Du wirst ihnen eine Lektion erteilen.«
Brutus sah ihn an. Die Sonne stand dicht über dem Horizont und schien in Julius’ wild entschlossenes Gesicht.
»Es wird dunkel sein, ehe ich dort bin«, erwiderte Brutus. Den Befehl ausdrücklicher in Frage zu stellen, wagte er nicht vor den Kundschaftern.
Julius schien seine Bedenken nicht zu bemerken und fuhr schnell fort: »Ihr müsst leise sein, wenn ihr dort hinaufsteigt. Wenn sie euch sehen und angreifen, falle ich ihnen in den Rücken. Beeilt euch.«
Brutus rutschte rückwärts fort, bis er von den Helvetiern nicht mehr gesehen werden konnte, dann rannte er zu seinen Männern.
»Auf die Beine, Jungs«, sagte er, als er die ersten Reihen der Zehnten erreichte. »Ihr werdet heute Nacht nicht viel Schlaf bekommen.«
Noch vor Tagesanbruch blickte Julius wieder über die Ebene. Die Sonne ging hinter ihm auf, und alles war in graues Licht getaucht, lange bevor sie sich über den Bergen erhob. Die Helvetier nahmen ihre Marschordnung wieder ein, und Julius beobachtete, wie die Krieger die anderen Stammesangehörigen zum Aufstehen zwangen. Diejenigen, die Schwerter und Speere bei sich trugen, hatten eine besondere Stellung, wie Julius sehen konnte. Sie brauchten keine Vorräte zu tragen, um unbehindert kämpfen und rennen zu können. Julius wartete auf den Augenblick, wenn sie die Legionen entdeckten, die ihre Position auf dem Hügel eingenommen hatten. Es schien eine Ewigkeit zu dauern.
Hinter ihm wartete Marcus Antonius mit seiner und drei anderen Legionen, frierend und grimmig, ohne Frühstück und wärmende Feuer. Sie schienen kaum auszureichen, um es mit einer so riesigen Armee aufzunehmen, aber Julius fiel nichts Besseres ein, um ihre Chancen zu vergrößern.
Ein Pferd kam hinter ihm angaloppiert, und Julius drehte sich wütend um, um den Reiter zum Halten zu bringen, ehe er gesehen werden konnte. Er erhob sich und nahm eine geduckte Haltung ein, als er das bleiche Gesicht des Kundschafters sah. Als der Reiter aus dem Sattel glitt, konnte er zuerst nicht sprechen, so sehr war er außer Atem.
»Herr, eine feindliche Einheit befindet sich auf dem Hügel im Westen! Es sind sehr viele.«
Julius blickte im schwachen Licht wieder zu den Helvetiern hinüber. Sie waren dabei, das Lager abzubrechen, ohne die geringsten Anzeichen von Panik oder Aufruhr. Hatten sie die Kundschafter gesichtet und bereiteten ein Flankenmanöver vor? Sein Respekt vor dem Stamm stieg. Und wo war Brutus? Die beiden Heere waren offensichtlich in der Dunkelheit nicht aufeinander gestoßen, denn der Schlachtenlärm wäre meilenweit zu hören gewesen. War Brutus im Dunkel der Nacht auf den falschen Hügel gestiegen? Julius fluchte wütend über den Rückschlag. Er setzte das Fernrohr ans Auge, aber bei dem schwachen Licht konnte er nichts erkennen. Es gab keine Möglichkeit, mit den verschwundenen Legionen Kontakt aufzunehmen, und ehe sie wieder auftauchten, wagte er nicht anzugreifen.
»Dafür wird er mir büßen«, versprach er und wandte sich dann an die Männer neben ihm.
»Keine Hörner oder Signale. Einfach zurückziehen. Sagt allen, sie sollen sich am Fluss sammeln.«
Als sie davongingen, hörte Julius das blecherne Scheppern der Hörner, die den Abmarsch der Helvetier verkündeten. Seine Enttäuschung war gewaltig, und der Gedanke, dass er sich bald in den Tiefen der Wälder mit ihnen messen musste, war etwas ganz anderes als der überwältigende Sieg, auf den er gehofft hatte. Verärgert nahm er das Fernrohr wieder auseinander, bevor er zu seinen Männern zurückkehrte.
Brutus wartete darauf, dass die Sonne die dunklen Schatten auf dem Hügel vertrieb. Er hatte die Zehnte vor der Dritten Gallica aufgestellt und verließ sich auf ihre größere Erfahrung im Kampf, um alles abzuwehren, was die Helvetier gegen sie zum Einsatz bringen konnten. Außerdem bestand seine eigene Legion zum Teil aus Galliern. Julius hatte gesagt, man könne eine Legion in weniger als einem Jahr aufstellen. Das gemeinsame Leben, Arbeiten und Kämpfen verband die Männer stärker miteinander als alles andere, aber der nagende Zweifel, was geschehen würde, wenn diese Männer gegen ihr eigenes Volk kämpfen mussten, blieb bestehen. Als Brutus sie nach den Helvetiern gefragt hatte, hatten sie nur die Achseln gezuckt, als gäbe es in dieser Hinsicht keine Probleme. Keiner von ihnen kam von diesem Stamm; diejenigen, die des Goldes wegen nach Rom gekommen waren, schienen keine große Loyalität gegenüber denen zu empfinden, die sie zurückgelassen hatten. Sie waren Söldner gewesen, die nur für ihren Sold lebten und nichts als die Kameradschaft unter ihresgleichen brauchten.
Brutus wusste, dass das zuverlässig ausbezahlte Silber und die regelmäßigen Mahlzeiten vielen von ihnen wie ein Traum erscheinen musste; trotzdem hatte er die Zehnte so aufgestellt, dass sie den ersten Angriff aufhalten würde.
Obwohl er nach dem Aufstieg unglaublich müde gewesen war, musste er zugeben, dass Julius einen guten Blick für das Gelände hatte. Wenn er etwas bedauerte, dann nur, die Extraordinarii im Lager zurückgelassen zu haben, aber er hatte nicht wissen können, wie leicht der Aufstieg war. Es hatte nur ein paar Verstauchungen und einen gebrochenen Arm bei einem bösen Sturz im Dunkeln gegeben. Drei Mann hatten ihre Schwerter verloren und waren nun mit Dolchen bewaffnet, aber sie hatten den Hügel vor dem Morgengrauen erstiegen und waren auf den gegenüberliegenden Hang gezogen, ohne einen einzigen Mann zu verlieren. Der Legionär mit dem gebrochenen Arm hatte ihn sich vor die Brust geschnallt und würde mit links kämpfen. Er hatte es abgelehnt, zurückgeschickt zu werden, und hatte auf Ciro in der ersten Reihe der Zehnten gezeigt und gesagt, der große Mann könne seine Speere werfen.
Beim ersten grauen Licht der Dämmerung hatte Brutus im Flüsterton den Befehl ausgegeben, die Formation auszurichten, die sich über den Hang erstreckte. Selbst die Veteranen der Zehnten sahen etwas mitgenommen aus, nachdem sie ihre Positionen im Dunkeln hatten einnehmen müssen, und bei seiner eigenen Legion bedurfte es der Stöcke der Optios, um Ordnung herzustellen. Er beobachtete die Männer dabei, wie sie ihre Speere losschnallten. Bei vier Stück pro Mann, das wusste Brutus, würden sie jeden Angriff gegen sie aufhalten können. Die Helvetier trugen ovale Schilde bei sich, aber die schweren Speere würden sie mitsamt den Schilden an den Boden nageln.
Gerade als die Helvetier nichts ahnend auf ihre Positionen zumarschierten, ging die Sonne über den Bergen auf. Brutus spürte, wie die Erregung in ihm aufstieg, während er darauf wartete, dass ihre Krieger die Soldaten der Zehnten und Dritten entdeckten, die auf sie herabblickten. Er grinste in Erwartung der ersten Lichtstrahlen und lachte bei ihrem Anblick laut auf, als es so weit war.
Die Sonne, die hinter den Gipfeln hervorkam, tauchte sie in strahlendes Licht. 10000 Helme und Rüstungen verwandelten sich innerhalb von Minuten von mattem Grau in glänzendes Gold. Die gelben Rosshaarbüsche der Zenturios schienen zu leuchten, und die Kolonne der Helvetier unten in der Ebene geriet ins Stocken, als einzelne Männer auf sie zeigten und Warnrufe ausstießen.
Dem Stamm musste es so vorgekommen sein, als wären sie aus dem Nichts aufgetaucht, aber sie waren mutig. Sobald der erste Schreck verflogen war, erkannten sie die kleine Armee, die dort am Hang stand, und fast wie ein Mann brüllten sie ihren Trotz heraus. Sie erstreckten sich fast über das gesamte Tal.
»Beim Mars«, sagte Brutus leise. »Das muss eine halbe Million sein, ich schwöre es.«
Er sah, wie die Phalanxen nach vorne schwärmten, ein Wald von Speeren, als sie immer schneller über das Gelände zwischen den beiden Armeen vorrückten. Die ersten Reihen trugen breite Schilde, mit denen sie den Feind rammen sollten, aber ihre Formation würde das unebene Terrain des Hügels niemals überstehen. Sie rannten wie Wölfe über loses Geröll, und Brutus schüttelte den Kopf, als er sah, wie viele auf ihn zustürmten.
»Bogenschützen ... Reichweite ermitteln!«, schrie Brutus. Dann beobachtete er, wie vier Pfeile in hohem Bogen durch die Luft flogen und die maximale Reichweite markierten. Er hatte nur 300 Mann der Legionen aus Ariminum dabei und wusste nicht, wie gut sie waren. Gegen ungeschützte Gegner konnte ihr Feuer vernichtend sein, aber er bezweifelte, dass sie mehr ausrichten konnten, als die Helvetier unter ihren Schilden zu ärgern.
»Speere bereit machen!«, brüllte er.
Die Zehnte nahm ihre vier Speere auf und überprüfte die Spitzen ein letztes Mal. Sie würden sie nicht gezielt werfen, sondern die Waffen mit den schweren Eisenköpfen hoch in die Luft schleudern, damit sie im Augenblick des Auftreffens fast senkrecht herabfielen. Das erforderte viel Geschicklichkeit, aber so hatten sie es gelernt. Sie waren Experten darin.
»Reichweite!«, rief Brutus.
Er sah zu, wie Ciro ein rotes Tuch um den Schaft eines seiner Speere band und ihn mit einem Ächzen hoch in die Luft schleuderte. Keiner von ihnen kam auf eine ähnliche Weite wie der große Mann, und als der Speer sich zitternd in den Erdboden bohrte, hatte Brutus eine Markierung für die weiteste Distanz, 50 Schritte kürzer als die der Pfeile, die weiter unten am felsigen Hang steckten. Sobald die Helvetier diese Linie überschritten, würden sie durch einen Hagel von Geschossen rennen müssen. Wenn sie an Ciros Speer vorbeikamen, würden 40000 weitere in weniger als zehn Herzschlägen auf sie geschleudert werden.
Die Helvetier brüllten, als sie den Hang hinaufzustampfen begannen, und eine Morgenbrise fegte über den Abhang und wehte den Staub aus der Ebene auf.
»Bogenschützen!«, rief Brutus, und zehn Reihen weiter hinten feuerten die Schützen mit Ruhe und Geschick, bis ihre Köcher leer waren. Brutus sah, wie die Salve auf die schreienden Männer unter ihnen niederging, die sich immer noch außerhalb der Reichweite der weitaus tödlicheren Speere befanden. Viele Pfeile prallten von den Schilden ab, die die Stammeskrieger schützend hochhoben, während sie weiterrannten. Nur wenige blieben tot oder verwundet liegen. Das erste Blut war geflossen. Brutus hoffte, dass Julius bereit war.
Julius saß im Sattel, als er den Stamm brüllen hörte. Er riss sein Pferd herum und suchte nach dem Kundschafter, der ihm die Nachricht überbracht hatte.
»Wo ist der Mann, der mir erzählt hat, der Feind befände sich auf dem Hügel?«, rief er, während sich sein Magen zusammen- krampfte.
Der Ruf wurde weitergegeben, und der Kundschafter kam auf seinem Pferd herangetrabt. Er war sehr jung, seine Wangen waren von der Kälte des Morgens gerötet. Julius, der einen schlimmen Verdacht hegte, funkelte ihn finster an.
»Der Feind, den du gemeldet hast. Berichte mir, was du gesehen hast«, sagte Julius.
Der junge Mann stammelte nervös, während ihn sein General anstarrte. »Auf dem Hügel waren Tausende, Herr. Im Dunkeln konnte ich ihre genaue Anzahl nicht erkennen, aber es waren viele, Herr. Ein Hinterhalt.«
Julius schloss einen Augenblick die Augen.
»Verhaftet diesen Mann und haltet ihn fest, bis er bestraft wird. Das waren unsere Legionen, du blöder Idiot!«
Julius riss sein Pferd herum und dachte verzweifelt nach. Sie waren erst ein paar Meilen von der Ebene entfernt. Vielleicht war es noch nicht zu spät. Er löste den Helm vom Sattelhorn, setzte ihn auf und sah die versammelten Männer durch die eiserne Maske hindurch an.
»Die Zehnte und die Dritte Gallica brauchen unsere Unterstützung. Wir werden im schnellsten Eiltempo marschieren und die Helvetier angreifen. Mitten hinein, meine Herren. Mitten hinein.«
Als die Helvetier an der Speermarkierung vorbeiströmten, wartete Brutus, bis sie nicht mehr zu sehen war. Wenn er den Befehl zu früh gab, warf die Dritte hinter ihnen vielleicht zu kurz. Wenn er zu lange wartete, wurde der vernichtende Eindruck, die ersten Reihen des Angriffs niedergemäht zu sehen, verfehlt, weil die Wurfgeschosse über sie hinwegflogen.
»Speere!«, rief Brutus, so laut er konnte, und schleuderte seinen eigenen hoch in die Luft.
10000 Soldaten rissen die Arme nach vorne und griffen dann gleich nach dem nächsten Speer, der vor ihren Füßen lag. Noch ehe die erste Salve landete, das wusste Brutus, würde die Zehnte schon zwei weitere in der Luft haben. Die Dritte Gallica schleuderte ihre Speere langsamer, aber nicht viel, angestachelt vom Vorbild der Veteranen und der Angst vor dem Angriff.
Er hatte den Zeitpunkt perfekt gewählt. Die verschiedenen Reihen der Zehnten und Dritten schickten ihre Speere wie einen Teppich aus pfeifendem Eisen auf den Feind. Nicht nur die erste Reihe, sondern die ersten zehn Reihen verwandelten sich innerhalb von Sekunden von rennenden Kriegern in blutige Leichen. Hunderte starben durch die erste Welle, und die Überlebenden sahen bereits die schwarze Wolke der zweiten Salve auf sich zukommen, während sie sich gegenseitig weitertrieben.
Dem Tod von oben konnte niemand ausweichen. Die Speere fielen in Gruppen oder weit auseinander aus der Luft. Ein einzelner Mann konnte von mehreren zugleich durchbohrt oder eine ganze Reihe niedergestreckt werden, in der ein Einziger wie durch ein Wunder unversehrt blieb. Obwohl sich die Helvetier unter ihren Schilden bargen, bohrten sich die schweren Eisenköpfe durch Holz und Knochen gleichermaßen in den weichen Erdboden unter ihnen. Brutus sah, wie viele Stammeskrieger verzweifelt versuchten, ihre Schilde voneinander zu lösen, die zum Teil mit denen anderer fest zusammengeheftet waren. Viele lebten noch, konnten aber nicht mehr aufstehen, während das Blut aus ihnen herausströmte.
Brutus sah, wie der Angriff ins Stocken kam. Die dritte Welle richtete weniger Schaden an, und noch vor der letzten zogen sie sich zurück und rannten in wilder Flucht vor den Männern auf dem Hügel davon. Die Zehnte brach in Jubel aus, als die Gallier die Flucht ergriffen, und Brutus blickte nach Osten und hielt nach Julius Ausschau. Wenn er seine Legionen in diesem Augenblick angreifen ließe, hätten sie die Helvetier leicht in Panik versetzen und ihnen eine vernichtende Niederlage beibringen können. Doch es war nichts von ihm zu sehen.
Die Helvetier formierten sich außerhalb ihrer Reichweite neu und schickten sich an, über die Leichen ihrer besten Krieger hinweg vorzurücken.
»Diese Männer haben noch nie gegen die Legionen Roms gekämpft!«, rief Brutus den Männern um sich herum zu.
Einige lächelten, aber ihre Augen waren auf die vorrückenden Horden gerichtet, die die leblosen Körper der Gefallenen unter sich verschwinden ließen, als sie den Hügel abermals erklommen. Einige der römischen Speere wurden aus den Leichen gezogen und nach der Zehnten geworfen, flogen aber aufgrund des ansteigenden Terrains nicht weit genug.
»Schwerter bereit!«, befahl Brutus, und zum ersten Mal zogen beide Legionen die Klingen und hielten sie hoch, so dass sie das Sonnenlicht reflektierten. Brutus sah sich um und hob stolz den Kopf. Sollten sie nur klettern, dachte er.
Keuchend und schnaufend brachen die Phalanx-Formationen auseinander, als sich die Helvetier den Linien der Römer näherten. Die Zehnte wartete geduldig auf sie, jeder Mann neben Freunden, die er seit Jahren kannte. In den römischen Reihen gab es keine Angst. Sie standen in makelloser Formation und wussten, dass die Cornicen die ersten Reihen würden wechseln lassen, sobald sie müde wurden. Sie trugen Schwerter aus gehärtetem Eisen, und Brutus sah überall ungeduldige Erwartung in den Gesichtern. Einige Legionäre winkten den Kriegern sogar zu und feuerten sie an. Einen Augenblick lang sah er sie vor seinem inneren Auge, wie die Helvetier sie sehen mussten: eine Mauer aus Männern und Schilden, ohne eine Lücke.
Die ersten Helvetier trafen auf die Zehnte und wurden mit geübter Unerbittlichkeit niedergemacht. Die harten römischen Klingen schlugen überall entlang der Linien auf sie ein und trennten Arme und Köpfe mit einem einzigen Streich ab. Die langen Speere der Helvetier konnten die römischen Schilde nicht durchdringen, und Brutus frohlockte über den Blutzoll.
Er stand auf der rechten Seite in der dritten Reihe und musste sich von dem faszinierenden Anblick losreißen. Er überblickte ihre Position. Eine riesige Horde von Männern kämpfte sich den Berg hoch, um ihre Kameraden zu unterstützen, viele andere strömten um den Hügel herum, um von der Flanke her anzugreifen. Er spürte, wie ihm erneut der Schweiß ausbrach, als er nach Julius Ausschau hielt. Die Sonne blendete ihn aus diesem Winkel, aber er kniff die Augen zusammen und spähte durch das grelle Licht hinüber zur Baumlinie.
»Komm schon, komm schon«, sagte er laut.
Es würde noch eine Weile dauern, bis die Helvetier seine Männer eingekreist hatten, aber wenn sie die Kammlinie hinter ihnen erreichten, gab es keine Rückzugsmöglichkeit mehr für die Zehnte und die Dritte. Er stöhnte vor Wut und Enttäuschung auf, als er sah, wie wenig Krieger die Helvetier als Wachen bei den Frauen und Kindern zurückgelassen hatten. Ein Angriff in ihrem Rücken würde sie augenblicklich in Panik versetzen.
Die schiere Überzahl der Angreifer begann Lücken in die vordersten Reihen der Römer zu schlagen. Die Velites waren schnell und nur leicht gepanzert, und obwohl sie ohne Unterbrechung zwei Stunden hintereinander kämpfen konnten, dachte Brutus daran, die schweren Reihen nach vorne zu schicken, um sie für den Rückzug, den er vielleicht befehlen musste, frisch zu erhalten. Falls Julius nicht bald kam, würde Brutus sich mit den Legionen auf den Hügelkamm zurückziehen und dabei um jeden Zoll kämpfen müssen. Noch schwerer würde der Kampf allerdings, wenn sie erst den Schwertern der Krieger hinter ihnen ausgeliefert waren.
Brutus blickte über die Köpfe seiner Männer hinweg, und sein Herz raste vor Wut. Falls er den Rückzug überlebte, würde Julius für die Vernichtung der Zehnten büßen. Nach all den Jahren in Spanien kannte er fast jeden einzelnen von ihnen, und jeder Gefallene war für ihn wie ein persönlicher Schicksalsschlag.
Dann schrie er vor Freude und Erleichterung auf, als er plötzlich in der Ferne die silbernen Reihen von Julius’ Legionen auf die Ebene stürmen sah. Die Helvetier im Tross bliesen Warnsignale auf ihren Hörnern, und Brutus sah, wie die Reserve-Phalanxen augenblicklich kehrtmachten, um der neuen Bedrohung zu begegnen. Weitere Hörner erklangen auf dem Hügel, die Stammeskrieger blieben stehen und blickten in die Ebene hinab. Brutus brüllte ihnen triumphierend unverständliches Zeug entgegen, als sie sich von der Zehnten zurückzuziehen begannen und eine Lücke zwischen den beiden Armeen entstand. Jetzt würde es keine Flankenmanöver mehr geben, denn jeder Krieger versuchte verzweifelt, seinen Besitz und seine Familie zu beschützen.
»Zehnte und Dritte!«, rief Brutus immer wieder nach links und nach rechts. Sie warteten auf seine Befehle, und er hob den Arm und senkte ihn in Richtung Ebene. »Schließt die Reihen! Bogenschützen, sammelt alle Pfeile auf, die ihr finden könnt! Zum Angriff, Zehnte! Zum Angriff, Dritte!«
10000 Legionäre setzten sich auf sein Wort hin wie ein einziger Mann in Bewegung, und Brutus meinte, seine Brust müsse vor Stolz bersten.
Die Helvetier hatten keine Kavallerie. Julius schickte die Extraordinarii los, um ihre Linien anzugreifen, während sie verzweifelt versuchten, sich neu zu formieren, um den neuen Angriff abzuwehren. Julius marschierte neben Marcus Antonius und behielt Octavian im Auge, der die Linien seiner Reiter im spitzen Winkel an die helvetischen Phalanxen heranführte. Im vollen Galopp griff jeder Mann hinunter zu der langen Lederröhre an seinem Bein und zog einen dünnen Speer hervor, den er dann mit tödlicher Präzision warf. Die Helvetier brüllten und schwangen drohend ihre Schilde, aber Octavian griff sie erst direkt an, nachdem die letzten Speere geschleudert waren. Bis Julius das Ende der Marschkolonne erreicht hatte, befanden sich die Reserven in wilder Auflösung, und es war nicht schwer, den Rest aufzureiben.
Auf seinen Befehl bliesen die Cornicen das Signal zum doppelten Tempo, und 20000 Legionäre verfielen in einen lockeren Trab, in dem sie meilenweit rennen konnten, direkt auf den Feind zu. Den riesigen Zug der helvetischen Sippen beobachteten sie schweigend, als sie ohne einen Zuruf an ihnen vorbeiströmten. Von ihnen ging keine Gefahr aus, und Julius dachte angestrengt darüber nach, wie er den größten Nutzen aus dieser Lage ziehen konnte.
Die Krieger, die den Hügel angegriffen hatten, flohen inzwischen in wilder Panik zurück zum Tross, und Julius lächelte, als er die schimmernden Rechtecke der Zehnten und Dritten sah, die ihnen dicht auf den Fersen waren. Ihre eng gehaltenen Formationen ließen sie in der Morgensonne wie Silberplatten funkeln. Der Hügel war mit Leichen übersät, und Julius sah, dass die Helvetier jede Ordnung aufgegeben hatten und nicht mehr an Phalanxen dachten. Ihre Angst schwächte sie, und Julius setzte alles daran, diese Angst noch zu verstärken. Er überlegte, ob er die Extraordinarii zurückrufen und die Kolonne angreifen lassen sollte, aber in diesem Augenblick gab Octavian das Signal zum Angriff, und die Masse der Pferde bildete einen großen Keil, der die rennenden Krieger wie ein Faustschlag traf. Julius wartete, bis sich die Extraordinarii wieder vom Gegner gelöst hatten und die Pferde herumrissen, um eine erneute Attacke zu reiten, ehe er ihnen das Signal gab, ihre Position zu halten.
»Speere bereit machen!«, rief Julius. Er nahm seinen eigenen in die Hand und spürte das Gewicht des hölzernen Schafts. Schon konnte er die Gesichter der Krieger erkennen, die auf ihn zugerannt kamen. Es würde gerade genug Zeit für einen Wurf bleiben, ehe die Armeen aufeinander prallten.
»Speere!«, schrie er und schleuderte den seinen in die Luft.
Die Reihen um ihn herum ließen den Himmel vor Eisen dunkel werden, und die vordersten Linien der Helvetier wurden niedergestreckt. Ehe sie sich erholen konnten, prallten die ersten Legionäre auf sie und brachen durch.
Die Zenturios in den hinteren Linien hielten das Sperrfeuer aufrecht, als eine Gruppe nach der anderen in Reichweite kam, und Julius brüllte, als sie sich unaufhaltsam in die Masse der Stammeskrieger ergossen. Es waren so viele! Seine Legionäre vernichteten alles, was sich ihnen in den Weg stellte, und der Durchmarsch erfolgte so schnell, dass Julius sich sorgte, sie könnten Opfer eines Flankenmanövers werden. Die Cornicen bliesen seinen Warnruf, die Linie zu verbreitern, und hinter ihm schwärmten die Legionen aus Ariminum aus, um den Feind zu umklammern. Die Extraordinarii folgten ihnen und warteten auf das Zeichen zum Angriff.
Blut spritzte Julius in den Mund, und er wurde langsamer. Er spuckte aus und rieb sich mit der Hand über das Gesicht. Dann befahl er, die zweiten Speere in Gruppen von jeweils zehn Reihen zu werfen, auch wenn er nicht sehen konnte, wo die Eisenspitzen landeten, die über ihn hinwegflogen. Das war ein gefährliches Unterfangen, denn nichts war so schädlich für die Kampfmoral wie Wurfgeschosse, die in den eigenen Reihen niedergingen, aber Julius musste jeden erdenklichen Vorteil nutzen, um die ungeheuerliche Streitmacht des Stammes zu dezimieren.
Die Helvetier kämpften mit wilder Verzweiflung und versuchten, zu ihrem Haupttross zu gelangen, der sich nun ungeschützt hinter den römischen Legionen befand. Diejenigen, die nicht an vorderster Front kämpften, irrten wie Bienen an den Rändern umher und breiteten sich immer weiter über die Ebene aus. Julius reagierte, indem er die Front immer wieder verbreiterte, bis seine vier Legionen nur noch sechs Reihen tief gestaffelt waren und alles vor sich hertrieben.
Eine Weile konnte Julius nicht viel von der Schlacht sehen. Er kämpfte als Fußsoldat und wünschte, er wäre irgendwo auf einer Anhöhe geblieben, um von dort aus die Kämpfe zu leiten.
Auch Brutus dehnte die Legionäre der Zehnten und Dritten auf breiter Front aus, um den Helvetiern den Rückzug abzuschneiden, und beide Legionen kämpften sich durch die feindlichen Linien, während die Sonne immer höher stieg und auf sie niederbrannte. Jungen rannten mit ledernen Schläuchen voll Wasser zwischen den Reihen hin und her, für diejenigen, die die Ration, die sie bei sich trugen, schon ausgetrunken hatten und weiterkämpften.
Julius befahl seinen Männern, die letzten beiden Speere, die sie bei sich trugen, blind zu werfen. Im flachen Gelände wurden viele davon umgehend zurückgeschleudert, aber die weichen Spitzen waren beim Aufprall verbogen und flogen nur noch schlecht und ohne Kraft. Julius sah, wie ein Mann, der nur wenige Fuß entfernt stand, in die Luft griff und einen Speer wegschlug, der auf ihn zu- getrudelt kam. Julius konnte hören, wie sein Arm brach. Ihm wurde klar, dass die Helvetier bis zum letzten Mann kämpfen würden, und er rief den dienstältesten Feldherrn aus Ariminum zu sich.
Als General Bericus eintraf, sah er ruhig und frisch aus, als wäre das Ganze kaum mehr als ein Übungsmanöver.
»Heerführer«, sagte Julius. »Nimm tausend Mann und greife den Tross hinter uns an.«
Bericus erstarrte, als er den Befehl hörte. »Herr, ich glaube nicht, dass sie eine Bedrohung darstellen. Ich habe nur Frauen und Kinder gesehen, als wir an ihnen vorbeimarschiert sind.«
Julius nickte und fragte sich, ob er es wohl einmal bereuen würde, einen so anständigen Mann seine Soldaten führen zu lassen.
»So lautet mein Befehl! Du hast jedoch meine Erlaubnis, während des Abrückens so viel Lärm zu machen, wie du nur kannst.«
Einen Augenblick verstand ihn Bericus nicht, dann jedoch zuckte ein Lächeln um seine Mundwinkel.
»Wir werden brüllen wie die Irren, Herr«, sagte er und salutierte.
Julius blickte ihm nach und rief einen Meldegänger zu sich. »Sag den Extraordinarii, dass sie angreifen können, wann immer sie wollen«, sagte er.
Sobald Bericus seine Leute erreicht hatte, sah Julius, wie Bewegung in sie kam, während die Befehle weitergegeben wurden. Nach kurzer Zeit hatten sich zwei Kohorten vom Kampf gelöst, und die Lücken, die sie hinterlassen hatten, schlossen sich wieder. Julius hörte sie brüllen, als sie kehrtmachten und ihren entschlossenen Marsch auf die Kolonne zu begannen, die sie angreifen sollten. Bericus hatte die Hörner mitgenommen, und die Cornicen machten einen Heidenlärm, bis auch dem letzten Mann auf der Ebene klar war, welche Bedrohung von ihnen ausging.
Zunächst kämpften die Helvetier mit neuer Energie, aber die Extraordinarii hatten ihre sensenartigen Attacken wieder aufgenommen, und die Disziplin der Römer hielt den wilden Angriffen der Stammeskrieger stand. Dann brach jäh Verzweiflung unter ihnen aus; sie fürchteten den Anblick, wenn die Reihen der Legionäre auf die entblößte Marschkolonne trafen.
In der Ferne ertönte Jubelgeschrei, und Julius reckte den Hals und versuchte, den Grund dafür zu erkennen. Er gab den Befehl zum Wechseln der Manipel, die Velites schoben sich wieder in die vordersten Reihen, und er ging vor Erschöpfung keuchend mit ihnen. Wie lange kämpften sie schon? Die Sonne schien am Himmel stillzustehen.
Der Jubel auf dem linken Flügel wurde lauter, aber obwohl er seine Hoffnung weckte, sah Julius sich nun zwei Männern gegenüber, die mit ihren Schilden den römischen Reihen schwer zu schaffen machten. Er sah kurz einen von weißem Speichel umrandeten Mund, ehe er vorstürzte und spürte, wie sich sein Gladius in menschliches Fleisch bohrte. Der Erste ging schreiend zu Boden, und Marcus Antonius schnitt ihm die Kehle durch, als sie über ihn hinwegschritten. Der Zweite wurde von einem Legionär umgeworfen, und Julius hörte seine Rippen krachen, als der Soldat sein ganzes Gewicht auf ein Knie legte und ihm den Brustkasten eindrückte. Als der Legionär wieder aufstand, warfen die Helvetier ihre Waffen mit einem lauten Scheppern, das in den Ohren dröhnte, zu Boden und blieben keuchend und benommen stehen. Julius gab den Befehl einzuhalten und ließ den Blick über die Ebene zurück- schweifen, über die Massen von Leichen, die sie zurückgelassen hatten. Es waren mehr Tote als Gras zu sehen, nur die beiden römischen Kohorten bewegten sich noch über den roten Boden.
Ein großes, dumpfes Wehklagen hob in der Kolonne der Angehörigen an, als sie sahen, dass sich die Krieger ergaben, und wieder vernahm Julius den Jubel, den er jetzt als die Stimmen der Zehnten und Dritten erkannte. Er nahm dem ihm an nächsten stehenden Cornicus das Horn ab und blies einen langen Ton, um Bericus von seinem Angriff abzuhalten. Dessen Legionäre machten in perfekter Formation Halt, sobald der Klang sie erreichte, und Julius lächelte. Was immer sich auch sonst gegen ihn verschworen haben mochte, er konnte sich nicht über die Qualität der Legionen beschweren, die er befehligte.
Dann nahm er den Helm ab und hielt das Gesicht in den Wind. Er ließ den Zenturios und Optios den Befehl geben, die Männer wieder in ihren Einheiten zu sammeln. Das musste schnell und manchmal auch brutal geschehen, wenn die Kapitulation Bestand haben sollte. Zu den Traditionen der Armee gehörte es, den Erlös, der dadurch erzielt wurde, die gefangenen feindlichen Soldaten als Sklaven zu verkaufen, unter den Legionen aufzuteilen, was normalerweise Massaker an Gegnern verhinderte, die sich ergaben. Aber in der Hitze des Gefechts, das wusste Julius, würden sich viele seiner Legionäre nichts weiter dabei denken, einen unbewaffneten Feind niederzumachen, vor allem wenn dieser sie eben noch verwundet hatte. Julius ließ die Cornicen immer wieder das Signal zum Einstellen der Kampfhandlungen blasen, bis es jeder vernommen hatte und in der Ebene wieder so etwas wie Ordnung einkehrte.
Speere und Schwerter wurden eingesammelt und unter der Aufsicht der Extraordinarii vom Schlachtfeld geschafft. Die Krieger der Helvetier mussten niederknien und sich die Arme auf dem Rücken fesseln lassen. Wer um Wasser bat, bekam welches von denselben Jungen, die vorher die Legionen versorgt hatten, und Julius ließ Reihen von Gefangenen bilden. Er ging zwischen seinen Männern hin und her, sprach dort, wo es angebracht war, seine Glückwünsche aus und ließ sich sehen.
Die Legionäre schritten voller Stolz umher, als sie die ungeheure Zahl der Gefangenen und Toten sahen. Sie wussten, dass sie eine zahlenmäßig weit überlegene Streitmacht besiegt hatten, und Julius sah mit Freude, wie einer seiner Männer einen Wasserträger zu einem gefangenen Krieger hinüberrief und ihm die Bronzeöffnung an den Mund hielt. Während Julius zwischen ihnen hindurchging und die Verluste einzuschätzen versuchte, starrten die Römer ihn an, in der Hoffnung, dass er ihren Blick erwidern würde, und wenn er es tat, nickten sie ihm wie Kinder voller Respekt zu.
Brutus kam auf einem Pferd, das er gefunden hatte und dessen Reiter unter den Toten lag, angetrabt.
»Was für ein Sieg, Julius!«, rief er und sprang aus dem Sattel.
Die Soldaten um ihn herum zeigten auf ihn und flüsterten, als sie seine silberne Rüstung erkannten, und Julius grinste über ihre ehrfürchtigen Gesichter. Er hatte es für gefährlich gehalten, sie in der Schlacht zu tragen, weil Silber viel weicher war als gutes Eisen, aber Brutus hatte sie anbehalten und gesagt, es würde die Kampfmoral der Männer heben, wenn sie mit dem Besten ihrer Generation kämpften.
Julius lachte, als er sich daran erinnerte.
»Ich war heilfroh, als ich dich über die Ebene kommen sah, das kann ich dir sagen«, sagte Brutus.
Julius musterte ihn scharf, als er die Frage spürte, die dahinter steckte. Er musste sich ein Lächeln verkneifen, als er nach dem Kundschafter rief, und Brutus hob die Augenbrauen, als er den bedauernswerten Römer sah, dessen Händen ebenso fest gefesselt waren wie die der Gefangenen. Der junge Mann war gezwungen worden, mit den Legionen zu marschieren, und hatte jedes Mal den Stock eines Optios im Rücken gespürt, wenn er langsamer wurde. Julius war froh, dass er überlebt hatte, und im Gefühl des Sieges beschloss er, ihn nicht auspeitschen zu lassen, wie er es verdient gehabt hätte.
»Binde ihn los! «, sagte Julius zu dem Optio des Kundschafters, der seine Fesseln mit einem Messer durchtrennte. Der Kundschafter sah aus, als müsse er mit den Tränen kämpfen, während er versuchte, vor seinem Heerführer und dem Gewinner des Schwertturniers in Rom Haltung anzunehmen.
»Dieser junge Herr hier hat mir berichtet, dass der Feind den Hügel besetzt hätte, auf den ich dich geschickt hatte. In der Dunkelheit hat er zwei anständige römische Legionen für einen Haufen von Stammeskriegern gehalten.«
Brutus brach in schallendes Gelächter aus.
»Du bist doch nicht etwa abgezogen? Julius, das ist ... « Er konnte vor Lachen nicht weiterreden, und Julius drehte sich mit gespielt strengem Gesicht zu dem bekümmerten jungen Kundschafter um.
»Hast du eine Vorstellung davon, wie schwer es ist, sich einen Ruf als taktisches Genie zu erarbeiten, wenn man dabei ertappt wird, wie man sich vor seinen eigenen Männern zurückzieht?«
»Es tut mir Leid, Herr. Ich dachte, ich hätte gallische Stimmen gehört«, stammelte der Kundschafter. Er war vor Verwirrung knallrot geworden.
»Ja, das war dann wohl mein Haufen«, sagte Brutus fröhlich. »Deshalb gibt es eine Losung, mein Sohn. Die hättest du rufen sollen, ehe du davongehetzt bist.«
Der junge Späher lächelte zaghaft, und Brutus’ Gesichtsausdruck veränderte sich sofort.
»Hättest du den Angriff noch länger verzögert, würde ich dir jetzt die Haut abziehen lassen.«
Das schwache Lächeln erstarb auf dem Gesicht des Kundschafters.
»Drei Monate keinen Sold, und du gehst zu Fuß kundschaften, bis dein Optio davon überzeugt ist, dass er dir wieder ein Pferd anvertrauen kann«, fügte Julius hinzu.
Der junge Mann atmete erleichtert auf und wagte es nicht, Brutus anzusehen, als er salutierte und davonschlich. Julius drehte sich zu Brutus um, und sie lächelten beide.
»Es war ein guter Plan«, sagte Brutus.
Julius nickte und rief nach einem Pferd. Als er aufstieg, blickte er über das Schlachtfeld und sah langsam wieder Ordnung einkehren. Die verletzten Römer wurden genäht und geschient, die Leichen für die Scheiterhaufen zusammengetragen. Die Schwerverwundeten würde er zur Behandlung in die römische Provinz zurückbringen lassen. Die Rüstungen der Toten würden verkauft werden, um Ersatz zu beschaffen. Die Lücken, die die toten Offiziere hinterlassen hatten, würden durch Beförderungen, von seiner Hand unterschrieben, aufgefüllt. Die Welt begann wieder ins Lot zu kommen, und die Hitze des Tages ließ langsam nach.
Julius saß auf einem Klappstuhl im großen Zelt des Königs der Helvetier und trank aus einem goldenen Becher. Die Stimmung unter den Männern, die er herbeigerufen hatte, war heiter. Vor allem die Legionsführer aus Ariminum hatten sich an den privaten Weinvorräten des Königs gütlich getan, und Julius hatte sie nicht daran gehindert. Sie hatten das Recht, sich auszuruhen, auch wenn die Arbeit, die vor ihnen lag, immer noch gewaltig war. Julius war vorher nicht klar gewesen, welche Mühe es alleine machen würde, das Gepäck zu katalogisieren, und die Nacht hallte von den Stimmen der Soldaten wider, die die Besitztümer der Helvetier zählten und stapelten. Er hatte Publius Crassus mit vier Kohorten ausgesandt, um die Speere und Waffen auf dem Schlachtfeld einzusammeln. Es war keine ruhmvolle Aufgabe, aber der Sohn des früheren Konsuls hatte schnell und ohne große Umstände seine Männer zusammengerufen und etwas vom Organisationstalent seines Vaters unter Beweis gestellt.
Als die Sonne langsam im Westen versank, waren die Zehnte und die Dritte bereits wieder im Besitz ihrer Speere. Viele der eisernen Spitzen waren so verbogen, dass sie nicht mehr benutzt werden konnten, aber Crassus ließ sie auf die Karren der Helvetier laden, um sie von den Legionsschmieden ausbessern oder einschmelzen zu lassen. Durch eine Fügung des Schicksals wurde eine der Kohorten von Germinius Cato befehligt, der nach der Zeit in Spanien befördert worden war. Julius fragte sich, ob die beiden jemals an die Feindschaft ihrer Väter dachten, während sie höflich voreinander salutierten.
»Es ist genug Getreide und Trockenfleisch da, um uns monatelang zu ernähren, falls es nicht schlecht wird«, sagte Domitius zufrieden. »Allein die Waffen sind ein kleines Vermögen wert, Julius. Einige der Schwerter sind aus gutem Eisen. Es lohnt sich auch, die Griffe der Bronzeschwerter aufzuheben.«
»Irgendwelches Geld?«, fragte Julius.
Renius öffnete einen Sack, der ihm zu Füßen lag, und holte ein paar grob aussehende Münzen hervor.
»Was man hier so dafür hält«, sagte er. »Eine Mischung aus Silber und Kupfer. Kaum etwas wert. Obwohl sie kistenweise davon haben.« Julius nahm ein Geldstück und hielt es ins Licht der Lampe. Aus der runden Münze aus angelaufenem Metall war ein Stück herausgeschnitten worden, das bis zur Mitte reichte.
»Ein merkwürdiges Ding. Sieht aus, als wäre ein Vogel darauf, aber ich bin mir wegen des fehlenden Stücks nicht sicher.«
Der Nachtwind wehte herein, als Brutus und Marcus Antonius das Zelt betraten.
»Rufst du den Rat zusammen, Julius?«, fragte Brutus. Julius nickte, und Brutus streckte den Kopf wieder zum Zelteingang hinaus und rief nach Ciro und Octavian.
»Sind die Gefangenen sicher untergebracht?«, fragte Renius Brutus.
Marcus Antonius antwortete. »Die Männer sind gefesselt, aber wir haben bei weitem nicht genug Soldaten, um den Rest daran zu hindern, während der Nacht zu verschwinden, falls sie das wollen.« Er sah die Säcke voller Münzen und nahm eine in die Hand.
»Handgeprägt?«, fragte Julius, als er sein Interesse sah.
Marcus Antonius nickte.
»Die hier schon, obwohl in den größeren Städten Münzen hergestellt werden, die ebenso gut sind wie die römischen. Ihre Metallarbeiten sind oft sehr schön.« Er ließ die Münze wieder in Renius’ ausgestreckte Hand fallen. »Diese hier allerdings nicht. Die sind minderwertig.«
Julius wies auf zwei Hocker für die beiden Männer, und sie nahmen die Becher mit dem dunklen Wein aus dem Privatvorrat des Königs entgegen.
Marcus Antonius setzte seinen an und seufzte zufrieden.
»Der Wein hingegen ist alles andere als minderwertig. Hast du dir schon überlegt, was du mit dem Rest der Helvetier anfangen willst? Ich hätte ein paar Vorschläge zu machen, wenn ich darf.«
Renius räusperte sich. »Wir sind jetzt für sie verantwortlich, ob es uns nun gefällt oder nicht. Die Haeduer bringen sie alle um, wenn sie ohne ihre Krieger nach Süden ziehen.«
»Genau darin liegt das Problem«, sagte Julius und rieb sich die müden Augen. »Oder besser gesagt hier.« Er hob eine schwere Rolle aus Tierhaut hoch und zeigte ihnen den Anfang, auf dem winzige Schriftzeichen geschrieben standen.
»Adàn sagt, das sei eine Liste ihrer Leute. Er hat schon Stunden gebraucht, um eine grobe Schätzung anzustellen.«
»Wie viele sind es?«, fragte Marcus Antonius. Alle blickten Julius an und warteten.
»Neunzigtausend Männer im Kriegeralter, und noch dreimal so viel Frauen, Kinder und Alte.«
Die Zahlen verschlugen allen die Sprache. Octavian fand sie als Erster wieder und sagte mit weit aufgerissenen Augen: »Und wie viele Männer haben wir gefangen genommen?«
»Ungefähr zwanzigtausend«, erwiderte Julius. Sein Gesicht blieb unbewegt, während die anderen vor Staunen lachten und sich gegenseitig auf den Rücken schlugen. Octavian pfiff leise.
»Siebzigtausend Tote. Wir haben eine ganze Stadt umgebracht.«
Seine Worte ernüchterten die anderen, die an die Berge von Toten auf der Ebene und dem Hügel dachten.
»Und unsere eigenen Toten?«, fraget Renius.
Julius nannte die Zahlen ohne Zögern.
»Achthundert Legionäre, darunter vierundzwanzig Offiziere. Ungefähr die gleiche Anzahl Verwundete. Viele von ihnen werden wieder kämpfen können, wenn wir sie zusammengeflickt haben.«
Renius schüttelte verblüfft den Kopf. »Das ist ein guter Preis.«
»Möge es immer so sein«, sagte Julius und hob den Becher des Königs. Die anderen tranken mit ihm.
»Aber wir haben immer noch eine Viertelmillion Menschen am Hals«, erinnerte Marcus Antonius. »Wir sind hier in der Ebene ungeschützt, und die Haeduer sind eilends im Anmarsch, um einen Anteil an der Beute zu fordern. Machen wir uns nichts vor, meine Herren. Morgen Mittag wird hier eine weitere Armee auftauchen, die von uns einen Teil der Reichtümer der Helvetier verlangt.«
»Sie gehören von Rechts wegen uns, soweit es überhaupt welche gibt«, erwiderte Renius. »Ich persönlich habe außer diesen Bechern keine großen Reichtümer gesehen.«
»Nein, es ist vielleicht geschickter, ihnen etwas davon abzugeben«, sagte Julius nachdenklich. »Sie haben ein Dorf verloren, und die Schlacht hat auf ihrem Land stattgefunden. Wir brauchen Verbündete unter diesen Völkern, und Mhorbaine ist sehr einflussreich.« Er wandte sich an Bericus, der immer noch seine blutbespritzte Rüstung trug.
»Deine Männer sollen ein Zehntel von allem nehmen, was wir hier gefunden haben, und es für die Haeduer bewachen.«
Bericus erhob sich und salutierte. Wie die anderen war er bleich vor Müdigkeit, aber er verließ schnell das Zelt, und sie alle konnten hören, wie kräftig seine Stimme wieder klang, als er seine Befehle in die Dunkelheit hinausrief.
»Und was fangen wir mit den Gefangenen an?«, fragte Brutus.
»Rom braucht Sklaven«, erwiderte Julius. »Auch wenn der Preis fallen wird, brauchen wir Geld für unseren Feldzug. Im Augenblick sind Münzen wie diese hier der einzige Reichtum, den wir besitzen. Wir haben kein Silber, um den Sold der Zehnten und Dritten zu bezahlen, und sechs Legionen verbrauchen jeden Monat ein Vermögen. Unsere Soldaten wissen, dass der Verkaufspreis der gefangenen Soldaten ihnen gehört, und viele von ihnen diskutieren schon über ihren neuen Reichtum.«
Marcus Antonius sah etwas betreten aus, als er das hörte. Seine Legion wurde von Rom bezahlt, und er hatte angenommen, dass das bei den anderen auch so war.
»Mir war nicht bewusst ... «, fing er an und hielt dann inne. »Darf ich etwas sagen?«
Julius nickte. Marcus Antonius hielt Brutus seinen Becher hin, der ihn ignorierte.
»Wenn ihr den Stamm in Rom verkauft, wird das Land der Helvetier verlassen bleiben, bis zum Rhein hinüber. Es gibt dort germanische Stämme, die den Fluss nur zu gerne überqueren und das nun schutzlose Land besetzen würden. Die Gallier verehren starke Krieger, aber von den Männern auf der anderen Seite des Flusses haben sie keine gute Meinung. Solche Burschen würdest du nicht an den Grenzen der römischen Provinz haben wollen.«
»Wir könnten das Land selbst besetzen«, warf Brutus ein. Marcus Antonius schüttelte den Kopf.
»Wenn wir das Rheinufer von ein paar Legionen bewachen lassen, verlieren wir damit die Hälfte unserer Streitkräfte, ohne etwas zu gewinnen. Das Land besteht im Augenblick aus wertloser Asche. Man müsste Lebensmittel einführen, bis die Felder wieder bestellt sind, und wer soll die Feldarbeit machen? Unsere Legionäre? Nein, es wäre viel besser, die Helvetier in ihr Land zurückzuschicken. Sollen sie doch den Norden für uns bewachen. Sie haben schließlich mehr zu verlieren.«
»Würden sie nicht von den wilden Stämmen überrannt werden, die du erwähnt hast?«, fragte Julius.
»Sie haben immer noch zwanzigtausend Krieger. Das ist keine geringe Zahl. Und was noch wichtiger ist, sie würden bis zum Letzten kämpfen, um neue Eindringlinge abzuwehren. Sie haben gesehen, wozu die Legionen in der Lage sind, und wenn sie nicht nach Süden wandern können, müssen sie bleiben und um ihre Felder und Häuser kämpfen. Gib mir noch etwas von dem Wein, Brutus.«
Brutus sah Marcus Antonius widerwillig an, als dieser ihm den Becher hinhielt, nachdem er es offensichtlich gar nicht bemerkt hatte, dass ihm der Wein schon einmal verweigert worden war.
»Nun gut«, sagte Julius. »Obwohl den Männern das nicht gefallen wird, werden wir den Helvetiern genug Vorräte lassen, um nach Hause zu ziehen, und den Rest für uns behalten. Ich werde jedem Zehnten eine Waffe geben, damit sie ihr Volk beschützen können. Alles andere nehmen wir mit, abzüglich des Anteils für die Haeduer. Vielen Dank, Marcus Antonius. Das ist ein guter Rat.«
Julius blickte die Männer im Zelt nacheinander an.
»Ich lasse Rom wissen, was wir hier erreicht haben. Mein Schreiber kopiert in diesem Augenblick die Berichte. Und jetzt hoffe ich, dass ihr nicht zu müde seid, denn die Kolonne soll sich beim ersten Tageslicht in Bewegung setzen.« Die Männer stöhnten kaum hörbar, und Julius lächelte.
»Wir bleiben hier, um den Haeduern ihren Anteil zu übergeben und dann in gemächlichem Tempo in die Provinz zurückzumarschieren, wo wir übermorgen ankommen werden.« Er gähnte und löste damit bei dem einen oder anderen ein Echo aus. »Dann können wir schlafen.« Er stand auf, und die anderen erhoben sich mit ihm. »Kommt jetzt, im Sommer sind die Nächte kurz.«
Am nächsten Tag nötigten die Organisationskünste der Helvetier Julius widerwilligen Respekt ab. So viele Menschen abmarschbereit zu machen war schon schwierig genug, aber das Abwiegen der Nahrungsmittel, die sie auf dem Weg nach Hause am Leben erhalten würden, dauerte viele Stunden. Diese Aufgabe war der Zehnten zugefallen, und schon bald hatten sich lange Schlangen vor den Soldaten mit den Messbechern und Säcken gebildet, die allen überlebenden Stammesangehörigen ihren Proviant zuteilten.
Die Helvetier waren noch immer vollkommen verblüfft von der plötzlichen Wendung, die das Schicksal für sie genommen hatte. Die Haeduer, die sie als Gefangene mitgenommen hatten, mussten mit Gewalt herausgeholt werden, nachdem es am Morgen zu zwei Messerstechereien gekommen war. Die Frauen der Haeduer hatten sich mit einer Brutalität an ihren Entführern gerächt, die selbst die abgehärteten Soldaten entsetzte. Julius ließ zwei von ihnen hängen, danach gab es keine weiteren Vorfälle dieser Art.
Die Armee der Haeduer war kurz vor der Mittagsstunde zwischen den Bäumen hervorgekommen, als sich Julius gerade fragte, ob es ihnen jemals gelingen würde, den riesigen Tross in Bewegung zu setzen. Kaum hatte er sie in der Ferne entdeckt, schickte Julius einen Kundschafter mit einer Botschaft zu ihnen, die aus nur einem Wort bestand: »Wartet!« Das Chaos würde durch mehrere Tausend wütender Kämpfer, die darauf brannten, auf den geschlagenen Feind loszugehen, nur noch wachsen. Um ihre Geduld zu belohnen, ließ Julius nach einer Stunde einen Tross mit Ochsen folgen, die mit Waffen und Wertgegenständen der Helvetier beladen waren. Die Gefangenen, die er befreit hatte, schickte er mit, und Julius war froh, sie los zu sein. Er verhielt sich den Haeduern gegenüber sehr großzügig, obwohl Marcus Antonius meinte, dass sie gewiss argwöhnen würden, er hätte die besten Stücke für sich behalten, was immer er ihnen auch schickte. Tatsächlich hatte er die goldenen Becher behalten und unter den Heerführern seiner Legion aufgeteilt.
Als die Mittagsstunde verging und die Helvetier immer noch auf der Ebene standen, wurde Julius langsam rot vor Zorn über die Verzögerungen. Zum Teil lag es an der nicht zu widerlegenden Tatsache, dass alle Anführer des Stamms im Kampf getötet worden waren und eine kopflose Menschenmasse hinterlassen hatten, die hin und her lief, bis Julius in Versuchung kam, sie von den Optios mit ihren Stöcken in Bewegung setzen zu lassen.
Als Letztes befahl Julius, 2000 Kriegern Schwerter aushändigen zu lassen. Mit den Waffen in der Hand standen die Männer gleich etwas aufrechter da und verloren den hoffnungslosen Gesichtsausdruck von Gefangenen und Sklaven. Diese Männer sorgten sofort für Ordnung in der Kolonne, dann marschierten die Helvetier beim Klang eines einzelnen Horns ab. Julius sah ihnen mit Erleichterung nach. Es kam so, wie es Marcus Antonius vorhergesagt hatte: Als klar wurde, dass sie nach Norden zogen, strömten die Haeduer in die Ebene und brüllten und schrien ihnen hinterher.
Julius ließ den sechs Legionen durch die Cornicen den Befehl geben, Mhorbaines Kriegern den Weg zu versperren, und als sie sich näherten, fragte er sich, ob sie wohl anhalten würden oder ob der Tag mit einer weiteren Schlacht enden würde. In der Stimmung, in der er sich befand, wünschte er sich das fast.
Die Reihen der Haeduer hielten in einer Viertelmeile Entfernung an. Sie hatten das Schlachtfeld überquert und waren an Zehntausenden unbestatteter Leichen vorbeigekommen, die bereits zu stinken anfingen. Es konnte keinen besseren Beweis für die Macht der Legionen geben, die ihnen gegenüberstanden, als ein Gang über das Feld voller Leichen, die sie zurückgelassen hatten. Die Haeduer würden es weitererzählen.
Er sah, wie Mhorbaine mit zwei Begleitern angeritten kam, die im Wind flatternde Stander trugen. Julius wartete auf sie, und seine Ungeduld verflog, während sich die Helvetier hinter ihm langsam in der Ferne verloren. Viele seiner Männer warfen der kleiner werdenden Kolonne Blicke nach, weil sie es als Soldaten hassten, zwischen zwei großen Gruppen in der Falle zu sitzen, aber Julius war davon unberührt. Seine Müdigkeit hatte einer gelassenen Leere Platz gemacht, als wären alle seine Gefühle mit der Kolonne zusammen entschwunden.
Mhorbaine stieg ab und öffnete die Arme zu einer herzlichen Umarmung. Julius wich ihm misstrauisch aus, und Mhorbaine überspielte seine Verwirrung mit einem Lachen.
»Ich habe noch nie so viele meiner Feinde tot am Boden liegen sehen, Cäsar. Es ist erstaunlich. Du hast dein Wort gehalten, und die Geschenke, die du geschickt hast, versüßen es noch zusätzlich, da ich weiß, wo sie herstammen. Ich habe Rinder für ein großes Festmahl mitgebracht, genug, dass sich deine Männer ordentlich die Bäuche voll schlagen können. Wirst du das Brot mit mir brechen?«
»Nein«, erwiderte Julius zur offensichtlichen Überraschung Mhorbaines. »Nicht hier. Die Leichen verbreiten Krankheiten, wenn man sie so liegen lässt. Sie liegen auf eurem Land, und sie sollten vergraben oder verbrannt werden. Ich kehre in die Provinz zurück.«
Mhorbaine sah bei dieser Zurückweisung einen Augenblick lang wütend aus.
»Meinst du etwa, ich sollte einen Tag damit verbringen, Löcher für die Leichen der Helvetier zu graben? Lasst sie als Warnung hier verrotten. Als Fremdem ist dir vielleicht die hiesige Sitte unbekannt, nach einer Schlacht ein Festmahl abzuhalten. Die Götter der Erde müssen sehen können, dass die Lebenden Respekt vor den Toten haben. Wir müssen diejenigen, die wir getötet haben, auf den Weg bringen, sonst können sie nicht gehen.«
Julius rieb sich die Augen. Wann hatte er das letzte Mal geschlafen? Er suchte verzweifelt nach Worten, um den Mann zu besänftigen.
»Ich kehre mit meinen Männern zum Fuß der Berge zurück. Es wäre mir eine Ehre, wenn du mich dort besuchst. Dort werden wir ein Festmahl veranstalten und auf die Toten trinken.« Er sah, wie Mhorbaine der abziehenden Kolonne nachblickte, und fuhr mit mehr Schärfe in der Stimme fort. »Die überlebenden Helvetier stehen unter meinem Schutz, bis sie in ihr Land zurückgekehrt sind. Hast du mich verstanden?«
Der Gallier sah den Römer zweifelnd an. Er hatte angenommen, dass die Kolonne unter Bewachung in die Sklaverei geführt wurde. Mit dem Gedanken, dass man sie einfach laufen ließ, konnte er sich nur schwer anfreunden.
»Unter deinem Schutz?«, wiederholte er langsam.
»Glaub mir, wer immer sie angreift, wird mein Feind sein«, erwiderte Julius.
Nach einer Pause zuckte Mhorbaine die Achseln und fuhr sich mit der Hand über den Bart.
»Nun gut, Cäsar. Ich werde mit meiner Leibgarde vorausreiten und dich erwarten, wenn du ankommst.«
Julius schlug ihm auf die Schulter und wandte sich ab. Er sah, wie Mhorbaine ihm fasziniert zusah, als er den Cornicen zunickte. Die Hörnerklänge schallten über die Ebene, und sechs Legionen machten auf der Stelle kehrt. Der weiche Boden erbebte, und Julius grinste, als sie in perfekten Reihen davonmarschierten und Mhorbaine mit seinen Haeduern hinter sich ließen. Als sie am Rande der Ebene zwischen die Bäume traten, rief Julius Brutus zu sich.
»Gib Folgendes weiter. Ich will als Erster in der Provinz sein. Wir marschieren die Nacht durch und halten ein Festmahl ab, sobald wir angekommen sind.« Julius wusste, dass die Männer die Herausforderung annehmen würden, ganz egal, wie erschöpft sie waren. Er schickte die Zehnte nach vorn, damit sie das Tempo bestimmte.
Als der Morgen anbrach, überquerten die sechs Legionen den letzten Hügelkamm vor der römischen Siedlung am Fuß der Alpen. Die Männer hatten trabend und marschierend mehr als 40 Meilen hinter sich gebracht, und Julius stand kurz vor der völligen Erschöpfung. Er war jeden Schritt des Weges mit seinen Männern marschiert, weil er wusste, dass sein Beispiel sie anstachelte. Diese kleinen Dinge waren denen, die er befehligte, sehr wichtig. Trotz ihrer Blasen brachen die Männer in einen heiseren Jubelruf aus, als sie die verstreuten Gebäude erblickten, und wechselten zum letzten Mal in das schnellere Marschtempo.
»Sagt den Männern, sie dürfen acht Stunden schlafen, und dass sie ein Festmahl erwartet, mit dem sie sich die Bäuche voll schlagen können, wenn sie aufwachen. Wenn sie so hungrig sind wie ich, werden sie nicht so lange warten wollen, deshalb lasst kaltes Fleisch und Brot austeilen, um den gröbsten Hunger zu stillen. Ich bin stolz auf sie alle«, sagte Julius seinen Kundschaftern und schickte sie zu den anderen Feldherren. Er fragte sich, ob seine Legionen sich wohl mit den Armeen Spartas oder Alexanders hätten messen können.
Auf jeden Fall hätte es ihn sehr überrascht, wenn sie ihre großen Vorbilder beim Marschieren nicht hätten abhängen können.
Bis Mhorbaine denselben Hügelkamm mit 50 seiner besten Kämpfer erreicht hatte, stand die Sonne schon über dem Horizont. Julius schlief tief und fest. Mhorbaine ließ sein Pferd anhalten und begutachtete die Veränderungen, die die Römer zuwege gebracht hatten. Die dunkle Mauer, die sie errichtet hatten, zog sich in einer weiten Kurve in Richtung Norden und verlor sich in der Ferne, ein Schnitt quer durch die fruchtbare Landschaft. Überall sah er Gebäude, Zelte und ungepflasterte Straßen entstehen. Mhorbaine war vor ein paar Meilen auf die Marschroute der Legionen gestoßen, doch er war trotzdem überrascht, als er die Wirklichkeit vor Augen hatte. Irgendwie hatten sie ihn in der Dunkelheit überholt. Er lehnte sich auf den Sattelknauf und sah sich nach der massigen Gestalt seines besten Kämpfers Artorath um.
»Was für ein seltsames Volk sie doch sind«, sagte er.
Anstelle einer Antwort wandte Artorath den Kopf nach hinten. »Da kommen Reiter«, sagte er. »Keine von unseren.« Mhorbaine wendete sein Pferd und blickte den sanften Abhang hinunter. Nach einer Weile nickte er.
»Die anderen Anführer versammeln sich, um den neuen Mann in unserem Land zu sehen. Es wird sie nicht freuen, dass er die Helvetier geschlagen hat, ehe sie hier waren.«
Mit Parlamentärsfahnen hoch über den Köpfen näherten sich Gruppen von Reitern. Es sah aus, als hätten sämtliche Stämme im Umkreis von 200 Meilen Abgesandte zur römischen Siedlung entsandt.
Mhorbaine blickte auf das riesige Feldlager mit seinen ordentlichen Linien und Befestigungen hinunter.
»Wenn wir schlau sind, können wir hier einen großen Vorteil erzielen«, sagte er laut. »Handel mit Lebensmitteln zum Beispiel, aber diese Legionen sind kein stehendes Heer. Nach dem, was ich bisher gesehen habe, ist dieser Cäsar auf Krieg aus. Wenn dem so ist, haben die Haeduer noch andere Feinde, die er für sie bekämpfen kann.«
»Deine Pläne werden uns noch alle ins Grab bringen«, knurrte Artorath.
Mhorbaine hob die Augenbrauen und sah den Mann an, der auf einem schweren Hengst wie auf einem Pony saß. Artorath war der größte Mann, den er je gesehen hatte, aber manchmal verzweifelte er, wenn er nach Anzeichen von Intelligenz suchte, die zu seiner Größe passten.
»Meinst du wirklich, Leibwachen sollten so mit ihren Herren reden?«, fragte Mhorbaine.
Artorath blickte ihn mit seinen blauen Augen an und zuckte die Achseln. »Ich habe gerade als dein Bruder gesprochen, Mhor. Du hast gesehen, was sie mit den Helvetiern gemacht haben. Auf einem Bären zu reiten wäre ungefährlicher, als mit deiner Silberzunge zu diesen Fremden zu sprechen. Wenn man von dem Bären abspringt, kann man wenigstens noch um sein Leben laufen.«
»Manchmal kann ich kaum glauben, dass wir den gleichen Vater haben«, entgegnete Mhorbaine.
Artorath lachte. »Für seinen zweiten Sohn wollte er eine große Frau, hat er gesagt. Er musste drei Männer töten, um sie den Arvernern zu entreißen.«
»Um einen Ochsen wie dich zu zeugen, ja. Aber keinen Anführer, kleiner Bruder, merk dir das. Ein Anführer muss sein Volk mit mehr schützen können als nur mit abstoßend massigen Muskeln.«
Artorath schnaubte, während Mhorbaine weitersprach. »Wir brauchen sie, Artorath. Die Haeduer werden von einem Bündnis profitieren, und das ist die Wirklichkeit, ob es dir nun gefällt oder nicht.«
»Wenn man Schlangen nimmt, um Ratten zu fangen, Mhor ...«
Mhorbaine seufzte. »Ich würde mich gerne ein einziges Mal mit dir unterhalten, ohne mir deine Tierweisheiten anhören zu müssen. Das lässt dich nicht gerade klug erscheinen, weißt du. Ein Kind könnte sich besser ausdrücken als du, ehrlich.«
Artorath funkelte ihn wütend an und schwieg. Mhorbaine nickte erleichtert.
»Vielen Dank, Bruder. Ich denke, den restlichen Tag solltest du dich in erster Linie als meinen Leibwächter betrachten, und dann erst als meinen Bruder. Also, kommst du jetzt mit?«
Seinen Männern wurden Zelte zugewiesen, während sie darauf warteten, dass Julius erwachte. Mhorbaine schickte Reiter los, die die Viehherde antreiben sollten, die er für das Festmahl mitgebracht hatte, und ehe die Mittagsstunde vorüber war, hatte das Schlachten der Tiere begonnen. Mhorbaine und Artorath beteiligten sich persönlich am Zubereiten und Würzen des Fleischs.
Als die anderen Stammesführer eintrafen, begrüßte Mhorbaine sie und freute sich innerlich diebisch über ihre überraschten Gesichter, als sie ihn sahen, wie er, blutverschmiert bis zu den Ellbogen, den Jungen und Männern Befehle gab, während das brüllende Vieh geschlachtet und als Festmahl für 30000 Mann zerlegt wurde. Der Geruch gebratenen Fleisches erfüllte die Luft, während 100 Feuergruben angeheizt und schwere Eisenspieße aufgestellt wurden. Benommene Legionäre wurden unter ihren warmen Decken hervorgeholt, damit sie bei der Arbeit halfen, und zur Belohnung bekamen sie gleich etwas zum Probieren, während sie sich die verbrannten Finger ableckten.
Als Marcus Antonius aufwachte, ließ er sich von den Sklaven Wasser aus dem Fluss bringen, um sich zu waschen und zu rasieren, ohne sich drängen zu lassen. Wenn Julius vorhatte, die größte Versammlung von Stammesführern seit Menschengedenken zu verschlafen, wollte er ihnen zumindest nicht mit einem Zweitagebart gegenübertreten. Jede Stunde sah er sich gezwungen, mehr Soldaten zu wecken, und er ignorierte das Fluchen, das aus den Zelten erscholl, wenn seine Befehle zu den vor Erschöpfung wie betäubt Schlafenden durchdrangen. Die Aussicht auf eine warme Mahlzeit besänftigte sie jedoch schnell wieder, und der Hunger brachte sämtliche Beschwerden zum Verstummen, als sie Marcus Antonius’ Beispiel folgten und sich wuschen, ehe sie ihre besten Uniformen anlegten.
Es gab viele kleine Dörfer in der römischen Provinz, und Marcus Antonius sandte Reiter aus, die von dort Öl, Fischsoße, Kräuter und Obst holen sollten. Er dankte den Göttern, dass die Bäume voller Äpfel und Orangen hingen, wie unreif sie auch noch sein mochten. Nachdem die Männer so lange nichts als Wasser hatten trinken müssen, schmeckte der bittere Saft besser als Wein, nachdem man ihn ausgepresst und in Krüge gefüllt hatte.
Julius wachte schweißgebadet als einer der Letzten auf. Er hatte in einem der Steinhäuser der ursprünglichen Siedlung geschlafen, die jetzt stark anwuchs. Wer immer sie gebaut haben mochte, teilte die römische Leidenschaft für Sauberkeit, und Julius konnte sich im Baderaum mit kaltem Wasser abspülen, ehe er sich auf eine harte Liege legte, wo man seine Haut mit Olivenöl einrieb und abschabte, bis er sich sauber und erfrischt fühlte. Die schmerzenden Rückenmuskeln entspannten sich langsam, als er sich hinsetzte, um sich rasieren zu lassen, und er fragte sich, ob ihn die tägliche Massage so geschmeidig hielt. Ehe er sich anzog, blickte er an sich herunter und betrachtete seine blauen Flecken. Vor allem der Bauch schmerzte, als habe er einen heftigen Schlag abbekommen. Merkwürdig, dass er sich nicht daran erinnern konnte. Langsam zog er sich an und genoss nach dem Gestank seines eigenen Schweißes während des Marschs die Kühle des sauberen Leinens auf der Haut. Sein Haar verfing sich in den feinen Zinken des Kamms, und als er kräftig zog, sah er mit Entsetzen die vielen Strähnen, die daran hängen geblieben waren. Im Baderaum gab es keinen Spiegel, und Julius versuchte, sich daran zu erinnern, wann er sich das letzte Mal gesehen hatte. Gingen ihm etwa die Haare aus? Was für eine schreckliche Vorstellung.
Brutus trat gemeinsam mit Domitius und Octavian ins Zimmer. Alle drei Männer trugen die auf Hochglanz polierten silbernen Rüstungen, die sie beim Turnier gewonnen hatten.
»Die Stämme haben ihre Vertreter entsandt. Sie wollen dich sehen, Julius«, sagte Brutus mit vor Aufregung gerötetem Gesicht. »Es müssen dreißig verschiedene Gruppen auf unserem Land sein, die alle Parlamentärsfahnen führen und sich nicht anmerken lassen wollen, wie sehr sie sich für unsere Truppenstärke und Strategie interessieren. «
»Ausgezeichnet«, erwiderte Julius, den ihre Begeisterung ansteckte. »Lasst im Speisesaal Tische für sie aufstellen. Es müssten alle hineinpassen, falls es ihnen nichts ausmacht, wenn es etwas eng wird.«
»Schon erledigt«, sagte Domitius. »Alle warten nur noch auf dich, aber Marcus Antonius ist außer sich. Er sagt, sie würden sich nicht von der Stelle rühren, ehe du sie nicht zu Tisch bittest, und wir haben nicht zugelassen, dass er dich weckt.«
Julius lachte.
»Dann lasst uns zu ihnen hinausgehen.«
Als Julius seinen Platz an der langen Tafel einnahm, war die Luft im Speisesaal von der Körperwärme der vielen Anwesenden bereits schwer und dunstig. Obwohl die Tafel mit Leinentüchern bedeckt war, konnte Julius der Versuchung nicht widerstehen, eine Hand darunter zu schieben und das raue, neue Holz zu befühlen. Am Morgen, als die Legion hier eingetroffen war, war der Tisch noch nicht da gewesen. Die Betriebsamkeit von Marcus Antonius und den Zimmermännern der Legionen ließ ihn still in sich hineingrinsen.
Er bat Mhorbaine, sich zu seiner Rechten niederzulassen, und der Gallier nahm den Platz mit offenkundiger Zufriedenheit ein. Julius mochte den Mann und fragte sich, wer von den anderen Gästen in den kommenden Jahren zu seinen Freunden oder Feinden werden würde.
Die Männer an seinem Tisch waren eine bunt durcheinander gewürfelte Truppe, obwohl ihre Gesichtszüge viele Gemeinsamkeiten aufwiesen, so, als wären ihre Vorfahren demselben Stamm entsprungen. Sie hatten verschlossene, wie aus Kiefernholz geschnitzte Gesichter. Viele trugen Bärte, obwohl sich keine einheitliche Tracht ausmachen ließ und Julius ebenso viele Schnurrbärte und kahl rasierte Schädel sah wie Bärte und lange, an den Wurzeln rot gefärbte Zöpfe. Ebenso uneinheitlich präsentierten sich ihre Kleidung und ihre Rüstungen. Einige trugen silberne und goldene Broschen, die Alexandria bestimmt fasziniert hätten, andere wiederum waren völlig ohne Schmuck gekommen. Julius sah, wie Brutus eine verzierte Spange an Mhorbaines Mantel musterte und beschloss, ein paar davon zu erwerben, um sie Alexandria zu schenken, wenn er nach Rom zurückkehrte. Bei dem Gedanken daran seufzte er leise auf und fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis er wieder mit seinen eigenen Leuten an einer langen Tafel sitzen und statt des kehligen Grunzens der Gallier wieder ihre herrliche Sprache hören würde.
Sobald alle saßen, winkte Julius Adàn zu sich heran und erhob sich, um die Stammeshäuptlinge zu begrüßen. Bei einer so wichtigen Zusammenkunft hatte er den ältlichen Dolmetscher zu seinem Stamm zurückgeschickt.
»Ihr seid in meinem Land herzlich willkommen«, sagte Julius und wartete, bis Adàn die Worte in ihrer eigenen Sprache wiederholt hatte. »Ich glaube, ihr wisst, dass ich die Helvetier davon abgehalten habe, durch meine Provinzen und die der Haeduer zu marschieren. Das habe ich auf Mhorbaines Bitte hin getan, und zwar, um mein Vertrauen in euch unter Beweis zu stellen.«
Während Adàn übersetzte, beobachtete Julius ihre Reaktionen. Es war ein merkwürdiger Vorteil, ihnen diesen einen Schritt voraus zu sein. Die Pausen verschafften ihm die Gelegenheit, seine Argumente zu ordnen und zu überprüfen, wie sie ankamen, während die Augen der Gallier auf Adàn gerichtet waren.
»Das Volk von Rom lebt nicht in ständiger Angst vor feindlichen Angriffen«, fuhr er fort. »Sie haben Straßen, Handel, Theater, Badehäuser und billige Nahrungsmittel für alle. Die Leute haben sauberes Wasser und Gesetze, die ihnen Schutz bieten.«
An den Gesichtern rings um den Tisch konnte er ablesen, dass er mit seiner Schilderung auf der falschen Fährte war. Diese Männer hier scherten sich nicht um den Luxus derer, die sie regierten.
»Weit wichtiger noch«, fuhr Julius rasch fort, während Adàn mit einem Wort rang, »die Anführer Roms besitzen gewaltige Ländereien und Anwesen, die zehnmal so groß sind wie dieser kleine Vorposten hier. Sie haben Sklaven, die sich um ihre Bedürfnisse kümmern, und die besten Weine und herrlichsten Pferde der Welt.« Diesmal fiel die Reaktion schon besser aus.
»Diejenigen von euch, die meine Verbündeten sein wollen, werden das alles kennen lernen. Ich habe vor, die Straßen Roms bis nach Gallien zu führen und bis in den entferntesten Winkel des Landes Handel zu treiben. Ich bringe euch den größten Markt der Welt für eure Waren.«
Der eine oder andere seiner Zuhörer lächelte und nickte, dann jedoch erhob sich ein junger Krieger, und alle Gallier sahen den Mann an und verstummten. Julius spürte, wie Brutus zu seiner Linken sich anspannte. Die Gestalt, die sich Julius in zwanzig Fuß Entfernung zuwandte, hatte nichts Außergewöhnliches an sich. Der Gallier trug seinen Bart kurz und hatte das blonde Haar im Nacken zusammengebunden. Wie bei etlichen der anderen war seine Gestalt gedrungen und kräftig, gekleidet in Wolle und abgetragenes Leder. Doch trotz seiner Jugend sah sich der Gallier mit arrogantem Blick im Kreis der versammelten Stammesvertreter um. Sein Gesicht war schlimm vernarbt, und die kalten blauen Augen schienen sie alle zu verspotten.
»Und wenn wir deine leeren Versprechungen von uns weisen?«, fragte der Mann.
Während Adàn übersetzte, erhob sich Mhorbaine an Julius’ Seite.
»Setz dich hin, Cingeto. Willst du der Liste deiner Feinde noch einen neuen hinzufügen? Wie lange ist es her, dass das Volk deines Vaters zum letzten Mal in Frieden gelebt hat?«
Mhorbaine sprach in seiner eigenen Sprache, und der junge Gallier antwortete viel zu schnell für Adàn. Die beiden Männer brüllten sich über den Tisch hinweg an, und Julius nahm sich fest vor, ihre Sprache zu erlernen. Er wusste, dass Brutus bereits damit angefangen hatte; er würde sich seinen täglichen Lektionen anschließen.
Ohne Vorwarnung stürmte der gelbhaarige Krieger von der Tafel davon und stieß die Tür nach draußen weit auf. Mhorbaine sah ihm mit zusammengekniffenen Augen nach.
»Cingetos Leute kämpfen lieber, als dass sie essen«, sagte Mhorbaine. »Die Arverner sind schon immer so gewesen, mach dir deswegen keine Gedanken. Sein älterer Bruder, Madoc, ist weniger aufbrausend, und er ist derjenige, der die Krone seines Vaters tragen wird.«
Der Wortwechsel hatte Mhorbaine sichtlich beunruhigt, doch er zwang sich zu einem Lächeln, als er Julius ansah.
»Du darfst die Unhöflichkeit des Jungen nicht beachten. Nicht alle empfinden so wie Cingeto.«
Julius ließ die vor Öl und Gewürzen glitzernden Platten mit Rind- und Schafsfleisch von den Feuergruben hereinbringen und gab sich Mühe, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen, als Teller mit hoch aufgetürmten frischen Brotlaiben, aufgeschnittenem Obst und gebratenen Wildvögeln folgten. Marcus Antonius war geschäftiger gewesen, als er es mitbekommen hatte.
Die peinliche Unterbrechung nach Cingetos Abgang löste sich im Klappern der Platten und Teller auf. Die Häuptlinge machten sich über die Köstlichkeiten her, wobei jeder sein eigenes Messer zückte, um das heiße Essen zu schneiden und aufzuspießen. Die Fingerschalen mit dem frischen Wasser wurden dazu benutzt, den Wein zu verdünnen, sehr zur Verwunderung der Diener, die die Schalen rasch wieder auffüllten. Julius begriff, dass die Häuptlinge ihre Sinne nicht vom Alkohol vernebeln lassen wollten, und nach kurzem Überlegen kippte er seine eigene Wasserschale ebenfalls in seinen Becher. Verstohlen grinsend folgten Brutus und Octavian seinem Beispiel.
Ein plötzliches Krachen vor dem Saal ließ zwei der Gäste sich halb von ihren Plätzen erheben. Julius stand mit ihnen auf, doch Mhorbaine blieb mit finsterer Miene sitzen.
»Das ist bestimmt Artorath, mein Leibwächter. Er hat wohl jemanden gefunden, mit dem er ringen kann.« Ein weiteres Krachen und ein Grunzen unterstrichen seine Worte, und er seufzte.
»Der riesenhafte Mann?«, fragte Julius belustigt.
Mhorbaine nickte. »Er langweilt sich schnell, aber was soll ich tun? Er gehört zur Familie. Mein Vater hat die Arverner eigens wegen seiner Mutter überfallen, obwohl er damals schon zu alt für so etwas war. Cingetos Leute vergeben nie, obwohl sie sich ihre eigenen Frauen auf die gleiche Weise besorgen, wenn sich eine Gelegenheit bietet.«
»Die Frauen sind mit einer solchen Lösung bestimmt nicht sehr glücklich«, sagte Julius langsam, denn er versuchte noch immer, das Gesagte zu verstehen.
Mhorbaine lachte laut. »Allerdings – wenn wir im Dunkeln die Falsche erwischen. Dann hören sie gar nicht mehr auf zu zetern. Nein, im Ernst, Julius, wenn sich die Stämme beim Beltane-Fest zum Tauschen und Handeln treffen, werden viele Ehen geschlossen. Vielleicht bietet sich dir die Gelegenheit, einmal daran teilzunehmen. Die Frauen machen ihre Wünsche den jungen Kriegern gegenüber deutlich, und es ist ein großartiges Abenteuer, sie von ihren Leuten wegzuholen. Ich weiß noch, dass meine Frau sich wie eine Wölfin gewehrt hat, aber sie hat kein einziges Mal um Hilfe gerufen.«
»Warum nicht?«, wollte Julius wissen.
