Sobald nach vergangener Finsternis der Tag anbrach und der glänzende Sonnenwagen alles erleuchtete, kam noch ein neuer Kamerad der Räuber an. Nach gegenseitiger freundlicher Begrüßung setzte er sich in den Eingang der Höhle hin, ließ sich ein wenig zu Atem kommen und erstattete darauf seinen Kollegen folgenden Bericht:
»Was des Hypaters Milo Haus anlangt, das wir neulich beraubt haben, so dürfen wir deshalb ganz ruhig und außer Sorgen sein. Nachdem ihr, tapfere Kameraden, alles ausgeräumt hattet und nach unserem Standquartier zurückgezogen waret, mischte ich mich, wie ihr es mir befohlen, unter die zusammengelaufenen Leute, schimpfte und klagte weidlich mit ihnen über die geschehene Untat, paßte aber wohl auf, was man wegen Untersuchung derselben beschließen möchte, und ob überhaupt oder inwiefern darüber Nachsuchung angestellt werden sollte.
Hier ist, was ich eingezogen!
Jedermann gibt, nicht auf Mutmaßung, sondern aus wahrscheinlichen Gründen, einen gewissen Lucius für den unzweifelhaften Täter des geschehenen Diebstahls an. Dieser Schelm habe sich vor kurzem durch falsche Empfehlungsschreiben bei dem Milo eingeschlichen und sei von demselben als Gastfreund in sein Haus aufgenommen worden. Daselbst habe er sich verschiedene Tage aufgehalten, während welcher er die Magd des Milo durch unerlaubten Umgang auf seine Seite gebracht und alle Schlösser des Hauses und alle Behältnisse, worin der Wirt sein Vermögen verwahrt, untersucht und ausgekundschaftet. Es wäre auch nicht die geringste Spur von dem Bösewichte zu entdecken. Er wäre mit dem Augenblicke, da der Diebstahl geschehen, verschwunden und nirgend mehr anzutreffen. Auch hätte es ihm nicht an Mitteln gefehlt, seine Flucht zu beschleunigen und den Nachsetzern zu entgehen, da er gleich zu der Absicht mit einem schönen Schimmel versehen gewesen. Zwar habe man seinen Kerl noch im Hause gefunden und denselben in Verhaftung genommen, weil man geglaubt, er würde die Anschläge seines Herrn verraten. Allein ungeachtet dieser den andern Tag lange gefoltert und fast bis auf den Tod gemartert worden, so habe er doch nicht das geringste Nachteilige von seinem Herrn bekannt. Gleichwohl habe man viele Abgesandte nach dieses Lucius’ Vaterland geschickt, um daselbst wegen Bestrafung des Verbrechers anzusuchen.«
Während dieser also erzählte, verglich ich bei mir selbst meine vormalige Glückseligkeit als Lucius mit meinem jetzigen Elende als Esel und seufzte aus dem Innersten meines Herzens. Ich begriff jetzt, daß die klugen Alten nicht ohne Grund das Glück blind und völlig augenlos gebildet; da es mit seiner Gunst nur immer gegen böse und unwürdige Leute verschwenderisch ist, nie mit Beurteilung unter den Menschen eine Wahl trifft, vielmehr die am meisten vorzieht, vor denen es selbst laufen würde, wenn es sie sehen könnte, und (was von allem das Ärgste ist) über unsere Meinung ebenso wunderlich als widersinnig waltet, so daß der Schurke oft für einen rechtschaffenden Kerl gilt, indem der Biedermann wie ein Bösewicht behandelt wird.
»Dich« – sagte ich bei mir selbst –, »den es schon in seiner schlimmsten Laune zu dem allerverächtlichsten Tiere herabgewürdigt hatte, dessen Unglück auch dem verruchtesten Menschen Erbarmen und Mitleiden abgelockt haben würde, dich noch mit dem Verdachte der Beraubung, ja der Ermordung deines teuren Gastfreundes zu beladen! Und du mußt es noch so mit anhören und kannst dich nicht einmal verteidigen oder die Sache nur mit einem Worte leugnen!«
Endlich übernahm mich die Ungeduld: »Stehst du so dabei«, dachte ich, »und sagst nichts, so scheint’s, als habest du ein böses Gewissen und sei die abscheuliche Beschuldigung wahr.« Ich wollte also wenigstens ausrufen: »Ich bin unschuldig!«
Das erste Wort kam ganz gut und laut und mehr als einmal heraus, allein die übrigen vermocht’ ich auf keine Weise hervorzubringen. Ich mochte meinen unförmigen, ungeschickten Lippen noch so viel Gewalt antun, ich mochte sie noch so sehr vorstrecken und spitzen, es blieb bei demselben Tone. Ich! Ich! i-ate ich mehrmals, daß alles widerhallte.
Das alles Hadern mit dem Glücke umsonst war, blieb nichts anderes zu tun, als alles zu verschmerzen. Hatte ich mich doch schon darein geben müssen, daß ich mit meinem eigenen Reitgaule Dienst-, Last- und Krippengenosse geworden war.
Ich versank darauf in eine wichtigere Sorge, als es die über die Verletzung meines guten Leumundes war. Das über mich gesprochene Urteil, wodurch ich zum Schlachtopfer für die Seele des Mädchens verdammt worden, kehrte mir wieder zu Sinne, und ich blickte so wehmütig nach meinem Bauche hin, als wäre er schon mit dem armen Mädchen trächtig.
Unterdessen holte der Räuber, der soeben die falsche Nachricht von mir mitgebracht hatte, tausend Goldstücke hervor, die er in einem Zipfel seines Kleides eingenäht hatte. Er hätte sie, sagte er, verschiedenen Resienden abgenommen; als ein redlicher Kerl aber brächte er sie treulich zur gemeinschaftlichen Kasse. Er erkundigte sich auch sehr geflissentlich nach seiner Kameraden Befinden.
Als er hörte, daß einige von ihnen, und zwar die wackersten, bei verschiedenen gefährlichen Vorfällen draufgegangen wären, so tat er den Vorschlag: »Man solle eine Weile die Landstraßen in Frieden lassen und allgemeinen Waffenstillstand beobachten; unterdessen aber sich auf Anwerbung junger Leute legen, damit ihr martialisches Herr völlig rekrutiert und wieder so vollzählig als ansehnlich würde. Die Widerspenstigen könne man ja mit Gewalt zwingen und die Unentschlossenen durch Geschenke gewinnen, davon nichts zu erwähnen, daß sehr viele herzlich gern freiwillig zu ihrer Gesellschaft übergehen würden, um sich nur dem Joche der Knechtschaft zu entziehen und bei ihnen ein freies Herrenleben zu führen. Er für sein Teil sei unlängst einem großen, vierschrötigen, handfesten, jungen Kerl begegnet und habe ihm angeraten und endlich ihn auch überredet, die Nerven seines Armes nicht in steter Faulheit erschlaffen zu lassen, sondern zu etwas Besserem anzuwenden, den Vorteil einer festen Gesundheit sich noch zur rechten Zeit zunutze zu machen und nicht schüchtern nach kärglichen Almosen seine starke Faust auszurecken, mit der er gebieterisch große Geldsummen einfordern könnte.«
Der Rat ward beliebt; es wurde beschlossen, sowohl den halb und halb Angeworbenen aufzunehmen, als auch aufs Rekrutieren auszugehen.
Darauf ging der Werber fort, und nach Verlauf kurzer Zeit kehrt er wieder mit einem so schönen, großen Kerl, wie er versprochen hatte, zurück. Fast keiner von den Anwesenden konnte sich mit demselben vergleichen. Ohne von seiner übrigen stammhaften Leibesstatur zu reden, war er noch einen Kopf größer als alle insgesamt, und das Milchhaar kräuselte sich kaum erst auf seinen Wangen. Sein Anzug bestand aus lauter Lumpen von allerhand Farben, die übel zusammengefügt waren, kaum bedeckten sie ihn halb; allenthalben strebte daraus eine breite Brust und ein mit dicker Schmutzrinde überzogener Leib hervor.
Als er hereintrat, sprach er:
»Seid gegrüßt, ihr wackeren Diener des Gottes Mars, bald meine Brüder! Und wollet willig unter euch einen Menschen aufnehmen, der sich freiwillig anbietet, sein Leben schon oftmals gewagt hat, lieber Wunden als Geld empfängt und dem Tode, den andere scheuen, kühn Trotz zu bieten weiß! Glaubt nicht, daß Mangel oder Verworfenheit mich zu euch treibe, und beurteilt meine Verdienste nicht aus diesen Lumpen; denn, wie ihr mich hier seht, bin ich Hauptmann der allerstärksten Bande gewesen und habe ganz Mazedonien verwüstet. Ich bin jener berühmte Straßenräuber, der thrazische Hämus, bei dessen Namen ganze Provinzen zittern. Mein Vater hieß Thero und ist gleichfalls unter den Straßenräubern namhaft. Er hat mich mit Menschenblut gesäugt und mitten unter seiner Banditenbande erzogen. Ich bin Erbe und Nacheiferer seiner hohen Eigenschaften. Allein die ganze zahlreiche Gesellschaft, die er mir hinterließ, mitsamt den großen Schätzen allen hab’ ich innerhalb eines kurzen Zeitraums verloren, weil ich den ersten kaiserlichen Finanzminister, der in Ungnade gefallen war, im Vorbeigehen an der Seeküste angefallen hatte. Doch ich will euch die ganze Sache in ihrer Ordnung erzählen:
Es lebte am kaiserlichen Hofe ein mit vielen Würden und Ämtern bekleideter Herr in großer Gunst und Ansehen. Neid machte sich an ihn, feindete ihn an, stürzte ihn; er ward verbannt. Seine Gemahlin, eine gewisse Plotina, eine Frau von seltener Treue und Tugend, die ihrem Gatten schon zehn Kinder geboren, verschmähte und verachtete der Hauptstadt üppige Ergötzlichkeiten, teilte den Kummer ihres Gemahls und gesellte sich ihm im Elende als Gefährtin zu. Sie schor sich das Haar ab, kleidete sich wie eine Mannsperson, versteckte Juwelen, Geschmeide und Spargeld in ihrem Gürtel und ging so unerschrocken unter der Wache und unter den blanken Schwertern einher, jeglicher Gefahr teilhaftig, immer wachsam auf die Wohlfahrt ihres Gemahls und mit echtem männlichen Mut alle Mühseligkeiten erduldend.
Schon waren fast alle Beschwerlichkeiten und Gefahren der Reise zu Wasser und zu Lande glücklich überstanden und man steuerte auf Zakynthus los, welches dem Verbannten vor der Hand zum Aufenthalt war angewiesen worden, als man sich einfallen ließ, vorher am aktiischen Gestade noch anzulegen, allwo wir eben, nachdem wir von Mazedonien herabgekommen waren, unser Wesen trieben. Die ganze Schiffsmannschaft verließ den Bord, um in einem kleinen Wirtshaus nicht weit vom Meere zu übernachten. Wir überfielen sie darin und plünderten sie rein aus, wiewohl nicht ohne die allergrößte Gefahr; denn sobald nur Plotina das erste Geräusch an der Haustüre hörte, stürzte sie in die Stube hinein und machte durch ihr ängstliches Geschrei alles wach. Soldaten, Bediente, die ganze Nachbarschaft rief sie zu Hilfe, und hätten sich nur die Leute nicht alle selbst gefürchtet und vor Angst verkrochen, wir wären nimmermehr so ungestraft davongekommen.
Hierauf kam das treue Biederweib (denn ich muß ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen) mit ihren Bitten bei dem Kaiser ein, und da sie ihrer Klugheit und ihres guten Herzens wegen allgemein beliebt ist, so erhielt sie sowohl die schleunige Zurückberufung ihres Gemahls als auch vollständige Rache wegen der Beraubung.
Kurz, der Kaiser wollte nicht, daß des Hämus’ Straßenräubergesellschaft ferner bestehen sollte; den Augenblick war es auch damit aus. So viel vermag der bloße Wink eines großen Fürsten!
Als nun einige Kompanien Soldanten nachsetzten und alle meine Leute niedermachten, entwischte ich noch mit genauer Not und ganz allein davon.
Ich entkam dem Tode, der mich gleichsam schon in seinen Klauen hielt, auf folgende Art: Ich legte ein geblümtes Weiberkleid an, das hübsch weit und lang war und recht schlotterig saß, setzte eine Mütze auf, zog weiße dünne Schuhe an, wie das andere Geschlecht zu tragen pflegt, und also vermummt bestieg ich einen Esel, der Gerste trug, und ritt glücklich mitten durch die Haufen der mir nachstellenden Soldaten hindurch. Sie ließen mich frei und ungehindert passieren, weil sie mich für eine Eseltreiberin ansahen; denn ich hatte damals noch keinen Schein von Bart.
Inzwischen, so enge ums Herz es mir auch unter den Schnapphähnen ward, so blieb ich dennoch des Ruhms und der Tapferkeit meines Vaters eingedenk. Unter meiner Vermummung fand ich leicht in den Schlössern und Landhäusern Zugang, und war ich gleich allein, so scharrte ich demungeachtet einen ansehnlichen Reisepfennig zusammen.«
Hiermit schnallte er sein Wams auf und schüttete zweitausend Goldstücke aus.
»Da«, sprach er, »diese Kleinigkeit biete ich von ganzem Herzen eurer Gesellschaft zum Antrittsgeld und mich selbst unmaßgeblich zum Anführer dar mit der Verheißung, diese eure steinerne Wohnung in gar kurzer Zeit in eine goldene zu verwandeln!«
Ohne Anstand und ohne Bedenken übertrugen die Räuber ihm einstimmig die Hauptmannschaft. Sie brachten sogleich ein stattliches Kleid hervor und ließen es ihn statt des zerlumpten Kleides anziehen. Als er geputzt war, küßte er sie die Reihe herum. Nun wurde er bei Tische auf den Ehrenplatz gesetzt und unter weidlichem Gebecher bei einem fröhlichen Schmause eingeweiht.
Unterm Tischgespräche ward er von des Mädchens Flucht und von meiner willigen Beihilfe und von dem uns zugedachten abscheulichen Tode unterrichtet. Er erkundigte sich, wo das Mädchen wäre, und ließ sich zu ihr führen. Als er sie gesehen, wie sie krumm zusammengeschlossen dalag, ging er mit gerümpfter Nase wieder hinweg und sprach:
»Ich bin weder so einfältig noch so verwegen, daß ich dasjenige, was ihr beschlossen habt, geradezu aufheben sollte. Inzwischen würde ich mir doch auch Vorwürfe machen, euch das zu verhehlen, was mir gut dünkt. Hört mich in dem Vertrauen an, daß euer Vorteil mir am Herzen liegt! Mißfällt euch meine Meinung, nun, so bleibt die Erfüllung der eurigen euch ja immer unverwehrt.
Ich denke also: Räuber, die ihr Handwerk verstehen, müssen nichts in der Welt ihrem Vorteile vorziehen, selbst die Rache nicht, mit der man ohnehin nur allzuoft ebensosehr sich selbst als andern schadet! Gesetzt, ihr lasset das Mädel im Esel umkommen, so ist’s wahr, euer Mütlein habt ihr gekühlt; aber euer Vorteil, was gewinnt der?
Darum, so wäre mein unmaßgeblicher Rat: Bringen wir die Dirne lieber nach irgendeiner Stadt, und da sie verhandelt! Für solch eine Jugend kann man etwas lösen. Ich kenne Kuppler, die sie uns mit tausend Freuden für bare alte Dukaten abnehmen. Laßt denn das gnädige Fräulein eine Bordelldame werden! Die Lust zu einer anderweitigen Flucht wird ihr da schon vergehen, und bei dieser so trefflichen Versorgung seid ihr wahrhaftig nicht minder gerächt.
So wäre mein Vorschlag nach meinen besten Einsichten! Ich halt’ ihn für ersprießlich, stelle ihn euch aber völlig anheim. Es ist eure Sache, ihr seid Herren und Meister, zu tun oder zu lassen, was ihr wollt!«
Also sprach er und erwies sich dadurch zu gleicher Zeit als einen ebenso eifrigen Plusmacher denn Erretter des Mädchens und von mir armen Grauchen.
Die anderen ratschlagten ein Langes und Breites. Mir war bei ihrer Unschlüssigkeit nicht wohl; mein Herz war in der Klemme. Endlich und endlich traten sie alle einhellig der Meinung des neuen Ankömmlings bei, und dem Mädchen wurden sogleich die Fesseln abgenommen.
Wer hätte es geglaubt? Sobald das Mädchen nur den jungen Kerl gesehen und von Bordell und Kuppler gehört, wußte sie sich vor Freuden nicht mehr zu lassen. Das empörte mich gewaltig. Ich ward auf das ganze Geschlecht ungehalten, als ich sah, wie ein junges Ding, das so viele Liebe zu ihrem Bräutigam und so großes Verlangen nach einer ehelichen Verbindung bezeugt hatte, so ehrvergessen und bei erster Erwähnung eines liederlichen, unzüchtigen Hauses so über die Maßen erfreut sein konnte.
»Ach, sie haben alle weder Sitten noch Charakter!« brach ich bei mir selbst voller Unwillen aus. Das schöne Geschlecht verzeihe es! Ich sprach’s als – Esel.
Der neue Hauptmann nahm darauf wieder das Wort.
»Jetzt«, sprach er »laßt uns vorerst unserem Beschützer, dem Mars, ein Dankfest feiern und dann auf Verkauf des Mädels und auf Anwerbung neuer Rekruten ausziehen! Aber, mir deucht, es fehlt uns wohl an Opfertier und an hinlänglichem Vorrate von Wein zum Trinken. So gebt mir nur ihrer zehn Gefährten zu, mehr braucht’s nicht, damit ich nach dem nächsten Schlosse gehe und dort Ernte halte zu unserem Schmause!«
Das geschah, und er marschierte mit ihnen fort.
Unterdessen zündeten die übrigen ein großes Feuer an und errichteten aus frischen Rasen dem Gotte Mars einen Altar.
Nach Verlauf kurzer Zeit kehrten jene wieder zurück, große Weinschläuche auf den Schultern und eine Herde Vieh vor sich her.
Ein großer, bejahrter, langhaariger Ziegenbock ward gleich zum Opfer auserlesen und dem helfenden und schützenden Mars geschlachtet. Darauf ging es an die Zubereitung des herrlichen Gastmahls.
»Nicht genug«, begann endlich der Hauptmann, »daß ich bei euren Auszügen und Räubereien euer rüstiger Anführer bin, ich will es auch bei eurem Vergnügen sein.«
Und damit schickt er sich an, mit großer Geflissenheit alles zu besorgen. Er wischt, kehrt, schwenkt, deckt, kocht, richtet an, trägt auf, legt vor – es war ein Vergnügen, ihn zu sehen. Vor allen Dingen aber ließ er sich angelegen sein, die großen Humpen recht fleißig anzufüllen. Und unter dem Scheine, als holt er etwas, das bei Tische fehle, ging er von Zeit zu Zeit dahin, wo das Mädchen lag. Bald brachte er ihr Essen, das er heimlich wegpraktiziert, bald ließ er sie aus seinem Becher trinken, nachdem er vorher selbst kredenzt. Er war seelenvergnügt.
Das Mädchen ihrerseits nahm alles mit Freuden an, was er ihr zusteckte, und wenn er ihr zuweilen eine Kuß geben wollte, reichte sie ihm zuvorkommend den Mund hin. Das verdroß mich ungemein.
»Pfui«, apostrophierte ich sie unwillig bei mir selbst, »bist du ein ehrliches Mädchen und kannst du so der Eheverlobung und deines Geliebten vergessen? Kannst dem Bräutigam, den deine Eltern dir zugedacht, diesen wildfremden, blutdürstigen Räuber vorziehen? Du mußt ja gar kein Gewissen haben, daß du deine Liebe so mit Füßen trittst und hier unter Lanzen und Schwertern Unzucht treibst! Weißt du wohl, daß, wo es die anderen Räuber merken, du gleich wieder zur alten Strafe verurteilt werden und mir also das Leben rauben wirst? Wahrhaftig, das heißt, aus anderer Leute Leder Riemen schneiden!«
Indem ich aber noch so in meinem Herzen mit ihr haderte, merkte ich mit einmal aus einigen dunklen Reden die aber doch für einen Esel von Verstande Sinn hatte, daß ich gegen das arme, unschuldige Kind einen gar falschen Verdacht hegte, indem der vermeinte berühmte Straßenräuber Hämus kein anderer war als Tlepolem selbst, ihr Bräutigam. Aus der Folge ihres Gesprächs ward mir’s vollends offenbar, denn meine Gegenwart legte ihnen nicht den geringsten Zwang an.
»Nur guten Muts, süße Charite!« – sagte er etwas laut zu ihr – »bald sollst du diese deine Feinde alle als deine Gefangenen sehen!«
Mit den Worten ging er und schenkte den Schwelgern bei Tische, die schon alle ihre völlige Ladung hatten, lauter ungemischten und nur etwas laugemachten Wein ein, munterte sie dabei noch unaufhörlich zum Trinken auf, tat ihnen aber nur immer aus leeren Bechern Bescheid.
Wahrlich, ich habe ihn im Verdacht, daß er ihnen ein schlafbringendes Mittel in den Trunk getan; denn stracks lagen sie allesamt wie tot da, in Schlaf und Weine begraben.
Nun war er drüber her, sie dicht und fest zu knebeln und zu binden, und als er damit fertig war, setzte er sein Mädchen mir auf den Rücken und sofort der Heimat zugewandert!
Wie wir uns derselben näherten, ergoß sich schier die ganze Stadt aus den Toren. Eltern, Anverwandte, Freunde, Pflegekinder, Gesinde, alles kam jauchzend uns entgegengerannt; in allen Augen blitzte die Freude des Wiedersehens. In kurzem hatten wir ein unzähliges Gefolge. Groß und klein, jung und alt, Mann und Weib wimmelte in fröhlichem Getümmel um uns her. Auch war es in der Tat ein seltenes und merkwürdiges Schauspiel, ein Mädchen im Triumph auf einem Esel einziehen zu sehen.
Was mich betrifft, um gleichfalls meinen Anteil an der gegenwärtigen erfreulichen Begebenheit blicken zu lassen und bei der allgemeinen Freude nicht gleichgültig zu scheinen: Ich stolzierte hochtrabend einher, und mit emporgereckten Ohren und offenen Nüstern frohlockte und jubilierte ich dermaßen aus vollem Halse, daß alles nur dröhnte.
Also gelangten wir zu Charitens Wohnung.
Ihre Eltern trugen sie auf ihren Händen hinein und pflegten ihrer mit der allerzärtlichsten Sorgsamkeit. Mich aber trieb Tlepolem unverzüglich mit anderen Saumtieren mehr, von einer großen Menge Leute begleitet, wieder zur Räuberhöhle zurück. Ich sah es gern. Da Neugier überhaupt sehr meine Sache ist, so wünschte ich, die Räuber aufheben zu sehen.
Wir fanden sie nicht so sehr mehr vom Weine als von den Stricken gebunden.
Man säumte nicht, die meisten, so gebunden wie sie waren, in die nahen Steinklüfte hinunterzustürzen. Die übrigen stießen sich ihre Schwerter durch den Leib und ermordeten sich selber.
Hierauf würde das ganze Raubnest ausgeräumt. Man belud mich und die anderen Lastträger mit dem vorgefundenen Gold und Silber und den übrigen Sachen und zog, über die genommene Rache vergnügt und zufrieden, nach der Stadt zurück.
Die mitgebrachten Reichtümer wurden in die öffentliche Schatzkammer gelegt; dem Tlepolem aber ward sein wiedergeholtes Mädchen gesetzmäßig zur Gattin gegeben.
Hinfort hat mich die schöne Charite beständig ihrem Erretter genannt und sehr geflissentlich für mich gesorgt. An ihrem Hochzeitstage ließ sie mir so viel Heu und Gerste geben, daß ein baktrisches Kamel daran genug gehabt hätte. Was wünschte ich der armem Fotis nicht all für Böses an, daß sie, anstatt in einen Esel, mich nicht lieber in einen Hund verwandelt hatte: denn diese machten sich wenigstens fette Mäuler beim Schmause und stopften sich bis zum Übermaße mit den leckersten Überbleibseln voll.
Am Morgen nach der Brautnacht, nach dem ersten Genusse der süßen Freuden der Liebe, hatte die holde Charite nichts Angelegeneres, als ihre Eltern und ihren Gemahl aufs neue recht dringend an die große Verbindlichkeit zu erinnern, die sie schuldig zu sein glaubte. Man versprach ihr, mich nach Verdiensten zu belohnen, und sofort wurde eine Versammlung der ältesten Hausfreunde angestellt, um über die Art und Weise wohlweislich zu beratschlagen.
Einer von den Mitgliedern dieses hohen Rates schlug vor, man solle mich, von aller Arbeit frei, im Stalle mit gestampfter Gerste, mit Bohnen und Wicken totfüttern.
Allein ein anderer redete meiner Freiheit das Wort und trug den Beifall davon. Er riet, mich lieber auf offenen Triften frei unter den Pferden herumlaufen zu lassen, dabei würde mein Vergnügen ebensosehr gewinnen als die Herrschaft den Vorteil; denn ich würde mit den Stuten schöntun, und da würden dann brav Maulesel fallen.
Unverzüglich wurde der Gestütmeister gerufen und ich ihm mit den schönsten Empfehlungen übergeben.
Froh und fröhlich trollt’ ich vor ihm hin, in meinen Gedanken nun auf immer alles Gepäcks und aller Lasten entledigt und voll der besten Hoffnung, da ich völlige Freiheit hätte, mit Anfang des Frühlings, wenn die Wiesen grün würden, irgendwo Rosen auszugattern. Oft ging mir auch der Gedanke durch den Sinn, da man sich jetzt schon so erkenntlich gegen mich erwies und mich als Esel so in Ehren hielt: was man alsdann nicht erst tun möchte, wenn ich die menschliche Gestalt wiederum angenommen hätte!
Allein sobald mein Gestütmeister mich nur erst weit von der Stadt weg hatte, so war leider für mich weder an Vergnügen noch an Freiheit zu gedenken. Sein altes garstiges Weib, ein wahrer Ausbund eines Geizhalses, spannte mich sogleich vor eine Zugmühle, stellte sich mit einem Prügel neben mich hin, mir damit Mut einzusprechen, und ließ mich in einem fort für sich und alle die Ihrigen Mehl mahlen. Ja, was sage ich? Sie war damit noch nicht zufrieden, daß ich ihr ganzes Hauswesen mit Mehl versah; ich mußte ihr auch noch Geld verdienen und für alle ihre Nachbarn Getreide mahlen.
Und wenn sie mir armen Schelm bei der sauern Arbeit nur noch das mir ausgemachte Futter gegeben hätte; aber da verkaufte sie meine Gerste (die ich noch selbst in mühseligem Umlaufe zermalmen mußte) an die Bauern, und mir setzte sie statt dessen, wenn ich den ganzen Tag in der Mühle gegangen war, gegen Abend ein wenig grobe unreine Kleie vor, die ich vor Steinen fast nicht fressen konnte!
Nachdem ich durch solcherlei Ungemach schon ganz zahm geworden war, übergab das grausame Geschick mich noch neuen Qualen. Der treue Gestütmeister ließ sich mit einmal, wiewohl etwas spät, einfallen, dem Befehle seiner Herrschaft nachzukommen, und tat mich zu den Pferden auf die Weide.
Ich hatte anfangs eine solche Freude, ich guter Esel, mich endlich frei und ledig zu sehen, daß ich mich nicht zu lassen wußte; ich hüpfte, tanzte, kapriolte. Mit lüsternem Auge ersah ich mir schon die schönsten Stuten zur Kurzweil aus. Allein wie bald, wie schrecklich ward ich aus dem süßen Wahne erweckt! Ich hätte schier das Leben drüber eingebüßt.
Die Zuchthengste, wilde, ungeschlachte, wohlgenährte starke Tiere, gegen die ein armseliges Eselein, wie ich war, gar nicht in Betracht kam, verstanden meinen Spaß unrecht und wurden eifersüchtig. Aus Furcht, ich möchte ihnen ins Handwerk pfuschen, setzten sie alle Gastfreundschaft hintan und verfolgten mich alle miteinander als ihren Nebenbuhler mit dem grimmigsten Haß. Der eine, von breiter Brust, langem Halse, kleinem Kopfe, bäumte sich hoch und hieb mit den Vorderfüßen auf mich ein. Der andere kehrte mir sein fleischichtes Hinterteil zu und strich mit den Hufen mir sehr unsanft in die Seiten. Der dritte kam mit boshaftem, grellem Gewieher, die Ohren zurückgelegt, die Zähne fletschend, und zerkaute mich über und über wie einen Krautstengel. Ich hatte in der Geschichte von einem gewissen thrazischen König gehört, der seine unglücklichen Gäste wilden Pferden vorwarf und sie von ihnen zerreißen und fressen ließ. Bei all seiner großen Macht war der Tyrann so geizig, daß er lieber mit Menschenfleisch als mit Hafer fütterte. Ich glaubte schier, ich wäre zu ihm geraten, so sehr waren alle Pferde des ganzen Angers auf mich erpicht. Sehnlich wünscht ich mich in meine Zugmühle zurück.
