Liebe Leser!
Ich, Lucius Apuleius, grüße Euch.
Baß erstaunt fragtet Ihr: Warum stiegst Du aus dem Schattenreich zu uns auf? Just das will ich Euch erzählen!
Ihr kennet die Märchen aus Tausendundeine Nacht, verstohlen leset Ihr auch Boccaccio, Balzac, Flaubert. Und reiset Ihr nach Italien und Rom, so stehet Ihr staunend in der Villa Farnese vor des großen Meisters Raffael »Amor und Psyche«. Und viele Künstler haben dieses mein berühmtes Liebespaar gar herrlich in Marmor gemeißelt.
Mich aber kennet Ihr nicht. Und das stimmt mich traurig. Voller Mitleiden gab daher des Schattenreiches Herrscherin Proserpina Urlaub, auf daß ich mich mit meinem Werk bei Euch in Erinnerung bringe.
Mäuschenstill schlich ich mich am schlafenden Zerberus vorbei. Der sonst so düstere Fährmann Charon setzte mich willig über den Styx – und schon bin ich bei Euch in der blendend strahlenden Sonne.
Und ich kündige Euch an: Mit Genuß werdet Ihr meine goldenen Eseleien lesen! Beim Hercules! Es wird viel zu lachen geben!
Saubere Früchtchen, alte Runkunkel, böse Molche treiben ihren schlimmen Schabernack. Über ihre Possen werdet Ihr Euch scheckig lachen! Aber auch ehrsamen Bürgern, Mönchen, Priestern werdet Ihr begegnen. Ich führe Euch mitten hinein ins bunte Leben, in Stadt und Dorf, auf Straßen und Märkte.
Bisweilen geht es schon derb und urwüchsig zu! Und Meister Langohr mit dem langen Zagel, der lederne Klopphengst, treibet es oft gar arg. Verzeihet ihm! Er ist ein unvernünftiges Geschöpf. Und wie oft hagelte ein Prügelhagel über den Armen, daß er hub-, bug- und blattlahm ward! Habt nur Mitleid mit ihm! Schreiet nicht gleich Zeter und Mordio! Er war halt – ein Esel! Auf die gleisnerischen Sitten- und Splitterrichter unter Euch hab’ ich einen Pik! Sie sollten nicht vergessen, daß wir damals noch arge Heiden waren.
Jetzt liest der Esel uns gar noch Moral! schimpfet Ihr. Nein – das will ich nicht. Ein Mucker bin ich nicht.
Leset also mit Vergnügen die seltsamen Erlebnisse meines eselhaften Taugenichts, und lachet nach Herzenslust und vergesset nicht
»Laßt Euch desungeachtet die Mühe nicht verdrießen, weiter fortzuerzählen«, redete ich nochmals und schon mit mehr Zuversicht den andern an. »Sowenig es auch Euch da«, wandte ich mich an diesen, »zu Kopfe will, so kann es, beim Hercules! darum doch alles sehr wahr sein. Ach, guter Freund, nur allzuoft verwirft unser verkehrter Sinn dasjenige als eine Lüge, was ihm doch nur unerhört, unersehen ist oder was über das Ziel seiner Gedanken hinausreicht und er nicht fassen kann! Prüfte er es nur genauer, wie manchmal würde er nicht finden, daß es nicht allein ganz begreiflich, sondern auch gar wohl tunlich ist! Ich wäre zum Beispiel noch gestern abend schier an einem Stück Käsekuchen erstickt, weil ich zu gierig aß und zu große Bissen davon nahm; da mir denn die klebrige Masse dergestalt die Kehle verstopfte, daß ich genug zu würgen hatte, ehe ich wieder Luft bekommen konnte. Und gleichwohl habe ich neulich in Athen vorm Pökile[5] mit diesen meinen leiblichen Augen einen herumziehenden Marktschreier einen scharfen Degen, die Spitze zuerst, hinunterschlucken sehen! Ja, kurz darauf nahm er sogar einen langen Jagdspieß, stach sich damit für ein Spottgeld, das man ihm gab, tief in den Leib hinein, und das Eisen, das er hier in den Unterleib stieß, kam samt dem Schafte aus dem Genicke hinten hoch empor, und oben auf der Spitze ließ sich ein bildschöner Junge sehen, der da mit solch einem Anstande, mit solch einer Gelenkigkeit tanzte und gaukelte, daß wir Zuschauer vor Verwunderung alle Maul und Nase aufsperrten. Wahrhaftig, geschickter hätte sich nicht der edle Drache des Gottes der Ärzte um den knotigen Stock desselben herumschlingen können! Wohlan also, Landsmann«, sprach ich zu jenem wieder, »laß mich nicht vergebens bitten! Will Euch Euer Kamerad nicht glauben, so tue ich’s für ihn mit, und in dem ersten Wirtshause, worin wir einkehren, bezahle ich aus Erkenntlichkeit Eure Zeche.« – »Nicht doch, lieber Herr«, versetzte er, »das verlange ich nicht! Ich kann Ihm ja wohl ohnedies mein Histörchen erzählen: Ich will’s ihm ganz von vorne wieder anfangen, weil er’s gerne hören mag. Zuvörderst kann ich’s ihm aber bei der Sonne, die uns bescheint, bei diesem allschauenden Gott zuschwören, da alles, was ich ihm da erzählen werde, die helle, klare Wahrheit und mir selbst begegnet ist! Er wird auch selber nicht daran zweifeln, wenn er erst in die nächste thessalische Stadt hier kommt, wo es sich öffentlich zugetragen hat und noch in aller Leute Mäuler ist. Laß er sich auch vorhero noch sagen, wer und woher ich bin und was mein Gewerbe ist: Ich heiße Aristomenes, bin aus Ägina und treibe in Thessalien, Ätolien, Böotien Handel mit Honig vom Berge Ätna, mit Käse und so dergleichen Waren mehr, die in den Gasthäusern gebraucht werden.
Einstmals nun zieh’ ich Kundschaft ein, daß zu Hypata, der angesehensten Stadt in ganz Thessalien, frischer, wohlschmeckender Käse um sehr billigen Preis zu haben sei. Ich mache mich eiligst dahin auf, gleich den ganzen Vorrat wegzuschnappen. Allein ich armer Schelm mußte zur bösen Stunde ausgegangen sein, meine Hoffnung, einen trefflichen Schnitt zu machen, schlug mir fehl; wie ich hinkam, hatte schon tags zuvor Kaufmann Wolf allen Käse weggekauft. Von der unnützen Eile ermüdet, begebe ich mich gegen Abend ins Bad: Siehe! da werde ich unterwegs meines alten Kameraden Sokrates ansichtig. Er saß auf der Erde, mit einem groben, lumpigen Mantel halb behangen, sich selbst fast nicht mehr ähnlich, totenblaß und ganz entstellt vor Magerkeit: kurz, vollkommen so wie die Stiefkinder des Glücks an den Ecken um Almosen zu bitten pflegen. In diesem erbärmlichen Zustande schämte ich mich meines Freundes und hätte fast getan, als kennte ich ihn nicht; doch ging ich endlich zu ihm hin: ›Um’s Himmels willen, lieber Sokrates, was ist das?‹ rief ich, ›wie siehst du aus? Sag mir, was hast du angefangen? Du bist zu Hause als tot ausgeschrien, beweint; die Gerichte haben deinen Kindern Vormünder bestellt, deine Frau hat die Trauer um dich schon wieder abgelegt und um deinetwillen sich so abgehärmt und abgeweint, daß sie beinahe unkennbar und blind geworden ist; eben dringen alle Verwandte in sie, ihren betrübten Witwenstand lieber gegen die Freuden einer zweiten Ehe zu vertauschen – und mittlerweile seh’ ich dich hier, zu unser aller größter Schande, wie ein leibhaftiges Gespenst einherziehen?‹ – ›Ach, Aristomenes‹, seufzte er, ›wie wenig mußt du noch des Glückes Launen, Unbestand und Wechsel kennen!‹ – Und mit den Worten verbarg er sein Gesicht, das blutrot vor Scham geworden war, dergestalt in seine Lumpen, daß kaum noch seine Blöße bedeckt war. Ich konnte den jämmerlichen Anblick nicht ertragen. Ich packte ihn an und will ihn aufrichten; aber mit verhülltem Kopfe, wie er war, rief er: ›O laß mich; laß das Glück noch länger des Siegeszeichens genießen, das es sich selber aufgestellt hat!‹ – Ich bringe ihn ungeachtet noch dahin, daß er mir nachgibt, ziehe auch meinen Oberrock ab und bekleide – oder, um recht zu sprechen, bedecke – ihn geschwind damit und eile mit ihm ins Bad. Da stecke ich ihn in die Wanne und wässere ihn erst, schaffe indes Salbe und Reibtücher herbei und scheure ihm dann den alten Schmutz tapfer ab, und nachdem ich seiner also auf das beste gepflegt, geleite ich ihn, da er ganz entkräftet, so müde ich auch selbst war und so sauer mir’s auch ward, nach einer Herberge, lege ihn zu Bette und gebe ihm zu essen und zu trinken und suche ihn durch allerhand Gespräche aufzumuntern. Schon waren wir auch wirklich guter Dinge, lachten, scherzten, stachen einander an, waren laut, als auf einmal mein Gast schmerzlich aus innigster Brust heraufseufzt, sich mit geballter Faust vor die Stirn schlägt und also anhebt: ›Ich Unglücklicher bin bloß durch die vermaledeite Lust, ein Fechterspiel zu sehen, wovon sehr viel Geredens gemacht wurde, in dies schmähliche Elend geraten! Denn, wie du weißt, reist’ ich, um mir ein bißchen Geld zu machen, nach Mazedonien. Kaum habe ich allda zehn Monate mein Wesen getrieben, so ist mein Beutel auch schon so wohl gespickt, daß ich mich wieder auf den Heimweg begebe. Allein wie ich dicht vor Larissa komme, wo ich durchwollte, um dort eben die verwünschten Fechterkämpfe mit anzusehen, fällt mich eine Straßenräuberbande in einem abgelegenen, winkligen Tale an, und ich muß alles, bis aufs Leben, im Stiche lassen. In dieser Not gelange ich zu einer braven Gastwirtin mit Namen Meroe. Ich erzähle ihr die Ursachen meiner Wanderschaft, und wie ich nun beim Nachhausegehen alles meines sauer erworbenen Gutes beraubt worden. Sie hört meine ganze Geschichte voller Mitleiden an und nimmt mich höchst liebreich bei sich auf, setzt mir auch, und zwar unentgeltlich, eine wohlzugerichtete Mahlzeit vor; am Ende aber, von Brunst hingerissen, nimmt sie mich mit sich zu Bette, und damit war mein Unglück fertig! Denn in der einen Nacht hat mir’s das Weib so angetan, daß ich ihr Saft und Kraft verschwendete, ihr auch selbst die Kleider, die mir die Räuber aus Erbarmen noch gelassen hatten, nebst allem dem hingab, was ich, da ich noch fortkonnte, durch Trödeln gewann; bis ich mich zuletzt – Dank sei meinem bösen Geschick und diesem gutherzigen Weibe! – in dem Zustande befand, worin du mich jetzt antriffst.‹ – ›Beim Pollux!‹ sprach ich. ›Du verdientest, daß es dir noch schlimmer erginge, womöglich, als es bereits dir geht, da du so um schnöde Lust und um einer verhurten Vettel willen Weib und Kind vergessen hast!‹ – Ganz verdutzt fuhr er darüber voll Schreckens mit dem Zeigefinger sich hastig auf den Mund. ›St! st!‹ rief er mir zu, sah sich höchst schüchtern überall um und sprach endlich: ›O Bruder, ich bitte dich, nimm dich in acht, daß du dir an dem Weibe die Zunge nicht verbrennst!‹ – ›So?‹ antwortete ich spöttisch. ›Was ist denn mehr mit deiner Frau Wirtin? Ist sie so mächtig? Sie ist doch wohl nicht etwa eine Königin?‹ – ›Eine Zauberin‹, versetzte er, ›ist sie, eine Fee! Sie kann dir den Himmel herniederlassen, die Erde emporhangen, die Quellen versteinern, die Felsen zerflößen, die Manen[6] hinauf-, die Götter hinabbannen, die Gestirne verdunkeln, den Tartarus selbst erleuchten ...‹ – ›Halt, halt!‹ unterbrach ich ihn. ›Daß du nicht noch fällst über die tragischen Stelzen! Packe lieber den theatralischen Plunder ein und sprich mit mir wie andere Leute.‹ – ›Nu, nu‹, sprach er, ›soll ich dir eins und das andere von ihren Sächelchen erzählen? Daß sie die Einheimischen nicht allein, sondern die Indier auch, ja die beiden Äthiopier[7] und selbst die Gegenfüßler[8] sterblich in sich verliebt macht, das ist nur erst Kleinigkeit, lauter Spaß! Aber höre nur an, was sie alles vor vieler Leute Augen getan hat. Einer ihrer Buhlen hatte einmal ein Mädchen genotzüchtigt. Mit einem Wort hat sie ihn da in einen wilden Biber verwandelt, um ihn an dem zu strafen, womit er gesündigt; denn dies Tier entmannt sich, um sich nicht fangen zu lassen. Danach tat ihr wieder ein benachbarter Gastwirt zuviel Abbruch in der Nahrung; den hat sie zu einem Frosch gemacht, der bis jetzt noch immer in seinem Weinfasse herumschwimmt und daraus mit heiserer Kehle die alten Kunden zu sich einladet. Ein andermal hat sie einen Advokaten, der einen Prozeß gegen sie geführt hatte, zu einem Schöps umgestaltet. Du kannst den Schöps noch heutigen Tages vor Gericht advozieren sehen. Endlich hatte einmal das Weib ihres Liebhabers ihrer gar zu bitter gespottet. Was hat sie zu tun? Sie verschließt demselben in dem Augenblick, als es entbunden werden sollte, den Leib, treibt ihr die Geburt zurück und verdammt die arme Unglückliche zu einer ewigen Schwangerschaft. Es sind nun schon, wie ihr jeder nachrechnen kann, über acht Jahre, daß sie sich so mit dickem Bauche herumschleppt, gleichsam als sollte sie einen Elefanten zur Welt bringen. Kurz, durch diese und andere dergleichen Streiche kamen gar sehr viele Leute zu Schaden, und der Unwille der ganzen Stadt ward zuletzt darüber rege und nahm so überhand, daß man beschloß, die Unholde anderntags zu Tode zu steinigen. Allein es hat sich wohl, daß die es hätte dazu kommen lassen! Gleichwie Medea in einer vom Kreon[9] ihr zugestandenen Tagesfrist Palast samt Tochter und Vater vermittels eines Kranzes zu Asche verbrannte, ebenso hat auch diese in einer einzigen Nacht (wie sie in einem Rausche es mir neulich selbst erzählt) vermittels fürchterlicher, in Gräbern angestellter Beschwörungen, alle Einwohner der Stadt, samt und sonders so fest in ihre Häuser hineingebannt, daß sie ganze zwei Tage weder Schlösser erbrechen noch Tür und Fenster ausheben, noch auch durch Mauern und Wände sich Öffnungen machen konnten; bis sie sich endlich insgesamt bequemten und einhellig schrieben und auf das heiligste sich vermaßen, nicht allein selbst nicht Hand an sie zu legen, sondern sie auch gegen jedermann, der etwas wider sie unternehmen würde, zu verteidigen und zu schützen. Damit zufrieden, hat sie stracks die ganze Stadt wieder entzaubert. Allein den Urheber des wider sie gefaßten Anschlags hat sie bei stockfinsterer Nacht samt dem ganzen Hause (das heißt Gemäuer, Grund und Boden), so verschlossen wie es war, hundert Meilen weit weg in eine Stadt hingetragen, die auf der Spitze eines so hohen Berges gelegen, daß beinahe gar kein Wasser da ist. Weil aber da die Gebäude der Einwohner so dicht aneinander standen, daß für den neuen Ankömmling kein Platz mehr übrig war, so hat sie das Haus nur vor das Stadttor hingeworfen und dann sich wieder heimbegeben.‹
›Nein, lieber Sokrates‹, schrie ich, ›das ist arg, das ist wundersam! Nun bin ich gleichfalls angst und bange, und hebt mir das Herz vor Furcht im Leibe, daß deine Alte diese unsere Gespräche nicht auch durch Hilfe eines Geistes wieder erfahre. Laß uns also nur früh Schicht machen, damit wir bald ausschlafen und uns morgen mit dem allerfrühesten aus dem Staube machen können!‹ – Ich hatte dies noch nicht ausgeredet, so war der gute Sokrates, weil er des Weines ungewohnt und vom Tage her müde war, schon eingeschlummert und schnarchte überlaut. Ich klemme also flugs die Türe zu, schiebe die Riegel ganz fest vor, stelle auch noch zur größeren Sicherheit mein Bette ganz dicht wider die Angeln und werfe mich hinauf. Die Furcht hielt mich erst eine lange Weile wach; endlich, um Mitternacht, fallen mir die Augen allgemach zu. Kaum war ich recht eingeschlafen, so wird auch mit einmal mit größerm Ungestüm, als sich von Dieben erwarten läßt, die Tür eröffnet oder vielmehr gesprengt und holter polter übern Haufen gerannt, daß die Angeln in Stücken zu Boden fallen. Mein Bette, ohnedies klein, dreibeinig und morsch, fliegt um und um und bleibt, da ich herausgepurzelt, um gestürzt über mir stehen. Da erfuhr ich, daß manche Affekte sich von Natur auf widersprechende Art äußern. Denn wie man oftmals vor Freude Tränen vergießt, so konnte ich mich auch jetzt bei meinem großen Schrecken des Lachens nicht erwehren, da ich so aus Aristomenes zu einer Schildkröte geworden. Wie ich aber auf der Erde unter meinem Bette hervorvigiliere, was es denn gibt, so seh’ ich zwei ziemlich betagte Mütterchen. Eine trägt eine helle Leuchte; einen Schwamm und einen bloßen Dolch die andere. In dem Aufzuge stehen beide am Bette des Sokrates, der in tiefem Schlafe lag. Die mit dem Dolche fängt an: ›Hier, Schwester Panthia, hier siehst du meinen treuen Endymion[10], meinen Ganymed[11], der so Tag als Nacht meine Schwäche gemißbraucht hat und der nun meine Liebe mit Füßen tritt, meinen guten Namen schändet und mich auf ewig fliehen will. Aber daß ich mich doch von diesem arglistigen Ulysses[12] hintergehen ließe und wie ein zweite Kalypso[13] um ihn in ewiger Sehnsucht und Einsamkeit weinte! Mag indessen‹, fuhr sie fort, mit ausgestreckter Rechten der Panthia mich zeigend, ›sein feiner Ratgeber da, Aristomenes, der ihm die Flucht in den Kopf gesetzt hat, jetzt aber, dem Tode nahe, nach aller Länge unter dem Bett ausgestreckt liegt und hier nach uns herschielt, mag er doch immerhin wähnen, allenthalben meine Schmach auszuposaunen; er soll mir schon über lang oder kurz, vielleicht nur allzubald, ja wohl gar noch jetzt, den Augenblick, all seine angebrachten Spötteleien so wie seine gegenwärtige Keckheit schmerzlich genug bereuen!‹
Als ich das hörte, brach mir der kalte Angstschweiß aus, und ich zitterte und bebte dergestalt unter meinem Bette, daß es auch nicht eine Minute ruhig stehen blieb, sondern unaufhörlich wie eine Stampfmühle schütterte und pochte.
›Ei‹, sprach Panthia, ›warum kühlen wir denn nicht also unsern Mut an dem zuerst? Laß uns ihn, Schwester, wie Bacchantinnen, in Stücke zerreißen oder binden und zum Verschnittenen machen!‹ – ›Keins von beiden!‹ versetzte Meroe – denn ich merkte an allem, daß es die war, von der Sokrates mir erzählte –, ›er muß am Leben bleiben, um den Leib dieses Armseligen in ein wenig Sand zu verscharren.‹ – Hiermit kehrt sie den Kopf des Sokrates auf die Seite, senkt ihm den Dolch bis an das Heft in die Gurgel und fängt das hervorspritzende Blut so geschickt und sorgfältig in einem Schlauche auf, daß auch kein Tröpfchen danebenkommt. Das haben diese meine Augen gesehen. Nun fährt sie – um keinen von den Opfergebräuchen aus der Acht zu lassen, wie mir dünkt – mit der rechten Hand durch die Wunde bis zu den Eingeweiden hinunter sucht darin herum und bringt dann das Herz meines armen Kameraden zum Vorschein, während der Zeit er aus abgeschnittener Kehle laut röchelt und seinen Geist mit dem strudelnden Blute aufgibt. Panthia aber stopft die Wunde, wo sie am weitesten voneinandersteht, mit einem Schwamme zu und murmelt dabei: ›Schwamm, Schwamm, in dem Meere geboren, geh in dem Flusse verloren!‹ Dies getan, so schieben sie das Bett von mir hinweg, treten mit auseinandergesperrten Beinen über mich, und jetzt regnen sie so lange auf mich herab, bis sie mich durchaus in den garstigen Böckel[14] eingeweicht haben. Kaum verließen sie die Schwelle, so erhebt sich die Tür wieder und kehrt an ihren Ort zurück, die Angeln springen wieder in ihre Pfannen ein, die Haspen eilen den Pfosten zu, und die Riegel schieben sich von selbst wieder vor. Ich aber bleibe, wie ich war, am Boden hingestreckt liegen, atemlos, splitternackend, eiskalt und nicht minder benetzt, als ob ich eben erst aus Mutterleibe gekrochen; da ich doch schier halb ausgelebt, ja mich selber schon ganz überlebt hatte und mit allem Fuge als ein After-Ich, wenigstens als ein wohlbestallter Galgenkandidat anzusehen war. ›Was wird aus mir werden‹, sprach ich bei mir selbst, ›wenn man am Morgen den erwürgt im Bette finden wird? Wem wirst du nicht der Wahrheit zum Trotze ein Lügner scheinen? Du hättest ja nur um Hilfe rufen dürfen, wird man sagen, wenn du feige Memme dich vor einem alten Weibe fürchtest! Vor deinen Augen einen Menschen ermorden sehen und schweigen? Warum hat man dich nicht auch auf den Kopf geschlagen? Warum hätte denn die Mordlust der Hexe den Augenzeugen ihres Frevels verschont, von dem sie ja fürchten mußte, daß er sie verraten würde? Immer hin mit dir zum Tode, dem du also entronnen bist!‹
Ich überlegte das hin und her, unterdessen ging die Nacht zum Tage über. Am klügsten dünkte mir’s da, mich noch in der Dämmerung fortzumachen und so geschwind und so weit zu rennen, als die Füße nur laufen wollten. Ich nehme also mein Bündel auf den Buckel, schließe die Stubentür auf, wiewohl erst nach vieler Mühe und Not, denn das vertrackte Schloß, das nachts von freien Stücken aufgesprungen, ließ jetzt sich lange störlen und rütteln, ehe es aufwollte, und gehe und rufe den Hausknecht. – ›He‹, schreie ich, ›wo bist du? Mach das Tor auf, ich will fort!‹ – Er lag gleich hinter der Haustür auf einer Streu; noch halb im Schlafe, gab er mir zur Antwort: ›I, wißt Ihr denn nicht, die Straßen sind jetzt der Spitzbuben wegen so unsicher! Wo wollt Ihr denn noch bei Nacht hin? Rennt doch dem Tod nicht in den Rachen! Oder treibt Euch etwa ein böses Gewissen dazu? Nu, so dumm sind wir doch nicht, daß wir uns um Euretwillen sollten totschlagen lassen!‹ –›Es ist ja nicht mehr weit vom Tage‹, versetzte ich, ›und was können mir blutarmen Manne auch die Räuber stehlen? Weißt du nicht, Narr, daß selbst zehn Banditen einen Nackenden nicht ausplündern können?‹ – Ohne sich zu ermuntern, warf er sich auf die andere Seite herum und sagte: ›Ach, wo weiß ich auch, ob Ihr nicht gar Euren Reisegefährten, mit dem Ihr gestern so spät hierherkamet, umgebracht habt und Euch nun durch die Flucht retten wollt?‹ –
Ich denke nicht anders, als es tut sich in dem Augenblick die Erde unter mir auf, und ich sehe aus dem innersten Tartarus[15] hervor den Zerberus[16] heißhungrig auf mich zufahren.
Jetzt kam es mir erst zu Sinne, daß die ehrliche Meroe mitnichten aus Barmherzigkeit meiner Kehle geschont, sondern vielmehr aus Grausamkeit mich für den Galgen aufgespart habe.
Sobald ich also in die Stube zurückgekehrt, überlege ich in der Geschwindigkeit, wie ich mir das Leben nehmen will. Inzwischen, da kein ander tödliches Werkzeug anzutreffen war, als was mein Bette mir darbot, so wende ich mich zu demselben mit diesen Worten:
›Herzes, liebes Bette, das so viel Ungemach mit mir erlitten; du, das alles mit angesehen, was diese Nacht hier vorgegangen ist; du, der einzige Zeuge, den ich für meine Unschuld anrufen kann: o leihe mir zu meiner Reise in die Unterwelt gefälligen Beistand!‹ –
Während der Anrede knüpf’ ich den Strick los, womit es zusammengeschnürt war, werfe das eine Ende davon um einen Balken, der oben über das Fenster hervorragte, und befestigte es daran, und an dem andern mache ich eine Schleife. Nun steige ich auf das Bette in die Höhe, um mich zu erhenken, und streife mir die Schlinge über den Kopf.
Wie ich jetzt aber mit dem Fuße meine Stütze unter mir wegstoße, um durch meine Wucht im Herabfallen mir den Knoten um die Kehle desto fester zuzuziehen, so zerreißt mit einmal der alte verstockte Strick, und ich stürze auf den Sokrates, der dicht neben mir lag, so mächtig hin, daß wir uns beide überkollern und zusammen auf die Erde hinabrollen.
Und siehe, in demselben Augenblick reißt auch der Hausknecht die Tür auf und schnauzt herein: ›Wo seid Ihr denn nun, der bei stockfinsterer Nacht über die Maßen forteilet? Ihr seid ja wohl gar wieder in das Bette gekrochen?‹
Nun weiß ich nicht, war’s über unsern Fall oder übers überlaute Geschrei dieses Kerls, genug damit, so erwacht mein Sokrates und rafft sich zuerst auf.
›Wahrlich!‹ sprach er. ›Die Reisenden haben auch recht, daß sie so über das ungeschliffene Hausknechtsgesindel schimpfen. Was muß nun der Grobian da um jetzige Zeit seinen Rüssel zur Tür hereinstecken und so zahnbrecherisch schreien, daß er mich armen Ausgemergelten aus meinem allertiefsten Schlafe aufweckt? Er hat gewiß Lust, uns was zu mausen.‹
Gleich spring’ ich munter und lustig auf, kein kleiner Stein fiel mir vom Herzen. Begeistert von höchst unerwarteter Freude, ruf’ ich: ›Nu, da sieh einmal, du superkluger Hausknecht, ist er wohl ermordet, mein trauter Reisegefährte, mein Bruder, mein Vater? Schau, ist er ermordet, wie du’s mir vorher in deiner Dösigkeit schuld gabst?‹
Und mit den Worten falle ich dem Sokrates um den Hals und herze und küsse ihn. Aber der Wohlgeruch, den die alten Hexen über mich gegossen hatten, stieg ihm nicht so bald in die Nase, als er mich zurückstieß. ›O bleib mir vom Leibe‹, sprach er, ›riechst du doch wie ein alter Nachttopf!‹ Und lachend wollte er nun die Ursache dieses angenehmen Duftes erforschen. Allein ich wich ihm durch ein aus dem Stegreif erdichtetes Späßchen aus, nehme ihm beim Arm und sage: ›Warum gehen wir denn nun nicht und machen uns den Morgen zunutze?‹ – Ich hocke sofort mein Felleisen auf, bezahle dem Hausknecht das Nachtlager, und wir machen uns auf den Weg.
Wir waren schon ziemlich weit vorwärts, als erst die Sonne aufging und es helle ward. Nun betrachtete ich mir mit unruhiger Neugier die Kehle meines Reisegefährten, zumal auf der Seite, wo ich den Dolch hatte hineinsenken sehen. ›Alberner Mensch‹, sprach ich endlich bei mir selbst, ›was du auch auf deinen Rausch nicht all für tolles Zeug geträumt hast! Sieh nur, Sokrates ist ja frisch und gesund. Wo hat er wohl eine Wunde? Wo den Schwamm? Wo endlich die große frische Narbe?‹ Darauf wandt’ ich mich zu meinem Begleiter: ›Die Ärzte haben doch wirklich nicht unrecht‹, sprach ich, ›wenn sie der Meinung sind, daß das übermäßige Fressen und Saufen schwere Träume macht; denn ich habe diese ganze Nacht, weil ich gestern abend ein bißchen zu tief ins Glas geguckt, so entsetzliche Gesichte und Erscheinungen gehabt, daß ich mir noch immer von Menschenblut zu triefen scheine.‹ – ›Von Menschenblut?‹ versetzte er lächelnd, ›ich hätte eher auf etwas anderes geraten! Indessen habe auch ich geträumt, ich würde erwürgt. Ich fühlte an der Kehle große Schmerzen, und es war mir auch, als würde mir das Herz aus dem Leibe gerissen. Selbst jetzt kann ich noch keinen Atem kriegen, und die Knie werden unter mir so schwach, daß ich hin und her wanke. Ich möchte wohl etwas zu essen haben, um mich wieder zu erquicken.‹ – ›Geduld‹, sprach ich, ›es soll den Augenblick ein Frühstück für dich fertig sein!‹ – Mitdem werfe ich meinen Ranzen von der Schulter und reiche ihm ein Stück Brot und Käse hin. ›Komm‹, sage ich, ›laß uns dazu unter der Platane dort hinsetzen.‹ – Das geschieht, und ich nehme mir mein Teil auch. Indem wir nun so sitzen und es uns wohlschmecken lassen, werde ich auf einmal gewahr, daß dem Sokrates, bei der größten Geschäftigkeit seiner Kinnbacken, die Augen brechen, und daß er bleich und blaß wie ein Tuch wird. Bald, so hatte er so sehr das Aussehen einer Leiche, daß alle meine nächtlichen Schreckbilder sich von neuem meiner Vorstellung bemächtigen und vor Entsetzen mir der Bissen im Munde blieb. Was meine Furcht noch vermehrte, waren die vielen Leute, die vorübergingen. Was hätten sie anders denken können, als daß ich meinen Reisegefährten ermordet.
Doch als Sokrates seinen Appetit gestillt, so bekam er einen gewaltigen Durst; denn von dem besten Käse hatte er ein gutes Stück zu sich genommen. An der Platane, worunter wir saßen, floß ganz nahe ein kleines kristallenes Flüßchen so langsam und ruhig vorbei, daß es fast für ein stehendes Gewässer anzusehen war. – ›Sieh‹, sage ich also zu ihm, ›da kannst du ja aus einer schönen reinen Quelle deinen Durst löschen!‹ – Er steht auf, schlägt seinen Mantel zurück, und wo das Ufer am flachsten ist, kniet er nieder, hält sich fest mit den Händen an, und mit langem, vorwärts hinabgebeugtem Halse sucht er einen frischen Trunk zu schöpfen. Allein er hat seine Lippen noch nicht recht naß gemacht, so bricht die Wunde in der Kehle, so groß und tief sie war gemacht worden, auf, und der Schwamm fällt in den Fluß, von wenigen Blutstropfen begleitet. Schier wäre der ganze Körper in das Wasser gesunken, hätte ich ihn nicht bei einem Beine gefaßt und mit genauer Not aufs Ufer gezogen. Nachdem ich meinen armen Reisegefährten nach Beschaffenheit der Zeit bitterlich beweint und auf ewig in der Nachbarschaft des Flusses in den Sand verscharrt, floh ich schüchtern und bebend durch abgelegene, unwegsame Einöden davon, und nicht anders, als wäre ich eines Menschenmordes schuldig, verließ ich Vaterland und Haus und Hof und begab mich freiwillig ins Elend. Jetzt bin ich nun wieder verheiratet und in Ätolien ansässig.« Also Aristomenes.
Sein Begleiter, der sich gleich von Anfang ungläubig gegen diese Geschichte bewiesen hatte, sprach: »Ich bleibe dabei, das ist die abenteuerlichste aller Fabeln, die albernste Lüge, die es nur gibt! Und sag er mir nur, Herr«, wandte er sich zu mir, »er ist doch nun der Kleidung und dem Ansehen nach ein stattlicher Mann, mag er denn in aller Welt ein solches Märchen glauben?« – »Ich meines Teils«, geb’ ich ihm zur Antwort, »ich halte nichts für unmöglich, sondern bin der Meinung, daß, was das Schicksal nur fügt, alles den Sterblichen auch begegne. Es widerfahren uns ja, mir sowohl als Euch und allen übrigen Menschen, so manche wundersame und fast unerhörte Dinge, die, wenn wir sie einem Fremden wiedererzählen, gewiß nicht den mindesten Glauben finden würden! Daher glaube ich, beim Hercules! die herrliche Erzählung, womit uns Aristomenes so angenehm unterhalten hat, nicht allein vom Anfang bis zum Ende vollkommen, sondern ich weiß ihm auch den herzlichsten Dank dafür! Bin ich doch darüber weder der Länge noch der Rauheit des Weges gewahr geworden. Auch mein Gaul hat sich wohl dabei gestanden; da ich so sonder Beschwerde seines Rückens auf dem Vergnügen meiner Ohren bis vor das Tor dieser Stadt hergeritten bin.«
Hier hatte mit unserm Gespräche auch der gemeinschaftliche Weg ein Ende, denn meine beiden Reisegefährten gingen links ab nach benachbarten Dörfern, und ich in die Stadt hinein. Vor dem ersten Wirtshause, das ich antraf, halt’ ich still und frage die Gastwirtin, die schon bei Jahren war: »Bin ich hier recht? Heißt die Stadt Hypata?« – Sie nickte. – »Kennt Ihr nicht einen gewissen Milo, einen von den Ersten in der Stadt?« – Sie lachte. »Oh«, sprach sie, »Milo kann mit gutem Fuge der Allererste hier heißen; da er am Zwinger gleich zu Anfang der Stadt wohnt.« – »Scherz beiseite«, versetzte ich, »sagt mir doch, ich bitte Euch, gute Mutter, wer er ist und in welchem Hause er wohnt.« – »Sehen Sie da ganz unten nicht die Fenster«, sprach sie, »die zur Stadt hinausgehen? und auf der andern Seite die Tür mit dem kleinen nahen Gäßchen gegenüber? Allda wohnt der Milo, ein steinreicher, überaus wohlhabender Mann, der aber bei aller Welt als der abscheulichste, schmutzigste Geizhals verschrien ist. Kurz, er leihet immer auf Gold- und Silberpfänder gegen reichliche Zinsen, steckt wie eingeschlossen in seiner Hütte und brütet da überm Geldkasten, und ungeachtet er eine Frau zur Mitgenossin seines kümmerlichen Lebens hat, so hält er doch nur eine einzige Magd und zieht nicht ein Haar anders einher als ein Bettler.« – Ich lachte darauf in meinem Herzen und denke im Weiterreiten: »Da hat ja Freund Demeas ausnehmend wohl und gütig für dich gesorgt, daß er dich auf deiner Reise einen solchen Manne empfohlen hat, in dessen Hause du weder von Rauch noch von Küchendampf wirst beleidigt werden!«
Hiermit gelangte ich nach einem kurzen Wege vor der Tür an, die ich scharf verriegelt fand. Ich mußte lange anklopfen und »Holla« rufen. Endlich und endlich kommt die Magd heraus. – »He«, sprach sie, »wer pocht denn? Worauf gedenken Sie zu borgen, mein Herr? Es wird Ihnen nicht unbekannt sein, daß hier keine anderen Pfänder denn Gold und Silber angenommen werden.« – »Ich komme in ganz anderer Absicht, mein Kind!« versetzte ich. »Sage sie mir nur, finde ich ihren Herrn zu Hause?« – »O ja«, sprach sie. »Warum?« – »Ich habe Briefe vom Demeas aus Korinth an ihn abzugeben.« – »So warten Sie nur ein wenig, ich will Sie melden.« – »Mit den Worten geht sie wieder hinein und riegelt hinter sich zu. Bald, so erscheint sie wieder, macht mir die Tür auf und sagt: »Sie möchten doch so gut sein und hereinkommen!« – Ich tu’s und finde den Milo eben bei Tische. Er lag auf einem kleinen Bettchen, und seine Frau saß ihm zu Füßen. Er zeigte auf die vor ihm stehende leere Schüssel und sprach: »Seien Sie freundlichst willkommen geheißen!« Ich dankte ihm und überreichte ihm sofort den Brief des Demeas. Als er ihn geschwind durchgelesen, sagte er: »Ich bin meinem Freunde außerordentlich viel Dank schuldig, daß er die Güte hat, mir einen so angenehmen Gast zuzuweisen.« Darauf läßt er seine Frau aufstehen und nötigt mich, ihren Platz einzunehmen. Da ich aber aus Höflichkeit mich weigerte, es zu tun, so zog er mich beim Kleide zu sich und fügte hinzu: »Machen Sie doch keine Umstände und lassen Sie sich nieder; denn wir haben hier weiter keine Stühle noch andere Geräte, weil wir uns vor den Dieben nichts anschaffen dürfen.« – Ich setzte mich also. – »Ich würde Sie«, nahm er das Wort wieder, »schon an Ihrem feinen Wesen und an Ihrer angenehmen Bescheidenheit für einen Mann von Stande erkennen, wenn auch mein Freund Demeas nichts davon in seinem Briefe erwähnt hätte. Um so mehr muß ich Sie aber ersuchen, unser kleines, enges Häuschen nicht zu verschmähen. Es soll Ihnen hier in dem Nebenzimmerchen an keiner anständigen Bequemlichkeit fehlen. Nehmen Sie nur gütigst mit uns vorlieb. Sie werden dadurch nicht allein uns eine große Ehre erzeigen, sondern zugleich den ruhmvollen Beispiele des Namensverwandten Ihres Vaters, des Theseus, folgen, der es vormals auch für keine Schande gehalten, unter dem niedern Dache der alten Hekale zu herbergen.« – Und nachdem er das Mädchen gerufen, sagt er zu ihr: »Fotis, packt den Mantelsack des Herrn ab und tragt ihn hier in das Zimmer daneben. Holt auch geschwind aus der Vorratskammer Öl und Badezeug und bringt dann meinen Gast in das nächste Bad; er wird von seiner weiten, beschwerlichen Reise müde sein.« – Als ich das hörte, besann ich mich in der Geschwindigkeit des Charakters und der Kargheit des Milo und suchte mich bei ihm in Gunst zu setzen, indem ich sagte: »Oh, dessen bedarf ich all nicht; ich pflege es auf Reisen beständig selbst mit mir zu führen, und nach dem Bade will ich mich auch schon allein hinfinden. Will sie mir aber einen Gefallen tun, Fotis, so sei sie so gut und nehme hier dies Geld und kaufe mir dafür Heu und Gerste für mein Pferd, mit dem ich heute einen tüchtigen Ritt getan habe.« – Sobald nachher der Mantelsack auf meinem Zimmer war, geh’ ich zum Bade fort, nehme aber meinen Weg über den Markt, um mich erst mit etwas Mundvorrat zu versehen. Ich finde da herrliche Fische feil, nur forderte man hundert Nummen dafür; ich handelte und bekomme sie noch für zwanzig Denar. Eben war ich vom Markte wieder herunter, so sah ich einen alten Schulkameraden von mir aus Athen, den Pytheas, hinter mir herkommen. Er erkanntem ich auch gar bald wieder, kam liebreich auf mich zu umhalste und küßte mich sehr freundschaftlich: »I, lieber Lucius«, rief er, »haben wir uns doch so lange nicht gesehen! beim Hercules! seitdem wir aus der Schule sind, nicht wieder! Nun, wie kommst du einmal hierher?« – »Das sollst du morgen erfahren«, versetzte ich. »Aber was seh’ ich? Oh, viel Glück zu den Liktoren, den Fasces und dem ganzen magistratlichen Ornate!« – »Ich bin hier Proviantverwalter«, antwortete er, »und Ädil, und wenn du was einzukaufen hast, so kann ich dir nützlich sein.« – Ich bedankte mich, weil ich an meinen Fischen schon zur Genüge hatte. Inzwischen fiel ihm mein Einkauf in die Augen. Er bückt sich danach herunter, schüttelt ihn herum, ihn desto besser zu besichtigen, und fragt mich: »Wieviel hast du für den Schund gegeben?« – »Mit genauer Not«, gebe ich zur Antwort, »hat mir ihn der Fischer noch für zwanzig Denar gelassen.« – Als er das hörte, nahm er mich bei der Hand und führte mich schnurstracks wieder auf dem Markt zurück. »Von wem«, sprach er da, »hast du den Bettel gekauft?« – Ich zeigte ihm meinen Mann, der auf einer Ecke feilbot. Den Augenblick fährt er demselben mit greller Stimme in völligem Amtseifer auf den Hals. – »Nun«, sprach er, »nun schont Ihr auch keinen Freund mehr, geschweige einen Fremden! Ist das wohl erlaubt, die Leute so unverschämt zu schnellen und für solch elendes Zeug von Fischen so viel zu fordern? Wollt Ihr denn mit Eurer gottlosen Überteuerung der Lebensmittel Thessaliens blühendste Stadt durchaus so öde wie einen Fels oder eine Sandwüste machen? Aber das soll Euch nicht ungestraft hingehen! Ich will Euch zeigen, wie man Schurken, wie Ihr seid, in meinem Amte züchtigen kann.« Damit schüttet er alle meine Fische mitten auf die Gasse hin, und ein Scherge muß sich hinstellen und sie mit Füßen treten. Nach dieser verübten exemplarischen Strenge wendet sich Freund Pytheas, höchst mit sich selbst zufrieden, wieder zu mir. – »Jetzt«, sprach er, »verweile ich nicht länger bei dir, lieber Lucius, laß dich von nichts abhalten, die öffentliche Beschimpfung dieses Betrügers ist mir nun schon hinlänglich.«
Ganz bestürzt und erstaunt über dies hochweise Verfahren meines wohlehrsamen Herrn Mitschülers, welches mich so um mein Geld und meine Mahlzeit brachte, verfügte ich mich hierauf in das Bad und von da wieder nach der Wohnung des Milo, in mein Zimmer. Alsbald kam Fotis, mich zum Essen zu rufen. Weil ich aber die Gerätlichkeit ihrer Herrschaft schon kannte, so laß ich mich sehr höflich entschuldigen: ich wäre von meiner Reise mehr müde denn hungrig. Auf dies Kompliment kommt Milo selber, mich zu holen. Er nötigt mich auf das dringendste und reißt mir ganz, wie man zu sagen pflegt, den Ärmel aus, mitzukommen; da ich mich aber immer mit großer Bescheidenheit weigere und es durchaus nicht tun will, so sagt er endlich: »Ich weiche und wanke nicht eher von Ihnen, bis Sie mich begleiten!« und bekräftigt dies noch mit einem großen Schwur. So ungern ich’s auch tat, mußte ich nun doch schon nachgeben. Ich gehe also mit zu ihm hinüber.
