22

Richard schlug die Augen auf, nur um sie gleich wegen der großen Helligkeit wieder zusammenzukneifen – dabei war es alles andere als sonnig. Nach den ineinander fließenden Violettönen, die dem stahlgrauen Himmel einen Hauch von Farbe verliehen, schien gerade die Morgendämmerung heraufzuziehen. Eine dichte, niedrige Wolkendecke überspannte den gesamten Himmel. Vielleicht ging die Sonne auch gerade unter – mit Gewissheit vermochte er das nicht zu sagen. Er fühlte sich seltsam orientierungslos.

Der dumpfe, pochende Schmerz in seinem Kopf setzte sich bis in den Nacken fort, seine Brust brannte mit jedem Atemzug. Seine Kehle war rauh, und das Schlucken schmerzte.

Der monströse Schmerz jedoch, der Schmerz, der ihn so ungeheuer belastet hatte, daß ihm jeder Atemzug zur Qual und ihm schwarz vor Augen geworden war, war abgeklungen. Auch das bis ins Mark reichende Kältegefühl hatte nachgelassen.

Richard kam sich vor, als hätte er eine Zeit lang jeden Kontakt zur Welt verloren – wie lange dieser Zustand gedauert hatte, wußte er jedoch nicht. Ihm kam es vor wie eine Ewigkeit. Doch trotz des Pochens in seinem Schädel und der Schmerzen bei jedem Atemzug entlockte ihm das warme Gefühl von Kahlans eng an ihn geschmiegten Körper ein Lächeln. Sogar jetzt, mit völlig zerwühltem Haar, sah sie einfach hinreißend aus. Ein Gefühl der Sehnsucht überkam ihn.

Vorsichtig beugte er sich über sie und gab ihr einen Kuß auf den Scheitel. Sie rührte sich sacht und schmiegte sich noch enger an ihn.

Plötzlich setzte sie sich mit einem Ruck senkrecht auf und starrte ihn, auf eine Seite gestützt, aus großen Augen an.

»Richard!«

Sie ließ sich neben ihn fallen, ihren Kopf gegen seine Schulter gelehnt, ein Arm quer über seiner Brust, und klammerte sich an ihn, als hinge ihr Leben davon ab. Ein Schluchzer, so erfüllt von Elend und Verzweiflung, daß ihm angst und bange wurde, entwich ihrer Kehle.

»Es geht mir gut«, beruhigte er sie und strich ihr sachte übers Haar.

Sie stemmte sich erneut hoch, langsamer diesmal, und starrte ihn an, als hätte sie ihn seit einer Ewigkeit nicht gesehen. Ihr ganz eigenes Lächeln, das sie sich für ihn allein aufsparte, breitete sich strahlend über ihr Gesicht.

»Richard ...« Sie schien ihn nur lächelnd anstarren zu können.

Richard, immer noch auf dem Rücken und bemüht, einen klaren Kopf zu bekommen, hob einen Arm und fragte: »Was ist denn eigentlich passiert?«

»Du bist vergiftet worden«, klarte Kahlan ihn auf und deutete mit dem Daumen über ihre Schulter. »Von Owen. Als er das erste Mal bei uns auftauchte, hast du ihm zu trinken gegeben, und als Dank dafür hat er Gift in deinen Wasserschlauch gefüllt. Mich wollte er auf dieselbe Weise vergiften, nur warst du der Einzige, der aus diesem Schlauch getrunken hat. Glücklicherweise ist er noch rechtzeitig mit einem Gegenmittel aufgetaucht.«

Richard zorniger Blick fiel auf den Mann zu Friedrichs Füßen, der zu ihnen herüberschaute. Dieser bestätigte die Geschichte mit einem freudigen Nicken, so als erwartete er, dafür auch noch gelobt zu werden.

»Einer von deinen typischen kleinen Fehlern«, bemerkte Jennsen.

Richard sah sie verwirrt an. »Was?«

»Du hast gesagt, selbst dir würden bisweilen Fehler unterlaufen, und schon ein kleiner könnte einen in große Schwierigkeiten bringen. Weißt du nicht mehr? Cara sagte noch, du würdest ständig Fehler machen, vor allem bei den einfachsten Dingen, weshalb du sie ständig um dich haben mußt.« Jennsen ließ ihn ein neckisches Lächeln sehen. »Ich glaube, da hatte sie wohl Recht.«

Richard verzichtete darauf, die Geschichte richtig zu stellen, statt dessen sagte er, bereits im Aufstehen: »Was einfach nur beweist, wie leicht einen etwas so Simples wie der Kerl dort drüben überraschen kann.«

Kahlan ließ Owen nicht aus den Augen. »Ich habe den bösen Verdacht, so simpel ist er gar nicht.«

Cara reichte Richard ihren Arm, damit er sich daran festhalten und auf ihn stützen konnte.