Indessen, das Glück war noch nicht müde, mich zu quälen. Es bereitete mir noch anderen neuen Jammer. Ich ward nunmehr bestimmt, Holz vom Berge herunterzuholen, und ein erzböser Bube, der seine Freude daran hatte, mich bis aufs Leben zu martern, wurde mir zum Treiber bestellt.
Nicht genug, daß ich höchst mühsam auf den hohen, steilen Berg hinaufzuklettern hatte und mir auf den spitzen Steinen ganz das Horn von den Füßen abstieß, lag der Gauner mit seinem verdammten Knüttel mir noch unaufhörlich auf den Lenden. Bis in dem innersten Mark meines Gebeins fühlt’ ich Schmerz von seinem ewigen Geprügel; weil er immer nur auf einen Fleck schlug, war auf der rechten Seite endlich gar die Haut von der Hüfte weggegangen und alles unterkötig geworden; es sah zum Erbarmen aus, doch das rührte ihn nicht. Er karniffelte drauflos, Eiter und Blut mochten noch so sehr aus der Wunde umherspritzen. Dabei überlud er mich dermaßen mit Holz, als ob ich ein Elefant gewesen wäre, und traf es sich, daß er schief gepackt hatte und die Last zu sehr auf einer Seite hing, so warf er nicht etwa einige Kloben von der zu schweren Seite ab, damit ich nicht gedrückt würde, oder legte sie nur auf die andere Seite, damit das Gleichgewicht hergestellt würde; weit gefehlt! Er nahm Steine und brachte damit meine Ladung in die Richte. Gleichwohl, wenn wir durch den Fluß setzten, der mitten in unserem Wege floß, so dachte er nicht an die ungeheure Überlast; sondern, um sich nur nicht die lieben Füßchen naß zu machen, wenn er durch die Furt watete, stieg er noch dazu auf mich und ließ sich durchtragen. Und wollte der Zufall, daß mir auf dem schlüpfrigen Ufer ein Fuß ausglitschte, und ich mit meiner Last mich nicht mehr halten konnte, sondern stürzte: anstatt dann, wie andere Eseltreiber es zu machen pflegen, mir hilfreiche Hand zu reichen, mich bei der Halfter aufzurichten, beim Schwanze in die Höhe zu heben oder einen Teil der Bürde abzuladen, bis ich wenigstens nur wieder aufgestanden, so bestand alle kräftige Hilfe, die er mir leistete, darin, daß er mir fast das Fell über die Ohren zog und mit seiner Keule mich beinahe zu Mus stampfte, bis ich endlich von selbst wieder auf die Beine kam.
Ja, das war das gebrannte Herzeleid noch nicht alles, das der Bärenhäuter mir antat! Nahm er nicht einmal Dornen mit giftigen Spitzen, band sie in ein Bündel zusammen und hing sie mir unten an den Schwanz, so daß sie, wenn ich ging, beständig hin und her baumelten und mich bei jedem Tritte, den ich tat, aufs empfindlichste verwundeten? Ich wußte nicht, was ich anfangen sollte. Lief ich zu, so kamen die Dornen dadurch in einen stärkeren Schwung und stachen beim Aufprallen nur desto schärfer; blieb ich stehen, meinen Schmerz zu lindern, so regnete es Schläge.
Kurz, alles Dichten und Trachten des abscheulichen Wüterichs schien nur dahin zu gehen, mich zugrunde zu richten. Zuweilen drohte er es mir auch unter den größten Schwüren an. Und fürwahr, um ein Haar hätte er es wirklich ins Werk gesetzt.
Die Geduld riß mir eines Tages über seinen unausstehlichen Übermut aus, und ich versetzte ihm etliche tüchtige Hufschläge. Das spannte seine Bosheit aufs höchste, und er gedachte es mir. Wie ich einmal Werg zu tragen habe, das mir mit Stricken fest aufgeschnürt war, was hat er da zu tun? Er stiehlt sich unterwegs in einem Dorfe eine glühende Kohle und versteckt sie in meiner Ladung. Es dauert keinen Augenblick, siehe, so war der ganze Praß entzündet und brannte lichterlohe, und da stand ich mitten in Flammen. Vor Schreck kam ich aus aller Fassung; ich wußte meinem Leibe keinen Rat, je schärfer das Feuer auf meinem Rücken brannte, je verwirrter ward ich. Ich gab mich für verloren.
Allein hold lächelte mir das Glück in dieser dringenden Not und rettete mich von dem mir bereiteten gegenwärtigen Verderben, um vielleicht mich zu neuen größeren Gefahren aufzusparen. Es zeigte sich mir in der Nähe eine vom gestrigen Regen zusammengelaufene Pfütze; mit einem Satze saß ich darin bis über die Ohren und stracks war ich von Feuer, Last und Tod befreit.
Allein, sollte man’s denken? Diese seine Schandtat schob der Bösewicht gar noch auf mich. Er hatte die Unverschämtheit, gegen die anderen Stallknechte auszusagen: aus freien Stücken sei ich im Vorübergehen bei den Feuern der Nachbarn gestolpert und gefallen und habe meine Bürde recht mir Willen angesteckt. Hohnlächelnd nach mir hinblickend, setze er hinzu: »Wie lange werden wir doch noch den Feuerwurm da für nichts und wieder nichts ernähren?«
Wenige Tage darauf spielte er mir noch einen weit ärgeren Streich.
Er verkaufte in der nächsten Hütte das Holz, das ich hatte holen müssen, und trieb mich lediglich nach Hause; lamentierte aber ganz erbärmlich und fluchte und schwur; er wolle eher ich weiß nicht was sein als mein Treiber! Ich wäre so voller Untugenden, daß mit mir nicht auszukommen sei.
»Seht nur«, schrie er, »was das erzfaule, träge Luder, das nicht wert ist, daß man es anspeit, für gefährliche Händel anrichtet! Wer ließe sich wohl einfallen, daß er, sowie er nur irgendeine hübsche Frau oder ein artiges Mädchen oder einen niedlichen Jungen auf seinem Wege antrifft, gleich mit der Bürde herunter ist, auch wohl mit dem Zaune dazu, verbuhlt auf sie zuläuft und trotz seiner Eselhaftigkeit den Liebhaber bei ihnen zu spielen sich unterfängt? Er schmeißt sie ohne Umstände zu Boden und ist rasch darüberher, sein Lüstchen auf irgendeine Art an ihnen zu kühlen. Er versucht’s auch wohl, sie zu küssen; doch was kann er anders mit seiner unflätigen Schnauze als blaue Flecken stoßen oder beißen? Dabei ziehen wir den kürzeren. Das kann uns Zank und Streit zuziehen, und wir werden gewiß noch einmal deshalb in die Tinte kommen! Eben nur erst ward er noch eines jungen Fräuleins ansichtig. Wohin flog das Holz, das er trug? Bei ihr stand er in wilder Liebesglut! Behend hatte er sie schon am schmutzigen Boden hingestreckt und angesichts aller Welt wollte er darauf. Wären nicht flugs auf ihr Heulen und Zetergeschrei eine Menge Leute ihr zu Hilfe geeilt und hätten sie ihm aus den Klauen gerissen, das arme erschrockene Kind wäre auf die allerjämmerlichste Art um ihr Leben gekommen, und wir hätten die Verantwortung davon!«
Durch diese und ähnliche Lügen und Schandreden, die mich innerlich um so mehr krampften, da ich sie stumm und gleichsam beschämt mit anhören mußte, wiegelte der Bube die Gemüter seiner Kameraden dermaßen zu meinem Verderben auf, daß endlich einer darunter anfing:
»Ei, so laßt uns doch den Allerweltshurer, den Erzhörnermacher da nach Verdienst belohnen! Weißt du was, Bruder, schlachte du ihn ab! Seine Eingeweide gib den Hunden, das andere Fleisch laß für die Tagelöhner kochen; damit hat er seiner Sünden Sold! Die Haut wollen wir mit Asche austrocknen, sie der Herrschaft hineintragen und der weismachen, ein Wolf habe ihn erwürgt.«
Diese Setenz war, was mein gottloser Kläger wünschte. Ungesäumt rüstete er sich zur Exekution und lief und wetzte sein großes Messer. Die Schadenfreude lachte ihm zu den Augen heraus, als er dachte, daß er sich nun für meine Hufschläge rächen könne, die leider zu meinem größten Leidwesen ihre Absicht so schlecht erfüllt hatten.
Jedoch ein anderer aus der ehrbaren Knechteversammlung nahm das Wort und sprach:
»Nein, Brüder! das wäre unverantwortlich, wenn wir den schönen Esel da totmachen und seiner notwendigen Dienste uns darum berauben wollten, weil ich bisweilen der Kitzel sticht! Was Henker! Wir dürfen ihn ja nur wallachen, so sind wir sicher genug, daß ihm ferner kein Lüstchen mehr anwandele und wir von ihm künftig nicht das geringste mehr zu fürchten haben. Er wird obendrein dadurch noch ansehnlicher und fetter. Oh, ich kenne die Menge nicht allein solcher träger Langohren, sondern selbst der mutigsten Pferde, die vorher gar unbändig sich gebärdeten und vor Brunst sich nicht zu lassen wußten; wenn sie aber diese Schule durchgegangen waren, so zahm, so tauglich wurden, daß sie alles mit sich machen ließen und gleich gut, es sei zum Tragen oder Ziehen oder sonst wozu, zu gebrauchen waren! Wenn ihr also sonst nichts dawider habt und nur so lange warten wollt, bis ich hier in der Nähe zu Markte gewesen bin, so kann ich mir von zu Hause mein hierzu nötiges Werkzeug mitbringen und euch den verbuhlten Zeisig da mit ein paar Schnitten auf ewig so kirre machen wie ein Lamm.«
Hierdurch wäre ich freilich vom Tode gerettet gewesen; allein für welchen Preis!
Ich trauerte und weinte, als ob ich nicht einen Teil meiner selbst, sondern mein ganzes Ich verlieren sollte. Endlich beschloß ich, entweder zu verhungern oder mir den Hals zu brechen; ich stürbe alsdann zwar, doch stürbe ich wenigstens ganz.
Indem ich noch über meine Todesart noch unschlüssig nachsann, ward es Tag, und mein Halunke kam wieder, wie gewöhnlich, mich nach dem Berge abzuholen.
Eben hatte er mich an einen starken Eichenzacken gebunden und war etwas weiter hingegangen, um das Holz zu fällen, das ich heimtragen sollte, als auf einmal ein abscheulicher Bär aus der nächsten Höhle brummend herauszottelte. Sobald ich den sah, fuhr ich vor Furcht und Schreck zusammen, stellte mich auf die Hinterbeine und zerrte und ruckte, bis die Halfter, womit ich angebunden war, abriß. Nun fort, was das Zeug hält! Den Berg nicht etwa hinuntergelaufen, sondern gekollert wie eine Kugel. Wieder aufgerafft, über die Ebene hingestoben, geflogen, so sehr strebte ich, dem schrecklichen Bären samt meinem Treiber, der schlimmer noch war als ein Bär, zu entkommen.
Ein Wanderer, der mich so allein ankommen sah, fing mich auf, schwang sich hurtig auf mich und, hast du nicht gesehen, auf mich losgepaukt und querfeldein gesprengt.
Ich war froh, daß ich nur laufen durfte, damit ich weiter und weiter von den vermaledeiten Schweineschneidern wegkam. Aus Prügeln macht’ ich mir nichts mehr, ich war sie endlich gewöhnt.
Allein umsonst war mein Eilen; es sollte mir nicht so gut werden, mich zu verstecken oder zu entwischen. Das mir feindliche Glück lauerte im Hinterhalte.
Die Stutereiknechte hatten eine Färse verloren und suchten und patrouillierten danach in der Gegend umher. Von ungefähr trafen sie auf uns, erkannten mich im Augenblick an der Halfter wieder und wollten sich meiner bemächtigen. Mein Reiter hatte Mut und widersetzte sich.
»Beim Element!« rief er, »laßt mich! Was fallt ihr mich an, was soll die Gewalt?«
»Wir begegnen dir, wie es dir geziemt; du bist ein Dieb!« gaben ihm jene zur Antwort, »du hast uns den Esel gestohlen! Und sage gleich an, wo hast du den Treiber, was hast du mit ihm angefangen? Gewiß hast du ihn totgeschlagen!«
Damit rissen sie ihn zu Boden, schlugen ihn mit Fäusten, traten ihn mit Füßen; er mochte noch so sehr Stein und Bein schwören, daß er den Treiber mit keinem Auge gesehen und mich, da ich ganz frei und allein gelaufen gekommen, nur der Belohnung wegen, die er dafür vom Eigner zu erhalten gehofft, aufgefangen hätte.
»Wollte Gott«, sprach er, »der Esel könnte reden! Er würde meine Unschuld bezeugen, und ihr solltet euch schon für diese Behandlung hinter den Ohren kratzen!«
Allein das half alles nichts, die Knechte waren ungläubig. Sie legten ihm einen Strick um den Hals und schleppten ihn mit nach dem Busche, wo der Bursche zu holzen pflegte. Er war nirgends zu finden; wohl aber sah man hin und wieder zerstreute Glieder seines zerrissenen Leibes. Mir war es außer allem Zweifel, daß der Bär das Stück Arbeit verrichtet, Und traun! Ich hatte gern gesagt, was ich wußte, wenn ich nur hätte reden können. Da das aber nicht anging, tat ich, was ich konnte, ich frohlockte im Grunde des Herzens über meine endliche Rache.
Nach und nach wurden alle zerstreuten Teile des Leichnams zusammengefunden. Man setzte sie, soviel als es sich tun ließ, wieder aneinander und verscharrte sie an demselben Orte.
Meinen armen Bellerophon aber hielten nunmehr die Knechte für einen unstreitig überführten Dieb und Mörder und führten ihn vor der Hand gebunden nach der Stuterei. Mit Anbruch des folgenden Tages aber, sagten sie, sollt’ er zum Richter gebracht und seiner verdienten Strafe ausgeliefert werden.
Eben waren die Anverwandten des Burschen im besten Weinen und Wehklagen um seinen Tod, siehe, da kam richtig mein Herr Schweineschneider anspaziert, um an mir seine Operation zu verrichten. Allein es ward ihm gesagt: »Alleweile läge ihnen die Sache nicht am Herzen; er möchte morgen wiederkommen, da könnte er den verdammten Esel, anstatt zu kastrieren, auch wohl gar erwürgen, sie wollten ihm alle dabei helfen!«
Solchergestalt ward meine Beschneidung bis auf den andern Tag verschoben. Wie dankte ich da nicht aus Herzensfülle dem Jungen für diese Galgenfrist, die er mir durch seinen Tod erworben! Meine Freude währte aber sehr kurz.
Die Mutter des Burschen, ganz untröstlich über ihren Verlust, kam in völliger Trauer zu mir in den Stall geheult und geschrien, riß sich mit beiden Händen ihre grauen, mit Asche bedeckten Haare aus, zerschlug und zerkratzte sich die welken Brüste und rief:
»Und die infame Bestie hier soll so ruhig stehen, die Nase in die Krippe hängen und nur für Ausfüllung ihres bodenlosen Wanstes besorgt sein? Nicht achten meines Jammers, nicht gedenken des schrecklichen Unglücks seines Führers? Soll wohl gar meines Alters, meiner Schwäche noch spotten und für ihre Feigheit leer auszugehen glauben? Ja, sich unschuldig dünken, sich dem bösesten Gewissen zum Trotz, wie’s alle Bösewichter machen, weißbrennen?
Nein, bei allen Göttern! Du schändliches Vieh, du könntest die beredtste Zunge erborgen und würdest nicht einmal ein Kind von deiner Unschuld überzeugen! Konntest du nicht mit Beißen, konntest du nicht mit Hufschlägen den armen Jungen schützen? Ja, wie er noch lebte, da mochtest du wohl deine Hufe gegen ihn selbst spielen lassen; aber sie zu seiner Verteidigung gebrauchen – das konntest du nicht! Hättest du ihn wenigstens nur auf den Rücken genommen und wärst mit ihm davongerannt, und hättest ihn also aus den Händen des blutdürstigen Banditen gerettet! Aber so deinen Bruder, deinen Meister, deinen Gefährten, deinen Pflegevater im Stiche zu lassen und allein davonzulaufen! Du mußt nicht wissen, daß diejenigen, welche einem, der sich in Lebensgefahr befindet, Hilfe versagen, wie Totschläger behandelt werden, weil es in der Tat bübisch ist! Allein du sollst dich meines Verlustes nicht länger erfreuen, Mörder! Du sollst gleich fühlen, wie der Schmerz selbst den abgelebten Unglücklichen Jugendkräfte verleiht!«
Mit diesen Worten machte sie sich die Hände frei, band sich ihren Gürtel ab und knüpfte und schnürte mir damit die Beine dicht und fest zusammen, so daß ich keins nur rühren konnte, geschweige ausschlagen. Und nun ergriff sie den Baum, womit die Stalltüre zugestemmt wurde, und hörte auch nicht auf, mich damit zu bleuen, bevor sie nicht alle Kräfte verließen und der Bleuel, vermöge seiner eigenen Schwere, ihr aus den Händen sank.
Böse, daß die Arme ihr so bald versagten, lief sie zum Feuerherde, holte einen lebendigen Feuerbrand und begann mein Gemächte zu braten. In der äußersten Not wußt ich mir nicht anders zu helfen, als ich spritzte hintenheraus ihr dermaßen ins Gesicht, daß sie kein Auge mehr auftun noch vor Gestank bleiben konnte, und ich also das Verderben von mir abwendete; sonst wäre ich armes Eselein wirklich, gleich dem Meleager durch den Feuerbrand der rasenden Althäa[67] ums Leben gekommen.
Zur Zeit des Hahnenschreis kam ein Bursche aus der Stadt, ich hielt ihn für einen von den Leuten Charitens, der Dame, welche mit mir bei den Räubern gleiche Trübsal erlitten hatte. Er setzte sich zu den Knechten ans Feuer und erzählte denselben folgende wunderbare und traurige Geschichte von ihrem Tode und dem Unglücke ihrer ganzen Familie.
»Ihr Hüter der Pferde, Schafe und Rinder«, hub er an, »die unglückliche Charite ist nicht mehr! Ein schrecklicher Zufall hat sie uns entrissen! Doch ist sie noch ohne Geleite von hinnen gegangen; aber ihr müßt alles wissen! Ich will die ganze Begebenheit von Anfang erzählen! Sie wäre wert, von gelehrten Händen niedergeschrieben und für die Nachwelt aufbewahrt zu werden.
In der Stadt war ein junger Ritter von sehr edler Abkunft und großem Vermögen, mit Namen Thrasyll. Schmausen, Buhlen, Zechen war sein Geschäft, Gauner seine Gesellschaft, und Menschenblut hatte schon mehrmals seine Hände befleckt. So wahr dies alles, so bekannt war es auch. Gleichwohl war er einer der Eifrigsten, die sich um Charitens Hand bewarben, als diese mannbar geworden.
Von allen Mitbewerbern der Vornehmste von Geburt, suchte er noch durch sehr ansehnliche Geschenke die Eltern für sich einzunehmen; doch umsonst! Seine schlechte Aufführung überwog, und er hatte den Schimpf, einen Korb zu bekommen.
Charite ward dem Tlepolem zugestanden.
Thrasyll ließ darum seine Leidenschaft für sie, so hoffnungslos sie auch war, nicht fahren, sondern nährte dieselbe zugleich mit dem Unwillen über die erlittene Verschmähung und suchte nur durch eine blutige Tat seine Rache und Liebe zu vergnügen. Eine günstige Gelegenheit bot sich ihm dazu dar, und er ließ sie nicht ungenutzt vorbeigehen.
An dem Tage, als Charite durch die List und Tapferkeit ihres Bräutigams glücklich aus den Händen der Räuber befreit worden war, kam er, unter die Menge der Gratulanten gemischt, und tat außer sich vor Freuden über die gegenwärtige Erhaltung und über das darauffolgende Beilager, aus dem, wie er sagte, notwendig die allerglänzendste Nachkommenschaft ersprießen müßte.
Er ward von der Zeit an, besonders um seiner Familie willen, unter die vorzüglichsten Gastfreunde unseres Hauses aufgenommen. Weislich verbarg er seine heimliche Tücke und spielte den Herzensfreund in größter Vollkommenheit. Durch seine Gespräche, durch häufige Besuche, durch einstweilige Gesellschaft bei der Mahlzeit, beim Weine, wußt’ er sich täglich mehr und mehr beliebt zu machen. Jedoch versank er darüber unversehens selbst in den tiefsten Abgrund der Liebe, und ganz natürlich! Denn der erste Funke der Liebe ist klein und erwärmt angenehm das Herz; aber wenn er durch den Umgang angefacht wird, so lodert er in Flammen auf, die endlich in wilder Glut unser ganzes Wesen verzehren.
Thrasyll dachte also lange bei sich selbst nach, wie er sich Charite heimlich entdecken könnte. Allein, wie ihr anzukommen, da sie beständig von Leuten umgeben und bewacht war? Wie es zu machen, ihr von seiner Liebe vorzureden, da ihre Neigung zu ihrem Gemahle im ersten Wachstume war und mit jedem Tag stärker wurde? Ja fände er, welches doch im mindesten nicht wahrscheinlich, fände er auch Gehör bei Charite; ihre jungfräuliche Unerfahrenheit würde dem Manne sogleich die verstohlene Liebe verraten.
Doch alle diese unüberwindlichen Schwierigkeiten schreckten ihn nicht ab. Einer so heftigen Leidenschaft als der seinigen dünkte nichts unmöglich. Hört, ich bitte euch! Hört mit bekümmerten Herzen, welch einen entsetzlichen Weg seine rasende Liebe einschlug!
Eines Tages nahm ihn Tlepolem mit sich, als er Wild zu jagen ausging, wofern man anders Rehe Wild nennen kann; denn andere, mit Hauern oder Hörner bewehrte Tiere ließ Charite aus Besorgnis ihren Gemahl nicht aufsuchen. Schon war der Hang eines dicht mit Wald bewachsenen Hügels mit Netzen umstellt, und die Jäger gingen auf den Anstand; man ließ die Spürhunde los, das im Lager liegende Wildbret aufzutreiben. Stracks verteilten sich diese allenthalben durch das Dickicht, und wie wohl sie abgerichtet waren, jagten sie mit heimlichen Gekläff, bis sie Witterung aufnahmen. Nun wurden sie laut, daß weit umher der ganze Forst vom heftigsten Gebell erscholl.
Kein flüchtiges Reh stand vor ihnen auf, kein schüchternes Dammtier, keine vor anderen Tieren zahme Hindin; aber ein gewaltiger Keiler, den man noch nie da gesehen hatte. Seine hangende Wamme, dick mit Kot gepanzert, gleich einem Bären über und über zottig; hoch die Borsten des Rückens gesträubt, schäumte er vor Wut, fletschte die Zähne und drohte Gefahr aus feuerflammenden Augen. Wie ein Blitzstrahl fährt er unter die Hunde, die sich ihm am kühnsten genaht, haut rechts, links um sich her mit seinen gekrümmten Gewehren, und sie liegen tot am Boden gestreckt. Nun rennt er gerade gegen das Zeug an, stürzt es im ersten Anlauf nieder, und davon, und ins Freie!
Wir alle waren schier verscheucht. Keiner anderen als gefahrlosen Jagden gewohnt und noch dazu ohne Waffen, ohne Schutz, stoben wir auseinander und verkrochen uns, so gut wir nur konnten, hinter Gesträuchen und Bäumen; allein dem Thrasyll dünkte dies die schönste Gelegenheit zur Ausübung hinterlistiger Anschläge.
›Ei!‹, rief er dem Tlepolem zu, ›wir werden uns doch nicht die Schande antun und, gleich den feigen Memmen da, vor Furcht und Schreck eine so fette Beute uns entwischen lassen? Unsere Pferde her! Wir müssen nach! Nimm du einen Jagdspieß, ich nehme eine Lanze!‹
Gesagt, getan. Sie sitzen zu Pferde und sprengen hinter dem Eber her; dieser, seiner angeborenen Stärke eingedenk, stand und schien in weilender Wut zu überlegen, welcher von beiden seinen mörderischen Zahn zuerst empfinden sollte.
Tlepolem flog vorauf und schloß mit seinem Jagdspieße den Eber in den Rücken. Unterdessen richtete mein Thrasyll seine Lanze anstatt nach dem Keiler nach dem Pferde des Tlepolem und schneidet demselben die Hessen ab. Das Pferd sank sogleich, als es sich verwundet fühlte, mit dem Hinterteile nieder und warf wider Willen seinen Reiter ab. Wie dieser fiel, saß der Eber auf ihm und zerfetzte erstlich seine Kleider, als er aber aufstand, ihn selbst auf das jämmerlichste.
Nun freute der Busenfreund sich der gelungenen Tücke und hütete sich wohl, sich von der großen Gefahr zum Mitleid rühren zu lassen. Vielmehr, indem der arme Tlepolem in Todesangst sich vor den Wunden zu decken sucht und ihn erbärmlich um Hilfe anruft, rennt er ihm seinen Spieß durch die rechte Hüfte, damit er ja auf der Stelle bliebe. Er tat es mit aller Zuversicht, da er wußte, daß diese Wunde von den Hieben des Ebers nicht zu unterscheiden sein würde. Darauf nahm er es mit dem Schweine auf, und nachdem er es mit leichter Mühe erlegt, rief er uns allesamt aus unseren Schlupfwinkeln hervor und verkündete uns den Tod unseres armen Herrn. In größter Bestürzung und Betrübnis liefen wir hinzu.
Thrasyll, ungeachtet er sich in seinem Herzen freute, daß er glücklich den Mord vollbracht, den er sich angelobt, wußte dennoch seine Freude zu verstellen und eine ernste, betrübte Miene anzunehmen. Er warf sich auf die Leiche hin, die er selbst gemacht hatte, und umarmte sie inbrünstig; unterließ nichts, was der erste heftige Schmerz zu tun pflegt. Nur weinen, das konnt’ er nicht!
Da er in seinem erdichteten Leide der Wahrheit des unsrigen so ganz gleichkam, so ließ sich niemand einfallen, ihn wegen des Mordes in Verdacht zu haben, und wir glaubten ihm auf sein Wort, daß der Eber unsern Herrn erschlagen habe.
Kaum war dies Unglück geschehen, so trug das Gerücht auch schon die traurige Nachricht davon nach Tlepolems Wohnung, zu den Ohren seiner unglücklichen Gattin.
Sobald diese die entsetzliche Nachricht vernommen, fährt sie halb sinnlos in wilder Hast auf, stürzt wie eine Rasende vollen Laufs durch die volkreichen Gassen, läuft querfeldein, laut schreiend über das Unglück ihres Mannes. Scharenweise und traurig strömen die Leute hinter ihr her; wer ihnen begegnet, gesellt sich und seinen Schmerz zu ihnen. Die ganze Stadt wird darüber leer.
Bereits war man zum Orte gelangt, wo Tlepolems Leichnam lag. Mit scheidender Seele sank Charite auf denselben nieder und wollte da ihr Leben aufgeben, da sie ihrem Tlepolem geweiht. Mit Not ward sie noch von den Ihrigen hinweggerissen und wider Willen beim Leben erhalten.
Man nahm die Leiche auf und brachte sie im Geleite des ganzen Volkes nach dem Begräbnis.
Da hattet ihr den Thrasyll sehen sollen, wie überlaut er schrie, wie er sich zerschlug; die Tränen, die ihm bei Bezeugung der ersten Betrübnis versagt waren, flossen ihm nun, vermutlich vor immer zunehmender Freude. Allerlei Namen der Liebe wurde von ihm verschwendet, die Wahrheit zu hintergehen; unter dem kläglichsten Leidwesen rief er beständig:
›O mein Tlepolem! Mein Freund, mein Gespiele, mein Kamerad, mein Bruder!‹
Ja, zuweilen fiel er Charite in die Arme und hielt sie ab, sich den Busen zu zerschlagen; beschwor sie, ihre Trauer zu mäßigen und nicht so zu weinen, suchte durch liebreiches Zureden den Stachel des Schmerzes zu stumpfen und sie durch allerlei herbeigezogenen Beispiele ähnlicher Zufälle zu trösten. Dabei vergaß er nicht, unter dem Scheine der innigsten Teilnahme an ihrem Verluste das schöne Weib aufs vertraulichste zu liebkosen, um seiner häßlichen Leidenschaft durch diese ungebührliche Lust Nahrung zu geben.
Allein nach vollbrachtem Leichenbegräbnisse wünschte die junge Witwe nichts sehnlicher, als ihrem Manne recht bald nachzufolgen.