Wir setzen uns aufs Bett, und sogleich fängt er an: »Nun, wie befindet sich denn unser Demeas? Wie geht’s seiner Frau? Was machen seine Kinder? Wie steht’s um sein Gesinde?« – Ich geb’ ihm von allem und jeglichem umständlichen Bericht[17]. Hierauf geht’s an ein Fragen: warum, in welcher Absicht, auf wie lange und wohin ich denn eigentlich diese Reise unternommen hätte? Als ich ihm auch dies alles getreulich beantwortet, so nimmt er mich über mein Vaterland in Verhör; erkundigt sich nach allen darin angesehenen Familien auf das genaueste, und wie wir damit fertig sind, muß endlich auch sogar der Statthalter kein schlechtes bißchen herhalten. Kurz, er trieb das Ding so lange, bis er sah, daß mich die Müdigkeit von meiner Reise und seinem ewigen Gespräche ganz unter hatte, daß ich mitten in der Rede vor Schlaf stockte und stotterte und stammelte und gar nicht mehr wußte, was ich sprach, dann hob er an: »Ei wirklich, sind Sie doch auch so müde von Ihrer Reise, daß Sie nicht einmal mehr das Essen abwarten können! Das tut mir ja leid, aber zwingen Sie sich meinetwegen nicht. Machen Sie keine Umstände, gehen Sie, gehen Sie immer und legen Sie sich aufs Ohr.« – Damit entließ er mich, und froh, daß ich nur des filzigen Alten Plauder- und Hungermahl entkam, taumelte ich voll Schlafs, aber mit leerem Magen (denn kahle Gespräche machen nicht satt) auf mein Zimmer zurück und ergab mich der sehnlich erwünschten Ruhe.
Sobald nach vertriebener Nacht die aufgehende Sonne den Tag erneuet, erwache ich und verließ mein Bett voll ängstlicher Begierde, die Seltenheiten und Wunder der Stadt zu sehen. Der Gedanke, daß ich mitten in Thessalien, der Magie weltbekannter Heimat mich befände, und die Erzählung, wozu diese Stadt den ehrlichen Aristomenes veranlaßt hatte, befeuerten meine ohnehin heiße Phantasie noch mehr, und mit höchst gespannter Neugier staunte ich links und rechts alles mit großen Augen an.
Es war in ganz Hypata nichts, welches ich für das, was es war angesehen hätte. Alles und jedes mußte durch Hexerei in eine andere Gestalt verwandelt worden sein. Die Steine sogar, die ich antraf, hielt ich für vormalige Menschen. Die Vögel, die ich singen hörte, die Bäume, die im Zwinger standen, die Brunnen in den Gassen schienen mir alle ebensoviel befiedert, belaubte, zu Wasser zerflossene Menschen zu sein. Ja, ich erwartete, daß Bilder und Statuen einherspazieren, Wände reden, Ochsen und Vieh weissagen und vom Himmel herab mit einemmal aus der Sonnenscheibe Göttersprüche erschallen sollten.
So in schwärmerischen Vorstellungen entzückt oder vielmehr von übernatürlichen Wünschen verrückt, schwindelte ich umher, ohne auch nur eine Anzeige oder überhaupt eine Spur von alledem anzutreffen, was ich mir einbildete.
Ich taumelte wie ein Betrunkener Straße auf, Straße ab, bis ich endlich ganz unvermutet auf den Marktplatz komme.
Ein Frauenzimmer, von sehr vielen Bedienten umgeben, zog da meine Augen auf sich, und ich beschleunigte meine Schritte, sie einzuholen. Kostbarer Schmuck und goldbestickte Kleider verrieten in ihr eine sehr vornehme Frau. Zu ihrer Seite befand sich ein Herr, schon ziemlich in Jahren.
Dieser ward mich nicht sobald gewahr, als er rief: »Beim Hercules, das ist ja Lucius!«
Er umarmte mich sogleich und raunte dann der Dame, ich weiß nicht was, ins Ohr.
»Wollen Sie nicht«, sprach er jetzt, »näher herzutreten und hier eine Anverwandte begrüßen?«
»Ich weiß nicht, ob ich es mich unterstehen darf, da ich nicht die Ehre habe, sie zu kennen«, antwortete ich und blieb stehen, indem ich errötend die Augen niederschlug.
Die Dame lenkte ihre Blicke auf mich und sagte: »In der Tat, das ist der Sohn der vortrefflichen Salvia! Sie leibt und lebt in ihm. Ist doch sein ganzer Körper in unaussprechlichem Ebenmaß gebildet! Just die rechte Größe, die rechte Stärke! Welch eine sanftgemischte Gesichtsfarbe! Welch natürlich gelocktes blondes Haar! Die blauen Augen, wie voller Leben, voller Feuer, gleich den Augen des Adlers! Wie schön in allem. Betrachte! Wie edel, wie ungezwungen sein ganzes Wesen! Ich freue mich, Sie wiederzusehen, mein lieber Lucius«, redete sie mich endlich an, indem sie auf mich zukam. »Oft genug habe ich Sie sonst auf meinen Armen getragen; denn Sie sehen in mir eine Blutsverwandte Ihrer Mutter, die mit mir zusammen auferzogen worden ist. Wir stammen beide von Plutarchs Geschlechte ab und sind dazu Milchschwestern. In geschwisterlicher Eintracht und Gleichheit sind wir miteinander aufgewachsen, und nur unsere Verehelichung hat einen Unterschied zwischen uns gemacht; in dem sie einen vornehmen, ich aber einen Privatmann geheiratet. Ich bin die Byrrhenna, deren Namen Sie vielleicht oft von Ihren Erziehern gehört haben. Sie sind mir höchst willkommen, lieber Lucius, und Sie dürfen das Gastrecht nirgends anders als bei mir nehmen!«
Da sich während ihrer Rede meine Röte und Verlegenheit wieder verloren hatten, so antwortete ich:
»Für diesmal muß ich es sehr verbitten, liebe Tante! Ich würde sonst meinen Wirt Milo beleidigen, der mich sehr höflich bei sich aufgenommen hat. Indessen, sooft ich künftig wieder hieher reise, soll mir gewiß nichts angelegener sein, als dieser Gastfreundschaft unbeschadet Ihren Befehlen zu gehorchen und bei Ihnen abzusteigen.«
Unter diesen und anderen gegenseitigen Komplimenten gelangten wir zu Byrrhennens Wohnung, die nur wenige Schritte entfernt war. Ich wurde in einen überaus schönen Saal geführt.
In jeder der vier Ecken desselben stand eine Säule mit einer Victoria. Die Flügel ausgebreitet, den einen ihrer rosigen Füße zum eilenden Schritt vorgeworfen und mit der Spitze des andern eine rollende Kugel kaum noch berührend, schien die Göttin jetzt emporzufliegen.
Mitten im Saale prangte eine Diana aus parischem Marmor. Man kann nichts Herrlicheres sehen! In vollem Laufe, das Gewand flatternd im Winde, fällt sie gleich beim Hereintreten ins Auge und jagt durch überirdische Majestät Ehrfurcht und Schrecken ein. Hunde, aus demselben Steine gebildet, sitzen zu ihren Seiten. Drohend blicken sie um sich, recken die Ohren, halten die erweiterten Nasenlöcher in die Höhe, schnuffeln und schnaufen, und erschallt irgend aus der Nachbarschaft ein Gebell, so glaubt man getäuscht, es aus ihren Marmorrachen zu hören. Worin sich aber der vortreffliche Bildner am meisten hervorgetan, das ist in der Stellung dieser Tiere. Gleichsam in völligem Sprunge schweben Brust und Vorderläufe in der Luft, die Hinterfüße stehen auf.
Hinter dem Rücken der Göttin steigt ein Fels empor und wölbt eine Grotte allenthalben mit Moos, Kräutern und Blättern, Stauden, Reben und blühenden Gesträuchen, wiewohl auch nur von Stein, verwachsen und bis in das Innerste von dem Abglanze der marmornen Bildsäule erleuchtet. Um den Eingang der Grotte ziehen sich verwebte Ranken mit Früchten und meisterlichst gearbeiteten Weintrauben, in denen die Kunst so mit der Natur wetteifert, daß sie der Wahrheit gleich sind. Hauchte der mostreiche Herbst die Farbe der Reife über sie, man würde lüstern die Hände nach ihren Beeren ausstrecken. Und neigte man über die Quelle sich hin, welche unter dem Fußtritte der Göttin entspringt und rieselnd sich weiterergießt, so glaubt man, es gebreche derselben so wenig als den herniederhangenden Reben mit ihren Trauben, bei den übrigen Merkmalen der Wahrheit, auch nicht einmal die Bewegung.
Unter dem verschränkten Laube hervor erblickt man den Actäon[18]. Schüchtern, als wäre er schon Hirsch, richtet er seinen vorwitzigen Blick auf die Göttin und hofft, sie jetzt im Marmorquell baden zu sehen.
Indem ich dies alles mit Verwunderung und ausnehmendem Vergnügen nicht oft genug betrachten konnte, sagte Byrrhenna zu mir: »Sehen Sie dies alles als Ihr eigen an« – Und mit den Worten läßt sie alle übrigen hinausgehen.
Als wir nun ganz allein waren, sprach sie:
»Bei Dianen! liebster Lucius, ich bin um Ihretwegen in tausend Ängsten und wie um meinen eigenen Sohn bekümmert! Oh, hüten Sie sich vor Pamphilen, vor Ihres Wirtes Frau! Nehmen Sie sich äußerst vor ihren bösen Künsten und schändlichen Verführungen in acht! Sie gilt in der ganzen Stadt für eine Erzzauberin, eine recht ausgelernte Meisterin der Schwarzkünstelei, die durch das bloße Anhauchen gewisser Kräuter und Steinchen und solcherlei Kleinigkeiten imstande ist, das Licht des Sternenhimmels in die Tiefen des Tartarus zu versenken und hinwiederum das alte Chaos hervorzurufen. Sieht das Weib irgendeinen schönen jungen Menschen, gleich steht sie in voller Glut, hängt mit Blick und Seele an ihm und lockt ihn so lange durch alle ersinnliche Schmeichelei an sich, bis sie ihn endlich fängt; dann legt sie ihn in unzerreißliche Liebesbande. Ist ihr Bestreben aber umsonst und bleibt der Gegenstand ihrer Zuneigung unbeweglich oder entspricht er in seiner Leidenschaft nicht der von ihr gefaßten Erwartung, so verwandelt sie ihn voller Unwillen in einen Stein, ein Tier oder was ihr sonst einfällt. Ach, und wie manchen hat sie nicht gar aus dem Wege geräumt! Lassen Sie sich das von mir, lieber Lucius, zur Warnung gesagt sein; denn verliebt wie Ihre Wirtin ist, ist Ihre Jungend und Schönheit gerade ihre Sache.«
Also Byrrhenna zu mir in aufrichtiger Besorgnis.
Inzwischen wollte die Standrede bei mir nicht verfangen. Vielmehr ging mir das Herz auf, alsobald ich nur ein Wort von Magie hörte, und weit gefehlt, Pamphilen darum zu meiden, stach mich erst der Kitzel recht zu ihr, es koste was es wolle, in die Lehre zu gehen und also geraden Weges in den Abgrund des Verderbens hineinzurennen.
Kurz, ich mache mich in dem Schwindel eiligst von der Hand Byrrhennens wie von einer Kette, die mich zurückhielt, los, nehme plötzlich Abschied und fliege in aller Geschwindigkeit heim in mein Quartier. Unterwegs sprach ich bei mir selbst, während ich wie ein Unsinniger lief:
»Jetzt Lucius, aufgeweckt und fein bei dir! So eine erwünschte Gelegenheit, deinen alten Durst nach Wundern zu löschen, bekommst du nicht wieder. Nur alle kindische Furcht beiseite! Tritt, so nahe du kannst, hinzu und beschaue dir alles recht beim Lichte. Zwar mit deiner Wirtin mußt du dir nichts zu schaffen machen. Ehre als ein rechtschaffender Kerl des redlichen Milos Ehebette. Inzwischen auf Fotis keck den Angriff gewagt! Das Mädchen ist hübsch und wohl ebensowenig dumm als hartherzig. Gestern abend wenigstens, als du schlafen gingst und sie dich zu Bette brachte, war sie ziemlich scherzhaft und zutunlich; schien ganz zärtlich, als sie dich zudeckte und zur guten Nacht auf den Kopf küßte, und mich dünkt, ihre Mienen, ihr öfteres Umsehen beim Hinausgehen und ihr Stehenbleiben in der Tür sagten auch deutlich genug, daß sie weit lieber bei dir geblieben als weggegangen wäre. Frisch also, Glück und Stern an Fotis versucht!«
Unter dem Selbstgespräche und mit dem Entschluß komme ich zu Milos Wohnung. Weder er noch seine Frau war zu Hause.
Ich finde meine teure Fotis ganz allein in der Küche vor der Anrichte, wo sie ihrer Herrschaft ein Ragout zubereitete, dessen lieblicher Geruch mir schon von weitem den Mund wässerig machte.
Sie hatte ein nettes Leinenkleid an und war dicht unterm Busen mit einer schönen, fleischfarbenen Binde hoch und zierlich gegürtet.
Soeben schwenkte sie mit niedlichen Händen die Kasserolle um, worin sie das Essen zurechtmachte. Durch ihre rasche Bewegung gerieten alle ihre zarten Glieder, gleich Gallert, in das sanfteste Beben. Hin und her wallten die wohlgepflegten Lenden, und wollüstig zitterte unter ihnen die runden Hüften.
Ich stutzte bei dem Anblick und erstarrte fast vor Erstaunen und Bewunderung. Jeder schlummernde Sinn erwachte und empörte sich. Endlich rief ich:
»Ei, allerliebst, Fotis! Ja, mit solchem regen Kreuz läßt sich schon das Kasseröllchen schwenken und was Gutes zubereiten! Oh, wahrhaftig, mehr als glücklich, wer da nur mit dem Finger hineintunken darf!«
Das Mädchen, dem es gar nicht an Maulwerk fehlte, sah sich sogleich mit schelmischer Miene nach mir um und versetzte schalkhaft:
»Lassen Sie mich ungeneckt, mein schöner Herr, und verbrennen Sie sich nicht an meinem Herde, oder es wird Ihnen schlecht ergehen. Niemand als ich kann Ihnen dann helfen, und unerachtet ich gleich geschickt im Bette als in der Küche bin, so dürft’ ich Sie doch wohl ein wenig zappeln lassen.«
Ich ließ mich hierdurch nicht abschrecken, sondern blieb stehen und betrachtete mir ganz aufmerksam alle Reize dieses drolligen Mädchens. Ich schweige der übrigen, da ich für Kopf und Haar von jeher vorzüglich eingenommen gewesen. Bin ich in Gesellschaft, so sehe ich mich beständig danach um, und in der Einsamkeit habe ich im stillen meine Lust und Freude daran.
Der Grund, den ich mir von diesem Vorzuge anzugeben weiß, ist dieser:
Wäre der Kopf nicht der vornehmste Teil des Körpers, wie würde die Natur denselben so frei in die Augen fallen und, wie auf ein Fußgestelle, auf die Schultern erhoben haben? Das Haar aber ist durch seine eigentümliche Schönheit dem Haupte, was den übrigen Gliedern kaum nur der gesuchte Schmuck lachender Farben und prachtreicher Kleider ist. Ja, will eine Schöne recht sich sehen lassen und in all ihrem Reize erscheinen, so wirft sie die Bekleidung ab, jeglicher Schleier fällt: sie tritt allein in ihrer nackten Schönheit auf und vertraut mehr auf die Rosen ihrer Haut als auf das Gold ihres Gewandes. Allein (Frevel ist’s, es nur zu sagen, und niemals müßte sich ein Beispiel einer so abscheulichen Untat ereignen) entblößet das Haupt des schönsten Mädchens seines Haares, ihr raubt zugleich auch dem Gesichte all seine Liebenswürdigkeit! Und käme sie von dem Himmel hernieder, wäre sie aus dem Meere geboren und von den Wellen erzogen, ja wäre sie Venus selbst, umtanzt von den drei Huldgöttinnen, gefolgt von dem ganzen Volke der Amoretten, mit ihrem Gürtel geschmückt, duftete sie Zimt und tröffe von Balsam, ginge aber kahlköpfig einher, – gefallen könnte sie selbst Vulkan nicht. Im Gegenteil, was kann bezaubernder sein als ein Haar von schöner Farbe und blendendem Glanze, das hell in der Sonne blitzt oder nur einen sanften Widerschein von sich gibt und durch wechselnde Anmut seinen Anblick vervielfältigt; das jetzt wie Gold schimmernd, sanft zur Farbe des Honigs sich verdüstert, jetzt bei Rabenschwärze mit der Täubchen blauspielenden Hälsen wetteifert oder, gesalbt mit arabischem Wohlgeruch, von künstlicher Hand geteilt und glatt zurückgebunden, wie ein Spiegel des gegenüberstehenden Liebhabers Bild verschönert zurückwirft? Was kann man Edleres sehen, als wenn die Fülle desselben, in einem Schopf gewunden, den Scheitel krönt oder ringelnd über den Rücken hinabfließt? Kurz, die Würde des Haares ist so groß, daß, geht eine Schöne auch noch so geschmückt mit Gold, Stoff, Edelgesteinen und allem übrigen Staate und hat nur nicht für die Zierlichkeit ihrer Haare gesorgt, sie deswegen allein von niemand für angeputzt gehalten wird.
Meine Fotis trug die ihrigen mit einer glücklichen Nachlässigkeit geziert und war darum nur desto reizender. Aufgerollt am Ende und verloren auf dem Wirbel durch eine Schleife befestigt, fielen sie in ihrem ganzen Reichtum auf den Nacken herab, verteilten sich um den Hals herum und ruhten an desselben gekräuseltem Streif.
Ich konnte mich vor Übermaß der Wollust nicht mehr halten. Ich umfing Fotis und drückte den Spitzen ihrer Haare, wo sie sich über der Stirn in einen Knoten verschlangen, den honigsten Kuß auf.
Sie bog den Hals zurück, sah mich seitwärts mit durchtriebenen Augen an und sprach:
»He, kleiner Lecker, das ist bittersüße Ware! Lassen Sie die Näscherei, oder Sie werden sich mit dem zu vielen Honig endlich den Magen vergällen!«
»Wenn’s weiter nichts ist, immerhin!« versetzte ich. »Für einen einzigen Kuß von dir, du allerliebstes Mädchen, laß ich mich wohl lebendig auf diesen glühenden Kohlen braten.«
Mit den Worten drückte ich sie fester an mich und küßte sie. Und schon umschlang sie mich, von gleichen Trieben hingerissen und wie ich schmachtend von lechzendem Verlangen; schon sog ich ihren Zimtatem aus halbgeöffnetem Munde ein, saugte Nektar von ihrer der meinigen begegnenden Zunge und fühlte mich unwiderstehlich zum völligen Genusse der Wollust hingerissen, als ich ausrief:
»Ich sterbe, Fotis; erbarme dich, ich sterbe!«
Unter wiederholten feuervollen Küssen antwortete sie:
»Sei guten Muts! Dein Wunsch ist auch der meine, und später denn diesen Abend soll unser Vergnügen nicht verschoben sein. Sobald Licht angesteckt, bin ich auf deinem Zimmer. Jetzt geh und rüste dich zum Kampfe. Ich kündige dir Fehde auf die ganze Nacht an.«
Nach diesem und ähnlichem Gekose schieden wir voneinander.
Kaum war es Mittag, so schickte mir Byrrhenna zum Gastgeschenk einen fetten Schweinsbraten, fünf junge Hühner und einen guten Vorrat köstlichen alten Weins.
Ich rief gleich Fotis.
»Sieh hier«, sagte ich, »der Venus Ermunterer und Waffenträger, Bacchus, ist auch schon da. Schonen wir seiner heute nicht, auf daß er in uns alle träge Scham ertränke und rüstige Wollust dafür herbeischaffe! Denn frisch segelt das Schiffchen der Venus die Nacht hinunter, wenn nicht in der Lampe das Öl noch im Becher der Wein versiegt.«
Der Rest des Tages ging über dem Bade hin und dem schmalen Abendessen beim Milo, wozu ich eingeladen war.
Byrrhennens Warnung eingedenk, vermied ich bei Tische, soviel ich konnte, die Augen meiner Wirtin, und sah ich sie ja einmal ein, so war es so schüchtern, als ob ich in die Hölle blickte. Ich hielt mich dafür an Fotis schadlos; denn mit innigem Vergnügen schielte ich immer nach ihr hin, als sie hinter uns aufwartete.
Wie es etwas später hinkam, sah Pamphile die Lampe an und rief: »Ei, was werden wir morgen für Regen kriegen!« – »Woher weißt du denn das?« fragte der Mann. – »Das sagt mir die Lampe«, antwortete sie.
Milo fing darüber laut zu lachen an und sprach: »Potz Stern! Hab’ ich doch nimmermehr gedacht, daß wir an unsrer Lampe eine so kluge Sibylle[19] hätten, die auf ihrer Leuchterwarte alle Verrichtungen des Himmels und selbst die Sonne beobachtet!« – Darauf nahm ich das Wort.
»Oh, von dergleichen Weissagungen«, sprach ich, »hat man Beispiele die Menge. Sie lassen sich auch leicht erklären. Denn ist gleich dieses Feuer noch klein und nur durch Menschenhände angezündet, so waltet dennoch zwischen ihm und dem großen himmlischen Feuer (von dem es ursprünglich abstammt) eine starke Sympathie ob. Es kann daher nicht allein selbst durch geheime Ahnungen die Veränderungen des hohen Äthers vorauswissen, sondern sie uns auch recht wohl vorher verkündigen. Wir haben auch jetzt einen gewissen Chaldäer[20] bei uns zu Korinth, der die ganze Stadt mit seinen wunderbaren Antworten in Verwirrung setzt und den Leuten die Geheimnisse des Schicksals für Geld aufschließt. Er weiß auf ein Haar anzugeben, welcher Tag das eheliche Band am festesten knüpfe, welcher den Grund der Stadtmauern verewige, welcher dem Kaufmann vorteilhaft, welcher den Reisenden zu Lande und zu Wasser glücklich sei. Mir selbst hat er auf mein Anfragen über den Erfolg dieser Reise allerhand höchst wundersame und bunte Sachen prophezeit; denn er sprach bald von großem Ruhm, den ich erlangen, bald von einer sonderbaren, fast unglaublichen Geschichte, die mir widerfahren, bald von mancherlei Büchern, die ich schreiben würde.«
Milo lächelte und fragte:
»Wie sieht er denn aus und wie heißt er denn, dieser Chaldäer?«
»Es ist ein langer, schwarzbrauner Mann«, erwiderte ich, »und heißt Diophanes.«
»Ja, ja!«, sagte er, »es ist derselbe, der auch bei uns gewesen ist. Dem ehrlichen Kerl begegnete hier ein garstiger Streich. Er hatte sich von unseren Neugierigen schon ein hübsches Geld durch seine Wahrsagereien verdient und stand eines Tages mitten unter einer Menge Leute, denen er seine Orakel verkündigte, als mit einmal ein gewisser Kaufmann Cerdo zu ihm kommt und ihn um den besten Tag befragt, den er zu einer vorhabenden Reise zu erwählen hätte. Mein Diophanes, nach tausenderlei Krimskrams, bestimmt ihm einen Tag, und schon zieht der Kaufmann einen Beutel heraus, schüttet das Geld aus und fängt an, die hundert Denare aufzuzählen, die er für die Weissagung zu entrichten hat. Siehe, da drängt sich von hinterher ein junger Edelmann zu dem Seher hin, zupft ihn beim Rocke, und als dieser sich umsieht, fällt er ihm um den Hals und küßt ihn mit großer‚ Freude. Diophanes bewillkommnet ihn sogleich auch, nötigt ihn, niederzusitzen, und ganz außer sich über die plötzliche Erscheinung, vergißt er darüber sein vorhabendes Geschäft und sagt zu dem Edelmann: ›Welch eine Freude hab’ ich, Sie endlich wiederzusehen! Wann sind Sie angekommen‹ – ›Mit einbrechendem Abend‹, antwortet jener. ›Aber erzählen Sie mir doch auch, lieber Freund, wie es Ihnen zu Wasser und zu Lande ergangen ist, seit Sie so eilig von (der Insel) Euböa abfuhren?‹ – Der gute ehrliche Chaldäer, der noch gar nicht wieder bei sich selbst war, versetzte: ›Unsern Neidern und Feinden mag ich eine so grausame und wahrhaft ulyssische Reise nicht wünschen, als ich gehabt! Das Schiff, worauf wir fuhren, von Wind und Wellen gemißhandelt, verlor bald Ruder und Mast, und als wir es gleichwohl mit genauer Not an die jenseitige Küste treiben, strandete es und versank mit unsrer ganzen Habe in die Tiefe, kaum daß wir selbst noch mit dem Leben davonkamen. Alles, was wir noch durch das Mitleiden Fremder und durch die Bemühungen unsrer Freunde retteten, das nahmen uns kurz darauf Räuber wieder ab und erschlugen, noch dazu vor meinen Augen, meinen geliebten Bruder Arisuatus, der mit Tapferkeit sich ihnen widersetzte.‹ –
Derweilen Diophanes dies ganz betrübt erzählt, streicht mein Cerdo sachte sein Geld, das er bezahlen sollte, wieder ein und heidi, lauf, was du kannst, fort!
Nun ward mit einmal Diophanes aus seinem Traume wach und merkte, was für ein dummes Stückchen er hatte ausgehen lassen. Um so mehr, da wir Umstehenden alle ein lautes Gelächter aufschlugen.
Indessen wünsch’ ich von Herzen, Herr Lucius, daß der Chaldäer Ihnen nichts als Wahrheit möge prophezeit haben, daß Ihnen tausend Glück begegnen und Ihre Reise höchst ersprießlich sein möge!«
Während dieser endlosen Salbaderei des Milo seufzte ich stillschweigend und war bitter und böse, daß ich selbst das verdrießliche Gespräch aufgebracht, wodurch ich so um einen guten Teil des Abends und süßer Ergötzung kam.
Endlich riß dennoch meine Geduld aus, und ich sagte zu Milo:
»Überlassen wir den Diophanes seinem Schicksale, mag er doch ferner dem Meere und dem Lande alles Geld wieder entrichten, was er den Blöden durch Lug und Trug abgenommen hat! Ich bin von meinem gestrigen Ritte noch herzlich müde und bitte mir die Erlaubnis aus, etwas früher schlafen zu gehen.« – Und damit brach ich auf und begab mich in mein Zimmer, wo ich schon alles sehr artig zum Schmause zubereitet fand. Das Bedientenbett[21] aus der Stube genommen und ganz weit von der Tür weg in einen Winkel gesetzt, damit man uns in der Nacht nicht behorchen könnte. Neben meinem Bett ein wohlbesetztes Tischchen mit zwei Bechern, schon halb mit Wasser angefüllt und nur auf die Vermischung des Weines wartend. Nächstdem eine ansehnliche Flasche, die zum desto bequemeren Herausschöpfen mit recht weiter Mündung versehen. Kurzum, alles auf einen rechten Vorgeschmack zum Liebeskampfe eingerichtet!
Kaum war ich im Bette, so hatte auch schon meine Fotis ihre Frau zur Ruhe gebracht und flog mir, mit Rosen bekränzt und eine einzelne Knospe vor dem schwellenden Busen, in die Arme.
Nachdem sie mir den feurigsten Kuß auf die Lippen gedrückt, windet sie mir Kränze um die Schläfe und bestreut mich mit Blumen. Dann nimmt sie einen Becher Wein, mit Wasser vermischt, reicht mir ihn hin, läßt mich daraus nippen, und ehe ich ihn noch ganz geleert, zieht sie mir ihn wieder sanft vom Munde hinweg und schlürft mit leiblich zugespitzten Lippen, zärtlich auf mich die Augen gerichtet, wollüstig den Rest aus.
Zwei- und drei- und mehrmals wechselten wir also den Becher untereinander.
Bald war mir der Wein zu Kopfe gestiegen. Geist und Körper sehnten sich mit gleicher Ungeduld nach der Liebe süßen Spiel. Aus Übermaß von Mutwillen und brünstigem Verlangen schlug ich endlich meinen Rock zurück und zeigte meiner Fotis meinen leidlichen Zustand.
»Erbarme dich«, sagt’ ich, »und hilf mir beizeiten! Du siehst, ich bin ganz fertig, den Kampf ohne Gnade zu kämpfen, wozu du mich aufgefordert hast. Sobald ich Amors ersten Pfeil tief im Innern fühlte, spannte ich gleich aus voller Kraft meinen Bogen, daß Horn und Sehne springen möchten. Allein, willst du mir ganz meine Wünsche gestatten, so löse dein Haar, daß es dich frei umwalle, und überlaß dich also meiner Umarmung.«
Ohne Verzug werden Speisen und Geräte beiseitegeschafft und, aller Kleidung entblößt, die Haare entfesselt zur süßen Lust, steht Fotis da, wie Venus, die des Meeres Fluten entsteigt und lügenhaftzüchtig ihren marmornen Schoß, mit rosiger Rechten beschattet, nicht deckt.
»Auf denn«, ruft sie, »zum Kampf! Mutig zum Kampfe! Ich halte dir stand und weiche nicht. Zeige, daß du ein Mann bist, sei tapfer und stirb tötend; denn heute gibt’s keinen Pardon!«
Mit den Worten ist sie in meinem Bette, sitzt rittlings auf mir, und schäkernd läßt sie ihr reges Kreuz so lange spielen, bis unser Vergnügen den Gipfel erreicht, die Sinne uns übergehen und, in gegenseitiger Umarmung die Seele aushauchend, wir beide hinsinken.
Unter diesen und ähnlichen Kämpfen durchwachten wir die Nacht bis nahe an den Morgen. Frische Becher stärkten von Zeit zu Zeit die ermatteten Kräfte, reizten die Begierden wieder und erneuerten das Gefühl der Wollust.
Noch manche Nacht verfloß uns nach diesem Muster.
Eines Tages bat mich Byrrhenna sehr inständig zu sich zu Gaste. Ich lehnte es ab, soviel ich konnte! Allein sie bestand schlechterdings darauf. Was war zu tun? Ich mußte zur Fotis gehen und aus ihren Augen wie aus dem Fluge der Vögel mir Rats holen.
Sie sah es zwar ungern, daß ich mich weiter als einen Finger breit von ihr entfernte; inzwischen erteilte sie mir dennoch in Huld und Gnaden Urlaub.
»Aber höre«, sprach sie, »komm auch ja nicht so spät nach Hause; denn eine liederliche Rotte vornehmer junger Leute aus der Stadt macht des Nachts die Straßen unsicher, hin und wieder trifft man beständig in den Gassen Erschlagene an, und da die Truppen des Statthalters so weit von uns liegen, so ist dem Unwesen gar nicht zu steuern. Dein Staat und die Geringschätzung, die man hier gegen Fremde hegt, könnte dich leicht Nachstellungen aussetzen.«
»Ich bitte dich, sei dieserhalb ohne Sorgen, liebe Fotis«, antwortete ich. »Ich würde ja selbst darunter leiden, wenn ich dem Schmause vor dem Vergnügen, bei dir zu sein, den Vorzug gäbe. Und jetzt, da es gar darauf ankommt, dich von dieser Furcht zu befreien, werde ich gewiß um so früher wieder hier sein. Gleichwohl will ich nicht ohne Geleit gehen. Ich will meine Lenden mit meinem treuen Schwerte gürten, um doch im Notfall einige Bedeckung bei mir zu haben.«
Also geschah es, und ich begab mich zum Gastmahl.
Ich fand große Gesellschaft und, als in einem der ersten Häuser von Hypata, lauter schöne Welt.
Das Mahl war herrlich. Die Tischbetten glänzten vor Elfenbein und waren mit goldenen Decken überhangen. Die Pokale groß, von mancherlei schönen Formen, doch von gleicher Kostbarkeit. Hier prangte künstlich geschliffenes Glas, dort helles Kristall. Anderwärts schimmerte blankes Silber oder glühte das feinste Gold. Auch Bernstein, zu den schönsten Gefäßen ausgehöhlt, lud den Mund zu trinken ein. Kurz alles, was nur Reichtum und die seltenste Kunst vermag, war allhier anzutreffen.
Vorleger die Menge, alles aufs stattlichste gekleidet. Gerichte im Überfluß.
Zur Aufwartung die artigsten Mädchen und schönfrisierte und wohlgeputzte Knaben, die in Gemmengläsern fleißig alten Wein herumreichten.
Man brachte Licht, und das Tischgespräch nahm überhand, ward lebhaft. Man lachte, scherzte, witzelte hin und wieder.
Da fing Byrrhenna zu mir an:
»Nun, mein lieber Lucius, wie gefällt es Ihnen bei uns? Meines Wissens tun wir uns vor anderen Städten durch Tempel, Bäder und andere öffentliche Gebäude hervor. Auch haben wir ganz hübsche Einrichtungen. Übrigens hat man hier völlige Freiheit, zu leben, wie man will. Der Freund der großen Welt findet bei uns das geräuschvolle römische Leben, und wiederum, wer die Eingezogenheit liebt – die Ruhe und Stille des Landes. Wer sich nur in der Provinz ein Vergnügen machen will, der kommt zu uns gereist.«
»Ich stimme Ihnen in allem bei, liebe Tante, was Sie auch sagen«, antwortete ich. »In der Tat habe ich mich auch nirgends noch so frei gefühlt wie hier. Wenn nur die böse Magie nicht wäre! Um ihretwillen bin ich immer in Ängsten. Sie schleicht hier so im Finstern, daß kein Mensch sich davor in acht nehmen kann. Selbst die Toten in ihren Gräbern sollen nicht davor sicher sein; man holt Reste und Gliedmaßen von Leichen, von Brandstätten und Scheiterhaufen hinweg, den Lebendigen damit Unheil zuzufügen. Ja, die Schwarzkünstlerinnen sollen es sogar oftmals mit den Verstorbenen nicht zum Begräbnisse kommen lassen, indem sie die Leichen mit unglaublicher Geschwindigkeit während des Begräbnisses von den Bahren herunterstehlen.«
»Ei, was noch mehr ist«, fiel ein anderer ein, »nicht die Lebendigen einmal werden hier verschont. Ich kenne jemanden, der ein Lied davon singen kann. Der arme Teufel hat Nase und Ohren eingebüßt und ist jämmerlich entstellt.«
Die ganze Gesellschaft schlug bei den Worten ein mutwilliges Gelächter auf, und aller Augen suchten jemanden, der in einer Ecke des Saales ganz allein gelagert war. Dieser ward äußerst beschämt und böse. Er sprang auf, schimpfte und fluchte etwas in den Bart hinein und wollte fort.
