ZWEITER TEIL OMEN

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Wenn die Reichen sich aus der Stadt zu ihrer Villa auf dem Land begeben (und zurück), machen sie diese Reise mit ganzen Gefolgschaften von Gladiatoren und Leibwächtern. Die umherziehenden Armen reisen in Scharen, die Schauspieler in Truppen. Jeder Bauer, der seine Schafe zum Markt treibt, wird sich mit Hirten umgeben. Wer jedoch allein unterwegs ist -so lautet ein Sprichwort, das so alt ist wie die Etrusker -, hat einen Narren zum Begleiter.

Überall, wo ich bisher gelebt habe, herrscht unter Stadtmenschen der Glaube vor, daß das Leben auf dem Lande sicherer, ruhiger und weniger kriminell und bedrohlich ist. Vor allem die Römer entwickeln eine geradezu blinde Sentimentalität hinsichtlich des Landlebens und seines friedlichen und jedem Zugriff des Verbrechens und niederer Leidenschaft enthobenen Wesens. Dieser Phantasie hängen vor allem diejenigen an, die nie viel Zeit auf dem Lande verbracht haben und vor allem nie einen Tag auf den Straßen gereist sind, die Rom wie in alle Richtungen ausstrahlende Speichen über die ganze Welt gelegt hat. Das Verbrechen lauert überall, und nirgendwo schwebt ein Mann zu jedem Moment in größerer Gefahr als auf offener Straße, besonders wenn er allein unterwegs ist.

Wenn er schon alleine reisen mußte, sollte er sich zumindest sehr schnell fortbewegen und für niemanden anhalten. Die alte Frau, die anscheinend verletzt und verlassen am Straßenrand liegt, ist vielleicht gar nicht verletzt und verlassen und noch nicht einmal eine Frau, sondern ein junger Bandit aus einer Schar von Räubern, Mördern und Entführern. Auf offener Straße kann man leicht sterben oder für immer verschwinden. Für den Unvorsichtigen kann eine Route von zehn Meilen eine unvermutete Wendung nehmen, die auf einem Sklavenmarkt Tausende von Meilen von der Heimat entfernt endet. Der Reisende muß jeden Moment darauf vorbereitet sein, zu fliehen, ohne Scham um Hilfe zu rufen oder, wenn es sein muß, zu töten.

Trotz dieser Gedanken oder vielleicht gerade deswegen verlief der lange Tag ohne Zwischenfälle. Die zurückzulegende Entfernung machte einen

langen, beschwerlichen Ritt ohne Pausen erforderlich. Ich härtete mich rasch gegen die Strapazen ab und gab mich dem Rhythmus eines gleichbleibenden Tempos hin. Den ganzen Tag lang überholte mich kein einziger Reiter. Ich passierte einen Reisenden nach dem andern, als wären sie Schildkröten am Straßenrand.

Die Via Flaminia verläuft von Rom aus in nördlicher Richtung, wobei sie in ihrem Verlauf durch das südöstliche Etrurien zweimal den Tiber kreuzt. Bei der Stadt Narnia führt eine Brücke in den südlichsten Teil Umbriens, und ein paar Meilen nördlich von Narnia gabelt sich die Straße, und der kleinere Abzweig führt zurück zum Flußlauf. Die Straße erklimmt eine Kette von steilen Hügeln, bevor sie in ein flaches Tal mit fruchtbaren Weinbergen und Weiden abfällt. Hier, eingebettet in ein V-förmiges Stück Land zwischen dem Tiber und dem Nar, liegt das verschlafene Städtchen Ameria.

Ich war seit Jahren nicht mehr von Rom aus nach Norden gereist. Wenn ich die Stadt verlassen mußte, führten mich meine Geschäfte für gewöhnlich zum Hafen von Ostia oder durch eine Gegend luxuriöser Villen und Anwesen in südlicher Richtung auf der Via Appia bis zu den Ferienorten Baiae und Pompei, wo die Reichen sich die Langeweile durch die Hervorbringung neuer Skandale und die Planung neuer Untaten vertreiben und die Mächtigen sich in den Bürgerkriegen auf die eine oder andere Seite geschlagen hatten. Gelegentlich wagte ich mich auch in östlicher Richtung vor, in die aufständischen Gebiete, die ihrer Wut auf Rom in einem

Bundesgenossenkrieg Luft gemacht hatten. Im Süden und Osten hatte ich die

Verwüstungen von zehn Jahren Krieg mit eigenen Augen gesehen - zerstörte Bauernhöfe, Brücken und Straßen, Leichenberge, die unbedeckt vor sich hinfaulten, bis sie zu Knochenbergen geworden waren.

Im Norden hatte ich das gleiche Bild erwartet, aber das Land war größtenteils unversehrt; hier waren die Menschen vorsichtig bis zur Feigheit gewesen, hatten mit ihren Einsätzen bis zum letzten Moment gezögert und waren so lange auf dem goldenen Mittelweg geblieben, bis sich ein klarer Sieger abgezeichnet hatte, auf dessen Seite sie sich dann eilends geschlagen hatten. Im Bundesgenossenkrieg hatten sie sich geweigert, sich den

aufständischen Stämmen anzuschließen, die gegenüber Rom auf ihre Rechte pochten, sondern hatten statt dessen gewartet, bis Rom sie um Hilfe bat, und sich so die gleichen Rechte ohne Revolte gesichert. In den Bürgerkriegen hatten sie auf des Messers Schneide zwischen Marius und Sulla, zwischen Sulla und Cinna getanzt, bis der Diktator als Triumphator daraus hervorgegangen war. Sextus Roscius der Ältere hatte sich allerdings schon offen zu Sulla bekannt, bevor es opportun wurde.

Der Krieg hatte die sanft geschwungenen Weiden und dichten Wälder, die die südlichen Gefilde von Etrurien und Umbrien bedeckten, intakt gelassen. Während man in anderen Regionen die Erschütterungen, die Krieg und Umsiedlungen mit sich gebracht hatten, auf tausenderlei Weise spüren konnte, herrschte hier ein Gefühl von Zeitlosigkeit und Unveränderlichkeit, ja beinahe Stagnation vor. Die Menschen begegneten einem Fremden weder mit Freundlichkeit noch mit Neugier; von den Feldern drehten sich Gesichter nach mir um, starrten mich leeren Blickes an und wandten sich dann mit mißmutiger Miene wieder ihrer Arbeit zu. Magere Rinnsale tröpfelte durch steinige Flußbetten; ein feiner Staub bedeckte und verhüllte alles. Die Hitze lastete schwer auf dem Land, aber noch etwas anderes schien wie eine Decke über der Erde zu liegen: eine erstickende und entmutigende Schwermut unter dem gleißenden Sonnenlicht.

Die Monotonie der Reise ließ mir Zeit zum Nachdenken; die sich ständig verändernde Landschaft befreite den Verstand aus den spinnenwebartigen Straßen und Sackgassen Roms. Doch das Rätsel, wer den Angriff auf mein Haus befohlen hatte, entzog sich weiter einer Lösung. Nachdem ich meine Ermittlung ernsthaft aufgenommen hatte, drohte mir von allen Seiten und aus jedem Lager Gefahr - der Ladenbesitzer und seine Frau, die Witwe, die Hure, jeder hätte den Feind warnen können. Aber meine Besucher waren bereits am frühen Morgen gekommen, einen Tag, nachdem ich mich mit Cicero getroffen hatte und für den Fall engagiert worden war, als ich selbst erst auf dem Weg zum Tatort war und noch keine Befragung durchgeführt hatte. Ich listete die Namen derjenigen auf, die schon am Tag zuvor von meinem Engagement gewußt hatten: Cicero selbst und Tiro, Caecilia Metella, Rufus Messalla, Bethesda. Wenn die Intrige gegen Sextus Roscius nicht auf verrückte Weise unlogisch und noch verwickelter war, als ich ahnte, hatte keiner dieser Menschen einen Grund, mich von dem Fall abzuschrecken. Es gab natürlich immer die Möglichkeit eines lauschenden Sklaven entweder in Ciceros oder Caecilias Haus; ein Spion, der die Information an die Feinde von Sextus Roscius weitergeleitet hatte, aber in Anbetracht der von Cicero inspirierten Loyalität und der Art von Bestrafungen unter Caecilias Regime schien mir die Wahrscheinlichkeit lächerlich gering. Trotzdem hatte irgend jemand früh genug von meiner Verwicklung in den Fall erfahren, um dafür zu sorgen, daß tags darauf angemietete Schläger vor meiner Tür standen, irgend jemand, der auch bereit war, mich umbringen zu lassen, wenn ich die Sache nicht fallenließ.

Je länger ich darüber nachdachte, desto verworrener wurde das Problem, und die Gefahr schien ständig zu wachsen, bis ich mich zu fragen begann, ob Bethesda an dem Ort, an dem ich sie zurückgelassen hatte, wirklich sicher war. Wie konnte ich sie schützen, wenn ich keine Ahnung hatte, aus welcher Richtung sie bedroht wurde? Ich schob die Zweifel beiseite und starrte auf die vor mir liegende Straße. Furcht war fruchtlos. Nur die Wahrheit konnte mir Sicherheit bringen.

Bei der zweiten Tiberüberquerung machte ich für einen Moment im Schatten einer riesigen Eiche am Ufer halt. Während ich noch rastete, kamen von Norden ein grauhaariger Bauer und drei Aufseher geritten mit einem Zug von dreißig Sklaven im Schlepptau. Der Bauer und zwei seiner Männer stiegen ab, während der dritte die Hals an Hals geketteten Sklaven zum Trinken an den Fluß führte. Der Bauer und seine Männer hielten sich abseits. Nach ein paar mißtrauischen Blicken in meine Richtung ignorierten sie mich vollends. Aus den wenigen Fetzen ihres Gespräches, die zu mir herüberdrangen, schloß ich, daß der Bauer aus Narnia stammte und unlängst in der Nähe von Falerii zu Land gekommen war, wohin die Sklaven jetzt geführt wurden, um die dort eingesetzten Arbeiter zu verstärken.

Ich nahm einen Bissen Brot und einen Schluck aus meinem Weinschlauch, wobei ich träge eine Biene verscheuchte, die meinen Kopf umkreiste. Die Sklaven stellten sich nebeneinander am Ufer auf, fielen auf die Knie, spritzten sich Wasser ins Gesicht und beugten sich nieder, um wie die Tiere zu trinken. Die meisten von ihnen waren mittleren Alters, einige wenige älter, ein paar jünger. Zum Schutz ihrer Füße trugen sie alle eine Art Sandalen, einen Fetzen Leder, den man ihnen unter die Füße gebunden hatte. Ansonsten waren sie nackt mit Ausnahme von zwei oder drei Sklaven, die sich einen dünnen Lumpen um die Hüfte gewickelt hatten. Viele hatten frische Narben und Striemen auf ihrem Hintern und ihrem Rücken. Selbst die kräftigsten von ihnen sahen ausgezehrt und ungesund aus. Der Jüngste oder doch zumindest Kleinste von ihnen war ein magerer, nackter Junge am Ende des Zuges. Er schluchzte in einem fort und murmelte die ganze Zeit etwas von seiner Hand, die er in einem unmöglichen Winkel in die Luft hielt. Der Aufseher brüllte ihn an, stampfte mit dem Fuß auf und ließ seine Peitsche knallen, aber der Junge hörte nicht auf zu klagen.

Ich aß mein Brot auf, trank einen Schluck Wein und lehnte mich gegen den Baum. Ich versuchte, mich auszuruhen, aber das unaufhörliche, nur vom Knallen der Peitsche unterbrochene Gejammer zerrte an meinen Nerven. Für einen reichen Bauern sind Sklaven billiger als Vieh. Wenn sie sterben, sind sie mühelos zu ersetzen; der Zufluß von Sklaven nach Rom nimmt kein Ende, wie Wellen, die sich am Strand brechen. Ich bestieg Vespa und ritt weiter.

Der Tag wurde immer heißer. Den ganzen Nachmittag lang sah ich kaum einen Menschen. Die Felder waren verlassen worden, bis die Luft sich wieder ein wenig abkühlte, die Straßen waren leer; ich hätte genausogut der einzige Reisende auf der ganzen Welt sein können. Als ich die Gegend von Narnia erreichte, begann sich das Leben auf den Feldern wieder zu regen, und der Verkehr wurde langsam dichter. Narnia selbst ist eine geschäftige Marktstadt. Die Einfallstraßen werden von Grabsteinen und Tempeln gesäumt. Im Zentrum stieß ich auf einen breiten Platz, der im Schatten einiger Bäume lag und von kleinen Läden und Ställen umgeben war. Der süße Duft von Stroh und die strengen Gerüche von Ochsen, Kühen und Schafen lagen schwer in der erhitzten Luft.

An einer Ecke des Platzes befand sich eine kleine Taverne. In die offene Holztür war eine Lehmfliese eingelassen, die einen jungen Hirten zeigte, der sich ein Lamm über die Schulter geworfen hatte; ein Holzschild unter dem Sturz hieß den Gast in der Taverne Zum blökenden Lamm willkommen. Das Innere des Lokals machte einen düsteren und finsteren Eindruck, aber es war kühl. Der einzige andere Gast war ein abgemagerter alter Mann, der an einem Tisch in der Ecke saß und ausdruckslos ins Leere starrte. Der Wirt war ein unglaublich fetter Etrusker mit dunkelgelben Zähnen; er war so riesig, daß er den winzigen Raum fast alleine füllte. Er war glücklich, mir einen Becher des hiesigen Weins bringen zu dürfen.

»Wie weit ist es von hier bis Ameria?« fragte ich ihn.

Er zuckte mit den Schultern. »Wie frisch ist dein Pferd?«

Ich sah mich um und entdeckte in einem versilberten Wasserkrug auf dem Tresen mein Spiegelbild. Mein Gesicht war rot und schweißüberströmt, mein Haar zerzaust und mit Staub bedeckt. »Nicht frischer als ich.«

Er zuckte erneut mit den Schultern. »Eine Stunde, wenn man sich beeilt. Länger, wenn du sichergehen willst, daß deinem Pferd nicht das Herz in der Brust zerspringt. Von woher kommst du denn jetzt?«

»Aus Rom.« Die Worte waren mir herausgerutscht, bevor ich sie zurückhalten konnte. Den ganzen Tag hatte ich mich gemahnt, die Gefahren des Landlebens im Auge zu behalten, aber wenige Augenblicke in einer urigen Taverne hatten meine Zunge schon gelöst.

»Aus Rom? Die ganze Strecke an einem einzigen Tag? Da mußt du aber früh aufgebrochen sein. Nimm noch einen Becher. Keine Sorge, ich werde ihn mit reichlich Wasser verlängern. Rom, sagst du. Ich habe einen Sohn in Rom oder vielmehr, ich hatte einen Sohn. Hat in den Kriegen für Sulla gekämpft. Sollte angeblich ein Stück Land dafür bekommen. Vielleicht hat er das ja auch. Ich habe schon seit Monaten kein Wort mehr von ihm gehört. Die ganze Strecke seit heute morgen? Hast du Familie in Ameria?«

Irgendwie ist es leichter, einem fetten als einem hageren Gesicht zu trauen. Auf einem hageren Gesicht zeichnet sich Hinterhältigkeit ab wie eine Narbe, während sie sich hinter plumper, einfältiger Leere gut zu verbergen weiß. Aber Augen können nicht lügen, und in seinen erkannte ich keine Spur von Verschlagenheit. Mein Gastgeber war lediglich neugierig, geschwätzig und gelangweilt.

»Nein«, sagte ich. »Keine Familie. Geschäfte.« - »Ah. Muß ja sehr wichtig für dich sein, wenn du dafür einen so langen und beschwerlichen Ritt in Kauf nimmst.«

Arglist oder nicht, ich beschloß ihm nur soviel von der Wahrheit anzuvertrauen, wie ich unbedingt mußte. »Mein Patron ist ein ungeduldiger Mann«, sagte ich. »So ungeduldig wie reich. Es gibt ein Stück Ackerland in der Gegend von Ameria, für das er sich interessiert. Ich bin gekommen, um es für ihn zu begutachten.«

»Ah, das passiert ständig. Als ich noch ein kleiner Junge war, gab es in dieser Gegend nur Kleinbauern, Einheimische, die das Land vom Vater auf den Sohn weitervererbten. Jetzt kommen ständig Fremde aus Rom hier hoch und kaufen alles auf. Keiner weiß mehr, wem die Hälfte des Landes eigentlich gehört. Jedenfalls nie deinem Nachbarn, sondern immer irgendeinem reichen Mann in Rom, der zweimal im Jahr hochkommt, um Bauer zu spielen.« Er lachte, dann verdüsterte sich sein Gesicht. »Und je größer die Güter, desto mehr Sklaven schaffen sie her. Früher haben sie sie quer über diesen Platz getrieben oder in Wagen durchgekarrt, bis wir dem einen Riegel vorgeschoben haben und ihre Route von der Hauptverkehrsstraße auf kleinere Wege umgeleitet haben. Es ist nicht gut für einen Mann in Ketten, hier durchzukommen und einen Hauch von Freiheit zu schnuppern. Außerdem bereitet einem Mann wie mir der Anblick von zu vielen unglücklichen Sklaven Unbehagen.«

Noch immer ins Leere starrend, klopfte der alte Mann in der Ecke mit seinem Becher auf den Tisch. Der Wirt watschelte durch den Raum. Die winzigste Anstrengung ließ ihn keuchen und nach Luft schnappen.

»Dann machst du dir Sorgen wegen der entlaufenen Sklaven?« fragte ich.

»Nun, das kommt schon vor. Oh, ich meine, nicht so sehr in dieser Stadt, aber ich habe eine Schwester, die weiter im Norden einen Bauern geheiratet hat. Lebt völlig einsam. Natürlich haben sie ihre eigenen Haussklaven und ein paar Freigelassene zum Schutz. Aber trotzdem, nur ein Narr würde seine Türe nachts unverschlossen lassen. Ich sag dir, eines Tages werden es mehr als nur zwei oder drei entlaufene Sklaven sein. Stell dir mal vor, es wären zwanzig - oder hundert und einige von ihnen professionelle Mörder. Knapp dreißig Meilen weiter nördlich von hier gibt es ein Anwesen, wo Sklaven hingeschickt werden, um als Gladiatoren ausgebildet zu werden. Stell dir mal vor, hundert von diesen Ungeheuern entkommen aus ihren Käfigen und haben nichts mehr zu verlieren.«

»Ach, du bist ein Narr!« bellte der alte Mann. Er hob seinen Becher und leerte ihn in einem Zug. Der Rotwein sickerte aus seinen Mundwinkeln und tropfte sein ergrautes Kinn hinab. Er knallte den Becher auf den Tisch und starrte weiter stur geradeaus. »Narr!« sagte er noch einmal. »Nichts zu verlieren, sagst du? Man würde sie kreuzigen und ihnen die Eingeweide herausreißen! Meinst du, Sulla und der Senat würden es zulassen, daß eine Hundertschaft Gladiatoren mordend und ihre Frauen vergewaltigend durch die Lande zieht? Selbst ein Sklave wird nicht gern an einen Baum genagelt. Keine Sorge, die Not begehrt nicht auf, solange es genug Angst gibt, um sie in Schach zu halten.«

Der alte Mann schob sein Kinn nach vorn und lächelte ein gräßliches Lächeln. Endlich wurde mir klar, daß er blind war.

»Natürlich, Vater«, säuselte der fette Etrusker und machte eine Verbeugung, die der Alte unmöglich sehen konnte.

Ich beugte mich vor und spielte mit dem Becher in meiner Hand. »Angst vor Sklaven oder nicht, heutzutage scheint ein Mann manchmal selbst in seinem eigenen Haus nicht mehr sicher zu sein. Ein Vater ist möglicherweise vor seinem eigenen Sohn nicht sicher. Diesmal nur Wasser, bitte.« Ich hielt meinen Becher hoch. Der Wirt kam hurtig herbeigewatschelt.

»Was willst du damit sagen?« Seine Hände zitterten, als er mir eingoß. Er sah sich nervös über die Schulter nach dem Alten um.

»Ich dachte nur an eine Klatschgeschichte, die ich gestern in Rom gehört habe. Ich habe einigen Bekannten auf dem Forum von meiner Reise erzählt und sie gefragt, ob sie irgend etwas über Ameria wüßten. Naja, die meisten hatten noch nie davon gehört.«

Ich nahm einen großen Schluck und verfiel in Schweigen. Der Wirt kniff die Brauen zusammen, und eine Menge plumper Falten zog auf seiner Stirn auf. Auch der alte Mann bewegte sich zum ersten Mal und neigte seinen Kopf in meine Richtung. Der kleine Raum war auf einmal so still wie eine Grabkammer.

Der Etrusker atmete pfeifend. »Und?«

»Und was?« sagte ich.

»Die Klatschgeschichte!« Es war der Alte. Er zog eine verächtliche Miene und wandte sich ab, als würde ihn das Ganze tatsächlich oder vorgeblich nicht mehr interessieren. »Das kleine Ferkel lebt nur für Klatsch. Schlimmer als seine Mutter je war.«

Der Wirt sah mich an und zog eine hilflose Grimasse.

Ich zuckte müde mit den Schultern, als lohnte es sich kaum, die Geschichte zu erzählen. »Nur irgendwas über einen Prozeß, der demnächst in Rom stattfinden soll, bei dem es um einen Mann aus Ameria geht. Er heißt Roscius, glaube ich; ja, wie der berühmte Schauspieler. Er ist angeklagt wegen - nun ja, es ist mir fast zu peinlich, es auszusprechen - wegen der Ermordung seines eigenen Vaters.«

Der Wirt nickte kaum merklich und trat einen Schritt zurück. Er zog einen Lappen aus seiner Tunika und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn, bevor er begann, den Tresen zu wienern, wobei er wieder vor Anstrengung keuchte. »Tatsächlich?« sagte er schließlich. »Ja, ich habe auch schon davon gehört.«

»Nur schon davon gehört? Ein derartiges Verbrechen in einem so kleinen Ort ganz in der Nähe. Ich hätte gedacht, das ganze Dorf spricht davon.«

»Na ja, es ist ja nicht direkt hier passiert.«

»Nicht?«

»Nein. Das Verbrechen selbst wurde in Rom begangen. Da wurde der alte Roscius ermordet, sagt man.«

»Du hast ihn gekannt, was?« Ich versuchte, weiterhin möglichst beiläufig zu klingen. Der Wirt mochte vielleicht keinen Verdacht schöpfen, aber der alte Mann tat es bestimmt. Das konnte ich an der Art erkennen, wie er seine Lippen schürzte, das Kinn langsam hin und her bewegte und konzentriert auf jedes Wort lauschte.

»Den alten Sextus Roscius? Nein. Also, so gut wie gar nicht. Er war hin und wieder hier, als ich noch ein Junge war, stimmt’s nicht, Vater? Aber in letzter Zeit kaum noch. Schon seit etlichen Jahren nicht mehr. Ein verstädterter Römer mit weltgewandten Manieren, das ist er geworden. Wahrscheinlich ist er noch manchmal nach Hause gekommen, aber er hat nie hier haltgemacht. Hab ich recht, Vater?«

»Narr«, knurrte der alte Mann. »Fetter, tolpatschiger Narr...«

Der Wirt wischte sich erneut die Stirn, warf einen Blick auf seinen Vater und schenkte mir ein verlegenes Lächeln. Ich betrachtete den Alten mit aller falschen Zuneigung, die ich aufbringen konnte, und zuckte mit den Schultern, als wollte ich sagen: Ich verstehe. Alt und unmöglich zu ertragen, aber was soll ein guter Sohn schon machen?

»Eigentlich meinte ich den Sohn, als ich dich fragte, ob du diesen Roscius kennst. Wenn es wahr ist, was man ihm vorwirft - naja, man muß sich ja fragen, was ist das für ein Mensch, der ein derartiges Verbrechen begehen könnte.«

»Sextus Roscius? Ja, den kenne ich. Nicht gut, aber gut genug, um ihn auf der Straße zu grüßen. Etwa in meinem Alter. An Feiertagen ist er hierher auf den Markt gekommen. Und dann hat er auch öfter mal dem blökenden Lamm einen Besuch abgestattet.«

»Und was denkst du? Konnte man es ihm ansehen?«

»Oh, er war über den alten Herrn verbittert, keine Frage. Nicht daß er dauernd davon gesprochen hätte, er war nicht der Typ, der Reden schwingt, selbst wenn er schon ein paar intus hatte. Aber hin und wieder mal ließ er ein Wort fallen. Andere Leute hätten es wahrscheinlich gar nicht bemerkt, aber ich höre zu, und ich höre so manches.«

»Dann glaubst du, er könnte es wirklich getan haben?«

»O nein. Ich weiß mit absoluter Sicherheit, daß er es nicht war.«

»Und woher?«

»Weil er nicht mal in der Nähe von Rom war, als es passiert ist. Oh, es gab jede Menge Gerede, als die Nachricht vom Tod des Alten bekannt wurde, und es gab jede Menge Leute, die bezeugen konnten, daß Sextus seinen Haupthof in Ameria schon seit Tagen nicht mehr verlassen hatte.«

»Aber man beschuldigt den Sohn ja auch gar nicht, selbst zugestochen zu haben. Angeblich hat er bezahlte Mörder gedungen.«

Darauf wußte der Wirt auch nichts zu sagen, war jedoch offensichtlich unbeeindruckt. Er runzelte gedankenvoll die Stirn. »Merkwürdig, daß du den Mord erwähnst. Ich war praktisch der erste, der davon gehört hat.«

»Der erste in Narnia, meinst du?«

»Der erste überhaupt. Es war im letzten September.« Er starrte auf die gegenüberliegende Wand und erinnerte sich. »Der Mord ist nachts passiert; ja, so muß es wohl gewesen sein. Hier in der Gegend herrschte kaltes Wetter, es ging ein böiger Wind, und der Himmel war grau. Wenn ich abergläubisch wäre, würde ich dir jetzt wahrscheinlich erzählen, daß ich in jener Nacht einen bösen Traum hatte oder aufgewacht bin, und ein Geist war im Zimmer.«

»Frevel!« knurrte der alte Mann und schüttelte angewidert den Kopf. »Kein Respekt vor den Göttern.«

Der Wirt schien ihn nicht gehört zu haben und starrte noch immer in die Tiefen der fleckigen Lehmwand. »Aber irgend etwas muß mich aufgeweckt haben, denn ich war am nächsten Morgen sehr früh auf den Beinen. Früher als gewöhnlich. «

»Er war schon immer ein Faulpelz«, murmelte der Alte.

»Warum sollte ein Wirt früh aufstehen? Die Kunden kommen ohnehin meistens erst am späten Vormittag. Aber an jenem Morgen war ich vor Tagesanbruch wach. Vielleicht hatte ich etwas Schlechtes gegessen.«

Der alte Mann schnaubte und knurrte. » Etwas Schlechtes gegessen! Ist es zu fassen?«

»Ich hab mich gewaschen und angezogen. Ich hab meine Frau schlafen lassen und bin die Treppe runter in diesen Raum gekommen. Über den Hügeln sah man die ersten Streifen der Dämmerung. Es hatte über Nacht aufgeklart; nur am Horizont im Osten stand eine einzelne Wolke, die von unten in rotes und gelbes Licht getaucht war. Und auf der Straße kam ein Mann aus südlicher Richtung. Ich habe ihn als erster gehört - du weißt doch, wie weit Geräusche zu hören sind, wenn die Luft noch still und kühl ist. Dann hab ich ihn gesehen, in einem leichten, von zwei Pferden gezogenen Wagen, so schnell, daß ich fast ins Haus gegangen wäre, um mich zu verstecken. Statt dessen hielt ich die Stellung, und als er herankam, wurde er langsamer und blieb stehen. Er nahm seine Lederkappe ab, und ich erkannte, daß es Mallius Glaucia war.«

»Ein Freund?«

Der Wirt rümpfte die Nase. »Vielleicht hat er einen Freund, jedenfalls nicht mich. War früher Sklave, und selbst damals war er schon unverschämt und arrogant. Sklaven schlagen nach ihren Herren, und das gilt ganz besonders für Mallius Glaucia.

Auf der anderen Seite des Hügels in Ameria wirst du zwei verschiedene Zweige der Familie Roscius antreffen«, fuhr er fort. »Sextus Roscius, Vater und Sohn, die Ehrbaren, die das Gut aufgebaut und sich ein Vermögen erarbeitet haben; und diese beiden Vettern, Magnus und Capito und ihre Familie. Üble Typen, würde ich sagen, obwohl ich nicht behaupten kann, je viel mit ihnen zu tun gehabt zu haben, außer daß ich hin und wieder ein Glas Wein an sie ausgeschenkt habe. Aber manchen Menschen sieht man es einfach an, daß sie gefährlich sind. Und solche Typen sind Magnus und der alte Capito. Mallius Glaucia, der Mann, der an jenem Morgen aus dem Süden herangedonnert kam, war von Geburt an Magnus’ Sklave, bis der ihn freigelassen hat. Zweifelsohne als Belohnung für irgendein entsetzliches Verbrechen. Glaucia blieb weiter in Magnus’ Diensten, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Sobald ich sah, daß er der Mann auf dem Wagen war, wünschte ich, ich wäre hinter der Tür verschwunden, bevor er mich sehen konnte.«

»Ein großer Mann, dieser Mallius Glaucia?«

»Die Götter selbst können nicht größer sein.«

»Hübsch anzusehen?«

»Er hat vielleicht hübsches blondes Haar, aber sonst ist er häßlich wie ein Säugling. Mit derselben knallroten Gesichtsfarbe. Wie dem auch sei, er kommt also mit seinem Wagen angebraust. >Du hast aber früh auf<, sagt er. Ich hab ihm erklärt, daß ich keineswegs schon geöffnet hätte, und machte Anstalten, nach drinnen zu verschwinden. Ich wollte gerade die Tür zuschlagen, als er seinen Fuß dazwischen klemmte. Ich erklärte ihm noch mal, daß das Lokal noch nicht geöffnet wäre, und versuchte, die Tür zu schließen. Aber er hielt seinen Fuß eisern dagegen. Dann stieß er mit einem Dolch in den offenen Spalt. Und als ob das allein nicht schon schlimm genug gewesen wäre, war der Dolch nicht glänzend und sauber - o nein. Die Klinge war blutverschmiert.«

»Rot oder schwarz?«

»Nicht mehr allzu frisch, aber auch noch nicht uralt. Das meiste Blut auf der Klinge war schon getrocknet, aber in der Mitte, wo es am dicksten war, war es noch ein wenig feucht und rot. So sehr ich mich auch anstrengte, ich kriegte die Tür nicht zu. Ich wollte laut um Hilfe rufen, aber meine Frau ist ängstlich, mein Sohn ist weg, meine Sklaven hätten keine Chance gegen Glaucia, und von wem sollte ich Hilfe erwarten...« Er warf einen schuldbewußten Blick zu dem alten Mann in der Ecke. »Also hab ich ihn reingelassen. Er wollte Wein pur, ohne Wasser. Ich brachte ihm einen Becher; er kippte ihn in einem Zug weg, warf ihn auf den Boden und verlangte eine ganze Flasche. Er saß genau da, wo du jetzt sitzt, und trank die ganze Flasche leer. Ich versuchte ein paarmal, den Raum zu verlassen, aber jedesmal wenn ich gehen wollte, fing er an, mit lauter Stimme mit mir zu reden, in einer Art und einem Ton, daß ich wußte, er wollte, daß ich blieb und ihm zuhörte.

Er hat gesagt, er käme direkt aus Rom und wäre erst nach Einbruch der Dunkelheit losgefahren. Er hat gesagt, er habe schreckliche Neuigkeiten. Und dann hat er mir erzählt, daß Sextus Roscius tot war. Ich hab mir nicht viel dabei gedacht. >Ein alter Mann<, sagte ich zu ihm, >War es das Herz?< Und Glaucia lachte. >Etwas in der Richtung<, sagte er. >Ein Messer im Herz, wenn du es genau wissen willst. < Und dann stach er mit der blutigen Klinge in diesen Tisch.«

Mit seinem kurzen, pummeligen Arm zeigte der Wirt auf die Stelle. Ich blickte nach unten und sah neben meinem Becher eine tiefe Kerbe in dem rauhen Holz.

»Na ja, ich nehme an, er hat meinen Gesichtsausdruck bemerkt. Er lachte erneut - das muß der Wein gewesen sein. >Nun mach dir mal nicht in die Hose, Wirt<, sagte er. >Ich war es nicht. Sehe ich aus, als könnte ich einen Menschen töten? Aber das ist die Klinge, mit der es geschehen ist, direkt aus dem Herz des Toten gezogene Dann wurde er wütend. >Glotz mich nicht so an!< brüllte er. >Ich hab dir doch gesagt, ich war’s nicht. Ich bin bloß der Bote, der den Verwandten zu Hause die schlechte Nachricht zu überbringen hat.< Und dann taumelte er aus der Tür, stieg in seinen Wagen und war verschwunden. Kann man es mir da übelnehmen, wenn ich sage, ich werde nie wieder früh aufstehen?«

Ich starrte auf den Tisch und die Narbe, die die Klinge hinterlassen hatte. Durch die Art, wie das Licht ins Zimmer fiel, und weil ich sie so angestrengt betrachtete, schien sie tiefer und dunkler zu werden, je länger ich hinstarrte. »Dieser Mann kam also, um Sextus Roscius zu erzählen, daß sein Vater ermordet worden war?«

»Nicht direkt. Das heißt, er kam nicht, um es Sextus Roscius zu berichten. Die Leute erzählen sich, daß Sextus die Neuigkeit erst irgendwann im Laufe des Nachmittags erfahren hat, als die Geschichte schon als Dorfklatsch die Runde machte. Ein Nachbar traf ihn auf der Straße und sprach ihm sein Beileid aus, weil er natürlich davon ausging, daß Sextus Bescheid wußte. Am nächsten Tag traf aus Rom ein Bote aus dem Haus des alten Herrn ein - er hat auch in dieser Taverne Rast gemacht -, aber zu dem Zeitpunkt war die Neuigkeit ja schon nicht mehr neu.«

»Wem hat dieser Glaucia die Nachricht dann überbracht? Seinem früheren Herrn Magnus?«

»Wenn Magnus überhaupt in Ameria war. Aber der Bengel verbringt neuerdings die meiste Zeit in Rom, wo er sich mit den Banden herumtreibt, wie man hört, und Geschäfte für seinen älteren Vetter erledigt; ich meine den alten Capito. Dem hat Glaucia wahrscheinlich Bericht erstatten wollen. Obwohl man nicht annehmen sollte, daß Capito wegen dem alten Roscius eine Träne vergießen würde; man kann nicht behaupten, daß die beiden Zweige der Roscius-Familie sich besonders mögen. Die Fehde reicht schon Jahre zurück.«

Das blutige Messer, der mitten in der Nacht losgesandte Bote, die alte Familienfehde; die Schlußfolgerung schien offensichtlich. Ich wartete darauf, daß der Wirt sie aussprach, aber er seufzte nur und schüttelte den Kopf, als wäre er am Ende seiner Geschichte angekommen.

»Aber«, sagte ich, »nach allem, was du mir erzählst, kann doch niemand ernsthaft annehmen, daß Sextus Roscius seinen Vater getötet hat.«

»Ah, das ist der Teil, der für mich auch keinen Sinn ergibt. Überhaupt keinen. Weil jedermann weiß, zumindest hier in der Gegend, daß der alte Sextus Roscius von Sullas Leuten umgebracht wurde oder zumindest von einer Bande, die in Sullas Namen gehandelt hat.«

»Was?«

»Der alte Herr wurde geächtet. Zum Staatsfeind erklärt. Auf die Listen gesetzt.«

»Nein. Du mußt dich irren. Du hast diese Geschichte mit einer anderen verwechselt.«

»Na ja, es gab noch ein paar andere aus dieser Gegend, die reguläre Geschäfte und Häuser in Rom hatten und auf die Listen gesetzt wurden. Entweder hat es sie den Kopf gekostet, oder sie sind geflohen. Aber die würde ich bestimmt nicht mit Sextus Roscius verwechseln. Es ist hier allgemein bekannt, daß der Mann Opfer der Proskriptionen geworden ist.«

Aber er war doch ein Anhänger Sullas, wollte ich sagen, hielt mich jedoch im letzten Moment zurück.

»So ist das nun mal«, sagte der Wirt. »Ein paar Tage später traf ein Trupp Soldaten aus Rom ein und machte eine öffentliche Bekanntmachung, bei der verkündet wurde, daß Sextus Roscius pater ein Feind des Staates und als solcher in Rom getötet worden sei. Sein Besitz sollte konfisziert und versteigert werden.«

»Aber das Ganze hat sich im letzten September ereignet. Die Proskriptionen waren vorbei, und zwar schon seit Monaten.«

»Glaubst du, daß das auch das Ende von Sullas Feinden war? Was sollte ihn davon abhalten, einen weiteren aufzuspüren?«

Ich rollte den leeren Becher zwischen meinen Handflächen hin und her und starrte auf seinen Grund. »Du hast diese Bekanntmachung wirklich mit eigenen Ohren gehört?«

»Ja, wenn du es genau wissen willst. Zuerst haben sie es in Ameria verkündet, wie man mir erzählt hat, aber dann haben sie das Ganze hier noch mal wiederholt, weil es Familien gibt, die in beiden Städten ansässig sind. Wir waren natürlich schockiert, aber die Kriege haben so viel Bitterkeit und Zerstörung hinterlassen, daß ich nicht behaupten könnte, irgend jemand hätte eine Träne wegen des alten Mannes vergossen.«

»Aber wenn das, was du sagst, wahr ist, dann muß der jüngere Sextus Roscius enterbt worden sein.«

»Ja, vermutlich. Wir haben ihn schon seit geraumer Zeit nicht mehr hier in der Gegend gesehen. Neuerdings erzählt man sich, daß er in Rom bei der Patronin des alten Herrn wohnt. Na ja, offensichtlich steckt mehr hinter der Sache, als man auf den ersten Blick erkennt.«

»Offensichtlich. Wer hat denn dann die Güter des alten Mannes aufgekauft?«

»Dreizehn Höfe hat er angeblich besessen. Nun, der alte Capito muß auf jeden Fall als erster an der Reihe gewesen sein, denn er hat die drei besten bekommen, einschließlich des alten Familienstammsitzes. Man sagt, er hätte den jungen Sextus persönlich rausgeschmissen, ihn mit einem Tritt vor die Tür befördert. Aber der Besitz gehört jetzt ihm, offen und ehrlich; er hat ihn auf der staatlichen Auktion in Rom rechtmäßig ersteigert.«

»Und die anderen Höfe?«

»Hat alle irgendein reicher Bursche aus Rom gekauft; ich kann mich nicht erinnern, seinen Namen je gehört zu haben. Hat wahrscheinlich noch nie selbst einen Fuß nach Ameria gesetzt, bloß ein weiterer Großgrundbesitzer, der die Gegend aufkauft. Wie dein Auftraggeber bestimmt auch. Ist das dein Problem, Bürger, Neid? Na, die Gans ist jedenfalls schon gründlich ausgenommen. Wenn du nach gutem Land in Ameria suchst, mußt du wohl noch ein bißchen weitersuchen.«

Ich warf einen Blick durch die offene Tür. Von der Stelle, wo ich Vespa angebunden hatte, warf ihr Schwanz einen seltsam in die Länge gezogenen Schatten, der nervös über die staubige Türschwelle zuckte. Die Schatten waren lang geworden; der Tag neigte sich schnell seinem Ende zu, und ich hatte noch keinen Plan für die Nacht. Ich nahm ein paar Münzen aus meiner Börse und legte sie auf den Tisch. Der Wirt sammelte sie ein und verschwand durch eine enge Tür in den hinteren Teil des Ladens, wobei er sich seitwärts durch die Öffnung quetschen mußte.

Der alte Mann wandte seinen Kopf und spitzte die Ohren, als er das raschelnde Geräusch hörte. »Gierig«, murmelte er. »jedesmal, wenn er eine Münze kriegt, trägt er sie gleich in sein kleines Kästchen. Muß Stunde um Stunde Buch führen, kann nicht warten, bis er die Taverne geschlossen hat. Schon immer fett gewesen, ein gieriges Schweinchen. Er kommt ganz nach der Mutter, nicht nach mir, wie man sieht.«

Ich ging leise Richtung Tür, aber nicht leise genug. Der Alte sprang hoch und baute sich vor mir auf der Schwelle auf. Er schien mir durch den milchigen Schleier, der über seinen Augen lag, ins Gesicht zu starren. »Du«, sagte er, »Fremder. Du bist nicht hier, um Land zu kaufen. Du bist wegen dieses Mordes hier, stimmt’s?«

Ich mühte mich, eine Unschuldsmiene aufzusetzen, bis mir wieder einfiel, daß das nicht nötig war. »Nein«, sagte ich.

»Auf wessen Seite bist du? Auf Sextus Roscius’ oder auf Seiten seiner Ankläger?«

»Ich hab dir doch schon gesagt, Alter -«

»Ist es nicht rätselhaft, daß ein alter Mann geächtet und sein eigener Sohn anschließend dieses Verbrechens angeklagt werden kann? Und ist es nicht merkwürdig, daß ausgerechnet der elende Capito davon profitieren sollte? Und noch merkwürdiger, daß eben dieser Capito der erste in ganz Ameria ist, der Wind von dem Mord bekommt, und der Überbringer der nächtlichen Nachricht ist Glaucia - der nur von einem Mann geschickt worden sein kann, jenem niederträchtigen Magnus. Wie hat Magnus so schnell von dem Vorfall erfahren, warum hat er einen Boten losgeschickt, und wie kommt der in Besitz des blutigen Dolches? Für dich ist der Fall ganz klar, oder nicht? Zumindest glaubst du das.

Mein Sohn erzählt dir, der junge Sextus sei unschuldig, aber mein Sohn ist ein Narr, und du wärest ebenso ein Narr, wenn du auf ihn hören würdest. Er sagt, er hört alles, was in diesem Raum gesprochen wird, aber er hört gar nichts; er ist viel zu beschäftigt damit, selber zu reden. Ich bin derjenige, der hört. Seit zehn Jahren, seit ich meine Augen verloren habe, habe ich gelernt zu hören. Davor hab ich auch nie was gehört - ich dachte, ich hätte gehört, aber ich war taub, genau wie du taub bist oder jeder andere Mensch mit Augen auch. Du würdest nicht glauben, was ich alles höre. Ich höre jedes Wort, was in diesem Raum gesprochen wird, und sogar ein paar, die nicht gesagt werden. Ich höre die Worte, die Männer still vor sich hinflüstern, ohne sich bewußt zu sein, daß ihre Lippen sich bewegen oder ihr Atem leise Seufzer ausstößt.«

Ich berührte seine Schulter und wollte ihn sanft beiseite schieben, aber er stand fest wie eine Eisenstange.

