In der Stadt

Ichtiander durchschwamm die Buch und stieg ans Ufer. Christo erwartete ihn bereits, trug einen weißen Anzug über dem Arm. Ichtiander betrachtete die schillernde Kleidung, als hätte man ihm eine Schlangenhaut gebracht. Seufzend begann er, sich anzukleiden.

„Komm“, sagte der Indianer vergnügt. Um Ichtiander zu überraschen, führte er ihn durch die Hauptstraßen: Avenida Alvear und Vertis, zeigte ihm den Siegesplatz mit der Kathedrale, das Rathaus im maurischen Stil, den Puertoplatz, den Platz des 25. Mai mit dem Freiheitsobelisken und das von prächtigen Bäumen umrahmte Präsidentenpalais.

Doch Christo hatte eines nicht vorhergesehen: Der Lärm, der Großstadtverkehr, der Staub, die Schwüle und das Gedränge verwirrten Ichtiander gänzlich. Er bemühte sich, in diesem Gedränge das Mädchen zu entdecken. Immer wieder ergriff er Christos Hand und flüsterte: „Da ist sie“, erkannte jedoch gleich wieder seinen Irrtum: „Nein, es war eine andere.“

Es wurde Mittag und die Hitze unerträglich. Christo schlug ein Mahl vor. Sie betraten ein kleines Kellerrestaurant. Hier war es kühl, aber laut. Und die Luft verbraucht. Zerlumpte Leute rauchten stinkende Zigarren. Ichtiander erstickte fast. Außerdem wurde mit unverständlichen Ausdrücken schrill gestritten.

Ichtiander trank große Mengen kalten Wassers, ohne das Essen auch nur anzurühren. Traurig meinte er: „Es ist leichter, ein bestimmtes Fischlein im Ozean zu finden, als in diesem Strudel einen Menschen. Eure Städte sind mir widerwärtig. Hier ist es stickig, und alles stinkt. Ich bekomme schon Seitenstechen. Laß mich nach Hause, Christo!“

„Gut“, sagte der begütigend, „wir schauen nur noch kurz bei einem meiner Freunde herein und kehren dann zurück.“

„Ich will zu keinem Menschen mehr gehen.“

„Es ist auf dem Wege. Ich halte mich dort nicht lange auf.“

Christo bezahlte und trat mit Ichtiander auf die Straße. Schwer atmend, mit gesenktem Kopf ging Ichtiander dicht hinter seinem Diener, vorbei an weißen Häusern, vorbei an Gärten, in denen Kakteen, Oliven- und Pfirsichbäume üppig sprossen. Der Indianer lenkte beider Schritte zu seinem Bruder Balthasar, der am neuen Hafen wohnte.

Am Meer sog Ichtiander gierig die feuchte Luft ein. Am liebsten hätte er die Kleider heruntergerissen und wäre ins Wasser gesprungen.

„Gleich sind wir da“, beruhigte Christo und beobachtete besorgt seinen Begleiter.

Sie überquerten einige Eisenbahnschienen und betraten schließlich einen düsteren Laden. Als sich Ichtianders Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, blickte er sich erstaunt um. Er fühlte sich auf den Meeresgrund versetzt. Die Regale und der Fußboden waren mit großen gewundenen Muscheln und Korallen bedeckt. Von der Decke hingen Seesterne, ausgestopfte Fische, getrocknete Krabben und allerlei Meeresgetier. In einem Kästchen lagen rosagefärbte Perlen. In dieser vertrauten Umgebung beruhigte sich Ichtiander allmählich.

„Hier ist es kühl und ruhig“, sagte Christo, „erhol dich“, — und schob Ichtiander einen geflochtenen Stuhl hin.

„Balthasar! Guttiere!“ rief der Indianer, „Bist du es, Christo?“ erwiderte eine Stimme aus dem Nebenzimmer. „Komm her, altes Haus!“

Christo bückte sich, um durch die niedrige Tür das andere Zimmer zu betreten. Dies war Balthasars Laboratorium, in dem er durch Feuchtigkeit verfleckte Perlen behandelte. In einem schwachen Säurebad erhielten sie neuen Glanz. Christo schloß hinter sich sorgfältig die Tür. Schwaches Licht fiel durch eine Dachluke ein und ließ die Umrisse von Glaskolben und Glasschalen auf dem alten schwarzen Tisch erkennen.

„Guten Tag, Bruder, wo ist Guttiere?“

„Sie ging zur Nachbarin, ein Bügeleisen zu leihen. Hat bloß noch Bändchen und Spitzen im Kopf, wird gleich wieder zurück sein“, antwortete Balthasar.

„Und Surita?“ fragte Christo ungeduldig.

„Der verdammte Kerl ist irgendwohin verschwunden, wir haben uns gestern verkracht.“

„Alles wegen Guttiere?“

„Surita hat sich vor ihr wie ein Wurm gewunden. Aber sie sagte nur: Ich will nicht! Was soll man mit ihr machen? Lauter Launen! Widerspenstig ist sie und eingebildet. Versteht nicht, daß jede Indianerin, auch die Schönste, vor Glück verginge, wenn solch ein Mann sie heiraten wollte. Einen eigenen Schoner hat er, eine eigene Mannschaft.“ Balthasar brummte und behandelte seine Perlen. „Surita säuft jetzt vor Ärger.“

„Was sollen wir denn machen?“ fragte Christo.

„Hast du dieses komische Wesen dabei?“ Balthasar verhielt sich ungeduldig.

„Ja, es wartet draußen.“

Balthasar trat zur Tür und spähte gespannt durch das Schlüsselloch. „Ich sehe ihn nicht“, sagte er leise.

„Er sitzt doch vor der Theke.“

„Nichts, da ist Guttiere.“

Balthasar öffnete die Tür und betrat mit Christo den Laden.

Ichtiander war nicht da. In einer dunklen Ecke stand Guttiere, Balthasars Pflegetochter. Das Mädchen war wegen ihrer Schönheit weit über die Gegend des neuen Hafens bekannt. Aber sie gab sich schüchtern und eigensinnig. Oft genug sagte sie mit ihrer schwingenden Stimme: „Nein.“

Pedro Surita gefiel Guttiere, er wollte sie heiraten. Und der alte Balthasar war nicht abgeneigt, sich mit dem reichen Mann zu verschwägern, sein Kompagnon zu werden.

Aber allen Anträgen Suritas setzte das Mädchen ein unabänderliches „Nein“ entgegen.

Als der Vater und Christo den Raum betraten, stand das Mädchen mit geneigtem Kopf da. „Guten Tag, Guttiere“, sagte Christo, „Wo ist der junge Mensch?“ fragte Balthasar. „Ich verberge keine jungen Männer“, sagte das Mädchen lächelnd. „Als ich hier eintrat, sah er mich so merkwürdig an, war erschrocken. Er legte die Hand auf sein Herz und lief davon. Bevor ich mich umschauen konnte, war er schon zur Tür hinaus.“

Загрузка...