»Weil man sie sonst vielleicht gerettet hätte! Mein Bart hatte es ihr sehr angetan, glaube ich. Trotzdem hat sie eine Handvoll davon ausgerissen, als ich sie mir über die Schulter werfen wollte. Danach hatte ich eine ganze Weile eine kahle Stelle, direkt am Kinn.«
Julius schenkte dem Gallier Wein nach und sah zu, wie Mhorbaine den Becher mit Wasser auffüllte.
»Ich habe noch nie gesehen, dass man Fingerschalen für so etwas benutzt«, sagte Mhorbaine. »Aber es ist eine gute Idee, wenn der Wein so herb ist.«
Artorath ging in die Hocke und verlagerte seinen Schwerpunkt. Domitius klappte über ihm zusammen und sah sich plötzlich in die Luft gehoben. Ein kurzer, Schwindel erregender Flug, dann prallte Domitius auf den Boden, und die Luft wich aus seiner Lunge. Stöhnend blieb er liegen, während Artorath leise vor sich hinkicherte.
»Du bist stark für einen so kleinen Burschen«, sagte er, obwohl er inzwischen wusste, dass keiner der Römer richtige Worte verstehen konnte. Sie kamen dem riesenhaften Gallier nicht besonders schlau vor. Zuerst, als er eine Münze hochgehalten und mit den Armen Griffe simuliert hatte, hatten sie anscheinend geglaubt, er sei nicht ganz bei Trost. Dann war ihm einer zu nahe gekommen, und Artorath hatte ihn mit einem Grunzen auf den Rücken geworfen. Da hatten sich ihre Mienen aufgehellt, und sie hatten sofort in den Taschen nach Münzen gewühlt, mit denen sie gegen die seine bieten konnten.
Domitius war sein fünfter Gegner an diesem Abend, und obwohl Artorath es sich immer noch nicht nehmen ließ, auf die Silbermünzen zu beißen, die man ihm aushändigte, rechnete er schon jetzt damit, dass er wahrscheinlich genug für ein neues Pferd zusammenbekommen könnte, ehe Mhorbaine den römischen Anführer eingewickelt hatte.
Artorath war aufgefallen, dass Ciro ein Stück von den anderen entfernt stand. Ihre Blicke waren sich nur einmal begegnet, aber Artorath wusste, dass er ihn am Haken hatte. Er genoss die Herausforderung und machte sich einen Spaß daraus, Domitius so nahe wie möglich vor Ciros Füße zu werfen.
»Noch jemand?«, rief Artorath dröhnend, zeigte mit dem Finger auf einen nach dem anderen und wackelte dabei mit den buschigen Augenbrauen, als redete er mit kleinen Kindern. Inzwischen hatte sich Domitius mit einem hinterhältigen Grinsen im Gesicht wieder aufgerichtet und streckte ihm in einer unmissverständlichen Geste die flache Hand entgegen.
»Warte hier, Elefant. Ich kenne genau den richtigen Mann für dich«, sagte Domitius langsam.
Artorath zuckte mit den Achseln. Während Domitius in Richtung der Hauptgebäude davontrabte, blickte Artorath Ciro fragend an, winkte ihn mit einer Hand zu sich und lockte mit einer Münze in der anderen. Zu seiner Freude nickte Ciro und fing an, sich seiner Rüstung zu entledigen, bis er nur noch in Beinkleidern und Sandalen vor ihm stand.
Artorath hatte mit einem Stock einen Kreis auf den Boden gezogen und wies Ciro an, über die Linie zu treten. Er kämpfte gern gegen große Männer. Die kleinen waren daran gewöhnt, zu ihren Gegnern aufzusehen, aber Krieger von Ciros Größe waren wahrscheinlich noch nie einem Mann begegnet, der sie so wie Artorath überragte. Das verschaffte ihm einen großen Vorteil, obwohl die Zuschauer das nie bemerkten.
Ciro dehnte Rücken und Beine, und Artorath ließ ihm den nötigen Platz, wobei er selbst in rascher Folge seine üblichen Lockerungsübungen durchführte. Nach fünf Kämpfen hatte er das eigentlich nicht nötig, aber es machte ihm Spaß, sie einem Publikum vorzuführen, und die römischen Soldaten standen inzwischen in Dreierreihen um den kleinen Kreis herum. Artorath drehte sich, sprang in die Luft und genoss das Ganze aus vollen Zügen.
»Heißt es da, wo ihr herkommt, meine kleinen Soldaten, dass große Männer langsam sind?«, höhnte er in ihre unverständigen Gesichter. Der Abend war kühl, und er fühlte sich unbesiegbar.
Als Ciro den Ring betrat, ertönte eine laute Stimme, und viele Soldaten grinsten in froher Erwartung, als Brutus mit Domitius herbeigerannt kam.
»Warte, Ciro. Bevor du den großen Ochsen fertig machst, will es Brutus noch versuchen«, sagte Domitius keuchend.
Brutus blieb abrupt stehen, als er Artorath erblickte. Der Mann war gewaltiger und mit mehr Muskeln bepackt als jeder andere, dem er bisher begegnet war. Es war nicht einfach nur eine Frage der Kraft, das sah er sofort. Artoraths Schädel war anderthalbmal so groß wie der von Ciro, und jeder andere Knochen war dicker als der eines normalen Mannes.
»Ihr macht wohl Witze«, sagte Brutus. »Der muss ja mindestens sieben Fuß groß sein! Nur zu, Ciro. Warte nicht auf mich.«
»Ich habe schon gegen ihn gekämpft«, sagte Domitius. »Und ich hätte ihn fast umgeworfen!«
»Das glaube ich dir nicht«, erwiderte Brutus glatt heraus. »Wo sind deine Kampfspuren? Ein Schlag von diesen Riesenfäusten treibt dir die Nase zum Hinterkopf hinaus!«
»Schon, aber er schlägt nicht. Es ist wie griechisches Ringen, falls du das schon mal gesehen hast. Er versucht, dich mit den Füßen ins Stolpern zu bringen, aber der Rest besteht aus Griffen und Balance. Er ist sehr geschickt, aber wie schon gesagt, ich hätte ihn fast gehabt.«
Ciro wartete immer noch geduldig, und Artorath hob lediglich eine Augenbraue in Brutus’ Richtung; er verstand nicht ein Wort von dem, was um ihn herum gesprochen wurde.
»Ich kann ihn besiegen«, sagte Ciro in die entstandene Pause. Brutus blickte Artorath skeptisch an. »Wie denn? Der ist ja wie ein Berg.«
Ciro zuckte mit den Achseln. »Mein Vater war ein großer Mann. Er hat mir ein paar Würfe gezeigt. Es ist kein griechisches Ringen, was er da macht. Mein Vater hat es von einem Ägypter gelernt. Ich kann es dir zeigen.«
»Na schön. Er gehört dir«, sagte Brutus sichtlich erleichtert. Artorath sah ihn an, während er sprach, und Brutus wies auf Ciro und machte einen Schritt zurück.
Wieder trat Ciro über die Linie, und diesmal schoss er mit einem raschen Satz nach vorne. Artorath tat es ihm gleich, und die beiden Männer prallten mit einem lauten Klatschen gegeneinander, bei dem die zuschauenden Soldaten zusammenzuckten. Ohne innezuhalten durchbrach Ciro den Griff um seine Schultern und beschrieb einen weiten Kreis, wobei er sorgsam darauf achtete, den schwieligen Füßen des Galliers auszuweichen, die immer wieder nach seinen Knöcheln schlugen. Ciro schlüpfte an ihm vorbei und versuchte wegzuspringen, doch Artorath wirbelte herum und erwischte ihn, bevor er außer Reichweite war.
Ihre Beine verhakten sich ineinander, jeder versuchte, den anderen umzuwerfen. Artorath wand sich aus Ciros Händen und hätte ihn beinahe über die Hüfte geworfen, doch der Wurf wurde dadurch vereitelt, dass sich Ciro duckte und selbst einen Hebel ansetzte, mit dem er Artorath von den Füßen reißen wollte. Aber ein so massiger Gegner wie Artorath geriet dadurch nur kurz ins Wanken, kreuzte reflexartig die Unterarme, presste sie gegen Ciros Kehle und drückte sich mit aller Kraft nach hinten.
Das hätte das Ende bedeuten können, wenn Ciros Ferse nicht seinen Fuß blockiert hätte, so dass Artorath wie ein Baum auf den Boden krachte, Ciro auf seiner Brust. Bevor die Römer anfangen konnten zu jubeln, brachen die beiden Gestalten in einen noch rasenderen Ringkampf aus, kamen frei, setzten neue Griffe an und durchbrachen sie wieder, nutzten die kleinste sich bietende Gelegenheit, um Gelenke zu blockieren, die bei kleineren Männern mit Sicherheit zersprungen wären.
Artorath setzte seine mächtigen Pranken ein, um Ciros Kehle abermals abzublocken, und Ciro fand seinen kleinen Finger, den er mit einem Ruck aus dem Gelenk drehte. Obwohl er aufstöhnte, lockerte Artorath seinen Griff nicht, und Ciros Gesicht verfärbte sich schon violett, als er noch einen Finger fand und ihm die gleiche Behandlung widerfahren ließ wie dem ersten. Erst jetzt ließ der große Mann los und hielt sich die verletzte Hand.
Ciro kam als Erster auf die Beine und tänzelte leicht. Der massige Gallier erhob sich langsamer. Zum ersten Mal war Wut auf seinem Gesicht zu erkennen.
»Sollen wir aufhören?«, fragte Domitius. Niemand antwortete ihm.
Artorath versuchte es mit einem kräftigen Tritt, verfehlte seinen Gegner jedoch und stampfte dort auf dem Boden auf, wo Ciro eben noch gestanden hatte. Dieser packte Artorath um die Taille, schaffte es jedoch nicht einmal ansatzweise, den riesenhaften Mann anzuheben. Artorath gelang es, Ciros Handgelenk zu umfassen, aber seine gebrochenen Finger verloren den Halt, und er brüllte in Ciros Ohr, als der Römer seinen Fuß in Artoraths Knie schlug und ihn mit dem Kopf auf den Boden knallte. Der Gallier blieb mit heftig pumpender Brust benommen liegen. Ciro nickte ihm zu und half ihm auf.
Fasziniert sah Brutus zu, wie Artorath widerwillig den Beutel an seinem Gürtel öffnete, um Ciro die Münze zurückzugeben, die er gewonnen hatte. Doch Ciro winkte ab und schlug ihm auf die Schulter.
»Du als Nächster, Brutus?«, fragte Domitius hinterhältig. »Du weißt ja, seine Finger sind gebrochen ...«
»Ich würde es natürlich versuchen, aber es wäre nicht fair, ihn noch mehr zu verletzen«, erwiderte Brutus. »Bring ihn zu Cabera, damit er ihm die Hand schient.«
Er versuchte, Artorath seine Absicht mimisch klarzumachen, doch der Riese zuckte nur mit den Schultern. Er hatte schon Schlimmeres durchgemacht, und in seinem Gürtel war immer noch mehr Silber als zu Anfang. Er war überrascht, offene Fröhlichkeit in den Gesichtern der Soldaten rings um den Ring zu sehen, sogar bei denen, die er besiegt hatte. Einer von ihnen brachte ihm eine Amphore Wein und brach das Wachssiegel. Ein anderer klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, bevor er ging. Mhorbaine hat Recht, dachte er. Das war wirklich ein seltsames Volk.
Die Sterne standen gestochen scharf am nächtlichen Sommerhimmel. Die Venus war bereits untergegangen, aber Julius konnte immer noch die winzige rote Scheibe des Mars sehen, die er mit erhobenem Becher grüßte, bevor er ihn Mhorbaine zum Auffüllen hinhielt. Die restlichen Gallier hatten sich schon lange vorher zurückgezogen, und sogar verwässert hatte der Wein dafür gesorgt, dass sich auch die misstrauischsten von ihnen gegen Ende des Festmahls entspannten. Julius hatte mit vielen von ihnen persönlich geredet, ihre Namen und die Siedlungsorte ihrer Stämme in Erfahrung gebracht. Er war Mhorbaine einiges für die Bekanntmachung schuldig und empfand dem Gallier gegenüber, als sie jetzt beisammen saßen, eine angenehme, trunkene Zuneigung.
Das Lager rings umher lag still. Irgendwo kreischte eine Eule, und Julius zuckte zusammen. Er starrte in den Weinbecher und versuchte, sich zu erinnern, wann er aufgehört hatte, Wasser hinzuzugeben.
»Das hier ist ein wunderschönes Land«, sagte er.
Mhorbaine warf ihm einen kurzen Blick zu. Obwohl er nicht annähernd so viel getrunken hatte wie die anderen, ahmte er ihre schwerfälligen Bewegungen mit bewundernswerter Begabung nach.
»Willst du es deshalb haben?«, fragte Mhorbaine und hielt in Erwartung der Antwort den Atem an.
Julius schien die Anspannung in dem Mann nicht wahrzunehmen, der auf dem feuchten Boden neben ihm saß, und schwenkte lediglich mit seinem Becher in Richtung der Sterne, wobei die rote Flüssigkeit über den Rand schwappte.
»Was will jeder Mensch? Würdest du nicht auch davon träumen, diesen Ort hier zu regieren, wenn du meine Legionen hättest?«
Mhorbaine nickte stumm. Der Wind in Gallien hatte sich gedreht, und er bereute nicht, dass er tat, was er tun musste, um sein Volk vor dem Verderben zu bewahren.
»Hätte ich deine Legionen, würde ich mich zum König machen. Ich würde mich Mhorix nennen, oder vielleicht auch Mhorbainrix«, sagte er.
Julius musterte ihn mit verschwommenem Blick. »Rix?« »Das heißt König«, erklärte ihm Mhorbaine.
Julius dachte schweigend nach. Mhorbaine füllte abermals ihre Becher und nippte an dem seinen.
»Aber selbst ein König braucht starke Verbündete, Julius. Deine Männer kämpfen gut zu Fuß, aber du hast nur eine Handvoll Berittene, wohingegen meine Krieger im Sattel geboren sind. Du brauchst die Haeduer, aber wie kann ich sicher sein, dass du dich nicht gegen uns wendest? Wie kann ich dir vertrauen?«
Julius drehte sich um und sah ihm ins Gesicht.
»Ich bin ein Mann, der zu seinem Wort steht, Gallier. Wenn ich dich Freund nenne, dann gilt das mein Leben lang. Wenn die Haeduer mit mir kämpfen, werden ihre Feinde zu meinen, ihre Freunde werden meine Freunde sein.«
»Wir haben viele Feinde, aber es gibt einen, der mein Volk ganz besonders bedroht.«
Julius schnaubte verächtlich, und die Hitze des Weins durchströmte seine Adern. »Nenn mir seinen Namen, und er ist ein toter Mann«, sagte er.
»Sein Name ist Ariovist, der Herrscher der Sueben und ihrer Vasallenstämme. Sie sind von germanischem Blut, Julius, mit kalter Haut, eine Plage unbarmherziger Reiter, die leben, um zu kämpfen. Jedes Jahr dringen sie weiter nach Süden vor. Diejenigen, die sich ihnen zunächst entgegengestellt haben, wurden vernichtet, ihre Gebiete als rechtmäßig erobertes Land einbehalten.«
Mhorbaine beugte sich näher heran, seine Stimme klang drängend. »Du aber hast den Helvetiern das Rückgrat gebrochen, Julius. Mit meinen Reitern können deine Legionen diese weißen Krieger vernichten, und alle Stämme Galliens werden auf dich hören.«
Julius blickte zu den Sternen empor und schwieg lange.
»Ich könnte schlimmer sein als Ariovist, mein Freund«, flüsterte er schließlich.
Mhorbaines Augen waren schwarz in der Nacht, als er ein Lächeln auf seine harten Züge zwang. Obwohl er seinen Druiden Omen hinterlassen hatte, fürchtete er um sein Volk, jetzt, da solch ein Mann in Gallien eingedrungen war. Mhorbaine hatte seine Reiterei angeboten, um die Legionen an sein Volk zu binden. Um die Haeduer zu schützen.
»Vielleicht. Das werden wir erfahren, wenn die Zeit gekommen ist. Wenn du gegen ihn in den Krieg ziehst, musst du ihn vor dem Winter zur Schlacht stellen, Julius. Nach dem ersten Schnee ist das Jahr für die Krieger vorbei.«
»Kann euer Winter so schrecklich sein?«
Mhorbaine lächelte freudlos. »Nichts, was ich sage, kann dich darauf vorbereiten, mein Freund. Wir nennen den ersten Mond Dumannios – die dunkelsten Tiefen. Und danach wird es immer kälter. Du wirst es sehen, wenn es so weit ist, besonders wenn du weiter nach Norden marschierst, und das musst du, wenn du meine Feinde besiegen willst.«
»Ich bekomme das Kommando über deine Kavallerie?«, fragte Julius.
Mhorbaine sah ihm tief in die Augen.
»Nur wenn wir Verbündete sind«, sagte er leise.
»Dann lass es uns besiegeln.«
Zu Mhorbaines Verwunderung zog Julius einen Dolch aus dem Gürtel und schnitt sich in die rechte Handfläche. Anschließend hielt er ihm die Klinge hin.
»Besiegele es mit Blut, Mhorbaine, oder es zählt nicht.«
Mhorbaine nahm die Klinge, ritzte sich ebenfalls die Handfläche auf und ließ zu, dass Julius die verletzte Hand mit festem Griff umschloss. Er fühlte das Brennen und fragte sich, was wohl aus diesem Pakt werden würde. Julius deutete mit seinem Becher auf den roten Stern über ihnen.
»Ich schwöre unter dem Auge des Mars, dass die Haeduer Freunde genannt werden. Das schwöre ich als Konsul und Heerführer.« Julius löste ihre Hände voneinander und füllte die Becher abermals aus der Amphore, die er in seinem Schoß hielt.
»So, jetzt ist es vollbracht«, sagte er. Mhorbaine erschauerte, und diesmal trank er mit großen Schlucken gegen die Kälte an.
Pompeius lehnte sich auf die Balustrade des weißen Marmorbalkons des Jupitertempels, unter sich das weite Areal des Forums. Von der Spitze des Kapitols aus konnte er über das Herz der Stadt blicken, und was er sah, missfiel ihm gewaltig.
Crassus ließ sich nichts von seiner Belustigung anmerken, während er ebenfalls den Blick über die anschwellenden Menschenmengen schweifen ließ. Er schwieg, während Pompeius zornig vor sich hin murmelte, und sich von Zeit zu Zeit an ihn wandte, um auf irgendeinen Aspekt der Szene hinzuweisen, der ihn erneut in Raserei versetzte.
»Dort, Crassus! Siehst du sie? Diese elenden Halunken!«, rief Pompeius und zeigte mit ausgestrecktem Finger.
Crassus blickte an dem bebenden Finger vorbei, dorthin, wo sich eine lange Reihe von Männern in schwarzen Togas ihren Weg von einer Seite des Forums zum Senatsgebäude bahnte, wobei die Gestalten ab und zu stehen blieben, um Weihrauch zu verbrennen. Crassus glaubte, im Wind die Klänge ihres Totengesangs zu vernehmen, und er konnte sich gerade noch ein Lachen verkneifen, als Pompeius bei den klagenden Tönen erstarrte.
»Was denken sie sich dabei, mich auf diese Weise zu verspotten?«, rief Pompeius, der vor Zorn violett anlief. »Dass die ganze Stadt sie in ihren Trauergewändern sieht! Bei den Göttern, die Bürger werden sie nur zu gern sehen. Und was kommt dabei heraus? Ich schwöre es, Crassus, die Leute werden die Gehorsamsverweigerung des Senats als Vorwand für Ausschreitungen benutzen, und das noch heute Nacht. Dann bin ich gezwungen, wieder eine Ausgangssperre zu verhängen, und wieder werden sie mir vorwerfen, dass ich ohne sie regiere.«
Crassus räusperte sich leise und wählte seine Worte mit Bedacht. Der lange Zug der Senatoren unter ihnen blieb abermals stehen, Weihrauch quoll aus goldenen Gefäßen in den sanften Wind.
»Du wusstest doch, dass sie gegen unsere Abmachung rebellieren könnten, Pompeius. Du hast selbst gesagt, dass sie immer zänkischer werden«, sagte er.
»Das schon, aber ich habe nicht mit einer derartigen öffentlichen Zurschaustellung von Kopflosigkeit gerechnet, nach all den Schwierigkeiten, die sie mir in der Curia bereitet haben. Dahinter steckt dieser Narr Suetonius, das weiß ich. Er hofiert den Kaufmann Clodius, als wäre der etwas Besseres als der Bandenführer, der er in Wirklichkeit ist. Ich wünschte, du hättest ihm richtig das Rückgrat gebrochen, Crassus. Du solltest sehen, wie sie diskutieren und meine Gesetzgebung mit Argusaugen überwachen! Als wäre auch nur einer von ihnen schon länger als einen winzigen Augenblick Senator gewesen. Es ist unerträglich! Manchmal treiben sie mich dazu, dass ich am liebsten die Macht auf genau die Art und Weise an mich reißen würde, wie sie es mir vorwerfen. Das wäre doch etwas! Könnte ich nur sechs Monate lang Diktator sein, ich würde die Abweichler ausrotten und diese ... diese ... « Er suchte mit wild fuchtelndem Arm nach Worten. Die Prozession der Senatoren näherte sich jetzt dem Gebäude der Curia, und Crassus hörte, wie die Menge ihre Auflehnung gegen Pompeius mit lautem Jubel belohnte.
Crassus empfand kein Mitleid mit seinem Amtskollegen. Pompeius mangelte es an der Gerissenheit, seine Gegenspieler zu bearbeiten; er bediente sich lieber seiner Autorität, um den Senat zum Gehorsam zu zwingen. Persönlich stimmte Crassus mit vielen der anderen Senatoren darin überein, dass Pompeius sich schon jetzt aufführte wie ein Diktator – ein Diktator über eine Stadt, die zunehmend die Geduld mit diesem autokratischen Gebaren verlor.
In der Ferne erreichte die Prozession die Stufen zur Curia, und Crassus sah, dass sie anhielt. Die Männer spielten ein gefährliches Spiel, Pompeius derartig zu reizen. Ihr höhnischer Trauerzug anlässlich des Todes der Republik war als öffentliche Warnung gedacht, doch die letzte Glut der Demokratie könnte womöglich genau dann erstickt werden, wenn Pompeius als Reaktion darauf alle Hemmungen fahren ließ. Ganz gewiss wäre Pompeius im Recht, wenn er, falls es zu Krawallen und Aufständen kam, die Stadt unter seine Knute zwang, und wenn er sich schon einmal so weit getrieben sah, war auch die Diktatur kein allzu großer Sprung mehr für ihn. Hatte er sich einmal zu dieser Position bekannt, dann würde nur ein Krieg sie seinen Händen wieder entreißen können, darüber machte sich Crassus keine Illusionen.
»Wenn du nur einen Augenblick über deinen Zorn hinausblickst«, sagte Crassus leise, »fällt dir bestimmt auf, dass sie dich nicht weiter drängen als dorthin, wo du ohnehin schon stehst. Ist es zu viel verlangt, die Wahlen, die du unterbunden hast, doch noch zu erlauben? Du hast deine Strohmänner inzwischen als Volkstribunen eingesetzt. Könntest du nicht für zukünftige Ämter wieder die Wahl zulassen? Damit würdest du den Kundgebungen gegen dich einigen Wind aus den Segeln nehmen und zumindest etwas Zeit gewinnen.«
Pompeius antwortete nicht. Die beiden Männer sahen zu, wie die Senatoren in der Curia verschwanden und die fernen Bronzetore hinter ihnen zufielen. Zurück blieb die aufgebrachte Menge, die unter den grimmigen Blicken der Soldaten des Pompeius schreiend und pöbelnd durcheinander wimmelte. Obwohl die Beerdigungsprozession vorüber war, waren insbesondere die jüngeren Bürger von der Darbietung angesteckt worden und weigerten sich, nach Hause zu gehen. Pompeius hoffte, dass seine Zenturios genug Verstand besaßen, nicht zu brutal gegen sie vorzugehen. Bei der vorherrschenden Stimmung in Rom konnte der geringste Funke einen Aufstand entfachen.
Als Pompeius wieder das Wort ergriff, klang seine Stimme bitter.
»Sie haben mir überall nur Knüppel zwischen die Beine geworfen, Crassus. Selbst als ich den gesamten Senat hinter mir hatte, haben sich diese Hurensöhne von Tribunen erhoben und ihr Veto gegen meine Gesetzgebung eingelegt. Sie haben sich gegen mich gestellt. Warum sollte ich nicht meine eigenen Leute auf ihre Posten setzen? Zumindest muss ich mir jetzt mein Werk nicht mehr wegen irgendwelchen Nichtigkeiten oder Launen ruinieren lassen.«
Crassus betrachtete seinen Amtsbruder und sah die Veränderungen, die das vergangene Jahr in ihm hervorgerufen hatte. Unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab, er sah erschöpft aus. Es war keine leichte Zeit gewesen; die Bürger hatten die Stärke ihrer Anführer auf die Probe gestellt. Crassus war froh, dass er mit dem ständigen Gezerre nichts mehr zu tun hatte. Die Verantwortung hatte Pompeius altern lassen, und Crassus fragte sich, ob er den Handel, den er eingegangen war, nicht insgeheim bereute. Julius hatte Gallien, Crassus seine Flotte und seine über alles geliebte Legion. Pompeius hatte den Kampf seines Lebens, der gleich am ersten Tag im Senat begonnen hatte, als er mit Julius’ Vollmacht eine Gesetzesvorlage durchgepeitscht hatte.
Der Senat hatte den Machtwechsel zunächst mitgetragen, dann jedoch hatten sich Fraktionen gebildet, und mit neuen Männern wie den Kaufleuten Clodius und Milo war das Spiel für alle Beteiligten gefährlicher geworden. Gerüchte behaupteten, Bibulus sei ermordet oder verstümmelt worden, und zweimal hatte der Senat verlangt, dass er lebendig vorgeführt und seine Abwesenheit erklärt werden sollte. Pompeius hatte ihnen erlaubt, Briefe an den Konsul zu schicken, doch Julius hatte Wort gehalten. Bibulus war nicht erschienen, und Besucher hatten sein Haus dunkel und verrammelt vorgefunden.
Nachdem es bei zwei Debatten fast zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen war, hatte Pompeius ohne Rücksicht auf den Protest der Senatoren seine Soldaten zum Schutz der Sitzungen aufmarschieren lassen. Jetzt stellten die Senatoren ihre Unzufriedenheit vor dem Volk zur Schau und machten den Disput öffentlich. Obwohl Crassus den Zorn des Pompeius amüsant fand, sorgte er sich doch nicht wenig darum, was aus alldem werden sollte.
»Niemand regiert Rom allein, mein Freund«, murmelte Crassus.
Pompeius warf ihm einen stechenden Blick zu.
»Zeige mir die Gesetzte, die ich gebrochen habe! Meine Tribunen wurden nicht gewählt, sondern benannt. Es war nie vorgesehen, dass sie die Arbeit des Senats vollkommen zum Erliegen bringen, und genau das geschieht nun nicht mehr.«
»Das Gleichgewicht des Systems ist verändert worden, Pompeius. Und die Veränderung, die du bewirkt hast, ist nicht unbedeutend. Die Tribunen waren die Stimme des Pöbels. Du riskierst viel, wenn du das änderst. Und der Senat entdeckt neue Zähne, wenn er sich gegen dich zusammenschließt«, erwiderte Crassus.
Pompeius’ Schultern sanken müde herab, doch Crassus empfand kein Mitleid. Der Mann machte Politik, als ließe sich jedes Problem lösen, indem man mit dem Kopf durch die Wand ging. Er war ein guter Feldherr, aber ein schlechter Führer der Stadt, und der letzte, der diese Wahrheit erkannte, war offensichtlich Pompeius selbst. Allein die Tatsache, dass er darum gebeten hatte, Crassus unter vier Augen zu treffen, war Beweis genug für die immensen Probleme, mit denen sich Pompeius konfrontiert sah, auch wenn er ihn nicht offen um Rat bat.
»Sie waren dazu da, die Macht des Senats einzuschränken, Pompeius. Vielleicht war es nicht richtig, dass sie dich völlig blockiert haben, aber sie einfach auszutauschen hat dir in der Stadt nichts als böses Blut eingebracht.«
Pompeius wurde wieder rot, und Crassus fuhr rasch fort, denn er wollte, dass Pompeius begriff. »Wenn du ihre Posten wieder zur Wahl stellst, gewinnst du viel von dem Boden zurück, den du verloren hast«, drängte er. »Die Fraktionen glauben, sie hätten einen Sieg errungen und fallen wieder auseinander. Du solltest sie nicht noch mehr erstarken lassen. Bei Jupiter, das solltest du wirklich nicht tun. Du hast deinen Standpunkt klar gemacht. Jetzt solltest du dafür sorgen, dass alle wissen, dass dir die Traditionen Roms ebenso wichtig sind wie ihnen. Die Gesetze, die du erlassen hast, können schließlich nicht wieder rückgängig gemacht werden.«
»Ich soll diese schnöden Hunde wieder hereinlassen, damit sie ihr Veto gegen mich einlegen?«, blaffte Pompeius.
Crassus zuckte die Achseln. »Sie, oder wen immer die Bürger wählen. Sollten es dieselben Männer sein, dürfte es eine Zeit lang schwierig für dich werden, aber niemand hat gesagt, dass diese Stadt einfach zu regieren ist. Unser Volk ist von Kindesbeinen mit Demokratie gefüttert worden. Manchmal glaube ich, seine Erwartungen sind gefährlich hoch. Die Leute mögen es nicht, wenn man ihre Vertreter einfach absetzt.«
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte Pompeius widerwillig und schaute wieder auf das Forum hinaus.
Crassus bezweifelte, dass er das ganze Ausmaß der Gefahr begriff. Was Pompeius anging, war der Widerstand im Senat ein vorübergehendes Problem, nicht der Keim, der zur offenen Rebellion führen konnte.
»Ich weiß, dass du die richtige Entscheidung treffen wirst«, sagte Crassus.
Julius rieb sich müde das Gesicht. Wie lange hatte er geschlafen ... eine Stunde? Er konnte sich nicht genau erinnern, wann er weggesackt war, aber er glaubte, das erste Licht am Himmel noch gesehen zu haben. Sämtliche Farben schienen aus der Provinz herausgewaschen zu sein, und Marcus Antonius’ Stimme hatte einen winselnden Ton angenommen, der Julius vorher nie aufgefallen war. Im Gegensatz zur Hälfte aller Soldaten, die verschlafen und blass aussahen, machte Marcus Antonius den Eindruck, als sei er bereit für eine Parade, und Julius war überzeugt davon, dass er sich all jenen, die in der Nacht zuvor über die Stränge geschlagen hatten, moralisch überlegen fühlte. Der General spitzte die Lippen, während er Julius’ Bericht von der Übereinkunft mit Mhorbaine lauschte.
»Ich wünschte, du hättest dich mit mir abgesprochen, bevor du ihm deine Unterstützung zugesagt hast«, knurrte Marcus Antonius, der mit seiner Verärgerung über das Gehörte nicht hinter dem Berg hielt.
»Nach allem, was Mhorbaine sagt, wäre uns dieser Ariovist früher oder später ohnehin in die Quere gekommen. Wir beschäftigen uns besser jetzt mit ihm, bevor er hier so sehr Fuß gefasst hat, dass wir ihn nicht mehr über den Rhein zurückwerfen können. Wir brauchen Verbündete, Marcus Antonius. Die Haeduer haben uns dreitausend ihrer Reiter zu meiner freien Verfügung versprochen.«
Marcus Antonius kämpfte einen Augenblick lang um Fassung.
»Ja, ja, die versprechen uns alles, Herr. Aber das glaube ich erst, wenn ich es sehe. Ich habe dich gewarnt: Mhorbaine ist ein gerissener Bursche, und jetzt sieht es ganz so aus, als wäre es ihm irgendwie gelungen, die beiden mächtigsten Armeen in Gallien aufeinander zu hetzen. Zweifellos hat ihm auch Ariovist Freundschaft gelobt, womit die Haeduer von einem Krieg profitieren, der beide ihre Feinde aufreiben könnte.«
»Ich habe in ganz Gallien nichts gesehen, das sich uns auch nur annähernd widersetzen könnte«, sagte Julius geringschätzig.
»Du kennst die germanischen Stämme noch nicht. Sie leben für den Krieg, haben ständig eine ganze Klasse von Kriegern unter Waffen, die vom Rest des Volkes unterstützt wird. Und Ariovist ist auf jeden Fall ... « Marcus Antonius seufzte. »Wir dürfen nicht gegen Ariovist vorgehen. Er ist bereits ein Freund Roms, wurde vor ungefähr zehn Jahren dazu ernannt. Wenn du den Kampf mit ihm suchst, wird dir der Senat wahrscheinlich dein Kommando nehmen.«
Julius drehte sich um und packte den größeren Mann an den Schultern.
»Bist du nicht der Meinung, dass das etwas ist, was man mir hätte mitteilen sollen?«, fragte er.
Marcus Antonius erwiderte seinen Blick, während sein Gesicht rot anlief.
»Ich habe nicht damit gerechnet, dass du Mhorbaine derartige Versprechungen machen würdest, Herr. Du kennst den Mann doch kaum. Woher hätte ich wissen sollen, dass du gelobst, die Legionen fast dreihundert Meilen quer durch das Land zu schicken?«
Julius ließ seinen Heerführer los und trat einen Schritt zurück.
»Ariovist ist ein skrupelloser Eindringling, Marcus Antonius. Meine einzigen Verbündeten haben mich darum gebeten, ihnen beizustehen. Ich sage dir offen, dass es mir egal ist, ob Mhorbaine darauf hofft, dass wir uns gegenseitig aufreiben. Es ist mir egal, ob Ariovist ein doppelt so wilder Krieger ist, wie du ihn darstellst. Warum, glaubst du, habe ich meine Legionen nach Gallien gebracht? Hast du dieses Land gesehen? Hier könnte man überall eine Handvoll Saatgut fallen lassen, und bevor man sich auch nur einmal umdrehen kann, wächst daraus Getreide. Hier gibt es genug Wälder, um Flotten zu bauen, Viehherden, so groß, dass man die Tiere nicht zählen kann. Und jenseits von Gallien? Ich will das alles sehen! Dreihundert Meilen sind nur ein Schritt auf dem Weg, den ich vor mir sehe. Wir sind nicht nur für diesen Sommer hier, Marcus Antonius. Wir sind hier, weil wir hier bleiben, sobald ich den Pfad für diejenigen ausgetreten habe, die uns nachfolgen werden.«
Marcus Antonius lauschte ihm verwundert.
»Aber Ariovist ist einer der unseren! Du kannst doch nicht einfach ...«
Julius nickte und brachte ihn mit erhobener Hand zum Schweigen.
»Es dauert einen Monat, um von hier bis zur Ebene eine Straße für die Wurfmaschinen und die anderen Kriegsgeräte zu bauen. Ich habe nicht vor, noch einmal ohne sie in den Krieg zu ziehen. Ich will einen Boten zu diesem Ariovist schicken und ihn um ein Treffen bitten. Ich werde ihm mit allem Respekt begegnen, der einem Freund meiner Stadt zukommt. Bist du damit zufrieden?«
Marcus Antonius sank erleichtert in sich zusammen.
»Selbstverständlich, Herr. Ich hoffe, du fühlst dich durch meine Worte nicht gekränkt. Ich habe nur an deine Stellung in der Heimat gedacht.«
»Ich verstehe. Jetzt schicke mir einen Boten her, der meinen Brief in Empfang nimmt«, erwiderte Julius lächelnd.
Marcus Antonius nickte und ging hinaus. Julius drehte sich zu Adàn um, der der Unterhaltung mit offenem Mund gelauscht hatte.
»Was hältst du hier Maulaffen feil?«, fuhr ihn Julius an, bereute seine Worte aber sogleich wieder. Sein Kopf hämmerte, und sein Magen fühlte sich an, als wäre er durch das nächtliche Übergeben völlig ausgequetscht worden. Eine dumpfe Erinnerung stellte sich ein, wie er im Dunkeln zum Badehaus hinausgetorkelt war und dort große Mengen einer dunklen Flüssigkeit in den Abfluss von sich gegeben hatte. Jetzt war nur noch Galle übrig, doch auch die rumorte und stieg immer wieder in seiner Kehle hoch.
Adàn wählte seine Worte mit Bedacht.
»So muss es einst auch für mein Land gewesen sein. Die Römer entscheiden über unsere Zukunft, als hätten wir in dieser Angelegenheit überhaupt nichts mitzureden.«
Julius setzte zu einer scharfen Antwort an, überlegte es sich jedoch anders.
»Glaubst du, die Männer von Karthago hätten bei ihren Eroberungen geweint? Und was glaubst du denn, wie dein Volk über das Schicksal derjenigen befunden hat, die es bei seiner Ankunft in Spanien dort vorfand? Diese Kelten kamen aus irgendeinem fremden Land. Glaubst du, deine Vorfahren hätten sich groß Gedanken über die ursprünglichen Bewohner gemacht? Und vielleicht sind sogar die in grauer Vorzeit einmal Eindringlinge gewesen. Glaub ja nicht, dein Volk sei besser als das meine, Adàn.«
Julius setzte Daumen und Zeigefinger auf den Nasenrücken und schloss die Augen. Die pulsierenden Kopfschmerzen ließen nicht nach.
»Ich wünschte, ich hätte einen klareren Kopf, um dir zu erklären, was ich meine. Es ist mehr als nur Stärke, worauf es ankommt. Karthago war stark, aber der Sieg über Karthago hat die Welt verändert. Griechenland war einmal die größte Macht, doch als sie schwächer wurde, kamen wir und haben uns diese Macht einverleibt. Bei den Göttern, ich habe zu viel Wein getrunken, um schon so früh zu streiten.«
Adàn unterbrach ihn nicht. Er spürte, dass Julius kurz vor etwas Wichtigem stand und beugte sich in seinem Stuhl weiter nach vorn, um ihn besser zu verstehen. Julius’ Stimme war fast nur noch ein hypnotisches Flüstern.
»Länder werden mit Blut erobert. Frauen werden geschändet, Männer getötet, jede Gräueltat, die man sich vorstellen kann, geschieht tausendfach, aber dann ist es vorbei, und die Sieger besiedeln das Land. Sie bestellen den Boden, errichten Städte und erlassen Gesetze. Die Menschen gedeihen, Adàn, ob es dir gefällt oder nicht. Dann halten Recht und Gesetz Einzug. Diejenigen, die ihren Nachbarn weiterhin Hab und Gut rauben, werden hingerichtet, werden aus der Gemeinschaft der anderen herausgeschnitten. Das muss so sein, denn selbst Eroberer werden alt und lernen den Frieden zu schätzen. Das Blut der Invasoren vermischt sich mit dem der Einheimischen, bis sie hundert Jahre später nicht mehr Kelten oder Karthager, nicht einmal mehr Römer sind. Sie sind wie ... Wein und Wasser, es lässt sich nicht mehr trennen. Alles beginnt auf dem Schlachtfeld, aber dann werden sie mit jeder Welle mehr erhoben. Ich sage dir, Adàn, wenn ich jemals ein Land finde, das nicht im Feuer gehärtet wurde, dann zeige ich dir dort Wilde, wo wir unsere Städte errichtet haben.«
»Glaubst du das wirklich?«, fragte Adàn.
Julius öffnete die Augen. Seine dunklen Pupillen leuchteten.
»Ich glaube nicht an ein Schwert, Adàn, weil ich es sehen kann. Es ist einfach da. Rom ist mehr als Eisenschwerter und entschlossene Kämpfer. Ich werde sie zu uns holen, trotz aller Gegenwehr. Gallien wird unter meiner Hand leiden, aber wenn ich fertig bin, wird es größer sein, als es sich seine Bewohner jemals vorgestellt haben.«
Marcus Antonius’ Bote erschien am Eingang und räusperte sich leise, um sich bemerkbar zu machen. Die beiden Männer lösten sich aus ihren Tagträumen, und Julius hielt sich stöhnend den Kopf.
»Hol mir ein Gewand und sieh nach, ob Cabera noch etwas von seinen Pulvern gegen Schmerzen hat«, wies er den jungen Mann an. Als er sich umdrehte, sah er Adàns grimmiges Gesicht.
»Das ist eine seltsame Ansicht, Heerführer«, bemerkte der junge Spanier. »Ich verstehe wohl, wie du so denken kannst, mit einer Armee im Rücken, die jederzeit über Gallien herfallen kann. Für die Familien, die in den kommenden Tagen ihre Männer verlieren werden, dürfte das nur ein geringer Trost sein.«
Julius spürte unter den anhaltenden Kopfschmerzen Zorn in sich aufsteigen.
»Meinst du denn, sie winken einander mit Blumen zu, während wir hier sitzen? Die Stämme gehen sich ständig gegenseitig an die Gurgel, mein Junge. Mit vierzig Jahren ist Mhorbaine bereits ein Greis unter den Stammesältesten. Denk mal darüber nach! Krankheiten und Krieg löschen sie aus, bevor sie grau werden. Es mag sein, dass sie uns hassen, aber einander hassen sie noch viel mehr. Aber lass uns dieses Gespräch ein anderes Mal fortsetzen. Ich muss einen Brief an Ariovist diktieren. Wir werden diesen ›Freund Roms‹ höflich darum bitten, sich leise wieder aus den Gebieten, die er erobert hat, zurückzuziehen und Gallien den Rücken zuzukehren.«
»Glaubst du, er geht darauf ein?«, fragte Adàn.
Julius erwiderte nichts darauf, sondern gab ihm nur mit einer Geste zu verstehen, seine Schreibtafel aufzunehmen, und fing unverzüglich damit an, ihm den Brief an den König der Sueben zu diktieren.
Es dauerte länger, als Julius gehofft hatte, die Wälder für die neue Straße bis zur Ebene hinaus zu roden. Obwohl die Legionen von morgens bis abends in der Sommerhitze arbeiteten, musste jede massige Eiche zuerst gefällt und dann von den Männern und Ochsengespannen weggeschleift werden. Cabera hatte ein paar junge Soldaten angelernt, damit sie ihm helfen konnten, die Knochenbrüche und anderen Verletzungen zu versorgen, die bei derlei Arbeiten unvermeidlich vorkamen. Zwei Monate vergingen quälend langsam, bis der erste Stein verlegt werden konnte, doch am Ende des vierten Monats erstreckten sich die flachen Steine über eine Strecke von beinahe vierzig Meilen, breit und widerstandsfähig genug für die großen Katapulte und Belagerungsmaschinen. In die Hügel waren neue Steinbrüche gegraben worden, und Granitpfosten zeigten die Entfernung von Rom an, ließen seinen Schatten weiter reichen als jemals zuvor.
Julius hielt in der großen Halle des römischen Lagers seine Ratssitzung ab, wobei Mhorbaine und Artorath als seine bevorzugten Verbündeten bei ihnen saßen. Er sah sich in ihrem Kreise um und ließ den Blick schließlich auf Adàn ruhen, der ihn merkwürdig anschaute. Der junge Spanier hatte sämtliche Botschaften, die zwischen Ariovist und der römischen Provinz gewechselt worden waren, übersetzt und wusste, was Julius gleich allen verkünden würde. Julius fragte sich, ob es jemals eine Zeit gegeben hatte, zu der er so unschuldig gewesen war wie dieser junge Spanier. Wenn ja, dann lag sie schon so weit zurück, dass er sich nicht mehr daran erinnerte.
Ariovist war nicht leicht beizukommen gewesen. Die beiden ersten Boten waren mit betont knappen Antworten zurückgeschickt worden, die jedes weitere Interesse an Julius oder seinen Legionen verächtlich abtaten. Marcus Antonius war es gelungen, Julius davon zu überzeugen, dass er mit dem König der Sueben vorsichtig umgehen musste, aber dessen Formulierungen waren schroff und verletzend. Ab dem Ende des ersten Monats wartete Julius nur noch darauf, dass die Straße endlich fertig wurde, damit er Ariovist mit seinen Legionen zerschmettern konnte, ob er nun ein Freund Roms war oder nicht. Trotzdem musste er den Schein wahren, jeden nur erdenklichen Versuch einer friedlichen Lösung der Angelegenheit unternommen zu haben. Er wusste, dass Adàn nicht der Einzige seiner Männer war, die Briefe nach Rom sandten. Pompeius hatte sicherlich seine Spione, die ihn auf dem Laufenden hielten, und das Letzte, was Julius jetzt brauchen konnte, war, dass Rom ihn aufgrund seiner Vorgehensweise zum Staatsfeind erklärte. Mit Pompeius als Senatsführer lag so etwas durchaus im Bereich des Möglichen. Er hatte die Senatoren zweifellos perfekt abgerichtet, und eine einzige Stimme konnte Julius’ Autorität mit einem Schlag zunichte machen.
Die Wochen waren langsam genug vergangen, und immer wieder hatte er sich mit den Stammeshäuptlingen getroffen und ihnen alles versprochen, was sie verlangten, wenn sie ihm erlaubten, durch ihre Gebiete zu ziehen und ihm auf dem Marsch Vorräte für seine Armee zur Verfügung stellten. Brutus hatte sich die gallische Sprache mit einem Talent angeeignet, das sie beide überraschte, und konnte schon jetzt an den Verhandlungen teilnehmen, auch wenn seine Bemühungen den Galliern gelegentlich vor Lachen die Tränen in die Augen trieben.
Adàn schaute weg, als Julius ihn anlächelte. Je mehr Zeit er in der Gesellschaft des römischen Feldherrn verbrachte, desto verwirrter fühlte er sich. Manchmal, wenn Julius ihm die Befangenheit nehmen wollte, spürte Adàn den immensen persönlichen Charme des Mannes und verstand, weshalb ihm andere bedingungslos zu folgen bereit waren. Dann wiederum gab es Zeiten, in denen er die Gefühllosigkeit und Abgebrühtheit der Heerführer, mit der sie bei ihren Versammlungen über das Schicksal von Millionen entschieden, kaum fassen konnte. Er wusste nie genau, ob Julius genauso skrupellos war wie Renius und seinesgleichen, oder ob er wirklich daran glaubte, dass es für die Stämme besser war, Rom nach Gallien zu bringen, als sie sich selbst zu überlassen. Das war für den jungen Mann entscheidend. Wenn er dachte, dass Julius seinen eigenen Worten hinsichtlich der Segnungen der Zivilisation glaubte, dann konnte Adàn den Respekt rechtfertigen, den er ihm gegenüber empfand. Wenn aber alles nur ein Spiel war oder ein Vorwand für Eroberungen, dann hatte Adàn den größten Fehler seines Lebens begangen, als er Spanien verlassen hatte, um ihm zu folgen.
»Ariovist hat meine Boten abermals verhöhnt«, sagte Julius zu seinen Heerführern. Blicke wurden gewechselt. »Obwohl Marcus Antonius den Wunsch deutlich gemacht hat, dass ich seinen Titel als Freund aufrechterhalte, kann ich über die fortgesetzte Arroganz dieses Königs nicht mehr tatenlos hinwegsehen. Die Kundschafter berichten von einer großen Armee, die sich zu weiteren Eroberungen an seiner Grenze sammelt, und ich habe mich bereit erklärt, das Land der Haeduer mit unseren Legionen zu schützen.«
Julius warf Marcus Antonius einen kurzen Blick zu, der die Augen jedoch auf den langen Tisch gerichtet hielt.
»Mhorbaines Kavallerie wird die Extraordinarii begleiten, wofür ich ihm meinen Dank ausspreche«, fuhr Julius fort. Mhorbaine verneigte sich mit einem schiefen Lächeln.
»Da dieser Ariovist Rom in der Vergangenheit gute Dienste erwiesen hat, werde ich auch während unseres Vormarsches weiterhin Boten an ihn entsenden. Er kann jederzeit mit mir zusammentreffen und eine friedliche Lösung aushandeln. Ich habe den Senat von meinen Handlungen unterrichtet und warte auf eine Antwort, auch wenn diese womöglich nicht vor unserem Abmarsch eintrifft.«
Alle Blicke ruhten auf Julius, der eine auf dünnstes Pergament gemalte Karte ausrollte und sie an allen vier Ecken mit Bleigewichten beschwerte. Die Männer erhoben sich von ihren Stühlen, um auf das Land zu blicken, das er vor ihnen ausgebreitet hatte.
»Meine Herren, die Kundschafter haben diese Berge für uns eingezeichnet. Die Region nennt sich Alsatia und befindet sich ungefähr dreihundert Meilen nordwestlich von hier.«
»Sie grenzt an das Land der Helvetier«, murmelte Brutus und musterte die Karte, die Mhorbaine ihnen überlassen hatte. Sie war wenig mehr als eine Ansammlung bunter farbiger Gebiete, ohne Einzelheiten, doch keiner der anwesenden Römer hatte diesen Teil Galliens schon einmal gesehen, und alle waren fasziniert.
»Wenn wir die Sueben nicht über den Rhein zurückschicken, werden die Helvetier den nächsten Sommer nicht überleben«, sagte Julius. »Und danach wendet sich Ariovist womöglich unserer eigenen Provinz weiter im Süden zu. Es ist unsere Pflicht, den Rhein als natürliche Grenze Galliens festzulegen. Wir werden jeder Versuchung widerstehen, ihn zu überqueren, egal aus welchem Anlass. Falls notwendig, baue ich eine Brücke und führe Bestrafungsfeldzüge tief in ihr eigenes Land. Dieser Ariovist ist arrogant geworden, meine Herren. Der Senat hat ihn viel zu lange an der langen Leine streunen lassen.«
Er ging nicht darauf ein, dass Marcus Antonius bei seinen Worten zusammenzuckte.
»Jetzt wollen wir über die Marschordnung reden. Obwohl ich immer noch auf Frieden hoffe, müssen wir uns auf den Krieg vorbereiten.«
Nach der Eile, mit der sie den Helvetiern entgegengeeilt waren und sie zur Umkehr gezwungen hatten, kam den erfahrenen Legionären der eher routinemäßige Marsch auf der neuen Straße beinahe erholsam vor. Obwohl die Tage noch drückend heiß waren, fingen die ersten Bäume schon an, sich zu verfärben; ihre Blätter zeigten vielfältige Schattierungen aus Rot und Braun. Aufgeregt kreischende Krähen stiegen aus den Wäldern auf, wenn die Soldaten vorübermarschierten. In den leeren Ebenen fiel es den Legionären nicht schwer, sich vorzustellen, dass sie im Umkreis von 1000 Meilen die einzigen Menschen wären.
Julius hielt die Zehnte und die Extraordinarii an der Spitze der Kolonne. Die Reiter der Haeduer waren der Obhut von Domitius und Octavian übergeben worden und erlernten allmählich die Disziplin, die Julius seinen Verbündeten abverlangte. Obwohl er Mhorbaine für die zusätzliche Streitmacht dankbar war, hatte er deutlich gemacht, dass sie lernen mussten, seinen Befehlen zu gehorchen und sich nach römischem Muster aufzustellen. Die Extraordinarii hatten mit den gallischen Reitern alle Hände voll zu tun, die bis auf den letzten Mann Individualisten zu sein schienen und an keinerlei organisierte Angriffsstrategie gewöhnt waren.
Diesmal wurden auch die großen Kriegsmaschinen mitgeführt. Unterwegs waren sie sicher festgezurrt, doch ihre Bedienungsmannschaften hielten sich stets in ihrer Nähe auf. Jede der schweren Wurfmaschinen hatte einen eigenen Namen, der in die groben Buchenblöcke eingeschnitzt war, und jede Legion zog es vor, die eigene Maschine zu benutzen, wobei sie getreulich davon überzeugt war, dass die ihre weiter schleuderte und genauer traf als alle anderen. Bevor man sie zusammengebaut hatte, sahen die Skorpion- bögen aus, als seien sie nicht viel mehr als ein paar Karrenladungen voller Balken, Latten und Eisen. Drei Mann mussten die schweren Arme nach jedem Schuss wieder in Stellung bringen, aber der abgefeuerte Bolzen eines Skorpions konnte ein Pferd durchbohren und noch ein zweites dahinter töten. Es waren hoch- geschätzte Waffen, und die Legionäre, die in ihre Nähe kamen, streckten oft die Hand aus und berührten das Metall wie einen Glücksbringer.
Die sechs Legionen erstreckten sich über zehn Meilen auf der Straße durch die helvetische Ebene, allerdings würde sich die Länge halbieren, sobald Julius im offenen Terrain eine breitere Formation anordnete. So nahe er bereits dem Land der Haeduer war, befürchtete er keinen Angriff, aber er war sich der Verwundbarkeit der lang gezogenen Kolonne sowie des gewaltigen Aufgebots an Ausrüstung und Gepäck, das sie begleitete, schmerzhaft bewusst. Es gab schwache Glieder in der Kette aus der Provinz, doch bei ersten Anzeichen von Gefahr könnten sich die Legionen zu breiten, schützenden Blockformationen aufstellen, ein wirksames Mittel gegen alles, was ihm bislang in Gallien begegnet war. Julius wusste, dass er die Männer und die Heerführer hatte, die er benötigte. Falls er versagte, war die Schmach einzig und allein ihm zuzuschreiben.
Mhorbaine hatte der Verlockung widerstanden, gemeinsam mit ihnen gegen seinen Feind zu ziehen. Obwohl es ihn fast zerrissen hätte, sah er doch ein, dass kein Anführer der Haeduer es sich leisten konnte, seinem Volk so lange fernzubleiben, ohne dass Thronräuber die Hand nach seiner Regentschaft ausstrecken würden. Julius hatte sich an der Grenze der römischen Provinz von ihm verabschiedet, die schimmernden Legionen in einer endlosen Kolonne hinter sich, scharf und wachsam wie Jagdhunde.
Mhorbaine hatte den Blick über die ruhig auf ihren Feldherrn wartenden Reihen schweifen lassen und angesichts ihrer Disziplin den Kopf geschüttelt. Seine eigenen Krieger wären vor einem Feldzug ziellos durcheinander gerannt, und im Vergleich dazu fand er die Römer zugleich erbärmlich und Furcht einflößend. Als sich Julius von ihm abwandte, rief ihm Mhorbaine die Frage zu, die ihn beschäftigte, seit er gesehen hatte, was für eine Streitmacht gegen Ariovist ins Feld ziehen sollte.
»Wer schützt dein Land, wenn du weg bist?«, rief er.
Julius drehte sich um. Seine dunklen Augen bohrten sich in den Gallier.
»Du, Mhorbaine. Aber wir werden keinen Schutz brauchen.« Mhorbaine sah den römischen General in der blank polierten Rüstung scheel an.
»Es gibt viele Stämme, die deine Abwesenheit sehr gern ausnützen würden, mein Freund. Die Helvetier könnten zurückkehren, aber auch die Allobroger würden sofort alles stehlen, was sich mitnehmen lässt.«
Er sah zu, wie Julius seinen Helm mit der Gesichtsmaske aufsetzte. Die eiserne Maske ließ ihn wie eine zum Leben erwachte Statue aussehen. Sein Brustpanzer glänzte vor Öl, seine braunen Arme waren kräftig und von einem Muster weißer Linien überzogen.
»Sie wissen, dass wir zurückkommen, Mhorbaine«, sagte Julius und lächelte dabei unter der Maske.
Nach der ersten Meile, als der Schweiß anfing, ihm in den Augen zu brennen und ihm die Sicht trübte, hatte er den Eisenhelm wieder abgenommen. Trotz aller guter Absichten war Alexandria niemals hundert Meilen in voller Rüstung marschiert.
In jeder Stadt, die auf ihrem Weg lag, nahm Julius Getreide oder Fleisch als Tribut an. Es gab nie ausreichend Nahrungsmittel, und es verdross ihn, dass er hatte Wachen zurücklassen müssen, um den regelmäßigen Nachschub aus Mhorbaines Gebieten zu sichern. Mit den Nachtlagern der Legion als Zwischenstationen wurden die ersten Verbindungen nach Norden angelegt. Später würden dauerhaftere Straßen folgen, und die Händler Roms würden sich immer weiter in das Land vorwagen und alles herbeischaffen, was sich dort verkaufen ließ. Er wusste, dass die Straßen nach zwei, spätestens drei Jahren von befestigten Lagern und Wachstationen gesichert sein würden. Dann würden diejenigen kommen, die in Rom kein Land besaßen, um neue Höfe und Güter abzustecken und von vorne anzufangen, und manch einer von ihnen würde sein Glück machen.
Es war eine berauschende Vorstellung für Julius, obwohl seine Legionen auf diesem ersten Marsch gegen Ariovist nie weiter als zehn Mahlzeiten vom Verhungern entfernt waren, eine Spanne, die von ebenso grundsätzlicher Wichtigkeit war wie jeder andere Faktor ihrer Schlagkraft. Julius hatte das Gefühl, seine Streitmacht würde zur Ader gelassen, wenn er gemischten Gruppen aus Kavallerie und Velites den Befehl gab, das Gelände hinter ihnen für die Versorgungslinie zu sichern. Er dehnte die Versorgungslinie so sehr aus, wie er es gerade noch zu verantworten wagte, doch Gallien war viel zu groß, um eine feste Verbindung bis zu den Haeduern aufrechtzuerhalten, und er nahm sich vor, sofort nach anderen Verbündeten Ausschau zu halten, sobald er mit Ariovist fertig war.
Manchmal schien es fast so, als stellte sich ihnen das Land selbst in den Weg. Der Boden war mit dicken Grasbüscheln bedeckt, die unter den Sohlen wegrutschten und umkippten, was das Vorankommen der Legionen noch mehr verlangsamte. An einem guten Tag entfernten sie sich nicht mehr als zwanzig Meilen vom vorigen Lager.
Als seine Kundschafter Reiter meldeten, welche die Legionen beobachteten, warf Julius seine Listen und Rechnungsbücher erleichtert beiseite. Bei den ersten Sichtungen hatten sie kaum mehr als ein paar Bewaffnete erblickt, doch die Legionen spannten sich bei diesen Nachrichten kaum merklich an. Die Soldaten ölten ihre Klingen jeden Abend mit besonderer Sorgfalt, auf den Straflisten tauchten weniger Namen auf. Julius ließ die schnellsten der Extraordinarii ausschwärmen, doch sie verloren die Spur ihrer Beute in den Wäldern und Tälern, wobei einer der besten Wallache sich in vollem Galopp ein Bein brach und seinen Reiter tötete.
Julius zweifelte nicht daran, dass die Spione von Ariovist kamen, aber es überraschte ihn trotzdem, als ein einzelner Reiter auftauchte, als die Legionen gerade Rast machten und ihr Mittagsmahl einnahmen. Der Mann lenkte sein Pferd aus einer Waldspitze hinaus und einen steilen Granithang herab und löste damit ein Gewirr aus Warnsignalen und Hörnerklängen aus. Sofort ließen die Extraordinarii ihr Essen unangetastet stehen, rannten zu ihren Pferden und sprangen in die Sättel.
»Wartet!«, rief ihnen Julius mit erhobener Hand zu. »Lasst ihn herankommen.«
Die Legionen stellten sich in schrecklichem Schweigen zu Reihen auf, alle Augen richteten sich auf den Reiter, der sich ihnen ohne ein Anzeichen der Furcht näherte. Julius zog sein Fernrohr heraus, fixierte die Linsen und betrachtete den Mann. Was er sah, ließ ihn die Stirn kraus ziehen, aber gegenüber denjenigen, die um ihn herumstanden, verlor er kein Wort.
Als der Fremde die ersten Reihen der Zehnten erreicht hatte, stieg er ab. Er sah sich rasch um und nickte kurz, als er Julius in seiner Rüstung im Kreise der Flaggen und der Extraordinarii stehen sah. Als sich ihre Blicke trafen, musste Julius sich zusammenreißen, um sich das Unbehagen, das er empfand, nicht anmerken zu lassen. Er hörte seine Legionäre nervös murmeln, und einer oder zwei von ihnen machten angesichts der überirdischen Erscheinung des Reiters mit den Händen Zeichen gegen das Böse.
Der Mann trug eine Lederrüstung über grobem Tuch, die Unterschenkel waren nackt. Runde Eisenplatten schützten seine Schultern und ließen ihn noch massiger wirken, als er ohnehin schon war. Er war groß, auch wenn Ciro ihn um etliche Zoll überragte und er im Vergleich zu Artorath klein gewirkt hätte. Es waren sein Gesicht und sein Schädel, bei deren Anblick sich die Römer, an denen er vorüberging, verunsicherte Blicke zuwarfen.
Er ähnelte keinem Menschenschlag, dem Julius jemals begegnet war, mit einer derartigen Knochenwulst über den Augen, dass sie aus einem immerwährenden Schatten herauszustarren schienen. Sein Schädel war glatt rasiert, bis auf einen langen Pferdeschwanz am Hinterkopf, der beim Gehen hinter ihm schaukelte und von dunklen, eingeflochtenen Metallverzierungen nach unten gezogen wurde. Der Schädel selbst war heftig deformiert und wies über der ersten Wulst noch eine zweite auf.
»Kannst du mich verstehen?«, fragte Julius. »Wie heißt du, und welchem Stamm gehörst du an?«
Der Krieger musterte ihn, ohne zu antworten, und Julius schüttelte sich innerlich, denn mit einem Mal wurde ihm klar, dass der Mann sich der Wirkung, die er hervorrief, durchaus bewusst war. Wahrscheinlich hatte Ariovist ihn genau aus diesem Grunde ausgewählt.
»Ich bin Redulf von den Sueben. Ich habe eure Worte gelernt, als mein König für euch kämpfte und dafür ›Freund auf Lebenszeit‹ genannt wurde«, sagte der Mann.
Es war unheimlich, die lateinische Sprache von einem so dämonisch aussehenden Wesen zu vernehmen, aber Julius nickte, erleichtert, dass er nicht auf die von Mhorbaine zur Verfügung gestellten Dolmetscher zurückgreifen musste.
»Dann hat dich Ariovist geschickt?«, fragte Julius.
»Das habe ich gesagt«, antwortete der Mann.
Julius verspürte einen gereizten Stich. Der Mann war genauso arrogant wie sein Herr.
»Dann sage, was man dir aufgetragen hat, Bursche«, gab Julius zurück. »Ich will wegen dir keine Zeit verlieren.«
Der Mann versteifte sich angesichts des Spotts, und Julius bemerkte, wie sich langsam eine Röte auf den knochigen Wülsten seiner Brauen ausbreitete. Waren diese Deformierungen ein Geburtsfehler oder das Resultat irgendeines eigentümlichen Rituals der Stämme auf der anderen Seite des Rheins? Julius winkte einen Boten heran und murmelte ihm zu, Cabera von der Spitze der Marschsäule herbeizuholen. Als der Bote davonflitzte, erhob der fremde Krieger seine Stimme und sprach so laut, dass man ihn ringsum gut hören konnte.
»König Ariovist empfängt dich bei dem Stein im Norden, der unter dem Namen ›die Hand‹ bekannt ist. Ich soll dir sagen, dass er nicht erlaubt, dass dich deine Fußsoldaten begleiten. Er kommt nur mit seinen Reitern und erlaubt dir das Gleiche. Das sind seine Bedingungen.«
»Wo ist dieser Stein?«, fragte Julius und kniff nachdenklich die Augen zusammen.
»Drei Tagesmärsche nach Norden. Felsenfinger sitzen auf der Spitze. Du wirst ihn erkennen. Dort erwartet er dich.«
»Und wenn ich nicht auf seine Bedingungen eingehe?«
Der Krieger zuckte die Achseln. »Dann wird er nicht dort sein und sich als verraten ansehen. Dann kannst du Krieg von uns erwarten, bis unsere Armeen vernichtet sind.«
Das höhnische Grinsen, mit dem er die römischen Offiziere bedachte, ließ keinen Zweifel an seiner Einschätzung des Ergebnisses aufkommen. Redulf warf einen Blick auf Cabera, der soeben eintraf und langsam an einem Stock und am Arm des Botschafters ging. Der alte Heiler war von den Entbehrungen des Marsches ausgezehrt, aber seine blauen Augen betrachteten trotzdem fasziniert den ungewöhnlichen Schädel des Kriegers.
»Richte deinem Herrn aus, dass ich ihn an der genannten Stelle treffen werde, Redulf«, sagte Julius. »Ich halte die Freundschaft, die ihm meine Stadt verliehen hat, in Ehren und treffe mich mit ihm in Frieden bei dem Stein, den du uns beschrieben hast. Lauf jetzt zu ihm zurück und berichte ihm, was du gesehen und gehört hast.«
Redulf nahm seine Entlassung mit wütender Miene entgegen, beschied sich jedoch mit einem weiteren höhnischen Blick über die Reihen der Römer, bevor er zu seinem Pferd zurückmarschierte. Julius sah, dass Brutus die Extraordinarii ein breites Spalier hatte bilden lassen, durch das der Mann zu reiten gezwungen war. Er schaute weder nach links noch nach rechts, als er an ihnen vorbeiritt, dann verschwand er rasch nach Norden in der Ferne.
Brutus trabte heran und stieg aus dem Sattel.
»Beim Mars, was für ein eigenartiger Kauz«, sagte er und sah, dass ein Soldat der Zehnten nicht weit von ihm entfernt mit den Fingern ein Abwehrzeichen machte. Stirnrunzelnd überlegte er, wie der Fremde wohl auf die abergläubischeren Männer unter seinem Kommando gewirkt haben mochte.
» Cabera? Hast du ihn gesehen?«, fragte Julius. »War das ein Geburtsfehler?«
Cabera sah dem in der Ferne entschwindenden Reiter immer noch nach.
»Ich habe noch nie eine so regelmäßig ausgebildete Verformung gesehen, als sei sie absichtlich herbeigeführt worden. Aber ich weiß es nicht. Vielleicht wenn ich ihn etwas genauer untersuchen könnte ... Ich denke darüber nach.«
»Ich vermute, dieser Ariovist bittet uns nicht um Frieden und erspart uns die Mühe, uns mit seinen hässlichen Männern herumschlagen zu müssen?«, fragte Brutus den Julius.
»Noch nicht. Jetzt, da wir so nahe an ihn herangerückt sind, hat er plötzlich beschlossen, sich mit mir zu treffen. Seltsam, wie doch die römischen Legionen die Ansichten eines Mannes beeinflussen«, antwortete Julius. Sein Lächeln verschwand, als er an den Rest der Botschaft des Königs dachte.
»Er will, dass ich nur mit Berittenen zum Treffen erscheine, Brutus.«
»Was? Ich hoffe, du hast das abgelehnt. Ich lasse dich nicht in den Händen unserer gallischen Reiter, Julius. Niemals! Du darfst ihm keine Gelegenheit geben, dich in eine Falle zu locken, Freund Roms hin oder her.« Schon bei der Vorstellung sah Brutus entsetzt aus, doch dann ergriff Julius wieder das Wort.
»Rom beobachtet uns genau, Brutus. In dieser Hinsicht hat Marcus Antonius Recht. Wir müssen Ariovist mit Respekt behandeln.«
»Mhorbaine sagt, seine Leute leben im Sattel«, erwiderte Brutus. »Hast du gesehen, wie dieser hässliche Gnom geritten ist? Wenn die alle so sind wie der, solltest du dich nicht alleine mit den Haeduern und einer Handvoll Extraordinarii von ihnen erwischen lassen.«
»Ach, so weit wird es nicht kommen«, sagte Julius. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. »Schick die Haeduer zu mir, Brutus.«
»Was hast du vor«, wollte Brutus wissen. Der plötzliche Stimmungswechsel seines Feldherrn verwirrte ihn.
Julius grinste wie ein kleiner Junge. »Ich werde die Zehnte aufs Pferd setzen, Brutus. Dreitausend meiner Veteranen und dazu die Extraordinarii dürften ausreichen, um ihm die Flügel zu stutzen, meinst du nicht auch?«
Pompeius beendete seine Rede vor dem Senat und bat um Wortmeldungen, bevor es zur Abstimmung kam. Obwohl unter den 300 Männern der Curia eine gereizte Spannung herrschte, war zumindest die Androhung von Gewalt aus ihren Debatten gewichen – wenn auch nicht draußen auf der Straße. Bei diesem Gedanken schaute Pompeius zu Clodius hinüber, einem Bullen von einem Mann mit glatt rasiertem Schädel, der in der Gosse der Stadt geboren wurde und seinen Aufstieg allein der Tatsache verdankte, dass er rücksichtsloser vorgegangen war als alle seine Konkurrenten. Nachdem Crassus den Handel der Stadt in seinem Würgegriff hatte, hätte Clodius sich in aller Ruhe zurückziehen können, aber stattdessen hatte er seine Verluste abgeschrieben und sich zur Wahl für den Senat gestellt. Beim Anblick seiner brutalen, platten Gesichtszüge erschauerte Pompeius. Einige der Dinge, die ihm zu Ohren gekommen waren, mochten übertrieben sein, sagte er sich. Wenn sie jedoch der Wahrheit entsprachen, würde das bedeuten, dass es innerhalb Roms noch eine zweite, verborgene Stadt gab, womöglich eine, die von Clodius regiert wurde. Die bullige Gestalt tauchte bei jeder Senatssitzung auf, und wenn er sich dort mit seinen Ansichten nicht durchsetzen konnte, wüteten Raptores in den Straßen der Stadt und verschwanden im Labyrinth der Gassen, sobald sie von den Legionswachen verfolgt wurden. Clodius war gerissen genug, sich in der Öffentlichkeit von den Banden zu distanzieren und erstaunt die Hände zu heben, wenn ihre Gewalttätigkeit zufällig mit einem Einspruch gegen seine ehrgeizigen Ziele zusammenfiel.
Dass die Posten der Tribunen wieder zur Wahl gestellt worden waren, hatte Clodius’ öffentlicher Unterstützung einen Teil ihrer Basis geraubt. Nach der schändlichen Beerdigungsprozession vor zwei Monaten war Pompeius dem Rat des Crassus gefolgt. Zu seiner großen Freude war nur einer der ehemaligen Posteninhaber in den Senat zurückgewählt worden. Die unberechenbare Öffentlichkeit hatte als zweiten einen Fremden gewählt, und obwohl ihn Pompeius’ Feinde auf geradezu unerhörte Weise hofierten, hatte er bislang noch keine besonderen Loyalitäten erklärt. Es war durchaus möglich, dass Clodius seine Hand bei der Wahl dieses Mannes nicht im Spiel gehabt hatte, obwohl Pompeius daran zweifelte. Der Mann schreckte nicht davor zurück, ganze Familien zu bedrohen, um seine Ziele zu erreichen, und Pompeius hatte schon einmal eine Abstimmung erlebt, bei der sich rechtschaffene Männer ohne erkennbaren Grund gegen ihn gewandt hatten. Sie waren sogar seinen Blicken ausgewichen, als sie sich Clodius angeschlossen hatten, und Pompeius hatte seinen Zorn angesichts des eiskalten Triumphs des Kaufmanns nur mit Mühe zügeln können. Das Resultat war, dass das kostenlose Getreide, das an die Bürger verteilt wurde, inzwischen ein Fünftel der städtischen Ausgaben ausmachte und jeden Monat Tausende mehr in die Stadt geströmt kamen und darauf Anspruch erhoben. Pompeius wusste, dass Clodius seine rücksichtslosesten Anhänger unter jenen wurzellosen Aasfressern fand, die zuhauf in die Stadt fluteten. Er konnte es nicht beweisen, aber er war überzeugt davon, dass ein gutes Zehntel dieses Getreides die hungrigsten Mäuler nicht erreichte, sondern stattdessen in jenem dunkleren Rom verschwand, in dem Clodius und Männer wie er ebenso leicht Leben kauften, wie sie Getreide verschacherten.
Pompeius erteilte Suetonius das Wort und setzte sich, als der junge Römer sich erhob und vernehmlich räusperte. Auf Pompeius’ Gesicht zeigte sich nichts von seiner Abneigung, obwohl er jeden Mann verabscheute, der anderen wie ein Hund folgte, um ein paar Brocken abzubekommen. Suetonius’ Selbstvertrauen war in dem Maße gewachsen, in dem Clodius ihn mit Lob und Geld überhäufte. Er sprach gut genug, um die Aufmerksamkeit des Senats in Anspruch zu nehmen, und seine Verbindung mit Clodius hatte ihm zu einem Status aus zweiter Hand verholfen, den er sichtlich genoss.
»Verehrte Senatoren und Tribunen«, hob Suetonius an, »ich bin kein Freund Cäsars, wie viele von euch wissen.« Leises Lachen ertönte von den Bänken, und er erlaubte sich ein kleines Lächeln. »Wir alle haben von seinem Sieg gegen die Helvetier in Gallien gehört, eine ehrenhafte Schlacht, die unsere Bürger auf den Marktplätzen zu lautem Jubel veranlasst hat. Trotzdem ist die Angelegenheit seiner Schulden kein geringes Problem. Ich habe hier eine grobe Einschätzung vorliegen.«
Suetonius suchte mit großem Gebaren auf einem Papier herum, obwohl er die Zahlen natürlich auswendig kannte.
»Dem Herminius schuldet er knapp unter eine Million Sesterze. Den anderen Gläubigern zusammen noch einmal eine Million und zweihunderttausend Sesterze. Das sind keine kleinen Summen, meine Herren. Ohne diese Summen könnten die Männer, die sie ihm in gutem Glauben vorgestreckt haben, womöglich selbst in die Armut getrieben werden. Sie haben ein Recht darauf, uns anzurufen, wenn Cäsar keine Anstalten macht, in diese Stadt zurückzukehren. Das Zwölftafelgesetz ist, was Schulden angeht, sehr deutlich, und wir sollten keinen Feldherrn unterstützen, der die Statuten auf diese Art und Weise verhöhnt. Ich verlange vom Senat, ihm die sofortige Rückkehr zu befehlen, um seine Schulden in der Stadt zu begleichen. Wenn das nicht möglich ist, kann uns vielleicht eine Versicherung von Seiten des Pompeius ein wenig beruhigen, die besagt, dass Cäsars Aufenthalt in Gallien ein eindeutiges Ende gesetzt ist, damit diejenigen, die sich mit den Folgen dieser Schulden plagen, ein festgelegtes Datum ins Auge fassen können, an dem sie beglichen werden. Ich stimme dafür, Cäsar zurückzurufen.«
Er setzte sich wieder, und Pompeius wollte gerade den nächsten Redner aufrufen, als er sah, dass sich der neue Tribun erhoben hatte.
»Hast du dem irgendetwas hinzuzufügen, Polonus? «, fragte Pompeius und lächelte den Mann an.
»Nur dass mir die Argumente meines Vorredners wie ein kleiner Stock vorkommen, mit dem wir einen so erfolgreichen General prügeln wollen«, antwortete Polonus. »So wie ich die Angelegenheit verstanden habe, handelt es sich um persönliche Schulden Cäsars, auch wenn er sie dazu verwendet hat, seine Soldaten auszurüsten und zu versorgen. Sobald er in die Stadt zurückkehrt, können seine Gläubiger ihn dieser Summen wegen belangen, und wenn er nicht zahlen kann, gibt es dafür harte Strafen. Bis dahin jedoch sehe ich keine Veranlassung dafür, dass sich der Senat mit gewöhnlichen Geldverleihern gemein machen und seine Rückkehr durchsetzen soll.«
Zustimmendes Gemurmel erhob sich aus den Reihen der Senatoren, und Pompeius musste ein Lächeln unterdrücken. Viele von ihnen hatten Schulden, und Suetonius müsste ein Genie sein, um sie dazu zu bringen, einen General zurückzurufen, nur damit dem Drängen schmieriger Existenzen wie Herminius nachgegeben werden konnte. Pompeius war erfreut darüber, dass sich Polonus gegen den Antrag ausgesprochen hatte. Vielleicht stand er doch nicht im Sold des Clodius. Pompeius suchte den Blick des Tribuns; er verneigte sich kurz, als der nächste Sprecher sich erhob, und hörte der Rede irgendeines unbedeutenden Sohnes der Nobilitas nicht einmal richtig zu.
Pompeius wusste, dass es nicht wenige gab, die seine Entlassung und Wiedereinführung der Tribunen für einen meisterlichen Streich hielten. Besonders die älteren Mitglieder erhofften sich von ihm Stärke und Führungskraft, mit denen er den neuen Mitspielern im großen Spiel gegenübertreten sollte. Viele von ihnen hatten ihn unter vier Augen aufgesucht, doch im Senat machte sie ihre Angst schwach. Es gab nicht viele, die es wagten, sich jemanden wie Clodius zum Feind zu machen. Selbst einem Mann wie Pompeius trieb der Gedanke, Clodius könnte eines Tages Konsul werden, den Schweiß auf die Stirn.
Während der junge Senator seine Rede weiter ausführte, wanderte Pompeius’ Blick zu Titus Milo, einem anderen Vertreter der neuen Kräfte im Senat. Genau wie Clodius vor ihm war er in den Senat eingezogen, nachdem das Vermögen, das er als Kaufmann gemacht hatte, verloren gegangen war. Vielleicht konnten sich die beiden aus diesem Grund, ihrer gemeinsamen Herkunft wegen, nicht ausstehen. Milo hatte ein rotes Gesicht vom Trinken und war fett, wohingegen Clodius eher gedrungen war. Beide Männer konnten so derb sein wie die schlimmste Gossenhure. Insgeheim fragte sich Pompeius, ob man sie nicht aufeinander hetzen könnte. Damit wäre das Problem auf angenehme Weise gelöst.
Die Abstimmung wurde rasch durchgeführt, und ausnahmsweise wankten die Anhänger des Pompeius nicht. Clodius hatte nicht gesprochen, und Pompeius wusste, dass er wahrscheinlich Suetonius vorgeschickt hatte, ohne ihm seine volle Unterstützung zu gewähren. In dieser Nacht würde es keine Berichte über Banden geben, die urplötzlich in den Gassen wüteten. Clodius spürte Pompeius’ nachdenklichen Blick auf sich und nickte ihm mit seinem massigen Schädel zu wie ein Gleichgestellter dem anderen. Pompeius erwiderte die Geste aus reiner Gewohnheit, obwohl seine Gedanken mit den schlimmsten Gerüchten befasst waren. Es hieß, Clodius beschäftigte Leibwächter, die Schändung als übliches Mittel der Überredung anwandten, wenn sie ihren Geschäften nachgingen. Es war eine der vielen Geschichten, die diesen unangenehmen Mann wie Fliegen umschwirrten. Pompeius presste die Zähne zusammen, als er das heimliche, amüsierte Strahlen in Clodius’ Augen entdeckte. In diesem Moment beneidete er Julius in Gallien. Bei allen Entbehrungen eines Feldzugs waren seine Schlachten zweifellos einfacher und sauberer zu schlagen als jene, die Pompeius hier in Rom auszufechten hatte.
Brutus brüllte der Zehnten wütende Befehle zu, als die Männer ihre kleinen gallischen Pferde auf die dunkle Masse der Reiter zu- lenkten, die in der Ferne, am Fuße des »die Hand« genannten Felsens, auf sie warteten. Zwar konnte er Julius’ Wunsch, die Veteranen der Zehnten bei sich zu haben, nur zu gut nachvollziehen, trotzdem hockten die Legionäre wie störrische Kinder auf ihren Gäulen. Bei allem, was über einfaches Schritttempo hinausging, wichen die Pferde aus der Reihe, und sobald das Gelände nicht eben und ohne Hindernisse war, wurden die rotgesichtigen Soldaten abgeworfen und durchlitten die Schmach, so lange neben ihren Tieren herrennen zu müssen, bis sie sich wieder in den Sattel gehievt hatten.