»Oh, nicht doch, lieber Telerophon«, sprach Byrrhenna zu ihm, »Sie werden doch nicht böse werden und fortgehen wollen? Bleiben Sie bei uns, ich bitte Sie, und haben Sie nochmals die Höflichkeit, uns Ihre Geschichte zu erzählen damit mein Neffe Lucius auch das Vergnügen habe, sie zu hören!«
»Sie, Madame«, versetzte er aufgebracht, »sind immer die Güte und Verbindlichkeit selbst. Aber gewisser Leute unverschämte Grobheit ist nicht auszustehen.«
Indessen, Byrrhenna ließ nicht nach. Sie setzte ihm auf eine so einnehmende, unwiderstehliche Art zu und sagte ihm so viel Verbindliches, daß Telerophon, er mochte nun wollen oder nicht, sich endlich besänftigen und bequemen mußte, ihrem Verlangen ein Genüge zu tun.
Er legte den Teppich, worauf er lag, auf einen Haufen zusammen, stützte den Ellbogen darauf, richtete sich auf dem Bette etwas in die Höhe, erhob die Rechte mit einer Rednergebärde, indem er die beiden untersten Finger der Hand zumachte und die andern, vom Daumen gestützt, ausstreckte, und hub also an:
»Als ich noch minderjährig war, machte ich von Milet eine Reise nach den Olympischen Spielen, und da ich auch gern die merkwürdigsten Plätze dieser hochberühmten Provinz in Augenschein nehmen wollte, so durchzog ich Thessalien die Kreuz und Quer, bis ich endlich, von meinem bösen Schicksal geleitet, nach Larissa kam.
Mein Reisegeld war dünne geworden, und, um Mittel zu finden, die Schwindsucht meines Beutels zu heilen, rannte ich lange überall herum, bis ich mitten auf dem Markte einen langen alten Mann wahrnahm, der auf einem Steine stand und mit lauter Stimme ausrief:
›Wer einen Toten zu bewachen Lust hat, der melde sich und fordere, was er dafür haben will!‹
›Was höre ich da?‹ sage ich zu einem Vorübergehenden, ›pflegen denn hier die Toten davonzulaufen?‹
›Spottet nicht!‹ antwortete dieser, ›Ihr seid noch zu jung und unerfahren, Ihr würdet sonst wohl wissen, daß mitten in Thessalien, wo Ihr Euch jetzt befindet, es gar nichts Seltenes ist, daß alte Hexen den Toten das Gesicht abfressen, weil sie davon allerhand als Ingredienzien zu ihren Schwarzkünsteleien brauchen.‹
›Und könnt Ihr mir nicht sagen‹, erwiderte ich, ›worin eigentlich diese Leichenwache besteht?‹
›Vor allen Dingen‹, versetzte er, ›kommt es darauf an, daß man die ganze geschlagene Nacht hindurch wirklich wache. Nicht blinken darf man, geschweige denn ein Auge zutun. Die Blicke müssen beständig auf den Leichnam geheftet sein und nie davon abgewendet werden. Verdreht man nur das Schwarze im Auge, gleich hat sich ein Alräunchen herbeigeschlichen! Denn sie wissen so gut die Gestalt von allerhand Tieren anzunehmen, daß sie darunter den Augen der Sonne und der Gerechtigkeit[22] selbst entgehen könnten. Bald sind sie Vögel, bald Hunde, dann einmal wieder Mäuse, ja wohl gar Fliegen. Auch schläfern sie die Wächter durch gewisse Beschwörungsworte ein. Kurz, es läßt sich nicht alles sagen, was sie für Mittel und Wege anwenden, zu ihrem Endzweck zu gelangen! Bei alledem wird für dieses saure und gefährliche Geschäft niemals mehr als vier bis sechs Dukaten gegeben. Ach! und was ich bald vergessen hätte: Kann der Wächter andern Morgens die Leiche nicht unversehrt wieder abliefern, so ist er gehalten, alles dasjenige, was derselben abgebissen oder abgerissen worden ist, aus seinem eigenen Gesichte schneiden zu lassen, um den Schaden wiedergutzumachen.‹
Als ich dies gehört, ermanne ich mich alsbald und gehe an den Ausrufer heran.
›Höret nur auf zu schreien, guter Freund‹, sprech’ ich, ›hier ist schon ein Wächter! Wieviel wollt Ihr mir geben?‹
›Tausend Nummen‹[23], sagt er ›sollen für Euch zur Belohnung deponiert werden. Nur müßt Ihr auch die Leiche auf das allersorgfältigste vor den bösen Harpyien[24] bewachen; es ist der Sohn eines der Vornehmsten dieser Stadt!‹
›Alles nur Kleinigkeit, wahrer Spaß für mich!‹ antwortete ich. ›Denn Ihr müßt wissen ich bin von Stahl und Eisen und kenne gar den Schlaf nicht, wenigstens bin ich ganz Auge, ein echter Lynkeus, ein Argus‹[25].
Kaum daß ich ausgeredet, so nimmt er mich unverzüglich mit sich nach einem Hause, dessen Eingang versperrt war. Er läßt mich durch eine kleine Hintertür hinein und führt mich in ein düsteres Zimmer mit verhangenen Fenstern, wo eine Dame in Trauer saß und weinte.
Er trat zu ihr und sagte:
›Hier bringe ich Ihnen jemand, Madame, der sich anheischig gemacht hat, Ihren Gemahl wohl zu bewachen.‹
Die Dame strich die Haare zurück, die von beiden Seiten über ein Gesicht hingen, das selbst in der Betrübnis entzückend schön war, sah mich an und sprach:
›Oh, lieber Freund, ich bitte Euch, tut es auch ja mit aller Sorgfalt!‹
›Seien Sie unbesorgt, Madame‹, gab ich zur Antwort, ›und halten Sie mir nur ein gutes Trinkgeld parat!‹
Das versprach sie mir, stand darauf schleunigst auf und brachte mich in ein anderes Zimmer. Da stand die Leiche in schneeweiße Leilachen eingeschlagen. Nachdem sieben Zeugen herbeigeholt, schlägt die Dame die Tücher voneinander, weint eine Weile über dem Toten und ruft endlich die Anwesenden zu Zeugen an, daß der Körper durchaus unversehrt sei.
Sie zeigte, indem sie das tat, pünktlich ein Glied nach dem andern an, und ein Notarius protokollierte es auf der Stelle.
›Sehen Sie, meine Herren‹, sprach sie, ›daß nichts der Nase fehlt, den Augen nichts, daß die Ohren unversehrt sind, die Lippen unbeschädigt, daß ganz ist das Kinn? Seien Sie hiervon meine Zeugen!‹
Hierauf ward das Protokoll unterzeichnet, und die Dame ging hinweg.
›Nun, Madame‹, rief ich ihr nach, ›seien Sie so gut und lassen mir alles geben, was ich brauche!‹
›Und was ist das?‹ fragt sie.
›Eine große Lampe‹, sagt’ ich, ›mit zureichendem Öl, sie, bis es wieder hell wird, brennend zu erhalten, eine Flasche Wein nebst einem Glase und ein Tellerchen Brosamen von Ihrer Tafel.‹
›Geht‹, sprach sie und schüttelte den Kopf. ›Ihr seid nicht gescheit: Wie könnt Ihr Überbleibsel von Mahlzeiten in einem Trauerhause suchen, worin seit so vielen Tagen kein Rauch gesehen worden ist? Denkt Ihr etwa, Ihr seid zum Schmause hierher gebeten? Laßt Euch das nicht einkommen und setzt Euch lieber hin und weint und wehklagt, wie es sich an einem solchen Orte geziemt!‹
Hiermit wendete sie sich zu ihrem Mädchen und sagte: ›Myrrhina, gib im gleich eine Lampe und Öl!‹ Als dies geschehen, ging sie samt den andern aus dem Zimmer, und ich ward eingeschlossen.
Also allein zum Schutze der Leiche gelassen, reibe ich mir die Augen aus, und nachdem ich sie genugsam zum Wachen gerüstet, fang’ ich mir eins zu singen an, um mich vor Furcht zu verwahren. Darüber wird es dämmrig, finster, Nacht, und tiefer und tiefer Nacht. Je später hin, je grausiger.
Mit einmal, siehe, da kommt ein Wiesel herbeigekrochen! setzt sich mir gerade gegenüber und guckt mir so starr ins Gesicht, daß ich über die Keckheit eines so winzigen Tierchens um ein haar gänzlich die Fassung verloren hätte.
Doch rufe ich ihm endlich zu:
›Willst du wohl fort, du garstige Bestie? Willst du bald zu deinesgleichen, oder es soll dir übel ergehen! Willst du fort?‹
Damit das Wiesel wie der Blitz um und zur Stube hinaus. Aber auch nicht einen Augenblick darauf, befällt mich ein so tiefer Schlaf, daß der delphische Gott selbst nicht hätte unterscheiden mögen, wer, von der Leiche und mir, dem Scheine nach am mehrsten tot sei. Ganz sinnlos liegend und selbst eines Wächters bedürftig, war es so gut, als wär’ ich nicht da.
Eben störten die munteren Hähne mit ihrem kreischenden Geschrei die tiefe Stille der Nacht, als ich wieder erwachte.
Äußerst erschrocken, raffe ich mich auf, springe nach der Leiche hin, decke sie auf, beleuchte sie und wollte eben untersuchen, ob auch noch alles daran sei, was mir überliefert worden, als auch die betrübte Witwe mit den gestrigen Zeugen ängstlich zur Tür hereintritt, über den Körper hinfällt, oft und lange ihn küßt und beim Scheine der Lampe Musterung seiner Gliedmaßen hält.
Bald, so wendet sie sich um, ruft ihren Haushofmeister Philodespotus und befiehlt ihm, mir für die wohlgehaltene Wacht den ausgemachten Lohn nicht länger vorzuenthalten.
Er wurde mir auf der Stelle ausgezahlt, und sie setzte hinzu:
›Ich danke Euch höchlichst, junger Mensch! Ihr habt mir mit Eifer gedient, und beim Hercules, ich werde Euch beständig dafür unter meine Freunde zählen!‹
Von Freuden über einen so unerwarteten ansehnlichen Verdienst berauscht und mit schmachtendem Entzücken meine blanken Dukaten in der Hand von allen Seiten betrachtend, erwiderte ich:
›Zählen Sie mich lieber unter Ihre treuen Diener, Madame, und befehlen Sie, sooft Sie meine Dienste wieder brauchen.‹
Kaum habe ich das gesagt, so speien alle Hausgenossen über die böse Vorbedeutung aus und fallen stracks alle, jeglicher nach seiner Weise bewaffnet, über mich her. Der eine ohrfeigt mich brav mit den Händen ab, der andere zerbläut mir die Schultern mit dem Ellbogen, ein dritter versetzt mir mit geballten Fäusten derbe Rippenstöße. Man tritt mich mit Füßen, rauft mich bei den Haaren, zerreißt mir die Kleidung, mißhandelt, zerfleischt mich nicht minder denn den schönen Adonis oder den Sohn der pimpleischen Muse[26] und wirft mich zur Tür hinaus.
Derweilen ich mich in einer Nebengasse von dieser unsanften Behandlung wieder zu erholen suchte und meine unselige Rede leider nur ein wenig zu spät bedachte, auch mir selbst eingestand, daß ich von Rechts wegen wohl noch mehr Prügel dafür verdient hätte, derweilen war der Tote schon zum letzten Male zu Hause beweint und gerufen[27] worden, und langsam und mit großem Pompe, wie es bei Vornehmen nach Landes Brauch und Sitte zu geschehen pflegt, kam der Leichenzug über den Markt daher.
Zugleich lief ein alter Mann, der unter lautem Jammer sein ehrwürdiges Haar zerriß, aus Leibeskräften seitwärts hinzu, faßte die Bahre mit beiden Händen an und rief mit zwar starker, doch von Schluchzen unterbrochener Stimme:
›Hilfe, ihr Larissäer! Ich beschwöre euch bei eurem Bürgereide, bei eurer Liebe fürs Vaterland! Hilfe! Nehmt euch diese ermordeten Mitbürgers an und rächet nach der Strenge die allerschändlichste Tat an diesem abscheulichen Weibe! Denn sie, und kein anderer Mensch in der Welt, hat diesen Unglücklichen, der mein Schwestersohn ist, aus Liebe zu einem Buhlen und aus Lüsternheit nach seiner reichen Verlassenschaft mit Gift ermordet.‹
So der Greis, wimmernd und weinend.
Das Volk nahm Anteil an seinem Leid. Die Wahrscheinlichkeit des Vorwurfs machte es leichtgläubig gegen die Tat. Es ward wütend, rief nach Feuer, suchte Steine und hetzte die Jungen an, die Dame zu vertilgen. Mit erlogenen Tränen aber schwur diese hoch und teuer bei allen Gottheiten, dergleichen Schandtat sei ihr nie in den Sinn gekommen.
›So lassen wir‹, sprach der Greis wieder, ›die Entscheidung der Wahrheit auf die göttliche Vorsehung ankommen! Hier ist Zachlas, ein vornehmer ägyptischer Prophet[28]. Ich habe für ein Ansehnliches von ihm erhalten, daß er mir den Geist des Verstorbenen aus der Hölle zurückrufe und diesen Körper auf einen Augenblick wieder belebe.‹
Mit den Worten führt er einen Jüngling herbei, in Leinen gekleidet, Palmenschuhe an, und das Haupt über und über geschoren.
Er küßt’ ihm lange die Hände, umfaßte selbst seine Knie und sprach zu ihm:
›Erbarme dich, heiliger Priester, erbarme dich! Bei den ewigen Sternen des Himmels, bei den Gottheiten der Unterwelt, bei dem Urstoffe des ganzen Alls, bei dem nächtlichen Schweigen, bei Koptos’[29] Heiligtume, bei des Nils Anwachs, bei den memphitischen Geheimnissen und bei den pharischen Sistrums[30] – flehe ich zu dir: Wolle diesem Leichnam nur ein kurzer Genuß der Sonne verleihen! Wolle nur ein geringes Licht den ewig verschlossenen Augen wieder eingießen! Nicht, daß wir den Gesetzen der Natur widerstrebten noch der Erde ihr Eigentum verweigerten: nein, nur um des Trostes der Rache willen erbitten wir von dir diesen Augenblick Leben.‹
Durch diese Anrufung günstig gemacht, legt der Prophet dreimal ein gewisses Kraut dem Toten auf den Mund und ein anderes auf die Brust. Darauf kehrt’ er sich gen Aufgang und richtete ein Gebet an die Sonne, zwar nur stillschweigend, aber mit so vieler Feierlichkeit und Andacht, daß er allen Anwesenden die tiefste Ehrfurcht einflößte und eines jeden Geist vollkommen zur Erwartung des großen Wunders vorbereitete.
Sofort mischt’ ich mich unter die Menge, stellte mich dicht hinter der Bahre auf einen etwas erhabenen Stein und sah da mit neugierigen Augen dem ganzen Wesen zu.
Alsbald begann die Brust des Toten sich zu heben; es schlägt die Pulsader. Belebt ist die Leiche!
Sie richtete sich auf und sprach:
›Warum rufst du mich, ich bitte, zu einem augenblicklichen Leben zurück? Geleert war der lethäische[31] Becher, schon schwamm ich auf dem stygischen[32] Pfuhl. Laß mich, ich flehe, laß mich und störe mich in meiner Ruhe nicht!‹
Jedermann hörte ganz deutlich die Worte.
In großem Zorne antwortete der Prophet:
›Sage unverzüglich dem Volke an, wie es mit deinem Tode zugegangen ist, und bringe dies Geheimnis ans Licht, oder du sollst erfahren, daß selbst die Plagegöttinnen meine Beschwörungen hören und ich nach Belieben deine müden Glieder martern kann.‹
Da sagte der Aufgeweckte von der Bahre herab mit einem tiefen Seufzer zum Volke:
›Durch die Schandtat meiner vor kurzem genommenen Frau bin ich ums Leben gekommen. Sie hat mir Gift in den Trunk getan, damit ich mein Hochzeitbett noch ganz warm einem Ehebrecher einräumte.‹
Hierauf raffte sich das saubere Weibsbild zusammen, trat ihrem Manne frech unter die Augen und hieß ihn mit der gottlosesten Dreistigkeit lügen und zankte sich tapfer mit ihm herum.
Das Volk tobt, ist geteilt.
Einen solchen Ausbund von Weibern müsse man gleich mit dem Manne lebendig begraben, rufen die einen.
Die Aussage eines Toten verdiene keinen Glauben, die andern.
Allein alles kam aufs reine durch folgende Rede der Leiche:
›Ich will‹, hub sie an, abermals tief seufzend, ›ich will euch sonnenklare Beweise geben, daß ich nichts als die lautere Wahrheit rede. Hört, was niemand sonst weiß als ich.‹
Hiermit zeigt sie mit dem Finger auf mich und fährt also fort:
›Diese Nacht, als dieser, mein treuer Hüter in seinem besten Wachen war, kamen alte Hexen und trachteten meinem Körper nach. Allein nachdem sie sich öfters in allerlei Gestalten verwandelt und doch seine genaue Achtsamkeit in nichts täuschen konnten, so warfen sie endlich einen Schlummernebel um ihn, vergruben ihn in den allertiefsten Schlaf und hörten dann nicht auf, mich bei Namen zu rufen, bis endlich meine kalten, erstarrten Glieder langsam und träge sich anschickten, der Magie zu gehorchen. Doch vor mir war auf das Gerufe dieser hier, der einerlei Namen mit mir führt, im Schlafe schon aufgestanden und wie ein Toter zur Tür gegangen. Allda schneiden ihm die Hexen durch das Schlüsselloch Nase und Ohren an meiner Statt ab und setzen ihm zur Verhehlung des Betrugs dergleichen aufs ähnlichste aus Wachs verfertigt, ganz genau wieder an. Er kann es selbst bezeugen. Betrachtet ihn nur, da steht er, der Unglückliche, mit dem Gelde in der Hand, das er minder der Wacht, als seiner Verstümmelung wegen verdient hat.‹
Betroffen über die Neuigkeit, fuhr ich gleich, die Wahrheit zu untersuchen, mit der Hand zur Nase; sie blieb darin, ich faßte an die Ohren, sie fielen ab. Ich war wie mit kaltem Schweiße begossen.
Da hätte man das Fingerzeigen, das Gegucke, das Gelache sehen sollen!
Allein wie ein Blitz bückte ich mich und verschwand unter der Menge.
Und von der Zeit an habe ich mich zu Hause nicht wieder blicken lassen; denn ich war auf eine zu lächerliche Art entstellt. Ich habe die Haare auf beiden Seiten über die Schultern herunterhängen lassen und auf die Art den Mangel der Ohren verhehlt. Der fehlenden Nase Übelstand aber habe ich bestmöglichst durch dies säuberlich aufgeklebte Pflaster zu maskieren gesucht.«
Sobald Telerophon seine Geschichte geendigt, erhoben die Zechbrüder alle von neuem ein großes Gelächter und fingen dann wieder an, allerhand Gesundheiten zu trinken.
Unterdessen sagte Byrrhenna zu mir:
»Morgen haben wir einen Tag, der unsrer Stadt von ihrer Erbauung an feierlich ist. Wir allein unter den Sterblichen begehen an demselben mit lustigen und fröhlichen Gebräuchen das Fest des heiligen Gottes des Lachens. Ihre Gegenwart, lieber Neffe, wird dabei unser Vergnügen vermehren. Besonders würden Sie uns aber verpflichten, wenn Sie als ein witziger Kopf etwas erfinden wollten, was zur Verherrlichung unseres Gottes beitragen könnte.«
»Mit Freuden, Madame, werde ich Ihrem Befehle nachkommen«, erwiderte ich, »und glücklich mich schätzen, wenn ich eines Einfalls fähig bin, der einer so großen Gottheit wohlgefallen mag!«
Jetzt erinnerte mich mein Kerl, daß es spät sei. Ich erhob mich also und empfahl mich bei Byrrhennen.
Beim Zechen hatte ich mich nicht geschont, ich taumelte, als ich nach Hause ging. Und zu unserm Verdrusse blies uns auch der Wind an der ersten Straßenecke das Licht in der Laterne aus. Pechfinster war’s. Was haben wir uns nicht da Zehen und Schienbeine zerstoßen und hundsmüde gelaufen, ehe wir uns wieder zu finden wußten!
Endlich, als wir in die Gasse kamen, wo wir wohnten, sahen wir drei große starke Maschinen wider unsre Tür mit Gewalt Sturm rennen. Unsere Dazwischenkunft zerstreute sie im geringsten nicht. Vielmehr schienen sie nur desto geflissener in ihrem Bestreben, miteinander zu wetteifern.
Wir dachten nicht anders, als daß es die entschlossensten Banditen wären.
Besonders war ich ganz fest davon überzeugt; also gleich meinen Degen unter dem Rocke hervor, wo ich ihn schon bar und blank trug, und unter sie hinunter. Ich hieb und stach fürchterlich um mich herum, bis ich endlich meine Gegner alle drei, wie sie mir im Kampfe begegnet, vor meinen Füßen, zerstochen und zerfetzt, den Odem aushauchen sah.
Fotis, vom Tumulte erwacht, öffnete eben die Tür, als das Gefecht zu Ende war. Keuchend und triefend von Schweiß, schleppte ich mich hinein, und ermüdet von dem Siege über die vermeinten Banditen, als ob ich den dreifachen Geryon[33] bekämpft hätte, übergab ich mich alsbald dem Bette und der Ruhe.
Eben fuhr Aurora ihren Rosenarm über das purpurne Gespann geschwungen, den Himmel herauf, als mich, der sorgenlosen Ruhe entrissen, die Nacht dem Tage wiedergab.
Erinnerung der gestrigen Tat überströmte mein Gemüt mit Angst und Sorge
Mit übereinandergeschlagenen Füßen, die gefalteten Hände auf die Knie gestemmt, saß ich ganz krumm zusammen auf meinem Bette und weinte bitterlich. Ich stand schon im Geiste vor dem hochnotpeinlichen Halsgerichte, sah jede herzerschütternde Formalität, sah den Henker immer im Hintergrunde.
»Wo ist der gelinde, der gnädige Richter, der dich von einem dreifachen Morde, von dem Blute so vieler Bürger, womit du befleckt bist, lossprechen könnte? Ach, war dies der Ruhm, welchen der Wahrsager Diophanes dir so zuverlässig auf deiner Reise verhieß?«
Also sprach ich mehrmals zu mir selber, aus Herzensgrund über mein trauriges Geschick heulend.
Unterdessen ließ sich ein wiederholtes Geklopfe an der Haustür hören und lautes Geschrei und Getümmel in der Gasse. Es währte nicht lange, so brach man zum Hause herein, und alles war mit Magistratspersonen und Gerichtsdienern nebst einem zahlreichen Gefolge von allerlei Leuten angefüllt.
Auf obrigkeitlichen Befehl bemächtigten sich meiner sofort zwei Schergen und schleppten mich, ohne daß ich im geringsten widerstrebte, davon.
Sie waren mit mir noch nicht ganz das Viertel der Straße hinunter, so war schon die ganze Stadt in Aufbruch und zog in dickem Schwarme hinter uns her.
Den Kopf zur Erde gesenkt oder, wenn ich so sagen darf, zur Hölle hinabgebeugt, ging ich tiefbetrübt dahin. Als ich jedoch einmal auf die Seite blickte, war ich die sonderbarste Sache von der Welt gewahr. Wenn doch unter so vielen tausend Menschen, welche sich um mich herumdrängten, auch nur ein einziger gewesen, der nicht vor Lachen hätte bersten mögen!
Endlich, nachdem wir lange genug von Gasse zu Gasse gezogen und ich, wie ein Sühnopfer[34], durch alle Winkel der Stadt in Prozession geführt worden, so wurde ich auf dem Markte vor den Richterstuhl gestellt.
Schon saß der ganze Magistrat auf seinem erhabenen Gerüste, schon gebot der Stadtherold Stillschweigen, als mit einmal alle Anwesenden einstimmig riefen: »Die Versammlung ist zu groß, das Gedränge gefährlich, dies so wichtige Gericht muß auf dem Theater gehalten werden!«
Unverzüglich schwärmte der ganze Haufen des Volks dahin.
Sitze, Gänge, das Dach sogar ward in weniger als einem Augenblick bis zum Ersticken angefüllt.
An den Säulen empor kletterte man, man saß auf Statuen, lag ganz oben aus den Kaplöchern und Fenstern bis über den halben Leib heraus. Vor Begierde zu sehen blind, achtete niemand der Lebensgefahr.
Die Gerichtsdiener führten mich über die Bühne hinweg und stellten mich mitten in das Orchester.
Abermals gebot der Herold mit brüllender Stimme Stillschweigen und lud den Ankläger vor.
Ein alter Mann stand auf.
Man füllte die Wasseruhr, um ihm die Zeit zu bestimmen, welche er zu reden, und er sprach also zum Volke:
»Ich habe euch, meine Mitbürger, eine höchst wichtige Sache vorzustellen. Eine Sache, welche die Ruhe der ganzen Stadt betrifft und die uns allen zu einer ernsten Warnung gereichen muß. Um so mehr ziemt es sich, daß ihr insgesamt dem öffentlichen Ansehen gemäß dahin trachtet, daß dieser verruchte Mörder für das Blut so vieler Bürger mit eben der Strenge gestraft werde, als mit Grausamkeit er es vergossen hat. Glaubt indessen nicht, daß ich, nur von Privathaß angetrieben, meiner eignen Feindschaft durch diese eifrige Anklage Genüge zu leisten suche! Ich bin der Hauptmann der Scharwache, ich tue nur meine Pflicht, die ich jederzeit mir der pünktlichsten Treue erfüllt habe. Hier ist die Sache, wie sie sich in vergangener Nacht zugetragen hat, ganz unverfälscht! Ich mache um Mitternacht mit möglichster Aufmerksamkeit meine Runde durch die Stadt; da sehe ich diesen schändlichen Burschen mit blankem Degen wie wütend um sich herumhauen, und drei Leute an der Zahl stürzen zu seinen Füßen, wälzen sich zappelnd in ihrem Blute und geben den Geist auf. Diese erschreckliche Tat vollbracht, säumte er nicht, sich zu retten. Unter dem Schleier der Finsternis wischte er zu einem Haus hinein, worin er die ganze Nacht verborgen blieb. Allein die Vorsehung der Götter, welche jegliche Missetat an den Schuldigen heimsucht, machte, daß ich ihn diesen Morgen ganz früh, bevor er durch heimliche Schliche entrinnen konnte, belauerte. Hier stelle ich ihn vor euer allerheiligstes Gericht. Seht da einen Missetäter, der mit dreifachem Morde befleckt, der auf der Tat ertappt worden und der noch dazu ein Fremder ist! So richtet denn kühn über ihn, über diesen Fremden, in einem Verbrechen, das selbst an einem einheimischen Bürger mit exemplarischer Strenge müßte geahndet werden«
Nachdem mein Ankläger also mit heftiger Stimme gesprochen hatte, schwieg er still.
Nun ward ich vom Herold aufgefordert, was ich dagegen zu antworten hätte, vorzubringen. Allein noch mochte ich nichts denn weinen, und das wahrlich nicht sowohl um der gräßlichen Anklage willen als wegen meines verletzten Gewissens.
Doch endlich kam mir die Kühnheit und Kraft von oben herab, und ich begann:
»Ich fühle nur allzusehr, welch eine schwere Sache es sei, hier neben den hingestellten Leichen dreier Bürger, wegen deren Ermordung ich angeklagt werde, durch aufrichtige Aussage der Wahrheit und selbst durch Eingeständnis der Tat eine so zahlreiche Versammlung von meiner Unschuld zu überzeugen. Gleichwohl, wenn Sie, meine Herren, mir auf wenige Augenblicke ein geneigtes Gehör vergönnen wollen, so bin ich gewiß, Ihnen auf das deutlichste zu erweisen, daß ich mich keineswegs durch eigenes Verschulden jetzt in dieser Lebensgefahr befinde, sondern daß allein ein unglücklicher Zufall über einen nur allzu gerechten Unwillen den Schein eines Verbrechens verbreitet. Gestern, als ich ganz spät von einem Schmause, wobei ich (die Wahrheit zu gestehen) ein wenig zu viel getrunken hatte, nach Hause gehe, sehe ich drei Räuber vor dem Haus des Milo, eines Ihrer biedern Mitbürger, bei dem ich logiere. Sie sind über die Tür her und suchen sie mit aller Gewalt zu erbrechen oder aus den Angeln zu heben. Schon stürzen Riegel und Schlösser gesprengt zur Erde, und sie beratschlagen untereinander über den Tod der Einwohner des Hauses. ›Hört Kerls!‹ spricht einer von ihnen, der mannhafter und von größerer Taille schien als die übrigen, ›laßt uns sie wacker und frisch im Schlafe anfallen. Kleinmut und Feigheit weiche aus unserem Herzen, und Mord wandle mit gezücktem Dolche durchs ganze Haus! Erwürgt werde, wer im Schlafe liegt, und das Schwert schlage den ,der sich zu verteidigen aufsteht. Nur dann können wir mit Sieg gekrönt und Beute beladen sicher wiederum zurückziehen, wenn wir niemandes im ganzen Hause geschont haben!‹ Ich leugne es nicht, meine Herren (ich glaubte als ein braver Bürger zu handeln, ich glaubte es meinen Wirten, glaubte es mir selber schuldig zu sein), ich griff diese Banditen mit dem Degen an, den ich aus Vorsicht mitgenommen hatte, um im Notfall nicht wehrlos zu sein; ich dachte sie in Schrecken zu setzen und zu verjagen. Allein die verruchten Bösewichter gedachten an keine Flucht! Als sie mich mit bewehrter Faust auf sich zukommen sahen, machten sie Front gegen mich und leisteten tapfern Widerstand. Nach einem hartnäckigen Gefechte drang endlich ihr Rädelsführer auf mich ein, faßte mich mit beiden Fäusten bei den Haaren und zog mich nieder; indem er aber nach einem Steine ruft, mir den Rest damit zu geben, bringe ich ihm einen tödlichen Stich bei und strecke ihn glücklich zu Boden. Dem andern, der sich unterdessen in meinen Füßen verbissen hatte, stoße ich gleich darauf den Degen durch den Rücken, und der dritte rennt sich ihn selbst durch die Brust, indem er ganz blindlings auf mich hineinläuft. Nachdem ich dergestalt die öffentliche Sicherheit wiederhergestellt, meines Gastfreundes Haus und unser beiderseitiges Leben geschützt hatte, fiel es mir nur nicht ein, daß ich eine strafbare Handlung begangen hätte, wohl aber eine Tat, die eher des öffentlichen Lobes und Dankes würdig sei. Dieser Gedanke stand mir um so mehr zu, da ich niemals in meinem Leben auch nicht des mindesten Verbrechens beklagt, sondern beständig in meinem Vaterlande als ein Bürger von unsträflichem Wandel geachtet worden bin, der jederzeit ein reines, unbeflecktes Gewissen jeglichem Gewinne vorgezogen hat. Auch kann ich bis jetzt nicht begreifen, wie ich durch die allergerechtsamste Rache von der Welt an so abscheulichen Banditen mein Leben sollte verwirkt haben? Kann doch niemand erhärten, daß Privatfeindschaft zwischen uns obgewaltet, noch daß mir überhaupt dieses Gesindel nur bekannt gewesen! Kann doch niemand auch nur einen Strohhalm hervorzeigen, dem zu Begier ich eine solche Mordtat begangen haben möchte!«
Nach dieser Rede flossen meine Tränen aufs neue, und mit ausgestreckten Händen bat ich gar tragisch bald diese, bald jene um der allgemeinen Menschenliebe willen, um ihrer Kinder willen, sich meiner zu erbarmen.
Bereits sollte nach meinem Gutdünken jedes Herz gebrochen und genugsam zu Tränen gerührt sein. Ich rufe also das Auge der Sonne und der Gerechtigkeit zu Zeugen an und befehle mich möglichstem Pathos meine Sache der göttlichen Vorsehung.
Allein indem ich dabei meine Augen aufschlage, seh’ ich das ganze Volk im herzlichsten Gelächter begriffen und mitten darunter meinen teuren Gastfreund Milo sich ganz vor Lachen ausschütten.
»Da sehe man«, sprach ich betroffen und stillschweigend bei mir selbst, »da sehe man heutige Freundschaft und Dankbarkeit! Du gutwilliger Tropf machst dich, deinem Wirte das Leben zu retten, zum Mörder und läßt dich auf den Tod anklagen, und er, nicht zufrieden, dir weder Trost noch Hilfe zu verschaffen, lacht sich noch scheckig über deinen Untergang!«
Indem kommt ein Weib in Trauer mit einem kleinen Kinde auf dem Arm heulend und schreiend über das Theater gerannt und hinter ihr her noch eine alte Runkunkel im jämmerlichsten Aufzuge von der Welt und mit einem ebenso kläglichen Geschrei. Beide Ölzweige in Händen.
Sie stellen sich um das Bette, worauf die Leichen der Erschlagenen zugedeckt lagen, und erheben ein erbärmlich Geschrei und Wehklagen.
»Bei dem Mitleiden, das Bürger von Bürgern, bei dem Rechte, das Mensch von Menschen fordern darf«, riefen sie, »habt Barmherzigkeit mit diesen so schändlich ermordeten Jünglingen und schenkt uns armen betrübten Witwen den Trost der Rache! Zum wenigsten steht dieser unglücklichen Waise bei, die so beim Eintritt ins Leben aller Hilfe beraubt worden, und vergießt wieder das Blut dieses Mörders zur Aufrechterhaltung eurer heiligen Gesetze und zur Steuer aller bösen Zucht!«
Hierauf erhob sich der Älteste unter den Magistratspersonen und sprach folgendermaßen zum Volke:
»Allerdings liegt uns ob, dieses Verbrechen, welches der Missetäter selbst nicht zu leugnen vermag, auf das allerschärfste zu ahnden. Inzwischen können wir nicht dazu schreiten, bevor wir nicht hinter die Mitgenossen dieser Schandtat gekommen sind. Wahrscheinlich ist es nicht, daß ein einzelner Mensch allein drei so handfeste Jünglinge entleibt habe. Also die Wahrheit herauszubringen, müssen wir zur Tortur erkennen. Denn da der Bursche, welchen der Missetäter bei sich gehabt, heimlich davongelaufen, so tut es not, ihn selbst auf der Folter seine Gehilfen bekennen zu lassen, damit wir die ganze Räuberbande mit einmal vertilgen und fernerhin davor nicht in Furcht zu stehen brauchen!«
Unverzüglich werden mir, nach griechischem Brauch, Feuer, Rad und allerhand Geißeln vorgelegt.
Ich wollte im Leid vergehen, daß ich nicht einmal mit ganzer Haut sterben sollte.
Allein das Weib, das mit seinem Geheul alles weichherzig gemacht hatte, sprach:
»Bevor ihr, beste Bürger, diesen Straßenräuber, diesen Mörder meiner unglücklichen Kinder an das Kreuz schlagt, so gestattet mir, die Leichen der Erschlagenen aufzudecken, damit ihr, durch Betrachtung ihrer Gestalt und ihres Alters je mehr und mehr zu einem rechtmäßigen Unwillen gereizt, eure Strenge desto genauer nach der Größe der Missetat abmessen möget!«
Allgemeiner Beifall wird dem Vorschlage zugeklatscht, und der alte Ratsherr befiehlt mir auf der Stelle, selber mit eigener Hand die hingestellten Leichen aufzudecken.
Ich weigere mich mit aller Macht. Ich wollte schlechterdings nicht durch Vorzeigen der Erschlagenen die Anwesenden noch mehr gegen mich erbittern und aufbringen.
Allein auf des Magistrats Geheiß packen Stadtknechte mich an, strecken mir den Arm, mit dem ich nach der Bahre hin stand und den ich fest an dem Leibe angeklemmt hatte, gewaltsam aus und führen denselben trotz allem Widerstreben auf die Leichen.
Überwältigt, schicke ich mich endlich in die Not, fasse wider meinen Willen das Tuch und reiße es von den toten Körpern herunter.
Allmächtige Götter, welch ein Anblick! Welch ein Wunder! Welcher schleunige Wechsel meines Schicksals! Denn, war ich bereits ein Raub des Todes, war ich nicht mehr unter die Lebendigen zu zählen, so war auch im Nu alles, alles umgekehrt!
Worte fehlen mir, den Grund dieser sonderbaren Erscheinung zu erzählen.
Genug, jene Leichen der erschlagenen Jünglinge waren nichts anderes denn – drei aufgeblasene Schläuche, die verschiedentlich und, wie ich mich noch ganz wohl aus dem gestrigen Gefecht erinnern konnte, gerade da durchstochen waren, wo ich die Straßenräuber verwundet hatte.
Das Lachen, welches man bisher aus Schalkheit verbissen hatte, brach nunmehr frei und allgemein aus.
Die Freude war ohne Grenzen.
Die einen wünschten mir Glück, die andern hielten sich vor Lachen den Leib. Kurz, alle insgesamt gingen höchst vergnügt aus dem Theater heraus, das Gesicht immer auf dem Rücken nach mir gekehrt.
Aber ich – ich blieb von dem Augenblick an, da ich das Leichentuch berührt, dornensteif und eiskalt wie eine von den Statuen oder Säulen des Theaters, auf demselben Flecke dastehen.
Ich kam nicht eher wieder zu mir, bis mein Wirt Milo mich anfaßte und, alles meines Weigerns ungeachtet, mit freundlicher Gewalt mit sich fortriß. Die Tränen stürzten mir häufig an den Backen hinunter, und ich schluchzte aus allem Vermögen.
Milo vermied alle volkreichen Straßen mit mir und führte mich durch lauter entlegene Gäßchen nach Hause.
Unterwegs ließ er es an keinerlei Zuspruch ermangeln, um mich zu trösten. Aber das war nur umsonst. Ich zitterte am ganzen Leibe und konnte mich schlechterdings nicht zufriedengeben, das Gefühl der mir angetanen Schmach war zu tief in das Innere meiner Seele gedrungen.
Nach einer Weile kam der Magistrat selbst mit all seinen Insignien zu uns ins Haus und suchte mich durch folgende Worte zu besänftigen:
»Ihr Stand, Herr Lucius, und Ihre Familie sind uns allen sehr wohl bekannt, da sowohl hier als in der ganzen Provinz Ihr vornehmes Geschlecht höchst ausgebreitet ist. Was Ihnen also jetzt widerfahren und Sie so außerordentlich schmerzt, ist Ihnen sicherlich nicht zum Schimpf von uns angetan worden. Lassen Sie Ihre Betrübnis darüber fahren und vertreiben Sie den Gram aus Ihrem Herzen. Alles war nur ein Scherz zu Ehren unseres holdseligen Gottes des Lachens, dessen Fest wir bei jährlicher Wiederkehr jedesmal durch eine neue lustige Erfindung feiern. Es wird sich dieser Gott dafür allewege Ihnen dankbar erzeigen. Von nun an wird er Ihnen beständig seinen wohlgefälligen Schutz angedeihen lassen, jegliche Traurigkeit von Ihnen entfernen und stete Fröhlichkeit auf Ihre Stirn lagern. Unsere Stadt aber entbietet Ihnen, aus Erkenntlichkeit für die ihr erwiesene Gunst, ihre höchste Verehrung. Sie erklärt Sie zu ihrem Schutzpatron und will Ihnen eine ehrende Bildsäule errichten.«
Hierauf antwortete ich, ich erwidere Thessaliens hochlöblicher Hauptstadt den gebührensten Dank für die große Ehre, die sie mir anzutun gesonnen ist. Indessen, mein Rat wäre, sie behielte lieber für verdientere und größere Männer, als ich bin, Schutzpatronat und Bildsäulen auf.