Sie bedachte bei sich alle Mittel dazu und wählte endlich jenes sanfte, ruhige, das keines Gewehrs bedarf, sondern dem stillen Schlaf ähnlich ist: das Verhungern.
Bleich, verfallen, sich gänzlich vernachlässigend, saß sie hin in tiefer Finsternis und hatte schon abgerechnet mit dem Leben. Doch Thrasyll ruhte nicht. Mit den dringendsten Bitten stürmte er auf sie ein, lag unablässig durch ihre Freunde, durch ihre Eltern ihr in den Ohren. Sie mußte nachgeben und ihren vor Mattigkeit, Totenblässe und Vernachlässigung entstellten Körper durch Bad und Speise wieder erquicken. Sie tat es aus Ehrfurcht vor ihren Eltern; machte aus Not eine Tugend und unterzog sich – zwar nicht mit fröhlichem, jedoch mit heiterem Gesicht – den Verrichtungen der Lebendigen, so wie man es verlangte. Allein in ihrem Innern nagte Harm und Betrübnis ihr beständig am Leben. Tag und Nacht hing sie der zärtlichsten Sehnsucht unter unaufhörlichen Tränen nach. Ja, sie hatte ihren Verstorbenen unter der Gestalt des Bacchus gebildet, und stets stand sie vor ihm und erwies ihm göttliche Verehrung. Das war ihr einziger schmerzlicher Trost.
Thrasyll konnte es nicht erwarten, daß sich ihr Schmerz ausgeweint, der Sturm ihrer Seele gelegt und die höchste Betrübnis durch die Länge der Zeit sich verloren hätte. Aus Übereilung und Unbesonnenheit stand er nicht an, sich ihr zur Ehe anzutragen, da sie noch ihren Gemahl beweinte, noch ihrer Kleider zerriß, noch sich die Haare zerraufte. Der einfältige Schritt deckte alle Geheimnisse seines Herzens auf und verriet sein heilloses Spiel.
Charite schauderte mit Abscheu vor dem schändlichen Antrag zurück, und nicht anders, als ob die Pest sie angehaucht oder der Strahl des Jupiters sie getroffen hätte, sank sie ohnmächtig nieder, und die Sinne vergingen ihr. Nach einer Weile kam sie zwar wieder zu sich selbst und erhob ihr jämmerliches Klagegeschrei von neuem; indessen, die Augen waren ihr nun über den abscheulichen Thrasyll aufgegangen.
Sie gab ihm zur Antwort; sie könne sich nicht sogleich erklären, sie müsse die Sache erst reiflicher überlegen.
Mittlerweile erschien der Schatten des grausam ermordeten Tlepolem dem tugendhaften Weibe im Traume. Von Blut und Totenblässe war sein Antlitz entstellt.
›Du meine Gattin!‹ sprach er zu ihr, ›wenn mein Andenken deinem Herzen wert bleibt, wird nie ein anderer dich so nennen dürfen! Doch, hat mein unglückseliger Tod den Bund unserer Liebe zerrissen, so lebe glücklich mit jeglichem andern, nur dem gottlosen Thrasyll gib deine Hand nicht! Er sei ewig von deinem Gespräche, von deinem Gastmahle, von deinem Bette verbannt! Fliehe seine blutige Rechte! Hochzeit mit ihm wäre Totschlag; denn er ist mein Mörder! Die Wunden, die deine Tränen gebadet, waren nicht alle mir vom Eber geschlagen! Ach! Die Lanze Thrasylls allein hat uns voneinander getrennt!‹
Er fügte alles übrige hinzu und entdeckte die Schandtat ganz umständlich. Charite, die, unter Betrübnis das Gesicht ins Kissen gedrückt, eingeschlummert war und selbst im Schlafe noch ihre schönen Wangen mit Tränen netzte, fuhr wie von einem Geschütz erweckt aus dem rastlosen Schlummer auf; erneute ihre Klagen, wimmerte und schluchzte, zerriß ihr Gewand und zerkratzte mit wütenden Händen ihre schönen Arme. Dennoch vertraute sie niemandem die nächtliche Erscheinung, noch tat sie, als ob ihr irgend etwas von der Ermordung ihres Mannes entdeckt worden; aber stillschweigend beschloß sie bei sich; erst den verhaßten Mörder zu strafen und dann sich selbst vom jammervollen Leben zu befreien.
Siehe, der schamlose Freier stellte sich wieder ein und lag ihr ohne Unterlaß mit seinem Antrage, wovon ihre Seele nichts wissen mochte, in den Ohren. Was sagte er nicht, ihr Herz mit Liebe zu bestechen; wir bat und fluchte er nicht in weichem Tone!
Sie verlarvte sich mit List, hörte ihn leutselig an und gab ihm zur Antwort: ›Noch schwebt deines Freundes, meines teuren Gemahls, reizendes Bild mir beständig vor Augen, noch schallt in meinen Ohren der liebliche Klang seiner Stimme, noch lebt mein Tlepolem ganz in diesem Herzen. Soll denn seine betrübte Witwe nicht wenigstens das von den Gesetzen bestimmte Trauerjahr abwarten? Meinerseits erfordert dies der Wohlsand ebensosehr als deinerseits die Sorge für deine Sicherheit; denn durch unsere zu frühe Verbindung würde mein seliger Mann im Grabe zum Unwillen gereizt werden und du, Thrasyll, würdest es dann mit dem Leben entgelten müssen.‹
Thrasyll, dem nichts von Arglist schwant, begnügte sich mit dieser erhaltenen Hoffnung noch nicht, sondern fuhr ohne Schonung fort, Charitens Widerstand bei jeder Gelegenheit mit der süßesten Beredsamkeit zu bestürmen.
Endlich stellt sie sich überwunden und spricht zu ihm: ›Alles, was ich tun kann, geliebter Thrasyll, ist dies einzige, daß wir bis zur Vollendung des Trauerjahres in geheimer Vertraulichkeit miteinander leben. Allein es muß aufs sorgfältigste vor unseren Freunden verborgen bleiben!‹
Dieser trügerische Vorschlag verfing. Thrasyll willigte mit tausend Freuden in das geheime Verständnis und hätte gewünscht, es wäre schon Nacht, damit nichts mehr seinem Glücke entgegenstände.
›So komm denn, Geliebter‹, sprach Charite, ›komm mit einbrechender Nacht leise an meine Haustüre, aber wohlvermummt und sonder Begleitung! Du darfst einmal nur pfeifen; meine Amme soll dein mit dem Ohre am Schlüsselloch warten. Sie wird unverzüglich dich einlassen und im Dunkeln nach meiner Kammer führen, daß dich niemand sieht.‹
Thrasyll war entzückt über diese Anordnung der Hochzeit, die, ach! so schrecklich ablaufen sollte. Kein Verdacht kam ihm in den Sinn. Von Ungeduld gequält, seufzt er nur über des Tages trägen Gang, über den tödlichen Verzug der Nacht.
Als endlich seinem sehnlichen Verlangen die Sonne untergegangen war und die nächtlichen Schatten herrschten, da vermummt er sich, wie es ihn Charite geheißen, stellt an der Tür sich ein, folgt der Amme, die bereits auf ihn mit Schadenfreude lauschte, stillschweigend mit leisem Tritte nach und schlüpft, voll der süßesten Hoffnung, in Charitens Schlafgemach.
Den Befehlen ihrer Gebieterin treu, tut die Alte mit ihm sehr freundlich und bindet ihm auf, ihre Frau sei nur noch bei ihrem kranken Vater, sie werde aber augenblicklich kommen. Unterdessen reicht sie ihm ein Glas Wein nach dem andern, worin sie heimlich einen Schlaftrunk gemischt hatte. Thrasyll, nichts Böses gewärtig, trinkt, seine Ungeduld zu täuschen, so hastig hinein, daß er nur allzubald im härtesten Schlafe begraben, jeglicher Schmach bloßgegeben, daliegt. Nun wird Charite gerufen.
In wilder Hitze stürzt sie herbei, beugt mit männlichem Trotz über den Meuchelmörder sich hin und ruft: ›Ha! Bist du da, du treuer Gefährte meines Gemahls! Du trefflicher Weidmann! Du zärtlicher Liebhaber! Ist das die Faust, die das Blut meines Herzens verspritzt hat? Sind das die Augen, denen ich zu meinem Unglück gefallen habe? Ha, sie ahnen schon die Finsternis, die sie hinfort decken wird, und kommen der Strafe zuvor! Ruhe sanft! Träume süß! Kein Dolch, kein Schwert soll dich verletzen! Fern sei’s von mir, durch ähnliche Todesart dich meinem Gemahle gleichzustellen! Leben sollst du, aber deine Augen sollen ersterben, und nur im Schlafe sollst du künftighin sehen. Ich will machen, daß du den Tod deines Feindes glückseliger preisen sollst als dein Leben. Wenigstens wirst du das Licht nicht wieder schauen und nur an fremder Hand hinfort dich leiten. Du wirst Chariten nicht umfangen, nicht mir ihr der hochzeitlichen Freuden genießen! Wirst weder die Ruhe des Todes noch die Wonne des Lebens schmecken! Als ein elendes Scheusal wirst du zwischen Himmel und Hölle herwanken, wirst lange nach der Hand forschen, die dich des Gesichts beraubt hat, und zum Übermaß des Unglücks nicht einmal wissen, über wen du zu klagen hast, unterdessen ich am Grabe meines Tlepolem stehen und das Blut deiner Augen ausgießen werde, ein Opfer seinem seligen Geiste! Aber was zögere ich? Was verweile ich deine Strafe einen Augenblick, in dem du dich vielleicht noch glücklich in meinen Armen träumst? So erwache denn aus den Finsternissen des Schlafs zu anderen ewigen Finsternissen! Schlage deine leeren Augenlider auf, erkenne meine Rache, fühle dein Unglück und überdenke dein Elend! Siehe, also gefallen deine Augen einem tugendhaften Weibe, also erleuchte die Hochzeitsfackeln diene Brautkammer! Merk auf! Die Furien sind Brautführerinnen, Blindheit ist dein Geleite, und ewig nagendes Gewissen breitet dir die Arme entgegen!‹
Nachdem sie also in wütender Begeisterung dem Thrasyll sein künftiges Schicksal geweissagt, nimmt sie eine Haarnadel vom Kopfe uns sticht ihm die Augen aus.
Schier entfliegen diesem Schlaf und Rausch vor dem unbekannten Schmerz.
Sie aber reißt das Schwert aus der Scheide, womit ihr Tlepolem sich zu umgürten pflegte, und mit dem Vorsatz einer schrecklichen Tat läuft sie wild mitten durch die Stadt, geradenwegs zu dem Grabmahle ihres Gemahls hin.
Wir anderen und das ganze Volk lassen die Häuser leerstehen, und in vollem Lauf hinter ihr her, und einer den andern ermahnend, das Schwert ihr aus den Händen zu winden!
Neben der Gruft des Tlepolem blieb sie stehen, mit dem blanken Schwerte einen jeglichen von sich abhaltend, und wie sie sah, daß alles um sie weine und lamentiere, sprach sie:
›Trocknet diese unzeitigen Tränen, stellet diese Klagen ein; sie entehren meinen Mut! Ich habe mich gerächt an dem Meuchelmörder meines Gemahls, habe meinen schandbaren Freier gestraft. Jetzt ist es Zeit, daß dies Schwert mir den Weg zu meinem Tlepolem bahne!‹
Als sie darauf alle nach der Ordnung erzählt, was ihr Gemahl ihr im Traume entdeckt hatte und wie sie den Thrasyll durch List gefangen, stieß sie sich das Eisen durch die rechte Brust, sankt zur Erde und hauchte, sich in ihrem Blute wälzend und unvernehmliche Worte stammelnd, ihre männliche, edle Seele aus.
Die Freunde nahmen alsbald den Leichnam der Unglücklichen auf, wuschen hin ab und legten ihn zu dem Tlepolem ins Grab. Beide Gatten sind also auf ewig vereint.
Wie dies Thrasyll vernahm, wußte er nicht, wie er genugsam für alles angerichtete Unglück büßen sollte. Mit dem Schwerte sich das Leben nehmen, düngte ihm ein viel zu leichter Tod. Er ließ sich in Tlepolems und Charites Gruft bringen. Allda schrie er zu wiederholten Male überlaut:
›Empfangt hier, ihr Geister, die ich beleidigt, empfangt euer freiwilliges Opfer!‹
Darauf schloß er fest die Türen des Grabmahls hinter sich zu und ließ sich, nach eigenmächtig über sich gefälltem Urteile, Hungers sterben.«
Also erzählte der Bediente aus der Stadt unter langen Seufzern und öfteren Tränen den Stutereiknechten, die ihm insgesamt mit der größten Rührung zuhörten. Sie beklagten sehr das Unglück ihrer gewesenen Herrschaft, beschlossen aber endlich, aus Furcht vor der zukünftigen davonzulaufen.
Der Gestütmeister, dem meine Pflege so eifrig war anbefohlen worden, stahl alles rein weg, was nur von einigem Werte im Hause war, packte es mir und noch anderen Tieren auf, und so wanderte er fort aus der alten Herberge. Wir trugen Weiber und kleine Kinder, trugen Hühner und Gänse, junge Ziegen und junge Hunde. Kurz alles, was nicht geschwind genug fortgekonnt und also die Flucht verzögert hätte, mußte mit unseren Füßen laufen. So überschwer auch die Last war, die mir zuteil geworden, so fühlt’ ich sie doch kaum, weil ich mit Freuden vor dem grausamen Räuber meiner Mannheit floh.
Wir hatten einen rauhen, waldigen Berg überstiegen und schon ein ganzes Stück Wegs in der Ebene zurückgelegt, als es dämmerig ward und wir zu einer volkreichen, wohlhabenden Burg kamen. Die Einwohner warnten uns, weder in der Nacht noch des Morgens in der Frühe weiterzugehen. Sie sagte, es gäbe in der Gegend eine abscheuliche Menge großer, starker, reißender Wölfe, die alles anfielen und sogar wie Räuber den Reisenden an der Straße auflauerten; ja, jetzt trieb sie der Hunger schon so weit, daß sie in die benachbarten Dörfer einbrächen und der Menschen sowenig als des Viehes schonten. Auf dem Wege, den wir zu passieren hätten, läge mancher halbverzehrte Leichnam, manches abgenagte Gerippe. Wir sollten uns also ja vorsehen! Das beste, was wir tun könnten, wäre, daß wir uns erst am hellen lichten Tage, wenn die Sonne schon hoch stünde, wieder auf den Weg begäben, denn das Licht mache die Tiere doch etwas schüchtern. Inzwischen müßten wir immer vor unvermuteten Überfällen auf der Hut sein und nicht einzeln zerstreut, sondern in einem dichten Haufen beisammen marschieren, sonst könne es uns dennoch übel ergehen.
Allein unsere Führer kümmerten sich viel um diese heilsame Weisung! Die Schelme fürchteten weiter nichts als das Nachsetzen und suchten nur ihre heimliche Flucht bestens zu beschleunigen. Sie warteten nicht einmal, bis es hell ward, sondern gleich nach Mitternacht trieben sie uns mit unserer Ladung wieder aus.
Ich, der ich mir die bedrohte Gefahr fein hinter die Ohren geschrieben, ich stieß und drängte, was ich wußte und konnte, damit ich nur mitten unter den andern Eseln und Pferden zu gehen kam und meinen Hintern vor den Anfällen der reißenden Wölfe deckte. Wie frisch konnte ich nicht laufen! Um nicht hinten zu bleiben, schritt ich dermaßen zu, daß sich jedermann über meine Schnelligkeit verwunderte. Furcht beflügelte mich wie einst den Pegasus, denn der ehrliche Gaul hat zuverlässig seine Flügel auch nur der Feigheit zu danken. Er fürchtete sich vor den Bissen der feuerspeienden Chimära[68] und tat Sätze bis an den Himmel, da sagte man, er sei beschwingt!
Indessen waren unsere Treiber wie zum Treffen gerüstet. Der eine schwang die Lanze, der andere einen Jagd-, der dritte einen Wurfspieß, der vierte einen Knüttel. Andere trugen Steine, woran es überhaupt in der felsigen Gegend nicht fehlte. Noch andere führten spitze Zaunpfähle, die meisten aber suchten durch brennende Fackeln dem Feinde Schrecken einzujagen. Es fehlte an weiter nichts als an der Trompete, so war das Kriegsheer fertig.
Jedoch unsere Furcht war vergeblich. Es traf uns aber ein anderer Unfall.
Die Wölfe, entweder vom Gelärme der gedrängt einhermarschierenden Schar oder vom hellen Glanze der Fackeln verscheucht, oder auch anderwärts streifend fielen uns nicht allein nicht an, sondern ließen sich auch nicht einmal in der Ferne blicken. Allein die Bauern in einem Dorfe, vor dem wir nahe vorbeizogen, hielten uns, unserer Menge wegen, für Räuber, gerieten deshalb in große Bestürzung und hetzen uns ihre ungeheuren, grimmigen Hunde, ärger noch als Wölfe und Bären, die sie zur Sicherheit hatten, mit lautem, heftigem Geschrei auf den Hals. Die Bestien, von Natur böse und durch die Stimmen ihrer Herren noch mehr angereizt, stürzten wütend auf uns ein. Den Augenblick hatten sie uns umzingelt und nun Menschen und Vieh ohne Unterschied gepackt, zerbissen, zu Boden geworfen. Wahrlich, ein tragischer Anblick, wie die Rotte Hunde wild unter uns wütete, hier Fliehende faßte, dort Stillstehende an der Kehle hielt oder niederzog, anderwärts Gefallene and er Erde knetete und rechts und links, was ihr nur vorkam, mit unbarmherzigen Zähnen zerfleischte. Doch das war noch nicht alles! Es kam besser. Von den Häusern und von den nächsten Hügeln herab ließen die Bauern unablässig Steine auf uns hageln. Wir wußten nicht mehr, ob wir uns vor den Hundebissen oder Steinwürfen schützen sollten.
Endlich wurde die Frau Gestütmeisterin, die ich zu tragen die Ehre hatte, an ihrem Haupte getroffen. Sie fing Zetermordio zu schreien an, so daß der Herr Gemahl gleich zur Hilfe herbeieilte. Das Blut strömte ihr übers Gesicht; er wischte es flugs ab, war bemüht, es zu stillen, und rief dabei aus vollem Halse den Bauern zu:
»Aber um Gottes willen! Was fallt Ihr uns arme Leute und harmlose Wanderer denn so feindselig an und richtet uns zugrunde? Wir sind ja keine Räuber, die euch Gut und Blut zu nehmen kommen, getan haben wir euch auch nichts, und ihr bewohnt ja weder Höhlen der wilden Tiere noch rauhe Felsen wie Barbaren, daß ihr auch am Blutvergießen ergötzen könntet!«
Kaum hatte er das gesagt, so hörte der Steinregen auf und die angehetzten Bullenbeißer wurden zurückgerufen und angenommen. Einer von den Bauern rief aus dem Wipfel einer hohen Zypresse hinunter: »Ei, berauben wollen wir euch nicht, wir fürchteten es aber von euch; darum empfingen wir euch also. So gehet immer ruhig und in Frieden weiter!«
Äußerst übel zugerichtet zogen wir unsere Straße. Der zeigte eine große Beule von einem Steinwurfe, der eine klaffende Wunde von einem Hundebiß vor. Ein jeder hatte seinen Teil.
Als wir ein gut Stück Wegs weiter vorgerückt waren, kamen wir zu einem Walde mit hohen Bäumen und luftigen, offenen, grünen Plätzen. Da gefiel es unseren Treibern, stillzuhalten, um auszuruhen und sich gehörig zu verbinden.
Sie lagerten sich hier und da ins Gras, und nachdem sie sich erst ein wenig erholt hatten, sorgte jeglicher für seine Verletzung. Dieser wusch sich im vorüberfließenden Bache das Blut ab, jener legte nasse Schwämme auf eine Geschwulst. Ein anderer band wieder eine weit voneinanderstehende Wunde mit Leinwand zu. Solchergestalt waren alle beschäftigt, sich Linderung und Hilfe zu verschaffen.
Mittlerweile sah ihnen ein alter Kerl oben von einem Hügel herunter zu. Ziegen, die um ihn her weideten, kündigten ihn für einen Hirten an.
Einer von den unsern fragte denselben, ob er keine Milch oder frischen Käse zu verkaufen hätte. Er schüttelte etliche Male mit dem Kopfe und rief darauf: »Wie? Hier denkt ihr an Essen und Trinken oder an anderlei Erquicken? Ihr müßt nicht wissen, wo Ihr seid!« Mit den Worten trieb er seine Herde zusammen, schwenkte sich und zog hinweg.
Des Hirten Rede und Flucht jagte unseren Leuten keine kleine Furcht ein. Indem sie aber erschrocken nachforschten, was dies wohl für ein Ort sein möchte, doch niemand finden konnten, der ihnen Auskunft gegeben hätte, stand mit einmal ein anderer alter Mann neben ihnen am Wege; groß, viele Jahre auf dem Nacken, krumm auf den Stab gebeugt, matt die Beine nachschleppend und übermäßig weinend.
Sobald er sie sah, umfaßte er unter dem heftigsten Tränensturze eines jeglichen Knie und bat also flehentlichst: »Bei allem, was euch lieb und teuer ist, bei eurem Leben, das reich sein möge an Glück und Heil und dem meinen an Länge gleichen, mir armem, schwachem Greise, rettet meinen Kleinen vom Tode und gebt ihn meinem grauen Haupte wieder! Ach, mein Enkel, meines Wegs süßer Gefährte, wollte dort ein singendes Vögelchen haschen und fiel in eine tiefe unter Gesträuch verborgene Grube. Er schwebt in der äußersten Lebensgefahr; noch aber lebt er. Er ruft mich, er schreit, er weint. Schwach, wie ich bin, kann ich ihm nicht helfen. Ihr aber, jung und stark, leicht könnt ihr mir unglücklichem Alten die größte Wohltat erweisen und den letzten Zweig meines Stammes, meinen einzigen Nachkommen, vom Untergange erretten!«
Also flehte er, sein graues Haar zerraufend. Alle waren von Mitleid gerührt. Ein junger Kerl, mutiger, straffer denn alle anderen und noch dazu der einzige, der unbeschädigt aus dem vorigen Treffen entronnen war, machte flugs sich auf, fragte, wo der Knabe versunken und ging hastig mit dem Alten fort, welcher mit dem Finger nach nicht weit davon stehendem Gesträuche hindeutete.
Man ließ uns darauf weiden und sorgte ferner für sich selbst. Nach einer Weile packte man wieder zusammen und wollte weiter, allein der junge Kerl war noch nicht wieder zurück. Man schrie, man rief ihn bei Namen: er kam nicht! Man wartete länger und länger: vergebens! Endlich schickte man ihm jemand nach, der ihn aufsuchen und wenn er sich etwa verirrt, zurechtweisen sollte.
Dieser war kaum weg, so kehrte er schon leichenblaß wieder zurück und erzählte voller Wunder, daß er ihren Kameraden zwar gefunden und gesehen habe, aber wie! Ein entsetzlicher Drache habe auf ihm gesessen und an ihm mit großer Gier genagt; fast sei er damit zu Rande gewesen. Kein Alter aber habe sich irgendwo blicken lassen.
Als sie das hörten und mit der Rede des Hirten zusammenhielten, zweifelten sie nicht mehr, daß dieser sie vor dem Drachen, der in diesem Walde hause, habe warnen wollen. Wie machten sie, daß sie von dem grausigen Orte wegkamen! Wir mochten noch so sehr eilen, dennoch war der Knüttel hinter uns her, um uns besser anzutreiben.
Nachdem wir in größter Geschwindigkeit einen weiten Weg zurückgelegt hatten, kamen wir nach einem Dorfe, wo wir übernachteten. Dort erfuhren wir eine sonderbare Geschichte, dir für den Liebhaber des Erzählens schon wert ist.
Ein Sklave, dem sein Herr die Aufsicht über das Gesinde anvertraut hatte und der als Verwalter auf dem großen Gute gesessen, wo wir eingekehrt waren, hält es mit einer fremden Freien, ungeachtet er mit einer von den Sklavinnen des Meierhofes verheiratet war. Seine Frau, aus rasender Eifersucht über dies Kebsweib, legt Feuer an und verbrennt ihres Mannes Rechnungen mit allem Vorrate; ja, nicht zufrieden mit dieser Rache ihres befleckten Ehebetts, wütet sie noch gegen ihr eigenes Fleisch und Blut. Sie legt sich einen Strick um den Hals, bindet daran das Kind, das sie mit ihrem Manne gezeugt, und zusamt diesem Anhange stürzt sie sich in einen tiefen Brunnen. Den Herrn reizte der Mord zum Zorne. Er ließ den Sklaven, durch dessen Liederlichkeit die Frau doch zu der Untat gebracht worden, beim Felle nehmen, splitterfasernackt ausziehen, von Kopf bis Fuß mit Honig beschmieren und an einen alten verfaulten Feigenstamm, worin alles von Ameisen kribbelte und wibbelte, dicht und fest anbinden. Wie die Ameisen bei ihrem Auf- und Abpatrouillieren den süßen Honiggeruch witterten, fielen sie in unzähliger Menge über den armen Unglücklichen her, und unter ihren kleinen, emsigen Bissen mußte er des langsamsten, erbärmlichsten Todes sterben; sie schroteten so lange, bis alles Fleisch vom Gebein herunter war. Noch fanden wir das kahle Gerippe am Marterholze hangen.
Nachdem wir auch diesen abscheulichen Aufenthalt mit seinen betrübten Bewohnern verlassen, ging es wieder weiter. Den ganzen Tag durchmaßen wir flaches, ebenes Land, bis wir ermüdet in einer vornehmen, volkreichen Stadt eintrafen. Da beschlossen unsere Treiber für immer zu bleiben; denn so weit würde niemand ihnen nachspüren, und wegen der gesegneten Fruchtbarkeit des Bodens sei hier wohlfeil leben.
Drei Tage lang gaben sie ihrem Vieh Ruhe, Rast und Mast, damit es desto verkäuflicher würde, und dann ging es damit zu Markte. Der Ausrufer verkündigte mit lauter Stimme eines jeglichen Preis; zu den Pferden und anderen Eseln fanden sich gar bald fette Käufer. Allein vor mir ging alles mit Verachtung vorüber; mich konnten sie nicht loswerden. Zuletzt war ich’s satt, mich von müßigen Feilschern, die mein Alter aus den Zähnen beurteilen wollten, herumhudeln zu lassen, und aus Verdruß faßt’ ich die stinkende Hand eines derselben, der mit seinen unflätigen Fingern mit gar zu oft am Zahnfleische kratzte, und zerkaute sie brav. Das schreckte vollends alle Umstehenden von meinem Ankauf ab; mit einer so erzbösen Bestie mochte sich keine Seele behängen.
Der Ausrufer, der sich heiser und zuschanden geschrien hatte, fing nun an, sich auf meine Kosten lustig zu machen. »Was wollen wir denn auch«, rief er, »an dem ledernen Klopphengste da verkaufen? Ist er doch so abgetragen und abgelaufen, so schäbig und bei all seiner dumpfen Tätigkeit noch so wild, daß er auch zu gar nichts weiter taugt, als höchstens sein Fell noch zu einem Schuttsiebe. Ich dächte also, wir verschenkten ihn lieber, wenn sich anders jemand finden will, der sich das Futter, das er frißt, nicht dauern läßt.«
Darüber entstand ein großes Gelächter unter den umstehenden Leuten.
Allein mein feinseliges Geschick, dessen schwere Hand trotz meiner Flucht durch so viele Länder noch immer auf mir lag und das durch alles vergangene Elend lange noch nicht versöhnt war, blickte auch jetzt wieder mich scheel an. Ein Käufer, recht wie er sein mußte, um mein Unglück zu vollenden, mußte sich dennoch wunderbarerweise darbieten. Wißt ihr, was für einer? – Ein alter Kastrat, ein Glatzkopf, nur auf dem Hinterhaupte noch mit einigen wenigen langen, krausen, gräulichen Haaren versehen, einer aus der Zunft desjenigen Pöbels, der mit der syrischen Göttin, beim Klange der Zimbeln und Krotalen[69], durch Städte und Dörfer betteln geht.
Höchst kauflustig trat er zum Ausrufer hin und fragte: »Wo ist der Esel her?«
»Aus Kappadozien«, versetzte jener, »er hat recht Mark in den Knochen!«
»Ist er schon alt?« fragte er wieder.
»Ein Sterndeuter«, antwortete voller Schalkheit der Ausrufer, »der ihm neulich die Nativität gestellt hat, gibt ihm gerade fünf Jahre, aber das weiß er wohl selbst am besten aus seinem Geburtsbriefe. Übrigens ist es gleich dem Kornelischen Gesetze zuwider, daß ich Euch einen römischen Bürger zum Sklaven verhandle, so kauft die gute ehrliche Haut immer, sie kann Euch in und außer dem Haus nützlich sein.«
Hiermit hatte das Fragen meines allerliebsten Käufers noch kein Ende. Von einem kam er auf das andere. Endlich erkundigte er sich auch gar ängstlich, ob ich auch recht fromm sei.