Als reichte das noch nicht aus, kochte Brutus innerlich darüber, dass Marcus Antonius den Befehl über die weiter hinten abwartenden Legionen erhalten hatte. Er konnte die Tatsache akzeptieren, dass Julius ihn und Octavian als Anführer der Extraordinarii dabeihaben wollte, aber Marcus Antonius hatte sich nicht das Recht erworben, Julius’ stellvertretender Kommandeur zu sein. Brutus war übelster Laune, als er sein Pferd herumriss, um auf Unruhe direkt hinter ihm zu reagieren.
»Nehmt die Zügel auf, beim Mars, sonst lasse ich euch auspeitschen! «, schrie er einen Trupp unglücklicher, kreuz und quer durcheinander wimmelnder Triarii an. In ihrer schweren Rüstung saßen sie wie scheppernde Getreidesäcke auf den Pferden, und Brutus verdrehte die Augen, als sich der Nächste zu weit nach vorne beugte und mit einem lauten Scheppern zwischen den Beinen seines Reittieres verschwand.
So zog man nicht in eine Schlacht, auch wenn ihr Ausbruch noch ungewiss war. Die Zehnte war an den Rhythmus der Fußsoldaten gewöhnt, und die schwitzenden, fluchenden Männer rings um ihn herum hatten nichts von der konzentrierten Ruhe, die er sonst von ihnen kannte.
Octavian galoppierte an ihm vorbei und zwang mit seinem kräftigen Wallach eine ungleichmäßige Reihe von Ponys wieder in Formation. Die beiden Männer wechselten einen kurzen Blick. Octavian grinste. Ihn schien die Situation zu amüsieren. Brutus lächelte nicht zurück, sondern verfluchte stattdessen leise die Zehnte, als zwei Pferde ein Stück vor ihm aneinander gerieten und die Reiter verzweifelt an den Zügeln rissen, bis die gequälten Tiere in Panik ausbrachen und durchgingen. Brutus holte sie mit einem kurzen Sprint ein und hielt sie fest, bis die Legionäre sie wieder unter Kontrolle hatten. Man konnte von den Männern nicht die lässige Haltung Tausender von Übungsstunden erwarten, und er hoffte nur, dass Julius genug Verstand besaß, den Befehl zum Anhalten zu geben, bevor Ariovist ihre erbärmlichen Reiterkünste auffielen. Männer, die im Sattel geboren waren, würden sich nicht täuschen lassen.
Kurz vor dem Aufbruch war Julius noch einmal zu ihm gekommen. Er hatte Brutus’ Kälte bemerkt und beschwichtigend auf ihn eingeredet.
»Ich muss dich mitnehmen, Brutus«, sagte er. »Die Extraordinarii sind die einzigen fähigen Reiter, die ich habe, und sie sind deine Befehle gewöhnt.«
Julius war dicht neben ihn getreten, damit niemand sonst ihn hören konnte.
»Und falls ich zum Kampf gezwungen werde, möchte ich nicht Marcus Antonius an meiner Seite haben. Er hält zu viel von diesem Ariovist und seiner Freundschaft mit Rom.«
Brutus hatte genickt, obwohl die Worte nicht viel dazu beitrugen, das Gefühl, hintergangen worden zu sein, zu beschwichtigen. Marcus Antonius’ Posten stand ihm zu.
Noch vor Mittag erblickten die Vorreiter »die Hand« und machten Meldung. Als die Zehnte sich der Felsformation näherte, konnte Brutus vor sich Tausende von berittenen Männern in perfekter Aufstellung erkennen. Sie hatten für die Begegnung eine Stelle ausgesucht, an der die Kavallerie auf beiden Seiten von steilen Berghängen behindert wurde. Der Felsen, den sie »die Hand« nannten, bildete den höchsten Punkt gen Osten, wohingegen das Gelände im Westen in dichtem Wald erstickte. Brutus fragte sich, ob Ariovist zwischen den dunklen Eichen noch mehr Männer versteckt hielt. Er wusste, dass er selbst sie dort postiert hätte, und hoffte, dass die Legionen nicht in eine Falle tappten. Eines war sicher: Falls es bei einer Auseinandersetzung mit diesen germanischen Reitern zum Rückzug kam, dann musste die Zehnte ihn zu Fuß bewerkstelligen, oder sie wurde niedergemacht.
Die Cornicen bliesen zum Absteigen, ein aus zwei Tönen bestehendes Signal, über das sie sich vor dem Aufbruch im Lager verständigt hatten. Erleichtert sah Brutus, wie die Zehnte ihre Unbeholfenheit abstreifte, sobald sie festen Boden unter den Füßen hatte.
Nur die Extraordinarii blieben im Sattel, um die Flanken zu schützen. Die Legionäre der Zehnten führten ihre Pferde schlecht gelaunt und mit grimmigen Gesichtern am Zügel weiter. Brutus drangsalierte sie weiterhin und befahl den Zenturios, Ordnung in den Reihen zu halten, während sie sich dem Ort der Zusammenkunft und dem König der germanischen Sueben näherten. Je dichter sie an den Feind herankamen, desto mehr wuchs die Spannung, und schon bald erkannte Brutus Einzelheiten der Männer, auf die sie zugingen. Ariovist sah er zum ersten Mal, als der König mit drei anderen aus der Masse herausgeritten kam und zweihundert Fuß vor seiner vordersten Linie anhielt. Julius setzte sich mit Domitius und Octavian ebenfalls in Bewegung. Die Anspannung war ihren steifen Rücken deutlich anzusehen.
Brutus warf einen letzten Blick auf die Reihen der Zehnten. »Haltet euch bereit!«, rief er, als er lostrabte, um sich seinem Anführer anzuschließen.
Die Geräusche von viertausend nervösen Pferden verebbte hinter ihm, als er zu Domitius und Octavian aufschloss. Ihre silbernen Rüstungen glitzerten. Julius trug den Maskenhelm, und als er sich im Sattel umdrehte, um Brutus zu begrüßen, erlebte Brutus die Wirkung dieser kalten, starren Züge.
»Sehen wir doch mal, was mir dieser König zu sagen hat«, tönte Julius’ Stimme aus dem Eisenmund hervor.
Die vier Männer trieben ihre Pferde zum Galopp an und ritten in perfekter Formation über den zerklüfteten Boden.
Julius erkannte Redulf an Ariovists rechter Schulter und sah mit Erstaunen, dass die beiden anderen Krieger neben dem König ebenso merkwürdig deformiert waren wie der Bote. Einer von ihnen war kahl rasiert, doch der andere hatte schwarze, topfartig geschnittene Haare, die nicht dazu beitrugen, den eigenartigen Doppelwulst zu verbergen. Es sah aus, als hätte eine riesenhafte Faust seinen Schädel gepackt und zusammengequetscht. Alle trugen Bärte und blickten grimmig drein, was wahrscheinlich Stärke ausdrücken sollte. Jeder war mit Gold und Silber geschmückt, und Julius war froh, dass er die Besten seines Schwertturniers als Ehrengarde dabeihatte. Ihre makellosen silbernen Rüstungen überstrahlten die Krieger der Sueben, und Julius wusste, dass jeder seiner Gefährten tödlicher war als ihre Gegner.
Ariovist hatte nicht die wulstige Stirn seiner Begleiter. Sein Gesicht wurde von dunklen Augenbrauen und einem ungeschnittenen Bart beherrscht, der den Großteil seiner Züge verdeckte und nur Wangen und Stirn frei ließ. Seine Haut war blass, und die Augen, die Julius finster anblickten, waren so blau wie die von Cabera. Der König rührte sich nicht, als Julius heranritt und ohne Gruß vor ihm anhielt.
Die Stille dauerte an, während Julius und der König einander betrachteten. Keiner von ihnen wollte als Erster das Wort ergreifen. Brutus musterte die Reihen der Pferde und ließ den Blick noch weiter schweifen, bis dorthin, wo eine größere Streitmacht die südliche Spitze der Ländereien markierte, die Ariovist erobert hatte, ungefähr fünfzehn Meilen südlich des breiten Rheins. In der Ferne erkannte Brutus zwei befestigte Lager, die ganz nach römischem Muster angelegt waren. Die Masse der suebischen Reiter war nicht in Schlachtordnung aufgestellt, aber Brutus sah, dass sie das Gelände von Hindernissen gesäubert hatten und jederzeit zum Angriff übergehen konnten. Als er die langen Speere sah, die die Männer trugen, fing er an zu schwitzen. Jeder Soldat der römischen Infanterie wusste, dass Pferde niemals in einen Schildwall stürmen würden, ebenso wenig wie man sie zwingen konnte, gegen einen Baum zu rennen. Solange die Legionen ihre Blockformationen beibehielten, konnten sie ohne ernst zu nehmende Gefährdung durch die Streitmacht des Ariovist hindurchbrechen. Aber die Theorie war angesichts so vieler der bleichen, bärtigen Krieger nicht sehr tröstlich.
Julius verlor unter der schweigsamen Musterung des Königs die Geduld.
»Ich bin zu dir gekommen, so wie du es von mir verlangt hast, Freund meiner Stadt«, fing er an. »Obwohl dies hier nicht dein Land ist, bin ich hergeritten und habe deine Bedingungen akzeptiert. Jetzt sage ich dir, dass du deine Armee über die natürliche Grenze, den Rhein, zurückziehen musst. Wenn das unverzüglich geschieht, kommt es nicht zum Krieg zwischen uns.«
»Ist das die römische Freundschaft?«, höhnte Ariovist plötzlich mit einer tiefen, dröhnenden Stimme, die die Römer zusammenzucken ließ. »Ich habe vor zehn Jahren gegen eure Feinde gekämpft. Der Titel wurde mir verliehen, aber zu welchem Zweck? Damit ich nach Gutdünken von dem Land vertrieben werden kann, das ich rechtmäßig erobert habe?« Seine Zähne leuchteten gelb aus dem Bart hervor, und die Augen funkelten unter den dichten Brauen.
»Der Titel gibt dir nicht das Recht, dir alles Land zu nehmen, nach dem dich gelüstet«, erwiderte Julius. »Deine Heimat liegt auf der anderen Seite des Flusses, und das sollte dir genügen. Ich sage dir, Rom wird niemals zulassen, dass du dir Gallien oder auch nur einen Teil davon nimmst.«
»Rom ist weit weg, Heerführer. Du bist alles, was deine Stadt hier und jetzt zu bieten hat, und du hast den Zorn meiner weißen Krieger noch nicht kennen gelernt. Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden? Ich bin schon in Gallien geritten, als du kaum mehr warst als ein kleines Kind! Das Land, das ich erobert habe, gehört mir durch das Recht der Eroberung, ein weitaus älteres Gesetz als deines. Es gehört mir, weil ich die Stärke bewiesen habe, es zu behalten, Römer!«
Die zornige Rede ließ Julius’ Pferd nervös scheuen, und Julius streckte die Hand aus, um den Nacken des Wallachs zu tätscheln. Er riss sich zusammen, um dem anderen zu antworten.
»Ich bin hier, weil du als unser Freund giltst, Ariovist. Ich respektiere dich im Namen meiner Stadt, aber ich sage es dir noch einmal, du wirst dich über den Rhein zurückziehen und das Land Roms und der römischen Verbündeten verlassen. Wenn du nach dem Gesetz der Eroberung leben willst, werde ich deine Armee kraft des gleichen Gesetzes vernichten!«
Julius spürte, wie Brutus zu seiner Rechten unbehaglich im Sattel hin- und herrutschte. Das Treffen verlief nicht so wie beabsichtigt, aber Ariovists Arroganz ärgerte ihn.
»Und was tust du, Cäsar? Mit welchem Recht nimmst du den Stämmen ihr Land? Wurde es dir vielleicht von deinen griechischen Göttern geschenkt?« Mit einem verächtlichen Schnauben hob Ariovist die Hände und zeigte auf die blühende Landschaft ringsum.
»Du hast deine Antwort erhalten, als ich deine Boten mit leeren Händen zurückgeschickt habe«, fuhr er fort. »Ich will nichts von dir und deiner Stadt. Zieh deines Weges und lass mich in Frieden, sonst hast du nicht mehr lange zu leben. Ich habe für dieses Land gekämpft und den Blutzoll gezahlt. Du hast nichts anderes getan, als eine Bande helvetischer Lumpen in ihre Heimat zurückgeschickt. Meinst du wirklich, das gibt dir das Recht, mit mir als Gleichgestellter zu verhandeln? Ich ein König, Römer, und Könige werden nicht von Männern wie dir behelligt. Ich fürchte deine Legionen nicht, schon gar nicht diese Reiter hinter dir, die nicht einmal ihre Pferde ruhig halten können.«
Julius widerstand dem Drang, sich umzudrehen, obwohl er die perfekten Reihen der Sueben sehen konnte und wusste, dass seinen Soldaten eine derart gelassene Ordnung fehlte. Er lief unter seiner Maske rot an und war froh, dass es niemand sah.
»Ich bin Rom«, sagte Julius. »In meiner Person redest du mit dem Senat und mit dem Volk Roms. Du beleidigst meine Stadt und alle Länder in ihrem Herrschaftsgebiet. Wenn du ...«
Etwas zischte aus den Reihen der Sueben über ihre Köpfe hinweg. Ariovist fluchte. Julius blickte auf und sah ein Dutzend langer Schäfte, die im hohen Bogen auf seine kostbare Zehnte zuflogen. Wütend wandte er sich an Ariovist.
»Ist das deine Disziplin?«, fuhr er ihn an.
Ariovist sah nicht weniger zornig aus, und Julius wusste, dass er diesen Angriff nicht befohlen hatte. Beide Heere wurden unruhig. Wieder zog ein einzelner Pfeil seinen Bogen über ihnen.
»Meine Männer brennen auf die Schlacht, Cäsar. Sie leben, um in Blut zu baden«, knurrte Ariovist ihn an. Dann schaute er sich über die Schulter nach seinen Männern um.
»Geh zurück zu ihnen; wir kommen wieder«, sagte Julius; seine Stimme klang unter der Maske dumpf vor Entschlossenheit. Ariovist sah ihn an, und Julius bemerkte ein ängstliches Glitzern in seinen Augen. Es passte nicht zu dem, was er bisher gesehen hatte, und Julius fragte sich, was wohl der Grund dafür sein mochte.
Bevor der König antworten konnte, heulte ein weiterer Schwarm Pfeile über sie hinweg. Julius riss seinen Wallach herum, und mit einem lauten »Ha!« galoppierte er zu seinen Soldaten zurück. Brutus, Domitius und Octavian folgten ihm; die Hufe ihrer Pferde trommelten über den Boden. Hinter ihnen grub auch Ariovist die Fersen in die Flanken seines Pferdes, und seine Männer stießen ein lautes Jubelgeschrei aus, als sie sahen, dass er zu ihnen zurückkehrte.
Bei der Zehnten angekommen, erteilte Julius einen Schwall von Befehlen. Die schnellsten Extraordinarii galoppierten nach Süden zu Marcus Antonius, mit der Anweisung, sich unverzüglich und mit größtmöglicher Geschwindigkeit als Verstärkung in Marsch zu setzen. Weitere Reiter wurden in den Wald im Westen geschickt, um dort versteckte Bogenschützen oder eine Überraschungsstreitmacht ausfindig zu machen. Die gallischen Pferde wurden nach hinten gebracht, so dass sich die Zehnte endlich ungehindert aufstellen konnte. Sie formierte sich zu einem riesigen Verteidigungskarree, das sich mit überlappenden Schilden gegen einen Kavallerieangriff wappnete. Speere wurden bereitgehalten, Pfeile auf Bogensehnen gelegt. Die vorderste Reihe wartete geduldig darauf, den ersten Angriff abzuwehren.
Er kam nicht. Zu Julius’ Erstaunen verschwand Ariovist tiefer in der Menge der Reiter, die sich plötzlich und unerwartet zurückzog. Einige Legionäre der Zehnten johlten und brüllten hinüber, doch die Kundschafter waren noch nicht aus dem Wald im Westen zurück, und Julius wagte keinen Vorstoß, ohne zu wissen, wer in jenen grünen Tiefen lauerte.
Ariovist führte seine Männer aus der Reichweite der feindlichen Speere und dann auch der Pfeile, bevor er sie wieder anhalten ließ. Obwohl es in den Reihen der Sueben offenkundig sehr viele heißblütige Jünglinge gab, bewiesen sie bei diesem Rückzug eiserne Disziplin, wobei bestimmte Truppenteile anderen immer wieder Rückendeckung gaben.
»Was ist das für ein Spiel?«, murmelte Brutus neben Julius. »Er muss doch wissen, dass unsere Legionen durch seine Verzögerung immer näher herankommen.«
»Vielleicht will er uns vorwärts locken. Dieser Wald gefällt mir überhaupt nicht«, erwiderte Julius.
Noch während er sprach, kam der erste Kundschafter zu den römischen Linien zurückgaloppiert.
»Nichts, Herr«, keuchte er, als er salutiert hatte. »Weder Spuren noch alte Feuerstellen noch sonst ein Anzeichen für verborgene Einheiten.«
Julius nickte und erinnerte sich plötzlich daran, wie er zum letzten Mal den Bericht eines Kundschafters ungeprüft angenommen hatte.
Erst als zwei weitere seiner Reiter zwischen den Bäumen hervorkamen und ihm Bericht erstatteten, gab sich Julius zufrieden. Die Situation verwirrte ihn. Ariovist hatte sich aufgeführt, als wollte er zu einem wütenden Angriff übergehen, aber jetzt hielten sich seine Männer in gleichmütiger Unerschütterlichkeit zurück, ungerührt von den herausfordernden Gesten der Legionäre in der ersten Reihe der Zehnten.
Julius trommelte gereizt mit den Fingern auf den Sattel. Hatten sie womöglich den Boden mit Fallen versehen? Unwahrscheinlich. Mit Pfählen versehene Gruben würden ihre eigene Armee mehr behindern, während sie der einzelnen römischen Legion zahlenmäßig überlegen war.
»Sollen wir auf Marcus Antonius warten?«, fragte Brutus.
Julius überlegte, wie lange es dauern würde, bis die Legionen seine Position erreicht hatten, und schnaubte wütend. Sie würden Stunden brauchen, bis sie hier waren, um ihn zu unterstützen.
»Ja. Irgendetwas verstehe ich hier nicht. Ihre Truppen sind schnell und schlagkräftig, außerdem sind sie uns ungefähr zwei zu eins überlegen. Ariovist müsste angreifen, es sei denn, das Ganze war eine Finte, aber das kann ich mir nicht vorstellen. Ich werde nicht das Leben meiner Zehnten aufs Spiel setzen und in eine Falle tappen, ehe die Verstärkung eintrifft.«
Die Soldaten, die das hörten, wechselten zufriedene Blicke, was Julius, der unbeirrt zum Feind hinüberstarrte, nicht sehen konnte. Soweit es die Soldaten betraf, war ein Anführer, der sich um seine Männer sorgte, nicht mit Gold aufzuwiegen.
Die Reiter der Sueben standen tausend Schritt von der Zehnten entfernt da und schwiegen. Eine Fliege summte vor Julius’ Gesicht herum, als er den Blick über ihre Reihen schweifen ließ.
»Ruhig Blut, meine Herren. Wir warten erst einmal ab.«
Als die gewaltige Marschkolonne der Legionen die Zehnte erreicht hatte, war auch Ariovists Hauptstreitmacht aufgerückt. Den besten Schätzungen der Kundschafter zufolge, die sich den Wurfspießen und Pfeilen der feindlichen Reiter aussetzten, hatten die Sueben an die 60000 Krieger aufgestellt. Jeder Reiter hatte einen Fußsoldaten dabei, der, eine Hand in der Mähne des Pferdes, mit großer Geschwindigkeit neben dem Tier herrannte. Julius fühlte sich an die Spartaner erinnert, die auf die gleiche Weise in die Schlacht gestürmt waren, und hoffte nur, dass er es hier nicht mit einem Gegner vom gleichen Format zu tun bekam. Auch Brutus hatte eine sarkastische Bemerkung über die Schlacht von Thermopylae fallen lassen, an die er sich aus den Unterweisungen ihrer Hauslehrer vor vielen Jahren erinnerte; aber der Spartanerkönig hatte damals einen schmalen Gebirgspass verteidigen können, wohingegen Julius von einer derart beweglichen Streitmacht in die Zange genommen oder sogar umzingelt werden konnte. Ein besseres Modell war die Schlacht von Cannae, dachte er, in der die Römer vernichtend geschlagen worden waren, doch er hütete sich, seine Bedenken laut zu äußern.
Zwei Stunden nach Mittag hatte Julius seine 1 6 Skorpionbögen aufgestellt und auf den Gegner ausgerichtet. Es waren perfekte Defensivwaffen gegen einen Angriff, aber so unbeweglich, dass sie bei einem Vorstoß schon nach den ersten Schüssen zu weit zurückblieben.
»Eine Schlacht wie diese ist mir noch nie untergekommen, Brutus, aber sie haben zu lange gewartet. Octavian soll mit den Extraordinarii unsere Flanken schützen. Der Rest ist unsere Sache.«
Er durchschnitt die Luft mit der Hand, und entlang der aufgestellten Einheiten stießen die Cornicen in ihre langen Hörner und ließen einen einzelnen Ton erschallen, der mit keinem Befehl verbunden war. Er diente lediglich dazu, dem Feind Furcht einzujagen, und Julius sah eine unruhige Bewegung durch die Reihen der Sueben gehen. Kurz darauf feuerten die Skorpione, und Pfeile von Mannslänge legten die Entfernung zwischen den Armeen mit einer Geschwindigkeit zurück, dass man sie weder kommen sah noch ihnen ausweichen konnte. Pferde in den ersten Reihen wurden aufgespießt, und die großen Bolzen töteten auch wahllos in den Reihen dahinter. Während die Skorpionmannschaften fieberhaft mit Spannen und Nachladen beschäftigt waren, gab Julius das Signal zum Vorrücken. Mit der Zehnten an der Spitze setzten sich die Legionen in Trab, die Speere wurfbereit in den Händen.
Mit der Perfektion hervorragender Disziplin fächerten sich die Legionen auf, sobald sie die Enge zwischen dem Wald und »der Hand« hinter sich gelassen hatten. Brutus befehligte die Dritte an der rechten Flanke, Marcus Antonius hatte die linke übernommen.
Als sie in Reichweite der Bogenschützen kamen, hielten die Männer ihre Schilde bereit, doch ohne Vorwarnung zogen sich die Reihen der Sueben noch einmal zurück, viel schneller als der römische Vorstoß. Tausende von Kriegern galoppierten davon und formierten sich nach einer halben Meile erneut.
Sie standen wiederum nicht allzu weit entfernt, aber Julius befürchtete, auf die grünen Wiesen hinausgezogen zu werden. Jetzt sah er, wie die ersten Lager der Sueben eilig ihre Tore schlossen. Hunderte von Fuhrleuten versuchten voller Panik, mit ihren Karren noch hineinzukommen. Verwundert darüber, dass Ariovist sie im Stich ließ, schüttelte Julius den Kopf.
Bericus löste sich nach Westen, um sich um das Lager zu kümmern, und eine weitere Legion aus Ariminum rückte reibungslos nach vorne, um den Platz der abgerückten 5000 einzunehmen. Sie marschierten an den Pfahlwällen vorüber, während Bericus die Leute dort ohne Schwierigkeiten und ohne Blutvergießen gefangen nahm. Julius sah im Vorübergehen, wie sie die Arme voller Angst in die Luft warfen, doch der Rest der Sueben befand sich abermals auf dem Rückzug, löste seine solide Aufstellung unversehens auf und formierte sich eine halbe Meile entfernt neu.
Julius gab das Signal zum Anhalten. Seine Legionen kamen scheppernd und keuchend zum Stehen. Brutus kam vom rechten Flügel herangaloppiert.
»Gib mir die Extraordinarii. Ich kann sie lange genug aufhalten, bis du mit dem Rest nachkommst«, sagte er und musterte den Feind in der Ferne mit finsterem Blick.
»Nein. Ich setze die einzigen guten Reiter, die ich habe, nicht aufs Spiel«, antwortete Julius und ließ den Blick über die johlenden, abgerissen aussehenden Haeduer schweifen, die voller Freude ihre Pferde wieder in Empfang genommen hatten. »Wir befinden uns jetzt tief in seinem Gebiet. Ich will, dass rings um das Palisadenlager als Basis ein Kriegslager errichtet wird. Ich werde die Männer nicht ermüden, indem ich ihm durch ganz Gallien hinterherhetze. Ich will die Legionen vor Einbruch der Nacht hinter befestigten Wällen und Toren wissen. Halte die Wurfmaschinen in Bereitschaft, sobald die Karren nachgerückt sind. Lass auch warmes Essen zubereiten. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bin am Verhungern.«
Julius betrachtete die schwarze Masse der suebischen Reiter und schüttelte den Kopf.
»Ariovist ist kein Dummkopf. Es muss einen Grund für diese Feigheit geben. Sobald die Lager stehen, berufe meinen Rat zu mir ein.«
Ein befestigtes Lager direkt unter den Augen des Feindes anzulegen war eine neue Erfahrung für die sechs Legionen. Jeder verfügbare Mann half bei den äußeren Gräben mit, deren ausgehobene Erde zu großen Wällen aufgeworfen wurde, bis sie dreifache Mannshöhe erreicht hatten. Die Extraordinarii patrouillierten rings um das Gelände, und zweimal während dieses langen Nachmittags waren kleinere Gruppen scharf auf sie zugeritten und hatten ihre Speere nach ihnen geschleudert, bevor sie zu den eigenen Reihen zurückgaloppiert waren. Es waren lediglich junge Männer gewesen, die ihren Mut unter Beweis stellen wollten, die Hauptarmee hingegen hielt weiterhin Abstand und sah zu, wie die Römer gruben und Bäume fällten. Julius hatte gegen Ende des Tages den Duft von Gewürzen wahrgenommen und wusste, dass die Sueben genau wie er damit beschäftigt waren, Essen für ihre Leute zuzubereiten.
Am frühen Abend waren die riesigen Lager fertig, und die Legionen marschierten durch Tore ein, die so solide waren wie sonst kaum etwas in Gallien. In den Händen der erfahrenen Legionszimmerleute hatten sich die schweren Baumstämme in passgenaue Balken verwandelt, und auch die Schutzwälle waren mit genügend angespitzten Pfählen versehen worden, dass sie selbst dem entschlossensten Angriff widerstehen würden. Julius spürte, wie sich unter seinen Männern Zuversicht breit machte. Der Anblick des zurückweichenden Feindes hatte ihre Moral enorm gehoben, und er hoffte, dass diese Stimmung anhielt.
Er hielt seine Ratsversammlung im Stabszelt innerhalb der Wälle ab, nachdem eine warme Mahlzeit zubereitet und verzehrt worden war. Die Pferde der Haeduer kauten sich durch ein Gutteil seiner Getreidevorräte, aber es war zu gefährlich, sie in unmittelbarer Nähe der Sueben draußen grasen zu lassen. Als die Nacht hereinbrach, wartete Julius darauf, dass auch Brutus eintraf und sich den anderen anschloss. Lampen wurden angezündet, und die erste Nachtwache nahm ohne Schilde ihren Posten ein, stieg die hölzernen Stufen hinauf zur Brustwehr, um aufmerksam in die Dunkelheit zu schauen.
Julius sah sich mit stummer Zufriedenheit im Kreise seines Rates um. Octavian hatte sich zu einem tüchtigen Anführer seiner Männer entwickelt, und auch Ciro hatte sich seiner Beförderung in den Rang des Zenturio als würdig erwiesen. Publius Crassus war ein furchtloser Befehlshaber, und Julius tat es jetzt schon Leid, dass er zu gegebener Zeit zurückgeschickt werden würde, um die Legion seines Vaters anzuführen. Renius unterwies die Männer weiterhin in der Technik des Schwertkampfes, und Julius zögerte nie, diejenigen zu befördern, die er ihm empfahl. Wenn Renius sagte, sie seien bereit, andere anzuführen, dann waren sie es auch. Domitius war fähig, eine ganze Legion zu befehligen, und die Männer liebten die silberne Rüstung, die er jetzt ständig trug. Zu dieser Zeit, an diesem Ort, waren sie alle in der Blüte ihres Mannesalters, und Julius war stolz auf jeden Einzelnen von ihnen.
Nachdem Brutus eingetroffen war, holte Cabera eine Kugel aus Lehm hervor, die er in ein feuchtes Tuch eingewickelt hatte. Sie glänzte im Licht der Lampen, während er sie mit den Händen bearbeitete, bis sie einem Gesicht immer ähnlicher wurde: Er formte eine Nase und bohrte mit den Fingernägeln Augenhöhlen.
»Wenn man auf diese Art und Weise Stricke anbringt, kann man die Form des Schädels verändern«, sagte er, band ein Stück Schnur um den kleinen Kopf und spannte es mit einem Stock enger, bis der Lehm anfing, sich zu verformen. Nachdem er eine dicke Wulst über den Augen geschaffen hatte, wiederholte er die Prozedur ein Stück darüber, bis ihnen das Abbild der ungewöhnlichen Züge eines Sueben entgegenstarrte.
»Aber der Schädel muss dabei doch zerbrechen«, gab Octavian zu bedenken, der schon bei dem bloßen Anblick schauderte.
Cabera schüttelte den Kopf. »Bei einem ausgewachsenen Mann schon. Nicht bei einem Neugeborenen. Wenn die Knochen noch weich sind, bringt ein Abbinden durchaus solche Wülste hervor. Diese Männer sind keine Dämonen, ganz gleich, was für Gerüchte hier im Lager umgehen. Aber sie sind brutal. Ich habe noch nie von einer Rasse gehört, die ihre Kinder so misshandelt. Die ersten ein oder zwei Jahre ihres Lebens müssen sie höllische Schmerzen leiden, wenn diese Dinger ihre Knochen zusammenquetschen. Ich bezweifle, dass sie jemals völlig schmerzfrei sind. Wenn ich damit Recht habe, bedeutet das, dass sie ihre Kriegerkaste schon fast von Geburt an heranziehen.«
»Wenn die Männer darüber reden, musst du ihnen das hier vorführen, Cabera«, sagte Julius, noch immer fasziniert von dem deformierten Schädel. »Die Sueben brauchen bei ihrer Überzahl nicht noch mehr Vorteile, und unsere Männer sind abergläubisch.«
Ein Tumult vor dem Zelt ließ den Rat sofort aufspringen. Die Soldaten, die draußen postiert waren, riefen jemandem gedämpfte Worte zu, dann waren die unmissverständlichen Geräusche eines Handgemenges zu vernehmen. Brutus ging zum Zelteingang und schlug die Leinwand zurück.
Zwei der von den Sueben gefangenen gallischen Sklaven wanden sich auf der Erde.
»Entschuldige, Herr«, sagte einer der Wachposten rasch und salutierte vor Brutus. »Konsul Cäsar hat gesagt, er wolle nicht gestört werden, und diese beiden hier haben meine Warnung nicht beachtet.«
»Gut gemacht«, erwiderte Brutus. Er beugte sich vor und half einem der Gallier auf die Füße. »Was gibt es denn so Wichtiges?«, fragte er.
Der Mann funkelte den Wachsoldaten böse an, bevor er antwortete, doch Brutus verstand keine Silbe des Wortschwalls, der sich über ihn ergoss. Mit gerunzelter Stirn wechselte Brutus einen Blick mit der Wache.
»Ich glaube, er hat deine Warnung überhaupt nicht verstanden. Adàn? Kommst du bitte her und übersetzt für mich?«
Als Adàn vor ihm stand, redete der Mann sogar noch schneller. Inzwischen hatte sich auch sein Gefährte erhoben und rieb sich verdrossen den Bauch.
»Wollt ihr die ganze Nacht dort draußen stehen bleiben?«, rief Julius von drinnen.
»Ich glaube, das hier wird dich interessieren, Herr«, antwortete Adàn.
»Das erklärt zumindest, warum wir sie nicht in einen Kampf verwickeln konnten«, sagte Julius. »Wenn dieser Ariovist dumm genug ist, auf seine Priester zu hören, können wir dabei nur gewinnen. Ich würde sagen, bis zum Neumond dauert es noch drei Tage.
Wenn er bis dahin nicht gegen uns kämpfen will, können wir ihn bis zum Rhein zurückdrängen und ihn dort festnageln.«
Julius’ besorgte und verärgerte Stimmung war angesichts der Neuigkeiten, die die gallischen Sklaven ihm mitgeteilt hatten, sofort verflogen. Seine Reiter hatten gejubelt, als sie noch mehr Angehörige ihres eigenen Volkes unter den anderen Gefangenen ausfindig machten, und die entscheidende Information erklärte einiges hinsichtlich des Verhaltens des suebischen Königs.
Julius lauschte, als Adàn den Wortschwall übersetzte, der aus dem Mann hervorsprudelte. Ariovist war gesagt worden, er würde sterben, wenn er vor dem Neumond kämpfe. Das bedeutete, dass das wutschäumende Treffen in gewisser Hinsicht eine Finte gewesen war, die Julius aufgedeckt hatte, als er die Zehnte in Schlachtformation hatte aufstellen lassen. Er erinnerte sich an das Aufblitzen von Furcht in den Augen des Königs. Jetzt endlich verstand er. Es war eine Schwäche des Anführers, seinen Priestern so viel Einfluss auf seine Armee zu gewähren, da war sich Julius sicher. Die Griechen hatten sich von ihrer Abhängigkeit von Orakeln behindern lassen, und jeder römische Feldherr, der sich von den Eingeweiden von Vögeln oder Fischen hatte weismachen lassen, dass ihn das Verderben erwartet, hatte wertvolle Zeit oder gar seinen Platzvorteil verloren. Julius weigerte sich, solche Männer aufs Schlachtfeld mitzunehmen, denn er war überzeugt davon, dass sie mehr schadeten als nützten.
Julius hatte seine grobe Landkarte von dem Gebiet, in dem sie sich befanden, mit Gewichten beschwert auf dem Tisch ausgebreitet. Er zeigte auf den schwarzen Strich, der den sich nach Norden schlängelnden Rhein markierte. Der Fluss war weniger als fünfzehn Meilen entfernt. Selbst mit den schweren Karren der Gepäckkolonne ließ sich diese Entfernung bis zum Neumond mit Leichtigkeit zurücklegen, und er dankte den Göttern dafür, dass sie ihm die Haeduer-Sklaven in die Hände gespielt hatten.
»Wir brechen unser Lager eine Stunde vor Tagesanbruch ab, meine Herren«, teilte Julius seinen Heerführern mit. »Ich will, dass die Ballistae, Onager und Skorpione mitkommen, so weit es das Gelände zulässt. Wenn sie zurückfallen, sollen sie eben für die Entscheidungsschlacht nachgebracht werden. Octavian befehligt die Extraordinarii, Marcus Antonius übernimmt meine rechte Flanke, Bericus die linke, und sämtliche Skorpione werden bei jedem Halt nach vorne gebracht. Die Zehnte und die Dritte Gallica bilden die Mitte. Die Männer sollen morgen ein gutes Frühstück bekommen und ihre Wasserschläuche aus den Fässern füllen. Lasst sie alle wissen, was wir heute Abend hier erfahren haben. Das macht ihnen Mut. Sorgt dafür, dass die Speere und die sonstigen Waffen eines jeden Mannes in einwandfreiem Zustand sind.«
Er machte eine Pause, als Marcus Antonius seinen Becher füllte und vor Freude über die Aufgabe, die ihm übertragen worden war, errötete. Marcus Antonius hatte von Ariovists Überheblichkeit bei dem Zusammentreffen gehört und inzwischen akzeptiert, dass die Freundschaft mit Rom ihr Ende gefunden hatte. Zweifellos würden Cäsars Feinde im Senat viel Aufhebens darum machen, aber das war ein Problem für später.
Crassus seufzte unter der Massage von Servilias Sklavenmädchen, das sich seinen Nacken und seine Schultern vorgenommen hatte. Die gefrorenen Früchte, die er gegessen hatte, lagen ihm kalt im Magen, und nachdem er sich auf dem Tisch völlig entspannt hatte, erwartete ihn die Annehmlichkeit des warmen Beckens, das bereits unter dem freien Nachthimmel dampfte. Ihm gegenüber lag Servilia auf einem gepolsterten Sofa und blickte zu den Sternen hinauf. Obwohl kein Mond das Firmament erleuchtete, war der Himmel klar, und sie konnte die winzige rote Scheibe des Mars über dem Ziegeldach erkennen, das den offenen Innenhof umgab. Das Becken mit dem warmen Wasser schimmerte im Licht der Lampen, dicke Motten umflatterten die Flammen und verbrannten knisternd.
»Dieses Haus ist jede einzelne Münze wert«, murmelte Crassus und verzog ein wenig das Gesicht, als das Sklavenmädchen eine schmerzende Stelle zwischen seinen Schulterblättern bearbeitete.
»Ich wusste, dass es dir gefallen würde«, erwiderte Servilia und lächelte mit echter Freude. »So wenige, die mein Haus aufsuchen, haben ein Auge für die schönen Dinge, aber was wären wir wohl ohne sie?«
Ihr Blick fiel auf den frisch bemalten Verputz des neuen Flügels ihres Stadthauses. Crassus hatte sich das Land gesichert, und sie hatte ohne Groll den vollen Marktpreis dafür bezahlt. Alles andere hätte eine Veränderung in ihrer Beziehung bedeutet, und sie mochte und respektierte den alten Mann, der sich dort so behaglich den kräftigen Fingern des nubischen Mädchens hingab.
»Möchtest du mir denn keine Informationen entlocken?«, fragte er, ohne die Augen zu öffnen. »Bin ich dir nicht mehr nützlich?«
Servilia lachte leise und setzte sich auf.
»Wenn du schweigen willst, dann schweige, mein Guter. Mein Haus gehört dir, solange dir der Sinn danach steht. Es bestehen keinerlei Verpflichtungen.«
»Aha, so schlimm steht es also«, erwiderte er und lächelte in sich hinein. »Was möchtest du denn gern wissen?«
»Diese neuen Männer im Senat, Clodius und nun auch Titus Milo, der Eigentümer des Fleischmarktes. Sind sie gefährlich?«, fragte sie. Obwohl sie leise gesprochen hatte, wusste Crassus, dass sie sich völlig auf seine Antwort konzentrierte.
»Sehr sogar«, gab er zurück. »Ich würde den Senat nicht betreten, wenn sie sich dort aufhalten.«
Servilia schnaubte verächtlich. »Du kannst mich mit deiner plötzlichen Begeisterung für den Handel nicht an der Nase herumführen, alter Mann. Ich bezweifle, dass im Senat auch nur ein Wort gesprochen wird, das nicht seinen Weg zu dir findet.«
Sie lächelte ihn zuckersüß an, und er öffnete die Augen und zwinkerte ihr zu, bevor er sich unter den Händen der Sklavin zur Seite drehte, damit sie sich einer anderen Stelle widmen konnte. Servilia schüttelte den Kopf über seine Spielchen.
»Wie geht es mit deiner neuen Legion voran?«, fragte sie.
»Recht gut, meine Liebe. Wenn mein Sohn Publius aus Gallien zurückkehrt, finde ich bestimmt eine Aufgabe für sie. Falls ich die gegenwärtigen Unruhen überlebe.«
»Ist es so schlimm?«, fragte sie.
Crassus stützte sich auf die Ellbogen, und seine Miene wurde ernst.
»Allerdings. Diese neuen Männer beeinflussen den Pöbel von Rom und rekrutieren jeden Tag mehr Leute für ihre Banden. Die Straßen sind nicht mehr sicher, nicht einmal für die Mitglieder des Senats, Servilia. Wir müssen froh und dankbar sein, dass Milo so viel von Clodius’ Zeit in Anspruch nimmt. Falls es so weit kommt, dass einer der beiden den anderen vernichtet, stellt der Sieger garantiert die ganze Stadt auf den Kopf. Momentan halten sie einander noch im Gleichgewicht. Mir ist zu Ohren gekommen, dass sie Teile der Stadt als ihr Eigentum betrachten, so dass die Anhänger des Clodius bestimmte Straßengrenzen nicht überqueren können, ohne verprügelt zu werden, sogar am helllichten Tag. Die meisten Menschen in Rom nehmen diesen Kampf nicht wahr, aber er wird trotzdem ausgefochten. Ich habe die Leichen im Tiber schwimmen sehen.«
»Und Pompeius? Ist er sich der Bedrohung denn nicht bewusst?«
Crassus zuckte die Achseln. »Was kann er gegen ihren Kodex des Schweigens schon ausrichten? Die Raptores fürchten ihre Herren mehr als alles, was Pompeius ihnen antun kann. Er vergreift sich zumindest nicht an ihren Familien, wenn sie tot sind. Sobald eine Verhandlung anberaumt wird, verschwinden die Zeugen oder können sich plötzlich an nichts mehr erinnern. Es ist eine Schande, so etwas mit anzusehen, Servilia. Es ist, als hätte eine schwere Krankheit die Stadt befallen, und ich sehe keine Möglichkeit, wie man sie herausschneiden könnte.« Er seufzte vor Abscheu.
»Der Senat ist der Kern des Ganzen, und ich habe die Wahrheit gesprochen, als ich sagte, ich sei froh, dass mich meine Geschäfte von ihm fernhalten. Clodius und Milo treffen sich öffentlich, um sich einander zu beschnüffeln und zu reizen, bevor ihre Kettenhunde des Nachts die Stadt terrorisieren. Der Senat hat nicht den Willen, sie zu kontrollieren. Alle kleinen Männer haben sich auf die Seite des einen oder anderen geschlagen, und Pompeius hat weniger Unterstützung, als er glaubt. Er kann weder mit ihren Bestechungsgeldern noch mit ihren Einschüchterungen mithalten. Manchmal wünsche ich mir, Julius würde zurückkommen. Er würde nicht zulassen, dass Rom im Chaos versinkt, nicht solange er noch Leben in sich hat.«
Servilia schaute zum hellen Abendstern hinauf und versuchte, ihr Interesse zu verbergen. Als ihr Blick zu Crassus wanderte, sah sie, dass er die Augen geöffnet hatte und sie aufmerksam betrachtete. Es gab nur wenig, was der alte Mann nicht wusste oder nicht erriet.
»Hast du von Julius gehört?«, fragte sie schließlich.
»Allerdings. Er bietet mir Handelskonzessionen mit den neuen Gebieten in Gallien an, obwohl ich vermute, dass er das Bild ein wenig heller malt, als es der Wahrheit entspricht, um mich zu ködern. Aber wenn nur die Hälfte von dem, was er sagt, wahr ist, wäre ich ein Narr, die Gelegenheit zu versäumen.«
»Ich habe die Mitteilungen in der Stadt gesehen«, sagte Servilia leise und dachte dabei an Julius. »Wie viele werden darauf reagieren?«
»Nachdem ihnen Clodius und Milo mit ihrem Machtkampf das Leben hier zur Hölle machen, könnte ich mir gut vorstellen, dass im Frühjahr Tausende die Alpen überqueren. Kostenloses Land für alle – wer könnte einem solchen Angebot widerstehen? Sklaven und Handelsmöglichkeiten für jeden Mann, der gewillt ist, die Reise zu wagen. Wenn ich jünger wäre, und arm, würde ich es mir ernsthaft überlegen. Selbstverständlich halte ich für jeden, der in diese fabelhaften neuen Provinzen gehen will, Vorräte und Ausrüstung bereit.«
Servilia lachte. »Ein Kaufmann durch und durch.«
»Ein Fürst der Kaufleute, Servilia. Julius hat diesen Ausdruck in einem seiner Briefe benutzt, und ich muss sagen, er gefällt mir recht gut.« Er schickte das Sklavenmädchen mit einer Geste fort und setzte sich auf der langen Bank auf.
»Er ist nützlicher, als er selbst weiß, unser Julius. Wenn die Stadt sich zu lange mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, bringt sie Männer wie Clodius und Milo hervor, die nichts sind im Angesicht der großen Geschehnisse auf dieser Welt. Die Berichte, die Julius gegen Bezahlung an jeder Straßenecke verlesen lässt, heben die Stimmung eines jeden Färbers und Gerbers auf den Märkten.« Er lachte auf. »Pompeius weiß das, auch wenn es ihm überhaupt nicht passt, dass Julius so erfolgreich ist. Immer dann, wenn Suetonius einem noch so kleinen Gesetzesbruch widerspricht, ist er gezwungen, im Senat für Julius einzutreten. Das ist für diesen Mann nur schwer zu schlucken, aber ohne Julius und seine Eroberungen würde Rom sich in ein stehendes Gewässer verwandeln, in dem sich die Fische vor Verzweiflung gegenseitig auffressen.«
»Und du, Crassus? Was hält die Zukunft für dich bereit?«
Crassus erhob sich, ging zum Bad und stieg, ohne sich um seine Nacktheit zu scheren, in das in den Fußboden eingelassene Becken.
»Ich stelle fest, dass das Alter das perfekte Heilmittel gegen übermäßigen Ehrgeiz ist, Servilia. Meine Träume gelten allein meinem Sohn.« Seine Augen glitzerten im Sternenlicht, und sie glaubte ihm nicht.
»Gesellst du dich zu mir?«, fragte er.
Anstelle einer Antwort stand Servilia auf und löste die einzige Spange, die das kühle Material ihres Gewandes zusammenhielt. Darunter war sie nackt, und Crassus musste angesichts dieser Enthüllung lächeln.
»Du und deine Vorliebe für das Theatralische, meine Liebe«, sagte er amüsiert.
Julius fluchte, als er die römischen Karrees wanken sah. Nachdem sie den Feind zwei Tage lang verfolgt hatten, hatte er die Sueben gezwungen, sich ihnen nur wenige Meilen vom Rhein entfernt zu stellen. Er wusste, dass er mit dem Angriff hätte rechnen müssen, doch als er kam, schwenkte der Feind so schnell um, dass die Armeen aufeinander prallten, bevor die römischen Legionäre ihre Speere auch nur aus den Halterungen lösen konnten.
Die Krieger des Ariovist waren so brutal, wie die Römer es erwartet hatten. Sie wichen keinen Schritt zurück, es sei denn über die Leichen ihrer eigenen Männer, und ihre Reiterei wirbelte wie Rauch um das Schlachtfeld herum und setzte sofort zum Angriff an, wenn die Römer ihre Blockformationen auflösten, um ihrerseits loszuschlagen.
»Marcus Antonius! Verstärke die Linke!«, brüllte Julius, als er den Heerführer im Gewimmel erblickte. Er wusste nicht, ob dieser seinen Befehl durch das Waffengeklirr hindurch vernommen hatte.
Das Schlachtfeld war ein einziges Durcheinander. Zum ersten Mal begann er, eine Niederlage zu befürchten. Jeder Reiter der Sueben kam mit einem zweiten Mann, der an der Mähne des Pferdes hing, herangaloppiert, und diese rasend schnellen Bewegungen machten es beinahe unmöglich, sie zu stellen. Voller Entsetzen sah Julius, dass auf der linken Flanke zwei der Legionen aus Ariminum kurz davor standen, überwältigt zu werden, und weit und breit war keine Verstärkung zu sehen, die ihnen helfen könnte. Jetzt konnte er auch Marcus Antonius nicht mehr sehen, und Brutus war zu weit weg, mitten im Kampfgetümmel. Julius riss einem Legionär den Schild vom Arm und rannte zu Fuß quer über das Schlachtfeld.
Das Klirren der Waffen und die Schreie der sterbenden Männer wurden immer lauter, je näher er kam. Julius spürte förmlich, wie die Angst unter seinen Legionären um sich griff, und fing an, sie einzeln beim Namen anzurufen. Die Befehlskette schien bei dem plötzlichen Angriff unterbrochen worden zu sein, und Julius war gezwungen, Optios und Zenturios um sich zu scharen, um ihnen seine Befehle zu geben.
»Die Zwölfte und die Fünfte zusammenschließen! Doppelte Karrees!«, wies er sie an und sah zu, wie sie sich daran machten, wieder Ordnung in die sich auflösenden Reihen zu bringen. Seine Extraordinarii hielten die Sueben an den Flanken davon ab, sie zu umfassen. Wo blieb Marcus Antonius? Julius reckte den Hals, konnte ihn im Gedränge aber nirgendwo sehen.
Unter Julius’ pausenlosen Befehlen schlossen sich die beiden Legionen zusammen, und als die Sueben die Seiten ihrer Rechtecke attackierten, indem sie einzelne Männer mit Steinwürfen oder Pfeiltreffern herausholten, vollführten sie sogar eine Kehrtwendung, um Rücken an Rücken zu kämpfen. Wieder und wieder galoppierten die Reiter gegen die Legionen an, um kurz vor den geschlossenen Schilderwällen zurückzuscheuen. Die Legionäre preschten vor, sobald die Reiter umdrehten, das Gemetzel war grauenhaft.
Mit dem Rhein im Rücken konnten die Sueben nirgendwohin fliehen, und Julius fühlte Panik in sich aufsteigen, als er beobachtete, wie die ersten Reihen seiner geliebten Zehnten von aus vollem Galopp geschleuderten Speeren niedergestreckt wurden. Die Schilde retteten viele von ihnen; sie erhoben sich benommen und wurden von den Kameraden um sie herum wieder an ihren Platz geschoben.
Trotzdem erzwangen die Legionen sich ihren Weg nach vorne. Die großen Wurfmaschinen und Steinschleudern wurden herbeigebracht und rissen rote Breschen in den Feind. Die Zehnte brüllte jubelnd auf, als Julius wieder zu den Männern stieß, und alle kämpften unter seinem wachsamen Auge noch heftiger.
Julius sah, dass die linke und rechte Flanke standhielt. Brutus kontrollierte die rechte, und die Extraordinarii und die Haeduer hatten die Angriffe der Sueben mit dem Mut der Entschlossenheit gedämpft. Er zog die Mitte weiter nach vorne, woraufhin die Sueben durch die schiere Wucht der Legionsformationen gezwungen wurden, sich weiter zurückfallen zu lassen.
Voller Stolz sah Julius, dass seine Offiziere ihr Geschäft auch ohne seine direkten Befehle verstanden. Wenn die Fußsoldaten der Sueben auf sie zugerannt kamen, zogen sie ihre Linien in die Breite, um so viele Schwerter wie möglich ins Geschehen einzubringen. Sobald die Kavallerie angriff, schoben sie sich zu Karrees zusammen und kämpften weiter. Die Wurfmaschinen feuerten ein ums andere Mal, bis sie zu weit zurückfielen und Gefahr liefen, ihre Geschosse in die eigenen Truppen zu schleudern.
Julius sah, dass Ariovist seine Leibwache um sich scharte, 1000 der Allerbesten seiner Sueben. Jeder von ihnen überragte die Römer um Haupteslänge und trug jene seltsamen Wülste zur Schau, die die Legionäre so erschreckt hatten. Sie griffen nun die Zehnte im Zentrum an, und Julius sah, dass sich das Karree zu spät formierte, um die gepanzerten Reiter davon abzuhalten, zu ihnen durchzubrechen.
Die Mitte wankte, doch dann schlug die Zehnte mit einem wilden Aufbrüllen zurück, wie ein Haufen Wahnsinniger im Blutrausch. Julius musste daran denken, wie sie aus dem Blut derjenigen geschaffen worden war, die versagt hatten. Ein hässliches Lächeln flog über sein Gesicht. Die Zehnte war seine Legion, und sie würde nicht nachgeben. Sie würde niemals die Flucht ergreifen.
Er stürmte mit den Soldaten rings um sich voran und rief den Zenturios an den Flanken zu, sie sollten die Hörner bilden, mit denen der Feind in die Zange genommen werden konnte. Aus dem Augenwinkel sah er die dunklen Pferde der Haeduer von links herankommen und einen Block der Sueben von der Hauptstreitmacht abtrennen. Die Zehnte musste über Leichen steigen, um an den Feind heranzukommen. Der Boden war rot und glitschig, und sie legten noch mehr Wucht und Geschwindigkeit in ihren Angriff, so dass Ariovist gezwungen war, von der Front nach hinten zu reiten, bevor die laut brüllende Zehnte und Dritte ihn erreicht hatten.
Die gesamte römische Truppe sah den König zurückweichen und reagierte darauf mit erhobenen Köpfen. Julius frohlockte. Der Rhein war nur noch weniger als eine Meile entfernt, er konnte das glitzernde Wasser bereits sehen. Er rief seine Cornicen zu sich und gab Befehl, die Speere zu werfen. Er sah, wie die Wurfgeschosse jeden Versuch Ariovists, sich neu zu formieren, zunichte machten. Eine Lücke öffnete sich zwischen den Armeen, und Julius drängte seine Männer vorwärts, rief die Männer, die er kannte, beim Namen. Sobald er sie persönlich ansprach, standen sie ein bisschen aufrechter, ihre Müdigkeit war unter seinem Blick wie weggeblasen.
»Bringt die Ballistae und Skorpione in Stellung!«, befahl er, und seine Boten eilten nach hinten, um den schwitzenden Mannschaften mit den Maschinen auf dem holprigen Boden zu helfen.
Ohne erkennbares Signal ging die Masse der Sueben zum nächsten Angriff über und kam auf die römischen Linien zugedonnert. Speere pflückten einige von ihnen aus dem Sattel und töteten Pferde, die die Nachrückenden behinderten. Julius wusste, dass dies ihr letzter Angriff war, und seine Männer bildeten dichte Karrees, noch ehe er den Befehl dazu geben konnte.
Die langen römischen Schilde überlappten einander, und die Männer dahinter machten sich mit gezückten Schwertern bereit, der Wucht des Aufpralls standzuhalten. Nirgendwo wich die römische Linie bei dem beängstigenden Anblick der heranpreschenden Pferde auch nur einen Schritt zurück. Sobald der Angriff in sich zusammenfiel, rissen die Legionen den Feind in Stücke.
Die Armee des Ariovist wurde zum Fluss getrieben. Ohne die Extraordinarii und Haeduer hätten sie die Römer überwältigen können, das wusste Julius sehr wohl, doch obwohl sie immer wieder auf die Flanken einschlugen, rückten die Legionen unbeirrt vor und töteten alles, was sich ihnen entgegenstellte.
Das Ufer des Rheins brodelte vor Menschen und Pferden, die unter Lebensgefahr versuchten, trotz der beträchtlichen Strömung auf die andere Seite zu gelangen. Der große Fluss war hier beinahe 100 Ellen breit, und diejenigen, die keine Pferde hatten, an denen sie sich festhalten konnten, wurden weggerissen und ertranken. Julius sah kleine Fischerboote, voll besetzt mit verzweifelten Männern, und er sah zu, wie eines von ihnen umschlug und die dunklen Köpfe der Sueben einer nach dem anderen im Wasser verschwanden.
Auf der linken Flanke legten ungefähr 1000 Feinde ihre Waffen nieder und ergaben sich den Legionen aus Ariminum, die sie nicht hatten zerschlagen können. Julius drängte mit der Zehnten weiter, bis sie am Flussufer standen und auf die Menge der Ertrinkenden blickten, die den Flusslauf von dieser Seite bis zur Mitte, wo das Wasser am tiefsten war, verstopften. Diejenigen Legionäre der Zehnten, die noch Speere zur Hand hatten, schleuderten sie auf die Männer im Wasser, und Julius sah, dass viele auf diese Weise getroffen wurden und mit einem Aufschrei im Wasser versanken.
Am gegenüberliegenden Ufer erreichte ein Boot den flachen Strand, und Julius sah zu, wie Ariovist herausstieg und einen Augenblick lang auf die Knie sank.
»Ciro! «, rief Julius. Seine Stimme trug den Namen weit nach hinten in die Reihen der Zehnten, woraufhin der kraftvolle Legionär erschien, der noch immer von der Anstrengung des Kampfes keuchte. Julius reichte ihm einen Speer und zeigte auf die Gestalt am anderen Ufer.
»Schaffst du es so weit?«
Ciro wiegte den Speer in der Hand. Die Soldaten um ihn herum wichen zurück und machten ihm Platz, während er über den Fluss blickte.
»Rasch, bevor er wieder aufsteht«, knurrte Julius.
Ciro ging fünf Schritt zurück und schleuderte den Speer dann nach dem kleinen Anlauf hoch in die Luft. Die Männer der Zehnten sahen fasziniert zu, wie er zur Sonne emporstieg und sich dann senkte.
Ariovist erhob sich und drehte sich um, blickte zu den Römern auf die andere Seite herüber und sah den Speer nicht kommen. Er riss ihn von den Beinen, durchbohrte seine lederne Rüstung dicht über dem Bauch. Der König fuchtelte hilflos mit den Armen, als ihn einige Überlebende seiner Leibwache zwischen die Bäume zogen.
Nach einem Augenblick ehrfürchtigen Schweigens jubelten die Legionäre, bis sie heiser waren. Ciro hob den Arm zum Gruß und grinste, als Julius ihm auf den Rücken schlug.
»Der Wurf eines Helden, Ciro. Bei den Göttern, einen besseren habe ich noch nie gesehen. Herkules selbst hätte es nicht besser vermocht.« Dann brüllte Julius mit den anderen seinen Triumph hinaus und spürte die Ekstase, die der Sieg mit sich bringt, wenn das Blut wie Feuer durch die Adern zu rauschen scheint und die müden Muskeln sich vor frischer Kraft spannen.
»Meine ruhmreiche Zehnte!«, rief Julius ihnen zu. »Meine Brüder! Gibt es etwas, das ihr nicht erreichen könnt? Du, Belinus, ich habe gesehen, wie du drei Krieger an vorderster Front niedergestreckt hast. Und du, Regulus, du hast deine Zenturie gehalten, als der arme Dedicas fiel. Du wirst ihm Ehre erweisen, wenn du seinen Federbusch trägst.«
Einen nach dem anderen rief er die Männer, die in seiner Nähe standen, mit Namen an und pries ihren Mut. Nichts war ihm vom Kampfgetümmel des Tages entgangen, und sie alle reckten sich, als sein Blick über ihre Gesichter wanderte. Die anderen Legionen kamen näher heran, um ihn zu hören. Sie spürten seinen Stolz und seine Freude. Er erhob die Stimme, damit sie so weit wie möglich trug.
»Was können wir nach diesem Tag nicht erreichen?« Sie bejubelten seine Worte. »Wir sind die Söhne Roms, und ich sage euch: Dieses Land wird uns gehören! Jeder Mann, der für mich gekämpft hat, bekommt Land und Gold und Sklaven, damit er es bestellen kann. Ihr werdet die neue Nobilitas Roms sein und Wein trinken, der so gut ist, dass euch die Tränen in die Augen steigen. Das schwöre ich euch allen, bei meiner Ehre. Ich schwöre es als Konsul. Und ich schwöre es als Römer in Gallien.«
Julius griff in den aufgewühlten Matsch des Flussufers, der vom Blut der Sueben getränkt war. Er hob eine Handvoll davon auf und hielt sie vor den versammelten Männern in die Höhe.
»Seht ihr diesen Lehm? Diesen blutigen Lehm, den ich in der Hand halte? Ich sage euch: Er gehört euch. Er gehört ebenso zu meiner Stadt wie die Wagenrennen oder die Märkte. Hebt ihn auf, spürt ihn in euren Händen! Könnt ihr es nicht fühlen?«
Mit ungestümer Genugtuung sah er zu, wie die Legionäre seine Handlung scherzend und lachend nachahmten. Sie grinsten ihn an, reckten ihr Stück Land in die Luft, und Julius presste die Faust zusammen, so dass der Lehm zwischen seinen Fingern hindurch- tropfte.
»Vielleicht kehre ich nie wieder nach Hause zurück«, flüsterte er. »Das hier ist meine Zeit. Dies ist mein Weg.«
Tabbic und Alexandria schlugen ihre Mäntel gegen die Kälte eng um sich, als sie sich der verriegelten Tür des Ladens näherten. Die Straßen waren von schmutzigem Eis überzogen, das jeden Schritt zu einem Wagnis machte. Alexandria hielt sich an Tabbics Arm fest, um sowohl sich als auch ihn zu stützen. Ihre beiden Wachen überprüften nach gewohnter Manier die nähere Umgebung, während Tabbic den Schlüssel ins Schloss steckte und leise fluchte, als es klemmte. Rings umher waren die Arbeiter Roms unterwegs zu ihren Geschäften und Arbeitsstätten, und der eine oder andere nickte Alexandria im Vorübergehen steif zu. In diesem beißenden Wind fühlte sich niemand wohl.
»Das Schloss ist eingefroren«, sagte Tabbic, zog den Schlüssel wieder heraus und schlug mit der Faust auf die verzierte Türplatte.
Alexandria rieb sich die Arme und wartete. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihm bei derlei Dingen einen Rat zu geben. Tabbic mochte ein reizbarer alter Mann sein, aber er hatte dieses Schloss selbst angefertigt, und wenn es überhaupt jemand aufbekam, dann er. Während sie versuchte, nicht auf den Wind zu achten, kramte Tabbic in seinem Juwelierwerkzeug herum und zog einen kleinen Dorn heraus, mit dem er das Eis wegkratzte. Als er damit keinen Erfolg hatte, versuchte er es mit einigen Tropfen Öl und drückte eine Hand nach der anderen gegen das Metall, um den Mechanismus zu erwärmen, wobei er abwechselnd die durch die Berührung eiskalt gewordenen Finger anhauchte.
»Na bitte!«, sagte er, als das Schloss endlich einrastete, die Tür aufschwang und den Blick auf die dunklen Nischen der Werkstatt freigab.
Alexandrias Zähne klapperten, und ihre Hände zitterten. Es würde eine Weile dauern, bis ihr warm genug war, um sich an diffizileren Arbeiten zu versuchen, und wie so oft wünschte sie, Tabbic würde einen Sklaven einstellen, der in der Frühe herkam und das Schmiedefeuer für sie anzündete. Aber davon wollte er nichts hören. Er hatte nie Sklaven besessen und hatte sich verstimmt über Alexandrias Anliegen geäußert. Gerade sie müsse es doch besser wissen, hatte er erwidert.
Als wäre das noch nicht genug, könnte der Sklave obendrein noch zu einer der Banden gehören, womit ihre sämtlichen wertvollen Vorräte schon bald in den Truhen des Clodius oder des Milo verschwinden würden. Derselbe Grund hielt sie davon ab, einen Nachtwächter einzustellen, und Alexandria war jeden Morgen dankbar, wenn sie den Laden unangetastet vorfanden. Dank der Fallen und Schlösser von Tabbic hatten sie bislang Glück gehabt. Zumindest würde es nicht mehr lange dauern, bis sie den Kauf einer geräumigen neuen Werkstatt abgeschlossen hatten, in einer Gegend, die von den Raptores nicht so sehr heimgesucht wurde. Tabbic hatte diesem Vorschlag letztendlich zugestimmt, wenn auch nur, um die großen Aufträge erfüllen zu können, die das Rückgrat ihres Geschäfts bildeten.
Tabbic eilte sogleich zur Esse, um das Feuer anzufachen, Alexandria drückte die Tür gegen den eisigen Wind zu und spreizte mit fast wollüstigem Behagen die steifen Finger.
»Wir gehen dann wieder, Herrin«, sagte Teddus.
Wie immer nach dem morgendlichen Gang konnte ihn sein Bein kaum tragen, und Alexandria schüttelte den Kopf. Teddus verhielt sich jeden Morgen gleich, und obwohl Alexandria ihn noch nie sofort wieder hinaus in die Kälte geschickt hatte, gab er ihr jedes Mal wieder die Möglichkeit.
»Nicht bevor du etwas Warmes zu dir genommen hast«, sagte sie streng.
Er war ein guter Mann, aber sein Sohn hätte ebenso gut stumm sein können, nach dem Interesse zu schließen, das er denjenigen gegenüberbrachte, die er mit seinem Vater bewachte. Morgens war er besonders mürrisch.
Sie vernahmen alle das erfreuliche Knacken und Knistern der Späne und Holzstückchen, mit deren Hilfe Tabbic die Flammen im Ofen zum Leben erweckte. Der große eiserne Klotz reichte aus, um den ganzen Laden zu wärmen. Alexandria durchstieß die Eisschicht auf einem Eimer, den sie am Tag zuvor gefüllt hatte, und goss das Wasser in den alten Eisenkessel, den Tabbic in ebendiesem Schmiedeofen hergestellt hatte. Die alltäglichen Handgriffe wirkten tröstlich, und die drei Männer entspannten sich allmählich, als die Temperatur im Raum über den Gefrierpunkt stieg.
Alexandria fuhr erschrocken zusammen, als sie die Tür hinter sich aufgehen hörte.
»Komm später wieder«, rief sie, verstummte dann aber, als drei entschlossen dreinblickende Männer den engen Raum betraten und sorgfältig die Tür hinter sich schlossen.
»Ich hoffe, das wird nicht nötig sein«, sagte der erste.
Er war ein typisches Produkt der finsteren Seitengässchen Roms. Zu verschlagen, um sich für die Legion zu interessieren, zu verdorben für jede rechtschaffene Arbeit. Alexandria merkte, dass sie ihn riechen konnte; ein ungewaschener, abgestandener Gestank, der sie am liebsten einen Schritt hätte zurückweichen lassen. Der Mann grinste sie an und entblößte eine Reihe dunkelgelber Zähne in verschrumpeltem Zahnfleisch. Er brauchte nicht eigens ausführen, dass er einer der Raptores war, die sich unter Clodius und Milo zusammenrotteten. Die Ladenbesitzer im Viertel wussten schreckliche Geschichten über ihre Einschüchterungen und ihre Brutalität zu erzählen, und Alexandria hoffte, dass Teddus sie nicht provozieren würde. Die Bedrohung, die von diesen hämisch grinsenden Männern ausging, ließ sie begreifen, dass ihr Wächter ganz einfach zu alt für diese Aufgabe war.
»Wir haben geschlossen«, sagte Tabbic hinter ihr.
Alexandria hörte das leise Klirren, als er ein Werkzeug ergriff. Sie drehte sich nicht um, aber die Augen der Eindringlinge richteten sich sofort auf ihn. Der Anführer schnaubte verächtlich.
»Nicht für uns, alter Mann. Es sei denn, du willst für immer schließen«, sagte er.
Alexandria hasste ihn für seine durchtriebene Arroganz. Er schuf und baute nichts, schien jedoch zu glauben, er habe das Recht, die Läden und Wohnungen schwer arbeitender Menschen zu betreten und ihnen Angst einzujagen.
»Was willst du?«, fragte Tabbic.
Der Anführer der drei kratzte sich am Hals und betrachtete das, was er dort gefunden hatte, bevor er etwas Dunkles zwischen den Fingernägeln zerknackte.
»Ich will deinen Zehnten, alter Mann. Diese Straße hier ist nicht sicher, wenn du deinen Zehnten nicht bezahlst. Achtzig Sesterze im Monat, dann passiert nichts. Niemand wird auf dem Heimweg verprügelt. Nichts Wertvolles brennt nieder.« Er machte eine kleine Pause und zwinkerte Alexandria zu. »Niemand wird in eine Gasse gezogen und geschändet. Dafür sorgen wir.«
»Du elendes Stück Dreck!«, rief Tabbic. »Wie kannst du es wagen, meinen Laden zu betreten und mir zu drohen? Hinaus mit dir, sonst rufe ich die Wache! Und nimm deine grinsenden Freunde mit!«
Die drei Männer schienen von seinem Wutausbruch gelangweilt zu sein.
»Hab dich nicht so, alter Mann«, sagte der erste und rollte seine massigen Schultern. »Und leg den Hammer weg, sonst wirst du sehen, was du kriegst. Oder vielleicht den Jungen hier? Ich nehme ihn mir direkt vor deinen Augen vor, wenn du willst. Jedenfalls gehe ich nicht ohne die erste Monatszahlung. Clodius kann es nicht leiden, wenn jemand Scherereien macht, und diese Straße gehört jetzt ihm. Bezahl lieber deine Schulden, dann hast du deine Ruhe.« Er lachte leise, und bei dem Geräusch überlief es Alexandria eiskalt. »Du darfst es einfach nicht als dein Geld betrachten. Es ist nur eine zusätzliche städtische Steuer.«
»Ich bezahle meine Steuern!«, brüllte Tabbic ihn an und fuchtelte mit einem schweren Hammer in die Richtung des Mannes, der kurz zusammenzuckte. Die beiden anderen hinter ihm rückten näher. Alexandria sah Messer in ihren Gürteln.
Teddus zog mit einer einzigen raschen Bewegung seinen kurzen Gladius, und innerhalb einer Sekunde schlug die Atmosphäre im Laden um. Alle drei Eindringlinge zückten ihre Messer, doch Teddus hielt das Schwert mit einer Hand, die stärker war als sein lahmes Bein. Alexandria sah die Verwirrung auf dem Gesicht des Anführers. Keiner von ihnen drehte sich um, als Teddus’ Sohn ebenfalls seinen Dolch zog. Der junge Mann war keine so große Bedrohung wie sein Vater, das wusste der Anführer der Raptores ganz genau. Was noch wichtiger war, er wusste, dass er den Kämpfer entweder umbringen oder verschwinden musste.
»Letzte Warnung, du Hurensohn. Raus!«, sagte Teddus langsam und blickte dem Anführer in die Augen.
Der Bursche ruckte mit dem Kopf vor und zurück wie ein Kampfhahn. Teddus machte einen Schritt, aber der Mann platzte heraus, und sein raues Lachen erfüllte den Laden.
»Bist du nicht ein bisschen langsam? Ich könnte dich gleich hier fertig machen, aber warum sollte ich mir die Mühe machen, wo es doch so viel einfacher ist, in der Dunkelheit auf dich zu warten?« Dann wandte er sich von Teddus ab und musterte Tabbic, der immer noch mit erhobenem Hammer dastand.
»Achtzig Sesterze am Ersten jeden Monats. Erste Zahlung heute Abend. Es ist bloß ein Geschäft, du alter Narr. Soll ich das Geld gleich mitnehmen, oder soll ich zurückkommen und euch mir einzeln vornehmen?«
Wieder zwinkerte er Alexandria zu, und sie wich vor dem Wissen in diesem Blick zurück.
»Nein. Ich gebe dir das Geld. Und wenn du draußen bist, melde ich es den Wachen und sehe zu, wie sie dich in kleine Stücke schneiden.«
Tabbic griff in seinen Mantel, und das Klimpern von Münzen ließ die drei Männer grinsen. Der Anführer schnalzte ärgerlich mit der Zunge.
»Nein, das wirst du nicht tun«, sagte er. »Ich habe Freunde, viele Freunde, und die würden es überhaupt nicht schätzen, wenn man mich hinaus auf den Campus führen und unter das Schlachtmesser legen würde. Deiner Frau und deinen Kindern würde es sehr Leid tun, wenn meine Freunde wegen so etwas wütend würden.«
Dann schnappte er sich den Beutel mit den Münzen und zählte sie rasch durch, bevor er sie in seiner Tunika verschwinden ließ. Er lachte über ihre Gesichter und spuckte einen dunklen Schleimklumpen auf den gefliesten Boden.
»Genau so geht das. Ich hoffe, deine Geschäfte laufen gut, alter Mann. Wir sehen uns nächsten Monat wieder.«
Die drei rissen die Tür auf und lehnten sich gegen den Wind, der in den Laden blies. Sie ließen die Tür hinter sich offen stehen und verschwanden in den dunklen Straßen. Teddus stieß sie zu und legte den Riegel vor. Tabbic sah tatsächlich wie ein alter Mann aus, als er sich von Alexandria abwandte, weil er ihren Blick nicht ertragen konnte. Er war blass und zitterte, als er den Hammer auf die Werkbank legte und den langen Besen in die Hand nahm. Dann fing er an, mit langsamen Bewegungen den Boden zu fegen.
»Was sollen wir jetzt tun?«, wollte Alexandria wissen.
Tabbic blieb ihr lange eine Antwort schuldig, bis sie die Frage beinahe noch einmal laut und dringlich gestellt hätte, um das Schweigen zu brechen.
»Was können wir schon tun?«, sagte er schließlich. »Ich setze das Leben meiner Familie nicht aufs Spiel.«
»Wir könnten den Laden schließen, bis der neue so weit ist. Er liegt fast auf der anderen Seite der Stadt, Tabbic. In einer besseren Gegend. Dort ist es bestimmt anders.«
Verzweiflung und Müdigkeit zeigten sich in Tabbics Gesicht.
»Nein. Der Drecksack hat nichts davon gesagt, ob der Laden offen sein muss oder zu. Er wird sein Geld auf jeden Fall verlangen, auch wenn wir kein einziges Stück verkaufen.«
»Dann machen wir eben einen Monat lang mit. Bis wir schließen und wegziehen«, sagte sie, denn sie wollte einen Funken Hoffnung in sein lähmendes Elend bringen.
Tabbic hasste Diebe. Ihnen Geld auszuhändigen, für das er tagelang gearbeitet hatte, verletzte ihn tiefer als körperlicher Schmerz. Seine Hände zitterten vor Zorn, als er den Besen anders anpackte. Dann blickte er auf.
»Es gibt keinen anderen Ort, Mädchen. Weißt du das denn nicht? Mich wundert nur, dass sie nicht schon früher gekommen sind. Erinnerst du dich an den kleinen Geranas?«
Alexandria nickte. Der Mann war sogar noch länger Juwelier gewesen als Tabbic und hatte wunderbare Goldarbeiten angefertigt.
»Als er nicht bezahlen wollte, haben sie seine rechte Hand mit dem Hammer bearbeitet. Ist das zu glauben? Mit einer zerschlagenen Hand kann er kein Geld verdienen, aber das ist ihnen egal. Sie wollten nur, dass sich die Geschichte herumspricht, damit Männer wie ich ohne Gezeter das aufgeben, wofür wir so hart gearbeitet haben.« Er blieb stehen und fasste den Besenstiel immer fester mit beiden Händen, bis er mit einem lauten Knacken zerbrach.
»Hol jetzt lieber dein Werkzeug heraus, Alexandria. Wir müssen heute drei Stücke fertig machen.«
Seine Stimme klang hart und tonlos, und Tabbic machte keine Anstalten, seine morgendliche Routine weiterzuführen, mit der der Laden für die ersten Kunden vorbereitet wurde.
»Ich habe Freunde, Tabbic«, sagte Alexandria. »Auch wenn Julius und Brutus fort sind ... Crassus kennt mich. Ich kann versuchen, Druck auf diese Kerle auszuüben. Das ist doch gewiss besser als gar nichts.«
Tabbics verbissener Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. »Tu das. Es kann ja nicht schaden«, sagte er.
Teddus seufzte und schob sein Schwert wieder in die Scheide. »Tut mir Leid«, murmelte er.
Tabbic hörte seine Worte. »Es braucht dir nicht Leid zu tun. Diesem großspurigen Drecksack hast du nicht gefallen, egal, was er gesagt hat.«
»Warum hast du ihm das Geld gegeben?«, fragte Alexandria.
Tabbic schnaubte verächtlich. »Weil dein Wächter ihn sonst getötet hätte, und dann wären sie zurückgekommen und hätten uns den Laden niedergebrannt. Sie dürfen keinen von uns gewinnen lassen, Mädchen, sonst zahlen alle anderen auch nicht mehr.«
Er wandte sich Teddus zu und klopfte dem Mann mit seiner großen Hand auf die Schulter, ohne sich um dessen Verlegenheit zu scheren.
»Das hast du gut gemacht. Aber ich würde mir anstelle deines Sohnes jemand anderen suchen, verstehst du? Für so eine Arbeit braucht man einen eiskalten Kämpfer. Und jetzt gebe ich euch etwas Warmes zu trinken und einen Bissen zu essen, bevor ihr geht, aber ich möchte, dass ihr heute Abend ein bisschen früher herkommt, verstanden?«
»Ich werde hier sein«, versprach Teddus und warf einen kurzen Blick auf das rot angelaufene Gesicht seines Sohnes.
Tabbic sah in an und nickte zufrieden.
»Du bist ein guter Mann«, sagte er. »Ich wünschte nur, Mut wäre alles, was nötig ist.«
Brutus untersuchte das zersprungene Glas der Wasseruhr. Sogar mit Pelzhandschuhen waren seine Finger taub vor Kälte. Er wollte nur noch in seine Unterkunft zurück und sich dort wie ein Bär im Winterschlaf einigeln. Trotzdem mussten die täglichen Abläufe der Legion fortgeführt werden. Obwohl die Kälte den Männern schlimmer zusetzte als alles, was sie bisher gekannt hatten, mussten die Legionswachen vom dreistündigen Tropfen des Wassers von einer Glasschüssel in die andere angezeigt werden. Brutus fluchte leise vor sich hin, als sich unter seiner Berührung ein Stück Glas löste und mit einem dumpfen Geräusch in den Schnee fiel. Er rieb sich den kurzen Bart, der sein Gesicht bedeckte. Julius hatte eingesehen, dass es Vorteile hatte, wenn man sich in den kalten Monaten nicht rasierte, doch Brutus hatte festgestellt, dass die Feuchtigkeit seines Atems innerhalb einer Stunde im Freien eine Eiskruste über die Stoppeln legte.
»Die Schutzhütten reichen nicht aus. Wir müssen Feuer darunter anzünden. Gerade so viel, dass das Wasser nicht gefriert. Du hast meine Erlaubnis, für jede Uhr ein paar Holzscheite aus dem Lager zu holen. Die Wächter sollen die Feuer während ihrer Wachen in Gang halten. Könnte mir denken, dass sie dankbar für die Wärme sind. Die Schmiede sollen eine eiserne Hülle anfertigen, damit das Glas und das Holz von den Flammen geschützt werden, sonst verkocht die Hälfte des Wassers.«
»Jawohl, Herr. Vielen Dank«, sagte der Tesserarius erleichtert, dass man ihm keine Vorwürfe machte. Insgeheim hielt Brutus den Mann für einen Idioten, weil er nicht selbst daran gedacht hatte, und nun hatte die Zehnte keine Möglichkeit mehr, die Dauer ihrer Wachen zu messen.
Die römischen Soldaten verstanden inzwischen, weshalb die Stämme im Winter nicht in den Krieg zogen. Der erste Schnee war so dicht und schwer gefallen, dass er die Dächer der Unterkünfte eingedrückt und die gemütlichen Schlafräume in ein Chaos aus Wind und Eis verwandelt hatte. Am darauffolgenden Tag hatten sich die Schneewehen immer höher aufgetürmt, und nach einem Monat konnte sich Brutus kaum mehr daran erinnern, wie es sich anfühlte, wenn einem warm war. Obwohl sie jeden Abend direkt hinter den Wällen riesige Feuer anzündeten, reichte die Wärme nur wenige Fuß weit, bevor sie vom unablässigen Wind zerstoben wurde. Er hatte Eisschollen, so groß wie Ochsenkarren, auf dem Rhein treiben sehen, und manchmal fiel der Schnee so heftig, dass er eine wogende Kruste von einem Ufer zum anderen bildete. Brutus fragte sich, ob der Fluss vor dem Frühling wohl völlig zufrieren würde.
Es hatte den Anschein, als verbrächten sie ihre Tage in Dunkelheit. Julius hatte die Männer so lange arbeiten lassen wie möglich, doch nachdem halb erfrorene Hände immer wieder wegrutschten und unnötige Verletzungen verursachten, sah er sich gezwungen, die Bauarbeiten einzustellen und sich mit dem Winter zu arrangieren.
Brutus marschierte durch das Lager und rutschte immer wieder schmerzhaft in den karstigen Furchen der Versorgungskarren aus. Da es kein Gras mehr gab, waren sie gezwungen gewesen, die meisten Ochsen zu schlachten, denn die Getreideration für die Legionen reichte nicht auch noch für die Zugtiere aus. Wenigstens bleibt bei dieser Kälte das Fleisch lange frisch, dachte Brutus bitter. Sein Blick wanderte über die Kadaverhaufen unter der dünnen Schneehülle. Das Fleisch war hart wie Stein, so wie alles andere in diesem Land.