»Der junge und der alte Sextus Roscius, ich kenne sie beide seit Jahren. Und laß mich dir eines sagen, egal wie unmöglich es scheint und worauf alle anderen Beweise auch hindeuten mögen, der Sohn steckt hinter dem Mord an dem Vater! Wie sie sich gegenseitig gehaßt haben! Es fing an, als Roscius seine zweite Frau nahm und einen Sohn von ihr hatte, Gaius, den Sohn, den er bis zu dessen Tod verwöhnte und verhätschelte. Ich kann mich noch an den Tag erinnern, an dem er den Säugling mit in diese Taverne brachte und jedem das hübsche, goldgelockte Ding in den Arm drückte, denn welcher

Vater ist nicht stolz auf einen neugeborenen Sohn. Und der junge Sextus stand derweil in der Tür, vergessen, unbeachtet, aufgeblasen, voll Haß wie eine Kröte. Damals konnte ich noch sehen. Ich weiß nicht mehr, wie eine Blume aussieht, aber das Gesicht dieses jungen Mannes sehe ich noch immer vor mir, und den Ausdruck purer Mordlust in seinen Augen.«

Ich glaubte gehört zu haben, daß der Wirt zurückgekommen war, und sah mich um.

»Sieh mich an!« kreischte der alte Mann. »Glaub nicht, ich wüßte nicht, wann du dich abwendest - ich höre es an deinem Atem. Sieh mich an, wenn ich mit dir rede! Und höre die Wahrheit: Der Sohn haßte den Vater, und der Vater haßte den Sohn. Ich konnte spüren, wie der Haß in genau diesem Raum wuchs und schwärte, Jahr für Jahr. Ich hörte die Worte, die nie ausgesprochen wurden - die Worte der Wut, der Verbitterung, der Rache. Und wer sollte es einem von beiden verdenken, vor allem dem Vater - einen solchen Sohn zu haben, einen solchen Versager, eine solche Enttäuschung. Ein gieriges, kleines Schwein, das ist aus ihm geworden. Gierig und fett und respektlos. Stell dir den Kummer vor, die Verbitterung! Ist es ein Wunder, daß mein Enkel nie zu Besuch kommt und nicht mit seinem Vater reden will? Man sagt, Jupiter verlangt, daß ein Sohn seinem Vater gehorcht und ein Vater seinem Vater, aber welche Ordnung kann es geben in einer Welt, in der die Männer blind oder fett werden wie die Schweine? Die Welt ist ein Trümmerfeld, verloren und ohne jede Hoffnung auf Erlösung. Die Welt ist finster ... «

Ich wich entsetzt zurück. Im nächsten Moment schob mich der fette Wirt beiseite, packte den alten Mann bei den Schultern und zerrte ihn aus dem Weg. Ich trat durch die Tür und sah mich um. Die milchigen Augen des Alten waren starr auf mich gerichtet. Er plapperte weiter. Sein Sohn hatte das Gesicht abgewendet.

Ich band Vespa los, stieg auf und ritt, so schnell ich konnte, aus der Stadt und über die Brücke.

17

Vespa schien es genauso eilig zu haben wie ich, das Dorf Narnia hinter sich zu lassen. Sie muckte nicht auf, als ich sie für den Rest unserer Tagesreise hart herannahm. Als wir ein wenig nördlich von Narnia eine Weggabelung erreichten, blieb sie nur widerwillig stehen.

An der Gabelung stand ein öffentlicher Wassertrog. Ich ließ sie langsam trinken und zügelte sie jedesmal nach einigen Schlucken. Hinter dem Trog stand ein primitives Schild, ein auf einen Stock montierter Ziegenschädel. In die ausgebleichte Stirn hatte jemand einen nach links weisenden Pfeil und das Wort AMERIA geritzt. Ich verließ die breite Via Flaminia und folgte der Nebenstraße nach Ameria, einem schmalen Pfad, der sich auf den Sattel einer steilen Hügelkette wand.

Wir begannen den Aufstieg. Auch Vespa wurde jetzt langsam müde, und die Stöße gegen mein Hinterteil ließen mich mit den Zähnen knirschen. Ich beugte mich vor und streichelte ihren Hals. Die letzte Hitze des Tages löste sich nach und nach auf, und die steile Wand der Hügelkette tauchte uns in kühlen Schatten.

Unweit des Gipfels traf ich auf eine Gruppe von Sklaven, die sich um einen Ochsenkarren geschart hatten und halfen, ihn auf die Kuppe des Hügels zu schieben. Das Vehikel schlingerte und schwankte, bis es schließlich ebenen Boden erreicht hatte. Die Sklaven stützten sich aufeinander, einige von ihnen lächelten erleichtert, andere waren zu erschöpft, um irgendwelche Gefühlsregungen zu zeigen. Ich ritt bis zum Wagenlenker vor und winkte.

»Machst du diese Fahrt oft?« fragte ich.

Der Junge fuhr zusammen, als er meine Stimme hörte, und lächelte dann. »Nur wenn es etwas zum Markt nach Narnia zu bringen gibt. Die Fahrt diesen Hügel hinunter ist der eigentlich gefährliche Teil.«

»Das kann ich mir vorstellen.«

»Im letzten Jahr haben wir dabei einen Sklaven verloren. Er hat geholfen, den Wagen bei der Talfahrt abzubremsen und ist unter ein Rad gekommen. Auf der anderen Seite nach Ameria runter ist es nicht halb so steil.«

»Aber es geht trotzdem bergab. Das wird meinem Pferd gefallen.«

»Ein wunderschönes Tier.« Er betrachtete Vespa mit der Bewunderung eines Bauernjungen.

»Und«, sagte ich, »kommst du aus Ameria?«

»Nicht direkt. Ich lebe außerhalb der Stadt am Fuß des Hügels.«

»Vielleicht kannst du mir sagen, wie ich das Haus von Sextus Roscius finde.«

»Das kann ich schon. Es ist nur so, daß Sextus Roscius nicht mehr dort lebt.«

»Du meinst den Alten?«

»Oh, den man ermordet hat? Wenn du den suchst, wirst du seine Überreste in der Familiengruft finden. Er hat nie in Ameria gelebt, soweit ich weiß, jedenfalls nicht seit meiner Geburt.«

»Nein, nicht den alten Mann; den Sohn.«

»Er hat ganz in der Nähe vom Haus meines Vaters gelebt, wenn du den mit den beiden Töchtern meinst.«

»Ja, er hat eine Tochter etwa in deinem Alter; ein sehr hübsches Mädchen.«

Der Bursche grinste. »Sehr hübsch. Und sehr freundlich.« Er zog die Brauen hoch, was wohl welterfahren wirken sollte. Das Bild von Roscias nacktem Körper blitzte in meinem Kopf auf. Ich sah sie gegen die Wand gedrückt, matt vor Befriedigung, mit dem vor ihr knienden Tiro. Vielleicht war er nicht der erste gewesen.

»Erklär mir den Weg zu seinem Haus«, sagte ich. Er zuckte die Schultern. »Ich kann dir erklären, wie man dort hinkommt, aber wie gesagt, es ist nicht mehr sein Haus. Man hat Sextus Roscius vertrieben.«

»Wann?«

»Vor ungefähr zwei Monaten.«

»Und warum?«

»Per Gesetz, verfügt von Rom. Sein Vater war geächtet worden. Weißt du, was das heißt?«

»Nur zu gut.«

Er fuhr sich mit dem Finger über die Kehle. »Und dann nehmen sie einem das ganze Land und alles Geld ab. Sie lassen der Familie nichts. Unten in Rom hat es irgendeine Auktion gegeben. Mein Vater sagte, er hätte nichts dagegen, bei einigen Grundstücken mitzubieten, vor allem bei solchen, die an unser Land grenzen. Aber er meinte, es wäre sinnlos. Die Auktionen sind immer manipuliert. Man muß ein Freund eines Freundes von Sulla sein oder den richtigen Mann kennen, den man bestechen kann.«

Das war bereits das zweite Mal, daß ich diese Proskriptionsgeschichte hörte. Sie ergab keinen Sinn, aber wenn sie stimmte, war es denkbar einfach zu beweisen, daß Sextus Roscius am Tod seines Vaters unschuldig war.

»Und wer wohnt jetzt dort?«

»Der alte Capito. Hat den Familiensitz und ein paar der besten Ackergrundstücke gekauft. Mein Vater hat auf den Boden gespuckt, als er hörte, wer unser neuer Nachbar werden würde. Den ganzen Winter hindurch hat Capito Sextus und seiner Familie erlaubt, in dem Haus wohnen zu bleiben. Die Menschen hier haben es nur für recht und billig gehalten, daß Capito Mitleid mit ihnen hatte. Dann hat er sie endgültig rausgeworfen.«

»Und hat niemand sie bei sich aufgenommen? Sextus Roscius muß doch Freunde gehabt haben, die ihm irgendwie verpflichtet waren.«

»Du wärst überrascht, wie schnell ein Mann seine Freunde verlieren kann, wenn es Ärger aus Rom gibt, sagt mein Vater immer. Außerdem war Roscius ein Einzelgänger; ich kann nicht sagen, daß er viele Freunde gehabt hätte. Mein Vater war vermutlich am ehesten so etwas wie sein Freund, wo wir doch Nachbarn waren. Nachdem Capito ihn rausgeworfen hatte, hat er ein paar Nächte unter unserem Dach gewohnt. Er und seine Frau und die Töchter.« Die Stimme des Jungen verlor sich, und an seinen Augen erkannte ich, daß er an Roscia dachte. »Aber er ist nicht lange in Ameria geblieben, sondern hat sich gleich auf den Weg nach Rom gemacht. Man sagt, der Alte hätte dort eine einflußreiche Patronin gehabt, die Sextus um Hilfe bitten wollte.«

Wir ritten eine Weile schweigend weiter. Die Räder des Ochsenkarrens quietschten und klapperten über die holperige Straße. Die Sklaven trotteten nebenher. »Du hast gesagt, der alte Herr sei geächtet worden«, sagte ich.

»Ja.«

»Und als das verkündet wurde, hat da niemand protestiert?«

»Oh doch. Man hat eine Delegation zu Sulla geschickt. Aber wenn du das wirklich genau wissen willst, müßtest du mit meinem Vater reden.«

»Wie heißt dein Vater?«

»Titus Megarus. Ich bin Lucius Megarus.«

»Und mein Name ist Gordianus. Ja, ich würde sehr gern mit deinem Vater sprechen. Sag mal, wie würde er wohl reagieren, wenn du einen Fremden zum Abendessen mitbringen würdest?«

Der Junge war auf einmal mißtrauisch. »Ich glaube, das würde drauf ankommen.«

»Worauf?«

»So wie du redest, hast du irgendein Interesse an Capito und seinem Land.«

»So ist es.«

»Und auf wessen Seite stehst du?« - »Ich bin für Sextus und gegen Capito.«

»Dann wäre mein Vater, glaube ich, erfreut, dich zu sehen.«

»Gut. Ist es noch weit bis zu eurem Haus?«

»Siehst du die Rauchfahne da rechts, genau über den Bäumen? Das ist es.«

»Das ist ja ganz nah. Und wo liegt Capitos Haus?«

»Noch ein Stück weiter, auf der anderen Seite der Hauptstraße, zu deiner Linken. Nach der nächsten Biegung kann man gleich für einen Moment das Dach sehen.«

»Sehr gut. Tu mir einen Gefallen: Wenn du nach Hause kommst, erzähl deinem Vater, daß ein Mann aus Rom ihn heute abend zu sprechen wünscht. Sag ihm, ich bin ein Freund von Sextus Roscius. Wenn er mich an seinen Tisch laden würde, wäre ich ihm überaus dankbar. Wenn ich unter eurem Dach schlafen könnte, wäre ich ihm zu doppeltem Dank verpflichtet; ein Platz in der Scheune würde mir völlig reichen. Wäre er beleidigt, wenn ich ihm Geld anbieten würde?«

»Wahrscheinlich.«

»Dann laß ich es lieber. Hier trennen sich unsere Wege für eine Weile. «Als wir die Wegbiegung hinter uns hatten, konnte ich durch die Bäume im letzten Sonnenlicht in der Ferne ein rotes Ziegeldach erkennen.

»Wo willst du hin?«

»Ich werde mal kurz bei eurem neuen Nachbarn vorbeischauen. Es ist wahrscheinlich zwecklos, aber ich möchte zumindest einen Blick auf das Haus und vielleicht auch auf seinen Besitzer werfen.« Ich winkte dem Jungen zu und drängte Vespa dann zu einem gleichmäßigen Trab.

Das Haus, in dem Sextus Roscius der Jüngere geboren und groß geworden war und über das er in Abwesenheit seines Vaters geherrscht hatte, war das großartige Beispiel einer idealen Landvilla, ein imposantes, zweistöckiges Gebäude mit einem roten Lehmdach, umgeben von einer Ansammlung von Schuppen und Scheunen. Im schwächer werdenden Licht hörte ich das Läuten von Kuhglocken und das Blöken von Schafen. Die Herden wurden heimgetrieben. Arbeiter kamen durch Weinlauben von den Feldern getrottet; eine lange Reihe von Sensen schien über ein Meer von Blättern und Ranken zu treiben. Ihre scharfen Klingen fingen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne ein und blitzten kalt und blutfarben herüber.

Das Haupthaus war Gegenstand umfangreicher Renovierungsarbeiten. Ein Labyrinth von Stegen und Netzen verdeckte die Fassade, und links und rechts des Hauses wurden symmetrische Seitenflügel angebaut. Die Anbauten befanden sich noch in halbfertigem Zustand und wirkten wie blanke Gerippe. Durch den linken Seitenflügel konnte ich Ansätze einer Gartenanlage erkennen, in der ein rotgesichtiger Kampfhahn von einem Mann ungeduldig zwischen den Erdarbeiten und Spalieren auf und ab schritt und einer Gruppe von Sklaven Befehle zubellte. Die Sklaven stützten sich auf ihre Spaten, ihre dreckverschmierten Gesichter trugen den gelangweilten Ausdruck von Menschen, die man schon sehr lange angebrüllt hat.

Ihr Herr tobte weiter, und es machte nicht den Eindruck, als wolle er demnächst aufhören. Er rannte vor und zurück, fuchtelte mit den Armen und schien die Luft mit seinen Fäusten erwürgen zu wollen. Er war ein Mann auf der Schwelle zum Alter, weißhaarig und leicht gebeugt. Bei seiner Auf- und Abmarschiererei konnte ich sein Gesicht nur jeweils einen Moment lang sehen. Seine Haut war gegerbt und von Pockennarben übersät. Nase, Wangen und Kinn schienen ineinander überzugehen. Bemerkenswert waren allein seine Augen, die hell wie die Klingen der weit entfernten Sensen im letzten Tageslicht funkelten.

Ich stieg ab und hielt Vespas Zügel, während ich an die Tür klopfte. Der große, hagere Sklave, der öffnete, starrte unterwürfig auf meine Füße und erklärte in einem verängstigten Flüstern, daß sein Herr außer Haus beschäftigt sei.

»Ich weiß«, sagte ich. » Ich hab gesehen, wie er im Garten eine Parade abhält. Aber es ist nicht dein Herr, den ich sprechen möchte.«

»Nicht? Ich fürchte, die Herrin ist ebenfalls unabkömmlich.« Der Sklave blickte auf, jedoch nicht hoch genug, um mir in die Augen zu sehen.

»Sag mal, wie lange bist du schon Capitos Sklave?«

Er runzelte die Stirn, als versuche er im stillen zu entscheiden, ob die Frage gefährlich war. »Erst seit kurzem.«

»Erst seit das Gut seinen Besitzer gewechselt hat -meinst du. Mit anderen Worten, du hast zum Hausstand gehört.«

»Das ist richtig. Aber bitte, vielleicht sollte ich meinem Herrn doch lieber sagen -«

»Nein, sag mir eins: Es gab zwei Sklaven, die dem Vater deines früheren Herrn in Rom gedient haben, Felix und Chrestus. Weißt du, wen ich meine?«

»Ja.« Er nickte zögernd und schien meine Füße weiterhin überaus faszinierend zu finden.

»Sie waren bei ihm in Rom, als der alte Herr ermordet wurde. Wo sind sie jetzt?«

»Sie sind... «

»Ja?«

»Sie waren eine Weile hier, in diesem Haus. Sie haben meinem früheren Herrn Sextus Roscius gedient, als der noch Gast meines neuen Herrn Capito war.«

»Und als Sextus Roscius ausgezogen ist? Hat er die Sklaven mitgenommen?«

»O nein. Sie sind noch eine Weile hier geblieben.«

»Und dann?«

»Ich glaube - ich weiß es natürlich nicht genau -«

»Was sagst du? Sprich lauter.«

»Vielleicht solltest du doch besser mit meinem Herrn Capito reden.«

»Ich glaube nicht, daß dein Herr große Lust hat, mit mir zu reden, jedenfalls nicht lange. Wie heißt du?«

»Carus.« Er fuhr kurz zusammen und spitzte die Ohren, als habe er im Haus etwas gehört, aber das Geräusch kam von draußen. Im stillen Zwielicht der Dämmerung konnte man Capito hinter dem Haus laut schimpfen hören, jetzt begleitet von einer heiseren Frauenstimme. Das konnte nur die Herrin des Hauses sein. Sie schienen sich vor den Sklaven anzubrüllen.

»Sag mal, Carus, war Sextus Roscius ein besserer Herr als Capito?«

Er sah aus, als sei ihm unbehaglich zumute, wie ein Mann mit einer vollen Blase. Er nickte kaum wahrnehmbar.

»Dann wirst du mir vielleicht helfen, wenn ich dir sage, daß ich Sextus Roscius’ Freund bin. Der beste Freund, den er auf dieser Welt noch hat. Ich muß unbedingt wissen, wo Felix und Chrestus sind.«

Sein Gesicht nahm einen noch gequälteren Ausdruck an, bis ich glaubte, daß er mir erzählen würde, daß die beiden tot waren. Statt dessen warf er einen kurzen Blick über seine Schulter und betrachtete dann wieder meine Füße. »In Rom«, sagte er. »Mein Herr hat sie seinem Partner in der Stadt verkauft, demjenigen, dem auch das gesamte Hab und Gut von Sextus Roscius zugefallen ist.«

»Magnus, meinst du.«

»Nein, der andere.« Er senkte seine Stimme. »Der Goldene. Felix und Chrestus sind in Rom, im Haus eines Mannes namens Chrysogonus.«

Chrysogonus, ein griechisches Wort: goldgeboren. Einen Moment lang schwebte der Name konturenlos durch meinen Kopf, dann schien er plötzlich wie ein Donnerschlag in meinen Ohren zu explodieren und wurde zum Schlüssel, den mir ein ahnungsloser Sklave in die Hand gedrückt hatte, ein glänzender, goldener Schlüssel, mit dem man das Geheimnis um die Ermordung von Sextus Roscius aufschließen konnte.

Im Garten konnte ich noch immer Capitos Geschimpfe und die kreischenden Antworten seiner Frau hören. »Sag deinem Herrn nichts davon«, zischte ich dem Sklaven zu. »Hast du mich verstanden? Nichts.« Ich drehte mich um und bestieg Vespa. Sie hatte geglaubt, wir hätten endlich das Ziel unserer Reise erreicht, sie schnaubte widerwillig und schüttelte den Kopf; ich trieb sie weiter. Mit einem wachsamen Auge über die Schulter blickend und jetzt ängstlich darauf bedacht, nicht gesehen zu werden, ritt ich davon. Niemand durfte wissen, daß ich hier gewesen war; niemand durfte wissen, wo ich schlief. Chrysogonus, dachte ich und schüttelte ungläubig den Kopf. Die Gefahr ließ mich schaudern. Natürlich war sie die ganze Zeit dagewesen, aber erst jetzt hatte ich Augen, sie zu erkennen.

Ich stieß auf die Hauptstraße und ritt zurück zu der Gabelung, die mich zum Haus von Titus Megarus führen würde. Über den Bäumen sah ich im verblassenden Licht eine Rauchfahne aufsteigen, die Behaglichkeit und Ruhe versprach. Ich erklomm einen kleinen Hang und sah plötzlich zwei Reiter, die sich auf der Via Flaminia näherten. Ihre Rösser trotteten träge bergauf, erschöpft wie Vespa. Die Männer schienen fast zu dösen, als ob sie von einem langen Tagesritt müde wären, dann blickten sie beide nacheinander auf, und ich sah ihre Gesichter.

Es waren zwei kräftige, breitschultrige Männer in leichten, ärmellosen Sommertuniken, beide sauber rasiert. Der Linke hatte strähniges, schwarzes Haar, mürrische Augen und einen brutalen Mund, er hielt die Zügel in der linken Hand. Sein Freund hatte struppiges, strohblondes Haar und sah aus wie ein Schläger, häßlich und schwerfällig; er war so groß, daß sein Pferd aussah wie ein überlastetes Fohlen, und über eine Wange liefen drei schmale, parallele rote Kratzer, die unverkennbare Spur einer Katzenpfote.

Mein Herz pochte so heftig, daß ich glaubte, sie müßten es deutlich hören. Sie starrten mich kalt an, als ich vorüberritt. Ich brachte ein Nicken und einen matten Gruß zustande. Sie sagten nichts und wandten ihren Blick auf die Straße. Ich beschleunigte Vespas Schritt und wagte es nach einer Weile, mich über die Schulter umzusehen. Über die leichte Anhöhe hinweg sah ich, wie sie den Weg zu Capitos Haus einschlugen.

18

»Der Dunkelhaarige«, sagte mein Gastgeber, »ja, das muß Magnus gewesen sein. Ja, er zieht das linke Bein nach, und das schon seit Jahren; warum, weiß niemand so genau. Er erzählt unterschiedliche Versionen der Geschichte. Manchmal ist es eine verrückte Hure in Rom gewesen, dann wieder ein eifersüchtiger Ehemann oder ein betrunken randalierender Gladiator. Er behauptet jedenfalls, denjenigen, der ihm das angetan hat, umgebracht zu haben, und das hat er wahrscheinlich auch.«

»Und der andere, der große, häßliche Blonde?«

»Mallius Glaucia, ohne Zweifel. Magnus’ Ex-Sklave und jetzt seine rechte Hand. Magnus verbringt neuerdings einen Großteil seiner Zeit in Rom, während sein Vetter Capito vollauf damit beschäftigt ist, die Villa umzubauen;

Glaucia pendelt zwischen den beiden hin und her wie ein Hund, der einen Knochen apportiert.«

Die Welt war finster und voller Sterne. Mondlicht stand über den flachen, sanft geschwungenen Hügeln und überzog sie mit einem silbernen Glanz. Ich saß mit Titus Megarus auf dem Dach seines Hauses, so daß wir einen weiten Blick nach Westen und Süden hatten. Am Horizont erstreckte sich eine Kette höherer Hügel, die das Tal in der Ferne begrenzten; irgendwo dahinter verlief der Tiber. Im Vordergrund bezeichneten ein paar vereinzelte Lichter und mondbeschienene Dächer das schlafende Städtchen Ameria, und linker Hand, von einigen Bäumen halb verdeckt, konnte ich das obere, kaum daumennagelgroße Stockwerk des Hauses ausmachen, in dem Capito, Magnus und Mallius Glaucia für den Abend versammelt waren. Ein einzelnes Fenster sandte ein blaßgelbes Licht in die Nacht.

Titus Megarus war kein weltgewandter Mann, aber er war ein ausgezeichneter Gastgeber. Er begrüßte mich persönlich an der Tür und sorgte auch dafür, daß man Vespa einen Platz in seinem Stall zuwies. Beim Essen weigerte er sich standhaft, irgendein heikles Thema zu besprechen, weil das, wie er meinte, Magenverstimmungen verursachte. Statt dessen wechselten sich seine fünf Kinder im Laufe des Essens beim Vortrag von Liedern ab. Das Essen war reichlich und frisch; der Wein war hervorragend. Langsam entspannte ich mich und legte meine Furcht ab, bis ich mich schließlich halb liegend auf einem Diwan auf dem Dachgarten des Hauses wiederfand. In dem offenen Säulengang unter uns waren die Frauen und Kinder des Hauses versammelt. Eine von Titus’ Töchtern sang, während eine andere die Lyra spielte. An diesem warmen Abend stieg der Klang süß und leise zu uns herauf wie ein vages Echo aus einem tiefen Brunnen. Auf Einladung seines Vaters saß der Junge Lucius bei uns und hörte schweigend zu.

Ich war so müde und wundgeritten, daß ich mich kaum bewegen konnte und es bei all der Behaglichkeit auch gar nicht wollte. Ich lag, einen Becher warmen Wein in der Hand, auf dem Diwan, kämpfte gegen den Schlaf, ließ meinen Blick über das völlig friedlich daliegende Tal wandern und grübelte über die mörderischen Geheimnisse, die hier verborgen lagen.

»Es war dieser Mallius Glaucia, der gestern abend in mein Haus eingedrungen ist«, sagte ich, »zusammen mit einem weiteren Täter. Ich bin mir ganz sicher - die Kratzspuren auf seiner Backe lassen daran keinen Zweifel. Derselbe Mann, der wie wild die ganze Nacht durchgeritten ist, um Capito hier in Ameria die Nachricht von Sextus Roscius’ Ermordung zu überbringen. Bestimmt ist er beide Male vom selben Herrn losgeschickt worden.«

»Glaucia tut nichts ohne einen Befehl von Magnus; er ist wie eine dieser Schattenspielpuppen, die man auf Jahrmärkten sieht.«

Titus starrte nach oben in den Sternenhimmel. Ich schloß meine Augen und stellte mir vor, Bethesda läge neben mir auf dem Diwan, wärmer als der Abendwind, weicher als die blassen, durchsichtigen Wolken, die um den zunehmenden Mond jagten. Von dem Säulengang unter uns klang plötzlich weibliches Lachen herauf, und ich dachte, wie natürlich sie sich in die schlichten Sitten des Landlebens einfügen würde.

Titus nippte an seinem Wein. »Sextus ist also losgezogen und des Mordes an dem alten Herrn angeklagt worden. Das war mir neu; vermutlich sollte ich öfter mal in diese Taverne in Narnia gehen, um den neuesten Klatsch mitzukriegen. Und du schnüffelst hier herum, um die Wahrheit herauszufinden. Viel Glück. Das wirst du brauchen.« Er schüttelte den Kopf und beugte sich vor, um das Licht in der Villa seines Nachbarn argwöhnisch zu betrachten. »Capito und Magnus wollen ihn endgültig aus dem Weg haben. Sie werden keine Ruhe geben, bis der Mann tot ist.«

Ich warf einen Blick zu Capitos Haus, dann nach oben zu den Sternen. Ich wollte nur schlafen. Aber wer wußte, ob mein Gastgeber am kommenden Morgen noch genauso gesprächig sein würde?

»Sag mir, Titus Megarus...« Vor lauter Wein und Müdigkeit versagte meine Stimme.

»Was soll ich dir sagen, Gordianus von Rom?« Er sprach undeutlich. Er machte einen so natürlich nüchternen und in allen Dingen gemäßigten Eindruck, daß er wahrscheinlich zu der Sorte Mann gehörte, die dem Wein nur in Gesellschaft zusprach.

»Erzähl mir alles. Alles, was du weißt über den Tod des alten Sextus Roscius und seinen Streit mit Capito und Magnus, und alles, was danach geschehen ist.«

»Das Ganze ist ein einziger schmutziger Skandal«, knurrte er. »Jeder weiß, daß irgendwas an der Sache stinkt, aber niemand unternimmt etwas dagegen. Ich habe es versucht, aber es hat nichts gebracht.«

»Fang ganz am Anfang an. Der Streit zwischen dem verstorbenen Sextus Roscius und seinen Vettern Magnus und Capito - wie lange reicht der zurück?«

»Es war ein Familienstreit, den sie schon mit ihrer Geburt geerbt haben. Alle drei hatten denselben Großvater; Sextus’ Vater war der älteste von drei Söhnen, Capito und Magnus waren die Söhne der beiden jüngeren Brüder. Als der Großvater starb, fiel praktisch das gesamte Anwesen natürlich an den ältesten Sohn - also an den Vater von Sextus Roscius. Na, du weißt ja, wie so was geht, manchmal gibt es eine gütliche Einigung mit dem Rest der Familie, manchmal einen häßlichen Streit. Wer kennt schon alle Einzelheiten? Ich weiß nur, daß es sich bis zu den Vettern der zweiten Generation weitervererbt hat, immer machten Capito und Magnus gemeinsame Sache gegen Sextus, um einen größeren Anteil am Familienvermögen zu ergaunern. Irgendwie waren sie schließlich erfolgreich. Ein paar leichtgläubige Seelen in Ameria glauben, sie seien schlicht vom Schicksal begünstigt worden. Aber jeder, der über ein bißchen Verstand verfügt, weiß, daß sie sich die Hände blutig gemacht haben müssen, auch wenn sie schlau genug waren, es wieder abzuwaschen.«

»Also gut, der Vater des älteren Sextus Roscius erbt den Familienbesitz, die anderen bekommen ein besseres Almosen. Sextus Roscius der Ältere ist wiederum sein Haupterbe - ich nehme an, er war der älteste Sohn der Familie?«

»Der einzige männliche Nachkomme; die Roscii sind keine besonders fruchtbare Familie.«

»Also gut, der ältere Sextus erbt, sehr zum Kummer seiner verarmten Vettern Capito und Magnus. Wie arm waren sie eigentlich?«

»Capitos Vater hat es stets geschafft, einen der Höfe unten am Nar zu halten und davon seinen bescheidenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber Magnus hat es wirklich übel getroffen. Sein Vater verlor seinen ererbten Hof und brachte sich schließlich um. Deswegen ist Magnus in die Stadt gegangen, um dort seinen Weg zu machen.«

»Verbitterte Männer. Und wenn Magnus nach Rom gegangen ist, um alles über das Leben zu lernen, ist Mord eine Lektion, die man sich schnell angeeignet hat. Wenn mein Gedächtnis mich im Stich läßt, korrigiere mich: Der alte Sextus hat zweimal geheiratet. Der ersten Verbindung entspringt filius. Die Frau stirbt, und Sextus pater heiratet erneut. Ein zweiter Sohn wird geboren, Gaius, und die geliebte junge Frau stirbt im Kindbett. Der junge

Sextus bekommt die Verwaltung der Güter übertragen, während sein Vater und Gaius sich nach Rom begeben. Aber dann, vor drei Jahren, am Abend von Sullas Triumph, ruft der junge Sextus Vater und Bruder heim nach Ameria, und während ihres Aufenthaltes stirbt Gaius an einer Lebensmittelvergiftung. Was hatte denn der Dorfklatsch von Ameria dazu zu sagen, Titus?«

Er zuckte mit den Schultern und nahm einen weiteren Schluck Wein zu sich. »Gaius war hier in der Gegend praktisch ein Fremder, obwohl sich alle darüber einig waren, daß er wirklich ein attraktiver junger Mann war. Ich persönlich fand ihn zu kultiviert, fast blasiert, aber so hat ihn sein Vater vermutlich erzogen, mit Privatlehrer und vornehmen Abendgesellschaften. Was kann der Junge dafür?«

»Aber sein Tod - wurde er allgemein als Unfall hingenommen?«

»Das stand immer außer Frage.«

»Mal angenommen, es wäre kein Unfall gewesen. Könnten Capito und Magnus etwas damit zu tun gehabt haben?«

»Das kommt mir reichlich weit hergeholt vor. Was hätten sie damit gewonnen, außer dem Vater ein Leid zuzufügen? Wenn sie jemand umbringen wollten, warum dann nicht den alten Herrn selbst oder die ganze Familie? Sicher, Capito ist ein gewalttätiger Mensch. Er hat mehr als einen Sklaven erstochen oder zu Tode geprügelt, und man sagt, er hätte in Rom einen völlig Fremden in den Tiber geworfen, nur weil der Mann auf einer Brücke nicht zur Seite gehen wollte, und sei ihm dann hinterhergesprungen, um sicherzugehen, daß er auch wirklich ertrank. Vermutlich könnten er und Magnus Gaius aus reiner Grausamkeit ermordet haben, aber das halte ich für unwahrscheinlich.«

»Ich auch. Es ist ohnehin nur ein nebensächliches Detail.« Vielleicht war es der Wein, der mein Blut erwärmte, oder die frische Brise, die von den Hügeln hinabwehte; ich fühlte mich plötzlich hellwach und konzentriert. Ich starrte auf das Licht in Capitos Haus. Es flackerte in der warmen Luft, die in Wellen vom Boden aufstieg, und starrte wie ein einzelnes böses Auge zurück. »Und jetzt zum vergangenen September. Sextus Roscius wird in Rom ermordet. Es gibt Zeugen, die den Anführer beobachten, einen schwarzgekleideten kräftigen Mann mit einem lahmen linken Bein.«

»Magnus, ohne Zweifel!«

»Er scheint sein Opfer zu kennen. Außerdem ist er Linkshänder und recht stark.«

»Wieder Magnus.«

»Der Mörder wird von zwei anderen Schlägern begleitet. Der eine ist ein blonder Riese.«

»Mallius Glaucia.«

»Ja. Der andere - wer weiß? Der Ladenbesitzer sagt, er hatte einen Bart. Die Witwe Polia könnte sie alle drei identifizieren, aber man wird sie nie im Leben zu einer Aussage bewegen können. Jedenfalls ist es Glaucia, der sehr früh am nächsten Morgen hier eintrifft, um Capito die Nachricht zu überbringen, mit einem blutigen Dolch im Gewand.«

»Was? Das ist ein Detail, das ich bisher noch nicht gehört habe.«

»Es stammt von dem Tavernenwirt in Narnia.«

»Ah, der mit dem blinden Vater. Sie sind beide völlig verdreht. Schwaches Blut.«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Der Wirt hat mir jedenfalls erzählt, daß Glaucia die Nachricht direkt zu Capito gebracht hat. Wer war eigentlich der erste, der Sextus Roscius vom Tod seines Vaters berichtet hat?« Ich sah ihn an und zog eine Braue hoch.

Titus nickte. »Ja, das war ich. Ich hab es frühmorgens am öffentlichen Brunnen in Ameria gehört. Als ich Sextus dann nachmittags traf, war ich mir ganz sicher, daß er es schon wußte. Aber als ich ihm mein Beileid aussprach, war sein Gesichtsausdruck - nun ja, er war merkwürdig. Man konnte es nicht direkt Trauer nennen; du mußt wissen, die beiden empfanden wenig Zuneigung füreinander. Furcht, ja, ich habe Furcht in seinen Augen gesehen.«

»Und Überraschung? Entsetzen?«

»Nicht direkt, eher Verwirrung und Angst.«

» Gut. Am nächsten Tag trifft dann ein offizieller Bote ein, hergeschickt vom Haus des alten Herrn in Rom.«

Titus nickte. »Und noch einen Tag später trafen die sterblichen Überreste des Toten ein. Die Roscii haben ein Familiengrab auf einem kleinen Hügel hinter der Villa; an klaren Tagen kann man die Stelen von hier aus sehen. Am achten Tag hat Sextus seinen Vater beerdigt und dann eine siebentägige Trauer begonnen. Er hat sie nie beendet.«

»Warum?«

»Weil in der Zwischenzeit die Soldaten eintrafen. Sie müssen aus dem Norden von Volaterrae hergekommen sein, wo Sulla einen Feldzug gegen die letzten versprengten Anhänger des Marius in Etrurien führte. Die Soldaten kamen jedenfalls eines Tages hier an und verkündeten öffentlich auf dem Dorfplatz, daß Sextus Roscius der Ältere zum Staatsfeind erklärt worden und sein Tod in Rom eine legale Hinrichtung auf Geheiß unseres geschätzten Sulla gewesen wäre. Sein gesamtes Anwesen wurde beschlagnahmt. Alles sollte versteigert werden - Ländereien, Häuser, Schmuck, Sklaven. Datum und Ort der Versteigerung wurden offiziell bekanntgegeben, irgendwo in Rom.«

»Und wie hat der junge Sextus darauf reagiert?«

»Das weiß keiner. Er hat sich in seine Villa zurückgezogen und sich geweigert, das Haus zu verlassen oder Besucher zu empfangen. Das mag ja für einen in Trauer befindlichen Mann durchaus angemessen gewesen sein, aber Sextus lief Gefahr, alles zu verlieren. Die Leute begannen sich zu erzählen, daß es möglicherweise stimmte, daß sein Vater zum Staatsfeind erklärt worden war. Wer weiß, was der alte Herr in Rom getrieben hatte? Vielleicht war er ein marianischer Spion, vielleicht hatte man ihn bei einer Verschwörung zur Ermordung Sullas erwischt.«

»Aber die Proskriptionen waren offiziell am ersten Juni beendet. Roscius wurde im September ermordet.«

Titus zuckte die Schultern. »Du redest wie ein Anwalt. Wenn Sulla den Mann tot sehen wollte, warum soll es dann nicht legal sein, wenn der Diktator es für legal erklärt?«

»Herrschte großes Interesse an der Auktion?«

»Es weiß doch jeder, daß sie vorher abgesprochen sind. Warum sich also die Mühe machen? Irgendwelche Freunde von Sulla erhalten am Ende für einen Spottpreis den Zuschlag, und jeder, der sonst noch mitbieten will, wird aus dem Saal geführt. Glaub mir, wir waren alle überrascht, als Magnus und eine Schlägertruppe aus Rom mit irgendeinem offiziellen Schriftstück vor Roscius’ Tür auftauchten und ihm erklärten, er solle auf der Stelle seinen gesamten Besitz aufgeben.«

»Also hat er sich einfach so beiseite drängen lassen?«

»Niemand hat mitbekommen, was genau geschehen ist, mit Ausnahme der Sklaven natürlich. Die Leute schmücken so was immer gerne aus. Manche sagen, Magnus habe Roscius angetroffen, wie er gerade Myrrhe am Grab seines Vaters verbrannte, ihm das Rauchgefäß aus der Hand geschlagen und ihn mit vorgehaltenem Speer von dem Grabmal vertrieben. Andere behaupten, er habe Sextus die Kleider vom Leib gerissen, ihn nackt auf die Straße gejagt und ihm die Hunde auf den Hals gehetzt. Sextus hat mir keine der beiden Geschichten bestätigt; er weigerte sich, überhaupt darüber zu sprechen, und ich wollte ihn nicht dazu zwingen.

Sextus und seine Familie haben jedenfalls eine Nacht im Haus eines befreundeten Händlers in Ameria verbracht, und am nächsten Morgen zog Capito in die Villa ein. Man kann sich vorstellen, daß es deswegen eine Menge Stirnrunzeln gab. Natürlich haben es nicht alle ungern gesehen; Sextus hat seine Feinde und Capito seine Freunde in diesem Tal. Sextus begab sich also direkt zu Capito; und wieder gab es keine Zeugen. Schließlich erlaubte Capito Sextus die Rückkehr auf den Hof und ließ ihn in ein kleines Haus am Rande des Anwesens ziehen, wo normalerweise zur Erntezeit die Saisonarbeiter untergebracht werden.«

»Und das war das Ende der Geschichte?«

»Nicht ganz. Ich habe ein Treffen des Gemeinderates von Ameria einberufen und erklärt, daß wir etwas unternehmen müßten. Es hat mich einige Überredungskunst gekostet, die alten Knochen dazu zu bewegen, eine Entscheidung zu treffen. Und die ganze Zeit hat mich Capito wütend über den Tisch angestarrt - o ja, Capito sitzt auch in unserem ehrenwerten Gemeinderat. Schließlich wurde beschlossen, daß wir gegen die Proskription von Sextus Roscius protestieren und versuchen sollten, seinen Namen von jeder Schuld freizusprechen und dafür zu sorgen, daß sein Besitz wieder an seinen Sohn zurückgegeben wurde. Capito war mit allem einverstanden. Sulla lagerte noch immer in Volaterrae; also wurde eine zehnköpfige Delegation ausgesandt, um den Fall vorzutragen - ich, Capito und acht weitere Männer.«

»Und was hat Sulla gesagt?«

»Wir haben ihn gar nicht zu Gesicht bekommen. Zuerst ließ man uns warten. Fünf Tage lang, als ob wir Barbaren wären, die um einen Gefallen bettelten, und nicht römische Bürger, die gegenüber dem Staat eine Petition einbrachten. Alle waren ungeduldig und mürrisch; sie hätten das Ganze am liebsten gleich gelassen und wären direkt wieder nach Hause marschiert, wenn ich ihnen nicht ins Gewissen geredet hätte, die Sache durchzustehen. Schließlich wurden wir vorgelassen, nicht zu Sulla, sondern zu Sullas Stellvertreter, einem Ägypter namens Chrysogonus. Hast du schon mal von ihm gehört?« fragte Titus, als er den Ausdruck sah, der über mein Gesicht huschte.

»O ja. Ein junger Mann, so sagt man, von natürlichem Charme und blendendem Aussehen, mit genug Intelligenz und Ehrgeiz, beides möglichst vorteilhaft für sich einzusetzen. Er hat als Sklave in Sullas Haushalt angefangen, wo er niedrige Gartenarbeit verrichten mußte. Aber Sulla hat einen Blick für Schönheit und sieht sie nur ungern mit Knochenarbeit verschwendet. Chrysogonus wurde zum Liebling des alten Mannes. Das war vor einigen Jahren, als Sullas erste Frau noch lebte. Irgendwann hat Sulla seine Lust am Körper des Sklaven gestillt und ihn dafür mit der Freiheit, Reichtümern und einer hohen Position in seiner Gefolgschaft belohnt.«

Titus schnaubte verächtlich. »Ich hab mich schon gefragt, was dahintersteckt. Uns sagte man nur, daß dieser Chrysogonus ein mächtiger Mann sei, dem Sulla Gehör schenken würde. Ich erklärte ihnen, daß wir den Diktator persönlich treffen wollten, aber alle Sekretäre und Adjutanten schüttelten den Kopf, als wäre ich ein störrisches Kind, und meinten, es wäre sehr viel vorteilhafter, zunächst das Wohlwollen von Chrysogonus zu gewinnen, der Sulla den Fall dann an unserer Stelle vortragen würde.«

»Und hat er das getan?« Titus sah mich wehleidig an. »Es ist folgendermaßen gelaufen: Schließlich erhielten wir unsere Audienz und wurden in einen Raum geführt, wo uns die Gegenwart seiner Goldenheit zuteil wurde. Er saß da und starrte an die Decke, als ob ihn jemand mit dem Hammer auf die Stirn geschlagen hätte. Schließlich ließ er sich gnädig dazu herab, mit seinen blauen Augen zu blinzeln und uns einen flüchtigen Blick zu gewähren. Und dann lächelte er. Ich schwöre dir, so ein Lächeln hast du noch nie gesehen; als ob Apollo persönlich zur Erde hinabgestiegen sei. Es hatte etwas Unnahbares, wenngleich nicht Kaltes. Es wirkte vielmehr so, als ob wir ihm leid täten, als ob er traurig wäre, wie man sich vorstellt, daß ein Gott traurig ist, wenn er gewöhnliche Sterbliche betrachtet.