»Cara«, sagte er und mußte sich auf eine nahe Kiste aus dem Wagen setzen, »seid so nett und bringt ihn her, ja?«

»Mit Vergnügen«, sagte sie und machte sich auf den Weg quer durch ihr Lager. »Vergesst nicht, ihn über Owen aufzuklären«, rief sie Kahlan noch zu.

»Mich aufklären worüber?«

Kahlan beugte sich ganz nah zu ihm, während sie Cara zusah, die Owen unsanft auf die Beine half. »Owen ist von der Gabe völlig unbefleckt – wie Jennsen.«

Richard fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und versuchte zu begreifen, was sie da soeben gesagt hatte. »Willst du damit etwa andeuten, er ist ebenfalls mein Halbbruder?«

Kahlan zuckte die Achseln. »Das wissen wir nicht, bisher wissen wir nur, daß er völlig unbefleckt von der Gabe ist.« Ihre Stirn legte sich in kleine Falten. »Übrigens, drüben, in unserem vorherigen Lager, wo uns diese Kerle überfallen haben, wolltest du mir gerade etwas Wichtiges erzählen, auf das du beim Verhör des Mannes, den ich berührt hatte, gestoßen warst, bist aber nicht mehr dazu gekommen.«

»Richtig.« Richard kniff die Augen zusammen und versuchte, sich zu erinnern, was der Mann ihnen erzählt hatte. »Es ging um den Mann, der ihm seiner Darstellung gemäß den Befehl gegeben hatte, uns zu überfallen: Nicholas ... Nicholas irgendwie.«

»Der Schleifer«, half Kahlan ihm. »Nicholas, der Schleifer.«

»Richtig. Dieser Nicholas hat ihm offenbar erklärt, wo er uns finden kann – am Ostrand der Wüste, unterwegs in nördlicher Richtung. Ich frage mich, woher er das wissen konnte.«

Kahlan ließ sich die Frage ausgiebig durch den Kopf gehen. »Wenn ich es mir recht überlege, konnte er es eigentlich gar nicht wissen. Wir sind keiner Menschenseele begegnet – jedenfalls nicht wissentlich –, die ihm unseren Standort hätte verraten können. Selbst wenn uns jemand gesehen hätte, wären wir zum Zeitpunkt, da der Betreffende unseren Standort gemeldet und Nicholas diese Männer geschickt hätte, längst schon wieder ganz woanders gewesen. Es sei denn, dieser Nicholas befindet sich ganz in der Nähe.«

»Die Riesenkrähen«, sagte Richard. »Es kann nur so sein, daß er selbst es ist, der uns mit Hilfe der Riesenkrähen beobachtet. Sonst haben wir niemanden gesehen. Dadurch konnte er, als er den Befehl zum Überfall gab, den Männern gleichzeitig unsere Position angeben.«

Richard erhob sich, als der Mann sich näherte.

»Lord Rahl«, rief Owen, die Arme in einer erleichterten Geste ausgebreitet, und beschleunigte seine Schritte. Cara hielt ihn mit der Hand an der Schulter seiner Jacke fest, um ihn zurückzuhalten. »Ich bin so erleichtert, daß es Euch wieder besser geht. Es war nicht meine Absicht, Euch mit dem Gift so große Schmerzen zu bereiten – es wäre nie so weit gekommen, wenn Ihr das Gegenmittel eher erhalten hättet. Ich hatte schon früher versucht, zu Euch zu stoßen – es war meine feste Absicht, ich schwöre es.« Er legte ein verhaltenes Lächeln in den bittenden Blick, mit dem er Kahlan ansah. »Die Mutter Konfessor ist bereits im Bilde; sie weiß, wovon ich rede.«

Kahlan verschränkte die Arme vor der Brust und sah unter ihrer gerunzelten Stirn zu Richard hoch. »Du mußt wissen, es ist nämlich unsere Schuld, daß Owen es nicht geschafft hat, mit dem Gegenmittel früher zu uns zu stoßen. Owen kam in der festen Absicht in unser letztes Lager, uns das Gegenmittel für dich auszuhändigen, mußte dann aber feststellen, daß wir all diese Männer umgebracht hatten und anschließend einfach aufgebrochen waren. Ihn trifft also keine Schuld – er war bester Absicht und hat nichts unversucht gelassen; nur haben wir ihm leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wie gedankenlos von uns.«

Richard starrte sie an, unsicher, ob Kahlan ihm lediglich eine vor Sarkasmus triefende Zusammenfassung von Owens Worten oder eine wahrheitsgemäße Darstellung seiner Ausrede gab – oder ob er womöglich noch nicht wieder bei klarem Verstand war.