Brutus erstieg den Erdwall des Lagers und blickte hinaus ins graue Nichts. Weiche Flocken berührten seine Wange, ohne auf seiner kalten Haut zu schmelzen. Dort draußen war absolut nichts zu sehen, bis auf die Stümpfe der ersten Bäume, die sie gefällt und zum Verbrennen ins Lager geschleppt hatten.
Der Wald hatte sie zumindest vor dem Wind geschützt. Inzwischen wussten sie, dass sie die am nächsten stehenden Bäume bis zum Schluss hätten stehen lassen sollen, aber nichts hatte die Römer auf die Erbarmungslosigkeit dieses ersten Winters vorbereitet. Es war eine tödliche Kälte.
Brutus wusste, dass viele Männer nicht ausreichend mit warmer Kleidung ausgestattet waren. Diejenigen, denen man Ochsenfelle gegeben hatte, fetteten sie jeden Tag ein, trotzdem wurden sie bretthart. Der Preis für ein paar Fellhandschuhe belief sich zur Zeit auf einen Monatssold und stieg Tag für Tag, nachdem jeder Hase und Fuchs im Umkreis von 100 Meilen von den Fallenstellern zur Strecke gebracht worden war.
Wenigstens waren die Legionen endlich entlohnt worden. Julius hatte von Ariovist genug Gold und Silber erbeutet, um jedem Mann den ausstehenden Sold für die letzten drei Monate auszuzahlen. In Rom wäre ihnen das Geld für Huren und Wein durch die Finger geronnen, aber hier gab es wenig mehr zu tun, als es beim Glückspiel zu riskieren, und viele Männer waren wenige Tage, nachdem sie ihren Anteil erhalten hatten, wieder bettelarm. Die Verantwortungsbewussteren schickten einen Teil ihres Soldes an ihre Angehörigen nach Rom.
Brutus beneidete diejenigen, die über die Alpen zurück nach Ariminum geschickt worden waren, ehe die Pässe zugeschneit waren. Die Männer hatten sich über diese Geste gefreut, aber Brutus wusste, dass sie aus der Notwendigkeit geboren war. In einem derartig harschen Winter war es schon schwer genug, am Leben zu bleiben. Die Krieger der Sueben, die die Schlacht überlebt hatten, konnten nicht so viele dunkle Monate lang bewacht werden. Es war besser, sie als Gladiatoren und Hauswächter zu verkaufen, sie voneinander zu trennen und neu zu schulen. Aufgrund der Tradition, dass die Erlöse von Kampfsklaven an die Legionäre gingen, würden die tausend Sueben den Männern, die sie besiegt hatten, mindestens eine Goldmünze pro Kopf einbringen.
Hier oben auf der Brustwehr blies der Wind heftiger, und Brutus fing an, im Kopf bis 500 zu zählen, zwang sich, wenigstens so lange auszuhalten. Diejenigen, die hier oben Wache stehen mussten, befanden sich in einer Welt grauer Trübsal; sie sollten sehen, dass er bereit war, dieses Elend mit ihnen zu teilen.
Er schlug den Mantel fester um die Brust und krümmte sich bei jedem Atemzug, der ihm in die Kehle biss, ein wenig zusammen, bis er wünschte, sie wäre so gefühllos wie sein restlicher Körper. Cabera hatte ihn vor der Gefahr gewarnt. Er trug zwei Paar wollene Socken in den Sandalen, obwohl das überhaupt keinen Unterschied zu machen schien. 18 Mann hatten seit dem ersten Schnee Finger oder Zehen eingebüßt, und ohne Cabera wären es wesentlich mehr gewesen. Alle Fälle waren in den ersten paar Wochen aufgetreten, ehe die Männer gelernt hatten, sich vor der Kälte in Acht zu nehmen. Brutus hatte zugesehen, wie einer der eingeschrumpelten schwarzen Klumpen mit einer schweren Hufzange abgeschnitten wurde, und am merkwürdigsten war der gleichgültige Blick auf dem Gesicht des Legionärs gewesen. Auch als die eisernen Klingen seinen Knochen durchtrennten, hatte er keinen Schmerz empfunden.
Der Legionär, der ihm am nächsten stand, wirkte wie eine Statue, und als Brutus näher an ihn heranschlurfte, sah er, dass die Augen des Mannes geschlossen waren. Das Gesicht unter dem wuchernden Bart sah blass und fleckig aus. Auf Einschlafen während der Wache stand die Todesstrafe, doch Brutus schlug dem Mann nur zum Gruß auf den Rücken und tat so, als bemerke er das ängstliche Zusammenzucken nicht, als der Mann erschrocken die Augen aufriss und sie wegen des Windes sofort wieder zu schmalen Schlitzen zusammenkniff.
»Wo sind deine Handschuhe, mein Junge?«, fragte Brutus, als er die verkrampften blauen Finger erblickte, die der Soldat aus der Tunika zog und Habachtstellung einnahm.
»Hab ich verloren, Herr«, antwortete der Legionär.
Brutus nickte. Zweifellos war dieser Mann als Spieler ebenso tauglich wie als Wachposten.
»Wenn du deine Hände nicht warm hältst, verlierst du die auch noch. Nimm meine. Ich habe noch ein Paar.« Brutus sah zu, wie der junge Legionär versuchte, die Handschuhe überzustreifen. Er schaffte es nicht, und nach kurzem Kampf fiel einer von ihnen zu Boden. Brutus hob ihn auf und schob ihn über die halb erfrorenen Finger des Soldaten. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Einer plötzlichen Regung folgend, löste er die Spange seines mit Pelz verbrämten Mantels und schlug ihn um die Schultern des jungen Mannes, wobei er versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen, als der beißende Wind trotz der dicken Unterkleidung über seinen eigenen ungeschützten Körper herfiel. Seine Zähne fingen zu klappern an, und Brutus biss sie fest zusammen, um sie zur Ruhe zu bringen.
»Bitte, Herr, ich kann doch deinen Mantel nicht nehmen«, sagte der Wächter.
»Der hält dich bis zur Ablösung einigermaßen warm, mein Junge. Wenn du willst, gib ihn demjenigen, der dich ablöst. Das überlasse ich dir.«
»Das werde ich tun, Herr. Vielen Dank.«
Brutus wartete, bis die erste Farbe in die Wangen des Soldaten zurückkehrte. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich überraschend froh gelaunt, als er wieder von der Brustwehr hinabstieg. Die Tatsache, dass er seinen Rundgang durch das Lager beendet hatte, trug natürlich dazu bei. Ein heißer Rindfleischeintopf und ein von heißen Steinen angewärmtes Bett würden ihm über den Verlust seines einzigen Mantels und seiner einzigen Handschuhe hinweghelfen. Er hoffte nur, dass er in der folgenden Nacht, wenn er seinen Rundgang ohne sie antreten musste, noch ebenso fröhlich sein würde.
Julius zog einen eisernen Schürhaken aus dem Feuer und tauchte ihn in zwei Becher mit Wein. Zerstampfte Nelkenstückchen, die auf dem Wein schwammen, zischten, und Dampf stieg auf, als er das Eisen abermals in die Flammen schob und Mhorbaine einen Becher anbot.
Wenn er sich umschaute, konnte Julius beinahe an die Dauerhaftigkeit der neuen Gebäude glauben. Sogar in der kurzen Zeit vor dem ersten Schneefall hatten seine Legionen die Straße von der römischen Provinz im Süden beinahe bis auf fünf Meilen an die neuen Lager herangeführt. Die dabei gefällten Bäume gaben Balken für die neuen Unterkünfte ab, und Julius war sehr erfreut über ihr Vorankommen gewesen, bis der Winter in einer einzigen Nacht zugeschlagen hatte und am darauf folgenden Morgen ein Wachposten erfroren auf der Mauer gefunden worden war. Die Arbeit im Steinbruch war ausgesetzt worden, und der Legionsalltag hatte sich radikal verändert, nachdem sämtliche Versuche, die Verbindung mit dem Süden doch noch herzustellen, zu einem grundlegenderen Kampf ums Überleben geworden waren.
Aber sogar inmitten all dieser Mühen hatte Julius seine Zeit zu nutzen gewusst. Die Haeduer waren an die bitterkalten Winter gewöhnt, also setzte er sie als Boten ein, um mit möglichst vielen Stämmen, die sie kannten, in Verbindung zu bleiben oder neue Kontakte zu knüpfen. Nach dem letzten Stand hatte Julius sich mit neun von ihnen verbündet und die Gebiete dreier weiterer beansprucht, die von dem Land, das Ariovist aufgegeben hatte, leicht zu erreichen waren. Wie viel davon halten würde, wenn der Winter endlich vorüber war, wusste er nicht zu sagen. Wenn sie zu ihren Versprechen standen, würde er über genug Freiwillige verfügen, um im Frühling zwei neue Legionen aufzustellen. Zweifellos hatten viele der kleineren Stämme nur zugestimmt, um die Fertigkeiten zu erlernen, mit Hilfe derer die Helvetier und die Sueben besiegt worden waren, aber Julius hatte zusammen mit Marcus Antonius geplant, diese neuen Legionen mit ihm treu ergebenen Männern zu durchsetzen. So hatte er es auch mit denjenigen gemacht, die ihm Cato geschickt hatte, um seinen Sohn zu schützen. Sogar aus den Söldnern unter Catilina hatte er Legionäre gemacht. Ob sie es wussten oder nicht, die Gallier, die zu ihm kamen, würden ebenso römisch werden wie Ciro oder Julius selbst.
Mehr Sorgen bereiteten ihm die Stämme, die auf sein Angebot überhaupt nicht reagierten. Die Belger hatten den Boten der Haeduer blenden lassen und sein Pferd sodann bis kurz vor das römische Winterlager geführt, von wo aus das Tier selbst zu Wärme und Futter zurückfand. Die Nervier hatten sich geweigert, seinen Boten zu empfangen, und drei andere Stämme waren ihrem Beispiel gefolgt.
Julius konnte kaum das Frühjahr erwarten. Der Augenblick des Triumphs, den er empfunden hatte, als Ariovist niedergestreckt worden war, hatte sich nicht wiederholt, doch er war immer noch von einem Selbstvertrauen erfüllt, das er sich selbst nicht erklären konnte. Gallien würde ihm gehören.
»Die Stämme, die du erwähnst, haben noch nie gemeinsam gekämpft, Julius. Eher kann man sich die Haeduer Rücken an Rücken mit den Arvernern vorstellen, als dass diese Stämme zu Brüdern werden.«
Mhorbaine nippte an seinem heißen Wein und beugte sich wohlig näher ans Feuer.
»Mag sein«, gab Julius zu, »aber meine Männer haben auf der Landkarte Galliens noch so gut wie kein Zeichen hinterlassen. Es gibt immer noch Stämme, die nicht einmal von uns gehört haben – wie sollen sie die Regentschaft von jemandem anerkennen, den sie noch nie gesehen haben?«
»Du kannst nicht gegen sie alle kämpfen, Julius. Nicht einmal deine Legionen schaffen das«, antwortete Mhorbaine.
Julius schnaubte verächtlich. »Sei dir da nicht so sicher, mein Freund. Meine Legionen könnten Alexander den Großen niedermachen, wenn er sich ihnen in den Weg stellte, aber ich weiß nicht, wohin ich sie nach diesem Winter als Nächstes führen soll. Weiter nach Norden? Nach Westen? Soll ich die mächtigeren Stämme heimsuchen und sie einen nach dem anderen schlagen? Fast hoffe ich, sie würden sich zusammenschließen und gemeinsam kämpfen, Mhorbaine. Wenn ich die stärksten von ihnen breche, erkennen auch die anderen unser Recht auf dieses Land an.«
»Du hast schon jetzt die Besitztümer Roms verdoppelt«, rief ihm Mhorbaine in Erinnerung.
Julius starrte in die Flammen und gestikulierte mit seinem Becher gegen die Kälte draußen an.
»Ich kann nicht hier sitzen und darauf warten, dass sie zu mir kommen. Jeden Augenblick könnte ich nach Rom zurückgerufen werden, ein anderer Mann könnte hier an meine Stelle gesetzt werden.« Er hielt sich gerade noch zurück, ehe er zu viel sagte, denn Mhorbaines waches Interesse war ihm nicht entgangen. Obwohl der Mann sich als wertvoller Verbündeter erwiesen hatte, waren Julius dank des Weines schon jetzt zu viele Worte über die Lippen gekommen.
Der letzte Brief von Crassus, bevor der Winter die Pässe über die Alpen unpassierbar gemacht hatte, war Besorgnis erregend gewesen. Pompeius entglitt die Kontrolle über die Stadt, und Julius hatte über die Schwäche des Senats geschäumt. Beinahe hätte er gewünscht, Pompeius würde sich zum Diktator ernennen, um die Tyrannei von Männern wie Clodius und Milo zu beenden. Sie waren zwar nur Namen für ihn, doch Crassus nahm die Bedrohung ernst genug, um seine Befürchtungen einzugestehen, und Julius wusste, dass der alte Mann sich nicht von harmlosen Schattengestalten erschrecken ließ. Einmal war Julius sogar drauf und dran gewesen, nach Rom zurückzukehren und Pompeius im Senat den Rücken zu stärken, doch dann hatte der gallische Winter diesen Überlegungen ein Ende gesetzt. Es war ein schrecklicher Gedanke, dass die Stadt, die er liebte, in Korruption und Gewalt versank, während er hier neue Gebiete für sie eroberte. Schon lange hatte er akzeptiert, dass die Länder mit Blut erobert werden mussten, aber diese Vision hatte keinen Platz in seiner eigenen Heimat; allein der Gedanke daran erfüllte ihn mit Zorn.
»Es gibt so viel zu tun!«, sagte er zu Mhorbaine und streckte die Hand abermals nach dem Schürhaken in den Flammen aus. »Und mir bleibt nichts, als mich mit Plänen und Briefen zu quälen, die ich nicht einmal abschicken kann. Hattest du nicht gesagt, der Frühling sollte inzwischen angefangen haben? Wo ist das Tauwetter, das du mir versprochen hast?«
Mhorbaine zuckte die Achseln.
»Bald«, sagte er, wie schon so oft zuvor.
Als der Frühling kam, verstopften mehr als 7000 Familien die Straßen, die nach Norden aus Rom hinausführten. Aus den brodelnden Gassen der Stadt ergoss sich ein Exodus, um das neue Land in Besitz zu nehmen, das Julius versprochen hatte. Diejenigen, die sich vor der Macht eines Clodius oder eines Milo fürchteten, machten sich auf, um ein neues Leben fern der Verbrechen und des Schmutzes der Stadt anzufangen. Sie hatten alles verkauft, was sie besaßen, um dafür Werkzeuge und Saatgut zu erwerben, dazu Ochsen, um ihre Wagen zu ziehen. Es war eine gefahrvolle Reise, über 300 Meilen bis zu den Ausläufern der Alpen, und von dort aus in die Unwägbarkeiten der jenseitigen Gebiete.
Da Julius die Legionen aus Ariminum abgezogen hatte, war der Norden weitgehend frei von patrouillierenden Soldaten; der Schutz der römischen Gebiete war bis zum Zerreißen ausgedünnt. Obwohl die Gasthäuser am Straßenrand und die befestigten Lager immer noch bemannt waren, trieben auf den langen Strecken dazwischen Diebe ihr Unwesen, und viele Familien wurden überfallen und in Elend und Verzweiflung am Straßenrand zurückgelassen. Einige wurden von Mitleidigen aufgenommen, andere mussten sich ihren kärglichen Lebensunterhalt erbetteln oder verhungern. Diejenigen, die es sich leisten konnten, Wachen anzuheuern, waren besser dran. Sie gingen mit gesenkten Köpfen an den jammernden und weinenden Menschen vorüber, die vor ihnen hier entlanggekommen waren und nun mit ausgestreckten Händen im Frühlingsregen standen.
Pompeius verlas in Sondersitzungen des Senats die Berichte von Julius’ Siegen, sobald er sie erhielt. Es war eine eigenartige Rolle, in die er da gedrängt worden war, und manchmal schüttelte er den Kopf angesichts der Ironie, die darin lag, dass er Cäsar unterstützte, um die neuen Männer im Senat unter Kontrolle zu halten. Crassus hatte ihn überzeugt, dass die Siege in Gallien das Einzige waren, das die Stadt davon abhielt, in nackte Panik auszubrechen, während Clodius und Milo ihre geheimen, blutigen Kämpfe um die Vorherrschaft auf den Straßen ausfochten. Trotz der realen Macht, die sie gewonnen hatten, trotz des Einflusses, den sie so brutal einsetzten wie eine Keule, hatten sie nichts für Rom geleistet, sondern taten sich an der Stadt nur gütlich. Weder Clodius noch Milo versäumten auch nur einen der Berichte. Sie waren in den Gossen und Hinterhöfen der Stadt aufgewachsen, ergötzten sich jedoch ebenso wie jeder andere Bürger an den Einzelheiten der Schlachten, die in ihrem Namen geschlagen wurden.
Zuerst war Pompeius bereit gewesen, die Diktatur auszurufen, um sie unter Kontrolle zu bringen. Von den Fesseln des Gesetzes befreit, hätte er beide Männer ohne Verhandlung hinrichten lassen können. Crassus hatte ihn vor einem derart radikalen Schritt gewarnt. Selbst wenn die beiden tot waren, sagte Crassus, würden andere an ihre Stelle treten, und Pompeius und vielleicht auch Rom selbst würden nicht überleben. Der Hydra des römischen Pöbels wüchsen neue Köpfe, und wer auch immer die aus dem Weg Geräumten ersetzte, würde sich davor hüten, sich öffentlich zu zeigen und im Senat zu erscheinen. Crassus hatte stundenlang auf seinen alten Kollegen eingeredet, und Pompeius war die Weisheit seiner Worte nicht entgangen. Statt sich diesen Männern entgegenzustemmen, hatte er sich dazu durchgerungen, sie zu hofieren und zu belohnen. Er hatte Clodius bei der Wahl zum Obersten Richter unterstützt und ein großes Gelage zu seinen Ehren veranstaltet. Gemeinsam hatten sie Kandidaten für die Konsulatswahlen ausgesucht, allesamt schwächere Männer, die nichts unternehmen würden, um den zerbrechlichen Status der Waffenruhe zu verändern. Damit hatte Pompeius eine heikle Balance etabliert, wobei er wusste, dass Clodius sich zum Teil deshalb dazu entschlossen hatte, um ihn gegen Milo zu unterstützen, während ihr eigener Machtkampf andauerte.
Pompeius dachte über die beiden Männer nach, während er auf dem Rostrum den letzten Bericht vorlas. Indem er den einen erhoben hatte, hatte er sich den anderen zum Feind gemacht, und wenn sich ihre Blicke begegneten, fand er in den Augen Milos nichts als Hass. Trotzdem sprach Clodius seinen Namen jetzt mit dem Stolz der Freundschaft aus, und als der Frühling in den Sommer übergegangen war, hatte Pompeius sogar dem Stadthaus dieses Mannes einen Besuch abgestattet und war seinerseits umschmeichelt und hofiert worden. Es war ein gefährliches Spiel, aber es war besser, als alles zu zerschlagen und sich zum Diktator aufzuschwingen. So wie die Dinge standen, hätte das einen Bürgerkrieg bedeutet, und er war sich keineswegs sicher, dass er als Sieger daraus hervorgehen würde.
Als Pompeius sich räusperte und zu sprechen anfing, verneigte er sich leicht zu Clodius hin und sah die Freude, die der Mann sogar bei dieser kleinen Respektsbezeugung empfand. Genau das war es, was Crassus in den Neulingen im Senat gesehen hatte. Obwohl sie ungehobelt und skrupellos waren, sehnten sie sich nach der Ehrbarkeit und dem Ansehen des Amtes, und seit Pompeius seinen neuen Kurs eingeschlagen hatte, war keiner seiner Klienten mehr von Clodius’ Schlägern belästigt worden. Als Pompeius verkündet hatte, er wolle die Rennbahn mit großem Aufwand renovieren, war es Clodius gewesen, der ihn aufgesucht und ihm unbeschränkte finanzielle Mittel dafür zur Verfügung gestellt hatte. Aus Dankbarkeit hatte Pompeius eine Statue für ihn aufstellen lassen und im Senat seine Großzügigkeit gepriesen. Milo hatte mit dem Angebot gekontert, die Via Appia wiederherzustellen, und Pompeius hatte sein Entzücken über die Durchschaubarkeit des Mannes verborgen und ihm erlaubt, seinen Namen an der Porta Capena zu verewigen, dem Tor, an dem die Via Appia von Süden her die Stadt erreichte. Zum ersten Mal seit über einem Jahr hatte er das Gefühl, die Geschicke der Stadt wieder fest in Händen zu halten, während die beiden Männer ihre Kräfte unauffälliger einsetzten, einer so gierig nach Anerkennung wie der andere. Die neuen Konsuln waren auf ihre heikle Stellung aufmerksam gemacht worden und unternahmen nichts, ohne sich zuvor mit ihren Herren abzusprechen. In dieser Pattsituation wurden die privaten Kämpfe fortgeführt.
Pompeius verlas die Liste der Stämme, die Julius in den ersten Schlachten des Frühlings besiegt hatte, und genoss die ungeteilte Aufmerksamkeit, mit der die Senatoren voller Ehrfurcht die Anzahl der Sklaven zur Kenntnis nahmen, die über die Alpen zurückgeschickt worden waren. Die Remer waren Vasallen geworden. Die Nervier waren fast bis auf den letzten Mann vernichtet worden. Die Belger waren gezwungen worden, ihre Waffen niederzulegen und sich zu ergeben. Die Atuatucer waren in eine einzige befestigte Stadt zurückgedrängt worden, die daraufhin erstürmt worden war. Allein 53000 Angehörige dieses Stammes waren an die Sklavenmärkte Roms verkauft worden.
Pompeius verlas Julius’ Berichte, und sogar er konnte den Hader kaum verstehen, der sich hinter den einfach gehaltenen Zeilen verbarg. Julius unternahm nichts, um seine Siege dem Senat zu verkaufen, aber der trockene Ton wurde durch all das, was nicht ausgesprochen wurde, umso eindrucksvoller. Pompeius las bis zu den abschließenden Bemerkungen alles vor, in denen Cäsar den Bericht dem Senat anvertraute und eine Schätzung der jährlichen Steuererträge aus den von ihm eingenommenen Gebieten abgab. Kein Laut war in der Curia zu vernehmen, als Pompeius bei der letzten Zeile angelangt war.
»Ich erkläre, dass Gallien befriedet ist und sich von nun an der rechtmäßigen Herrschaft Roms beugen wird.«
Die Senatoren erhoben sich von ihren Plätzen und brachen in spontanen Jubel aus, der so lange anhielt, bis sie heiser waren und Pompeius sie mit erhobener Hand wieder zur Ruhe mahnte.
Dann sprach Pompeius mit einer Stimme, die den gesamten Raum ausfüllte.
»Senatoren! Unsere Götter haben uns neues Land gewährt. Wir müssen uns als würdig erweisen, es zu regieren. So wie wir Spanien den Frieden gebracht haben, so werden wir ihn diesem noch wilderen Land bringen. Unsere Bürger werden Straßen bauen und die Felder bestellen, um unsere Städte zu versorgen. Sie werden in fernen Gerichtshöfen gehört werden, deren Autorität direkt von uns ausgeht. Wir werden ihnen Rom nicht durch die Stärke unserer Legionen bringen, sondern weil wir im Recht sind, und weil wir gerecht sind, und weil wir von den Göttern geliebt werden.«
»Befriedet? Du hast ihnen geschrieben, Gallien sei befriedet?«, fragte Brutus verwundert. »Es gibt ganze Landstriche in Gallien, in denen man noch nicht einmal von uns gehört hat! Was hast du dir dabei gedacht?«
Julius sah ihn finster an. »Wäre es dir lieber, ich hätte gesagt ›immer noch gefährlich, aber beinahe befriedet‹? Wohl kaum die richtigen Worte, um unsere Siedler über die Alpen zu holen, Brutus.«
»Ich hätte mir auch ›beinahe befriedet‹ verkniffen. Es entspräche mehr der Wahrheit, wenn du gesagt hättest, dass uns diese Wilden mehr als einmal beinahe den Garaus gemacht hätten. Jedenfalls öfter, als mir lieb ist. Dass sie sich seit Generationen gegenseitig bekämpft haben, bis sie in Rom einen gemeinsamen Feind gefunden haben, und dass wir gerade unsere Hand in das schlimmste Wespennest gesteckt haben, das mir jemals untergekommen ist. Das käme der Wahrheit eindeutig näher, Julius.«
»Schon gut, Brutus. Die Sache ist erledigt, und damit Schluss. Ich kenne die Lage ebenso gut wie du, und die Stämme, die noch nie einen römischen Soldaten zu Gesicht bekommen haben, werden uns früh genug kennen lernen, sobald wir das Land mit unseren Straßen durchziehen. Wenn mich der Senat als Eroberer Galliens ansieht, ist wenigstens nicht mehr die Rede davon, mich zurückzurufen, damit ich meine Schulden bezahle. Sollen sie doch das Gold zählen, das ich ihnen schicke und die Sklaven dazu benutzen, den Preis von Weizen und Mais zu senken. Und ich bin in der Lage, bis zum Meer durchzumarschieren und sogar noch weiter. Dies ist mein Weg, Brutus. Siehst du denn nicht, dass ich ihn gefunden habe? Hierfür wurde ich geboren. Ich verlange nicht mehr als noch ein paar Jahre, vielleicht fünf, dann ist Gallien wirklich befriedet. Du sagst, sie haben noch nie von uns gehört? Na schön, dann werde ich eben Länder erobern, von denen Rom nicht einmal weiß, dass es sie gibt! Ich sorge dafür, dass sich über ihre Städte ein Jupitertempel erhebt wie eine Marmorklippe. Ich bringe diesen Völkern, die in Dreck und Verwahrlosung leben, unsere Kultur, unsere Wissenschaft und unsere Künste. Ich führe unsere Legionen bis dorthin, wo das Land auf das Meer trifft, und darüber hinaus. Wer weiß, was jenseits dieser fernen Küsten liegt? Wir besitzen nicht einmal Landkarten von jenen Ländern, Brutus. Es gibt nur Legenden von den Griechen über die nebligen Inseln am äußersten Rand der Welt. Befeuert das nicht deine Phantasie?«
Brutus musterte seinen Freund, antwortete jedoch nicht, denn er wusste nicht, welche Antwort von ihm erwartet wurde. Er erlebte Julius nicht zum ersten Mal in dieser Stimmung, und manchmal konnte er ihn immer noch mitreißen. Doch in diesem Augenblick fing er an, sich zu sorgen, dass Julius womöglich kein Ende ihres Eroberungsfeldzuges ins Auge gefasst hatte. Sogar die Veteranen verglichen ihren jungen Feldherrn mit Alexander, Marcus Antonius tat es ganz offen. Als der stattliche Römer den Vergleich im Rat erwähnt hatte, war Brutus darauf gefasst gewesen, dass Julius die plumpe Schmeichelei entrüstet zurückweisen würde, doch der hatte nur gelächelt, Marcus Antonius an der Schulter gepackt und ihm Wein nachgeschenkt.
Die Ebene der Helvetier war erschlossen, die weiten Graslandschaften in einzelne Höfe für die Siedler aus Rom aufgeteilt worden. Julius hatte seine Versprechungen überstürzt ausgesprochen, und jetzt musste er im Feld bleiben, um sie zu erfüllen. Nur um seine Legionen in Silber auszuzahlen, war er gezwungen, Städte einzunehmen, nicht für den Ruhm zu kämpfen, sondern um die Truhen zu füllen und den Zehnten zurück an den Senat zu schicken. Brutus konnte kein Ende absehen und schien als Einziger in Julius’ Beraterstab allmählich an Sinn und Zweck des Krieges, den sie führten, zu zweifeln. Als Römer konnte er die Vernichtung akzeptieren, die der Vorbote des Friedens war; wenn es aber lediglich darum ging, Julius’ Verlangen nach Macht zu stillen, empfand er keine Freude mehr daran.
Julius wankte nie. Obwohl ihnen der Zusammenschluss der Belger im Frühjahr arg zugesetzt hatte, hatten die Legionen sich die Zuversicht ihres Heerführers zu eigen gemacht und die Belger gnadenlos hinweggefegt. Es war fast so, als wären sie alle vom Schicksal gesegnet, als könnten sie überhaupt nicht verlieren. Von Zeit zu Zeit wurde sogar Brutus davon angesteckt. Dann jubelte er dem Mann zu, der mit erhobenem Schwert vor ihnen stand, dessen eiserne Maske funkelte wie ein feindseliger Gott. Doch er kannte den Menschen dahinter, und er kannte ihn zu gut, als dass er schweigend hinter ihm hergetrottet wäre, so wie es die Legionäre taten. Obwohl sie ihre Siege durch ihre Kraft und Schnelligkeit errangen, sahen sie in Julius denjenigen, der für all das verantwortlich war. Solange er lebte, wussten sie, dass sie nicht geschlagen werden konnten.
Brutus seufzte leise. Vielleicht hatten sie Recht. Der gesamte Ostteil Galliens befand sich unter der Herrschaft der Legionen, Straßen wurden über Hunderte von Meilen gebaut. Rom wuchs dort buchstäblich aus dem Boden, und Julius war derjenige, der die blutige Saat des Wandels brachte. Er schaute seinen Freund an und sah dessen wilden Stolz. Abgesehen von dem lichter werdenden Haar und den Narben war er immer noch weitgehend derselbe, den er seit jeher kannte. Und doch sagten die Soldaten, er sei von den Göttern gesegnet. Seine Anwesenheit auf dem Schlachtfeld war mindestens eine ganze Kohorte wert, so sehr bemühten sie sich, gut für ihn zu kämpfen, und Brutus schämte sich seiner kleinlichen Bedenken und des verbliebenen Restes an Unwillen, gegen den er mit aller Macht ankämpfte.
Publius Crassus war der Befehl über zwei Legionen erteilt worden, um mit ihnen nach Norden zu marschieren, und Julius’ derzeitige Stimmung war der Tatsache geschuldet, dass der Sohn des Senators die Stämme in der Normandie dazu gebracht hatte, die Waffen zu strecken. Jetzt war der Weg zum Meer frei, und obwohl Brutus dagegen argumentiert hatte, fiel ihm nichts mehr ein, um Julius davon abzuhalten, seine geliebten Legionen zur Küste zu führen.
Julius’ Kriegsrat betrat den langen Raum in dem befestigten Lager. Auch diese Männer hatten sich während ihrer Zeit in Gallien verändert, stellte Brutus fest. Octavian und Publius Crassus hatten in den Jahren, die der Feldzug nun schon dauerte, die letzten Reste ihrer Jungenhaftigkeit verloren. Beide Männer wiesen Narben auf, aber sie hatten überlebt und waren stärker geworden. Ciro kommandierte seine Kohorte mit einer Ergebenheit für Julius, die Brutus an einen treuen Hund erinnerte. Während Brutus immer noch mit Domitius oder Renius über seine Zweifel reden konnte, war ihm aufgefallen, dass Ciro immer sofort den Raum verließ, sobald auch nur ein Hauch von Kritik laut wurde. Beide Römer betrachteten einander mit einer Abneigung, die nur um Julius’ Willen nicht offen zutage trat.
Wie wir vor ihm heucheln, dachte Brutus insgeheim. Solange Julius anwesend war, akzeptierten sie alle ihre Rollen als Brüder und ließen ihre persönlichen Auseinandersetzungen beiseite. Es war beinahe so, als könnten sie es nicht ertragen, dass er von ihnen enttäuscht war.
Julius wartete, bis der Wein eingegossen war, und legte seine Notizen vor sich auf den Tisch. Er kannte die Berichte bereits auswendig und brauchte die Aufzeichnungen nicht zu Rate zu ziehen. Selbst Brutus, der in seine Grübeleien abgetaucht war, spürte, dass er sich unter diesem blauen Blick ein wenig aufrichtete, und sah, dass die anderen genauso reagierten.
Letzten Endes sind wir alle seine Hunde, dachte Brutus und griff nach seinem Becher.
»Dein Vertrag mit den Venetern ist nichtig, Crassus«, sagte Julius zu dem jungen Römer.
Der Sohn des Senators schüttelte ungläubig den Kopf, und Julius redete weiter, um ihn von seiner Betroffenheit zu erlösen.
»Ich habe auch nicht erwartet, dass er lange hält. Sie sind auf See zu stark, um sich an uns gebunden zu fühlen. Das Abkommen diente lediglich dazu, sie still zu halten, bis wir in den Nordwesten vorgedrungen sind. Wenn ich jemals das Meer überqueren will, muss ich die Kontrolle über diese Küste haben.« Julius schaute in die Ferne, als erblicke er dort die Zukunft, dann riss er sich von dem Bild los. »Sie haben Legionäre der Kohorte, die du zurückgelassen hast, als Gefangene genommen und verlangen nun im Gegenzug die Freilassung ihrer Männer, die wir als Geiseln festhalten. Wenn wir sie wieder an den Verhandlungstisch bringen wollen, müssen wir sie auf See vernichten. Wahrscheinlich glauben sie, Rom kämpfe nur an Land, aber unter uns gibt es einige, die das besser wissen.«
Er machte eine Pause, damit seine Zuhörer leise lachen konnten, und sah Ciro lächelnd an.
»Ich habe Schiffsbauer und Zimmerleute angeheuert, um einen neuen Hafen und Schiffe zu bauen. Pompeius versorgt uns mit Mannschaften, die durch die Säulen des Herkules und um Spanien herumsegeln und im Norden zu uns stoßen. Das passt sehr gut zu meinen Plänen, außerdem dürfen wir es nicht zulassen, dass sie ihren Eid brechen. Mhorbaine berichtete mir, dass auch andere Stämme unruhig werden, dass sie jede Herausforderung mit Adleraugen beobachten und genau verfolgen, wie wir darauf reagieren.«
»Wie lange dauert es, bis die Schiffe fertig sind?«, wollte Renius wissen.
»Im kommenden Frühjahr sind sie fertig – wenn ich Mittel finde, um sie zu bezahlen. Ich habe eine Anfrage an den Senat losgeschickt und ihn gebeten, für unsere neuen Legionen zu bezahlen. Crassus hat mir versichert, dass er mir das Geld leiht, falls der Senat sich weigert, aber wir haben allen Grund zu der Annahme, dass man in Rom mit unseren Fortschritten hier mehr als zufrieden ist. Vielleicht wird auch der Winter in diesem Jahr nicht so hart, so dass wir in den dunklen Monaten mit unseren Vorbereitungen fortfahren können.«
Julius trommelte mit den Fingern auf den Tisch.
»Ich habe einen Einzelbericht von einem Kundschafter am Rhein. Mehrere germanische Stämme haben den Fluss überquert und sind in unser Gebiet eingedrungen. Sie müssen zurückgeworfen werden. Ich habe fünf Haeduer hingeschickt, um den Bericht zu bestätigen und ihre Anzahl zu schätzen. Ich will sie stellen, bevor sie zu weit in unser Land eindringen. Sobald sie geschlagen sind, habe ich vor, den Fluss zu überqueren und sie zu verfolgen, so wie ich es schon mit den Sueben hätte tun sollen. Ich darf nicht zulassen, dass die wilden Stämme jedes Mal über den Fluss kommen und unsere Flanken attackieren, sobald sie eine Schwäche wittern. Ich will ihnen eine Antwort präsentieren, die sie eine Generation lang nicht vergessen, und den Rhein nach meiner Rückkehr hinter mir abriegeln.«
Er sah sich in der Runde um, während die anderen die Neuigkeiten verdauten.
»Wir müssen rasch reagieren und jede Bedrohung sofort im Keim ersticken. Wenn zu diesem Zeitpunkt auch nur noch eine Störung eintritt, müssen wir unsere Kräfte von einem Ende Galliens bis zum anderen ausdehnen. Ich führe meine Zehnte und die Dritte Gallica unter Brutus zum Rhein. Eine der neuen gallischen Legionen begleitet uns und hält uns den Rücken frei. Gegen einen solchen Feind gibt es keine Loyalitätskonflikte. Mhorbaine hat mir noch einmal seine Kavallerie zugesichert. Der Rest von euch handelt unabhängig und in meinem Namen.
Crassus, ich erwarte, dass du abermals in den Nordwesten ziehst und die Landtruppen der Veneter vernichtest. Verbrenne ihre Schiffe oder zwinge sie zumindest, sich von der Küste zu entfernen, und hindere sie daran, sich an Land mit Nachschub zu versorgen. Domitius, du nimmst zur Unterstützung die Vierte Gallica mit. Marcus Antonius, du bleibst mit deiner Legion hier. Die Zwölfte und die Fünfte Ariminum bleiben bei dir. Du bildest mein Zentrum, und ich erwarte von dir, dass du keines der neu hinzugewonnenen Gebiete verlierst, solange ich weg bin. Gehe mit Umsicht vor, aber schlage zu, falls es nötig sein sollte.
Die letzte Aufgabe ist einfach, Bericus. Deine Ariminum-Legion hat eine Pause verdient, und ich brauche einen guten Mann, der die neuen Siedler über die Alpen begleitet. Der Senat entsendet vier Prätoren als Verwalter der neuen Provinzen. Sie müssen vor Ort in die Gegebenheiten eingewiesen werden.«
Bericus stöhnte und verdrehte die Augen, so dass Julius lachen musste. Der Gedanke, Kindermädchen für Tausende unerfahrene römische Siedler zu spielen, war nicht gerade eine erstrebenswerte Aufgabe, aber er war ein verlässlicher Organisator, und Julius hatte die Wahrheit gesprochen, als er sagte, die Legion habe es redlich verdient, dem fast pausenlosen Kampfgeschehen eine Weile fern zu bleiben.
Julius fuhr mit seinen Anweisungen und Verfügungen fort, bis jeder Anwesende über die Versorgungslinien sowie das Ausmaß seiner Befugnisse Bescheid wusste. Er lächelte, wenn sie ihm klug antworteten, und er beantwortete jede Nachfrage mit der umfassenden Kenntnis, die sie inzwischen von ihm erwarteten. Die Legionäre behaupteten, er kenne den Namen eines jeden Mannes unter seinem Kommando, und ob das nun stimmte oder nicht, Julius hatte jeden Aspekt des Legionslebens gemeistert. Er war niemals um eine rasche, klare Antwort verlegen, was wiederum das Vertrauen der Männer in ihn stärkte.
Brutus sah sich am Tisch um und fand nichts als Entschlossenheit in den Gesichtern derjenigen, die Aufgaben zugeteilt bekommen hatten, welche große Entbehrungen, Schmerzen und vielleicht sogar den Tod für einige oder gar alle von ihnen bedeuteten. Als Julius die Landkarten ausbreitete und anfing, im Einzelnen über Geländebeschaffenheit und Versorgungsprobleme zu reden, beobachte Brutus ihn genau und hörte seine Worte kaum. Wie viele der Männer in diesem Raum würden Rom wohl wiedersehen, fragte er sich. Als Julius die Linie des Rheins mit dem Finger entlangfuhr und sie in seine Überlegungen einweihte, konnte sich Brutus nicht vorstellen, dass der Mann, dem er folgte, jemals aufgehalten werden würde.
Am ersten Herbsttag von Julius’ viertem Jahr in Gallien gingen Pompeius und Crassus gemeinsam über das Forum, tief ins Gespräch versunken. Rings um sie herum wimmelte es auf dem großen, offenen Platz im Zentrum der Stadt von Tausenden von Bürgern und Sklaven. Redner wandten sich an diejenigen, die sich zum Zuhören bewegen ließen, und ihre Stimmen und Parolen trugen weit über die Köpfe der Menge. Sklaven aus wohlhabenden Häusern waren mit Paketen oder Schriftrollen für ihre Herren unterwegs. Es war in Mode gekommen, Haussklaven in leuchtende Farben zu kleiden, deshalb trugen viele von ihnen hellblaue oder goldene Tuniken, eine Unzahl von Farbtönen, die sich mit dem dunkleren Rot und Braun der Arbeiter und Krämer vermischten. Bewaffnete Leibwächter schritten gewichtig einher, wobei jede Gruppe ihren Arbeitgeber in ihrer Mitte führte. Es war das geschäftige, hastig pulsierende Herz der Stadt, und weder Pompeius noch Crassus bemerkten, wie die Stimmung der sie umgebenden Menge sich kaum wahrnehmbar veränderte.
Das Erste, was Pompeius von dem sich zusammenbrauenden Unheil mitbekam, war ein rüdes Anrempeln, mit dem einer seiner Legionäre gegen ihn gestoßen wurde. Schieres Erstaunen ließ Pompeius seine Überlebensinstinkte vergessen, und er blieb stehen. Noch während er zögerte, wurde die Menge um ihn und seine Wächter herum dichter. In den verzerrten Gesichtern spiegelte sich eine hässliche Entschlossenheit. Crassus fing sich schneller und zog Pompeius in Richtung Senatsgebäude. Falls es wieder zu Ausschreitungen kommen sollte, war es am besten, sich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen und es den Wachen zu überlassen, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen.
Die Senatoren waren von drängelnden, höhnisch grinsenden Männern umgeben. Ein Stein flog über ihre Köpfe und traf jemanden in der Menge. Pompeius sah, wie einer seiner Liktoren von einem Schlag mit einem Holzknüppel niedergestreckt wurde, und verspürte einen Augenblick lang Panik, bevor er seinen Mut wiederfand. Er zog einen Dolch aus dem Gürtel und hielt ihn mit der Klinge nach unten, so dass er damit sowohl zustoßen als auch schlitzen konnte. Als einer aus der Menge sich zu dicht an ihn herandrängte, verpasste er ihm ohne zu zögern einen Schnitt in die Wange und sah, wie er mit einem Schrei nach hinten kippte.
»Wachen! Zu mir!«, brüllte Pompeius.
Die Menge drängte näher, und er sah, wie einer seiner Legionäre von drei stämmigen Männern niedergerungen wurde, die wiederholt auf ihn einstachen und dann aus seinem Blickfeld verschwanden. Eine Frau kreischte auf, und Pompeius hörte, wie der Schrei von den entsetzten Bürgern rings um seine Angreifer aufgenommen wurde. Er war sicher, dass es sich um Milos Männer handelte. Eigentlich hätte er damit rechnen müssen, nachdem er ihren Anführer im Senat kaltgestellt hatte, aber Pompeius hatte nur eine Handvoll Soldaten und Liktoren bei sich, und die würden nicht ausreichen. Wieder setzte er seinen Dolch ein und sah, wie Crassus mit der bloßen Faust zuschlug und einem Angreifer die Nase brach.
Die Liktoren waren lediglich mit ihren zeremoniellen Äxten und Ruten zum Züchtigen bewaffnet. Sobald sie die Äxte aber aus dem Gebinde gelöst hatten, erwiesen sie sich in einer so dicht gedrängten Menschenmenge als schreckliche Waffen, mit denen die Liktoren Pompeius und Crassus buchstäblich einen Weg zum Senat frei- hackten. Trotzdem wurden einige von ihnen durch Messerstiche getötet, und der Ring der Sicherheit rings um die beiden Senatoren schrumpfte, bis sie fast keinen Bewegungsspielraum mehr hatten.
Als Pompeius die Fanfarentöne quer über das Forum hallen hörte, empfand er Hoffnung und Verzweiflung zugleich. Seine Legion war für ihn ausgerückt, aber sie würde zu spät kommen. Finger rissen grob an seiner Toga, und er stach und schlitzte mit seinem Dolch hinein, bis sie wieder losließen. Ein Stein riss Crassus von den Beinen; Pompeius zog ihn wieder hoch und ein Stück weiter, hielt ihn dicht an sich gedrückt, als der ältere Mann langsam wieder zu sich kam. Er hatte Blut am Mund.
Der Lärm hämmerte auf sie ein, veränderte sich jetzt ein wenig. Neue Gesichter erschienen in noch größerer Anzahl, und Pompeius sah, dass sie diejenigen niedermachten, die sich abmühten, an ihn heranzukommen. Ganze Gruppen brüllender Männer lösten sich aus der Menge, kämpften nicht wie Legionäre, sondern mit Schlachterbeilen, Fleischerhaken und Steinen in den Fäusten. Pompeius sah, wie das Gesicht eines Mannes durch mehrere Schläge in Brei verwandelt wurde, bevor er umfiel.
Jetzt kam er überhaupt nicht mehr vorwärts, und obwohl er die Stufen zum Senat nur wenige Schritte entfernt erkennen konnte, waren sie für ihn unerreichbar. Wie rasend stieß er seinen Dolch in alles, was er erreichen konnte, und merkte gar nicht, dass er in besinnungsloser Wut laut brüllte.
Ohne Vorwarnung ließ der Druck der ihn umgebenden Leiber plötzlich nach, und Pompeius sah, wie eine Reihe von Raptores ihre blutigen Messer beinahe wie zum Salut erhob, während sie zurückwichen. Überall lagen zertrampelte Leiber und schreiende, verwundete Männer, aber diese Raptores griffen nicht an. Pompeius winkte sie heran und hielt sein Messer gezückt, die Klinge parallel zum Unterarm. Schweiß rann ihm aus allen Poren, und er sah verwundert zu, wie sich die Männer immer weiter zurückzogen, bis sie eine Gasse zu den Stufen des Senats bildeten. Er warf einen kurzen Blick in diese Richtung und überlegte, wie weit er wohl kommen würde, wenn er einfach losrannte, entschied sich jedoch dagegen. Er würde ihnen nicht den Rücken zukehren.
In diesem Augenblick erblickte er die Uniformen seiner Legionäre, die sich durch das Gedränge schoben. Dort stand auch ein keuchender Clodius. Der Anführer des Pöbels wirkte im Vergleich zu den anderen erschreckend kräftig. Er war kein großer Mann, aber er war ungeheuer stark, und die Menge machte ihm instinktiv Platz, so wie Wölfe instinktiv den Blick vom grausamsten Mitglied des Rudels abwandten. Sein rasierter Schädel glänzte in der Morgensonne vor Schweiß. Pompeius konnte ihn lediglich anstarren.
»Sie sind weg, Pompeius, diejenigen, die überlebt haben«, sagte Clodius. »Ruf deine Soldaten zurück.« Seine rechte Hand war nass vor Blut, und die Klinge, die er hielt, war dicht am Griff abgebrochen.
Pompeius kam wieder zu sich, als ein Offizier seiner Legion das Schwert hob, um Clodius niederzustrecken.
»Halt ein!«, rief Pompeius, der endlich begriffen hatte. »Das hier sind Verbündete!«
Clodius nickte bekräftigend, und Pompeius hörte, wie der Befehl weitergegeben wurde, während sich die Legionäre rings um ihn versammelten und ein Schlachtkarree bildeten. Clodius wurde weggedrängt, aber Pompeius hielt ihn am Arm fest.
»Muss ich raten, wer hinter diesem Überfall steckt?«, fragte er. Clodius zuckte die massigen Schultern.
»Er ist bereits im Senatsgebäude. Eine Verbindung zu ihm lässt sich garantiert nicht beweisen. Milo ist schlau genug, um seine Hände sauber zu halten.« In einer ironischen Geste warf Clodius das abgebrochene Messer zu Boden und wischte sich die blutigen Fäuste am Saum seines Gewandes ab.
»Und deine Männer standen bereit?«, fragte Pompeius, der sich sogleich für das ständige Misstrauen verabscheute, das zu einem festen Bestandteil seines Lebens geworden war.
Clodius kniff bei dieser Andeutung die Augen zusammen. »Nein. Ohne fünfzig von meinen Leuten setzte ich keinen Fuß auf das Forum. Es waren genug, um rechtzeitig zu dir durchzudringen. Bevor es losging, wusste ich nichts davon.«
»Dann schulden wir unser Leben deiner raschen Entscheidung«, sagte Pompeius. Als er hörte, wie nicht weit von ihm ein Wimmern abrupt abbrach, wirbelte er herum. »Sind welche übrig, die man befragen kann?«
Clodius sah ihn an. »Nicht jetzt. Bei dieser Art von Arbeit werden keine Namen preisgegeben. Glaube mir, ich kenne mich da aus.«
Pompeius nickte und versuchte zugleich, nicht auf die innere Stimme zu achten, die ihn fragte, ob nicht Clodius die ganze Sache inszeniert hatte. Es war ein unangenehmer Gedanke, aber er stand bei dem Manne in einer Schuld, die ihn für Jahre an ihn binden würde. Nicht wenigen Männern im Senat wäre so eine Schuld durchaus den Tod einiger ihrer Diener wert, und Clodius war bekannt dafür, dass er in keiner Hinsicht besonders zimperlich war. Pompeius sah Crassus in die Augen und konnte sich denken, dass der alte Mann ähnliche Gedanken hegte. Kaum wahrnehmbar hob Crassus die Schultern und ließ sie wieder sinken, und Pompeius sah erneut den Mann an, der ihnen das Leben gerettet hatte. Wahrscheinlich würden sie die Wahrheit nie erfahren.
Pompeius bemerkte, dass er noch immer den Dolch in der Hand hielt. Unter Schmerzen löste er die Finger vom Griff. Neben Clodius’ ochsengleicher Stärke kam er sich alt vor. Am liebsten hätte er sich sofort das Blut von der Haut gewaschen, sich irgendwohin zurückgezogen, wo er vor allem sicher war, und wäre in ein warmes Bad getaucht, aber er wusste, dass mehr von ihm erwartet wurde. Hunderte von Männern standen in Hörweite, und bis zum Abend würde in allen Läden und Tavernen der Stadt über den blutigen Zwischenfall geredet werden.
»Ich komme zu spät zum Senat, meine Herren«, sagte er mit erstarkender Stimme. »Reinigt das Pflaster vom Blut, ehe ich zurückkomme. Die Getreidesteuern warten auf niemanden.«
Es war keine besonders geistreiche Bemerkung, aber Clodius lachte.
Schulter an Schulter mit Crassus ging Pompeius durch die Gasse aus Clodius’ Männern, und viele neigten respektvoll die Köpfe, als sie vorüberschritten.
Die Zehnte zog sich in Panik zurück, ihre geordneten Reihen verwandelten sich in das Durcheinander einer wilden Flucht. Tausende Reiter der Kavallerie der Senonen verfolgten sie, lösten sich vom Hauptgeschehen der Schlacht, dort, wo die Legionen aus Ariminum unbeirrt weiterkämpften und keinen Fußbreit vor dem Feind wichen.
Das Marschlager der vorangegangenen Nacht war weniger als eine Meile entfernt, und die fliehende Zehnte, Julius unter ihnen, legte diese Entfernung mit großer Geschwindigkeit zurück. Die Extraordinarii schützten die Nachhut vor den wilden Angriffen der Senonen, und kein einziger Mann fiel, bis sie die schweren Tore der Festung erreichten und sich hinter die Mauern flüchten konnten.
Die Senonen erwiesen sich als schwierige Gegner. Julius hatte viele Soldaten der Dritten Gallica bei einem Hinterhalt im Wald verloren und seither immer wieder kleinere Verluste hinnehmen müssen. Der Stamm hatte gelernt, sich den Legionen nicht in offener Feldschlacht zu stellen. Stattdessen schlugen die Krieger in kleinen Scharmützeln zu und verschwanden wieder, wobei sie den römischen Truppen mit ihrer Reiterei immer wieder zusetzten, ohne sich dort erwischen zu lassen, wo sie selbst aufgerieben werden könnten.
Die Extraordinarii folgten den Männern der Zehnten durch die Tore des Forts und schlossen sie hinter sich. Es war eine beschämende Position, doch das Fort war eigens zu diesem Zweck errichtet worden. Die Reiter der Senonen ritten johlend und schreiend um die gewaltigen, mit einer steilen Böschung versehenen Wälle, waren jedoch klug genug, sich außer Reichweite zu halten. Schon zweimal zuvor war Julius gezwungen gewesen, seine gesamte Streitmacht hinter diese Befestigungen zurückzuziehen, und die Senonen johlten höhnisch, weil sie es abermals geschafft hatten.
Ihr König ritt mit ihnen; lange Banner wehten von den an seinem Sattel befestigten Speeren. Julius beobachtete von der Mauer aus, wie der Anführer der Senonen den Männern im Fort mit dem Schwert drohte und sie verspottete. Er bleckte die Zähne
»Jetzt, Brutus!«, rief er hinunter.
Die Senonen konnten nicht in das Lager hineinsehen, weshalb ihr Jubel unvermindert anhielt. Der donnernden Hufe ihrer eigenen Pferde wegen hörten sich nicht, wie sich die Extraordinarii am anderen Ende des Lagers sammelten und ihre Reittiere zu einem wilden Galopp quer durch das ausgedehnte Lager antrieben, direkt auf die Mauer in der Nähe des Tores zu.
Während sie immer schneller wurden, rissen fünfzig Mann der Zehnten mithilfe von Holzstangen die losen Holzblöcke ein, aus denen der Wall an dieser Stelle bestand. Sie stürzten ein, genau wie Julius es geplant hatte, woraufhin sich eine Lücke bildete, durch die fünf Pferde nebeneinander hindurchpassten.
Die Extraordinarii schossen wie Pfeile daraus hervor und hielten direkt auf den König zu. Bevor seine Reiter reagieren konnten, war er eingekreist und vom Pferd gezogen worden. Die römischen Berittenen machten vor dem Feind kehrt und galoppierten sofort durch die Lücke in der Mauer zurück; der brüllende König lag quer über Brutus’ Sattel.
Julius ließ das Tor öffnen, und die Zehnte marschierte triumphierend hinaus. Die Panik und die Angst, die sie vorgetäuscht hatten, war verschwunden. Mit lautem Gebrüll warfen sich die Legionäre auf die kopflos durcheinander reitenden Senonen. Die Zehnte drosch mit Speeren und Schwertern auf sie ein, drängte die Gallier immer weiter vom Lager und ihrem gefangenen König fort. Hinter ihnen wurde die Bresche in der Mauer rasch mit Karren geschlossen, die eigens zu diesem Zweck dort standen, und Julius sprang in den Sattel, um hinter den Feinden herzujagen. Mit einem kurzen Blick über die Schulter versicherte er sich, dass das Fort wieder gesichert wurde.
Sie hatten auf eine mondlose Nacht warten müssen, um die falsche Mauer zu errichten, aber es hätte nicht besser laufen können. Der König der Senonen war für die Angriffe der Feinde entscheidend, ein Mann, der in der Lage war, klug und schnell auf jede neue Strategie zu reagieren. Ihn aus dem Kampfgeschehen zu entfernen war ein wichtiger Schritt zum Sieg über diesen Stamm.
Julius trabte bis zur ersten Reihe der Zehnten und sah ihre Freude über seine Anwesenheit.
Die Legionen aus Ariminum hielten wie angewiesen ihre Stellungen, und jetzt würde die Zehnte von hinten über die Senonen herfallen und sie so zwischen den beiden Heeren aufreiben.
Gleich beim ersten Zusammenprall der Zehnten mit den Reihen der Senonen spürte Julius, dass sich in der Masse ihrer Reiter und Fußsoldaten etwas verändert hatte. Sie hatten sich zu sehr auf ihren König verlassen, ohne ihn waren sie schon jetzt der Panik nahe.
Obwohl sie noch immer versuchten, sich in kleineren Einheiten abzusetzen, so wie es ihnen ihr König an den vorangegangenen Tagen befohlen hatte, war der Kern ihrer Disziplin dahin. Statt sich geordnet zurückzuziehen und sich taktisch neu zu formieren, behinderten sich zwei ihrer Gruppen gegenseitig. Die Zehnte holte sie aus ihren Sätteln und stürmte weiter. Reiterlose Pferde galoppierten laut wiehernd auf dem Schlachtfeld herum. Dann waren die Senonen besiegt. Hunderte von ihnen warfen die Waffen nieder und ergaben sich, sobald sich die Nachricht von der Gefangennahme ihres Königs verbreitete.
Drei Meilen entfernt lag ihre größte Stadt. Julius ließ die Zehnte sofort dorthin marschieren, nachdem die Krieger entwaffnet und als Sklaven gefesselt waren. Der Preis für sie würde seine Truhen noch mehr füllen, und auch von der Stadt hieß es, sie sei wohlhabend. Er hoffte, dass ihm noch genug Mittel für den Ausbau seiner Flotte übrig bleiben würden, nachdem er dem Senat seinen Anteil entrichtet hatte. Dann konnte er endlich den rauen Kanal zwischen Gallien und den Inseln überqueren. Sie hatten von den Venetern neun Schiffe erbeutet, aber er brauchte noch ungefähr zwanzig Galeeren, um mehr als nur einen Voraustrupp über das Meer zu schicken. In einem Jahr könnten sie fertig sein, dann würde er seine besten Männer in Landstriche entsenden, die noch kein Römer zuvor erblickt hatte.
Als die Zehnte auf die Festung der Senonen zumarschierte, musste Julius vor Begeisterung über diese Aussichten laut lachen, obwohl er in Gedanken bereits mit den tausend Einzelheiten hinsichtlich der Versorgung und Verwaltung beschäftigt war, die immer vonnöten waren, wenn seine Männer auf dem Schlachtfeld siegreich gewesen waren. In zwei Tagen sollte er sich mit einer Abordnung der drei Küstenstämme treffen, wovon er sich neuen Tribut und ein neues Abkommen versprach. Nachdem die Flotte der Veneter versenkt oder gestrandet war, hatte sich ihm der gesamte Norden ergeben, und jetzt, da auch die Senonen aus der Gleichung entfernt worden waren, gehörte ihm die Hälfte Galliens. Inzwischen gab es keinen Stamm mehr, der keine Kunde von den Legionen erhalten hätte. Ganz Gallien redete von seinen Eroberungen, und es verging kaum ein Tag, an dem nicht einer ihrer Anführer in sein Lager kam und auf seine Unterschrift unter einem Abkommen wartete. Adàn hatte alle Hände voll zu tun und war sogar genötigt gewesen, drei zusätzliche Schreiber einzustellen, um die zahllosen Kopien und Übersetzungen anfertigen zu können.
Julius überlegte, was er mit dem gefangenen König tun sollte. Wenn er ihn am Leben ließ, war es gut möglich, dass er irgendwann in den kommenden Jahren als Anführer einer Rebellion abermals auf den Plan trat. Des Königs Fähigkeiten schlossen Erbarmen aus, und Julius beschloss sein Schicksal ohne Bedauern.
Als die Stadt der Senonen in Sichtweite kam, betrachtete Julius sie mit Wohlgefallen und stellte sich bereits die Tempel darin vor. Es war bekannt, dass die Senonen ihrer Liebe für die Götter mit Münzen und Schmuck Ausdruck verliehen und über viele Jahre ganze Räume voller Schätze angesammelt hatten. Nachdem die Goldschmiede der Legion das Edelmetall in Barren eingeschmolzen und daraus neue Münzen geprägt hatten, würde Julius jedes Wohnhaus und jedes öffentliche Gebäude seiner Schätze berauben lassen. Er würde die Menschen verschonen und unter dem Schutz der Legion am Leben lassen, aber er brauchte ihren Reichtum, um weitermachen zu können.
Aus der Ebene wehte ihm ein kalter Wind ins Gesicht. Julius fröstelte im ersten Hauch eines neuen Winters. Er kniff die Augen zusammen und blickte nach Osten, dachte an die Alpen und an die Entfernung, die er zurücklegen musste. Zum ersten Mal würde er die kalten Monate nicht in Gallien verbringen. Stattdessen wollte er nach Ariminum und dort bei einer Zusammenkunft über die Zukunft entscheiden.
Crassus’ Brief knisterte beim Reiten auf seiner Haut. Julius hoffte nur, dass er den Versprechungen des alten Mannes noch immer vertrauen konnte. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, zurückgerufen zu werden, nicht jetzt, da ganz Gallien offen vor ihm lag. Die Inseln jenseits des Meeres verfolgten ihn in seinen Träumen. Manche behaupteten immer noch, sie existierten überhaupt nicht, aber Julius hatte auf den Klippen der gallischen Küste gestanden und sie weiß in der Ferne schimmern sehen.
Die Stadt der Senonen ergab sich, die Tore wurden aufgerissen. Julius ritt unter den Torbogen ein, in Gedanken bereits in Ariminum und weit in der Zukunft.
Die Legionswachen auf den Mauern von Ariminum waren gut gegen die Kälte geschützt. Als die Nacht hereinbrach, legten sie schwere Umhänge über ihre Rüstungen und wickelten sich Stoffstreifen um die Gesichter, bis nur noch ein schmaler Sehschlitz frei blieb.
Entlang der Brustwehr wurden Feuer in großen Kohlenpfannen entzündet, um die sich die Legionäre stellen durften. Die meisten von ihnen waren frische Rekruten, die aus den Städten im Süden hierher verlegt worden waren, um diejenigen zu ersetzen, die für Cäsar in Gallien kämpften. Ihre Jugend zeigte sich in den gemurmelten neunmalklugen Sprüchen und den streng verbotenen Flaschen mit Branntwein, der sie nach Luft schnappen, husten und einander auf den Rücken klopfen ließ.
Ariminum war eine geschäftige Stadt. Nachdem sich die Winternacht über die Straßen gesenkt hatte, brannten nur wenige Lichter in den Fenstern. Noch vor dem Morgengrauen würden sich die Straßen wieder mit Karren und Waren für die Schiffe füllen. Unterwegs in einen neuen Tag würden die Händler für eine Bronzemünze ein paar warme Bissen erstehen, und dann würden auch die Legionäre auf den Mauern abgelöst werden.
Vor dem Hintergrund der schweigenden Stadt blickte eine der Wachen auf und spähte angestrengt in die Dunkelheit.
»Ich dachte, ich hätte da draußen Pferde gehört«, sagte er.
Zwei weitere Soldaten verließen die Wärme rings um die Kohlenpfanne und gesellten sich zu ihm. Sie lauschten in die vollkommene Stille, und gerade als sie sich wieder umdrehen wollten, hörten sie etwas. In dem eigenartigen Schweigen, das von gefrorenem Boden ausging, trugen Geräusche weiter als normal.
Der jüngste Wachsoldat kniff die Augen zusammen und bewegte den Kopf hin und her. Außerhalb der Mauern gab es nichts als Dunkelheit, trotzdem hätte er schwören können, dass sich diese Dunkelheit jedes Mal verändert hatte, wenn er den Blick auf sie richtete.
Die Schatten verschmolzen zu Umrissen, und der junge Legionär erstarrte. Dann zeigte er mit dem Finger ins Dunkel.
»Dort! Reiter ... kann nicht erkennen, wie viele.«
Die anderen hatten nicht so gute Augen und starrten lediglich auf die Stelle, auf die er zeigte.
»Sind das welche von uns?«, fragte einer von ihnen, um seine Angst zu verbergen. In seiner Phantasie wimmelte es von barbarischen Stammeskriegern, die die Stadtmauern erstürmten. Es schien noch kälter zu werden, und er erschauerte.
»Keine Ahnung. Sollen wir den alten Beißer holen?«
Die Frage ließ die drei jungen Soldaten verstummen. Die Möglichkeit eines Überfalls war eine Sache, ihren Zenturio wegen nichts und wieder nichts aufzuwecken hieß, sich seinem Zorn auszusetzen.
Teras war der Älteste von ihnen. Er hatte nicht mehr Erfahrung als die anderen, denn er hatte sich erst spät anwerben lassen, nachdem er es als Kaufmann nicht zu Reichtum gebracht hatte. Trotzdem sahen sie ihn Rat suchend an, wie sie es auch taten, wenn es um Geld und junge Frauen ging. Er wusste zwar weder über das eine noch über das andere Thema besonders gut Bescheid, umgab sich jedoch stets mit einem Anflug von Weltgewandtheit, der gewaltigen Eindruck auf die jüngeren Rekruten gemacht hatte.
Während er noch zögerte, kam der Reitertrupp näher. In das leise Klirren und Scheppern von Rüstungen mischte sich der gleichmäßigen Schritt marschierender Männer. Der Nachtwind riss an langen Bannern, die unwirsch flatterten, als die dunklen Gestalten auf das Tor zuschritten.
»Na schön. Holt ihn«, sagte Teras und biss sich besorgt auf die Unterlippe.
»Torwache!«, rief eine Stimme unter ihnen. Die Wachen nahmen steif Haltung an, so wie sie es gelernt hatten.
»Das Tor ist geschlossen. Kommt morgen wieder«, rief einer der Wachsoldaten, und seine Gefährten verbissen sich das Lachen.
Das war wohl einer, den man erst nach einer Branntweinflasche hätte durchsuchen sollen, bevor er seinen Wachdienst angetreten hat, dachte Teras verbittert. Er hätte den jungen Dummkopf am liebsten geschlagen, aber die Worte waren ausgesprochen. Teras schloss die Augen und wartete, während von unten viel sagendes Schweigen heraufdrang.
»Ich finde denjenigen, der das gesagt hat, und trete ihm den Hintern zu Brei«, sagte dieselbe Stimme wie zuvor, jetzt aber mit einer Mischung aus Belustigung und Zorn. »Macht jetzt sofort das Tor auf!«
Teras wandte sich den Männern am Querriegel unter ihm zu. Manchmal wünschte er, er wäre Kaufmann geblieben, auch wenn er dabei stets mehr Geld verloren als eingenommen hatte.
»Aufmachen!«, rief er hinunter. Die jungen Männer sahen mit besorgten Gesichtern zu ihm herauf.
»Sollten wir nicht lieber warten, bis ...«
»Ach, macht einfach auf. Es ist kalt, und das da draußen sind Römer. Glaubst du wirklich, Barbaren würden warten, bis wir hier zu Ende gestritten haben?«
Gegen Ende war seine Stimme immer lauter geworden, und seine Wut drang besser als alles andere bis zu ihnen durch. Die schweren Querriegel wurden zur Seite geschoben und das Tor vorsichtig aufgezogen.
Brutus ritt als Erster hindurch und drückte dem nächstbesten Wächter die Zügel seines Pferdes in die Hand.
»Also gut. Wo ist dieser vorlaute Schwachkopf auf der Mauer?«
Teras sah einen weiteren Reiter durch das Tor kommen, ebenso dick vermummt wie die Wachen oben. Trotzdem war er eine imposante Erscheinung, und Teras sah deutlich, wie die Männer hinter ihm geduldig warteten, bis er das Tor passiert hatte. Ein Offizier. Die konnte Teras auf eine Meile Entfernung ausmachen.
»Wir haben keine Zeit«, sagte der Mann mit klarer Stimme. »Ich bin ohnehin spät dran.«
Brutus nickte kurz, warf ein Bein über das Pferd und schwang sich wieder in den Sattel. Der Offizier wartete nicht auf ihn, sondern trieb sein Pferd an und trabte durch die dunklen Straßen. Die anderen folgten ihm wortlos.
Bis der Beißer die Mauer erklommen hatte und neben ihm stand, zählte Teras eine volle Zenturie. Das Tor wurde hinter ihnen sorgfältig verrammelt, und die jungen Wachen nahmen wieder ihre Positionen ein. Keiner wagte es, ihrem Zenturio in die Augen zu sehen.
Der Beißer war ein Veteran, und wenn man allen Geschichten Glauben schenken wollte, die die Männer über ihn erzählten, hatte er seit den Tagen Karthagos an jeder größeren Schlacht teilgenommen. Obwohl er dann schon mehrere hundert Jahre alt sein müsste, redete er von diesen Zeiten stets so, als wäre er selbst dabei gewesen, wobei er keinen Zweifel daran ließ, dass allein sein Mitwirken die Republik vor Eindringlingen, Disziplinlosigkeit und höchstwahrscheinlich auch vor Pestilenz bewahrt hatte. Was auch immer wahr sein mochte, er hatte jedenfalls unglaublich viele Narben, war stets schlecht gelaunt und verabscheute es zutiefst, dass man ihm schon wieder einen Haufen fangfrischer Rekruten zugeteilt hatte, aus denen er so etwas Ähnliches wie Legionäre machen sollte.
»Du, du und ... du«, brummte der alte Soldat, wobei er zuletzt auf Teras zeigte. »Ich weiß nicht, was ihr heute Nacht hier getrieben habt, aber ich weiß ganz genau, dass ihr morgen auf alle Fälle das Scheißhaus an der Famena-Straße leer schaufelt.«
Ohne ein weiteres Wort stapfte der Beißer die glitschigen Stufen wieder hinunter, wobei er leise vor sich hinfluchte. Noch nachdem er bereits eine geraume Zeit weg war, konnte Teras seine süßliche Alkoholfahne riechen.
Der junge Legionär, der Brutus so vorlaut geantwortet hatte, gesellte sich zu Teras, als dieser wieder seinen Posten an der Kohlenpfanne eingenommen hatte und sich die Hände wärmte. Der junge Mann machte den Mund auf und wollte etwas sagen.
»Kein Wort«, sagte Teras grimmig. »Sonst bringe ich dich eigenhändig um.«
Julius fand den verabredeten Treffpunkt ohne große Schwierigkeiten. In seiner kryptischen Nachricht hatte Crassus ihn gebeten, sich an den Ort zu erinnern, wo sie einst die Vernichtung des Spartacus geplant hatten. Obwohl Julius seit einer Dekade nicht mehr in Ariminum gewesen war, ließ sich in der übersichtlich angelegten Stadt das einzige Haus, an dem eine Laterne brannte, in der ansonsten leeren Straße in der Nähe des Hafens gut finden. Er hatte versucht, alles so geheim wie möglich zu halten, hatte Gallien ohne Vorankündigung verlassen und war so rasch wie möglich mit einer Zenturie seiner Zehnten hierher marschiert. Die ersten sechzig Meilen hatten sie in kaum mehr als zehn Stunden zurückgelegt, und die Männer hatten sich kein einziges Mal beschwert oder um längere Pausen zum Essen und Trinken gebeten. Sobald er sicher sein konnte, dass er selbst die flinksten Spione hinter sich gelassen hatte, hatte Julius ein langsameres Tempo angeordnet. Andererseits hätten sie über die Alpenpässe in der bitteren Kälte und der dünnen Luft ohnehin nicht schneller marschieren können. Als sie aus dem Gebirge herabgestiegen waren, war Julius sicher, dass jeder, der ihm folgen wollte, bis zum Frühling würde warten müssen.
Julius ließ Brutus mit der Zenturie zurück, um die Straße abzuriegeln. Dann ging er raschen Schrittes auf die Tür zu, an die er sich noch aus dem alten Feldzug erinnerte, und klopfte an die Balken, wobei er den Mantel gegen die Kälte enger um sich zog.
Ein ihm unbekannter Mann öffnete ihm, und Julius fragte sich, ob er der Besitzer des Hauses war.
»Ja?«, brummte der Mann und sah Julius ausdruckslos an. »Gallien«, erwiderte Julius, und der Mann wich zurück, um ihn eintreten zu lassen.
Noch bevor er den Raum betrat, hörte Julius das Knistern und Knacken eines großen Holzfeuers. Pompeius und Crassus erhoben sich, um ihn zu begrüßen, und Julius spürte eine Woge der Zuneigung für die beiden Männer, als er ihre Hände ergriff. Auch sie schienen es zu spüren, denn ihr Lächeln sah echt und ungezwungen aus.
»Es ist lange her, mein Freund. Hast du meinen Sohn mitgebracht?«, erkundigte sich Crassus.
»Du hast mich darum gebeten, ja. Soll ich ihn holen lassen?« Julius sah, dass Crassus einen Augenblick mit sich kämpfte, bevor er antwortete.
»Nein. Erst wenn wir miteinander gesprochen haben«, sagte er widerstrebend. »Auf dem Tisch steht etwas zu essen, drüben am Feuer gibt es heißen Wein. Setz dich hin und wärme dich auf.«
Mit leisem Schuldgefühl dachte Julius an seine Männer, die draußen in der Nacht froren. Crassus hatte für ihre Zusammenkunft um Ungestörtheit gebeten, trotzdem mussten die Soldaten noch vor dem Morgen Unterkunft und Verpflegung finden. Er fragte sich, wie viel Mann sich in diesem weitläufigen Haus unterbringen ließen, oder ob sie letztendlich in den Ställen übernachten würden.
»Seid ihr schon lange in der Stadt?«, fragte Julius. Beide Männer schüttelten die Köpfe.
»Erst ein paar Tage«, antwortete Crassus. »Wenn ich noch länger hätte warten müssen, hätte ich nach Rom zurückkehren müssen. Ich bin froh, dass du gekommen bist.«
»Was hätte ich nach deiner geheimnisvollen Nachricht anderes tun können? Kennwörter und Nachtmärsche quer durch den Norden. Alles sehr aufregend.« Julius lächelte die beiden Älteren an. »Nein, ehrlich, ich freue mich, dass ich den Winter hier statt in Gallien verbringen darf. Ihr habt keine Vorstellung davon, wie grässlich die dunklen Monate dort sind.«
Die beiden ehemaligen Konsuln wechselten einen Blick, und Julius sah, dass von der ehemaligen Spannung zwischen den beiden nicht mehr viel übrig war. Geduldig wartete er darauf, dass sie den Grund für ihre Zusammenkunft ansprachen, obwohl jetzt, da er tatsächlich bei ihnen war, keiner der Männer zu wissen schien, wie er anfangen sollte. Julius machte sich derweil über ein Stück kaltes Lamm her.
»Erinnerst du dich noch an unsere Abmachung?«, fragte Pompeius schließlich.
Julius nickte. »Natürlich. Ihr habt euch beide ebenso daran gehalten wie ich.«
Pompeius grunzte zustimmend. »Aber die Zeit ist vorangeschritten. Wir müssen die Bedingungen neu überdenken.«
»Das dachte ich mir schon«, erwiderte Julius. »Es gibt jetzt neue Konsuln, und ihr fragt euch, ob ich euch immer noch genug Profit einbringe. Sagt mir, was ihr braucht.«
Crassus lachte trocken auf.
»Immer gleich so direkt, Julius. Aber schön. Der Senat hat sich in den Jahren, seit du nicht mehr da bist, sehr verändert.«
»Das weiß ich«, antwortete Julius, und Crassus lächelte.
»Ja, ich bin sicher, dass du deine eigenen Quellen hast. Es heißt, man will dich aus Gallien zurückrufen, weißt du das auch? Deine Angriffe auf der anderen Seite des Rheins haben dir bei den Senatoren nicht viele Freunde gemacht. Die germanischen Stämme waren nie Teil deines Auftrags, und Pompeius ist ziemlich unter Druck geraten, als er für dich eingetreten ist.«
Julius zuckte die Achseln. »Dafür danke ich dir. Ich hielt es für notwendig, die Grenze am Rhein zu halten.«
Pompeius neigte sich auf seinem Stuhl nach vorn und wärmte sich die Hände am Feuer.
»Du weißt, wie launisch sie sind, Julius. Im einen Jahr jubeln sie dir zu, im nächsten verlangen sie deinen Kopf. So ist es schon immer gewesen.«
»Schaffst du es, meine Abberufung zu verhindern?«, fragte Julius, der absolut reglos dasaß. Von der Antwort hing viel ab.
»Deshalb sind wir hier, Julius«, erwiderte Pompeius. »Du willst deine Zeit in Gallien verlängern. Dafür kann ich sorgen.«
»Als ich damals aufgebrochen bin, war keine Rede von irgendwelchen zeitlichen Begrenzungen«, rief ihm Julius in Erinnerung.
Pompeius runzelte die Stirn. »Aber inzwischen hat sich die Situation verändert. Du bist nicht mehr Konsul, und keiner von uns kann in den kommenden Jahren wieder zur Wahl antreten. Es gibt zu viele neue Männer im Senat, die dich lediglich als Feldherrn kennen, der sich in unvorstellbar weit entfernten Ländern herumtreibt. Sie versuchen, deinen Berichten ein Ende zu machen, Julius.«
Julius sah ihn ruhig an, sagte aber nichts.
Pompeius schnaubte. »Du hast den Norden ungeschützt gelassen, als du die Legionen aus Ariminum mitgenommen hast. Das hat dich sehr viele Sympathien gekostet, und selbst jetzt haben wir die alte Stärke noch nicht ganz wiederhergestellt. Deine Schuldner verfolgen dich im Senat. Es wird sogar davon geredet, dich für den Mord an Ariovist vor Gericht zu stellen. Das alles würde erfordern, dass du dein Kommando aufgibst und nach Hause zurückkehrst.«
»Welchen Preis muss ich zahlen, um zu bleiben? Meine Tochter ist dir bereits versprochen«, sagte Julius leise.
Pompeius zwang sich zu einem Lächeln, und Julius sah, wie müde er war. Crassus sprach als Erster.
»Du hast verstanden, Julius. Das freut mich. Der Preis für meine Unterstützung ist die Rückkehr meines Sohnes, damit er meine Legion anführen kann. Pompeius wird mir eine Provinz überlassen, dort will ich die Ausbildung meines Sohnes fortführen, nachdem er bei dir in die Lehre gegangen ist. Er spricht in seinen Briefen sehr gut von dir.«
»An welches Land hast du gedacht?«, fragte Julius mit ungeheucheltem Interesse.
»Syrien. Die Parther weigern sich, meine Schiffe mit ihnen Handel treiben zu lassen. Der General einer Legion kann dorthin vordringen, wohin sich kein Kaufmann wagt.«
»Ein Fürst der Kaufleute«, murmelte Julius. Crassus grinste ihn an.
»Auch der braucht gelegentlich eine gute Legion.«
Julius drehte sich auf seinem Stuhl um und sah Pompeius an.
»Crassus möchte also Syrien für Rom unterwerfen. Ich gebe ihm seinen Sohn, um die Legion anzuführen. Was könnte Pompeius von mir wollen? Ich habe gehört, dass Clodius und Milo Unruhen auf den Straßen anzetteln. Willst du meine Unterstützung? Die hättest du ohnehin, Pompeius. Falls du meine Stimme brauchst, um für dich als Diktator zu stimmen, würde ich mit meiner Zehnten zurückkommen und mich mit allem befassen, was darauf folgt. Auf mein Wort – das würde ich tun. Ich habe immer noch Freunde in der Stadt. Ich könnte die Diktatur für dich durchsetzen.«
Pompeius lächelte den Jüngeren an.
»Mir fehlt dein Tatendrang in der Stadt, Julius. Wahrhaftig. Aber, nein, ich habe Clodius Eisen angelegt, und Milo hat seine Kraft verbraucht. Deine Nachrichten sind veraltet. Meine Wünsche sind leichter zu erfüllen.«
Wieder wechselte er einen Blick mit Crassus, und Julius wunderte sich über die Freundschaft, die zwischen den beiden entstanden war. Es war seltsam, wie sehr sich Menschen im Lauf der Jahre veränderten. Julius hätte nie geglaubt, dass sie etwas anderes sein könnten als bestenfalls aus der Not geborene Verbündete, aber sie schienen sich durchaus freundschaftlich miteinander arrangiert zu haben. Er fragte sich, ob Pompeius jemals die Wahrheit über Crassus’ Verbindungen zu Catilina erfahren hatte. In Rom gab es immer Geheimnisse.
»Ich brauche Gold, Julius«, sagte Pompeius. »Von Crassus weiß ich, dass du in Gallien großen Reichtum errungen hast, weitaus mehr, als die Stadt jemals über die Steuern einnimmt.«
Julius warf Crassus einen interessierten Blick zu und fragte sich, wie gut seine Quellen informiert waren. Pompeius redete weiter. Jetzt, nachdem er erst einmal angefangen hatte, sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus.