Er nickte. Er neigte seinen Kopf. Er fixierte uns mit seinen blauen Augen, und man hatte das Gefühl, daß uns ein überlegenes Wesen einen unendlich großen Gefallen erweisen würde, allein indem es unsere Existenz zur Kenntnis nahm. Er hörte sich unsere Petition an, und danach sagte jeder von uns sein Sprüchlein auf mit Ausnahme von Capito, der steif und stumm wie ein Stein im Hintergrund stand. Und dann erhob sich Chrysogonus aus seinem Stuhl, warf die Schultern zurück, strich sich eine goldene Locke aus der Stirn und legte den Finger auf den Mund, als würde er angestrengt nachdenken; und es war einem fast peinlich, ein gewöhnlicher schmutziger Sterblicher zu sein, der es wagte, den Raum mit diesem perfekten Exemplar der menschlichen Rasse zu teilen.

Er erklärte uns, daß wir edle Römer wären, solche Mühen auf uns genommen zu haben, um der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Er meinte, Begebenheiten wie die, von der wir ihm berichtet hätten, seien sehr, sehr selten, daß es jedoch eine Handvoll beklagens- und bedauernswerter Einzelfälle gäbe, in denen Männer fälschlicherweise geächtet worden seien. Er würde deshalb unsere Petition bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit dem großen Sulla persönlich hinterbringen. In der Zwischenzeit sollten wir uns in Geduld üben; wir würden doch sicherlich verstehen, daß der Diktator einer Republik tausenderlei Sorgen hätte, die ihn von allen Seiten bedrängten, von denen sein Bemühen, die marianische Verschwörung, die in den etruskischen Hügeln wie ein Geschwür eitere, endgültig auszumerzen, nicht die geringste sei. Zehn Köpfe wippten auf und nieder wie Korken auf einer Welle, und meiner war einer von ihnen. Und ich weiß noch, auch wenn ich mich heute deswegen schäme, daß ich froh war, daß man uns nicht bis zu Sulla vorgelassen hatte, denn wenn die Gegenwart seines Stellvertreters schon derartig einschüchternd war, wie hätten wir uns erst zum Narren gemacht, wenn wir mit dem großen Mann selbst verhandelt hätten?

Aber dann räusperte ich mich und fand irgendwie den Mut zu sagen, daß wir, wenn wir schon Sulla nicht persönlich treffen könnten, zumindest darauf beharrten, eine klare Antwort zu bekommen, bevor wir nach Ameria zurückkehrten. Chrysogonus wandte mir seine blauen Augen zu und zog die Brauen nur ein winziges Stück hoch, so wie man einen Sklaven ansieht, der die Unverschämtheit besitzt, ein Gespräch zu unterbrechen wegen irgendeiner Banalität, die er für wichtig hält. Schließlich nickte er und sagte: Selbstverständlich, selbstverständlich< und dann versicherte er, daß er nach seiner Rückkehr nach Rom persönlich einen Stilus zur Hand nehmen, den Namen Sextus Roscius aus den Proskriptionslisten streichen und dafür sorgen würde, daß der Besitz des alten Herrn wiederhergestellt und auf seinen Sohn überschrieben würde. Wir müßten natürlich geduldig sein, weil die Mühlen der Gerechtigkeit in Rom langsam mahlten, jedoch nie gegen den Willen des Volkes.

Dann sah er Capito direkt an, weil ihm klar war, daß jener sich zumindest einen Teil des konfiszierten Besitzes angeeignet hatte, und fragte ihn, ob er mit dieser Rechtsprechung einverstanden sei, selbst wenn sie auf seine

Kosten ginge. Und Capito nickte, lächelte unschuldig wie ein Kind und erklärte, daß in seinem Herzen allein der Geist römischer Gerechtigkeit wohnt, und wenn bewiesen werden könnte, daß sein verstorbener Vetter tatsächlich kein Feind des Staates oder unseres geliebten Sullas gewesen sei, würde er seinen Anteil an dessen Gütern mit Freuden an den rechtmäßigen Erben zurückgeben und ihm nicht einmal die inzwischen vorgenommenen Instandsetzungsarbeiten in Rechnung stellen.«

»Und was geschah dann?«

»Nichts. Sulla und seine Armee erledigten ihren Auftrag in Volaterrae und kehrten nach Rom zurück.«

»Und ihr habt nichts mehr von Chrysogonus gehört?«

»Kein Wort.« Titus zuckte schuldbewußt die Schultern. »Du weißt doch, wie es ist, wie man solche Sachen schleifen läßt - ich bin ein Bauer, kein Politiker. Im Dezember habe ich schließlich einen Brief aufgesetzt, einen weiteren im Februar. Keine Antwort. Vielleicht wäre ja irgend etwas geschehen, wenn Sextus Roscius sich weiter darum gekümmert hätte, aber er zog sich noch mehr zurück als vorher. Er und seine Familie blieben in dem kleinen Haus auf dem Grundstück, und niemand hörte ein Wort von ihnen, als ob sie Gefangene wären oder Capito sie zu seinen Sklaven gemacht hätte. Na ja, wenn ein Mann sich nicht für seine eigenen Rechte stark macht, kann er nicht erwarten, daß seine Nachbarn ihm unter die Arme greifen.«

»Und wie lange ging das so?«

»Bis April. Dann muß irgend etwas zwischen Capito und Sextus vorgefallen sein. Mitten in der Nacht stand Sextus auf einmal mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern vor meiner Tür. Sie waren in einem gewöhnlichen Ochsenkarren unterwegs, trugen ihr Hab und Gut mit eigenen Händen und hatten nicht einmal einen Sklaven, um den Karren zu lenken. Er bat mich, ihn für die Nacht aufzunehmen, was ich natürlieh getan habe. Sie sind vier oder fünf Nächte geblieben. Ich weiß es nicht mehr genau -«

»Drei«, sagte eine leise Stimme. Es war Lucius, der Junge, dessen Anwesenheit ich fast vergessen hatte. Er saß, die Knie an die Brust gezogen, gegen eine niedrige Mauer gelehnt. Ein Lächeln umspielte seinen Mundwinkel, genau wie bei der Erwähnung von Roscius’ Tochter, als ich ihn am frühen Abend getroffen hatte.

»Na gut, dann eben drei«, sagte Titus. »Vermutlich ist es mir nur länger vorgekommen. Sextus Roscius hat seine Schwermut mit in dieses Haus gebracht. Meine Frau hat sich ständig beschwert, daß er uns Unglück bringen würde. Und natürlich ist die junge Roscia...« Er senkte seine Stimme. »Seine ältere Tochter. Nicht eben der beste moralische Einfluß für ein Haus mit jungen Männern.« Er warf einen Blick zu Lucius, der den Mond betrachtete und überzeugend Taubheit simulierte.

»Dann machte er sich auf den Weg nach Rom. Er hat mir erzählt, sein Vater hätte dort eine Patronin, die möglicherweise Einfluß auf Sulla ausüben könnte. Von einem Mordprozeß hat er nichts gesagt. Ich nahm an, er wäre mittlerweile verzweifelt genug, diesem Chrysogonus sein Anliegen noch einmal persönlich vorzutragen.«

»Es wird dich vermutlich nicht überraschen zu erfahren, daß auch Chrysogonus von der Aufteilung von Sextus Roscius’ Gütern profitiert hat.«

»Na, wenn das keine schmutzige Geschichte ist. Und woher weißt du das?«

»Ein Sklave namens Carus hat es mir heute nachmittag erzählt. Er empfängt die Gäste in Capitos Villa.«

»Dann haben die drei von Anfang an unter einer Decke gesteckt - Capito, Magnus und Chrysogonus.«

»Es hat ganz den Anschein. Wer außer Chrysogonus hätte Sextus pater illegal auf die bereits geschlossenen Proskriptionslisten setzen können? Und wer außer Capito und Magnus wollte den alten Herrn tot sehen?«

»Ja, so muß es gewesen sein. Die drei haben die Ermordung des alten Sextus Roscius geplant und die ganze Zeit vorgehabt, ihn auf die Proskriptionslisten zu setzen, um das Land, nachdem der Staat es konfisziert hatte, hinterher aufzukaufen. Und jeder Außenstehende, der möglicherweise versuchen sollte, Klarheit in die Angelegenheit zu bringen, muß sich früher oder später mit Chrysogonus persönlich auseinandersetzen, was bedeutet, er könnte genausogut mit einer Wand reden. Was für eine üble Geschichte, noch schmutziger, als ich dachte. Aber die Krönung ist doch, Sextus Roscius des Mordes an seinem Vater zu beschuldigen - damit sind sie auf jeden Fall zu weit gegangen, selbst wenn ein enger Freund Sullas mitmacht. Das ist absurd, unsagbar grausam! «

Ich betrachtete den Mond. Er war schon fett und weiß; in sechs Tagen, zu den Iden, würde er voll sein, und Sextus Roscius wäre mit seinem Schicksal konfrontiert. Träge wandte ich meinen Kopf und blickte zu dem Fenster, das hell von Capitos Villa herüberleuchtete. Warum waren sie noch immer wach?

Magnus und Glaucia mußten von ihrem Tagesritt genauso müde sein wie ich. Was planten sie jetzt?

»Trotzdem«, sagte ich und verschluckte das Wort in einem Gähnen, »trotzdem fehlt noch immer ein Glied in der Kette. Irgend etwas, wodurch das ganze Rätsel einen Sinn bekäme. Etwas noch Schmutzigeres, als du gedacht hast... «

Ich blickte zu dem gelben Fenster. Ich schloß meine Augen nur für einen Augenblick und machte sie viele Stunden lang nicht wieder auf.

19

Ich wachte mit einem Blinzeln auf und fand mich alleine in einem heißen, stickigen Raum wieder. Ich hatte traumlos geschlafen, fühlte mich jedoch erstaunlich erholt. Ich lag lange zufrieden und regungslos auf dem Rücken und genoß das Gefühl, neues Leben in meine Arme, Beine, Finger und Zehen fließen zu spüren. Dann rührte ich mich schließlich doch und merkte, was für eine harte Strafe auf einen so anstrengenden Ritt steht, wie ich ihn tags zuvor absolviert hatte. Es gelang mir, mich aufzurichten und meine schmerzenden Beine auf den Boden zu setzen. Ich bemerkte wieder verblüfft, wie ausgeruht ich mich fühlte, wenn man bedachte, daß ich bereits wach war, während die Welt noch immer im Dunkeln lag, bis ich plötzlich am Rand eines Vorhangs, der vor dem Fenster hing, ein seltsam flackerndes Leuchten wahrnahm. Ich erhob mich mühsam von dem Diwan und taumelte ungelenk zu dem Fenster. Ich schob den Vorhang beiseite, und heißes, blendendes Licht brannte in meinen Augen.

Im selben Moment öffnete sich die Tür zu der winzigen Kammer, und Lucius steckte seinen Kopf herein. »Endlich«, sagte er in jenem ärgerlichen Tonfall, mit dem Kinder ihre Eltern parodieren. »Ich hab schon zweimal versucht, dich zu wecken, aber ich hab dir nicht mal ein Stöhnen entlockt. Alle anderen sind schon seit Stunden auf.«

»Wie spät ist es?«

»Genau Mittag. Deswegen bin ich hergekommen, um zu sehen, ob du inzwischen wach bist. Ich bin eben aus der Stadt zurückgekommen und hab auf die Sonnenuhr im Garten gesehen, und da hab ich mich gefragt, ob du etwa noch immer schläfst.«

Ich sah mich in dem Zimmer um. »Aber wie bin ich hierher gekommen?« Ich bückte mich stöhnend, um meine Tunika aufzuheben, die von der Armlehne eines Stuhls auf den Boden gerutscht war.

»Vater und ich haben dich gestern abend vom Dach nach unten getragen. Kannst du dich nicht mehr daran erinnern? Du warst schwer wie ein Sack Ziegelsteine, und wir haben dich auch nicht dazu bringen können, mit dem Schnarchen aufzuhören.«

»Ich schnarche nie.« Das hatte Bethesda mir erzählt. Oder hatte sie gelogen, um meiner Eitelkeit zu schmeicheln?

Lucius lachte. »Man konnte dich im ganzen Haus hören! Meine Schwester Tertia hat sich einen Spaß daraus gemacht. Sie sagte -«

»Schon gut.« Ich begann mir die Tunika überzustreifen. Das Ding verhedderte sich, als ob es ein Eigenleben führte. Meine Arme waren genauso steif wie meine Beine.

»Jedenfalls hat mein Vater gesagt, daß wir dich lieber ausziehen, weil deine Kleider von der Reise so verschwitzt und verschmutzt waren. Er hat der alten Naia aufgetragen, sie zu waschen, bevor sie gestern abend zu Bett gegangen ist. Und es ist wieder so heiß heute, daß sie bestimmt schon trocken sind.«

Es gelang mir schließlich, mich zu bedecken, wenn auch nicht gerade elegant. Ich blickte erneut aus dem Fenster. Kein Windhauch raschelte durch die Baumkronen. Sklaven arbeiteten auf den Feldern, aber der Hof war menschenleer bis auf ein kleines Mädchen, das mit einem Kätzchen spielte. Das Licht, das auf die Pflastersteine fiel, blendete meine Augen. »Unmöglich. Ich werde es heute nie zurück nach Rom schaffen. «

»Und das ist auch gut so.« Das kam von Titus Megarus, der auf einmal mit strengem Gesicht hinter seinem Sohn aufgetaucht war. »Ich hab mir heute morgen mal die Stute angesehen, auf der du gestern von der Stadt hergeritten bist. Ist es eine Angewohnheit von dir, ein Pferd so anzutreiben, bis es zusammenbricht?«

»Ich bin es überhaupt nicht gewohnt, ein Pferd zu reiten.«

»Das überrascht mich nicht. Kein richtiger Reiter hätte ein so prachtvolles Tier dermaßen erschöpft. Du hattest doch nicht etwa vor, mit ihr heute wieder zurückzureiten?«

»Doch, eigentlich schon.«

»Das kann ich nicht zulassen.«

»Wie soll ich sonst von hier wegkommen?«

»Du kannst dir sehr gerne eins von meinen Pferden nehmen.«

»Vespas Besitzer wird nicht gerade begeistert sein.«

»Daran habe ich auch schon gedacht. Du hast mir doch gestern abend erzählt, daß der Prozeß gegen Sextus Roscius für die Iden angesetzt ist.«

»Ja.«

»Dann werde ich einen Tag vorher in die Stadt kommen und Vespa mitbringen. Ich werde sie selbst beim Stall an der Via Subura abgeben, und falls es hilfreich ist, kann ich mich auch zum Haus dieses Advokaten Cicero durchfragen und ihm erzählen, was ich weiß. Wenn er mich bei dem Prozeß als Zeuge aufrufen will - nun, dann wäre ich wohl bereit, mein Gesicht zu zeigen, selbst wenn Sulla persönlich anwesend wäre. Und, bevor ich es vergesse, nimm das hier.« Er zog eine Schriftrolle aus seiner Tunika.

»Was ist das?«

»Die Petition, die der Gemeinderat von Ameria Sulla -oder vielmehr Chrysogonus - vorgetragen hat, um gegen die Proskription von Sextus Roscius zu protestieren, die Kopie des Gemeinderats. Das Original sollte irgendwo im Forum aufbewahrt werden, aber solche Schriftstücke neigen dazu zu verschwinden, wenn sie irgend jemand bloßstellen könnten, oder nicht? Aber dies ist eine beglaubigte Kopie; unterzeichnet von uns allen, sogar von Capito. Wenn sie hier in meinem Haus herumliegt, nützt sie doch nichts. Vielleicht kann Cicero sie gebrauchen.

In der Zwischenzeit leihe ich dir eins von meinen Pferden. Der Gaul wird es nicht mit deinem weißen Prachttier aufnehmen können, aber du wirst auch nur halb so schnell reiten müssen. Ein Vetter von mir hat auf dem halben Weg nach Rom einen Bauernhof. Bei ihm kannst du übernachten und dann morgen bis zur Stadt weiterreiten. Er schuldet mir den einen oder anderen Gefallen, also hab keine Angst, dich an seinem Tisch satt zu essen. Wenn du es gar nicht erwarten kannst, nach Rom zu kommen, mußt du ihn überreden, eines seiner Pferde gegen meins einzutauschen, und dann wie ein Verrückter bis in die Stadt weiterreiten.«

Ich zog eine Braue hoch und willigte dann mit einem Kopfnicken ein. Der strenge Blick wurde freundlicher. Titus war ganz der römische Vater, der es gewohnt war, Vorträge zu halten und seinen Willen gegen jeden im Haus durchzusetzen. Nach Erledigung seiner Pflichten gegenüber Vespa lächelte er jetzt und fuhr seinem Sohn durch das Haar. »Und nun kannst du dir am Brunnen Gesicht und Hände waschen und mit uns zusammen essen. Auch wenn man in der Stadt gerade erst aufsteht, einige von uns sind schon seit dem ersten Hahnenschrei auf den Beinen und haben sich hungrig gearbeitet.«

*

Die gesamte Familie hatte sich im Schatten eines riesigen Feigenbaums versammelt. Außer Lucius hatte Titus Megarus noch einen weiteren Sohn im Säuglingsalter und drei Töchter, die alle denselben Familiennamen trugen sowie einen weiteren Namen, der nach traditioneller römischer Sitte die Geburtenfolge bezeichnete: Megara Majora, Megara Minora, Megara Tertia. Obwohl ich nicht genau unterscheiden konnte, wer auf dem Hof lebte und wer nur zu Besuch war, nahmen an jenem Tag auch noch zwei Schwäger am Essen teil, einer von ihnen verheiratet, mit kleinen Kindern, zwei Großmütter und ein Großvater. Die Kinder rannten umher, die Frauen saßen auf der Wiese, die Männer auf Stühlen, und mittendrin liefen zwei Sklavinnen auf und ab und sorgten dafür, daß keiner von uns hungrig blieb.

Titus’ Frau lehnte gegen den Baumstamm und versorgte das Baby; ihre älteste Tochter saß daneben und gurrte ein Schlaflied, das der vor sich hin plätschernden Melodie des in der Nähe vorbeifließenden Baches nachempfunden schien. Im Haus von Titus Megarus hatte stets jemand ein Lied auf den Lippen.

Titus stellte mich seinem Vater und seinen Schwägern vor, die schon etwas über den Zweck meines Besuchs zu wissen schienen. Gemeinsam machten sie sich über Capito, Magnus und ihren Kumpan Glaucia lustig, dann ließen sie das Thema mit einem Kopfnicken fallen und schürzten die Lippen, als wollten sie mir sagen, daß ich mich auf ihre Diskretion verlassen konnte. Bald wandte sich das Gespräch dem Wetter und der Ernte zu, und Titus rückte mit seinem Stuhl näher zu mir.

»Wenn du vorhattest, dir Capito und seine Kumpane vor deiner Abreise einmal anzusehen, wirst du wohl enttäuscht werden.«

»Wieso?«

»Ich habe Lucius heute morgen zu Besorgungen in die Stadt geschickt, und auf dem Rückweg ist er den dreien auf der Straße begegnet. Magnus murmelte irgendeine Unfreundlichkeit, also hat Lucius ihn höflich gefragt, wohin die Reise gehen sollte. Capito hat ihm erzählt, daß sie unterwegs zu neuen Gütern am Ufer des Tiber seien, um dort zu jagen. Was natürlich bedeutet, daß sie unmöglich vor Sonnenuntergang zurück sein können, wenn sie überhaupt heute noch heimkehren.«

»Womit das Haus in der Obhut von Capitos Frau bleibt.«

»Wohl kaum. Als Lucius in der Stadt war, hat er aufgeschnappt, daß die beiden gestern einen schrecklichen Streit hatten und daß die Frau nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Haus gestürmt ist, um bei ihrer Tochter in Narnia zu übernachten. Das heißt, zur Zeit ist niemand für das Anwesen verantwortlich außer einem graubärtigen alten Verwalter, den Capito von Sextus Roscius geerbt hat. Man sagt, der Alte trinkt den ganzen Tag Wein und haßt seinen neuen Herrn. Ich erzähle dir das nur für den Fall, daß du in Capitos Villa Dinge zu erledigen hast. Der Herr und seine Frau und alle anderen außer Haus, das kommt dir vermutlich ungelegen. Oder auch nicht.«

Er wandte sich wieder dem allgemeinen Gespräch zu und trug das feinsinnige Lächeln eines Verschwörers zur Schau, der ziemlich zufrieden mit sich war.

Tatsächlich verließ ich Titus Megarus ohne die Absicht, noch einmal bei Capitos Haus haltzumachen. Was ich wissen mußte, hatte ich schon auf dem Hinweg in Erfahrung gebracht; in meinem Beutel trug ich eine Kopie der Petition, die Titus und seine Mitbürger Chrysogonus aus Protest gegen die Proskription von Sextus Roscius vorgelegt hatten. Ich hatte kaum Augen für die friedliche Heiterkeit des Tals von Ameria, als ich es verließ. Während ich auf meinem Durchschnittspferd den Hügel hinaufritt, waren meine Gedanken schon in Rom, bei Bethesda, Cicero und Tiro; bei den Leuten aus der Straße des Hauses der Schwäne. Ich runzelte die Stirn, als mir die Witwe Polia in den Sinn kam, und mußte dann lächeln, als ich an die Hure Elektra dachte; und dann machte ich abrupt kehrt und begab mich auf den Weg zu Capitos Haus.

Der Sklave Carus war nicht erfreut, mich zu sehen. Er erkannte mich mit einem geplagten Blick, als sei ich nur gekommen, ihn zu quälen.

»Warum so bedrückt?« fragte ich und ging an ihm vorbei in die große Vorhalle. Die Wände waren frisch rosa verputzt. Der in einem schwarzweißen Karomuster geflieste Boden war mit Sägemehlhäufchen bedeckt, und der ganze Raum hallte mit dem unnatürlichen Echo eines Hauses wieder, das gerade renoviert wird. »Ich hatte gedacht, heute wäre so etwas wie ein Feiertag für dich, wo doch dein Herr und deine Herrin nicht da sind.«

Er verzog das Gesicht, als wollte er mir eine Lüge auftischen, besann sich jedoch eines Besseren. »Was willst du?«

»Was stand denn vorher hier?« fragte ich und trat näher zu einer Nische, die eine überaus schlechte Kopie einer griechischen Alexanderbüste beherbergte, ein lächerlich prätentiöses Kunstwerk, bestimmt nicht die Art Gegenstand, die der junge Sextus Roscius in seinem Heim aufgestellt hätte; es sah mehr aus wie ein Dekorationsstück aus dem Haus eines Wegelagerers, der die Villen der geschmacklosen Reichen ausplündert.

»Ein Blumenstrauß«, sagte Carus und starrte mit leerem Blick auf die Büste, die mit ihrem nichtssagenden Ausdruck und den wüsten Haarsträhnen eher an Medusa als an Alexander erinnerte, »ln den Tagen, bevor sich alles änderte, hat meine Herrin immer eine silberne Vase in diese Nische gestellt mit frischen Blumen aus dem Garten. Manchmal im Frühling haben die Mädchen auch Wildblumen von den Hügeln mitgebracht...«

»Ist der Verwalter schon betrunken?«

Er sah mich argwöhnisch an. »Analaeus ist so gut wie nie nüchtern.«

»Dann sollte ich vielleicht besser fragen: Ist er unpäßlich?«

»Falls du bewußtlos meinst, wahrscheinlich. Am anderen Ende des Anwesens gibt es ein kleines Haus, in das er sich gerne zurückzieht, wenn er kann.«

»Das Haus, in dem Sextus und seine Familie gewohnt haben, nachdem Capito sie vertrieben hatte?«

Carus sah mich finster an. »Genau. Ich habe gesehen, wie Analaeus sich heute morgen zusammen mit dem neuen Sklavenmädchen aus der Küche dorthin auf den Weg gemacht hat, nachdem der Herr weggeritten war. Die und eine Flasche Wein sollten ihn den Tag über beschäftigt halten.«

»Gut, dann wird uns ja niemand stören.« Ich schlenderte in den nächsten Raum, eine Art Wohnzimmer. Der Raum war übersät mit den Abfällen der gestrigen Feier, einer Feier, wie sie drei Männer von rauher Wesensart abhalten, wenn ihre Frauen nicht da sind. Eine schüchterne, junge Sklavin versuchte eifrig, Ordnung in das Chaos zu bringen, wobei sie sich mit einem Ausdruck völliger Hilflosigkeit von einer Katastrophe zur nächsten bewegte.

Sie wich meinem Blick aus, und als Carus in die Hände klatschte, verließ sie hastig den Raum.

An einer Wand hing bedeutungsvoll ein großes Familienporträt, Wachsmalerei auf Holz. Von dem kurzen Blick, den ich tags zuvor auf ihn geworfen hatte, erkannte ich Capito:

ein weißhaariger, mürrisch aussehender Mann. Seine Frau war eine strenge Matrone mit ausgeprägter Nase. Links und rechts standen diverse erwachsene Kinder mit Ehegatten. Die gesamte Familie schien den Künstler argwöhnisch anzustarren, als befürchteten sie bereits, einen überhöhten Preis zahlen zu müssen.

»Wie ich sie verabscheue«, flüsterte Carus. Ich sah ihn überrascht an. Er hielt den Blick weiter auf das Bild gerichtet. »Die ganze Sippschaft, verdorben bis ins Mark. Guck sie dir an, so selbstgefällig und selbstzufrieden. Das Porträt war so ziemlich das erste, was sie nach ihrem Einzug bestellt haben. Sie haben extra einen Künstler aus Rom dafür hergebracht. So begierig waren sie, diesen schadenfrohen Blick des Triumphes für die Nachwelt festzuhalten.« Er schien unfähig, weiter zu sprechen; seine Lippen zitterten vor Verachtung. »Wie kann ich dir erzählen, was ich in diesem Haus mit angesehen habe, seit sie hier eingezogen sind? Die Gemeinheit, die Vulgarität, die vorsätzlichen Grausamkeiten? Sextus Roscius war vielleicht nicht der beste Herr, den man sich wünschen kann, und auch die Herrin war bestimmt manchmal wütend, aber sie haben mir nie ins Gesicht gespuckt. Und selbst wenn Sextus Roscius seinen Töchtern ein schrecklicher Vater war, was geht mich das an? Ah, die Mädchen waren immer so niedlich. Wie leid sie mir getan haben.«

»Ein schrecklicher Vater?« sagte ich. »Was meinst du damit?«

Carus ignorierte mich. Er schloß die Augen und wandte sich von dem Porträt ab. »Was willst du eigentlich? Wer hat dich nach Ameria geschickt? Sextus Roscius? Oder diese reiche Frau aus Rom, von der er gesprochen hat? Weswegen bist du gekommen? Um sie im Schlaf zu ermorden?«

»Ich bin kein Mörder«, erklärte ich ihm.

»Warum bist du dann hier?« Er wirkte plötzlich wieder ängstlich.

»Ich bin gekommen, um dir eine Frage zu stellen, die ich gestern vergessen habe.«

»Ja?«

»Sextus Roscius - pater, nicht filius - hat regelmäßig eine Prostituierte in Rom besucht. Ich meine, es gab etliche Prostituierte, aber diese war etwas ganz Besonderes für ihn. Ein junges Mädchen mit honigfarbenem Haar, sehr süß. Ihr Name -«

»Elena«, sagte er.

»Sie haben sie kurz nach der Ermordung des alten Herrn hierhergebracht.«

»Wer hat sie hergebracht?«

»Ich kann mich nicht so recht erinnern, wer oder wann genau. Alles war so verwirrend, dieser ganze Unsinn mit den Listen und Gesetzen. Vermutlich waren es Magnus und Mallius Glaucia.«

»Und was haben sie mit ihr gemacht?«

Er schnaubte verächtlich. »Was haben sie nicht mit ihr gemacht?«

»Du meinst, sie haben sie vergewaltigt?«

»Und Capito hat zugesehen. Er hat sich dabei von den Küchenmädchen Essen und Wein auftragen lassen und sie fast zu Tode geängstigt. Ich hab ihnen gesagt, sie sollten in der Küche bleiben, ich würde die Bedienung übernehmen -und Capito hat mich mit der Peitsche geschlagen und geschworen, er würde mich kastrieren lassen. Sextus Roscius war außer sich, als ich ihm davon erzählte. Das war zu der Zeit, als er noch Zutritt zum Haus hatte, obwohl die Soldaten ihn bereits rausgeworfen hatten. Er hat ständig mit Capito gestritten, und wenn er sich nicht mit ihm gestritten hat, hat er in dem kleinen Haus auf der anderen Seite gesessen und vor sich hin gebrütet. Ich weiß, daß sie sich oft über Elena gestritten haben.«

»Und als sie sie hergebracht haben, konnte man da schon sehen, daß sie schwanger war?«

Er warf mir einen wütenden, verängstigten Blick zu, und ich sah, daß er sich fragte, wie ich soviel wissen konnte, ohne einer von ihnen zu sein. »Natürlich«, gab er unwillig zurück, »Zumindest, wenn sie nackt war. Begreifst du denn nicht, darum ging es doch. Magnus und Glaucia behaupteten, sie könnten sie dazu bringen, das Kind zu verlieren, vor allem wenn sie sie beide gleichzeitig nahmen.«

»Und haben sie es geschafft?«

»Nein. Danach haben sie sie in Ruhe gelassen. Vielleicht war es Sextus gelungen, Capito milder zu stimmen, ich weiß nicht. Ihr Bauch wuchs und wuchs. Sie wurde den Küchensklaven zugeteilt und hat ihren Teil der Arbeit erledigt. Aber direkt nach der Geburt des Kindes ist sie verschwunden.«

»Wann war das?«

»Vor etwa drei Monaten. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern.«

»Dann haben sie sie also zurück nach Rom gebracht?«

»Vielleicht. Oder sie haben sie umgebracht. Entweder sie oder das Baby oder alle beide.«

»Wie meinst du das?«

»Komm mit, ich zeig’s dir.«

Wortlos führte er mich auf ein Feld hinter dem Haus. Er bahnte sich einen Weg durch die Weinreben und zwischen den Sklaven hindurch, die im Schatten der Blätter dösten oder schliefen. Ein Pfad wand sich auf einen Hügel zu der Familiengrabstätte, deren Stelen ich tags zuvor kurz gesehen hatte.

»Hier«, sagte er. »An der Erde kann man die neueren Gräber erkennen. Der alte Herr wurde hier neben Gaius beerdigt.« Er wies auf zwei Gräber. Das ältere von beiden war mit einer edel geschnitzten Stele verziert, die einen gutaussehenden jungen Römer in der Tracht eines Hirten darstellte, der von Satyrn und Nymphen umgeben war; darunter war viel Text eingraviert, aus dem mir die Worte GAIUS, GELIEBTER SOHN, GESCHENK DER GÖTTER sofort ins Auge fielen. Der frischere Hügel wurde lediglich durch eine schlichte Tafel ohne Inschrift markiert, offenbar nur eine vorübergehende Lösung.

»Man sieht, wie abgöttisch Gaius von seinem Vater geliebt wurde«, sagte Carus. »Eine wunderschöne Arbeit, nicht wahr? Extra angefertigt von einem Kunsthandwerker aus der Stadt, der den Jungen kannte; ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Er war sehr attraktiv, wie man sieht, und der Stein fängt sogar den Ausdruck seiner Augen ein. Der alte Herr hat natürlich bisher nur eine Bettlerstele bekommen, auf der nicht einmal sein Name steht. Sextus wollte sie nur so lange dort lassen, bis er eine Spezialanfertigung nach Porträts seines Vaters in Auftrag geben konnte. Du kannst wetten, daß Capito keinen Denar seines neu erworbenen Vermögens für einen Grabstein ausgeben wird.«

Er berührte nach alter etruskischer Sitte mit den Fingern seine Lippen und dann jeden der beiden Grabsteine, um den Toten seine Ehrerbietung zu erweisen, und führte mich dann zu einem mit Unkraut überwucherten Fleck in der Nähe. »Und das ist das Grab, das auf einmal da war, nachdem Elena verschwunden war.«

Es war nichts weiter als ein kleiner Erdhügel mit einem in zwei Teile gebrochenen Stein, um die Stelle zu markieren.

»Wir haben gehört, wie sie in der Nacht zuvor das Kind geboren hat. Sie hat laut genug geschrien, um das ganze Haus aufzuwecken. Vielleicht haben Magnus und Glaucia ihr doch irgendwelche furchtbaren inneren Verletzungen zugefügt. Am nächsten Tag tauchte Sextus Roscius hier auf, obwohl ihm Capito längst verboten hatte, das Haus zu betreten. Doch Sextus hat sich Zugang zu Capitos Arbeitszimmer verschafft. Sie haben die Tür zugeschlagen, und dann habe ich sie lange streiten hören. Erst haben sie sich angeschrien, später wurde es ganz leise. Hinterher war Elena verschwunden, aber ich weiß nicht, wohin. Und dann haben mir ein paar der anderen Sklaven von dem neuen Grab erzählt. Es ist ein recht kleines Grab, oder nicht? Aber nur für das Baby doch auch wieder ziemlich groß. Elena war selbst klein, fast noch ein Kind. Was denkst du, ist es groß genug für sie und ihr Baby?«

»Ich weiß es nicht«, sagte ich.

»Ich auch nicht. Und niemand hat es mir je erzählt. Aber ich glaube, das Baby wurde entweder tot geboren oder sie haben es umgebracht.«

»Und Elena?«

»Sie haben sie zu Chrysogonus nach Rom gebracht. Das hat man sich wenigstens unter den Sklaven erzählt. Vielleicht ist da auch nur der Wunsch der Vater des Gedankens.«

»Vielleicht liegt auch Elena hier begraben, und das Kind lebt noch.«

Carus zuckte nur die Schultern und machte sich auf den Weg zurück zum Haus.

So brach ich doch später als erhofft von Ameria auf. Ich beherzigte den Rat von Titus Megarus und übernachtete bei seinem Vetter. Den ganzen Weg über und in jener Nacht unter fremdem Dach grübelte ich über das, was Carus mir erzählt hatte, und aus irgendeinem Grund waren es weder die Worte über Elena und ihr Kind noch die über Capito und seine Familie, die mir im Kopf herumgingen. Es war vielmehr etwas, was er über seinen früheren Herrn gesagt hatte: »Und selbst wenn Sextus Roscius seinen Töchtern ein schrecklicher Vater war, was geht mich das an?« In diesen Worten klang etwas Irritierendes mit, und ich zerbrach mir darüber den Kopf, bis mich der Schlaf schließlich wieder übermannte.

20

Ich erreichte Rom kurz nach Mittag. Es war brütend heiß, doch in Ciceros Arbeitszimmer herrschte ein recht frostiges Klima.

»Und wo hast du gesteckt?« fuhr er mich an. Er rannte mit verschränkten Armen im Zimmer umher und starrte erst mich und dann einen Haussklaven an, der im Atrium Unkraut zupfte. Tiro stand an einem Tisch vor einem Haufen ausgebreiteter und mit Gewichten beschwerter Schriftrollen. Auch Rufus war da, er saß in einer Ecke und klopfte sich mit dem Finger auf die Unterlippe. Die beiden warfen mir mitleidige Blicke zu, die mir signalisierten, daß ich heute nicht das erste Opfer von Ciceros Zorn war. In nur vier Tagen sollte der Prozeß stattfinden, und der Debütant vor der Rostra verlor langsam die Fassung.

»Aber du hast doch sicher gewußt, daß ich in Ameria war«, sagte ich. »Ich habe Tiro Bescheid gesagt, bevor ich die Stadt verlassen habe.«

»Ja, wie schön für dich, einfach nach Ameria zu verschwinden und uns hier mit dem Fall allein zu lassen. Du hast Tiro gesagt, daß du gestern zurück sein wolltest.« Er stieß einen kleinen Rülpser aus, verzog das Gesicht und hielt sich den Bauch.

»Ich habe Tiro gesagt, daß ich mindestens einen Tag fort sein würde, möglicherweise auch länger. Ich nehme an, es interessiert dich nicht weiter zu hören, daß mein Haus seit unserer letzten Begegnung von bewaffneten Schlägern überfallen worden ist - und vielleicht in meiner Abwesenheit noch ein weiteres Mal angegriffen wurde, was ich nicht weiß, weil ich noch nicht dorthin zurückgekehrt, sondern statt dessen direkt hierhergekommen bin. Sie haben meine Sklavin bedroht, die mit Glück entkommen ist, und meine Katze abgeschlachtet, was dir als Lappalie erscheinen mag, in einem zivilisierten Land wie Ägypten jedoch ein Omen von geradezu katastrophalen Ausmaßen wäre.«

Tiro wirkte entsetzt. Cicero sah aus, als litte er unter heftigen Verdauungsstörungen. »Ein Angriff auf dein Haus - am Abend, bevor du Rom verlassen hast? Das kann unmöglich etwas mit meinem Auftrag zu tun haben. Wie hätte irgend jemand davon wissen können -«

»Das kann ich dir auch nicht sagen, aber die Botschaft, die die Täter mit Blut an meiner Wand hinterlassen haben, war deutlich genug. >Schweig oder stirb. Laß der römischen Justiz ihren gerechten Lauf.< Wahrscheinlich ein guter Rat. Bevor ich Rom verlassen konnte, mußte ich die sterblichen Überreste meiner Katze verbrennen, eine Unterkunft für meine Sklavin finden und eine Wache vor meiner Tür postieren. Was die Reise selbst angeht, bist du herzlich eingeladen, einmal selbst binnen zwei Tagen nach Ameria und zurück zu reiten, um zu sehen, ob du hinterher besserer Laune bist. Mein Hintern ist so wundgeritten, daß ich kaum stehen kann, vom Sitzen ganz zu schweigen. Meine Arme sind sonnenverbrannt, und meine Innereien fühlen sich an, als hätte mich ein Titan genommen und wie ein paar Würfel durch die Gegend geworfen.«

An Ciceros Unterkiefer traten die Muskeln hervor, seine Lippen waren geschürzt. Er wollte mich gerade erneut anfahren.

Ich hob die Hand, um ihn nicht zu Wort kommen zu lassen. »Aber, nein, Cicero, du mußt dich jetzt noch gar nicht für all die Mühen bedanken, die ich um deinetwillen auf mich genommen habe. Erst einmal wollen wir uns einen Moment in Ruhe hinsetzen, während einer deiner Sklaven uns etwas zu trinken und ein Mahl bringt, das einen hungrigen Mann mit einem eisernen Magen zufriedenstellt, der seit Tagesanbruch nichts gegessen hat. Dann werde ich dir erzählen, was ich auf meinem Erkundungsgang mit Tiro neulich und in Ameria herausgefunden habe. Und danach kannst du dich bei mir bedanken.«

*

Was Cicero, nachdem ich meine Geschichte beendet hatte, auch recht ausgiebig tat. Seine Verdauungsprobleme schienen sich in Luft aufgelöst zu haben, er verstieß sogar gegen seine strenge Diät und trank einen Becher Wein mit uns. Ich sprach die noch ungeklärte Frage der Finanzen an, Cicero zeigte sich äußerst zugänglich. Er willigte ein, nicht nur die zusätzlichen Kosten zu übernehmen, die dadurch entstanden, daß ich Vespa ein paar Tage länger in Ameria zurückgelassen hatte, sondern bot freiwillig an, bis zur Beendigung des Prozesses einen bewaffneten Leibwächter für mein Haus zu engagieren. »Miete dir einen Gladiator oder wen immer du willst«, sagte er. »Stell mir den Betrag in Rechnung.« Als ich die Petition hervorzog, mit der die Bürger von Ameria Sulla gebeten hatten, die Proskription des alten Roscius rückgängig zu machen, glaubte ich, Cicero würde mich zum Alleinerben einsetzen.

Während ich berichtete, beobachtete ich aufmerksam Rufus’ Gesicht. Sulla war immerhin sein Schwager, auch wenn die Geschichte, die Titus Megarus mir erzählt hatte, nicht Sulla belastete, sondern Chrysogonus, seinen Ex-Sklaven und Stellvertreter. Trotzdem fürchtete ich, er könne beleidigt sein. Einen Augenblick lang erwog ich die Möglichkeit, Rufus könnte mich an die Feinde von Sextus Roscius verraten und Mallius Glaucia auf mich angesetzt haben, aber in seinen braunen Augen konnte ich keinerlei Arglist entdecken, und es war nur schwer vorstellbar, daß sich hinter diesen fragend hochgezogenen Augenbrauen und der sommersprossigen Nase ein Spion verbarg. (Vor Frauen mit rotem Haar soll man sich hüten, heißt es in Alexandria, aber einem rothaarigen Mann kann man blind vertrauen.) Es war vielmehr so, daß Rufus, als sich die Erzählung Sulla zuwandte und schlechtes Licht auf ihn warf, einen recht zufriedenen Eindruck machte.

Als ich fertig war, begann Cicero seine Strategie zu skizzieren, und Rufus zeigte sich eifrig bemüht, ihm zu helfen. Cicero wollte ihn gleich zum Forum schicken, aber ich schlug vor, daß Rufus statt dessen mich begleiten und sich später um die juristischen Botengänge kümmern sollte. Nachdem ich die Wahrheit zutage gefördert hatte, wollte ich Sextus Roscius damit konfrontieren, um zu sehen, ob ich nicht durch seinen Panzer dringen konnte, wobei es mir aus Gründen des Anstands lieber war, bei Caecilia Metella nicht als einsamer Fragesteller aufzutauchen, sondern als bescheidener Besucher in Gesellschaft ihres lieben jungen Freundes.

Tiro war damit beschäftigt, seine Zusammenfassung meines Berichts zu vervollständigen. Sobald ich den Besuch bei Caecilia erwähnte, sah ich, wie er verstohlen aufblickte. Er biß sich auf die Unterlippe und runzelte die Stirn, offensichtlich bemüht, einen legitimen Vorwand zu finden, um mit uns zu kommen. Natürlich dachte er an die junge Roscia. Als Rufus und ich unseren Aufbruch vorbereiteten, wurde er zusehends nervöser, sagte jedoch nichts.

»Und, Cicero«, sagte ich schließlich, »wenn du Tiro vielleicht entbehren könntest - das heißt, wenn du ihn nicht für deine Arbeit in diesem Fall brauchst -, wäre ich dir sehr dankbar, wenn er uns begleiten könnte.« Ich beobachtete, wie Tiros Gesicht aufleuchtete.