Nach diesem glimpflichen Komplimente, das ich mit einem freundlichen Lächeln begleitete, stellte ich mich so vergnügt, als ich nur konnte, und als der Magistrat endlich wieder wegging, nahm ich von ihm mit der größten Höflichkeit und Ehrerbietung Abschied.
Unmittelbar darauf kam ein Bedienter herein und sagte zu mir:
»Ihre Frau Tante Byrrhenna läßt ihre Empfehlung machen und Sie erinnern, daß Sie sich gestern bei ihr auf heute zum Essen versagt hätten; Sie würden sich doch einstellen? Bald wäre es Zeit.«
Vor Furcht und Abscheu bei bloßer Erwähnung dieses Hauses zurückschaudernd, geb’ ich dem Kerl zur Antwort:
»Von Herzen gern wollte ich dem Befehl meiner Tante Gehorsam leisten, allein ich darf es mit gutem Gewissen nicht tun. Mein Wirt Milo hat mich bei des heutigen Tages obwaltender Gottheit beschworen, heute mich bei ihm zu versprechen, und er läßt mich nun ebensowenig weg, als er selbst von mir gehen würde. Ich bitte meine Tante also, mich für diesmal zu entschuldigen.«
Ich war noch nicht einmal hiermit fertig, als mich schon Milo bei der Hand faßte, das Badezeug uns nachzubringen befahl und mit mir in das nächste Bad ging.
Aller Augen meidend und dem Gelächter der Vorübergehenden, das ich selbst veranlaßt hatte, ausweichend, schlich ich ihm zur Seite mit verdecktem Gesicht.
Kein Wort weiß ich davon, wie ich gebadet, abgetrocknet worden und wieder nach Hause gekommen bin. So sehr außer aller Fassung war ich über alles Ansehen, Winken und Fingerzeigen!
Als ich endlich in der Geschwindigkeit Milos armseliges Mahl eingenommen, schützte ich Kopfweh vor, welches das beständige starke Weinen mir verursacht, und erhielt gar bald Erlaubnis, schlafen zu gehen.
Ich warf mich auf mein Bett hin und dachte traurig allem nach, was sich zugetragen hatte, bis endlich meine Fotis ihre Frau zu Bette gebracht hatte und zu mir kam.
Sie war sich selbst ganz unähnlich. Freude lachte nicht auf ihrem Gesicht. Von ihren Lippen floß kein Scherz. Finster, die Stirne gerunzelt, stumm trat sie herein.
Nach einer Weile fing sie endlich schüchtern und stockend an:
»Ich«, sprach sie, »von freien Stücken bekenn’ ich’s selber, ich allein bin an allem schuld, was dir begegnet ist.«
Hiermit holte sie aus ihrem Busen einen Riemen und reichte ihn mir dar.
»Da!« sprach sie, »ich bitte dich, räche dich damit am treulosen Mädchen! Oder weißt du noch eine andere härtere Strafe? Ich erlaube es dir, wähle sie! Doch beteure ich dir, glaube nicht, daß ich dir mit Willen diesen Kummer gemacht habe! Eher sollten mich die Götter verderben, ehe ich dir das geringste Leid zufügen möchte! Ja, könnte ich mit meinem Blute ein Unglück abkaufen, welches dein Haupt treffen soll, ich tät’s! Allein ich mußte etwas zu ganz anderer Absicht tun, da durch mein böses Geschick zu deinem Unheil ausgeschlagen ist.«
Meine alte Neugier erwachte sogleich wieder. Ich fühlte ein unwiderstehliches Verlangen, der Sache geheime Bewandtnis zu wissen.
»Eher«, hub ich an, »eher soll dieser schändliche, verwegene Riemen, welchen du dir zur Geißel ausersehen hast, in tausend Millionen Stücke von mir zerschnitten und zerhackt werden, ehe er deine sammetne Lilienhaut nur berühren soll! Ich bitte dich aber, erzähle nur aufrichtig, was das für eine Tat gewesen, die unglücklicherweise so zu meinem Nachteil ausgefallen ist! Denn bei deinem mir unaussprechlich teuren Haupte kann ich’s dir zuschwören, daß weder die ganze Welt noch du selbst mich zu überreden vermagst, daß du die Absicht gehabt haben könntest, mir wehe zu tun! Der unglückliche Ausgang aber einer auf Gutes abzweckenden Handlung macht niemanden einiger Schuld teilhaft.«
Mit Entzücken heftete ich nach diesen Worten die zärtlichsten Küsse auf Fotis’ feuchte, zitternde, wollusttrunkene und bereits halbgeschlossene Augen. Hierdurch zur Freude wieder aufgerichtet, sprach sie:
»Ich bitte dich, laß mich die Stubentür nur erst zumachen, damit ich mir durch mein Geklatsche kein Unglück zuziehe.«
Indem sie das sagte, verriegelte und verkettelte sie dicht und fest die Tür. Dann fiel sie mir mit beiden Armen um den Hals und fuhr ganz leise und heimlich also fort:
»In der Tat trag’ ich Bedenken und fürchte ich mich herzlich, dieses Hauses Heimlichkeiten aufzudecken und die Geheimnisse meiner Frau zu verraten. Doch kann ich mich unmöglich Böses zu dir und deiner Klugheit versehen; du bist ja auch so edler Abkunft, hast einen so hohen Geist und bist überdies in so mancherlei heilige Geheimnisse eingeweiht, daß dir die heilige Unverbrüchlichkeit des Stillschweigens notwendig auf alle Weise bekannt sein muß. Was ich also nur dem Schreine deines Herzens anzuvertrauen habe, das wirst du alles mit Vorsicht darin verwahren und wirst mir gewiß mein ungemessenes Zutrauen zu dir mit ewiger Verschwiegenheit vergelten, wenn ich dich auch nicht ausdrücklich und feierlich darum beschwöre und bitte. Nur die Gewalt der Liebe, womit ich an dir hange, treibt mich an, dir dasjenige zu entdecken, was ich unter allen Sterblichen allein weiß. Vernimm denn die ganze Beschaffenheit unseres Hauses. Höre die erstaunlichen Geheimnisse meiner Frau, durch welche sie über die Verstorbenen Gewalt hat, Sterne verdunkelt, Geister bannt und ihr alle Elemente dienstbar sind. Dieser Macht aber bedient sie sich niemals so ganz, als wann ihr die Reize eines jungen Menschen das Herz gefangen haben, welches gar oft ihr Fall ist.
Alleweile ist sie sterblich in einen schönen Böotier verliebt. Seinetwegen zieht sie alle Saiten ihrer Kunst auf und setzt mit dem heißesten Eifer alle ihre Triebräder in Bewegung.
Meine Ohren haben es gestern abend noch gehört, daß sie die Sonne mit Verdunklung und ewiger Finsternis bedrohte, wo sie nicht sofort vom Himmel wich und der Nacht Platz machte, damit sie desto früher ihre Bezauberungen durchführen könnte.
Gestern, als sie aus dem Bade kam, hatte sie diesen jungen Menschen von ungefähr in einer Barbierstube sitzen sehen. Gleich mußt’ ich hin, die ihm abgeschorenen, auf der Erde liegenden Haare heimlich wegzuholen.
So verstohlen ich auch dabei zu Werke ging, so ertappte mich dennoch der Barbier darüber, und weil wir einmal allenthalben schädlicher verbotener Künste wegen verschrien sind, so fuhr er mich auch an wie die Sau den Bettelsack.
›Du Spitzbübin‹, schrie er, ›wirst du mir bald das Wegstibitzen der Haare unserer schönen Kerls lassen? Wo du mir das noch lange so treibst, so werde ich dich ohne Gnade und Barmherzigkeit bei den Gerichten angeben.‹
Bei der schönen Anrede ließ er es aber nicht bewenden, sondern faßte mich und visitierte mich vom Kopf bis auf die Füße und riß mir in größter Bosheit alle aufgelesenen Haare wieder aus dem Busen, wohin ich sie gesteckt hatte.
Höchst betrübt über den Vorfall, denk’ ich nicht anders, als ich muß nun zum Tore hinauslaufen. Denn ich kenne meine Frau schon. So eine fehlgeschlagene Hoffnung kann sie wie rasend machen, und gewöhnlich muß ich es ihr entgelten.
Dennoch, aus Liebe zu dir, konnte ich mich zu Flucht nicht entschließen. Ich machte mich also wieder nach Hause auf.
Um gleichwohl nicht mit leeren Händen zu erscheinen, nehme ich ein paar Ziegenhaare mit, welche ich unterwegs von einigen fix und fertigen Schläuchen abscheren sah.
Sie waren dem blonden Haar des Böotiers sehr ähnlich, und meine Frau ward richtig davon getäuscht.
Wie wahnsinnig steigt meine Pamphile bei einbrechender Nacht, noch ehe du vom Schmause zurück warst, auf ihren Erker. Mit Schindeln gedeckt, allenthalben frei, dem Wind offen und nach jeglicher Himmelsgegend aussehend, ist dieser zu den magischen Hantierungen höchst bequem und wird von ihr immer insgeheim besucht.
Erst rüstet sie diese ihrer Werksatt mit all ihrem abscheulichen Geräte aus. Mit jeglicher Art von Spezereien, mit Platten, die mit unkennbaren Zeichen beschrieben, mit alten Steuern gescheiterter Schiffe. Auch tote, halbverweste Körper müssen mit ihren Gliedmaßen aufputzen helfen. Hier stellt sie Nasen und Finger auf, dort Galgennägel mit Stücken Armersünderfleisch, da aufbewahrtes Blut von Erschlagenen, dort verstümmelte Schädel, welche den Zähnen wilder Tiere entrissen worden.
Sodann bespricht sie rauchende Eingeweide und gießt opfernd bald Quellwasser aus, bald Kuhmilch, bald Berghonig, bald auch Met.
Endlich, nachdem sie die vermeintlichen Haare ihres Liebhabers in mancherlei Knoten geknüpft und vielfach durcheinandergeschlungen, übergibt sie dieselben lebendigen Kohlen und läßt sie nebst vielem Rauchwerke verbrennen.
Nicht sobald knistern und knastern diese Haare in der Glut, als vermöge der unwiderstehbaren Kraft der Magie und der Hilfe gebannter Geister jene Maschinen, denen sie zugehören, menschliches Leben annehmen. Sie fühlen, hören und gehen, und dem Geruche ihrer verbrannten Hülle folgend, kommen sie, anstatt des Böotiers, gegen unsere Tür anmarschiert und wollen herein.
Da mußtest du, mein Lucius, nun eben mit einem kleinen Räuschchen nach Hause kommen, von Wein und Finsternis getäuscht, sie war weiß wofür ansehn und mit gezücktem Schwerte, gleich dem rasenden Ajax[35], über sie herfallen, um nicht zwar wie er eine Herde lebendiger Schafe niederzumetzeln, sondern noch eine weit herrlichere Heldentat zu verrichten, um drei aufgeblasene Bockschläuche zu entseelen, damit ich dich nach rühmlich vollbrachter Niederlage deiner Feinde, unbesudelt von Blut, nicht als Menschen-, sondern als Schlauchmörder in meine Arme schließen möchte.«
Um Fotis an Witz nichts schuldig zu bleiben, versetzt’ ich: »Ei, so kann ich ja diesen ersten meiner Siege schon neben die zwölf Arbeiten des Hercules stellen! Denn gleichwie er den dreifachen Geryon oder den dreiköpfigen Zerberus, so habe ich drei Schläuche mit einmal besiegt. Allein willst du, daß alle Schuld, die mir so viel Herzeleid verursacht hat, dir aufrichtig und ganz von Herzen vergeben sei, so mußt du mir zugestehen, worum ich dich jetzt auf das inständigste bitte: Zeige mir einmal deine Frau, liebe Fotis, wann sie in einem magischen Prozeß begriffen ist und die Götter anruft, oder laß sie mich nur sehen, wann sie sich verwandelt hat! Denn von Magie kann niemand ein eifriger Liebhaber sein als ich. Auch bist du gewiß selbst nichts weniger als neu und unerfahren darin, das merke ich am besten. Würdest du sonst einen Menschen, der sich nie etwas aus Mädchen gemacht hat, durch diese funkelnden Augen, diese Rosenwangen, dies glänzende Haar, diese wollüstigen Küsse, diesen duftenden Busen so sehr an dich haben fesseln können, daß er dir freiwillig wie ein Leibeigener zugetan ist? Denn frage ich wohl nach meiner Heimat oder denke ich an die Abreise? Ich lebe, webe und bin allein in deiner Umarmung.«
»Wie sehr wünscht’ ich«, antwortete Fotis, »daß ich dir gewähren könnte, was du von mir verlangst, lieber Lucius! Wenn nur meine Frau nicht immer aus Abgunst die Einsamkeit suchte und jedermanns Gegenwart mied, sobald sie dergleichen heimliche Sachen vornimmt. Indessen soll dennoch dein Begehren meiner Gefahr vorgehen und bei erstem gelegenem Augenblick, den ich wahrnehme, ihm Genüge geschehen. Aber du mußt in dieser wichtigen Sache auch hübsch verschwiegen sein, so wie ich es gleich anfangs von dir gefordert habe.«
Während dem Gespräche waren unvermerkt unsere Lüste und Begierden wach geworden und hatten unsere Sinne erregt.
Wir entledigten uns jeglicher Hülle und überlassen uns also dem Taumel der Wollust.
Schon ermattete ich und glaubte alles Vergnügen erschöpft, als Fotis aus eigener Freigebigkeit eine neue Quelle der Lust mir eröffnete und zum Beschluß mich noch der Freuden Übermaß schmecken ließ.
Nun sank auf unsere vom Wachen schweren Augenlider der Schlaf und schloß sie bis zum hellen Morgen.
Kaum waren uns auf diese Art noch ein paar Nächte in Wonne verstrichen, als Fotis eilfertig und schüchtern eines Tags zu mir hereingehuscht und mir verkündigt: Diese Nacht würde ihre Frau sich befiedern und zu ihrem Geliebten hinfliegen; denn ihre übrigen Künste wollten bei dieser ihrer Liebe alle nicht anschlagen. Ich sollte mich also fertig halten, diesen wichtigen Prozeß insgeheim mitanzusehen.
Sobald es Nacht war, holt sie mich ab und führt mich leisen, unhörbaren Tritts hinauf an die Erkerstube. Da zeigt sie mir eine verborgene Ritze in der Tür und läßt mich hindurchgucken; wo ich denn folgendes sah:
Allererst zieht sich Pamphile fasernackt aus. Nachher schließt sie eine Lade auf, woraus sie verschiedene Büchschen nimmt. Eines von diesen Büchschen öffnet sie und holt daraus eine Salbe, die sie so lange zwischen beiden Händen reibt, bis sie völlig zergangen ist, alsdann beschmiert sie sich damit von der Ferse bis zum Scheitel.
Nun hält sie ein langes, heimliches Gespräch mit ihrer Lampe.
Darauf schüttelt und rüttelt sie alle ihre Glieder. Diese sind nicht sobald in wallender Bewegung, als daraus schon weicher Flaum hervortreibt. In einem Augenblick sind auch starke Schwungfedern gewachsen, hornicht und krumm ist die Nase; die Füße sind in Krallen zusammengezogen.
Da steht Pamphile als Uhu!
Sie erhebt ein gräßliches Gekrächze und hüpft zum Versuche am Boden hin. Endlich hebt sie sich auf ihren Flügeln in die Höhe und in vollem Fluge hinaus zum Erker!
Also ward Pamphile vorsätzlicherweise durch ihre magische Wissenschaft verwandelt. Sonder Zauber aber und vor bloßem Wunder über das Gesehene wußte ich nicht, was aus mir geworden war. Die Haare standen mir auf dem Kopfe zu Berge, ohne alle Besinnung phantasierte ich.
Ich rieb mir lange Zeit die Augen und fragte, ob ich wirklich wache.
Wie ich endlich wieder zum Bewußtsein meiner selbst und dessen, was vorgegangen, gelangt war, so ergriff ich Fotis’ Hand und drückte sie gegen meine Augen und sprach:
»Teures, liebes Mädchen! schlage mir jetzt, da die Gelegenheit sich dazu darbietet, den seltensten Beweis deiner Zuneigung nicht ab! Bei deinen schönen Augen bitte ich dich: gib mir von der Salbe da und verbinde dir durch diese unaussprechliche Wohltat deinen Sklaven auf ewig! Mache, daß ich befiedert hier neben dir stehe, wie der Venus zur Seite Cupido[36]!«
»So?« versetzte sie hastig. »Ei, über dich schlauen Gast! Ich sollte mir so selbst eine Grube graben? sollte meinen Lucius den thessalischen Mädchen mutwillig in die Hände spielen? Nein, nein, guter Freund, daraus wird nichts, laß dir das vergehen! Wo in aller Welt sollt’ ich dich suchen, wenn ich dich zum Vogel gemacht hätte, und wann würde ich dich wohl einmal wiedersehen?«
»Behüten mich die Götter vor der schweren Sünde«, war meine Antwort, »daß selbst als Adler, dessen stolzem Fluge der ganze Himmel offensteht, der Botschafter des erhabenen Zeus und rüstiger Waffenträger ist, da, sag’ ich, trotz aller Würde des Königs der Vögel ich dennoch nicht beständig hier herab als in mein geliebteres Nest steigen sollte! Ich schwöre dir bei diesen deinen verschlungenen Locken, die mir das Herz gefangen haben, daß unter der Sonne mir kein Mädchen lieber ist denn du, meine Fotis! Bedenkst du denn auch nicht, daß, wenn ich einmal durch diese Salbe zu solchem Vogel geworden bin, ich vorsichtig alle Häuser zu meiden habe? Denn geschweige, daß ein Uhu eben kein so reizender Liebhaber für die Schönen ist, so darf sich der arme Kauz auch nur in einem Hause blicken lassen, gleich hat man ihn bei den Schlafitten und nagelt ihn an die Tür, wo er unter jämmerlichen Qualen für alle bösen Vorbedeutungen, die je sein unseliger Flug den Leuten gegeben hat, büßen muß. Aber hätt’ ich doch bald mich zu erkundigen vergessen, was ich denn nachher zu sagen oder zu tun habe, um die Federn abzulegen und wiederum Lucius zu werden?«
»Was dies betrifft, sei ganz unbesorgt«, versetzte Fotis, »meine Frau hat mir schon alles gezeigt, was wiederum zum Menschen umwandelt, und nicht etwa aus Wohlgewogenheit hat sie’s getan, sondern lediglich, damit ich ihr, wenn sie nach Hause kommt, zu ihrer Wiedermenschwerdung hilfreiche Hand leiste. Übrigens solltest du nicht glauben, mit wie wenigen unbedeutenden Kräutern solch ein Wunderwerk öfters zu bewerkstelligen ist! Heute zum Beispiel bereite ich ihr nur ein Bad und einen Trunk Brunnenwasser mit etwas Dille und ein paar Lorbeerblättern vermischt.«
Unter hohen Beteuerungen, daß dies die genaue Wahrheit sei, schleicht sie zitternd und zagend in den Erker, nimmt in der Geschwindigkeit eine Büchse aus der Lade und bringt sie mir.
Ich empfange diese mit Entzücken, küsse sie inbrünstig und bete, sie wolle mir eine glückliche Reise durch die Lüfte verleihen.
Und nun mit allen Kleidern herunter, gierig die Hände in die Salbe, eine ganze Menge genommen, und über und über alle Glieder meines Leibes gerieben.
Schon schwinge ich zu wiederholten Malen die Arme und versuche zu fliegen. Hoch klopft mir vor Verlangen das Herz, mich nun als Vogel zu sehen.
Umsonst! Nicht Busen, nicht Federn wachsen hervor.
Zu kurzen Borsten erstarren alle Haare an meinem Leibe, statt der zarten Haut umhüllt mich ein dickes derbes Fell.
Die Zahl der Finger und Zehen verliert sich in jeder Hand du jedem Fuße in einem Huf, und am Ende des Rückgrats hinten streckt sich ein langer Zagel hinunter.
Unförmig wird das Gesicht und dehnt sich je mehr und mehr. Mit großem Maule, weit offenen Nasenlöchern und schlotternden Lippen schließt es unten. Oben recken sich ein paar lange, rauhe, spielende Ohren empor.
Das einzige, was in dieser unglücklichen Verwandlung noch meinen Trost hätte abgeben können, wenn für mich Armen nun noch eine Fotis gewesen, war der Zuwachs des Werkzeugs des sechsten Sinnes.
Wie ich mich nun betrachte, seh’ ich mit Entsetzen, daß ich statt des Vogels zu einem Esel geworden bin.
Ich wollte mich bei Fotis beklagen, allein mit menschlicher Stellung und Gebärde hatte ich zugleich auch die Sprache verloren. Alles, was ich tun konnte, war, daß ich mit bebender Unterlippe und nassem Blick sie von der Seite ansah und also stillschweigend ihr Vorwürfe machte.
Sobald sie mich aber als Esel sah, fuhr sie sich mit beiden Händen ins Gesicht und schrie:
»Ich bin des Todes! In Eile und Angst habe ich mich vergriffen und eine unrechte Büchse genommen. Zum Glück ist ein höchst leichtes Mittel zur Wiederverwandlung vorhanden. Denn sobald du Rosen ißt, legst du den Esel wieder ab und bist wiederum mein Lucius. Und wenn ich nur wie gewöhnlich diesen Abend Kränze für uns in Bereitschaft hätte, so dürfe es nicht die Nacht mit Anstand haben; so aber mußt du bis morgen früh warten, eher kann ich dir dein Rettungsmittel nicht verschaffen.«
Also Fotis mit großem Herzeleid.
So vollkommen ich aber auch dem Äußeren nach von Lucius zu Meister Langohr geworden, so war ich doch innerlich Mensch und ganz ich selbst geblieben.
Lange ging ich darüber zu Rate, ob ich nicht an der boshaften Hexe mein Mütchen kühlen und sie für den schnöden Schabernack zu Tode beißen und schlagen sollte?
Den raschen Gedanken ließ ich aber bald wieder fahren, als ich überlegte, daß ich leicht durch diesen Mord mich um alle Mittel, mich zu enteseln, bringend könnte.
Lieber fraß ich die mir angetane Schmach in mich, faßte auf die kurze Zeit Geduld und trollte mich ganz tiefsinnig mit gesenktem Haupte und hängenden Ohren in den Stall hinunter, wo mein getreues Reitpferd stand, nebst noch einem Esel meines vorherigen Wirts Milo.
Ich dachte: »Wenn die stummen Tiere irgend etwas Sympathetisches in ihrer Natur haben, so wird dein Roß gewiß dich erkennen und gastfreundlich bei sich aufnehmen und bewirten.« Aber Jupiter, Gott der Gastfreundschaft, und du, heilige Treue, steckt nicht der elende Gaul mit dem Esel den Kopf zusammen und verschwört sich mit demselben zum Untergange seines Herrn?
Wie sie mich nur der Krippe näher kommen sehen, denken sie, es ist auf ihr Futter gemünzt, und gebärden sich ganz unbändig. Sie legen beide die Ohren zurück, und somit, hast du nicht gesehen, aus Leibeskräften hintenaus nach mir gesengelt, und weit mich von der Gerste weggetrieben, die ich den Abend noch mit eigenen Händen meinem treuen Tiere vorgeschüttet hatte!
Nach diesem garstigen Willkommen drängte ich mich ganz abseits in einen engen einsamen Winkel.
Indem ich da voller Mißmut die Unhöflichkeit meiner beiden Herren Kollegen überdenke und mir heilig vornehme, es den boshaften Bestien andertags, wenn ich durch Hilfe der Rosen wieder Lucius geworden, schon wieder einzutränken, so werde ich beim Umsehen, ungefähr in der Mitte des Stalles, in dem Hauptpfeiler, auf dem alles Gebälke ruhte, der Vorsteherin der Ställe, der Göttin Epona[37] Bild gewahr, das eben mit frischen Rosen bekränzt worden.
Kaum habe ich dieses mein Entzauberungsmittel entdeckt, so wende ich auch voller Hoffnung alles an, es zu erhalten.
Ich klettere, so hoch ich kann, mit den beiden Vorderfüßen an dem Pfeiler empor, und mit langgestrecktem Halse und vorgereckter Schnauze strebe ich unter beständigem Getrampel und manchem kräftigen Satz auf das begierigste nach den Kränzen.
Unglücklicherweise aber muß mein Reitknecht dieses fruchtlose Bemühen bemerken; grimmig springt er von seiner Streue auf und ruft:
»I, was richtet denn der verdammte Klopphengst da all für Unfug an! Frißt erstlich dem Vieh das Futter weg und will nun auch nicht einmal die Bilder der Götter verschonen? Warte, du gottlose Bestie, dein Frevel soll dir übel bekommen, ich will ja dich gleich kreuz- und lendenlahm schlagen!«
Damit sieht er sich allenthalben nach einem Prügel um und findet leider nur allzubald ein ganzes Bündel Knüttel. Daraus sucht er sich den dicksten, knotigsten aus, und nun läßt er auch solch ein Wetter von Schlägen auf mich Unglücklichen niederfallen, daß ich zuverlässig noch darunter hätte erliegen müssen, wenn nicht plötzlich mit entsetzlichem Getöse und Gepolter wider die Haustür wäre geschlagen und gerannt worden und die ganze Nachbarschaft in Angst und Schrecken »Räuber, Räuber« gerufen hätte. Dies hemmte den geschäftigen Arm meines Schinders und jagte ihm so viel Furcht ein, daß er, ohne sich weiter zu besinnen, über Hals und über Kopf davonlief.
Es währte nicht lange, so war die Tür mit Gewalt aufgesprengt. Eine ganze Räuberbande drang herein. Diese plünderten alles aus; jene umringten die Hausgenossen mit bewaffneter Hand, und noch andere besetzten die Zugänge und hielten Wache, daß die von allen Seiten zu Hilfe eilenden Leute ihnen nichts anhaben möchten.
Allesamt mit blanken Degen und brennende Fackeln versehen, erleuchten sie die Nacht. Es schimmerte das Feuer und der Stahl wie die aufgehende Sonne.
Mitten im Hofe stand ein Magazin wohlverrammelt und verschlossen und von unten bis oben mit Milos Reichtümern vollgestopft.
In einem Augenblick war das mit Äxten an mehreren Orten geöffnet und ausgeleert. Der ganze Raub wurde in aller Eile in Bündel geschnürt und verteilt. Allein da waren mehr Hucken als Träger.
Äußerst in Verlegenheit über die Fülle des Reichtums, womit sie nicht wußten wohin, machten sie endlich unsern Stall ausfindig.
Mein Pferd und wir beide Esel wurden sogleich herausgezogen und bepackt, was nur das Zeug halten wollte.
Als nun das ganze Haus ausgeräumt, trieben sie uns mit Stöcken heraus, ließen einen von sich zum Kundschafter in der Stadt zurück, um sie wegen der erfolgenden Nachforschung zu benachrichtigen, und darauf jagten sie uns unter verdoppelten Schlägen durch unwegsame Gebirge immer vor sich her.
Schon war ich von übermäßiger Bürde, die ich trug, von dem steilen Aufsteigen der Berge und von dem starken übereilten Marsche dermaßen abgemattet, daß ich hätte umfallen mögen. Da faßte ich zwar spät, aber um desto ernstlicher, den Entschluß, mich der Gerechtigkeit in die Arme zu werfen und den heiligen Namen des Kaisers anzurufen, um mich aus diesem Trübsale zu erretten.
Es war schon ganz heller Tag, als wir eben durch einen ansehnlichen Flecken kamen, worin Jahrmarkt war. Wie wir nun mitten in dem größten Gewimmel der Leute waren, versuchte ich es, mit lauter Stimme in der Landessprache den Namen des glorreichen Kaisers auszurufen.
Oh! – brachte ich ganz klar und deutlich zur Welt. Nur mit des Kaisers Name selbst wollt’ es nicht gehen; er blieb mir zwischen den Zähnen stecken, und an seiner Statt kam das lauteste, langgedehnteste, unangenehmste Iahen hervor.
Die Räuber ärgerten sich über meinen übel angebrachten, mißtönenden Gesang und luden mir dafür von allen Seiten eine solche Tracht Prügel auf, daß meine Haut auch nicht einmal zum Siebe noch tauglich blieb.
Endlich aber, ehe ich es mich versah, bescherte mir der allgütige Jupiter mein Rettungsmittel.
Denn, nachdem wir schon vor manchem kleinen und großen Landhause vorbeigezogen, so sah ich mit einmal in einem geringen Gärtchen unter anderen herrlichen Blumen schöne jungfräuliche Rosen in frischem Morgentau gebadet vor mir stehen.
Voller Begierde nach denselben und voller Freude über die nunmehrige Erlösung aus dem leidigen Eselsstande trabte ich hastig und munter darauf zu.
Zum guten Glück mußte mir noch, indem ich schon die Lippen spitzte, um sie abzufressen, einfallen, welcher offenbaren Lebensgefahr ich mich aussetzte, wenn ich so vor den sichtlichen Augen der Räuber mit einmal von einem Esel zum Menschen würde; denn ebensowohl aus Furcht vor Zauberei, als weil ich sie verraten könnte, müßten sie mich ja notwendigerweise auf der Stelle ermorden.
Stracks ließ ich die Rosen wieder fahren, blieb lieber noch Esel und verbiß in dem Gebisse meinen Schmerz über das gegenwärtige Mißgeschick.
Gegen Mittag, als die Sonne zu stechen anfing, kehrten wir in einem Dorfe bei alten Bauersleuten ein. Die Räuber mußten Freund und vertraut mit ihnen sein; obschon ich Esel auch war, konnt’ ich das an der Begrüßung, an den langen Gesprächen, die sie mit ihnen hielten, und an ihren wechselseitigen Umarmungen merken. Sie schenkten ihnen auch allerhand Sachen, die sie mir vom Rücken herunternahmen, und es kam mir vor, als ob sie ihnen dabei zuflüsterten, daß sie solche soeben gestohlen hätten.
Wir wurden unserer Bürde entledigt und auf die nächste Weide gelassen. Ich konnte aber weder mit dem Esel noch mit meinem Pferde Gemeinschaft machen, denn ich war des Heufressens noch völlig ungewohnt.
Gleich hinter der Hütte hatte ich ein klein Gärtchen bemerkt. Da schlich ich mich, schwiemlig vor Hunger, hinein und an allerhand, wiewohl nur rohem Gemüse, fraß ich mir den Ranzen dick. Auch richtete ich Gebete an die Götter und spähte allenthalben umher, ob nicht etwa in den umliegenden Gärten ein blühender Rosenstock zu sehen. Denn da ich so seelenallein war, zweifelte ich nicht, daß ich abseits hinter Gesträuchen, von niemand gesehen, dieses mein Rettungsmittel einnehmen und sicher die zur Erde gebeugte Tiergestalt ablegen und hinwiederum Mensch werden könnte.
Indem ich so auf dem Meere dieser Gedanken umhertrieb, erblickte ich in einiger Entfernung ein schattiges Tal voller Gebüsche, und mitten in demselben lachte mir aus mancherlei Gesträuchen und lustigen Stauden der glühende Purpur blühender Rosen entgegen.
Mein Herz, das von meiner äußern Gestalt weit verschieden war, glaubte jetzt den Lusthain der Venus und der Grazien zu sehen, in dessen wehenden Schatten, auf dessen wonniggrünen Wiesen die liebliche Königin der Blumen ihren herrlichen Glanz samt ihrem Wohlgeruch verbreitet.
Stracks rufe ich den Gott des freudigen Erfolges an und eile in so großen Sprüngen und so schnellem Laufe dahin, daß ich mich in demselben Augenblicke selbst nicht für einen Esel, sondern für den raschesten aller Wettläufer hielt. Doch so leichtfüßig und schwipp ich mich auch immer erwies, so konnte ich dennoch meinem bösen Geschicke nicht zuvorlaufen. Denn, als ich ganz nahe hinzukam, so traf ich nicht jene zarte duftende Rose, die mit Tau des Himmels und mit Nektar getränkt glückseligen Dornensträuchern entblüht; ja, nicht einmal ein Tal fand ich irgendwo, sondern nur ein buschiges Ufer eines Flusses, wo viele Bäume blühen, die wie der Lorbeer längliche Blätter haben, eine geruchlose, aus einem blaßroten, kleinen, länglichen Kelche bestehende Blüten tragen und vom ungelehrten Landmanne ganz passend Lorbeerrosen genannt werden, dem Vieh aber tödlich zu fressen sind.
Also vom Schicksale hintergangen, verfluchte ich mein Leben und war willens, mich mit diesem giftigen Rosen zu vergeben. Allein indem ich langsam hinzugehe, um welche abzupflücken, so kommt ein junger Kerl, der wahrscheinlich der Gärtner war, in dessen Gartengewächsen ich so tapfer gewirtschaftet hatte, und der es nun innegeworden, mit einem großen Prügel, wütend mir nachgerannt, griff mich an und gerbt auch dermaßen auf mein Fell los, daß ich Gefahr lief, mein Leben unter seiner Hand zu lassen, wenn ich mir nicht noch klüglich zu raten gewußt hätte. Ich hob mich hinten und versetzte ihm mit beiden Füßen mit aller Kraft einen so nachdrücklichen Treff, daß er auf einmal genug hatte und am Fuße eines nahen Berges liegenblieb, derweilen ich mich durch die Flucht zu retten suchte.
Indessen, seine Frau hatte ihn von der Höhe herab halbtot hinsinken sehen und stürzte alsbald heulend und schreiend zu ihm hinunter. Ihr Zetergeschrei und Wehklagen erregte ein solches Mitleid, daß ich beinahe darüber in die Brüche gekommen wäre. Denn die ganze Dorfschaft rief die Hunde zusammen und hetzte sie hinter mir her.
Ich dachte, ich wäre des Todes, als ich den Schwarm großer abscheulicher Bullenbeißer auf mich zufliegen sah. Doch besann ich mich kurz, und anstatt weiter fortzulaufen, machte ich Kehrum und heidi, im gestrecktesten Galopp, dessen ich fähig war, der Hütte zu, in welcher wir eingekehrt waren.
Allein die Bauern fingen mich auf, klatschten die Hunde mit Mühe und Not von mir ab, banden mich mit einer Halfter an einem Ring fest, und nun drosch ganz unbarmherzig auf mich los, wer nur dreschen konnte. Ich bin versichert, sie hätten mit dem Zeitvertreib nicht eher aufgehört, bis ich meinen Geist aufgegeben, hätte sich nicht mit einmal mein von dem Prügelregen zusammengepreßter und von dem rohen Gemüse aufgeschwellter Leib Luft gemacht und die Schinder alle, teils durch den Strahl, den er einigen von ihnen ins Gesicht schoß, teils durch den unausstehlichen Gestank, der sich sogleich umher verbreitete, in einem Augenblick von meinen zerschlagenen Lenden hinweggetrieben.
Gleich darauf, da die größte Hitze nun vorüber war, packten die Räuber uns unsere Bündel wieder auf, ja mir noch weit schwerere als vorher, und zogen weiter.
Wir hatten bereits ein gut Stück Weges zurückgelegt, als wir an einen kleinen, sanftrieselnden Bach kamen. Müde vom weiten Marsche und schweren Tragen, mürbe von allen empfangenen Schlägen und hinkend und stolpernd der abgelaufenen Hufe wegen, dachte ich die gute Gelegenheit mir zunutze zu machen, in die Knie zu sinken und mich vorwärts in das Wasser hinabzustürzen, wohlentschlossen, um keine Hiebe in der Welt wieder aufzustehen und weiterzugehen, ja, eher tausendmal lieber mich totprügeln oder – stechen zu lassen. Denn abgemüdet und entkräftet wie ich war, erwartete ich eine ehrenvolle Entlassung meiner Dienste; aufs höchste, dacht’ ich, würden die Räuber, es sei nun aus Ungeduld oder aus Furcht, sich aufzuhalten, die Last meines Rückens unter den beiden übrigen Tieren verteilen und mich statt aller härteren Rache den Geiern und Wölfen zum Raube zurücklassen.
Allein auch diesem vortrefflichen Anschlag bog mein böses Geschick wieder vor.
Der andere Esel, nicht anders, als hätte er meine Gedanken gerochen und vor dem Munde mir weggeschnappt, fiel auf einmal, ehe es sich jemand versah, vor erlogener Müdigkeit um. Mit Sack und Pack lag er da wie tot; es half auch kein Knüppel, kein Stachel. Man mocht’ ihn noch soviel schütteln und rütteln, bei den Ohren, beim Schwanze, bei den Füßen aufheben, nichts. Er rührte und regte sich nicht, ja geschweige, daß er Miene gemacht hätte, wieder aufzustehen.
Die Räuber sahen nun wohl, daß da alle Hoffnung vergebens und daß sie sich nicht nur unnötigerweise beim verreckten Viehe verweilten, das alle viere so steif von sich streckte, als ob sie versteinert wären. Sie besprachen sich also untereinander und verteilten darauf sein Gepäck unter mir und dem Pferde. Dann hieben sie ihm die Hessen ab, schleppten ihn beiseite und stürzten ihn von einem hohen Felsen noch halb lebendig in das nächste Tal hinunter.
Da ging mir ein Licht auf. Ich spiegelte mich gewaltig am Schicksal meines armen Bruders Langohr und tat von Stunde an auf alle weitere List und Ränke Verzicht. Ich nahm mir fest vor, hinfort meinen Herren hübsch treu und redlich, in Geduld und Gelassenheit zu dienen; zumal, da ich aus ihren Gesprächen vernahm, daß nun unser Nachtlager und überhaupt das Ziel unsres ganzen Marsches, das Ende all unsrer Beschwerden ganz in der Nähe wäre.
In der Tat, wir legten nicht mehr als noch einen mäßigen Hügel zurück, so waren wir zum Orte unsrer Bestimmung, zum Sitz und zur Burg der Räuber gelangt.
Alle Sachen wurden sogleich abgepackt und in Verwahrung gegeben.
Ich, sobald ich nur meinen Rücken frei und ledig fühlte, kollerte und wälzte mich nach Herzenslust im Sande. In Ermangelung eines Bades blieb mir kein anderes Mittel übrig, mich von meiner Strapaze zu erquicken.
Hier ist der Ort, eine Beschreibung von der Gegend und Höhle zu machen, wo sich die Räuber aufhielten. Ich kann dabei gelegentlich meinen Geist versuchen und zu gleicher Zeit auch den Lesern eine Probe geben, ob ich damals ebenso wirklich dem Innern als dem Äußern nach Esel war.