»Oh, was das betrifft«, erwiderte der Ausrufer, »fromm wie ein Lamm. Er hält zu allem stille, beißt nicht, schlägt nicht, er könnte nicht besser sein, wenn gleich der duldsamste Mensch in seiner Haut steckte. Ihr könnt Euch den Augenblick davon überzeugen. Schiebt ihm nur einmal den Kopf zwischen die Schenkel, ob er nicht alles leidet.
Also hohnneckte der Ausrufer den armseligen Schlucker.
Dieser merkte den Spott sehr gut, tat, als ob er darüber rappelköpfisch würde, und sprach:
»Möchte doch die allmächtige, allgebärende, syrische Göttin samt dem heiligen Sabazius[70] und Bellonen[71], der idäischen Mutter und Venus, der Allherrscherin mit ihrem Adonis – dich altes Totengerippe von Ausrufer auf ewig taub, stumm und blind machen, daß du Lästerzunge mich so mit deinem Narrenspaße zum besten hast! Denkst denn du Gimpel, daß ich meine Göttin einem wilden Tiere anvertrauen könne? Es würde ja, sobald es kollerig würde, das heilige Bild abwerfen, und dann könnte ich mit zerstreuten Haaren herumrennen und für meine arme am Boden gestreckte Göttin einen Arzt suchen!«
Als ich ihn so sprechen hörte, wolle ich sogleich wie besessen springen und setzen, damit er vom Kaufe abstehen möchte, wenn er mich so wild sähe; allein er war zu hitzig. Er kam meiner Absicht zuvor und bezahlte flugs die verlangten siebzehn Denar an meinen Herrn. Dieser freute sich herzlich, mich loszuwerden, und säumt nicht, an einem Ginstseile mich meinem neuen Eigentümer, der Philebus hieß, zu übergeben. Er zog mich nach Hause.
Kaum hatte er die Hausschwelle betreten, so schrie er schon: »Schaut, Mädchen! Schaut doch den allerliebsten Sklaven, den ich euch vom Markte mitbringe!«
Diese seine Mädchen waren nichts anderes als ein Schwarm Verschnittener, die voller Freuden herbeistürzten und mit feinen, grellen Weiberstimmchen in höchst unangenehmes Gekreisch erhoben. Sie dachten wirklich, Philebus habe irgendein junges, artiges Kerlchen von Sklaven zu ihrem Dienste gekauft. Als sie sich aber betrogen fanden und nicht eine Hindin für eine Jungfrau, sondern statt eines Kerls einen Esel untergeschoben sahen, zogen sie verzweifelte Gesichter und höhnten ihren Herrn aus.
»Nicht also!« riefen sie, »wo wäre das ein Sklave für uns? Ein Buhle für Euch ist es! Aber Ihr werdet ihn doch nicht lediglich auf Euren Leib Euch halten, sondern auch zuweilen uns damit ergötzen?«
Unter diesem und dergleichen Geschnatter führten sie mich an eine Krippe und banden mich an.
Es war bei ihnen ein junger, ziemlich vierschrötiger Kerl, ein geschickter Zinkenist, der für das Geld, das sie ihrem Maule abgespart hatten, war angeschafft worden. Bei den Umzügen mit der Göttin mußte er auf der Zinke blasen; zu Hause bedienten sie sich desselben um die Wette zu ihren Lüsten. Sobald dieser mich sah, brachte er mir von freien Stücken reichlich zu essen und sprach erfreut zu mir:
»Herzlich willkommen, teurer lieber Vicarius[72] des allerschmutzigsten Dienstes in der Welt! Oh, möchtest du recht lange leben und unseren Herren gar wohlgefallen, damit ich nicht völlig ausgemergelt werde und wieder ein wenig zu Kräften komme!«
Als ich das hörte, ging mir über meine künftige Bestimmung heißes Grauen an.
Anderntags legte die gesamte Priesterbande Gewänder von allerlei Farben an, putzte sich aufs lächerlichste heraus, schminkte sich zierlich das Gesicht, malte die Augenbrauen und zog in Prozession aus. Einige von ihnen mit safrangelben, leinenen, auch seidenen Binden, weiß und purpurn gestreiften Kleidern, von einer Schärpe umgürtet, und mit braunen Schuhen, setzten die Göttin, in einen seidenen Mantel gehüllt, auf meinen Rücken. Die Arme entblößt bis an die Schultern, große Schwerter und Äxte schwingend, hüpften sie jauchzend einher; von dem Geflüster der Flöten mehr und mehr zu ihrem ekstatischen Tanze ermuntert.
Nachdem sie vor vielen schlechten Hütten vorübergezogen, kamen sie zum stolzen Landsitze eines vornehmen Reichen. Mit dem ersten Fuß, den sie hineinsetzten, gerieten sie in fanatische Wut, erhoben ein mißtönendes Geheul und machten das seltsamste Getümmel. Sie wirbelten lange mit gesenktem Haupte, den Hals aufs sonderbarste biegend und wendend und das lose Haar schüttelnd, im Kreise herum. Zuweilen bissen sie sich in die aufgeschwollenen Muskeln und zuletzt zerritzten sie sich gar die Arme mit ihren zweischneidigen Schwertern.
Einer unter ihnen raste noch toller als die übrigen; er rollte fürchterlich die Augen, schnaufte, brauste, schäumte, stellte sich wahnsinnig: und das zum Beweis, daß er ganz göttlichen Geistes voll sei, gerade als müsse die Gegenwart der Götter den Menschen nicht stärken und erheben, sondern schwächen und niederdrücken. Aber hört, was die göttliche Vorsehung ihm dafür zum Lohne gab!
Sie ließ ihn überlaut weissagen; gleisnerisch sich selbst anklagen, als habe er sich gegen die heilige Religion einer Sünde schuldig gemacht, und zur Buße für sein schweres Verbrechen eigenhändige Kasteiung von sich selbst fordern. Nun nahm er eine Geißel, welche dergleichen dies Halbmannsgesindel immer führt, mit einer wollenen Schnur, die unten weit aufgefasert und mit vielen spitzen Schafknöchelchen versehen ist, und zerpeitschte sich damit gottserbärmlich, ohne jedoch die allergeringste Empfindlichkeit gegen den Schmerz erblicken zu lassen.
Der Boden schwamm vom Blute, das aus den Schnitten und Hieben dieses Weiblings floß. Ich geriet über solch ein Blutvergießen in die größte Angst. Ich fürchtete, die fremde Göttin möchte endlich auch noch auf Eselsblut (wie manche Leute auf Eselsmilch) Appetit bekommen. Sie wurden inzwischen endlich müde oder vielmehr sie hatten es satt, sich weiter zu zerfleischen, und machten der Schinderei ein Ende. Die Leute drängten nun herbei und schenkten ihnen reichlich eherne, ja auch silberne Münzen, die sie mit aufgehaltenem Schoße einsammelten; auch gab man ihnen ein Faß Wein, Milch, Käse und Roggen- und Weizenmehl; ja sogar Gerste für den Träger der Göttin.
Sie rafften alles sehr gierig zusammen, taten es in Säcke, welche sie mit Fleiß dazu eingerichtet hatten, und hingen es mir über den Rücken, so daß ich doppelt schwer zu tragen hatte und zu gleicher Zeit als Magazin und als Tempel einherging. Solchergestalt zogen sie beständig umher und setzten die ganze umliegende Gegend in Kontribution.
Erfreut über ihrer gesegnete Ernte, wollten sie sich nun einmal traktieren. Was haben sie zu tun? Als sie nach einer Burg kommen, wird ein Orakel geschmiedet: »Es hungere die syrische Göttin, der Pächter solle ihr einen fetten Hammel zum Opfer bringen.«
Das geschieht. Nun richten sie die leckerste Mahlzeit zu, gehen ins Bad, waschen sich und lesen sich da einen recht stammhaften, wohlversehenen Bauernkerl aus, den nehmen sie mit zu Gaste.
Kaum ist die Vorkost berührt, als schon das ausgelassene Gesindel sich der abscheulichsten Unzucht überläßt. Nackend wird der arme Bauer ausgezogen, und alle sind zugleich über ihm her und muten ihm die allerschändlichsten Dinge zu.
Ich konnte diese Greuel nicht mit ansehen. »O ihr Bürger, Hilfe!« wollte ich rufen; allein nichts als O und keine Silbe weiter kam heraus, doch laut und so stark; daß sich dessen kein Esel zu schämen gehabt hätte.
Ich hätt’ es nicht besser treffen können; denn in verwichener Nacht hatte man aus dem nächsten Dorf einen Esel gestohlen. Die Eigentümer desselben hatten schon vergeblich danach in allen Herbergen umhergesucht. Sie hörten mein Iah im Innern des Hauses, dachten, man halte ihr Tier in irgendeinem Schlupfwinkel verborgen, und stürmten, desselbigen wieder habhaft zu werden, Knall und Fall zu uns in die Stube herein, wo sei denn die Unfläter bei ihrem heillosen Spiele überrumpelten. Augenblicklich riefen sie die Nachbarn zusammen und eröffneten ihnen diesen schmutzigen Auftritt, nicht ohne den bittersten Spott über die keusche Zucht der hochehrwürdigen Herren. Im Nu wußte es alle Welt.
Die Priester wußten sich vor Schimpf und Schande nicht zu bergen. Hurtig packten sie alles zusammen und machten sich bei Nacht und Nebel aus dem Staube.
Nachdem wir noch vor Sonnenaufgang ein großes Stück Weges gemacht, befanden wir uns mit Tagesanbruch in einer abgelegenen einsamen Gegend. Da steckten sie eine Weile die Köpfe zusammen, und das Ende vom Liede war, mir vollständig den Garaus zu machen.
Sie nahmen mir die Göttin vom Rücken und setzten sie auf die Erde, zogen mir alle Decken ab; und somit mich an eine Eiche gebunden und mit den zusammengekettelten, mit Tierknöchelchen bewaffneten Geißel schier zu Tode gehauen! Einer wollte mir sogar mit der Axt die Hessen abhacken, daß ich so öffentlich seine unbescholtene Tugend befleckt hätte; doch die übrigen widersetzten sich, zwar nicht um meinetwillen, sondern wegen der am Boden liegenden Göttin. Also kam ich noch mit dem Leben davon. Sie packten mir alles wieder auf, und mit flachen Degen mich vor sich hertreibend, gelangten wir zu einer ansehnlichen Stadt.
Wie sie hierselbst ihre Zimbeln und Trommeln ertönen ließen und die sanfte Weise des phrygischen Gesanges anstimmten, kam ihnen alsbald ein vornehmer, religiöser, ausnehmend gottesfürchtiger Herr entgegen, bar demütig die Göttin, bei ihm einzukehren, nahm uns insgesamt mit in seinen weitläufigen Palast und trachtete durch die tiefste Verehrung, durch die fettesten Opfer, sich unsere Gottheit, geneigt zu machen.
Hier war es, ich erinnere mich dessen gar wohl, wo ich die allergrößte Lebensgefahr lief.
Ein Pächter hatte unserm Wirte, seinem Herrn, eine schöne feiste Hirschkeule zum Geschenk gemacht. Man hatte sie, unvorsichtigerweise, nicht allzu hoch hinter der Küchentüre aufgehängt, und ein Jagdhund, der sie ausgewittert, hatte sich, höchst vergnügt über den Fund, derselben bemächtigt und sich heimlich davongeschlichen. Sobald der Koch diesen Verlust inne ward, machte er ich die größten Vorwürfe über seine Nachlässigkeit und lamentierte und weinte entsetzlich. Was sollte er seinem Herrn nun zu essen vorsetzen? Er hatte von dessen Unwillen alles zu fürchten. Aus Verzweiflung läuft er hin, nimmt von seinem kleinen Sohne zärtlichst Abschied, holt dann einen Strick und will sich erhängen.
Zum Glücke erfuhr sein treues Weib noch zur rechten Zeit, was ihm begegnete. Sie läuft zu ihm, reißt ihm den unglücklichen Strick aus den Händen und spricht:
»Du hast ja wohl über dein Unglück den Verstand verloren, daß du nicht einmal das Rettungsmittel siehst. Das dir die barmherzigen Götter in dieser Not beschert haben. Bist du noch irgendeiner vernünftigen Vorstellung fähig, so sammle dich und höre mich an: Führe den fremden Esel da abseits und schlachte ihn. Löse ihm dann eine Keule just ab, daß sie wie die verlorene aussieht, richte sie mit einer schmackhaften Brühe zu und trage sie keck dem Herrn auf; ich gebe dir mein Wort, er merkt es nicht!«
Der verdammte Kerl ließ sich den Rat, sein Leben durch meinen Tod zu retten, wohlgefallen. Hoch strich er die Klugheit seiner trauten Hälfte heraus und ging sofort und schärfte sein Schlachtermesser, um ihren Vorschlag zu vollziehen.
Also bewaffnete der verfluchte Schinder seine gottlosen Hände gegen mich. In so dringender Gefahr galt kein Säumen; ich entschloß mich kurz, durch die Flucht mich vor dem nahen Verderben zu retten. Stracks reiße ich die Halfter ab, woran ich gebunden war, und renne, was nur das Zeug hält, davon; nicht ohne zur größeren Sicherheit öfteres hinten auszuschmeißen. Ich sprenge wild durch das Vorhaus hindurch und geradenwegs in den Speisesaal hinein, wo der Herr des Hauses mit den Priestern das Opfermahl hielt. Ich war so im Schuß, daß ich beim Hereinprellen Tisch, Teller, Schüsseln und Geräte und alles was mir nur im Wege stand, um und um stieß, daß es mit entsetzlichem Gepolter durcheinanderstürzte.
Unser Wirt erschrak und ließ mich flugs greifen und von einem seiner Leute an einen sicheren Ort einsperren, damit ich ihn, wenn ich etwa wieder rappelköpfisch würde, durch meine freche Zwischenkunft nicht noch einmal in der Ruhe des Gastmahls stören möchte.
Da ich durch meine verschmitzte Flucht also in Sicherheit gestellt und den Händen des barbarischen Koches entrissen war, freute ich mich ordentlich meines Gefängnisses. Aber, wo nur das Glück nicht mit uns ist, was hilft uns da all unsere Klugheit und all unser Witz! Das, was die göttliche Vorsehung über uns verhängt hat, geschieht darum nicht weniger! Ich dachte, wie schlau ich der Gefahr entronnen sei, und war nun eben erst recht tief hineingeraten. Denn, zitternd wie Espenlaub, kam plötzlich ein Kerl in den Speisesaal gerannt, ich erfuhr es nachher aus den Gesprächen der anderen Bedienten, und meldete dem Herrn:
Eben sei aus der nächsten Gasse ein toller Hund zur Hintertüre hereingekommen und habe mit blinder Wut die Jagdhunde angefallen; darauf sei er in die Ställe gelaufen und habe da alles gebissen, und als er endlich wieder herausgekommen, auch selbst der Menschen nicht geschont. Der Eseltreiber Myrtil, der Koch Hephästion, der Kammerdiener Hypatius, Apollonius der Arzt, und noch andere mehr, die denselben hätten wegjagen wollen, wären alles lästerlich zugerichtet. Bei verschiedenen von den Tieren, die sich in den Ställen befanden, finge auch schon die Tollwut sich zu äußern an.
Diese Nachricht setzte die ganze Tischgesellschaft in Schrecken: Jedermann hielt augenblicklich auch mich für toll. Man nimmt, was man an Wehr nur vorfindet, ermuntert sich gegenseitig, die Gefahr gemeinschaftlich zu bestehen, und somit Jagd auf mich gemacht! Nicht anders, als wären sie insgesamt selbst rasend geworden.
Es ist wohl kein Zweifel, daß sie mich mit ihren Spießen, Fangeisen, Äxten, Beilen und was sie sonst noch für Mordgewehre hatten, in Kochstücke zerstochen und zerhackt haben würden, wenn ich der Gefahr nicht noch zur rechten Zeit inne geworden wäre und mich in das Zimmer, welches meinen Herren zur Wohnung angewiesen worden, geflüchtet hätte. Da schloß und riegelte man mich ein und besetzte die Türe. Ehe man sich selbst bloßstellte, wollte man dem Gifte lieber Zeit lassen, völlig zu wirken, um mich aufzureiben.
Als ich mich im Zimmer so frei und allein sah, machte ich mir die Wohltat des Glückes zunutze und streckte mich der Länge nach auf ein dastehendes, gemachtes Bett und schlief nach geraumer Zeit zum ersten Male wieder als ein Mensch.
Bereits war es heller Tag, als ich mich von meinem weichen Lager ganz munter wieder erhob und draußen vor der Türe meine Wächter sich um mich zanken hörte.
»Ich kann’s nimmermehr glauben«, sprach einer, »daß der arme Esel drinnen toll sein sollte! Eher wollt ich sagen, daß das Gift bei ihm schon ausgetobt habe und bereits wieder verflogen sei!«
Die Meinungen waren geteilt. Man schritt zu einer genaueren Untersuchung und guckte durch eine Ritze in der Stubentür; da sah man mich denn ganz fromm und ruhig stehen. Nun wurde die Türe geöffnet und man kam und beobachtete mich näher, ob ich mich wirklich besänftigt hätte. Und einer, den mir der Himmel zum Retter gesandt, tat den übrigen folgenden Vorschlag, meine völlige Wiederherstellung zu erproben. Nämlich, man solle mir einen Eimer frisches Wasser zu saufen hinhalten, bezeugt’ ich dagegen nicht den geringsten Abscheu und tränke wie gewöhnlich, so könne man sicher sein, daß mir nichts mehr fehle. Hingegen, schauderte ich davor zurück und trüge Scheu zu trinken, so wäre es nicht richtig mit mir. Dies wäre schon eine sehr alte Erfahrung, die man noch täglich bewährt fände.
Auf den Rat wurde gleich aus dem nächsten Brunnen ein Kübel frischen klaren Wassers geholt und mir, wiewohl mit einigem Zagen, hingehalten. Ich aber trat ohne Anstand hinzu, ja ich ging demselben noch einige Schritte entgegen, steckte, als ob ich noch so durstig wäre, den ganzen Kopf hinein und soff auch alles Wasser, im eigentlichsten Verstande ein Lebenstrunk für mich, bis auf den letzten Tropfen rein aus. Auch litt ich geruhig, daß man mich streichelte und mit Händen klopfte, die Ohren mir kraute und bei der Halfter mich herumführte, kurz alles, was sie mir nur versuchen mochten, bis sie endlich ihr rasendes Vorurteil gegen mich abgelegt hatten und von meinem völligen Wohlbefinden überzeugt waren. Also entrann ich dieser doppelten Lebensgefahr.
Am folgenden Tage ward ich wiederum mit dem heiligen Geräte behangen und unter Krotalen- und Zimbelklang aufs Almosenbetteln ausgeführt. Nachdem wir durch allerhand Dörfer und Flecken gezogen, blieben wir endlich in einer Burg stilleliegen, die nach dem Berichte der Einwohner auf den Trümmern einer ehemaligen reichen Stadt erbaut war.
In der Herberge, wo wir gastfreundlich aufgenommen wurden, erfuhren wir eine lustige Geschichte von einem armen Zimmermann, dem seine Frau auf die schnurrigste Weise von der Welt Hörner aufgesetzt hatte. Sie sei hier zum besten gegeben:
Ein armer Zimmergeselle, der nur kümmerlich sein Brot im Tagelohn verdiente, hatte ein Weib, die, aller Armut ungeachtet, wegen ihres Hanges zur Üppigkeit übel berüchtigt war. Eines Tages, als er früh auf seine Arbeit ging, huschte flugs zu ihr ein flinker Galan ins Haus. Kaum sind aber beide zusammen und fangen in voller Sicherheit an, der Liebe zu pflegen, siehe, da kehrt der Mann schon wieder heim, ohne daß er jedoch um etwas gewußt oder dergleichen sich versehen hätte; vielmehr, da er die Türe dicht und fest verschlossen und verriegelt fand, freute er sich in seinem Herzen über die strenge Eingezogenheit seines treuen Weibes. Er klopfte an und gibt durch Pfeifen das Zeichen, daß er da sei. Wie der Blitz hat sich das verschmitzte und auf solche Fälle ausgelernte Weib aus ihres Liebhabers Armen losgeschlungen und denselben in einem großen Fasse versteckt, das halbverschüttet und leer in einem Winkel dastand. Nun machte sie dem Manne auf; gleich in der Türe aber läßt sie ihn böse an.
»Wie?« keift sie, leer und müßig kommst du wieder nach Hause? Pfui über dich Erzfaulenzer! Du magst nur immer die Hände in den Schoß legen und nicht einmal so viel arbeiten, daß wir unser elendes Leben erhalten können, da ich armes betrübtes Weib mich doch Tag und Nacht mit dem Wollespinnen plage und mich abarbeite, damit wir nur in der Kiffe hier nicht im Finstern sitzen dürfen! Wie weit glücklicher Nachbarin Daphne dagegen lebt! Vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht zecht, schlemmt und buhlt sie nach Herzenslust mit jungen Kerlen!«
Verblüfft über den Willkommen, begann der Mann gar glimpflich: »Nu, nu, gutes Weibchen, laß nur gut sein! Hat mir der Meister gleich keine Arbeit gegeben, wie er vor Gericht zu tun hatte, so ist heut’ darum doch für unser Sattwerden gesorgt. Denk! das alte Faß da, was uns nur überflüssig ist und im Wege steht, hab’ ich für fünf Denare verkauft! Der Käufer wird das Geld dafür den Augenblick herbringen und es abholen. Komm, Schatz, und hilf es mir aus dem Wuste da hervorziehen, damit wir es ihm überliefern können.«
Da galt es Besonnenheit, und sie fehlte der Abgefeimten nicht. Sie schlug ein spöttisches Gelächter auf und rief: »Nu, das ist wahr, ein gar vortrefflicher Handelsmann bist du! Eine Sache, die ich dummes Weib, ohne einen Fuß vor die Türe zu setzen, soeben für sieben Denare verkauft habe, die weißt du doch noch für weniger loszuwerden!«
Wer war froher wie der Mann über den unerwarteten Profit! Hastig frage er: »I, wer ist denn das, der es sich so teuer hat anschmieren lassen?« »St!« sprach sie, »dort steckt er drinnen und untersucht, ob’s auch ganz ist!«
Der Galan trat vortrefflich in die Lüge ein. Ganz unbefangen reckte er den Kopf aus dem Fasse und sprach: »Die Wahrheit zu sagen, Mutter, Euer Faß ist doch schon ziemlich wandelbar; es hat hin und wieder ansehnliche Risse.« Darauf richtete er sich an den Mann und sagte ganz fremd zu ihm: »Oh, guter Freund, holt mir einmal eine Lampe, ich will doch innen den Schmutz abkratzen und zusehen, ob das alte Ding wohl noch zu gebrauchen ist; denn wegwerfen möchte’ ich mein Geld auch nicht!«
Der arme Tropf, ohne daß ihm die Stirn juckt, geht und zündet unverzüglich die Lampe an, kommt dann damit und spricht: »Laßt mich lieber das machen, Kamerad! Warum wollet Ihr Euch bemühen? Wann ich fertig bin, könnt Ihr’s besichtigen!« Damit zieht er sich aus und kriecht, die Lampe in der Hand, an dessen Statt in das Faß und pocht, scharrt und schapt es aufs emsigste aus. Unterdessen schmiegt sich der leichtfertige Buhle über seine Frau Zimmermann hin, welche sich auf das Faß gebückt hatte und bezimmerte sie nach Herzenslust. Kopf und Arm in das Faß gehängt, zeigte sie dabei mit schamloser Verschlagenheit ihrem Manne bald hier, bald dort noch etwas zu säubern an; bis endlich Mann und Liebhaber beide ihr Werk vollendet. Da zahlte dieser seine sieben Denare, und der arme Hahnrei mußte noch obendrein seinem Hörnerpflanzer das Faß auf dem Nacken nach Hause tragen.
Nach diesem Aufenthalt von etlichen Tagen in dieser Burg, während desselben sie sich auf öffentliche Kosten weidlich mästeten, auch ihre Sache durch Weissage nicht übel machten, fielen die frommen Priester noch auf eine neue Art, Geld zu verdienen. Sie erteilten einen Orakelspruch, und durch künstliche Auslegung paßten sie denselben allen möglichen vorgelegten, noch so sehr voneinander verschiedenen Fragen an. Ungefähr so. Das Orakel lautete:
»Darum reißen zusammengespannte Stiere das Land auf,
Daß in der Zukunft die Saat sprieße gesegnet hervor.«
Fragte nun ein verliebtes Paar, ob es sich heiraten solle, so sagten sie: es läge ausdrücklich in der Antwort; sie sollten sich unter dem Joche der Ehe zusammen vereinigen, und eine Saat von Kindern würde aus ihnen ersprießen. Wollte jemand wissen, ob er gewisse Besitzungen kaufen sollte: allerdings! Es würde ihm ja ein Joch Ochsen verheißen und Felder mit blühenden Saaten. Erholte ein anderer sich Rats wegen einer bevorstehenden Reise, über die er in Sorgen stand – er sollte damit nicht zaudern, die Ochsen, das allerfrömmste Vieh, ständen schon angespannt und fertig; die Reise würde für ihn auch ersprießlich sein, das kündige der sprießende Boden an. War die Frage, ob es ratsam sei, ein Treffen zu liefern oder Räubern nachzusetzen? – Höchst ratsam! Das Schicksal verheiße Sieg, denn gleich den Stieren würden die Feinde ihren Nacken unter das Joch schmiegen, und gesegnet würde die Raubernte sein, die man von den Banditen einsammeln würde.
Mit dieser spitzfindigen Betrügerei scharrten sie kein kleines Geld zusammen, bis sie endlich wegen des beständigen Fragens des Antwortens müde waren und weitergingen.
Der Weg, den wir machten, war ärger denn alles, was ich die Nacht durch ausgestanden hatte. Bald versank ich in grundlose Wasserrinnen, bald blieb ich in zähem Moraste stecken, bald glitt ich mit allen vieren auf schlüpfrigem Boden. Endlich und endlich geriet ich, nach langem Stolpern und Stürzen, auf eine ebene Straße; meine Füße aber waren ganz morsch und ich so abstrapaziert, daß ich kaum noch fort konnte.
Siehe da! Plötzlich kam ein Trupp bewaffneter Reiter in so gestrecktem Galopp hinter uns hergesprengt, daß sie kaum die Pferde anhalten konnten, als sie bei uns ankamen. Sie fielen hitzig über den Philebus und seine Confratres her, faßten sie bei der Gurgel, schimpften sie gottlose Kirchenräuber, schlugen sie mit geballten Fäusten und legten ihnen Handfesseln an.
»Gebt heraus, ihr Spitzbubenpack«, schrien sie immer, »gebt gleich den goldnen Kelch heraus, den ihr von den heiligen Polstern der Mutter der Götter heimlich entwendet habt! Ihr habt ihn gestohlen, als ihr vorgabt, geheime Feierlichkeiten im Verborgenen zu begehen, und bloß darum habt ihr euch auch in aller Stille noch vor Anbruch des Tages weggemacht! Aber ihr irret euch sehr, wenn ihr glaubtet, der Strafe für eine solche Schandtat entrinnen zu können.«
Einer derselben tappte mir unterdessen auf dem Rücken herum, visitierte alles durch, was ich trug, und zog endlich aus dem Schoß der Göttin selbst vor aller Augen den goldenen Kelch hervor.
Indessen schlug selbst die Überführung der gräßlichsten Gottlosigkeit das unverschämte Priestergesindel noch nicht nieder. Fingen sie nicht gar noch zu lachen an und wollten sich weißbrennen?
»Es ist doch himmelschreiend«, riefen sie, »wie unverdienterweise man in Gefahr gerät! Um eines Kelches willen, den die Mutter der Götter ihrer Schwester, der syrischen Göttin, zum Gastgeschenke gegeben, sollen wir armen unschuldigen Vorsteher ihrer Religion mit Leib und Leben zur Verantwortung gezogen werden, als ob wir uns an so heiligen Sachen vergreifen könnten!«
Allein sie redeten nur in den Wind. Die Reiter nahmen sie mit sich zurück und warfen sie geschlossen in den ärgsten Kerker. Den Kelch brachten sie wieder in den Schatz des Tempels und meine Göttin alldazu. Mich aber führten sie folgenden Tages auf den Markt und ließen mich wiederum zum Verkaufe ausrufen.