»Aber ich wollte mit ihm noch einmal deinen Bericht durchgehen. Vielleicht möchte ich mir ein paar eigene Beobachtungen notieren.«

»Ja, also, ich dachte nur - das heißt, es gibt da noch ein paar Punkte in den Gesprächen, zu denen er mich neulich begleitet hat, vor allem was die Befragung im Haus der Schwäne angeht, die ich mit ihm klären muß -

Gedächtnislücken, die aufgefrischt werden müssen und so weiter. Natürlich hat das auch noch einen Tag Zeit, aber viele Tage bleiben uns nicht mehr. Außerdem könnte es gut sein, daß sich im Gespräch mit Roscius ein paar neue Aspekte ergeben, die er aufzeichnen könnte.«

»Also gut«, sagte Cicero. » Ich bin sicher, daß ich für den Rest des Nachmittages auch ohne ihn zurechtkomme.« In seiner Euphorie angesichts eines überwältigenden Sieges in der Rostra ging er sogar so weit, sich noch einen Becher Wein einzuschenken und nach einer Brotkruste zu greifen.

Tiro sah aus, als würde er jeden Moment vor Glück und Dankbarkeit losheulen.

Ich hatte Cicero angelogen; ich hatte keine Fragen an Tiro, Als wir über das Forum und den Palatin hinauf zu Caecilias Haus marschierten, unterhielt ich mich vielmehr mit Rufus. Tiro trottete abwesend und mit glasigen Augen hinter uns her.

Bei unserer ersten Begegnung hatte ich Rufus wenig Beachtung geschenkt. Sämtliche seiner Qualitäten waren durch die Menschen um ihn herum überdeckt worden. Als Patrizierin strahlte Caecilia ein weit größeres Prestige aus, sie ging selbstverständlicher und selbstbewußter mit ihrer Macht um; als Gelehrter stellte Cicero ihn in den Schatten; und was das jugendliche Ungestüm anging, konnte er es nicht mit Tiro aufnehmen.

Als ich jetzt endlich Gelegenheit fand, mit ihm allein zu sprechen, war ich ebenso von seiner Zurückhaltung und seinen Manieren wie von seiner schnellen Auffassungsgabe beeindruckt. Cicero hatte ihn offenbar seit Übernahme des Falles mit Botengängen zum Forum beschäftigt gehalten und ihm die Erledigung des notwendigen Formularkrams und gerichtlicher Angelegenheiten in seinem Namen übertragen.

Als wir das Forum überquerten, tauschte er mit Bekannten ein Nicken oder ein paar Worte - ehrerbietig gegenüber älteren Patriziern, weniger respektvoll gegenüber Altersgenossen oder Vertretern der niederen Stände. Obwohl er noch nicht die Toga eines erwachsenen Mannes trug, war er unter wichtigen Leuten offenbar bekannt und geschätzt.

Auf dem Forum erkennt man einen Mann an der Größe und Imposanz seines Gefolges. Crassus war berühmt dafür, mit Leibwächtern, Sklaven, Sekretären, Lakaien, Wahrsagern und Gladiatoren im Schlepptau durch die Straßen zu paradieren. Wir sind schließlich eine Republik, und die schiere Masse von Volk, die einen Politiker umgibt, zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Es ist eher die Quantität als die Qualität seiner Gefolgschaft, die einem Mann auf dem offenen Forum Ansehen einbringt; man sagt, daß einige Zeitgenossen, die nach Ämtern streben, sich ihre Anhängerschar im Paket kaufen, und es gibt Römer, die von den Krumen leben, die abfallen, wenn man sich im Gefolge eines mächtigen Mannes in der Stadt blicken läßt. Auf halbem Weg über das Forum wurde mir klar, daß Tiro und ich, wie unangemessen wir auch wirken mochten, als Rufus’ Gefolgschaft angesehen wurden. Ich konnte mir bei dieser Vorstellung ein Lachen nicht verkneifen.

Rufus schien meine Gedanken gelesen zu haben. »Mein Schwager«, begann er und betonte die Worte so, daß nur Sulla gemeint sein konnte, »hat sich neuerdings angewöhnt, das Forum ganz ohne Gefolge zu überqueren mit nicht einmal einem Leibwächter. Als Vorbereitung auf seinen Ruhestand, sagt er, und auf seine Rückkehr ins Privatleben.«

»Ob das klug ist?«

»Ich nehme an, er ist so bedeutend, daß er kein Gefolge mehr braucht, um andere zu beeindrucken. So glänzend und brillant, daß alle seine Begleiter schlicht unsichtbar wären, von seinem blendenden Licht verdeckt wie Kerzen neben der Sonne.«

»Und während man Kerzen, wenn man Lust hat, ausblasen kann, vermag niemand die Sonne zu löschen.«

Rufus nickte. »Die deshalb keine Leibwächter braucht. Scheint Sulla zumindest zu glauben. Er nennt sich neuerdings auch Sulla, Geliebter der Fortuna - als ob er mit der Göttin persönlich verheiratet wäre. Er glaubt, sein Leben steht unter ihrem Schutz, und wer wollte ihm da widersprechen?«

Rufus hatte den ersten Schritt gemacht und seine Bereitschaft angedeutet, offen über den Gatten seiner Schwester zu sprechen. »Du kannst Sulla ernstlich nicht leiden, was?« sagte ich.

»Ich habe den größten Respekt vor ihm. Ich glaube, er muß ein wahrhaft großer Mann sein. Aber ich kann es kaum ertragen, mich im selben Raum mit ihm aufzuhalten. Es übersteigt meine Vorstellungskraft zu erkennen, was Valeria in ihm sieht, obwohl ich weiß, daß sie ihn aufrichtig liebt. Wie sehr sie sich ein Kind von ihm wünscht! Ich höre sie ohne Ende mit den Frauen in unserem Haus darüber reden, wenn sie zu Besuch ist. Als Geliebte des Geliebten der Fortuna wird sie vermutlich ihren Willen bekommen.«

»Dann hast du deinen Schwager ganz gut kennengelernt?«

» So gut, wie ich es als kleiner Bruder seiner Frau eben muß.«

»Und hast du auch die Bekanntschaft seines engeren Freundeskreises gemacht?«

»Du möchtest mich nach Chrysogonus fragen?«

»Ja.«

»Alle Geschichten sind wahr. Heute sind sie natürlich nur noch freundschaftlich verbunden. In fleischlichen Angelegenheiten ist Sulla sehr launenhaft, aber gleichzeitig treu, weil er seine Geliebten nie fallenläßt; wenn er jemand einmal seine Zuneigung geschenkt hat, entzieht er sie nie wieder. Wenn Sulla eins ist, dann standhaft, als Freund wie als Feind. Was Chrysogonus angeht, ich glaube, wenn du ihn sähest, würdest du es verstehen. Es stimmt, er hat als bloßer Sklave angefangen, aber manchmal gefällt es den Göttern, die Seele eines Löwen im Körper eines Lamms wohnen zu lassen.«

»Dann ist Chrysogonus also ein raubgieriges Lamm?«

»Ein Lamm schon lange nicht mehr. Es ist wahr, Sulla hat ihm das Fell geschoren, aber ihm ist eine Mähne aus purem Gold nachgewachsen. Chrysogonus trägt sie mit Anmut. Er ist sehr reich, sehr mächtig und völlig skrupellos. Und schön wie ein junger Gott. Dafür hat Sulla ein Auge.«

»Es klingt, als könntest du Sullas Liebling noch weniger leiden als ihn selbst.«

»Ich habe nie gesagt, daß ich Sulla nicht leiden kann, oder? So einfach ist die Sache nicht. Es fällt mir schwer, meine Gefühle in Worte zu fassen. Er ist ein großer Mann. Seine Aufmerksamkeit schmeichelt mir, auch wenn sie unschicklich ist, wo er doch mit meiner Schwester verheiratet ist.« Er warf mir einen Seitenblick zu, der ihn weit älter als sechzehn aussehen ließ. »Du hast wahrscheinlich gedacht, Caecilia macht Witze oder phantasiert, als sie neulich vorschlug, ich solle meinen Charme zugunsten von Sextus Roscia einsetzen.« Er schnaubte und rümpfte die Nase. »Mit Sulla? Unvorstellbar!«

Wir kamen an einer Gruppe von Senatoren vorbei. Einige von ihnen erkannten Rufus und blieben stehen, um ihn nach dem Fortgang seiner Studien zu fragen und ihm zu erzählen, daß sie von seinem Bruder Hortensius gehört hätten, daß er irgend etwas mit einem Fall zu tun hätte, der in Kürze vor der Rostra verhandelt werden sollte. Mit Männern seiner eigenen Klasse legte Rufus ein nahezu perfektes Verhalten an den Tag, gleichzeitig charmant und aufmerksam, zurückhaltend und doch selbstbewußt wie alle Römer; aber ich erkannte, daß ein Teil von ihm unnahbar und distanziert blieb, ein

Beobachter und Kritiker des eigenen künstlichen Gehabes. Ich begann zu begreifen, warum Cicero so erfreut war, ihn als Protégé um sich zu haben, und ich begann mich zu fragen, ob nicht in gewisser Weise Cicero der Schüler war, der von Rufus lernte, sich über seine eigene ländliche Abstammung und Anonymität zu erheben, um jene mühelose Selbstverständlichkeit des gesellschaftlichen Umgangs anzunehmen, die einem jungen Patrizier aus einer der bedeutenden römischen Familien in die Wiege gelegt war.

Die Senatoren zogen ihres Wegs, und Rufus fuhr fort, als wären wir nie unterbrochen worden. »Ich bin sogar morgen abend zu einer Gesellschaft geladen, die Chrysogonus in seinem Haus auf dem Palatin ganz in der Nähe von Caecilias Villa gibt. Sulla und sein engster Freundeskreis werden dort sein; Valeria nicht. Ich habe erst heute morgen eine Nachricht von Sulla erhalten, in der er mich auffordert, doch unbedingt zu kommen. >Bald wird man dir die Toga der Erwachsenen anlegen<, schreibt er. >Es ist Zeit, daß deine Erziehung zum Mann beginnt. Welcher Ort wäre dafür geeigneter als die Gesellschaft der vornehmsten Männer Roms?< Kannst du dir das vorstellen - er redet über seine Freunde von der Bühne, alles Schauspieler, Komödianten und Akrobaten. Zusammen mit den Sklaven, die er zu Bürgern gemacht hat, damit sie die Plätze derjenigen einnehmen, die er hat enthaupten lassen. Meine Eltern bedrängen mich hinzugehen. Hortensius sagt, ich wäre ein Dummkopf, wenn ich es nicht täte. Sogar Valeria meint, ich sollte hingehen.«

»Genau wie ich«, sagte ich leise und atmete tief ein, um den Aufstieg auf den Palatin zu beginnen.

»Um den ganzen Abend Sullas Annäherungsversuche abzuwehren? Dafür müßte ich Akrobat, Schauspieler und Komödiant auf einmal sein.«

»Tu es für Sextus Roscius und seinen Fall. Tu es für Cicero.«

Bei der Erwähnung von Ciceros Namen wurde sein Gesicht ernst. »Wie meinst du das?«

»Ich brauche Zugang zu Chrysogonus’ Haus. Ich muß sehen, welche von Sextus Roscius’ Sklaven sich noch in seinem Besitz befinden. Wenn es geht, möchte ich sie befragen. Es wäre leichter, wenn ich einen Freund in seinem Haus hätte. Hältst du es für Zufall, daß diese Feier und unser Bedürfnis sich treffen? Die Götter sind uns gewogen.«

»Fortuna, will ich hoffen, und nicht Venus.«

Ich lachte, obwohl es mich wertvollen Atem kostete, und stapfte dann weiter den Berg hinauf.

*

»Dann stimmt es also?« sagte ich. Ich starrte Sextus Roscius in die Augen und wollte ihn dazu bringen, eher zu blinzeln als ich. »Jedes Wort, das Titus Megarus mir erzählt hat? Aber warum hast du uns das nicht gleich gesagt?«

Wir saßen in demselben engen, erbärmlichen Zimmer, in dem wir uns schon einmal getroffen hatten. Diesmal hatte sich Caecilia Metella, nachdem sie eine Kurzfassung der Geschichte gehört hatte, uns angeschlossen. Die Vorstellung, ihr geliebter Sextus Roscius sei als Feind Sullas geächtet worden, sei absurd, erklärte sie, geradezu obszön. Sie war begierig zu hören, was sein Sohn dazu zu sagen hatte. Rufus saß direkt neben ihr, und eine ihrer Sklavinnen stand schweigend in der Ecke und wedelte ihr mit Pfauenfedern an einem langen Stiel frische Luft zu, als sei sie die Gemahlin eines Pharaos. Tiro stand mit Täfelchen und Stilus zappelnd rechts neben mir.

Sextus starrte zurück, nicht bereit zu blinzeln. Dieses Blickduell kostete bald soviel Kraft wie die Hitze. Die meisten Männer, die Zeit zum Erfinden einer Ausrede oder Lüge gewinnen wollen, wenden den Blick ab, betrachten irgend etwas, egal was, solange es nicht zurückstarrt. Sextus Roscius hingegen stierte mich ausdruckslos an, bis ich schließlich blinzelte. Ich meinte, ein Lächeln auf seinem Gesicht gesehen zu haben, aber das kann auch Einbildung gewesen sein. Ich begann zu glauben, daß er vielleicht wirklich verrückt war.

»Ja«, sagte er schließlich. »Es stimmt. Jedes einzelne Wort.«

Caecilia stieß ein eigenartig verzweifeltes Kichern aus. Rufus strich ihr sanft über die faltige Hand.

»Warum hast du Cicero dann nichts davon erzählt? Hast du irgend etwas gegenüber Hortensius erwähnt, als er noch dein Anwalt war?«

»Nein.«

»Aber wie sollen dich diese Männer verteidigen, wenn du ihnen nicht erzählst, was du weißt?«

»Ich habe keinen von beiden gebeten, meinen Fall zu übernehmen. Das hat sie getan.« Er zeigte unhöflich auf Caecilia Metella.

»Willst du damit sagen, daß du gar keinen Anwalt willst?« fuhr Rufus ihn an. »Was glaubst du, wie deine Chancen stünden, wenn du allein gegen einen Ankläger wie Gaius Erucius vor der Rostra erscheinst?«

»Wie stehen meine Chancen denn jetzt? Selbst wenn es mir irgendwie gelingen sollte, ihnen vor Gericht zu entkommen, dann spüren sie mich eben hinterher auf und machen mit mir, was sie wollen, genau wie mit meinem Vater.«

»Nicht unbedingt«, wandte Rufus ein. »Nicht, wenn Cicero die Lügen von Capito und Magnus vor Gericht bloßstellen kann.«

»Aber um das zu tun, müßte er Chrysogonus’ Namen ins Spiel bringen, oder nicht? O ja, man kann keine Flöhe fangen, ohne mit dem Hund zu kämpfen, und das geht nicht, ohne an der Leine seines Herrn zu ziehen. Der Hund könnte beißen, und seinem Herrn wird es gar nicht gefallen, sich von einem kleinen Bauernanwalt bloßstellen zu lassen. Selbst wenn er den Fall gewinnt, wird euer hochgeschätzter Meister Kichererbse mit seinem Kopf auf einem Stock enden. Erzähl mir nicht, daß es einen Advokaten in Rom gibt, der das Risiko eingehen will, Sulla offen ins Gesicht zu spucken. Und wenn es ihn doch gibt, ist er viel zu dumm, um mich erfolgreich zu vertreten.«

Rufus und Tiro waren gleichermaßen empört. Wie konnte Roscius so über Cicero reden, ihren Cicero? Roscius’ Ängste galten ihnen nichts; ihr Glauben an Cicero war unerschütterlich.

Ich hingegen fürchtete, daß Roscius recht hatte. Der Fall war genauso gefährlich, wie er sagte. Mich hatte man bereits bedroht (eine Tatsache, die ich unter Caecilias Dach mit Absicht verschwieg). Wenn Cicero noch nicht dasselbe Schicksal ereilt hatte, dann nur, weil er zu jenem Zeitpunkt mit der Ermittlung an sich nichts zu tun hatte und ein Mann mit weit größerem Einfluß war als ich.

Trotzdem kamen Roscius’ Worte mir irgendwie unaufrichtig vor. Ja, sein Fall war gefährlich, und weiteres Vorgehen beschwor möglicherweise den Zorn der Mächtigen herauf. Aber konnte das für ihn von irgendeiner Bedeutung sein, wo seine einzige Alternative ein grausamer Tod war? Wenn er sich gewehrt und uns die Wahrheit an die Hand gegeben hätte, die seine Unschuld und die Schuld seiner Ankläger beweisen konnte, konnte er nur gewinnen: sein Leben, seinen Frieden, vielleicht sogar die Annullierung der Proskription seines Vaters und die Rückgabe seiner Güter. Konnte er in so tiefe Hoffnungslosigkeit versunken sein, daß er völlig gelähmt war? Kann man einen Menschen so weit demoralisieren, daß er sich nach einer Niederlage und dem Tod sehnt?

»Sextus Roscius«, sagte ich, »hilf mir, es zu verstehen. Kurz nach der Tat hast du vom Tod deines Vaters erfahren. Seine Leiche wurde nach Ameria überführt, wo du mit dem Beerdigungsritual begonnen hast. Dann kamen Soldaten, verkündeten, er sei geächtet worden, so daß sein Tod eine Hinrichtung und kein Mord war, und beschlagnahmten seinen gesamten Besitz. Du wurdest aus deinem Haus vertrieben und hast bei Freunden im Dorf gewohnt. Es gab eine Auktion in Rom; Capito oder noch wahrscheinlicher Chrysogonus hat den Besitz aufgekauft. Wußtest du damals schon, wer deinen Vater ermordet hat?«

»Nein.«

»Aber du mußt doch einen Verdacht gehegt haben.«

»Ja.«

»Also gut. Nachdem Capito sich erst einmal häuslich niedergelassen hatte, bot er dir an, wieder auf dem Gut zu leben, und erlaubte dir, mit deiner Familie eine baufällige Hütte weit entfernt vom Haupthaus zu beziehen. Wie konntest du diese Demütigung hinnehmen?«

»Was hätte ich tun sollen? Gesetz ist Gesetz. Titus Megarus und der Stadtrat waren losgezogen, um Sulla persönlich eine Petition zu meinen Gunsten zu überbringen. Ich konnte nur warten.«

»Aber schließlich hat dich Capito doch ganz von dem Gut vertrieben. Warum hat er das getan?«

»Vermutlich hatte er schließlich genug von mir. Vielleicht hat er sich schuldig gefühlt.«

»Zu diesem Zeitpunkt muß dir doch zweifelsfrei klar gewesen sein, daß Capito selbst in die Ermordung deines Vaters verwickelt war. Hast du ihm gedroht?«

Er wandte den Blick ab. »Wir haben uns nie geprügelt, aber wir hatten heftige Auseinandersetzungen. Ich erklärte ihm, er sei ein Dummkopf, es sich in dem großen Haus so bequem zu machen, weil man es nie zulassen würde, daß er es behielt. Er meinte, ich sei nicht mehr als ein Bettler und sollte ihm lieber für die mir erwiesene Wohltätigkeit die Füße küssen.« Er umklammerte die Lehne seines Stuhls, und seine Knöchel wurden weiß. Er knirschte in einem plötzlichen Wutanfall mit den Zähnen. »Er sagte, ich würde eher sterben, als das Land zurückzubekommen. Er sagte, ich könne froh sein, daß ich noch nicht tot wäre. Es hat so ausgesehen, als hätte er mich rausgeworfen, aber in Wirklichkeit bin ich um mein Leben gerannt. Selbst bei Titus Megarus war ich nicht sicher; ich konnte spüren, wie sie das Haus nach Einbruch der Dunkelheit beobachteten, wie Nachtfalken, die auf ihre Chance lauern. Deswegen bin ich hierher nach Rom gekommen. Aber selbst hier wäre ich auf offener Straße nicht sicher gewesen. Dieser Raum ist der einzige Ort, an dem ich mich nicht bedroht fühle. Und nicht einmal hier lassen sie mich in Frieden! Ich hätte nie geglaubt, daß es so weit kommt, daß sie mich vor Gericht schleifen und mich in einen Sack binden wollen. Siehst du denn nicht, daß alle Macht auf ihrer Seite ist? Wer weiß, mit welchen Lügen dieser Erucius aufwarten wird? Am Ende steht sein Wort gegen Ciceros. Und auf wessen Seite wird sich wohl der Richter schlagen, wenn es darauf hinausläuft, den Diktator zu beleidigen? Ihr könnt gar nichts für mich tun!« Er fing plötzlich an zu weinen.

Caecilia Metella verzog das Gesicht, als habe sie etwas nicht Zuträgliches gegessen. Wortlos erhob sie sich von ihrem Stuhl und strebte zur Tür, die Sklavin mit dem Pfauenfächer folgte ihr auf dem Fuß. Rufus sprang auf, aber ich machte ihm ein Zeichen zu bleiben.

Roscius saß, das Gesicht in den Händen vergraben, da. »Du bist ein seltsamer Mann«, sagte ich schließlich. » Du bist erbarmungswürdig, und ich kann doch kein Mitleid mit dir empfinden. Du hast einen grausamen Tod vor Augen, eine Situation, in der die meisten Menschen jede erdenkliche Lüge Vorbringen würden, um sich zu retten, während du es scheinbar um jeden Preis vermeiden willst, die Wahrheit zu sagen, die dich allein retten könnte. Jetzt, wo sie doch ans Licht gekommen ist, gibst du sie zu und hast keinen Grund mehr zu lügen, und trotzdem... Du läßt mich meinen eigenen Instinkten mißtrauen, Sextus Roscius. Ich bin verwirrt, wie ein Hund, der vor einem Kaninchenbau einen Fuchs wittert.«

Er hob langsam den Kopf. Sein Gesicht war verzerrt vor Haß, Mißtrauen und jener Angst, die stets in seinen Augen lauerte.

Ich schüttelte den Kopf. »Mit dir zu reden erschöpft mich. Ich kriege Kopfschmerzen davon. Ich hoffe nur, daß Ciceros Kopf robuster ist.« Wir standen auf, um zu gehen. Ich wandte mich noch einmal um. »Da ist noch etwas«, sagte ich. »Eigentlich eine Lappalie. Es geht um eine junge Hure namens Elena. Weißt du, wen ich meine?«

»Ja. Natürlich. Sie hat eine Weile in dem Haus gelebt, nachdem Capito es übernommen hat.«

»Und wie ist sie dorthin gekommen?«

Er dachte nach. Zumindest hatte er aufgehört zu weinen. »Magnus und Glaucia haben sie in der Stadt aufgestöbert, glaube ich. Vermutlich hatte sie mein Vater irgendwann vorher gekauft, sie aber noch in der Obhut des Bordellbesitzers gelassen. Nach der Versteigerung hat Magnus sie dann für sich reklamiert.«

»Sie trug ein Kind, wenn ich mich nicht irre.«

Er stutzte. »Ja, du hast recht.«

»Wessen Kind?«

»Wer weiß? Sie war schließlich eine Hure.«

»Natürlich. Und was ist aus ihr geworden?«

»Woher soll ich das wissen?« - »Ich meine, nachdem sie das Baby zur Welt gebracht hat.«

»Woher soll ich das wissen?« wiederholte er wütend. »Was würdest du mit einer Hure und einem neugeborenen Sklavenkind machen, wenn du ein Mann wie Capito wärst? Wahrscheinlich sind beide längst auf einem Sklavenmarkt verkauft worden.«

»Nein«, sagte ich. »Nicht beide. Wenigstens eins von beiden ist tot und neben dem Grab deines Vaters in Ameria beerdigt.«

Von der Schwelle aus beobachtete ich ihn aufmerksam, aber er zeigte keine Reaktion.

Wir gingen schweigend zurück zu Caecilias Wohnräumen. Aus dem Augenwinkel konnte ich beobachten, wie Tiro unruhig mit den Füßen gescharrt hatte und immer nervöser geworden war, je näher unser Aufbruch rückte. Mein Kopf war zu voll mit Gedanken an Sextus Roscius, um mich um ihn zu kümmern, aber als wir jetzt zu Caecilias Flügel des Hauses zurückmarschierten, begann ich mich zu fragen, unter welchem dürftigen Vorwand ich ihn entlassen konnte, damit er sich auf die Suche nach dem Mädchen begeben konnte.

Aber Tiro war mir bereits einen Schritt voraus. Er blieb plötzlich stehen und begann sich suchend abzutasten wie jemand, der etwas verloren hat. »Beim

Herkules«, sagte er. »Ich habe den Stilus und das Täfelchen liegenlassen. Es wird nur einen Augenblick dauern, sie zu holen - es sei denn, ich hatte sie gar nicht bei mir, als du Roscius befragt hast. Dann muß ich sie ganz woanders liegenlassen haben«, fügte er noch hinzu, verzweifelt bemüht um eine Ausrede, seine Abwesenheit in die Länge zu ziehen.

»Du hattest sie bei dir«, sagte Rufus mit einem Hauch Feindseligkeit in der Stimme. »Ich weiß genau, daß du sie in der Hand hattest.«

Ich schüttelte den Kopf. »Da bin ich mir nicht so sicher. Du solltest jedenfalls zurückgehen und nachsehen, ob du sie findest, Tiro. Laß dir Zeit. Es ist ohnehin zu spät für Rufus, heute noch etwas auf dem Forum erledigt zu bekommen, und die Sonne brennt noch immer zu heiß, um unverzüglich zu Ciceros Haus zurückzueilen. Ich denke, Rufus und ich werden unsere Gastgeberin bewegen, sich noch eine Weile mit uns in ihrem Garten zu unterhalten, damit wir uns von dieser Hitze erholen können.«

Doch Caecilia sah sich außerstande, uns Gesellschaft zu leisten; der Eunuch Ahausarus erläuterte uns, daß die Befragung von Sextus Roscius sie erschöpft hatte. Obwohl persönlich indisponiert, lud sie uns ein, uns ihrer Sklaven zu bedienen, die durch den Säulengang huschten, Sitzmöbel aus der Sonne in den Schatten trugen, kalte Getränke servierten und alles für unsere Bequemlichkeit taten. Rufus wirkte lustlos und gereizt. Ich sprach ihn erneut auf die Gesellschaft an, die Chrysogonus am nächsten Abend in seinem Haus geben wollte.

»Wenn es dir ernsthaft unangenehm ist, daran teilzunehmen«, sagte ich, »dann laß es bleiben. Ich dachte nur, daß du mir möglicherweise Zutritt zu dem Haus verschaffen könntest, durch den Sklaveneingang vielleicht. Es gibt da ein paar Details, die ich nur dort in Erfahrung bringen kann. Aber ich habe natürlich kein Recht, dich zu bitten, daß -«

»Nein, nein«, murmelte er, als hätte ich ihn bei einem Tagtraum erwischt. »Ich gehe ja hin. Ich zeig dir das Haus, bevor wir den Palatin wieder hinabsteigen; es ist ganz in der Nähe. Und sei es nur um Ciceros willen, wie du gesagt hast.«

Er rief einen der Diener herbei und verlangte mehr Wein. Mir kam es so vor, als hätte er schon jetzt zuviel, aber als der Wein kam, trank er den Becher in einem Zug leer und bestellte einen weiteren. Ich räusperte mich und runzelte die Stirn. »Ich bin sicher, das Diktum lautet: Mäßigung in allen Dingen, Rufus. Darauf würde zumindest Cicero bestehen.«

»Cicero«, sagte er, als handele es sich dabei um einen Fluch. Dann wiederholte er den Namen noch einmal, als wäre es ein Witz. Er stand von seinem Hocker auf, ging zu einem Diwan und ließ sich auf die Kissen sinken. Eine milde Brise wehte durch den Garten und ließ die vertrockneten Blätter des Papyrus rascheln und den Akanthus seufzen. Rufus schloß die Augen, und sein sanfter Gesichtsausdruck erinnerte mich daran, daß er in Wahrheit noch immer ein Junge war. Ungeachtet seines adligen Standes und seiner weltmännischen Art trug er nach wie vor das Gewand der Minderjährigen mit seinen züchtigen langen Ärmeln, das auch Roscia in eben jenem Moment tragen mußte, wenn Tiro es ihr noch nicht vom Leib gerissen hatte.

»Was glaubst du, was sie jetzt gerade treiben?« fragte Rufus unvermittelt. Er klappte ein Auge auf und sah meinen verdutzten Gesichtsausdruck.

Ich tat so, als verstünde ich nicht, und schüttelte den Kopf.

»Du weißt schon, wen ich meine«, stöhnte Rufus. »Tiro braucht ganz schön lange, um seinen Stilus zu holen, oder nicht? Seinen Stilus!« Er lachte, als habe er den Witz eben erst begriffen. Aber es war ein kurzes und bitteres Lachen.

»Dann weißt du es also«, sagte ich.

»Natürlich weiß ich es. Es ist gleich beim ersten Besuch von Cicero passiert. Und danach jedesmal wieder. Ich fing schon an zu glauben, daß du es nicht bemerkt hättest. Ich hab mich gefragt, was für eine Art Sucher du bist, wenn etwas derart Offensichtliches deiner Aufmerksamkeit entgeht. Es ist wirklich lächerlich, wie offen sie es treiben.«

Er klang eifersüchtig und verbittert. Ich nickte mitfühlend. Roscia war schließlich ein sehr begehrenswertes Mädchen. Ich war selbst ein wenig eifersüchtig auf Tiro.

Ich senkte meine Stimme und versuchte, nicht herablassend, sondern freundlich zu klingen. » Er ist schließlich bloß ein Sklave, der im Leben nicht viel zu erwarten hat.«

»Das ist es ja gerade!« rief Rufus. »Daß ein blöder Sklave es schafft, Befriedigung zu finden, während es mir verwehrt bleibt. Chrysogonus war ebenfalls ein Sklave, und auch er hat gefunden, wonach er suchte, genau wie Sulla in ihm gefunden hat, was er suchte, und in Valeria und all seinen anderen Eroberungen und Ehefrauen. Manchmal kommt es mir so vor, als bestünde die ganze Welt aus Menschen, die sich gegenseitig finden, während ich ausgeschlossen bleibe. Und von allen Menschen auf der ganzen Welt will mich ausgerechnet Sulla - das ist ein Scherz der Götter!« Er schüttelte den Kopf, lachte jedoch nicht. »Sulla will mich und kann mich nicht haben; ich will jemanden, der nicht einmal weiß, daß es mich gibt. Es ist grausam, auf der ganzen Welt nur einen einzigen Menschen zu begehren, der dieses Begehren nicht erwidert! Hast du je jemanden geliebt, der deine Gefühle nicht erwidert hat, Gordianus?«

»Aber sicher. Welchem Mann ist es nicht so gegangen?«

Ein Sklave kam mit einem neuen Becher Wein. Rufus nippte daran, stellte ihn dann auf den Tisch und starrte ihn trübsinnig an. Mir schien Roscia soviel Schmerzen nicht wert, aber ich war auch nicht sechzehn. »So unverfroren offensichtlich«, murmelte er. »Wie lange werden die beiden wohl brauchen?«

»Weiß Caecilia davon?« fragte ich. »Oder Sextus Roscius?«

»Von unseren Turteltäubchen? Ich bin sicher, sie haben keine Ahnung. Caecilia lebt auf einer Art Wolke, und wer weiß, was in Sextus Roscius’ Kopf vor sich geht? Vermutlich würde sogar er sich verpflichtet fühlen, eine gewisse Empörung aufzubringen, wenn er erfährt, daß seine Tochter es mit dem Sklaven eines anderen Mannes treibt.«

Ich wartete einen Moment, weil ich ihn nicht zu rasch mit Fragen überhäufen wollte. Ich dachte an Tiro und die Gefahr, mit der er spielte. Rufus war schließlich jung und frustriert und von vornehmer Geburt, während Tiro ein Sklave war, der im Haus einer bedeutenden Frau das Undenkbare tat. Rufus konnte sein Leben mit einem einzigen Wort für immer vernichten. »Und was ist mit Cicero - weiß Cicero Bescheid?«

Rufus sah mir direkt in die Augen. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war so seltsam, daß ich ihn nicht zu deuten wußte. »Weiß Cicero Bescheid?« wiederholte er flüsternd. Dann war der Anfall vorbei. Rufus wirkte sehr müde. »Über Tiro und Roscia, meinst du. Nein, natürlich weiß er nichts. Er würde so etwas nie bemerken. Solche Leidenschaften nimmt er gar nicht wahr.«

Rufus ließ sich tief verzweifelt in die Kissen zurücksinken.

»Ich verstehe«, sagte ich. »Obwohl es dir vielleicht schwerfällt, das zu glauben, ich verstehe dich. Roscia ist natürlich ein prachtvolles Mädchen, aber versetz dich einmal in ihre Lage. Es gibt für dich keine Möglichkeit, ihr auf schickliche Art den Hof zu machen.«

»Roscia?« Er sah mich verdutzt an und rollte dann mit den Augen. »Was kümmert mich Roscia?«

»Ich verstehe«, sagte ich wieder, ohne irgend etwas zu verstehen. »Oh. Dann ist es Tiro, den du...« Ich sah mich auf einmal mit einer ganzen Reihe neuer Komplikationen konfrontiert.

Dann erkannte ich die Wahrheit. Von einem Moment zum nächsten verstand ich, nicht wegen seiner Worte oder seiner Miene, sondern wegen einer Nuance des Tonfalls oder Augenaufschlags, die mir eben erst wieder eingefallen war, ein isolierter Augenblick, der die Erinnerung an einen anderen auslöst, so wie uns Offenbarungen manchmal unvorbereitet und scheinbar unerklärlich zuteil werden.

Wie absurd, dachte ich, und gleichzeitig auch wieder rührend, denn wen hätte die Ernsthaftigkeit seines Leidens nicht gerührt? Die Gesetze der Menschen streben nach Ausgewogenheit, doch die Gesetze der Liebe sind der Inbegriff der Launenhaftigkeit. Mir kam es so vor, als sei Cicero - der gesetzte, pingelige und von Verdauungsstörungen geplagte Cicero -wahrscheinlich der letzte Mensch in Rom, der Rufus’ Begierde erwidern würde; der Junge hätte sich kein hoffnungsloseres Liebesobjekt aussuchen können. Ohne Zweifel strebte Rufus, jung und voller intensiver Gefühle, wie er war, den griechischen Idealen von Ciceros Freundeskreis nach, sah sich als Alkibiades für Ciceros Sokrates. Kein Wunder, daß ihn die Vorstellung wütend machte, was Tiro und Roscia in eben diesem Augenblick genossen, während er von unstillbarer Leidenschaft und aller angestauter Energie seiner Jugend verzehrt wurde.

Ich lehnte mich in meinen Stuhl zurück, perplex und ohne zu wissen, welchen Rat ich ihm geben konnte. Ich klatschte in die Hände, winkte eine Sklavin herbei und bestellte uns neuen Wein.

21

Der Stallmeister war nicht begeistert, als er den Bauerngaul sah, auf dem ich anstelle seiner geliebten Vespa angeritten kam. Eine Handvoll Münzen und die Versicherung, daß er für seine Unannehmlichkeiten reichlich belohnt würde, beruhigten ihn jedoch wieder. Was Bethesda anging, so ließ er mich wissen, daß sie während meiner gesamten Abwesenheit geschmollt hatte, in der Küche drei Schüsseln zerdeppert, die ihr zugeteilte Näharbeit ruiniert und sowohl die Köchin wie die Haushälterin zum Weinen gebracht hatte. Sein Verwalter hatte darum gebeten, sie schlagen zu dürfen, was der Stallmeister jedoch mit Rücksicht auf unsere Absprache verboten hatte. Er rief einem seiner Sklaven zu, er solle sie holen. »Ein Glück, daß wir sie los sind«, fügte er noch hinzu, aber als sie wie eine Königin aus seinem Haus in die Ställe stolziert kam, bemerkte ich, daß er seinen Blick kaum von ihr wenden konnte.

Ich täuschte Desinteresse vor, sie unnahbare Kühle. Sie bestand darauf, auf dem Heimweg beim Markt vorbeizugehen, damit wir am Abend etwas zu essen im Haus hatten. Während sie ihre Einkäufe machte, schlenderte ich auf der Straße umher und nahm die schmutzigen Gerüche und Sehenswürdigkeiten der Subura in mich auf, froh, wieder zu Hause zu sein. Selbst der Haufen frischen Unrats, den wir bei unserem Aufstieg passieren mußten, tat meiner guten Laune keinen Abbruch.

Scaldus, der Sklave des Stallmeisters, lehnte mit ausgestreckten Beinen an der Tür. Zunächst glaubte ich, er schliefe, aber als wir uns näherten, rührte sich der Koloß und sprang mit alarmierender Behendigkeit auf die Füße. Als er mein Gesicht sah, entspannte er sich und grinste dümmlich. Er erklärte mir, daß er sich mit seinem Bruder abgewechselt hatte, so daß das Haus keinen Augenblick unbewacht gewesen sei, daß jedoch in meiner Abwesenheit niemand vorbeigekommen sei. Ich gab ihm eine Münze und sagte, er könne jetzt gehen, worauf er unverzüglich gehorsam den Hügel hinabeilte.

Bethesda sah mich entsetzt an, aber ich versicherte ihr, daß für unsere Sicherheit gesorgt war. Cicero hatte versprochen, für die Bewachung des Hauses aufzukommen. Bevor wir schlafen gingen, würde ich in der Subura einen Leibwächter anheuern.

Sie wollte etwas sagen, und an der Art, wie sie ihre Lippen schürzte, erkannte ich, daß es etwas Sarkastisches sein würde. Also verschloß ich ihren Mund mit einem Kuß. Ich führte sie rückwärts ins Haus und schloß die Tür mit meinem Fuß. Sie ließ das Gemüse und das Brot, das sie getragen hatte, fallen und schlang ihre Arme um meinen Hals und meine Schultern. Sie sank zu Boden und zog mich zu sich herab.

Sie war überglücklich, mich wiederzusehen, und sie zeigte es mir. Aber sie war auch wütend, daß ich sie in einem fremden Haus zurückgelassen hatte, und sie zeigte mir auch das. Sie krallte ihre Nägel in meine Schultern, trommelte mit den Fäusten auf meinen Rücken und kniff meinen Hals und meine Ohrläppchen. Ich fiel über sie her wie ein seit Tagen ausgehungerter Mann. Es schien mir unvorstellbar, daß ich nur zwei Nächte weggewesen war.

Sie hatte am Morgen gebadet. Ihre Haut schmeckte nach einer fremden Seife, und sie hatte sich hinter den Ohren, am Hals und an den geheimsten Stellen ihres Körpers mit einem ungewohnten Parfüm betupft - das sie, wie sie mir später erzählte, aus dem Privatversteck der Frau des Stallmeisters geklaut hatte, als keiner hinsah. Wir lagen nackt und erschöpft in den letzten Strahlen der Sonne, während unser Schweiß einen obszönen Abdruck auf dem abgenutzten Teppich hinterließ. Mein Blick wanderte zufällig über die geschmeidigen Kurven ihres Körpers und fiel auf die Botschaft, die noch immer in Blut an die Wand hinter uns geschmiert war » Schweig oder stirb...«

Ein plötzlicher Windzug aus dem Atrium kühlte den Schweiß auf meinem Rücken. Unter meiner Zunge überzog sich Bethesdas Schulter mit einer Gänsehaut. Einen merkwürdigen Augenblick lang schien es, als würde mein Herz aufhören zu schlagen, als hätte es zwischen dem verblassenden Licht, der Wärme ihres Körpers und der Botschaft über uns vorübergehend ausgesetzt. Die Welt kam mir auf einmal vor wie ein fremder, unheimlicher Ort, und mir war, als hörte ich die Worte als Flüstern in meinem Ohr. Ich hätte das als Omen deuten können. Ich hätte auf der Stelle aus meinem Haus, aus Rom und vor der römischen Justiz fliehen können. Statt dessen biß ich in Bethesdas Schulter, sie stöhnte auf, und der Abend strebte weiter seinem verzweifelten Abschluß entgegen.

*

Gemeinsam zündeten wir die Lampen an - und obwohl Bethesda ein furchtloses Gesicht aufsetzte, bestand sie doch darauf, daß in jedem Zimmer Licht brannte. Ich schlug vor, daß sie mich auf dem Weg in die Subura begleitete, wo ich mich nach einem Leibwächter umsehen wollte, aber sie bestand darauf, zu Hause zu bleiben, um das Essen zu machen.

Die Vorstellung, sie auch nur für kurze Zeit allein im Haus zurückzulassen, verursachte mir quälende Sorgen, aber sie blieb hartnäckig und bat mich nur, schnell zurück zu sein. Ich begriff, daß sie sich entschieden hatte, tapfer zu sein, und auf ihre eigene Art ihre Macht über das Haus wiedergewinnen wollte; in meiner Abwesenheit würde sie ein Weihrauchstäbchen verbrennen und irgendein Ritual zelebrieren, das sie vor langer Zeit von ihrer Mutter gelernt hatte. Nachdem sich die Tür hinter mir geschlossen hatte, lauschte ich einen Moment, um sicherzugehen, daß Bethesda sie von innen verriegelte.

Der Mond ging, inzwischen fast voll, am Himmel auf und warf ein bläuliches Licht über die Häuser auf dem Hügel, so daß die Ziegeldächer aussahen, als seien sie mit einem Kupferfries verziert worden. Die Subura zu meinen Füßen war wie ein riesiges Becken aus Licht und gedämpften Geräuschen, in das ich eintauchte, als ich rasch den Hügel hinabstieg und auf die zur Nachtzeit geschäftigste Straße Roms trat.

Irgendein Bandenmitglied hätte ich an jeder Straßenecke aufgabeln können, aber ich wollte keinen gewöhnlichen Schläger. Ich suchte einen professionellen Kämpfer und Leibwächter aus dem Gefolge eines reichen Mannes, ein Sklave von bewährter Qualität, dem man trauen konnte. Ich ging zu einer kleinen Taverne hinter einem der besseren Bordelle an der Via Subura und traf dort Varus den Mittler. Er begriff sofort, was ich wollte, und wußte, daß ich kreditwürdig war. Nachdem ich ihm einen Becher Wein spendiert hatte, verschwand er und kehrte wenig später mit einem Riesen im Schlepptau zurück.

Die beiden gaben ein recht gegensätzliches Paar ab, als sie nebeneinander in den düsteren Raum traten. Varus war so klein, daß er nur bis zum Ellenbogen des Riesen reichte; seine Glatze und seine beringten Finger glänzten im Licht, während seine käsigen Gesichtszüge im Schein der Lampen völlig konturlos wurden und ineinanderzufließen schienen. Das Ungeheuer an seiner Seite wirkte kaum gezähmt; in seinen Augen glomm ein glühendes Rot, das kein Widerschein der Lampen war. Er machte einen fast unnatürlich kräftigen und soliden Eindruck, als ob er aus Baumstämmen oder Granitblöcken gemacht sei; selbst sein Gesicht sah aus, als sei es aus Stein gemeißelt, ein vom Künstler wegen seiner Grobschlächtigkeit verworfener Rohentwurf. Sein Haar und sein Bart waren lang und zottig, aber nicht verwahrlost, und seine Tunika war aus gutem Stoff. Diese Kleidung ließ einen verantwortungsbewußten Besitzer erkennen. Er sah so gut gepflegt aus wie ein edles Pferd. Außerdem sah er aus, als könne er einen Menschen mit bloßen Händen töten. Er war genau der Mann, den ich wollte. Sein Name war Zoticus.