»Mein privates Einkommen reicht nicht aus, um die Stadt wieder aufzubauen, Julius. Teile Roms sind durch Aufstände beschädigt worden, und der Senat hat nicht die nötigen Mittel. Wenn du sie hast, würden sie für die Fertigstellung der Tempel und der Häuser verwendet werden, mit deren Bau wir bereits begonnen haben.«
»Crassus schießt das Geld doch bestimmt vor?«, fragte Julius.
Pompeius errötete leicht. »Ich habe es dir gesagt, Crassus«, fuhr er seinen Kollegen an. »Ich werde nicht als Bettler ...«
Crassus unterbrach ihn, indem er beschwichtigend die Hand auf Pompeius’ Unterarm legte.
»Es geht nicht um ein Darlehen, Julius. Pompeius bittet dich um ein Geschenk.« Er lächelte schief. »Ich habe nie verstanden, dass Geld in so vielen Belangen ein so unangenehmes Thema sein kann. Es ist doch ganz einfach. Die Schatzkammer des Senats ist nicht gut genug gefüllt, um die Millionen zur Verfügung zu stellen, die zum Wiederaufbau einiger Stadtteile benötigt werden. Noch ein Aquädukt, Tempel, neue Straßen. Das kostet alles viel Geld. Pompeius möchte nicht noch mehr Schulden machen. Nicht einmal bei mir.«
Julius dachte wehmütig an die Schiffe, die auf seine Zahlungen warteten. Vermutlich war Pompeius nicht der gesamte Inhalt des Briefes bekannt, den Crassus ihm geschickt hatte, aber zumindest hatte er sich vorbereitet. Manchmal war Crassus’ schonungslose Offenheit ein wahrer Segen.
»Ich habe das Geld«, sagte er. »Aber dafür verlange ich, dass die Zehnte und die Dritte auf die Gehaltsliste des Senats gesetzt werden. Ich kann ihren Sold nicht länger aus der eigenen Tasche bezahlen.«
Pompeius nickte. »Das ist ... akzeptabel«, sagte er.
Julius nahm noch ein Stück kaltes Fleisch vom Tisch und aß es, während er nachdachte.
»Natürlich müssen meine Befehle in schriftlicher Form bestätigt werden. Weitere fünf Jahre in Gallien, so bindend und unanfechtbar, wie es nur irgend geht. Ich habe keine Lust, nächstes Jahr schon wieder über neue Bedingungen zu verhandeln. Crassus, dein Sohn ist bereit für sein Kommando. Es tut mir Leid, einen so fähigen Offizier zu verlieren, aber so lautete unser Abkommen, und ich halte mich daran. Ich wünsche dir viel Glück mit deiner neuen Provinz. Und glaube mir, wenn ich dir sage, dass es keine leichte Aufgabe ist, neue Pfade für Rom zu bahnen.«
Pompeius sagte nichts, deshalb ergriff Crassus lächelnd an seiner Stelle das Wort.
»Und das Gold, Julius?«
»Wartet hier!«, antwortete Julius und erhob sich.
Er kam mit Publius und Brutus zurück. Die drei Männer schleppten sich mit einer langen Kiste aus Zedernholz ab, die mit breiten Eisenbändern beschlagen war. Sowohl Pompeius als auch Crassus standen auf, als sie das Zimmer betraten, und Crassus eilte auf seinen Sohn zu, um ihn zu umarmen. Julius öffnete die Kiste, in der genug dicke gelbe Münzen lagen, dass sogar Crassus beeindruckt war, der sich von seinem Sohn löste und mit der flachen Hand über das Gold strich.
»Ich habe drei weitere solcher Kisten dabei, meine Herren. Mehr als drei Millionen Sesterze, dem Gewicht nach. Reicht das?«
Auch Pompeius schien den Blick nicht von dem kostbaren Metall abwenden zu können.
»Allerdings«, sagte er mit einer Stimme, die kaum mehr war als ein Flüstern.
»Dann sind wir uns also einig?«, fragte Julius und sah von einem zum anderen. Beide Senatoren nickten.
»Wunderbar. Ich brauche Unterkünfte für meine Männer für heute Nacht, entweder hier oder in einer Taverne, falls ihr uns etwas empfehlen könnt. Sie haben sich eine warme Mahlzeit und ein Bad redlich verdient. Ich komme morgen bei Tagesanbruch wieder, um die Einzelheiten mit euch beiden zu besprechen.«
»Es gibt da noch etwas, was dich interessieren könnte, Cäsar«, sagte Crassus mit glitzernden Augen. Beim Reden warf er einen Blick auf Brutus und zuckte die Achseln.
»Ein Freund ist aus Rom mit uns hierher gereist. Soll ich dich zu ihm bringen?«
Julius hob eine Augenbraue, doch auch Pompeius schien sich im Stillen ungemein zu amüsieren, als sich ihre Blicke trafen.
»Dann geh voran!«, sagte Julius und folgte Crassus nach draußen in die kälteren Flure des Hauses.
Pompeius fühlte sich in der Gesellschaft der Männer, die Julius mitgebracht hatte, nicht besonders wohl. Publius spürte es und räusperte sich.
»Mit deiner Erlaubnis, Konsul, lasse ich den Rest des Goldes herbringen.«
»Vielen Dank«, antwortete Pompeius. Dann nahm er einen Mantel von einem Haken an der Tür und ging mit ihnen in die Nacht hinaus.
Crassus nahm eine Lampe von ihrer Wandhalterung und führte Julius durch einen langen Korridor in den hinteren Bereich des Anwesens.
»Wem gehört dieses Haus?«, fragte Julius und betrachtete die kostspielige Einrichtung.
»Mir«, sagte Crassus. »Der frühere Besitzer ist in Schwierigkeiten geraten, und ich konnte es zu einem hervorragenden Preis erwerben.«
Julius wusste, dass der Besitzer einer derjenigen gewesen sein musste, die unter dem Handelsmonopol zu leiden gehabt hatten, das Crassus’ Teil ihrer ursprünglichen Abmachung gewesen war. Interessanterweise hatte der alte Mann das Abkommen nicht verlängern lassen; andererseits bot ihm die Provinz, die Pompeius ihm angeboten hatte, mehr als genug Beschäftigung. Julius hoffte, dass Crassus klug genug war, seinen Sohn die Entscheidungen treffen zu lassen. Obwohl er den alten Senator mochte, war der Mann alles andere als ein Heerführer, wohingegen sein Sohn durchaus das Zeug dazu hatte.
»Hier hinein, Julius«, sagte Crassus und übergab ihm die Lampe.
Julius bemerkte eine kindliche Freude in Crassus faltigen Zügen, die ihn verblüffte. Er öffnete die Tür und schloss sie dann wieder gegen die hinter ihm liegende Dunkelheit.
Servilia hatte noch nie schöner ausgesehen. Julius erstarrte, als er sie erblickte, dann suchte er fahrig nach etwas, woran er die Lampe aufhängen konnte, eine einfache Handlung, die ihm mit einem Mal sehr schwierig erschien.
Das Zimmer wurde von dem Feuer in einem Ofen erwärmt, der groß genug war, dass man darin hätte stehen können. Bis hierher drang der heulende Winter nicht vor, und Julius nahm ihre Züge in sich auf, während sie ihn ansah, ohne etwas zu sagen. Sie lag auf einem langen Sofa, angetan mit einem Kleid aus dunkelrotem Stoff, das auf ihrer Haut wie Blut wirkte. Er wusste nicht, was er sagen sollte, und schaute sie lange nur schweigend an.
»Komm her«, sagte sie und streckte die Arme nach ihm aus. Silberne Armreifen klimperten bei jeder Bewegung. Er ging auf sie zu, und als er ihre Hände berührte, sank er auch schon in ihre Umarmung, und sie küssten sich. Es bedurfte keiner Worte.
Pompeius bereute es, die Wärme des Hauses gegen die winterliche Straße eingetauscht zu haben, aber die Neugier, die an ihm nagte, ließ ihn nicht los. Als die Kisten mit dem Gold angehoben und ins Haus getragen wurden, ging er an der Reihe schweigender Soldaten entlang und verfiel ganz natürlich in seine Rolle als römischer Würdenträger. Sie hatten bei seinem Eintreffen Haltung angenommen und salutiert, und seine Inspektion wurde nun als ganz natürlich hingenommen, beinahe erwartet.
In Wahrheit fühlte Pompeius durchaus eine Verantwortung für die Zehnte. Auf seinen Befehl hin war die Primigenia mit einer Legion verschmolzen worden, die in der Schlacht Schande über sich gebracht hatte, und wenn er Julius’ Berichte im Senat verlesen hatte, hatte er stets einen gewissen Besitzerstolz verspürt. Die Zehnte war zu der Legion geworden, der Julius am meisten vertraute, und es war nicht verwunderlich, dass viele ihrer Männer unter den Mannschaften waren, die Julius für diese Zusammenkunft auserwählt hatte.
Pompeius sprach den einen oder anderen an, und sie gaben ihm nervös Antwort, wobei sie stets geradeaus blickten. Einer oder zwei zitterten, aber sie bissen die Zähne zusammen, wenn er vorbeikam; sie wollten keine Schwäche zeigen.
Pompeius blieb vor dem Zenturio stehen und beglückwünschte ihn zu der Disziplin seiner Männer.
»Wie heißt du?«, fragte er, obwohl er es wusste.
»Regulus, Herr«, antwortete der Mann.
»Ich hatte das Vergnügen, den Senat darüber zu unterrichten, wie gut sich die Zehnte in Gallien geschlagen hat. War es schwer?« »Nein, Herr«, antwortete Regulus.
»Ich habe mir sagen lassen, für einen Legionär im Krieg sei das Warten immer am schlimmsten«, bemerkte Pompeius.
»Es ist nicht so schlimm, Herr«, sagte Regulus.
»Freut mich zu hören, Regulus. Soweit ich gehört habe, hat man euch keine Zeit gelassen, eure Schwerter Rost ansetzen zu lassen. Zweifellos warten noch mehr Schlachten auf euch.«
»Wir sind immer bereit, Herr«, sagte Regulus, und Pompeius ging weiter, um ein Stück entfernt mit einem anderen Soldaten zu sprechen.
Crassus kehrte in die Wärme der Stube zurück. Sein Sohn wartete dort auf ihn, und der alte Senator ging strahlend auf ihn zu.
»Ich bin so stolz auf dich, mein Junge. Julius hat deinen Namen in seinen Berichten an den Senat zweimal lobend erwähnt«, sagte Crassus. »Du hast dich in Gallien hervorragend bewährt, ich hätte es mir nicht besser wünschen können. Bist du nun bereit, eine Legion für deinen Vater anzuführen?«
»Das bin ich, Herr«, antwortete Publius.
Julius erwachte lange vor Tagesanbruch und lag in der wohligen Wärme da, die von Servilia neben ihm ausging. Er hatte sie in der Nacht nur einmal verlassen, um Crassus zu bitten, seine Männer aus der Kälte hereinzuholen. Während Crassus Zimmer für die Zenturie öffnete und sie mit Essen und Decken versorgen ließ, hatte Julius wieder leise die Tür hinter sich geschlossen und die Welt draußen vergessen.
Jetzt, in der Dunkelheit, hörte er das Schnarchen der Soldaten, die jedes Fleckchen im Haus belegt hatten. Zweifellos war man in der Küche bereits dabei, das Frühstück für sie zuzubereiten, und Julius wusste, dass auch er aufstehen und sich Gedanken über den neuen Tag machen sollte. Doch es lag eine köstliche Trägheit in diesem warmen Dunkel; er streckte sich und spürte Servilias kühle Haut an seinem Arm. Sie bewegte sich und murmelte etwas, das er nicht verstand, aber es reichte, dass er sich auf einen Ellbogen aufstützte und ihr Gesicht betrachtete.
Manche Frauen sahen im hellen Sonnenlicht am besten aus, Servilia hingegen war am Abend oder im Mondlicht am schönsten. Ihr Gesicht hatte nichts mehr von der scharfen Härte, die er damals darin gesehen hatte. Die ätzende Verachtung, die sie ihm damals, als er bei ihrer letzten Begegnung in ihr Haus marschiert war, entgegengebracht hatte, stand noch immer vor seinem geistigen Auge. Es war ihm ein Rätsel, wie er derart offenkundigen Hass hatte hervorrufen können und sie jetzt trotzdem in seinem Bett lag und sich rekelte wie eine träumende Katze. Vielleicht hätte er sich nach dieser ersten Umarmung im Feuerschein zurückhalten können, aber ihre Augen waren von einem so eigenartigen Kummer erfüllt gewesen, und er hatte noch nie den Tränen einer schönen Frau widerstehen können. Sie rührten ihn, wie es kein Lächeln und keine Koketterie je vermochten.
Er gähnte leise. Sein Kiefergelenk knackte. Könnte das Leben doch nur so einfach sein, wie er es sich wünschte! Wenn er sich einfach anziehen und gehen könnte, mit einem letzten Blick auf ihre schlafende Gestalt, dann nähme er eine perfekte Erinnerung an die Frau, die er schon so lange liebte, mit sich. Es würde genügen, um zumindest einen Teil des Schmerzes, den sie ihm zugefügt hatte, auszulöschen. Er sah sie im Schlaf lächeln, und unwillkürlich entspannten sich auch seine Züge. Er fragte sich, ob sie von ihm träumte und dachte an die ungemein erotischen Bilder, die während der ersten Monate in Gallien seine Träume heimgesucht hatten. Er beugte sich näher an ihr Ohr und hauchte seinen Namen hinein, wieder und immer wieder, und musste dabei grinsen. Vielleicht konnte er sie dazu bringen, von ihm zu träumen.
Er erstarrte, als sie eine Hand hob, um sich das Ohr zu reiben, ohne zu erwachen. Die Bewegung ließ das weiche Leinentuch verrutschen und entblößte ihre linke Brust; Julius fand das Bild rührend und erregend zugleich. Obwohl das Alter nicht spurlos an ihr vorüber gegangen war, war ihre Brust blass und vollkommen. Julius sah fasziniert zu, wie die entblößte Brustwarze steifer und dunkler wurde, und er überlegte kurz, ob er Servilia wecken sollte, indem er seine warmen Lippen darum legte.
Er ließ sich zurücksinken und seufzte. Wenn sie erwachte, würde die ganze Welt wieder auf sie einstürzen. Obwohl Crassus ein Geheimnis für sich behalten konnte, musste Brutus davon in Kenntnis gesetzt werden, dass seine Mutter hier im Norden war. Julius’ Miene verfinsterte sich, als er daran dachte, wie sein Freund reagieren würde, wenn er erfuhr, dass Servilia wieder sein Bett teilte. Er hatte Brutus’ Erleichterung sehr wohl bemerkt, als diese Beziehung mit der doppelten Ohrfeige in Rom ein Ende gefunden hatte. Dass sie jetzt wieder aufflammte, könnte ihm womöglich sehr zu schaffen machen. Nachdenklich verschränkte Julius die Hände hinter dem Kopf.
Vor dem Frühling konnten sie nicht nach Gallien zurück; das war ihm von Anfang an klar gewesen. Sobald die Alpen unpassierbar waren, konnte kein Lebewesen mehr auf die andere Seite. Kurzzeitig hatte Julius daran gedacht, nach Rom zu gehen, die Idee aber wieder verworfen. Wenn er nicht sicher sein konnte, die Reise unerkannt machen zu können, stellte er mit nur einer Zenturie als Schutz eine viel zu große Versuchung für seine Feinde dar. Rom war ebenso unerreichbar wie die Gebiete jenseits der Alpen, und Julius kämpfte bei dem Gedanken, mehrere Monate in den tristen Straßen von Ariminum verbringen zu müssen, ein beklemmendes Gefühl nieder.
Wenigstens kamen seine Briefe nach Rom durch, dachte er. Außerdem konnte er die Schiffswerften aufsuchen und die Arbeiten an der Flotte, die er in Auftrag gegeben hatte, überwachen. Es war wohl eine eitle Hoffnung zu erwarten, dass sie die Schiffe herausgaben, bevor er mehr als die bereits geleisteten Zahlungen tätigte, ganz egal, was er ihnen auch versprach. Ohne sie würden sich seine Pläne, das Meer zu überqueren, jedoch verzögern, vielleicht sogar um ein volles weiteres Jahr.
Er seufzte. In Gallien würde es immer irgendeine Schlacht zu schlagen geben. Selbst wenn ein Stamm seinen Tribut für zwei Sommer gezahlt hatte, war es möglich, dass er im dritten seine Fahnen wieder in den harten Boden rammte und den Römern den Krieg erklärte. Wenn er sie nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten wollte, musste Julius notgedrungen der Tatsache ins Auge sehen, dass derartige Aufstände während seiner gesamten Zeit in Gallien immer wieder aufflammen könnten. Die Gallier waren ein zähes Volk, das sich nicht so einfach niederhalten ließ.
Seine Augen wurden kalt, als er über die Stämme nachdachte. Sie waren so ganz anders als die Männer und Frauen, die er als Junge in Rom gekannt hatte. Sie sangen und lachten viel öfter, trotz ihres kurzen, entbehrungsreichen Lebens. Julius erinnerte sich, wie verwundert er gewesen war, als er zum ersten Mal zusammen mit Mhorbaine der uralten Mär eines Geschichtenerzählers gelauscht hatte. Vielleicht war einiges bei Adàns Übersetzung verloren gegangen, doch Julius hatte in den Augen altgedienter Krieger echte Tränen gesehen, und am Ende der Geschichte hatte Mhorbaine geweint wie ein Kind, ohne sich im Mindesten zu schämen.
»Woran denkst du?«, fragte Servilia. »Du siehst so grausam aus, wie du da sitzt.«
Julius suchte den Blick ihrer dunklen Augen und zwang sich zu einem Lächeln.
»Ich habe gerade an die Lieder der Gallier gedacht.«
Sie verzog schmollend den Mund und setzte sich neben ihm auf, das Kissen im Rücken. Das Feuer war längst erloschen, und mit einem Frösteln zog sie die Decken über ihre Schultern, bildete ein Nest aus Stoff, aus dem sie ihn ansah.
»Ich lege dreihundert Meilen zurück und stürze mich in eine Nacht wilder Vergnügungen mit dir, und du denkst immer noch an irgendwelche ungewaschenen Wilden? Du erstaunst mich.«
Er lachte leise, legte einen Arm um sie und zog das ganze Bündel an seine Brust.
»Es ist mir egal, weshalb du gekommen bist. Ich bin nur froh, dass du es getan hast«, sagte er.
Das schien ihr zu gefallen. Sie legte den Kopf nach hinten und wollte geküsst werden. Julius drehte den Kopf halb zur Seite, um ihrem Wunsch nachzukommen, und der Duft ihres Parfums beschwor sofort die Leidenschaft und die Unschuld der Vergangenheit wieder herauf. Es war fast zu schmerzlich.
»Ich habe dich vermisst«, sagte sie. »Sehr sogar. Ich wollte dich wiedersehen.«
Julius sah sie an und rang mit seinen Gefühlen. Einerseits wollte er wütend auf sie sein. Sie hatte ihm so viel Kummer bereitet, dass er sie lange gehasst hatte, zumindest hatte er sich das eingeredet. Trotzdem hatte er in der vergangenen Nacht nach jenem ersten Augenblick nicht gezögert. Alle seine innerlichen Einwände und Wunden waren wie weggewischt, und er kam sich wieder so verwundbar vor wie jeder andere junge Tölpel.
»Dann bin ich für dich also lediglich ein nächtlicher Zeitvertreib?«, fragte er. »Du schienst keinerlei Zweifel zu haben, als ich dein Haus in Rom verlassen habe.«
»Ich hatte Zweifel, selbst damals. Hätte ich dich nicht weggeschickt, wärst du es schon bald leid gewesen, eine alte Frau in deinem Bett zu haben. Unterbrich mich nicht, Julius. Wenn ich es nicht ausspreche, bin ich vielleicht nicht in der Lage ...«
Er wartete, während sie in die Dunkelheit starrte. Eine ihrer Hände verkrampfte sich langsam in der dicken Decke, die sie beide einhüllte.
»Wenn du einen Sohn möchtest, Julius, so kann ich dir keinen geben. Nicht mehr.«
Julius zögerte, bevor er antwortete. »Bist du sicher?«
Sie hob den Blick und seufzte. »Selbstverständlich bin ich sicher. Ich war mir schon sicher, als du Rom verlassen hast. Vielleicht denkst du ja bereits an Kinder, die deinen Namen weiterführen sollen. Du wirst dir ein junges Mädchen mit breiten Hüften suchen, die sie dir schenkt, und mich wirst du wegwerfen.«
»Ich habe meine Tochter«, rief er ihr in Erinnerung.
»Einen Sohn, Julius! Möchtest du keine Söhne haben, die in deine Fußstapfen treten? Wie oft habe ich dich von deinem eigenen Vater reden hören? Du wärst niemals mit einer Tochter zufrieden, die nicht einmal den Fuß in den Senat setzen darf. Eine Tochter, die keine Legionen für dich anführen kann.«
»Deshalb hast du mich verlassen?«, fragte er. Endlich begriff er. »Ich kann in jeder Familie Roms eine Ehefrau finden, die meine Linie weiterführt. Dadurch würde sich zwischen uns nichts ändern.«
Servilia schüttelte müde den Kopf. »Doch, Julius. Unausweichlich. Du würdest mich für jede Stunde, die wir zusammen verbringen, schuldbewusst ansehen. Das könnte ich nicht ertragen.«
»Warum bist du dann hergekommen?«, wollte er mit jähem Zorn wissen. »Was hat sich für dich geändert, dass du zu mir gekommen bist und alles wieder auf den Kopf gestellt hast?«
»Nichts hat sich verändert. Es gibt Tage, an denen ich kein einziges Mal an dich denke, und dann gibt es wieder andere, an denen du mir nicht aus dem Kopf gehst. Als mir Crassus erzählt hat, dass er sich mit dir treffen wollte, bin ich einfach mitgekommen. Vielleicht hätte ich es nicht tun sollen. An deiner Seite erwartet mich eine unglückliche Zukunft.«
»Weißt du was? Ich verstehe dich überhaupt nicht«, sagte Julius leise und berührte ihr Gesicht. »Ich mache mir nichts aus Söhnen, Servilia. Falls es irgendwann einmal so weit sein sollte, suche ich mir dafür die Tochter eines Senators. Solange du mein bist, werde ich keine andere lieben.«
Sie schloss die Augen, und im ersten Licht des Morgens sah er, wie Tränen über ihre Wangen rollten.
»Ich hätte nicht kommen dürfen«, flüsterte sie. »Ich hätte dich allein lassen sollen.«
»Ich war allein«, sagte er und zog sie an sich, »aber jetzt bist du hier bei mir.«
Die Wintersonne war bereits aufgegangen, als Julius im kleinen Innenhof des Anwesens auf Brutus traf, der in ein Gespräch mit Crassus über die Unterkünfte für die Zenturie der Zehnten vertieft war. Sie hatten den zehn Pferden, die sie aus Gallien mitgebracht hatten, in der Nacht im Hof die Vorderbeine gefesselt und sie mit dicken Decken vor der Kälte geschützt. Brutus hatte ihre Futterbeutel mit Getreide aufgefüllt und die dünne Eisschicht durchstoßen, die sich auf den Wassereimern gebildet hatte. Als er Schritte hörte, blickte Brutus auf.
»Ich würde mich gern mit dir unter vier Augen unterhalten«, sagte Julius.
Crassus wusste sofort, worum es ging, und ließ die beiden allein. Brutus begann, mit langen Bewegungen das zottige Winterfell der Pferde zu striegeln.
»Was gibt’s?«, fragte er.
»Deine Mutter ist hier«, sagte Julius.
Brutus hielt inne und sah ihn an. Er begriff, und seine Züge verhärteten sich.
»Will sie mich besuchen ... oder dich?«
»Uns beide, Brutus.«
»Du erhebst also die Faust gegen meine Mutter, und jetzt kommt sie wieder in dein Bett gekrochen! So ist es doch, oder?«
»Denk doch wenigstens einmal nach, bevor du mit mir sprichst. Ich lasse mir deinen Zorn nicht noch einmal gefallen, Brutus, das schwöre ich. Noch ein Wort in diesem Ton, und ich lasse dich hier in diesem Hof hängen. Und ich ziehe dich eigenhändig hinauf!«
Brutus drehte sich zu ihm um, und Julius sah, dass er unbewaffnet war. Er war froh darüber. Er sprach mit einer entsetzlichen Langsamkeit, als würde jedes Wort aus ihm herausgepresst.
»Weißt du, Julius, ich habe dir sehr viel gegeben. Weißt du eigentlich, wie viele Schlachten ich für dich gewonnen habe? Ich bin in all den Jahren meines Lebens dein Schwert gewesen, und ich war dir gegenüber stets loyal. Aber sobald du den ersten Anflug von Zorn verspürst, drohst du mir mit dem Strick?«
Er beugte sich dicht an Julius heran.
»Du vergisst dich. Ich war von Anfang an dabei. Und was hat mir das eingebracht? Preist du meinen Namen so wie den von Marcus Antonius? Gibst du mir die rechte Flanke, wenn ich mein Leben für dich riskiere? Nein, du kommst hier herausspaziert und behandelst mich wie deinen Hund.«
Julius konnte die bleiche Wut, die er vor sich sah, lediglich anstarren. Brutus’ Mund war verzerrt vor bitterem Hohn.
»Wie du willst, Julius. Du und sie, ihr beide geht mich nichts an. Das hat sie mir schon einmal unmissverständlich klar gemacht. Aber ich werde nicht hier bleiben und zusehen, wie du den Winter damit verbringst ... eure Beziehung zu erneuern. Ist das für dich freundlich genug ausgedrückt?«
Einen Augenblick lang konnte Julius ihm nicht antworten. Er suchte nach Worten, mit denen er den Schmerz seines Freundes lindern konnte, doch nach seinen Drohungen wären sie wertlos gewesen. Schließlich schob er das Kinn vor und verschanzte sich hinter Kälte.
»Wenn du gehen willst, halte ich dich nicht auf«, sagte er.
Brutus schüttelte den Kopf. »Nein, es wäre für euch ja auch nicht angenehm, mich hier als Zeugen um euch zu haben. Ich gehe bis zum Frühling nach Rom. Hier hält mich nichts.«
»Wenn es das ist, was du willst«, sagte Julius.
Brutus antwortete nicht, sondern nickte nur, drehte sich um und fing wieder an, das Pferd zu striegeln. Julius blieb in schmerzlichem Schweigen stehen. Er wusste, dass er etwas sagen musste. Brutus redete leise auf sein Pferd ein, schob ihm sanft das metallene Gebiss ins Maul. Als er aufstieg, blickte er auf den Mann herab, den er mehr als jeden anderen verehrte.
»Wie endet es diesmal, was meinst du? Wirst du sie wieder schlagen?«, fragte er.
»Das geht dich nichts an«, erwiderte Julius.
»Es gefällt mir nicht, dass du sie wie eine deiner Eroberungen behandelst, Julius. Ich frage mich, wann du wohl genug hast. Selbst Gallien reicht dir nicht, du musst noch mal zwanzig Schiffe bauen lassen. Feldzüge müssen irgendwann einmal zu Ende sein, oder hat dir das niemand gesagt? Legionen müssen heimkehren, wenn der Krieg vorbei ist, und nicht den nächsten Krieg suchen, und dann noch einen.«
»Geh nach Rom! «, erwiderte Julius. »Bleib den Winter über dort. Aber vergiss nicht, dass ich dich im Frühjahr wieder brauche.«
Brutus entrollte einen Pelzumhang und legte ihn sich fest um die Schultern. Er hatte genug Geld im Beutel, um auf der Reise nach Süden Verpflegung zu kaufen, und er wollte fort. Doch als er die Zügel in die Hand nahm und in das unglückliche Gesicht seines Freundes hinabschaute, wusste er, dass er dem Pferd nicht einfach die Sporen geben und ohne ein weiteres Wort davonreiten konnte.
»Ich werde da sein«, sagte er.
Am folgenden Morgen reisten auch Crassus und Pompeius nach Rom zurück und überließen Julius das Haus. Innerhalb einer Woche hatte er sich daran gewöhnt, am Vormittag mit Adàns Hilfe Briefe und Berichte zu verfassen und den Rest des Tages mit Servilia zu verbringen. Er besuchte mit ihr die Werften im Westen, und in jenen Wochen kamen sie sich wie ein frisch verheiratetes Paar vor. Julius war unendlich dankbar, dass sie zu ihm gekommen war. Nach den erschöpfenden Feldzügen in Gallien war es die reinste Freude, die Theater einer römischen Stadt zu besuchen und auf den Marktplätzen die eigene Sprache aus jedem Mund zu vernehmen. Er sehnte sich danach, Rom wiederzusehen, aber selbst in Ariminum musste er sich vorsehen. Wenn die hiesigen Geldverleiher herausfanden, dass er wieder in der Stadt war, würden sie ihn mit ihren Forderungen bedrängen, dabei war ihm kaum genug geblieben, um seine Männer über den Winter zu bringen.
Julius wusste, dass sein einziger Vorteil darin bestand, dass Männer wie Herminius mehr an seinem Geld als an seinem Blut interessiert waren. Wenn man ihn festnahm und in die Hauptstadt brachte, hatte niemand etwas davon. Trotzdem trugen seine Männer in der Öffentlichkeit Mäntel über ihren leicht zu erkennenden Rüstungen, und Julius mied die Häuser derjenigen, die ihn erkennen könnten.
Er genoss Servilia, und ihre Liebesspiele waren wie Wasser in der Wüste. Er konnte seinen Durst kaum stillen, ihr Duft war ständig auf seiner Haut und in seiner Lunge. Als der Winter allmählich verging und die Tage länger wurden, verursachte ihm der Gedanke, dass er sie bald verlassen musste, beinahe körperliche Qualen. Ab und zu dachte er daran, sie mitzunehmen oder dafür zu sorgen, dass sie ihn in den neuen Ländern, die er für Rom in Besitz nahm, besuchte. Tausende anderer Siedler beackerten bereits große Flächen jungfräulichen Bodens, so dass er ihr zumindest einen gewissen Komfort versprechen konnte.
Es war nur ein Traum, das wussten sie beide, auch wenn sie davon träumten, ein kleines Haus für sie in einer der römischen Provinzen einzurichten. Servilia konnte die Stadt ebenso wenig verlassen wie der Senat. Sie war ein Teil von ihr. Ohne die Stadt war sie verloren.
Durch sie erfuhr Julius, wie weit Clodius und Milo sich die Herrschaft über die ärmeren Stadtviertel gesichert hatten. Er hoffte, dass Pompeius’ Vertrauen nicht enttäuscht würde, und schrieb ihm noch einen Brief, in dem er ihm seine Unterstützung zusicherte, falls dieser eine Abstimmung zur Diktatur erzwingen wollte. Obwohl Julius wusste, dass er dem Mann niemals vollständig vertrauen konnte, gab es doch wenige andere, die die Kraft und die Fähigkeit hatten, die ungestüme Stadt zu bändigen; sein Angebot war ernst gemeint. Pompeius als Diktator war der Anarchie jederzeit vorzuziehen.
Als die Kälte des Winters nachließ, war Julius die blasse Imitation Roms, die Ariminum letztendlich darstellte, bereits leid. Er konnte es kaum erwarten, dass der Schnee in den Bergen schmolz, obgleich das Ende des Winters auch eine verdrängte Schuld und eine geheime Angst mit sich brachte. Jeder Tag, der verging, brachte ihn dem Augenblick näher, an dem entweder sein ältester Freund zurückkehren oder er die Berge ohne ihn überqueren musste.
Auf dem letzten Abschnitt seines Ritts nach Rom hatte Brutus den Mantel abgelegt. Obwohl die Luft immer noch frisch war, fehlte ihr der Biss des gallischen Winters, außerdem hielt ihn die Anstrengung des Reitens warm. Sein ursprüngliches Pferd hatte er längst bei der ersten Legionsstation auf der Via Flaminia zurückgelassen. Er hatte dafür gezahlt, dass der Wallach gut versorgt wurde, und würde ihn auf dem Rückweg wieder abholen. Dieses System erlaubte ihm, alle 30 Meilen ein frisches Pferd zu übernehmen, und so hatte er die Reise in nur sieben Tagen bewältigt.
Nach der ersten Freude beim Eintritt durch das Stadttor hatte sich über alles ein Schatten gelegt, als er sich seine Umgebung näher betrachtet hatte. Rom sah in mancherlei Hinsicht aus wie immer, aber seine soldatischen Instinkte hatten ihn sofort aufmerken lassen. Alexandrias Briefe hätten ihn auf die Veränderungen vorbereiten sollen, aber es war ihr nicht gelungen, die Stimmung blanker Panik zu übermitteln, die in der Luft lag. Die Hälfte der Männer, denen er begegnete, war auf die eine oder andere Weise bewaffnet. Einem geübten Auge fiel so etwas sofort auf. Mit einer verborgenen Klinge ging man anders, und Brutus spürte eine Anspannung, die er auf den Straßen seiner Heimatstadt noch nie zuvor erlebt hatte. Niemand hielt sich an den Straßenecken auf und plauderte. Rom kam ihm beinahe vor wie eine belagerte Stadt, und unbewusst übernahm er auf seinem eiligen Weg zu Alexandrias Laden das Verhalten der Menschen.
Als er das Geschäft verlassen und verrammelt vorfand, stieg einen Augenblick lang Angst in ihm auf. Vorübergehende hörten ihn rufen, aber keiner von ihnen wagte es, ihm ins Gesicht zu sehen. Sogar die Bettler waren aus den Straßen verschwunden. Brutus dachte nach. Die Stadt lebte in Furcht. Er hatte so etwas schon früher gesehen, bei Menschen, die wussten, dass ein Krieg bevorstand.
Er klopfte an die Türen der anderen Läden in der Straße, und auch das war Besorgnis erregend. Die Eigentümer sahen aus, als wären sie krank vor Angst, und drei von ihnen starrten ihn nur verständnislos an, als er zu erfahren versuchte, was mit Tabbic geschehen war. Der vierte war ein Metzger, der die ganze Zeit wachsam ein großes Knochenbeil in der Hand hielt, solange Brutus sich in seinem Laden aufhielt. Die Eisenklinge schien ihm Selbstvertrauen zu schenken, das den anderen fehlte, und er schickte Brutus in ein Viertel, das viele Straßen entfernt lag. Auch als Brutus sein Geschäft verließ, legte der Mann das Beil nicht weg.
Draußen auf der Straße verstärkte sich das Gefühl wieder. Als er in Griechenland gewesen war, hatten die Veteranen immer von einem »Kribbeln« gesprochen, das ihnen angekündigt hatte, wenn Gefahr drohte. Brutus spürte, wie es ihn kribbelte, während er zwischen den wenigen Passanten einherging. Als er die besagte Adresse erreicht hatte, war er fast überzeugt, dass er Alexandria aus der Stadt schaffen sollte, bevor sich die angestaute Spannung entlud. Was auch immer kommen mochte, er wollte sie nicht mitten darin wissen.
Der neue Laden war viel größer als der alte und erstreckte sich über die zwei Stockwerke eines sehr gepflegten Wohnhauses. Brutus hob die Hand, um anzuklopfen, sah dann aber, dass die Tür offen stand. Er kniff die Augen zusammen und zog geräuschlos seinen Gladius. Lieber machte er sich lächerlich, als dass er unvorbereitet in eine gefährliche Situation tappte. Inzwischen war er auf alles gefasst.
Drinnen war alles fünfmal so groß wie in dem kleinen Laden, den Tabbic zuvor besessen hatte. Brutus’ Blick heftete sich sofort auf die Gestalten am anderen Ende des Raumes. Dort standen Alexandria und Tabbic mit einem ihm unbekannten Mann. Ihnen gegenüber standen vier andere Männer von der Sorte, wie er sie auf den Straßen nur allzu oft gesehen hatte. Keiner der Anwesenden hatte sein Eintreten bemerkt, und Brutus zwang sich, langsam auf die Gruppe zuzugehen, vorbei er an der gewaltigen neuen Schmiedeesse, die an der Wand aufragte und Wärme nach ihm spie, als er daran vorbeikam. Ihr Prasseln übertönte das leise Geräusch seiner Sandalen auf dem Steinboden, und er war schon sehr nahe heran, als einer der Männer plötzlich einen Schritt nach vorn machte und Alexandria zu Boden stieß.
Mit einem Aufschrei stürzte Brutus vor, und die vier Männer wirbelten herum. Zwei von ihnen trugen Messer, zwei hatten Schwerter wie das seine, aber er ließ sich davon nicht beeindrucken. Alexandria rief ihm entsetzt etwas zu, und nur die Verzweiflung in ihrer Stimme hielt ihn davon ab, den ersten Hieb auszuführen.
»Nein, Brutus! Nicht!«, schrie sie.
Die Männer, die sie bedrohten, waren keine Anfänger, das sah er sofort. Sie wichen zur Seite, um nicht möglichen Klingen von hinten ausgesetzt zu sein, während sie sich ihm zuwandten. Brutus ließ das Schwert sinken und trat in ihre Reichweite, als hätte er nichts zu befürchten.
»Was geht hier vor?«, erkundigte er sich und funkelte den Mann an, der sie gestoßen hatte.
»Geht dich nichts an, mein Junge«, sagte einer von ihnen und stieß mit seinem Schwert in Brutus’ Richtung, damit er zusammenzuckte. Brutus sah ihn ungerührt an.
»Ihr habt wirklich nicht den geringsten Schimmer, mit wem ihr redet, was?«, sagte er und grinste hässlich. Seine lässig zur Seite gerichtete Schwertspitze malte kleine Kreise in die Luft. Die winzige Bewegung schien die Blicke der anderen Männer anzuziehen, doch derjenige, der gesprochen hatte, hielt seinem Blick stand und wagte nicht wegzusehen. In der Art, wie Brutus so unbekümmert vor ihren Klingen stand, lag etwas Schreckliches; sein Selbstbewusstsein schüchterte sie ein.
»Wer sind die Kerle, Ria?«, fragte Brutus, ohne sie anzusehen.
»Eintreiber von Clodius«, antwortete sie und stand wieder auf. »Sie verlangen mehr Geld, als wir haben. Mehr als wir verdienen. Aber du darfst sie nicht töten.«
Brutus runzelte die Stirn. »Warum nicht? Niemand würde sie vermissen.«
Einer der Raptores antwortete ihm. »Weil diesem hübschen Mädchen bestimmt nicht gefallen würde, was unsere Freunde mit ihr machen würden, mein Junge. Also steck dein Schwert ...«
Brutus schlitzte dem Mann die Kehle auf und beobachtete ungerührt die anderen, als dieser gurgelnd zusammenbrach. Obwohl er nur wenige Zentimeter von ihren Klingen entfernt stand, wagte keiner von ihnen, sich zu bewegen.
»Möchte noch jemand Drohungen ausstoßen?«, fragte er.
Sie starrten ihn mit aufgerissenen Augen an und vernahmen die grässlichen, würgenden Geräusche vom Boden. Niemand blickte nach unten.
»Oh nein, bei den Göttern«, hörte er Alexandria flüstern.
Brutus ignorierte sie und wartete darauf, dass einer der Männer das Schweigen brach, das sie gefangen hielt. Er hatte gesehen, wie Renius Gruppen eingeschüchtert hatte, aber es gab immer irgendwelche Dummköpfe. Er sah zu, wie die Männer sich rückwärts von ihm wegschoben, bis sie außer Reichweite seines Gladius’ waren. Brutus machte zwei rasche Schritte auf sie zu.
»Jetzt bloß keine dummen Bemerkungen, Freunde. Keine Schmähungen beim Hinausgehen. Verschwindet einfach. Wenn es sein muss, finde ich euch überall.«
Die Männer wechselten Blicke, aber keiner von ihnen sagte etwas, als sie an den Essen vorbei zur Eingangstür gingen. Der Letzte machte sie leise hinter sich zu.
Alexandria war bleich vor Angst und Zorn.
»Das wär’s dann«, sagte sie. »Du weißt ja nicht, was du getan hast. Sie kommen mit mehr Leuten zurück und brennen uns den Laden nieder. Bei den Göttern, Brutus, hast du denn nicht gehört, was ich gesagt habe?«
»Ich habe es gehört, aber jetzt bin ich ja da«, antwortete er und wischte sein Schwert an dem erkaltenden Leichnam zu seinen Füßen ab.
»Wie lange? Wir müssen auch dann mit ihnen leben, wenn du wieder bei deinen Legionen bist, verstehst du das denn nicht?«
Brutus spürte, wie Zorn in ihm aufloderte. Er hatte schon genug davon, ständig von Julius kritisiert zu werden.
»Hätte ich einfach zusehen sollen? Ja? Wenn du erwartest, dass ich einfach untätig danebenstehe, wenn sie dich bedrohen, dann bin ich nicht derjenige, für den du mich hältst!«
»Er hat Recht, Alexandria«, mischte sich Tabbic ein und nickte Brutus zu. »Jetzt lässt es sich ohnehin nicht mehr ungeschehen machen, aber Clodius wird weder uns noch dich vergessen, Brutus. Wir müssen eben die nächsten paar Nächte in der Werkstatt schlafen. Bleibst du bei uns?«
Brutus musterte Alexandria. Es war nicht gerade die Begrüßung, die er sich auf seinem Ritt nach Süden ausgemalt hatte, aber dann zuckte er die Achseln.
»Selbstverständlich. Dadurch spare ich zumindest die Kosten für eine Unterkunft. Kriege ich jetzt endlich einen Begrüßungskuss oder nicht? Aber bestimmt nicht von dir, Tabbic.«
»Erst schaffen wir die Leiche weg«, sagte Alexandria.
Sie hatte angefangen zu zittern, und Tabbic setzte einen Kessel auf den Schmiedeofen, um ihr etwas Warmes zu trinken zu brauen. Brutus seufzte, packte den Leichnam an den Knöcheln und zog ihn über die Steinfliesen.
Als er außer Hörweite war, beugte sich Teddus zu Alexandria. »Ich habe noch nie jemanden so schnell zuschlagen sehen«, sagte er.
Sie blickte ihn an und nahm aus Tabbics Hand eine Tasse mit heißem, würzigen Wein entgegen.
» Er hat Cäsars Turnier gewonnen, weißt du nicht mehr?« Teddus stieß einen leisen Pfiff aus.
»Die Silberrüstung? Das will ich wohl glauben. Ich habe selbst ein kleines Sümmchen auf ihn gewettet und gewonnen. Soll ich heute Nacht hier bleiben? Es könnte eine lange Nacht werden, wenn Clodius erfährt, was mit seinem Mann hier passiert ist.«
»Kannst du denn bleiben?«, fragte Alexandria.
Der alte Soldat schaute beschämt zur Seite.
»Natürlich«, sagte er mürrisch. »Und mit deiner Erlaubnis hole ich meinen Sohn dazu.« Er räusperte sich, um seine Verlegenheit zu überspielen. »Wenn sie in der Nacht jemanden herschicken, wäre es gut, einen Ausguck auf dem Dach zu haben. Dort oben macht er auch keinen Ärger.«
Tabbic sah die beiden an und nickte, nachdem er seine Entscheidung getroffen hatte.
»Ich bringe meine Frau und die Kinder für ein paar Tage zu ihrer Schwester. Dann gehe ich in der alten Straße vorbei und versuche, ein paar kräftige Burschen für heute Nacht zu finden. Vielleicht freuen sie sich über eine Gelegenheit, wenigstens einmal zurückzuschlagen. Schließ hinter mir ab, wenn ich draußen bin.«
Clodius’ Männer kamen mit Fackeln, um den Laden niederzubrennen, als es dunkel war. Es waren viele. Teddus’ Sohn kam die Hintertreppe heruntergepoltert, rief seine Warnung, und Brutus fluchte laut. Er hatte seine silberne Rüstung aus dem letzten Wachhaus an der Stadtmauer geholt und zurrte nun die Riemen und Schnallen des Brustpanzers fest, während er sich kampfbereit machte. Er ließ den Blick über die zusammengewürfelte Truppe schweifen, die sich vor Tabbics Schmiedeessen versammelt hatte. Der Goldschmied hatte vier junge Männer aus den Läden in der alten Straße mitgebracht. Sie trugen gute Klingen, obwohl Brutus bezweifelte, dass sie mehr damit anfangen konnten, als wild drauflos zu hacken. In der letzten Stunde vor Einbruch der Dunkelheit hatte er ihnen den Vorteil eines wiederholten Stoßes erklärt und sie so lange üben lassen, bis sich ihre steifen Muskeln gelockert hatten. Jetzt betrachteten sie den Krieger in der Silberrüstung vor ihnen mit glänzenden Augen.
»Wenn sie Feuer legen wollen, müssen wir hinausgehen und sie stellen. Das Haus hat Balken aus Holz, also müssen wir Wassereimer bereithalten, falls die Kerle durchkommen. Wenn es genug sind, könnte es ... schwierig werden. Wer kommt mit?«
Die vier Burschen, die Tabbic mitgebracht hatte, hoben zur Antwort ihre neuen Schwerter, und Tabbic nickte. Auch Teddus hob die Hand, aber Brutus schüttelte den Kopf.
»Du nicht. Einer mehr nützt draußen nichts, aber wenn sie an uns vorbeikommen, muss jemand hier bei Alexandria sein. Ich will nicht, dass sie allein bleibt.«
Brutus sah sie an, und sein Gesicht verzog sich vor Missfallen. Sie hatte sich geweigert, mit Tabbics Frau und den Kindern zu gehen, und jetzt hatte er Angst um sie.
»Wenn sie kommen, hält Teddus sie auf, und du läufst zur Hintertreppe, verstanden? Sein Sohn führt dich durch die Gassen, und du verschwindest. Das heißt, falls du immer noch bleiben willst. Du solltest nicht hier sein, wenn dieser Pöbel anrückt. Ich weiß, was dann alles geschehen kann.«
Seine Warnung machte ihr Angst, aber sie hob trotzig das Kinn. »Dieser Laden gehört mir. Ich laufe nicht davon.«
Brutus sah sie finster an, hin- und hergerissen zwischen Wut und Bewunderung. Er warf ihr einen kleinen Dolch zu und sah, dass sie ihn geschickt aus der Luft fing und die Klinge überprüfte. Ihre Haut schimmerte im Halbdunkel bleich wie Milch.
»Wenn sie an uns vorbeikommen, musst du davonlaufen«, sagte er sanft. »Ich will mir keine Gedanken darüber machen müssen, was sie dir antun werden.«
Bevor sie ihm antworten konnte, wurden die Rufe auf der Straße lauter, und Brutus seufzte. Er zog seinen Gladius und ließ den Kopf kreisen, um die Halsmuskeln zu lockern.
»Na schön, Jungs. Auf geht’s. Tut, was ich euch sage, dann werdet ihr gern an diesen Abend zurückdenken. Wenn ihr in Panik geratet, tragen eure Mütter bald schwarz. Ist das klar?«
Tabbic lachte leise auf, und die anderen Männer nickten stumm und voller Ehrfurcht vor diesem silbernen Feldherrn. Ohne Vorwarnung marschierte Brutus über den hallenden Boden und stieß die Eingangstür auf. Orangefarbenes Flackern spiegelte sich auf seiner Rüstung, als er hinaustrat.
Brutus schluckte trocken, als er sah, wie viele Männer hergeschickt worden waren, um an ihnen ein Exempel zu statuieren. Die Menge kam stolpernd zum Stehen, als er sich vor ihr aufbaute und seine vier Gefährten sich in einer Reihe links und rechts von ihm aufstellten. Es war eine Sache, Händler in den Gassen in Angst und Schrecken zu versetzen, eine Gruppe bewaffneter Soldaten anzugreifen war jedoch etwas völlig anderes. Jeder Mann in der Meute erkannte die silberne Rüstung, die Brutus trug; ihr Rufen und Lachen verstummte sofort. Brutus hörte das Knistern ihrer Fackeln, während sie ihn musterten und sich das stumpfe, orangefarbene Licht in ihren Augen fing, die glitzerten wie die Lichter eines Rudels wilder Hunde.
Renius hatte einmal gesagt, ein starker Mann könne mit einem Pöbelhaufen fertig werden, wenn er die Initiative ergriff und sie nicht wieder aus der Hand gab. Er hatte auch zugegeben, dass selbst der erfolgreichste Bluff nach hinten losgehen konnte, wenn sich eine Meute hinter ihrer Überzahl versteckte. Niemand rechnet ernsthaft damit, sterben zu müssen, wenn er von seinen Freunden umgeben war, und dieses Vertrauen konnte dazu führen, dass sie auf Schwerter losgingen, gegen die sich keiner von ihnen allein gewagt hätte. Brutus hoffte, dass sie wenigstens nicht betrunken waren. Er holte tief Luft.
»Das ist eine ungesetzliche Versammlung«, schleuderte er ihnen entgegen. »Ich bin der Heerführer der Dritten Gallica, und ich sage euch: Geht zurück zu euren Häusern und euren Familien. Ich habe Bogenschützen auf dem Dach postiert. Besudelt euch nicht mit Schande, indem ihr alte Männer und wehrlose Frauen in diesem Haus angreift.«
In diesem Moment wünschte er, Julius wäre bei ihm. Julius hätte die richtigen Worte gefunden, um sie zur Umkehr zu bewegen. Zweifellos hätten sie ihn am Ende jubelnd durch die Straßen getragen und sich einer neuen Legion angeschlossen. Der Gedanke daran ließ Brutus trotz der Anspannung lächeln, und diejenigen, die das sahen, zauderten. Einige von ihnen blinzelten hinauf in die Dunkelheit, konnten aber im Schein ihrer Fackeln nichts erkennen. In Wahrheit war dort auch nichts zu sehen. Hätte Brutus ein paar Tage mehr gehabt, hätte er womöglich ein paar gute Männer aufgetrieben, um sie auf dem überhängenden Dach zu postieren, aber so wie die Dinge standen, beobachtete sie von dort oben nur Teddus’ Sohn, und der war unbewaffnet.
Ein plötzliches Krachen ließ alle Männer zusammenfahren oder fluchen, und Brutus spannte sich und machte sich auf ihren Ansturm gefasst. Er sah, dass sich ein Ziegel gelöst, vom Dach gerutscht und mitten in der Meute zersprungen war. Er fragte sich, ob das absichtlich passiert war, oder ob der junge Bursche gleich dem Ziegel folgen und, ungeschickt wie er war, auf die Menge herabfallen würde.
»Geht uns lieber aus dem Weg!«, rief ein Mann von weiter hinten. Ein Knurren der Menge pflichtete ihm bei.
»Ich bin ein Soldat Roms, du Hurensohn«, höhnte Brutus. »Ich bin nicht vor den Sklaven davongelaufen. Ich bin nicht vor den gallischen Horden davongelaufen. Was habt ihr zu bieten, das sie nicht hatten?«
Brutus konnte sehen, dass die Menge keinen Anführer hatte. Sie schubsten und stießen einander, aber es gab keinen, der über die Autorität verfügt hätte, sie gegen die Schwerter der Männer auf der Straße vor dem Laden zu schicken.
»Eins sage ich euch«, rief Brutus. »Ihr denkt, ihr seid hier sicher, Jungs? Wenn Cäsar aus Gallien zurückkehrt, findet er jeden Einzelnen der Männer, die seine Freunde bedroht haben. Das ist in Stein gemeißelt, meine Freunde. Jedes Wort. Ein paar von euch werden gewiss schon jetzt von ihm bezahlt. Sie werden Listen mit Namen für ihn bereithalten und wissen, wo man diejenigen findet. Da könnt ihr sicher sein. Und wenn er kommt, fährt er durch euch hindurch wie ein heißes Messer.«
Es war in der Dunkelheit schwer zu erkennen, aber Brutus hatte den Eindruck, als löse sich die Meute auf, als verdrückten sich diejenigen an den Rändern nach und nach in den Gassen. Eine Fackel wurde von ihrem Träger fallen gelassen und von einem anderen aufgehoben. Welche Macht Clodius auch über sie haben mochte, Julius’ Name war an jeder Straßenecke vorgelesen worden, und er wirkte auf diejenigen, die sich heimlich davonstahlen, wie ein Talisman.
Innerhalb kürzester Zeit sah sich Brutus nicht mehr als fünfzehn Mann gegenüber, zweifellos denjenigen, die Clodius damit beauftragt hatte, den Laden niederzubrennen. Keiner von ihnen durfte zurückweichen, es sei denn, er wollte am folgenden Morgen aus dem Bett gezerrt werden. Brutus sah, wie ihre Gesichter vor Schweiß zu glänzen anfingen, als sie bemerkten, wie rapide ihre Anzahl abnahm.
Brutus redete ruhig auf sie ein, denn er wusste, dass ihre Verzweiflung sie unberechenbar machte.
»An eurer Stelle würde ich die Stadt eine Zeit lang verlassen, Jungs. Ariminum ist weit genug entfernt, und dort gibt es im Hafen immer Arbeit für jemanden, der bereit ist, ein bisschen zu schwitzen.«
Der Großteil der Männer blickte ihn wütend, aber unentschlossen an. Es waren immer noch zu viele, als dass Brutus sich im Falle eines Angriffs eine echte Chance ausgerechnet hätte. Ihre Klingen warfen das Licht der Fackeln zurück, und in den harten Gesichtern war kein Anzeichen von Schwäche zu erkennen. Er blickte kurz nach links und rechts und sah die Anspannung der Männer neben sich.
»Kein Wort, Jungs«, murmelte Brutus. »Jetzt bloß nichts auslösen.«
Mit einem angewiderten Schnauben warf einer der Fackelträger seine Fackel auf die Straße und stelzte davon. Zwei weitere folgten seinem Beispiel, und die anderen wechselten misstrauische Blicke. Dann gingen sie in Gruppen von zweien und dreien davon, bis nur noch eine Hand voll von ihnen zurückblieb.
»Wenn ich ein rachsüchtiger Mann wäre, wäre ich sehr versucht, euch auf der Stelle kurz und klein zu hacken«, sagte Brutus zu ihnen. »Ihr könnt nicht die ganze Nacht hier stehen bleiben.«
Einer der Kerle verzog das Gesicht.
»Clodius wird dich damit nicht einfach davonkommen lassen. Morgen früh wird er einen Mordskrach schlagen.«
»Gut möglich. Vielleicht habe ich die Gelegenheit, vorher mit ihm zu sprechen. Vielleicht ist er ja vernünftig.«
»Du kennst ihn wohl nicht, was?«, sagte der Mann und grinste. Brutus entspannte sich allmählich.
»Geht ihr jetzt nach Hause oder nicht? Es ist zu kalt, um noch länger hier draußen herumzustehen.«
Der Mann sah sich nach seinen letzten beiden Kumpanen um. »Ich gehe«, sagte er. »Stimmt es, was du gesagt hast?«
»Was meinst du?«, erwiderte Brutus und dachte an seine nicht existierenden Bogenschützen.
»Dass du ein Freund von Cäsar bist?«
»Wir sind wie Brüder«, sagte Brutus leichthin.
»Er ist ein guter Mann für Rom. Ein paar von uns hätten nichts dagegen, wenn er wieder zurückkommt. Zumindest diejenigen mit Familie.«
»Er wird nicht ewig in Gallien bleiben«, erwiderte Brutus.
Der Mann nickte, dann verschwand er mit seinen Freunden in der Dunkelheit.
Brutus nächtigte eine ganze Woche lang auf dem Boden der Werkstatt. Am Abend nach dem Überfall stattete er Clodius’ Haus in der Stadtmitte einen Besuch ab, fand es aber besser bewacht als jede Festung und mit bewaffneten Männern gespickt vor. Während die Tage vergingen, wurde seine Besorgnis nur noch größer. Es war, als hielte die Stadt den Atem an.
Obwohl Tabbic seinem Rat folgte und seine Familie von seinem Laden fernhielt, wurde Alexandria mit jedem Tag gereizter, an dem sie gezwungen war, auf dem harten Boden zu schlafen. Alles, was sie besaß, steckte in den neuen Räumen, von den Wänden über das Dach bis hin zu den Vorräten aus Edelmetall und den gewaltigen Schmiedeöfen. Sie würde ihr Hab und Gut nicht verlassen, und Brutus konnte nicht in den Norden zurück, solange er sie in Gefahr glaubte.
Die jungen Männer, die ihnen gegen die Eintreiber beigestanden hatten, blieben ebenfalls. Tabbic hatte ihnen einen kleinen Lohn als Wachen angeboten, aber sie wollten sein Geld nicht. Sie verehrten den silbernen Feldherrn, der sie um ihre Hilfe gebeten hatte, und im Gegenzug verbrachte Brutus jeden Tag ein paar Stunden damit, sie im Umgang mit ihren Schwertern zu unterrichten.
Gegen Mittag, wenn viele in der Stadt eine Mittagspause machten, dünnten die dichten Menschenmengen immer ein wenig aus. Zu dieser Zeit verließ Brutus mit einem oder zwei der jungen Männer das Haus, um Lebensmittel und Informationen zu beschaffen. Wenigstens konnten sie sich immer eine warme Mahlzeit auf den Schmiedeherden zubereiten, aber der übliche Tratsch auf den Märkten schien abgewürgt worden zu sein. Brutus schnappte bestenfalls hier und da ein paar Bruchstücke auf. Seine Mutter fehlte ihm in der Stadt. Ohne sie erfuhr er nichts davon, was in den Senatssitzungen vor sich ging, und allmählich kam er sich blind und hilflos vor, in einer Stadt, die sich Nacht für Nacht mehr anzuspannen schien.
Obwohl Pompeius nach Rom zurückgekommen war, kehrte keine Ordnung in den Straßen ein, schon gar nicht nach Einbruch der Dunkelheit. Mehr als einmal wurden Brutus und die anderen von gedämpften Geräuschen der Gewalt auf der Straße geweckt. Vom Dach aus konnten sie fernen Feuerschein erkennen, irgendwo im Labyrinth der Seitenstraßen und Gässchen. Die bewaffneten Banden unternahmen keinen zweiten Versuch, die Werkstatt anzugreifen, und Brutus befürchtete, dass ihre Herren mit ernsthafteren Kämpfen beschäftigt waren.
In der Mitte der zweiten Woche erzählte man sich auf allen Märkten, Clodius’ Raptores hätten das Haus des Redners Cicero überfallen und versucht, es ihm über dem Kopf anzuzünden. Der Mann konnte ihnen entwischen, aber es gab keinen öffentlichen Aufschrei gegen Clodius, was für Brutus ein weiteres Zeichen dafür war, dass Recht und Gesetz in dieser Stadt nicht mehr zählten. Seine Auseinandersetzungen mit Alexandria wurden immer hitziger, bis sie sich schließlich dazu bereit erklärte, das Ende der Krise auf Julius’ Landgut vor den Toren Roms abzuwarten. Die Stadt selbst verwandelte sich nachts immer mehr in ein Schlachtfeld, und die Werkstatt war das Leben seiner Schützlinge nicht wert. Für eine ehemalige Sklavin jedoch war der Laden das Symbol für alles, was sie erreicht hatte, und Alexandria weinte bitterlich darüber, dass sie ihn den Banden überlassen sollte.
Brutus wagte sich auf ihr Bitten hin zu Alexandrias Haus, um ein paar Kleidungsstücke zu holen, und kam mit Octavians Mutter Atia zurück, die sich der kleinen Gruppe anschloss, die sich bei Einbruch der Dunkelheit in der Werkstatt zusammendrängte.
Der junge Feldherr litt jeden Tag mehr unter der erzwungenen Untätigkeit. Wäre er allein gewesen, hätte er sich leicht der Legion des Pompeius in ihrer Kaserne anschließen können. So aber schien die Zahl derer, die sich Schutz von ihm erhofften, von Tag zu Tag größer zu werden. Tabbics Schwester hatte ihren Mann und die Kinder zu Tabbics drei kleinen Töchtern in die Sicherheit des Ladens gebracht. Die Familien der jungen Männer hatten ihre Gruppe weiter anwachsen lassen, und Brutus dachte mit Grauen daran, 27 Menschen durch die gewalttätige Stadt zu führen, selbst am helllichten Tag. Als der Senat eine allgemeine Ausgangssperre ab Sonnenuntergang verkündete, beschloss Brutus, dass er nicht länger warten konnte. Nur gesetzestreue Bürger schienen dem Erlass des Senats Folge zu leisten, auf die herumstreunenden Banden hatte er keine Wirkung, und noch in derselben Nacht wurde eine Nachbarstraße des Ladens angezündet. Erbärmliche Schreie hallten durch die Dunkelheit, bis sie irgendwann verstummten.
Als die träge Stadt am darauf folgenden Morgen erwachte, bewaffnete Brutus seine Gruppe mit allem, was Tabbic auftreiben konnte, von Schwertern über Messer bis hin zu Eisenstangen.
»Wir brauchen bestimmt eine gute Stunde durch die Straßen, und womöglich seht ihr Dinge, bei denen ihr am liebsten stehen bleiben würdet«, sagte er zu ihnen. Er wusste, dass sie von ihm Rettung erwarteten, und er zwang sich angesichts dieses Vertrauens dazu, weiterhin guter Dinge zu sein.
»Egal was geschieht, wir bleiben nicht stehen, hat das jeder verstanden? Wenn wir angegriffen werden, schlagen wir zurück und gehen weiter. Wenn wir erst durch das Tor sind, brauchen wir nur ein paar Stunden bis zu dem Landgut. Dort sind wir sicher, bis sich die Lage hier beruhigt hat.«
Er trug seine silberne Rüstung, die inzwischen vom Schmutz und Ruß matt geworden war. Einer nach dem anderen nickte, als er ihnen in die Augen sah.
»Die Unruhen sind bestimmt in ein paar Tagen oder Wochen vorbei«, sagte er. »Ich habe schon Schlimmeres gesehen, glaubt mir.«
Er dachte an das, was ihm Julius von dem Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla erzählt hatte, und wünschte, sein Freund wäre hier. Obwohl er ihn manchmal hasste, gab es doch nur wenige Männer, die er in einer kritischen Lage lieber an seiner Seite wüsste. Nur Renius’ Anwesenheit wäre noch beruhigender gewesen.
»Alle bereit?«, fragte Brutus. Er holte tief Luft, öffnete die Tür und spähte nach draußen.
Abfall und Unrat hatten sich an den Straßenecken gesammelt, und wilde Hunde, die kaum mehr als Haut und Knochen waren, stritten sich knurrend und schnappend um irgendwelche Fetzen. Brandgeruch hing in der Luft, und Brutus sah eine Gruppe Bewaffneter an einer Kreuzung herumlungern, als gehörte die Stadt ihnen.
»Gut. Folgt mir, und zwar rasch«, sagte er. Seine Stimme verriet seine Anspannung.
Sie traten auf die Straße, und Brutus sah, wie die Gruppe der Männer sie aufmerksam musterte, als sie entdeckt wurden. Er stieß einen unterdrückten Fluch aus. Eins der kleinen Mädchen fing an zu weinen, und Tabbics Schwester nahm sie auf den Arm und beruhigte sie im Weitergehen.
»Lassen die uns passieren?«, murmelte Tabbic dicht neben Brutus.
»Keine Ahnung«, antwortete Brutus und ließ die Gruppe nicht aus den Augen. Es waren zehn oder zwölf, alle mit Ruß auf der Haut und in den Haaren. Die meisten hatten von ihrem nächtlichen Treiben gerötete Augen, und Brutus wusste, dass sie beim kleinsten Anzeichen von Schwäche angreifen würden.
Die Männer zückten Klingen und traten auf die offene Straße hinaus, um ihnen den Weg zu versperren. Brutus fluchte leise.
»Tabbic? Wenn ich zu Boden gehe, bleib nicht stehen. Alexandria kennt das Gut genauso gut wie ich. Sie werden sie dort nicht abweisen.«
Noch während er sprach, machte Brutus größere Schritte und zog mit einer geschmeidigen Bewegung seinen Gladius. Er fühlte Wut in sich lodern, dass Männer wie diese die Unschuldigen der Stadt bedrohen konnten. Es widersprach seinen grundsätzlichsten Überzeugungen, und das Weinen der Kinder hinter ihm spornte ihn an.
Die Männer stoben auseinander, als Brutus den Kopf des Ersten vom Rumpf schlug, den Körper mit der Schulter umstieß und zwei weitere tötete, als diese sich zur Flucht wandten. Innerhalb weniger Sekunden rannten die anderen schreiend vor Angst davon. Brutus ließ sie laufen und kehrte zu den anderen zurück, die Tabbic und Alexandra weiterführten. Die Erwachsenen versuchten, die Kinder davon abzuhalten, sich nach den blutigen Leichnamen umzusehen, die Brutus zurückgelassen hatte.
»Schakale«, sagte Brutus nur, als er sich ihnen wieder anschloss. Die Kinder sahen ihn entsetzt an, und er bemerkte, dass sein silberner Brustpanzer blutbespritzt war. Eines der Jüngsten fing an zu schluchzen und zeigte mit dem Finger auf ihn.
»Weiter, zum Tor!«, blaffte er und war plötzlich wütend auf sie alle. Sein Platz war in der römischen Legion, nicht hier, als Hütehund für ängstliche Mädchen. Er blickte nach hinten und sah, dass sich die Männer wieder zusammengerottet hatten und ihnen hungrig nachstarrten. Sie machten keine Bewegung in seine Richtung, und Brutus spuckte angewidert aufs Pflaster.
Auf dem Weg zum Tor begegneten sie fast keiner Menschenseele. So gut es ging, folgte Brutus den Hauptstraßen, doch selbst dort fehlten sämtliche Anzeichen des normalen Lebens. Der große Markt, der Milo gehörte, lag leer und verlassen da, nur der Wind blies ihnen trockene Blätter und Staub um die Füße. Sie kamen an einer ganzen Reihe ausgebrannter Läden und Häuser vorbei, und eines der Kinder begann beim Anblick einer verkohlten Leiche, die in einem Hauseingang feststeckte, zu schreien. Alexandria legte dem Kind die Hand über die Augen, bis sie vorbei waren, und Brutus sah, dass ihre Hände zitterten.
»Da vorne ist das Tor«, sagte Tabbic, um sie aufzumuntern, doch in diesem Augenblick kam eine Meute lachender, betrunkener Männer um eine Straßenecke und erstarrte, als sie Brutus erblickten. Genau wie die erste Gruppe waren sie mit der Asche und dem Ruß der Brände verschmiert, die sie gelegt hatten. Nur ihre Augen und Zähne blitzten aus den verdreckten Gesichtern, als sie hastig nach ihren Waffen griffen.
»Lasst uns durch!«, brüllte Brutus sie an und erschreckte die Kinder hinter ihm erneut.
Die Männer lachten nur höhnisch, als sie seine zusammengewürfelte Truppe in Augenschein nahmen. Das Gelächter erstarb sofort, als Brutus sich auf sie stürzte und wie im Rausch herumwirbelte und um sich schlug. Sein Gladius war von dem berühmtesten spanischen Waffenschmied hergestellt worden, und jeder seiner Hiebe fuhr durch Kleider und Glieder, so dass um ihn herum große Blutfontänen aufspritzten. Er hörte sich selbst nicht schreien, während er fühlte, wie ihre Klingen an seinem Panzer abglitten.
Ein schwerer Schlag ließ ihn benommen auf ein Knie sinken, doch er knurrte nur wie ein wildes Tier, erhob sich sogleich mit frischer Kraft und stieß seinen Gladius einem Gegner von unten in die Brust. Die Klinge zerriss Muskeln und Rippen, gerade als Brutus, von einem Kriegsbeil getroffen, benommen zur Seite wankte. Der Schlag hatte auf seinen Kopf gezielt, sich jedoch in den Panzer gebohrt und war dort stecken geblieben. Er spürte seine Wunden nicht und nahm nur dunkel wahr, dass Tabbic mit den jungen Männern eingriff. Dieses eine Mal verlor er sich völlig im Kampf und scherte sich in seinem Blutrausch nicht um die eigene Deckung. Ohne den Panzer hätte er den Hieb nicht überlebt, doch jetzt drang Tabbics Stimme durch seine Raserei, und Brutus hielt inne, um das Blutbad ringsum in Augenschein zu nehmen.
Keiner der Raptores hatte überlebt. Das Straßenpflaster war mit abgetrennten Gliedmaßen und Leichen bedeckt, umgeben von dunklen, sich rasch ausbreitenden Pfützen.
»Schon gut, mein Junge, es ist vorbei«, hörte er Tabbic wie aus weiter Ferne sagen. Er spürte die kräftigen Finger des Mannes an seinem Nacken, wo das Beil immer noch in der Rüstung steckte, und Brutus’ Kopf wurde wieder klarer. Blut rann von seiner Rüstung, und als er an sich heruntersah, bemerkte er, dass es auch träge aus einer Wunde an seinem Oberschenkel quoll. Er betastete den Schnitt wie betäubt und wunderte sich darüber, dass er keinen Schmerz spürte.
Brutus deutete mit dem Schwert zum Tor. Sie waren so dicht davor, dass ihm der Gedanke, stehen zu bleiben, unerträglich war. Er sah, wie Alexandria ihren Rock zerriss, um sein Bein zu verbinden, während er wie ein Hund keuchte und wartete, bis er wieder genug Luft bekam, um ihnen zu sagen, dass sie sich sofort in Bewegung setzen sollten.
»Ich traue mich nicht, diese Axt herauszuziehen, bevor ich nicht weiß, wie tief sie drinsteckt«, sagte Tabbic. »Leg den Arm um meine Schulter, mein Junge. Ich nehme dein Schwert.«
Brutus nickte und schluckte zähen Speichel herunter.
»Nicht stehen bleiben«, sagte er schwach und setzte sich wankend mit ihnen in Bewegung. Einer der jungen Männer stützte seinen anderen Arm, und gemeinsam gingen sie unter dem Schatten des Tores hindurch. Es war nicht besetzt. Als sich das Pflaster unter ihren Füßen veränderte, begann leichter Schnee auf die schweigende Gruppe zu fallen, und der Geruch nach Rauch und Blut wurde vom Wind weggeweht.
Clodius atmete in der eisigen Luft tief durch und wunderte sich
über den Anblick des Forums rings um ihn. Er hatte alles gegeben, um Milos Leute mit einem letzten Versuch niederzuringen; die Kämpfe hatten mitten durch die Stadt getobt und sich schließlich sogar bis auf das Forum ausgedehnt.
Dort waren im Schneetreiben jetzt mehr als dreitausend Mann in Gruppen und Paaren damit beschäftigt, sich gegenseitig umzubringen. Es gab weder eine Taktik noch irgendwelche Manöver, und jeder Mann kämpfte in ständiger Angst vor denjenigen rings um sich herum, einer wogenden Masse, bei der sich Freund und Feind fast nicht auseinander halten ließen. Wenn einer von Clodius’ Männern triumphierte, konnte er im nächsten Augenblick von hinten erdolcht werden oder von einem anderen die Kehle aufgeschlitzt bekommen.
Der Schnee fiel dichter. Clodius sah den blutigen Matsch zu Füßen seiner Leibwache, als Milos Gladiatoren versuchten, an ihn heranzukommen. Dann wurde er gegen die Stufen eines Tempels zurückgedrängt. Er überlegte, ob er sich hineinflüchten sollte, wusste aber, dass er auch dort keinen Schutz vor seinen Feinden finden würde.
Gewannen seine Leute die Oberhand? Es war unmöglich zu erkennen. Alles hatte recht gut angefangen, nachdem Pompeius’ Legion in den Osten der Stadt gelockt worden war, um einen angeblichen Aufstand niederzuschlagen und eine Reihe von Bränden zu löschen. Milos Männer waren in der ganzen Stadt verteilt, und Clodius hatte sein Haus überfallen, seine Tore niedergerissen. Milo war nicht daheim gewesen, und der Angriff war zusammengebrochen, als Clodius nach ihm suchte, verzweifelt bemüht, die Pattsituation aufzulösen, die mit dem Tod des einen oder anderen Kontrahenten enden musste.
Er konnte nicht genau sagen, wann ihr stummer Krieg zu einem offenen Konflikt ausgebrochen war. Jede Nacht hatte sie einander näher gebracht, bis er auf einmal auf dem Forum um sein Leben kämpfte, während Schnee um ihn herum wirbelte und das Senatsgebäude auf sie alle herabschaute.
Clodius wandte den Kopf, als noch mehr Männer aus einer Seitenstraße herbeigerannt kamen. Erleichtert stellte er fest, dass es seine Leute waren, angeführt von seinen ausgewählten Offizieren.
Wie Milos Gladiatoren trugen auch sie Brustpanzer und bahnten sich einen Weg durch die kämpfenden Männer zu ihm.
Clodius wirbelte herum und sah drei Gestalten mit ausgestreckten Klingen auf ihn zuspringen. Den Ersten streckte er mit einem gewaltigen Schwerthieb nieder, doch der zweite bohrte seinen Dolch in seine Brust und ließ ihn vor Schreck und Schmerz laut aufstöhnen. Er spürte jeden Zentimeter des Metalls, kälter als der Schnee, der sich so leicht auf seine Haut legte. Clodius sah, wie der Mann von ihm heruntergezerrt wurde, doch jetzt wühlte sich der dritte Angreifer durch, und Clodius brüllte vor Schmerz auf, als dessen Messer wieder und wieder in sein Fleisch eindrang.
Er sank in die Knie, seine unbändige Kraft verließ ihn, und immer noch stach der Mann auf ihn ein, während Clodius’ Freunde vor Zorn und Kummer in Raserei gerieten. Endlich erreichten sie seinen Angreifer, doch als sie ihn wegrissen, sank Clodius sanft in den blutigen Schnee. Im Sterben konnte er die Stufen des Senatsgebäudes sehen, und in der Ferne hörte er die Hörner der Legion des Pompeius.
Milo focht ein erbittertes Rückzugsgefecht, als die Legion mit voller Wucht auf das offene Forum gestürmt kam. Diejenigen, die zu langsam oder noch in ihre Zweikämpfe verwickelt waren, wurden von der Kampfmaschine niedergemäht, und Milo brüllte seinen Männern zu, das Weite zu suchen, ehe sie restlos aufgerieben wurden. Eben noch hatte er voller Begeisterung geschrien, als Clodius zu Boden ging, doch nun musste er selbst einen sicheren Ort finden, wo er seine Streitkräfte neu formieren und weitere Schritte überdenken konnte. Wenn er nur den Angriff der Legion überlebte, würde ihm in Zukunft nichts mehr im Wege stehen. Er rutschte immer wieder im Schnee aus, als er mit den anderen davonrannte, die zu Hunderten flohen wie Ratten vor der Sense.
Viele von Clodius’ Männern wurden eingeholt, bevor sie sich davonmachen konnten, und auch sie waren zu panischer Flucht gezwungen, als die Legionäre alles niedermachten, was sich vor ihnen regte. Das Forum leerte sich in alle Richtungen, die Zugangsstraßen füllten sich mit flüchtenden Banden, die sich angesichts einer größeren Gefahr nicht mehr als Feinde ansahen. Die Verwundeten schleppten sich schreiend davon, doch diejenigen, die zu Boden gingen, wurden in Stücke gehauen, als die Reihen der Legionäre über sie hinwegrollten.
Nach kurzer Zeit war das weite Forum menschenleer, nur noch die reglosen, schlaffen Gestalten der Toten waren übrig, und auch die wurden bereits von einer dünnen Schneedecke verhüllt. Der Wind heulte zwischen den Tempeln. Die Offiziere der Legion berieten sich und riefen ihren Einheiten knappe Befehle zu. Kohorten wurden auf ihre Posten in der ganzen Stadt geschickt, und inzwischen trafen weitere Berichte ein, die besagten, dass die Unruhen im Tal des Esquilin ausgebrochen seien. Dort hielt sich Pompeius in voller Rüstung auf. Er hatte 1000 Mann zur Sicherung des Stadtzentrums zurückgelassen und drei Kohorten durch die Straßen nach Norden geführt, um die Ausgangssperre durchzusetzen.
»Macht die Straßen frei«, befahl er. »Schafft sie alle wieder in ihre Häuser, bis wir die Banden im Griff haben.« Hinter ihm erleuchteten neue Feuersbrünste den grauen Himmel, und der Schnee fiel noch immer.
In jener Nacht geriet die Stadt völlig aus den Fugen. Clodius’ Leiche war in den Tempel der Minerva gebracht worden, und Tausende von Menschen stürmten das Gebäude, rasend vor Trauer und Zorn über den Tod ihres Herrn. Die Legionäre wurden in Stücke gerissen, Brände brachen in der gesamten Stadt aus, als diejenigen, die Clodius gefolgt waren, Jagd auf Milo und seine Anhänger machten. Wütende Schlachten wurden in den Straßen gegen Pompeius’ Männer ausgetragen, und zweimal waren die Legionäre gezwungen, sich zurückzuziehen, als sie von allen Seiten angegriffen wurden und sich im Gewirr der Gassen verliefen. Einige wurden in Gebäuden eingeschlossen und verbrannten darin. Andere wurden von riesigen Pöbelhaufen aufgegriffen und überwältigt. Die Legionäre waren es nicht gewohnt, in der Stadt zu kämpfen. Clodius’ Anführer lockten sie an, indem sie Frauen kreischen ließen, und fielen dann über sie her, stachen mit ihren Messern wie von Sinnen um sich, bis die Soldaten tot waren oder ihr Heil in der Flucht suchen mussten.
Pompeius selbst wurde von einer gewaltigen Menge bewaffneter Männer zum Senatsgebäude zurückgedrängt. Erst bei einem dritten Schildangriff konnte er ihren Widerstand brechen, aber es kamen immer mehr. Er hatte den Eindruck, jeder Einzelne in Rom habe sich bewaffnet und sei auf der Straße, denn die Massen waren schlicht überwältigend. Er beschloss, sich auf die Stufen des Senats zurückzuziehen und das Gebäude zu nutzen, um seine verbliebenen Kräfte zu koordinieren, doch als er sich auf die freie Fläche des Forums begab, fiel ihm angesichts der Tausenden von Fackeln, die rings um das Gebäude loderten, vor Entsetzen der Unterkiefer herab.
Sie hatten die bronzenen Tore aufgebrochen und trugen Clodius über ihre Köpfe hinein in die noch schwärzere Dunkelheit des Hauses. Pompeius sah, wie der blutige Leichnam des Senators hin und her schwankte, als sie ihn die Stufen hinaufhievten.
Das Forum brodelte von johlenden und brüllenden Bewaffneten. Pompeius zögerte. In seinem ganzen Leben war er noch niemals vor etwas davongelaufen, und was er da mit ansehen musste, war das Ende all dessen, was er an Rom liebte, doch er wusste, dass seine Männer vernichtet werden würden, wenn er sie auf das Forum führte. Die halbe Stadt schien dort versammelt zu sein.
Dann sah er aus dem Inneren des dunklen Senatsgebäudes Flammen auflodern. Jubelnde Männer kamen auf die schneebedeckten Stufen heraus und schwenkten triumphierend ihre Schwerter in der Luft. Grauer Rauch quoll aus dem Eingang, und Pompeius spürte Tränen auf dem Gesicht, warme Tränen auf der kalten Haut.
»Mein Theater. Formiert euch vor meinem Theater neu«, rief er seinen wartenden Männern zu.
Sich wichen vor der wogenden Menge rings um die Curia zurück, und Pompeius wandte sich von den Flammen ab, die durch das Dach züngelten und deren Knacken und Knistern den Marmor bersten ließen und über das gesamte Forum hallten. Der Anblick der ausgelassenen Gestalten vor den Flammen verursachte ihm größere Schmerzen, als er es sich jemals hätte vorstellen können. Nur die Dunkelheit verbarg seine Männer, und er verspürte eine hilflose Wut bei dem Gedanken, sich aus dem Herzen seiner Stadt zurückziehen zu müssen. Erst der neue Tag würde alldem ein Ende bereiten, das wusste er. Die Raptores hatten die Herrschaft des Gesetzes gestürzt und waren trunken von ihrer neuen Macht. Aber wenn der Morgen heraufzog, würden sie benommen und erschöpft sein, angewidert von dem, was sie angerichtet hatten. Dann würde er die Ordnung wiederherstellen, und er würde sie mit Eisen und Blut schreiben.