Es war ein rauher, waldiger und vorzüglich hoher Berg. Über seinem schrägen Abhange wanden sich aneinanderhängende Ketten schroffer, unzugänglicher Felsen, zwischen welche tiefe, unergründliche Täler, mit Dornengebüschen verwachsen, nach allen Seiten sich hinzogen und eine natürliche Verschanzung ausmachten.
Vom Gipfel herab rann sprudelnd ein reicher Quell, stürzte mit Silberschaum über hervorragende Klippen hin, und in mehrere Bäche verteilt durchwässerte er die Täler und sammelte unten sich zu einem großen stehenden See, der alles umschloß.
Da, wo die Felsenriffe aufhörten, öffnete sich die hochgewölbte Burg der Räuber: eine Höhle von so weitem Umfange, daß sie einem geräumigen, mit starken Hürden wohlverwahrten Schafstalle glich. Den Eingang verkleidete eine dichte Hecke wie eine vorgezogene Wand. Wer diesen Ort nur sah, konnte ihn mit gutem Gewissen für nichts anders als für ein Raubnest ansehen.
Weit und breit umher war nichts als eine kleine, oberflächlich mit Rohr bedeckte Hütte zu sehen, worin, wie ich nachher erfuhr, allemal diejenigen von den Räubern, welche das Los getroffen hatte, des Nachts Schildwache zu halten pflegten.
Nachdem uns die Räuber vor dem Eingange ihrer Höhle angebunden, zwängten sie sich alle, einer nach dem andern, hinein. Drinnen war dies ihre freundliche Anrede an ein altes, von Jahren tiefgebeugtes Mütterchen, dem allein das Heil und die Pflege so vieler junger Kerle anvertraut schien:
»Nun, du alter Molch, du garstiges Totengerippe, du Scheusal der Lebendigen! Hast du uns wieder nichts zurechte gemacht und müßig zu Hause gesessen und die Hände in den Schoß geschlagen? Wirst du, alte Saufbulle, uns wohl bald was recht was Kräftiges zu essen geben, woran wir uns wieder von unseren langen, gefährlichen Strapazen erholen mögen?«
Zitternd und mit kreischender Stimme gab ihnen das arme, alte erschrockene Weib zur Antwort:
»Ei, liebe, brave Jünglinge, ich werde ja für euch, für meine trauten Beschützer gesorgt haben! Kommt, kommt, euer wartet die leckerste, reichlichste Mahlzeit und des Brotes und Weines die Fülle. Blank und rein ausgeschwenkt, stehen die Krüge da; auch ist siedend Wasser parat zum Bade, wie ich weiß, daß ihr’s gern habt, wenn ihr nach Hause kehrt.«
Sobald sie das hörten, zogen sie sich nackend aus und schwitzten an einem sehr großen Feuer; wuschen sich dann mit warmem Wasser, rieben sich mit Öl und gingen zu Tische, wo der größte Überfluß herrschte.
Kaum daß sie Platz genommen, so kam noch eine größere Rotte junger Kerle, die ich ebenfalls für Räuber ansah; denn auch sie brachten eine ganze Tracht Gold- und Silbermünzen, Gefäße und seidne und goldgestickte Kleider mit.
Sie badeten sich auf dieselbe Art wie die vorigen und lagerten sich zu ihnen, nachdem sie vorher gelost, wer bei Tische aufwarten sollte.
Nun ging es an ein Fressen und Saufen! Die aufgehäuftesten Schüsseln waren ausgeleert, die größten Brote verschwunden – im Nu, und es war, als ob die Becher keine Boden hätten.
Alle zugleich schreien sie unordentlich durcheinander. Bald brechen sie in wieherndes Gelächter aus, bald stimmen sie brüllenden Gesang an. Raserei ist hier Freude und Hohnneckerei Witz; ganz wie vormals beim Bankett der thebanischen Lapithen[39] und halbtierischen Zentauren!
»Wir andern«, hub der vierschrötigste unter ihnen an, »wir sind noch brave Kerle! Wir haben doch Milos Haus zu Hypata erobert; haben überschwengliche Reichtümer mit Heldenmut erfochten und, weit gefehlt, dabei auch nur einen einzigen von unserer Anzahl einzubüßen, sind wir noch mit acht Füßen mehr in unser Standquartier wieder zurückgekehrt. Aber euch da, die ihr nach den böotischen Städten ausgegangen seid, euch nenne ich alte Memmen! Seht nur, zu welch einem geringen Häuflein ihr zusammengeschmolzen seid! Und dann euren tapferen Anführer, unsern Lamachus, so im Stiche zu lassen! Nein, all der Plunder, den ihr da mitgebracht, ist wahrlich nicht das Leben eines einzigen Mannes wert! Doch getrost! Er ist als Held gestorben, seine eigene übergroße Herzhaftigkeit hat ihn zugrunde gerichtet, und ewig wird sein Andenken samt dem Andenken der besten Heerführer und größten Feldherren mit Ruhm gepriesen werden! Während ihr elendes Diebesgesindel nun und immerdar wie Schurken zitternd und zagend in Bädern und alter Weiber Buden umherschleichen werdet, um durch kleine, nichtswürdige Spitzbübereien euer verächtliches Leben zu fristen.«
Ihm erwiderte einer von diesen letzteren:
»Tust du doch, als ob du allein nicht wüßtest, daß große Häuser am allerleichtesten zu bestehen sind! Denn wohnt gleich ein zahlreiches Gesinde darinnen, so ist doch jedweder weit mehr um sein Leben als um des Herrn Gut besorgt. Schlechte und gerechte Leute aber, die so ganz in der Stille leben und von ihrem bißchen Gelde kein Wesen machen, die verteidigen ihre Habe aufs hartnäckigste und selbst mit Gefahr ihres Leibes und Lebens.
Was ich hier sage, kann ich durch dasjenige erweisen, was uns begegnet ist.
Kaum daß wir nach Theben, mit den sieben Toren gekommen und uns, nach unseres löblichen Handwerks Sitte und Brauch, unter der Hand nach den wohlhabendsten Einwohnern umzusehen angefangen hatten, als wir von einem gewissen Chryseros, einem steinreichen Wechsler, Kundschaft einzogen. Aus Furcht vor öffentlichen Bedienungen, wobei etwas zuzusetzen ist, tut dieser, als ob er noch so arm sei, wohnt in einem ganz kleinen, aber wohlverwahrten Häuschen mutterseelenallein, geht schmutzig und zerlumpt wie ein Bettler einher und kommt weder Tag noch Nacht von seinen Goldsäcken hinweg.
Auf den münzten wir es nun sogleich. Da wird’s nicht einmal was zu streiten geben mit einem so einzelnen Menschen, dachten wir; im Spielengehen nehmen wir dem all seine Habseligkeiten ab!
Aber warte ein wenig! Er beluchste uns garstig.
Mit einbrechender Nacht waren wir vor seiner Tür. Wir hielten insgesamt nicht für ratsam, sie auszuheben, aufzusprengen oder durchzubrechen, damit wir kein Geräusch machten, wovon die Nachbarn aufwachen könnten; denn das dürft’ uns übel bekommen. Was hat da mein Lamachus, unser kreuzbraver Anführer, zu tun?
In einem edeln Vertrauen auf seine bewährte Tapferkeit greift er leise mit der Hand durch das Schlüsselloch[40] und sucht inwendig das Schluß abzureißen.
Aber Chryeros, das allerärgste, das abscheulichste von allen Geschöpfen, die auf zwei Beinen herumlaufen, immer wach, immer die Ohren gespitzt, hatte uns lange schon gemerkt und war auf den Zehen stockmäuschenstill herbeigeschlichen. Sobald nun Lamachus’ Hand zum Schlüsselloch hereinkommt, stößt er plötzlich mit aller seiner Macht einen großen Nagel durch dieselbe und heftet sie, so fest er nur kann, an das Tor.
In diesem Zustande läßt er ihn wie am Galgen zappeln, und somit im Hui auf den Boden seiner Hütte hinauf, und von da aus vollem Halse, als ob er am Spieße stecke, in die Gasse hinuntergeschrien: ›Feuer! Diebe! Diebe! Feuer!‹ Einen jeden seiner Nachbarn bei Namen gerufen und nichts anders getan, als brennte sein Haus schon heller lichter Lohe, und als würden den Augenblick auch die übrigen von der Flamme ergriffen werden, wenn sie nicht flugs zur Hilfe kämen.
Erschrocken über die nahe Gefahr, eilten alle ängstlich herbei.
Wir sahen uns unterdessen in der jämmerlichen Verlegenheit, entweder selber allesamt draufzugehen oder unsern Hauptmann im Stiche zu lassen. Zur rechten Zeit aber noch schlugen wir mit seiner Bewilligung einen glücklichen Mittelweg ein. Wir hieben unserm Anführer im Ellbogen den Arm ab, ließen den zurück, wickelten etwas um den Stummel, damit von dem herausfließenden Blut unsere Spur nicht verraten würde, und nun Reißaus genommen mit unserm Lamachus!
Da uns jedoch tapfer nachgesetzt wurde und wir beständig über Hals und über Kopf fliehen mußten, Lamachus aber ebensowenig schnell uns folgen als sicher zurückbleiben konnte, so bat dieser großmütige, erztapfere Mann bald diesen, bald jenen von uns aufs flehentlichste, rührendste, bei der Rechten des Mars, bei dem Eide unsers Bundes, ihn, unsern biedern Kameraden, doch den Qualen und der Gefangenschaft zu entreißen. ›Wozu‹, sagte er, ›wozu sollte ein rechtschaffender Räuber seine Hand überleben, ohne die er doch weder rauben noch morden kann? Jetzt bin ich sattsam glücklich, wenn ich durch Freundeshand mit eigenem Willen sterbe!‹
Unterdessen, er konnte niemand von uns überreden, ihn zu töten.
Da zog er mit der Linken sein Schwert, küßte es zärtlichst und stieß es sich selbst aus allem Vermögen mitten durch die Brust.
Mit stummen Erstaunen verehrten wir den hohen Mut unseres edlen Hauptmanns, nahmen seinen Leib mit uns, hüllten ihn sorgfältig in weiße Leilachen ein und übergaben ihn dem Meere. Und so ist ein ganzes Element das Grab unseres Lamachus, der ein ruhmwürdiges Leben mit einem ruhmwürdigen Tode gekrönt hat!
Was aber den Alcimus betrifft, so hat er, wie aufgeweckt er auch war, doch dem bösen Geschicke nicht entgehen können.
Er brach in die Hütte eines alten schlafenden Mütterchens ein und stieg zu ihr in die oberste Bucht hinauf. Anstatt aber da mit dem Erwürgen der alten Vettel anzufangen, ließ er sich einfallen, uns lieber alle ihre Sachen zum Fenster herunterzuwerfen. Er war nicht faul, bald war alles ausgeräumt, und nun sollte es auch über das Bette hergehen, worin die Alte lag. Er schmiß sie also heraus auf den Boden und wollte ihr auch nicht einmal die Decke lassen; aber auf ihren Knien bat ihn der alte Nickel: ›Oh, habe Erbarmen, mein Sohn, und wolle doch nicht auch diese so elenden Lumpen eines armen unglücklichen alten Weibes ihren steinreichen Nachbarn schenken, in deren Hof dieses Fenster geht!‹
Alcimus, überlistet, nimmt das für bares Geld. Damit nun sowohl das, was er vorher hinabgeschmissen, als auch das, was er noch hinabwerfen wollte, nicht aus Irrtum in fremde, sondern in unsere Hände fallen möchte, so hängt er sich bald mit halbem Leibe zum Fenster hinaus, um die Sache zu untersuchen und zu gleicher Zeit auch in dem Hause der reichen Nachbarn, wovon die Alte sprach, die Gelegenheit abzusehen. Darüber vergißt er sich aber so sehr, daß er sich immer weiter und weiter zum Fenster hinausreckt, bis er endlich ganz im Gleichgewicht schwebt. Da erwartete ihn die schlaue Alte. Mit schwacher Hand hilft sie ihm, ohne daß er es sich versieht, unten bei den Füßen nach und stürzt ihn so, Kopf unten, Kopf oben, in die Gasse hinab.
Außerdem, daß er sehr hoch fiel, schlug er noch unten auf einen großen Eckstein auf, daß er sich auch gleich Rückgrat und alle Rippen im Leibe zerschmetterte und das Blut ihm aus Maul und Nase herausströmte.
Er quälte sich nicht lange. Kaum konnte er uns erzählen, was sich zugetragen, als er verschied.
Wir bestatteten ihn gleich dem Lamachus, der an ihm einen Nachfolger erhielt, der gewiß seines nicht unwert war.
Nachdem uns diese zweite schmerzliche Wunde geschlagen, taten wir auf alle weiteren Unternehmungen in Theben Verzicht und stiegen zur nächsten Stadt, Platää, hinab.
Das Gerücht machte uns da sogleich einen gewissen Demochares bekannt, der eben ein Fechterspiel geben wollte. Er war ein Mann von der edelsten Geburt, von großem Vermögen und von ausnehmender Freigebigkeit, und die Zurüstung zur öffentlichen Lustbarkeit geschah mit einer Pracht, die vollkommen seiner würdig war.
Ich müßte ein ganzer Kerl an Geist und Beredsamkeit sein, wenn ich euch alle die mancherlei Anstalten, die er getroffen hatte, schicklich beschreiben könnte. Genug, da sah man eine Menge der behendesten Tierkämpfer; da waren arme Sünder, die wilden Tieren zum Fraße gemästet wurden, und auf dem Orte, wo die Kampfspiele sollten gehalten werden, war sehr zierlich ein hölzernes übersetztes Gerüst gleich einem Gebäude, das sich um einen Versammlungsplatz herumzieht, aufgerichtet und mit den schönsten Gemälden ausgeschmückt. Und welch eine Anzahl wilder Tiere und von welcher Größe; denn er hatte diese lebendigen Gräber der zum Tode verurteilten Menschen von den entlegensten Orten her mit äußerster Sorgfalt zusammengeholt.
Vorzüglich aber vor allen übrigen Zubereitungen zu diesem herrlichen Feste ließ er sich eine Menge großer Bären überaus viel kosten. Außer denen, die er auf seinen eigenen Jagden gefangen, außer denen, die er mit dem teuersten Pfennig erkauft hatte, unterhielt er noch viele, die ihm verschiedene seiner Freunde zum Geschenk gemacht hatten.
Indessen, ungeachtet Demochares diesen Tieren es weder an hinlänglichem Futter noch an der sorgfältigsten Wartung fehlen ließ, so konnte er sie dennoch nicht vor dem Tode in Sicherheit stellen. Bei der langwierigen Gefangenschaft, der übermäßigen Sonnenhitze und dem beständigen faulen Daliegen zehrten sie sich ab, wurden krank, und ehe man es sich versah, war das Sterben unter ihnen. In sehr kurzer Zeit war fast nichts davon mehr übrig.
Das Volk, anstatt sich an der Hetze dieser stattlichen Tiere zu erlustigen, sah sie nun jämmerlich verreckend hin und wieder auf den Straßen liegen, und arme Elende, welche Mangel und nagenden Hunger selbst nach widrigem Aase lüstern macht – kamen und holten sie sich zur Speise.
Dieser Umstand gab mir und dem Babulus folgenden listigen Anschlag ein:
Wir tragen uns den größten, feistesten von diesen Bären nach unserer Herberge und stellen uns, als wollten wir uns damit recht was zugute tun. Wir ziehen ihm das Fell ab, lassen aber die Tatzen unversehrt sowie den Kopf bis ans Genicke. Darauf schaben wir die Haut sorgfältig aus, streuen brav Asche hinein und lassen sie an der Sonne trocknen. Derweilen diese durch die Hitze ihrer Strahlen sie gar macht, erlaben wir uns mit unsern Kameraden an dem fetten Fleische und verabredeten zum bevorstehenden Unternehmen diesen Plan:
Einer aus unserer Mitte, der alle übrigen noch weit mehr an Herz und an Leibeskräften überträfe, solle sich freiwillig in die Haut stecken und den Bären spielen, sich als solcher in Demochares’ Wohnung bringen lassen und dann bei nächtlicher Weile, wenn alles schliefe, den andern die Haustür eröffnen.
Wie viele unserer unerschrocknen Gesellschaft waren nicht gleich zu dieser glänzenden Tat bereit! Doch einstimmig wurde vor allen andern Thrasileon erwählt, und mit Freuden unterzog er sich dem gefährlichen Wagnis. Er fährt heiteren Angesichts in das geschmeidige wohlgegerbte Fell hinein. Wir nähen es mit einer feinen Naht zu, die wir bestmöglichst unter den langen dichten Zotten verbergen. Seinen Kopf stecken wir in des Tieres Hals, und zum Atemholen und Sehen machen wir ihm um die Gegend der Nasenlöcher und der Augen kleine Öffnungen. Und nachdem wir also unsern tapfern Kameraden zu einem fürchterlichen Bären umgeschaffen, kaufen wir für ein Geringes einen Käfig, in den er stracks von selbst mit dem standhaftesten Mute hineinkroch.
Nach diesen Vorbereitungen schreiten wir folgendermaßen zur weiteren Ausführung unseres listigen Anschlags.
Wir hatten auskundschaftet, daß ein gewisser Nikanor aus Thrazien ein sehr genauer Freund des Demochares sei. In seinem Namen schrieben wir einen Brief, da er dem Demochares hiermit die Erstlinge seiner Jagd überschicke, um von seiner Seite auch etwas zur Pracht der Spiele seines Freundes beizutragen.
Nun war der Abend herangekommen. Unter dem Schleier der Finsternis tragen wir unsern Thrasileon in dem Käfig samt dem falschen Sendschreiben zum Demochares.
Er erstaunte über die Größe der Bestie und freute sich außerordentlich, daß ihn sein Freund just so zur gelegenen Zeit beschenkte. Er zog den Beutel heraus und gab uns zehn Dukaten Trinkgeld, daß wir ihm ein Geschenk überbracht, das ihm so viel Freude machte.
Unterdessen zog die Neugier viele Leute herbei. Sie standen alle voller Bewunderung um unsern Bären herum. Thrasileon war aber immer wohl auf seiner Hut. Sobald sich jemand zu nahe an ihn wagte, so fuhr er grimmig auf ihn los und wies den Vorwitzigen ab.
Man pries einhellig den Demochares glücklich, daß er fast dem Schicksale zum Trotz den großen Abgang der Tiere gleich wieder durch einen so guten Zuwachs ersetzen könnte.
Er gab Befehl, den Bären sofort nach einem seiner Landgüter zu bringen und desselben allda aufs beste zu warten. Allein das gab ich nicht zu! – ›Gnädiger Herr!‹ fing ich an, ›ich weiß nicht, ob Sie gut tun, daß Sie ihn jetzt, da er von der Sommerhitze und der Reise abgemattet ist, zu einem Haufen anderer Bären tun wollen, die sich obendrein, wie ich höre, nicht so recht wohlbefinden sollen. Wäre es unmaßgeblich nicht besser, wenn Euer Gnaden ihn hier im Hause an einen schattigen, luftigen Ort hinbringen ließen, wo auch allenfalls ein Teich in der Nähe wäre, damit er sich abkühlen könnte? Denn Euer Gnaden wissen wohl, daß dergleichen Tiere sich gern in dichten Hainen, feuchten Höhlen oder auf anmutigen Hügeln und an kühlen Quellen aufzuhalten pflegen.‹
Meine Bedenklichkeit jagte den Demochares ins Bockshorn, und damit dieser Bär nicht auch verrecken möchte, pflichtete er ohne weitere Umstände sogleich meinem Vorschlage bei und gestattete uns, den Käfig in seinem Hause hinzustellen, wo wir es nur für gut befänden.
›Wir wollen, mit Eurer Gnaden Wohlgenehmen, hier auch wohl des Nachts beim Käfig wachen‹ – fügt’ ich hinzu –, ›damit das arme Tier nach der ausgestandenen Hitze und Beschwerde der Reise auch mit aller Pünktlichkeit und, wie’s gewohnt ist, gefüttert und getränkt werde.‹ –
›Was das anlangt‹, gab er zur Antwort, ›so bedarf ich dazu Eurer Hilfe nicht. Fast mein gesamtes Gesinde weiß durch die lange Gewohnheit recht gut mit Bären umzugehen.‹
Darauf empfahlen wir uns und gingen fort, gingen zur Stadt hinaus und suchten uns ein Grabmahl, das etwas abseits von der Landstraße an einem entfernten verborgenen Orte gelegen.
Da öffneten wir vorläufig zur Aufbewahrung der künftigen Beute verschiedene Särge, die vor Fäulnis und Alter nur halb noch bedeckt waren und nichts als den Staub verwester Toter enthielten, und warteten’s ab, wie wir’s immer zu machen pflegen, daß es finster wurde und die Leute im ersten Schlafe tief begraben lagen.
Nun bricht unsere ganze Schar wohlbewaffnet auf, und nicht anders, als hätte sie sich zur Plünderung verbürgt, stellt sie sich vor Demochares’ Tür ein.
Thrasileon seinerseits paßt gleichfalls der Nacht raubgünstigen Augenblick ab, kriecht aus dem Käfig heraus, ermordet erst die neben ihm schlafenden Wächter alle miteinander, dann auch den Pförtner, und nun macht er die Haustür auf, läßt uns flugs hinein und zeigt uns die Kammer, worin er abends einen großen Vorrat Silbergeschirr hatte verwahren sehen.
Ohne lange zu fackeln, legen wir insgesamt Hand an, und mit Gewalt hineingebrochen!
Dies getan, befehle ich einem jeden von uns, so viel Gold und Silber aufzusacken, als er nur fortbringen könnte, es in aller Geschwindigkeit in der Behausung unserer biederen Toten zu verbergen, dann spornstreichs wieder zurückzukehren und wiederum also zu tun. Ich wollte mich unterdessen, zum gemeinschaftlichen Besten, vor die Tür pflanzen und bis zu ihrer Wiederkunft genau alles beobachten, was von außen vorging, derweilen Thrasileon, immer noch als Bär, im Hause umginge und das Gesinde fürchten machte, wenn etwa jemand davon erwachen sollte, denn wer würde nicht, wenn er auch noch so tapfer und unerschrocken wäre, bei dem Anblicke eines so ungeheuren Tieres, zumal bei Nacht, sogleich davonlaufen und mit großem Herzklopfen sich hinter Schloß und Riegel in seiner Kammer verschanzen?
Trotz dieser herrlichen Anordnungen mußte doch alles unglücklich ablaufen!
Derweilen ich ganz ängstlich die Zurückkunft unserer Kameraden erwarte, stiehlt sich einer von den Bedienten im Hause, den das Gelärm aufgeweckt hatte, leise auf den Zehen aus seinem Winkel heraus, sieht den Bären los und frei im Hause herumspazieren und schleicht dann wieder stillschweigend zurück und erzählt’s den andern.
Den Augenblick ist der ganze Flur mit dem Hausgesinde angefüllt, und Fackeln, Laternen, Lampen, Wachs- und Talgkerzen, und was es sonst noch für Arten von Nachtlichtern gibt, erhellen die Finsternis.
Jedweder ist bewaffnet, der mit einem Knüppel, der mit einem Spieß, der mit einem blanken Degen, und so besetzen sie die Türen. Die großen zottigen Doggen werden auch herbeigerufen und an den ergrimmten Bär angehetzt.
Da war keine Zeit zu verlieren; ehe noch das Getümmel überhandnahm, war ich zum Hause hinaus und versteckte mich hinter der Tür, von wo aus ich den Thrasileon sich bis zum Erstaunen gegen die Hunde wehren sah. Obgleich er jetzt am äußersten Rande des Lebens stand, so war er doch nimmer seiner selbst, noch unser, noch seiner vormaligen Tapferkeit uneingedenk, sondern kämpfte noch frisch, da er dem Tode gleichsam schon im Rachen steckte; ja, er spielte selbst seine Rolle, die er freiwillig übernommen hatte, bis auf seinen letzten Atemzug fort. Bald floh er, bald stellte er sich wieder zur Wehr und verteilte, auf den Hinterfüßen sitzend, mit den Vordertatzen rechts und links Maulschellen.
Endlich erwischte er sogar durch eine jähe Wendung aus dem Hause hinaus, ohne sich jedoch durch die Flucht retten zu können, wenn er gleich im Freien war. Denn alle Hunde von der Gasse, die nicht in geringer Anzahl waren, stießen mit lautem Gebell und voller Wut zu denen, die dicht hinter ihm her zum Hause herauskamen; und da sah ich das traurigste, jämmerlichste Schauspiel, unsern armen Thrasileon unter unzähligen Hunden und von ihren wütenden Bissen zerfleischt und zerfetzt.
Ich konnte den Anblick nicht ertragen, er zerriß mir die Seele. Ich mischte mich unter den Haufen des zusammenlaufenden Volks und suchte meinem armen Kameraden zu helfen, so gut ich wenigstens ohne mich selbst zu verraten, konnte, indem ich dem vornehmsten Anhetzer zuschrie:
›Nun wahrlich, das ist auch unverantwortlich, daß wir ein so großes kostbares Tier von den Hunden zerreißen lassen.‹
Doch der Pfiff war umsonst. Es kam ein großer starker Kerl aus dem Hause herausgestürzt, der rannte den Bären mit einem Spieße gleich mitten durch die Brust; seinem Beispiel folgten mehrere. Nun hatte ein jeder Mut, alle Furcht verschwand; wer nur ein Mordgewehr erhaschen konnte, der kam und stach mit drauflos.
Thrasileon bezeigte sich inzwischen immerfort als die Krone unsres Ordens. Eher war sein der Unsterblichkeit würdiger Geist erschöpft, denn seine Geduld; nicht durch Geschrei, nicht einmal durch Gewimmer brach er seinen getanen Eid der Treue. Von Hunden zerrissen, von Schwertern und Spießen zerhackt und zerstochen, besiegte er als Held mit unüberwindlicher Standhaftigkeit seine Schmerzen. Er grunzte und brummte gleich einem Bär bis auf den allerletzten Augenblick, da er sein junges Leben dem Schicksal für ewig unerlöschlichen Ruh zurückgab.
Furcht und Schrecken, so er den Leuten eingejagt, waren so groß, daß es hell wurde und auch noch ein großer Teil des Tages verging, ehe sich jemand getraute, das tot am Boden hingestreckte Tier auch nur mit einem Finger anzurühren! Endlich faßte noch ein Fleischer Mut, wagte sich heran, schlitzte ihm den Bauch auf und schälte somit, zur allgemeinen Verwunderung, den unvergleichlichen Räuber heraus.
Also büßten wir den Thrasileon auch ein! Indessen mit ihm ist uns nicht zugleich auch sein Ruhm verloren.
Wir andern packten schleunigst alles zusammen, was die Toten uns treu und redlich verwahrt hatten, und damit fort über die platäische Grenze.
Unterwegs überdachten wir bei uns selbst, wie natürlicherweise keine Redlichkeit mehr unter den Lebendigen zu finden sei, da sie sich so, aus Abscheu vor dem Betrug, in die Gräber zu den Verstorbenen geflüchtet.
Und so bringen wir euch denn nach drei Mann Verlust, ganz abgemattet vom Tragen und Marschieren, diesen unsern Raub zu, den ihr da sehet!«
Nach Endigung dieses Gesprächs gossen die Räuber alle aus goldenen Bechern lautern Wein zum Gedächtnis ihrer verlorenen Kameraden aus, sangen auch verschiedene Liederchen zum Lobe ihres Schutzpatrons, des Mars, und legten sich dann ein wenig schlafen.
Derweilen hatte uns die Alte Gerste ohne Maß und zur Genüge vorgeschüttet. Mein Pferd, das den ganzen Überfluß allein auf sich nahm, stand sich sehr wohl dabei, allein ich, der die Gerste nur allenfalls in Graupensuppen leiden mag, ich stöberte bald den Winkel aus, wo die Überbleibsel der Mahlzeit waren hingetan worden, und machte da meinen vor langem Hunger fast verstarrten und aufeinandergewachsenen Kinnbacken gar weidlich zu tun.
Als es weiterhinkam in die Nacht, wurden die Räuber wieder wach und brachen auf. Sie rüsteten sich verschiedentlich; die einen bewaffneten sich mit Gewehr, die andern verkleideten sich als Gespenster. So zogen sie aus.
Weder hierdurch noch durch Schlaf ließ ich mich in meinem Eßeifer stören. Als Lucius war ich stets mit ein, zwei Broten zufrieden und stand vom Tische auf. Jetzt, bei der bodenlosen Tiefe meines Bauches, fühlt’ ich den dritten Korb voll noch nicht, und der helle Tag überraschte mich noch bei voller Arbeit.
Da schämte ich mich aber doch trotz aller meiner Eselhaftigkeit, hörte auf und ging und trank einmal aus dem frischen Bache.
In kurzem waren die Räuber wieder da, aber voller Angst und Besorgnis. Diesmal hatten sie weder Pack noch Bündel, noch sonst das Allergeringste; alles, was sie mit blanken Schwertern, in großem Schwarm und Getümmel mitbrachten, war ein Mädchen; aber auch was für ein Mädchen!
Ihre Gestalt und ihr Wesen verrieten offenbarlich, daß sie von den Vornehmsten in der Provinz sei, und ihre Reize machten selbst einen solchen Esel, als ich war, lüstern. Sie jammerte unablässig und zerriß ihre Kleider, zerraufte ihr Haar.
Als die Räuber sie in die Höhle absetzten, sprachen sie ihr Trost zu.
»Seien Sie ruhig«, sagten sie, »Sie dürfen bei uns weder für Ihr Leben noch für Ihre Ehre besorgt sein. Haben Sie nur kurze Zeit Geduld, daß wir ein Stück Geld mit Ihnen verdienen können, weiter geht unsre Absicht nicht. Wir können uns nicht helfen, aus Not und Armut müssen wir einmal schon dies Handwerk treiben; aber Ihre Eltern, die so überschwengliche Reichtümer besitzen, werden Sie nicht lange bei uns lassen. Bei dem Lösegeld für ihre einzige Tochter werden sie gewiß nicht knausern, und wenn sie auch sonst noch so geizig wären!«
Mit diesem und ähnlichem Gewäsche dachten sie des Mädchens Schmerz zu mildern, aber vergebens. Mit auf die Knie gelegtem Haupte saß sie und weinte immerfort.
Die Räuber riefen darauf die Alte und befahlen ihr, sich zu dem Mädchen zu setzen und ihr so gut, als sie nur wüßte und könnte, zuzureden; sie selbst aber gingen wieder ihren Geschäften nach.
Aber keine Reden der Alten vermochten das Mädchen, daß sie mit Weinen aufhörte; vielmehr heulte und schluchzte sie nur immer ärger, so daß sie mir endlich selbst Tränen auspreßte.
»Wie soll ich nicht weinen«, schrie sie, »wie kann ich nur leben, da ich Unglückliche einem so ahnsehnlichen Hause, so zahlreichem, so teurem Gesinde entrissen bin? Ach, verwaist bin ich der besten Eltern und ein Raub geworden sträflicher Hände, meine Freiheit verloren habe und wie eine Sklavin mich hier eingekerkert sehe in diesen Felsen, jeglicher Gemächlichkeit, jeglicher Freude beraubt, worin ich geboren und erzogen bin, und in augenblicklicher Gefahr meines Lebens und meiner Ehre, unter dieser Menge abscheulicher Straßenräuber und Banditen?«
Also wehklagte sie, bis endlich vor Betrübnis der Seele, vor Heulen und Schreien und Abmattung des Körpers ihr die Augen zufielen und sie einschlief.
Kaum hatte sie eine Weile geruht, als sie mit einmal wie wahnsinnig aus dem Schlafe aufschreckte und weit heftiger als vorher sich zu beklagen anfing, um sich den Busen mit wütenden Händen zu schlagen und ihr allerliebstes Gesicht zu verletzen.
Die Alte drang lebhaft in sie, ihr die Ursache ihrer neuen verstärkten Betrübnis zu entdecken, aber sie seufzte immer nur tiefer auf und schrie:
»Ach, nun, nun ist’s vollends mit mir aus! Nun ist auch der letzte Schimmer von Hoffnung für mich dahin, und nichts als Strick, Dolch oder Abgrund bleibt mir zur Rettung übrig!«
Endlich ward die Alte böse und befahl ihr ganz ernstlich, zu sagen, welch neues Unglück sie denn beweine und was ihren Jammer wieder so lebhaft aus dem Schlummer erwecke?
»Ei, wollt Ihr denn mit aller Gewalt durch Euer übermäßiges Gehärme meine Herren um Euer ansehnliches Lösegeld bringen?« sprach sie. »Wo Ihr nicht gleich Euch zufriedengebt, so werden wir uns viel um Eure Tränen scheren (die rühren Straßenräuber so niemals!) und werden Euch bei lebendigem Leibe verbrennen!«
Diese Drohung jagte dem Mädchen großen Schreck ein. Sie küßte dem alten Tiere mit Inbrunst die Hände und sprach in der äußersten Bewegung:
»Mütterchen, liebes Mütterchen, schonet mein! Tragt aus Menschlichkeit Erbarmen mit meinem harten Schicksal, denn das graue Alter, das Euch ehrwürdig macht, wird ja nicht in Eurer Brust alles Mitleid erstickt haben. Seht nun hier das Gemälde meines unaussprechlichen Elends!
Ein Jüngling, schön von Gestalt, der Vornehmste seiner Stadt, den jedermann wie sein eigen Kind liebt, mein leiblicher Vetter, nur etwa drei Jahre älter als ich, mit mir erzogen, mit mir von Kindesgebein an in solcher Vertraulichkeit und unschuldigen gegenseitigen Lieben aufgewachsen, daß wir fast beständig nur ein Haus, eine Kammer, ein Bett selbander gehabt, mir seit geraumer Zeit ehelich verlobt – dieser wird nun endlich nach errichteter Ehestiftung von unsern beidseitigen Eltern einstimmig zur Hochzeitsfeier aufgefordert und geht mit zahlreichem Gefolge naher Anverwandter in alle Kapellen und Tempel der Stadt umher, den Göttern Freuden- und Dankopfer zu bringen. Das ganze Haus ist mit Blumen und Lorbeeren ausgeschmückt, die Hochzeitsfackeln glänzen. Der Hymenäus[41] erschallt. Meine unglückliche Mutter, mich in ihrem Schoß haltend, legt mir freudig den Brautputz an, umarmt mich mit herzlicher Zärtlichkeit und verstärkt meine nahe Hoffnung künftiger Kinder durch die wärmsten eifrigsten Wünsche.
Siehe, indem fällt plötzlich eine Räuberbande ein. Alles gewinnt das Ansehen des Krieges, Waffen klirren, gezückte Schwerter blitzen. Indessen niemand raubt, niemand mordet. In geschlossenem Zuge dringen die Räuber unaufhaltsam bis in unser Gemach vor, und da – ohne daß ein einziger unserer Leute sich widersetzt, ohne daß einer auch nur einen Augenblick Widerstand tut – entreißen sie mich Arme, ohnmächtig vor übermäßigem Schrecken, aus den Armen, rauben sie mich aus dem Schoße meiner teuren, zitternden und zagenden Mutter, und zerstört und vernichtet ist meine Hochzeit wie vormals die Hochzeit der Tochter des Athrax mit dem Pirithous[42]!
Jetzt nun, erneuert, häuft mein Unglück noch ein entsetzlicher Traum. Ich träumte: ich sähe mich mit Gewalt aus dem Hause, aus der Brautkammer, ja selbst aus dem Brautbette hinweg durch abgelegene Einöden schleppen. Ich rief den Namen meines unglücklichen Bräutigams. Bald, so erblickt’ ich ihn selbst. Sowie er mich nur vermißt, hatte er, triefend von Salben und mit Kränzen geschmückt, wie er war, mir, die ich ihn so wider meinen Willen floh, auf der Spur nachgesetzt. Mit lauten Geschrei klagt er die Entführung seiner Braut, flehet alle Leute um Hilfe an. Da raffte endlich einer von den Räubern, aus Verdruß über sein ungestümes Verfolgen, einen großen Stein auf, der ihm vor den Füßen lag, und warf damit den armen Jungen, meines Herzens Geliebten, meinen Bräutigam, tot zur Erde nieder. Über diesen entsetzlichen Anblick erschrak ich so sehr, daß ich außer mir aus dem Schlaf auffuhr.«
Die Alte seufzte zu den Tränen des Mädchens und hub darauf an:
»Seid getrost, gutes Kind, und laßt Euch nicht durch eitle Träumereien in Schrecken setzen. Denn Traumgesichter bei Tage werden ja allgemein für falsch gehalten, und die nächtlichen Träume bedeuten noch dazu oft das Gegenteil von dem, was sie verkündigen. Wer da träumt zum Beispiel, er weine, bekomme Schläge, werde erwürgt, dem steht zuweilen just ein großer Gewinn oder sonst ein Glück bevor. Hingegen Lachen, Schmausen, Genuß der Liebe und dergleichen deuten zumeist nur Betrübnis, Krankheit und Verlust von allerlei Art an. Ich will Euch lieber durch kurzweilige Märchen und Erzählungen zu zerstreuen suchen!«
Sie begann sogleich[43]:
»In einem gewissen Lande lebten einst ein König und eine Königin, welche drei Töchter hatten. Reiz und Anmut schmückten die beiden ältesten in sehr hohem Grade. Doch verschwanden beide wie im Schatten neben dem strahlenden Glanze ihrer jüngern Schwester.
Die Natur schien an dieser all ihren Reichtum erschöpft zu haben, ihre Schönheit war weit über das Menschliche, kein Lob konnte sie erreichen; ja, jede Sprache war zu arm, sie nur zu beschreiben.
Auch zogen Eingeborene sowohl als Fremdlinge, durch den Ruf von dieser Wunderschönheit neugierig gemacht, in Menge dahin. Alle wurden so vor Bewunderung darüber außer sich, daß sie die Prinzessin, nicht anders als ob sie die Göttin Venus selbst wäre, in aller Förmlichkeit anbeteten.
Hierdurch entstand in allen umliegenden Städten und Ländern die Sage: Die Göttin, welche aus des Meeres blauer Tiefe geboren und von dem Taue schäumender Wellen ernährt worden, verstatte jetzt ihrer Gottheit Anblick und wandle sichtbarlich in den Versammlungen des Volks einher; oder es habe gar durch einen neuen Einfluß der himmlischen Gestirne jetzt die Erde, wie ehemals das Meer, eine neue jungfräuliche Venus hervorgebracht.
Dieses Gerücht verbreitete sich mit jedem Tage weiter und weiter. In kurzem war es in den entferntesten Inseln und Landen erschollen.