»Der Lieblingsleibwächter seines Herrn«, versicherte Varus. »Der Mann tut keinen Schritt aus dem Haus, ohne Zoticus an seiner Seite zu wissen. Ein bewährter Totschläger -hat erst letzten Monat das Genick eines Einbrechers gebrochen. Und kräftig wie ein Ochse, da kannst du sicher sein. Riechst du seine Knoblauchfahne? Sein Herr verfüttert es an ihn wie Hafer an ein Pferd. Ein alter Gladiatorentrick zur Kräftigung. Sein Herr ist ein wohlhabender und respektabler Besitzer von drei Bordellen, zwei Tavernen und einer Spielhalle hier in der Subura; ein Mann, der auf dieser Welt keinen Feind hat, dessen bin ich sicher, aber er schützt sich gerne gegen das Unvorhersehbare. Wer würde das nicht? Macht keinen Weg ohne seinen treuen Zoticus. Aber weil er Varus einen Gefallen schuldet, überläßt er mir die Kreatur ausnahmsweise als Leihgabe - für die vier Tage, um die du gebeten hast, nicht länger. Um eine lange zurückliegende Schuld bei mir zu begleichen. Du kannst dich wahrhaft glücklich schätzen, Gordianus, Varus den Mittler als Freund zu haben.«

Wir feilschten um die Bedingungen, und ich ließ ihn ein viel zu gutes Geschäft machen, weil mich die Sorge zu Bethesda zurücktrieb. Aber der Sklave war sein Geld wert; als wir durch das Gedränge der Subura schritten, merkte ich, wie die Leute Platz machten, uns auswichen und eingeschüchterte Blicke über meinen Kopf hinweg auf das Ungeheuer hinter mir warfen. Zoticus sprach wenig, was mich weiter für ihn einnahm. Als wir den Pfad zu meinem Haus hinaufstiegen und den Lärm der Subura hinter uns ließen, schwebte er über mir wie ein Schutzgeist und hatte die ganze Zeit ein wachsames Auge auf die Schatten um uns herum.

Als wir in Sichtweite des Hauses kamen, hörte ich, wie sein Atem schneller ging, und spürte seine Hand wie einen Ziegelstein auf meiner Schulter. Vor der Tür stand ein fremder Mann mit verschränkten Armen. Er wies uns an, stehenzubleiben, und zückte dann aus einem Ärmel einen langen Dolch. Einen Augenblick später fand ich mich hinter Zoticus wieder, und während die Welt an mir vorbeisauste, sah ich in den Augenblicken eine lange Klinge in seiner Faust.

Klappernd öffnete sich die Haustür, und ich hörte Bethesda lachen und dann erklären. Anscheinend hatte ich Cicero falsch verstanden. Er hatte nicht nur angeboten, einen Leibwächter zu bezahlen; er hatte sich sogar die Mühe gemacht, den Mann persönlich vorbeizuschicken. Nur eine Minute, nachdem ich das Haus verlassen hatte, hatte es an der Tür geklopft. Bethesda hatte das Pochen zunächst ignoriert und dann schließlich durch das Fenstergitter gespäht. Der Mann hatte nach mir gefragt; Bethesda hatte vorgegeben, daß ich mich im Haus aufhielt, jedoch unpäßlich sei. Er hatte Ciceros Namen genannt, seine Empfehlung übermittelt und erklärt, daß er geschickt worden sei, das Haus zu bewachen, wie sich ihr Herr bestimmt erinnern würde. Und ohne ein weiteres Wort hatte er seinen Posten bei der Tür bezogen.

»Zwei sind auf jeden Fall besser als einer«, fand Bethesda, und ich spürte einen Stich, als sie beide nacheinander eingehend betrachtete. Und vielleicht war es dieses winzige Aufflammen von Eifersucht, das mich das Offensichtliche übersehen ließ. Ich hätte schwerlich sagen können, welcher von beiden häßlicher oder größer oder einschüchternder war oder welchen Bethesda faszinierender zu finden schien. Ohne seinen roten Bart und das rötliche Gesicht hätte der andere Zoticus’ Bruder sein können. Sie musterten sich wie unter Gladiatoren üblich, mit aufeinandergepreßten Zähnen und Basiliskenblick, als ob das kleinste Zucken ihrer Lippen die Aufrichtigkeit ihrer gegenseitigen Verachtung trüben könnte.

»Na gut«, sagte ich, »heute nacht lassen wir sie beide Wache schieben, morgen entscheiden wir uns dann für einen. Einer patrouilliert um das Haus und auf dem Pfad, der andere bleibt drinnen in der Halle.«

Cicero hatte mir gesagt, ich solle mich selbst um einen Wächter kümmern; daran konnte ich mich recht deutlich erinnern. Aber vielleicht hatte er in seiner Aufregung über die Neuigkeiten, die ich ihm gebracht hatte, seine eigenen Anweisungen vergessen. Ich konnte ohnehin nur an die Düfte denken, die mir aus Bethesdas Küche entgegenschlugen, und an einen langen, sorgenfreien Nachtschlaf.

Als ich die Halle verließ, warf ich einen Blick auf den Rotbart, den Cicero mir geschickt hatte. Er saß mit verschränkten Armen, den Blick auf die

gegenüberliegende, verschlossene Tür gerichtet, auf einem Stuhl an der

Wand, den blanken Dolch noch immer gezückt. Über seinem Kopf stand die in Blut geschriebene Botschaft, so daß ich es nicht vermeiden konnte, sie ein weiteres Mal zu lesen. »Schweig oder stirb.« Die Worte machten mich krank; am Morgen würde ich Bethesda die Wand abschrubben lassen. Ich sah in Rotbarts starre Augen und warf ihm ein Lächeln zu. Er lächelte nicht zurück.

*

In Komödien treten häufig Charaktere auf, die etwas Dummes tun, das für jeden im Publikum, für jeden auf der Welt außer ihnen selbst völlig offensichtlich dumm ist. Die Zuschauer zappeln auf ihren Sitzen, lachen und rufen manchmal sogar laut: »Nein, nein! Siehst du denn nicht, du Dummkopf?« Doch der zu seinem Schicksal verdammte Mensch auf der

Bühne kann sie nicht hören, und die Götter fahren zu ihrer großen

Belustigung fort, die Vernichtung eines weiteren blinden Sterblichen in die Wege zu leiten.

Manchmal jedoch führen sie uns nur bis an die Schwelle der Katastrophe, um uns dem Abgrund im letzten Moment zu entreißen, wobei sie sich über unsere unerklärliche Rettung genauso köstlich amüsieren wie über unseren unvorhersehbaren Tod.

In jener Nacht wachte ich plötzlich völlig übergangslos auf und trat in jenen seltsamen Bewußtseinszustand ein, der die Welt zwischen Mitternacht und Dämmerung regiert. Ich lag allein in meinem Zimmer. Bethesda hatte mich nach einem ausgiebigen Mahl mit Fisch und Wein dorthin geführt, mir meine Tunika abgestreift, mich trotz der Hitze mit einer dünnen Wolldecke zugedeckt und wie ein Kind auf die Stirn geküßt. Ich stand auf und ließ die Decke zu Boden sinken; die Nachtluft war stickig vor Hitze. Das Zimmer lag im Dunkeln, nur ein einzelner Strahl Mondlicht fiel durch das winzige hohe Fenster. Blind tappte ich zur Ecke des Zimmers, konnte jedoch in der Finsternis meinen Nachttopf nicht finden, oder Bethesda hatte ihn ausgeleert und nicht zurückgestellt.

Es spielte keine Rolle. In einer so merkwürdigen Nacht hätte sich ein Nachttopf in einen Pilz verwandeln oder in Luft auflösen können, und es wäre mir wie eine Bagatelle vorgekommen. Ich empfand dasselbe

Fremdheitsgefühl wie zuvor, als ich mit Bethesda in der Halle gelegen hatte. Ich sah und spürte alles um mich herum mit absoluter Klarheit, und doch kam es mir vor wie unheimliches und unvertrautes Gelände, als ob der Mond die Farbe gewechselt hätte, als ob die Götter gen Himmel aufgestiegen wären und die Erde im tiefen Schlaf sich selbst überlassen hätten. Alles Mögliche konnte geschehen.

Ich schob den Vorhang beiseite und trat ins Atrium. Vielleicht war ich doch noch nicht wach und schlafwandelte nur, denn das Haus besaß jene Unwirklichkeit vertrauter Orte, die durch die Geographie der Nacht in eine Schräglage gebracht worden waren. Blaues Mondlicht durchflutete den Garten und verwandelte ihn in einen Dschungel von Knochen, die messerscharfe Schatten warfen. Im Säulengang waren vereinzelte Lampen weit heruntergebrannt. Hinter der Mauer, die die Halle verdeckte, brannte die hellste Lampe von allen und warf ein schwach gelbes Licht um die Ecke wie ein Lagerfeuer hinter einem Bergkamm.

Ich ging zu der Ecke des Gartens und raffte meine Tunika. Wie ein Schuljunge erleichterte ich mich fast geräuschlos, indem ich auf das weiche Gras zielte. Als ich fertig war, ließ ich meine Tunika wieder sinken und meinen Blick über das Knochenfeld wandern, das durch den Schatten einer vorbeiziehenden Wolke in die eingeäscherten Ruinen Karthagos in einer mondlosen Nacht verwandelt worden war.

Inmitten der Gerüche von Erde, Urin und Hyazinthen witterte ich einen Knoblauchhauch in der warmen Luft. Der Schein der Lampe in der Halle flackerte, bewegte sich und warf den schwankenden Schatten eines Mannes auf die Außenwand von Bethesdas Zimmer.

Wie eine Traumfigur ging ich zur Halle, wie im Traum schien ich auch unsichtbar zu sein. Eine helle Lampe stand auf dem Boden und warf merkwürdige Schatten nach oben. Rotbart stand vor der beschmierten Wand mit der bedrohlichen Botschaft, wobei er mit einer Hand über die Oberfläche strich. Seine Hand war mit einem rotgefleckten Tuch umwickelt, aus dem etwas Dunkles und Dickflüssiges zu Boden tropfte. Seine andere Hand hielt den Dolch umklammert, dessen blitzende Klinge blutverschmiert war.

Die Tür zum Haus stand weit offen. Dagegen gelehnt, als solle er sie offenhalten, lag der riesige Körper von Zoticus, seine Kehle so tief durchgeschnitten, daß der Kopf sich fast ganz vom Körper gelöst hatte. Eine riesige Blutlache war aus seinem Hals auf den Steinboden geflossen. Der Teppich war völlig durchgeweicht. Ich beobachtete, wie Rotbart sich bückte, um das Tuch in die Blutlache zu tauchen, wobei er seinen Blick nie von der Wand nahm, als wäre er ein Künstler und die Wand das Bild, an dem er gerade arbeitete. Er machte einen Schritt nach vorn und schrieb weiter.

Dann drehte er sich ganz langsam um und sah mich.

Jetzt erwiderte er das Lächeln, das ich ihm zuvor geschenkt hatte, mit einem furchtbaren, klaffenden Grinsen.

Er mußte sich in Sekundenschnelle auf mich gestürzt haben, obwohl es mir so vorkam, als würde er sich mit einer nachdenklichen und unmöglichen Langsamkeit bewegen. Ich hatte alle Zeit der Welt zu beobachten, wie er den Dolch hochriß, den plötzlichen Knoblauchschwall in meiner Nase zu spüren, über das angespannte, zuckende Grinsen in seinem Gesicht zu grübeln und mich töricht zu fragen, welchen Grund er haben konnte, mich so wenig zu mögen.

Mein Körper war klüger als mein Hirn. Irgendwie war es ihm gelungen, das Handgelenk des Angreifers zu packen und den Dolch abzulenken. Er kratzte mir kaum wahrnehmbar über die Wangen und hinterließ eine schmale rote Spur, die ich erst viel später spürte. Plötzlich war ich platt an die Wand gedrückt und die Luft aus mir herausgetrieben, so verwirrt, daß ich einen Moment lang glaubte, ich läge flach auf dem Boden und das volle Gewicht von Rotbarts Körper lastete auf meiner Brust.

Mit einer gewundenen Drehung taumelten wir zu Boden wie aus dem Tritt gekommene Akrobaten. Wie in der Brandung von den Füßen gerissene Ertrinkende rollten wir umher, so daß ich nie wußte, wo unten und oben war. Die Spitze des Dolches kitzelte meine Kehle, aber es gelang mir jedesmal, dem Stoß seines Arms im letzten Moment eine andere Richtung zu geben. Er war geradezu lächerlich stark, mehr wie ein Sturm oder eine Lawine als wie ein Mann. Im Kampf mit ihm kam ich mir vor wie ein kleiner Junge. Ich hatte keine Hoffnung, ihn zu besiegen. Ich konnte nur versuchen, von einem zum nächsten Moment zu überleben.

Plötzlich fiel mit Bethesda ein, und ich wußte, daß sie bereits tot sein mußte, genau wie Zoticus. Warum hatte er mich bis zum Schluß geschont? Und dann sauste auf einmal ein Knüppel auf Rotbarts Schädel nieder.

Während er über mir schwankte, nahm ich hinter seiner Schulter für einen Moment Bethesda wahr. In der Hand hielt sie den Holzbalken, mit dem die Tür verriegelt wurde. Er war so schwer, daß sie ihn kaum schwingen konnte. Sie wollte erneut ausholen, geriet jedoch unter seinem Gewicht ins Stolpern und taumelte rückwärts. Rotbart kam wieder zu Sinnen. Blut rann aus einer Platzwunde am Hinterkopf und tropfte auf seinen Bart und seine Lippen, was ihm das Aussehen eines tollwütigen Tieres im Blutrausch verlieh. Er kämpfte sich auf die Knie, fuhr herum und hob seinen Dolch. Ich schlug gegen seine Brust, brachte jedoch nicht die nötige Kraft auf.

Bethesda stand aufrecht mit erhobenem Balken. Rotbart stach mit dem Dolch zu, schlitzte jedoch nur ihr Gewand auf. Rasch drehte er sich in die andere Richtung und bekam mit der freien Hand einen Fetzen zu fassen. Er zog heftig daran, und Bethesda fiel nach hinten. Der Balken sauste mit der ganzen Kraft seines eigenen Gewichtes nach unten. Ob mit Absicht oder zufällig, er traf Rotbart jedenfalls direkt auf dem Kopf, und als er über mir zusammenbrach, packte ich seinen zustechenden Arm und richtete ihn gegen seine eigene Brust.

Die Klinge versank bis zum Knauf in seinem Herz. Sein Gesicht war direkt über mir, er verdrehte die Augen und klappte den Mund auf. Knoblauchgestank und der Geruch seiner faulen Zähne schlug mir entgegen. Ich rollte mich hastig zur Seite, während er einen verzweifelten rasselnden Atemzug machte. Dann zuckte er heftig und sank in sich zusammen, als sei irgend etwas in ihm explodiert. Einen Augenblick später schoß ein Blutschwall aus seinem offenen Mund.

Irgendwo ganz weit weg schrie Bethesda. Ein großes, massives totes Etwas lag schwer auf mir, zuckend und Galle ausstoßend, bis meine Augen blind und Nase und Mund bedeckt, ja selbst meine Ohren verstopft waren. Ich versuchte, mich freizustrampeln, lag jedoch hilflos da, bis Bethesda mir zur Hilfe kam. Schließlich rollte die massive Leiche auf den Rücken und starrte mit hängendem Kinn zur Decke.

Ich kämpfte mich auf die Knie. Wir klammerten uns aneinander, beide so heftig zitternd, daß wir uns kaum umarmen konnten. Ich spuckte Blut und schnaubte und wischte mir das Gesicht am Oberteil ihres sauberen weißen

Gewands ab. Wir streichelten uns und stammelten sinnlose Worte des Trostes wie Überlebende einer gewaltigen Verwüstung.

Die Lampe brannte zischend nieder und warf zitternd groteske Schatten an die Wand, so daß es aussah, als ob die unbeweglichen Leichen noch zuckten. Die eigenartige Geographie der Nacht jedoch war ungebrochen: Wir waren Liebende aus einem Gedicht, die sich nackt und halbnackt auf Knien an einem großen, stillen See umarmten. Nur daß der See aus Blut war - so viel Blut, daß ich mein Spiegelbild darin sehen konnte. Ich starrte mir in die Augen und kam mit einem Schock zur Besinnung. Mir wurde endlich bewußt, daß ich mich nicht in einem Alptraum befand, sondern mitten im Herzen der großen, schlummernden Stadt Rom.

22

»Ganz offensichtlich«, sagte ich, »war die Botschaft als Warnung an dich gemeint, Cicero.«

»Aber wenn er vorhatte, dich und deine Sklavin zu ermorden, warum hat er dann nicht erst das Gemetzel erledigt?

Warum hat er dich nicht einfach im Schlaf ermordet und die Botschaft hinterher geschrieben?«

Ich zuckte die Schultern. »Weil er schon genug Blut zur Verfügung hatte, welches aus Zoticus’ aufgeschlitzter Kehle sprudelte. Weil im Haus alles ruhig war und er keine Angst hatte, daß ich aufwachen würde. Weil er, wenn er die Botschaft bereits geschrieben hatte, für den Fall, daß es irgendwelche unvorhergesehene Komplikationen geben oder wir vor unserem Tod schreien würden, das Haus sofort verlassen konnte. Vielleicht hat er auch auf einen weiteren Mörder gewartet. Ich weiß es nicht, Cicero. Ich kann nicht für einen Toten sprechen. Aber er wollte mich umbringen, dessen bin ich sicher. Und die Warnung war für dich.«

Der Mond war untergegangen. Die dunkelsten Stunden der Nacht waren angebrochen, auch wenn die Dämmerung nicht mehr fern sein konnte. Bethesda befand sich irgendwo in den Sklavenquartieren und schlief fest, wie ich hoffte. Rufus, Tiro und ich saßen inmitten von zischenden Kohlenbecken, während unser Gastgeber grimassierend und sein Kinn reibend auf und ab lief.

Sein Gesicht wirkte abgespannt, und sein Kinn war mit Stoppeln übersät, aber seine Augen blitzten und funkelten alles andere als schläfrig - so hatte er ausgesehen, als Bethesda und ich nach einer mitternächtlichen Flucht durch die halbe Stadt an seine Tür klopften. Erstaunlicherweise war Cicero noch wach und das Haus hell erleuchtet gewesen. Ein Sklave mit verquollenen Augen hatte uns ins Arbeitszimmer geführt, wo Cicero mit einem Bündel Pergamentrollen in den Händen laut lesend auf und ab ging, wobei er gelegentlich an einer Schale dampfender Lauchsuppe nippte - Hortensius’ Geheimrezept, um die Stimme geschmeidiger zu machen.

Er hatte unter Tiros Mithilfe fast den kompletten ersten Entwurf seiner Rede zur Verteidigung von Sextus Roscius fertiggestellt, nachdem er den ganzen Abend ohne Pause daran gearbeitet hatte. Er hatte sie an Tiro und Rufus ausprobiert, als wir blutbespritzt und zitternd vor seiner Tür ankamen.

Bethesda verschwand schnell in der Obhut von Ciceros Haushälterin, die versprach, sich um sie zu kümmern. Cicero bestand darauf, daß ich mich zuallererst wusch und eine frische Toga anlegte. Ich hatte mein Bestes getan, aber im Licht der Lampen in seinem Arbeitszimmer entdeckte ich immer wieder kleine Spritzer getrockneten Bluts an Fingernägeln und Füßen.

»Jetzt liegen also zwei Leichen in deinem Haus«, sagte Cicero und rollte die Augen. »Na gut, ich werde morgen jemand vorbeischicken, der sich darum kümmert. Weitere Kosten! Der Besitzer von Zoticus wird garantiert alles andere als begeistert sein, wenn man ihm einen toten Leibwächter zurückbringt; eine finanzielle Regelung wird gefunden werden müssen. Du bist wie eine Amphore ohne Boden, in die ich ständig Münzen werfe, Gordianus.

»Diese Botschaft«, unterbrach ihn Rufus nachdenklich, »wie lautete sie noch einmal genau?«

Ich schloß die Augen und sah jedes Wort in grellem Rot im flackernden Lampenlicht vor mir. »>Der Dummkopf hat nicht gehorcht. Jetzt ist er tot. Ein klügerer Mann wird Urlaub machen, sind die heiligen Iden des Mai gekommene Außerdem scheint er auch die alte Nachricht mit frischem Blut nachgezogen zu haben.«

»Äußerst sorgfältig«, sagte Cicero.

»Ja, und ein besserer Schreiber als Mallius Glaucia. Seine Buchstaben waren wohlgeformt, und er schien auch nicht nach Vorlage, sondern aus dem Gedächtnis zu arbeiten. Ein Sklave eines höhergestellten Herrn.«

»Man sagt, Chrysogonus hätte Gladiatoren, die lesen und schreiben können«, sagte Rufus.

»Ja, wirklich zu dumm, daß du diesen Rotbart umbringen mußtest«, sagte Cicero vorwurfsvoll. »Sonst hätten wir vielleicht erfahren, wer ihn geschickt hat.«

»Aber er sagte, er käme von dir, Cicero.« - »Du brauchst gar nicht sarkastisch zu werden, Gordianus. Natürlich hab nicht ich ihn geschickt. Du solltest dir selbst einen Leibwächter besorgen, und ich wollte ihn bezahlen, so lautete unsere Verabredung. Um ehrlich zu sein, habe ich die ganze Geschichte vergessen, als du weg warst. Ich habe angefangen, mir Notizen für die Verteidigung zu machen, und gar nicht mehr daran gedacht.«

»Aber er konnte meiner Sklavin ausdrücklich erklären, daß er von dir geschickt war, als er vor meiner Tür stand. Es war eine vorsätzliche List, um mich zu täuschen, was bedeutet, daß wer immer ihn geschickt hat, von unserer Verabredung gewußt haben muß, die wir nur wenige Stunden zuvor getroffen hatten, nämlich daß du einen Leibwächter zum Schutz meines Hauses bezahlen wolltest. Wie kann das sein, Cicero? Die einzigen Menschen, die von diesem Gespräch wußten, waren genau dieselben, die jetzt wieder in diesem Raum versammelt sind.«

Ich starrte Rufus an. Er errötete und schlug die Augen nieder. Enttäuschte Liebe kann in Haß Umschlägen und abgewiesenes Begehren nach Rache verlangen. Die ganze Zeit über war er eine Schlange gewesen, dachte ich, vertraut mit Ciceros Strategie und gleichzeitig Pläne schmiedend, um sie zum Scheitern zu bringen. Man kann nie einem Patrizier trauen, dachte ich, egal wie jung und unschuldig er wirken mochte. Irgendwie war es den Feinden von Sextus Roscius gelungen, sich seiner Motive zu bedienen und sie zu ihren Zwecken zu mißbrauchen. Er war tatsächlich bereit gewesen, mein Leben und das von Sextus Roscius zu opfern, nur um Cicero zu demütigen - das schien unmöglich, wenn man in sein jungenhaftes Gesicht mit der sommersprossigen Nase blickte, aber das ist der Stoff, aus dem man Römer macht.

Ich wollte ihn gerade laut anklagen und sein Geheimnis offenbaren - seine versteckte Leidenschaft für Cicero, seinen Verrat aber welcher Gott auch immer mir in jener Nacht das Leben gerettet hatte, er entschloß sich, auch noch meine Ehre zu retten, und bewahrte mich davor, mich vor einem großzügigen Klienten und seinem wohlgeborenen Bewunderer bloßzustellen.

Tiro machte ein unterdrücktes, würgendes Geräusch, als versuche er erfolglos, sich zu räuspern.

Sofort waren alle Blicke auf ihn gerichtet. In seinem Gesicht stand deutlich die Schuld geschrieben - er blinzelte, errötete und kaute an seinen Lippen.

»Tiro?« Ciceros Stimme klang trotz Lauchsuppe schrill und heiser. Doch sein Gesicht verriet nur milde Bestürzung, als wolle er sich sein Urteil in Erwartung einer ganz einfachen und einleuchtenden Erklärung Vorbehalten.

Rufus sah mich mit feurigem Blick an, als wollte er sagen: Und wie konntest du an mir zweifeln? »Ja, Tiro«, sagte er, verschränkte seine Arme und blickte über seine sommersprossige Nase. »Gibt es irgend etwas, was du uns gerne mitteilen möchtest?« Er wirkte herablassender, als ich ihn mir je hätte vorstellen können. Dieser kalte, unerbittliche Blick - ist er eine Maske, die alle Patrizier bei Bedarf von einem Augenblick zum anderen aufsetzen können, oder ist er ihr einzig wahres Gesicht, wenn alle Masken gefallen sind?

Tiro biß sich auf die Fingerknöchel und begann zu weinen. Und da erkannte ich die Wahrheit.

»Das Mädchen«, flüsterte ich. »Roscia.«

Tiro verbarg sein Gesicht und schluchzte laut.

*

Cicero war außer sich vor Wut. Er rannte im Zimmer auf und ab wie ein Wolf. Es gab Momente, in denen ich glaubte, er würde den armen Tiro, der händeringend und schluchzend dasaß, tatsächlich schlagen. Statt dessen warf er die Arme in die Luft und schrie sich die Lunge aus dem Leib, bis er so heiser war, daß er kaum noch ein Wort herausbrachte.

Gelegentlich versuchte Rufus, zu vermitteln und die Rolle des alles verstehenden und vergebenden Patriziers zu spielen.

Die Rolle stand ihm schlecht. »Aber, Cicero, so etwas kommt ständig vor. Außerdem braucht Caecilia nichts davon zu erfahren.« Er streckte den Arm aus, um Ciceros Hand zu greifen, aber Cicero riß sich wütend los, blind für Rufus’ schmerzerfüllte Reaktion.

»Während sich ihr gesamter Haushalt heimlich über sie lustig macht? Nein, nein, Caecilia mag genau wie ich getäuscht worden sein, aber du glaubst doch nicht etwa, daß ihre Sklaven nichts davon mitbekommen haben? Es gibt nichts, absolut nichts Schlimmeres als einen Skandal, der sich direkt vor der Nase einer römischen Matrone abspielt, während ihre Sklaven sich hinter ihrem Rücken darüber amüsieren. Der Gedanke, daß ich solche Schande über ihr Haus gebracht habe! Ich kann ihr nie wieder offen in die Augen sehen.«

Tiro schniefte und schreckte zusammen, als Cicero an ihm vorbeikam. Ich kratzte das Blut von meinen Fingernägeln und stöhnte innerlich über die ersten Anzeichen eines heftigen Kopfschmerzes. Im Atrium konnte man das erste Licht der Dämmerung ausmachen.

»Laß ihn auspeitschen, wenn es sein muß, Cicero. Oder laß ihn erhängen«, sagte ich. »Es ist schließlich dein gutes Recht, und niemand würde etwas dagegen einwenden. Aber schone deine Stimme für den Prozeß. Indem du hier rumschreist, bestrafst du nur Rufus und mich.«

Cicero erstarrte und sah mich wütend an. Zumindest hatte ich seinem unaufhörlichen Hin- und Herrennen ein Ende gemacht.

»Tiro hat möglicherweise wirklich dumm und verwerflich gehandelt«, fuhr ich fort. »Vielleicht hat er sich auch nur verhalten wie jeder junge Mann, der sich nach Liebe sehnt. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, daß er dich oder uns verraten hat, zumindest nicht wissentlich. Er ist getäuscht worden, eine uralte Geschichte.«

Einen Moment lang sah es so aus, als hätte Cicero sich endlich beruhigt. Er atmete tief ein und starrte zu Boden. Dann explodierte er erneut. »Wie oft?« wollte er wissen und warf wieder die Hände in die Luft. »Wie oft?« Wir waren das alles schon einmal durchgegangen, aber die genaue Zahl schien ihn besonders zu irritieren.

»Fünfmal, glaube ich. Vielleicht sechsmal«, erwiderte Tiro schüchtern, wie jedesmal, wenn Cicero ihm diese Frage gestellt hatte.

»Angefangen hat es bei meinem ersten, dem allerersten Besuch in Caecilia Metellas Haus. Wie konntest du dich nur zu so etwas hinreißen lassen? Und es dann auch noch heimlich zu tun, hinter meinem Rücken, hinter dem Rücken ihres Vaters und seiner Patronin, direkt in ihrem Haus! Wo war dein Sinn für Anstand? Oder Schicklichkeit? Was, wenn man dich entdeckt hätte? Ich hätte keine andere Wahl gehabt, als über dich an Ort und Stelle die schwerste Strafe zu verhängen! Und man hätte mich dafür verantwortlich gemacht. Ihr Vater hätte einen Prozeß gegen mich anstrengen und mich ruinieren können.« Seine Stimme war so heiser und kratzend geworden, daß ihr bloßer Klang mich zusammenfahren ließ.

»Höchst unwahrscheinlich«, sagte Rufus gähnend, »in Anbetracht seiner Lage.«

»Das spielt keine Rolle! Wirklich, Tiro. Ich sehe keinen Ausweg aus dieser Sache. Jede angemessene Strafe, die mir einfällt, ist so streng, daß sie mich schaudern läßt. Und trotzdem sehe ich keine Alternative.«

»Du könntest ihm natürlich einfach vergeben«, schlug ich vor und rieb mir meine schmerzenden Augen.

»Nein! Nein, nein, nein! Wenn Tiro bloß irgendein einfacher, ahnungsloser Arbeitssklave der untersten Kategorie wäre, ließe sich sein Verhalten vielleicht noch entschuldigen - er müßte natürlich gleichwohl bestraft werden, aber das Verbrechen wäre zumindest nachvollziehbar. Aber Tiro ist ein Sklave, der sich mit dem Gesetz besser auskennt als die meisten Bürger. Was er mit der jungen Roscia getan hat, war nicht der spontane Akt einer ahnungslosen Kreatur, sondern die bewußte Entscheidung eines gebildeten Sklaven, dessen Herr ganz offensichtlich viel zu nachgiebig und viel, viel zu vertrauensselig gewesen ist.«

»Oh, in Jupiters Namen, hör endlich auf, Cicero!« Rufus war mit seiner Geduld am Ende. Ich schloß die Augen und stieß ein stilles Dankgebet an die unsichtbaren Götter aus, daß es Rufus gewesen war, der schließlich seine Stimme erhoben hatte und nicht ich, denn ich hatte mir schon so lange auf die Zunge gebissen, daß sie fast blutete. »Siehst du denn nicht, daß das sinnlos ist? Welches Verbrechen Tiro auch immer begangen haben mag, außer uns in diesem Raum weiß niemand davon, jedenfalls niemand, den es kümmert, zumindest so lange das Mädchen den Mund hält. Es ist eine Angelegenheit, die zwischen dir und deinem Sklaven geregelt werden muß. Schlaf eine Nacht darüber und vergiß das Ganze, bis der Prozeß vorbei ist. In der Zwischenzeit mußt du nur dafür sorgen, daß er von dem Mädchen ferngehalten wird. Wie Gordianus sagt, schone deine Stimme und spar dir deine Wut für Wichtigeres, zum Beispiel die Rettung von Sextus Roscius. Worauf es jetzt ankommt, ist herauszufinden, was Tiro ihr erzählt hat und wie die Informationen in die Hände unserer Feinde gelangt sind.«

»Und warum das Mädchen seinen eigenen Vater verraten sollte.« Ich sah Tiro sorgenvoll an. »Vielleicht hast du dazu eine Idee.«

Tiro warf Cicero einen unterwürfigen Blick zu, als wolle er sich erst vergewissern, ob er die Erlaubnis zum Sprechen oder auch nur zum Atmen hatte. Einen Moment lang sah es so aus, als stünde Cicero vor einem erneuten Ausbruch. Statt dessen fluchte er nur, wandte sich dem schwacherhellten Atrium zu und verschränkte die Arme, als wolle er seine Wut zurückhalten.

»Nun, Tiro?«

»Es kommt mir noch immer unfaßbar vor«, sagte er leise und schüttelte den Kopf. »Vielleicht irre ich mich ja. Als du behauptet hast, daß dich jemand aus diesem Raum verraten haben muß, habe ich bei mir gedacht, ich nicht, ich habe es niemandem gesagt, bis mir auf einmal bewußt wurde, daß ich es Roscia erzählt habe...«

»Genauso wie du ihr an jenem Tag alles über mich erzählt hast, als ich Sextus Roscius zum ersten Mal befragt habe«, sagte ich.

»Ja.«

»Und am nächsten Tag tauchten Mallius Glaucia und ein weiterer von Magnus’ Schlägern bei mir auf, töteten meine Katze und hinterließen ihre blutige Botschaft, damit ich den Fall nicht weiterverfolge. Ja, es scheint mir sehr wahrscheinlich, daß Roscia das Leck in unserem Schiff ist.«

»Aber wieso? Sie liebt ihren Vater. Sie würde alles tun, um ihm zu helfen.«

»Hat sie das gesagt?«

»Ja. Deswegen hat sie mich doch ständig mit Fragen über die Ermittlung bedrängt und sich erkundigt, was Cicero unternimmt, um ihrem Vater zu helfen. Sextus Roscius hat sie stets aus dem Zimmer geschickt, wenn er über geschäftliche Dinge sprach, und er hat ihr oder ihrer Mutter nie etwas darüber erzählt. Sie konnte es nicht ertragen, so völlig im dunkeln zu tappen.«

»Also hat sie dich während oder nach euren flüchtigen Zusammenkünften mit detaillierten Fragen über die Verteidigung ihres Vaters ausgehorcht.«

»Ja. Aber so wie du es formulierst, klingt es so intrigant, plump und künstlich.«

»O nein. Ich bin sicher, sie ist so glatt und makellos wie poliertes Gold.«

»Du sagst das, als wäre sie eine Schauspielerin.« Er senkte die Stimme und warf einen Blick zu Cicero, der uns den Rücken zugedreht hatte und in das Atrium getreten war. »Oder eine Hure.«

Ich lachte. »Keine Hure, Tiro. Das solltest du doch besser wissen.« Ich sah, wie er errötete und sich erneut nach Cicero umsah, als ob er erwartete, daß ich nun die Episode mit Elektra erwähnen und ihn in den Augen seines Herren weiter heruntermachen würde. »Nein«, sagte ich, »die Beweggründe einer Hure sind immer durchsichtig und nachvollziehbar, eben weil sie suspekt sind, und nur ein echter Narr würde sich von ihr bezirzen lassen oder ein Mann, der sich unbedingt zum Narren machen will.« Ich erhob mich von meinem Stuhl, ging steif durch das Zimmer und legte meine Hand auf seine Schulter. »Aber selbst weise Männer lassen sich von denen, die jung, unschuldig und aufrichtig zu sein scheinen, hinters Licht führen. Vor allem, wenn sie selbst jung und unschuldig sind.«

Tiro blickte erneut zum Atrium, wo Cicero außer Hörweite stand. »Glaubst du wirklich, daß das alles war, was sie von mir wollte, Gordianus? Daß alles nur ein Mittel war herauszubekommen, was ich wußte?«

Ich erinnerte mich daran, wie ich sie bei meinem ersten Besuch bei Caecilia gesehen hatte, an den Ausdruck auf dem Gesicht des Mädchens, daran, wie sie sich ihm, nackt an der Wand, voller Verlangen entgegengebogen hatte. Ich dachte auch an das lüsterne Funkeln in den Augen des jungen Lucius Megarus, das bei der Erinnerung an ihren Aufenthalt im Haus seines Vaters aufgeblitzt war. »Nein, nicht nur. Wenn du meinst, ob sie gar nichts empfunden hat, als sie mit dir zusammen war, so würde ich das stark bezweifeln. Vertrauen ist nie ganz rein, und der Betrug genausowenig.«

»Wenn sie Informationen gesammelt hat«, sagte Rufus, »hat sie sie vielleicht selbst auf ganz unschuldige Weise weitergegeben. Vielleicht gibt es in Caecilias Haus einen Sklaven oder eine Sklavin, der sie vertraut, einen Spion, den Chrysogonus dort plaziert hat und der sie aushorcht, genau wie sie Tiro ausgehorcht hat.«

Ich schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Bisher konntest du sie doch nur treffen, wenn du einen von uns bei einem Gang zu Caecilias Haus begleitet hast, stimmt’s?«

»Ja...« Er antwortete zögernd, als ob er die nächste Frage bereits erwartete.

»Aber irgend etwas sagt mir, daß Roscia dir diesmal vorgeschlagen hat, sie heimlich zu treffen - morgen.«

»Ja.«

»Aber woher weißt du das?« fragte Rufus.

»Weil der Prozeß näherrückt. Wer auch immer über Roscia Informationen einholt, hat sie bestimmt gedrängt, regelmäßiger Bericht zu erstatten, jetzt, wo der entscheidende Tag ins Haus steht. Sie konnten sich nicht mehr darauf verlassen, daß es Tiro möglich war, sie täglich zu treffen. Also haben sie sie gedrängt, ein Treffen zu arrangieren. Stimmt’s, Tiro?«

»Ja.«

»Und nun haben wir schon morgen«, sagte ich mit einem Blick in den Garten, wo Cicero noch immer bemüht war, seine Fassung zurückzugewinnen. Das Licht war erst rosafarben, dann ockergelb geworden und verblaßte jetzt rasch zu weiß. Die Kühle der Nacht war bereits auf dem Rückzug. »Wann und wo, Tiro?«

Er blickte erneut zu seinem Herrn, der nach wie vor keine Anzeichen machte zuzuhören, und tat dann einen tiefen Seufzer. »Auf dem Palatin. In der Nähe von Caecilia Metellas Haus gibt es zwischen zwei Grundstücken einen kleinen Park mit Wiese und Bäumen; dort soll ich sie drei Stunden nach Mittag treffen. Sie hat gesagt, wenn ich mit dir oder Rufus unterwegs wäre, sollte ich vorgeben, eine dringende Besorgung für Cicero machen zu müssen und umgekehrt. Sie hat gesagt, mir würde bestimmt etwas einfallen.«

»Und das ist jetzt gar nicht mehr nötig. Weil ich dich begleiten werde.«

»Was?« Es war der empörte Cicero, der ins Zimmer zurückkam. »Kommt gar nicht in Frage! Unmöglich! Es wird keinen weiteren Kontakt zwischen den beiden geben.«

»Doch«, sagte ich, »das wird es. Weil ich es so sage. Weil mein Leben von jetzt an bis zum Prozeß jeden Augenblick in Gefahr sein wird und ich keinen Weg unbeschritten lassen werde, die Wahrheit herauszufinden.«

»Aber wir kennen die Wahrheit doch schon.«

»Tatsächlich? Genau wie du vor einer Stunde die Wahrheit kanntest, bevor Tiro sein Geständnis abgelegt hat. Es gibt immer noch mehr Wahrheiten herauszufinden, und noch mehr und noch mehr. Bis dahin schlage ich vor, daß wir alle versuchen, ein wenig zu schlafen. Vor uns liegt ein anstrengender Tag. Rufus hat auf dem Forum zu tun, Tiro und ich haben eine Verabredung mit der jungen Roscia. Und heute abend, während du, Cicero, an deinen Notizen arbeitest und an deiner Rede feilst und Lauchsuppe schlürfst, werden wir drei eine kleine Feier besuchen, die der ehrwürdige Chrysogonus in seiner Villa auf dem Palatin veranstaltet. Und nun wünsche ich dir einen guten Morgen, Cicero, und, wenn du mir einen Platz zum Schlafen anweisen könntest, auch eine gute Nacht.«

Wie lange mein Gastgeber geschlafen hatte oder ob er überhaupt zu Bett gegangen war, weiß ich nicht; ich weiß nur, daß ich Cicero, als Tiro mich an jenem Mittag in meiner winzigen Kammer gegenüber dem Arbeitszimmer sanft weckte, mit rauher, durchdringender Stimme deklamieren hörte, während er in dem kleinen Garten auf und ab schritt.

»Bedenkt, meine Herren, die Geschichte, die vor nicht allzu vielen Jahren einem gewissen Titus Cloelius aus Tarracina widerfahren ist, ein friedliches Städtchen sechzig Meilen südöstlich von Rom an der Via Appia. Eines Abends begab er sich nach dem Essen in demselben Zimmer zur Ruhe, in dem auch seine beiden erwachsenen Söhne schliefen. Am nächsten Morgen fand man ihn mit durchschnittener Kehle. Die Untersuchung förderte weder Verdächtige noch Motive zutage; die beiden Söhne behaupteten, sie hätten fest geschlafen und nichts gehört. Trotzdem wurden sie wegen Vatermordes angeklagt - und die Umstände waren in der Tat verdächtig. Wie, so argumentierte die Anklage, hätten sie ein solches Ereignis verschlafen können? Warum waren sie nicht aufgewacht und dem Vater zur Hilfe geeilt? Und welcher Mörder hätte es gewagt, sich in ein Zimmer mit drei schlafenden Männern zu begeben mit der Absicht, nur einen von ihnen zu töten und dann zu verschwinden?

Und doch wurden die Söhne von den guten Richtern für nicht schuldig erklärt und von jedem Verdacht losgesprochen. Und was war der entscheidende Beweis? Die Söhne wurden am nächsten Morgen bei offener Tür fest schlafend vorgefunden! Wie könne das angehen, so argumentierte die Verteidigung, und die Richter waren einhellig ihrer Meinung, wenn sie wirklich schuldig wären? Denn welcher Mann könne, nachdem er alles göttliche und menschliche Recht durch ein so ruchloses Verbrechen entweiht habe, hinterher ruhig einschlafen? Männer, so die Logik der Verteidigung, die eine derart empörende Untat begangen hatten, könnten unmöglich im selben Zimmer fest geschlafen, ja neben der noch warmen Leiche ihres Vaters geschnarcht haben. Also wurden die beiden Söhne von Titus Cloelius freigesprochen...

Ja, ja, der Teil ist sehr gut, wirklich sehr gut, kein Wort muß geändert werden.«

Er räusperte sich geräuschvoll und flüsterte leise vor sich hin, bevor er seine Stimme wieder erhob. »Die Geschichte weiß von Söhnen, die, um den Vater zu rächen, ihre Mutter getötet haben: Orest, der Klytämnestra ermordete, um Agamemnon zu rächen, Alkmäon, der aus Rache für Amphiaraus Eriphyle umbrachte... oder war es Amphiaraus, der Eriphyle tötete? Nein, nein, so stimmt’s schon...