Ein Bäcker aus dem nächsten Städtchen bezahlte mich noch um sieben Nummen teurer, als Philebus vorher für mich gegeben hatte. Er belud mich mit Getreide, das er aufgekauft, und trieb mich einen rauhen, steinigen Weg, voller Stürze und Wurzelenden, zu sich nach Hause. Viele Pferde und Esel in beständigem Kreislaufe trieben das Mühlen von allerhand Größe, nicht allein bei Tage, sondern auch die Nacht durch bei Lichte.
Mein Herr hatte anfangs ungemein viel Gütigkeit für mich, vermutlich, um mir von meiner neuen Lage einen desto günstigeren Begriff beizubringen. Er ließ mich den ganzen ersten Tag feiern, und meine Krippe war immer vollauf mit Futter angefüllt. Aber länger dauerte auch die Flitterzeit nicht.
Den folgenden Tag wurd’ ich mit dem frühesten an eine der größten Roßmühlen angespannt. Man verkappte mir das Gesicht und trieb mich an, in die Runde, innerhalb der gezogenen Schranken, herumzugehen und einen und denselben und immer wieder von neuem anzufangenden Umlauf zu beginnen. Um es, meinen Gedanken nach, recht klug zu machen, bezeigte ich zu der leichten Kunst so wenig Gelehrigkeit als nur möglich. Zwar hatte ich, wie ich noch als Mensch unter den Menschen lebte, dergleichen Maschinen wohl tausendmal herumdrehen sehen; demunerachtet stellt’ ich mich ganz neu und fremd dazu an. Ich stand wie in den Boden gewurzelt da und ging nicht von der Stelle. Ich bildete mir ein, ich würde zu solcherlei Verrichtungen für unnütz und unbrauchbar erklärt und lieber zu irgendeiner leichteren Arbeit bestimmt oder gar aus Gnaden in Müßiggang ernährt werden. Ach, wie weit schoß ich vom Ziele!
Ich war bald von einem Haufen Leute, mit Prügeln bewaffnet, umgeben, und indem ich so mit verbundenen Augen, in der schönsten Hoffnung versunken, dastand, ließen die auf ein gegebenes Signal auf einmal, unter gräßlichem Geschrei unzählige Streiche hageldicht auf mich einfallen.
Denkt euch den Schreck!
Vergessen waren da augenblicklich meine geklügelten Anschläge, und fix legte ich mich aus allen meinen Kräften ins Zeug und trollte lustig umher in die Runde. Allesamt wollten sich über eine so schnelle Sinnesänderung zu Tode lachen.
Bereits war der größte Teil des Tages verstrichen. Kaum konnt’ ich noch fort, als man mich wieder abkappte, ausspannte und an die Krippe stellte. So müde ich indessen auch war, so sehr ich eines Ersatzes an Kräften bedürftig, und so laut sich auch in mir mein Magen meldete, dennoch hing ich lieber meiner geliebten, nie mich verlassenden Neugier nach, als daß ich das im Überfluß mir vorgeschüttete Futter ruhig ausgefressen hätte. Mit großem Behagen erforschte ich das ganze Wesen und die innere Beschaffenheit eines so unseligen Aufenthaltes, als eine Stampfmühle ist.
Ihr gütigen Götter! Wie viele Menschen gab es da, über und über mit Blutstriemen bezeichnet, den Rücken zerbläut, mit Lumpen mehr beschattet als bedeckt! Einige hatten noch einen geringen Fetzen um die Scham geworfen; die meisten aber waren so bekleidet, daß sie darum nicht weniger als nackend gingen.
Was für Gebrandmarkte, Halbgeschorene, Geschlossene sah ich da nicht! Fahl zogen sie einher wie Schatten. Die Augenwimpern waren ihnen vom Rauch und Dampf des Backofens abgesengt; sie konnten kaum aus den Augen sehen. Und wie im Kampfe die Fechter mit Staub, so waren sie vom Kopf bis zu den Füßen mit Mehl und Asche gepudert und unkenntlich vor Schmutz.
Allein das ist alles noch nichts gegen den Zustand, worin ich meine Gespanntschaft, die Pferde, Maultiere und Esel, antraf; der ist fast nicht zu schildern. Fürs erste waren es lauter uralte Tiere, lauter Schindkracken, die vor Schwäche schwindelten. Die standen nun mit festgeschlossenen Augen, den Kopf zur Erde gesenkt, da an der Krippe und kauten schläfrig Heu; der ganze Hals ein Eiterfraß, die Nüstern vom unaufhörlichen Pusten schlaff und weit offen, die Vorderblätter vom ginstnen Zugseile durchgerieben und schwärig, die Rippen bloß und vom beständigen Gepeitsche, die Hufe breit voneinandergelaufen, und endlich das äußerst dürre Gerippe über und über mit bösem Grinde überzogen!
Wie ein schneidend Schwert fuhr es mir durch die Seele, als ich bedachte, daß ich mich wahrscheinlich in kurzem in dem nämlichen Zustande befinden würde. »Wehe!« seufzte ich bei mir selbst, »so überschwenglich elend sollst du noch werden, armer Lucius!« Und schwermütig ließ ich den Kopf hängen.
In meiner angeborenen Neugierde fand ich noch den einzigen Trost bei so jammervollem Leben. Sie fand beständig Nahrung, da man sich um meiner Gegenwart willen keinen Zwang antat, sondern frei sprach und handelte, wie man nur wollte.
In der Tat, der göttliche Sänger[73] der Griechen hat recht, wenn er von seinem Helden singt: Nur dadurch habe er die höchste Staffel menschlicher Weisheit erreicht, daß er vieler Menschen Städte gesehen und Sitten gelernt und so viel unnennbare Leiden erduldet habe. Auch ich habe in der Rücksicht meinem Esel viel zu danken. Unter seiner Hülle bin ich in so mancherlei Leiden geübt und, wo nicht mit Weisheit, doch wenigstens mit Wissenschaft bereichert worden. Vorzüglich verdanke ich ihm ein gar allerliebstes Histörchen, welches ich euch unmöglich vorenthalten kann. Hier ist es!
Der Bäcker, dem ich zugehörte, war ein sehr guter und überaus bescheidener Mann, hatte aber den Ausbund aller argen, garstigen Weiber von der Welt zur Frau. Er stand bei ihr alles nur ersinnliche Hauskreuz aus. Ich hatte wahrhaftig selbst manchmal Mitleiden mit ihm in meinem Herzen. Dem abscheulichen Weibe fehlte keine Untugend, kein Laster; alle insgesamt waren in ihrer scheußlichen Seele, wie der Unrat in einem Pfuhle, zusammengeflossen. Sie war boshaft, grausam, mannsüchtig, dem Trunk ergeben, hartnäckig, zänkisch, geizig in schnöder Anmaßung des Guten anderer Leute, höchst verschwenderisch in schändlicher Verbringung des ihrigen, der Ehrlichkeit gram, der Zucht feind. Dabei verachtete und verspottete sie die Götter samt der wahren Religion. Sie bekannte sich zu einer lästerlichen Lehre von einem Gott, des sie für den Alleinigen ausgab, und unter dem Vorwande allerlei zu beobachtender, nichtiger Gebräuche hinterging sie die Welt, betrog den Mann, soff vom frühen Morgen an und hurte ohne Unterlaß.
Dieser grimmige Drache von Weib hatte einen Pik auf mich; ich weiß nicht, warum? Noch vor Tage, wenn sie noch lange auf dem Ohre liegen blieb, schrie sie schon: »Spannt doch den neuen Esel an die Mühle!« Sobald sie aber aus dem Neste gekrochen, war ihre erste Sorge, daß mir in ihrer Gegenwart das Fell tüchtig ausgegerbt wurde, und zur Abfütterungszeit, wenn schon alles ausgespannt war und fraß, durft’ ich doch ganz spät erst an die Krippe gelassen werden. Diese ihre Strenge machte mich desto aufmerksamer auf ihre Sitten.
Ich hörte beständig einen jungen Menschen bei ihr ein- und ausgehen. Für mein Leben gern hätt’ ich ihm ins Gesicht gesehen; nur konnte ich nicht vor der Kappe über den Augen. Ich hätte dann schon alles anwenden wollen, die garstige Aufführung des bösen Weibes an den Tage zu bringen.
Ferner stak sie tagtäglich vom Morgen bis auf den Abend mit einer alten Vettel zusammen, welche die Unterhändlerin zwischen ihr und ihren Galanen abgab. Wenn sie miteinander gefrühstückt und ein gutes Schlückchen zu sich genommen hatten, dann ging’s an ein Beratschlagen, wie dem guten, ehrlichen Manne wieder auf eine listige Art eine Nase zu drehen sei.
So böse ich auch der Fotis ihres Versehens wegen war, daß sie mich in einen Esel, anstatt in einen Vogel verwandelt hatte, so kamen mir dennoch die großen Ohren, wie schlecht sie auch ins Gesicht fallen mochten, außerordentlich zustatten. Ich konnte alles und jedes wörtlich hören, was auch noch so weit von mir gesprochen wurde. Eines Tages belauscht’ ich die beiden Sibyllen bei folgendem Gespräche:
»Ja, Madamchen«, sprach die getreue Vertraute, »von dem sag’ ich mich los! Haben Sie sich für ihren eigenen Kopf eine solche Matztasche von Liebsten auserkoren, der gleich vor Furcht vergehen möchte, wenn Ihr herzlieber Mann nur ein wenig das Gesicht verzieht, und so kraftlos ist, daß er schon nicht weiter kann, wenn Ihr Verlangen erst rech belebt zu werden anfängt, so mögen Sie auch sehen, wie Sie mit ihm auskommen! Dafür lobe ich mir den Philesietärus! Das ist ein anderer Kerl! Jung, schön, freigebig, brav, schert der sich viel um die Wachsamkeit der eifersüchtigen Männer! So war ich bin! Der Junge wäre wert, daß ihm alle Weiber ihre beste Gunst schenkten! Er wäre wert, eine goldne Krone zu tragen; wäre es auch nur um des meisterhaften Streiches willen, den er neulich einem solchen abgünstigen Ehekrüppel gespielt hat. Hören Sie denn einmal an, Madamchen, und urteilen Sie selbst, was zwischen Liebhaber und Liebhaber für ein Unterschied ist! Sie kennen doch hier in der Stadt den Ratsherrn Barbarus? Weil er eine so giftige Zunge hat, nennen die Leute ihn immer den Skorpion, und er hat ein so überaus feines, allerliebstes Weibchen, das er wie Argus bewacht und stets unter Schloß und Riegel hält.«
»Wie sollte ich ihn nicht kennen?« versetzte darauf die galante Bäckerin, »seine Frau Arete ist mit mir in die Schule gegangen.«
»Oh, so werden Sie auch schon«, sprach jene wieder, »die ganze Geschichte mit dem Philesietärus wissen!«
»Nein! Nicht ein Wort davon«, war die Antwort; »aber ich möchte sie wohl wissen. Erzählt’ sie doch von Anfang an, Mütterchen, ich bitte Euch!«
Darauf hub das alte Plappermaul folgendermaßen zu erzählen an:
»Dieser hochgelahrte Herr Barbarus hatte vor kurzem eine notwendige Reise zu tun. Er wußte sein geliebtes Weib unterdessen nicht besser aufzuheben, als daß er ihr einen von seinen Leuten, mit Namen Mirmex, den er immer vorzüglich treu befunden, zum Keuschheitswächter bestellte. Ewiges Gefängnis in Ketten und Banden und bei Wasser und Brot war das geringste, was er demselben androhte, falls er seine Frau von einer Mannsperson auch nur mit dem Finger im Vorbeigehen würde berühren lassen. Er schwur bei allen Göttern, das Leben würde er ihm nehmen, und das auf die jämmerlichste, schmählichste Art! Nach solcher ausdrücklichen Installation trat er seine Reise ruhigen Herzens an; desto unruhiger aber hinterließ er den armen Mirmex. Dieser lebte in tausend Ängsten. Keinen Schritt durfte Arete ohne ihn tun, wie der Schatten verfolgte er sie; zu Hause beim Wollspinnen wich er ihr nicht von der Seite. Ging sie abends, was nicht zu ändern war, in das Bad, so saß er ihr immer auf den Hacken und haftete wie eine Klette an einem Zipfel ihres Kleides. So gewissenhaft versah er sein aufgetragenes Ehrenwächteramt.
Inzwischen war die Schönheit der Frau Ratsherrin zu groß, als daß sie der wachsamen Aufmerksamkeit des Philesietärus lange hätte verborgen bleiben können, und alles, was er von ebendieser gepriesenen strengen Zucht und Hut hörte, das reizte und feuerte ihn nur um so mehr an, alles in der Welt zu wagen und zu dulden, um ein solches Kleinod zu erobern.
Er kannte die Zerbrechlichkeit menschlicher Tugend und wußte, wie vor dem Golde alle Hindernisse weichen und selbst diamantene Tore aufspringen. Er trat also einmal den Mirmex an, als er ihn eben allein fand, entdeckte ihm seine Liebe zur Arete und flehte aufs rührendste, seiner Qual Linderung zu verschaffen. Er könnte sein Leben nicht länger ertragen, wo er nicht bald der Erfüllung seiner Wünsche teilhaftig würde; er müsse sterben. Was er fordere, sei auch nur eine Kleinigkeit; Mirmex habe nicht das geringste dabei zu befürchten; er wolle nur abends, unterm Schutze und Schleier der Finsternis, sich allein bei ihm in das Haus einschleichen, keine sterbliche Seele solle ihn sehen, und nicht länger als einen Augenblick wolle er sich aufhalten.
Bei diesen und ähnlichen flehentlichen Bitten ließ es der feien Zeisig aber nicht bewenden, sondern er fügte noch ein Überredungsmittel hinzu, das da fähiger als alles war, die mauerfeste Treue des Kerles in ihren tiefsten Grund zu erschüttern. Er hielt ihm nämlich die Hand hin und ließ ihm daraus den Glanz schöner neugeprägter Goldstücke ins Gesicht blitzen, wovon zwanzig der Dame, ihm aber zehn mit tausend Freuden bestimmt wären.
Entsetzen ergriff den Mirmex bei dieser Zumutung des Philesietärus, und er lief, als ob ihm der Kopf brenne, mit verschlossenen Ohren davon. Allein der Sonnenglanz des Goldes hatte ihn einmal verblendet und verfolgte ihn überall! So weit er auch auf seinen Beinen davon rannte, so fest er sich auch dagegen in dem Hause verschanzte, dennoch stach er ihm beständig in die Augen. Immer schwebten die blanken Goldstücke vor seinem Gesichte, immer überrechnete er den reichen Gewinn. Mit sich selbst in unaufhörlichem Zwiste, schwankte sein Sinn wie ein Nachen bald hier-, bald dorthin. Ein Gedanke, ein Vorsatz verdrängte, verjage den andern. Jetzt hielt ihn Treue, jetzt zog ihn Habsucht; dann schreckte ihn Marter, dann lockte ihn Wollust. Bis zuletzt Gold über Todesfurcht obsiegte; denn selbst die Zeit verminderte die schnöde Begierde nach dem schimmernden Metall nicht! Nicht Tag, nicht Nacht fand der Arme Ruhe. Trotz der abscheulichsten Drohungen seines Herrn war er seiner selbst nicht mehr Meister; es ängstigte, es drängte, es zwängte ihn innerlich. Er mußte endlich Scham und Verzug verbannen und seiner Gebieterin den Antrag ihres Liebhabers hinterbringen.
Dame Arete fiel nicht ab von dem angeborenen Leichtsinn unseres Geschlechtes. Sofort war der Handel mit ihr geschlossen und ihre Keuschheit für das verfluchte Gold verpfändet.
Niemand war nun froher als Mirmex, war es gleich auf Kosten seiner Treue. Er konnte den Augenblick nicht erwarten, das Geld, das er zu seinem Unglücke gesehen hatte, nur zu berühren, geschweige in Empfang zu nehmen. Er flog zum Philesietärus, berichtete ihm voller Freuden, wie sein geäußertes Verlangen mit großer Mühe bewerkstelligt sei, forderte auf der Stelle seine versprochene Belohnung und sah sich denn endlich so glücklich, goldene Münzen in einer Hand zu halten, die kaum noch eherne berührt hatte.
Jetzt war es stockfinstere Nacht; jetzt nimmt er den wackeren Liebhaber, das Haupt wohlverhüllt, allein mit sich nach Hause und führt ihn in Aretes Schlafzimmer.
Kaum hatten sich beide Liebenden voller Entzücken umarmt und jeglicher Hülle entledigt ihrer Liebe mit aller Inbrunst lechzender Begier die ersten Opfer gebracht, als wider Vermuten der Herr Gemahl, der die Nacht durch gereist war, vor dem Hause anlangt. Er klopft, er ruft, niemand will hören; er wird ungeduldig, schmeißt mit Steinen wider die Haustür; es kommt noch niemand. Nun kriegt er Schwanzfedern und schimpft und flucht auf den Mirmex und bedroht denselben mit der schrecklichsten Strafe, wo er nicht unverzüglich aufmache.
Der arme Teufel, über die unglückliche Überraschung in der äußersten Verwirrung, wußte vor Bestürzung seinem Leibe keinen Rat. Doch besann er sich noch so viel, daß er sagte, er haben den Hausschlüssel mit so großer Sorgfalt verwahrt, daß er ihn nun in der Dunkelheit selbst nicht wieder zu finden wisse. Unterdessen hörte Philesietärus den Lärm, warf hurtig sein Kleid über und, ohne an seine Schuhe zu denken, barfuß zur Kammer hinaus!
Nun kam mein Mirmex gemach mit dem Hausschlüssel angestochen und schloß auf. Donnernd und wetternd stürzte sein Herr zum Hause herein und gleich in die Schlafkammer; Philesietärus aber husch! hinter ihm weg und unbemerkt und glücklich davon!
Solchergestalt von seiner Angst gerettet, schloß Mirmex ruhig sein Haus wieder ab und legte sich schlafen, sonder Ahnung von dem, was ihm andern Tags bevorstand. Denn als der Herr Ratsherr Barbarus morgens beim Erwachen die Schuhe entdeckte, welche der flüchtende Philesietärus unter dem Bette hatte stehenlassen, verspürte er mit einmal ein so gewaltiges Jucken vor der Stirn, daß er flugs aus den Umständen die Wahrheit mutmaßte. Indessen fanden Sr. Wohlweisen nicht für gut, Dero Herzeleid weder Ihre Frau Gemahlin noch jemand von den Leuten merken zu lassen, sondern Sie versteckten die Schuhe heimlich unter Ihrem ratsherrlichen Kleide und stellten Befehl, den Mirmex sogleich zu binden und nach dem Gerichtsplatz zu schleppen. In hoher eigener Person begaben Sie sich auch dahin, stillschweigend Ihren Gram unter Ihrer Würde verbergend; aber fest überzeugt, durch Hervorweisung der Schuhe Dero Ehrenschänder genau auf die Spur zu kommen.
Aber was geschah?
Eben wie Barbarus, das Gesicht von verbissener Wut aufgeschwollen, mit dem geschlossenen Mirmex in Prozession die Straße hinanzog und dieser, weil sein Gewissen ihn verklagte, durch Heulen und Lamentieren alle Leute vergeblichem Mitleid bewegte, so kam Philesietärus in Geschäften die Straße herunter und ihnen gerade entgegen. Der erste Blick erinnerte ihn sogleich an seine gestriges Vergessen; er zweifelte nicht, daß dies die Folgen davon seien. Augenblicklich rüstet er sich mit seiner ganzen Entschlossenheit und Gegenwart des Geistes und, wie ein Pfeil unter die Sklaven, und dem Mirmex mit großem Geschrei und nicht anders, als ob er ihn auf der Stelle erdrosseln wolle zu Halse!
›Ha,!‹ ruft er, ›treff’ ich dich, du Erzschandbube? Daß dein Herr und alle himmlischen Götter dich doch für die falschen Schwüre, die du da ausstößest, in den Abgrund vertilgten! Du bist ein Dieb! Du hast im Badehause mir gestern meine Schuhe gestohlen! Du solltest krumm zusammengeschlossen in den finstersten Kerker geschmissen werden, und wie einen Hund sollte man dich da ohne Erbarmen verrecken lassen!‹
Der Ton der Wahrheit, womit er dies hervorbrachte, und die Keckheit, mit welcher er seinen vorgeblichen Dieb behandelte, übertölpelten richtig meinen Barbarus. Flugs machte er linksum und kehrte wieder nach Hause. Er krümmte dem Mirmex kein Haar; mit lachendem Herzen gab er ihm die Schuhe und hieß ihn, sie ihrem Herrn wieder zuzustellen.«
Noch redete das Mütterchen, so hub Madame Bäckerin mit einem tiefen Herzensseufzer an:
»Ach! glücklich, wem solch braver Liebhaber beschert wird! Mir armen Frau ist leider nur eine feige Memme zuteil geworden. Es braucht nicht einmal des Geklappers der Mühle, der verkappte, schäbige Esel da macht ihn schon zittern und beben!«
»Nun«, antwortete die Alte wieder, »so geben Sie sich nur zufrieden, Madamchen! Noch heutigen Tages sollen Sie selbst so glücklich sein, jenen wackeren Jungen in Ihre Arme zu schließen. Da! Ich verspreche es Ihnen mit Hand und Mund. Auf diesen Abend! Sie können sich darauf verlassen!«
»Topp!« versetzte jene, und die Kupplerin trippelte fort.
Unterdessen war die tugendsame Bäckerin nicht faul. Sie richtete ein köstliches Mahl zu; sie schafft herrlichen Wein an, bäckt, siedet, bratet, deckt den Tisch aufs stattlichste. Kurz, hätte sie einen Gott zu bewirten gehabt, sie hätte sich darauf nicht besser vorbereiten können als auf die Ankunft ihres Buhlen. Ihr Mann war just bei einem Walkmüller in der Nachbarschaft zu Gaste.
Wie es Mittag ward und ich ausgespannt wurde, um gefüttert zu werden, freute ich mich bei weitem nicht so sehr, daß ich nun meiner Arbeit quitt war, als daß mir die Auge wieder aufgebunden wurden, damit ich frei dem schändlichen Wesen des garstigen Weibes zusehen konnte.
Bereits hatte sich die Sonne in den Ozean getaucht und erleuchtete die unterirdischen Gegenden, als die Alte, den feinen Liebling am Arm, anmarschiert kam. Es war ein blutjunges Bürschchen, noch glatt ums Kinn und selbst noch fähig, statt eines Mädchens zu dienen. Er ward mit den zärtlichsten Küssen empfangen und mußte sogleich am Tische Platz nehmen; aber kaum daß er von Speise und Trank zu kosten anfing, hörte man auch schon unvermutet den Mann wieder nach Hause kommen. Sein Herzensweibchen hätte ihn lieber, ich weiß nicht wohin? gewünscht, oder daß er Hals und Beine möchte gebrochen haben! Allein, was half’s? Er war einmal da. Hurtig war sie also mit ihrem vor Furcht leichenblassen Liebsten unter eine hölzerne Wanne, worin man das Getreide zu schwingen pflegte, und die von ungefähr dastand. Nachdem er also versteckt, geht sie mir nichts, dir nichts unverzagt ihrem Manne entgegen und fragt ihn, wie er denn schon so früh wieder von dem Gastmahle seines Busenfreundes heimkehre? Wehmütig und seufzend gab dieser ihr zur Antwort:
»Aus Ungeduld über die schändliche, niederträchtige Aufführung seines verruchten Weibes bin ich davongelaufen. Ihr gütigen Götter! Wer hatte so was von einer so braven, nüchternen Hausfrau denken sollen? Ja, ich schwöre es bei der heiligen Ceres, noch jetzt, da es meine Augen gesehen, kann ich’s kaum über das Herz bringen, es zu glauben!«
Neugierig gemacht durch die Worte, hörte das freche Weibsstück nicht auf, ihrem Manne mit Bitten anzuliegen, ihr den ganzen Vorgang von Anfang zu erzählen, bis er ihr endlich nachgab und also, seiner eigenen unkundig, die Schande seines Freundes ausschwatzte:
»Stelle dir vor, mein Kind, Freund Walkmüllers Frau, die immer so züchtig und ehrbar tat und überall im Ruf einer treuen Ehegattin und trefflichen Haushälterin stand, dies Weib hatte insgeheim einen Liebhaber, mit dem sie Ehebruch trieb. Immer steckte sie heimlich mit ihm beisammen und hurte, und wie wir beide aus dem Bade zu Tische kamen, war sie grade mit nichts anderem beschäftigt. Unsere plötzliche Ankunft überraschte sie; indessen wußte sie sich zu helfen. Sie steckte ihren Liebhaber unter einen geflochtenen weidenen Korb, mit Tuch behangen, unter welchem der Schwefeldampf angemacht war, um ihm die gehörige Weiße zu geben, und wie sie denselben also ihrer Meinung nach sehr sicher untergebracht hatte, ging sie ruhig mit uns zu Tische. Allein, gar übel war mein Herr Urian da in dem Schwefelgewölbe aufgehoben. Er erstickte schier und fiel in Ohnmacht. Der scharfe Schwefel versetzte ihm den Atem und kribbelte ihn so heftig im Gehirne, daß er einmal über das andere zu niesen anfing. Mein Freund, der sich einbildete, es sei seine Frau, denn der Korb stand gerade hinter ihr, rief erst immer: ›Prost!‹ Aber wie das Ding zu oft kam und gar nicht aufhören wollte, so ging ihm ein Licht auf. Zurück stieß er den Tisch, sprang auf, nahm den Korb weg. Da fand er den Galan, keuchend, in den letzten Zügen!
In der äußersten Wut, worin er über den ihm angetanen Schimpf geriet, wollte er ein Messer nehmen und die halbe Leiche noch ermorden. Allein, das hätte uns böse Händel übern Hals ziehen können; ich gab es nicht zu. Ich versicherte ihm, der Kuckuck würde solange nicht mehr rufen, wir brachten uns gar nicht seines Todes schuldig zu machen; er würde sogleich von selbst am Schwefel krepieren. Doch all mein Zureden hätte nichts geholfen, wäre die Sache nicht sprechend gewesen. Kaum, daß sich der Kerl noch regte! Dadurch ließ sich der Walkmüller besänftigen, und bevor der Sterbende gänzlich verschied, lud er ihn auf und trug ihn in das Gäßchen daneben.
Unterdessen riet ich seinem Weibe wohlmeinend, sich aus dem Staube zu machen und so lange irgendwo bei einem Freunde zu bleiben, bis sich erst der Zorn ihres Mannes ein wenig gelegt hätte. Wenn sie wartete, bis er zurückkäme, so stände ich nicht dafür, daß er nicht in der Hitze sowohl ihr als auch sich selbst ein Leid zufügte.
Sie folgte dem Rat. Und weil ich voraussah, daß nun weiter an kein Essen würde gedacht werden, so ging ich fort.«
Wie der Bäcker auserzählt hatte, da hätte man sie hören sollen, wie sie mit namenloser Gleisnerei auf das unbarmherzigste und in den niederträchtigsten Ausdrücken auf ihr Ebenbild, auf die Frau Walkmüllerin, loszog! Wie sie sie lästerte!
»Oh, das ehrlose, das unzüchtige Mensch!« hieß es, »die ist ja die Schande unseres ganzen Geschlechts! So mit Hintansetzung aller Tugend, aller Scham, aller ehelichen Treue aus dem Hause ihres Mannes einen Hurenwinkel zu machen! Nein, die verdient nicht mehr den ehrenvollen Namen einer Frau, einer Gattin; eine Hure ist sie! Ein Nickel!«
»Ja«, fügte sie gar hinzu, »dergleichen Weiber sollten lebendig verbrannt werden!«
Indessen, aus Besorgnis, nicht auch noch entdeckt zu werden, wenn sie ihren Herzgeliebten noch länger in der unbequemen Lage unter der Wanne ließe, legte sie sehr darauf an, daß ihr Mann recht früh zu Bett gehen möchte. Nur glückte es ihr nicht. Da er von seinem Gastmahle hungrig nach Hase gekommen war, so bat er sich von ihr erst noch was zu essen aus; und zu ihrem größten Leidwesen mußte sie ihm das auftischen, was für einen ganz andern bestimmt war. Hurtig war sie dennoch damit da.
Das Herz tat mir im Leibe weh, als ich des garstigen Weibes vorhergehende Aufführung mit ihrer gegenwärtigen Gleisnerei verglich. Ich sann unaufhörlich hin und her, ob es denn nicht möglich wäre, die Betrügerin zu entlarven und meinem Herrn behilflich zu sein, das saubere Bürschchen, das wie eine Schildkröte unter seiner Wanne lag, zu entdecken. Endlich, mitten in meinem Leide über die meinem Herrn angetane Schmach, war es von der göttlichen Vorsehung verhängt, daß uns unser alter lahmer Wärter hinaus an den See zur Tränke treiben mußte. Dadurch gewann ich die erwünschteste Gelegenheit zur Rache. Ich merkte, als ich mich der Wanne näherte, daß sie zu schmal war und die Finger des Galans darunter hervorragten. Unvermerkt tat ich einen Seitenschritt und stellte und stemmte einen meiner Hufe mit solcher Gewalt auf die hervorstehenden Spitzen, daß ich sie völlig zermalmte, und daß der liebe Buhle gleich vor unerträglichem Schmerz jämmerlich zu krähen anfing, die Wanne von sich abwarf und aufsprang. Somit war die ganze unzüchtige Szene aufgezogen!