Richards Stimmung wurde so düster wie die tiefhängende Wolkendecke.

»Du hast mich also vergiftet«, wandte er sich schließlich an Owen, nur um sicherzugehen, daß er die Geschichte richtig verstanden hatte, »anschließend wolltest du ein Gegenmittel zu unserem Lagerplatz bringen, aber als du dort eintrafst, bist du auf die Männer gestoßen, die uns überfallen hatten, und mußtest feststellen, daß wir längst aufgebrochen waren.«

»Ja.« Seine Freude über Richards korrekte Zusammenfassung erlosch schlagartig. »Natürlich war mit einer derartigen Barbarei seitens der Unerleuchteten zu rechnen.« Plötzlich schossen ihm die Tränen in seine blaue Augen. »Aber trotzdem, es war so ...« Er schlang die Arme um seinen Körper und schloß die Augen, während er leicht schwankend von einem Fuß auf den anderen trat und gebetsmühlenartig vor sich hinmurmelte: »Nichts ist wirklich. Nicht ist wirklich. Nichts ist wirklich.«

»Was soll das heißen?«

Richards wütender Blick ließ Owen erbleichen. »Nun, daß eben nichts wirklich ist; wir können nicht wissen, ob das, was wir sehen, beziehungsweise überhaupt etwas, wirklich ist. Wie auch?«

»Wenn du etwas siehst, wie kannst du dann annehmen, es sei nicht wirklich?«

»Weil unsere Sinne die Wahrnehmung beeinträchtigen und wir ihrer fortwährenden Täuschung erliegen. Unsere Sinne gaukeln uns nur eine Illusion von Gewißheit vor. So können wir zum Beispiel nachts nichts sehen – laut unseren Sinnen ist die Nacht leer –, eine Eule dagegen vermag eine Maus zu fangen, deren Vorhandensein uns unsere Augen vorenthalten. In unserer Wirklichkeit existiert die Maus nicht – und doch wissen wir, daß sie, entgegen der Aussage unserer Sinne, existieren muß; es existiert also eine Wirklichkeit jenseits unserer sinnlich erfahrbaren Welt. Daraus folgt, daß unser Sehvermögen die Wahrheit vor uns verbirgt, statt sie uns zu offenbaren – schlimmer, sie vermittelt uns ein falsches Bild der Wahrheit.

Unsere vorgefaßten Urteile verleiten uns zu der falschen Annahme, etwas zu wissen, was man gar nicht wissen kann – begreift Ihr nicht? Wir verfügen einfach nicht über die erforderlichen Sinnesorgane, um das wahre Wesen der Wirklichkeit zu erfassen – um unterscheiden zu können, was wirklich ist und was nicht. Wir können stets nur einen winzigen Ausschnitt unserer Umwelt wahrnehmen – dahinter verborgen liegt eine Welt voller Geheimnisse, die für uns unsichtbar ist, obwohl sie – unabhängig davon, ob wir sie sehen oder nicht, oder ob wir klug genug sind, unsere Unzulänglichkeit im Erkennen der Wirklichkeit einzugestehen – durchaus vorhanden ist. Das, was wir zu wissen glauben, entzieht sich letztendlich unserer Erkenntnis. Nichts ist wirklich.«

Richard beugte sich zu ihm hinunter. »Aber die Leichen hast du doch gesehen, weil sie wirklich waren.«

»Was wir sehen, ist nur die augenscheinliche Wirklichkeit, der bloße äußere Schein, eine selbst erzeugte Illusion, die auf unserer mangelhaften Wahrnehmung beruht. Nichts ist wirklich.«

»Was du gesehen hast, hat dir nicht gefallen, also hast du einfach beschlossen, es in das Reich des Nicht-Wirklichen zu verbannen?«

»Ich vermag nicht zu entscheiden, was wirklich ist und was nicht; ebenso wenig wie Ihr. Wer etwas anderes behauptet, macht sich der Arroganz der Unerleuchteten schuldig. Ein wahrhaft Erleuchteter gesteht sich seine klägliche Unzulänglichkeit ein, wenn er mit seiner Existenz konfrontiert wird.«