Und obwohl diese Männer im Einklang mit dem Willen der Götter gehandelt haben und Orakelsprüchen gefolgt sein sollen, haben die Furien sie dennoch gnadenlos gehetzt und niemals zur Ruhe kommen lassen, denn dies ist die Natur, selbst wenn die Tat in Erfüllung ihrer Kindespflicht gegenüber einem ermordeten Vater geschehen ist, der Natur... Nein, nein, Moment, so geht’s nicht. Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Zu viele Worte, viel zu viele Worte...«

»Soll ich die Vorhänge öffnen?« fragte Tiro. Ich richtete mich auf dem Diwan auf, rieb mir die Augen und fuhr mit der Zunge über meine ausgetrockneten Lippen. Diese Kammer war wie ein Ofen, drückend heiß und ohne einen Luftzug. Das Licht, mit dem die gelben Vorhänge getränkt waren, war ebenso grell wie Ciceros Stimme.

»Auf gar keinen Fall«, sagte ich. »Dann müßte ich ihm nicht nur zuhören, sondern auch noch Zusehen. Ich bin nicht sicher, daß ich soviel Helligkeit ertragen würde. Gibt es hier irgendwas zu trinken?«

Er ging zu einem kleinen Tisch und goß mir ein Glas Wasser aus einem silbernen Krug ein.

»Wie spät ist es, Tiro?«

»Wir haben jetzt die neunte Stunde - zwei Stunden nach Mittag.«

»Ah, dann haben wir noch eine Stunde Zeit bis zu unserer Verabredung. Ist Rufus schon auf?«

»Rufus Messala ist schon seit Stunden auf dem Forum. Cicero hat ihm eine ganze Liste mit Aufträgen mitgegeben.«

»Und meine Sklavin?«

Tiro lächelte verhalten. Was hatte Bethesda getan - ihn auf die Wange geküßt, ihm geschmeichelt, ihn geneckt oder einfach nur mit den Augen geblitzt? »Ich weiß nicht, wo sie jetzt ist. Cicero hat Anweisung gegeben, daß sie nichts weiter tun muß, als sich um deine Bedürfnisse zu kümmern, aber sie hat heute morgen freiwillig angeboten, in der Küche zu helfen. Bis die Köchin darauf bestanden hat, daß sie sie wieder verläßt.«

»Laut kreischend und ihr Töpfe nachwerfend, nehme ich doch an.«

»So in der Art.«

»Nun gut, wenn du den Verwalter siehst, kannst du ihm sagen, er kann sie in meine Kammer sperren, wenn er möchte. Soll sie doch hier sitzen und Cicero den ganzen Tag beim Deklamieren zuhören. Das sollte Bestrafung genug für alle zerbrochenen Schalen und Teller sein.«

Tiro runzelte die Stirn, um zu zeigen, daß ihm mein Sarkasmus mißfiel. Eine leichte Brise wehte durch die gelben Vorhänge und trug Ciceros Stimme mit sich: »Und eben wegen jener Schwere des Verbrechens des Vatermordes muß die Tat unwiderlegbar bewiesen werden, bevor ein vernünftiger Mann es glauben kann. Denn welcher Wahnsinnige, welcher zutiefst verdorbene Auswurf der Menschheit bringt über sich und sein Haus solchen Fluch nicht nur der Menschen, sondern auch der Götter? Ihr wißt, werte Römer, daß ich recht habe: Eine so große Kraft und Schicksalsgewalt besitzt das eigene Fleisch und Blut, daß jeder Fleck, den man sich davon zuzieht, sich nicht nur nicht abwaschen läßt, sondern so tief ins Herz des Vatermörders eindringt, daß Raserei und Wahnsinn die Macht über ihn ergreifen, der ohnehin schon von abgrundtiefer Verruchtheit ergriffen sein muß... O ja, das ist es, genau. Beim Herkules, das ist gut!«

»Wenn du dir das Gesicht waschen willst, ich habe dir eine Schüssel und ein Handtuch mitgebracht«, sagte Tiro und wies auf das Tischchen neben dem Diwan. »Und da du keine saubere Kleidung bei dir hast, habe ich im Haus nachgesehen und ein paar Teile gefunden, die dir passen müßten. Sie sind natürlich schon getragen, aber sauber.«

Er nahm eine Reihe von Tuniken zur Hand und breitete sie zur Begutachtung neben mir auf dem Diwan aus. Ciceros Kleidung konnte es nicht sein, weil sein Körper länger und schmaler als meiner war; ich vermutete, daß sie für Tiro gemacht worden waren. Selbst die einfachste Tunika war besser gearbeitet und aus einem feineren Stoff als meine beste Toga. Am Abend zuvor hatte Cicero mir ein weites ärmelloses Gewand gegeben, als er mir mein Bett zugewiesen hatte; daß man auch nackt schlafen konnte, überstieg offenbar seine Vorstellungskraft. Was die bei meiner und Bethesdas Flucht hastig übergeworfene, blutbefleckte Tunika anging, die ich auf dem Weg zu seinem Haus getragen hatte, so war sie augenscheinlich vom Boden meiner Schlafkammer aufgehoben und weggeworfen worden.

Während ich mich wusch und anzog, besorgte Tiro aus der Küche Brot und eine Schale mit Früchten. Ich aß alles auf und ließ ihn mehr holen. Ich war völlig ausgehungert, und weder die Hitze noch Ciceros fortwährende Litaneien oder seine Selbstbeweihräucherungen konnten mir den Appetit verderben.

Schließlich trat ich mit Tiro durch die Vorhänge ins helle Sonnenlicht des Gartens. Cicero blickte von seinem Text auf, aber bevor er etwas sagen konnte, tauchte Rufus hinter ihm auf.

»Cicero, Gordianus, hört euch das an. Ihr werdet es nicht glauben. Es ist ein absoluter Skandal.« Cicero drehte sich um und zog eine Augenbraue hoch. »Es ist natürlich nur ein Gerücht, aber ich bin sicher, daß wir das irgendwie verifizieren können. Weißt du, was sämtliche Güter von Sextus Roscius zusammen wert sind?«

Cicero zuckte leicht mit den Schultern und gab die Frage an mich weiter.

»Eine Reihe von Bauernhöfen«, überschlug ich, »einige von ihnen in bester Lage unweit der Mündung des Nar in den Tiber; eine wertvolle Villa auf dem Hauptgut bei Ameria, dann noch der Besitz in der Stadt - mindestens vier Millionen Sesterzen.«

Rufus schüttelte den Kopf. »Eher sechs Millionen. Und was, glaubst du, hat Chrysogonus - ja, der Goldengeborene höchstpersönlich, nicht Capito oder Magnus was glaubst du, hat er bei der Auktion für das gesamte Paket bezahlt? Zweitausend Sesterzen. Zweitausend!«

Cicero war sichtlich schockiert. »Unmöglich«, sagte er. »So gierig ist nicht einmal Crassus.«

»Oder so unverfroren«, sagte ich. »Wie hast du das herausgefunden?«

Rufus lief rot an. » Das ist das Problem. Und der Skandal! Einer der offiziellen Auktionatoren hat es mir erzählt. Er hat das Gebot selbst entgegengenommen.«

Cicero warf die Hände in die Luft. »Der Mann würde nie vor Gericht aussagen!«

Rufus schien verletzt. »Natürlich nicht. Aber er war immerhin bereit, mit mir zu reden. Und ich bin sicher, er hat nicht übertrieben.«

»Das spielt keine Rolle. Wir brauchen eine Verkaufsurkunde. Und natürlich den Namen Sextus Roscius auf den Proskriptionslisten.«

Rufus zuckte mit den Schultern. »Ich habe den ganzen Tag gesucht und nichts gefunden. Die offiziellen Unterlagen sind natürlich eine Katastrophe. Man kann erkennen, daß sie durchwühlt und nachträglich verändert worden sind, womöglich sogar teilweise entwendet. Die staatlichen Urkunden aus der Zeit zwischen den Bürgerkriegen und den Proskriptionen befinden sich in einem unmöglichen Zustand.«

Cicero strich sich nachdenklich über die Lippen. »Wenn wir feststellen, daß der Name Sextus Roscius auf die Proskriptionslisten gesetzt wurde, können wir sicher davon ausgehen, daß es sich um einen Betrug handelt. Und doch würde es seinen Sohn entlasten.«

»Und wenn nicht, wie können Capito und Chrysogonus dann rechtfertigen, daß sie den Besitz behalten?« fragte Rufus.

»Das«, unterbrach ich, »ist zweifellos der Grund, warum Chrysogonus und seine Kumpane Sextus am liebsten ganz aus dem Weg schaffen würden, wenn möglich mit legalen Mitteln. Wenn die Familie erst einmal ausgelöscht ist, wird es niemanden mehr geben, der sie herausfordern kann, und die Frage, ob es sich um eine Ächtung oder einen Mord gehandelt hat, wird ungeklärt bleiben. Der Skandal ist für jeden offenkundig, der auch nur beiläufig nach der Wahrheit fragt; deswegen reagieren sie so verzweifelt und so brutal. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als jeden zum Schweigen zu bringen, der etwas weiß oder sich dafür interessiert.«

»Dennoch«, sagte Cicero, »kommt es mir mehr und mehr so vor, als seien ihnen die öffentliche Meinung oder selbst die Entscheidungen des Gerichts völlig egal. Ihr Hauptanliegen ist es, den Skandal vor Sulla geheimzuhalten. Ich glaube ernsthaft, daß er nichts davon weiß, und sie sind verzweifelt bemüht, daß es dabei bleibt.«

»Durchaus möglich«, sagte ich. »Und sie verlassen sich auch ohne Zweifel darauf, daß dein Selbsterhaltungstrieb dich davon abhält, diesen häßlichen Skandal vor der Rostra zu enthüllen. Du kannst dich unmöglich bis zur Wahrheit Vorarbeiten, ohne Sullas Namen hineinzuziehen. Du müßtest ihn zumindest in eine peinliche Situation bringen, schlimmstenfalls sogar beschuldigen. Man kann den Ex-Sklaven nicht anklagen, ohne seinen Freund und früheren Herrn zu beleidigen.«

»Also wirklich, Gordianus, hältst du so wenig von meinen rhetorischen Fähigkeiten? Natürlich werde ich auf des Messers Schneide balancieren müssen. Aber Diodotus hat mich gelehrt, sowohl dem Takt wie der Wahrheit verpflichtet zu sein. In der Obhut eines klugen und ehrlichen Anwalts müssen nur die Schuldigen die Waffen der Redekunst fürchten, und ein wahrhaft weiser Redner wendet sie nie gegen sich selbst.« Er warf mir sein selbstbewußtestes Lächeln zu, aber ich dachte im stillen, daß das, was ich bisher von seiner Rede gehört hatte, den eigentlichen Skandal nur streifte. Das Publikum mit unerklärlichen Geschichten von nächtlings ermordeten Leichen zu schockieren und sie mit epischen Erzählungen einzulullen war eine Sache; den Namen Sullas fallen zu lassen war, beim Herkules, eine ganz andere.

Ich warf einen Blick auf die Sonnenuhr. Uns blieb noch eine halbe Stunde, bevor die junge Roscia ungeduldig werden würde. Ich verabschiedete mich von Rufus und Cicero und legte meine Hand auf Tiros Schulter, als wir das Haus verließen. Hinter mir hörte ich, wie sich Cicero sofort wieder in seine Rede stürzte und Rufus mit seiner Lieblingsstelle ergötzte: »Denn welcher Wahnsinnige, welcher zutiefst verdorbene Auswurf der Menschheit, bringt über sich und sein Haus solchen Fluch nicht nur der Menschen, sondern auch der Götter? Ihr wißt, werte Römer...« Ich sah mich um und beobachtete, wie Rufus jedem Wort und jeder Geste mit einem Blick atemloser Bewunderung folgte.

Erst jetzt fiel mir auf, daß Cicero, bevor wir gingen, kein Wort zu Tiro gesagt hatte und ihn nur mit einem kühlen Nicken entlassen hatte, als er sich zum Gehen wandte. Welche Worte auch immer zwischen ihnen wegen Tiros Benehmen gefallen waren, ich erfuhr sie nicht, weder von Tiro noch von Cicero; und Cicero erwähnte die Affäre, zumindest in meiner Gegenwart, nie wieder.

*

Tiro war schweigsam, als wir das Forum überquerten und den Palatin hinaufstiegen. Als wir uns dem Ort des Stelldicheins näherten, wurde er zusehends nervöser, und seine Miene so finster wie die Maske eines Schauspielers. Als wir in Blickweite des kleinen Parks waren, faßte er meinen Ärmel und blieb stehen.

»Kann ich sie zuerst allein treffen, nur einen Moment? Bitte?« fragte er mit gesenktem Kopf und niedergeschlagenen Augen wie ein Sklave, der um Erlaubnis bittet.

Ich atmete tief ein. »Ja, sicher. Aber nur einen Moment. Und sag nichts, was sie in die Flucht treiben könnte.« Ich stand im Schatten eines Weidenbaumes und beobachtete, wie er mit schnellen Schritten auf den Durchgang zwischen den hohen Mauern der angrenzenden Villen zuging. Er verschwand im Buschwerk, versteckt von Eiben und wild wuchernden Rosen.

Was er ihr in dieser grünen Laube sagte, weiß ich nicht. Ich hätte ihn fragen können, aber das tat ich nicht, und er kam nie von sich aus darauf zu sprechen. Vielleicht hat Cicero ihn später verhört und die Details erfahren, aber das halte ich für unwahrscheinlich. Manchmal hat sogar ein Sklave ein Geheimnis, wenn es ihm schon verwehrt bleibt, sonst etwas auf dieser Welt zu besitzen.

Ich wartete nicht lange, kürzer als ich geplant hatte; in jedem Augenblick, der verstrich, sah ich das Mädchen vor meinem inneren Auge durch den entfernten Ausgang des Parks fliehen, bis ich nicht länger stehenbleiben konnte. Einen passenden Moment, ihr die Wahrheit zu entlocken, würde es nicht geben, doch dies war die beste Gelegenheit, auf die ich hoffen konnte.

Der kleine Park war schattig und kühl, aber stickig von Staub. Staub lag auf den verdorrten Rosen- und Efeublättern, die sich an den Mauern hochrankten. Staub stieg vom Boden auf, wenn man seine Schritte auf die dünnen und vertrockneten Stellen im Gras setzte. Zweige knackten und Blätter raschelten, als ich mir einen Weg durch das Gebüsch bahnte; sie hörten mich kommen, obwohl ich bemüht war, möglichst leise zu sein. Ich erspähte sie durch das Gestrüpp und stand im nächsten Moment vor der steinernen Bank, auf der sie nebeneinander Platz genommen hatten. Das Mädchen starrte mich mit den Augen eines verängstigten Tieres an. Sie wäre davongestürzt, wenn Tiro sie nicht fest am Handgelenk gepackt hätte.

»Wer bist du?« Sie starrte mich wütend an und verzog das Gesicht, während sie versuchte, sich loszureißen. Dann sah sie Tiro an, der ihren Blick jedoch nicht erwiderte, sondern statt dessen stur geradeaus ins Gebüsch guckte.

Dann saß sie auf einmal völlig still, doch ich konnte in ihren Augen erkennen, daß sie panisch und fieberhaft nachdachte. »Ich werde schreien«, sagte sie ruhig. »Wenn es sonst niemand hört, die Wachen vor Caecilias Haus hören es bestimmt. Sie kommen, wenn sie mich schreien hören.«

»Nein«, sagte ich mit sanfter Stimme und trat einen Schritt zurück, um sie zu beruhigen. »Du wirst nicht schreien. Du wirst reden.«

»Wer bist du?«

»Du weißt, wer ich bin.«

»Ja, das stimmt. Du bist der, den sie den Sucher nennen.«

»Genau. Und du bist gefunden worden, Roscia Majora.«

Sie biß sich auf die Lippe, und ihre Augen wurden schmal. Es war erstaunlich, wie unfreundlich das Gesicht eines so hübschen Mädchens aussehen konnte. »Ich weiß nicht, was du meinst. Nun gut, du hast mich gemeinsam mit diesem Sklaven hier auf dieser Bank sitzend angetroffen - es ist Ciceros Sklave, nicht wahr? Er hat mich hierhergelockt, hat gesagt, er hätte eine Botschaft von seinem Herrn für meinen Vater -«

Sie sprach nicht in jenem zögernden Ton, in dem man sich eine Lüge zur späteren Verwendung formulierend zurechtlegt, sondern so, als wäre das, was sie sich im Moment zusammenphantasierte, die reine Wahrheit. Ich sah, daß sie eine erfahrene Lügnerin war. Tiro wollte ihr nach wie vor nicht in die Augen sehen. »Bitte, Gordianus«, flüsterte er, »kann ich jetzt gehen?«

»Auf gar keinen Fall. Ich brauche dich hier, um mir zu sagen, wenn sie lügt. Außerdem bist du mein Zeuge. Wenn du mich jetzt mit ihr allein läßt, erfindet sie womöglich noch schmutzige Geschichten über mein Benehmen.«

»Ein Sklave kann kein Zeuge sein«, zischte sie mich an.

»Natürlich kann er das. Vermutlich unterrichtet man Bauerntöchter aus Ameria nicht in den Feinheiten des römischen Rechts, oder doch? Ein Sklave ist ein absolut zuverlässiger Zeuge, solange seine Aussage unter der Folter zustande kommt. Das Gesetz verlangt sogar ausdrücklich, daß ein Sklave, der als Zeuge auftritt, gefoltert werden muß. Ich hoffe also, du fängst nicht an zu schreien und irgendwelchen Unsinn zu erfinden, Roscia Majora. Selbst wenn du für Tiro nichts als Verachtung übrig hast, möchtest du doch sicher nicht dafür verantwortlich sein, daß man ihn auf die Folterbank spannt und ihn mit glühenden Eisen verbrennt.«

Sie starrte mich wütend an. »Ein Ungeheuer, das bist du, genau wie all die anderen. Wie ich euch alle verachte.«

Meine Antwort kam mir wie selbstverständlich auf die Lippen, aber ich zögerte lange, weil ich wußte, daß es, wenn sie erst ausgesprochen war, kein Zurück mehr gab. »Doch vor allem deinen Vater.«

»Ich weiß nicht, was du meinst.« Ihr Atem hatte einen Moment gestockt, und die Wut, die wie ein Schutzschild auf ihrem Gesicht lag, war von einem Moment zum nächsten dem darunter liegenden Schmerz gewichen. Sie war noch immer ein Kind, trotz all ihrer Ausgekochtheit. Sie verschränkte die Finger, versuchte, sich erneut mit einem Panzer aus Bitterkeit zu schützen, was ihr jedoch nur halb gelang. Es war, als ob sie halbnackt wäre, als sie schließlich weitersprach, mit unverschämter Feindseligkeit, zugleich aber mit schmerzlich entblößter Verletzlichkeit.

»Was willst du?« flüsterte sie heiser. »Warum bist du hierhergekommen? Warum kannst du uns nicht einfach in Ruhe lassen? Sag was, Tiro.« Sie griff nach dem Arm, der noch immer ihr Handgelenk gepackt hielt, und begann, ihn zärtlich zu streicheln, wobei sie erst Tiro ansah, bevor sie ihren Blick demütig senkte. Die Geste wirkte gleichzeitig berechnend und ehrlich, voller Hintergedanken, aber auch voller Sehnsucht nach Zärtlichkeit. Tiro lief bis zu den Haarwurzeln rot an. An seinen weißen Fingerknöcheln und der plötzlichen Grimasse, die Roscia zog, erkannte ich, daß er, vielleicht sogar ohne es zu merken, ihr Handgelenk schmerzhaft zusammenpreßte.

»Sag was, Tiro«, keuchte sie, und kein Mann hätte mit Sicherheit sagen können, ob die Tränen in ihrer Stimme echt waren oder nicht.

»Tiro hat mir schon genug gesagt.« Ich sah sie direkt an, verschloß jedoch die Augen vor dem Schmerz in ihrem Gesicht. Ich ließ meine Stimme kalt und hart klingen. »Mit wem triffst du dich, wenn du Caecilias Haus verläßt - ich meine, außer mit Tiro? Ist dies der Ort, wo du die Geheimnisse deines Vaters an die Wölfe weitergibst, die ihn bei lebendigem Leib geschunden sehen wollen? Sag es mir, du dummes Kind! Welche Belohnung konnte dich dazu verleiten, dein eigen Fleisch und Blut zu verraten?«

»Mein eigen Fleisch und Blut!« kreischte sie. »Mein eigen Fleisch und Blut? Ich hab kein Fleisch! Das ist das Fleisch meines Vaters, das hier!« Sie riß sich aus Tiros Umklammerung los und kniff sich in eine Handvoll Fleisch am Oberarm. »Dieses Fleisch, das ist sein Fleisch!« wiederholte sie, hob den Saum ihres Gewands, um mir ihre nackten, weißen Beine zu zeigen, und kniff sich in die strammen Muskeln, als könne sie ihr Fleisch von den Knochen zupfen. »Und das, und das! Nicht meins, sondern seins!« schrie sie und kniff sich in die Wangen und Hände und zerrte an ihren Haaren. Als sie den Kragen ihres Gewandes aufreißen wollte, um ihre Brüste bloßzulegen, gebot Tiro ihr Einhalt. Er wollte sie umarmen, aber sie schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.

»Verstehst du?« Ihr ganzer Körper bebte, als weine sie, aber aus ihren funkelnden, fiebrigen Augen flössen keine Tränen.

»Ja«, sagte ich. Tiro saß neben ihr und schüttelte noch immer verwirrt den Kopf.

»Verstehst du es wirklich?« Eine einzelne Träne rann über ihre Wange.

Ich schluckte und nickte langsam. »Wann hat es angefangen?«

»Als ich in Minoras Alter war. Deswegen -« Sie schluchzte auf und konnte nicht weitersprechen.

»Minora - die Kleine, deine Schwester?«

Sie nickte. Endlich begriff auch Tiro. Seine Lippen zitterten, und sein Blick wurde düster.

»Und das ist deine Rache - seinen Feinden zu helfen, wo du nur kannst.«

»Lügner! Du hast doch gesagt, du verstehst! Keine Rache - Minora...«

»Dann um deine kleine Schwester vor ihm zu retten?«

Sie nickte und wandte voller Scham ihr Gesicht ab. Tiro beobachtete sie mit einem Ausdruck völliger Hilflosigkeit, zappelte mit den Händen, als ob er sie berühren wollte, sich aber nicht traute. Ich konnte es nicht ertragen, beide auf einmal anzuschauen, und wandte meinen Blick in den leeren, endlosen, brütenden Himmel über mir.

Ein Luftzug, dem sich die Blätter erst raschelnd entgegenstellten, bevor sie sich ergaben, wehte durch den Park. Irgendwo weit weg rief eine Frau, dann war es wieder völlig ruhig. Inmitten der Stille konnte man noch immer das entfernte Murmeln der unter uns liegenden Stadt hören. Über uns flog ein einzelner Vogel und teilte den Himmel.

»Wie sind sie an dich herangetreten? Woher haben sie es gewußt?«

»Ein Mann... es war hier... eines Tages.« Sie schluchzte nicht mehr, aber ihre Stimme war dünn und brüchig. »Seit unserer Ankunft in der Stadt bin ich jeden Nachmittag hierhergekommen. Es ist der einzige Ort, der mich an zu Hause erinnert, an das Land. Eines Tages kam ein Mann - sie müssen Caecilias Haus beobachtet haben, und sie wußten, daß ich seine Tochter war. Zuerst hat er mir angst gemacht. Dann haben wir geredet. Geplaudert, wie er es nannte, damit es harmloser klang, als er über meinen Vater redete, als sei er nur ein neugieriger Nachbar. Er muß sich ja für so raffiniert gehalten haben oder mich für blöde, nach den Fragen zu urteilen, die er stellte. Er hat mir eine alberne kleine Halskette angeboten, von der Sorte, wie sie Caecilia auf den Müll geworfen hätte. Ich hab ihm gesagt, er soll sie wegstecken und aufhören, mich zu beleidigen. Ich hab ihm erklärt, daß ich nicht blöd bin und genau wüßte, was er wollte. Oh, nein, nein, sagte er und machte dermaßen ein Theater, daß ich ihm am liebsten ins Gesicht gespuckt hätte. Ich hab ihm gesagt, er soll damit aufhören, einfach aufhören! Ich wüßte, was er wollte, daß er von Capito oder Magnus käme. Doch er tat so, als hätte er noch nie von ihnen gehört. Es ist mir egal, hab ich ihm erklärt. Ich weiß, was du willst. Und ich werde dir helfen, wo immer ich kann. Dann hat er es endlich kapiert. Du hättest sein Gesicht sehen sollen.«

Ich starrte in das Efeu über ihrem Kopf, in die dichte, staubbedeckte Dunkelheit, die Domäne der Wespen und Schnecken und zahlloser kleinerer Lebewesen, die sich gegenseitig verschlangen und wiederverschlangen. »Und du kommst noch immer jeden Nachmittag hierher.«

»Ja.«

»Und triffst noch immer denselben Mann.«

»Ja. Und dann schick ich ihn weg, damit ich allein sein kann.«

»Und du erzählst ihm alles.«

»Alles. Was mein Vater zum Frühstück gegessen Hat. Was mein Vater in der Nacht davor im Bett zu meiner Mutter gesagt hat, als ich an der Tür gelauscht habe. Jedesmal, wenn Cicero oder Rufus kommen und was sie sagen.«

»Und all die kleinen Geheimnisse, die du Tiro entlocken kannst.«

Sie zögerte nur einen Moment lang. »Ja, das auch.«

»Wie beispielsweise meinen Namen und den Grund, warum Cicero mich engagiert hat?«

»Ja.«

»Und die Tatsache, daß ich Cicero gebeten habe, einen Wächter für mein Haus zu mieten?«

»O ja. Das war gerade gestern. Darüber hat er mich ganz besonders ausgiebig befragt. Er wollte ganz genau wissen, was Tiro mir erzählt hatte, bis in jede Einzelheit.«

»Und du bist natürlich sehr gut darin, die genauen Einzelheiten mitzubekommen und zu behalten.«

Sie sah mich direkt an. Ihre Gesichtszüge waren wieder hart geworden. »Ja. Sehr gut. Ich vergesse nichts. Gar nichts.«

Ich schüttelte den Kopf. »Aber was hast du damit gewonnen? Was ist mit deinem eigenen Leben? Welche Zukunft hast du ohne deinen Vater?«

»Auch keine schlimmere als meine Vergangenheit, nicht schrecklicher als all die Jahre, in denen er mich gezwungen hat... all die Jahre, in denen ich seine... «

Tiro versuchte erneut, sie zu trösten, und wieder stieß sie ihn weg.

»Aber selbst wenn du ihn mit so mörderischem Haß verabscheust, was für ein Leben erwartet dich, dich und deine Mutter und die kleine Minora, wenn diese Sache ihren Lauf nimmt? Ohne jemanden, an den ihr euch wenden könnt, zu einem Dasein als Bettler verdammt -«

»Bettler sind wir jetzt schon.«

»Aber vielleicht spricht man deinen Vater ja frei. Wenn das geschieht, besteht die Chance, daß er mit unserer Hilfe wieder als rechtmäßiger Besitzer seiner Güter eingesetzt wird.«

Sie fixierte mich mit einem harten Blick und überlegte, was ich gesagt hatte, erwog es mit ausdrucksloser Miene. Dann sprach sie ihr Urteil. »Das macht keinen Unterschied. Wenn du mich vor die Wahl stellen würdest zu tun, was ich getan habe, oder zu dem Leben zurückzukehren, das ich vorher gelebt habe, würde es mir trotzdem nicht leid tun. Ich würde es genauso wieder tun. Ich würde ihn verraten, wo ich könnte. Ich würde alles tun, um seinen Feinden zu helfen, ihm den Tod zu bringen. Jetzt hat er es schon auf sie abgesehen. Ich kann es daran erkennen, wie er sie ansieht, wenn meine Mutter den Raum verläßt. Dieser Ausdruck in seinen Augen - manchmal sieht er Minora und mich an, und dann lächelt er. Kannst du dir das vorstellen? Er lächelt, um mir zu zeigen, daß er weiß, daß ich es verstanden habe. Er lächelt, um mich an all die Male zu erinnern, wo er mit mir sein Vergnügen gehabt hat. Er lächelt bei dem Gedanken an das Vergnügen, das er noch jahrelang mit Minora haben könnte. Selbst jetzt, wo sein Leben fast vorüber ist, denkt er daran. Vielleicht ist es das einzige, woran er denkt. Bisher hab ich ihn von ihr ferngehalten - ich belüge und betrüge ihn, und einmal habe ich ihn mit einem Messer bedroht. Aber weißt du, was ich glaube? Wenn sie ihn zum Tode verurteilen, wird es das letzte sein, was er noch zustande bringt. Selbst wenn er es vor den Augen seiner Henker tun muß, wird er einen Weg finden, ihr die Kleider vom Leib zu reißen und sich in sie zu drängen.«

Sie zitterte und schwankte, als würde sie ohnmächtig werden. In ihrer Hilflosigkeit erlaubte sie Tiro, ihre Schultern sanft zu umfassen. Ihre Stimme klang so entfernt und hohl, als käme sie direkt vom Mond. »Er lächelt, weil ein Teil von ihm immer noch nicht glaubt, daß sie ihn töten werden. Er glaubt, er wird ewig leben, und wenn das stimmt, gibt es für mich keine Hoffnung, ihn aufzuhalten.«

Ich schüttelte den Kopf. »Du haßt ihn so sehr, daß es dir egal ist, wen dein Verrat verletzt und wie viele Unschuldige du damit vernichtest. Wegen dir wäre ich jetzt schon zweimal fast umgebracht worden.«

Sie wurde blaß, jedoch nur für einen Moment. »Keiner, der meinem Vater hilft, ist unschuldig«, sagte sie dumpf. Tiros Umarmung begann sich zu lösen.

»Und jeder Mann darf deinen Körper besitzen, wenn er dir von Nutzen sein kann?«

»Ja! Ja, und ich schäme mich deswegen nicht! Mein Vater hat jedes Recht auf mich, sagt das Gesetz. Ich bin bloß ein Mädchen, ich bin nichts, ich bin der Dreck unter seinem Fingernagel, kaum besser als eine Sklavin. Welche Waffen stehen mir zur Verfügung? Was kann ich einsetzen, um Minora zu schützen? Nur meinen Körper. Und meinen Verstand. Also benutze ich sie.«

»Selbst wenn dein Verrat Tod bedeutet?«

»Ja! Wenn das der Preis ist - wenn andere sterben müssen.« Sie begann erneut zu weinen, als ihr klar wurde, was sie gesagt hatte. »Obwohl ich nie daran gedacht und nichts davon gewußt habe. Ich hasse nur ihn.«

»Und wen liebst du, Roscia Majora?«

Sie kämpfte gegen ihre Tränen. »Minora«, flüsterte sie.

»Und sonst niemanden?«

»Niemanden!«

»Was ist mit dem Jungen in Ameria, Lucius Megarus?«

»Woher weißt du von ihm?«

»Und mit Lucius’ Vater, dem braven Bauern Titus, dem besten Freund deines Vaters auf der ganzen Welt?«

»Das ist eine Lüge«, fuhr sie mich an. »Mit ihm ist nichts passiert.«

»Du meinst, du hast dich ihm angeboten, und er hat dich zurückgewiesen.« Ich war fast genauso überrascht wie Tiro, als sie es mit ihrem Schweigen eingestand. Er löste sich ganz von ihr. Sie schien es nicht zu bemerken.

»Wer ist sonst noch in den Genuß deiner Gunst gekommen, Roscia Majora? Weitere Sklaven in Caecilias Haus als Gegenleistung dafür, daß sie deinem Vater nachspioniert haben? Der Spion, der dich hier trifft, diese Kreatur des Feindes, was ist mit ihm? Was passiert, wenn du ihm die Informationen gegeben hast, die er verlangt?«

»Red keinen Unsinn«, sagte sie stumpf. Sie hatte aufgehört zu weinen und war jetzt nur noch trotzig.

Ich seufzte. »Tiro bedeutet dir gar nichts, was?«

»Nichts«, sagte sie.

»Er war nur ein Werkzeug, das du benutzt hast?«

Sie sah mir in die Augen. »Ja«, sagte sie. »Nichts weiter als das. Ein Sklave. Ein dummer Junge. Ein Werkzeug.« Sie sah ihn kurz an und wandte sich dann ab.

»Bitte -« setzte Tiro an.

»Ja«, sagte ich. »Du kannst jetzt gehen. Wir werden beide gehen. Es gibt nichts weiter zu sagen.«

Er versuchte nicht, sie noch einmal zu berühren oder sie auch nur anzusehen. Wir stapften durch das Gebüsch, bis wir in die Strahlen der inzwischen tiefer stehenden Sonne traten. Tiro schüttelte den Kopf und trat in den Boden. »Gordianus, verzeih mir«, begann er, aber ich unterbrach ihn.

»Jetzt nicht, Tiro«, sagte ich, so leise ich konnte. »Unser kleines Stelldichein ist noch nicht ganz vorüber. Ich vermute, daß man uns auch in diesem Augenblick beobachtet - nein, sieh dich nicht um; guck nach vorne und tu so, als würdest du nichts bemerken. Jeden Nachmittag, hat sie gesagt. Sie hat sich mit dem Mann bestimmt nicht vor dem Treffen mit dir verabredet, sondern hinterher. Er wartet noch bis wir gegangen sind. Folge mir bis zu dem Weidenbaum an der Ecke vor Caecilias Haus. Von dort sollten wir den Zugang zu Roscias Versteck unbemerkt beobachten können.«

Wir mußten nicht lange warten. Nur Augenblicke später huschte ein Mann in einer schwarzen Tunika über die Straße und verschwand in dem grünen

Hohlweg. Wir rannten zurück und bahnten uns einen Weg in das Grün, bis ich ihre Stimmen hörte. Ich machte Tiro ein Zeichen stehenzubleiben. Ich spitzte meine Ohren, konnte jedoch nur ein paar Worte verstehen, bevor ich Roscia durch eine Schneise zwischen den Eiben erblickte. Das Schicksal wollte es, daß auch sie mich entdeckte. Einen Augenblick lang glaubte ich, sie würde schweigen, aber sie war bis zum Ende loyal gegenüber den Feinden ihres Vaters.

»Geh!« rief sie. »Lauf! Sie sind zurückgekommen!«

Man hörte das Geräusch eines durch das Blattwerk brechenden Körpers, als der Mann blindlings auf uns zugerannt kam.

»Nein!« rief sie. »Lauf in die andere Richtung.« Aber der Mann war zu erschrocken, um sie zu hören. Er lief mir geradewegs in die Arme, knallte mit dem Kopf gegen meinen und stieß mich zu Boden. Im nächsten Moment war er wieder auf den Beinen und schubste Tiro aus dem Weg. Tiro setzte ihm nach, aber die Verfolgung war zwecklos. Ich rannte den beiden nach und traf Tiro auf der Straße. Er hatte schweißüberströmt und mit niedergeschlagenem Gesichtsausdruck kehrtgemacht. Er hielt sich den Unterarm, den er sich an einem dornigen Rosenzweig aufgekratzt hatte.

»Ich hab’s versucht, Gordianus, aber ich hab ihn nicht erwischt.«

»Gut, sonst hättest du wahrscheinlich ein Messer zwischen die Rippen bekommen. Ich hab sein Gesicht genau genug gesehen.«

»Ja?«

»Ein bekanntes Gesicht in der Subura und auch auf dem Forum. Ein Mietling von Gaius Erucius, dem Ankläger. Das habe ich mir schon gedacht. Erucius schreckt vor nichts zurück, um an Beweismaterial zu kommen.«

Müde trotteten wir den Palatin hinab, und obwohl es bergab ging, schien der Weg lang und beschwerlich. Darüber, daß ich das Mädchen so hart ins Verhör genommen hatte, empfand ich eine tiefe und bittere Scham, aber ich hatte es um Tiros willen getan. Er hatte sie vorher geliebt; die Enthüllung ihres Leids hatte seine Liebe für sie noch wachsen lassen - ich hatte sie vor meinen Augen erblühen sehen. Eine solch hoffnungslose Leidenschaft konnte ihm nur nie endende Qual und Reue einbringen. Nur ihre Zurückweisung konnte ihn davon frei machen, also hatte ich mich bemüht, vor seinen Augen all ihre Verbitterung aufzuwühlen. Aber nun begann ich mich zu fragen, ob Roscia sich nicht vielleicht um Tiros willen mit mir verbündet hatte, denn der letzte Blick, den sie mir zugeworfen hatte, bevor sie zu reden begonnen hatte, hatte mir signalisiert, daß sie verstand, und als sie mit solch blanker Verachtung von Tiro gesprochen hatte, war das entweder die Wahrheit oder vielleicht das letzte zärtliche Geschenk, das sie ihm machen konnte.

24

Wir kehrten zu dem Haus auf dem Kapitolinischen Hügel zurück. Rufus war gegangen, Cicero ruhte, hatte jedoch Anweisung gegeben, daß man mich unverzüglich zu ihm vorlassen sollte. Während Tiro sich im Arbeitszimmer beschäftigte, führte mich der alte Tiro, der Türsteher, weiter ins Innere des Hauses in Regionen, die ich nie zuvor betreten hatte.

Ciceros Schlafkammer war ähnlich karg wie die, die er mir zugewiesen hatte. Die einzige Konzession an den Luxus yvar ein kleiner, privater Garten vor dem Zimmer, in dem ein winziger Brunnen sprudelte und schluchzte und in dessen sanften Wellen sich das nachdenkliche Gesicht der über ihm stehenden Minerva widerspiegelte. Ciceros Vorstellung von Ruhen bestand offenbar darin, statt im Stehen im Liegen weiterzuarbeiten. Ich traf ihn auf dem Rücken liegend und eine Schriftrolle studierend an. Weitere Rollen lagen verstreut auf dem Boden.

Ich berichtete ihm mit unterkühlten, schlichten Worten die Einzelheiten von Roscias Verrat - vom Mißbrauch ihres Vaters, ihrer Verbitterung, von der Arglist des Gaius Erucius, der die Verzweiflung des Mädchens zu seinem Vorteil genutzt hatte. Die Neuigkeiten schienen Cicero nicht im geringsten zu erschüttern. Er stellte ein paar Fragen, um Details klarzustellen, nickte, wenn er verstanden hatte, und wandte sich dann wieder seiner Lektüre zu, nachdem er mich mit einem knappen Wink entlassen hatte.

Ich blickte unsicher und verwirrt auf ihn herab und fragte mich, ob die Enthüllung von Roscius’ Charakter ihn völlig kaltlassen konnten. »Das bedeutet dir alles gar nichts?« sagte ich schließlich.

»Was?« Er kräuselte irritiert die Nase, blickte jedoch nicht auf.

»Vatermörder oder nicht, was für ein Mensch ist dieser Sextus Roscius?«

Cicero ließ die Schriftrolle auf seine Brust sinken und sah mir lange in die Augen, bevor er sprach. »Gordianus, nun hör mir mal gut zu. Im Moment habe ich kein Interesse, den Charakter von Sextus Roscius zu erörtern oder seine kleinen Sünden zu beurteilen. Die Informationen, die du mir gebracht hast, enthalten nichts, was meinen Prozeßvorbereitungen nützlich sein könnte; für mich sind sie wertlos. Ich habe dafür keine Zeit - ich habe für gar nichts Zeit, was mich von dem einfachen, geschlossenen logischen Zirkel ablenkt, den zur Verteidigung von Sextus Rosicus zu konstruieren ich mich so angestrengt bemühe. Deine Pflicht, Gordianus, ist es, mir beim Errichten dieses Bauwerks zu helfen und nicht das Fundament zu zerstören oder Steine, die ich bereits gemauert habe, wieder herauszureißen. Hast du mich verstanden?«

Er machte sich nicht die Mühe, darauf zu warten, ob ich nickte oder nicht. Mit einem Seufzer und einem Winken entließ er mich und wandte sich wieder seinen Aufzeichnungen zu.

*

Ich fand Bethesda in meiner Schlafkammer. Sie war eifrig damit beschäftigt, sich die Nägel mit einer neuen Hennaverbindung zu lackieren, die sie auf einem Markt in der Nähe des Circus Flaminius entdeckt hatte, wo sie die meiste Zeit des Tages bummelnd und tratschend verbracht hatte. Sie wurde eben mit ihrem großen Zeh fertig. Sie saß vorgebeugt mit angewinkeltem Bein, so daß ihr Gewand sich teilte und den Blick auf ihren nackten Oberschenkel freigab. Sie lächelte und wackelte wie ein Kind mit den Zehen.

Ich trat zu ihr und strich ihr mit dem Handrücken übers Haar. Sie blinzelte und streckte mir ihre Wange entgegen, um deren sanfte Haut an meinen Fingerknöcheln zu reiben. Plötzlich fühlte ich wie ein Tier das Verlangen, in der Sinnenwelt des Körpers zu versinken.

Statt dessen befiel mich eine große Verwirrung. Immer wieder blitzte Roscias Bild in meinem Kopf auf, brachte mein Blut in Wallung und ließ mein Gesicht glühen von einer Hitze, die weder reine Lust noch reine Scham war, sondern eine Mischung aus beidem. Ich fuhr mit der Hand über Bethesdas Haut, schloß die Augen und sah den nackten, zitternden Körper des Mädchens, eingekeilt zwischen der Wand und Tiros stoßenden Flanken. Ich berührte Bethesdas Ohr mit den Lippen; sie seufzte, und ich erschauderte, weil ich mir einbildete, gehört zu haben, wie sie den Namen des kleinen Mädchens flüsterte: »Minora, Minora.« Natürlich hatte ich das Kind bei meiner ersten Befragung von Sextus Roscius gesehen, aber ich konnte mich nicht mehr an ihr Gesicht erinnern. Ich sah nur Roscias gequälte Miene, als ich sie verhörte, denselben Ausdruck, den sie getragen hatte, als Tiro sie nahm.

Lust, Scham, Ekstase und Qual wurden eins, und selbst mein eigener Körper verschmolz mit dem Bethesdas. Sie klammerte ihre kühlen Schenkel um mein Geschlecht und preßte sie leise lachend zusammen. Der junge Lucius auf der Straße nach Ameria fiel mir ein, grinsend und errötend; ich stellte mir vor, wie Roscia sich, die Schenkel noch feucht von Lucius’ Samen, dem Vater des Jungen anbot. Wie hatte Titus Megarus sie zurückgewiesen -mit einem bedauernden Seufzer, einem verächtlichen Schaudern, einer festen, väterlichen Ohrfeige? Ich sah die groben, von der Landarbeit gegerbten Hände von Sextus Roscius, die zwischen die kühlen Schenkel des Mädchens glitten, seine Schwielen, die über ihre geschmeidige Haut kratzten. Ich schloß fest die Augen und sah seine Augen, die mir glühend wie Kohlen entgegenstarrten.