Der Bäcker ließ sich seine Hahnreischaft eben nicht zu Herzen gehen; sondern mit heiterm, freundlichem Gesicht, redete er das zärtliche Herzblatt seiner Frau, das wie eine Milchsuppe blaß und zitternd und bebend vor ihm stand, also an:
»Fürchte nichts Böses von mir, mein Söhnchen! Ich bin weder ein grausamer Barbar noch ein ungeschliffner Bauer. Fern sei es von mir, daß ich dich im Schwefeldampf erstickte, wie dort der Walkmüller, oder daß ich die Strenge der Gesetze gegen dich anrief und auf Leib und Leben Ehebruchs halber dich anklagte. Mit einem so schmucken Jungen als du bist, weiß ich schon besser umzugehen! In Frieden will ich dich mit meiner Frau, und du sollst unser Bett mit uns beiden teilen. Meine Frau und ich haben von jeher in jener vollkommenen Einmütigkeit miteinander gelebt, wovon die Weisen schwatzen. Was ihr gefällt, gefällt mir auch. Nur hab’ ich, wie billig, als Mann allemal den Vorrang.«
Auf diese hämische Spöttelei führte er das Bürschchen, sehr wider seinen Willen, zu Bette, schloß sein keusches Weib unterdessen anderswo ein und, allein mit ihrem Liebsten, übte er an demselben die ganze Nacht hindurch die süße Rache für die ihm zugedachte Hörner. Sobald aber der lichte Sonnenwagen den Tag gebar, so ließ er zwei von den stärksten Bäckerknechten hereinkommen, das Knäblein hoch von ihnen in die Höhe halten, und nun ihm brav den Hintern ausgepeitscht!
»Wie?« sprach er dabei, »ein solcher Gelbschnabel, ein so rotziges Bübchen, das noch selbst gemißbraucht wird, will mit seiner unreifen Mannheit schon den Dirnen nachlaufen? Will freie, durch das heilige Band der Ehe gebundene Weiber verführen? und so frühe sich den Schandnamen eines Ehebrechers erwerben? Nein, solchem Mutwillen muß gesteuert werden!«
Unter diesen und ähnlichen Reden strafte er ihn tüchtig ab und warf ihn darauf zum Hause hinaus. Tausend, wie trollte sich mein Abenteurer; nur froh, daß er mit dem Leben davonkam, so übel sein Steiß auch bei Nacht und bei Tage mochte zugerichtet sein!
Seiner teuren Hälfte aber schrieb der Bäcker auf der Stelle den Laufpaß und jagte sie von sich.
Dieses ohnehin erzböse Weib ward durch diesen gerechten Schimpf dermaßen aufgebracht und wild, daß sie ihre ganze Verruchtheit aufbot und keinen weiblichen Kniff unversucht ließ, sich zu rächen. Sie gatterte eine alte Hexe aus, welche den Ruf hatte, durch Beschwörungen und Schwarzkünsteleien alles in der Welt ausrichten zu können, und sparte weder Bitten noch Geschenke, dieselbe dahin zu bewegen, ihren Mann entweder wieder gutzumachen und mit ihr auszusöhnen oder, wo sie das nicht könnte, wenigstens ein Gespenst oder sonst einen bösen Geist zu bannen, um denselben totzuquälen.
Die geistermächtige Zauberin versuchte erstlich die leichten Waffen ihrer entsetzlichen Kunst und bemühte sich, des Mannes tiefverwundetes Herz zu heilen und wieder zur Liebe zu bewegen. Allein, da ihr dies nicht so wohl als sie es dachte gelang, so ward sie böse auf die Geister und, nicht weniger von der ihr versprochenen Belohnung als von der erlittenen Verachtung angereizt, fing sie an, dem armen Manne nach dem Leben zu trachten, und schickte den Schatten eines gewaltsam umgekommen Weibes über ihn, um ihn zu töten.
Aber vielleicht tadelt mich hier ein krittlicher Leser und spricht:
»Aber, wie ging es denn an, daß du einfältiger Esel bei deiner Mühle alles erfahren konntest, was doch die Weiber, nach deinem eigenen Geständnisse, insgeheim vorgenommen haben?«
Er lasse sich dienen und höre, wie es möglich war, daß ich erzneugieriger Mensch unter meiner Eselsmaske alles haarklein erfuhr, wie es mit meines armen Herrn Tode zugegangen!
Es war so um Mittag herum, als plötzlich in der Bäckerei ein altes, höchst betrübtes Mütterchen erschien, halb behangen mit einer elenden Kutte, barfuß, bleich wie ein Tuch, hundsmager und das Gesicht größtenteils verdeckt von struppigem, gräulichem, zerrauftem und von Asche schmutzigem Haar. Sie nahm den Meister freundlich bei der Hand, ging mit ihm in die Stube hinein und schloß die Tür ab, als ob sie etwas Geheimes miteinander zu sprechen hätten. Sie blieben selbander eine geraume Zeit drinnen. Endlich war das Getreide auf den Mühlen alle geworden, und da des Zwiegesprächs noch kein Ende war, so traten die Bäckerknechte an die Tür und riefen den Meister, wieder frisches zum Aufschütten herauszugeben; aber sie mochten rufen, so laut sie wollten, kein Meister antwortete. Nun klopften sie, rufen, so laut sie wollen, kein Meister antwortete. Nun klopften sie, nun donnern sie an die Türe, es rührt und regt sich nichts! Da ahnet ihnen nichts Gutes; sie sprengen die Türe mit Gewalt auf. Als sie in die Stube treten, wo ist das Weib? Den Meister aber sehen sie tot an einem Balken hängen. Da war Klagen und Leidwesen! Man knüpfte endlich die Schleife auf, nahm den Toten ab, wusch ihn noch zu guter Letzt, und als alle gehörigen Leichenanstalten gemacht, trug man ihn unter zahlreicher Begleitung zu Grabe.
Andertages kam seine Tochter aus dem nächsten Städtchen, wo sie vorlängst verheiratet war, in großer Betrübnis gerannt, zerraufte sich das fliegende Haar und zerschlug sich die Brust mit vollen Fäusten. Zwar hatte ihr niemand das Unglück ihrer Familie hinterbracht; sie wußte aber alles. Nachts im Traume war ihr das traurige Bild ihres Vaters, einen Strick um den Hals, erschienen und hatte ihr ihrer Stiefmutter schändliches Betragen, von dem Ehebruch und den versuchten Beschwörungen an bis auf die Art, wie sie ihn durch ein Gespenst hatte erwürgen lassen, entdeckt. Als sie es schluchzend in der Bäckerei erzählte, hörte ich’s mit an. – Sind Sie nun zufrieden, Herr Splitterrichter?
Das arme Weib wollte im Leid vergehen, so sehr schmerzte sie das Unglück ihres Vaters! Doch durch das Zureden ihrer Freunde tröstete sie sich endlich, verrichtete am neunten Tage, nach Sitte und Brauch, das gewöhnliche Opfer am Grabe des Verstorbenen, und dann stellte sie von den ererbten Sklaven, Geräten, Pferden und Eseln eine Auktion an. Alles, was bis dahin nur einem einzigen zugehört, ward von dem mutwilligen Glücke nun unter vielerlei Besitzern verteilt. Mich erstand ein Gärtner für fünfzig Nummen. Freilich sagte er, wäre das teuer; aber er rechnete auch darauf, sich sein Brot mit mir zu erwerben.
Ich muß hier schon beschreiben, wie es mir wieder in diesem neuen Dienst erging.
Morgens früh pflegte mich mein Herr mit allerhand Gartengewächs zu beladen und nach der nächsten Stadt zu führen. Wenn er allda seine Ware verkauft hatte, so setzte er sich auf meinen Rücken und ritt mit baumelnden Füßen gemach wieder nach seinem Garten heim. Nun ging er an seine Arbeit; er grub, er pflanzte, er goß und was er all mehr mit gekrümmtem Rücken zu tun hatte! Ich aber blieb müßig und pflegte unterdessen der Ruhe. So ging es einen Tag wie den andern, bis endlich das kreisende Jahr nach der Ordnung alle Zeichen des Himmels bis zum Steinbock durchlaufen, und nun, nach den Freuden des mostreichen Herbstes, kalter Reif herabsank. Dann war schlechte Zeit für mich! Ich hatte beständig von Nässe und von Frost zu leiden. Mein Stall war unbedeckt; ich stand unter freiem Himmel. Mein Herr war so arm, daß er nicht so viel Stroh hatte, sich selbst, geschweige mir, eine Streu oder ein schlechtes Obdach zu machen; er mußte sich mit einer elenden Laubhütte behelfen.
Überdies hatte ich auch des Morgens nicht wenig auszustehen, wenn ich so mit nackten Füßen durch den gefrorenen Kot oder auf den spitzen Holpern marschieren mußte; und hätte ich dabei nur noch den Abgrund meines Bauches mit gewöhnlicher Kost ausfüllen können! Aber leider! So gut ward’s mir nicht! Meinem armen Herrn und mir diente zwar dieselbe, aber doch die allerelendste Speise zur Nahrung. Ach! Nichts denn schlechter, kraftloser, in den Samen geschossener Lattich, halb verwest vor Alter, hart wie Besenreis und von faulem gallenbitterm Geschmacke war unser einziges Gericht.
Eine Nacht, da der Mond nicht schien und es pechfinster war und regnete, als ob es mit Mulden gösse, hatte sich ein Herr aus der Nachbarschaft von seinem Wege verirrt, und weil er ganz durchnäßt und sein Pferd nicht weiter konnte, war er in unsern Garten eingekehrt. Aus Erkenntlichkeit für die gute Aufnahmen, die er in unsrer freilich schlechten, bei solchen Umständen aber, zum Schutz und zur Ruhe herrlichen Wohnung gefunden hatte, versprach er bei seiner Abreise seinem gütigen Wirte, ihm etwas Korn und Öl, auch zwei Faß Wein zu schenken; er solle nur nach seinem Gute kommen und es abholen. Mein Herr vergaß das nicht; sobald er abkommen konnte, nahm er einen Sack und ein paar leere Schläuche, schwang sich auf meinen bloßen Rücken, und damit den angewiesenen Gütern zu, die sechzig Stadien von uns lagen. Als wir hinauskamen, empfing meinen Herrn sein vornehmer Gastfreund sehr höflich und bewirtete ihn aufs vortrefflichste; indem sie aber noch zusammen beim Weine guter Dinge waren, ereignete sich ein großes Wunder.
Eines von den vielen Hühnern auf dem Hofe lief mit lautem Gackern umher, als ob es legen wollte. Der Herr sah es und rief: »Seh’ man nur einmal die treffliche Leghenne. Tag für Tag ein Ei! Alleweile wird sie wieder legen! He, Junge! Setzte doch gleich dort in den Winkel den Korb hin, in den die Hühner legen!«
Ungeachtet der Junge sofort den Befehl ins Werk richtete, so ging die Henne doch nicht auf das gewöhnliche Nest, sondern brachte dicht vor den Füßen ihres Herrn, zu seiner nicht geringen Bestürzung, eine frühzeitige Geburt hervor. Ihr denkt etwa ein Windei? – Nein! Ein völliges, förmliches Küchlein, mit Flügeln, Füßen, Augen, das sogleich piepend hinter der Mutter herlief.
Hierbei blieb es nicht. Noch ein weit größeres Wunder geschah, worüber jedermann mit allem Rechte in Schrecken geriet.
Gerade unterm Tische, worauf noch die Überbleibsel der Mahlzeit standen, tat sich die Erde auf und sprang ein reicher Blutquell hervor, der die Tafel über und über bespritzte. Und in dem nämlichen Augenblick, da alle dornsteif vor Erstaunen dastanden und voller Furcht die göttliche Vorbedeutung anstaunten, kam jemand aus dem Weinkeller herbeigestürzt und meldete, daß aller Wein, den man vorlängst auf Fässer gezogen, darin nicht anders gäre und brause, als ob Feuer darunter wäre. Auch wurden zu derselben Zeit verschiedene Wiesel gesehen, die eine tote Schlange mit den Zähnen herumzerrten, und ein lebendiger Laubfrosch, der dem Schäferhunde aus dem Halse gesprungen kam, worauf der Widder, der daneben gestanden, über den Hund herfiel und denselben mit einem Biß erwürgte.
Herr und Gesinde waren über diese so vielerlei außerordentlichen Ereignisse ganz weg; sie wußten nicht, was sie zuletzt oder zuerst tun sollten, den Zorn der himmlischen Mächte zu besänftigen.
Noch war alles in der ersten schrecklichen Erwartung irgendeines großen Unglücks, als ein Bedienter vollen Laufs ankam und dem Gutsherrn die Nachricht hinterbrachte, daß soeben alle seine Kinder jämmerlich ermordet worden wären. Der gute Mann hatte ihrer drei gehabt, schon erwachsene Söhne, die er mit solcher Sorgfalt unterrichtet und erzogen, daß sie ihm Freude und bei aller Welt die größte Ehre machten. Diese Jünglinge waren Herzensfreunde mit dem Inhaber eines kleinen Gütchens, an welches zum Unglück die schönen weitläufigen Besitzungen eines jungen reichen Edelmanns anstießen. Des Adels seiner Ahnen sich überhebend, hatte dieser Junker sich einen so großen Anhang in der Stadt gemacht, daß er tun konnte, was er wollte. Er griff also um sich wie ein Feind und plünderte anfangs die Armut seines ohnmächtigen Nachbars, erwürgte dessen Schafe, trieb die Ochsen weg und trat die Saat nieder, bevor sie reif war. Bald, so war er nicht mehr mit der Ernte zufrieden, er wollte auch das Land haben. Er zettelte einen Grenzprozeß an und nahm das Gut in Anspruch.
Hatte bis dahin der arme Nachbar zu allem stillgeschwiegen, so konnte er doch nicht zugeben, daß man ihn gänzlich auszöge und von seinen väterlichen Grundstücken nicht so viel übrig ließe, wohin er sein Haupt legen konnte. Bei so bedrängten Umständen berief er alle seine Freunde zusammen, um Zeugen abzugeben bei Anzeigung seiner Grenze. Unter diesen waren nun vorzüglich jene drei Jünglinge, die ihres Freundes Unglück wie ihr eigenes empfanden.
Der hochadlige Tollkopf ließ durch die Gegenwart so vieler Bürger sich weder furchtsam noch irremachen; nicht ein Haarbreit wollt’ er von seinen Anmaßungen ablassen. Dabei mäßigte er sich nicht einmal in Worten. Als jene mit der äußersten Höflichkeit seine Ansprüche widerlegten und sich geflissentlichst in acht nahmen, sein Ungestüm auf keinerlei Weise zu reizen, fuhr er jählings auf und tat, seiner Gewohnheit nach, einen großen Schwur, bei seiner teuren Ahnen und seiner eigenen Seligkeit: Er schere sich viel um alle die Hundsfötter von Mittelsmänner! Seine Leute sollten den Augenblick, ihnen zum Trotz, den ruppigen Nachbar bei den Ohren von dem Gute herunterwerfen!
Die schimpfliche Rede verdroß jedermann, und ganz frei versetzte darauf einer der Jünglinge: Er solle nur auf seinen Reichtümern nicht zu sicher fußen und gar zu sehr den unumschränkten Tyrannen spielen! Noch gäbe es für die Armen bei den Gesetzen Schutz und Gerechtigkeit gegen den Übermut der Reichen.
Das hieß Öl ins Feuer gegossen! Schwefel in die Glut geworfen! Die Furie gepeitscht!
Der wilde Mensch schnappte über in seiner Wut. Er rief: An den Galgen sollten sie alle mitsamt ihren Gesetzen gehen! Und gab Befehl, die Hirten und Bauernhunde auf sie zu hetzen; böse, große Bestien, die sich vom Aase auf dem Felde nährten und recht dazu abgerichtet waren, jeden Vorübergehenden zu zausen und zu beißen.
Sobald die abscheulichen Bestien durch das Hetz! Hetz! der Hirten angefeuert und angereizt sind, stürzen sie in wildem Grimme und mit fürchterlichem Gebelle auf die armen Leute ein und beißen, zerfleischen und zerreißen sie aufs allererbärmlichste. Wehe! wen sie gleich fassen, aber weher noch, wen sie erst nach langem Verfolgen erhaschen!
In dem Gewirre und Getümmel der Flucht geriet der jüngste der drei Brüder ins Gedränge, stieß an einen Stein und stürzte zu Boden. Gleich hatten die Hunde den Unglücklichen unter und fingen an, ihn in Stücke zu zerreißen. Sein Sterbegeschrei hörend, erkennen die Brüder die Gefahr; sie eilen zu Hilfe herbei. Sie wickeln die Röcke um ihre Linke und suchen durch Steinwürfe ihren Bruder zu verteidigen und die Hunde von ihm abzujagen; allein umsonst! Es war der grausamen Blutgier derselben kein Einhalt zu tun; der Arme verschied unter ihren Bissen! Seine letzten Worte waren: »Brüder, laßt an dem reichen Bösewicht euern jüngeren Bruder nicht ungerächt!«
Nun drangen die beiden übrigen Brüder blindlings, nicht aus Verzweiflung, sondern aus Verachtung ihres Lebens auf den reichen Wüterich ein, und schleuderten in der äußersten Bosheit Steine über Steine nach ihm. Allein ohne allen Anstand schwang dieser seine Lanze und warf sie dem einen mitten durch die Brust. Augenblicklich verließ den Getroffenen das Leben, dennoch fiel er nicht zur Erde; denn das Eisen der Lanze fuhr, nachdem es Brust und Rücken durchbohrt, so tief in den Boden, daß der schwingende Schaft den Leichnam in der Schwebe emporhielt.
Nach dem andern Bruder schleuderte ein großer, starker Kerl von Bedienten, der seinem Herrn zu Hilfe kam, einen gewichtigen Stein; doch, anstatt den rechten Arm zu zerschmettern, auf den er gerichtet, streifte der mattgeworfene Wurf nur die äußersten Fingerspitzen desselben und fiel unschädlich zur Erde. Der Jüngling bediente sich listig dieses glücklichen Zufalls zur Rache; er tat, als sei von dem Wurfe ihm die Hand zerquetscht, und sprach also zum grausamen Reichen:
»So freue dich denn, du raubsüchtiger Bluthund! Freue dich des Untergangs einer ganzen Familie! Weide deine unersättliche Grausamkeit am Blute dreier Brüder! Und triumphiere frohlockend über den Mord deiner Mitbürger! Aber wisse: so sehr du auch die Armen um das Ihrige betrügst und weiter und weiter deine Grenzen hinausrückst; dennoch wirst du immer einen Nachbarn haben! Und hätte mir nur des Geschickes Mißgunst meine Rechte nicht gelähmt, du solltest jetzt dein Haupt vor deinen Füßen suchen!«
Durch diese höhnische Rede noch mehr erbost, zog mein Meister Bandit das Schwert, und damit in blinder Wut gegen den Jüngling an, um denselben eigenhändig darniederzurennen. Allein, da kam er schlecht an! Der Jüngling, der zu seinem Erstaunen nicht so wehrlos war, als er’s sich eingebildet, fing ihm die geschwungene Rechte auf, bemächtigte sich seines Schwerts und erschlug den Nichtswürdigen mit mehreren Streichen. Dann richtete er das vom Blute seines Feines rauchende Eisen, um sich vor dessen Bediensteten zu retten, gegen sich selbst und durchhieb sich die Kehle.
Dies war es, was die schrecklichen Wunderzeichen vorbedeuteten! Dies war es, was man dem unglücklichen Vater berichtete!
Vor Leid konnte der arme Greis weder ein einziges Wort hervorbringen noch auch eine stumme Träne weinen. Er ergriff das Messer, womit er vorgelegt hatte, und schnitt sich damit nach seines Sohnes Beispiele mehrmals in die Gurgel, bis er tot vorwärts auf den Tisch hinsank und mit dem Strome seines Blutes die Flecken des Wunderblutes hinwegspülte.
Nachdem der Gärtner das Schicksal dieses so im Hui erloschenen Hauses genugsam beklagt hatte, seufzte er schmerzlich über sein eigen Mißgeschick und rang die Hände, nach einer teuer mit Tränen bezahlten Mahlzeit so weiten Weges mit leeren Händen wieder heimziehen zu müssen. Er setzte sich auf und ritt voller Trübsinn fort.
Allein auch sein Heimritt fiel unglücklich aus.
Es begegnete uns ein großer Kerl, der dem Kleide und Aussehen nach ein Soldat aus einer Legion war; er fragte in seiner Sprache, auf Lateinisch, ziemlich trotzig: »Wo willst du mit dem leeren Esel hin?« Der Gärtner verstand kein Latein, war auch viel zu sehr in Traurigkeit vertieft, als daß er auf die Anrede hätte achten sollen; ohne zu antworten, ritt er also vorbei. Dadurch fand der grobe, übermütige Soldat sich so beleidigt, daß er gleich zu schimpfen anfing und meinen Herrn mit seinem Stocke von mir herunterprügelte. Demütiglich antwortete ihm mein Herr da:
Er verstehe ja seine Sprache nicht; unmöglich könne er also wissen, was er von ihm haben wolle!
Nun wiederholte der Soldat seine vorige Frage in gebrochenem Griechisch: »Ik, sak, wo du hinwollen mit dein leere Esel?«
»Nach der nächsten Stadt«, antwortete der Gärtner.
»Nu glüklik Reis’!« versetzte der Soldat, »aber deine Esel ik hierbehalten, sie solle helf aus der nächsten Schloß des Hauptmanns Bakasch hole!«
Somit fiel er mir in den Zügel und zog mich zu sich.
Der Gärtner wischte sich das Blut ab, das ihm von den empfangenen Schlägen übers Gesicht lief, und bat flehentlich, ihm doch aus Erbarmen seinen Esel zu lassen.
»Kamerad!« sprach er, »bei allem, was Euch je lieb und wert gewesen ist und noch sein wird, verfahrt glimpflich mit mir armen Manne, raubt mir meinen Esel nicht! Es ist so nur ein faules, dickfelliges Tier, das wahrlich Euch zu nichts dienen kann! Kaum, daß er mir eine Handvoll Gemüse aus meinem Gärtchen nach der Stadt hineinträgt, so liegt er schon keuchend darnieder, geschweige, daß er irgendeine schwere Last fortschleppen könnte!«
Aber das half alles nichts! Der Grobian ward nur noch wilder und kehrte gar seinen Stock, um meinem Herrn mit dem Kolben eins auf den Kopf zu versetzen. Wie dieser das merkt, tut er, als wolle er ihm zu Füßen fallen und, um sein Mitleid zu erregen, die Knie ihm umfassen; allein im Bücken zieht er ihm behend beide Füße unter dem Leibe weg, daß jener die Länge lang, plump, auf die Erde schlägt, und nun über ihn her und ihm Gesicht, Hände, Rippen wacker mit Zähnen, Nägeln, Fäusten, Ellbogen, zerbissen, zerkratzt, zerfäustelt, zerbleut!
Der Soldat, der ausgestreckt, so lang er war, am Boden dalag und sich weder zu helfen noch zu wehren vermochte, schrie nur immer: Wenn er wieder aufkäme, solle es dem Hunde von Gärtner dafür übel ergehen! Mit seinem Seitengewehr wolle er ihn in tausend Kochstückchen zerhacken!
Mein Gärtner ließ sich das fein gesagt sein, nahm die Blutpritsche, schleuderte sie weit weg, und hast du nicht gesehen? wieder von neuem auf den Kriegsknecht losgepaukt!
Dieser, über und über zerschlagen, braun und blau und blutrünstig, wußte sein Leben nicht mehr anders zu retten, als daß er sich tot stellte. Darauf sprang der Gärtner auf, holte sich das Seitengewehr, schwang sich auf mich und jagte spornstreichs in die Stadt. Seinen Garten ließ er Garten sein! und begab sich lieber zu einem seiner Freunde, erzählte demselben sein Abenteuer und bat, ihm in der Gefahr beizustehen und ihn samt seinem Esel auf ein paar Tage zu verbergen, damit er der Todesstrafe entginge. Aus alter Freundschaft schlug dieser ihm seine Bitte nicht ab, sondern nahm uns willfährig auf. Mir banden sie die Füße und schleppten mich die Treppe hinauf in ein oberes Kämmerchen; der Gärtner aber kroch unten in einen Kasten, der einen Deckel hatte, welcher zugemacht wurde. Und so hielten wir uns verborgen.
Mittlerweile war, wie ich nachher erfahren, der Soldat wieder aufgestanden und hatte sich, von allen empfangenen Schlägen taumelnd, als ob er betrunken wäre, und morsch und lendenlahm, an seinem Stocke mit Mühe und Not nach der Stadt geschleppt. Allein, da er sich schämte, von seiner Impertinenz und Bärenhäuterei irgend jemand von den Stadtleuten etwas merken zu lassen, verbiß er so lange stillschweigends die erlittene Schmach und Beleidigung, bis er sich einigen von seinen Kameraden anvertrauen konnte. Diese rieten ihm, weil er außer der Schande über den ihm angetanen Schimpf auch noch die Regimentsstrafe wegen des eingebüßten Seitengewehrs zu fürchten hätte, so solle er sich nur im Quartiere verstecken; sie wollten sich derweilen alle erdenkliche Mühe geben, uns nach den angegebenen Abzeichen ausfindig zu machen, um ihn zu rächen.
Leider! Hielten sie Wort. Ein hundsföttischer Nachbar verriet unsere Herberge. Gleich gingen die Schurken zum Magistrat und gaben vor: »Auf dem Marsche sei ein silbernes Gefäß von großem Werte ihrem Hauptmann verlorengegangen, ein gewisser Gärtner habe es gefunden, wolle es aber nicht wieder herausgeben, sondern verberge es bei einem seiner Freunde.«
Der Magistrat hatte kaum den Verlust und den Namen des Hauptmanns vernommen, als er in höchst eigener Person vor unsrer Tür war und unserm Wirte mit lauter Stimme anbefahl: Unverzüglich uns herauszugeben, man wisse zuverlässig, daß wir in seinem Hause geborgen wären; wo nicht, so würde man ihn für straffällig ansehen.
Doch unser Wirt, dem es ernst war, seinen in Schutz genommenen Freund zu retten, ließ sich nicht ins Bockshorn jagen, sondern verleugnete uns keck.
Es wären schon verschiedene Tage, sagte er, daß er den Gärtner nicht mit Augen gesehen hätte.
Die Soldaten widerstritten es ihm und schwuren beim Kaiser: Bei ihm und nirgends anders sei derselbe verborgen.
Demungeachtet beharrte jener auf seiner Aussage; also beschloß der Magistrat, durch Haussuchung hinter die Wahrheit zu kommen. Pedell und andere Gerichtsdiener wurden ins Haus geschickt, mit Befehl, alle Winkel geflissentlich durchzusuchen. Diese kehrten aber nach einer Weile zurück und referierten, es sei im ganzen Hause weder der Mensch noch Esel anzutreffen.
War vorher schon gestritten worden, so ging es nunmehr auf beiden Teilen noch heftiger los.
»Es ist nicht wahr!« schrien die Soldaten, »sie haben nicht recht zugesehen! Der Spitzbube muß drinnenstecken, wir beschwören es beim Kaiser!«
»Bei allen Göttern! Er ist nicht bei mir!« gab unser Wirt zurück; »wenn er da wäre, würde ich ihn gewiß nicht verleugnen!«
Über dem lauten Gezanke ward ich neugierig, zu sehen, was es denn unten gäbe, und machten einen langen Hals und steckte die Nase zum Fenster hinaus. Unglücklicherweise mußte sich in dem Augenblick eben einer von den Soldaten umsehen und meinen Schatten in die Augen kriegen.
»Ha, was seh’ ich denn da?« rief er sogleich seinen Kameraden zu, »schaut des Esels Schatten! Guck, Esel!«
Damit sprangen flugs einige nach mir die Treppe hinauf, packten mich an und schleppten mich wie einen Gefangenen hinunter.
Nun hatte aller Streit ein Ende.
Ein jeder ging und suchte im Hause herum, ob er den Gärtner nicht auch entdecken könnte, bis man denselben endlich in seinem Kasten fand. Der arme Teufel ward sehr unsanft aus seinem Schlupfwinkel gezogen, sofort dem Magistrate überliefert und auf Leben und Tod ins Gefängnis geführt.
Jedermann wollte sich über mein possierliches Herausgucken zum Kappfenster totlachen, und »Guck, Esel!« und »Schaut des Esels Schatten!« wurden von der Zeit an als sprichwörtliche Ausrufungen gebraucht, wenn jemand sich irgendworin aus Vorwitz oder Einfalt selbst verriet.