Richard sah Owen zweifelnd an. »Solche schrulligen Haarspaltereien führen bestenfalls zu einem Leben in Elend und Mutlosigkeit, zu einem vergeudeten Leben, das den Namen nicht verdient. Du tätest gut daran, endlich deinen Verstand zu dem Zweck zu gebrauchen, für den er geschaffen wurde: die Welt um dich herum zu begreifen, statt ihn dem Glauben an eine dem gesunden Menschenverstand Hohn sprechende Vorstellung zu opfern. Solange du bei mir bist, wirst du dich mit den Tatsachen der Welt, die uns umgibt, befassen und nicht mit irgendwelchen lebensfremden, von anderen ausgeheckten Träumereien.«

Jennsen zupfte Richard am Ärmel, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. »Aber was, wenn Owen Recht hat, Richard – nicht unbedingt, was die Toten anbelangt, aber mit der Idee allgemein.«

»Mit anderen Worten, seine Schlußfolgerungen sind deiner Meinung nach allesamt unsinnig, und doch soll an der verschrobenen Idee, die dahinter steht, etwas dran sein?«

»Das nicht gerade – aber angenommen, es stimmt tatsächlich, was er sagt? Nimm zum Beispiel unser Gespräch vor einer Weile, als du mir erklärtest, ich sei ohne Augen geboren und könne«- ein Blick hinüber zu Owen bewog sie offenbar, ihre ursprüngliche Äußerung abzukürzen -»gewisse Dinge nicht sehen. Du sagtest, daß diese Dinge für mich nicht existierten und die Wirklichkeit für mich eine andere sei, eine andere als für dich.«

»Das hast du völlig in den falschen Hals bekommen, Jennsen. Die meisten Menschen bekommen, wenn sie in einen Strauch Giftefeu fallen, hinterher juckende Pusteln – einige wenige jedoch nicht. Was aber nicht bedeutet, daß der Giftefeu für sie nicht existiert, oder, um es noch deutlicher zu sagen, daß sein Vorhandensein davon abhängt, ob wir dies glauben oder nicht.«

Jennsen zog ihn noch näher zu sich heran. »Bist du dir da so sicher? Du weißt nicht, was es heißt, anders zu sein als alle anderen, Richard, nicht so zu sehen oder zu empfinden wie sie. Du behauptest, Magie existiert, nur könne ich sie weder sehen noch fühlen, weil sie mich nicht berührt. Soll ich dir einfach glauben, weil ich dir vertraue, selbst wenn meine Sinne mir etwas ganz anderes sagen? Vielleicht verstehe ich ja deswegen ein wenig besser, was Owen meint. Vielleicht ist sein Gedanke gar nicht so abwegig. Manchmal kann man schon ins Grübeln kommen, was wirklich ist und was nicht, und ob nicht alles, wie er behauptet, eine Frage des Standpunkts ist.«

»Man muß die Eindrücke, die wir von unseren Sinnen empfangen, im Zusammenhang sehen; die Sonne hört nicht bloß deswegen auf zu scheinen, weil ich die Augen schließe. Wenn ich mich schlafen lege, nehme ich meine Umgebung nicht mehr bewußt wahr – was aber nicht bedeutet, daß die Welt zu existieren aufhört. Man muß seine Sinneseindrücke im Zusammenhang dessen sehen, was man über das Wesen der Dinge bereits als wahr erkannt hat. Die Dinge ändern sich nicht allein deswegen, weil wir sie anders wahrnehmen. Was ist, ist.«

»Aber wenn wir, wie er sagt, etwas nicht mit unseren eigenen Sinnen erfahren können, woher sollen wir dann wissen, daß es wirklich existiert?«

Richard verschränkte die Arme. »Es ist mir unmöglich, schwanger zu werden. Nach deiner Argumentation existieren für mich also keine Frauen.«

Jennsen ließ von ihm ab, einen etwas hilflosen Ausdruck im Gesicht. »Das wohl nicht.«

»Also.« Richard wandte sich wieder zu Owen herum. »Du hast mich vergiftet – wie du selbst zugibst.« Er tippte sich mit dem Finger gegen die Brust. »Hier drinnen verspürte ich einen Schmerz; dieser Schmerz ist ganz real, und du hast ihn verursacht. Jetzt will ich wissen weshalb, und ich will wissen, warum du mir das Gegenmittel gebracht hast.«

Owens Blick wanderte über die finsteren Mienen, die ihn abschätzig musterten. Dann holte er tief Luft, als müßte er seinen ganzen Mut zusammennehmen, und sagte: »Ich brauchte dringend Eure Hilfe und müßte Euch irgendwie dazu bringen, mir zu helfen. Ich hatte Euch schon einmal um Hilfe gebeten, die Ihr mir abgeschlagen habt, obwohl mein Volk in großer Bedrängnis ist. Ich habe gebettelt, gefleht und versucht, Euch zu erklären, wie wichtig Eure Hilfe für diese Menschen wäre. Dennoch habt Ihr abgelehnt.«