Das schwache Licht des Morgens strömte durch die hohen Fenster von Pompeius’ Theater herein und fiel auf die dicht gedrängten Reihen derer, die er aus der ganzen Stadt hier zusammengerufen hatte. Er hatte Zenturien seiner Legion ausgesandt, um nicht nur die Senatoren selbst, sondern auch die Tribunen, den Magistrat, die Ädilen, Quästoren, Prätoren und jeden anderen ranghohen Beamten Roms herbeizuholen. Mehr als tausend Männer saßen auf den weiten Bankreihen rings um die Bühne in der Mitte und blickten auf Pompeius herab; ihre Züge waren vor Angst und Erschöpfung zu grimmigen Masken erstarrt. Mehrere Gesichter fehlten nach den Aufständen in ihren Reihen, und nicht einer der Anwesenden unterschätzte den Ernst der Lage.
Pompeius räusperte sich und rieb kurz die Gänsehaut auf seinen nackten Armen. Das Theater war nicht beheizt, und er konnte sehen, wie der Atem seiner schweigend lauschenden Zuhörer in kleinen Wölkchen aufstieg.
»So nahe wie gestern Nacht ist Rom seinem Ende noch nie gewesen«, fing er an.
Sie saßen starr wie Statuen und hörten ihm zu. Pompeius sah Entschlossenheit in ihren Augen. All die lächerlichen Rivalitäten waren angesichts der Vorfälle der vergangenen Nacht vergessen, und er wusste, dass sie ihm alles zugestehen würden, wenn er nur den Frieden in der Stadt wiederherstellte, ehe sich abermals die Nacht über sie senkte.
»Ihr habt alle vernommen, dass Clodius bei den Kämpfen umgekommen ist und seine Leiche in der Curia verbrannt wurde. Die Curia selbst ist niedergebrannt worden. Große Teile der Stadt sind ebenfalls vom Feuer verhehrt worden, in jeder Straße, in jeder Gosse liegen Leichen. Chaos herrscht in der Stadt, ganze Viertel sind ohne Lebensmittel und Wasser. Bis heute Abend dürfte ein Großteil der Menschen hungrig sein, und dann fängt die Gewalt wieder von vorn an.«
Er machte eine Pause, doch die Stille war vollkommen.
»Meine Soldaten haben Senator Milo bei Tagesanbruch gefangen genommen, als er versucht hat, aus der Stadt zu fliehen. Ich habe vor, das Tageslicht zu nutzen, um den Rest seiner Befehlshaber aufzuspüren, aber Gerichtsprozesse würden ihren Anhängern lediglich Zeit verschaffen, sich neu zu formieren und wieder zu bewaffnen. Ich habe nicht vor, ihnen eine zweite Chance zu geben, meine Herren.« Er holte tief Luft. »Ich habe euch hierher bestellt, damit ihr mir die Vollmachten eines Diktators gewährt. Wenn ich an unsere Gesetze gebunden bleibe, kann ich heute Nacht nicht für den Frieden in unserer Stadt garantieren – oder in irgendeiner anderen Nacht. Ich bitte euch darum, aufzustehen und meine Ernennung zu bestätigen.«
Fast wie ein Mann erhoben sich die 1000 Mitglieder der herrschenden Klasse. Einige standen schneller auf als andere, aber am Ende nickte Pompeius mit grimmiger Entschlossenheit und hieß sie mit einem Wink, wieder Platz zu nehmen.
»Ich stehe vor euch als Diktator. Nun verhänge ich das Kriegsrecht über ganz Rom. Eine neue Ausgangssperre wird jeden Abend bei Sonnenuntergang in Kraft treten, und wer danach auf der Straße angetroffen wird, wird augenblicklich hingerichtet. Meine Legion wird die Anführer ausfindig machen, die Folter wird uns die Rädelsführer der Straßenbanden liefern. Ich erkläre dieses Gebäude zum Regierungssitz, bis das Haus des Senats neu errichtet ist. Lebensmittel werden jeden Morgen auf dem Forum sowie an den Nord- und Südtoren der Stadt ausgeteilt, bis der Ausnahmezustand aufgehoben wird.«
Er ließ den Blick über die Reihen der Anwesenden gleiten und lächelte mit schmalen Lippen. Jetzt würde es ein bisschen wehtun.
»Jeder von euch wird einen Zehnten von hunderttausend Sesterze oder wahlweise ein Zehntel seines Vermögens abliefern, je nachdem, welcher Betrag größer ist. Die Schatzkammer des Senats ist geplündert worden, und wir brauchen die nötigen Mittel, um die Stadt wieder auf die Beine zu bringen. Sobald die Truhen wieder gefüllt sind, wird euch alles zurückerstattet, aber bis dahin ist das eine unabdingbare Maßnahme.«
Das erste besorgte Gemurmel war in der hallenden Kammer zu vernehmen, aber die Murrer waren in der Minderheit. Der Rest von ihnen war gezwungen worden, der Zerbrechlichkeit all dessen, wofür sie gekämpft hatten, ins Auge zu sehen, und zauderten nicht, für ihre Sicherheit zu zahlen. Pompeius bedauerte es, dass Crassus nicht anwesend war. Er hätte den alten Mann um eine gewaltige Summe erleichtert. Einen Bittbrief zu schicken hatte nicht die gleiche Wucht, wie das Geld persönlich einzufordern, aber das war nicht zu ändern.
Nach einem kurzen Blick auf seine Notizen fuhr Pompeius fort.
»Ich rufe eine Legion aus Griechenland zurück, aber bis sie die Stadt erreicht hat, brauchen wir jeden Mann, der einen Gladius führen kann. Diejenigen von euch, die Leibwächter in ihren Diensten haben, geben den Schreibern die genaue Anzahl an. Ich muss wissen, mit wie vielen wir rechnen können, falls es abermals zu einem Aufstand kommt. Meine Legion hat vergangene Nacht schwere Verluste erlitten, und diese Männer müssen als Erstes ersetzt werden, wenn wir den Pöbel zermalmen wollen, bevor er wieder zu Kräften kommt. Die Anhänger von Milo und Clodius werde ich ohne Umstände und ohne öffentliche Verkündung hinrichten lassen.
Die heutige Nacht wird die schwerste, meine Herren. Wenn wir sie überstehen, wird die Ordnung nach und nach wiederhergestellt werden. Später werde ich sämtlichen Bürgern auf römischem Land eine Steuer zum Wiederaufbau der Stadt auferlegen.«
Er sah immer noch benommene Angst in vielen Gesichtern vor sich, doch auf anderen leuchtete bei seinen Worten erste Hoffnung auf. Er bat um Wortmeldungen, und viele von ihnen erhoben sich, um sich nach den Einzelheiten der neuen Regierung zu erkundigen. Pompeius versuchte, alle Fragen zu beantworten und wurde dabei selbst immer ruhiger. Schon wich der entsetzte Ausdruck aus ihren Gesichtern und machte der Routine des alten Senats Platz. Es machte ihm Hoffnung für sie alle.
Brutus ließ sich auf dem Stumpf der alten Eiche nieder, die er damals mit Tubruk gefällt hatte, und legte den Stock neben sich. In den grünen Wäldern fiel es ihm leicht, sich an das Lächeln des alten Gladiators zu erinnern, als dieser ihn zu Hause willkommen geheißen hatte.
Mit leisem Stöhnen streckte Brutus sein Bein aus und kratzte die violette Linie, die sich oberhalb des Knies fast bis zur Leiste zog. Eine ähnliche Naht über dem Schlüsselbein war Beweis dafür, wie nahe er in seinem unbändigen Wüten dem Tod gekommen war. Beide Wunden waren verschmutzt gewesen und hatten sich entzündet. Von der ersten Woche auf dem Landgut wusste er so gut wie nichts mehr. Clodia meinte, er habe Glück, dass er nicht das Bein verloren hatte, doch schließlich hatte sich die Wunde doch geschlossen, auch wenn die Stiche schrecklich juckten. Verschwommene Bilder stiegen in ihm auf ... wie er mit nassen Tüchern gewaschen wurde, und er verzog beschämt das Gesicht. Julia war zu einer jungen Frau herangewachsen, hatte mehr als nur einen Hauch der Schönheit ihrer Mutter geerbt. Wahrscheinlich hatte Alexandria wegen seiner Behandlung unter vier Augen mit ihr gesprochen. Jedenfalls war sie etliche Tage nicht in seine Nähe gekommen, und wenn er sie irgendwo erblickte, hatten ihre Augen aufgeblitzt wie damals Cornelias, wenn sie wütend war. Danach hatte nur noch Alexandria ihm Schweiß und Schmutz abgewaschen.
Brutus lächelte reumütig. Alexandria behandelte ihn wie ein krankes Pferd, rieb ihn mit einer derben Gleichmut ab, so dass seine Haut hinterher regelrecht brannte. Er war erleichtert gewesen, als er endlich wieder kräftig genug war, um es bis in die Baderäume zu schaffen und sich allein zu waschen. Nur ein paar Tage länger, und sie hätte ihm die Haut vom Körper geschrubbt.
Im Wald war es friedlich. Ein Vogel sang in einem nahen Baum, und vor seinem geistigen Auge sah er zwei kleine Jungen auf dem gewundenen Pfad zwischen den Büschen davonlaufen, die es kaum erwarten konnten, erwachsen zu werden. Damals war Freundschaft etwas Unkompliziertes gewesen, das Julius und er als selbstverständlich hingenommen hatten. Brutus erinnerte sich daran, wie sie ihre blutigen Hände aneinander gepresst hatten, als ließe sich das ganze Leben auf einfache Gelöbnisse und Handlungen reduzieren. Es war eigenartig, auf diese Tage zurückzublicken, nachdem so viel geschehen war. Manchmal war er stolz auf den Mann, zu dem er geworden war, dann wiederum hätte er alles darum gegeben, noch einmal der kleine Junge zu sein, der noch alle Entscheidungen vor sich hatte. Es gab so Vieles, das er ändern würde, wenn er nur könnte.
In jenen langen Sommern waren sie unsterblich gewesen. Sie wussten, dass Tubruk immer da sein würde, um sie zu beschützen, und die Zukunft war lediglich eine Möglichkeit, ihre Freundschaft über die Jahre und in andere Länder zu tragen. Nichts würde jemals zwischen sie kommen, und wenn Rom selbst in Schutt und Asche versank.
Brutus zog ein Messer aus dem Gürtel, schob es unter den ersten Stich und durchschnitt den Faden. Behutsam zog er das lose Ende durch die Haut und arbeitete sich bis zum letzten Knoten vor. Er schwieg konzentriert und warf die klebrigen Fäden in die Büsche. Ein dünnes Blutrinnsal tastete sich durch die hellen Haare auf seinem Oberschenkel, bis er es mit dem Daumen verschmierte.
Er stand vorsichtig auf, fühlte sich schwach und schwindelig und beschloss, die Stiche am Hals fürs Erste in Ruhe zu lassen, obwohl auch sie fürchterlich juckten.
»Ich habe mir gedacht, dass ich dich hier finde«, sagte Julia.
Er drehte sich zu ihr um und musste lächeln, als er sah, wie verlegen sie dastand. Er fragte sich, wie lange sie ihn schon beobachtet hatte. Wie alt war sie ... sechzehn? Lange Beine und wunderschön. Alexandria würde nicht erfreut sein, wenn sie hörte, dass sie sich im Wald unterhalten hatten, und er beschloss, es ihr nicht zu erzählen.
»Ich wollte mal probieren, wie es mit dem Laufen geht. Das Bein wird kräftiger, aber es dauert bestimmt noch eine Weile, bis ich mich wieder darauf verlassen kann«, sagte er.
»Wenn es geheilt ist, gehst du wieder zu meinem Vater«, sagte sie.
Es war keine Frage, aber er nickte. »Spätestens in ein paar Wochen. Jetzt, da Pompeius Diktator geworden ist, herrscht wieder Friede in der Stadt. Wir lassen euch dann alle wieder in Ruhe. Dann ist dieses alte Gut wieder so friedlich wie zuvor.«
»Das ist mir egal«, sagte sie eilig. »Mir gefällt es, wenn Leute hier sind, sogar die Kinder.«
Sie wechselten einen verstehenden Blick, und Brutus lachte leise. Allen Bemühungen Tabbics und seiner Schwester zum Trotz waren die Kleinen schon nach wenigen Tagen wie wild auf dem Landgut herumgetollt, begeistert von den Wäldern und dem Fluss. Clodia hatte schon dreimal eines von ihnen kurz vor dem Ertrinken aus dem tiefen Teich gezogen. Es war erstaunlich, wie rasch sich die Kinder von dem Albtraum ihres Marsches aus der Stadt erholt hatten. Wenn sie sich später einmal an dieses merkwürdige Jahr in ihrem Leben erinnerten, vermutete Brutus, dann würden sie keine getöteten Männer mehr sehen, oder wenn doch, dann war das nichts im Vergleich zum ersten Mal auf dem Rücken eines Pferdes im Gutshof, wobei Tabbic sie im Sattel festhielt. Kinder waren seltsam.
Er konnte sehen, dass Julia die Anmut ihrer Mutter geerbt hatte. Sie trug das Haar lang und mit einem Stoffstreifen im Nacken zusammengebunden. Immer wenn er redete, schien sie sich mit einer eigenartigen Intensität auf sein Gesicht zu konzentrieren, als wäre jedes seiner Worte kostbar. Er fragte sich, wie ihre Kindheit gewesen sein mochte, wie es für sie gewesen war, hier auf diesem Gut aufzuwachsen. Er hatte immer Julius gehabt, aber abgesehen von ihren Lehrern und Clodia musste es für seine Tochter sehr einsam gewesen sein.
»Erzähl mir von meinem Vater«, sagte sie und kam näher.
Brutus spürte, wie sein Bein zu schmerzen begann, und bevor seine Muskeln sich verkrampfen konnten, griff er nach dem Stock und ließ sich wieder auf dem Baumstumpf nieder. Er schaute in die Kammern seiner Erinnerung und musste lächeln.
»Als Kinder sind wir immer auf diesen Baum hier geklettert«, sagte er. »Julius war fest davon überzeugt, alles erklettern zu können, und er hat Stunden auf den unteren Ästen verbracht und versucht, höher zu gelangen. Wenn ich dabei war, konnte er auf meine verschränkten Hände steigen, aber selbst dann war der nächste Ast zu weit weg, als dass er ihn ohne zu springen erreicht hätte. Er wusste genau, wenn er ihn verfehlte, würde er auf den Kopf fallen und mich vielleicht mit sich reißen.« Er schwieg und lachte leise auf, als die Erinnerung über ihn hereinbrach.
Julia setzte sich neben ihn, am äußersten Rand des Baumstumpfes. Sogar von dort roch er das Blütenöl, das sie beim Baden benutzte. Er kannte die Blüte nicht, aber der Duft erinnerte ihn an den Sommer. Er atmete ihn tief ein und ließ sich nur einen Augenblick auf das Gedankenspiel ein, die kühle Haut in ihrem Nacken zu küssen.
»Ist er runtergefallen?«, fragte sie.
»Zweimal«, schnaubte Brutus. »Beim zweiten Mal hat er mich aus dem Baum gerissen, und ich habe mir die Hand verstaucht. Er hatte eine geschwollene Wange, als hätte er eine Ohrfeige bekommen, aber trotzdem sind wir noch einmal hinaufgeklettert, und dann ist er an den Ast herangekommen.« Er seufzte. »Ich glaube nicht, dass er noch einmal auf die alte Eiche geklettert ist. Für ihn gab es dort nichts mehr zu erreichen.«
»Ich wollte, ich hätte euch damals gekannt«, murmelte sie. Er sah sie an und schüttelte den Kopf.
»Nein, bestimmt nicht. Wir waren ein schwieriges Pärchen, dein Vater und ich. Verwunderlich ist nur, dass wir das alles überlebt haben.«
»Er kann froh sein, dass er dich zum Freund hat«, sagte sie und errötete ein wenig.
Brutus musste plötzlich daran denken, wie Alexandria diese Szene wohl sehen würde, wenn sie zufällig durch den Wald spaziert käme. Das Mädchen war viel zu attraktiv, um ihr den schneidigen jungen Soldaten, der aus dem Krieg heimgekehrt ist, vorzuspielen. Gleich würde er sie um ihren Arm bitten, um ihn auf dem Nachhauseweg zu stützen, und unterwegs würde er sich den einen oder anderen Kuss stibitzen. Der Blütenduft füllte seine Lunge, und er pfiff seine streunenden Gedanken zurück.
»Ich glaube, ich gehe wieder zurück, Julia. Dir ist doch bestimmt kalt.«
Völlig ohne seine Absicht glitt sein Blick über ihren Hals und die Rundung ihres Busens. Er wusste, dass sie es bemerkt hatte, und war wütend auf sich. Rasch schaute er in die andere Richtung und erhob sich.
»Kommst du mit?«, fragte er. » Es wird bald dunkel.«
»Dein Bein blutet wieder«, sagte sie. »Du hast die Fäden zu früh gezogen.«
»Nein. Ich habe genug Wunden gesehen, um das beurteilen zu können. Ab heute werde ich jeden Tag spazieren gehen oder reiten, um wieder zu Kräften zu kommen.«
»Wenn du willst, begleite ich dich«, sagte sie. Ihre Augen waren groß und dunkel, und er musste sich räuspern, um seine Unschlüssigkeit zu überspielen.
»Ich glaube nicht, dass ein hübsches Mädchen wie du ... « Na, wunderbar. Er fing an zu stottern und verstummte. »Ich komme schon allein zurecht, danke.« Steifbeinig ging er den Pfad durch den Wald hinab in Richtung Haus und verfluchte sich mit aller Heftigkeit, die er aufbringen konnte.
Brutus führte seine Stute unter den kalten Sternen über den Haupthof zu den Stallungen. Nach dem anstrengenden Ritt war er immer noch ein wenig außer Atem. Er dachte an die in ihrem Zimmer schlafende Alexandria, und sein Gesicht verfinsterte sich. Nichts war so einfach, wie er es gern hätte, besonders was die Frauen in seinem Leben betraf. Hätte er Streit und angespanntes Schweigen gewollt, hätte er schon längst geheiratet. Bei dem Gedanken verzog sich sein Mund zu einem schiefen Lächeln, dann blickte Brutus zum Mond hinauf und genoss die Stille. Sie hatten beide im Verlauf der langen, ereignislosen Wochen auf dem Landgut gelitten, in denen sie nichts zu tun hatten, als zu genesen und die hässlichen Vorkommnisse der Unruhen in der Stadt zu vergessen. Manchmal juckte es ihn, einfach loszugaloppieren, oder zu kämpfen, oder sie einen Nachmittag lang mit in sein Bett zu nehmen. Dann machte ihn seine Wunde rasend. Es war nicht gerade förderlich, dass ihr Liebesspiel durch seine Unfähigkeit, sich hinzuknien, begrenzt war, und er verabscheute es, schwach zu sein.
Er glaubte, dass er sie auf seine Weise liebte, aber es gab zu viele Tage, an denen sie wegen nichts und wieder nichts stritten, bis sie beide verdrossen und verletzt waren. Dieses lange Schweigen hasste er mehr als alles andere. Manchmal fragte er sich, ob sie sich eigentlich nur dann wirklich liebten, wenn er weit weg in einem anderen Land war.
Im Stall war es trotz der kühlen Nachtluft angenehm warm. Das Mondlicht fiel durch ein Dachfenster herein und ließ das Eichenholz der Verschläge blass schimmern. Es war ein friedlicher Ort, an dem einem nur die dunklen Silhouetten der Pferde Gesellschaft leisteten.
Er schwitzte immer noch von dem anstrengenden Ausritt und verzog bei dem Gedanken, wie weit er sich während seiner Zeit auf dem Krankenbett von seiner besten Verfassung entfernt hatte, schmerzlich das Gesicht. Ein paar Meilen querfeldein hatten ihn gehörig außer Atem gebracht.
Als er die Stute abrieb, raschelte hinter ihm etwas im Stroh. Er erstarrte einen Augenblick und fragte sich, wer um diese Stunde noch wach war. Als er sich verdutzt umdrehte, erblickte er Julia, die an einem Pfosten lehnte. Ihr Gesicht leuchtete blass im trüben Mondlicht.
»Bist du dieses Mal weit geritten?«, murmelte sie. Sie sah aus, als wäre sie soeben aus dem Bett gestiegen; das Haar hing ihr offen über die Schultern. Sie hatte ein weiches Tuch um sich geschlungen. Er sah, wie es um ihre Brüste spannte, und fragte sich, ob sie spürte, wo seine Augen ruhten.
»Heute nur ein paar Meilen. Es ist zu kalt für das alte Mädchen«, sagte er. Die Stute schnaubte sanft und stieß ihn mit dem Maul an, damit er sie weiter abrieb.
»Trotzdem wirst du uns bald verlassen. Ich habe gehört, was Tabbic gesagt hat. Pompeius hat die Banden besiegt.«
»Allerdings. Er ist ein harter Mann«, erwiderte Brutus.
Er hörte eine Spannung aus ihrer Stimme heraus, die vorher noch nicht da gewesen war. Ob es am warmen Stall lag, am Geruch nach Stroh und Leder oder einfach nur an ihrer Nähe, jedenfalls war er eigenartig erregt und dankte der Düsternis dafür, dass sie ihn vor ihrem Blick verbarg. Wortlos wandte er sich wieder dem Pferd zu und fuhr ihm mit langen Strichen mit der Bürste über die Flanken.
»Mein Vater hat mich ihm versprochen; hat er dir das erzählt?«, fragte sie auf einmal, als könnte sie die Worte nicht mehr zurückhalten. Brutus hielt mit dem Striegeln inne und sah sie an.
»Das hat er mir nicht gesagt.«
»Clodia meint, ich soll froh sein. Er war nicht einmal Konsul, als sie die Heirat verabredet haben, und jetzt soll ich die Frau des Diktators werden.«
»So kommst du hier heraus«, sagte Brutus leise.
»Aber wozu? Um jeden Tag von Sklaven angemalt zu werden und nicht mehr ausreiten zu können? Ich habe die Frauen der Senatoren gesehen. Ein Schwarm Krähen in feinen Kleidern. Und jede Nacht habe ich einen alten Mann auf mir liegen. Mein Vater ist grausam.«
»Er kann grausam sein, das stimmt«, erwiderte Brutus. Er hätte ihr gern von der Mühsal der Armut erzählt, die er in der Stadt gesehen hat. Als Frau des Pompeius würde sie weder Hunger noch Angst kennen. Julius hatte eine eiskalte Wahl für seine Tochter getroffen, aber es gab schlimmere Schicksale. Außerdem hatte ihm der Handel Gallien eingebracht. Brutus begriff sofort, wie sehr die Hochzeit die beiden Häuser aneinander binden und Julius vielleicht zu einem Erben verhelfen würde. So sehr er das Mädchen mochte, erkannte er doch, wie behütet sie gewesen sein musste, wenn sie nicht besser wusste, wie es in der Welt wirklich zuging.
»Wann wirst du zu ihm geschickt?«, fragte er.
Sie warf wütend das Haar zurück.
»Ich wäre bereits fort, wenn mein Vater sich nicht außerhalb der Stadt aufhalten würde. Es ist nur eine Höflichkeit zwischen den beiden. Das Geschäft ist bereits besiegelt, und der Bote des Pompeius kam mit so ausgesucht hübschen Worten und Geschenken. Genug Gold und Silber, um mich damit zu ersticken. Du hättest den Sklavenpreis sehen sollen, den sie geschickt haben.«
»Nein, Mädchen, du wirst nicht seine Sklavin sein, nicht mit dem Blut deines Vaters in den Adern. Du wirst ihn innerhalb kürzester Zeit um den Finger wickeln. Warte nur ab.«
Sie kam einen Schritt näher, wieder roch er den Duft dunkler Blumen. Als sie die Hände nach ihm ausstreckte, hielt er ihre Handgelenke fest und ließ dabei die Bürste ins Stroh fallen.
»Was denkst du dir denn dabei?«, murmelte er mit heiserer Stimme. Nichts von all dem kam ihm wirklich vor, und sogar im Dämmerlicht sah er die blassen Konturen ihres Halses aus der Dunkelheit schimmern.
»Ich denke, ich werde nicht als Jungfrau zu ihm gehen«, flüsterte sie und beugte sich so weit an ihn heran, dass ihre Lippen seine Kehle berührten. Er spürte die stoßweise Wärme ihres Atems, und plötzlich war nichts mehr auch nur halb so wichtig.
»Nein«, sagte er. »Das wirst du nicht.«
Er ließ ihre Handgelenke los, packte das Tuch, das sie umhüllte, und zog es langsam auseinander, entblößte sie bis zur Hüfte. Ihre vollkommenen Brüste waren weiß in der Dunkelheit, ihre Brustwarzen waren hart. Er hörte, wie ihr Atem schneller ging, als er mit der Hand über ihren Rücken strich, spürte, wie sie erschauerte.
Dann küsste er sie, bis sie ihren warmen Mund für ihn öffnete. Ohne ein weiteres Wort trug er sie zu einem Strohhaufen und bettete sie darauf. Seine Wunden waren ein ferner Schmerz, den er kaum wahrnahm, als er sich seiner Kleider entledigte. Sein eigener Atem brannte ihm rau in der Kehle, aber er zwang sich zu langsamen Bewegungen, als er sich über sie beugte und ihr Mund sich mit einem Schrei erneut öffnete.
Die Gruppe, die sich im Hof sammelte, um nach Rom zurückzukehren, war nicht mehr die staubige, verschreckte Horde Flüchtlinge, die vor beinahe zwei Monaten an das Tor des Gutes geklopft hatte. Clodia hatte den Kindern versprochen, sie dürften jederzeit kommen und sie besuchen, und eines oder zwei musste an diesem Morgen mit Gewalt von ihr losgerissen werden. Die alte Pflegerin vergötterte ihre kleinen Schützlinge, und es gab auf beiden Seiten Tränen.
Tabbic hatte an jedem Tag, den er fern von der Stadt hatte verbringen müssen, zu leiden gehabt, und jetzt, da der Tag der Rückkehr endlich gekommen war, brachte er kaum die Geduld auf, sich von allen zu verabschieden. Als Einziger aus der Gruppe war er mehrmals in die Stadt geritten, sobald er gesehen hatte, dass die Mauern wieder von den Legionären des Pompeius bemannt waren. Der Laden hatte die Brände im Viertel heil überstanden. Obwohl er geplündert worden war, hatten die gewaltigen Schmiedeessen, die das Herz des Geschäfts darstellten, keinen Schaden genommen. Tabbic plante im Geiste bereits eine neue Tür und neue Schlösser, um die alte zu ersetzen, die aufgebrochen worden war, und es waren seine Berichte von dem wieder eingekehrten Frieden, die ihrer Zeit auf dem Gut ein Ende gemacht hatten. Pompeius hatte die Anführer der Banden gnadenlos töten lassen, und allmählich war die Stadt, zumindest tagsüber, wieder einigermaßen so wie zuvor. Gerüchte machten die Runde, Crassus hätte dem Senat eine riesige Summe zukommen lassen, und Hunderte von Zimmerleuten waren eifrig damit beschäftigt, die zerstörten Gebäude wieder aufzubauen. Es würde noch eine Weile dauern, bis die Bürger der Stadt wieder an Luxusartikel wie Schmuck dachten, aber dann wollte Tabbic für sie bereit sein. Seine Arbeit würde sein Beitrag zur Erneuerung der Stadt sein, ein kleiner Beitrag nur, aber er bedeutete sehr viel.
Die verstreuten Werkzeuge wieder zusammenzusuchen war der erste Schritt, um die Schrecknisse der Unruhen hinter sich zu lassen.
Brutus hatte sein Bein noch etwas länger schonen wollen, doch Alexandria hatte sich in letzter Zeit ihm gegenüber zunehmend kälter gezeigt. Er glaubte nicht, dass sie erfahren hatte, was im Stall geschehen war, aber ab und zu ertappte er sie dabei, wie sie ihn von der Seite ansah, als fragte sie sich, wer er eigentlich war. Ohne genau zu wissen, weshalb er sich dessen so sicher sein konnte, wusste er, dass sie ihn verlassen würde, wenn er noch länger blieb.
So weit im Süden kam der Frühling zeitig, die Bäume im Wald fingen bereits zu blühen an. Zweifellos wartete Julius im Norden bereits ungeduldig auf ihn, und Brutus gestand sich widerstrebend ein, dass es höchste Zeit war, sich auf den Weg zu machen. Er würde in die raue Gesellschaft seiner Legionäre zurückkehren, doch irgendwie erfüllte ihn die Vorstellung nicht mit derselben Begeisterung wie früher. Brutus rückte den Holzblock zurecht, den er zum Aufsteigen brauchte, sah sich heimlich auf dem Hof um und ergriff die Zügel. Julia war nicht da, aber er spürte Alexandrias Blick, als er nach ihr suchte.
Ein Haussklave öffnete das schwere Tor und schob den Flügel so weit auf, dass der Weg dahinter sichtbar wurde, der hinab zur Hauptstraße und in die Stadt führte.
»Da bist du ja!«, rief Clodia. »Ich dachte schon, du verpasst ihre Abreise.«
Julia kam aus dem Haus und ging von einem zum anderen, um sich zu verabschieden und als Herrin des Hauses ihren Dank entgegenzunehmen. Brutus sah genau hin, als sie ein paar Worte mit Alexandria wechselte, aber beide Frauen lächelten, und er konnte keinerlei Spannung zwischen ihnen feststellen. Als Julia zu ihm kam, entspannte er sich ein wenig und reagierte ganz natürlich, als sie sich vorbeugte, um ihn zum Abschied zu küssen. Er spürte ihre Zunge einen winzigen Augenblick gegen seine Lippen schnellen, was ihn vor Verlegenheit erstarren ließ. Ihr Mund schmeckte nach Honig.
»Komm wieder«, flüsterte sie, als er sich in den Sattel schwang und es nicht wagte, Alexandria anzusehen. Er spürte, wie sich ihre Blicke in seinen Hinterkopf bohrten, und wusste, dass seine Wangen flammend rot waren, während er so tat, als sei nichts geschehen. Das war keine Geschichte, die Julius erfahren sollte, so viel war ihm klar.
Die Kinder riefen im Chor und winkten noch einmal, dann brachen sie zu ihrer Reise in die Stadt auf. Clodia hatte Wegzehrungen für alle eingepackt, in gekochten Paprika eingelegtes Fleisch, und der eine oder andere wühlte bereits mit fettigen Fingern in den säuberlich eingeschlagenen Päckchen. Brutus warf einen letzten Blick auf das Anwesen, das ihm als Kind so vertraut gewesen war, und prägte es sich gut ein. Wenn auch sonst alles in seinem Leben sich bis zur Unkenntlichkeit veränderte, so blieben manche Dinge doch, wie sie waren und schenkten ihm Frieden.
Die Fackeln zuckten auf der goldenen Krone der Arverner, als der Priester sie vor den Kriegern hochhielt. In der anderen Hand hielt er einen goldenen Halsreif, der schimmerte, und den er in den Fingern drehte.
Der Priester hatte seinen Körper mit langen Streifen aus Blut und Erde bestrichen, was ihn fast mit den Schatten im Tempel verschmelzen ließ. Seine Brust war nackt, sein Bart mit Lehm zu harten, weißen Stacheln geformt, die zitterten, wenn er sprach.
»Arverner! Der alte König ist tot. Sein Leib wird verbrannt werden, wenngleich sein Name und seine Taten bis ans Ende unserer Jahre auf unseren Lippen fortleben werden. Er war ein Mann, Arverner. Sein Vieh zählt in die Tausende, sein Schwertarm war stark bis zum Ende. Er hat seinen Samen weit gesät, um Söhne in die Welt zu setzen, und seine Weiber raufen sich das Haar und zerfetzen sich die Haut vor Kummer. Wir werden ihn nie wiedersehen.«
Der Priester musterte den Stamm, der sich dicht an dicht in den Tempel drängte. Es war ein bitterer Abend für ihn. 20 Jahre lang war er der Freund und Ratgeber des alten Königs gewesen, hatte mit ihm die Angst vor der Zukunft geteilt, als Alter und Schwäche anfingen, ihm den Atem zu rauben. Wer unter seinen Söhnen besaß die Kraft, den Stamm durch diese schweren Zeiten zu führen? Der jüngste, Brigh, war kaum mehr als ein Knabe, und der älteste war ein prahlerischer Schwätzer, zu schwach, wo ein König stark sein musste. Madoc würde nicht König sein.
Der Priester blickte in die Augen von Cingeto, der dort bei seinen Brüdern auf dem dunklen Marmor stand. Er war Krieger genug, sie zu führen; aber sein hitziges Temperament war bereits heute unter den Arvernern berüchtigt. Noch vor dem Tag seiner Mannwerdung hatte er drei Männer im Zweikampf getötet, und der alte Priester hätte alles für ein paar weitere Jahre gegeben, um zu sehen, was aus Cingeto wurde.
Die Worte mussten gesprochen werden, doch als er Atem holte, spürte der Priester eine Kälte in seinem Herzen.
»Wer von euch wird die Krone aus meiner Hand entgegennehmen? Wer von euch hat das Recht erworben, die Arverner zu führen?«
Die drei Brüder wechselten stumme Blicke, dann lächelte Brigh und schüttelte den Kopf.
»Sie ist nicht für mich«, sagte er und trat einen Schritt zurück. Cingeto und Madoc sahen einander an. Das Schweigen wurde bedrückend.
»Ich bin der älteste Sohn«, sagte Madoc schließlich, und die dunkle Farbe des Zorns zeigte sich auf seinen Wangen.
»Das wohl, aber du bist nicht der Mann, den wir jetzt brauchen«, erwiderte Cingeto leise. »Wer die Krone nimmt, muss sich zum Krieg bereit machen, oder unser Stamm wird in alle Winde zerstreut.«
Madoc grinste hämisch. Er war größer als sein Bruder und baute sich vor ihm auf, um ihn einzuschüchtern.
»Siehst du irgendwelche feindlichen Heere in unserem Land? Zeig mir, wo sie sind! Los, zeig sie mir! « Er spie die Worte seinem Bruder förmlich entgegen, aber Cingeto hatte sie schon mehr als einmal gehört.
»Sie werden kommen. Sie sind nach Norden gezogen, aber sie werden noch früh genug ins Kernland zurückkehren. Ich bin ihrem Anführer begegnet und weiß, dass er uns nicht in Frieden leben lassen wird. Seine Steuereintreiber haben bereits die Senonen ausgeplündert und Tausende als Sklaven verkauft. Sie konnten sie nicht aufhalten, und jetzt weinen ihre Weiber in den Auen. Er muss bekämpft werden, mein Bruder. Und du bist nicht Manns genug dafür.«
»Das waren nur Senonen, Bruder«, höhnte Madoc. »Die Arverner sind Männer. Wenn sie kommen, um uns zu behelligen, reiten wir sie nieder.«
»Siehst du denn nicht weiter als bis dahin?«, fauchte Cingeto. »Du bist genauso blind wie es die Senonen waren. Ich werde die Arverner zu einer Fackel in der Finsternis machen, um die sich die anderen Stämme scharen können. Ich werde sie gegen diese Römer führen, bis wir sie aus Gallien vertrieben haben. Wir können allein gegen sie nicht mehr Stand halten.«
»Du hast zu viel Angst vor ihnen, um König zu sein, kleiner Bruder«, sagte Madoc und fletschte die Zähne.
Cingeto schlug Madoc mit der Hand über den Mund und zwang ihn, einen Schritt zurückzuweichen.
»Ich werde nicht zusehen, wie mein Volk von dir ins Verderben gestürzt wird. Wenn du mir nicht Platz machst, werde ich die Krone eben fordern!«
Madoc fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und schmeckte Blut. Seine Augen wurden hart.
»Wie du willst, kleiner Bruder. Feuer, und die Götter sehen zu. So soll es sein.«
Beide Männer wandten sich zu dem Priester um. Er nickte.
»Bringt die Eisen. Es soll im Feuer entschieden werden.«
Der Priester flehte die Götter an, dass sie dem richtigen Mann den Mut verliehen, die Arverner durch die dunklen Tage zu führen, die vor ihnen lagen.
Julius führte keuchend sein Pferd über den Gebirgspass. Die Luft hier oben war viel dünner, und obwohl der Frühling in den Tälern bereits Einzug gehalten hatte, schmerzte die Luft auf den Gipfeln immer noch in der Lunge und machte sogar den Gesündesten unter ihnen zu schaffen. Julius sah sich nach Brutus um, der weit hinter der Zenturie der Zehnten humpelte. Er hatte bei der Genesung von seinen Wunden viel von seiner Ausdauer eingebüßt, und manchmal dachte Julius, sie würden ihn irgendwo zurücklassen müssen, damit er später nachkam. Trotzdem folgte er ihnen hartnäckig und schwang sich in den Sattel, sobald der Pfad etwas ebener wurde.
Als er den staubigen Reiter in Ariminum hatte ankommen sehen, war Julius ganz versessen auf die neuesten Nachrichten aus der Stadt gewesen. Die kalte Nüchternheit des Berichts, den er erhielt, verwirrte ihn. Er hätte den Mann, der da ins Haus gehumpelt kam und so unbeteiligt von seinen Erlebnissen berichtete, am liebsten geschüttelt. Beim Zuhören war der alte Zorn wieder in ihm aufgewallt, aber er hatte ihm nicht nachgegeben. Servilia war abgereist, nun lag es an ihm, die Kluft zwischen ihnen beiden zu schließen.
Julius konnte sich an 1000 Gelegenheiten erinnern, bei denen er mit ein paar Worten oder einem Kompliment oder nur einem kurzen Nicken die Männer um ihn herum aufgerichtet hatte. Er empfand nichts als tiefe Traurigkeit, als ihm klar wurde, dass auch sein ältester Freund die gleichen harmlosen Lügen nötig hatte. Es war eine Sache, einem Soldaten auf den Rücken zu klopfen und zu sehen, wie er ein wenig aufrechter dastand. Es war etwas völlig anderes, die Ehrlichkeit seiner ältesten Freundschaft aufzugeben, und bislang hatte Julius seinen Entschluss noch nicht in die Tat umgesetzt. Nach Brutus’ erstem Bericht hatten sie kaum miteinander geredet.
Julius’ Gedanken kehrten zu Regulus zurück, der neben ihm durch den Schnee trottete. Er war einer derjenigen, die den Kern der Legion ausmachten. Einige wurden in den Legionen Roms nur wenig besser als Tiere, aber Männer wie Regulus schienen diesen letzten Rest von Menschlichkeit niemals zu verlieren. Sie konnten einer Frau oder einem Kind gegenüber Güte zeigen, und dann in die Schlacht ziehen und ihr Leben für etwas hingeben, das mehr war als sie selbst. Es gab Senatoren, die sie nur als Mordwerkzeuge betrachteten, nicht als die Menschen, die sie wirklich waren, die tatsächlich begriffen, was Rom eigentlich bedeutete. Die Legionäre machten stets von ihrem Wahlrecht Gebrauch, wenn sie die Gelegenheit dazu hatten. Sie schrieben nach Hause und fluchten und pissten in den Schnee wie jeder andere auch, und Julius verstand, wie sehr Marius sie geliebt hatte.
Solche Männer anzuführen war eine Verantwortung, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen konnte. Sie erwarteten von ihm Verpflegung und Unterkunft, eine Ordnung in ihrem Leben. Ihr Respekt war schwer zu erringen und in einem einzigen Augenblick der Feigheit oder Unentschlossenheit wieder verspielt. Aber er wollte es nicht anders haben.
»Sollen wir rennen, Regulus?«, fragte Julius zwischen zwei rauen Atemzügen.
Der Zenturio lächelte steif. In Ariminum hatten sie sich alle wieder das Rasieren angewöhnt, und Julius sah, dass das Gesicht des Mannes vom Wind gerötet und wund war.
»Es ist besser, wenn wir die Pferde nicht zurücklassen, Herr«, erwiderte Regulus.
Julius schlug ihm auf den Rücken und gönnte sich einen kurzen Blick auf die Berge ringsum. Sie marschierten durch eine Landschaft von tödlicher Schönheit. Das blendende Weiß der hohen Gipfel leuchtete in der Sonne, und hinter ihnen mühte sich Brutus, sie nicht aus den Augen zu verlieren.
Regulus bemerkte, dass Julius den gewundenen Pfad hinabschaute.
»Soll ich zu ihm gehen, Herr? Der General hinkt immer stärker.« »Nun gut. Sag ihm, wir laufen um die Wette nach Gallien. Er weiß schon, was ich damit meine.«
Die langen Eisen wurden in Kohlenbecken erhitzt, bis die Spitzen rot glühten. Madoc und Cingeto hatten die Oberkörper freigemacht und standen jetzt schwitzend auf dem Marmorboden des Tempels. Alle Familien waren gekommen, um zuzusehen, und keiner von ihnen zeigte auch nur einen Hauch von Angst, als der Priester die Eisen immer wieder überprüfte, bis er zufrieden war. Die Haare auf dem Rücken seiner rechten Hand kräuselten sich, als er sie über die Eisenschale hielt.
Schließlich drehte sich der Priester zu den beiden Brüdern um. Ihre Brustkörbe waren blasser als ihre Arme und ihre Gesichter. Madoc war muskelbepackt, ein Bulle, wie sein Vater es einst gewesen war. Cingeto hatte eine gedrungenere Gestalt, aber auch an ihm war kein überflüssiges Fleisch. Der alte Priester richtete sich auf, um zu den schweigenden Familien der Arverner zu sprechen.
»Ein König muss Stärke beweisen, aber er muss auch von großer Entschlossenheit sein. Alle Menschen kennen die Furcht – er aber muss sie besiegen, wenn die Not am größten ist.« Er unterbrach sich einen Augenblick und kostete die Worte des Rituals aus. Sein alter Meister hatte einen langen Stock benutzt, um ein falsches Aufsagen sofort zu korrigieren. Er hatte ihn damals gehasst, inzwischen jedoch benutzte er den gleichen Rohrstock für die Lehrlinge im Tempel. Die Worte waren wichtig.
»Durch das Recht des Blutes haben diese Männer das Urteil des Feuers gewählt. Einer wird die Krone nehmen, der andere wird aus dem Land der Arverner verbannt werden. So will es das Gesetz. Doch der Mann, der uns führen wird, sollte nicht nur ein scharfes Schwert, sondern auch einen scharfen Verstand besitzen. Er sollte ebenso gerissen wie mutig sein. Geben die Götter, dass wir hier und heute einen solchen Mann vor uns haben.«
Während seiner Worte standen die beiden Brüder völlig still und bereiteten sich innerlich auf das vor, was ihnen bevorstand. Der Priester nahm das erste Eisen zur Hand und zog es heraus. Sogar das dunkle Ende, das er gepackt hielt, ließ seine Finger erstarren.
»An den Ältesten geht die Erste«, sagte er, den Blick auf die glühende Spitze gerichtet.
Madoc streckte die Hand aus und nahm das Eisenstück entgegen. Seine Augen loderten vor Bosheit, als er sich zu Cingeto umdrehte.
»Wollen wir herausfinden, auf wem von uns der Segen der Götter ruht?«, flüsterte er.
Cingeto antwortete nicht. Der Schweiß rann ihm aus allen Poren. Madoc brachte das Eisen immer näher an die Brust seines Bruders, bis die blonden Haare zu knistern anfingen und einen kräftigen Geruch von sich gaben. Dann legte er die Spitze auf die Haut des Bruders und drückte sie tief in dessen Fleisch.
Cingeto stieß die angehaltene Luft in einem heftigen Schwall aus. Jeder Muskel seines Körpers versteifte sich vor Schmerz, aber er gab keinen Laut von sich. Madoc drehte das Eisen hin und her, bis die Hitze nachließ, dann spannte sich sein eigenes Gesicht an, als er den Stab zurück ins Feuer legte.
Cingeto sah auf den braunen Striemen hinab, der sich auf seiner Haut abzeichnete. Als er tief Luft holte und sich wieder sammelte, tropfte eine helle Flüssigkeit daraus hervor. Ohne ein Wort griff er nach dem anderen Eisen, und Madocs Atem ging schneller und schneller.
Als das Metall ihn berührte, ächzte Madoc, und wutentbrannt riss er ein anderes aus der Schale. Tadelnd berührte der Priester seine Hand, und er ließ es sinken; sein Mund öffnete sich, und er atmete keuchend.
Die Feuerprobe hatte begonnen.
Gegen Ende des zweiten Tages in den Bergen neigte sich der zerklüftete Pfad plötzlich hinunter nach Gallien. An dieser Stelle machte Julius an einen Stein gelehnt Rast. Als er aufblickte, sah er die Hochebene des Passes über sich liegen und staunte, wie weit sie sie bereits hinter sich gelassen hatten. Sie alle verlangte es nach Essen und Schlaf, und Julius empfand eine eigenartige Klarheit, als hätten Hunger und Wind alle seine Sinne geschärft. Unter ihm erstreckte sich Gallien in einem satteren Grün, als er es jemals für möglich gehalten hätte. Als er aus schierer Freude, an einem solchen Ort am Leben zu sein, kräftig Luft holte, fühlte sich seine Lunge in der Brust riesengroß an.
Brutus kam es vor, als hätte er sich schon sein ganzes Leben lang durch die Berge geschleppt. Sein schwaches Bein pochte jedes Mal, wenn er das Gewicht darauf verlagerte, und hätte er sich nicht an dem Pferd festhalten können, wäre er wohl schon längst gestürzt. Als die Zenturie anhielt, kam er mit Regulus durch die Marschkolonne bis ganz nach vorne gestolpert. Julius hörte einige seiner Männer jubeln und den Ankömmling ermutigen. Er drehte sich um und musste lächeln, als er sah, wie die beiden auf die Rufe reagierten und sich weiterschleppten. Die Kraft der Brüderlichkeit unter seinen Soldaten erfüllte ihn immer wieder mit Stolz. Er sah, wie Brutus und Regulus bei den Aufmunterungen und Anfeuerungen grinsten und gemeinsam lachten, als Regulus eine Antwort murmelte.
Julius wandte sich wieder um. Unter ihm lag Gallien, erstreckte sich bis zum Horizont und sah so trügerisch friedlich aus, fast so, als bedürfe es nur eines Schrittes, um ihn mitten ins das Herz des Landes zu bringen. Er hoffte, dass eines Tages ein Reisender, der über die Pässe kam, auf Städte hinabblicken würde, so groß wie Rom. Hinter dem Land lag das Meer, das ihn rief, und vor seinem inneren Auge sah er bereits die Flotte, die die Zehnte und die Dritte über die Wogen tragen würde. Die Stämme würden ihr Gold als Steuern abgeben, die er wiederum dazu benutzen würde zu erkunden, was sich jenseits der verschwommenen weißen Klippen befand. Er würde Rom bis an den äußersten Rand der Welt tragen, an Orte, die nicht einmal Alexander vor ihm gesehen hatte.
Brutus trat neben ihn, und Julius sah die dunklen Ringe unter seinen Augen. Der Aufstieg hatte seinem Freund sehr zugesetzt, aber die Erschöpfung schien ihm etwas von der Kälte genommen zu haben, die er aus Rom mitgebracht hatte. Als sich ihre Blicke trafen, zeigte Julius auf das Land unter ihnen.
»Hast du jemals etwas so Schönes gesehen?«
Brutus nahm die Wasserflasche von Regulus entgegen und setzte sie an die aufgesprungenen Lippen.
»Laufen wir jetzt um die Wette oder nicht?«, sagte er. »Ich warte nicht auf dich.«
Er wankte den Hang hinunter, und Julius sah ihm voller Zuneigung nach. Regulus zögerte an Julius’ Seite, unsicher, ob er ihm folgen sollte.
»Mach schon, bleib bei ihm«, sagte Julius. »Ich komme gleich nach.«
Im Tempel hing der beißende Geruch von Feuer und verbranntem Fleisch. Beide Männer bluteten, ihre Haut platzte bei jeder Berührung der Eisen an einer anderen Stelle auf. Elfmal schon hatten sie dem Schmerz widerstanden, und jetzt schwankte Cingeto, und seine Zähne hoben sich weiß von der Haut ab, bereit für das zwölfte Mal. Er beobachtete seinen Bruder genau. Die Prüfung forderte den Geist ebenso wie den Körper, und jeder der beiden wusste, dass er nur damit enden konnte, dass einer sich weigerte, den anderen zu berühren. Mit jeder hinzugefügten Brandwunde setzte sich der Verursacher selbst der nächsten aus, und dieses Wissen nagte an ihnen, während ihre Kräfte schwanden.
Madoc zögerte, als er die Finger um das schwarze Eisen legte. Wenn er seinen jüngeren Bruder damit verbrannte, musste er selbst eine weitere Wunde in Kauf nehmen. Er wusste nicht, ob er das konnte, obwohl der Wunsch, Cingeto zu demütigen, immer noch hellwach in ihm brannte.
Die Prüfung war eine grausame Prüfung. Zwischen den Wogen des Schmerzes war der einzige Trost das Wissen, dass der Verursacher gleich dasselbe fühlen würde. Entschlossenheit und Stärke fielen angesichts derartiger Qualen in sich zusammen, und Cingeto spürte neue Hoffnung in sich aufkeimen, als er seinen Bruder zaudern sah. War es seine Grausamkeit, die ihn den Augenblick hinauszögern ließ, oder hatte er endlich den Geschmack an den Eisen verloren?
»Mögen mir die Götter die Kraft für ein weiteres Mal geben«, hörte er Madoc flüstern, und er hätte fast laut aufgeschrien, als die rotglühende Metallspitze wieder aus den Flammen auftauchte. Er sah, wie Madoc sie hob, und schloss die Augen in banger Erwartung. Sein ganzer Körper wollte vor der Berührung zurückweichen, und die Angst, dass er nicht mehr den Willen aufbringen würde, sobald er wieder an der Reihe wäre, war allzeit gegenwärtig. Der Geist entschied über den Sieger der Feuerprüfung, niemals das Fleisch, was Cingeto jetzt auf eine Art und Weise verstand, wie es ihm ohne diese Erfahrung am eigenen Leib niemals möglich gewesen wäre.
Ein Klirren hallte durch den Tempel, und Cingeto riss erstaunt die Augen auf. Madoc hatte das Eisen hingeworfen und stand nun mit vor Schmerz und Erschöpfung verzerrtem Gesicht vor ihm.
»Genug, kleiner Bruder«, sagte Madoc und wäre beinahe gefallen.
Cingeto streckte die Hand aus, um ihn zu stützen, und zuckte zusammen, als der Schmerz seiner eigenen Brandwunden bei der Bewegung aufloderte.
Der Priester lächelte erfreut, als die beiden Männer sich zu ihm umdrehten. Er dachte bereits daran, wie er die Geschichte des Stammes fortführen wollte. Elf Eisen hatten die Prinzen der Arverner widerstanden! Er konnte sich an nicht mehr als neun erinnern, und sogar der große Ailpein hatte nur sieben aushalten müssen, bevor er vor dreihundert Jahren König geworden war. Es war ein gutes Omen, und er spürte, wie schon jetzt einige der düsteren Sorgen von ihm wichen.
»Einer wird König, einer muss weichen«, sagte er laut und wiederholte den Satz vor den versammelten Familien. Er machte einen Schritt auf Cingeto zu, setzte ihm die Krone auf und legte den Reif um die angespannten Sehnen seines Halses.
»Nein«, sagte Cingeto und richtete den Blick auf Madoc. »Ich werde dich nach der heutigen Nacht nicht verlieren, mein Bruder. Willst du bleiben und mit mir gegen sie kämpfen? Ich werde dich brauchen.«
Der Priester sah sie erschrocken an. »Das Gesetz ...«
Cingeto hob die Hand und kämpfte gegen Schmerzen, die ihn zu überwältigen drohten.
»Ich brauche dich, Madoc. Wirst du mir folgen?«
Sein Bruder richtete sich auf und zuckte zusammen, als frisches Blut über seine Brust rann.
»Das werde ich, mein Bruder. Ich folge dir.«
»Dann müssen wir die Stämme zusammenrufen.«
Julia ging zur ersten Stufe des alten Senatsgebäudes und schauderte angesichts des leeren Platzes, der dahinter freigeräumt worden war. Noch immer hing ein leiser Rauchgeruch in der Luft, und man konnte sich gut vorstellen, wie die Unruhen sogar diesen Ort heimgesucht hatten. Doch das neue Gebäude wurde bereits errichtet, das Lärmen der Menge wurde vom Hämmern und Rufen der Arbeiter begleitet.
Clodia hantierte neben ihr herum, das riesige Forum machte sie nervös.
»Na schön, jetzt hast du den Schaden besichtigt und bist dafür ein unnötiges Risiko eingegangen. Die Stadt ist immer noch kein sicherer Ort für eine junge Frau.«
Julia sah sie wütend an. »Siehst du denn die Soldaten nicht? Pompeius hat jetzt alles unter Kontrolle; Brutus hat das gesagt. Er ist mit seinen Versammlungen und Reden beschäftigt. Vielleicht hat er mich ja vergessen.«
»Du redest Unsinn, Mädchen. Du darfst nicht erwarten, dass er wie ein junger Mann unter deinem Fenster schmachtet. Nicht in seiner Position.«
»Trotzdem. Wenn er mich in seinem Bett haben will, sollte er ein bisschen Interesse an mir zeigen, findest du nicht auch?«
Clodia blickte sich vorsichtig um, ob jemand aus der Menge sich für ihre Unterhaltung interessierte.
»Das ist kein passendes Thema! Deine Mutter würde sich schämen, wenn sie dich so schamlos reden hörte!«, sagte sie und packte Julia am Arm.
Julia riss sich los und freute sich über die Gelegenheit, die alte Frau in Verlegenheit zu bringen.
»Falls er nicht zu alt ist, um das Bett überhaupt zu finden. Was meinst du, wäre das möglich?«
»Hör sofort auf, Mädchen, sonst ohrfeige ich dich, bis dir das Grinsen vergeht«, zischte Clodia sie an.
Julia zuckte die Achseln und dachte mit Wonne an Brutus’ Haut auf der ihren. Natürlich hütete sie sich, Clodia von der Nacht im Stall zu erzählen, aber damals war mit dem ersten, heftigen Schmerz alle Angst von ihr gewichen. Brutus war sanft gewesen, und sie hatte einen heimlichen Appetit entdeckt, den Pompeius zu schätzen wissen würde, wenn er sie endlich zu seiner Frau machte.
Eine Stimme drängte sich in ihre Gedanken und ließ sie schuldbewusst zusammenfahren.
»Habt ihr euch verlaufen, meine Damen? Ihr seht hier vor den alten Stufen ziemlich verloren aus.«
Bevor Julia antworten konnte, sah sie, dass Clodia sich verneigte und den Kopf senkte. Die plötzliche Unterwürfigkeit der alten Frau reichte aus, um sie ein zweites Mal zu dem Mann aufblicken zu lassen, der sie angesprochen hatte. Seine Toga wies ihn als Angehörigen der Nobilitas aus, obwohl ihn seine Haltung auch ohne diesen Hinweis geadelt hätte. Sein geöltes Haar glänzte, stellte Julia fest. Er lächelte über ihre abschätzende Musterung und erlaubte seinem Blick, sich für einen kurzen Moment auf ihre Brüste zu senken.
»Wir müssen gleich weiter, Herr«, sagte Clodia rasch. »Wir haben eine Verabredung mit Freunden.«
Julia verzog das Gesicht, als ihr Arm wieder mit festem Griff gepackt wurde.
»Das ist schade«, sagte der junge Mann und ließ den Blick über Julias Figur wandern. Jetzt errötete Julia; ihr fiel plötzlich ein, dass sie sich für den Besuch recht einfach gekleidet hatte.
»Falls es euren Freunden nichts ausmacht, ein wenig zu warten, ich besitze hier ganz in der Nähe ein kleines Haus, wo ihr euch waschen und auch etwas essen könnt. Man wird schnell müde in dieser Stadt, wenn man nicht irgendwo ausruhen kann.«
Während er sprach berührte der junge Mann wie zufällig seine Hüfte, und Julia hörte das leise Klirren von Münzen. Clodia versuchte sie wegzuziehen, aber sie sträubte sich, denn sie wollte der leichtfertigen Arroganz des Mannes einen Dämpfer versetzen.
»Du hast dich noch nicht vorgestellt«, sagte sie und lächelte noch breiter. Er plusterte sich angesichts ihres Interesses regelrecht auf.
»Suetonius Prandus. Ich bin Senator, meine Liebe, aber nicht jeder Nachmittag muss der Arbeit geopfert werden.«
»Ich habe ... diesen Namen schon einmal gehört«, sagte Julia langsam, aber die Erinnerung wollte sich nicht einstellen. Suetonius nickte, als hätte er das erwartet. Julia sah nicht, wie Clodia erbleichte.
»Dein zukünftiger Ehemann erwartet dich, Julia«, sagte Clodia.
Es gelang ihr, ihren Schützling ein paar Schritte weiterzuziehen, aber Suetonius folgte ihnen, unwillig, sie so einfach gehen zu lassen. Er legte seine Hand auf die von Clodia, um sie beide zum Stehen zu bringen.
»Wir unterhalten uns doch nur ganz harmlos.« Wieder klimperte er mit seinen Münzen, und Julia hätte bei dem Geräusch beinahe laut losgelacht.
»Bietest du mir an, meine Aufmerksamkeit zu kaufen, Suetonius?«, fragte sie.
Ihre Direktheit verdutzte ihn. Aber er spielte mit und zwinkerte.
»Ob dein Ehemann wohl etwas dagegen hätte?«, fragte er und beugte sich näher heran. Etwas in seinen kalten Augen ließ die Stimmung innerhalb eines Augenblicks umschlagen, und Julia sah ihn finster an.
»Noch ist Pompeius nicht mein Ehemann, Suetonius. Vielleicht hätte er nichts dagegen, wenn ich den Nachmittag mit dir verbrächte, was meinst du?«
Einen Augenblick lang begriff Suetonius nicht, was sie gesagt hatte. Dann traf ihn die Erkenntnis, und sein Gesicht verzerrte sich zu einer hässlichen Fratze.
»Ich kenne deinen Vater, Mädchen«, murmelte er vor sich hin.
Julia hob langsam den Kopf, als auch sie sich erinnerte. »Ich wusste doch, dass ich den Namen kenne! Aber ja, ich kenne dich.« Ohne Warnung fing sie an zu lachen, und Suetonius lief vor hilflosem Zorn rot an. Er wagte es nicht, ein weiteres Wort an sie zu richten.
»Mein Vater hat mir herrliche Geschichten von dir erzählt, Suetonius. Die solltest du dir wirklich mal anhören.« Sie wandte sich an Clodia und kümmerte sich nicht um den flehenden Blick der alten Frau. »Einmal hat er dich in ein Erdloch gesperrt, habe ich Recht? Ich weiß noch, wie er es Clodia erzählt hat. Das war sehr lustig.«
Suetonius lächelte steif.
»Wir waren damals beide noch sehr jung. Einen guten Tag euch beiden.«
»Willst du schon gehen? Ich dachte, wir gehen zu dir und essen etwas?«
»Vielleicht ein anderes Mal«, erwiderte er. Seine Augen traten vor unterdrückter Wut hervor, als Julia an ihn herantrat.
»Pass unterwegs gut auf, Senator. Diebe werden deine Münzen klimpern hören. Ich habe sie selbst gehört.« Sie setzte eine ernste Miene auf, während er rot vor Zorn wurde.
»Grüße deine Mutter schön von mir, wenn du sie wiedersiehst«, sagte er plötzlich und fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. Etwas zutiefst Unangenehmes lag in seinem Blick.
»Sie ist tot«, gab Julia zurück und wünschte sich allmählich, sie hätte diese Unterhaltung niemals angefangen.
»Aber ja. Das war eine schreckliche Geschichte«, sagte Suetonius, aber seine Worte wurden von einem zuckenden, unkontrollierten Lächeln entkräftet. Mit einem steifen Nicken ging er quer über das Forum und ließ sie stehen.
Als Julia schließlich Clodia ansah, hob sie die Brauen. »Ich glaube, wir haben ihn verärgert«, sagte sie, schon wieder belustigt.
»Du bist eine Gefahr für dich selbst«, fuhr Clodia sie an. »Je früher du Pompeius’ Frau wirst, desto besser. Ich hoffe nur, er ist klug genug, dich zu schlagen, wenn du es nötig hast.«
Julia nahm Clodias Gesicht zwischen ihre Hände. »Das würde er niemals wagen. Mein Vater würde ihm bei lebendigem Leibe die Haut abziehen.«
Ohne Vorwarnung versetzte ihr Clodia eine kräftige Ohrfeige. Julia legte verdutzt die Finger an die Wange. Die alte Frau zitterte und zeigte kein Anzeichen von Reue.
»Das Leben ist schwerer, als du denkst, Mädchen. Schon seit jeher.«
Der König der Arverner schloss die Tür der Halle mit einem Ruck gegen den starken Wind. Ein plötzlicher Druck in seinen Ohren und eine kleine Schneewehe zu seinen Füßen blieben zurück.
Er drehte sich wieder zu den Männern um, die sich auf sein Wort hin versammelt hatten, Vertreter der ältesten Stämme Galliens. Die Senonen waren gekommen, die Cadurcer, die Pictonen, die Turoner und Dutzende andere. Einige von ihnen waren Vasallen Roms, andere repräsentierten nur noch einen erbärmlichen Rest der Macht, die sie einst verkörpert hatten. Ihre Armeen waren in die Sklaverei verkauft und ihr Vieh gestohlen worden, um die Legionen zu versorgen. Mhorbaine von den Haeduern hatte seine Einladung abgelehnt, aber die anderen erwarteten, dass Cingeto sie führte. Gemeinsam konnten sie ein Heer auf die Beine stellen, das der römischen Zwangsherrschaft in ihrem Land das Rückgrat brechen würde. Cingeto spürte die winterliche Kälte kaum, als er in ihre Raubvogelgesichter blickte.
»Seid ihr bereit, euch in dieser Angelegenheit meinem Befehl zu unterstellen?«, fragte er sie leise. Er wusste, dass sie ihm folgen würden, sonst wären sie nicht im Winter bis zu ihm gereist.
Ein Mann nach dem anderen erhob sich und gelobte ihm seine Unterstützung und seine Krieger. Obwohl sie den Arvernern nicht unbedingt freundschaftlich gesonnen waren, hatten die Jahre des Krieges sie seinen Argumenten gegenüber empfänglich gemacht. Alleine waren sie dem Untergang geweiht, aber unter einem Anführer, einem keltischen Hochkönig, konnten sie die Eindringlinge aus Gallien hinauswerfen. Diese Rolle hatte Cingeto übernommen, und in ihrer Verzweiflung hatten sie ihn anerkannt.
»Zunächst weise ich euch an, abzuwarten und euch vorzubereiten. Schmiedet Schwerter und Rüstungen. Legt Getreidevorräte an und pökelt einen Teil von jedem Ochsen ein, den ihr für den Stamm schlachtet. Wir werden die Fehler der vergangenen Jahre nicht wiederholen und unsere Kraft in sinnlosen Angriffen vergeuden. Wenn wir losschlagen, schlagen wir gemeinsam los, und erst dann, wenn das römische Heer weit auseinander gezogen und schwach ist. Dann werden sie erfahren, dass sie Gallien nicht einfach seinen Völkern rauben können. Sagt euren Kriegern, dass sie unter dem Hochkönig marschieren, vereint, so wie sie einst vor tausend Jahren vereint waren, als nichts in der Welt sich uns entgegenstellen konnte. Unsere Geschichte sagt uns, dass wir ein Volk waren, Reiter der Berge. Unsere Sprache bezeugt unsere Verwandtschaft und weist uns den Weg.«
Er sah sehr eindrucksvoll aus, wie er da vor ihnen stand. Keiner der Könige wandte den Blick von seiner wild entschlossenen Miene ab. Madoc stand neben ihm, und die Tatsache, dass er seinem jüngeren Bruder erlaubt hatte, die Krone des Vaters zu übernehmen, verfehlte ihre Wirkung nicht. Cingetos Worte sprachen ältere Verbindungen und Verpflichtungen an, als diejenigen ihrer Stämme, und sie spürten, wie ihr Blut bei dem Gedanken, die alten Völker wieder zu vereinen, in Wallung geriet.
»Von diesem Tag an sind alle Stammesfehden beendet. Kein Gallier darf einen anderen töten, jetzt, da wir jedes Schwert gegen den Feind brauchen. Falls es Widerspruch gibt, nennt meinen Namen«, sagte Cingeto leise. »Sagt ihnen, Vercingetorix ruft sie zu den Waffen.«
Julius hatte den Arm um den hochgezogenen Bug der Galeere geschlungen und war von rastloser Ungeduld erfüllt, als die weiße Küste näher kam. Er hatte aus den verhängnisvollen Erfahrungen der ersten Expedition gelernt und die Überfahrt diesmal früh im Jahr befohlen. Die Flotte, die ringsum das Meer mit ihren langen Rudern zu Schaum schlug, war hundertmal so groß wie seine erste, und sie hatte ihn jede Münze und jede Gefälligkeit gekostet, die er in Gallien gesammelt hatte. Für den Sprung über das Meer hatte er seine Verteidigung im Land ausgedünnt, aber die weißen Klippen der Britannier waren sein erster Fehlschlag gewesen. Er durfte sich keinen zweiten erlauben.
Es fiel schwer, nicht an die blutrote Brandung zu denken, als seine Galeeren angelandet und vernichtet worden waren. Jene erste Nacht, in der die blauhäutigen Stämme sie im Wasser angegriffen hatten, war tief in seine Erinnerung eingebrannt.
Bei dem Gedanken daran, wie seine Zehnte inmitten der nächtlichen, brüllenden Brandung eine Landung erzwungen hatte, schlossen sich seine Finger fester um das Holz. Zu viele hatte er mit dem Gesicht nach unten im Wasser treibend zurücklassen müssen. Meeresvögel hatten sich auf den in der Brandung treibenden Leichen niedergelassen. Wie er es auch betrachtete, jene drei Wochen waren verhängnisvoll gewesen. An jedem einzelnen Tag hatte es mit erbarmungsloser Wucht und Kälte geregnet. Diejenigen, die das Blutbad bei der Landung überlebt hatten, waren der Verzweiflung alsbald näher gewesen, als er es je bei ihnen gesehen hatte. Tagelang hatten sie nicht einmal gewusst, ob überhaupt einige der Galeeren den Sturm überstanden hatten. Obwohl Julius seine Erleichterung vor den Männern verborgen hatte, war er nie dankbarer gewesen als in dem Augenblick, da er seine übel zugerichteten Galeeren vor der Küste hatte auftauchen sehen.
Seine Legionen hatten mutig gegen die blauhäutigen Stämme gekämpft, aber schon damals hatte Julius erkannt, dass er ohne eine Flotte, die ihn versorgte, nicht in diesem Land bleiben konnte. Er hatte die Kapitulation von Commius, ihrem Anführer, entgegengenommen, aber seine Gedanken waren bereits beim darauf folgenden Frühjahr gewesen.
Sie hatten die Lektion, die ihnen diese raue Küste erteilt hatte, gut gelernt. Links und rechts hörte Julius die Rufe der Kapitäne, die den Rhythmus der Ruder vorgaben. Der Bug hob und senkte sich, die Gischt besprühte ihn, und er beugte sich weit nach vorn, suchte die Küste angestrengt nach bemalten Kriegern ab. Diesmal würde es kein Zurückweichen geben.
So weit sein Auge reichte, kämpften sich seine Galeeren durch die Wellen. Hunderte von Schiffen, die er erbettelt, gekauft und angemietet hatte, um fünf komplette Legionen zur Insel zu bringen. In den Verschlägen auf den schwankenden Decks befanden sich 2000 Pferde, mit denen er die bemalten Stämme hinwegfegen wollte.
Mit einem Frösteln, das eher der Erinnerung als der Kälte geschuldet war, sah Julius die Reihen der Krieger auf den Klippen erscheinen, aber diesmal sah er ihnen mit Verachtung entgegen. Sollten sie nur zusehen, wie die größte Flotte, die die Welt jemals gesehen hatte, sich ihren Gestaden näherte. Sollten sie zusehen.
Die Wellen waren bei weitem nicht so wütend und heftig, wie er es aus dem Jahr zuvor erinnerte. Jetzt, mitten im Hochsommer, brachte die Dünung die Galeeren kaum zum Schaukeln, und Julius hörte aus beiden Richtungen die Signale der Cornicen. Boote wurden zu Wasser gelassen, und die Zehnte machte den Anfang.
Julius sprang über die Bordwand in die Brandung und konnte kaum glauben, dass es sich um denselben Küstenabschnitt handelte. Er sah die Männer die Boote auf den Kies ziehen, weit außer Reichweite möglicher Stürme. Rings um ihn herum entfaltete sich die energische Betriebsamkeit, die er seit Jahren kannte. Befehle wurden gerufen, Gepäck und Rüstungen zusammengesucht, und sofort bildeten die Soldaten eine Verteidigungslinie und riefen mit langen Bronzehörnern die nächsten Einheiten herbei. Julius schauderte, als ihm der nasse Mantel gegen die Haut schlug. Er stapfte den Strand hinauf und blickte mit gefletschten Zähnen aufs Meer hinaus. Er hoffte, dass die bemalten Britannier diese Armee, die schon bald durch ihr Land pflügen würde, ausgiebig betrachteten.
Beim Übersetzen so vieler Männer von den Schiffen zum Strand musste man mit einigen Verletzungen und Fehlern rechnen. Eins der kleinen Boote kenterte, als seine Insassen herausklettern wollten, sein Gewicht zerquetschte einem Optio den Fuß. Etliche Tornister und Speere fielen ins Meer und mussten von den Besitzern unter dem Fluchen ihrer Offiziere herausgefischt werden. Renius rutschte mit einem seiner Arme aus, als er aus einem Boot kletterte und verschwand trotz hilfreich ausgestreckter Hände im Wasser.
Als sie ihn herauszogen, brüllte er vor Empörung. Trotz der Schwierigkeiten war die Landung so vieler ohne den Verlust eines einzigen Lebens allein schon eine bewundernswerte Leistung, und als die Sonne sich allmählich dem Horizont zuneigte, hatte die Zehnte das Gelände für das erste befestigte Lager markiert und den Weg zur Küste abgesichert, denn sie waren immer noch verwundbar.
Nichts war von den Stämmen zu sehen, die ihr Land im Jahr zuvor so wild entschlossen verteidigt hatten. Nach den ersten Sichtungen auf den Klippen hatten sich die Britannier zurückgezogen. Julius musste bei dem Gedanken an die Bestürzung in ihren Lagern und Dörfern lächeln und fragte sich, was wohl aus Commius geworden war, dem König der südlichen Hügel. Er konnte sich nur vorstellen, wie es für Commius gewesen sein musste, seine Legionen zum ersten Mal zu erblicken und seine blauhäutigen Kämpfer zum Meer hinunterzuschicken, um sie zurückzuschlagen. Mit Schaudern erinnerte sich Julius an die riesigen Hunde, die mit ihnen kämpften und ein Dutzend Wunden hinnehmen konnten, ehe sie starben. Aber auch sie hatten die Veteranen aus Gallien nicht aufhalten können.
Commius hatte sich ergeben, als sich die Legionen die Dünen hinauf und in die Wiesen dahinter vorgekämpft und dabei die blauen Krieger vor ihnen niedergemacht hatten. Der König hatte seine Würde gewahrt, als er in das provisorische Lager am Strand gekommen war, um sein Schwert zu übergeben. Die Wachen hätten ihn aufgehalten, aber Julius hatte ihn mit wild pochendem Herzen hereingewinkt.
Er erinnerte sich an die Ehrfurcht, die er gespürt hatte, als er endlich mit Menschen sprach, die in Rom kaum mehr als eine Legende waren. Trotz ihres wilden Aussehens verstanden die Stammesangehörigen, wie Julius alsbald herausfand, das einfache Gallisch, das er mühsam erlernt hatte.
»Die Fischer auf der anderen Seite des Wassers nennen euch die ›Pretani‹, die Bemalten«, sagte Julius und wog das Schwert langsam in der Hand. »Wie nennt ihr sie?«
Der blaue König hatte seine Gefährten angesehen und die Achseln gezuckt. »Wir denken nicht an sie. Nicht oft.«
Julius musste bei der Erinnerung daran leise lachen. Hoffentlich hatte Commius das Jahr, in dem er fort gewesen war, überlebt. Nachdem der Strand gesichert war, brachte Brutus seine Dritte Gallica an Land, um die Zehnte zu verstärken, und Marcus Antonius führte seine Männer aufs Trockene, wobei jede Kohorte der folgenden Schutz bot, wenn sie nach einem genau geplanten Ablauf an Land kam. Als sich die erste Nacht herabsenkte, zogen sich die Galeeren ins tiefere Wasser zurück, wo sie keinem Überraschungsangriff zum Opfer fallen konnten, und die Legionen waren eifrig dabei, befestigte Lager zu errichten.
Nach all den Jahren in Gallien führten sie die vertrauten Arbeiten gelassen und zügig aus. Die Extraordinarii schwärmten um die Ränder der Stellungen, bereit, jederzeit Alarm zu schlagen und einen feindlichen Angriff so lange aufzuhalten, bis sich die rechteckigen Kampfformationen gebildet hatten. Die Wälle aus aufgeschütteter Erde und gefällten Bäumen wuchsen mit der Leichtigkeit langer Praxis, und als Mond und Sterne Mitternacht anzeigten, waren die Legionäre in Sicherheit und bereit für den nächsten Tag.
Während die erste warme Mahlzeit an diejenigen ausgegeben wurde, die so schwer dafür geschuftet hatten, berief Julius seinen Rat ein. Auch er selbst nahm einen Teller Gemüseeintopf und roch vor den Augen der Legionäre genießerisch daran. Sie grinsten, als er davon kostete und zwischen ihnen hindurchging, hier und da stehen blieb und mit jedem sprach, der seinen Blick auf sich zog.
Bericus hatte er in Gallien zurückgelassen, wo er nur mit seiner Legion und den Hilfstruppen das gewaltige Gebiet abdecken musste. Der Heerführer aus Ariminum war ein erfahrener, besonnener Soldat, der das Leben der Männer unter seinem Kommando nicht leichtsinnig aufs Spiel setzte, aber Brutus war angesichts der Gefahr, die es bedeutete, nur so wenige zum Schutz Galliens zurückzulassen, entsetzt gewesen. Julius hatte sich seine Einwände geduldig angehört und dann seine Pläne in die Tat umgesetzt. Brutus war bei der ersten Landung nicht dabei gewesen, denn der Sturm hatte seine Galeere weit aufs Meer hinausgetrieben. Er verstand nicht, weshalb Julius unbedingt einen zweiten, vernichtenden Schlag durchführen wollte. Er hatte die blutig roten Wellen nicht gesehen, hatte nicht gesehen, wie die Legionäre vor den blauhäutigen Kriegern und ihren gewaltigen Hunden zurückgewichen waren.
In diesem Jahr, das hatte sich Julius geschworen, würden die Britannier das Knie vor ihm beugen oder vernichtet werden. Er hatte die nötige Kampfkraft und die nötigen Schiffe. Er hatte die richtige Jahreszeit und einen ungebrochenen Willen. Als er das von Fackeln erleuchtete Zelt betrat, stellte er den Teller auf einen Tisch und ließ das Essen kalt werden. Angesichts der Anspannung, die in ihm wühlte, konnte er nichts essen. Rom war so weit entfernt wie ein Traum, und manchmal konnte er nur verwundert den Kopf darüber schütteln, dass er so weit von der Stadt entfernt war. Wenn doch Marius oder sein Vater das alles miterleben könnten. Marius hätte seine Befriedigung nachvollziehen können. Er war weit genug nach Afrika vorgedrungen, um ihn zu verstehen.
Seine Berater kamen zu zweien oder dreien, und Julius beherrschte seine Gefühle, um sie förmlich zu begrüßen. Er ließ ihnen Essen bringen und wartete, bis sie satt waren, blickte, die Hände auf den Rücken gelegt, vom Zelteingang hinaus in den Nachthimmel. Nach der ersten Landung hatte er ungefähre Karten anfertigen lassen, die sie weiter nach Norden bringen sollten, und die Kundschafter, die sie gezeichnet hatten, würden vorangehen, um die Truppenstärke derjenigen auszukundschaften, die sich ihnen entgegenstellten. Julius konnte das Morgengrauen kaum erwarten.
Die Nachrichten von der Flotte hatten sich rasch verbreitet. Nachdem das gesamte Ausmaß der Invasion offensichtlich wurde, hatte Commius seine Pläne zur Verteidigung der Küste verworfen. Die Absicht hinter einer derartig gewaltigen Streitmacht war unmissverständlich. Ebenso sicher war, dass die Trinovanten keine Chance hatten, etwas gegen sie auszurichten. Sie zogen sich zwölf Meilen weit bis zu einer Reihe von Hügelfestungen ins Inland zurück, und Commius schickte zu allen benachbarten Stämmen Boten aus. Er rief die Cenimagner und die Ancaliten. Er rief die Segontiacer und die Bibrocer, und sie kamen aus Angst zu ihm. Noch nie hatte jemand einen so vielköpfigen Feind gesehen, und sie wussten, wie viele Trinovanten im Jahr zuvor im Kampf gegen eine wesentlich kleinere Anzahl gefallen waren.
Der erste Abend verging im Streit, als Commius versuchte, ihrer aller Leben zu retten.
»Ihr habt beim letzten Mal nicht gegen sie gekämpft«, sagte er zu ihren Anführern. »Es waren nur ein paar Tausend, aber sie haben uns besiegt. Gegen das Heer, das sie jetzt mitgebracht haben, haben wir keine Chance. Wir müssen sie ertragen, so wie wir den Winter ertragen. Anders können wir ihren Durchzug nicht überleben.«
Commius sah den Zorn auf den Gesichtern der Männer vor ihm. Beran von den Ancaliten erhob sich, und Commius drehte sich resigniert zu ihm herum, erriet seine Worte, noch bevor sie ausgesprochen waren.
»Die Catuvellaunen sagen, dass sie kämpfen. Sie erkennen jeden von uns unter ihrem König als Waffenbruder an. Jedenfalls ist das besser, als sich in den Schmutz zu werfen und einer nach dem anderen erledigt zu werden.«
Commius seufzte. Er kannte das Angebot des jungen Königs Cassivellaunus, und am liebsten hätte er ausgespuckt. Keiner der Anwesenden schien das Ausmaß der Gefahr zu begreifen, das von der an ihrer Küste gelandeten Armee ausging. Das Heer war endlos, und Commius zweifelte daran, dass man sie ins Meer zurückwerfen könnte, selbst wenn jeder Mann im ganzen Land gegen sie zu den Waffen griff. Der König der Catuvellaunen war von seinem eigenen Ehrgeiz, die Stämme anzuführen, geblendet, und Commius wollte an dieser Dummheit nicht teilhaben. Cassivellaunus würde es auf die einzig mögliche Art und Weise lernen, so wie Commius vor ihm. Aber für die anderen bestand immer noch Hoffnung.