Nun kamen von nahe und von ferne, über Berge und über Täler und über die Schlünde des Meeres unzählige Scharen, diese glorreiche Seltenheit des Jahrhunderts zu schauen. Niemand schiffte mehr nach Paphos zur Göttin Venus, niemand nach Knidos, noch selbst nach Cythera[44]. Die Heiligtümer der Göttin werden vernachlässigt, die Tempel verfallen, ihre Kissen werden mit Füßen getreten, unbekränzt stehen ihre Bildsäulen, und die verwaisten Altäre sind mit kalter Asche bedeckt. Jedermann betet zur Prinzessin. In ihr wird jene große Gottheit verehrt. Des Morgens bei ihrem Erscheinen dampften der Sterblichen Opfer, um der abwesenden Göttin Gunst zu erhalten. Man feierte ihr Fest. Wandelt sie auf den Straßen, so begleitet sie in Gepränge das Volk, wirft sie mit Sträußen und Kränzen und streuet ihr Blumen.
So unmäßig ward die Ehre der Himmlischen einem sterblichen Mädchen zugewandt. Venus Aphrodite entbrannte darüber in Zorn. Im bittersten Unwillen schüttelte sie das Haupt und sprach bei sich selbst: ›Wie, ich, der Natur erste Mutter, der Elemente Urheberin, des ganzen Alls ewige Erhalterin, ich soll mit einer Sterblichen die Ehre der Anbetung teilen? Mein himmlischreiner Name soll an irdischer Niedrigkeit entweiht werden? Wie? Ein Kind des Todes soll gemeinschaftliche Opfer mit mir haben? soll mich der Ungewißheit fernerer Verehrung bloßstellen? soll mein Bild auf Erden sein? Mein Bild? So hätte ja Paris, dessen Treue und Gerechtigkeitsliebe der große Jupiter selbst billigte, mir vergebens den Preis der Schönheit vor so großen Göttinnen zuerkannt? Nein! Wer sie auch sei, sie soll sich wahrlich lange der angemaßten Ehre nicht freuen! Soll nur zu bald selbst diese ihre freventliche Schönheit verfluchen!‹
Und sogleich rief sie ihren Sohn, den geflügelten, kühnen Knaben, der mutwillig und frech aller Zucht spottet; des Nachts in den Wohnungen der Sterblichen umherschweift, die Eheleute verführt, die größten Ruchlosigkeiten ungestraft ausübt und überall nichts als Unheil stiftet.
Diesen, von Natur schon zu Bosheit geneigt, reizt sie nun durch Worte noch mehr an. Sie führt ihn in die Stadt, wo Psyche, denn so heißt die Prinzessin, sich aufhält: zeigt sie ihm, erzählt ihm die ganze Geschichte von Psychens Wetteifer mit ihr um den Vorzug der Schönheit, ruft endlich seufzend und mit dem Ausdrucke des allerheftigsten Unwillens:
›Bei dem Bande der mütterlichen Liebe, das mich mit dir vereint, mein Sohn, bei deiner Pfeile süßen Wunden, bei der seligen Glut, welche deine Fackel entzündet – beschwöre ich, flehe ich dich an: Verleihe deiner Mutter Rache, volle, überschwengliche Rache, züchtige diese freche Schönheit andern zu Scheu! Besonders aber erfülle mir dies Einzige, dies vor allem anderen Wichtigste: Verwunde das Mädchen mit der allerheftigsten Liebe zu dem niedrigsten der Menschen, dem das Schicksal Ehre, Gut und Gesundheit geraubt hat; ja, der so verworfen ist, daß er auf dem ganzen weiten Erdboden nicht seinesgleichen an Elend finden mag!‹
Nachdem sie so geredet, umarmt sie den Sohn lange und innigst mit süßen Küssen, begibt sich nach dem nahen Gestade des Meeres und schwebt mit rosigen Füßen über den obersten Schaum gekräuselter Wellen dahin.
Sie hatte kaum die Höhe des tiefen Meeres erreicht, siehe, so sind auf ihren bloßen Wunsch, als auf einen längst vorgegebenen Befehl, alle Meeresgottheiten dienstwillig um sie her versammelt. Da sind des Nereus Töchter und singen im Chor, da ist Portunus mit langem, blauem Barte, und Salacia, den Schoß von Fischen schwer, und der kleine Delphinritter Palämon. Der Tritonen Scharen durchschneiden hin und wieder des Meeres glänzende Fläche; einer bläst lieblich auf der tönenden Muschel, ein anderer schützt mit seidenem Schirme vor der Hitze der feindseligen Sonne, dieser trägt der Göttin einen Spiegel vor, noch andere unterstützen schwimmend den zweispännigen Wagen. In diesem Aufzuge begibt sich Venus zum Ozean.
Unterdessen gereicht Psychen ihre sich selbstfühlende Schönheit keineswegs zum Glück. Ein jeder staunt sie an. Ein jeder bricht über sie in Lobeserhebungen aus. Allein nicht ein einziger, nicht König, nicht Fürst, noch jemand vom Volke begehrt ihrer und wirbt um sie. Man bewundert sie, und das ist alles. Man bewundert sie gleich einer Bildsäule von Meisterhand. Ihre beiden älteren Schwestern hingegen, deren mäßige Schönheit kein Ruf fernen Völkern gepriesen hatte, waren früh an königliche Freier verlobt und genossen jetzt schon das Los glücklicher Ehen.
Allein in ihres Vaters Hause zurückgeblieben, ohne Hoffnung, jemals der seligen Freuden der Liebe zu genießen, weint die unglückliche Psyche ihre leeren Tage hin. Sie dünkt sich in einer öden Wüste verlassen, wird krank an Körper, krank an Seele; ihre Schönheit, welche die Bewunderung ganzer Nationen ausmacht, ist ihr selbst ein Greuel.
Ihr Vater betrübt sich darüber nicht weniger als sie selbst. Er glaubt endlich, irgendeine zürnende Gottheit müsse ihren Haß auf seine Tochter geworfen haben. Daher befragte er das uralte Orakel des milesischen[46] Gottes. Er denkt, vielleicht durch Flehen und Opfer von dieser mächtigen Gottheit für seine verschmähte Tochter einen Gemahl zu erhalten. Allein Apoll antwortet ihm:
›Stelle die Tochter, zur Hochzeit wie zur Leiche geschmücket,
Auf des erhabensten Berges felsigen Gipfel dahin.
Ihr ist von sterblichen Stamm kein Ehegenosse bestimmet,
Sondern ein Ungeheuer, falsch, grausam wie Otterngezücht;
Hoch erhebt sich’s auf Schwingen, noch über den Äther; allmächtig
Waltet’s mit Feuer und Stahl über die zitternde Welt.
Jupiter scheuet es selbst, den alle Götter doch fürchten.
Ja, der rächende Styx scheut es und bebet davor.‹
Wie schmerzlich traf dieser heilige Ausspruch die Seele des Königs! Sein ehemaliges Glück scheint ihm jetzt ein Traum. Langsam und traurig geht er nach Hause zurück und eröffnet seiner Gemahlin den schrecklichen Befehl des Gottes. Da ist Jammer! Tränen und Wehklagen nehmen kein Ende viele Tage lang.
Schon nahet die schreckliche Erfüllung des Orakels heran, wie zum Begräbnis werden die Anstalten zur Hochzeit der unglücklichen Prinzessin gemacht. Düster brennen die angezündeten Brautfackeln. Die hochzeitlichen Flöte seufzt nur klagende, lydische[47] Töne. Dumpf schallt der sonst so fröhliche Hymenäus, schließt traurig wie ein Sterbelied. Und mit Tränen der Verzweiflung netzt die Braut den geweihten Schleier.
Das Mißgeschick des königlichen Hauses rührt die ganze Stadt zum Mitleiden; die Trauer ist allgemein, Geschäfte, Gericht, alles unterbleibt.
Aber die Notwendigkeit, dem göttlichen Befehle zu gehorchen, rief die unglückliche Psyche zu dem bestimmten Ort. Sobald in tiefster Betrübnis alle nötigen Zurüstungen zur traurigen Hochzeitsfeier gemacht sind, so beginnt der Zug in Begleitung des ganzen Volkes.
Psyche schwimmt in Tränen, ihre Brust bebt von Schluchzen und Seufzen; sie geht zum Leichenbegräbnis, nicht zur Hochzeit. Ihren Eltern bricht das Herz; sie zögern soviel sie nur können, so abscheulichen Greuel zu verüben.
Der unaussprechliche Schmerz des Vaters und der Mutter macht endlich die Tochter ihres eigenen Schmerzes vergessen, sie spricht ihnen mit diesen Worten Mut ein:
›Quält doch nicht durch so stetes Jammern eure alten Tage, Vater! Mutter! Verkürzt nicht so euer teures Leben, das ich gern durch das meine noch verlängere! Was helfen diese ohnmächtigen Tränen, die euer ehrwürdiges Angesicht entstellen? – Haltet ein! Haltet ein! Oh, tut meinen Augen nicht weh durch Verletzung der eurigen, schonet doch eures grauen Haares, schonet eurer mir heiligen Brust; andern Lohn konntet ihr euch ja für meine große Schönheit nicht versprechen! Spät genug fühlt ihr jetzt erst des leidigen Neides tödliche Wunde. Als uns das Volk und fremde Nationen göttliche Ehre erweisen und einhellig mich die neue Venus nannten, da hättet ihr klagen, da weinen, da mich schon als tot betrauern sollen; denn ich fühlt’ es, ich seh’ es, dieser Name ist allein mein Unglück. Jetzt führt mich getrost fort. Stellt mich auf den angedeuteten Felsen hin, ich eile der glücklichen Vermählung entgegen, zu der ich bestimmt bin. Ich eile, meinen edlen Gemahl kennenzulernen. Denn wozu soll ich noch lange zögern? Wie soll ich dem entfliehen wollen, der zum Untergange der ganzen Welt geboren ist?‹ So sprach sie zu ihren Eltern und mischt sich nun mit gesetztem Tritt unter die Menge des begleitenden Volkes.
Der Zug geht zum angewiesenen Berge fort, man langt bei ihm an, führte die arme Psyche auf den obersten Gipfel desselben und läßt sie da allein. Bei ihr bleiben die Brautfackeln, mit denen war vorgeleuchtet worden, aber verlöscht von Tränen, denn jeder schied nur mit strömenden Tränen von dannen.
Auf dem Rückzuge hörte man keinen Laut. Ein jeglicher geht stillschweigend, in Gedanken vertieft, das Haupt zur Erde geneigt. Vater und Mutter sind ganz in Jammer niedergebeugt, sie verschließen sich im Innersten ihres Palastes, und trauriges Dunkel umhüllt ihre Tage. Mittlerweile stand Psyche oben auf dem Gipfel des Felsens, ganz allein, in der bangsten Erwartung. Sie zittert, sie bebt und weint bitterlich; auf einmal aber fühlt sie sich sanft überm Boden schweben.
Ein Zephyr hob unvermerkt sie empor; er schwellt mit lindem Hauche den Busen ihres Gewandes – rauschend flatterte der Saum umher – und so trug er sie ruhig in den Abgrund des darunter liegenden Tales und legte sie sanft in den blumigen Schoß eines weichen Rasens nieder.
Hier ist Psyche augenblicklich aller quälenden Unruhe entledigt. Sanft gebettet auf zartem Lager von betautem Grase, entschlummert sie allgemach. Nach langem erquickendem Schlaf erwacht sie endlich wieder heiterer als je und steht auf. Welch Anblick bietet sich da ihren Augen dar!
Sie befindet sich in einem anmutigen Lustwalde, wo unzählige Geschlechter der herrlichsten Bäume ihren Schatten ausbreiten. Eine Quelle, glänzender als Kristall, windet in mannigfaltigen Krümmungen sich mitten hindurch, und da, wo sie sanftrauschend vom Felsen herabstürzt und über sich leichten Silbernebel bildet, steigt auf grünem Ufer ein Palast empor, nicht von Menschenhand und Kunst erbaut. Gleich beim ersten Eintritt in denselben erkennt man ihn für eines Gottes Lustwohnung. Die Decke ist künstlich gewölbt, mit Elfenbein und Zitronenholz eingelegt und von goldenen Säulen unterstützt. Getriebene Arbeit von Silber überdeckt alle Wände, wilde und andere Tiere springen wie lebendig den Hereintretenden entgegen; eine Vollkommenheit der Kunst, die niemand erreicht, ohne ein Zauberer, wo nicht ein Halbgott oder ganz ein Gott zu sein! Der Fußboden prangt mit den köstlichsten Steinen, kleingeschnitten und von verschiedenen Farben, so meisterlich zusammengestellt, daß sie die vortrefflichsten Gemälde bilden. Oh, zwei- und mehrmals glücklich diejenigen, die da Gold und Edelsteine mit Füßen treten!
Gleicher unaussprechlicher Reichtum herrscht in allen anderen Teilen dieses weitläufigen Gebäudes. Die Mauern sind mit gediegenem Golde über und über bekleidet; von allem Glanze werden die Augen geblendet. Ja, wollte auch die Sonne diesem Palaste ihr Licht entziehen, es würden in demselben die Zimmer, die Gänge, die Türen durch ihren Schimmer einen eigenen Tag hervorbringen. Auch die Geräte stimmen allenthalben mit der übrigen Pracht überein. Kurz, alles, und jedes erweckt hier den Gedanken: der große Jupiter habe sich diese himmlische Wohnung zum Umgange mit den Menschen zubereitet.
Die Schönheit dieses Aufenthaltes zog Psychen an. Sie ging näher hinzu. Bald schon dreister geworden, wagt sie sich in eine Tür hinein; Neugierde und Bewunderung leiteten sie dann immer weiter und weiter, bis sie endlich, vom Größten bis zum Kleinsten, alles besehen hatte.
Nun besucht sie auch die Vorratsräume, die, bei der edelsten Bauart, mit den allergrößten Schätzen angefüllt sind. Was hier sich nicht findet, ist nirgendwo in der Welt.
Psyche war über so unermeßlichen Reichtum erstaunt. Doch ihre höchste Verwunderung war, daß sie zur Verwahrung dieses Schatzes aller Schätze weder eines Riegels noch eines Schlosses, noch sonst eines Hüters gewahr ward.
Wie sie dieses alles mit staunender Wonne noch immer betrachtet, wurde sie auf einmal erweckt. Eine Stimme sprach zu ihr, ohne daß sich ein Körper dazu sehen läßt:
›Wie kannst du, o Gebieterin, so lange bewunderungsvoll diese Kostbarkeiten anstarren? Sie sind doch alle dein. Gehe lieber in das Schlafzimmer, um dich auszuruhen, und begib dich, wenn es dir ansteht, in das Bad. Ich, deren Stimme du vernimmst, und noch viele unsichtbare Mädchen mehr sind deinem Dienste gewidmet. Unsere Emsigkeit wird es dir an nichts fehlen lassen; jegliche Bequemlichkeit und die köstlichste Tafel erwarten nur deinen Wunsch.‹
Psyche merkt jetzt, daß sich irgendeine Gottheit ihrer annimmt, sie folgt dem Rat der Stimme und erquickt sich durch einen leichten Schlummer und dann durch ein Bad, nimmt darauf an einer Tafel Platz, die für sie zubereitet dazustehen schien. Sogleich ist diese mit einer Menge der lieblichsten Weine und der auserlesensten Gerichte bedeckt. Niemand trägt sie auf, sie scheinen wie von der Luft getragen von selbst herbeizuschweben. Auch ist niemand von denen, die aufwarten, zu sehen. Psyche hört nur zuweilen einzelne Laute.
Nachdem sie abgespeist hat, tritt jemand auf und singt, und ein anderer begleitet den Gesang mit der Zither; der Sänger ist so wenig als der Zitherspieler noch die Zither selbst sichtbar.
Darauf läßt sich ein volltöniges Konzert von den lieblichsten Stimmen hören und ergötzt die Ohren Psychens, ohne daß wiederum ihre Augen die Kehlen zu entdecken vermögen, welche diese süße Harmonie hervorbringen.
Nach allen diesen Ergötzlichkeiten geht Psyche auf Anmahnen der einbrechenden Nacht endlich schlafen.
Schon tief in der Nacht weckt sie ein leises Geräusch. Da schaudert es ihr durch alle Glieder. In der großen Einsamkeit ist ihr für ihre Unschuld bange. Zwar weiß sie nicht, was sie befürchtet, aber sie fürchtet es mehr als den Tod.
Siehe, es ist ihr unbekannter Gemahl. Er besteigt das Brautbett, macht Psychen zu seiner Gattin und eilt noch vor Anbruch des Tages von ihr.
Kaum hat er sie verlassen, so sind auch schon die dienstfertigen Stimmen in dem Schlafgemache, um der Neuvermählten alle nötigen Hilfeleistungen zu reichen.
So währte es eine Weile fort. Es ging Psychen mit der neuen Lebensart, wie es immer zu gehen pflegt, anfangs war ihr alles so fremd, so unbehaglich, bald ward sie es durch die Dauer gewohnt, und endlich fand sie Gefallen daran. Die Gespräche mit ihren Unsichtbaren ersetzten ihr alle Gesellschaft.
Unterdessen verzehrten ihre armen alten Eltern sich in Gram und steter Betrübnis. Auch war das Gerücht von dem Orakel und seiner Vollziehung inzwischen zu den älteren Schwestern gekommen. In größtem Leidwesen verlassen beide schleunigst ihre Männer und eilen um die Wette, Vater und Mutter zu trösten und bei ihnen nähere Kundschaft wegen der Schwester einzuziehen.
In eben der Nacht spricht Psychens Gemahl, den sie nie sah, nur fühlte und hörte, also zu ihr:
›Geliebte Psyche, du mein süßes Weib, ein feindliches Schicksal drohet dir, eine große Gefahr! Aber achte nur genau auf diese meine Warnung, so ist ihr vorgebeugt. Deine Schwestern trauen dem Gerücht von deinem Tode nicht. Sie werden bald hier sein und deiner Spur oben auf dem Felsen nachsuchen. Kommt nun ihr Geschrei und Gewimmer dir zu Ohren, so antworte ja nicht, sieh auch nicht einmal nach ihnen hin. Du bereitest sonst mir den größten Schmerz und dir selbst das größte Unglück.‹ Psyche verspricht’s ihrem Gemahl; sie beteuert, nur seinem Rate zu folgen.
Allein kaum ist er mit der Nacht zugleich von ihr geschieden, als sie in Seufzer, Jammer und Tränen ausbricht:
›Jetzt‹, ruft sie, ›jetzt erst bin ich mit Recht unglücklich zu nennen! In einem goldenen Kerker eingesperrt, aller menschlichen Gesellschaft abgestorben, darf ich meine Schwestern nicht einmal trösten; meine Schwestern, die um meinetwegen sich härmen! Ach, ich darf sie nicht einmal sehen!‹
Und so geht es den ganzen Tag. Sie ißt nicht, trinkt nicht, genießt keine Erquickung, begibt sich nicht ins Bad. So fort ohne Maß weinend, legt sie sich endlich schlafen. Bald findet sich ihr Gemahl bei ihr ein, diesmal früher als gewöhnlich; aber auch seine Umarmung hemmt ihre Zähren nicht.
Leutselig wollte er ihr da ihre Empfindlichkeit verweisen: ›Wie, meine Psyche‹, sagte er, ›ist das die Art, womit du den Bitten der sorgsamen Liebe deines Gatten willfährst? Da bleibt mir wenig von deiner Folgsamkeit zu hoffen übrig! So Tag und Nacht und in meinen Armen selbst in Tränen zu zerfließen! Nein, lieber handle nach deinem eigenen Gefallen, tue, was dein Herz dir eingibt; aber sehen wirst du, wie schädlich das ist! Dann wirst du’s bereuen, daß du mir nicht gefolgt bist; aber dann ist’s zu spät!‹
›Flehentlich bitte ich dich, Geliebter‹, erwiderte ihm aber Psyche, ›gewähre mir den Wunsch meiner Seele! Laß mich meine Schwestern sprechen, sie trösten, oder ich muß sterben! Ich mache diesem meinem verhaßten Leben ein Ende!‹
Wie hätte er dieser fürchterlichen Drohung zu widerstehen vermocht? Augenblicklich ergibt er sich den Bitten seines jungen Weibes. Ja, in seiner zärtlichen Schwachheit stellt er es ihr frei, ihre Schwestern mit so viel Golde und so vielen Juwelen zu beschenken, als sie nur immer wolle.
Doch warnt er sie unaufhörlich, bald in Liebe, bald im Ernst, ja sich nicht von dem unglücklichen Rate derselben verleiten zu lassen, seine Gestalt zu erforschen. Dieser sträfliche Vorwitz werde sie ohne Rettung von dem Gipfel ihres Glückes in das äußerste Elend hinabstürzen und auf ewig seinen Umarmungen entreißen.
Mit aufwallender Freude dankt nun Psyche ihrem Gemahle.
›Eher‹, sagt sie, ›eher mag ich hundertmal sterben, als deinen geliebten Armen entrissen werden! Denn ich, wer du auch seiest, dich liebe ich mit ganzer Seele, wie mein Leben liebe ich dich, dich vertausche ich mit Amor selbst nicht! Doch dies Einzige gewähre meinen Bitten noch: Gebiete deinem Zephyr, auf eben die Art wie mich auch meine Schwestern hierherzubringen.‹
Jetzt schlingt sie ihre lilienweißen Arme um seinen Hals und küßt und liebkost ihn so viel und überhäuft ihn mit so vielen zärtlichen Namen der Liebe: heißt ihn ihre Wonne, ihr Leben, ihre Seele, bis sie endlich obsiegt. Von der Gewalt der Liebe bezwungen, erlag ihr Gemahl wider Willen und Vorsatz und versprach ihr, daß alles geschehen solle, und verschwand, noch ehe es dämmerte, wieder aus ihren Armen.
Bereits waren Psychens Schwestern bei ihren Eltern angelangt. Sie erkundigten sich nach allem, begaben sich dann eiligst auf den Felsen und an den Ort, wie ihre Schwester allein war verlassen worden. Da sie dort nirgends eine Spur von ihr antrafen, so weinten sie überlaut und schlugen sich bei dem Klagen an die Brust. Von ihrem Jammergeschrei hallten traurig die Felsen wider. Endlich riefen sie ihre unglückliche Schwester bei Namen. Der durchdringende Laut ihrer ängstlichen Stimmen klang bis tief hinunter in das Tal.
Psyche vernahm es. Mit Ungestüm stürzt sie wie wahnsinnig aus dem Schlosse heraus und schreit:
›Schwestern, was betrübt ihr euch so ohne Ursache? Ich, die ihr beweint, bin hier. Stellt eure Klage ein. Trocknet eure Tränen und kommt herab in meine Umarmung!‹
Darauf ruft sie den Zephyr und sagt ihm, was ihr Gemahl befohlen. Ohne Verzug gehorcht dieser und bringt alsbald auf seinem milden Odem ihre Schwestern wohlbehalten und gemächlich hernieder.
Voller Ungeduld fliegen sie sich gegenseitig in die Arme und drücken sich einander lange sprachlos inbrünstig in die Arme und drücken sich einander lange sprachlos inbrünstig ans Herz. Freudentränen fließen auf ihren Wangen. Endlich spricht Psyche:
›Kommt nun auch mit mir in meine Wohnung, Ihr Lieben! Vergeßt jetzt das vergangene Leid und freuet euch einmal wieder mit Eurer Psyche!‹
Darauf geht sie mit ihren Schwestern in den Palast[48].
Diese wissen nicht, was sie daran am meisten bewundern sollen: Lage, Gebäude oder Reichtum? Sie erstaunen besonders, als sie das Gewimmel der dienstbaren Stimmen um sich her vernehmen.
Nach einem erfrischenden Bade lagern sie sich mit Psychen an eine Tafel, wo nichts zu vermissen war, was nur immer dem Geschmack eines Gottes auf das angenehmste schmeicheln mag. Da lassen sie es sich beisammen wohl sein und sind guter Dinge.
Endlich verliert sich nach und nach bei Psychens Schwestern der erste Eindruck des Erstaunens über alle die blendende Pracht und alle die himmlische Herrlichkeit, gleich tritt in ihre Seelen hämischer Neid an dessen Stelle.
Nun fangen sie an, mit der größten Verschlagenheit und Neugierde nach dem Herrn aller dieser Wunder zu fragen: wer und was denn ihr Gemahl sei?
Jedoch, so schlau und verfänglich sie auch immer ihre Fragen anlegen, Psyche bleibt auf alle Weise dem Befehl ihres Gemahls treu. Sie läßt sich das Geheimnis ihres Herzens nicht ablocken, sondern erdichtet aus dem Stegreif:
Ihr Gemahl sie ein wohlgestalteter Jüngling, dessen blühende Wangen nur erst zarter Flaum bekleide; er sei fast beständig in Wäldern und Bergen mit der Jagd beschäftigt.
Doch fürchtet sie selbst, sich etwa in fernerem Gespräche noch zu verraten. Darum beschenkt sie nach dieser Antwort alle beide reichlichst mit Goldgeschmeide und Juwelen, ruft dann den Zephyr und übergibt sie ihm wieder, um sie auf den Fels zurückzutragen.
Dies geschieht sofort.
Auf der Rückkehr zu ihren Eltern zeigen die sauberen Schwestern in ihren Reden nur zu sehr, wie des Neides schwarzes Gift in ihrem Innern wüte.
›O, Glück‹, ruft die eine aus, ›wie blind, grausam und wie ungerecht bist du doch! Uns, die von eine und eben demselben Vater und Mutter abstammen, so himmelverschiedene Lose zuzuwerfen, und wir, noch dazu die Ältesten, wir, der Gewalt ausländischer Ehemänner nicht anders als Sklavinnen überliefert, fortgestoßen in die Fremde, fern vom väterlichen Hause, fern vom Orte unserer Geburt und getrennt, abgeschnitten von allen Verwandten, müssen unser Leben wie Verbannte hinkümmern! Und sie, von uns die Jüngste, die letzte Frucht einer erschöpften Natur, muß einen Gott zum Manne bekommen, um im unsäglichen Überflusse zu prassen, um sich ganz in Reichtum vergraben zu sehen, den sie doch sowenig zu schätzen als zu nutzen weiß! Denn hast du wohl gesehen, Schwester, wie in ihrem Hause das köstlichste Geschmeide herumliegt, wie prächtige Kleider sie trägt, wie alles von Edelgesteinen blitzet? wie man das Gold bei ihr allenthalben mit Füßen tritt? Ist vollends ihr Gemahl so schön, wie sie’s sagt, wahrlich, so ist sie die glücklichste Frau auf dem Erdboden. Und, wer weiß, macht ihr göttlicher Gemahl (wenn erst Gewohnheit seine Zuneigung zu ihr immer mehr befestigt hat), sie nicht noch gar zur Göttin? Gib acht, das geschieht. Sie führte sich auch schon so auf, betrug sich ganz vollkommen so. Als eine Göttin sieht sie sich schon im Geiste. Wie sollte sie auch noch wissen, daß sie eine Sterbliche ist wie wir, da unsichtbare Zofen sie bedienen und die Winde selbst ihr gehorchen? Dafür muß mir armen Unglückseligen an einem Manne genügen, der Alters wegen weit eher mein Vater sein könnte, kahler ist als meine Hand, ohnmächtiger denn ein Kind und dabei so geizig, daß er das ganze Haus verschlossen und verriegelt hält.‹
›Bin ich besser daran?‹ nimmt die andere das Wort. ›Der Meinige ist gar ein Krüppel, ganz krumm zusammen von der Gicht gezogen und so an allen Gliedern gelähmt, daß mir leider wenig Freude bei ihm zuteil wird. Beständig muß ich seine versteinerten Finger reiben und die ekelhaftesten, scheußlichsten Umschläge machen und meine zarten Hände dabei gänzlich verwahrlosen; statt seiner geliebkosten Frau bin ich seine geplagte Krankenwärterin. Aber, Schwester, du magst nun dies alles so demütig (um dir’s frei herauszusagen, wie ich’s eigentlich meine), so sklavisch erdulden, wie es dir nur immer beliebt! Ich für mein Teil werde das nie. Ich kann gegen diese schreiende Ungerechtigkeit, so übel angebrachte Gunst des Glückes nicht einen Augenblick gleichgültig bleiben. Erinnerst du dich, wie hoffärtig und aufgeblasen sie sich gegen uns betrug? Ihrer Prahlerei nahm gar kein Ende, ihr Stolz ward je länger, je mehr unausstehlich. Merktest du, wie sie nur erst nach großem Kampfe uns von ihren grenzenlosen Reichtümern diese Kleinigkeiten hinwarf und gleich auch unserer Gegenwart überdrüssig war und uns von ihren Winden wieder fortbringen ließ? Aber ich will nicht Weib heißen, will jetzt zum letzen Male Odem geschöpft haben oder sie muß mir dafür büßen! Sie muß hinab, muß mir zum Boden hinab von ihrer stolzen Höhe! Ich hoffe doch, wie’s wohl billig wäre, daß unsere Schmach dich ebenso rührt als mich. So laß uns denn gemeinschaftlich auf einen kräftigen Anschlag bedacht sein! Laß uns fürs erste gleich diese ihre Geschenke weder unseren Eltern noch sonst jemand zeigen. Stellen wir uns lieber, als ob wir gar nichts von ihr gehört hätten! Genug, daß wir selbst mehr erfahren haben, als wir wünschen! Was sollen wir noch hingehen, um ihr Glück bei unseren Eltern und bei allen Völkern auszuposaunen. Nein, ein unbekanntes Glück ist kein Glück. Sie soll es schon inne werden, daß wir nicht ihre Mägde, sondern ihre älteren Schwestern sind. So wollen wir uns denn vor der Hand nur wieder zu unseren Männern, in unsere freilich ärmliche, doch bescheidene Wohnung begeben. Aber da bei Muße, nach den reiflichsten Überlegungen, laß uns die untrüglichsten Maßregeln ergreifen, und damit ausgerüstet, endlich ihren Stolz zu demütigen, wieder hierherkehren.‹
Dieser böse Anschlag findet bei den zwei Elenden mehr Beifall denn irgendein guter, den ihnen die Dankbarkeit hätte eingeben mögen.
Sie verbergen also alle die kostbaren Geschenke, die sie von ihrer Schwester empfangen haben; zerraufen das Haar, zerkratzen sich ihr schändliches Angesicht, und durch ihr neues Gewinsel und Wehklagen reißen sie ihren armen Eltern alle Wunden des Herzens von neuem auf.
Bald, so verlassen sie diese auch wieder und eilen heim, sich ganz wie wahnsinnig in ihrer verstellten Betrübnis gebärdend, und brüten allda ruchlose, ja endlich meuchelmörderische Anschläge gegen ihre arme, unschuldige Schwester.
Mittlerweile warnt der unbekannte Gemahl Psychen in nächtlichen Gesprächen wiederum.
›Das Schicksal‹, sagt er, ›ist gegen dich in feindlichem Anzuge, o Psyche! Sieh dich da aufs sorgsamste vor; sonst kommt es mit seiner Wut über dich. Wie tückische Wölfe kommen deine Schwestern wieder, dich zu beschleichen. Meine Gestalt auszuspähen, wollen sie dich bereden. Du weißt aber, was ich gesagt habe: hast du mich einmal gesehen, so siehst du mich nimmermehr wieder! Kommt also die verruchte Brut mit ihrem giftigen Anschlage zu dir (und kommen wird sie gewiß, das weiß ich!), so ist es das Beste für dich, sie gar nicht zu sprechen; aber kannst du dies aus zu großer Zärtlichkeit nicht über dich erlangen, so mußt du, ich bitte dich, wenigstens nicht das Geringste, was mich betrifft, weder von ihnen anhören noch selber reden. Denn du wirst mir, o Psyche! Ein Kind gebären, das schon unter deinem Herzen lebt und das, je nachdem du mein Geheimnis bewahrst oder entweihst, unsterblich oder sterblich sein wird.‹
Bei dieser Nachricht schoß Psychen vor Freuden das Blut ins Angesicht. Das Herz wallte ihr auf. Sie genoß in dem Augenblick all den Trost, all die Wollust, all die Glorie, die nur der Gedanke, Mutter eines Götterkindes zu werden, geben kann.
Von nun an zählt sie ängstlich jeden kommenden Tag, jeden verstrichenen Monat, und ganz neu in ihrem Zustande, denkt sie mit Bewunderung dem unmerklichen Anwachse, vom Unfühlbaren bis zur drückenden Bürde, nach.
Allein schon hatten ihre Schwestern, diese höllischen, Natterngift atmenden Furien, sich eingeschifft und steuerten in gottloser Eile nach ihr hin.
Jetzt ermahnt, voller banger Besorgnis, Psychens nächtlicher Gemahl sie abermals.
›Der letzte, der entscheidende Tag. Psyche, ist nun da‹, sagt er. ›Deine abscheulichen Schwestern sind schon angekommen und halten den Dolch gezückt, welcher dir das Herz durchbohren soll. Ach, erbarme dich deiner selbst und rette mich, dich und dieses unschuldige Kind vom bevorstehenden Verderben! Bewahre mein Geheimnis heilig und unverbrüchlich, und wenn die ruchlosen Weiber (denn sie, die dir tödlichen Haß geschworen und alle Bande des Blutes mit Füßen treten, darf ich nicht mehr deine Schwestern nennen), wenn sie gleich Sirenen sich über den Felsen erheben und mit Unglückstimmen jeglichen Widerhall wecken, so höre sie nicht, so sieh sie nicht!‹
Ihm antwortete Psyche weinend und schluchzend:
›Du hast, soviel ich weiß, bisher meine Verschwiegenheit immer bewährt gefunden und fürchtest, ich möchte jetzt geschwätzig sein? Setze mehr Vertrauen in mich und befiehl getrost dem Zephyr, daß er mir wieder gehorche. Da mir der Anblick deiner heiligen Person versagt ist, so laß mich wenigstens meine Schwestern sehen! Laß mich sie sehen, ich bitte dich bei diesen duftenden, deinen Nacken umfliegenden Locken, bei deinen runden, zarten, den meinen so ähnlichen Wangen, bei deinem von unaussprechlichem Feuer glühenden Herzen. Sie sollen mich nicht verführen. Was sollte ich zu meinem Verderben nach deinem Anblick streben? Wird doch bald dies Kind mich dein Angesicht in dem seinigen erblicken lassen. Damit verstatte mir unbesorgt der Schwestern frohe Umarmung und ergötze mit Freuden die Seele deiner dir gänzlich geweihten, dich innigst liebenden Psyche, der in deinen Armen auch die tiefste Finsternis Licht ist.‹
Von diesen Worten, die mit den zärtlichsten Umarmungen begleitet waren, bezaubert; trocknete Psychens Gemahl ihre Tränen mit seinen Locken ab, gab ihrer Bitte nach und schied, noch ehe es tagte, wieder von ihr.
Sobald das verborgene Schwesternpaar gelandet, verläßt es in der größten Geschwindigkeit den Strand, denkt nicht daran, Vater und Mutter zu besuchen, sondern eilt geraden Weges auf den bekannten Felsen hin und stürzt sich mit tollkühner Wut, ohne den Wind zu erwarten, der sie hinabtrüge, sogleich von da in die Tiefe hinunter.
Jedoch Zephyr, des empfangenen Befehls wohlgedenk, fängt sie, wiewohl höchst ungern, auf und läßt sie in wallenden Lüften auf den Boden hernieder.
Nun beflügeln sie ihre Schritte zum Palaste hinein, umarmen ihre Beute, nennen sie unter tausend gleich falschen Beteuerungen ihre geliebte Schwester und verbergen unter gleißnerischen Worten und Mienen die höllischen Absichten ihres Herzens.
›Ei‹, sagen sie, ›wie in der Zeit sich unsere kleine Psyche verändert hat! Sieh, will sie nicht gar schon Mutter werden?! Du glaubst nicht, liebe Psyche, welche Freude das für uns ist. Das ist ein Glück für unsere ganze Familie. Oh, eine Seligkeit muß das sein, so ein Götterkind miterziehen zu helfen, das, wie natürlich, der Schönheit seiner Eltern entsprechen und so ein leibhafter kleiner Liebesgott werden muß!‹ Durch solche Schmeichelei und verstellte Zärtlichkeit stehlen sie Psychen unvermerkt das Herz.
Sie heißt sie gleich von der Reise auf weichen Polstern ausruhen, führt sie dann ins Bad und bewirtet sie in dem herrlichsten Saale aufs stattlichste an ihrer Göttertafel.
Sie winkt, und die lieblichste Zither läßt sich hören. Sie winkt wieder, da erhebt sich das sanfte Geflüster wechselnder Flöten. Sie winkt noch einmal, und unzählige Stimmen beginnen den volltönigsten Chor.
Die seelenschmelzende Gewalt der süßen Harmonie war um desto zauberischer, unwiderstehlicher, da man niemand sah, der sie hervorbrachte. Doch blieben die beiden Gäste davon gänzlich ungerührt. All die himmlische Musik vermochte ihre Bosheit nicht zu besänftigen. Sie schreiten zur Ausübung ihrer Ränke.
Verabredetermaßen wenden sie das Gespräch wie von ohngefähr auf Psychens Gemahl, und, als ob sie das erstemal von ihm sprächen, tun sie mitten in der Vertraulichkeit wiederum die Frage: Wer er denn eigentlich wäre und welches seine Abkunft sei?
Die gute Psyche hatte unglücklicherweise in der Einfalt ihres Herzens das vergessen, was sie das erstemal geantwortet hatte. Sie nimmt also zu einer neuen Erdichtung ihre Zuflucht.
Ihr Gemahl, sagt sie, sei aus der nächsten Provinz, führe einen großen Handel, sei sehr reich und ein Mann in den besten Jahren, der jedoch schon graues Haar stellenweise habe.
Sie bricht darauf sogleich das Gespräch ab; überhäuft die Schwestern wiederum mit den reichsten Geschenken und sendet sie auf ihrem Luftfahrzeug wieder fort.
Indem diese, von Zephyrs stillem Hauche erhoben, nach Hause zurückkehren, sprechen sie also miteinander:
›Was meinst du, Schwester‹, sagt die eine, ›zu der albernen Lüge, die uns die Närrin da aufbürden will? Erst war’s ein Jüngling, auf dessen blühender Wange sich eben der erste Bart kräuselte, und nun ist’s auf einmal ein Mann in den besten Jahren, dessen Haar sich schon versilbert! Wer mag der sein, der in so kurzer Zeit alt und grau werden kann?‹
›Mir, Schwester‹, antwortete die andere, ›kommt’s nicht anders vor, als ob das garstige Weib uns mit ihren Lügen zum besten haben wolle oder gar selbst nicht wisse, wie ihr Mann aussieht. Sei es von beiden, was es immer wolle, so kann ich sie nicht länger in dem Überflusse wissen. Ich ruhe nicht, sie muß alles verlieren. Sollte sie wirklich nicht wissen, wie ihr Mann aussieht, so ist sie zuverlässig an einen Gott verheiratet und geht dir auch mit einem Gotte schwanger; aber wird sie (was ich doch nicht hoffe) wirklich Mutter eines Götterkindes, so erhänge ich mich den Augenblick. Indes laß uns zu unseren Eltern gehen und morgen einmal, dieses Verdachtes wegen, bei ihr auf den Strauch schlagen.‹
Das wird getan.
Scheineshalber werden die Eltern besucht. In brennender Ungeduld wird die Nacht durchwacht. Als der Morgen graut, sind sie schon wieder auf dem Felsen.