»Ich habe selbst Probleme, um die ich mich zuerst kümmern muß«, erwiderte Richard. »daß die Imperiale Ordnung in deine Heimat eingefallen ist, tut mir leid – ich weiß, welches Grauen das bedeutet –, aber wie ich dir bereits erklärt habe, versuche ich, ihren Sturz herbeizuführen, was dir und deinem Volk letztendlich ebenfalls helfen wird, euch von ihnen zu befreien. Ihr seid nicht die Einzigen, deren Heimat von diesen Rohlingen überfallen wurde, auch bei uns bringen die Soldaten der Imperialen Ordnung Menschen um.«

»Aber uns müßt Ihr zuerst helfen«, beharrte Owen. »Ihr und Euresgleichen, die Unerleuchteten, müssen mein Volk befreien. Wir selbst sind nicht dazu imstande – wir sind keine Barbaren. Ich habe mitgehört, wie Ihr Euch über das Verspeisen von Fleisch unterhalten habt. Dieses Gerede macht mich ganz krank. Die Menschen bei uns sind nicht so – das könnten wir gar nicht, denn wir sind erleuchtet. Ich habe gesehen, wie Ihr all die Männer dort drüben umgebracht habt. Dasselbe müßt Ihr mit den Soldaten der Imperialen Ordnung machen.«

»Ich dachte, das sei nicht wirklich.«

Owen überhörte die Bemerkung. »Ihr müßt meinem Volk die Freiheit schenken.«

»Ich habe es dir bereits erklärt, das kann ich nicht.«

»Aber Ihr müßt.« Er sah Cara, Jennsen, Tom und Friedrich an, bis sein Blick schließlich auf Kahlan fiel. »Ihr müßt dafür sorgen, daß Lord Rahl dies für uns tut – sonst wird er sterben. Ich habe ihn vergiftet.«

Kahlan packte Owen am Hemd. »Du hast ihm doch eben erst das Gegenmittel gebracht.«

Owen nickte. »Als ich Euch allen am ersten Abend meine Notlage schilderte, hatte ich ihm kurz zuvor das Gift verabreicht.« Sein Blick ging zurück zu Richard. »Ihr hattet es erst wenige Stunden vorher getrunken. Hättet Ihr Euch da bereit erklärt, meinem Volk seine Freiheit zu schenken, hätte ich Euch noch im selben Augenblick das Gegenmittel gegeben, und das Gift befände sich nicht mehr in Eurem Körper. Ihr wärt geheilt gewesen.

Doch Ihr habt Euch geweigert, mich zu begleiten und denen zu helfen, die sich nicht selbst helfen können, wie es gegenüber Menschen in Not Eure Pflicht gewesen wäre. Ihr habt mich fortgeschickt, also habe ich Euch das Gegenmittel gar nicht erst angeboten. Seitdem bahnt sich das Gift einen Weg durch Euren Körper. Wärt Ihr nicht so selbstsüchtig gewesen, hättet Ihr da bereits geheilt werden können.

Statt dessen hat sich das Gift nun in Eurem Körper eingenistet und verrichtet dort sein Werk. Da die Einnahme des Giftes bereits einige Zeit zurückliegt, hat das Gegenmittel, das ich bei mir hatte, nicht mehr ausgereicht, um Euch vollständig zu heilen, sondern nur, um Euch vorübergehend Linderung zu verschaffen.«

»Und wie könnte ich geheilt werden?«, wollte Richard wissen.

»Um auch den letzten Rest des Giftes aus Eurem Körper zu spülen, müsstet Ihr eine größere Menge des Gegenmittels einnehmen.«

»Die du vermutlich aber nicht bei dir hast.«

Owen schüttelte den Kopf. »Ihr müßt meinem Volk die Freiheit schenken. Nur dann könnt Ihr eine größere Menge des Gegenmittels bekommen.«

Richard hätte den Burschen am liebsten gepackt und ihm die Antworten aus dem Leib geschüttelt. Statt dessen holte er tief Luft und versuchte Ruhe zu bewahren, um in vollem Umfang zu begreifen, was Owen getan hatte – und sich eine Lösung zu überlegen.

»Wieso nur dann?«

»Weil sich das Gegenmittel in dem bereits von der Imperialen Ordnung eroberten Gebiet befindet«, sagte Owen. »Ihr müßt die Eindringlinge also erst vertreiben, um an das Gegenmittel zu kommen. Wollt Ihr überleben, müßt Ihr uns die Freiheit schenken. Weigert Ihr Euch, ist das Euer sicherer Tod.«

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