»Soll Cassivellaunus die Stämme unter seinem Banner vereinen. Es wird nicht reichen, selbst mit uns nicht. Sag mir, Beran, wie viele Männer kannst du zum Kampf von deinen Feldern und Herden abziehen?«
Beran war die Frage sichtlich unangenehm, aber dann zuckte er die Achseln.
»Zwölfhundert vielleicht. Weniger, wenn ich genug zurücklasse, um die Frauen zu beschützen.«
Unter Commius’ strengem Blick fügte jeder von ihnen seine Zahl hinzu.
»Insgesamt bringen wir es also vielleicht auf achttausend Krieger. Cassivellaunus hat dreitausend, und die Stämme um ihn herum können noch sechstausend mehr bringen, falls sie alle gewillt sind, sich ihm anzuschließen. Das sind siebzehntausend, und meine Männer haben gezählt, dass uns fünfundzwanzigtausend gegenüberstehen, und dazu noch Tausende von Reitern.«
»Ich habe schon Schlimmeres erlebt«, sagte Beran und grinste.
Commius funkelte ihn wütend an. »Nein, das hast du nicht! Ich habe am Strand und auf den Feldern dreitausend meiner besten Männer im Kampf gegen sie verloren. Das sind harte Männer, meine Freunde, aber sie können uns von jenseits des Meeres nicht regieren. Das ist noch keinem gelungen. Wir müssen nur abwarten, bis der Winter sie wieder zurücktreibt. Inzwischen wissen sie, was die Stürme mit ihren Schiffen anstellen können.«
»Es wird schwierig sein, meinen Leuten zu sagen, sie sollen die Schwerter weglegen«, sagte Beran. »Viele sind fest entschlossen, sich den Catuvellaunen anzuschließen.«
»Dann sollen sie doch!«, rief Commius, dessen Geduld am Ende war. »Soll jeder, der sterben will, sich zu Cassivellaunus gesellen und kämpfen. Sie werden vernichtet werden.« Er rieb sich zornig den Nasenrücken. »Ich muss zuerst an die Trinovanten denken, ganz egal, was ihr beschließt. Es sind auch so schon wenig genug von uns übrig, aber selbst wenn ich noch viel mehr Männer hätte, würde ich abwarten, wie es den Catuvellaunen in ihrer ersten Schlacht ergeht. Wenn ihr König so versessen darauf ist, uns alle anzuführen, soll er doch beweisen, dass er auch die Kraft dazu hat.«
Die Männer blickten einander an, suchten nach einer gemeinsamen Entscheidung. Der Geist der Zusammenarbeit war eine ungewohnte Erfahrung, aber seit die Flotte an diesem Morgen gesichtet worden war, war nichts an ihrer Lage mehr wie gewohnt.
Beran ergriff als Erster das Wort.
»Du bist kein Feigling, Commius. Deshalb habe ich dir zugehört. Ich warte ab, wie es Cassivellaunus in den ersten Geplänkeln ergeht. Wenn er diese neuen Männer empfindlich treffen kann, schließe ich mich ihm an. Ich will nicht mit gesenktem Kopf dabeistehen, während sie mein Volk töten. Das wäre unerträglich.«
»Es wäre noch unerträglicher zu sehen, wie deine Tempel zerstört und die Ancaliten zu Asche gemacht werden«, fuhr ihn Commius an. Er schüttelte den Kopf. »Tu, was du für richtig hältst. Die Trinovanten werden keinen Anteil daran haben.« Ohne ein weiteres Wort stürmte Commius aus dem niedrigen Raum und ließ sie allein.
Beran sah ihm stirnrunzelnd nach. »Hat er Recht?«, fragte er. Die gleiche Frage beschäftigte alle, als Beran sich umdrehte und sie ansah.
»Sollen die Catuvellaunen sich mit ihnen messen, mit welcher Streitmacht auch immer. Ich schicke meine Kundschafter aus, und wenn sie sagen, dass diese ›Römer‹ besiegt werden können, ziehe ich ebenfalls gegen sie.«
»Die Bibrocer werden mit dir ziehen«, sagte ihr Abgesandter. Die anderen erhoben ebenfalls ihre Stimmen, und Beran lächelte. Er verstand, weshalb der König der Catuvellaunen so erpicht darauf war, die Stämme zu befehligen. Die hier Anwesenden konnten fast 8000 Krieger ins Feld bringen. Was für ein Anblick das wäre! Beran konnte sich so viele Männer vereint kaum vorstellen.
Zwölf Meilen landeinwärts traf Julius auf die Hügelfestungen der Trinovanten. Das Tosen und die Gerüche des Meeres lagen weit hinter seinen Marschkolonnen, und diejenigen Legionäre, die nach vorn blickten, murmelten anerkennend, als sie durch Getreidefelder und sogar Weingärten zogen, deren saure weiße Trauben sie im Vorübergehen abrissen. In der Hitze des Spätsommers wuchsen dort wilde Äpfel, und Julius war erfreut darüber, dass das Land es wert war, erobert zu werden. An der Küste war wenig von den Feldern dahinter zu erahnen gewesen, aber seine Augen suchten ständig nach den dunklen Narben irgendwelcher Minen. Rom war Zinn und Gold von den Britanniern versprochen worden, und Julius wusste, dass die Gier des Senats ohne diese Metalle nicht zufrieden zu stellen sein würde.
Die Legionen zogen sich über mehrere Meilen hin, nur durch die schweren Versorgungstrosse voneinander getrennt. Sie hatten Vorräte für einen Monat sowie Werkzeug und Ausrüstung zum Überqueren von Flüssen und zum Brückenbau dabei, ja, sie waren sogar in der Lage, eine ganze Stadt zu errichten. Julius hatte bei diesem zweiten Versuch, die weißen Klippen einzunehmen, nichts dem Zufall überlassen. Er gab den Cornicen das Zeichen, zum Halten zu blasen, und sah zu, wie die gewaltigen Kolonnen reagierten, deren Formationen sich noch am Rande seines Gesichtsfeld bewegten, während sie von der Marschformation zu defensiveren Aufstellungen übergingen. Julius nickte zufrieden. Genauso sollte Rom Krieg führen.
Die Hügelfestungen erstreckten sich in einer lockeren Linie über das Land, jede war eine solide Konstruktion aus Holz und Stein auf der Kuppe steil ansteigender Hänge. Ein Fluss, der auf seinen Karten als der »Sturr« verzeichnet war, floss unter ihnen dahin, und Julius schickte Wasserträger aus, um den langwierigen Prozess einzuleiten, mit dem die Legionsvorräte aufgefüllt wurden. Noch war es nicht unbedingt nötig, aber Gallien hatte ihn gelehrt, niemals eine Gelegenheit verstreichen zu lassen, sich mit Wasser oder Nahrung zu versorgen. Seine Karten endeten am Fluss, und nach allem, was er wusste, könnte es das letzte frische Wasser sein, bis sie den Tamesis erreichten, den ›dunklen Fluss‹, 60 Meilen von der Küste entfernt. Falls es ihn überhaupt gab.
Julius rief Brutus und Octavian zu sich, dann schickte er eine Kohorte seiner erprobten Zehnten weiter zu den Festungen. Als er seine Befehle gab, sah Julius die mächtige Gestalt Ciros durch die Reihen auf sich zukommen. Julius grinste über das besorgte Gesicht des Mannes und beantwortete seine Frage, bevor sie gestellt werden konnte.
»Sehr gut, Ciro. Schließe dich uns an«, rief er.
Julius sah die Erleichterung in den Zügen des riesenhaften Soldaten. Ciros Ergebenheit rührte ihn immer noch. Die Brustpanzer der Zehnten schimmerten grell, als Julius sie musterte, und wieder verspürte er diese gewaltige Begeisterung. Jeden Augenblick konnten die Armeen der Britannier auftauchen und sich auf sie werfen, aber an der perfekten Aufstellung der Legionäre war nichts auszusetzen. Die Einheiten waren bereit, und etwas von Julius’ Selbstbewusstsein zeigte sich auf ihren Gesichtern.
Als er langsam den Hang zur größten der Festungen hinaufritt, hörte Julius in der reinen, klaren Luft hoch über sich Vögel singen. Er prägte sich die Verteidigungsanlagen ein und machte bereits Pläne, wie er sie überwinden könnte, falls sich die Bewohner nicht ergaben. Die Mauern waren solide gebaut, und jeder Angreifer würde sich beim Sturm auf das Tor einem Hagel von Geschossen ausgesetzt sehen. Julius stellte sich die Ausmaße des Rammbocks vor, die nötig wären, um so dickes Holz zu durchbrechen, und die Antwort gefiel ihm ganz und gar nicht. Auf den hohen Mauern sah er dunkle Köpfe, und er richtete sich im Sattel auf, wohl wissend, dass er beobachtet und beurteilt wurde.
Aus dem Inneren der Festung hörte man laute Rufe und Hörnertuten. Julius versteifte sich, als die Flügel des Haupttores aufschwangen. Die Reihen der Triarii vor ihm zückten ohne Befehl die Schwerter, denn jeder von ihnen erwartete, dass sich aus dem Tor eine wilde Horde Angreifer auf sie ergießen würde. Genau das hätte Julius auch getan, wenn er auf dem Hügel gestanden hätte, und er ballte die Fäuste um die Zügel, als das dunkle Innere der Festung sichtbar wurde.
Aber es kamen keine Krieger daraus hervorgestürmt. Stattdessen stand dort eine kleine Gruppe von Männern, von denen einer grüßend den Arm hob. Julius befahl der Kohorte, die Schwerter wieder in die Scheiden zu stecken, um die Spannung ein wenig zu senken. Octavian trieb sein Pferd einen Schritt vor Julius und drehte sich zu seinem Befehlshaber um.
»Lass mich mit fünfzig Mann hineinmarschieren, Herr. Falls es eine Falle ist, müssen sie sich zeigen.«
Julius musterte seinen jungen Verwandten mit großer Zuneigung; er sah keine Furcht, kein Zaudern in den ruhigen Augen des anderen. Wenn es eine Falle war, würden diejenigen, die die Festung zuerst betraten, getötet werden. Julius freute sich darüber, dass einer von seinem Blut vor den Männern derartige Tapferkeit bewies.
»Sehr gut, Octavian. Geht hinein und haltet das Tor für mich«, erwiderte er lächelnd.
Octavian gab den ersten fünf Reihen ein paar kurze Befehle, dann setzten sie sich im leichten Trab den Hügel hinauf in Bewegung. Julius beobachtete die Reaktion der Britannier und war enttäuscht, als er sah, dass sie ohne Anzeichen von Furcht stehen blieben.
Octavian trieb sein Pferd zum Galopp an, als er unter dem Tor hindurchritt, und Julius sah seine Rüstung im Haupthof glänzen, als er das Pferd auf der Hinterhand wendete und zurückgeritten kam. Als Julius den Rest der Kohorte hinaufgeführt hatte, war Octavian bereits abgestiegen, und ein kurzer Blickwechsel genügte, um Julius grinsen zu lassen. Die Vorsichtsmaßnahme war unnötig gewesen, aber Julius hatte in Gallien einiges über Risiken gelernt. Es gab Zeiten, in denen man nur angreifen und hoffen konnte, aber das geschah nur selten. Julius hatte erfahren, dass er umso weniger in die Verlegenheit kam, sich allein auf die schiere Kraft und Disziplin seiner Männer verlassen zu müssen, je mehr er überlegte und plante.
Im Schatten des Torbogens stieg er vom Pferd. Die Männer, die ihn erwarteten, waren fast alles Fremde, aber unter ihnen entdeckte er Commius und umarmte ihn. Es war eine rein formelle Geste für die Krieger der Festung, die ihn beobachteten. Vielleicht wussten beide Männer, dass nur die Größe des römischen Heeres ihnen diese angebliche Freundschaft aufzwang, aber das spielte keine Rolle.
»Es freut mich, dich hier zu sehen, Commius«, sagte Julius. »Meine Kundschafter meinten, dass wir uns noch immer auf dem Land der Trinovanten befinden, aber sie waren sich nicht sicher.« Er sprach schnell und fließend, woraufhin Commius verwundert die Brauen hochzog. Julius lächelte, als wenn nichts wäre, und fuhr fort.
»Wer sind diese anderen?«
Commius stellte sie als Anführer der Stämme vor, und Julius entbot allen seinen Gruß, prägte sich ihre Namen und Gesichter ein und freute sich über ihr offensichtliches Unbehagen.
»Du bist auf dem Land der Trinovanten willkommen«, sagte Commius schließlich. »Wenn deine Männer warten, lasse ich etwas zu essen und zu trinken bringen. Tritt doch ein.«
Julius betrachtete den Mann genauer und fragte sich, ob Octavians Befürchtungen doch noch wahr werden könnten. Er spürte, dass er geprüft wurde, und ließ schließlich seine Vorsicht fahren.
»Octavian, Brutus ... Ciro, ihr kommt mit mir. Geh voran, Commius, und lass das Tor offen, wenn es dir nichts ausmacht. Es ist zu heiß, um die frische Brise auszusperren.«
Commius sah ihn kalt an, und Julius lächelte. Der Zenturio Regulus stand dort, und Julius sprach mit ihm zuletzt, bevor er den Britanniern ins Innere folgte.
»Warte eine einzige Wache auf meine Rückkehr. Wenn ich bis dahin nicht wieder aufgetaucht bin, weißt du, was zu tun ist.«
Regulus nickte entschlossen, und Julius sah, dass die Worte nicht ohne Wirkung auf Commius geblieben waren, dessen Züge sich verhärteten.
Die Festung schien größer, als sie von außen ausgesehen hatte. Commius führte die vier Römer und die anderen Britannier durch den Hof, und Julius blickte nicht auf, als er die scharrenden Füße der Krieger der Trinovanten hörte, die mit gereckten Hälsen die Ankömmlinge bestaunten. Er würde ihnen nicht die Ehre erweisen zu zeigen, dass er sie gehört hatte, doch Ciro blickte nach oben und spannte sich.
Commius führte sie alle in einen langen, niedrigen Raum, der aus schweren, honigfarbenen Balken gezimmert war. Julius betrachtete die Speere und Schwerter, die die Wände zierten, und wusste, dass es sich um Commius’ Beratungsraum handeln musste. Ein Tisch und mehrere Bänke zeigten an, wo Commius mit seinen Leuten saß, und am gegenüberliegenden Ende stand ein Schrein, von dem sich ein dünner Rauchfaden an einem steinernen, in die Wand eingelassenen Gesicht vorbei nach oben kräuselte.
Commius nahm am Kopfende des Tisches Platz, und Julius ging ohne nachzudenken auf das entgegengesetzte Ende zu. Es war nur natürlich, dass die Römer die eine Seite besetzten und die Britannier die andere, und als alle saßen, wartete Julius geduldig darauf, dass Commius das Wort ergriff. Das Gefühl lauernder Gefahr hatte sich verflüchtigt. Commius wusste ebenso gut wie jeder andere, dass die Legionen draußen die Festungen zu Blut und Asche zertrampeln würden, falls Julius nicht mehr herauskam, und Julius war sicher, dass die Drohung jeden Versuch, ihn festzuhalten oder zu ermorden, im Keim ersticken würde. Falls nicht, dachte er, würden die Britannier über das Ausmaß an Grausamkeit, das unweigerlich folgen würde, zweifellos erstaunt sein. Brutus und Octavian allein waren so weit entfernt davon, gewöhnliche Schwertkämpfer zu sein, dass ihre Geschwindigkeit und ihr Können beinahe magisch schienen, und ein einziger Schlag von Ciro konnte fast jedem Mann den Hals brechen.
Commius räusperte sich.
»Die Trinovanten haben das Bündnis vom vergangenen Jahr nicht vergessen. Die Cenimagner, Ancaliten, Bibrocer und Segontiacer erkennen diesen Frieden an. Stehst auch du zu deinem Wort?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Julius. »Wenn sich diese Männer zu meinen Verbündeten erklären, werde ich sie bis auf den Ein- behalt von Geiseln und die Erhebung eines gewissen Tributs nicht weiter behelligen. Die anderen Stämme werden sehen, dass sie von mir nichts zu befürchten haben, wenn sie sich zivilisiert benehmen. Du wirst mein Beispiel dafür abgeben.«
Beim Sprechen ließ Julius den Blick um den Tisch wandern, aber die Britannier ließen sich nichts anmerken. Commius wirkte erleichtert, und Julius lehnte sich zu weiteren Verhandlungen zurück.
Als Julius schließlich wieder herauskam, versammelten sich die Britannier entlang der hohen Festungsmauern, um ihn davonreiten zu sehen. Die Anspannung war ihren blassen Gesichtern deutlich anzusehen. Regulus sah genau zu, wie sein Feldherr einen Arm zum Gruß hob. Die Kohorte machte kehrt und setzte sich wieder in Bewegung den Hügel hinab zu den wartenden Legionen. Von diesem erhöhten Punkt aus war das gesamte Ausmaß der Invasionstruppe hervorragend zu überblicken, und Regulus lächelte bei dem Gedanken, dass jede Schlacht so einfach zu schlagen sein sollte.
Sobald die Kohorte wieder in die Hauptstreitmacht eingegliedert war, schickte Julius einen Reiter los, der Marcus Antonius zu ihm bringen sollte. Es dauerte eine Stunde, bis der Heerführer eintraf, und Julius schritt durch die schweigenden, wartenden Soldatenreihen, um ihn zu begrüßen.
»Ich ziehe weiter nach Norden, aber ich kann diese Festungen nicht in meinem Rücken zurücklassen«, sagte Julius, als Marcus Antonius abstieg und salutierte. »Du bleibst mit deiner Legion hier und nimmst die Geiseln entgegen, die sie dir schicken. Provoziere sie nicht zu einer Schlacht, aber wenn sie zu den Waffen greifen, musst du sie vollständig vernichten. Hast du meine Befehle verstanden?«
Marcus Antonius hob den Blick zu den Festungen, die sich über ihnen erhoben. Der Wind schien stärker zu werden, mit einem Mal fröstelte ihn. Es war keine leichte Aufgabe, aber ihm blieb nichts anderes übrig, als zu salutieren.
»Ich verstehe, Herr.«
Marcus Antonius sah zu, wie die großartigen Legionen seiner Heimat stampfend und donnernd davonmarschierten, dass die Erde erbebte. Der Wind nahm weiter zu, dunkle Wolken trieben von Westen heran. Als die ersten Wälle des Lagers errichtet wurden, verwandelte ein stürmischer Regen die Erde in klebrigen Matsch. Während er zusah, wie sein Zelt aufgebaut wurde, fragte sich Marcus Antonius, wie lange er ihre Verbündeten in ihren trockenen, warmen Festungen wohl würde bewachen müssen.
An diesem Abend traf ein Sommerunwetter auf die Küste. 40 der römischen Galeeren wurden Ruder und Masten ausgerissen, woraufhin sie hilflos auf die Klippen getrieben und dort zerschmettert wurden. Viele andere rissen sich von ihren Ankern und trieben hinaus aufs Meer, wo sie in der Dunkelheit hin und hergeworfen wurden. Ihre schiere Anzahl machte das Ganze zu einer Nacht des Grauens, in der die verzweifelten Besatzungen mit langen Stangen über den Relingen hingen, um die anderen Schiffe abzuwehren, bevor sie sich gegenseitig zermalmten.
Hunderte kamen bei Zusammenstößen um oder ertranken, und als der Wind erst kurz vor Tagesanbruch abflaute, bot die Flotte, die schwer angeschlagen an den Kiesstrand zurückkehrte, ein erbärmliches Bild. Diejenigen, die schon bei der ersten blutigen Landung dabei gewesen waren, stöhnten vor Entsetzen angesichts des dunklen Streifens aus Treibholz und Leichen, der sich am Küstenstreifen dahinzog.
Im ersten Tageslicht bemühten sich die verbliebenen Offiziere, die Ordnung wiederherzustellen. Galeeren wurden aneinander gebunden, und die metallenen Holme der Belagerungsmaschinen fanden Verwendung als Behelfsanker, um sie an Ort und Stelle zu halten. Unmengen von Landungsbooten waren über Bord gerissen worden, aber die restlichen verkehrten den ganzen Morgen über zwischen den Schiffen und tauschten die verbliebenen Vorräte an Süßwasser und Werkzeugen aus. Die dunklen Laderäume dreier Galeeren wurden mit den Verwundeten belegt, deren Schreie man durch den Wind hören konnte.
Als sie gegessen und die römischen Kapitäne ihre Lage besprochen hatten, stimmten einige dafür, sofort nach Gallien zurückzukehren. Diejenigen, die Julius besser kannten, weigerten sich strikt, auch nur ein einziges Ruder ins Wasser zu tauchen, bevor sie keine entsprechenden Befehle erhalten hatten. Angesichts dieses Widerstands wurden Boten an Julius an Land gebracht, und die Flotte wartete ab.
Marcus Antonius empfing die Boten als Erster, als sie ins Landesinnere vordrangen. Die Gewalt des Unwetters hatte sich ein paar Meilen landeinwärts erschöpft, so dass er nicht mehr als einen heftigen Sturm erlebt hatte, obwohl ihn mehr als einmal flackernde Blitze aus dem Schlaf gerissen hatten. Er las die Schadensberichte mit wachsendem Entsetzen, bevor er seine wild durcheinander wirbelnden Gedanken wieder unter Kontrolle bekam. Julius hatte nicht mit einem weiteren Sturm gerechnet, der seine Flotte beschädigte, aber wenn er noch vor Ort gewesen wäre, hätte er denselben Befehl erteilt. Die Galeeren durften nicht für die Dauer des gesamten Feldzugs den Gewalten von Wind und Wetter ausgesetzt bleiben, bis sie allesamt zu Treibholz zerschlagen waren.
Marcus Antonius wollte gerade die Rückfahrt nach Gallien befehlen, als ihn der Gedanke an Julius’ Zorn die Worte zurückhalten ließ.
»Ich habe hier fünftausend Mann«, sagte er, während sich eine Idee formte. »Mit Tauen und Gespannen könnten wir die Galeeren eine nach der anderen hereinbringen und für sie einen Binnenhafen bauen. Ich habe das Unwetter hier kaum gespürt, aber so weit ins Land hinein müssen wir uns gar nicht zurückziehen. Eine halbe Meile, dazu eine Schutzmauer, damit müsste die Flotte geschützt sein – und bereit, wenn Cäsar zurückkehrt.«
Die Boten sahen ihn verständnislos an.
»Herr, wir haben Hunderte von Schiffen. Selbst wenn wir die Rudersklaven als Arbeitskräfte hinzuziehen, würde es Monate dauern, so viele Schiffe zu verlegen.«
Marcus Antonius lächelte verkniffen.
»Die Rudersklaven werden für ihre eigenen Schiffe verantwortlich sein. Wir haben genug Taue und Männer, um es zu schaffen. Ich denke, zwei Wochen müssten reichen, danach können die Stürme wüten, solange sie wollen.«
Der römische Feldherr schob die Seeleute aus seinem Zelt und rief seine Offiziere zusammen. Unwillkürlich fragte er sich, ob schon jemals irgendjemand etwas Derartiges versucht hatte. Er jedenfalls hatte nicht davon gehört, obwohl in jedem Hafen ein oder zwei große Schiffe im Trockendock lagen. Sein Vorhaben konnte doch nicht mehr sein, als eine Vervielfältigung dieser Aufgabe. Mit diesem Gedanken verschwanden seine Zweifel, und er verlor sich alsbald in Berechnungen. Als seine Offiziere zur Lagebesprechung eintrafen, hatte Marcus Antonius bereits eine ganze Reihe Befehle für sie parat.
Die Ähnlichkeit mit den Galliern war verblüffend. Die britannischen Stämme aus dem Landesinneren, gegen die Julius seine Legionen in die Schlacht führte, hatten keine blaue Haut, aber sie benutzten ebenfalls einige der uralten Namen, die Julius zum ersten Mal in Gallien gehört hatte. Seine Kundschafter hatten ihm einen Stamm im Westen gemeldet, der sich Belger nannte und womöglich aus dem gleichen Geschlecht stammte wie diejenigen, die er auf der anderen Seite des Meeres besiegt hatte.
Das Land, das die Legionen unter Pfeil- und Speerbeschuss erklommen, war von einem lang gezogenen Halbrund aus Hügeln eingefasst. Die römischen Schilde erwiesen sich als wirksamer Schutz, und die Legionäre schritten unerbittlich voran. Sie hatten im Schweiße ihres Angesichts die schweren Wurfmaschinen die Hügel hinaufgezerrt, aber sie hatten ihren Wert abermals bewiesen, als die Britannier versuchten, das Plateau zu halten und lernten, Respekt vor den großen Ballistae zu haben. Sie hatten der schieren Gewalt der Skorpionbögen nichts entgegenzusetzen; alle ihre Angriffe waren abgewehrt und zerschlagen worden, und die Legionen marschierten auf die nächsten Hügel zu. Julius wusste, dass ihr Vorteil nicht zuletzt in der Geschwindigkeit lag, mit der sie offenes Gelände überquerten, und die unter Cassivellaunus versammelten Stämme zogen sich immer weiter zurück, während eine Stellung nach der anderen eingenommen wurde und die römischen Reihen weiter vorrückten.
Trotz des Widerstands konnte sich Julius des Verdachts nicht erwehren, dass die Stämme sie an einen bestimmten Ort lockten.
Ihm blieb nichts anderes übrig, als das Tempo beizubehalten, immer kurz davor, sie vernichtend zu schlagen. Immer wieder ließ er den zurückweichenden Feind von den Extraordinarii unter Octavian und Brutus blitzartig angreifen. Der Boden, über den die Legionen marschierten, war mit Speeren und Pfeilen übersät, aber nur wenige hatten ein Ziel gefunden, und der Vormarsch kam während der langen Tage kein einziges Mal ins Stocken.
Am zweiten Morgen war ihre Flanke zweimal von Männern angegriffen worden, die das Heer der Britannier zurückgelassen hatten. Die Manipel hatten sie ohne Panik aufgehalten, und die Extraordinarii hatten sie niedergeritten, wie sie es gelernt hatten, indem sie im vollen Galopp durch die verzweifelten Stammeskrieger hindurchgeprescht waren.
Am Abend hatte Julius die Cornicen zum Aufbauen des Lagers blasen lassen, und die Nachschubkolonnen brachten Essen und Wasser für die Männer heran. Die Nächte waren unangenehmer, denn die Stämme brüllten unaufhörlich und machten einen solchen Lärm, dass an Schlaf fast zu nicht denken war. Die Extraordinarii ritten abwechselnd in Gruppen um die Lager, um Angriffe abzuwehren, wobei mehr von ihnen durch Pfeile aus der Dunkelheit fielen als zu jeder anderen Zeit. Trotzdem wurden auch in diesem feindlichen Land die Routinen fortgesetzt. Die Schmiede reparierten Waffen und Schilde, und die Feldschere kümmerten sich so gut es ging um die Verwundeten. Julius war dankbar für diejenigen, die Cabera ausgebildet hatte, obwohl er seinen alten Freund vermisste. Die Krankheit, die ihn nach seiner Heilung des Domitius niedergestreckt hatte, war etwas Schreckliches, ein Dieb, der ihm heimlich nach und nach den Verstand raubte. Cabera war nicht in der Lage gewesen, die zweite Überfahrt mitzumachen, und Julius hoffte nur, dass er lange genug am Leben blieb, um sie alle wieder zurückkehren zu sehen.
Zuerst hatte Julius geglaubt, er könnte die Stämme bis zum Fluss vor sich hertreiben und dort aufreiben, so wie er es vor Jahren mit den Sueben getan hatte, damals am Rhein. Aber der König der Catuvellauni hatte die Brücken in Brand gesetzt, bevor die Legionen sie erreichen konnten, und die Tage dann dazu genutzt, seine Armee mit Kriegern aus den umliegenden Gebieten zu verstärken.
Unter schwerem Pfeilbeschuss vom anderen Ufer hatte Julius Kundschafter ausgesandt, um eine Furt ausfindig zu machen, aber es schien nur eine einzige Stelle zu geben, die für diesen Zweck brauchbar war, und selbst dort war er gezwungen gewesen, die schweren Waffen zurückzulassen, die die ersten Angriffe der Britannier zermalmt und ihren langen Rückzug eingeleitet hatten.
Widerstrebend stellte Julius seine Ballistae, Onager und Skorpione am Flussufer auf, um den Angriff zu unterstützen. Ihm fiel ein, dass die beste Taktik durch schwieriges Terrain zunichte gemacht werden konnte. Seine Legionen stellten sich zwischen den Fahnen auf, die die Kundschafter in den weichen Schlamm des Tamesis gerammt hatten, um anzuzeigen, von wo an das Wasser wieder tiefer wurde. An einem solchen Ort gab es keine List und keine Ausflüchte. Eine Salve aus den Wurfmaschinen markierte die Reichweite über den Fluss und gab den Legionen ein sicheres Anlaufgebiet von ungefähr einhundert Fuß. Dahinter würde die Speerspitze des Heeres von den Britanniern umringt sein. Sämtliche Vorteile lagen auf Seiten der Stämme, und Julius wusste, dass diese Überquerung entscheidend für den Ausgang der Schlacht sein würde. Wenn seine Männer am anderen Ufer ins Stocken gerieten, konnte der Rest der Legionen nicht über den Fluss gelangen. Dann war alles, was sie seit der Küste erreicht hatten, umsonst.
Sich unter den Augen des Feindes auf eine Schlacht vorzubereiten hatte etwas Unheimliches an sich, besonders wenn man nichts anderes tun konnte als zusehen. Julius hörte seine Offiziere ihre Befehle brüllen, sah, wie sich Einheiten in Reih und Glied formierten, und von überall links und rechts drangen ähnliche Rufe zu ihm. Er sah zum anderen Ufer des dunklen Tamesis hinüber und schickte Läufer zu seinen Heerführern, wenn ihm etwas am Gelände und an den Formationen der Britannier auffiel. Sie sahen recht selbstbewusst aus, als sie die Römer verspotteten, und Julius sah, dass einige von ihnen ihre Hinterteile entblößten, sie zur allgemeinen Belustigung ihrer Gefährten in seine Richtung streckten und mit den Händen daraufklatschten.
Er konnte ihre Zuversicht gut verstehen und spürte, wie ihm der Schweiß in die Augen rann, während er seine Befehle ausgab. Die Legionen würden beim Überqueren Pfeil- und Speerhageln ausgesetzt sein; er rechnete mit einem hohen Blutzoll. Julius hatte Kundschafter flussauf- und flussabwärts am Tamesis entlanggeschickt, um weitere Furten zu suchen, die er zum Anlanden von Flankentruppen benutzen konnte, aber falls es überhaupt welche gab, waren sie so weit entfernt, dass sie für seine Zwecke nicht brauchbar waren. Selbst die besten Feldherren mussten sich gelegentlich auf das Können und die schiere Schlagkraft der Männer verlassen, die sie anführten.
Julius würde nicht mit der ersten Welle hinübergehen. Octavian hatte sich freiwillig gemeldet, die Extraordinarii bei der Durchquerung anzuführen, dicht dahinter sollte die Zehnte folgen. Der junge Römer würde den Angriff nur mit viel Glück überleben, aber Julius hatte nachgegeben, denn er wusste, dass er ihm die Wahl überlassen musste. Die Zehnte würde sich im Schutz der Kavallerie durchkämpfen und einen Brückenkopf für die nachfolgenden Legionäre bilden. Julius würde mit der Dritten Gallica nachkommen, dann waren Brutus und Domitius mit dem Rest dran.
Die Sonne stand klar und deutlich am Himmel, als Julius seinen Helm aufsetzte und den Catuvellauni das kalte Eisengesicht zuwandte. Er hob das Schwert. Einige Britannier sahen die Geste und winkten auffordernd herüber.
Julius sah zu Octavian hinüber, der auf sein Signal wartete. Die Extraordinarii standen grimmig bereit, und ihre Spatha-Klingen glänzten, als sie ihre Positionen hielten. Bis zur gegenüberliegenden Uferböschung würden sie den vollen Galopp erreicht haben, und Julius verspürte einen Anflug atemloser Spannung, während sie darauf warteten, den Britanniern dort drüben den Tod zu bringen.
Schweigend senkte Julius den Arm, und die Cornicen gellten überall entlang der gewaltigen Kolonne. Julius hörte Octavian brüllen, dann stürmten die Extraordinarii auf ganzer Front ins seichte Wasser, preschten immer schneller und schneller voran. Die Pferde ließen das Wasser aufschäumen, und die römische Kavallerie senkte die Schwerter über die Köpfe ihrer Reittiere, bereit zur ersten Feindberührung. Pfeile und Speere bohrten sich in Männer und Pferde, die schreiend das Wasser blutrot färbten, wenn ihre Leiber in den Strom stürzten. Laut brüllend kamen die Britannier heran.
Jetzt war Präzision gefragt, jeder Mann an den schweren Wurfmaschinen war bereit. Als die Britannier vorwärts stürmten, um sich auf die Extraordinarii zu werfen, gab Julius den Befehl für die Mannschaften, und eine letzte Ladung aus Eisen und Steinen flog über die Köpfe der dahingaloppierenden Römer, krachte in die ersten ungestümen Reihen der Feinde und riss sie in Fetzen.
Große Löcher öffneten sich in den wogenden Massen der Britannier, und Octavian lenkte sein Pferd auf eine der Schneisen zu. Der Wallach stolperte ein wenig, als er wieder festen Boden unter den Hufen hatte. Das Tier atmete schwer, sein Reiter war von eiskaltem Wasser durchnässt. Er hörte, wie sich die Zehnte mit heiser gebrüllten Befehlen in Bewegung setzte, und er wusste, dass die römischen Götter die Söhne ihrer Stadt auch so weit entfernt von zu Hause nicht aus den Augen ließen.
Doch bei diesem ersten Angriff blieb keine Zeit zum Nachdenken. Octavian und Brutus hatten die Extraordinarii ihrer Geschicklichkeit mit Ross und Schwert wegen ausgesucht, und jetzt bildeten sie ohne einen einzigen Befehl eine Speerspitze, stießen in die Reihen der Britannier und schlugen eine tiefe Kerbe.
Mit ihrer eigenen Kavallerie direkt vor sich konnte die Zehnte ihre Speere nicht einsetzen, doch sie waren Veteranen aus Gallien und Germanien und hieben alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Vor diesem kombinierten Angriff fielen die Britannier in heillosem Durcheinander zurück und verspielten ihren größten Vorteil durch die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der die Zehnte ihre Front mit der Perfektion eines Tanzes verbreiterte. Die Räume, die sie dadurch schufen, wurden von den nachfolgenden Legionen sofort besetzt. An den Flanken bildeten sich die Schlachtkarrees, und die Extraordinarii schwärmten um sie herum; ihre Geschwindigkeit und Beweglichkeit schützte sie vor den Speeren und Schwertern der Catuvellauni.
Julius hörte Hörner über die Köpfe der Feinde tönen, und sie wichen zurück, zogen sich an die Flanken zurück und öffneten eine breite Gasse in ihrer Mitte. Durch diese Gasse erblickte Julius eine Staubwolke, und dann eine Wand aus Pferden und Streitwagen, die mit selbstmörderischer Geschwindigkeit herankamen. Die römischen Cornicen bliesen den Befehl, die Lücken zu schließen, die Blockformationen hielten an, die Legionäre schlossen die Schilder und stemmten sich in den fremden Boden, um die Stellung zu halten.
Die Streitwagen waren jeweils mit zwei Kriegern besetzt, und Julius staunte über die Geschicklichkeit, mit der die Speerträger bei dieser Geschwindigkeit das Gleichgewicht hielten, während ihre Gefährten die Zügel der dahinfliegenden Pferde hielten. Die Speere wurden im letzten Augenblick geschleudert, und Julius sah, wie Legionäre von einem Schwarm dieser Wurfgeschosse getötet wurden, die mit einer solchen Wucht geworfen wurden, dass sie sogar die römischen Schilde durchschlugen.
Angesichts des Gemetzels brüllte Octavian neue Befehle. Die Extraordinarii lösten sich von den Flanken und schnitten den Streitwagen den Weg ab, bevor die Krieger noch einmal werfen oder kehrt machen konnten. Die Britannier preschten zwischen sie, und Julius sah, wie Pferde und Männer niedergemäht wurden, überall spritze Blut auf. Die Zehnte und die Dritte drängten voran und schlossen die Mitte, überrannten die Männer aus den Streitwagen, die mit dem Mut der Verzweiflung kämpften. Einige der britannischen Pferde gingen durch, und Julius sah, wie mehr als ein Legionär von den leeren Streitwagen, die die Tiere mit weit aufgerissenen Augen über das Schlachtfeld schleudernd hinter sich herzogen, umgerissen wurde.
»Die Extraordinarii sind durch!«, hörte Julius Brutus rufen, und er gab mit einem Nicken den Befehl für die Speere. Es war nicht gerade die disziplinierteste Attacke, die er jemals befehligt hatte. Viele Römer hatten ihre Waffen im Kampfgetümmel verloren, aber es flogen immer noch einige Tausend der dunklen Schäfte durch die Luft und verstärkten das Durcheinander unter den Catuvellauni, die versuchten, sich neu zu formieren.
Julius drehte sich um und sah, dass zwei seiner Legionen noch immer im Fluss waren und nicht weiterkamen, weil ihnen die eigenen Leute am Ufer den Weg versperrten. Er ließ zum Vormarsch blasen, und die Zehnte reagierte mit der Disziplin, die er inzwischen von ihr erwartete. Schild an Schild erzwang sie sich ihren Weg durch den Feind hindurch und über ihn hinweg.
Die Extraordinarii ließen sich wieder zurückfallen, schützten die Flanken und gaben den römischen Reihen so die Gelegenheit, sich breiter zu formieren. Ihr wahnsinniger erster Angriff hatte ihre Reihen ausgedünnt, aber Julius jubelte, als er sah, dass Octavian noch immer unter ihnen war. Sein junger Verwandter war blutbesudelt, sein Gesicht verfärbte sich unter einer riesigen Schwellung dunkel, aber er stieß nach wie vor seine Befehle aus, und seine Männer nahmen die neue Formation mit einem Rest ihres alten Glanzes ein.
Auf offenem Gelände waren die römischen Legionen nicht mehr aufzuhalten. Immer wieder griffen die Catuvellauni ihre Reihen an und wurden zurückgeworfen. Julius marschierte über Leichenhaufen, die Zeugnis von jedem vergeblichen Versuch ablegten. Zweimal noch widerstanden die Zehnte und Dritte Angriffen der todbringenden Streitwagen, dann erklangen andere Töne aus den feindlichen Hörnern, und die Catuvellauni fingen an, sich zurückzuziehen, woraufhin zum ersten Mal seit dem Fluss eine Lücke zwischen den Heeren entstand.
Die römischen Cornicen bliesen zu doppelter Geschwindigkeit, und die Legionen fielen in Laufschritt, wobei die Offiziere ihre Männer ständig ermahnten, die Formation zu halten. Die verwundeten Britannier wurden fast sofort eingeholt, und die erschöpften Nachzügler fielen schreiend den römischen Schwertern zum Opfer. Julius sah, wie zwei Männer einen dritten mit sich schleppten, bis sie ihn beinahe vor den Füßen der verfolgenden Zehnten fallen ließen. Alle drei wurden sie für ihren Mut niedergemetzelt und zertrampelt.
Die Sonne wanderte über den Himmel, und Julius rannte keuchend mit den anderen weiter. Falls der König der Catuvellauni glaubte, seinen Legionen davonlaufen zu können, dann würde er ihn eines Besseren belehren. Julius sah finstere Entschlossenheit in den Reihen rings um sich, und er selbst verspürte den gleichen Stolz. Die Legionen würden sie in Grund und Boden rennen.
Aber selbst jetzt suchte Julius die Umgebung nach einem möglichen Hinterhalt ab, auch wenn er inzwischen nicht mehr daran glaubte. Cassivellaunus hatte seine Chance darin gesehen, die Römer am Fluss aufzuhalten, und hatte alles, was ihm zur Verfügung stand, in diese ersten Angriffe geworfen. Aber Julius hatte schon zu viele Schlachten geschlagen, um eine Überraschung zuzulassen, und seine Extraordinarii setzten dem Feind vor ihnen zu, während kleinere Trupps sich lösten und die Gegend erkundeten.
Julius war beinahe enttäuscht, als er den abfallenden, klagenden Ton der feindlichen Hörner vernahm; er erriet seine Bedeutung, noch bevor er die ersten Britannier angewidert ihre Waffen zu Boden werfen sah. Der Rest folgte ihrem Beispiel.
Julius brauchte nicht zu befehlen, die Kapitulation anzunehmen. Seine Männer waren erfahren genug, und er achtete kaum darauf, als seine Zehnte die Feinde erreichte, sie zwang, sich auf den Boden zu setzen, und die Waffen einsammelte, um dem Frieden Geltung zu verschaffen. Kein einziger Krieger wurde nach dem Signal zur Kapitulation getötet, und Julius war zufrieden.
Er blickte sich um und sah in weniger als einer Meile Entfernung eine Ansammlung dicht beieinander stehender Häuser. Die Legionen standen am Rande der Städte rings um den Tamesis, und Cassivellaunus hatte in Sichtweite seiner Leute kapituliert, bevor die Schlacht die Straßen und Häuser überschwemmte. Es war eine ehrenhafte Entscheidung, und Julius begrüßte den Mann ohne Groll, als er zu ihm gebracht wurde.
Cassivellaunus war ein schwarzhaariger junger Mann mit feistem Gesicht, der in ein helles Gewand mit einem Gürtel um die Taille gekleidet war und einen langen Mantel über den schweren Schultern trug. Seine Augen waren verbittert, als Julius seinem Blick begegnete, aber er ließ sich auf ein Knie nieder und verneigte sich, bevor er sich mit frischen Lehmflecken auf seinen Wollkleidern wieder erhob.
Julius nahm den Helm ab und genoss die kühle Luft auf der Haut. »Als Feldherr der römischen Armee nehme ich deine Kapitulation an«, sagte er förmlich. »Damit sind die Kämpfe beendet. Deine Männer bleiben so lange unsere Gefangenen, bis wir über Geiseln und einen Tribut verhandelt haben. Von diesem Augenblick an darfst du dich als Vasallen Roms betrachten.«
Cassivellaunus sah ihn bei diesen Worten fragend an. Der König ließ den Blick über die Reihen der römischen Legionäre schweifen und erkannte ihre straffe Organisation. Obwohl sie auf eine Distanz von beinahe zwei Meilen im Laufschritt gekämpft hatten, standen die Formationen immer noch einwandfrei, und er wusste, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Sie hatte ihn viel gekostet. Als er den Römer in seiner schmutzigen Rüstung, mit den blutverschmierten Sandalen und dem Dreitagebart auf dem Kinn ansah, konnte Cassivellaunus nur ungläubig den Kopf schütteln. Er hatte das Land verloren, das sein Vater ihm gegeben hatte.
Vercingetorix rammte seinen Speer vor den Toren von Avaricum in den Boden und steckte den Kopf eines Römers auf die Spitze. Er ließ seine grauenhafte Trophäe dort zurück und ritt durch die Tore, hinter denen sich die Stammesführer in seinem Namen versammelt hatten.
Die ummauerte Stadt mitten in Gallien hatte 40000 Einwohner, von denen die meisten aus den Häusern auf die Straßen gekommen waren, um den Hochkönig zu sehen. Ohne nach links oder rechts zu sehen, ritt Vercingetorix zwischen ihnen hindurch, mit den Gedanken bei dem Feldzug, der vor ihm lag.
Auf einem großen Innenhof stieg er ab und schritt durch schattige Säulengänge in die Haupthalle. Als er eintrat, erhoben sich alle, um ihn mit Jubel zu empfangen, und Vercingetorix musterte die Gesichter der gallischen Anführer mit kalten Blicken. Mit einem knappen Nicken der Anerkennung ging er bis zur Saalmitte und wartete, bis Ruhe eingekehrt war.
»Gerade einmal fünftausend Mann stehen zwischen uns und unserem Land. Cäsar ist fort, um das bemalte Volk anzugreifen, so wie er einst nach Gallien gekommen ist. Die Zeit, auf die wir so geduldig hingearbeitet haben, ist gekommen.« Er wartete, bis sich der aufbrausende Jubel und der Lärm des aufgeregten Geredes gelegt hatten. »Wenn sie im Winter zurückkommen, bereiten wir ihnen einen warmen Empfang, das verspreche ich euch. Wir werden sie aus dem Hinterhalt überwältigen, einzeln, als Dutzend oder als Hundertschaft. Unsere Reiterei wird ihre Versorgungstrosse angreifen, und wir hören nicht eher auf, bis der Hunger sie aus Gallien vertrieben hat.«
Wie erwartet, brüllten seine Anhänger bei diesem Vorschlag begeistert, trotzdem waren seine Augen immer noch kalt, als er ihnen offenbarte, welchen Preis sie dafür zu zahlen hatten.
»Die Legionen haben nur eine Schwäche, meine Freunde, und das sind ihre Versorgungslinien. Wer in diesem Raum hat keine Freunde oder Brüder im Kampf gegen sie verloren? In der offenen Schlacht würde es uns nicht besser ergehen als vor Jahren den Helvetiern. Selbst wenn wir alle unsere Heere vereinen, können wir sie in offener Schlacht nicht besiegen.«
Das Schweigen war bedrückend, als die Anführer darauf warteten, dass ihr Hochkönig fortfuhr.
»Aber sie können nicht kämpfen ohne zu essen, und um ihnen den Nachschub zu verwehren, müssen wir jede Ernte und jedes Dorf in Gallien verbrennen. Wir müssen unser Volk aus Cäsars Weg räumen, es mit den Wurzeln ausreißen und ihm nichts als rauchendes Ödland hinterlassen, mit dem er seine römischen Mäuler stopfen kann. Sobald sie schwach vor Hunger sind, führe ich meine Männer in Festungen wie die von Gergovia, und dann können die Römer sehen, wie viele Leben sie an diesen Mauern verlieren.«
Er funkelte die Männer Galliens an und hoffte, dass sie die Kraft hatten, ihm auf diesem schrecklichen Weg zu folgen.
»Wir können siegen. Wir können sie auf diese Weise brechen, aber es wird hart für uns. Unser Volk wird sich fürchten, wenn es vom eigenen Land vertrieben wird. Wenn sie Geschrei anstimmen, sagt ihnen, dass sie einst dreitausend Meilen geritten sind, um hierher zu kommen. Für diejenigen, die Augen haben, um zu sehen, sind wir immer noch ein Volk. Das Land der Gallier muss sich erheben. Die Kelten müssen sich erheben und sich des alten Blutes erinnern, das sie ruft.«
Schweigend standen sie vor ihm und schlugen Schwerter und Messer mit einem klirrenden Geräusch aneinander, das den Raum erfüllte und die Grundmauern erschütterte. Vercingetorix gebot mit erhobenen Armen Ruhe, aber es dauerte lange, bis sie endlich eintrat. Seine Leute standen mit entschlossenen Gesichtern vor ihm, und sie glaubten an ihn.
»Morgen fangt ihr an, eure Stämme weit nach Süden zu bringen. Nur diejenigen, die es nach Krieg gelüstet, bleiben zurück. Nehmt eure Getreidevorräte mit, denn meine Reiter werden alles verbrennen, was sie finden. Gallien wird wieder uns gehören. Ich spreche nicht als Arverner, sondern als Nachfahre des alten Königsgeschlechts. Sie wachen jetzt über uns, und sie werden uns den Sieg schenken.«
Wieder setzte das dröhnende Klappern von Metall ein und schwoll zu einem ohrenbetäubenden Lärm an, als Vercingetorix hinaus in die schattigen Säulengänge marschierte, um sich wieder seinem Heer anzuschließen. Er ließ sein Pferd durch die Straßen zurücktraben und zog unwillkürlich den Kopf ein, als er unter den Toren von Avaricum hindurchritt.
Bei seinen Reitern angekommen, richtete er sich im Sattel auf und blickte zufrieden auf die Flaggen Galliens. Dutzende Stämme waren hier durch 10000 Reiter vertreten. Jetzt fühlte er sich wahrhaftig mit dem alten Blut vereint.
»Es ist ein guter Tag zum Reiten«, sagte er zu seinem Bruder Madoc.
»Allerdings, mein König«, erwiderte Madoc. Gemeinsam trieben sie ihre Pferde zum Galopp an und preschten über die Ebene.
Julius saß auf einem Hügel, den Umhang auf dem feuchten Boden unter sich ausgebreitet. Durch den leichten Regen konnte er die Galeeren erkennen, die er an der Küste entlanggeschickt hatte, um herauszufinden, wo der dunkle Fluss ins Meer mündete. Dank ihres geringen Tiefgangs hatten sie bis zu der Furt herauffahren können, und jetzt ankerten sie direkt vor ihm. Brutus und Renius saßen bei ihm und sahen zu, wie Mannschaften der Zehnten und Dritten Nachschub ausluden.
»Wusstet ihr, dass die Kapitäne ein Stück weiter unten an der Küste eine Bucht gefunden haben?«, fragte Julius laut. Er seufzte. »Hätte ich früher davon gewusst, hätten die Stürme, die so viele meiner Schiffe zerschmettert haben, vergeblich getobt. Von Klippen und tiefem Wasser geschützt, mit einem sanft abfallenden Strand für die Boote. Zumindest wissen wir jetzt für die Zukunft Bescheid, nachdem wir sie jetzt endlich gefunden haben.« Er fuhr sich mit den Fingern durch das nasse Haar.
»Das nennen sie Sommer? Ich schwöre, ich habe die Sonne schon seit einem Monat nicht mehr gesehen.«
»Da kriegt man Heimweh nach Rom«, antwortete Brutus langsam. »Stell dir nur die Olivenbäume in der Sonne vor, und die Tempel auf dem Forum. Ich kann nicht fassen, wie weit wir von alledem inzwischen entfernt sind.«
»Pompeius wird alles wieder aufbauen«, sagte Julius, und sein Blick wurde härter. »Das Senatsgebäude, in dem ich mit Marius gestanden habe, ist nicht mehr als eine Erinnerung. Wenn wir Rom wiedersehen, Brutus, wird es nicht mehr dieselbe Stadt sein.«
Sie saßen schweigend da, ein jeder dachte über die Wahrhaftigkeit dieser Worte nach. Julius hatte seine Stadt seit Jahren nicht mehr gesehen, aber irgendwie hatte er immer erwartet, dass sie bei seiner Rückkehr unverändert sein würde, als würde das restliche Leben die ganze Zeit über wie unter Glas darauf warten, bis er es wieder in Bewegung setzte. Es war der Traum eines Kindes.
»Dann wirst du also wieder zurückkehren?«, fragte Brutus. »Ich dachte schon, du willst, dass wir hier draußen alle alt werden.« Renius lächelte und schwieg.
»Ja, das werde ich, Brutus«, sagte Julius. »Ich habe getan, weswegen ich hergekommen bin, und eine Legion dürfte ausreichen, um die Britannier in Schach zu halten. Wenn ich ein alter Mann bin und Gallien so friedlich ist wie Spanien, dann komme ich vielleicht noch einmal hierher und trage den Krieg weiter nach Norden.«
Er schauderte plötzlich und redete sich ein, dass die Kälte schuld daran war. Es war so eigenartig friedlich, den Galeerenbesatzungen dort unten bei der Arbeit zuzusehen, während sie hoch über ihnen saßen. Die Berge rings um den Tamesis waren eher sanfte Hügel, und ohne den ständigen Nieselregen hätten sie eine ferne Welt des Streits und des Haderns sein können, die den Männern auf dem Hügel nichts anhaben konnte. Es war so einfach zu träumen.
»Manchmal will ich, dass das alles aufhört, Brutus«, sagte Julius. »Ich vermisse deine Mutter. Ich vermisse auch meine Tochter. Solange ich mich erinnern kann, bin ich im Krieg gewesen, und der Gedanke, auf mein Gut zurückzukehren, mich um die Bienenkörbe zu kümmern und einfach nur in der Sonne zu sitzen, ist eine schreckliche Versuchung.«
Renius lachte leise. »Eine Versuchung, der du Jahr für Jahr erfolgreich widerstehst.«
Julius warf dem einarmigen Gladiator einen strengen Blick zu. »Ich bin in der Blüte meiner Jugend, Renius. Wenn ich sonst nichts anderes im Leben erreiche, dann soll Gallien meine Hinterlassenschaft auf dieser Welt sein.«
Während er sprach, wanderte eine Hand unbewusst zum Kopf und betastete den zurückweichenden Haaransatz. Der Krieg lässt einen Mann um mehr als nur die vorüberziehenden Jahre altern, dachte er. Während er früher das Gefühl gehabt hatte, niemals alt zu werden, schmerzten heute seine Glieder manchmal bei Feuchtigkeit, und die morgendliche Steifheit brauchte von Jahr zu Jahr länger, bis sie vertrieben war. Er sah, dass Brutus die Geste bemerkt hatte, und runzelte die Stirn.
»Es war mir eine Ehre, unter euch beiden zu dienen«, sagte Renius plötzlich. »Hab ich euch das jemals gesagt? Ich hätte niemals irgendwo anders sein wollen als bei euch.«
Die beiden jüngeren Männer betrachteten die von Narben bedeckte Gestalt, die ein wenig vornübergebeugt auf ihrem Mantel saß.
»Du wirst im Alter noch sentimental«, sagte Brutus lächelnd. »Du musst unbedingt wieder einmal die Sonne im Gesicht spüren.«
»Kann gut sein«, sagte Renius und fuhr mit den Fingern an einem Grashalm entlang. »Ich habe mein ganzes Leben lang für Rom gekämpft, und die Stadt steht immer noch. Ich habe meinen Beitrag geleistet.«
»Möchtest du nach Hause?«, erkundigte sich Julius. »Wenn du willst, kannst du sofort zu den Galeeren hinuntergehen und dich zurückbringen lassen, mein Freund. Ich werde es dir nicht verwehren.«
Renius blickte auf die geschäftigen Männer hinab, und seine Augen füllten sich mit Sehnsucht. Aber er tat sie mit einem Schulterzucken ab und zwang sich zu einem Lächeln.
»Vielleicht noch ein Jahr«, sagte er.
»Da kommt ein Bote«, sagte Brutus und riss sie aus ihren Gedanken. Die Männer drehten sich zu der kleinen Gestalt auf dem Pferd um, die den Hang herauf auf sie zugeprescht kam.
»Wenn er mich hier aufsucht, müssen es schlechte Nachrichten sein«, sagte Julius und erhob sich. Seine nachdenkliche Stimmung war augenblicklich verflogen, und die beiden anderen spürten die Veränderung in ihm, als hätte sich ganz plötzlich der Wind gedreht.
Ihre feuchten Umhänge waren zerknittert, alle drei Männer spürten die Müdigkeit des unaufhörlichen Krieges und der ständigen Probleme, als sie den einsamen Reiter mit einer Art banger Ahnung herankommen sahen.
»Was ist los?«, fragte Julius, sobald der Mann in Hörweite war. Der Bote wurde unter ihren forschenden Blicken plötzlich ungeschickt; er stieg ab und salutierte linkisch.
»Ich komme aus Gallien, General«, sagte er.
Julius erschrak. »Von Bericus? Was für Nachrichten bringst du?« »Herr, die Stämme rebellieren.«
Julius fluchte. »Die Stämme rebellieren jedes Jahr. Wie viele sind es diesmal?«
»Ich glaube ... General Bericus sagte, es sind alle, Herr.«
Julius sah den Mann verständnislos an, ehe er resigniert nickte.
»Dann muss ich zurück. Reite zu den Galeeren hinab und sag Bescheid, dass sie nicht ohne mich ablegen sollen. Domitius soll Reiter zu Marcus Antonius an die Küste schicken. Die Flotte muss nach Gallien in See stechen, bevor die Winterstürme einsetzen.«
Julius stand im Regen und sah dem Reiter nach, bis er den Fluss und die Galeerenbesatzungen erreicht hatte.
»Das heißt also wieder Krieg«, sagte er. »Ich frage mich, ob in Gallien noch zu meinen Lebzeiten der römische Friede einkehren wird.« Die Last auf seinen Schultern ließ ihn müde aussehen, und Brutus fühlte mit seinem alten Freund.
»Du wirst sie besiegen. Du besiegst sie immer.«
»Jetzt, wo der Winter heraufzieht?«, fragte Julius verbittert. »Vor uns liegen schwere Monate, mein Freund. Womöglich schwerer, als wir sie jemals erlebt haben.« Mit erschreckender Mühe riss er sich zusammen, bis das Gesicht, das er ihnen zuwandte, eine Maske war.
»Cassivellaunus darf nichts davon erfahren. Seine Geiseln befinden sich bereits an Bord der Galeeren, darunter auch sein Sohn. Führe die Legionen zurück an die Küste, Brutus. Ich komme auf dem Seeweg und warte dort mit der Flotte auf dich.« Er machte eine Pause, und sein Mund wurde schmal vor Zorn.
»Ich werde mehr tun, als sie nur besiegen, Brutus. Ich werde sie vom Antlitz der Erde tilgen.«
Renius sah den Mann an, den er ausgebildet hatte, und sein Herz war von Kummer erfüllt. Ihm war kein Augenblick der Ruhe vergönnt, und jedes Kriegsjahr raubte ihm ein wenig mehr von seiner Liebenswürdigkeit. Renius blickte nach Süden und dachte an die Küste Galliens. Sie würden es bereuen, Cäsar gegen sich aufgebracht zu haben.
Die gallischen Hilfstruppen zählten in ihren Reihen Männer aus fast allen Stämmen. Viele von ihnen kämpften bereits seit fünf Jahren oder noch länger gemeinsam mit den Legionen. Sie handelten und dachten wie Römer. Sie wurden mit demselben Silber bezahlt wie die Legionäre, und ihre Rüstungen und Schwerter stammten aus denselben Schmieden wie die der regulären Einheiten.
Als Bericus 3000 von ihnen aussandte, um eine Getreidelieferung zu schützen, gab es nur wenige, die den feinen Unterschied zwischen ihrem Trupp und dem Erscheinungsbild einer beliebigen anderen römischen Truppe hätten feststellen können. Sogar die Offiziere waren Einheimische und hatten sich längst im Feld bewährt. Obwohl Julius sie anfangs mit seinen besten Männern durchsetzt hatte, hatten Krieg und Beförderungen die Strukturen verändert. Es war ihnen kaum aufgefallen.
Der Getreidetross war auf Bericus’ Befehl aus Spanien herbeigeschafft worden und musste auf dem Weg durch die südlicheren Gebiete Galliens beschützt werden. Er führte genügend Getreide mit sich, um die loyal gebliebenen Städte und Dörfer zu versorgen. Genug, um sie den Winter über am Leben zu erhalten, während Vercingetorix alles verbrannte, was er finden konnte.
Die Hilfstruppen marschierten in perfekter Marschordnung im Tempo des langsamsten Karrens. Ihre Kundschafter schwärmten im Umkreis von mehreren Meilen aus, um sie vor einem Angriff zu warnen. Jeder Mann wusste, dass das Getreide eine Bedrohung für den Aufstand darstellte, der im Kernland an Zulauf gewann, und die Hände lösten sich nur selten von den Schwertgriffen. Die Soldaten verköstigten sich unterwegs mit kaltem Fleisch aus den eigenen, schwindenden Rationen und machten am Abend gerade noch rechtzeitig Halt, um ein Marschlager zu errichten.
Als der Angriff kam, war er anders, als sie es sich hätten vorstellen können. Eine lang gezogene Reihe von Reitern kam über eine weite Ebene auf sie zugedonnert. Als die Kundschafter herangeprescht kamen, reagierte die Kolonne bereits von sich aus: Die schweren Karren wurden zu einem Verteidigungskreis aufgestellt, Speere und Pfeile bereitgehalten. Jedes Auge war furchtsam auf den Feind gerichtet, als das schiere Ausmaß seiner Kavallerie offensichtlich wurde. Dort kamen Abertausende durch Schlamm und Gras auf die Wagenburg zugeritten. Die schwache Sonne spiegelte sich auf den Waffen, und viele Gallier fingen an, zu ihren alten, schon seit Jahren vergessenen Göttern zu beten.
Marwen war römischer Soldat, seitdem er vor vier Jahren den Hunger gegen die Silbermünzen eingetauscht hatte. Als er die Größe des gegen sie anreitenden Heeres sah, wusste er, dass er den Kampf nicht überleben würde, und kostete von der bitteren Ironie, letztendlich von seinen eigenen Leuten getötet zu werden. Er scherte sich nicht um Politik. Als die Römer in sein Dorf gekommen waren und ihm einen Platz in ihren Reihen angeboten hatten, hatte er ihr Handgeld genommen und es seiner Frau und seinen Kindern gegeben, bevor er losgezogen war, um für Rom zu kämpfen. Es war besser gewesen, als zuzusehen, wie sie verhungerten.
Die Beförderung war wie ein Wunder über ihn gekommen. Er hatte an den Schlachten gegen die Senonen teilgenommen und war mit Brutus losgeritten, um ihnen ihren König aus ihrer Mitte zu stehlen. Was war das für ein Tag gewesen!
In seine bitteren Gedanken versunken, nahm er die Gesichter der Männer zunächst überhaupt nicht wahr, die ihn anblickten und auf Befehle warteten. Als er sie sah, zuckte er nur mit den Achseln.
»Jetzt müssen wir uns unseren Sold verdienen, Jungs«, sagte er leise.
Er spürte, wie der Boden unter seinen Füßen bebte, als die Reiter auf sie zugestürmt kamen. Die Verteidigungsreihen rings um die Karren standen fest geschlossen. Die Speere waren in den Schlamm gerammt worden, um die Attacke zurückzuschlagen, und nun gab es nichts mehr zu tun, als auf das erste Blut zu warten. Marwen hasste das Warten und hieß diesen Hass beinahe willkommen, weil er die Angst zermalmte, die in seinem Bauch rumorte.
Hörner ertönten, und die Reihe der herangaloppierenden Pferde kam knapp außerhalb der Reichweite ihrer Speere und Pfeile zum Stehen. Mit gerunzelter Stirn sah Marwen zu, wie ein einzelner Mann abstieg und über den weichen Boden auf sie zukam. Noch ehe er das gelbe Haar und den herrlichen Goldreif sah, den der Mann für die Schlacht angelegt hatte, wusste er, wer der andere war. Vercingetorix.
Ungläubig sah Marwen, wie der König näher kam.
»Ruhig«, wies er seine Männer an, plötzlich besorgt, dass einer der Bogenschützen einen Pfeil abschießen könnte. Das Blut rauschte durch seine Adern, und Marwens Atem ging rascher, als der König herankam. Es war ein Akt geradezu selbstmörderischen Mutes, und viele seiner Männer murmelten bewundernd, während sie ihre Klingen bereithielten, um ihn in Stücke zu hauen.
Vercingetorix ging geradewegs auf sie zu und blickte Marwen in die Augen, als er an Umhang und Helm seinen Rang erkannte. Es mochte nur Einbildung sein, aber den König so nahe vor sich zu sehen, mit seinem großen Schwert an der Hüfte, hatte etwas Erhabenes.
»Sag, was du zu sagen hast«, forderte Marwen ihn auf.
Die Augen des Königs blitzten, und der gelbe Bart teilte sich, als er grinste. Er sah, wie sich Marwens Finger fester um den Griff seines Gladius’ legten.
»Würdest du deinen König töten?«, fragte Vercingetorix.
Marwen ließ verwirrt die Hand sinken. Er schaute in die ruhigen Augen des Mannes, der ihm mit solchem Mut gegenübergetreten war, und schauderte.
»Nein. Das würde ich nicht«, erwiderte er.
»Dann folge mir«, sagte Vercingetorix.
Marwen blickte nach links und rechts zu den Männern, die er befehligte, und sah sie nicken. Wieder schaute er Vercingetorix an, und ohne den Blick abzuwenden, sank er langsam im Schlamm auf die Knie. Wie in einem Traum spürte er die Hand des Königs auf der Schulter.
»Wie heißt du?«
Marwen zögerte. Die Worte, die seinen Rang und seine Einheit bezeichneten, blieben ihm im Hals stecken.
»Ich bin Marwen Ridderin von den Nerviern«, sagte er schließlich.
»Die Nervier sind auf meiner Seite. Gallien ist auf meiner Seite. Steh auf.«
Marwen erhob sich und merkte, dass seine Hände zitterten. Durch seine wild durcheinander stürzenden Gedanken hörte er, dass Vercingetorix noch etwas sagte.
»Und jetzt verbrenn das Getreide in diesen Karren«, sagte der König.
»Wir haben ein paar Römer bei uns. Wir sind nicht alle aus Gallien«, sagte Marwen plötzlich.
Die hellen Augen des Königs richteten sich auf ihn. »Willst du, dass sie am Leben bleiben?«
Marwens Gesicht wurde hart. »Es wäre richtig«, sagte er und hob trotzig den Kopf.
Vercingetorix lächelte und schlug ihm auf die Schulter. »Dann lass sie ziehen, Nervier. Nimm ihre Schwerter und Schilde und lass sie ziehen.«
Als die gallischen Hilfstruppen hinter ihrem König anmarschiert kamen, hoben die Reiter ihre Schwerter zum Gruß und jubelten laut. Hinter ihnen waren Karren und Wagen voll kostbarem Getreide in prasselnden Flammen verborgen.
Als Julius in der geschützten Bucht von Portius Itius an der Küste Galliens landete, sah er die gewaltigen braunen Rauchsäulen in der Ferne. Sogar die Luft schmeckte nach Kampf, und bei dem Gedanken an eine weitere Rebellion gegen ihn stieg gewaltiger Zorn in ihm auf.
Er hatte bei der Überfahrt keine Zeit verschwendet und war bereits mit Plänen und Befehlen beschäftigt, die ausgeführt werden mussten, ehe der Winter die Berge unpassierbar machte. Die Nachricht von seinem zweiten Angriff gegen die Britannier nach Rom zu bringen würde sich als Wettrennen gegen die Zeit erweisen, aber er brauchte das Wohlwollen, das sie in den Straßen Roms hervorrufen würde. In diesem Jahr, in dem er jede Münze benötigte, um die Stämme unter Vercingetorix zu zerschlagen, konnte er dem Senat keine Abgaben entrichten. Der Name des Königs war auf den Lippen selbst des niedersten Tagelöhners, und Julius konnte sich kaum mehr an den zornigen jungen Mann erinnern, der damals, vor acht Jahren, bei seinem ersten Treffen mit den Häuptlingen aus dem Zelt gestürmt war. Keiner von ihnen war noch so jung wie damals. Cingeto war zu einem König herangewachsen, und Julius wusste, dass er ihn nicht am Leben lassen durfte. Seit jenen Anfängen hatten beide einen langen Weg zurückgelegt, und die Jahre waren von Blut und Krieg erfüllt gewesen.
Als Julius auf den Kai trat, war er bereits in ein Gespräch mit Brutus vertieft, das er nur unterbrach, um Adàn, der neben ihm stand, etwas zu diktieren. Extraordinarii auf schnellen Pferden waren ausgesandt worden, um Bericus zu holen. Sobald er eingetroffen war, würde Julius seinen Rat zusammenrufen und den Feldzug planen. Ein flüchtiger Blick auf den braunen Rauch am Horizont reichte aus, um seinen Entschluss zu festigen. Das hier war sein Land, und er würde nicht nachgeben, selbst wenn jeder Mann in Gallien die Waffen gegen ihn erhob.
Die zurückgekehrten Legionen besetzten den Hafen und errichteten routinemäßig ihre Lager, obwohl in den Reihen eine fast greifbare Anspannung und Erschöpfung herrschte. Auch sie hatten schon seit Jahren unter Julius gekämpft, und nicht wenigen setzte der Gedanke an ein weiteres Kriegsjahr oder sogar noch mehr heftig zu. Selbst die Härtesten unter ihnen fragten sich, wann das alles endlich vorbei sein und man ihnen erlauben würde, den Lohn einzustreichen, den man ihnen versprochen hatte.
Am dritten Tag rief Julius seinen Rat in der Küstenfestung zusammen, die sie gebaut hatten, Teil einer Kette von Festungen, die einmal die Küste Galliens beherrschen würden.
Domitius kam als Erster herein. Er trug die silberne Rüstung, die er damals in Rom gewonnen hatte. Dunkle Stoppeln bedeckten seine Wangen, und sein Panzer hatte viel von seinem ehemaligen Glanz verloren. Insbesondere die Brustplatte war ein ramponiertes Zeugnis der Kriege, die er für Julius ausgetragen hatte. Wortlos ergriff er Julius’ Hand und Unterarm zum Legionärsgruß, bevor er sich setzte.
Marcus Antonius umarmte seinen Feldherrn, als sie sich begegneten. Julius hatte allen Grund, mit ihm zufrieden zu sein, als er die Bücher ihrer Kriegskasse sah. Sie hatten gewaltige Summen an Gold und Silber in Reserve, obwohl es jeden Tag, an dem die Städte und Dörfer Galliens abwarteten, ob der Aufstand erfolgreich verlaufen würde, weniger wurde. Schon war die Lebensmittelversorgung kritisch, und Julius war froh, dass ihm Marcus Antonius einen Teil dieser Last abgenommen hatte. Tausende von Legionären mussten verpflegt werden, bevor sie kämpfen konnten, und bereits jetzt war klar, dass Vercingetorix alles daran setzte, ihren Nachschub zu kappen. Bei den Rauchfahnen handelte es sich ausnahmslos um brennende Gehöfte, und wenn die Extraordinarii zu ihnen hinausgaloppierten, fanden sie sie geplündert und verlassen vor. Julius verspürte eine widerwillige Bewunderung für die Skrupellosigkeit des neuen Königs. Vercingetorix hatte eine Entscheidung getroffen, die auch die Dörfer und Städte derjenigen auslöschen würde, die treu zu den Legionen standen. Tausende seiner eigenen Leute würden ihres Bündnisses wegen sterben, und noch mehr, wenn es den Legionen nicht gelang, den Aufstand rasch niederzuschlagen. Es war ein hoher Preis, aber der Hunger würde die römischen Legionen ebenso sicher vernichten wie Schwerter.
Julius hatte für ihr Zusammentreffen einen Raum mit Blick aufs Meer ausgesucht, und draußen, über den grauen Felsen, kreisten kreischende Vögel. Er begrüßte jeden Ankömmling mit aufrichtiger Freude. Bericus hatte beim ersten Aufeinandertreffen mit Vercingetorix eine Wunde davongetragen, Schulter und Brust waren bandagiert. Obwohl der Heerführer aus Ariminum müde aussah, musste er Julius’ Lächeln unwillkürlich erwidern. Julius wies ihm einen Platz an und drückte ihm einen Becher Wein in die gesunde Hand. Octavian kam mit Brutus und Renius herein, in eine Diskussion über gewisse Taktiken für die Kavallerie vertieft. Alle drei begrüßten Julius, und er musste angesichts ihrer Zuversicht lächeln. Sie schienen seine Zweifel und Sorgen nicht zu teilen, andererseits waren sie es auch gewohnt, dass er da war und sämtliche Entscheidungen für sie traf. Er hatte niemanden.
Als sie einer nach dem anderen eintraten, fühlte sich Julius von ihrer Stimmung erhoben. Die langen Kriegsjahre hatten seine Freunde nicht gebrochen. Wenn sie von der jüngsten Rebellion sprachen, dann mit Zorn und Tatendrang, nicht mit dem Gedanken an eine Niederlage. Ein jeder von ihnen hatte viele Jahre in dieses feindselige Land investiert, und jeder hier war zornig darüber, ihre Zukunft bedroht zu sehen. Obwohl sich alle unterhielten, sahen sie immer wieder zu Julius hinüber, ob dieser zeigte, dass er anfangen wollte. Er war das Herzstück von allem. Wenn er abwesend war, schien es fast so, als hätte man ihnen den reinsten Teil ihres Antriebs und ihrer Energie geraubt. Er band Männer aneinander, die unter anderen Umständen die Gesellschaft des anderen nicht ertragen hätten. Es war ein derart enges Bündnis, dass sie nicht einmal darüber nachdachten, als sie zur Ruhe kamen und er sie anblickte. Er war einfach da, und sie waren ein bisschen lebendiger als zuvor.
Zuletzt wurde Cabera von zwei Männern der Zehnten hereingebracht, die eigens dazu abgestellt waren, sich um ihn zu kümmern. Sobald sie den alten Heiler abgesetzt hatten, ging Julius zu ihm hin und nahm die kraftlosen Hände in die seinen. Er sprach so leise, dass die anderen ihn durch den Lärm des heftigen Windes von draußen nicht hören konnten.
»Weiter als jeder andere Mann Roms, Cabera. Ich bin über den Rand der Welt hinausgegangen. Hast du mich damals dort gesehen, vor so langer Zeit?«
Cabera schien ihn zuerst nicht zu hören, und Julius war betrübt über die Veränderung, die das Alter über ihn gebracht hatte. Auch das schlechte Gewissen machte sich bemerkbar. Auf Julius’ Bitten hatte Cabera Domitius’ zerschmettertes Knie geheilt, und dieser Willensakt war zu viel für den alten Körper gewesen. Seit jenem Tag war er nicht wieder zu Kräften gekommen. Endlich hoben sich die Augen, und der trockene, aufgesprungene Mund zuckte an den Rändern nach oben.
»Du bist hier, weil du es so wolltest, Gaius«, sagte der alte Mann. Seine Stimme war kaum lauter als ein Hauch, und Julius beugte sich näher an seine Lippen. »Ich habe dich nie in diesem schrecklichen, kalten Raum hier gesehen.« Cabera machte eine Pause, und die Muskeln seines Halses zuckten wie im Krampf, als er tiefer Atem holte.
»Habe ich dir gesagt, dass ich dich von Sulla ermordet gesehen habe?«, flüsterte er.
»Sulla ist schon lange tot, Cabera«, sagte Julius.
Cabera nickte. »Das weiß ich, aber ich habe gesehen, wie man dich in seinem Haus ermordet hat, und dann wieder in den Zellen eines Piratenschiffs. Ich habe dich schon so oft fallen sehen, dass ich manchmal staune, dich so stark und lebendig vor mir zu sehen. Ich verstehe diese Visionen nicht, Julius. Sie haben mir mehr Qualen verursacht, als ich es mir jemals vorgestellt hätte.«
Julius bemerkte mit wachsendem Kummer Tränen in den Augen des alten Mannes. Cabera sah seinen Gesichtsausdruck und lachte trocken, ein rasselndes Geräusch, das nicht mehr aufzuhören schien. Obwohl Caberas linker Arm nutzlos in seinem Schoß lag, hob er den anderen und zog Julius noch näher heran.
»Ich würde keinen Tag anders haben wollen ... all die Dinge, die ich gesehen habe. Verstehst du? Ich habe nicht mehr lange, und es wird eine Erleichterung sein. Aber ich bereue nichts von dem, was geschehen ist, seit ich vor so langer Zeit in dein Haus gekommen bin.«
»Ohne dich hätte ich nicht überlebt, alter Mann. Du darfst mich jetzt nicht verlassen«, murmelte Julius, dessen eigene Augen sich mit Tränen und Erinnerungen füllten.
Cabera schnaubte und rieb sich mit den Fingern über das Gesicht.
»Manche Möglichkeiten sind uns verwehrt, Gaius Julius. Manche Wege müssen wir beschreiten. Auch du wirst am Ende den Fluss überqueren. Ich habe es auf mehr Arten gesehen, als ich es dir erzählen könnte.«
»Was hast du gesehen?«, fragte Julius. Er wollte es sehnlichst wissen, andererseits hatte ihn eine lähmende Furcht ergriffen. Einen Augenblick dachte er, Cabera habe ihn nicht gehört, der alte Mann war so still.
»Wer weiß, wohin dich deine Entscheidungen führen?«, fuhr die Stimme zischend fort. »Aber ich habe dich nicht alt gesehen, mein Freund, und einmal sah ich dich in der Dunkelheit Messern zum Opfer fallen, in den ersten Tagen des Frühlings. An den Iden des März sah ich dich fallen, in Rom.«
»Dann werde ich mich an diesem Tag niemals in meiner Stadt aufhalten«, erwiderte Julius. »Ich schwöre es dir, wenn dir das Frieden bringt.«
Cabera hob den Kopf und sah an Julius vorbei, dorthin, wo die kreischenden Möwen sich um einen Futterbrocken stritten.
»Ich glaube, es ist besser, manche Dinge nicht zu wissen, Julius. Mir ist überhaupt nichts mehr klar. Hab ich dir schon von den Messern erzählt?«
Vorsichtig legte Julius die Hände des alten Mannes in seinem Schoß zusammen und rückte die Kissen so zurecht, dass er aufrecht sitzen konnte.
»Das hast du getan, Cabera. Wieder einmal hast du mich gerettet«, sagte er. Mit unendlicher Zärtlichkeit hob Julius den alten Mann auf die Kissen an, damit er es bequem hatte.
»Das freut mich«, sagte Cabera und schloss die Augen.
Julius hörte einen langen Atemstoß aus seinem Leib entweichen, dann wurde die gebrechliche Gestalt vollkommen still. Julius schrie auf, als er sah, wie das Leben aus ihm wich, und berührte Caberas Wange. Die Stille schien sich endlos auszudehnen, aber die Brust blieb reglos und würde sich nie wieder bewegen.
»Auf Wiedersehen, alter Freund«, sagte Julius.
Er hörte ein Scharren auf dem Holzboden, als Renius und Brutus neben ihn traten, und die Jahre schwanden dahin, so dass mit einem Mal nur noch zwei Jungen mit ihrem Lehrer dastanden und einen alten Mann sahen, der einen Bogen spannte, ohne dass auch nur ein Muskel in seinem Arm zitterte.
Julius hörte, wie die anderen Mitglieder seines Rates sich erhoben, als ihnen klar wurde, was geschehen war. Er sah sie mit rotgeränderten Augen an, und sie konnten den Schmerz in seinem Gesicht kaum ertragen.
»Werdet ihr euch meinen Gebeten für den Toten anschließen, meine Herren? Unser Krieg wird noch einen Tag warten können.«
Wieder schrien die Möwen draußen im Wind, und leises Stimmengemurmel erfüllte den kalten Raum. Am Ende herrschte Schweigen. Julius hauchte ein paar letzte Worte und betrachtete den eingefallenen Leichnam des alten Mannes.
»Und jetzt treibe ich hilflos dahin«, sagte er so leise, dass nur Brutus neben ihm es hören konnte.
Adàn hatte in dem dunklen Zelt zum Schreiben nur das Licht einer einzelnen Talgkerze zur Verfügung. Er saß völlig reglos auf seinem Platz und blickte zu Cäsar hinüber, der auf einer Bank lag und den Arm ausstreckte, damit er verbunden werden konnte. Auf den ersten Lagen war Blut, der Stoffstreifen selbst war schmutzig, denn er war von einem Leichnam abgerissen worden. Julius ächzte, als der Arzt einen Knoten machte und ihn festzog. Seine Augen öffneten sich unter dem Schmerz, und Adàn sah, dass sie vor Erschöpfung trübe waren.
Der Feldscher packte seine Ausrüstung zusammen und ging hinaus. Ein frischer Windstoß wehte in das stickige Zelt und ließ die Kerze flackern. Adàn überflog die Worte, die er niedergeschrieben hatte, und wünschte, Julius würde endlich schlafen. Sie alle waren hungrig, aber der Winter hatte ebenso wie bei allen anderen das Fleisch von den Knochen ihres Heerführers gebrannt. Julius’ Haut hatte einen gelblichen Ton angenommen und spannte über dem Schädel, und Adàn sah dunkle Ränder unter seinen Augen, die ihn wie den leibhaftigen Tod aussehen ließen.