Mit Hilfe des Windes steigen sie, wie gewöhnlich, zu Psychen hinunter.
Sie pressen und reiben sich die Augen so viel, bis sie Tränen vergießen müssen. Dann reden sie voller Arglist das arme harmlose Weib mit diesen Worten an:
›Wohl dir, Psyche, daß du hier so in seliger Unwissenheit von allem Unglück und in ruhiger Sorglosigkeit wegen jeder dir drohenden Gefahr dahinlebst, indes wir mit zärtlicher Besorgnis Tag und Nacht für dein Wohl wachen und genug über dein unseliges Schicksal jammern; auch dürfen wir’s als wahre Mitleidende dir nicht länger verbergen. Wir haben für gewiß erfahren: ein großer, ungeheurer Drache, in verschlungenen Ringen einherkriechend, triefend von Blut und tödlichem Gifte und gräßlich, mit weitem, aufgerissenem, unergründlichem Rachen, soll heimlich die Nächte bei dir zubringen. Das hast dir nun just auch das pythische Orakel[49] prophezeit; denn du wirst dich erinnern, daß es lautete: Du solltest einem schrecklichen Ungeheuer vermählt werden. Und Bauern, Jäger und Nachbarn dieser Gegend haben ihn abends vom Fraße zurückkehren und sich hier im nahen Strome baden sehen. Alle sagen, am längsten würde er dich hier im Wohlleben gemästet haben; sobald nur erst deine Schwangerschaft völlig zur Reife gediehen, würde er dich, als einen desto fetteren Bissen, verschlingen. Es steht nunmehr bei dir, ob du unserem, deiner für dein Leben besorgten Schwestern Rate folgend, dem Tode entfliehen und bei uns fern von aller Gefahr leben oder lieber in den Bauch dieser entsetzlichen Bestie dich begraben lassen willst? Sollte dir in dieser Einöde deine Stimmengesellschaft und die schnöde, heimliche, gefahrvolle Lust in deines giftigen Drachens Armen vor allem am besten behagen: Wohlan! so haben wir wenigstens als zärtliches Schwestern uns nichts vorzuwerfen, wir haben vollkommen das unsere getan.‹
Diese grausige Rede bemächtig sich der Einbildungskraft der guten treuherzigen Psyche. Sie verlor plötzlich alle Fassung. Ihres Gemahls Warnung, ihr eigen Versprechen schwanden aus ihrem Gedächtnis. Blind stürzte sie sich in des Elends Abgrund hinein. Am ganzen Leibe zitternd, totenblaß, stammelte sie mit fast ausgehendem Atem diese Worte heraus:
›Oh, ihr gebt mir einen neuen Beweis von eurer Liebe, ihr teuren Schwestern! Und ach, die euch jenes gesagt haben, haben wohl keine Lügen erdichtet. Noch niemals hab’ ich meines Mannes Angesicht gesehen. Ich weiß nicht, wer er ist. Nur bei dunkler Nacht hör’ ich ihn und unterhalte mich mit ihm. Warum gäbe er sich sonst mir nicht zu erkennen? warum wäre er so lichtscheu, wenn ihr nicht wahr redetet? Ich stimme euch bei. Ja, er ist ein Ungeheuer! Seine ewigen Warnungen: ich sollte ja nicht Verlangen tragen, ihn zu sehen, sein ernstes Drohen mit dem äußersten Elend, falls ich meiner Neugierde nachgäbe, bestätigen es nur zu sehr. Wohlan denn, wißt ihr Mittel, mich der bevorstehenden Gefahr zu entreißen, oh, so eröffnet sie, ich bitte, so eröffnet sie, ohne Zurückhaltung, eurer Schwester!‹
So verdarb ein Augenblick Übereilung auf einmal alles, was lange, behutsame Vorsicht gutgemacht hatte.
Die gottlosen Weiber hatten nun gewonnen Spiel. Sie stürmen aus ihrem Hinterhalte hervor, dringen durch die geöffneten Pforten des Herzens ihrer Schwester auf die bestürzten Gedanken der armen Einfalt mit gezückten Dolchen ein und machen sich darin zu Meisterinnen.
›Wir sind Blutsfreunde‹, spricht eine, ›dich zu retten, setzen wir gern jede Gefahr aus den Augen. Nach allem Hin- und Herdenken aber ist das allereinzigste, wozu wir dir raten können, dieses: Verbirg dir insgeheim auf der Bettseite, wo du zu liegen pflegst, ein äußerst scharfes Messer, das auch bei der leisesten Berührung schon einschneidet, und unter irgendeiner Decke halte ein kleine helle Lampe in Bereitschaft. Laß dir dann nichts merken. Kommt nun der Drache, seiner Gewohnheit nach, in das Schlafgemach hineingekrochen und liegt nun, neben dir gestreckt, tief im ersten Schlafe versunken, so stehle dich aus dem Bette, und mit schwebendem Gang, auf nackten Zehen, schleiche zu deiner Lampe, zieh sie unter ihrer Decke hervor und brauche ihr Licht zu deiner herrlichen Tat. Dann halte das zweischneidige Eisen in deiner Rechten hoch und kühn trenne des schädlichen Ungeheuers Kopf und Nacken durch einen mächtigen Streich. Auch soll unser Beistand dir nicht fehlen. Sobald du durch deines Mannes Tod dein Leben gesichert hast, sind wir bei dir, geschwind wollen wir dann zusammen hier alles ausräumen, und du wählest dir nach Gefallen, statt dieses Drachen, einen Gatten, der Mensch ist wie du.‹
Mit solchen anfeuernden Worten entflammen sie die Seele der unruhigen Schwester und verlassen sie dann unverzüglich. Sie fürchten, bei so großem angerichtetem Unglück in der Nähe zu bleiben, damit sie es nicht auch mittreffe. Als sie auf den Flügeln des Windes den Felsen wieder erreicht, begeben sie sich flugs an Bord und segeln davon.
Psyche, sich selbst oder vielmehr allen Furien der Hölle überlassen, schwankt auf einem Meere von Sorgen hin und her.
Alle ihre Entschlossenheit ist dahin, da jetzt der Augenblick zur Ausführung des vorher so festgefaßten Vorsatzes näher kommt.
Sie ist ein Raub sich widerstreitender Affekte. Ungeduld und Scheu, Mut und Furcht, Zweifel und Wut wechseln unaufhörlich in ihr ab.
Was sie am meisten ängstigt, ist: ein und derselbe Gegenstand ist ihr als Ungeheuer verhaßt und zu gleicher Zeit unaussprechlich teuer als Gemahl.
Nach langem Kampfe macht sie endlich doch, als der Abend schon die Nacht herbeiführt, noch über Hals und Kopf die Zurüstung zur abscheulichen Tat.
Jetzt war es Nacht.
Der Gemahl kam. Nach den ersten Umarmungen der Liebe sinkt er in tiefen Schlaf.
Nun überwältigt Psychen ihr böses Schicksal. Sie, sonst an Leib und Seele gleich zärtlich, ist jetzt stark und kühn genug, Lampe und Messer herbeizuholen. Sie ist kein Mädchen mehr.
Allein, was entdeckt sie, als nun des Lichtes Schimmer das Geheimnis beleuchtet? – Von allen Ungeheuern das holdeste, das liebenswürdigste!
Es ist – Cupido. Der süße Gott der Liebe ist es! Da liegt er in all seiner Schönheit. Auch die Lampe freut sich seines Anschauens und flammt heller auf, und dem Messer tut es weh, daß es so scharf ist.
Psyche stutzt. Es faßt sie Reue und Entsetzen; außer sich, leichenblaß und bebend sinkt sie in die Knie. Verbergen möchte sie das Messer; aber in ihrer Brust. Sie hätte es auch getan, wäre nicht der Stahl aus Scheu vor einem so großen Verbrechen ihrer frevlen Hand entsunken und weit von ihr hinweggeflogen.
Allgemach erholt sie sich wieder von der Schwachheit; denn ihr Auge erquickte sich an der göttlichen Schönheit des Schlummernden, und jeder Blick auf ihn war für sie ein neues Leben. Ach welch ein Anblick! In der Haare Gold das niedlichste Köpfchen eingehüllt. Ambrosiaduftende Locken in zierlichem Gewirre über Rosenwangen und einen Nacken, weiß wie Marmor, hinab auf Brust und Rücken irrend. Umher Glanz verbreitend, daß selbst der Lampe Licht davor erbleichte. Blendendpurpurne Fittiche an den Schultern des kleinen Fliegers, die Schwingen zwar ruhig, aber die zarten Busen der Federn in zitternder Wallung und mutwilliger Unruhe. Überhaupt ein Leib so glatt, so glanzvoll, so ganz schön, so ganz seiner Mutter, der göttlichen Venus würdig!
Am Fuße des Bettes lagen Bogen, Köcher und Pfeile, des mächtigen Gottes seliges Geschoß. Unstillbares Verlangen ergreift jetzt Psychen; neugierig beschaut sie die Waffen ihres Gemahls, befaßt sie, bewundert sie. Sie zieht einen Pfeil aus dem Köcher und versucht mit zartem Finger dessen Spitze. Noch hatte sich das Zittern der Glieder nicht gelegt, stärker als sie will, berührt sie das Eisen und verletzt sich, daß gleich Tröpfchen rosigen Blutes ihre Hand betauen. Von nun an liebt sie Amor. Ihre eigene Schuld, doch ohne ihr Wissen.
Mit jeglichem Augenblicke wird diese Liebe brünstiger; schmachtend hängt sie eine Weile über ihn hin und verliert sich im Genusse des Anschauens. Endlich sinkt sie sanft auf ihn nieder, heftet ihre Lippen an ihn und berauscht sich in Wollust: ›Ach, daß er noch nicht erwache, daß er noch nicht erwache‹, lallt ihr Herz in unnennbarem Taumel.
Allein indem sie so trunken von Entzücken sich und alles außer ihr vergißt, so weiß ich nicht, war es Meineid oder Mißgunst, was der unglücklichen Lampe anwandelte; oder fühle auch sie sich hingerissen, solch einen Leib zu berühren und gleichsam zu küssen, genug, sie sprühet einen Tropfen glühenden Öls auf die rechte Schulter des Gottes.
Weh und Fluch dir, verwegene Lampe! Du erfrechst dich, selbst den Urheber alles Feuers zu brennen? Ist das der Dank, womit du der Liebe lohnst? Sie, die dich schuf, ihren Genuß die Nacht hindurch zu verlängern!
Vor Schmerz springt der Gott aus dem Schlafe auf. Er sieht, wie Psyche schändlich wider ihr Versprechen gehandelt hat, und gleich, ohne ein Wort zu sagen, entflieht er aus ihren Armen. Zwar erhascht ihn das unglückselige Weib noch mit beiden Händen beim Fuß und bestrebt sich, ihn zurückzuhalten. Aber jämmerlich reißt er sie also mit sich empor, bis ihr die Kräfte entgehen und sie dann zur Erde zurückstürzt.
Der Gott liebte sie. So an der Erde, vermochte er nicht, sie zu verlassen.
Er flog auf die nächste Zypresse, und als dem luftigen Wipfel derselben sprach er in heftiger Bewegung also zu ihr hernieder:
›Sieh, was du nun angerichtet hast, zu leichtgläubige Psyche! Ich habe den Befehl meiner Mutter hintangesetzt, und statt dich, nach ihrem Willen, durch Liebe und Ehe dem allernichtswürdigsten der Menschen zu verbinden, bin ich selbst dein Liebhaber geworden. Ja, ich war noch leichtsinniger, ich herrlicher Bogenschütze, habe mich selbst mit meinen eigenen Pfeilen verwundet und dich zu meiner Gattin gemacht, und das alles, damit du mich für ein Ungeheuer hieltest, mit einem Messer mir den Kopf abschnittest, aus dem diese Augen dich so liebevoll anblickten? Ich hatte dir deswegen so oft auf deiner Hut zu sein geheißen, hatte dich immer so wohlmeinend gewarnt. Allein deine trefflichen Ratgeberinnen sollen mir auch auf der Stelle ihren schändlichen Unterricht büßen. Dich aber strafe allein meine Flucht.‹
Mit den letzten Worten erhob er sich auf seinen Fittichen in die Luft.
Psyche, am Boden liegend, sah, so weit ihre Augen reichten, unter entsetzlichem Jammer und Händeringen dem Fluge ihres Gemahls nach. Als ihn aber endlich das Ruder der Flügel in unermeßlicher Höhe ihrem Gesichte entführte, riß sie sich auf und stürzte sich in Verzweiflung von dem jähen Ufer in den nahen Fluß.
Es scheute der milde Fluß den Gott, dessen Flamme auch selbst dem Gewässer furchtbar ist, und schonte der Unglücklichen. Sorgfältig trug er sie auf unschädlichen Wellen an das blumenreiche Gestade.
Dort saß eben der Gott Pan[50]. Er hielt seine geliebte Syrinx in dem Rohre umfaßt worin sie war verwandelt worden, und lehrte sie allerlei liebliche Töne angeben. Seine Ziegen schweiften um ihn her und hüpften und weideten und kletterten am Rande des Ufers.
Der geißfüßige Gott, von Psychens Unfall unterrichtet, ruft mitleidig sie zu sich und spricht ihrem herben Schmerz sanften Trost ein.
›Artiges Kind‹, redete er sie an, ›ich bin zwar nur ein schlechter Hirt, doch hat mich eine lange Reihe wohltätiger Jahre mit vieler Erfahrung ausgerüstet. Wenn ich dann deinen ungewissen wankenden Tritt, dein bleiches Ansehen und dein tiefes Stöhnen richtig auslege (weissagen heißt bei klugen Leuten nichts mehr), so ist unglückliche Liebe dein ganzes Leiden. Folge mir also, suche nicht wieder dein Leben auf irgendeine gewaltsame Art zu enden, sondern gib dich zufrieden und weine nicht so untröstlich. Richte nur dein Gebet fleißig an den Cupido, den größten der Götter. Er ist jung, zärtlich, liebreich, er wird sich deiner gewiß erbarmen.‹
Psyche antwortet dem Hirtengotte nicht, sondern betet stillschweigend diese günstige Gottheit an und geht weiter.
Sie hatte sich noch nicht lange in der Irre trauernd herumgeschleppt, als sie auf einem unbekannten, einen Abhang herunterleitenden Fußpfade zu einer Stadt kommt, worin der Gemahl einer ihrer Schwestern seinen königlichen Sitz hatte.
Als Psyche das erfährt, läßt sie sich bei ihrer Schwester melden. Sie wird sogleich angenommen und zu ihr geführt.
Umarmungen von beiden Seiten! Dann folgt eilfertig Gefrage der Schwester, welcher glückliche Zufall denn Psychen zu ihr bringe?
›Du weißt wohl‹, antwortete ihr diese, ›daß ihr mir rietet, dem Ungeheuer, das unter dem erlogenen Namen meines Gemahls bei mir schlief, die Kehle abzuschneiden, bevor es mich arme Unglücklichselige verschlänge. Als ich mich nun dazu anschickte und mit der Lampe in der Hand – gleichfalls nach eurem Rate – dem Bette mich näherte, wurde ich von dem allerunerwartetsten, himmlischsten Anblick überrascht. Lag doch der Sohn der Göttin Venus, Cupido selbst, in sanfter Ruhe eingeschlummert da! Freude und Fülle der Wollust durchströmte mich, als ich ihn erblickte. Nur zu bald aber verwirrten sich meine Sinne über dem staunenden Betrachten seiner göttlichen Schönheit, und lüstern nach mangelndem Genusse, vergaß ich mich. Da mußte, zu meinem Unglück, die verwünschte Lampe von siedendem Öl überwallen und dem Gott die Schulter verletzen. Der Schmerz schreckte ihn den Augenblick aus dem Schlafe auf, und da er mich mit Feuer und Stahl bewaffnet vor sich sah, rief er: Abscheulich! Du? Mich? Auf der Stelle räume das Ehebette. Nun habe ich mit dir weiter nichts zu schaffen! Nein! Deine Schwester – und hier nannte er deinen Namen – soll deine Stelle vertreten, sie nehme ich förmlich zur Gemahlin. Und sogleich ließ er mich vom Zephyr weit aus dem Bezirk seines Palastes wegtragen.‹
Kaum hatte Psyche ihre Erzählung vollendet, als jene schon, von dem Sporn wütender Begierden und boshaften Neides getrieben mit einer schnellgeschmiedeten Lüge vom Tode ihrer Eltern, ihren Mann hintergeht, sich zu Schiffe begibt und in aller Eile nach dem Felsen hinsegelt.
Oben sein, ausrufen: ›Empfange, Cupido, deine würdige Gattin, und du, Zephyr, nimm deine Gebieterin auf!‹ und, ganz blind vor ungeduldiger Hoffnung, hinabspringen, obgleich ein ganz anderer Wind bläst, ist eins.
Allein auch nicht einmal tot gelangt sie an den erwünschten Ort.
An den hervorragenden Klippen zerschmetterte und zerstückte sich im Fallen ihr Leib, und, nach Verdienst, werden ihre umher zerstreuten Glieder ein Raub der Vögel und der wilden Tiere.
Die Strafe der anderen Schwester verzögerte sich auch nicht lange. Denn, indem Psyche wiederum irrend umherschweifte, gelangte sie ebenfalls bald zu der Stadt, worin sich diese aufhielt.
Gleiche List, gleiche Wirkung. Mit eben derselben lasterhaften Begierde als die erste eilte auch diese nach dem Felsen hin und fand auch da den nämlichen Tod.
Mittlerweile Psyche Cupido bei allen Völkern aufsuchte, lag er in dem Zimmer seiner Mutter und seufzte und litt an der verletzten Schulter große Schmerzen.
Eine Seemöwe bekommt das zu wissen. Geschwind taucht sie sich in den Ozean und fährt bis in die unterste Tiefe hinab, wo Venus sich eben mit Baden und Schwimmen belustigte.
Da erzählt sie ihr, ihr Sohn habe sich verbrannt, er liege am Wundfieber sehr krank, und es sähe mißlich um seine Wiederherstellung aus. Überhaupt, setzt sie hinzu, stände ihr Sohn sowohl als auch sie selbst auf der ganzen Welt eben nicht im besten Rufe. Von ihm sage man, er verbuhle seine Zeit im Gebirge bei einer Beischläferin, und sie lebe in Herrlichkeit und in Freuden beim Ozean im Bade. Unterdessen gehe es auf Erden bunt zu. Lust, Witz und Grazie seien davon entflohen. Alles sei wild, rauh, ungesittet. Man kenne gar Ehe, Freundschaft und kindliche Liebe nicht mehr. Die abscheulichsten Ausschweifungen und die gräßlichsten Laster herrschten überall.
Also schwatzt der schmähsüchtige Vogel und verleumdet Amor bei seiner Mutter.
›Wie?‹ ruft Venus voll jähen Zornes, mit lauter Stimme aus, ›also hätte mein allerliebstes Söhnchen sich schon ein Mädchen zugelegt! Geschwind, sage mir ihren Namen, o du, die du mir allein noch mit Liebe zugetan bist! Nenne mir die, welche den unschuldigen Knaben verführt hat! Ist’s eine Nymphe, Hore oder Muse oder eine von meinen Grazien?‹
›Das weiß ich nicht‹, erwidert die plauderhafte Möwe. ›Ich glaube aber, es ist nur eine Sterbliche, in die er verliebt ist; wenn ich mich recht auf ihren Namen besinne, so heißt sie Psyche.‹
›Psyche?‹ versetzt Venus mit zunehmendem Grimme. ›Entsetzlich! In Psyche hätt’ er sich verliebt, in Psyche, meine Nebenbuhlerin in der Schönheit, die sich meinen Namen angemaßt hat, die ich selbst, sie zu strafen, ihm gewiesen habe! Und verliebt hat er sich in die? So hält er mich wohl gar für seine Kupplerin? Empfindlicher konnte er mich nicht kränken!‹
Und hiermit erhebt sie sich aus dem Meere und begibt sich sogleich nach ihrer goldenen Wohnung, wo sie ihren Sohn in dem ihr beschriebenen Zustande antrifft.
Sie rief ihm gleich aus der Türe im bittersten Grimme ihres Herzens mit dem größten Ungestüme zu:
›Oh, brav, herrlich, ganz wieder deiner würdig! Recht so, unter die Füße mit den Befehlen der Mutter, der Gebieterin! Was da lange ihre Nebenbuhlerin mit schmählicher Liebe quälen! Lieber aus ihr einen Zeitvertreib gemacht, die Mutter muß es sich wohl gefallen lassen! Aber warte, du mutwilliger Bube, es soll dir übel bekommen! Trotze nur darauf, daß du der einzige Sohn bist, dein Dünkel soll dir bald benommen werden, ich bin noch gar nicht zu alt, noch einen weit besseren Sohn zu haben als du sauberes Früchtchen bist! Allein dich desto empfindlicher zu beschimpfen, will ich lieber einen von meinen Leibeigenen an Kindes Statt annehmen. Er soll diese Flügel, die Fackel, den Bogen und die Pfeile, die ganze Rüstung haben. Sie kommt von mir her, und zu solchem Gebrauche war sie dir nicht verliehen. Du Bösewicht hast schon von klein auf nichts getaugt, hast dich beständig an allen vergriffen, denen du Ehrerbietung schuldig bist! Wie hast du nicht deiner Mutter selbst stets frevelhaft mitgespielt, wie oft mich nicht bis ans Leben verwundet, welche Schmach tust du mir nicht noch täglich an. Verächtlicher kann wohl niemand einer armen hilflosen Witwe begegnen! Und vor deinem Stiefvater, dem großen Kriegsgott, hast du wohl Furcht und Achtung noch? Deine kindliche Pflicht müßte denn darin bestehen, daß du ihm immer Mädchen zuführst – oh, und du weißt, in welche Verzweiflung ich dadurch gesetzt werde. Aber ich will dir das Spiel nun für immer legen, und lange, lang sollst du an diese deine feine Buhlschaft denken!‹
›Aber wie räche ich nun meine Schmach?‹ fährt sie darauf bei sich selbst fort. ›An wen wende ich mich? Wie züchtige ich den Taugenichts nach Verdienst? Ob ich mir von meiner Feindin Mäßigkeit Hilfe ausbitte? Von ihr, die ich eben dieses übermütigen Knaben wegen so vielfach beleidigt habe, und nun sollte ich mich dieses garstigen groben Weibes Spott aussetzen und mich vor ihr erniedrigen? Hart, hart! – Doch, süße Rache, dich erkauft man nicht zu teuer; ja, ich will zur Mäßigkeit gehen! Ihr will ich den Buben zur Züchtigung überliefern. Sie soll ihm den Köcher leeren, die Pfeile stumpfen, die Bogensehne zerschneiden und ihn ohne Barmherzigkeit kasteien! Eher, eher will ich mich nicht befriedigen, als bis ich seine Haare, die ich so oft mit eigenen Händen mit Gold durchflochten habe, kahl abgeschoren, bis ich seine Flügel, die ich so manchmal, wenn er auf meinem Schoße saß, in Nektar gebadet, kurz abgestutzt sehe.‹
Also eifert sie und verläßt, das Herz voll bitterer Galle, ihren Palast.
Doch bald begegnen ihr Ceres und Juno[51]. Sie lesen ihr den Zorn gleich in den Augen und fragen, warum sie so finster aussehe, warum sie die Holdseligkeit ihrer Blicke in Unmut einhülle?
›Wie gelegen‹, antwortet sie ihnen, ›kommt ihr für mein brennendes Herz. Helft mir Gewalt und Rache ausüben, helft mir, ich bitte euch, die landstreicherische, flüchtige Psyche aufsuchen. Denn gewiß wißt ihr schon meines unwürdigen Sohnes schändliche Aufführung, das Gerücht davon ist zu kundbar!‹
Die Göttinnen wußten in der Tat schon um alles. Nun suchten sie durch Zureden der Venus überwallenden Zorn in etwa zu besänftigen.
›Was, o Göttin‹, sagen sie ihr, ›was hast denn dein Sohn so Großes verbrochen, um sein Vergnügen so gewalttätig zu stören, um die, die er liebt, so mit Haß zu verfolgen? Rechnest du ihm für Sünde, daß er einem hübschen Mädchen gut ist? Er ist ja einmal von männlichem Geschlechte und endlich schon Jüngling! Oder vergißt du, wie alt er ist, und denkst, weil er noch immer so jung und zart aussieht, er sei auch immer noch ein Kind? Du bist Mutter, bist eine kluge Frau und willst deines Sohnes kleinen Ausschweifungen immer so neugierig nachspähen, seine Galanterien tadeln, seine Liebeshändel stören; kurz, was deine eigene Kunst, deine einzige Glückseligkeit ist, bei dem schönen Sohne ahnden? Welcher Gott, welcher Mensch wird hinfort ertragen können, daß du überall Liebe verbreitest, wenn du dieselbe Liebe an deinem eigenen Sohne so bitter bestrafst, wenn du ihm den Umgang mit gefälligen Schönen verwehrst, wenn du deinen Zorn gegen ein Mädchen ausläßt, das sich der ihr verliehenen Gabe, zu gefallen, glücklich bedient hat?‹
Also sprachen Ceres und Juno zum Vorteil Cupidos, selbst in seiner Abwesenheit; denn sie fürchteten sich vor seinen Pfeilen.
Venus aber nimmt ihre Rede als Verspottung ihrer Schmach auf, verläßt die Göttinnen desto unwilliger und wendet sich mit beschleunigten Schritten nach dem Meere hin.
Unterdessen trieb Psychen Tag und Nacht rastlose Sehnsucht nach ihrem Gemahl aller Orten umher. Sie dachte denselben noch irgendwo anzutreffen und seinen Zorn, wo nicht durch zärtliche Liebkosungen, doch wenigstens durch demütiges Bitten zu besänftigen.
Auf dem Gipfel eines hohen Berges wird sie jetzt eines Tempels ansichtig. ›Ach, wenn da mein Geliebter sich aufhielte!‹ ruft sie und richtet sogleich ihre Schritte dorthin. Hoffnung und Wunsch erneuen ihre ermatteten Kräfte, behend hat sie die höchste Spitze erreicht.
Als sie in den Tempel tritt, sieht sie darin hin und wieder Weizenähren haufenweise zerstreut oder auch in Kränze gebunden am Boden liegen. Gerstenähren mit darunter gemischt. Auch findet sie Sicheln und alles andere Erntegeräte ohne Ordnung untereinander hingeworfen, so wie nach vollendeter Arbeit die müden Landleute es nachlässig hinfallen lassen.
Psyche macht sich gleich darüber her. Sorgfältig sondert sie jegliches voneinander und bemüht sich, alles in schickliche Ordnung zu bringen; denn sie glaubte, keines Gottes Dienst vernachlässigen zu dürfen, sondern aller Mitleiden und Gunst suchen zu müssen.
Mitten in dieser emsigen Beschäftigung trifft die allernährende Ceres sie an.
›Ach, arme Psyche!‹ ruft diese ihr schon von ferne zu, ›entrüstet sucht Venus dich in der ganzen Welt auf; droht Tod dir und Verderben, spart keine Macht, ihren Mut nur an dir zu kühlen! Und du, auf nichts weniger bedacht als auf deine Rettung, stehst ruhig hier und trägst Sorge für das Geräte meines Heiligtums?‹
Da warf Psyche sich vor ihr auf die Knie nieder, netzte ihre Füße mit einem Storm von Tränen und flehte die Göttin mit den rührendsten Worten um ihren Schutz an. Ihre goldene Locken schleppten am Boden.
›Ich bitte dich, o Göttin‹, spricht sie, ›bei dieser Fülle der Früchte ausspendenden Rechten, bei den fröhlichen Erntefesten, bei deinen heiligen, geheimnisvollen Körben, bei deinem drachenbespannten Wagen, bei Siziliens Fruchtbarkeit! Ich beschwöre dich, bei dem Raube deiner Tochter, bei der Erde, die sie verbarg, bei deinem fackelerleuchteten Hinabsteigen zu ihrer Hochzeit in der Unterwelt, bei deiner Wiederkehr und bei allem übrigen, was das attische Eleusis in unverbrüchliches Stillschweigen einhüllt! Erbarme dich, du milde Ceres, hilf der unglückseligen Psyche, die zu dir ihre Zuflucht nimmt! Verstatte mir, nur wenige Tage unter diesen zusammengetragenen Ähren verborgen zu liegen, bis der mächtigen Venus Zorn durch Zeit sich besänftigt oder bis wenigstens meine so unablässig angestrengten und nun völlig erschöpften Kräfte durch einige Ruhe wiederhergestellt sind!‹
›Deine Tränen‹, antwortet ihr Ceres, ›und deine Bitten rühren mich, und von ganzem Herzen wünschte ich, dir helfen zu können; allein die genauesten Bande der Verwandtschaft und Freundschaft verknüpfen mich mit der Venus, und sie ist auch sonst eine so gute Frau. Es ist mir unmöglich, etwas zu tun, wodurch ich sie mir (wie ich voraussehe), zur Feindin machen würde. Geh also nur gleich aus meinem Tempel, Psyche! Du kannst hier weder Schutz noch Herberge finden und wirst es mir wohl selbst nicht verdenken.‹
Abgewiesen zu werden, hatte Psyche keineswegs erwartet; doppelte Traurigkeit beklemmt also ihr Herz.
Sie geht den gekommenen Weg wieder zurück. Beim Herabsteigen vom Berge erblickt sie unten im Tale in einem dämmernden Haine einen Tempel von künstlicher Bauart. Neue Hoffnung belebte sie. Welcher Gottheit auch dieser Tempel geweihet sei, sie will die Huld derselben anrufen.
Als sie sich der heiligen Pforte naht, sieht sie an den Ästen naher Bäume und an den Türpfosten viele reiche Geschenke aufgehangen, bei jedem ein Tuch, dessen Goldstickerei die erhaltene Wohltat und den Namen der Göttin des Ortes erzählt.
Nun wischt sie die Tränen von ihren Augen, kniet hin, umfaßt den noch lauen Altar mit beiden Händen und betet also:
›Schwester und Gattin des großen Jupiter! Du bewohnst nun den uralten Tempel von Samos, das deiner Geburt, deines ersten kindlichen Lautes und deiner Erziehung sich rühmt, oder du besuchst deinen seligen Sitz im hohen Karthago, das dich als Jungfrau im löwenbespannten Wagen himmelan fahrend verehrt, oder du waltest an den Ufern des Inachus[52] über die hochberühmten Mauern der Argiver, die dich als Vermählte des Donnerers und der Göttinnen Königin anrufen! Du, die der ganze Aufgang als Vorsteherin der Ehe und der ganze Niedergang als Geburtsgöttin anbetet: O hilfreiche Juno, verlaß mich in meinem Drangsale nicht! Ich erliege unter der Last meines Elendes, stehe mir bei, entferne von mir die drohende Gefahr! Ich vertraue dir, o Göttin; deine Hilfe entgeht ja niemals notleidenden Schwangeren!‹
Kaum hat sie ausgebetet, so steht Juno in aller Majestät ihrer Gottheit vor ihr.
›Wie gern, o Psyche‹, so sagt sie, ›gewährte ich dein Gebet! Allein Venus ist meines Sohnes Weib, und ich habe sie von jeher wie mein eigenes Kind geliebt, ich müßte mich schämen, wollte ich mich deiner, ihrer Feindin, gegen sie annehmen.‹
Psyche, abermals in der Hoffnung, Schutz und ihren Gemahl zu finden, getäuscht, verzagt nun ganz und gar. Lauter Unglück ahnend, spricht sie also bei sich selbst:
›Umsonst, umsonst! Für mich ist keine Rettung mehr! Der Göttinnen bester Wille selbst ist ja für mich ohnmächtig! Was fliehe ich noch? Bin ich nicht überall mit Garnen umstellt wie ein gefangenes Reh? Und welches Dach, welche Finsternis mag mich vor dem allschauenden Auge der großen Venus verbergen? Auf denn, Psyche, ermanne dich! Hinweg mit der eitlen Hoffnung! Geh, liefere der Göttin dich freiwillig in die Hände. Unterwürfigkeit mag sie vielleicht allein noch erweichen, mag ihren Zorn mildern! Und ach, wer weiß? Triffst du nicht gar den bei seiner Mutter an, den du schon so lange allenthalben vergebens gesucht hast?‹
So war Psyche nun völlig zur mißlichen Demütigung vor Venus, ja selbst zum gewissen Verderben bereit. Sie sann nur noch auf den Anfang ihrer bittenden Rede, den ersten Ausbruch des Zornes der Göttin doch wenigstens zu schwächen, wen n sie ihn nicht ganz vermeiden könnte.
Mittlerweile war Venus müde, auf der Erde nach Psychen herumzuziehen. Sie erhebt sich gen Himmel. Schon läßt sie sich den Wagen rüsten, welchen Vulkan ihr zum Hochzeitsgeschenke gemacht hatte. Sauber und künstlich hatte ihn der Gott selber verfertigt. Er strahlte von Glanze. Was die nagende Feile ihm an Golde geraubt, hatte seine Kostbarkeit nur um so mehr erhöht.
Alsbald flattern vier von den weißen Täubchen herzu, welche in unzähliger Menge um die Wohnung der Göttin nisten. Sie wenden girrend ihre farbewechselnden Hälse, streifen das von Edelgestein blitzende Joch über, nehmen ihre Gebieterin ein und fliegen fröhlich mit ihr empor. Mit lautem Gezwitscher umgaukelt den Wagen ein Heer buhlerischer Spatzen, andere kleine liebliche Sänger schweben vorauf, in süßen Weisen der Göttin Ankunft verkündigend, sonder Furcht insgesamt vor den begegnenden Adlern oder den räuberischen Habichten.
Die Wolken schwinden, es öffnet sich der Himmel vor seiner Tochter; mit Freuden empfängt der hohe Äther die Göttin.
Sie begibt sich sogleich zu Jupiters königlicher Burg. Mit stolzer Bitte fordert sie als notwendige Hilfe den Merkur[53] zum Herold. Sie bedürfe seiner höchst notwendig. Zeus winkt ihr mit den hohen schwarzen Augenbrauen Gewährung ihrer Bitte zu.
Frohlockend steigt sie nun augenblicklich in Begleitung Merkurs vom Himmel herab und eröffnet ihm unterwegs ihr Anliegen.
›Bruder‹, sagte sie, ›du weißt es, ohne deinen Beistand tat deine Schwester Venus überall nichts. Auch jetzt weißt du, wie lange ich schon umher nach der versteckten Dirne suche. Umsonst! Sie entgeht allen meinen Nachforschungen. Ich wende mich wieder zu dir, lieber Merkur! Mach es doch auf der Erde bekannt, daß ich jedem, der sie mir zuweist, hohe Belohnung verspreche! Aber tu mir diesen Gefallen recht bald, bezeichne sie dabei höchst genau, auf daß sie allen Menschen kennbar werde und niemand, der sie verbirgt, hoffen dürfe, sich mit der Entschuldigung zu schützen, er habe sie nicht gekannt?‹
Darauf gibt sie ihm einen Zettel mit Psychens Namen und ihren übrigen Kennzeichen, verläßt ihn und begibt sich nach ihrem Palaste.
Merkur erfüllt geflissentlich ihren Auftrag. An allen Orten, bei allen Völkern des Erdbodens ruft er aus:
›Kund sei es jedermann, wie eine gewisse Königstochter, mit Namen Psyche, sich an Venus schwer vergangen hat und heimlich nun entwichen ist, sich ihrer verdienten Strafe zu entziehen. Sollte jemand sein, der diesen Flüchtling aufgefangen hat oder nur nachweisen kann, wo sie sich verborgen hält, der finde sich bei den Murcischen[54] Pyramiden ein und gebe es bei mir, dem Merkur, an, der ich dieses als Herold jetzt bekanntmache. Er soll für seine Mühe von Venus in Person sieben Küsse zur Vergeltung bekommen einen noch insbesondere, der mit allen Süßigkeiten gewürzt ist, welche nur der Liebesgöttin Honigmund zu geben vermag.‹
Auf diesen Ausruf Merkurs beeiferten sich alsbald alle Sterblichen um die Wette, eine so hohe Belohnung zu verdienen. Um so mehr beschleunigt Psyche die Ausführung ihres vorgefaßten Entschlusses.
Und schon nahet sie zur Tür der Venus, als ihr die Gewohnheit, eine von der Göttin Hofgesinde, begegnet und so laut, als sie nur immer kann, zu schreien anfängt:
›Ha, du Nichtswürdige! So erkennst du endlich, mit wem du es aufnimmst, und demütigst dich jetzt, nachdem du dich in der ganzen weiten Welt hast aufsuchen lassen, und wir uns um deinetwillen Tag und Nacht haben plagen müssen. Doch gut, daß du gerade mir in die Hände gerätst, in den Klauen des Todes wärest du nicht sicherer aufgehoben, und besser als ich könnte dich selbst keine Furie bewillkommnen.‹
Und nun keck, mit beiden Händen zugleich, Psychen in die Haare, und sie so fortgeschleift, ohnerachtet sich diese nicht im mindesten ihr zu folgen sträubt.
Sobald als Venus Psychen also zu sich hereinschleppen sieht, schlägt sie das laute Gelächter auf, das der wütige Zorn zu erheben pflegt, schüttelt den Kopf und sagt zu ihr mit den höhnischsten Gebärden:
›Ei! So würdigst du mich doch noch endlich, mich als deine Schwiegermutter zu begrüßen! Oder gilt der Besuch etwa dem Herrn Gemahl, dem das glühende Öl, womit du ihn gesalbt hast, so schlecht bekommen ist? Gleichviel, nur näher! Es soll dir darum nicht weniger alle verdiente Ehre widerfahren!‹
›Angst, Sehnsucht! Wo seid ihr?‹ ruft sie jetzt, sich zu ihrem Gefolge wendend. Sie erscheinen sogleich.
›Ich überlasse euch diesen Gast‹, spricht sie zu ihnen, ›und empfehle ihn euch bestens.‹
Beide verstehen nur zu gut ihre Gebieterin. Sie führen gleich Psychen mit sich hinweg und sparen an der armen Unglücklichen weder Geißeln noch andere Qualen. Dann bringen sie sie wieder zur Göttin zurück.
Venus empfängt sie mit neuem Spottgelächter: ›Seht nur‹, ruft sie aus, ›wie sie ihre Schwangerschaft so vorteilhaft zu zeigen weiß, um unser Mitleiden damit zu erschleichen. Die Verschmitzte hat die schwache Seite meines Herzens ausgespäht! Sie spiegelt mir das süße Glück vor, nun bald Großmutter zu heißen! Wie? Ich? Großmutter? in der Blüte meiner Jahre? Und durch wen? Durch ein so schnödes Geschöpf? Irre dich nicht, du Elende! Deine Brut kann nie Kleinkind der Venus heißen. Wer bist du, daß du dich mit meinem Sohne vermählen könntest? Die Ehe wäre zu ungleich, auch ist sie überdies nicht gültig! Nur auf dem Lande, ohne Zeugen, ohne des Vaters Einwilligung geschlossen! Sie ist null, sie ist nichtig! Nur einen Bastard wirst du zur Welt setzen, wenn ich es anders noch so weit kommen lasse!‹ Mit den Worten fliegt sie Psychen ins Angesicht, zerrauft ihr das Haar, reißt ihre Kleidung in Stücke und mißhandelt sie aufs erbärmlichste.