Bethesda umarmte mich, gurrte in mein Ohr und fragte mich, warum ich zitterte.

Als ich den Höhepunkt nahen spürte, löste ich mich von ihr und ergoß mich zwischen ihren Beinen über die ohnehin zerknitterten und von der Hitze unserer Körper feuchten Laken. Eine gigantische Leere tat sich auf und schloß sich gleich wieder. Mein Kopf lag zwischen ihren Brüsten, die sich sanft hoben und senkten wie das Deck eines Schiffes auf dem offenen Meer. Langsam, ganz langsam löste sie ihre hennalackierten Nägel aus meinem Rücken wie eine Katze, die ihre Krallen zurückzieht. Neben dem pochenden Herzschlag in meinem Ohr konnte ich aus dem Garten eine dünne Stimme hören:

»Die Natur und die Götter verlangen absoluten Gehorsam gegenüber dem Vater. Wie von Weisen treffend gesagt wird, kann schon durch bloßes Verziehen des Gesichts die Kindespflicht verletzt... nein, nein, den Teil bin ich schon oft genug durchgegangen. Wo ist es, der Abschnitt, wo ich... Tiro, komm und hilf mir! Ah, hier: Aber laßt uns nun die Rolle betrachten, die jener Chrysogonus in dieser Angelegenheit gespielt hat - kaum goldgeboren, wie sein fremder Name andeutet, sondern vielmehr aus dem unreinsten aller Metalle, verkleidet und billig veredelt durch seine eigenen heimtückischen Anstrengungen, wie ein mit gestohlenem Gold plattiertes Blechgefäß...«

*

Die Gesellschaft in Chrysogonus’ Haus sollte erst nach Sonnenuntergang beginnen. Bis dahin hatte Cicero längst gegessen und sich ein Nachtgewand angelegt. Die meisten Sklaven schliefen, und das Haus war bis auf die Räume, in denen Cicero noch an seiner Rede arbeiten wollte, verdunkelt. Auf mein Drängen hatte er widerwillig einige seiner kräftigeren Sklaven als Wächter auf dem Dach und in der Halle postiert. Es schien unwahrscheinlich, daß unsere Feinde es wagen würden, Cicero direkt anzugreifen, aber sie hatten bereits demonstriert, daß sie zu Schandtaten weit jenseits meiner Erwartungen fähig waren.

Ich hatte ursprünglich erwogen, daß Tiro und ich Rufus in der Verkleidung von Sklaven begleiten könnten, aber das kam jetzt wohl nicht mehr in Frage; es bestand aller Grund zu der Annahme, daß einer der Gäste einen von uns oder beide wiedererkannte. Statt dessen sollte Rufus allein an der Gesellschaft teilnehmen und sich vom Haus seiner Familie aus mit eigenem Gefolge dorthin auf den Weg machen. Tiro und ich würden draußen im Schatten auf ihn warten.

Chrysogonus’ Haus war nur wenige Schritte von Caecilias Villa entfernt und lag ganz in der Nähe von dem Park, in dem Tiro Roscia getroffen hatte. Im ersterbenden Licht beobachtete ich, wie er den undurchdringlichen Schatten einen verstohlenen Blick zuwarf, als ob sie dort noch immer auf ihn warten könnte. Er verlangsamte seine Schritte, bis er schließlich ganz stehenblieb und in die Dunkelheit starrte. Ich ließ ihn einen Moment gewähren und zupfte dann an seinem Ärmel. Er fuhr zusammen, sah mich stumm an und folgte mir dann rasch.

Der Eingang zu Chrysogonus’ Villa war hell erleuchtet, und zahllose Geräusche drangen herüber. Fackeln säumten den Portikus, manche steckten in Wandhaltern, andere wurden von Sklaven getragen. Eine Gruppe von Leier-, Zimbel- und Flötenspielern musizierte in der Nähe, während ununterbrochen neue Gäste eintrafen. Die meisten von ihnen hatten sich von keuchenden Sklaven in Sänften den Berg hinauftragen lassen. Einige, die selbst auf dem Palatin lebten, waren bescheiden genug, zu Fuß zu kommen, umgeben von Trauben kriecherischer, überflüssiger Diener und Sklaven.

Nachdem die Sänftenträger ihre Herren vor der Haustür abgeliefert hatten, wurden sie um eine Ecke zum hinteren Teil des Hauses geschickt. Das Begleitpersonal wurde auf die Räumlichkeiten verteilt, in denen sich die Sklaven zum Warten versammelten, während sich ihre Herren unterhalten ließen. Es war ein warmer Abend; zahlreiche Gäste blieben auf der Schwelle stehen, um den Musikern zuzuhören. Ihre Melodien wehten süßer als Vogelgesang im Zwielicht herüber. Chrysogonus konnte sich von allem das Beste leisten.

»Aus dem Weg!« Die Stimme klang vertraut und ertönte hinter uns. Tiro und ich sprangen zur Seite, als rumpelnd eine Sänfte an uns vorbeisauste. Es war ein offenes Modell, das von zehn Sklaven getragen wurde. Die Passagiere waren niemand anders als Rufus in Begleitung seines Halbbruders Hortensius. Rufus hatte gerufen; er schien sich prächtig zu amüsieren, lachte laut und warf uns ein verschwörerisches Grinsen zu, als er vorbeikam. Seine geröteten Wangen deuteten daraufhin, daß er sich für den Abend Mut angetrunken hatte.

Hortensius blickte zum Glück gerade in die andere Richtung und sah uns nicht. Andernfalls hätte er mich bestimmt erkannt. Mir fiel plötzlich auf, wie auffällig wir uns benahmen, und ich zog Tiro in den tiefen Schatten der überhängenden Äste eines Feigenbaumes. Dort warteten wir eine Weile und beobachteten, wie die Feiernden und ihr Gefolge eintrafen und im Haus verschwanden. Wenn Chrysogonus seine Gäste persönlich begrüßte, tat er das in der Halle; auf der Treppe ließ sich jedenfalls kein blonder Halbgott blicken.

Schließlich wurde der Strom der Gäste dünner, bis er ganz versiegte. Anscheinend waren jetzt alle da, obwohl die Fackelträger steif auf ihrem Platz stehenblieben und die Musiker weiterspielten. Die Szene wurde zunächst unheimlich und leicht unwirklich, dann regelrecht gespenstisch: Auf einer in Mondlicht getauchten, verlassenen Straße versorgten Sklaven in festlicher Kleidung ein unsichtbares Publikum mit Licht und Musik. Der Ehrengast war noch nicht eingetroffen.

Schließlich hörte ich das Getrampel zahlloser Füße. Ich blickte mich in die Richtung um, aus der das Geräusch kam, und sah einen Kasten aus gelber Gaze nahen, hell und flatternd wie von unsichtbaren Wellen getragen. Er schien ohne jeden Antrieb aus eigener Kraft zu schweben, und einen kurzen Moment lang war die Illusion absolut überzeugend, als sei sie allein dazu erdacht worden, mich hier in diesem Moment zu täuschen.

Dann bildeten sich um die gelbe Kiste Wellen der Bewegung. Einen verwirrenden Augenblick lang waren sie nur das, Andeutungen etwas nach wie vor Unsichtbaren; dann nahmen sie plötzlich Gestalt an. Sämtliche Sänftenträger waren Nubier. Ihre Haut war völlig schwarz, dazu trugen sie schwarze Lendenschurze und schwarze Sandalen. Im Schatten waren sie nahezu unsichtbar; als sie in den Schein des aufgehenden Mondes traten, war es, als würden sie jedes Licht verschlucken bis auf einen matten Glanz, der ihre breiten, muskulösen Schultern nachzeichnete. Insgesamt waren es zwölf Träger, sechs auf jeder Seite, weit mehr als notwendig, um eine Sänfte mit einem einzelnen Insassen zu tragen. Ihre vereinte Kraft ließ sie mit unheimlicher Geschmeidigkeit vorwärts gleiten. Hinter ihnen ging ein großes Gefolge aus Sklaven, Dienern, Sekretären, Leibwächtern und Schmarotzern. Es mochte stimmen, daß Sulla, wie Rufus behauptet hatte, es sich neuerdings angewöhnt hatte, das Forum am hellichten Tag alleine zu überqueren, aber nachts bewegte er sich nach wie vor mit all dem Pomp und der Vorsicht durch die Straßen, die einem Diktator der Republik geziemte.

Endlich zeigte sich Chrysogonus persönlich. Als die Prozession näherkam, war einer der Fackelträger ins Haus gerannt. Kurz darauf trat der ganz in Gelb und Gold gewandete Chrysogonus auf den Porticus. Irgendwie hatte ich ihn bei all meinen diversen Aktivitäten nie persönlich zu Gesicht bekommen, sondern nur gehört, welcher Ruf ihm vorauseilte. Er war in der Tat von blendender Schönheit, groß und kräftig gebaut, mit goldenem Haar, einem breiten Kinn und leuchtend blauen Augen. Im flackernden Fackellicht deutete ich die wechselnden Masken seines Mienenspiels: zunächst ängstlich und unsicher wie jeder Gastgeber, der einen verspäteten Ehrengast erwartet, dann plötzlich hart und konzentriert, als würde er all seine Kraft zusammennehmen, und schließlich strahlend charmant, so abrupt und überwältigend, daß es schwer vorstellbar war, daß dies nur ein weiteres aufgesetztes Gesicht war. Er machte eine kurze Handbewegung. Sofort gingen die Musiker, deren Spiel etwas nachgelassen hatte, lauter und mit neuem Elan zur Sache.

Die Sänfte kam zum Stehen, und die Nubier setzten ihre Last ab. Ein Mann mit gezückter Waffe schlug die gelbe Gaze zurück, die den Insassen der Kabine abschirmte. Sulla erhob sich, lächelnd und korpulent, und sein rötliches Gesicht glänzte im Schein der Fackeln. Er trug eine Robe von kunstvoller orientalischer Machart, eine Vorliebe, die er sich während seines Feldzuges gegen Mithridates zugelegt hatte; der Stoff war in verschiedenen Grünschattierungen gefärbt und mit Silber bestickt. Sein Haar, einst blond wie das von Chrysogonus, war dicht und ausgebleicht, blaßgelb wie Hirsebrei.

Chrysogonus trat auf ihn zu, um ihn zu begrüßen, wobei er eine angedeutete Verbeugung machte. Sie umarmten sich, sprachen kurz miteinander, lachten und lächelten. Sie legten sich gegenseitig die Arme um die Schultern und verschwanden im Haus.

Die Sänftenträger wurden entlassen. Die Gefolgsleute sortierten sich zwanglos nach Wichtigkeit und gingen nach dem Herrn ins Haus. Ihnen folgten die noch immer spielenden Musiker und zuletzt die Fackelträger, wobei zwei von ihnen rechts und links neben der Tür stehenblieben und ein schwaches Licht für mögliche Spätankömmlinge spendeten. Aus dem Haus drang gedämpfter Applaus und Jubel. Die Seele des Abends war eingetroffen.

*

Zwei Tage zuvor hatte Rufus mir Chrysogonus’ Villa von außen gezeigt und mich auf jeden Eingang hingewiesen, wobei er mir, so gut er es aus dem Gedächtnis konnte, die Lage der Räume erläutert hatte. An der Nordseite, um die Ecke von dem Portikus und verdeckt durch eine Gruppe von Zypressen auf dem dahinterliegenden Gelände, war eine kleine Haustür in die Mauer eingelassen. Laut Rufus führte sie in eine Speisekammer, die sich an die riesigen Küchen im hinteren Teil des Hauses anschloß. Wir sollten warten, bis Rufus kam, wenn es ihm nicht gelang, Felix und Chrestus selbst aufzuspüren. Andernfalls würde er sie zu uns schicken. Die Dunkelheit schützte uns vor neugierigen Blicken von der Straße, und die Zypressen schirmten uns vor den Sänftenträgern ab, die auf der Freifläche zwischen dem Haus und den Ställen herumlungerten. Das Haus selbst hatte keine Fenster nach Norden, nur einen verlassenen, unbeleuchteten Balkon im oberen Stockwerk.

Ich befürchtete, daß Tiro nervös werden könnte, weil er es nicht gewohnt war, untätig in der Dunkelheit herumzusitzen, aber er schien ganz zufrieden damit, gegen den Baumstamm gelehnt in die Nacht zu starren. Er hatte seit unserem Treffen mit Roscia praktisch kein Wort mit mir gewechselt. Er war viel tiefer verletzt, als er zu erkennen gab. Gelegentlich sah er mich von der Seite an, um seinen Blick jedesmal mit blitzenden Augen sofort wieder abzuwenden.

Es kam mir vor, als warteten wir eine lange Zeit. Die Musik aus dem Haus vermischte sich mit dem Zirpen der Zikaden, und einmal hörte ich eine Stimme etwas vortragen, regelmäßig unterbrochen von Lachsalven und Applaus. Endlich flog die Tür auf. Ich erstarrte im Schatten des Baumes und machte mich bereit loszurennen, aber es war nur eine Sklavin, die einen Eimer mit dreckigem Wasser leerte. Sie schüttete ihn blind in die Dunkelheit, fuhr dann herum und schlug die Tür hinter sich zu. Tiro wischte seine Beine ab, weil ein paar Tropfen auf den Saum seiner Tunika gespritzt waren. Ich griff in meinen Ärmel und spürte den Griff des Messers - desselben Messers, das der stumme Sohn Polias mir auf der Straße zum Haus der Schwäne in die Hand gedrückt hatte, vor langer Zeit, so kam es mir vor, und weit weg.

Ich war fast eingedöst, als die Tür erneut aufging. Ich umklammerte den Knauf des Messers und richtete mich auf. Die Tür quietschte leise in den Angeln und schwang dermaßen verstohlen auf, daß ich wußte, es konnte nur Rufus sein oder aber gedungene Mörder, die gekommen waren, um uns zu töten.

»Gordianus?« flüsterte eine Stimme.

»Komm raus, Rufus. Mach die Tür hinter dir zu.«

Er schloß sie mit derselben übertriebenen Vorsicht und stand blinzelnd wie ein Maulwurf da, trotz des hellen Mondes unfähig, irgend etwas in der Dunkelheit zu erkennen.

»Hast du sie schon gefunden?« fragte ich.

»Sie sind im Haus, ja. Oder es gibt zumindest zwei Sklaven namens Felix und Chrestus, die beide neu im Haus sind; das hat mir jedenfalls eine der Serviererinnen erzählt. Aber ich habe sie nirgends entdecken können. Sie kümmern sich nicht um die Gäste. Sie haben keinen Kontakt zu irgend jemandem außerhalb des Hauses. Chrysogonus hält sie sich als seine persönlichen Arbeitssklaven. Das Mädchen sagt, daß sie das obere Stockwerk praktisch nie verlassen.«

»Vielleicht kann sie ihnen eine Botschaft übermitteln.«

»Das habe ich sie schon gefragt. Chrysogonus würde sehr wütend werden, wenn sie während der Feier nach unten kämen. Aber sie ist bereit, euch zu ihnen zu führen.«

»Wo ist das Mädchen?«

»Sie wartet in der Speisekammer auf mich. Sie hat so getan, als müsse sie etwas holen.«

»Vielleicht rennt sie aber auch in diesem Augenblick zu Chrysogonus.«

Rufus sah sich besorgt zu der Tür um und schüttelte dann den Kopf. »Das glaube ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Du weißt doch, wie das ist. Man weiß, ob ein Sklave bereit ist, irgendeine schmutzige Sache hinter dem Rücken seines Herrn abzuwickeln. Ich glaube, sie kann den Goldengeborenen nicht besonders leiden. Sklaven hassen es, für einen Freigelassenen zu arbeiten, heißt es doch - die ehemaligen Sklaven sind immer die grausamsten Herren.«

Ich blickte zu der Tür und dachte, wie leicht uns dahinter der Tod erwarten könnte. Ich atmete tief ein und beschloß dann, mich auf Rufus’ Einschätzung zu verlassen. »Geh voran.«

Er nickte und öffnete verstohlen die Tür. Der Sturz war so niedrig, daß ich mich bücken mußte. Tiro folgte mir. Es bestand keine Veranlassung, daß er mitkam, und ich hatte ihn eigentlich vor der Tür warten lassen wollen, aber als ich mich über die Schulter umsah, war sein Gesichtsausdruck von solcher Entschlossenheit, daß ich nachgab. Leise quietschend schloß sich die Tür hinter uns.

Das Mädchen war jung und hübsch, mit langen schwarzen Haaren und einer zarten Haut, die im Licht der Lampe, die sie in der Hand hielt, honigfarben glänzte. Wäre sie eine Kurtisane gewesen, wäre ihr Aussehen nicht weiter bemerkenswert gewesen, für ein einfaches Serviermädchen jedoch schien ihre Schönheit von absurder Extravaganz. Chrysogonus war berühmt dafür, sich mit hübschen Dekorationen und Spielsachen zu umgeben.

»Das sind die Männer«, erklärte Rufus. » Kannst du sie so leise nach oben bringen, daß niemand etwas merkt?«

Das Mädchen nickte und lächelte, als ob es dumm sei, überhaupt zu fragen. Dann öffnete sich ihr Mund, sie schnappte nach Luft und fuhr herum. Die Tür hinter ihr ging langsam auf.

Der Raum war niedrig und eng, mit Regalen, Flaschen, Urnen, Schalen und Säcken vollgestellt. Knoblauch hing von der Decke, und der staubige Geruch, der vom Boden aufstieg, lag schwer in der Luft. Ich zog mich, soweit ich konnte, in eine Ecke zurück und drängte Tiro hinter mich. Im selben Augenblick schlang Rufus seinen Arm um die Taille des Mädchens, zog sie an sich und preßte seinen Mund auf ihren.

Die Tür ging auf. Rufus küßte das Mädchen noch einen Moment länger, dann lösten sie sich voneinander.

Der Mann in der Tür war hochgewachsen und breitschultrig, so groß, daß er fast den ganzen Rahmen füllte. Von hinten fiel Licht auf sein Haar, das wie ein schimmernder goldener Heiligenschein um sein im dunkeln liegendes Gesicht lag. Er kicherte leise und trat näher. Die Lampe, die in der Hand des Mädchens zitterte, beleuchtete sein Gesicht von unten. Ich sah das Blau seiner Augen und das Grübchen in seinem breiten Kinn, die hohen Wangenknochen und die glatte, klare Stirn. Er war nur wenige Schritte entfernt von mir und hätte mich zwischen den Tontöpfen und Urnen bestimmt gesehen, wenn es nicht so dunkel gewesen wäre. Ich bemerkte, daß das Mädchen das Licht bewußt mit dem Körper abschirmte und ihn mit ihrer Lampe blendete, um uns in noch tieferen Schatten zu tauchen.

»Rufus«, sagte er schließlich, wobei er das Wort mit einem langgezogenen Zischen ausklingen ließ, als sei es kein Name, sondern ein Seufzer. Er sagte es noch einmal, diesmal mit einer merkwürdigen Betonung der Vokale. Seine Stimme war tief und voll, verspielt, angeberisch und so intim wie eine Berührung. »Sulla fragt nach dir. Sorex wird jetzt gleich tanzen. Eine Meditation über den Tod der Dido - hast du sie schon gesehen? Sulla wäre gar nicht froh darüber, wenn du es verpaßt.«

Es entstand eine lange Pause. Ich bildete mir ein, daß Rufus’ Ohren rot wurden, aber vielleicht war es auch nur das hindurchscheinende Licht.

»Aber natürlich, wenn du beschäftigt bist, werde ich Sulla sagen, daß du einen Spaziergang machst.« Chrysogonus sprach langsam wie ein Mann, der keinen Grund zur Eile hat.

Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Mädchen zu. Er ließ seinen Blick über ihren Körper wandern und griff nach ihr. Wo er sie berührte, konnte ich nicht erkennen. Sie erstarrte, keuchte, und die Lampe in ihrer Hand zitterte. Tiro zuckte hinter mir. Ich legte meine Hand auf seine und drückte sie fest.

Chrysogonus nahm dem Mädchen die Lampe ab und stellte sie auf ein Regal. Er löste den Knoten, der ihr Gewand am Hals zusammenhielt, und streifte es über ihre Schultern. Es flatterte an ihrem Körper hinab wie landende Tauben, bis sie nackt vor uns stand. Chrysogonus machte einen Schritt zurück, schürzte seine wulstigen Lippen und musterte mit schweren Lidern erst Rufus und dann das Mädchen. Er lachte leise. «Wenn du sie haben willst, junger Messalla, kannst du sie natürlich haben. Ich verwehre meinen Gästen nichts. Welches Vergnügen du in diesem Haus auch immer finden magst, es gehört dir, ohne daß du erst fragen mußt. Doch du brauchst es nicht wie ein Schuljunge zu tun, der sich in der Speisekammer rumdrückt. Im oberen Stockwerk gibt es genug bequeme Zimmer. Laß sie dir von dem Mädchen zeigen. Laß sie nackt durch das Haus flanieren, wenn du willst -reite sie wie ein Pony! Es wäre nicht das erste Mal.« Er berührte sie erneut, sein Arm bewegte sich, als würde er eine Spur quer über ihre nackten Brüste zeichnen. Das Mädchen stöhnte und zitterte, blieb jedoch absolut still stehen.

Er wandte sich zum Gehen, drehte sich jedoch noch einmal um. »Aber mach nicht zu lange. Sulla wird mir vergeben, wenn du diesen Tanz verpaßt, aber am späteren Abend wird Metrobius einen neuen Gesang vorstellen von... ah, egal, von irgendeinem dieser Speichellecker - wer kann sich schon all die Namen merken? Der arme Narr ist heute abend hier und will sich einschmeicheln. Nach allem, was ich gehört habe, ist es eine Huldigung an die Götter, daß sie uns einen Mann gesandt haben, der den Bürgerkrieg beendet hat: »Sulla, Liebling Roms, Retter der Republik, beginnt es, glaube ich. Und ich bin sicher, daß es genauso ekelerregend fromm weitergeht -außer...« Chrysogonus lächelte und lachte dann hinter geschürzten Lippen, ein tiefes, rauhes Lachen, das er für sich zu behalten schien, wie ein Mann, der Münzen in seiner Hand rollt. »Nur daß Metrobius mir erzählt hat, daß er sich die Freiheit genommen hat, ein paar zotige Verse hinzuzudichten, skandalös genug, um den jungen Dichter den Kopf zu kosten. Stell dir den Gesichtsausdruck des albernen Poeten vor, wenn er hört, wie seine Huldigung sich in Anwesenheit Sullas in eine Beleidigung verwandelt. Sulla wird den Scherz natürlich sofort durchschauen und mitspielen, indem er mit den Füßen aufstampft und vorgibt, empört zu sein - genau die Art Spaß, die Sulla liebt. Es wird der Höhepunkt des Abends werden, Rufus, jedenfalls für einige von uns. Sulla würde sehr enttäuscht sein, wenn du ihn nicht mit uns teilen könntest.« Er lächelte ein vielsagendes Lächeln, starrte die beiden lange an, zog sich dann zurück und schloß dann die Tür hinter sich.

Niemand rührte sich. Ich beobachtete die flackernde Liebkosung des Lampenlichtes auf der Silhouette des Mädchens, auf der geschmeidigen Haut ihrer Schenkel und Hüften. Schließlich bückte sie sich und hob ihr Gewand auf. Tiro drängte sich mit großen Augen resolut an mir vorbei, um ihr zu helfen. Rufus blickte eifrig in eine andere Richtung.

»Also«, sagte ich schließlich, »wenn ich das richtig verstanden habe, hat uns der Hausherr soeben höchstpersönlich erlaubt, oben herumzuschnüffeln. Wollen wir?«

25

Die Tür, durch die Chrysogonus verschwunden war, führte in einen kurzen Flur. Durch einen schmalen Gang zur Linken konnte man geschäftigen Lärm aus der Küche hören. Der Vorhang, der die Öffnung zur Rechten drapierte, durch die Chrysogonus gegangen war, wiegte noch immer sanft hin und her. Das Mädchen führte uns jedoch geradeaus zu einer Tür am Ende des Flurs, die sich zu einer steinernen Wendeltreppe öffnete.

»Es gibt noch eine andere Treppe in dem Raum, in dem mein Herr Gäste empfängt«, flüsterte sie, »sehr protzig, aus edelstem Marmor mit einer Venusstatue in der Mitte. Aber das hier ist die Treppe, die die Sklaven benutzen. Wenn uns irgend jemand entgegenkommt, beachtet ihn gar nicht, selbst wenn man uns merkwürdig ansieht. Oder noch besser, kneift mich so fest, daß ich kreischen muß, und tut alle so, als wärt ihr betrunken. Sie werden bestimmt das Schlimmste annehmen und uns in Ruhe lassen.«

Doch auf der Treppe begegneten wir niemandem, und der Flur im obersten Stockwerk lag völlig verlassen da. Aus dem Erdgeschoß drangen gedämpfte Flöten- und Leierklänge nach oben sowie gelegentlich aufbrandender Beifall -vermutlich in Anerkennung von Sorex’ Tanzkünsten -, aber das Obergeschoß lag dunkel und still da. Der Flur war recht breit und phantastisch dekoriert. Links und rechts gingen große, hohe Räume ab, die noch luxuriöser eingerichtet waren. Alle Flächen schienen mit Teppichen ausgelegt, mit Wandbehängen geschmückt, mit Intarsien verziert oder kunstvoll bemalt zu sein. Wohin das Auge auch schaute, bot sich eine Orgie aus Farben, Stoffen und Formen dar.

»Vulgär, nicht wahr?« sagte Rufus mit der Verachtung des Patriziers. Cicero wäre ganz seiner Meinung gewesen, aber die Einrichtung war nur deswegen vulgär, weil die Räume so vollgepackt waren und alles so einen demonstrativen Eindruck machte. Am meisten beeindruckt war ich vom gleichbleibend guten Geschmack Chrysogonus’, der nur die besten und teuersten Handarbeiten und Kunstwerke erworben hatte - Silber mit Reliefmustern, Gefäße aus delischer und korinthischer Bronze, bestickte Tagesdecken, edle Orientteppiche, kunstvoll geschnitzte Tische und Stühle mit Intarsien aus Perlmutt und Lapislazuli, farbenprächtige Mosaike, kostbare Marmorstatuen und phantastische Gemälde. Es stand außer Zweifel, daß all diese Werke Beute aus den Proskriptionen waren; andernfalls hätte man ein ganzes Leben gebraucht, so viele Gegenstände von so hoher Qualität und so unterschiedlicher Herkunft anzusammeln. Doch niemand konnte behaupten, daß Chrysogonus blindlings geplündert hatte. Sollten die anderen die Spreu nehmen, für sich hatte er nur das Beste ausgewählt, mit dem geübten Auge für Qualität, das Sklaven entwickeln, die davon träumen, eines Tages selbst frei und reich zu sein. Ich war froh, daß Cicero nicht bei uns war; zu sehen, wie Sullas ehemaliger Sklave in gestohlenem Luxus von solch grandiosen Ausmaßen lebte, hätte seine empfindliche Verdauung aufs heftigste gestört.

Der Flur wurde enger, die Räume weniger prachtvoll. Das Mädchen hob einen schweren Vorhang, wir schlüpften hindurch, und nachdem sie ihn wieder fallen gelassen hatte, hörte man keinen Laut mehr von unten. Auch sonst waren wir in eine andere Welt eingetreten und befanden uns auf einmal wieder in Räumen mit grob verputzten Wänden und rauchfleckigen Decken, die Zimmer des gemeinen Bedarfs -Lagerkammern, Sklavenquartiere, Arbeitsräume. Doch selbst hier war weitere Beute angehäuft. Kisten mit bronzenen Gefäßen türmten sich in einer Ecke, zusammengerollte Teppiche lehnten wie schläfrige Wächter an der Wand, in schwere Tücher eingewickelte Tische und Stühle stapelten sich bis zur Decke.

Das Mädchen tappte durch das Chaos, blickte sich verstohlen nach allen Seiten um und machte uns dann ein Zeichen, ihr zu folgen. Sie zog einen Vorhang zurück.

»Was willst du denn hier oben?« fragte eine nörgelnde Stimme. »Ist unten heute abend nicht eine Gesellschaft im Gange?«

»Ach, laß sie doch in Ruhe«, sagte eine andere Stimme mit vollem Mund. »Nur weil Aufilia mir Extraportionen bringt und bei deinem häßlichen Gesicht die Nase rümpft... doch wer ist das?«

»Nein«, sagte ich, »bleibt ruhig sitzen. Eßt in Ruhe zu Ende.«

Die beiden saßen auf dem harten Fußboden und aßen im Licht einer einzelnen Lampe Kohl und Gerste aus rissigen Schalen. Der Raum war klein und eng mit kahlen Wänden; die winzige Flamme der Lampe ließ die Falten in ihren Gesichtern wie tiefe Furchen aussehen und warf ihre gebückten Schatten bis an die Decke. Ich blieb auf der Schwelle stehen. Tiro drängte sich hinter mich und sah über meine Schulter. Rufus hielt sich im Hintergrund.

Der hagere Nörgler schnaubte verächtlich und starrte mürrisch auf sein Essen. »Für das, was du vorhast, Aufilia, ist dieser Raum zu klein. Kannst du dir nicht einen anderen leeren Raum suchen mit einem Diwan, der groß genug für euch drei ist?«

»Felix!« zischte der andere, stieß den Kollegen mit seinem pummeligen Ellenbogen an und gestikulierte heftig. Felix blickte auf und erbleichte, als er den Ring an meinem Finger sah. Er hatte gedacht, wir wären alle drei Sklaven, die nach einem Platz suchten, ihre eigene Party zu feiern.

»Vergib mir, Bürger«, flüsterte er und verbeugte sich. Sie verfielen in Schweigen und warteten darauf, daß ich etwas sagte. Vorher waren sie menschliche Wesen gewesen, der eine hager und reizbar, der andere fett und gutmütig, mit lebendigen Gesichtern im warmen Licht, die aßen und sich mit dem Mädchen kabbelten. Von einem Augenblick zum nächsten waren ihre Gesichter grau und beliebig geworden, mit derselben leeren Miene, die jeder Sklave jedes strengen Herrn aufsetzte, der je in Rom gelebt hatte.

»Schaut mich an«, sagte ich. »Schaut mich an! Und wenn ihr nicht zu Ende essen wollt, stellt eure Schalen ab und steht auf, damit ich euch in die Augen sehen kann. Wir haben nicht viel Zeit.«

*

»Bevor man es sehen konnte, hatte er das Messer gezückt«, sagte Felix. »Blitzartig.«

»Ja, im wahrsten Sinne des Wortes blitzartig!« Chrestus stand hinter ihm und rieb sich nervös seine Patschhände, wobei sein Blick zwischen meinem Gesicht und dem seines Freundes hin und her wanderte.

Nachdem ich erklärt hatte, wer ich war und was ich wollte, hatten sie erstaunlich bereitwillig, ja geradezu eifrig begonnen zu reden. Tiro stand mit nachdenklichem Gesicht neben mir im Lampenlicht. Ich hatte Rufus im letzten Zimmer des Hauptflures postiert, so daß er möglicherweise umherirrende Gäste verscheuchen konnte. Das Mädchen hatte ich mitgeschickt; sie war seine Entschuldigung dafür, sich im oberen Stockwerk herumzudrücken, und außerdem gab es keinen Grund, sie weiter in die Sache zu verwickeln oder ihr die volle Wahrheit über den Grund unseres Besuches anzuvertrauen.

»Wir hatten keine Chance, unserm Herrn zur Hilfe zu kommen. Sie haben uns aus dem Weg gestoßen«, sagte Felix. »Kräftige Männer, so stark wie Pferde.«

»Und nach Knoblauch haben sie gestunken«, fügte Chrestus hinzu. »Sie hätten auch uns getötet, wenn Magnus sie nicht gebremst hätte.«

»Und ihr seid sicher, daß es Magnus war?« fragte ich.

»O ja.« Felix schauderte. »Ich hab sein Gesicht nicht gesehen, darauf hat er geachtet. Aber ich hab seine Stimme gehört. «

»Und unser Herr hat seinen Namen genannt, weißt du noch, kurz bevor Magnus zum ersten Mal auf ihn eingestochen hat«, sagte Chrestus. »>Magnus, Magnus, verflucht seist du!< mit ganz dünner Stimme. In meinen Träumen höre ich sie manchmal noch heute.«

Felix Schürzte seine schmalen Lippen. »Ah ja, stimmt. Das hatte ich ganz vergessen.«

»Und die beiden anderen Täter?« fragte ich.

Sie zuckten einträchtig mit den Schultern. »Einer von ihnen könnte Mallius Glaucia gewesen sein, obwohl ich mir da nicht sicher bin«, sagte Felix. »Der andere hatte einen Bart, das weiß ich noch genau.«

»Einen roten Bart?«

»Schon möglich. Schwer zu sagen bei dem Licht. Er war noch größer als Glaucia und stank fürchterlich nach Knoblauch.«

»Rotbart«, murmelte ich. »Und wie hat Magnus sie davon abgehoben, euch zu töten?«

»Er hat es verboten. >Hört auf, ihr Idioten!<« knurrte Chrestus, als spiele er eine Rolle. »>Das sind wertvolle Sklaven. Wenn ihr einen von beiden beschädigt, ziehe ich euch das vom Lohn ab!< Wertvoll hat er uns genannt -und wo sind wir gelandet: Wir dürfen Sandalen einölen und die Nachttöpfe des Goldengeborenen polieren.«

»Aber nichtsdestoweniger wertvoll«, sagte ich. »Als hätte Magnus selbst geplant, euch zu erben.«

»O ja.« Felix nickte. »Das muß von Anfang an der Plan gewesen sein, daß er und Capito irgendwie die Besitztümer unseres Herrn in ihre schmutzigen Hände bekommen. Wer weiß, wie sie das angestellt haben? Und jetzt sind wir wieder hier in der Stadt gelandet, außer daß wir sie nie zu sehen bekommen. Der Goldene hält uns Tag und Nacht in diesen stickigen Räumen gefangen. Man könnte meinen, er will uns bestrafen. Oder uns hier verstecken, genauso wie er die Hälfte seiner Beute versteckt. Ich frage dich, was ist das für ein Zufall? daß ich, wenn ich mich in diesen Räumen umsehe, zahllose Gegenstände sehe, die direkt aus dem Haus meines alten Herrn beim Circus stammen? Diese Stühle, die du draußen übereinandergestapelt siehst, und die gelbe Vase im Flur und der alexandrinische Wandbehang, der dort zusammengerollt in der Ecke liegt - das hat alles unserem Herrn gehört, bevor er ermordet wurde. Nein, wir sind nicht der einzige Besitz, der in Chrysogonus’ Händen gelandet ist.«

Chrestus nickte bestätigend.

»Am Abend des Mordes«, sagte ich im Versuch, sie wieder zum Thema zurückzusteuern, »wurdet ihr beiseite gestoßen, durch das Wort von Magnus gerettet, und dann seid ihr verschwunden. In die Nacht verschwunden ohne einen Laut oder Hilferuf - leugnet es nicht, ich habe einen Zeugen, der das beschwören kann.«

Felix schüttelte den Kopf. »Ich weiß zwar nicht, was für einen Zeugen du haben willst, aber wir sind nicht weggelaufen, jedenfalls nicht richtig. Wir sind ein Stück die Straße hinuntergerannt und dann stehengeblieben. Chrestus wäre weitergerannt, aber ich habe ihn zurückgehalten.«

Chrestus schaute niedergeschlagen drein. »Das stimmt«, sagte er.

»Wir standen im Dunkeln und haben sie beobachtet. Was für ein prächtiger Mensch er war! Was für ein edler Römer! Ein Sklave hätte sich keinen besseren Herrn wünschen können. Er hat mich in dreißig Jahren keinmal geschlagen, nicht ein einziges Mal! Wie viele Sklaven können das schon von ihrem Herrn behaupten?«

»Ein furchtbarer Anblick!« Chrestus seufzte, und seine massigen Schultern bebten. »Ich werde nie vergessen, wie sein Körper gezuckt hat, als sie mit den Dolchen auf ihn eingestochen haben. Wie das Blut in die Luft gespritzt ist wie Wasser aus einem Brunnen. Ich hab damals noch gedacht, daß ich auf der Stelle zurücklaufen, mich neben ihm auf die Straße werfen sollte und ihnen zurufen sollte: >Nehmt auch mein Leben!< Ich hab es praktisch auch gesagt, stimmt’s nicht, Felix?«

»Na ja... «

»Kannst du dich nicht erinnern? Ich hab zu dir gesagt: >Jetzt ist unser Leben so gut wie vorbei. Nichts wird je wieder so sein wie vorher.< Hab ich das nicht gesagt? Und hab ich nicht recht gehabt?« Er begann leise zu weinen.

Felix verzog sein Gesicht und berührte den Arm seines Freundes, um ihn zu trösten, wobei er zu mir gewandt mit den Schultern zuckte, als wäre ihm seine eigene Zärtlichkeit peinlich. »Das stimmt. Ich weiß noch genau, wie du das gesagt hast. Ach, es war schrecklich, das Ganze von Anfang bis Ende mit anzuschauen. Als sie fertig waren, wußten wir, daß absolut keine Hoffnung bestand, daß unser Herr noch lebte, also sind wir schließlich umgekehrt und den ganzen Weg bis nach Hause gerannt. Wir haben eine Sänfte hingeschickt, um die Leiche zu bergen, und am nächsten Morgen habe ich einen Boten nach Ameria losgesandt.«

Plötzlich zog er die Brauen zusammen. »Was ist?« fragte ich.

»Nur eine Sache, die mir erst jetzt wieder einfällt. Etwas sehr Merkwürdiges. Es kam mir schon damals merkwürdig vor, und jetzt in der Erinnerung ist es noch viel merkwürdiger. Als sie fertig waren - als es keinen Zweifel geben konnte, daß unser armer Herr tot war -, begann der Bärtige, seinen Kopf abzuschneiden.«

»Was?«

»Er packte ihn bei den Haaren, riß den Kopf heftig zurück und begann, ihn mit einer langen und breiten Klinge abzuschneiden. Wie ein Metzger, der ein Leben lang nichts anderes getan hat. Magnus hat es zunächst nicht bemerkt, er sah zu den Fenstern hoch, glaube ich. Aber als er sich umsah, brüllte er den Mann an, er solle das sofort lassen! Stieß ihn zurück und schlug ihn ins Gesicht. Dafür mußte er sich ganz schön lang machen.«

»Er hat Rotbart geohrfeigt, während der damit beschäftigt war, einem anderen Mann den Kopf abzuschneiden? Das hört sich so dumm an, daß es eigentlich nicht zu glauben ist.«

Felix schüttelte den Kopf. »Du kennst Magnus nicht, wenn du glaubst, daß ihn das davon abhalten würde. Wenn er einen Wutanfall bekommt, würde er auch Pluto persönlich ohrfeigen und ihm ins Auge spucken. Sein gemieteter Freund wußte nur zu gut, daß er es nicht wagen durfte zurückzuschlagen. Aber warum, glaubst du, hat der Mann das getan? Angefangen, den Kopf unseres Herrn abzuschneiden, meine ich?«

»Aus Gewohnheit«, sagte ich. »Das haben sie doch bei den Proskriptionen immer getan, oder nicht? Den Kopf des Opfers abgeschnitten, um die staatliche Belohnung zu beanspruchen. Rotbart war so daran gewöhnt, den Kopf seiner Opfer abzuschneiden, daß er bei Sextus Roscius automatisch dasselbe tat.«

»Aber warum hat Magnus ihn daran gehindert? Es hätte ihm doch egal sein können.« Es war Tiro, der im Licht der Lampe ungewohnt weise aussah. »Das war doch die Geschichte, die sie verbreitet haben, oder nicht, daß Sextus Roscius geächtet worden sei? Warum sollte also sein Kopf nicht abgeschnitten werden?«

Alle drei starrten mich an. »Weil - ich weiß nicht. Weil Magnus wollte, daß es wie ein Mord aussah? Weil er wollte, daß es aussah wie die Tat von Räubern, nicht von gedungenen Mördern? Ja, zu diesem Zeitpunkt hatte er sich noch nicht entschlossen, die falsche Proskriptionsgeschichte zu benutzen, und es war auch noch nicht geplant, Roscius filius als Vatermörder anzuklagen...« Die Worte schienen einen Sinn zu ergeben, als ich sie aussprach, und einen Moment glaubte ich, die Wahrheit erkannt zu haben. Sie flackerte kurz auf und war dann wieder weg, als hätte jemand von uns die Lampe ausgepustet. Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«

»Ich verstehe sowieso nicht, welchen Sinn diese Fragen haben sollen«, sagte Tiro bedrückt. »Das wußten wir doch alles schon von dem stummen Jungen.«

»Der kleine Eco würde wohl kaum einen zulässigen Zeugen abgeben. Und seine Mutter würde nie aussagen.«

»Aber was ist mit Felix und Chrestus? Von ihnen könnte auch keiner als Zeuge aussagen, es sei denn -« Tiro sprach den Satz nicht zu Ende.

»Es sei denn, was?« Chrestus, der das Gesetz nicht kannte, sah mich tatsächlich hoffnungsvoll an. Bevor ich ihnen davon berichtet hatte, hatten sie nicht einmal von dem Prozeß gegen Sextus Roscius gewußt. Die neue Idee, vor Gericht auszusagen, schien Chrestus zu gefallen. Tiro, der Sklave eines Anwalts, wußte es besser.

»Es sei denn«, sagte ich, »euer neuer Herr erlaubt es. Und ich denke, wir wissen alle, daß Chrysogonus das nie tun würde, also müssen wir uns darüber nicht weiter den Kopf zerbrechen«, sagte ich, wohlwissend, daß das Kopfzerbrechen erst anfing. Am Morgen würde ich Rufus bitten, bei Gericht förmlich zu beantragen, daß Chrysogonus eine Aussagegenehmigung für seine beiden Sklaven erteilte. Er konnte sich natürlich weigern, aber wie würde das aussehen? Cicero könnte ihn so weit unter Druck setzen, daß er die offizielle Vernehmung von Felix und Chrestus erlaubte. Schließlich hatten sie die Gesichter der Mörder nie direkt gesehen, und Chrysogonus ahnte vielleicht nicht, wieviel sie wußten. Und welche Entschuldigung könnte er Vorbringen, dem Gericht Beweismaterial zu verweigern, es sei denn, er wollte seine eigene Beteiligung vertuschen.

Was, wenn er einwilligte und sie dem Gericht übergab? Das römische Gesetz verlangte in seiner unergründlichen Weisheit, daß jeder Sklave, der als Zeuge aussagte, der Folter unterworfen werden mußte. Die freiwillige Aussage eines Sklaven war unzulässig; nur die Folter war ein zuverlässiges Siegel der Glaubwürdigkeit. Was könnte sie erwarten? Ich stellte mir den korpulenten Chrestus nackt an Ketten hängend vor, den Hintern von glühenden Eisen verbrannt; den hageren Felix an einen Stuhl gefesselt, die Hand in einem Schraubstock.