Adàn dachte, Julius sei eingeschlafen, und fing an, seine Schriftrollen einzusammeln, um sich hinauszustehlen, ohne ihn zu wecken. Er hielt in der Bewegung inne, als Julius an den Schweißflecken seiner Tunika kratzte und sich dann das Gesicht rieb. Adàn schüttelte langsam den Kopf über die Veränderungen, die dieser Mann durchgemacht hatte, seit er ihm zum ersten Mal begegnet war. Gallien hatte mehr genommen, als es gegeben hatte.
»Wo war ich stehen geblieben?«, fragte Julius, ohne die Augen zu öffnen. Seine krächzende Stimme jagte Adàn im Halbdunkeln einen Schauer über den Rücken.
»Avaricum. Der Arzt ist hereingekommen, als ich gerade über den letzten Tag geschrieben habe.«
»Ah, genau. Können wir fortfahren?«
»Wenn du es wünschst, Herr. Vielleicht wäre es besser, wenn ich dich etwas ausruhen lasse«, antwortete Adàn.
Julius erwiderte nichts darauf, sondern kratzte sich nur am unrasierten Kinn.
»Avaricus kam bald nach der Vernichtung dreier Kohorten unter Bericus. Schreibst du?«
»Ja«, flüsterte Adàn. Zu seiner Verwunderung spürte er, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, als Julius sich zum Weitermachen zwang. Woher die Tränen rührten, konnte sich der Spanier nicht erklären.
»Wir bauten eine Rampe bis an die Mauern und erstürmten die Stadt. Nach allem, was sie gesehen hatten, konnte ich die Männer nicht zurückhalten. Ich habe es auch nicht versucht.« Julius unterbrach sich, und Adàn hörte seinen Atem als raues Rasseln vor den Geräuschen der Legionen draußen.
»Achthundert haben uns überlebt, Adàn. Halte die Wahrheit für mich fest. Von vierzigtausend Männern, Frauen und Kindern waren nur noch achthundert übrig, als wir fertig waren. Wir haben ihnen die Stadt über dem Kopf angezündet, haben das wenige Getreide genommen, das sie in ihren Speichern hatten. Aber selbst danach konnte man die Rippen meiner Soldaten noch zählen. Vercingetorix war natürlich weitergezogen, und jede Stadt, die wir erreichten, war zerstört. Er trieb das Vieh vor sich her und ließ uns nichts anderes als Vögel und Wildkaninchen, die wir mühsam fangen mussten. Vierzigtausend Mann zu verpflegen, Adàn. Ohne die Speicher von Avaricum wären wir am Ende gewesen.
Wir schlugen sie wieder und wieder in die Flucht, wo immer wir sie erwischen konnten, aber sämtliche Stämme Galliens hatten sich ihm angeschlossen, und er war uns jedes Mal zahlenmäßig überlegen. Bericus fiel im dritten oder vierten Monat, ich weiß es nicht mehr genau. Seine eigenen Hilfstruppen haben ihn in einen Hinterhalt gelockt. Wir haben seine Leiche nie gefunden.«
Julius verfiel in tiefes Schweigen, als er daran dachte, wie Bericus sich geweigert hatte zu glauben, dass die Männer, die er ausgebildet hatte, ihn töten könnten. Er war ein ehrenhafter Mann gewesen, und er hatte für seine Überzeugung mit dem Leben bezahlt.
»Vercingetorix zog weiter nach Süden, nach Gergovia, zu den Hügelfestungen dort, und ich konnte diese Mauern nicht bezwingen.«
Adàn blickte auf und sah Julius’ Mundwinkel vor Zorn zucken. Dann ließ sich der Feldherr wieder mit geschlossenen Augen zurücksinken, und die krächzende Stimme schien tief aus seinem Inneren zu kommen.
»Wir haben in Gergovia achthundert Mann verloren, und als der Frühling kam, sah ich meine Soldaten grünes Getreide essen, bis sie sich erbrachen. Trotzdem vernichteten wir die Armeen, die es wagten, sich uns in offener Feldschlacht zu stellen. Brutus und Octavian haben dort Großes für ihre Banner geleistet, Adàn, aber diese Übermacht ... Jeder Stamm, den wir Freunde genannt haben, hat sich gegen uns erhoben, und es gab Zeiten ... nein. Streiche das wieder, meine Zweifel sollen nicht niedergeschrieben werden.
Wir konnten ihn in Gergovia nicht aushungern, und unsere eigenen Männer wurden immer schwächer. Ich war gezwungen, weiter nach Westen zu ziehen, um Verpflegung zu beschaffen, und auch dort fanden wir kaum genug, um dem Hungertod zu entgehen. Vercingetorix schickte seine Heerführer gegen uns, und wir kämpften die ganze Zeit über, marschierten in der Nacht weiter. Ich bin im letzten Jahr eintausend Meilen marschiert, Adàn. Ich habe den Tod mit mir marschieren sehen.«
»Aber jetzt hast du ihn in Alesia eingeschlossen«, sagte Adàn leise.
Julius setzte sich mühsam auf und stützte sich auf die Knie. Sein Kopf sank vornüber.
»Die größte Bergfestung, die ich jemals in Gallien gesehen habe. Eine Stadt auf vier Hügeln, Adàn. Ja, jetzt sitzt er in der Falle. Wir verhungern draußen vor den Mauern, während er drinnen darauf wartet, dass wir alle sterben.«
»Getreide und Fleisch werden aus dem Süden herbeigeschafft. Das Schlimmste ist vorbei«, sagte Adàn.
Julius zuckte so leicht mit den Schultern, dass es ebenso gut ein Atemzug hätte sein können.
»Vielleicht. Schreib das für mich auf. Wir haben auf achtzehn Meilen rings um Alesia Gräben ausgehoben und Befestigungen gebaut. Wir haben mit dem Aushub drei große Hügel aufgeworfen, so mächtig, dass wir Wachtürme darauf errichten können. Vercingetorix kann nicht abziehen, solange wir hier bleiben – und wir werden bleiben. Unsere Gefangenen reden von ihm als dem König aller Gallier, und ehe er nicht tot oder gefangen ist, werden sie nicht aufhören zu rebellieren. Wir haben sie zu Tausenden niedergemacht, trotzdem werden sie jedes Frühjahr wiederkommen, bis ihr König tot ist. Die Menschen in Rom sollen das wissen, Adàn. Sie sollen begreifen, was wir hier tun.«
Die Zeltklappe wurde zurückgeschlagen. Brutus stand in der Dunkelheit und blickte zu Adàn herüber, als er das Licht der winzigen Flamme sah.
»Julius?«, fragte er.
»Ich bin hier«, antwortete die Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war.
»Du musst noch einmal herauskommen. Die Kundschafter sind zurück, und sie sagen, dass sich ein Heer von Galliern nähert, um die Festungen zu entsetzen.«
Julius sah ihn mit rot geränderten Augen an, die mehr tot als lebendig wirkten. Er stand auf und schwankte vor Erschöpfung, und Brutus half ihm, die Rüstung und den scharlachroten Mantel anzulegen, den die Männer zu sehen verlangten.
»Also sollten die Männer, die aus der Festung entkommen sind, ein neues Heer hierher führen«, murmelte Julius, während Brutus ihm die Brustplatte an den Eisenstreifen um den Hals festzurrte. Beide Männer waren schmutzig und stanken nach Schweiß, und Adàn war von der Zärtlichkeit gerührt, mit der Brutus einen Lumpen aufhob, die Rüstung abrieb und Julius sein Schwert reichte, das vergessen an einem Pfosten lehnte. Wortlos nahm Adàn den roten Umhang vom Haken und half Brutus dabei, ihn dem Feldherrn um die Schultern zu legen. Es mochte nur Einbildung sein, aber es kam ihm vor, als stünde Julius in der Rüstung ein wenig aufrechter da, als vertreibe allein der Wille etwas von der Müdigkeit aus seinem Gesicht.
»Ruf den Rat zusammen, Brutus, und bring die Kundschafter zu mir. Wir kämpfen auf beiden Seiten, wenn das nötig ist, um diesem König ein Ende zu bereiten.«
»Gehen wir dann nach Hause?«, fragte Brutus.
»Wenn wir das überstehen, mein Freund, dann gehen wir endlich wieder nach Hause.«
Die römischen Heerführer, die ins Hauptlager am Fuße von Alesia kamen, zeigten deutliche Spuren der Kriege, die sie ausgefochten hatten. Das Trinkwasser war ebenso rationiert worden wie die Lebensmittel, und keiner von ihnen hatte genug übrig, um sich den Schmutz der Monate im Feld aus dem Gesicht zu waschen. Sie ließen sich auf die Bänke sinken und blieben schweigend sitzen, zu müde zum Sprechen. Die verbrannte Erde und die Monate des Krieges, seit sie aus Britannien zurückgekehrt waren, hatten sie alle mitgenommen, dieser letzte Schlag jedoch brachte sie an den Rand der Verzweiflung.
»Heerführer, ihr habt die Nachrichten der Kundschafter vernommen, und ich kann euch wenig mehr berichten«, sagte Julius. Er hatte von einer Leibwache einen Beutel mit kostbarem Wasser entgegengenommen und hielt ihn sich über den Mund, um den Staub aus seiner Kehle zu spülen.
»Die Männer können endlich wieder essen, auch wenn unsere Vorräte begrenzt und von schlechter Beschaffenheit sind. Ohne die Opfer unserer Siedler hätten wir sogar noch weniger. Jetzt haben die Gallier alle ihre Stämme gegen uns zusammengezogen, und sogar die Reiterei der Haeduer ist verschwunden, um sich ihnen anzuschließen. Mhorbaine hat mich am Ende doch noch verraten.«
Julius machte eine Pause und rieb sich mit einer Hand über das Gesicht.
»Wenn die Kundschafter Recht behalten, stehen die Chancen schlecht, dass wir die Schlacht überleben. Wenn ihr es von mir verlangt, versuche ich, eine ehrenvolle Kapitulation auszuhandeln, und verschone das Leben unserer Legionäre. Vercingetorix hat bewiesen, dass er kein Narr ist. Er wird uns erlauben, mit unseren Siedlern zu den Alpen zurückzumarschieren. Ein solcher Sieg würde ihn in seiner Rolle als Hochkönig bestätigen, und ich glaube, dass er darauf eingehen würde. Wollt ihr das?«
»Nein, das wollen wir nicht«, sagte Domitius. »Die Männer würden das von uns nicht akzeptieren, und von dir auch nicht. Lass sie kommen, Cäsar. Wir besiegen sie auch dieses Mal.«
»Er spricht auch für mich«, fügte Renius hinzu, und die anderen nickten. Brutus und Marcus Antonius schlossen sich ihnen an, und Octavian erhob sich. Trotz ihrer Gesichter war noch Entschlossenheit in ihren Zügen zu lesen. Julius lächelte angesichts ihrer Loyalität.
»Dann werden wir in Alesia bestehen oder untergehen, meine Herren. Ich bin stolz, euch alle gekannt zu haben. Wenn die Götter wollen, dass alles hier zu Ende geht, dann soll es so sein. Wir werden kämpfen bis zum Schluss.«
Julius kratzte sich die Stoppeln auf seinem Gesicht und lächelte wehmütig.
»Vielleicht sollten wir ein wenig Trinkwasser darauf verwenden, dass wir morgen wie Römer aussehen. Bringt mir meine Karten.
Wir werden Pläne schmieden, wie wir die Stämme noch einmal demütigen können.«
Vercingetorix stand auf der Brustwehr von Alesia und blickte auf die Ebene hinaus. Bei den ersten Meldungen seiner Wachen war er in die zugige Höhe hinaufgeeilt. Jetzt, da er das Meer der Fackeln sah, das sich auf sie zubewegte, klammerten sich seine Hände um die bröckelnden Steine.
»Ist das Madoc?«, fragte Brigh aufgeregt.
Der König sah seinen jüngsten Bruder an und legte ihm in einem plötzlichen Anflug von Zuneigung die Hände auf die Schultern.
»Wer sollte es sonst sein? Er hat die Armeen Galliens mitgebracht, um sie hinwegzufegen.« Er blickte sich noch einmal um, dann neigte er den Kopf näher an den Bruder heran. »Die Arvernerprinzen sind nicht leicht zu besiegen, was?«
Brigh grinste ihn an.
»Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben. Wir haben höchstens noch Proviant für einen Monat ... «
»Dann sag den Männern, sie sollen heute Abend gut essen. Morgen sehen wir zu, wie die Römer geschlagen werden, und dann werden wir uns durch ihre Befestigungen und Mauern nach draußen kämpfen und Gallien von ihnen zurückfordern. Es wird Generationen dauern, bis wir diese Legionen wiedersehen. «
»Und du wirst König sein?«, fragte Brigh.
Vercingetorix lachte.
»Ich bin König, kleiner Bruder. König einer viel größeren Nation. Jetzt, da sich die Stämme wieder an den Ruf des Blutes erinnern, gibt es nichts mehr auf der ganzen Welt, das uns niederzwingen kann. Die Morgendämmerung wird das Ende bringen, und dann sind wir frei!«
Das erste graue Licht des Tages enthüllte ein Lager voller gallischer Reiterei, das sich über drei Meilen weit über das Land erstreckte. Als die Legionen erwachten, hörten sie ein dumpfes, blechernes Jubeln aus den großen, miteinander verbundenen Festungen von Alesia, denn auch deren Bewohner hatten die Streitmacht erblickt, die gekommen war, um sie zu entsetzen.
Der Morgen war kalt, obwohl der Sommer nicht mehr fern war. Die Lebensmittel, die aus der römischen Provinz am Fuße der Alpen herbeigeschafft worden waren, wurden zubereitet und auf Blechtellern ausgegeben, für die meisten Männer die erste warme Mahlzeit seit Tagen. Mit den zum Kampf bereiten Galliern vor sich aßen sie ohne Begeisterung, und die Teller waren viel zu schnell leer. Viele Männer leckten sie ab, um nur ja nichts Nahrhaftes verkommen zu lassen.
Die römischen Befestigungen rings um Alesia waren hoch genug, um die Gallier innehalten und über die beste Angriffstaktik beraten zu lassen. Die Mauern erreichten 20 Fuß und waren von 40000 der besten Soldaten der Welt bemannt. Es war keine leichte Aufgabe, auch nicht für Madocs gewaltiges Heer.
Madoc wusste selbst nicht genau, wie viele mit ihm gezogen waren, er wusste nur, dass er noch nie zuvor ein so riesiges Heer gesehen hatte. Trotzdem war er vorsichtig, so wie es Vercingetorix ihm eingeschärft hatte, bevor er sich aus Alesia davongemacht hatte, um die Stämme zusammenzurufen.
»Denke an die Helvetier«, hatte Vercingetorix gesagt.
Auch wenn sie zahlenmäßig weit unterlegen waren, hatten die Römer bislang jede gegen sie ins Feld geschickte Armee besiegt, und diejenigen von ihnen, die immer noch am Leben waren, waren Veteranen und erfahrene Kämpfer, die am schwersten zu töten waren. Madoc wünschte sich, dass sein Bruder bei ihm wäre, um die Reiterei anzuführen. Er konnte die Blicke und die Hoffnung der Verteidiger von Alesia förmlich spüren, und das schüchterte ihn ein. Inzwischen wusste er, dass sein Bruder ein besserer König war, als er es jemals hätte sein können. Madoc allein wäre niemals in der Lage gewesen, die Stämme zu vereinen, sie enger aneinander zu binden, als sie es seit tausend Jahren gewesen waren. Alte Zwistigkeiten waren vergessen, und am Ende hatten sie alle dem Hochkönig ihre besten Männer zu Hilfe gesandt, damit er der römischen Besatzung ein für alle Mal das Rückgrat brach.
Nun hing alles von seinem Wort ab, und als die Sonne aufging, warteten Zehntausende auf sein Kommando.
Julius erstieg einen Hügel, um zu den Männern zu sprechen, mit denen er seit neun Jahren in Gallien kämpfte. Er kannte Hunderte von ihnen mit Namen, und als er die Hügelkuppe erreicht hatte und sich stützend an den Fuß des Wachturms lehnte, sah er vertraute Gesichter erwartungsvoll zu ihm aufblicken. Wussten sie, wie erschöpft er war? Er hatte die Entbehrungen des Marsches quer durch Gallien und die Schlachten mit ihnen geteilt. Sie hatten gesehen, wie er sich mehr abverlangt hatte als jedem Einzelnen von ihnen, wie er sich tagelang keinen Schlaf gegönnt hatte, und jetzt war in ihm nichts mehr übrig, bis auf den eisernen Willen, der ihn auf den Beinen hielt.
»Ich bitte euch nicht darum, für Rom zu kämpfen!«, brüllte er ihnen zu. »Was weiß Rom schon davon, was wir hier vollbringen? Was versteht der Senat schon davon, was wir sind? Die Kaufleute in ihren warmen Häusern, die Sklaven, die Baumeister und die Huren sind bei unseren Schlachten nicht dabei gewesen. Wenn ich an Rom denke, kann ich nicht an sie denken, so weit entfernt. Meine Brüder sind diejenigen, die ich hier vor mir sehe.«
Die Worte gingen ihm vor seinen Legionen leicht über die Lippen. Er kannte sie alle, und schwache Jubelrufe ertönten, als sie zu der Gestalt im scharlachroten Feldherrenmantel emporblickten. Er hätte keinem Fremden diese Verbundenheit erklären können, aber das war auch nie nötig gewesen. Sie kannten ihn als das, was er war. Sie hatten gesehen, wie er in ihrer Mitte verwundet worden war, hatten ihn nach einem Marsch zu Tode erschöpft gesehen. Jeder Mann hier hatte eine Erinnerung daran, dass er einmal mit ihm gesprochen hatte, und das war ihnen allen mehr wert als die Silbermünzen, mit denen sie entlohnt wurden.
»Ich bitte euch nicht darum, dieses eine Mal noch für Rom zu kämpfen. Ich bitte euch, es für mich zu tun«, sagte er, und sie hoben die Köpfe höher, um ihn zu hören, und der Jubel in den Reihen wurde lauter.
»Wer wagt es, sich Rom zu nennen, solange wir am Leben sind? Ohne uns besteht die Stadt nur aus Steinen und Marmor. Wir sind ihr Blut und ihr Leben. Wir sind ihr ganzer Daseinsgrund.« Julius wies mit ausgestreckter Hand über die versammelten Horden des gallischen Heeres.
»Welche Ehre es doch ist, so viele gegen uns ins Feld ziehen zu sehen! Sie kennen unsere Stärke, meine Legionen. Sie wissen, dass unser Geist nicht gebrochen werden kann. Ich sage euch, könnte ich tauschen und dort draußen stehen, ich hätte gewaltige Angst vor dem, was ich vor mir sehe. Ich wäre entsetzt. Denn sie sind nicht wir. Alexander selbst wäre ebenso stolz, mit euch zu marschieren, wie ich es bin. Er wäre stolz darauf zu sehen, wie ihr eure Schwerter in seinem Namen erhebt.« Er blickte in die Menge hinab und sah Renius dort unten stehen, der zu ihm heraufblickte.
»Wenn unsere Herzen und unsere Arme müde werden, machen wir weiter«, brüllte Julius hinab. »Wenn unsere Bäuche leer und unsere Münder trocken sind, machen wir weiter!«
Wieder hielt er kurz inne und lächelte zu ihnen hinab.
»Meine Herren, wir sind keine Anfänger. Sollen wir diese elenden Barbaren in Stücke hauen?«
Sie schlugen Schwerter und Schilder aneinander, und aus jeder Kehle bellte heisere Zustimmung.
»Bemannt die Mauern! Sie kommen!«, rief Brutus, und die Legionäre nahmen ihre Stellungen ein. Als Julius hinunterstieg und zwischen ihnen hindurchging, standen sie stramm. Er war stolz auf jeden Einzelnen von ihnen.
Als Madoc das volle Ausmaß der römischen Anlagen rings um Alesia erblickte, ergriff ihn leise Furcht. Als er vor nur einem Monat aus der Stadt fliehen konnte, waren gerade die ersten Gräben aus dem Lehm ausgehoben worden, und nun standen solide, mit Soldaten besetzte Mauern vor ihm.
»Zündet Fackeln an, um ihre Tore und Türme niederzubrennen! «, befahl er und sah, wie entlang der Reihen von Stamm zu Stamm Flammen aufflackerten. Das Knistern der Flammen war das Geräusch des Krieges, und er spürte, wie sein Herz sofort schneller schlug. Trotzdem bereiteten ihm die ausgedehnten Befestigungsanlagen, die dort vor ihm aus dem Land ragten und ihn erwarteten, große Sorgen. Gegen eine derartige Barriere war die Geschwindigkeit der gallischen Pferde vergeudet. Wenn er die Römer nicht herauslocken konnte, würde jeder Schritt sehr blutig für ihn werden, darüber war sich Madoc im Klaren.
»Speere bereit!«, rief er laut. Er fühlte Tausende von Augen auf sich, als er sein Langschwert zog und auf das römische Heer wies. Seine geliebten Arverner auf der rechten Flanke waren bereit, und er wusste, dass sie seinen Befehlen folgen würden. Er wünschte, er könnte sich in der Hitze der Schlacht auf die anderen ebenso verlassen. Er fürchtete, dass sie, sobald es ans Sterben ging, das Wenige an Disziplin, dass er ihnen hatte beibringen können, wieder von sich warfen.
Er hob die Faust und senkte sie in einer abrupten Bewegung wieder, spornte sein Pferd zum Galopp an und setzte sich an die Spitze seines Heeres. Hinter ihm ertönte ein Donnern, das jedes andere Geräusch erstickte, und dann brüllten die Gallier los. Die Pferde flogen auf die Mauern zu, und in jeder Hand lag ein Speer bereit.
»Wurfmaschinen fertig machen! Ballistae, Onager und Skorpione bereit! Wartet auf die Hörner!«, brüllte Brutus nach links und nach rechts. Sie waren in den dunklen Stunden der Nacht nicht müßig gewesen, und nun war jede Kriegsmaschine, die sie besaßen, nach außen gedreht, um den größeren Feind zu zerschmettern. Jedes Auge auf den Mauern sah zu, wie die Horde auf sie zugaloppiert kam, und ihre Gesichter leuchteten vor Erwartung.
Gewaltige, in Öl getränkte Balken wurden angezündet und stießen erstickenden Qualm aus, der jedoch dem Enthusiasmus derer, die bereit und entschlossen waren, sie auf die Häupter der Gallier hinabzuschleudern, nichts anhaben konnten.
Brutus nickte, als er die Reichweite abschätzte, und tippte dem nächsten Cornicus auf die Schulter. Der Mann holte tief Luft, und der lang gezogene Ton erklang, wurde jedoch beinahe gleichzeitig vom Krachen Hunderter schwerer Eichenarme verschluckt, die gegen ihre Auflagen schlugen. Steine und Eisen flogen mit einem heulenden Geräusch durch die Luft, und die Römer fletschten in Erwartung der ersten Berührung des Todes die Zähne.
Madoc sah, wie die Katapulte abgefeuert wurden; er schloss einen Moment lang die Augen und betete. Rings umher hörte er das dumpfe Krachen der einschlagenden Geschosse und rasch leiser werdende Schreie, die er hinter sich ließ. Als er die Augen öffnete, staunte er, dass er noch lebte, und stieß ein lautes Freudengeheul aus. In die Stämme waren Lücken gerissen worden, aber sie schlossen sich, während sich der Abstand zu den Legionen verringerte, und jetzt war ihr Blut in Wallung geraten.
Die Gallier schleuderten ihrer Speere mit all der Wut und Wildheit derer, die den römischen Maschinen entkommen waren. Sie flogen in hohem Bogen über die Wälle, und noch ehe sie landeten, hatte Madoc die breiten Gruben erreicht, die vor den römischen Mauern ausgehoben worden waren. 30000 seiner besten Männer sprangen aus den Sätteln und machten sich daran, die Wälle hinaufzuklettern, bohrten ihre Schwerter in die Erde, um über die spitzen Pfähle zu klimmen, die sie aufhalten sollten.
Madoc sah beim Klettern aus dem Augenwinkel die Legionäre über sich, und dann gab ohne Vorwarnung die Erde unter ihm nach, und er stürzte hinab. Er schrie vor Zorn und machte sich sofort daran, wieder hinaufzuklettern, doch dann hörte er das Fauchen von Flammen und sah, wie eine Gruppe Römer etwas Massiges, gewaltig Großes über die Brustwehr hievte und auf ihn herunterfallen ließ. Er versuchte zur Seite zu springen, aber es krachte in einem splitternden Krachen aus Knochen und Dunkelheit auf ihn herab.
Von der Mauerkrone aus verfolgte Julius, wie der erste Angriff zurückgeschlagen wurde. Ein ums andere Mal befahl er, die Kriegsmaschinen abzufeuern, die Balken und Steine von einer Größe wegschleuderten, dass sie den Pferden die Beine brachen, wenn sie zwischen sie rollten. Die Tore an der Mauer brannten, aber das machte nichts. Er hatte nicht vor zu warten, bis sie fielen.
Entlang der meilenlangen Befestigungen droschen die römischen Legionäre auf diejenigen ein, die sie erreichten, benutzten Schilde und Schwerter in wilder Wut. Am Fuß der Mauer stapelten sich die Leichen, und Julius zögerte. Er wusste, dass seine Soldaten, so schwach wie sie waren, nicht lange mit solcher Wucht kämpfen konnten. Aber die Gallier schienen es auf einen direkten Angriff abgesehen zu haben und warfen ihr Leben gegen das römische Eisen weg.
Die Hauptmasse der Reiterei hatte durch die eigenen Leute nicht einmal bis zu den römischen Linien vordringen können, und Julius befürchtete, dass seine Legionen eingekesselt würden, wenn er sie jetzt hinausschickte. Seine Züge verhärteten sich, als er eine Entscheidung traf.
»Octavian! Führ die Extraordinarii gegen sie! Meine Zehnte und die Dritte folgen dir, so wie wir es gegen die Britannier gemacht haben!«
Ihre Blicke trafen sich kurz, und Octavian salutierte.
An den Toren wurden Seile befestigt, damit sie nach innen umgerissen werden konnten, sobald die Eisenriegel entfernt waren. Das Holz brannte inzwischen lichterloh, und als die Tore fielen, ließ der Luftschwall die Flammen hoch auflodern. Die Extraordinarii galoppierten durch das Feuer, um den Feind zu zermalmen, die Hufe ihrer Pferde trommelten auf das Holz, als sie darüber hinwegpreschten. Sie verschwanden im Rauch, und die Zehnte und Dritte drängten hinter ihnen hinaus.
Julius sah, wie Gruppen von Legionären die Flammen ausschlugen und die Tore wieder aufrichteten, ehe die Gallier die Bresche zu ihrem Vorteil nutzen konnten. Es war ein gefährlicher Augenblick. Wenn es den Extraordinarii nicht gelang, die Gallier zurückzudrängen, konnten sich auch die Legionen, die bereitstanden, ihnen zu folgen und sie zu unterstützen, nicht in Bewegung setzen. Julius spähte angestrengt durch den Rauch, folgte einem Legionsadler, der durch die brodelnde Menge der Stammeskrieger zog. Er sah ihn fallen, sah, wie er von einem unbekannten Soldaten wieder aufgehoben wurde. Die Zwölfte Ariminum war bereit auszurücken, und Julius wusste nicht, was sie dort draußen vorfinden würde.
Er blickte hinauf zu den Festungen Alesias und zu den Männern, die diese ständig im Auge behielten, um jeden Ausfall sofort zu bemerken. Wie viele konnte er als Reserve zurücklassen? Wenn Vercingetorix ausbrach, würden seine Legionen mit Sicherheit zusammenbrechen, zwischen zwei Fronten zermahlen werden. Dazu durfte es nicht kommen.
Renius fing seinen Blick auf; die unverwechselbare Gestalt hielt sich dicht neben ihm, bereit, jederzeit den Schild über seinen Kopf zu halten. Julius lächelte kurz, erlaubte ihm zu bleiben. Der Gladiator sah blass und alt aus, aber seine Augen suchten unablässig das Schlachtfeld ab, damit er seinen Feldherrn schützen konnte.
Julius sah eine freie Stelle auf dem blutigen Boden erscheinen, die mit zuckenden Leibern und Toten bedeckt war. Einige von ihnen waren Römer, die meisten jedoch waren durchbohrte und erschlagene Feinde. Die Umklammerung der Feinde öffnete sich in einem großen Bogen, als die Zehnte sie zurückdrängte und mit ihrer Barriere aus Schilden über Sterbende und Tote hinwegmarschierte. Julius sah die letzten geschleuderten Speere in den Reihen der Gallier verschwinden und beschloss, dass es an der Zeit sei.
»Die Zwölfte und die Achte zur Unterstützung!«, rief er. »Reißt die Tore ein!« Wieder rissen die Seile an den Holzflügeln, und 10000 eilten im Laufschritt hinaus, um die Reihen derer aufzufüllen, die vor ihnen ausgerückt waren.
Die Kriegsmaschinen schwiegen jetzt, denn die Legionen hieben sich mitten durch die Gallier hindurch. Die eng geschlossenen Karrees wurden umspült und verschwanden aus dem Blickfeld, tauchten dann wie Felsen in der Brandung wieder auf, immer noch am Leben, immer noch fest geschlossen, als sie erneut verschwanden.
Mit vier Legionen im Feld sandte Julius noch eine weitere hinaus, so dass ihm kaum genug Männer blieben, um die Wälle zu halten und die Festungen in ihrem Rücken zu beobachten. Die Cornicen warteten auf seinen Befehl, und er sah sie mit harten Augen an.
»Blast auf mein Wort zum Rückzug!«
Er packte den Saum seines Umhangs mit der freien Hand und zerknüllte ihn. Es war schwer zu erkennen, was genau dort draußen vor sich ging, aber er hörte römische Stimmen Befehle brüllen, und entlang der Mauern zogen sich die Gallier zurück, um sich der Bedrohung zu stellen, die ausgerückt war, um es mit ihnen aufzunehmen. Julius zwang sich zu warten.
»Jetzt stoßt ins Horn. Schnell!«, blaffte er schließlich und ließ den Blick über das Schlachtfeld schweifen, solange die Töne darüber hinwegheulten. Die Legionen waren weit vorangekommen und kämpften auf allen Seiten, aber sie würden keine kopflose Flucht zulassen, das wusste er. Die Karrees würden sich Schritt für Schritt vor den Reitern zurückziehen, und dabei die ganze Zeit weitertöten.
Die Gallier bewegten sich wie eine bittere Flüssigkeit, in Wirbeln aus schreienden, sterben Männern, als die Legionen sich den Rückweg freikämpften. Julius stieß einen wilden Schrei aus, als er die Adler wieder auftauchen sah. Er hob den Arm, und dieser zitterte. Die Tore fielen, und er sah die Legionen hereinströmen, zu den Mauern hasten und den Feind verhöhnen.
Die Gallier drängten vorwärts, und Julius blickte zu den Mannschaften der Wurfmaschinen, die mit kaum gezügelter Ungeduld warteten. Jetzt kam das gesamte gallische Heer heran, und der Augenblick war perfekt, aber er wagte nicht, den Befehl zum Feuern zu geben, bevor er nicht wusste, dass seine Legionen sicher wieder zurückgekehrt waren.
Er nahm die Speersalve kaum wahr; Renius aber hatte aufgepasst. Als sich Julius wegdrehte, riss Renius den Schild hoch und reckte ihn dem Einschlag der pfeifenden Spitzen entgegen. Er ächzte, und Julius drehte sich um, um ihm Anerkennung zu zollen. Seine Züge erschlafften, als er Renius’ Hals sah, der sich in blutige Fetzen verwandelt hatte.
»Alles klar! Sie sind in Sicherheit, Herr!«, rief der Cornicus.
Julius konnte nur entgeistert starren, als Renius zu Boden fiel.
»Herr, wir müssen jetzt feuern!«, sagte der Cornicus.
Julius hörte ihn kaum, senkte aber den Arm, und die großen Wurfmaschinen gaben krachend Antwort. Tonnen von Steinen und Eisen bohrten sich abermals durch die Reiter Galliens, brachen breite Schneisen in die Angreifer. Die Stämme ritten zu dicht an dicht, um den Salven auszuweichen. Tausende wurden niedergemäht, um nie mehr aufzustehen.
Eine gewaltige Stille machte sich breit, als die Gallier sich außer Reichweite zurückzogen. Julius hörte seine Männer wie aus weiter Ferne jubeln, als sie die Menge der Toten erblickten, die der Feind zurücklassen musste. Er ging zu Renius und schloss die starren Augen mit den Fingern. Er hatte keine Trauer mehr in sich. Zu seinem Entsetzen begannen seine Hände zu zittern, und er spürte den Geschmack von Metall im Mund.
Octavian kam durch die Legionäre getrabt, um zu der Stelle hinaufzusehen, wo Julius in kalten Schweiß gebadet kniete.
»Noch einen Angriff, Herr? Wir sind bereit.«
Julius sah benommen in die Runde. Er durfte vor den Augen aller seiner Männer keinen Anfall bekommen, er durfte nicht. Er versuchte zu verleugnen, was mit ihm geschah. Die Anfälle hatten ihn nun schon seit Jahren verschont. Er würde es nicht zulassen. Mit einer gewaltigen Willensanstrengung erhob er sich schwankend und zwang sich dazu, sich zu konzentrieren. Er nahm den Helm ab und versuchte tief ein- und auszuatmen, aber der Schmerz in seinem Schädel wurde stärker, grelle Lichter blitzten vor seinen Augen. Octavian zuckte zusammen, als er die glasigen Augen sah.
»Die Legionen halten noch Stand, Herr. Sie sind bereit, die Schlacht noch einmal zu ihnen hinauszutragen, wenn du es wünschst.«
Julius wollte etwas sagen, brachte aber nichts heraus. Er brach zusammen, und Octavian sprang aus dem Sattel und kletterte zu ihm hinauf, um ihn zu stützen. Er nahm Renius’ Leichnam neben sich kaum wahr und befahl dem Cornicus, Brutus zu holen.
Brutus kam stolpernd angerannt; sein Gesicht wurde bleich, als er begriff.
»Bring ihn weg, damit ihn niemand sieht«, blaffte er Octavian an. »Rasch! Das Kommandozelt ist leer. Nimm seine Beine, bevor die Männer es bemerken!« Sie hoben die zuckende Gestalt auf, die durch Monate des Hungers und des Krieges leicht geworden war, und schleppten sie in das Halbdunkel des Befehlsstandes.
»Was sollen wir tun?«, fragte Octavian besorgt.
Brutus zog den Metallhelm aus Julius’ verkrampften Fingern und hob ihn hoch.
»Zieh ihn aus. Zu viele Männer haben gesehen, wie wir ihn hineingetragen haben. Sie müssen sehen, wie er wieder herauskommt.«
Die Männer brachen in lauten Jubel aus, als Brutus, angetan mit der Rüstung und dem Helm des Freundes, in den schwachen Sonnenschein hinaustrat. Hinter ihm lag Julius nackt auf einer Bank. Octavian hatte ihm ein gedrehtes Stück Tunikastoff zwischen die Zähne geschoben, während sich Julius wand und zitterte.
Brutus rannte zur Mauer, um sich ein Bild vom Zustand der feindlichen Truppen zu machen, und sah, dass die Gallier sich immer noch nicht von der zweiten, vernichtenden Salve der Wurfmaschinen erholt hatten. In der Dunkelheit des Zeltes war ihm die Zeit länger vorgekommen. Er sah, wie die Legionen zu ihm aufsahen, auf seine Befehle warteten, und er durchlebte einen Augenblick höchster Panik. Seit sie die Grenze nach Gallien überschritten hatten, war er kein einziges Mal allein für ein Kommando verantwortlich gewesen. Immer war Julius zur Stelle gewesen.
Verborgen hinter seiner Maske blickte er sich verzweifelt um. Ihm wollte keine Strategie einfallen, nur die allereinfachste: die Tore öffnen und alles niedermachen, was sich bewegte. Julius hätte nicht so entschieden, aber Brutus konnte nicht von der Mauer aus zusehen, wie seine Männer ausrückten.
»Holt mir ein Pferd!«, brüllte er. »Lasst keine Reserve zurück! Wir gehen raus und schnappen sie uns!«
Als die Tore abermals aufgingen, ritt Brutus hindurch und führte die Legionen an. Er wusste nicht, was er anderes tun sollte.
Als die Gallier voller Entsetzen die gesamte Streitmacht der Legionen aufs Schlachtfeld ziehen sahen, wimmelten sie in kopfloser Furcht durcheinander. Viele hatten Angst davor, wieder in eine Schlacht hinein und in die Reichweite der Kriegsmaschinen gezogen zu werden. Ohne die Anführer, die bei den ersten Angriffen getötet worden waren, herrschte in ihren Reihen heilloses Durcheinander.
Brutus sah, wie viele der weniger bedeutenden Stämme ihren Pferden die Fersen in die Seite bohrten und einfach vom Schlachtfeld ritten.
»Macht euch lieber aus dem Staub!«, schrie er wild.
Rings um ihn herum trieben die Extraordinarii ihre Pferde zum Galopp an und reckten die bereits blutbesudelten Waffen. Die Legionen stießen ein lautes Gebrüll aus, als sie über die Ebene stürmten, und als sie auf die ersten Reihen prallten, gab es nichts, was sie hätte aufhalten können.
Bis zum Einbruch der Nacht hatten die überlebenden Gallier das Schlachtfeld verlassen, waren zu ihren Häusern und in ihre Stammesgebiete zurückgekehrt und hatten dort die Nachricht ihrer Niederlage verbreitet. Die römischen Legionen verbrachten den Großteil der Nacht auf der Ebene, plünderten die Gefallenen und trieben die besten Pferde zusammen. Noch in der Dunkelheit teilten sich die Römer in Kohorten, die im Umkreis von mehreren Meilen rings um Alesia umherstreiften, Verwundete töteten und Rüstungen und Schwerter der Toten einsammelten. Als der nächste Morgen heraufzog, kehrten sie zur Festung zurück und richteten ihre hasserfüllten Blicke auf die schweigenden Festungen.
Julius war erst bei Sonnenaufgang aus seinen quälenden Träumen erwacht. Die Heftigkeit des Anfalls hatte seinen erschöpften Leib sehr mitgenommen, und als die Krämpfe aufhörten, sank er in einen Schlummer, der dem Tod nahe kam. Octavian wachte bei ihm im Zelt und wusch ihn mit Wasser und einem Tuch.
Als Brutus, mit Blut und Dreck bespritzt, zurückkam, stand er lange vor der blassen Gestalt und betrachtete sie. Die Haut wies viele Narben auf, und ohne die Rangabzeichen hatte der ausgezehrte Körper vor ihm etwas sehr Verletzliches.
Brutus kniete neben der Liege nieder und nahm den Helm ab.
»Ich bin dein Schwert gewesen, mein Freund«, flüsterte er.
Mit unendlicher Zärtlichkeit zogen er und Octavian Julius die zerbeulte Rüstung wieder an. Julius wachte dabei nicht auf, nur wenn sie ihn hochhoben, öffneten sich seine glasigen Augen für einen Moment.
Als sie einen Schritt zurücktraten, war die Gestalt auf der Liege wieder der römische Feldherr, den sie kannten. Die Haut war voller blauer Flecken, das Haar zerzaust, bis Octavian es einölte und kämmte.
»Kommt er wieder zu sich?«, murmelte Octavian.
»Wenn es an der Zeit ist«, erwiderte Brutus. »Wir lassen ihn jetzt besser allein.« Er sah, wie sich Julius’ Brust sachte hob und senkte, und war es zufrieden.
»Ich halte Wache. Bestimmt wollen einige unserer Leute ihn bald sehen«, sagte Octavian.
Brutus sah ihn an und schüttelte den Kopf.
»Nein, mein Junge. Du gehst hinaus und zeigst dich deinen Männern. Diese Ehre gebührt dir.«
Octavian verließ ihn, und Brutus bezog als reglose Gestalt in der Dunkelheit Posten vor dem Zelt.
Brutus hatte Vercingetorix die Kapitulationsforderung noch nicht überbringen lassen, denn er wusste, dass Adàn sich trotz Rüstung und Helm keine Sekunde würde täuschen lassen. Außerdem gebührte diese Ehre Julius allein. Als der Mond aufging, hielt Brutus weiter vor dem Zelt Wache und schickte alle weg, die kamen, um ihre Glückwünsche zu überbringen. Alsbald hatte es sich herumgesprochen, und man ließ ihn in Ruhe.
In der Einsamkeit der schweigenden Dunkelheit weinte Brutus um Renius. Er hatte den Leichnam gesehen und nicht weiter beachtet, als er und Octavian Julius ins Zelt getragen hatten. Es war beinahe so, als hätte ein Teil von ihm jede Einzelheit registriert, damit er sie jetzt, nachdem die Schlacht vorüber war, abrufen konnte. Obwohl er nur einen kurzen Blick auf den alten Gladiator geworfen hatte, sah er jetzt, wenn er die Augen schloss, dessen kalten Leichnam vor sich, als wäre es heller Tag.
Es schien ihm nicht möglich, dass Renius nicht mehr am Leben sein sollte. Der Mann war für Brutus das gewesen, was einem Vater am Nächsten kam, und dass er nicht mehr da war, trieb ihm die Tränen in die Augen.
»Jetzt ruh dich aus, du alter Bastard«, murmelte er vor sich hin, und dabei lachte und weinte er zugleich. So lange zu leben, nur um durch einen Speer ums Leben zu kommen, war obszön, obwohl Brutus wusste, dass Renius diesen Tod ebenso hingenommen hätte, wie er alle anderen Prüfungen seines Lebens hingenommen hatte. Octavian hatte ihm berichtet, wie Renius den Schild über Julius gehalten hatte, und Brutus wusste, dass der alte Gladiator es als angemessenen Preis betrachtet hätte.
Ein Geräusch aus dem Zelt verriet ihm, dass Julius endlich erwacht war. Dann wurde die Zeltklappe aufgeschlagen.
»Brutus?«, fragte Julius und blinzelte in die Dunkelheit.
»Ich bin hier«, antwortete Brutus. »Ich habe deinen Helm genommen und sie hinausgeführt. Sie haben mich für dich gehalten.«
Er spürte Julius’ Hand auf der Schulter, und neue Tränen rannen über sein schmutziges Gesicht.
»Haben wir sie besiegt?«, erkundigte sich Julius.
»Wir haben ihnen das Rückgrat gebrochen. Die Männer warten darauf, dass du von ihrem König die Kapitulation forderst. Es ist das Letzte, was noch zu tun ist, dann sind wir fertig.«
»Renius ist ganz zum Schluss gefallen. Er hat einen Schild über mich gehalten«, sagte Julius.
»Ich weiß. Ich habe ihn gesehen.« Keiner der Männer brauchte mehr zu sagen. Beide hatten ihn gekannt, seit sie kaum mehr als Knaben gewesen waren, und mancher Kummer wird durch Worte nur verwässert.
»Du hast sie angeführt?«, fragte Julius. Obwohl seine Stimme wieder kräftiger wurde, wirkte er immer noch leicht verwirrt. »Nein, Julius. Sie sind dir gefolgt.«
Bei Tagesanbruch schickte Julius einen Boten zu Vercingetorix und wartete auf die Antwort, von der er wusste, dass sie kommen musste. Jeder Mann und jede Frau in Alesia musste von dem Gemetzel von Avaricum gehört haben. Sie mussten Todesangst vor den grimmigen Soldaten haben, die zu ihrer Festung heraufstarrten. Julius hatte angeboten, sie alle zu verschonen, falls sich Vercingetorix bis zum Mittag ergab, aber die Sonne stieg immer weiter am Himmel empor, und aus der Stadt kam keine Antwort.
Marcus Antonius und Octavian waren bei ihm. Sie konnten nichts anderes tun als abwarten, und einer nach dem anderen kamen alle, die von Anfang an mit dabei gewesen waren, herbei und stellten sich neben ihn. Manchmal kam es ihm vor, als machten die fehlenden Gesichter den Preis kaum wett. Bericus, Cabera, Renius und viel zu viele andere. Julius trank den Wein, der ihm gereicht wurde, ohne ihn zu schmecken, und fragte sich, ob Vercingetorix bis zum bitteren Ende kämpfen würde.
Wenn das Töten vorbei war, waren die Legionen nie still. Jeder Mann hatte Freunde, vor denen er sich brüsten konnte, und tatsächlich gab es viele Geschichten von Tapferkeit und Heldenmut zu erzählen. Viele andere konnten beim Morgenappell nicht mehr auf ihren Namen antworten, und die bleichen Toten, die hereingebracht wurden, legten Zeugnis ab von dem Kampf, den sie gemeinsam ausgefochten hatten. Julius hörte einen Schrei des Schmerzes, als ein Soldat einen Leichnam erkannte und weinend neben ihm auf die Knie sank, bis ein paar andere aus seiner Zenturie ihn wegführten, um dafür zu sorgen, dass er sich betrank.
Renius’ Tod hatte sie alle tief getroffen. Die Männer, die mit dem alten Gladiator gekämpft hatten, hatten seinen Hals mit einem aus einer Tunika herausgerissenen Stück Stoff verbunden und ihn mit seinem Schwert aufgebahrt. Angefangen von Julius bis hin zum niedrigsten Legionär hatten sie unter seinen Wutausbrüchen und seinen unerbittlichen Ausbildungsmethoden zu leiden gehabt, aber nun, da er nicht mehr war, kamen die Männer in stummer Trauer, um seine Hand zu berühren und für seine Seele zu beten.
Jetzt, wo seine Toten im kalten Sonnenlicht lagen, hob Julius den Blick zu den Mauern von Alesia und überlegte, wie er die Gallier aus ihrer Festung herausholen könnte. Er konnte nicht untätig dasitzen, nachdem Gallien nun endlich in seinen Händen war.
Es würde keinen Aufstand mehr geben. In den folgenden Tagen würde die Kunde von der Niederlage bis in jedes kleine Dorf und in jede Stadt dieses großen Landes dringen.
»Da kommt er«, sagte Marcus Antonius und riss Julius aus seinen Gedanken.
Alle erhoben sich wie ein Mann, um zu sehen, wie der König den steilen Weg zu den wartenden Legionen herunterkam. Es war eine einsame Gestalt.
Vercingetorix war nicht mehr der zornige junge Krieger, an den sich Julius erinnerte. Er ritt ein graues Pferd und trug volle Rüstung, die im ersten Tageslicht hell schimmerte. Mit einem Mal wurde sich Julius seines eigenen verdreckten Äußeren bewusst und streckte den Arm nach seinem Mantel aus, ließ die Hand aber sogleich wieder sinken. Er schuldete dem König keine besondere Ehrbekundung.
Cingetos Blondhaar war zu schweren Zöpfen geflochten, die auf seinen Schultern lagen. Sein Vollbart glänzte vor Öl und bedeckte die goldenen Kettenglieder an seinem Hals. Er saß entspannt im Sattel, trug einen verzierten Schild und ein großes Schwert, das auf seinem Schenkel ruhte. Die Legionen warteten schweigend auf den Mann, der ihnen so viel Kummer und Schmerzen bereitet hatte. Etwas in seiner majestätischen Haltung ließ sie stumm verharren und ihm diesen letzten Augenblick der Würde gewähren.
Julius ging mit Brutus und Marcus Antonius auf den König zu. Als er den Anfang der Straße erreichte, reihten sich seine restlichen Heerführer hinter ihnen ein, doch immer noch sagte keiner ein Wort.
Vercingetorix blickte auf den Römer hinab und erschrak über die Veränderung, die seit ihrer ersten Zusammenkunft vor fast zehn Jahren mit ihm vorgegangen war. Seine Jugend war auf den Schlachtfeldern Galliens geblieben, nur die kalten, dunklen Augen schienen noch dieselben zu sein. Mit einem letzten Blick hinauf zu den Festungen von Alesia stieg Vercingetorix aus dem Sattel und legte Schwert und Schild auf die ausgestreckten Unterarme. Dann ließ er beides vor Julius’ Füße fallen, trat zurück und hielt dem Blick des Römers einen langen Augenblick stand.
»Du wirst die anderen verschonen?«, fragte er.
»Ich habe dir mein Wort gegeben«, entgegnete Julius.
Vercingetorix nickte. Seine letzten Befürchtungen verschwanden. Dann kniete er im Schlamm nieder und neigte den Kopf.
»Bringt Ketten«, sagte Julius, und die Stille zerbrach, als die Legionen Schilde und Schwerter aneinander schlugen und einen solchen Lärm machten, dass jedes andere Geräusch darin unterging.
Als der Winter abermals nahte, führte Julius seine Legionen über die Alpen, um rings um Ariminum sein Lager aufzuschlagen. Er brachte fünfhundert Truhen Gold auf Karren mit, genug, um damit den Zehnten des Senats hundertfach zu bezahlen. In den Beuteln seiner Männer klimperten Goldmünzen, und sie waren nach gutem Essen und ausreichender Erholung weitgehend wiederhergestellt. In Gallien herrschte endlich Ruhe, neue Straßen erstreckten sich von einer Küste zur anderen durch das fruchtbare Land. Obwohl Vercingetorix tausend römische Höfe hatte niederbrennen lassen, war das Land noch vor Ende des Sommers von neuen Familien übernommen worden, und noch immer strömten sie herbei, angelockt von dem Versprechen auf reiche Ernten und Frieden.
Nur 3000 Soldaten der Zehnten hatten die Kämpfe in Gallien überlebt, und Julius hatte jeden Mann unter seinem Kommando reichlich mit Land und Sklaven entlohnt. Er hatte ihnen Gold und neue Wurzeln gegeben, und er wusste, dass sie ihm treu ergeben waren, so wie es Marius ihm einst erklärt hatte. Sie kämpften weder für Rom noch für den Senat. Sie kämpften für ihren Feldherrn.
Er wollte nichts davon hören, dass auch nur einer von ihnen eine Nacht im Freien verbringen musste, und jedes Haus in Ariminum war plötzlich mit zwei oder drei seiner Soldaten belegt, die Leben und Geld in die Stadt brachten. Beinahe über Nacht stiegen die Preise, und am Ende des ersten Monats ging in der ganzen Hafenstadt der letzte Wein zur Neige.
Brutus war mit der Dritten Gallica gekommen und hatte sich, sobald er aller Verpflichtungen ledig war, daran gemacht, sich bis zu Besinnungslosigkeit zu betrinken. Der Verlust von Renius hatte ihn schwer getroffen, und Julius kam wiederholt zu Ohren, dass sein Freund jeden Abend in eine andere Schlägerei verwickelt sei. Er hörte den Gastwirten zu, die mit ihren Beschwerden zu ihm kamen, und bezahlte Brutus’ Rechnungen ohne Murren. Schließlich schickte er Regulus aus, um Brutus davon abzuhalten, in seinem trunkenen Zorn jemanden zu töten, und erfuhr dann, dass die beiden zusammen durch die Stadt tobten und noch mehr Unheil anrichteten als Brutus alleine.
Zum ersten Mal seit Spanien wusste Julius nicht, was das kommende Jahr für ihn bereithielt. Eine Million Menschen waren in Gallien gestorben, um seinen Ehrgeiz zu befriedigen, eine weitere Million war in römische Steinbrüche und auf römische Bauernhöfe von Afrika bis nach Griechenland verkauft worden. Er besaß mehr Gold, als er jemals gesehen hatte, und er war über das Meer gefahren und hatte die Britannier besiegt. Er hätte erwartet, Freude über seine Triumphe zu empfinden. Schließlich hatte er es Alexander gleichgetan und eine neue Welt jenseits der bekannten Landkarten entdeckt. Er hatte innerhalb einer Dekade mehr Land erobert, als Rom sonst in einem ganzen Jahrhundert. Als Junge hätte er sich an dem Gedanken ergötzt, Vercingetorix vor sich knien zu sehen, und hätte dabei nur seine Leistung gesehen. Doch damals hätte er nicht gewusst, wie sehr er die Toten und Gefallenen vermissen würde. Er hatte von Statuen geträumt, davon, dass sein Name im Senat genannt werden würde. Nun, da all das Wirklichkeit geworden war, schätzte er es eher gering. Sogar der Sieg schmeckte schal, denn er bedeutete, dass alles Streben und Trachten ein Ende hatte. Es gab zu viel zu bereuen.
Julius hatte Crassus’ Haus im Zentrum der Stadt bezogen, und nachts glaubte er immer noch, Servilias Parfum riechen zu können. Obwohl er einsam war, schickte er nicht nach ihr. Irgendwie war der Gedanke, dass sie ihn aus seiner Niedergeschlagenheit herausreißen würde, zu viel für ihn. Er freute sich an den düsteren Wintertagen, die so gut zu seiner Verfassung zu passen schienen, und er hieß die trüben Gedanken wie alte Freunde willkommen. Er wollte die Zügel seines Lebens nicht aufnehmen und weitermachen. In der Zurückgezogenheit von Crassus’ Haus konnte er die Tage mit Müßiggang vertun, die Nachmittage damit verbringen, in den dunklen Himmel zu starren und seine Bücher zu schreiben.
Die Berichte, die er für seine Heimatstadt verfasst hatte, hatten für ihn an Bedeutung gewonnen. Jede Erinnerung wirkte irgendwie verkrampft und befangen, sobald er sie niedergeschrieben hatte. Die Tinte konnte weder die Angst noch den Schmerz oder die Verzweiflung ausdrücken, und das war gut so. Es verschaffte seinem gequälten Geist Linderung, jeden Teil seiner Jahre in Gallien schriftlich festzuhalten und das Ganze dann von Adàn säuberlich kopieren zu lassen.
Am Ende der ersten Woche gesellte sich Marcus Antonius zu ihm. Er machte sich daran, Staubdecken von den Möbeln zu ziehen und dafür zu sorgen, dass Julius zumindest einmal am Tag eine richtige Mahlzeit zu sich nahm. Julius nahm seine Fürsorge mit einsichtigem Wohlwollen hin. Einige Tage darauf kamen Ciro und Octavian ins Haus, und die Römer setzten sogleich alles daran, es so sauber zu putzen wie eine Legionsküche. Sie beseitigten das Durcheinander aus Papieren in den Wohnräumen und brachten eine Unruhe ins Haus, der sich Julius immer weniger widersetzen mochte. Obwohl er die Einsamkeit zunächst sehr genossen hatte, war er doch daran gewöhnt, seine Offiziere um sich zu haben, und zog nur in gespieltem Verdruss die Augenbrauen hoch, als Domitius sich in einem Zimmer einquartierte und Regulus in der darauf folgenden Nacht mit Brutus über der Schulter erschien. Überall im Haus wurden Lampen angezündet, und als Julius in die Küche hinunterkam, fand er dort drei Frauen aus der Nachbarschaft beim Brotbacken vor. Er akzeptierte ihre Anwesenheit ohne ein Wort.
Die Schiffsladungen mit Wein aus Gallien trafen ein und wurden von den Bewohnern der Stadt durstig in Empfang genommen. Marcus Antonius sicherte sich ein Fass, und an einem Abend, an dem es ihnen gelang, die Rangunterschiede zu vergessen, betranken sie sich bis zur Besinnungslosigkeit, um es in einer einzigen Sitzung zu leeren, und blieben dort liegen, wo sie umfielen. Am Morgen musste Julius zum ersten Mal seit Wochen wieder laut lachen, als seine Freunde herumtorkelten und fluchend gegen die Möbel stießen.
Nun, da die Bergpässe geschlossen waren, war Gallien ebenso weit entfernt wie der Mond und suchte ihn nicht mehr in seinen Träumen heim. Julius’ Gedanken wandten sich wieder Rom zu, und er schrieb Briefe an jeden, den er in der Stadt kannte. Es war seltsam, an die Menschen zu denken, die er seit so vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte. Servilia würde dort sein, und das neue Senatsgebäude musste auch längst fertig sein. Rom würde ein neues Gesicht haben, um seine Narben zu verdecken.
Morgens schrieb Julius hinter den verschlossenen Türen seines Arbeitszimmers ausführlich an seine Tochter und versuchte, eine Brücke zu einer Frau zu schlagen, die er eigentlich überhaupt nicht kannte. Er hatte ihr vor zwei Jahren die Erlaubnis erteilt, in seiner Abwesenheit zu heiraten, hatte aber seither nichts mehr von ihr gehört. Ob sie seine Briefe nun las oder nicht, sie waren Balsam für sein Gewissen, und Brutus hatte ihn gedrängt, es zu versuchen.
Es war verlockend, sich ein paar Pferde zu nehmen und in die Stadt zurückzukehren, aber Julius wollte sich vor den Dingen in Acht nehmen, die während seiner Abwesenheit vorgefallen sein mochten. Ohne konsularische Immunität war er dort für jeden seiner Feinde angreifbar. Selbst wenn ihm der Senat den Rang eines Tribuns gelassen hatte, würde ihn das nicht vor der Anklage wegen des Mordes an Ariovist oder wegen Befehlsanmaßung bei der Überschreitung des Rheins schützen. Der Senat schuldete Julius mehr als einen Triumph, aber er bezweifelte, dass Pompeius erfreut darüber sein würde, ihn von den Bürgern bejubelt zu sehen. Die Vermählung mit Julius’ Tochter hatte sein Temperament etwas gezügelt, aber Julius kannte ihn zu gut, um auf seinen guten Willen oder seinen Ehrgeiz zu vertrauen.
Der Winter verging in träger Behaglichkeit. Sie redeten nur selten von den geschlagenen Schlachten, nur wenn Brutus betrunken war, ordnete er die Brotstücke auf dem Tisch an und zeigte Ciro, wie die Helvetier hätten vorgehen müssen.
Die Legionen feierten gemeinsam mit den Städtern die Wintersonnenwende, zündeten auf jedem Haus Lampen an, damit das Versprechen des Frühlings auf allen Straßen zu sehen war. Ariminum glänzte wie ein Juwel in der Dunkelheit, und die Bordelle arbeiteten mit doppelter Besetzung. Von diesem Zeitpunkt an veränderte sich die gesamte Atmosphäre kaum wahrnehmbar. Nachdem die längste Nacht vorüber war, häuften sich auch die Berichte von mutwilliger Zerstörung und Raufereien auf Julius’ Schreibtisch, bis er beinahe versucht war, sie alle auf die Ebene hinauszuschicken, damit sie dort auf freiem Feld kampierten. Nach und nach verbrachte er immer mehr Zeit mit Versorgungs- und Soldangelegenheiten und verfiel wieder in die alten Gewohnheiten, die ihn sein gesamtes Erwachsenenleben über aufrecht gehalten hatten.
Er vermisste Renius und Cabera mehr, als er es jemals für möglich gehalten hätte. Mit einigem Erstaunen hatte er festgestellt, dass er der Älteste unter den Männern war, die sich Crassus’ Haus mit ihm teilten. Während die anderen zu erwarten schienen, dass er Ordnung in ihr Leben brachte, hatte er niemanden, an den er sich wenden konnte, und die Gewohnheiten des Krieges waren zu stark, als dass er sie hätte einfach so ablegen können. Obwohl er einige der Männer im Haus schon seit Jahren kannte, war er doch ihr Vorgesetzter, und es lag immer eine gewisse Zurückhaltung in ihrem Benehmen, wenn er in der Nähe war. Manchmal kam Julius das geschäftige Haus sonderbar einsam vor, aber das Nahen des Frühlings tat ein Übriges, um seine gute Laune wiederherzustellen. Er gewöhnte sich daran, mit Brutus und Octavian durch die Außenbezirke der Stadt zur reiten, damit sie wieder zu Kräften kamen. Ciro beobachtete ihn aufmerksam, wenn sie zusammen waren, und lächelte, wenn der alte Julius wieder zum Vorschein kam, wie flüchtig es auch sein mochte. Alles, was nicht zu sehen war, heilte die Zeit, und obwohl die Tage noch dunkel waren, spürten die Männer den Frühling bereits im Blut.
Das Bündel Briefe, das an einem strahlenden Morgen eintraf, sah aus wie jedes andere. Julius bezahlte den Boten und sortierte sie in einzelne Stapel. Er erkannte Servilias Handschrift auf einem Brief für ihren Sohn und freute sich, weiter unten in dem Bündel einen zweiten zu finden, der an ihn adressiert war. Voller Vorfreude nahm er seinen Brief mit in den vorderen Raum des Hauses und zündete ein Feuer an. Er zitterte, als er das Siegel brach und den Brief öffnete.
Beim Lesen erhob er sich von seinem Sitz und trat direkt in den Schein der aufgehenden Sonne. Er las den Brief von Servilia dreimal durch, bevor er glauben konnte, was dort stand. Dann ließ er sich wieder auf den Stuhl sinken, der Brief fiel ihm aus den Händen.
Der Fürst der Kaufleute war gefallen.
Crassus und sein Sohn hatten die Angriffe der Parther in Syrien nicht überlebt. Der Großteil der von Julius ausgebildeten Legion hatte sich freikämpfen können, aber Crassus hatte einen wilden Angriff angeführt, als er sah, wie sein Sohn vom Pferd stürzte, und der Feind hatte ihn vom Rest seiner Männer abgeschnitten. Die Legionäre hatten ihre Leichen geborgen, und Pompeius hatte einen Tag der Trauer für den alten Mann verkündet.
Julius saß da und starrte in die Sonne, bis die Helligkeit zu viel für ihn wurde und seine Augen brannten. All die alten Namen waren jetzt dahin, und Crassus war ihm, trotz all seiner Fehler, in den dunkelsten Tagen ein Freund gewesen. Julius las Servilias eigenen Kummer zwischen den säuberlichen Zeilen, mit denen sie die Tragödie schilderte, aber Julius war nicht in der Lage, an sie zu denken. Er stand auf und schritt im Zimmer auf und ab.
Abgesehen von dem persönlichen Verlust war Julius gezwungen zu überlegen, inwiefern der Tod des Crassus das Gleichgewicht der Macht in Rom verändern würde. Die Schlüsse, die er zog, gefielen im ganz und gar nicht. Pompeius würde am wenigsten darunter zu leiden haben. Als Diktator stand er über dem Gesetz und dem Triumvirat und würde lediglich Crassus’ Reichtum vermissen. Julius fragte sich, wer wohl jetzt das Vermögen des alten Mannes erben würde, nachdem Publius mit ihm umgekommen war, aber letztendlich spielte das kaum eine Rolle. Weitaus wichtiger war die Tatsache, dass Pompeius keinen erfolgreichen Heerführer mehr im Feld brauchte. Es konnte durchaus sein, dass er einen solchen Mann als Bedrohung betrachtete.
Je genauer sich Julius die Folgen ausmalte, desto blasser wurde er. Wenn Crassus noch am Leben wäre, hätte man einige neue Kompromisse aushandeln können, aber diese Hoffnung war mit ihm in Parthien gestorben. Schließlich wusste Julius, dass er rasch reinen Tisch gemacht hätte, wäre er an Pompeius’ Stelle gewesen, bevor ihm jemand seine Stellung streitig machen konnte. Politik war, wie ihm Crassus einst gesagt hatte, ein blutiges Geschäft.
Unvermittelt ging Julius mit schnellen Schritten zum Tisch und öffnete die restlichen Briefe, wobei er jeweils nur die ersten Zeilen durchlas, bis er erstarrte und tief Luft holte. Pompeius hatte ihm geschrieben, und Julius spürte, wie beim Lesen seiner aufgeblasenen Befehle Zorn in ihm aufstieg. In den Zeilen wurde Crassus’ Tod nicht einmal erwähnt! Angewidert schleuderte Julius den Brief zu Boden und fing an, erneut auf und ab zu schreiten. Obwohl er wusste, dass er von dem Diktator nicht mehr hätte erwarten dürfen, war es ein Schlag, seine Zukunft in diesen Zeilen zu lesen.
Die Zimmertür wurde aufgerissen, und Brutus kam mit seinem eigenen Stapel Briefen herein.
»Hast du’s schon erfahren?«, fragte er.
Julius nickte. In seinem Kopf nahmen bereits erste Pläne Gestalt an.
»Schicke Männer aus, Brutus, sie sollen die Legionen zusammenrufen. Sie sind über den Winter fett und behäbig geworden, und ich will, dass sie bis morgen Mittag die Stadt verlassen und mit Manövern angefangen haben.«
Brutus sah ihn verdutzt an.
»Gehen wir nach Gallien zurück? Was ist mit Crassus? Ich glaube nicht, dass ...«
»Hast du mich verstanden?«, brüllte Julius ihn an. »Die Hälfte unserer Männer ist so gut wie nutzlos, mit ihren Huren und ihrem Wein. Sag Marcus Antonius, dass wir aufbrechen. Er soll am Hafen anfangen und alle zusammentreiben!«
Brutus stand sehr still da. Fragen drängten sich ihm auf, aber er würgte sie ab, seine Disziplin zwang ihn zu salutieren. Dann ging er hinaus, und Julius hörte, wie seine Stimme die anderen im Haus aufscheuchte.
Julius dachte wieder an Pompeius’ Brief und an den Verrat. Kein Hinweis auf die Jahre, die sie einander schon kannten, war in seinen Worten zu finden gewesen. Es war der formelle Befehl, nach Rom zurückzukehren – und zwar allein. Zurück zu dem Mann, der ihn als Einziger auf der ganzen Welt so sehr fürchtete, dass er ihn töten würde.
Julius fühlte sich schwach, und ihm wurde schwindlig, als er die Konsequenzen durchdachte. Pompeius hatte keinen Rivalen, bis auf einen, und Julius traute seinem Versprechen von sicherem Geleit keinen Augenblick. Wenn er sich jedoch widersetzte, bedeutete das einen Kampf auf Leben und Tod, der sehr wohl die Stadt vernichten konnte, und mit ihr alles, was Rom im Laufe von Jahrhunderten erreicht hatte.
Er schüttelte den Kopf, um einen klaren Gedanken zu fassen. Die Stadt erstickte ihn, er sehnte sich nach dem frischen Wind der Ebenen. Dort konnte er nachdenken und seine Antwort planen. Er würde die Männer am Ufer des Rubikon sammeln und um die Weisheit für die richtige Entscheidung beten.
Regulus stand allein in dem kleinen Innenhof von Crassus’ Haus und blickte auf den Brief in seiner Hand. Ein Unbekannter hatte die Worte auf das Pergament geschrieben, aber es konnte nur einen Urheber geben. Nur zwei Worte hockten wie Spinnen mitten auf der ansonsten leeren Seite. Trotzdem las er sie mit versteinerten Zügen wieder und wieder.
Töte ihn, stand dort.
Regulus erinnerte sich an sein letztes Gespräch mit Pompeius in Ariminum. Damals hatte er nicht mit der Wimper gezuckt, aber das war vor seiner Zeit mit Julius in Britannien gewesen, bevor er ihn in Avaricum, Gergovia und Alesia hatte kämpfen sehen. Und schließlich hatte Regulus gesehen, wie Julius Legionen weit über den Punkt hinausgeführt hatte, an dem andere verzagt hätten und vernichtet worden wären. Von da an hatte er gewusst, dass er einem größeren Mann als Pompeius folgte, und nun hielt er den Befehl in der Hand, seinen Feldherrn zu ermorden.
Er wusste, dass der Auftrag leicht zu erfüllen wäre. Nach so vielen gemeinsamen Jahren vertraute ihm Julius rückhaltlos, und Regulus glaubte, dass zwischen ihnen sogar eine Art Freundschaft entstanden war. Julius würde ihn nahe herankommen lassen, und dann würde das seine nur ein weiteres in der langen Reihe der Leben sein, die Regulus für Rom ausgelöscht hatte. Nur ein Befehl mehr, den es zu befolgen galt, wie er schon so viele tausend andere befolgt hatte.
Die morgendliche Brise strich kühl über die Haut des Zenturios, der den Brief erst in zwei und dann in vier Stücke zerriss und erst damit aufhörte, als der Wind die kleinen Fetzen mit sich davontrug. Es war der erste Befehl, den er jemals missachtet hatte, und sein Ungehorsam brachte ihm Frieden.
Pompeius lehnte sich an die Säule des Jupitertempels und blickte über die vom Mondlicht beschienene Stadt unterhalb des Kapitols. Diktator. Der Gedanke ließ ihn den Kopf schütteln und in die Dunkelheit lächeln.
Die Stadt lag friedlich vor ihm. Schon jetzt konnte man sich das Treiben der Banden und die Unruhen, die ihm einst wie das Ende der Welt vorgekommen waren, kaum mehr vorstellen. Pompeius schaute zum neuen Senatsgebäude hinüber und erinnerte sich an die Flammen und die Schreie in der Nacht. In wenigen Jahren würde sich in der Stadt niemand mehr an Clodius und Milo erinnern, aber Rom existierte weiter – und es gehörte ihm allein.
Der Senat hatte seine Diktatur ohne den geringsten Druck seinerseits verlängert. Und das würde wieder geschehen, so lange er es wollte. Sie hatten erkannt, dass es einer starken Hand bedurfte, um all die Gesetze zu durchschlagen, mit denen sie sich selbst die Hände gebunden hatten. Manchmal war so etwas einfach notwendig, damit die Stadt nicht vor die Hunde ging.
Ein Teil von Pompeius wünschte sich, Crassus hätte noch erleben können, was er aus dem Durcheinander gemacht hatte. Die Heftigkeit des Kummers, den Pompeius bei der Nachricht von Crassus’ Tod empfunden hatte, hatte ihn selbst erstaunt. Sie hatten sich mehr als 30 Jahre gekannt, in Zeiten des Friedens und in Zeiten des Krieges, und Pompeius vermisste die Gesellschaft des alten Mannes. Vermutlich konnte man sich an alles gewöhnen.
Er hatte in seinem Leben so viele fallen sehen. Manchmal fiel es ihm schwer zu glauben, dass ausgerechnet er derjenige war, der diese turbulenten Jahre überlebt hatte, während Männer wie Marius, Sulla, Cato und Crassus einer nach dem anderen über den Fluss gegangen waren. Er hingegen war immer noch da, und es gab mehr als nur ein Rennen im Leben. Manchmal bestand der einzige Weg zum Triumph darin, alle anderen zu überleben. Auch das konnte eine besondere Fähigkeit sein.
Die leichte Brise ließ Pompeius erschauern, und er überlegte, ob er nach Hause gehen und ein wenig ruhen sollte. Dann jedoch wanderten seine Gedanken zu Julius und zu den Briefen, die er nach Norden geschickt hatte. Würde ihm Regulus die Entscheidung abnehmen? Pompeius wünschte es sehnlichst. Der Teil von ihm, der sein Ehrgefühl beherbergte, schämte sich für das, was er befohlen hatte und worüber er immer noch nachdachte. Er dachte an Julius’ Tochter, die schwer an dem neuen Leben in ihrem Leib trug. Ihr starker Wille half ihr durch die Schwierigkeiten, die es mit sich brachte, die Frau des mächtigsten Mannes von Rom zu sein. Trotzdem konnte er seine Pläne nicht mit jemandem von Cäsars Blut teilen. Sie hatte ihre Pflicht erfüllt und stand zu dem alten Abkommen, das er mit ihrem Vater getroffen hatte. Es gab nichts mehr, was er noch von ihr brauchte.
Jetzt, da er darüber nachsann, wurde ihm klar, dass er seine Macht niemals teilen würde. Julius würde entweder im Norden getötet werden, oder er würde seinem Befehl nachkommen; das Resultat wäre dasselbe.
Pompeius seufzte bei dem Gedanken und schüttelte den Kopf in aufrichtigem Bedauern. Er durfte nicht zulassen, dass Cäsar am Leben blieb, sonst würde er eines Tages den Senat betreten, und dann würden die blutigen Jahre von neuem beginnen.
»Ich werde es nicht zulassen«, flüsterte er in den Wind, und es gab niemanden, der seine Worte hörte.
Julius saß am Ufer des Rubikon und blickte nach Süden. Er wünschte, Cabera oder Renius wären hier, um ihm mit ihrem Rat zur Seite zu stehen, aber letztendlich musste er die Entscheidung allein treffen, wie so viele Entscheidungen zuvor. In der Nacht rings um ihn lagerten seine Legionen. Er hörte die Wachen ihre Runden in der Dunkelheit abschreiten, und die gedämpft ausgetauschten Parolen bedeuteten Routine und Sicherheit.
Der Mond stand hell am klaren Frühlingshimmel, und Julius lächelte, als er den Blick über die Männer schweifen ließ, die bei ihm saßen. Neben ihm hockte Ciro, auf der anderen Seite waren Brutus und Marcus Antonius, und sie alle schauten über das schimmernde Band des Flusses. Octavian stand nicht weit entfernt bei Regulus, Domitius lag auf dem Rücken und sah zu den Sternen hinauf. Es war so leicht, sich Renius dort vorzustellen, und Cabera neben ihm. Irgendwie waren sie in seiner Vorstellung die Männer, an die er sich erinnerte, bevor Krankheit und Verwundung sie ihm genommen hatten. Publius Crassus und sein Vater waren tot, ebenso wie Bericus. Sein eigener Vater und Tubruk. Cornelia. Der Tod war ihnen allen gefolgt und hatte sie einen nach dem anderen zur Strecke gebracht.
»Wenn ich die Legionen nach Süden führe, bedeutet das einen Bürgerkrieg«, sagte Julius leise. »Meine arme, geschundene Stadt wird noch mehr Blut sehen. Wie viele würden wohl in diesem Jahr für mich sterben?«
Sie schwiegen lange, und Julius wusste, dass sie sich den Frevel, ihre eigene Stadt anzugreifen, kaum vorstellen konnten. Er wagte selbst kaum, es auszusprechen. Sulla hatte es getan und wurde noch heute dafür verachtet. Nach einer solchen Tat gab es für keinen von ihnen mehr einen Weg zurück.
»Du hast gesagt, Pompeius hätte dir sicheres Geleit versprochen«, sagte Marcus Antonius schließlich.
Brutus schnaubte verächtlich. »Unser Diktator hat keine Ehre im Leib, Julius. Vergiss das nicht. Er hat Salomin beim Turnier halbtot schlagen lassen – wo war da seine Ehre? Er ist zu klein für die Fußstapfen des Marius. Wenn du allein zu ihm gehst, lässt er dich niemals wieder ziehen. Sobald du durch das Stadttor geschritten bist, hetzt er seine Messer auf dich. Das weißt du ebenso gut wie wir alle.«
»Was bleibt dir anderes übrig?«, fragte Marcus Antonius. »Einen Bürgerkrieg gegen dein eigenes Volk? Ob die Männer uns überhaupt folgen würden?«
»Ja«, ertönte Ciros Bass aus der Dunkelheit. »Das würden wir.«
Keiner von ihnen wusste, wie er dem großen Mann antworten sollte, und wieder herrschte angestrengtes Schweigen. Sie hörten den Fluss über die Steine plätschern, und sie hörten die Stimmen der Männer rings um sie herum. Bald würde der Morgen dämmern, und Julius war einer Entscheidung immer noch nicht näher als am Anfang.
»Solange ich mich erinnern kann, bin ich im Krieg gewesen«, sagte er leise. »Manchmal frage ich mich, wozu es gut war, wenn ich hier und jetzt damit aufhöre. Wofür habe ich das Leben meiner Freunde hingegeben, wenn ich mich jetzt demütig in den eigenen Tod füge?«
»Vielleicht ist es ja nicht dein Tod! «, sagte Marcus Antonius. »Du sagst, du kennst den Mann, aber er hat versprochen ...«
»Nein«, unterbrach ihn Regulus. Er trat einen Schritt auf Julius zu, und Marcus Antonius blickte zu ihm auf. »Nein. Pompeius würde dich niemals am Leben lassen. Ich weiß es.«
Julius sah die angespannten Züge des Zenturios im Mondlicht und erhob sich.
»Woher?«, fragte er.
»Weil ich sein Vertrauter war, und weil du Ariminum nicht verlassen solltest. Ich habe von ihm den Befehl bekommen, dich zu töten.«
Alle sprangen auf, und Brutus schob sich energisch zwischen Regulus und Julius.
»Du Dreckskerl! Was redest du da?«, fragte Brutus und legte die Hand an den Schwertgriff.
Regulus sah ihn nicht an, sondern hielt noch immer Julius’ Blick stand.
»Ich konnte den Befehl nicht ausführen«, sagte er.
Julius nickte. »Es gibt Befehle, die nicht befolgt werden sollten, mein Freund. Ich bin froh, dass du das erkannt hast. Setz dich hin, Brutus. Wenn er mich töten wollte, würde er es bestimmt nicht vorher ankündigen. Setz dich!«
Widerwillig ließen sich alle wieder ins Gras sinken, nur Brutus funkelte Regulus immer noch böse an. Er traute ihm noch immer nicht.
»Pompeius hat nur eine Legion zum Schutz der Stadt in Rom stehen«, sagte Domitius nachdenklich. Julius warf ihm einen kurzen Blick zu, und Domitius zuckte die Achseln. »Ich meine, wir könnten es schaffen, wenn wir rasch vorgehen, bevor er Verstärkung heranziehen kann. Wenn wir uns beeilen, stehen wir in einer Woche vor den Mauern der Stadt. Gegen unsere kampferprobten Legionen kann er Rom nicht einmal einen Tag lang halten.«
Marcus Antonius verzog angewidert das Gesicht, und Domitius musste lachen, als er seine Miene sah. Es wurde bereits heller am Horizont, und als Domitius fortfuhr und die Hände hob, blickten sie einander vorsichtig an.
»Es wäre zu schaffen, mehr sage ich nicht. Ein Einsatz aufs Ganze. Ein Würfelspiel für Rom.«
»Meinst du, du könntest Legionäre töten?«, fragte ihn Julius. Domitius rieb sich das Gesicht und schaute weg.
»Ich will sagen, dass es vielleicht gar nicht so weit kommt. Unsere Soldaten sind in Gallien abgehärtet worden. Wir wissen, wozu sie in der Lage sind. Ich glaube nicht, dass Pompeius uns irgendetwas entgegensetzen kann.«
Brutus sah den Mann an, dem er seit seiner Kindheit gefolgt war. Er hatte in ihren gemeinsamen Jahren mehr Bitterkeit heruntergeschluckt, als er für möglich gehalten hätte, und als sie jetzt so beisammensaßen, wusste er nicht, ob Julius überhaupt verstand, was er ihm alles gegeben hatte. Seinen Stolz, seine Ehre, seine Jugend. Alles. Er kannte Julius besser als jeder andere, und er sah das Glitzern in den Augen seines Freundes, während dieser einen weiteren Krieg in Erwägung zog. Wie viele von ihnen würden seinen Ehrgeiz überleben?, fragte er sich. Die anderen sahen so vertrauensselig aus, dass Brutus am liebsten die Augen geschlossen hätte, damit ihm nicht schlecht wurde. Doch trotz allem wusste er, dass Julius ihn mit einem einzigen Wort auf seine Seite bringen würde.
Domitius räusperte sich.
»Es ist deine Entscheidung, Julius. Wenn du willst, dass wir nach Gallien zurückkehren und dort verschwinden, bin ich dabei. Die Götter wissen, dass man uns an einigen der Orte, wo wir gewesen sind, niemals finden wird. Aber wenn du nach Rom ziehen und noch einmal alles riskieren willst, bin ich ebenfalls dabei.«
»Noch ein letztes Mal die Würfel werfen?«, fragte Julius, und es war deutlich, dass die Frage an sie alle gerichtet war.
Einer nach dem anderen nickte, bis nur noch Brutus übrig blieb. Julius hob die Augenbrauen und lächelte sanft.
»Ohne dich schaffe ich es nicht, Brutus. Das weißt du.«
»Nun gut. Noch einen Wurf«, flüsterte Brutus und wandte den Blick ab.
Als die Sonne über dem Horizont stieg, überschritten die kriegserfahrenen Legionen aus Gallien den Rubikon und marschierten auf Rom zu.