Dann nimmt sie Weizen, Gerste, Hirse, Mohn, Erbsen, Linsen und Bohnen, mischt es alles untereinander und schüttet es auf einen Haufen zusammen.
›Da‹, spricht sie nun, ›du Scheusal! Sieh zu, ob dir hier deine Emsigkeit eben wie im Buhlen will zustatten kommen! Lies mir dies vermengte Gesäme auseinander! Mache von jeglicher Art einen besonderen Haufen, und eh es noch Abend wird, sei mir damit fertig!‹
Nach so angewiesener Arbeit begibt sie sich zu einem Hochzeitsschmause.
Psyche bleibt stumm und starr vor ihrem aufgegebenen Geschäfte stehen. Die Unmöglichkeit, es zu vollenden, benimmt ihr den Mut, nur Hand daran zu legen.
Allein eben hielt sich eine kleine Ameise da auf. Es jammerte sie so große Bedrückung der Gattin eines mächtigen Gottes und erregte all ihre Abscheu gegen die Grausamkeit der Schwiegermutter. Stracks läuft das gute Tierchen und ruft und bittet in aller Geschwindigkeit sein ganzes benachbartes Geschlecht zusammen.
›Herbei!‹ schreit es, ›herbei! Ihr arbeitsamen Kinder der allgebärenden Erde! Kommt, erbarmt euch Amors schönen Weibes und rettet es durch schleunige Hilfe aus der sonst unvermeidlichen Gefahr!‹
Wie ein Strom stürzen die Ameisen der Gegend alle, eine über die andere, in Eile herzu. Der Boden wimmelt. Sie fallen über den ungeheuren Gesämhaufen her, sondern mit Sorgfalt Art von Art[55], machen von jeglicher einen eigenen Haufen und verschwinden wieder, nachdem alles vollbracht ist.
Als nun bei einbrechender Nacht Venus, vom Weine triefend und duftend von Balsam und mit tausend blühenden Rosen geschmückt, vom Hochzeitsgelage nach Hause zurückkehrt, erstaunt sie nicht wenig, da sie Psychens Aufgabe getan findet. ›Oh‹, ruft sie, ›das ist nicht dein, nicht deiner Hände Werk, du Nichtswürdige! sondern dessen, dem du zu deinem und seinem Unglück gefallen hast!‹ Hiermit wirft sie ihr nur ein Stück grobes Brot hin und geht schlafen.
Aber Cupido war in dem nämlichen Palaste, ganz im Innersten des Hauses, in einem besonderen Zimmer, allein, unter äußerst strenger Aufsicht, damit er nicht etwa Mutwillen treiben und seinen Schaden verschlimmern oder gar entwischen und seiner Geliebten zufliegen möchte.
So zusammen unter einem Dache, einander so nahe und darum nicht weniger getrennt: welche Nacht, welche abscheuliche Nacht für beide Liebende.
Kaum aber fährt Aurora herauf, so ruft Venus schon Psychen.
›Siehst du den Wald da‹, sagte sie ihr, mit der Hand nach demselben hinzeigend, ›welcher sich längs den Ufern jenes Flusses erstreckt, dessen Quellen dort auf dem nahen Berg entspringen? Ungehütet weiden darin fette Schafe mit goldenen Vliesen; stracks gehe hin und sieh zu, wie du mir einen Flocken von ihrer köstlichen Wolle herbringst!‹
Willig machte sich Psyche dahin auf den Weg. Zwar nicht in der Absicht, den Befehl zu vollbringen, sondern sich vom Ufer in die Tiefe zu stürzen, um endlich einmal vor allen Leiden Ruhe zu haben Allein bald wisperte ihr vom Flusse her das grüne melodische Schilf, von einem Gotte durch sanfter Lüfte lindes Geflüster beseelt, diese Worte entgegen:
›Besiege deine Verzweiflung, Psyche! und entweihe nicht mein heiliges Gewässer durch deinen Tod, noch begegne jetzt, ich bitte, diesen furchtbaren Schafen! Sie pflegen, solange die Sonne im Mittag brennt, die Glut derselben zu teilen und toben in unbändiger Wut, mit spitzem Gehörn, mit eisernem Schädel, ja mit giftigem Gebisse, jeglichem Sterblichen den Untergang drohend. Warte, bis der nahende Abend die Sonnenhitze mildert und dann sich die Tiere im frischen Wehen vom Gestade her abkühlen und besänftigen. Verbirg dich inzwischen unter der breitblättrigen Palme dort, die einen Strom mit mir trinkt. Sobald sich aber der Schafe Wut gelegt hat, gehe hervor und schleich dich näher herzu in den Wald, wo du an Gesträuchen und Stämmen hin und wieder Flocken wolligen Goldes wirst hängen finden.‹
Diesen heilsamen Rat erteilte das mitleidige Schilf der verzweiflungsvollen Psyche. Sie verschmäht ihn nicht, pünktlich befolgt sie ihn, und sonder Mühe bringt sie der Venus den Schoß voll verlangter Goldwolle zurück.
Aber so gefahrvoll auch diese zweite Arbeit gewesen war, sie besänftigte dennoch die Göttin so wenig als die erste; denn sie schrumpfte die Augenbrauen und sagte mit bitterem Lächeln:
›Du hast Ursache, dich bei deinem Gehilfen zu bedanken, in der Tat, er hat dir gute Dienste geleistet! Doch jetzt auch ein Pröbchen von deinem unerschrockenen Mut und deiner großen Klugheit! Du siehst doch auf dem hohen Berge da die schroffe Felsenspitze so kühn emporstreben? Oben auf derselben strömen schwarze Fluten aus der finstern Quelle und stürzen sich tief in ein verschlossenes Tal hinunter, wo sie den stygischen Pfuhl anfrischen und das dumpfe Getöse des Kocytus[56] unterhalten, da gehe hin und schöpfe mir mitten aus der Quelle innerstem Strudel diesen Krug voll!‹
Mit diesen Worten reicht sie ihr, unter den entsetzlichsten Drohungen, ein glattes, kristallenes Gefäß.
Psyche nimmt es und eilt mit beschleunigten Schritten davon, des Berges oberster Spitze zu. Dies, denkt sie, sei nun gewiß ihr letzter mühseliger Gang; auch nahete sie nur erst von ferne dem Gipfel, so zeigte sich ihr schon ganz deutlich unvermeidliche Todesgefahr bei Ausführung des ihr erteilten Befehls. Denn der Fels, der unermeßlich hoch in die Luft ragt und überall schroff und unzugänglich ist, speit nur erst auf der äußersten Höhe, aus weitgeöffnetem Schlunde das fürchterliche Gewässer aus, und sobald dieses aus der Tiefe hervorgebrochen, stürzt es jäh den Abhang schäumend hinunter in eine enge, grundlose Felsenkluft und wälzt sich mit Ungestüm da hindurch zu dem benachbarten Tale hinab. Rechts und links lauern wilde Drachen in Höhlen. Sie drohen und zischen, ihre langen Hälse schrecklich emporreckend. Nimmer schließt der Schlaf ihre unermüdlichen Augenlider; darum sind sie hierher zu ewigen Wächtern gebannt, wiewohl schon die heulenden Wellen allein sich Schutzes genug wären. ›Hinweg von hier!‹ lautet immerfort ihr wechselseitiges Gebelle, ›nicht zu nahe, sie dich vor, was machst du, nimm dich in acht, fleuch! Hier bist du verloren!‹
Der Anblick all dieser unübersteiglichen Schwierigkeiten versteinert Psychen. Wie entseelt steht ihr Körper da; vor Übermaß des Schmerzes gebricht ihr auch der letzte Trost – Tränen.
Aber die Not der unschuldig Leidenden war vor den Augen der allgütigen Vorsehung nicht verborgen. Denn siehe, es erscheint des hohen Jupiters königlicher Vogel, der starke Adler, hoch im Winde sich wiegend auf ausgespreiteten Schwingen. Eingedenk, daß ihm einst Cupido gefällig beistand, als er für den Zeus den phrygischen Mundschenken[57] raubte, eilt er jetzt, aus Dankbarkeit, des Gottes Gattin in ihrer Bedrängnis zu helfen. Flugs verläßt er seine hohe Himmelsbahn, bleibt still vor Psychens Angesicht schweben und redet sie also an:
›O blödsinnige, unerfahrene Psyche! Wie kannst du hoffen, dieser heiligen, furchtbaren Quelle auch nur einen Tropfen zu entwenden, ja nur, dich ihr zu nahen? Hast du nicht gehört, daß sogar die Götter und Jupiter selbst dies stygische Gewässer scheuen und daß, wie ihr bei ihrer Gottheit schwört, also sie bei der Majestät des Styx zu schwören pflegen? Aber gib her deine Urne!‹
Stracks nimmt er sie aus ihren Händen, und im Nu war sie gefüllt. Denn dicht über dem Schlund hängt er sich, künstlich sich schwingend, und mit immer regen Fittichen zu beiden Seiten der giftigen Drachen Biß und dreigespaltene Zunge meidend, schöpft er ein die widerstrebende, scheltende Flut, nachdem er sie mit angeblichem Befehl der Venus getäuscht.
Mit Freuden empfängt Psyche den angefüllten Wasserkrug wieder zurück und überbringt ihn eiligst der Venus.
Allein auch hierdurch wurde das rachsüchtige Herz der Göttin nicht gerührt. Vielmehr ergrimmte sie jetzt um desto ärger gegen die arme Psyche und trachtete nur eifrig nach ihrem Verderben.
Mit schnödem Spotte hebt sie also zu ihr an: ›Ei, ich glaube gar, du bist eine Zauberin! Mag dir doch unsereins in der Welt nichts mehr aufgeben, was nicht bloß Kleinigkeit für dich wäre! Indes, mein Kind, nur noch einen kleinen Dienst. Da nimm die Büchse, geh damit in die Unterwelt, bis zu des Orkus finstern Berg hinunter und stelle sie da Proserpinen zu. Sag ihr dabei: Venus läßt dich bitten, ihr doch so viel von deiner Schönheit zu schicken, als sie auf einen Tag wohl bedarf. Die ihrige wäre bei der Wartung ihres kranken Sohnes zunichte gegangen. – Komm aber ja bald wieder zurück, denn ich will sie gleich noch auflegen, um damit in der Versammlung der Götter zu erscheinen.‹
Nun erkannte Psyche mit Zuverlässigkeit der Göttin letzte grausame Absicht. Auch lag sie klar genug am Tage: der Befehl zum Tartarus hinunterzuwandern und zu den Manen, ist überall nur eindeutig.
Ungesäumt richtet sie jetzt ihren Weg nach einem sehr hohen Turme hin, sich von da herabzustürzen; denn kürzer und schöner, glaubt sie, könne sie zur Unterwelt nicht gelangen. Allein der Turm bricht plötzlich in diese Stimme aus:
›Und warum willst du, Ärmste, dich von meiner Höhe herabstürzen und dich töten? Warum so ohne Not der allerletzten gefährlichen Arbeit unterliegen? Ist deine Seele einmal vom Leibe geschieden, so kommst du freilich in den tiefen Tartarus hinunter; allein von dort auch nie wieder zurück. Merk also lieber auf meine Rede! Nicht weit von hier liegt Griechenlands edles Lakedämon. In der Nachbarschaft desselben, nur etwas abseits und versteckt, findest du Tänar[58]. Dort ist der Eingang zum Dis[59]; dort die Pforte, welche den rauhen Weg zur Unterwelt öffnet. Da hindurch begib dich und verfolge dann den geraden Fußsteig; so gelangst du unmittelbar zu des Orkus Burg. Leer indessen darfst du diesen Weg der Finsternis nicht antreten, in jeder Hand mußt du einen Honigfladen und im Munde zwei Stüber mitnehmen. Unterwegs wirst du einen hinkenden Esel, mit Holz beladen, antreffen, samt einem gleichfalls hinkenden Eselstreiber. Letzterer wird dich bitten, ihm die vom Esel herabgefallenen Holzscheite wieder aufzuheben; aber gehe du, ohne ein Wort zu verlieren, stillschweigend vorüber. Nun kommst du gleich zum Totenfluß, worüber Charon[60] gesetzt ist. Ehe er die Ankömmlinge in seinem wandelbaren Nachen an das jenseitige Ufer hinübersetzt, fordert sich erst Fährgeld von jedem ein.‹ – Wehe! Also auch bei den Toten herrscht Habsucht? Sowenig Charon als Vater Dis, ein so großer Gott er auch ist, tut das Geringste umsonst! Und der Arme muß zum Sterben sich erst mit einem Reisepfennig versehen, sonst darf er nicht fort! – ›Gib dann diesem schmutzigen Greise einen von deinen beiden Stübern Schifferlohn, oder vielmehr, laß ihn sich denselben aus deinem Munde selbst nehmen. Kaum werdet ihr euch auf dem trägen Pfuhl eingeschifft haben, so wird euch der Schatten eines Alten nachgeschwommen kommen und seine nichtigen Hände zu dir aufheben und aufs erbärmlichste flehen, ihn doch in das Schiff zu ziehen. Doch fern sei von dir ein so unzeitiges Mitleiden! Seid ihr aber den Fluß hinüber, dann wirst du so gar nicht weit gehen, so werden dich wieder alte Weiber, die mit Weben beschäftigt sind, bitten, doch auch ein wenig Hand mit anzulegen und ihnen zu helfen. Allein auch damit laß dich unvermengt. Denn dies und noch weit mehreres geschieht alles auf Betrieb der Venus, um dir nur einen von den Kuchen aus den Händen zu spielen; und das siehe ja nicht bloß für einen geringen Teigverlust an! Wisse, mit eines einzigen Verlust ist dir die Rückkehr zum Lichte auf ewig versperrt. Denn durch sie allein kannst du dich vor dem Zerberus schützen. Gleich vor dem Eingange zu den düsteren Gemächern Proserpinens liegt dies schreckliche, dreiköpfige Ungeheuer und bewacht des Dis leere Behausung, indem es mit donnerndem, dreigespaltenem Rachen den Toten, denen es weiter nichts Böses zufügen kann, Entsetzen entgegenbellt. Zolle ihm einen Honigkuchen, so ist seine Wut bezähmt, und sonder Gefahr kannst du vorbeischlüpfen. Gehe sofort zu Proserpinen. Freundlich und huldreich wird sie dich empfangen, wird dich einladen, neben ihr auf den weichen Polstern Platz zu nehmen, um an ihrer herrlichen Tafel mitzuspeisen. Aber schlage du alles aus und setze dich auf den platten Boden und laß dir nichts als etwas schwarzes Brot reichen, und das iß. Darauf entledige dich deines Auftrags, nimm, was sie dir dann geben wird und kehre damit zurück. Und wenn du wieder mit dem dann noch übrigen Honigfladen beim Höllenhunde dich lösest, nachher dem geizigen Schiffer den zurückbehaltenen Stüber gibst, den Fluß herüberfährst und auf dem gekommenen Wege zurückgehst, so wirst du zuletzt zum Glanze der himmlischen Sternenheere wohlbehalten wieder heraufkommen, wofern dich nicht gelüstet (sei aber davor auf das kräftigste von mir gewarnt), die Büchse zu eröffnen, um den darin verwahrten Schatz göttlicher Schönheit vorwitzig zu besichtigen oder gar zu berauben!‹
Also der weitschauende Turm. Psyche säumt nicht. Sie geht nach Tänar; versieht sich vorgeschriebenerweise mit den Stübern und Fladen, steigt damit in den Höllenschlund hinab, zieht stillschweigend an dem gebrechlichen Eseltreiber vorüber, zollt dem Schiffer das bestimmte Fährgeld, achte nicht des nachschwimmenden, alten Gespenstes Begehren, nicht der tückischen Weberinnen hinterlistige Bitte, schläfert des bösen Höllenhundes Wut durch einen vorgeworfenen Kuchen ein und dringt bis zu Proserpinens Gemach.
Allda widersteht sie jeder freundlichen Einladung. Nicht der weichgepolsterte Thron der Königin der Hölle, nicht ihre Göttertafel verführt sie. Demütig setzt sie sich zu den Füßen ihrer leutseligen Wirtin auf den harten Boden, begnügt sich mit dem schwarzem Brote und richtet alsdann getreulich der Venus Gesandtschaft aus.
In kurzem bekommt sie die Büchse, insgeheim mit dem Verlangten gefüllt, zurück.
Sie verschließt nun wieder mit dem andern Kuchen des Zerberus fürchterlichen Rachen, fährt für den andern Stüber zurück über den schleichenden Acheron[61], und schon verläßt sie hochgemut die Hölle; schon erblickt sie, schon trinkt ihr Auge wieder mit Wonne das schimmernde Tageslicht und beflügelt sich mit Eile ihr Fuß, im Nu das gefährliche Geschäft zu vollenden – indem, so beschleicht, betört verwegener Vorwitz ihren Sinn.
›Siehe‹, spricht sie, ›wärest du nicht eine Törin, Psyche! Du hättest hier die Götterschönheit in Händen und legtest dir nicht einmal ein ganz klein wenig davon auf? Dadurch könntest du ja allein deinem schönen Liebhaber wieder gefallen!‹
Gedacht, versucht. Auf ist die Büchse. Allein wehe! Da ist keine Schönheit, da ist nicht das Geringste darin. Nur ein höllischer Schlaf, ein wahrer Todesschlaf.
Sobald der Deckel geöffnet ist, fährt er hervor, ergreift Psyche, gieß sich in einem Gewölk schwerer Schlummerdünste um all ihre Glieder und streckt sie sofort unbeweglich am Boden hin. Da liegt sie auf dem Wege, eine schlafende Leiche!
Aber Cupido war allbereits wiederhergestellt von seiner Wunde und vermochte nicht länger die langwierige Abwesenheit seiner Psyche zu ertragen. Er entschlüpft durch ein Fenster aus der Kammer, worin er eingesperrt gehalten wurde, und seine Flügel, die desto mehr Schwingkraft durch die lange Ruhe erhalten hatten, tragen ihn schneller als je davon, hin zu seiner Psyche.
Sorgfältig nimmt er sogleich den Schlaf von ihr hinweg, verschießt ihn wiederum in die Büchse und erweckt dann Psychen mit der Spitze eines unschädlichen Pfeiles.
›Sieh‹, sagt er zu ihr, ›warst du nicht schon wieder durch deinen Vorwitz verloren? Doch gehe nur jetzt und entledige dich geflissentlich deines Auftrages bei meiner Mutter, ich will schon weiter für uns sorgen.‹
Mit den Worten hebt sich der holde Flieger in die Luft; Psyche aber trägt allsofort der Venus Proserpinens Geschenk hin.
Cupido, nicht minder von der Liebe zu Psyche als von der Furcht genagt, seine Mutter möge ihn doch noch der Mäßigkeit übergeben, da ihr Blick noch immer zürnet, nimmt hinwiederum zu seinen gewöhnlichen Ränken seine Zuflucht. Er schwingt sich auf rüstigem Gefieder zum hohen Pole des Himmels, klagt da dem großen Jupiter seine Not und macht denselben alsbald seinen Wünschen geneigt.
Liebreich küßt ihn Zeus, mit der einen Hand den kleinen Mund sanft zudrückend, mit der andern ihn zu sich hinziehend, und spricht zu ihm also:
›Du kleiner loser Schelm! hast dich zwar jederzeit mehr als mein Herr betragen, denn als mein Sohn, hast mir nie die von allen Göttern mir einhellig zugestandene Ehre erzeigt! So könnte ich es denn nun wohl ahnden, daß du mich, den Gesetzgeber der Elemente, mich, den Roller der Sphären, fast beständig zum Ziele deiner Pfeile genommen und zu so vielen Torheiten mit irdischen Schönen, zu so vielen Verstößen gegen alle Gesetze der Zucht und Ehrbarkeit verleitet hast, daß ich beinahe allen Anspruch auf Ehre und Glimpf verloren habe. Hat mich doch dein Mutwille bis zu Drachen, zu Feuer, zu Vögeln, zu allerhand wilden und zahmen Tieren herabgewürdigt. Allein, ich will mich nur meiner Liebe zu dir erinnern. Du bist ja unter meinen Augen aufgewachsen. Ich will alles tun, dich glücklich zu machen; nur bleibt die Sorge, dich vor Nebenbuhlern zu schützen, dein eigen! Doch weißt du, was ich mir bei dir kleinem Schalk für diese Huld zur Vergeltung ausbedinge? Das hübscheste Mädchen auf Erden!‹
Er sprach’s und erteilte dem Merkur Befehl, augenblicklich die gesamten Götter zur Versammlung zu berufen und anzukündigen, wer fehle, solle mit zehntausend Nummen büßen. Aus Furcht vor der Strafe ist in kurzem kein Platz im weiten himmlischen Versammlungssaale mehr leer.
Majestätisch vom erhabenen Throne herab spricht nun Jupiter also:
›Ihr sämtlichen Götter und Göttinnen, deren Namen in den Denkbüchern der Musen verzeichnet sind, ihr kennt alle diesen Jüngling, der hier unter meinen Augen auferzogen worden. Es ist jetzt meines Erachtens Zeit, dem feurigen Ungestüm seiner ersten Jugend einen Zügel anzulegen. Schon übel genug ist er durch allerlei böse Nachrede von Ehebruch und anderen Ausschweifungen berüchtigt. Laßt uns ihm die Gelegenheit rauben, auf dem Wege weiter fortzugehen, laßt uns seinen jugendlichen Flattersinn mit den Fesseln der Ehe binden. Er hat sich schon selbst ein Mädchen gewählt und mit ihr gebuhlt. Diese laßt uns zu eigen ihm geben! Er vermähle sich mit ihr diesen Augenblick! In Psychens Umarmung genieße er fortan ewige Fülle der Liebe!‹
›Du aber‹ – fährt er fort, zur Venus sich wendend –, ›meine Tochter, darfst dich keineswegs darüber betrüben. Nicht im mindesten soll dein hohes Geschlecht und dein Stand unter dieser Verbindung deines Sohnes mit einer Sterblichen leiden. Ich will stracks allem abhelfen, was dabei dem Wohlstande oder den Gesetzen entgegen sein könnte.‹
Jetzt winkt er, und Merkur verschwindet, holt Psyche und führt sie in den Himmel ein.
Der Gott der Götter reicht ihr selbst den Becher der Unsterblichkeit dar. ›Nimm, Psyche‹, spricht er, ›und sei unsterblich! Niemals wird Cupido wieder von dir weichen, denn euch verknüpft von nun an ein ewiges Band!‹
Fröhlich wird alsbald das herrlichste Hochzeitsmahl gerüstet.
Man lagert sich umher; obenan Psyche, ihrem Neuvermählten im Schoß. In gleicher Lage Jupiter und daneben seine Juno. Dann die sämtlichen Götter nach der Reihe.
Dem Jupiter reicht sein Mundschenk Ganymed, der schöngelockte Hirt vom Ida, den Nektar. Die übrigen bedient Bacchus. Vulkan legt vor.
Die Horen bepurpurnen Tafel, Polster und Fußboden mit frischen Rosen und anderen Blumen.
Die Grazien erfüllen die Luft mit Wohlgeruch des Balsams, und die Musen ergötzen die Gäste mit silbernen Stimmen.
Zuweilen singt auch Apoll zu der gewölbten Leier melodischen Saiten; Venus tanzt mit entzückender Anmut, jede ihrer Bewegungen in bezaubernder Harmonie mit der angegebenen Weise; die Musen stimmen alsdann dazu im Chore Lieder an, und wechselweise begleitet sie jetzt die Doppelpfeife eines Satyrs und die Flöte eines jungen Pans.
Also ward Psyche feierlich mit Cupido vermählt. Sie genas bald einer Tochter, die in der Sprache der Sterblichen ›Wollust‹ genannt wird.«
Also erzählte die alte verwirrte Saufschwester dem entführten Mädchen vor. Ich, der ich nicht weit davon stand, beklagte herzlich, daß ich weder Schreibtafel noch Griffel hatte, ein so herrliches Märchen niederzuschreiben.
In dem Augenblick kehren die Räuber von irgendeinem großen Gefechte wieder ganz beladen nach Hause. Die muntersten unter ihnen eilen, die Verwundeten zu verbinden und zu Bette zu bringen, um dann, wie sie sagten, wieder fortzuziehen, den in einer Höhle versteckten Überrest der Beute nachzuholen.
Nachdem sie das Essen in aller Geschwindigkeit hintergeworfen, nahmen sie mich und das Pferd zum Tragen der zurückgebliebenen Sachen mit, und so bergauf und bergab, die Kreuz und Quer fort, unter manchem derben Lendenhieb, den sie uns mit ihren Knütteln versetzten, bis wir endlich ganz gegen Abend zu der Höhle gelangten. Ohne uns da die mindeste Zeit zum Ausruhen zu lassen, beluden sie uns mit erstaunlich vielen Sachen, und augenblicklich wieder rückwärts, und zwar mit solcher Eile, daß über dem unaufhörlichen Prügeln und Stoßen ich endlich über einen an der Straße liegenden Stein zu Boden stürzte. Hatte es vorher schon Prügel geregnet, so regnete es ihrer nun über alle Maßen, bis ich, so lahm und geschunden ich auch am rechten Hufe und linken Buge war, mich dennoch wieder aufraffen mußte.
»Wie lange«, hub darauf einer von den Räubern an, »wie lange werden wir doch wohl die alte Schindmähre so umsonst ernähren?«
»Jawohl!« gab ein anderer zur Antwort, »und es scheint wirklich, als ob das Unglück auf dieser alten Kracke zu uns geritten gekommen. Seitdem wir sie haben, haben wir auch keinen einzigen Vorteil davongetragen, wohl aber Wunden und so manchen Verlust an tapferen Kerlen.«
»Nun«, versetzte der erste wieder, »die Tracht da muß das träge Tier noch heimtragen, es mag sich nun auch dazu anstellen, wie es wolle; aber dann breche ich ihm auch zuverlässig den Hals und gebe es den Geiern zur Beute!«
Derweilen meine wilden Herren also über meinen Tod wortwechselten, waren wir wieder heim; denn Furcht hatte meine Fersen beflügelt.
Sie schafften hurtig alles, was wir mitgebracht hatten, beiseite, bekümmerten sich weiter weder im Guten noch Bösen sowenig um das Pferd als um mich, sondern sahen nur nach den Verwundeten, die sie zurückgelassen hatten, und dann rannten sie abermals fort, um, wie sie sagten, noch die letzte Nachlese zu halten.
Inzwischen blieb mir die geschehene Drohung des Todes wie ein Stachel im Herzen zurück.
»Was stehst du da, worauf wartest du noch, Lucius?« sprach ich zu mir selber. »Dein Urteil ist gesprochen, dir ist der bitterste Tod bereitet! Wie du siehst, braucht’s auch weiter keiner großen Anstalten zur Exekution, die nahen Felsen da mit den spitzen, hervorragenden Klippen scheinen nur darauf zu warten, dir den Garaus zu machen. Wohin du auch fallen magst, du wirst nicht ganzbeinig davonkommen. Hätte dich deine heillose Magie doch nur gänzlich zum Esel gemacht. Aber da hat sie dir nur des Esels Ansehen und Elend gegeben und statt seines dicken, unempfindlichen Felles, die feine dünne Haut eines Blutegels! Ermanne dich denn und rette dich, da es noch Zeit ist! Jetzt, da die Räuber abwesend sind, hast du die schönste Gelegenheit zur Flucht; denn vor dem alten Gespenste von Weib wirst du dich ja nicht fürchten? Die kannst du dir mit einem einzigen Schlage, und wär’s auch nur mit dem lahmen Fuß, vom Halse schaffen. Aber wohin fliehen, wo unterkommen? Nun, da haben wir den Esel! Als ob nicht jedweder Vorübergehende einen Kauz wie dich mit offenen Armen aufnehmen würde, auf dem er, statt des mühseligen Gehens, ruhig nach Hause reiten kann!«
Und somit war auch der Riemen, mit dem ich angebunden, den Augenblick zerrissen, und dahin trollte ich.
Unterdessen konnte ich den Spionenaugen der alten Hexe nicht entgehen. Sie sah mich mich losmachen, lief herbei, und mit einem Mute, den ich weder ihrem Geschlechte noch ihrem Alter zugetraut hätte, fiel sie mir in den Zügel und suchte mit all ihren Kräften und mit den besten Worten von der Welt mich zurückhalten. Allein alles verfing bei mir nicht. Der Drohung der Räuber wohl eingedenk, ließ ich mich von keinem Mitleide rühren. Ich versetzte ihr mit den Hinterfüßen einen solchen Schlag, daß sie die Beine in die Höhe kehrte. Gleichwohl ließ sie den Zügel nicht fahren. Ich schleppte sie eine weite Strecke hinter mir her. Sie kreischte laut auf, sie rief, sie schrie aus vollem Halse um Hilfe. Niemand kam, denn es war niemand da, der ihr helfen konnte, außer dem einzigen gefangenen Mädchen. Diese kam am Ende auf das gelle Geschrei wirklich herbei; aber sie sah nicht sobald das merkwürdige Schauspiel – die alte Dirce[62], zwar nicht von einem Stier, sondern von einem Langohr geschleift –, als sie schier mit männlicher Kühnheit die schönste Tat unterfing.
Sie riß der Alten den Zügel aus den Händen, besänftigte mich durch schmeichelhaftes Klopfen, schwang sich dann behend auf meinen Rücken und sprengte mit mir davon.
Ich, der ich schon vorher von Begierde, zu entfliehen, entflammt war und jetzt sowohl durch den Wunsch, das Mädchen zu retten, als durch die oft wiederholten Streiche, die ich bekam, dazu noch weit mehr angereizt wurde, ich schlug wie ein edles Roß mit leichtem Hufe den Boden und wieherte fröhlich in den sanften Zuruf des Mädchens. Auch drehte ich zuweilen meinen Nacken zurück, und unter dem Scheine, mit auf dem Rücken zu jucken, küßte ich meiner holden Reiterin niedliche Füßchen.
Endlich holte das Mädchen einen tiefen Seufzer, sah mit kummervollen Blicken gen Himmel und sprach:
»Oh, ihr Götter! Stehet mir bei in dieser äußersten Gefahr! Und du, o Unglück! Höre endlich auf, gegen mich zu wüten; ich habe dir ja sattsam durch unaussprechliche Leiden gedient! Du aber, du mein Befreier, mein Erretter, wenn du mich wohlbehalten meinen teuren Eltern, meinem geliebten Bräutigam zurückbringst, o dann, wie werde ich dir danken, wie hoch werde ich dich ehren, wie köstlich werde ich dich speisen! Deine Mähne sollen meine Hände mit Sorgfalt kämmen und mit meinem jungfräulichen Geschmeide ausschmücken, deinen Schopf will ich kräuseln und zierlich putzen, die Haare deines Schwanzes, die jetzt schmutzig und verworren aus Vernachlässigung herabhangen, mit Geflissenheit will ich die säubern und gefällig sie sondern; du sollst über und über von goldenen Buckeln wie von himmlischen Sternen schimmern. Mit Jauchzen und Frohlocken soll dich das Volk empfangen, sooft du erscheinst, und in großem Gepränge dich begleiten. Und täglich sollst du aus meinem seidenen Schoß dich in Mandelkernen und Zuckerbrot sättigen. Doch bei all den leckeren Speisen, bei Ruhe und Gemächlichkeit und sonst allen Freuden des Lebens soll es dir auch nicht an Ruhm fehlen! Ich will das Andenken meiner gegenwärtigen Flucht und des glücklichen Entkommens durch ein herrliches Denkmal verewigen. Ich will uns fliehend malen lassen, und feierlich soll dies Bild in der Halle meines Hauses aufgehängt werden. Bald, so wird man unsere Geschichte auch in Liedern und Komödien zu hören und zu sehen bekommen, und wer weiß, welch ein stattlicher Roman noch einst zum Titel führt: ›Die auf deinem Esel der Gefangenschaft entronnene königliche Prinzessin.‹ Du, guter Esel, wirst vielleicht auch noch die alten Wunder bestätigen helfen! Um der Wahrheit willen deines neueren Beispiels wird man hinfort um so fester glauben, da Phrixus[63] auf einem Widder durch den Hellespont geritten, Arion[64] von einem Delphin gerettet und Europa[65] von einem Stiere nach Kreta getragen sei. Und hat Jupiter wirklich in Stieresgestalt gebrüllt, so kann ja wohl auch unter diesem Esel ein Mensch oder gar ein Gott verborgen sein!«
Unterdessen das Mädchen also betete, schwatzte und mitunter wohl auch einmal tief und schwer seufzte, unterdessen kamen wir an einen Scheideweg.
Sie ergriff sogleich die Zügel und wollte mich links lenken, weil da der Weg zu ihren Eltern ging.
Da ich aber wußte, daß die Räuber diesen Weg genommen hatten, das Zurückgebliebene nachzuholen, so sperrte ich mich aus Leibeskräften dagegen, und in meinem Sinne hielt ich ihr folgende Standrede: »Was machst du, was beginnst du, unglückseliges Mädchen? Was eilst du dem Tode gerade entgegen? Nie, nie werde ich meine Füße dazu herleihen, dich und mich ins Verderben zu tragen!«
Sie hörte nicht auf, mich links und immer wieder links zu zerren, sie peitschte, sie stieß mich; aber keine Gewalt ward über mich Herr, ich stand und machte Männerchen und wich lieber gar nicht von der Stelle.
Indem wir so miteinander uneins waren, kamen die Räuber mit dem letzten Rest ihres Raubes dazu. Sie hatten uns schon von ferne beim Mondenschein erkannt und wollten sich ganz tot über uns lachen.
»Ei, gehorsamer Diener!« rief uns einer von ihnen ganz spöttisch zu. »Wohin so eilig noch so spät in der Nacht? Und Sie fürchten sich nicht vor Gespenstern? Vermutlich wollen Mamsell inkognito einen kleinen Besuch bei Ihren Eltern abstatten? Mit Ihrer gütigen Erlaubnis werden wir Ihnen Gesellschaft leisten und auch einen nähern Weg zeigen.«
Mit diesen Worten hatte er mich schon beim Zügel erwischt und drehte mich um, nach der Höhle zu, und ließ dabei mit vieler Behendigkeit den Knüttel gar nachdenklich auf meinem Leder spielen.
Sobald ich wieder dem Tod, dem ich so zu entlaufen gedachte, wider Willen entgehen mußte, so war ich auch gleich wieder huf-, bug- und blattlahm. Ich hinkte, daß der Kopf ellenhoch auf- und niederschlug, und ich hätte das Spiel noch weiter getrieben, wenn mir nicht der Räuber, der mich wieder gehascht hatte, mit einem gewissen Tone zugerufen hätte:
»Fängst du schon wieder an zu zippern, zu humpeln und zu stolpern, du faule Bestie? Wart, ich will dir die Füße kurieren. Sie schienen doch vorher eben so morsch nicht, als es aufs Entfliehen ankam! Da ging’s ja wahrhaftig rascher noch mit dir vom Flecke als mit dem geflügelten Pegasus[66]!«
Während das Prügelwetter, das dies Kompliment begleitete und erst gar kein Ende nehmen wollte, gelangte wir zur äußersten Schanze der Räuberburg.
Siehe, da hing die Alte, einen Strick um den Hals, an dem Ast einer hohen Zypresse. Sie schnitten sie flugs ab und schleuderten sie, so wie sie war, an ihrem Halsbande in den nächsten Abgrund hinunter. Nach dem Leichenbegräbnis wurde das Mädchen erst in Ketten und Bande gelegt, und dann ging’s gleich wie reißende Tiere über die Mahlzeit her, welche das arme alte Weib ihnen noch zu guter Letzt zubereitet hatte.
Nach Verlauf einiger Zeit, während welcher die Vielfraße nur mit einem dumpfen Geräusch ihrer Gefräßigkeit opferten, kam endlich unsere Flucht auf das Tapet, und es wurde Rats gepflegt, wie man uns dafür am füglichsten zu bestrafen hätte. Bunt ging’s da zu: so viele Köpfe, so viele Sinne. Der eine wollte, das Mädchen sollte lebendig verbrannt werden, der andere war der Meinung, man müsse sie wilden Tieren vorwerfen, der dritte hängte sie an den Galgen, der vierte zerfleischte sie auf der Folterbank. Nur darin stimmten sei allesamt überein, daß sie den Tod erwirkt habe.
Zuletzt, als der größte Lärm sich gelegt hatte, hub einer mit vieler Gelassenheit also zu reden an:
»Kameraden! Es würde nicht der Regel unseres Ordens, nicht mit der Sanftmut eines jeglichen unter uns, nicht mit meiner eigenen Gerechtigkeitsliebe übereinstimmen, wenn ich zulassen wollte, daß ihr jetzt bei Bestrafung des gegenwärtigen Verbrechens so alles Maß überschrittet und alles Ziel. Hinweg mit den wilden Tieren, dem Galgen, dem Feuer, der Folterbank und überhaupt mit jedem frühen, schleunigen Tode. Wollt ihr meinem Rate folgen, so schenkt dem Mädchen das Leben; aber schenkt es ihr so, wie sie es verdient. Ihr erinnert euch, was ihr schon längst über den Esel da beschlossen habt. Schon immer unausstehlich faul auf den Füßen, aber desto geschäftiger mit den Kinnbacken, hat er sich durch verstelltes Unvermögen und durch gutwillige Beihilfe zur Flucht des Mädchens jetzt noch schuldiger gemacht als jemals. Laßt uns diesen morgenden Tags erwürgen, ihn völlig ausnehmen; das Mädchen, das er uns hat davontragen wollen, nackend in seinen Bauch einnähen, so daß sie nur mit dem Gesichte hervorragt, mit dem übrigen Leibe aber ganz in ihm eingefuttert ist; darauf laßt uns diesen gefüllten Esel nehmen und auf einen hohen freien Felsen tragen und ihn da an den Strahlen der Sonne braten. Auf diese Art leiden beide Verbrecher, was ihr ihnen mit so vieler Klugheit bestimmt hattet. Der Esel den Tod, den er längst schon verdient gehabt; das Mädchen aber die Bisse der wilden Tiere, wenn die Würmer ihre Glieder zernagen, die Glut des Feuers, wenn die allzugroße Sonnenhitze ihre Hülle entzündet, alle Marter des Galgens, wenn Hunde und Vögel ihr die innersten Eingeweide aus dem Leibe reißen, und außerdem noch weit andere größere Qualen und Drangsale mehr. Denn lebendig muß sie den Bauch eines verreckten Viehes bewohnen, muß beständig den unausstehlichen Gestank des Aases einatmen, muß vor Hunger elendiglich, allmählich hinsterben, ohne daß ihre freien Hände ihr den Tod zu geben vermögen.«
Als er so gesprochen, ging alles einmütig zu seiner Meinung über. Mir, der ich’s mit gereckten Ohren so mit anhörte, blieb weiter nichts übrig, als meine morgende Leiche zu beweinen.