Ich weiß nicht, was den folgenden Tag aus meinem armen Herrn, dem Gärtner, geworden sein mag; denn der Soldat, der seiner überschwenglichen Grob- und Frechheit halber so brav war ausgeprügelt worden, zog mich, ohne jemandes Widerrede, aus meinem Stalle und führe mich, wie es mir vorkam, nach seinem eigenen Quartier. Nachdem er mich allda mit seiner Bagage bepackt und recht militärisch ausgeputzt und gerüstet hatte, nämlich alle seine Waffen, wie es bei der Armee gehalten wird, über dem Gepäck oben sehr zierlich angebracht, den blitzenden Helm, den spiegelnden Schild, ja sogar auch eine baumlange Lanze, die er zwar nach der Regel nicht brauchte, sondern nur den armen Reisenden zum Schrecken führte, begab er sich mit mir auf den Marsch.
Nach einem nicht allzu mühsamen Weg durch eine Ebene gelangte wir zu einem Städtchen, wo wir in keinem Gasthof, sondern in der Wohnung eines Rittmeisters einkehrten. Der Soldat empfahl mich einem Knechte und verfügte sich hurtig zu seinem Obersten.
Ich erinnere mich, daß sich nach einigen Tagen daselbst eine höchst gottlose Geschichte zutrug, die ich hier einrücken will, damit ihr sie auch erfahrt.
Unser Hausherr hatte einen trefflich unterrichteten und, demzufolge, höchst tugendhaften und bescheidenen Sohn; möge der Himmel einem jeglichen von euch einen ähnlichen bescheren! Dieses jungen Menschen Mutter war schon längst gestorben; der Vater hatte ihm aber eine Stiefmutter gegeben, mit welcher er noch einen Sohn gezeugt, der bereits über zwölf Jahre alt war.
Es sei nun, daß diese Dame, die überhaupt im Hause mehr ihrer Schönheit als ihres Charakters wegen geachtet wurde, von Natur aus unzüchtig war, oder daß nur ihr böses Geschick sie zu der äußersten Schandtat hintrieb. Genug, sie warf ein Auge auf ihren Stiefsohn. – Mache dich nunmehr, bester Leser, nicht auf ein Lust-, sondern auf ein Trauerspiel gefaßt! Jetzt verlasse ich die Socken und gehe auf Kothurnen einher.
Anfangs, als das erste zärtliche Verlangen in das Herz der Dame einschlich und sanft ihre Wangen rötete, bekämpfte sie es zwar und unterdrückte es stillschweigend; allein als endlich der Liebe ganze Glut unbändig in ihrem Innern tobte, da verließen sie die Kräfte, und sie erlag der Gewalt der Leidenschaft.
Sie stellte sich unpäßlich und verbarg die Wunde ihrer Seele unter einer vorgeblichen Krankheit ihres Leibes. Wie leicht dies sei, weiß ein jeder, da Kranke und Liebende einander nicht allein im schmachtenden Ansehen, sondern auch im übrigen Befinden vollkommen ähnlich sind. Totenbleich war ihr Gesicht; ihre Augen matt, es zitterten ihre Knie. Sie schlief äußerst unruhig und stöhnte ohne Ende.
Man glaubte, sie habe das Fieber; nur daß sie auch weine!
O der blödsinnigen Ärzte! Nicht zu merken, was ein heftig schlagender Puls, eine innere Hitze, ein schwacher Atem, ein heftiges Herumwerfen von einer Seite zur andern andeuten! Doch braucht’s, ihr guten Götter, der Arzneikunde so wenig und nur einigermaßen Bekanntschaft mit der Liebe, um das Rätsel einer sonder körperliche Hitze brennenden Kranken auf den ersten Blick zu erraten!
Auf äußerste getrieben vom Übermaße ihrer Leidenschaft, entschloß sich zuletzt die Dame, das so lange gehaltene Stillschweigen zu brechen. Sie ließ den Gegenstand ihrer Liebe, ihren Stiefsohn – ach! daß sie ihn mit keinem andern Namen benennen konnte, um nicht zu erröten! – zu sich rufen. Er kam sofort, dem Befehle seiner kranken Stiefmutter gehorsam, und mit einem männlichen Ernste trat er in das Schlafgemach der Gattin seines Vaters und der Mutter seines Bruders.
Sie, die im Augenblick zuvor so fest entschlossen war, das Geständnis ihrer Liebe zu wagen, versank mit einmal wieder in die alten Zweifel und Bedenklichkeiten. Noch einmal sträubte ihre Tugend sich. Sie hat das Herz nicht mehr, ein Wort von dem hervorzubringen, was ihr vorher zur gegenwärtigen Unterredung schicklich geschienen. Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Sie stammelt. Sie stockt.
Mit niedergeschlagenen Augen kam der Jüngling, der noch nichts Böses ahnte, ihrer Verlegenheit durch eine Erkundigung nach der Ursache ihrer gegenwärtigen Krankheit zu Hilfe.
Nun hat sie wieder Mut, die unglückliche Gelegenheit der Einsamkeit zu nutzen. Sie bedeckt sich das Gesicht mit ihrem Kleide, und unter einem Strom von Tränen spricht sie also mit zitternder Stimme:
»Wisse, die einzige Ursache und Quelle meines Leidens sowie das einzige Rettungsmittel meines Lebens und meiner Wohlfahrt bist allein du! Deine Augen sind, ach! durch die meinen in mein Herz gedrungen und haben mein innerstes Mark angezündet. Oh, erbarme dich meiner, die um dich stirbt, und verbanne die Furcht vor deinem Vater; erhältst du ihm doch seine sterbende Gattin! Ach, ich liebe dich bloß, weil du sein wahres Ebenbild bist; und ich liebe dich mit Recht! Nutze nur Zeit und Gelegenheit und sei außer Sorge! Wir sind allein; ungewußt und ungetan.«
Bestürzt über diese unerwartete Zumutung stutzt der Jüngling. Der bloße Gedanke, sich so sträflich an seinem Vater zu vergehen, machte ihn im Herzen schaudern; dennoch faßte er sich, und um durch unzeitige Strenge seine Stiefmutter nicht aufzubringen, suchte er lieber durch leere Versprechungen sie zu täuschen. Er beschwor sie, sich nur vor der Hand zu beruhigen und für ihre Gesundheit und Wiederherstellung Sorge zu tragen, bis durch irgendeine Reise sein Vater ihnen freiere Gelegenheit gäbe, ihren beiderseitigen Wünschen zu vergnügen. Und schüchtern floh er der Verführerin aus den Augen.
Um sich bei diesem unglücklichen Vorfall desto besser zu beraten, verfügte er sich sogleich zu seinem alten vormaligen Hofmeister, einem Manne von bewährter Klugheit und Rechtschaffenheit. Nach langer Überlegung schien ihnen nichts heilsamer, als durch eine schnelle Flucht dem Ungewitter zu entgehen, welches das zürnende Glück zusammenzöge.
Die Dame liebte indessen viel zu heftig, als daß sie den mindesten Verzug hätte leiden können! Nur allzubald hatte sie durch irgendeine unbegreifliche List ihren Gemahl dazu bewogen, nach seinen entlegensten Gütern eine Reise zu unternehmen, und kaum daß er fort war, so überließ sie sich dem Taumel ihrer üppigen Hoffnung und forderte vom Jünglinge die Erfüllung seines Versprechens.
Unter bald diesem, bald jenem Vorwande wußte der Jüngling ihr eine Zeitlang auszuweichen. Sie merkte aber endlich aus seinen mannigfaltigen Antworten nur gar zu deutlich, wo er hinauswollte. Und dies merken und ihre abscheuliche Liebe in einen noch weit abscheulicheren Haß verwandeln, war eins.
Sie macht einen Sklaven, der ihr von Hause war mitgegeben worden, einen erzverruchten Bösewicht, zu ihrem Vertrauten und geht mit demselben über ihre gottlosen Absichten zu Rate. Nichts schien ihnen besser, als den armen jungen Menschen aus dem Wege zu räumen. Gleich also ging der Gaudieb, holte das geschwindeste Gift, mischte es mit Wein und hielt es zu dessen Hinrichtung bereit. Allein, während sie noch zusammen über die Art und Weise beratschlagen, wie es dem armen Unschuldigen beizubringen sei, kommt der jüngere Bruder desselben, der Dame leiblicher Sohn, nach den Frühstunden aus der Schule heim. Es dürstete ihn, weil er eben gegessen hatte. Er sieht den Wein, läßt sich ja nicht einfallen, daß Gift darein gemischt sei, und trinkt ihn rein aus.
Kaum hatte er den seinem Bruder bereiteten Trank hinunter, so sank er bewußtlos zur Erde. Erschreckt durch einen so plötzlichen Tod, erhob der Hofmeister ein so jämmerliches Geschrei, daß Mutter und Gesinde hinzuliefen. Es war klar, daß der Wein vergiftet gewesen, doch niemand wußte, wem die Schuld davon beizumessen. Einer hatte den andern in Verdacht. Das grausame Weib verriet sich nicht. Ja, als ein echtes Muster stiefmütterlicher Bosheit ließ sie sich nicht vom herben Tode ihres rechten Sohnes, nicht vom Bewußtsein eines Meuchelmordes, nicht vom Unglücke ihres Hauses, nicht von dem Schmerze rühren, welchen der Verlust seines Kindes dem Vater verursachen mußte; sondern einzig darauf bedacht, aus diesem unglücklichen Zufall für die Rache Vorteil zu ziehen, schickte sie hurtig einen Läufer an ihren Gemahl ab, der ihm die Botschaft von der Ermordung seines Sohnes hinterbringen mußte. Und als der unglückliche Vater auf diese traurige Nachricht in aller Geschwindigkeit nach Hause zurückkehrt, klagt sie mit teuflischer Ruchlosigkeit ihren Stiefsohn bei demselben an: Mit seinem Gifte sei ihr Sohn vergeben worden.
In der Tat war dies keine Lüge, da der Knabe an dem Gifte gestorben, das eigentlich dem Bruder zugedacht gewesen; doch nicht also wollte sie es verstanden wissen. Ihr Stiefsohn hatte ihr an ihrer sträflichen Begierde nicht zu Willen sein, hatte an seinem Vater nicht zum Blutschänder werden wollen. Für einen Brudermörder sollte er also angesehen werden! Und hiermit noch nicht zufrieden, setzte sie hinzu: Sie selbst drohe er mit seinem Schwerte zu durchbohren, wo sie nicht verschwiege, was er ihr Schändliches zugemutet.
Dem armen Rittmeister brach das Herz vor Gram über den Verlust seiner beiden Söhne; denn beider sah er sich schon im Geiste verlustig; der jüngste lag auf der Bahre, und der älteste, Brudermords und Blutschande schuldig, hatte nur allzu gewiß sein Leben verwirkt.
Doch die verstellten Klagen seiner leider! zu zärtlich geliebten Gemahlin besiegten bald in ihm das Vaterherz und flammten ihn so sehr mit dem äußersten Haß gegen sein eigen Blut an, daß, sobald nur die Leichenbestattung seines Jüngsten vollbracht war, er, das Gesicht von noch frischen Tränen beströmt, das graue Haar von Asche beschmutzt, geraden Weges nach dem Gerichtsplatz hinlief und, unbewußt des entsetzlichen Betruges seiner Frau, mit Tränen, mit fußfälligen Bitten, kurz, mit dem heftigsten Affekt die Richter um Rache gegen seinen einzigen Sohn anflehte, indem er mit der innigsten Wehmut denselben öffentlich anklagte: Er habe das Bett seines Vaters mit Blutschande befleckt, Meuchelmord an seinem Bruder verübt und seiner Stiefmutter den Tod angedroht!
Der Anblick des jammernden Greises erregte bei Rat und Volk so viel Mitleid, daß man aus Unwillen gegen den Angeklagten alle Form rechtens als langweilig und überflüssig verwarf und, ohne die nötigen Beweise des Klägers, noch die förmliche Verteidigung des Beklagten anzuhören, einhellig schrie: »Zu Tode gesteinigt das Unkind! Zu Tode gesteinigt den Auswurf der Natur!«
Indessen der Oberrichter, der nicht ohne Grund befürchtete, es möchte endlich aus diesem in seinem Anfange unbedeutenden Unwillen ein Unfug entstehen, der sowohl für ihn selbst als für die bürgerliche Ordnung und für die ganze Stadt verderblich werden könnte, widersetzte sich laut diesem raschen Ausspruche. Er erhob sich und ersuchte seine Herren Kollegen höflichst, während er den Bürgern ernstlich gebot, die Sache nach der Väter Weise zur gerichtlichen Erörterung gedeihen zu lassen. Es geziemte sich keineswegs, einen Ausspruch zu tun, bevor nicht die Gründe und Gegengründe beider Parteien kaltblütig geprüft wären. Er würde nimmermehr zugeben, daß jemand bei ihnen wie bei wilden barbarischen Nationen oder bei tyrannischen Selbstherrschern unverhörter Sache verurteilt und der Welt mitten im Frieden ein so abscheuliches Beispiel von Ungerechtigkeit gegeben würde!
Diese kluge Vorstellung war nicht fruchtlos. Augenblicklich erhielt der Herold Befehl, auszurufen: »Die erwählten Väter sollen zu Rate sitzen!«
Sobald ein jeglicher nach seinem Range Platz genommen, trat abermals auf des Herolds Ruf der vorige Ankläger auf. Auch der Beklagte ward vorgeladen und eingeführt, und wie im Marsgerichte zu Athen[74] ward den Sachverwaltern angedeutet, sonder Einleitung in die Reden und ohne Erregung der Leidenschaften zu sprechen!
Daß sich dies alles so zugetragen, weiß ich aus verschiedenen Gesprächen, die ich mit anzuhören Gelegenheit hatte. Mit welchen Worten aber der Ankläger seine Klage vorgebracht und wie der Beklagte sich dagegen verteidigt, ferner ihre gegenseitigen Repliken, Dupliken, Tripliken weiß ich nicht, da ich nicht selbst dabei zugegen gewesen, sondern daheim an meiner Krippe blieb, und was ich nicht weiß, kann ich euch auch nicht erzählen. Doch was ich sonst erfahren, will ich treulich hier niederschreiben.
Nachdem der Wortwechsel beider Parteien ein Ende genommen, tat der Rat folgenden Spruch: »Die Wahrheit so schwerer Beschuldigungen sei durch gründliche Beweise an den Tag zu legen, Verdacht und Mutmaßung allein seien nicht hinlänglich. Der Kläger müsse notwendig den Sklaven stellen, der ganz allein um die Sache wissen solle.«
Es geschah.
Allein dieser Schurke, den weder der ungewisse Ausgang dieses großen Gerichts noch der Anblick der hochansehnlichen Ratsversammlung oder sein böses Gewissen aus der Fassung zu bringen vermochten, erzählte lauter selbsterdichtete Lügen her, die er für die wirkliche Wahrheit ausgab. Er sagte aus:
Der Jüngling habe aus Unwillen, daß er bei der Stiefmutter kein Gehör gefunden, ihn zu sich gerufen, habe, um an denselben sich zu rächen, ihm aufgetragen, ihren Sohn umzubringen, habe ihm eine große Belohnung für seine Verschwiegenheit versprochen, habe auf seine Weigerung ihn zu erstechen gedroht, habe ihm eigenhändig zubereitetes Gift gegeben, um es seinem Bruder beizubringen; habe aber endlich aus Verdacht, als zaudere er nur mit der Vergiftung, um ihn zu verraten, dem Kinde den Giftbecher mit eigner Hand gereicht.
Nach dieser mit aller Wahrscheinlichkeit ausgeschmückten und mit verstellter Furcht vorgebrachten Aussage des Bösewichts schritt man zum Rechtsspruch.
Keiner der Richter blieb dem Jüngling günstig genug, um ihn nicht als offenbar überführt zum Säcken zu verurteilen.
Bereits sollten die Stimmtafeln, die insgesamt mit dem Zeichen der Verdammung beschrieben waren, nach uralter Sitte in die eherne Urne geworfen werden. Dies getan, wäre das Schicksal des armen Beklagten unwiderruflich entschieden gewesen, und er wäre unverzüglich den Händen des Nachrichters zur Vollziehung des Urteils überliefert worden.
Allein ein alter grauköpfiger, biederer Ratsherr, ein Arzt von anerkannter Geschicklichkeit, hielt mit der Hand die Öffnung der Urne zu, damit niemand seine Stimmtafel hineinwürfe, und sprach also zur Versammlung:
»Da Sie, meine Herren, mich in diesem hohen Alter mit Ihrer Achtung beehren, freue ich mich, daß ich so lange gelebt habe, und um so weniger kann ich jetzt zugeben, daß an diesem fälschlich beschuldigten Jüngling ein offenbarer Meuchelmord begangen werde, noch daß Sie, von einem nichtswürdigen Sklaven belogen, wider Eid und Pflicht richten. Religion und Gewissen fordern von mir Gerechtigkeit. Hören Sie, wie sich die Sache eigentlich verhält!
Vor kurzem kam der Schurke da (auf den Sklaven zeigend) zu mir und bot mir hundert Goldstücke, wenn ich ihm das allerschleunigst wirkende Gift verkaufen wollte; es sei für einen Kranken, der unsäglich an einem unheilbaren Übel leide und sich dadurch von der Qual des Lebens befreien wollte. Ich merkte zwar bald aus dem üblen Zusammenhang seiner Reden Unrecht; gleichwohl gab ich ihm einen Trank, doch nahm ich Rücksicht auf die darauf zu erwartenstehende Untersuchung und nahm das mir gebotene Geld nicht so schlechtweg an, sondern sagte: Da leicht eins von den Goldstücken unwichtig oder falsch sein könnte, so möchte er sie mir lieber mit seinem Petschierringe in dem Beutel versiegeln; morgen wollten wir sie zusammen in Gegenwart eines Wechslers untersuchen. Er tat’s, und er ist gefangen! Sobald dieser (auf den Jüngling zeigend) vor Gericht gefordert wurde, schickte ich gleich in aller Geschwindigkeit jemand von meinen Leuten nach diesem Gelde. Hier ist’s, ich zeige es öffentlich vor! Lassen Sie’s ihn besichtigen, meine Herren, ob er es nicht am Siegel für das seinige erkennen wird? Und dann frage ich: Hat dieser Kerl das Gift von mir gekauft, wie kann dann der Jüngling des Brudermords bezichtigt werden?
Damit ergriff den Bösewicht ein mächtiges Zittern und Beben; an die Stelle seiner lebhaften Gesichtsfarbe trat schreckliche Totenblässe, und ein kalter Schweiß floß ihm über alle Glieder. Nicht einen Augenblick stand er stille vor Unruhe; bald kratzte er sich hier, bald da am Kopfe. Er murmelte unverständliche Worte zwischen den Zähnen daher oder schwatzte lauter dummes Zeug. Alle Welt erkannte ihn sofort für schuldig.
Es währte jedoch nicht lange, so hatte sich der Ruchlose wieder ermannt; er leugnete alles und hieß den Arzt mit der größten Hartnäckigkeit lügen.
Der alte, ehrliche Arzt, den Eid und Pflicht zur Gerechtigkeit verbanden und der so öffentlich seine Rechtschaffenheit in Zweifel ziehen sah, wendete alle ersinnliche Mühe an, den verstockten Bösewicht zu widerlegen. Umsonst!
Endlich bemächtigten sich auf des Rats Befehl die Gerichtsdiener des Schelmes Händen und fanden ein eisernes Petschaft, das mit dem Siegel des Beutels zusammengehalten wurde. Beider vollkommene Übereinkunft bestärkte den vorgefaßten Verdacht.
Nun ließ man, wie es der Gebrauch bei den Griechen ist, Folterrad und Folterbank hereinbringen und tat, als solle der Missetäter darauf gespannt werden; doch es rührte ihn nicht! Er blieb standhaft. Ja, mit Feuer und Geißel setzte man ihm zu: aber auch das vergebens! Er gestand kein Wort.
»Ich werde nimmermehr dulden«, sprach darauf der Arzt, »wahrlich! ich werde nicht dulden, daß die Unschuld wider Recht und Gerechtigkeit den Tod erleide, während zugleich dieser Bösewicht, unseres Urteils spottend, seiner wohlverdienten Strafe entrinne! Sehen Sie hier, meine Herren, ein neues, untrügliches Kennzeichen der Wahrheit meiner Aussage!
Als der gottlose Schurke da zu mir kam, das heftige Gift zu kaufen, so glaubt’ ich, es gezieme sich nicht für mich und meinesgleichen, irgend jemand etwas zu geben, das ihn töten könne, da die Medizin dem Menschen das Leben zu erhalten erfunden ist, nicht aber, es ihm zu rauben. Ich fürchtete indessen auch, wenn ich ihm sein Begehr geradezu abschlüge, so möchte ich durch diese unzeitige Weigerung nur desto mehr zur Vollbringung seiner vorhabenden Schandtat beitragen, indem er unfehlbar entweder anderwärts tödliches Gift kaufen oder auch wohl mit einem Dolche oder anderer Waffe seinen bösen Anschlag ausführen würde. Also gab ich ihm nicht Gift, sondern nur Alraun, das, wie bekannt, einen plötzlichen, todähnlichen Schlaf bewirkt. Er weiß das nicht, der Bösewicht. Im Wahne nun, daß er sich wirklich des Todes schuldig gemacht, nimmt er lieber mit der Folter fürlieb, als daß er bekennen sollte. Indessen, hat das Kind den von meinen Händen zubereiteten Trank bekommen, so ist es nicht tot! Es ruht nur, es schläft! Rüttelt es; der schwere Schlummer wird sogleich verfliegen, und es wird wieder zum Tageslichte hervorgehen. Falls es aber nicht wieder erwacht, falls es jenen ewigen Totenschlaf schläft, so hat es mit der Ursache seines Todes eine andere Bewandtnis. Untersuchen Sie!«
Die Rede des alten Graukopfs erhielt Beifall. Man ging sofort in großer Eile zum Grabmale, wo der Körper des Kindes war beigesetzt worden. Kein einziger von den Ratsherren, kein Vornehmer, kein Geringer blieb zurück. Die Neugier trieb sie alle dahin.
Mit eigenen Händen hob der Rittmeister selbst die Decke des Sarges ab. Sowie er das Kind rüttelte, siehe, so ermunterte es sich aus dem Schlafe und stand vom vermeintlichen Tode wieder auf. Entzückt fiel ihm der Vater um den Hals, zeige seinen wiedererhaltenen Sohn mit lallender Freude dem Volke und trug ihn, eingehüllt in Leichentüchern, wie er war, auf seinen Armen vor Gericht.
Die Schandtat des ruchlosen Sklaven und der noch ruchloseren Stiefmutter wurde nunmehr entdeckt, und die nackte Wahrheit kam an den Tag. Das Weibsbild wurde auf ewig ins Elend verwiesen, der Sklave aufgehängt; dem biedern Arzt aber wurde mit allgemeiner Übereinstimmung der mit Gold angefüllte Beutel für den so sehr zur gelegenen Zeit angebrachten Schlaftrunk zugestanden.
Also endigte sich, zu nicht geringer Verherrlichung der göttlichen Vorsicht, dies so verworrene tragische Begebenheit des alten Rittmeisters, der sich in so kurzer Zeit völlig kinderlos und wiederum als Vater zweier Söhne sah.
Was mich betrifft, mit mir spielte das Schicksal ferner also:
Der Soldat, der mich so billig an sich gebracht hatte, mußte, aus schuldigem Gehorsam gegen die Order seines Obersten, einen Brief an den allergroßmächtigsten Kaiser nach Rom bringen, und für elf Denare verhandelte er mich nebenan an zwei Brüder, die beide einem reichen Herrn dienten, der eine als Brot-, Zucker-, und Pastetenbäcker, der andere als Leib-, Mund- und Magenkoch. Sie wohnten und wirtschafteten selbander auf einem Zimmer und kauften mich zum Tragen der Gerätschaften, welche sie auf der Reise ihres Herrn durch verschiedene Länder nötig hatten.
Nie ist mir das Glück holder gewesen, als da ich der Stubengesell dieser zwei Brüder war. Abends, wann ihr Herr abgespeist hatte, brachten sie gewöhnlich ein Menge delikater Schüsseln von der reichlich besetzen Tafel in ihre Zelle getragen. Der eine Überbleibsel von Schweinefleisch, von jungen Hühnern, von Fischen und dergleichen Leckerbissen mehr, der andere Brot, Gebackenes, Pasteten, Torten, Konfekt die Fülle. Darauf gingen sie ins Bad, um sich zu erquicken, und schlossen mich bei all den Näschereien ein, von denen ich’s mir denn gar vortrefflich schmecken ließ. Denn so dumm und ein so wahrer Esel war ich nicht, daß ich des Himmels liebliche Gaben hätte verschmähen und an das spröde Heu mich hätte halten sollen!
Lange ging mir mein verstohlenes Handwerk glücklich vonstatten, weil ich’s mit Vorsicht und Bescheidenheit trieb. Ich begnügte mich von dem ansehnlichen Vorrate allemal mit wenigen, und meinen Herren fiel es gar nicht ein, daß sie Mißtrauen in mich zu setzen hätten.
Allein als ich mehr und mehr Vertrauen gewann, unentdeckt zu bleiben, und immer das Wohlschmeckendste wegnaschte und das Schlechtere liegenließ, da wurden meine Brüder aufmerksam. Zwar von mir ließ sich noch keiner von ihnen so was träumen; doch paßten sie scharf auf, wer sie alltäglich so bestehlen möchte. Ja, sie beargwöhnten sich sogar untereinander selbst, und jedweder bemerkte, überzählte und bezeichnete seinen Teil auf das allergenaueste.
Endlich verlor der eine die Geduld: »Ist’s wohl billig? ist’s wohl zu verantworten«, sprach er zu seinem Bruder, »daß du mir täglich erst das beste von meinem Anteile wegstiehlst, es verkaufst und das Geld für dich heimlich zurücklegst und dann noch mit mir in gleiche Teile gehen willst? Höre! Steht’s dir nicht mehr an, in Kompanie mit mir zu bleiben? Gut! Wir können ja in allem übrigen Brüder sein und haben nur die Gemeinschaft unter uns aufgehoben, denn das sehe ich wohl ein, wenn nicht bald den Klagen über die Verteilung unter uns abgeholfen wird, so nimmt unsere Freundschaft noch ein Ende mit Schrecken.«
»Nun, das ist wahr«, entgegnete der andere, »das nenne ich mir eine edle Unverschämtheit! Du bemaust mir Tag vor Tag meine Portion, und während ich in der Stille darüber seufze und meinen Bruder nicht eines niederträchtigen Diebstahls beschuldigen will, kommst du mir auch noch in der Beschwerde zuvor! Aber gut, daß wir darüber einmal miteinander sprechen, so kann allem Übel noch vorgebeugt werden, damit der heimliche Groll nicht endlich noch eine Feindschaft unter uns anrichtet, wie zwischen Eteokles und Polynikes[75].«
Nachdem die Brüder sich lange umhergezankt, sich untereinander die bittersten Vorwürfe gemacht, sich beiderseits hoch und teuer zugeschworen hatten, daß sie von allem Betrug und Diebstahle rein wären, so kamen sie friedlich überein, alle mögliche List anzuwenden, ihren gemeinschaftlichen Dieb ausfindig zu machen. Sie konnten durchaus nicht begreifen, wo immer just das Delikateste von ihren Gerichten hinkäme. Unmöglich könne doch der Esel von solcherlei Speisen versucht werden, und so große Fliegen, wie vormals die Harpyien[76] waren, welche dem Phineus die Mahlzeit wegfraßen, kämen doch auch nicht zu den Fenstern herein!
Inzwischen, die herrliche Tafel, die ganz menschliche Kost, in der ich so täglich schwelgte, schlug bei mir gar zu gut an. In kurzer Zeit war ich speckfett. Weich und sanft war meine Haut anzufühlen, und mein Haar glänzte wie ein Spiegel.
Über diese Schönheitsblüte merkten meine Herren Unrat, zumal sie auch gewahr wurden, daß ich das Heu immer unberührt liegenließ. Sie paßten mir auf. Um die gewöhnliche Zeit schlossen sie die Tür ab, als ob sie nach dem Bade gingen, belauerten mich aber draußen. Durch eine Ritze sahen sie denn bald, wie ich nach Appetit jetzt von diesem, jetzt von jenem hingesetzen Gerichte naschte.