»Und danach«, sagte ich, um das Thema zu wechseln, »hast du dem Sohn deines Herrn in Ameria gedient?«

»Nicht sofort«, erklärte Felix. »Und dem jungen Sextus Roscius haben wir auch nie gedient. Wir sind im Haus am Circus Flaminius geblieben, haben unerledigte Dinge geregelt und dem Verwalter geholfen. Wir sind nicht einmal nach Ameria gereist, um an den Beerdigungsfeierlichkeiten für unseren Herrn teilzunehmen. Und dann stand eines Tages Magnus vor der Tür und behauptete, das Haus würde ihm gehören und wir auch. Es stand alles in den Papieren, die er bei sich hatte; was sollten wir machen?«

»Das war in der Zeit, als das kalte Wetter begann«, sagte Chrestus, »aber so wie sich Magnus aufführte, hätte man meinen können, wir hätten Hochsommer gehabt. Oh, unser alter Herr hat gut gelebt und sein Vergnügen gehabt, da gibt es kein Vertun, aber er wußte, daß jedes Laster seinen Ort hatte - Trinkgelage gehörten in eine Taverne, Päderastie in die Bäder, Hurerei ins Bordell und nicht ins Haus, und jede Feier hat einen Anfang und ein Ende. Aber bei Magnus war es eine einzige riesige Orgie, unterbrochen von gelegentlichen Raufereien. Das Haus hat nach Gladiatoren und Schlägern gestunken, und an manchen Abenden hat er sogar Eintritt verlangt. Es war erschütternd, wie die Leute, die im Haus ein und aus gingen, das Andenken unseres Herrn entweiht haben.«

»Und dann kam das Feuer«, sagte Felix verdrießlich. »Na, was will man in einem Haus, das sich derart dem Trunk und der Verwahrlosung hingibt, erwarten? Es brach in der Küche aus und sprang schnell auf das Dach über. Magnus war so betrunken, daß er kaum aufrecht stehen konnte; er betrachtete die Flammen und lachte laut - ich hab gesehen, wie er regelrecht vor Lachen umfiel. Womit ich nicht sagen will, daß er ein freundlicher Mensch ist. Er hat uns immer wieder ins brennende Haus zurückgeschickt, um Wertsachen rauszuholen, und gedroht, uns zu schlagen, als wir zurückschraken. Zwei Sklaven sind auf diese Weise ums Leben gekommen, eingesperrt in den Flammen, weil Magnus sie losgeschickt hatte, seine Lieblingssandalen zu holen. Das gibt dir eine Vorstellung davon, wie sehr wir ihn alle gefürchtet haben, daß wir eher bereit waren, uns den Flammen auszusetzen als seinem Zorn. Ich vermute, das Leben unter Sextus Roscius hatte uns alle verwöhnt.«

»Und dann«, sagte Chrestus und kam ein wenig näher, »wurden wir alle auf Wagen verladen und nach Ameria hochgekarrt, in die tiefste Provinz, und landeten in diesem riesigen Haus als Bedienstete von Capito und seiner Frau. Aus dem Regen in die Traufe, wie man so sagt. Man konnte kaum eine Nacht durchschlafen, weil sie sich ständig anbrüllten. Ich sage dir, diese Frau ist verrückt. Nicht exzentrisch - Caecilia Metella ist exzentrisch -, sondern total verrückt. Einmal hatte sie mich mitten in der Nacht rufen lassen, damit ich die Haare in ihrer Bürste zähle und die grauen von den schwarzen trenne. Sie wollte Buch führen über jedes Haar, das sie verlor! Und natürlich mußte es immer mitten in der Nacht sein, wenn Capito in seinem Zimmer schlief und sie allein vor dem Spiegel saß und in ihr Gesicht starrte. Ich dachte, als nächstes würde sie mich ihre Falten zählen lassen.«

Er machte eine kurze Pause, und ich glaubte, er wäre fertig, aber er kam erst richtig in Fahrt. »Und das Merkwürdigste war, daß Sextus Roscius ständig auftauchte, der Sohn des Herrn. Ich hatte geglaubt, er müsse auch tot sein, weil wir sonst seine Sklaven geworden wären; aber dann dachte ich, daß er uns und das Land wohl verkauft haben mußte. Aber das war auch unwahrscheinlich, weil er doch praktisch wie ein Gefangener oder Bettler in dieser beengten Hütte auf dem Anwesen wohnte. Und dann haben wir von anderen Sklaven schließlich Gerüchte über diese angebliche Proskription gehört, was überhaupt keinen Sinn ergab. Ich dachte, die ganze Welt wäre so verrückt geworden wie Capitos Frau.

Und das Seltsamste war, wie Sextus Roscius sich benahm. Zugegeben, der Mann kannte uns kaum, weil er bei den wenigen Anlässen, zu denen er nach Rom kam, immer nur ein paar Augenblicke im Haus seines Vaters verbracht hat und wir auch nicht seine Sklaven waren. Aber man sollte doch meinen, er hätte eine Gelegenheit gefunden, uns zur Seite zu nehmen, genau wie du jetzt, um uns nach dem Tod seines Vaters zu fragen. Wir waren schließlich dabei, als es passiert ist; das muß er gewußt haben. Aber jedesmal wenn er uns traf, hat er in die andere Richtung gesehen. Und wenn er darauf wartete, Capito zu sehen - normalerweise, um ihn um Geld anzubetteln -, und einer von uns hielt sich aus irgendeinem Grund in der Halle auf, hat er lieber draußen gewartet, selbst wenn es kalt war. Als ob er Angst vor uns hätte! Ich fing an zu glauben, daß man ihm vielleicht erzählt hatte, daß wir Komplizen bei der Ermordung seines Vaters gewesen waren, als ob irgendjemand das von zwei harmlosen Sklaven annehmen könnte!«

Erneut flackerte so etwas wie die Wahrheit im Zimmer auf wie ein mattes Licht neben der Lampe, zu schwach, um Schatten zu werfen. Ich schüttelte verwirrt den Kopf. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter und fuhr zusammen.

»Gordianus!« Es war Rufus, ohne das Mädchen. Chrestus und Felix wichen zurück. »Gordianus, ich muß zurück auf die Feier. Ich hab das Mädchen schon vorgeschickt. Chrysogonus hat einen Sklaven nach uns suchen lassen; Metrobios soll jeden Moment anfangen zu singen. Wenn ich bis dahin nicht zurück bin, werde ich nur ihre Aufmerksamkeit erregen.«

»Ja, gut«, sagte ich. »Geh schon vor.«

»Wirst du alleine aus dem Haus finden?«

»Natürlich.«

Er sah sich in dem Zimmer um, ihm war in der billigen Umgebung einer Sklavenunterkunft offensichtlich unbehaglich zumute. Die Rolle des Spions stand ihm nicht; er fühlte sich mehr zu Hause, wenn er im hellen Tageslicht auf dem offenen Forum den jungen Patrizier spielen konnte.

»Bist du bald fertig? Ich finde, ihr solltet hier so schnell wie möglich verschwinden. Nach Metrobius’ Vortrag ist das Unterhaltungsprogramm beendet, und alle möglichen merkwürdigen Gestalten werden durchs Haus geistern. Dann seid ihr hier nicht mehr sicher.«

»Wir werden uns beeilen«, sagte ich, packte seine Schulter und schob ihn zur Tür. »Außerdem«, sagte ich leise, »kann es doch nicht so schrecklich gewesen sein, Aufilia eine Stunde lang zu unterhalten.«

Er verzog einen Mundwinkel und schüttelte meine Hand ab.

»Ich habe doch gesehen, wie du sie in der Speisekammer geküßt hast.«

Er fuhr herum und starrte mich wütend an, warf den anderen dann einen schiefen Blick zu und machte ein paar Schritte zurück, bis sie ihn nicht mehr sehen konnten. Er sprach so leise, daß ich ihn kaum verstehen konnte. »Du solltest keine Witze darüber machen, Gordianus.«

Ich trat mit ihm auf den Flur. »Das war kein Witz«, sagte ich. »Ich habe nur gemeint -«

»Ich weiß, was du gemeint hast. Aber vertu dich nicht. Ich habe sie nicht aus Vergnügen geküßt, sondern weil ich mußte. Ich habe die Augen geschlossen und an Cicero gedacht. « Seine Gesichtszüge erstarrten, bevor er wieder ganz gelassen wirkte, wie alle Liebenden beruhigt dadurch, daß er den Namen des Geliebten aussprach. Er atmete tief ein, lächelte mich seltsam an und wandte sich dann zum Gehen. Was ich als nächstes sah, ließ meinen Herzschlag für einen Moment stocken.

»Da bist du ja, junger Messalla!« Die Stimme war wahrhaft golden, wie Honig oder Perlen in Bernstein. Er kam durch den Flur auf Rufus zu, kaum zwanzig Schritte entfernt. Einen Augenblick lang sah ich sein Gesicht und er meins. Dann fiel der Vorhang.

Ich hörte ihn durch den Stoff. »Komm, Rufus, Aufilia ist wieder bei der Arbeit, und du mußt dich wieder ins Vergnügen stürzen.« Er lachte ein tiefes, kehliges Lachen. »>Eros macht die Alten zu Narren und die Jungen zu Sklaven.< Sagt der süße Sulla immer, und der sollte es wissen. Aber ich werde nicht zulassen, daß du hier oben herumschleichst und dich nach weiteren Eroberungen umschaust, während der alte Metrobius sich die Seele aus dem Leib trällert.«

Es lag kein Argwohn in seiner Stimme, und zu meiner Erleichterung hörte ich sie im Flur verklingen, als die beiden sich zurückzogen. Aber ich wußte, was ich in seinen Augen gesehen hatte, als unsere Blicke sich trafen. Ein leichtes Runzeln war über seine glatte Stirn gehuscht, und in seinen blassen Augen war kurz Verwunderung aufgeleuchtet, als ob er sich fragte, welcher seiner zahlreichen Diener ich sein könnte, und wenn ich nicht sein Sklave war, wessen dann, und was ich während der Feier hier oben zu suchen hatte. Wenn mein Ausdruck in jenem Augenblick ebenso eindeutig war wie seiner -wenn ich nur ein Zehntel so überrascht und erschreckt ausgesehen hatte, wie ich mich fühlte -, würde Chrysogonus, so schnell er konnte, Leibwächter nach oben schicken, um der Sache nachzugehen.

Ich trat zurück in den Raum. »Rufus hat recht. Wir müssen uns beeilen. Es gibt nur noch eine Sache, nach der ich euch fragen wollte«, sagte ich; tatsächlich war es der einzige echte Grund meines Kommens. »Es gab da ein Mädchen, eine Sklavin, eine Hure - jung, blond und hübsch. Aus dem Haus der Schwäne - Elena.«

In ihren Augen las ich, daß sie sie kannten. Sie tauschten einen verschwörerischen Blick aus, als wollten sie entscheiden, wer das Wort ergreifen sollte. Schließlich räusperte sich Felix.

»Ja, das Mädchen Elena. Der Herr hat sie sehr gern gehabt.«

»Wie gern?«

Es entstand ein angespanntes Schweigen. Ich stand in der Tür und bildete mir ein, Geräusche aus dem Flur zu hören. »Schnell« sagte ich.

Es war Chrestus, der weitersprach - der emotionale Chrestus, der eben geweint hatte. Aber seine Stimme war flach und monoton. »Das Haus der Schwäne, sagst du, also weißt du, woher sie kam. Dort hat der Herr sie gefunden. Sie war von Anfang an anders als all die anderen. Zumindest glaubte das der Herr. Wir waren nur überrascht, daß er sie so lange dort ließ. Er zögerte die Entscheidung hinaus, wie ein Mann vielleicht zögert, eine Braut zu nehmen. Als ob es sein Leben grundsätzlich verändern würde, wenn er sie ins Haus holte, und er sich als alter Mann, der er war, nicht sicher wäre, ob er diese Veränderung noch wollte. Schließlich hatte er sich dazu durchgerungen, sie zu kaufen, aber der Bordellbesitzer war ein zäher Verhandlungspartner; immer wieder hielt er unseren Herrn hin und trieb den Preis in die Höhe.

Sextus Roscius wurde immer verzweifelter. Wegen einer Nachricht von Elena hat er auch an jenem Abend Caecilia Metellas Gesellschaft verlassen.«

»Wußte er, daß sie schwanger war? Wußtet ihr es?«

Sie sahen sich nachdenklich an. »Damals wußten wir es noch nicht«, sagte Chrestus, »aber später war es nicht zu übersehen.«

»Später, als sie in Capitos Haus gebracht wurde?«

»Ah, ja, das weißt du also auch. Dann weißt du vielleicht auch, was sie am Abend ihrer Ankunft mit ihr getrieben haben. Sie haben versucht, ihren Körper zu zerbrechen. Sie haben versucht, das Kind in ihrem Leib zu töten, obwohl sie keine offene Abtreibung vornehmen wollten - aus irgendeinem Grund glaubte Capito, daß das die Götter erzürnen würde. Man stelle sich das vor, ein Mann, an dessen Händen so viel Blut klebt! Er hatte Angst vor dem ungeborenen Leben und dem Geist der Toten, obwohl er die Lebenden mit Freuden erwürgen konnte.«

»Und Elena?«

»Sie haben es nicht geschafft, ihren Willen zu brechen. Sie hat überlebt. Sie haben sie von den anderen getrennt gehalten, aber mir ist es gelungen, ein paar Minuten mit ihr zu sprechen, lange genug, um schließlich ihr Vertrauen zu gewinnen. Sie schwor, daß sie die Nachricht, die unseren Herrn an jenem Abend auf die Straße gelockt hatte, nie abgeschickt hatte. Ich weiß nicht, ob ich ihr das geglaubt habe. Und sie schwor, daß es sein Kind war.«

Auf dem Boden hinter mir raschelte etwas. Ich packte den Knauf meines Messers und fuhr herum. Ich sah gerade noch den langen Schwanz einer Ratte zwischen den zusammengerollten Teppichen an der Wand verschwinden. »Und dann wurde das Kind geboren. Was geschah danach?«

»Das war das Ende von beiden.«

»Wie meinst du das?«

»Das Ende von Elena. Und das Ende des Kindes.«

»Was ist geschehen?«

»Es war die Nacht, als die Wehen einsetzten. Jeder im Haus wußte, daß ihre Zeit gekommen war. Die Frauen schienen es zu wissen, ohne daß jemand ihnen davon erzählt hatte; die männlichen Sklaven waren nervös und gereizt. Es war derselbe Abend, an dem der Verwalter mir und Felix erzählte, daß Capito uns zurück nach Rom schicken wollte. Zurück zu Magnus, dachten wir; er hielt sich damals noch in der Stadt auf, zusammen mit Mallius Glaucia. Aber der Verwalter sagte uns, nein, wir würden zu einem ganz neuen Herrn kommen.

Am nächsten Morgen holten sie uns in aller Frühe und luden uns zusammen mit ein paar anderen Gegenständen, die für Chrysogonus’ Haus bestimmt waren, auf einen Ochsenkarren - Möbel, Kisten und so weiter. Und als wir gerade aufbrechen wollten, führten sie Elena nach draußen.

Sie war so schwach, daß sie kaum stehen konnte. Dünn und ausgezehrt, mit teigiger und schweißnasser Haut - sie mußte nur wenige Stunden zuvor geboren haben. Auf dem Karren gab es keinen Platz, wo sie sich hinsetzen oder -legen konnte; wir haben ihr, so gut wir konnten, aus Kleidern ein Lager zwischen den Kisten bereitet. Sie war völlig ausgelaugt und fieberte, sie wußte kaum, wie ihr geschah, aber sie fragte ständig nach dem Baby.

Schließlich kam die Hebamme aus dem Haus gerannt. Sie war völlig außer Atem, in Tränen aufgelöst und hysterisch. >Um der Götter willen<, flüsterte ich ihr zu, >wo ist das Kind?< Sie starrte Elena an. Aber Elena war kaum bei Bewußtsein; sie lehnte gegen Felix’ Schulter, murmelte vor sich hin, zitterte, und ihre Lider flatterten. >Ein Junge<, flüsterte die Hebamme, >es war ein Junge.<

>Ja, ja<, sagte ich, >aber wo ist er? Wir brechen jede Minute auf!< Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie verwirrt und wütend ich war. Ich fragte mich, wie wir es je schaffen sollten, uns um eine geschwächte Mutter und ihr neugeborenes Kind zu kümmern. >Tot<, flüsterte die Hebamme, so leise, daß ich sie kaum verstand. >Ich hab versucht, sie aufzuhalten, aber ich konnte nicht - er hat mir den Jungen aus den Armen gerissen. Ich bin ihm bis zum Steinbruch gefolgt und habe beobachtet, wie er das Kind gegen einen Felsen geschleudert hat.<

Dann kam der Fahrer und hinter ihm Capito, der ihn anbrüllte, er solle endlich losfahren. Capito war kreidebleich. Oh, das ist seltsam! Ich erinnere mich jetzt plötzlich wieder! Der Fahrer knallte mit der Peitsche. Die Karre rumpelte los, das Haus wurde kleiner. Alles klapperte und holperte. Plötzlich war Elena wach und wimmerte um ihr Baby, zu schwach, um laut zu schreien. Capito starrte uns hinterher, steif wie eine Säule, mit aschfahlem Gesicht! Und die Hebamme fiel auf ihre Knie, umklammerte seine Schenkel und rief: >Gnade, Herr!< Und als wir gerade auf die Straße einbiegen wollten, kam ein Mann um das Haus gerannt und blieb dann schwer atmend im Schatten eines Baumes stehen - Sextus Roscius. Das letzte, was ich gesehen habe, war die

Hebamme, die sich an Capito klammerte und immer lauter rief: >Gnade, Gnade!<«

Er atmete zitternd ein und wandte sein Gesicht zur Wand. Felix legte seine Hand auf Chrestus’ Schulter und fuhr mit der Erzählung fort. »Das war eine Reise! Drei - nein, vier Tage - auf einem rumpelnden Ochsenkarren. Das reicht, um einem die Knochen zu zerbrechen und den Unterkiefer auszurenken. Wir sind jedes Stück, das wir zu Fuß gehen konnten, gelaufen, aber einer von uns mußte immer mit Elena im Wagen bleiben. Sie konnte nichts essen. Sie konnte nicht schlafen, war jedoch auch nie richtig wach. Das ersparte es uns zumindest, ihr von dem Baby erzählen zu müssen. Am dritten Tag begann sie zwischen den Beinen zu bluten. Der Fahrer konnte bis zum Sonnenuntergang keinen Halt einlegen. Wir haben dann eine Hebamme aufgetrieben, die die Blutung stillen konnte, aber Elena war glühend heiß. Am nächsten Tag ist sie in unseren Armen gestorben, als wir gerade die Porta Fontinalis sehen konnten.«

Die Lampe flackerte, und der Raum wurde düster. Felix bückte sich ruhig, nahm die Lampe, trug sie zu einer Bank in der Ecke des Raumes und füllte Öl nach. Im aufflammenden Licht sah ich, wie Tiro die beiden Sklaven mit großen, feuchten Augen anstarrte.

»Dann war es also Capito, der das Kind getötet hat?« sagte ich ohne rechte Überzeugung wie ein Schauspieler, der den falschen Text spricht.

Felix stand mit fest aufeinandergepreßten Händen da, die Knöchel weiß. Chrestus sah blinzelnd zu mir auf wie ein Mann, der eben aus einem Traum erwacht ist. »Capito?« sagte er leise. »Vermutlich schon. Ich hab dir doch erzählt, daß Magnus und Glaucia weit weg in Rom waren. Wer hätte es sonst sein sollen?«

26

Chrysogonus’ Haus war groß, aber nicht so weitläufig wie Caecilias Villa; trotzdem bogen Tiro und ich, als wir uns ohne Aufilias Hilfe auf die Suche nach der Sklaventreppe machten, irgendwo falsch ab. Nach einem mißglückten Versuch, zum Ausgangspunkt zurückzukehren, fanden wir uns auf einer schmalen Galerie wieder, die auf einen Balkon führte, von wo aus man unser Versteck bei den Zypressen neben der Tür zur Speisekammer einsehen konnte.

Von irgendwo aus dem Innern des Hauses drang eine trällernde Stimme -entweder ein Mann, der unnatürlich hoch, oder eine Frau, die sehr tief sang. Die Stimme wurde lauter, als ich Tiro näher an die Innenwand zog. Der Klang schien von hinter den dünnen Wandteppichen zu kommen. Ich preßte mein Ohr an einen lüsternen Priapus, umgeben von ebenso lüsternen Nymphen, und konnte die Worte fast verstehen.

»Ruhig, Tiro«, flüstere ich und machte ihm Zeichen, mir zu helfen, das untere Ende des Wandbehangs anzuheben und ihn aufzurollen. Dahinter kam ein schmaler, horizontaler Schlitz in der Steinmauer zum Vorschein.

Die Öffnung war so breit, daß zwei Personen bequem nebeneinanderstehen und gemeinsam den Ausblick genießen konnten, der sich auf Chrysogonus und seine Gesellschaft bot. Der hohe Raum, in dem er seine Gäste empfing, erstreckte sich vom Marmorfußboden bis unter das Kuppeldach. Das Fenster, durch das wir hinabblickten, war in einem spitzen Winkel nach unten angebracht, so daß keine Kante unseren Blick versperrte.

Wie alles andere in Chrysogonus’ Haus war auch die Tafel verschwenderisch und überladen. Vier flache Tische, jeweils umgeben von einem Halbkreis von neun Sofas, waren auf der freien Fläche in der Mitte des Raumes arrangiert worden. Cicero oder selbst Caecilia Metella wären empört gewesen bei der Vorstellung, mehr als acht Besucher gleichzeitig zu empfangen - wenige ungeschriebene Gesetze römischer Etikette hielten sich hartnäckiger als die Regel, daß ein Gastgeber nur so viele Gäste um seinen Tisch versammeln sollte, daß er sich problemlos mit allen gleichzeitig unterhalten kann. Chrysogonus hatte viermal so viele Freunde geladen und um Tische versammelt, auf denen sich die Delikatessen stapelten - mit Fischrogen gefüllte Oliven, Schüsseln mit Nudeln, dekoriert mit den ersten frischen Spargelspitzen der Saison, in gelbem Sirup konservierte Feigen und Birnen sowie diverse Geflügelspezialitäten. Die Düfte mischten sich und stiegen in meine Nase. Mein Magen knurrte.

Die meisten der Gäste waren Männer; die wenigen Frauen fielen durch ihre sinnliche Figur auf - keine Ehefrauen oder Geliebte, sondern Kurtisanen. Die jüngeren Männer waren durchgängig schlank und gutaussehend, während die älteren Herren jene gepflegt gelangweilte Miene sehr reicher Männer zur Schau trugen, die sich amüsierten. Ich ließ meinen Blick über die Menge wandern, jederzeit bereit, das Fenster fluchtartig zu verlassen, bis mir klar wurde, daß es recht unwahrscheinlich war, daß einer der Gäste nach oben gucken würde. Alle Augen waren auf den Sänger in der Mitte des Raumes gerichtet, hin und wieder riskierte jemand einen flüchtigen, verstohlenen Blick auf Sulla oder in Richtung eines jungen Mannes, der zappelnd und nägelkauend an dem am wenigsten prominenten Tisch saß.

Der Sänger trug ein wallendes, violettes Gewand mit roten und grauen Stickereien. Unmengen schwarzen Haars mit weißen Strähnchen türmten sich in Wellen und Locken zu einer Frisur von beinahe lächerlicher architektonischer Komplexität. Als er sich in unsere Richtung umdrehte, sah ich sein in feinen Kreide- und Umbraschattierungen getöntes Gesicht mit den sorgfältig überschminkten Fältchen und Hängebacken und erkannte sofort den berühmten Frauendarsteller Metrobius. Ich hatte ihn schon ein paarmal gesehen, nie in der Öffentlichkeit und noch nie auf einer Bühne, immer nur kurz auf der Straße und einmal in Hortensius’ Haus, als der bedeutende Anwalt geruht hatte, mich über seine Schwelle vorzulassen. Sulla hatte sich als junger Mann vor langer Zeit in Metrobius vernarrt, als er noch ein mittelloser Niemand und Metrobius (so sagt man) ein wunderschöner und hinreißender Unterhaltungskünstler war. Trotz der Spuren der Zeit und der Launen des Schicksals hatte Sulla ihn nie verlassen. Nach fünf Ehen, einem Dutzend Affären und zahllosen Abenteuern war es Sullas Beziehung zu Metrobius, die alle anderen überdauert hatte.

War Metrobius früher einmal schlank und schön und vermutlich sogar ein guter Sänger gewesen, so war er heute klug genug, seine Auftritte auf Privatgesellschaften unter treuen Anhängern und sein Repertoire auf komische Nummern und Parodien zu beschränken. Trotz seiner heiseren und gepreßten Stimme haftete seinen schwülstigen Maniriertheiten und den subtilen Gesten seiner Hände und Augenbrauen etwas Besonderes an, das es einem unmöglich machte, den Blick von ihm zu wenden. Sein Vortrag war eine Mischung aus Singen und Rezitieren, wie ein von einer einzelnen Lyra begleiteter Sprechgesang. Gelegentlich, wenn das Thema besonders martialisch wurde, stimmte noch eine Trommel mit ein. Metrobius tat so, als würde er jedes Wort mit äußerstem Ernst vortragen, was die komische Wirkung noch erhöhte. Er mußte schon begonnen haben, den Text abzuändern, bevor wir zufällig dazugekommen waren, denn der junge Poet und aufstrebende Speichellecker, aus dessen Feder der Lobgesang ganz offensichtlich stammte, litt unübersehbar unter den Qualen der Scham.

Wer weiß noch, daß Sulla als junger Geck, hatte kein Heim, keine Schuhe, kein Geld.

Wie entkam er der Gosse, dem Elend, dem Dreck und wurde Roms strahlender Held?

Wie kam er von unten bis ganz an die Spitze? Durch eine Ritze! Durch eine Ritze!

Durch die Spalte, die ausgeleiert und groß gähnend klaffte in Nicopolis’ Schoß!

Das Publikum johlte. Sulla schüttelte verächtlich den Kopf und tat so, als wäre er zutiefst empört. Neben ihm glühte Chrysogonus geradezu vor Entzücken. Am selben Tisch saß noch Hortensius, der dem jungen Tänzer Sorex etwas ins Ohr flüsterte, während Rufus neben ihm gelangweilt und angewidert aussah. Auf der anderen Seite des Raumes wurde der redigierte Dichter weiß wie ein Fischbauch.

Das Lied wurde mit jedem Vers zotiger, und das Publikum lachte immer öfter und freimütiger. Bald brüllte auch Sulla selbst vor Lachen. Derweil biß sich der junge Poet auf die Lippen und rutschte unruhig hin und her, wobei sein Gesicht die Farbe änderte wie ein Stück Holzkohle im Wind, bei jeder Respektlosigkeit wurde es blaß, bei jedem geschundenen Reim knallrot. Nachdem er endlich begriffen hatte, daß es sich um einen Scherz handelte, schien er zunächst erleichtert - immerhin würde niemand ihn für die Travestie verantwortlich machen, und selbst Sulla schien sich zu amüsieren. Er brachte ein ängstliches Lächeln zustande, schmollte dann jedoch nachhaltig, zweifelsohne empört über das, was man aus seiner patriotischen Huldigung gemacht hatte. Die anderen jungen Männer an seinem Tisch wandten ihm, nachdem sie vergeblich versucht hatten, ihn zum Lachen zu bewegen, ihren Rücken zu und lachten um so lauter. Die Römer lieben einen starken Mann, der die Größe hat, über sich selbst zu lachen, und verachten den Schwächling, der das nicht kann.

Das Lied ging weiter. Von unten drang das Echo von Metrobius’ Stimme an unsere Ohren, der einen kindlichen Singsang mit einem grauenhaft kruden griechischen Akzent imitierte:

Sullas Frau ist eine Hure, sein Gesicht ist rot und blau. Sein Gesicht ist voller Pickel, Sullas Frau ist eine Sau.

Das Publikum hielt den Atem an. Einige Anwesende kicherten nervös. Chrysogonus unterdrückte sein goldenes Lächeln. Hortensius hatte sich gerade etwas in den Mund gesteckt und sah sich im Raum um, unsicher, ob er es hinunterschlucken sollte. Der ruinierte junge Dichter sah angeekelt aus -im wahrsten Sinne des Wortes angeekelt, das Gesicht blaß und schweißnaß, als ob er irgendeine Köstlichkeit der Tafel nicht vertragen hätte und sich jeden Moment übergeben müßte.

Die Lyra verstummte, und Metrobius verharrte sehr lange regungslos. Die Lyra schlug einen scharfen Ton an. Metrobius neigte den Kopf. »Nun ja«, sagte er schelmisch, »es ist vielleicht nicht Sophokles oder Aristophanes -aber mir gefällt’s!« Die Spannung löste sich. Der Raum brach in befreites Lachen aus; sogar Rufus lächelte. Hortensius schluckte endlich und griff nach seinem Pokal. Der junge Dichter hielt sich den Bauch vor Schmerzen. Der Lyraspieler zupfte ein paar Akkorde, und Metrobius atmete tief ein. Sein Lied näherte sich dem Ende.

Tiro drehte sich kopfschüttelnd zu mir. »Ich verstehe diese Menschen überhaupt nicht«, flüsterte er. »Was für eine Feier ist das eigentlich?«

Das hatte ich mich auch schon gefragt. »Vielleicht stimmen die Gerüchte ja. Ich glaube, unser geschätzter Diktator und Retter der Republik denkt möglicherweise wirklich über seinen baldigen Rücktritt nach. Dann gibt es jede Menge feierliche Anlässe und Zeremonien, Lobeshymnen, Gedenkreden und die offizielle Veröffentlichung seiner Erinnerungen. Alles sehr steif, förmlich, ehrwürdig und römisch. Aber hier unter seinesgleichen trinkt er lieber und macht einen Witz daraus. Was für ein seltsamer Mensch er doch ist! Aber warte, das Lied ist noch nicht zu Ende.«

Metrobius ließ seine Wimpern klappern und formte seine Hände zu einer demütigen, mädchenhaften Geste, die Parodie schüchterner Jungfräulichkeit. Er öffnete seinen geschminkten Mund und sang:

Beim Kampf der Gladiatoren, da fiel ihr Blick auf ihn.

Sie zeigte ihr Gefallen Ganz keck an seinem Ding.

Das Gelächter war ohrenbetäubend. Sulla selbst beugte sich vor, ließ seine flache Hand auf den Tisch krachen und fiel fast von seinem Sofa.

Chrysogonus lächelte selbstzufrieden und ließ niemanden im Zweifel über die Urheberschaft dieser Zeile. Hortensius warf verspielt einen Spargelspeer in Metrobius’ Richtung; er segelte über dessen Kopf hinweg und traf den jungen Dichter mitten auf die Stirn. Rufus löste sich von Sorex, der ihm lächelnd etwas ins Ohr flüstern wollte. Er sah kein bißchen belustigt aus.

An jenem Tag wurde Fleisch durchbohrt, und viele hat es das Leben gekostet. Auch Sulla zog hurtig sein Schwert, zum Beweis, daß es noch nicht verrostet. Die Dame zeigte sich freudig erregt -

Das Lied wurde vom klirrenden Krachen eines umgestürzten Tisches unterbrochen. Rufus war mit hochrotem Kopf aufgesprungen. Hortensius legte eine Hand auf sein Knie, um ihn zurückzuhalten, aber Rufus riß sich los. »Valeria mag für dich nur eine Halbschwester sein, Hortensius, aber sie ist mein eigenes Fleisch und Blut«, fuhr er ihn an, »und ich werde mir diesen Schmutz nicht weiter anhören. Und sie ist deine Frau«, sagte er, blieb vor dem Sofa des Ehrengastes stehen und starrte Sulla wütend an. »Wie kannst du derartige Beleidigungen dulden?«

Mit einemmal herrschte Stille im Raum. Sulla rührte sich lange Zeit gar nicht, sondern blieb auf einen Ellenbogen gestützt und mit ausgestreckten Beinen sitzen. Er starrte ins Leere und verzog das Kinn, als habe er Zahnschmerzen. Schließlich setzte er seine Füße auf den Boden, richtete sich auf und musterte Rufus mit einer Miene, die gleichzeitig Hohn, Reue und Belustigung widerspiegelte.

»Du bist ein sehr stolzer junger Mann«, sagte er. »Sehr stolz und sehr hübsch, wie deine Schwester.« Er griff nach seinem Wein und nahm einen Schluck. »Aber im Gegensatz zu Valeria scheint es dir an Humor zu mangeln. Und wenn Hortensius nur dein Halbbruder ist, erklärt das vielleicht, warum du über die Hälfte seines Verstandes verfügst, von guten Manieren ganz zu schweigen.«

Er schlürfte noch einmal an seinem Wein und seufzte. »Als ich in deinem Alter war, hat mir vieles an der Welt auch nicht gefallen. Anstatt zu jammern, habe ich mich daran gemacht, sie zu verändern, und das ist mir gelungen. Wenn ein Lied dich beleidigt, mach kein Theater. Schreib ein besseres.«

Rufus stand da und starrte ihn an, die Arme steif herunterhängend, die Fäuste geballt. Ich versuchte mir all die Beleidigungen vorzustellen, die durch seinen Kopf gingen, und flüsterte ein stilles Gebet, daß die Götter seinen Mund geschlossen halten würden. Er öffnete ihn, als wollte er etwas sagen, dann sah er sich wütend um und stolzierte nach draußen.

Sulla lehnte sich auf sein Sofa zurück und sah recht enttäuscht aus, das letzte Wort behalten zu haben. Es herrschte ein unbehagliches Schweigen, das nur von einer flapsigen Bemerkung des Möchtegerndichters unterbrochen wurde: »Das war ein junger Mann, der soeben seine Karriere ruiniert hat!« Von einem Niemand gegen einen jungen Messalla und Schwager Sullas gerichtet, war es eine entsetzlich dumme Bemerkung. Das Schweigen wurde noch drückender, nur vereinzeltes Stöhnen war zu hören, während Hortensius hüstelte.

Allein der Gastgeber zeigte sich unbeeindruckt. Chrysogonus lächelte sein goldenes Lächeln und warf einen herzlichen Blick auf Metrobius. »Ich glaube, es fehlt zumindest noch ein Vers - zweifelsohne der beste, wenn er bis zum Schluß aufbewahrt wurde.«

»Wohl wahr!« Sulla erhob sich mit funkelnden Augen und vom Wein nur ganz leicht schwankend. Er ging in die Mitte des Raumes. «Was für ein wundervolles Geschenk ihr mir alle heute abend gemacht habt! Sogar der kleine Rufus, der sich so töricht und anmaßend benommen hat - so ein feuriger Rotschopf mit so feurigem Temperament, ganz im Gegensatz zu seiner Schwester. Was für ein Abend! Ihr habt mich an alles erinnert, ob ich wollte oder nicht - an die guten wie an die schlechten Tage. Aber die alten Zeiten waren noch immer die besten, als ich jung war und nichts außer Hoffnung, Gottvertrauen und die Liebe meiner Freunde hatte. Damals war ich ein sentimentaler Narr!« Mit diesen Worten nahm er Metrobius’ Gesicht zwischen beide Hände und küßte ihn voll auf den Mund, was das Publikum mit spontanem Applaus quittierte. Als Sulla sich aus der Umarmung löste, sah ich Tränen auf seinen Wangen. Er lächelte und wankte zu seinem Platz zurück, wobei er dem Lyraspieler ein Zeichen gab fortzufahren, als er sich auf sein Sofa fallen ließ.

Das Lied begann aufs neue:

Die Dame zeigte sich freudig erregt ...

Aber Tiro und ich bekamen das Ende nie zu hören. Statt dessen fuhren wir gleichzeitig herum, abgelenkt von demselben unverkennbaren Geräusch -dem metallischen Gleiten einer Stahlklinge, die aus der Scheide gezogen wurde.

Chrysogonus hatte schließlich doch jemanden geschickt, um das obere Stockwerk zu kontrollieren, oder wir hatten uns einfach zu lange an einer Stelle aufgehalten. Eine massige Gestalt löste sich aus dem Schatten der Tür und trat humpelnd in das helle Mondlicht, das vom Balkon hereinfiel. Sein wirres Haar war wie ein Heiligenschein aus blauen Flammen, und der Ausdruck seiner Augen ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. In seiner linken Hand hielt er ein Messer mit einer Klinge so lang wie ein Unterarm -vielleicht dieselbe Klinge, die er benutzt hatte, um wieder und wieder auf Sextus Roscius einzustechen.

Einen Herzschlag später stand sein Kumpan neben ihm, der blonde Riese Mallius Glaucia. Die Wunde, die Bast in sein Gesicht gerissen hatte, sah in dem blassen Licht häßlich geschwollen aus. Er hielt sein Messer im selben Winkel wie sein Herr, nach oben und nach vorn, als sei er im Begriff, einen Tierkadaver aufzuschlitzen.

»Was habt ihr hier zu suchen?« sagte Magnus und spielte mit dem Messer in seiner Hand, so daß die Klinge im Mondlicht blitzte. Seine Stimme war höher, als ich erwartet hatte. Sein ländliches Latein wurde überdeckt vom durchdringend nasalen Akzent der Straßenbanden.

Ich sah beiden Männern in die Augen; sie hatten keine Ahnung, wer ich war. Glaucia war zu meinem Haus geschickt worden, um mich einzuschüchtern oder zu ermorden, zweifelsohne von Magnus, aber keiner der beiden hatte mich je leibhaftig zu Gesicht bekommen außer als vorbeiziehenden Fremden auf der Straße vor Capitos Haus. Ich zog meine Hand langsam wieder aus der Tunika hervor. Ich hatte ursprünglich vorgehabt, nach meinem Messer zu greifen; statt dessen hatte ich den eisernen Ring von meinem Finger gestreift. Ich warf die Hände in die Luft.

»Verzeihung, bitte«, sagte ich, überrascht, wie leicht es war, angesichts zweier Riesen mit langen Dolchen bescheiden und demütig zu klingen. »Wir sind die Sklaven des jungen Marcus Valerius Messalla Rufus. Wir sind nach oben geschickt worden, ihn zu holen, bevor die Abendunterhaltung begann. Wir haben uns verirrt - zu dumm!«

»Und spioniert ihr deswegen dem Hausherrn und seinen Gästen nach?« zischte Magnus. Er und Glaucia trennten sich und kamen wie Flanken einer Armee auf uns zu.

»Wir sind hier stehengeblieben, um einen Blick vom Balkon zu werfen und ein wenig frische Luft zu schnappen.« Ich zuckte die Schultern, ließ die Hände in Sicht und tat mein Bestes, jämmerlich und verwirrt zu klingen. Ich warf einen Blick zu Tiro, der sich meiner Vorgabe entweder bewundernswert anpaßte oder schlicht von Sinnen war vor Angst. »Wir haben den Gesang gehört und das kleine Fenster entdeckt, was natürlich dumm und anmaßend von uns war, und ich bin sicher, euer Herr wird dafür sorgen, daß wir für soviel Unverschämtheit geschlagen werden. Es ist nur so, daß wir nicht oft Gelegenheit haben, eine solch glanzvolle Versammlung zu betrachten.«

Magnus packte mich bei den Schultern und stieß mich auf den Balkon, ins Licht. Glaucia schubste Tiro gegen mich, so daß ich rückwärts gegen die hüfthohe Mauer taumelte und sie mit beiden Händen fassen mußte, um mein Gleichgewicht zu halten. Der klaffende Abgrund unter mir löste sich in eine Graskuppe auf, auf der die Zypressen im Mondlicht seltsame Schatten warfen. Von unten hatte der Balkon nicht halb so hoch ausgesehen.

Magnus riß an meinen Haaren, kitzelte mit der Klinge das weiche Fleisch unter meinem Kinn und zwang mich, ihn anzusehen. » Ich hab dein Gesicht schon mal gesehen«, flüsterte er. »Glaucia, guck mal! Woher kennen wir diesen Hund?«

Der blonde Riese musterte mich, schürzte die Lippen und runzelte die Stirn. Er schüttelte ratlos den Kopf. »Weiß nicht«, grunzte er. Dann leuchtete sein Gesicht auf. »In Ameria«, sagte er. »Weißt du nicht mehr, Magnus? Noch gar nicht lange her, auf der Straße, kurz vor dem Abzweig zu Capitos Villa. Er kam uns alleine auf einem Pferd entgegen.«

»Wer bist du?« knurrte Magnus mich an. »Was hast du hier zu suchen?« Der Druck des Messers wurde fester, bis ich spürte, wie meine Haut riß. Ich stellte mir vor, wie Blut die Klinge hinabtröpfelte. Es spielt keine Rolle, wer ich bin, wollte ich sagen. Ich weiß, wer ihr seid, alle beide. Du hast deinen Vetter kaltblütig ermordet und seine Güter gestohlen. Und du bist in mein Haus eingedrungen und hast eine blutige Botschaft an die Wand geschmiert. Du hättest Bethesda umgebracht, wenn du eine Chance gehabt hättest, und vorher hättest du sie wahrscheinlich vergewaltigt.

Ich riß mein Knie nach oben, direkt in Magnus’ Schritt. Reflexartig ließ er die Hand sinken. Die Klinge schlitzte meine Tunika auf und kratzte über meine

Brust. Egal, ich wußte ohnehin, daß ich verloren war - Glaucia stand direkt neben mir, den Dolch gezückt. Ich machte mich auf den Stoß in mein Herz gefaßt.

Nur daß mich niemand erstach, sondern statt dessen Glaucia auf die Knie fiel, das Messer fallen ließ und an seinen Kopf faßte. Hinter ihm stand Tiro mit einem blutigen Ziegelstein in der Hand. »Er hat sich aus der Mauer gelöst«, erklärte er mit verdutztem Blick.

Keiner von uns dachte daran, nach Glaucias Dolch zu greifen, außer Magnus. Er packte ihn blitzschnell, machte ein paar Schritte zurück und stürzte dann, schnaufend wie ein Stier und ein Messer in jeder Hand, auf uns zu.

Bevor ich es wußte, war ich über die Mauer verschwunden, als sei mein Körper gesprungen und habe meinen Verstand zurückgelassen. Ich fiel in die Finsternis, wenn auch nicht allein. Ein Stück rechts über mir segelte ein weiterer Körper durch die Nacht - Tiro. Wie ein ausgebrannter Komet trudelte hinter ihm ein blutverschmierter Ziegelstein violett glänzend im blauen Mondlicht in die Tiefe. Magnus war nur noch ein wutverzerrtes Gesicht, das über die hohe Mauer auf uns herabblickte, flankiert von zwei gezückten Dolchen, die von Sekunde zu Sekunde kleiner wurden.

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