Sie hatten solch ein Wunder über diese sonderbare Leckerhaftigkeit eines Esels, daß sie den Schaden vergaßen, der ihnen dadurch zugefügt wurde, und vor Lachen bersten wollten. Sie riefen noch andere von ihren Kameraden herbei und zeigten denen auch, was sie für ein geschmackvolles Langohr besäßen. Da war ein Gelächter. Endlich kam noch der Herr dazu und fragte, was es denn so zu lachen gebe. Man sagte ihm die Ursache. Er trat an die Spalte, guckte durch, und sah all sein Freude an mir. Er lachte, daß ihm der Leib weh tat und daß er gar nicht mehr konnte. Endlich ließ er die Tür aufmachen und kam herein und sah mir in der Nähe zu. Denn da ich merkte, daß die Sache eine so lustige Wendung genommen, und es mir schein, als ob das Glück mich anlächle, so schöpfte ich Mut aus der Freude der Anwesenden und ließ mich im mindesten nicht stören, sondern fraß ganz sorglos fort, bis der Hausherr, über die Neuheit des Schauspiels erfreut, mich in seinen Speisesaal führen ließ, oder vielmehr selbst mit eigenen hohen Händen hineinführte und Befehl gab, für mich die Tafel zu decken und ordentlich, wie es sich gehört, anzurichten.
Ich hatte mich zwar schon ganz artig vollgestopft, jedoch, um mich bei dem Herrn beliebter und angenehmer zu machen, verzehrte ich alles, was mir vorgesetzt wurde, mit großem Appetit. Noch dazu waren es allerhand stark gewürzte Gerichte, die sonst wohl einem Esel widerstehen möchten, die man aber recht vorsätzlich, um mich desto besser auf die Probe zu stellen, gewählt hatte: Ragouts mit Assaf, tüchtig gepfefferte Frikassees, Fische mit einer ausländischen Brühe, kurz, lauter Hochgeschmack. Der Saal erscholl während meines Geschmauses von hellem Gelächter.
»Oh!« schrie endlich ein Spaßvogel, der zugegen war, »gebt doch dem Burschen auch ein wenig Wein! Er wird dursten!«
»Wohlgesprochen, Schelm!« sprach der Herr, der das Wort auffing, »leicht könnte der Kauz auch wohl mit einem Gläschen Met fürliebnehmen. He! Junge, spüle gleich da den großen silbernen Pokal aus und reich denselben voller Met unserm Schmäcksbrädel hin! Sagt ihm zugleich, ich brächt’s ihm zu.«
Alle Anwesenden standen voller Erwartung. Ich meinesteils, ich sah nicht ab, warum ich hätte den Schüchternen spielen sollen. Fröhlichen Muts spitzte ich aufs possierlichste meine Lippen und schlürfte den ganzen Pokal auf einen Zug hinunter. Einstimmig schrie alles miteinander: »Wohl bekomm’s! Wohl bekomm’s!«
Kurz, ich gewährte dem Herrn so viel Kurzweil, daß er auf der Stelle meine Eigentümer hereinkommen ließ und ihnen für mich viermal soviel bezahlte, als ich ihnen gekostet hatte.
Er tat mich, nicht ohne die angelegentlichste Empfehlung, zu einem Freigelassenen, der bei ihm sehr in Gunst stand und ziemlich begütert war. Dieser hielt mich ziemlich menschlich und artig, und, um sich noch beliebter bei seinem Patrone zu machen, war er auch beflissen, zu allerhand Gaukeleien mich abzurichten, die denselben belustigen könnten.
Er lehrte mich nicht allein, wie die Menschen auf dem Ellbogen bei Tische liegen, sondern auch ringen und mit aufgehobenen Vorderfüßen tanzen. Ja, was das Allerpossierlichste und Wunderbarste schien, er lehrte mich sogar, ihn aufs Wort zu verstehen und durch Winke antworten. Verlangte ich etwas, so nickte ich mit dem Kopfe, schlug ich etwas aus, so schüttelte ich. Durstete ich und wollte zu trinken haben, so sah ich mich nach dem Mundschenk um und blinkte demselben mit einem Auge ums andere zu.
Ich stellte mich um so gelehriger an, da ich auch ohne Anweisung alle die Faxen machen konnte, nur damit zurückhalten mußte, weil zu fürchten stand, daß, wenn ich mich so ohne Lehrmeister als Mensch gebärdete, man mich als ein Wunder- und Unglückstier schlachten und den Geiern des Himmels zum Fraße überlassen möchte.
In kurzem verbreitete sich das Gerücht von meinen Wunderkünsten so sehr unter die Leute, daß mein Herr sich nur sehen lassen durfte, so hieß es: »Seht, seht! Das ist der, der den neckischen Esel hat, welcher wie ein Mensch speist und ringt und tanzt, und Schnaken macht und alles versteht, was man ihm sagt, auch durch Winke sich wieder verständlich machen kann!«
Doch ich muß euch wohl erst sagen (was ich allerdings gleich zu Anfang hätte sagen sollen), wer und woher mein Herr war.
Thyasus (also nannte er sich) war aus Korinth, der Hauptstadt von ganz Achaia, gebürtig. Seiner Geburt und seinem Stande gemäß hatte er sich von einer Ehrenstufe zur andern, bis nun endlich zum fünfjährigen Oberrichteramt, wozu er eben ernannt worden war, emporgeschwungen. Um diese hohe Würde mit allem erforderlichen Pompe anzutreten und den ganzen Umfang seiner Freigebigkeit sehen zu lassen, hatte er sich zu Kampfspielen, die drei Tage dauern sollten, anheischig gemacht, und weil er wünschte, bei dem Volke Ehre einzulegen, so war er selbst bis nach Thessalien gereist, um die edelsten wilden Tiere und die berühmtesten Fechter aufzukaufen. Bereits war seine Absicht erreicht und alles nach Wunsch angeschafft, und er eilte wieder nach Hause. So viele schöne Wagen, Kutschen und Kaleschen er auch mit sich hatte, so fuhr er dennoch auf der Reise in keiner einzigen; sie mußten alle nebst den Sänften, nebst den stolzen thessalischen Zeltern, nebst den köstlichen gallischen Zuchthengsten ledig hinten nachfolgen. Vorauf paradierte er auf mir, der ich auf das stattlichste mit goldenem Geschirr, prächtigem Sattel, purpurner Schabracke, gesticktem Gurte und hellklingenden Schellen herausstaffiert war. Er koste im Reiten oftmals sehr liebreich mit mir und versicherte mir unter anderem, daß es ihm eine unsägliche Freude sei, so in mir zu gleicher Zeit einen Gesellschafter und Träger gefunden zu haben.
Als wir nun unsere Reise teils zu Lande, teils zur See zurückgelegt hatten und zu Korinth ankamen, so strömte das Volk allenthalben haufenweise zusammen; nicht sowohl, wie’s mir vorkam, um dem Thyasus Ehre zu erweisen, als aus Begierde, mich zu sehen. So sehr war der Ruf von meiner Geschicklichkeit vor uns hergegangen!
Das machte sich der anschlägige Freigelassene, mein Verpfleger, zunutze; er merkte nicht so bald, daß die Leute so großes Verlangen nach meinen Künsten trügen, als er mich unter dem Schlosse hielt und mich niemand anders als für Geld sehen ließ. Das brachte ihm täglich keine Kleinigkeit ein.
Unter den vielen Leuten, die sich die Neugier, mich zu sehen, was kosten ließen, befand sich auch eine reiche, vornehme Dame. Diese belustigte sich so sehr an meiner Drolligkeit und meinen mannigfaltigen Gaukeleien, daß sie sich gar zuletzt, nachdem sie mich lange aufs lebhafteste bewundert hatte, sterblich in mich verliebte. Sie verschmähte jedes andere Mittel, sich von dieser unsinnigen Leidenschaft zu heilen, und strebte nur wie eine andere Pasiphae[77] nach meinem Genusse. Kurzum, sie bot meinem Wächter eine große Summe Geldes für eine einzige Nacht von mir. Leider fand sie in der eigennützigen Denkart desselben keinen Widerstand! Ohne Bedenken gestand ich der Nichtswürdige ihr Begehren zu, und abends, als wir von der Tafel unseres Herrn zurückkamen, fanden wir vor der Kammertüre die Dame schon unserer warten.
Alle Welt! Was wurde da für Anstalten gemacht! Vier Verschnittene bereiteten flugs auf der Erde ein weiches Lager. Über große, von leichtem Flaum hochgeblähte Pfühle deckten sie ein mit Gold und tyrischem Purpur gesticktes Laken und legten Kissen von allerhand Größe darauf, womit das zärtliche Frauenzimmer teils die Wangen, teils den Nacken zu unterstützen pflegte. Dies getan, und das ganze Zimmer mit schimmernden Wachskerzen so hell wie bei Tage erleuchtet, verzögerten sie nun nicht länger die Wollust ihrer Gebieterin und begaben sich hinweg.
Nun entkleidete sich die Dame ganz und gar, legte auch die Binde ab, somit sie ihren schönen Busen eingeschnürt hatte, trat an das Licht und salbte sich aus einem zinnernen Gefäß sich und mich reichlich mit Balsam; vorzüglich aber badete sie damit meine Schenkel und Lenden samt den Werkzeugen der Wollust, welche sie vorher mit chiischem Rosenwasser gereinigt. Priapus[78], sofort durch ihre niedlichen Hände herbeigezaubert, winkte ihr gefällig mit starrem, erhobenem Zepter. Sobald sie die günstige Gegenwart des Gottes vernommen, umhalste sie mich aufs zärtlichste und küßte mich; aber nicht, wie in liederlichen Häusern feile Dirnen ihre kampflustigen Buhler zu küssen pflegen, sondern mit dem wärmsten, innigsten Gefühle der Seele. Sie liebkoste mich mit all den süßen Worten der Liebe, womit die Weiber ihre Zuneigung an den Tag legen, um die unsrige zu erwecken.
»Dich liebe ich!« rief sie, »nach dir sehnt mein Herz sich! Du, mein Einziger! Mein Auserwählter! Ohne dich kann ich nicht leben!« und so dergleichen.
Endlich faßte sie mich bei der Halfter und zog mich zu sich auf das Bette nieder. Ich machte ihr keine sonderliche Mühe; denn Behendigkeit hatte ich gelernt, und meine Begierde, nach so langer Zeit einmal wieder bei einem hübschen Weibe zu schlafen, war ganz rege, um so mehr, da ich mir vorher in gutem Weine gütlich getan und der wohlriechende Balsam meinen Kitzel auf äußerste gereizt hatte.
Angst und bange war ich aber dennoch, wie bei so langen Stakbeinen den Thron der Liebe zu besteigen? Wie so sanfte, zarte, glänzende, von lauter Milch und Honig geknetete Glieder mit eisernen Hufen zu umfassen? Wie so kleine ambrosiaduftende Purpurlippen küssen? Und wie endlich, möchte die Dame auch vor Lust bis in die äußersten Fingerspitzen glühen, ein so übergroßes Opfergefäß in das enge Heiligtum der Wollust hineinzubringen sei?
»Wehe dir«, dachte ich bei mir selbst, »wo du eine so vornehme Dame sprengst! Dann kannst du dich nur gefaßt machen, bei deines Herrn Kampfspielen mit zu fungieren und den reißenden Tieren vorgeworfen zu werden!«
Unterdessen verdoppelte die Dame ihre Liebkosungen, herzte, küßte mich und girrte und verdrehte im Taumel stechender Begierden die Augen. Zuletzt rief sie: »Ha, nun hab’ ich dich! Hab’ ich dich, mein Täubchen! Mein Vögelchen!« Und mit den Worten zeigte sie, daß alle meine Besorgnis und Furcht töricht und überflüssig war; denn sie umschlang mich und nahm mich ganz, ganz sage ich, auf!
So oft ich, ihrer schonend, mein Hinterteil zurückzog, so oft flog sie elastisch in jähem Schwung mir nach, und, je fester und fester mit ihren Armen mein Rückgrat umfassend, schloß, drückte, preßte, schmiegte sie sich brünstiger an mich an, so daß ich, beim Herkules! gar glaubte, es mangle mir noch etwas zur Befriedigung ihrer Üppigkeit, und im Ernst auf den Argwohn geriet: die Mutter des Minotaurs müsse sich wohl nicht ohne Grund lieber einen brüllenden Liebhaber zur Kurzweil erkoren haben.
Nachdem die Dame auf die Art die Nacht mit mir sehr geschäftig und des Schlafes uneingedenk hingebracht hatte, dingte sie von meinem Wärter für denselben Preis die folgende wieder und begab sich, um von niemand gesehen zu werden, noch vor Tage hinweg. Der Freigelassene vergönnte ihr um so williger, sich abermals nach ihrem Gefallen mit mir zu belustigen, weil er, ungerechnet, daß er reichlich dafür bezahlt wurde, auch seinem Patrone das Vergnügen dieses neuen Schauspiels geben wollte.
Sobald wir die Szene aufs neue eröffnet, rief er diesen unverzüglich herbei. Thyasus machte ihm ein großes Geschenk dafür und bestimmte mich sogleich, bei seiner Lustbarkeit dieselbe Komödie öffentlich vor dem Volke zu spielen. Da aber weder meine holdselige Dame, ihres Standes wegen, noch sonst jemand anders eine Mitaktrice abgeben mochte, so mußte man für vieles Geld eine Missetäterin dazu nehmen, die vom Statthalter der Provinz verurteilt war, den wilden Tieren vorgeworfen zu werden. Wie ich hörte, war ihre Geschichte ungefähr diese:
Der Vater des Mannes, den sie gehabt, hatte vormals bei einer vorhabenden Reise seinem Weib, die er gesegneten Leibes zurückließ, befohlen, daß, wenn sie eine Tochter zur Welt brächte, sie dieselbe gleich umbringen sollte[79]. Die Frau war in der Abwesenheit desselben wirklich von einer Tochter entbunden worden; aus natürlicher mütterlicher Zärtlichkeit aber hatte sie’s nicht über ihr Herz bringen können, den Befehl des Mannes zu erfüllen, sondern hatte das Kind ihrer Nachbarschaft zum Erziehen gegeben, und als ihr Mann wieder zurückkam, sagte sie, sie habe eine Tochter geboren und sie, seinem Willen gemäß, getötet.
Das Mädchen wuchs heran. Als es nun mannbar und, ohne Wissen des Vaters, die Mutter es nicht standesgemäß aussteuern konnte, entdeckte sich dieselbe in dieser Verlegenheit ihrem Sohne; um so mehr, da sie auch zu verhüten hatte, daß Bruder und Schwester nicht, aus Jugend und Unwissenheit, zu genau miteinander bekannt würden.
Der Jüngling, von dem besten Herzen, tat, was die Pflicht gegen seine Mutter und Schwester ihm auferlegte. Er verschwieg das ihm anvertraute Geheimnis aufs heiligste, und unter dem Scheine eines allgemeinen Mitleids gegen eine arme verlassene Waise übte er die zärtlichste Bruderliebe gegen das Mädchen. Er nahm sie zu sich in sein Haus, bestimmte ihr von seinem eigenen Vermögen eine ansehnliche Mitgift, und eben wollte er sie an seinen vertrautesten Freund verheiraten, als das Glück diese so löbliche, so großmütige Absicht auf die grausamste Weise vereitelte.
Von höllischer Eifersucht war diese Missetäterin, dieses edeln Jünglings Gattin, besessen. Sie sah das Mädchen für ihre Nebenbuhlerin, für eine Beischläferin ihres Mannes an, ward derselben von Tag zu Tag gehässiger und trachtete ihr endlich mit schrecklicher Mordlust nach dem Leben. Sie ging dabei folgendermaßen zu Werke:
Sie bemächtige sich heimlich des Ringes ihres Gemahls, begab sich aufs Land und sandte von dort aus einen mit ihr einverstandenen, aber aller Treue und Redlichkeit abgeneigten Sklaven an das Mädchen. Dieser mußte sagen: Der junge Herr, der eben nach dem Landhause gekommen, schicke ihn, sie möchte ihm doch unverzüglich dahin folgen: aber allein, ohne alle Begleitung. Zum Kreditiv seiner Gesandtschaft mußte er den gestohlenen Ring produzieren.
Auf dieses Merkmal stand das Mädchen um so weniger an, dem Befehle ihres Bruders Gehorsam zu leisten. Ohne Verzug und Begleitung, wie es verlangt worden, machte sie sich auf und fing sich in der ihr in so hinterlistiger Weise gelegten Schlinge.
Das vor Eifersucht rasende Weib versicherte sich derselben sogleich, ließ sie nackend ausziehen und zerpeitschte sie halbtot. Das Mädchen schrie und beteuerte, was die Wahrheit war: nicht Beischläferin, sondern die Schwester ihres Mannes sei sie! Mit Unrecht hege man Eifersucht gegen sie. Doch anstatt die wilde Furie zu besänftigen, brachten sie diese Worte nur noch mehr auf; sie hielt sie für nichts als Unwahrheit und Arglist. Sie nahm einen glühenden Feuerbrand und fuhr damit ihrer Schwägerin zwischen die Lenden. So mußte das beste, harmloseste Mädchen des entsetzlichsten Todes sterben!
Auf die Nachricht dieses unglücklichen Vorfalls stürzten Bruder und Bräutigam in Eile herbei; aber all ihr Jammern, ihr Wehklagen rief die arme Unglückliche nicht wieder ins Leben zurück! Das einzige, was ihnen noch zu tun übrig blieb, war – sie zur Erde zu bestatten.
Der elende Tod seiner so zärtlich geliebten Schwester, und zwar durch die Hand, welche am wenigsten dazu berechtig war, war indessen mehr, als das empfindliche Herz des Bruder zu erdulden mochte. Aus der tiefsten Melancholie verfiel er bald in ein so heftig-hitziges Fieber, da er schon am äußersten Rande des Lebens stand. Dessenungeachtet ging dennoch seine Gattin, wenn anders ein Weib von solchen Gesinnungen mit einem so ehrwürdigen Namen zu benennen ist, zu einem übelberüchtigten Arzt, welcher wohl eher als einen zählen konnte, dem er durch seine tiefe Wissenschaft aus der Welt geholfen hatte. Sie bot demselben fünfzig bare Sesterzien, wenn er ihr von seinem schnell wirkenden Gifte abließe, um ihren Mann damit desto gewisser fortzuschaffen. Der Arzt wer nicht unerbittlich; er verfügte sich mit zu dem Kranken, interrogierte, observierte, meditierte, dissertierte, alles nur zum Schein, und verordnete endlich zur Bruststärkung und Abführung der Galle jenen Trank, der seiner Heilsamkeit halber bei den Arzneikundigen den Namen des heiligen Trankes führt. Als er aber dem Patienten anstatt dieses Lebenstrankes einen Sterbetrank eingeführt und ihm denselben in Gegenwart einiger Freunde und Verwandten und des Gesindes reichen wollte, da fiel ihm das Weib, das gern des Mitwissers ihrer Verbrechens überhoben sein und das versprochene Geld ersparen wollte, plötzlich in die Arme, ergriff den Becher und sprach:
»Nicht also, bester Herr Leibmedikus! Nicht einen Tropfen von dieser Medizin darf mein lieber Mann einnehmen, bevor Sie nicht selbst einen guten Teil davon ausgetrunken haben! Wer weiß, es könnte ein tödliches Gift darinnen sein! Und Sie sind ein viel zu kluger Mann, als daß Sie diese kleine Vorsicht einer Frau übelnehmen könnten, die so aus inniger Seele für das Leben ihres Mannes besorgt ist!«
Kam je etwas irgend jemandem unerwartet, so war es dem Leibarzte der verzweifelte Streich dieses gottlosen Weibes. Er stutzte gewaltig und hätte fast alle Fassung verloren; doch hier galt nicht langes Bedenken! Sollte er durch Zögern und Zagen sich verraten? Er tat frisch einige starke Züge aus dem Becher.
Nachdem er also kredenzt, nahm der Kranke den Becher und leerte ihn aus. Dies geschehen, wollte der Arzt flugs nach Hause eilen, um die Wirkung des getrunkenen Giftes durch ein starkes Gegengift zu zerstören; allein der Teufel von Weibe hielt ihn fest und setzte hartnäckig durch, was sie kühn begonnen hatte. Sie wollte ihn durchaus nicht von der Stelle lassen, bis der Trank zu wirken angefangen und dessen Heilsamkeit am Tage läge. Durch vieles Bitten und Flehen ließ sie sich aber dennoch bewegen und erlaubte ihm, fortzugehen. Unterdessen, als der Arzt seine Wohnung erreichte, hatte sich das Gift schon durch den ganzen Körper verbreitet und war bis ins innere Mark eingedrungen. Unter den größten Schmerzen und die Augen schon halb vom Todesschlafe geschlossen, konnte er kaum noch seiner Frau erzählen, was vorgefallen war, und ihr auftragen, den Lohn für den zweifachen Mord einzufordern: so erlag er unter den gewaltsamsten Verzuckungen und gab den Geist auf.
Der junge Mann blieb eben auch nicht länger am Leben; unter seines Weibes erdichteten Tränen verschied er auf die nämliche Art. Einige Tage nach seiner Beerdigung und nach den gebräuchlichen Totenopfern kam die Frau des Arztes und verlangte von seiner Witwe den bedingten Lohn für die doppelte Vergiftung. Ihrem Charakter zu allen Zeiten treu, bewies sich die Gottlose sehr höflich und bekannte sich mit vieler anscheinenden Redlichkeit zu dieser Schuld, versprach auch, sie absofort zu entrichten, ja noch goldene Berge hinzuzutun, wofern ihre Gläubigerin ihr noch ein wenig von demselben Gifte zur gänzlichen Vollbringung ihres angefangenen Vorhabens ablassen wollte. Die Frau des Arztes war leider leicht durch ihre glatten Worte und schlauen Ränke angeführt. Unverzüglich ging sie nach Hause, holte die Büchse, worin das Gift enthalten war, und überließ sie ganz dem reichen Weibe, um sich bei derselben ein desto größeres Verdienst zu erwerben.
Kaum sah sich diese so viele Macht zu schaden in Händen, als sie auf weiter nichts bedacht war, als die Anzahl ihrer Verbrechen zu vergrößern.
Sie hatte von ihrem soeben vergifteten Manne eine kleine Tochter. Unzufrieden, daß die Gesetze diesem Kinde des Vaters ganze Hinterlassenschaft zusprachen, die sie so gern selbst gehabt hätte, trachtete sie ihrer Tochter nach dem Leben; wie hätte sie sich auch als eine bessere Mutter denn Ehegattin erweisen sollen, da ihr bekannt war, daß die Mütter ihre Kinder beerben! Genug, aus dem Stegreif hatte sie stracks ein Mahl veranstaltet, wobei sie ihrer eigenen Tochter mitsamt der Frau des Arztes Gift beibrachte.
Der armen zarten Kleinen Eingeweide waren bald davon verzehrt, und sie starb auf der Stelle. Wie aber des Arztes Witwe schneidende Schmerzen ihr Inneres durchirren fühlte, so argwohnte sie gleich, was ihr geschehen. Bald, da auch der Atem ihr schwer wurde, war sie nur allzu gewiß, daß sie Gift bekommen. Sie sprang also auf und rannte geradewegs nach des Statthalters Wohnung. Ihr lautes Geschrei um Hilfe, ihr wiederholtes Rufen, daß sie die abscheulichsten Schandtaten zu entdecken habe, erregten einen großen Zusammenlauf des Volks und machten, daß sie bei dem Statthalter unmittelbar vorgelassen und angehört wurde. Sie erzählte von Anfang an die ganze Reihe Missetaten ihrer ruchlosen Giftmischerin, und eben war sie damit zu Ende, als ein Schwindel sie ergriff und ihre noch halbgeöffneten Lippen schloß. Sie knirschte mit den Zähnen, sie wand sich, sie ächzte, sie sank tot hin zu des Statthalters Füßen.
Der Statthalter, ein tätiger Mann, ließ der schändlichen Giftmischerin vielfache Freveltaten nicht durch langwierigen Verzug erkalten, sondern alsobald ihre Bedienten ergreifen und dieselben durch die Gewalt der Folter zum Geständnis der Wahrheit bringen. Dadurch verurteilte er die arge Missetäterin, daß sie den wilden Tieren vorgeworfen werde, eine Strafe, die freilich noch unter ihrem Verbrechen, jedoch die allerqualvollste war, die nur erdacht werden konnte.
Mit diesem Weibe nun sollte ich öffentlich Beilager halten!
Ich erwartete den Tag der Schauspiele mit dem beängstigsten Herzen. Ehe ich mich mit einem so lasterhaften Weibe befleckte und mir Verachtung aller Scham auf eine so schändliche Weise öffentlich zur Schau stellte, eher hätte ich mich tausendmal lieber selbst umbringen mögen; hätte ich nur nicht plumpe Hufe statt der menschlichen Hände gehabt, so daß ich keinen Degen herausziehen konnte! Die einzige Hoffnung, die bei dem Trübsale mich noch so einigermaßen aufrecht hielt, war: bereits schmückte der Frühling in seinem Beginnen jegliche Staude mit blühenden Knospen, bekleidete die Wiesen mit Schmelz, und schon prangten auf grünem Dornenthrone die Wohlgeruch atmenden Rosen, welche mich wieder zu weiland Lucius umwandeln sollten.
Es erschien endlich der Tag der Spiele. Unter lautem Jauchzen und Freudengeschrei des Volkes wurd’ ich in Pomp nach dem Amphitheater geführt.
Pantomimische Tänze eröffneten die Lustbarkeit. Während der Zeit, wo man sich daran ergötzte, blieb ich außen vor der Tür und weidete allda mit großem Belieben das hin und wieder hervorgekeimte Gras ab. Bisweilen stellt’ ich mich auch in das offene Portal und vergnügte meine Neugierde an den angenehmen Vorstellungen die gegeben wurden.
Blühende Jünglinge und Mädchen von reizender Gestalt führten in schimmerndem Putze mit unnachahmlicher Anmut den griechischen pyrrhischen Reigen auf. Nachdem sie sich wohl in Ordnung gestellt hatten, begannen sie allerlei zierliche Wendungen: jetzt drehten sie sich wie ein Rad im Kreise herum, jetzt, bei den Händen sich haltend, bildeten sie eine lange schräge Reihe, jetzt stießen sie ins Gevierte zusammen, jetzt trennten sie sich wieder und kreuzten verwirrt durcheinander.
Nach mannigfaltiger Abänderung der Wiederholung dieser Bewegungen gebot endlich der Schall der Trompete dem Tanze ein Ende. Der Vorhang fiel[80], und die Verzierung der Bühne ward zum Urteil des Paris verändert.
Von Holz war ein hoher Berg errichtet, der den berühmten von Homer besungenen Ida vorstellte. Gesträuche und allerlei lebende Bäume bedeckten die Seiten. Von dem Gipfel rann ein klarer, künstlicher Bach. Einige Ziegen weideten am Ufer, ein Jüngling machte den Hirten, gleich dem Paris[81] mit köstlichem, von den Schultern herabfließendem phrygischen Gewande und einem goldenen Bunde geschmückt.
Jetzt trat ein bildschöner Knabe auf, nackend, nur daß ein kurzer Mantel um die linke Schulter flatterte. Blondes Haar, aus dem zwei goldene und durch ein goldenes Band vereinigte Fittiche hervorstachen, krönte seinen Scheitel und wallte auf dem entblößten Rücken. Der geflügelte Schlangenstab, den er trug, kündigte ihn als Merkur an. Tanzend schwebte er herbei, überreichte dem Paris den Apfel und deutete demselben durch Gebärden den Willen Jupiters an. Sofort zog er sich behend wieder zurück und verschwand.
Es erschien darauf ein Mädchen von hohem Ansehen, der Göttin Juno um so ähnlicher, da ein weißes Diadem ihre Stirne umwand und sie ein Zepter in der Hand trug.
Dieser folgte eine andere, die man sogleich für Minerva erkannte. Sie hatte einen schimmernden, mit einem Ölzweige umkränzten Helm auf, führte einen Schild und schwang eine Lanze, wie die Göttin, wenn sie im Kampf erscheint.
Eine dritte schlüpfte hinter diesen beiden her. Unnennbare Grazie war über ihr ganzes Wesen verbreitet, und die Farbe der Lilie blühte auf ihrem Antlitze. Es war Venus, aber die jungfräuliche Venus. Kein Gewand versteckte die tadellose Schönheit ihres Leibes; sie ging nackend einher, nur ein durchsichtiger seidener Schleier beschattete ihre Blöße. Bald erhoben buhlerische Winde mutwillig den leichten Flor, und die Blume der Jugend prangte unverhüllt; bald drückte denselben ihr brünstiger Hauch fest an den Körper an, und unter der luftigen Hülle ward sichtbar jeglicher wollüstiger Umriß verborgen. Man bemerkte nur zweierlei Farben an der Göttin: weiß der Leib denn sie stammt vom Himmel ab; grün der Schleier, weil sie aus dem Meere entsprossen.
Eine jegliche der drei Mädchen, welche die Göttinnen machten, hatte ein eigenes Gefolge.
Mit der Juno kamen Kastor und Pollux, von zwei Schauspielern dargestellt, welche runde Helme trugen, oben mit zwei funkelnden Sternen geziert. Unter dem lieblichen Getön der Flöten ging Juno mit ruhiger Majestät einher und versprach dem Hirten durch ernste Gebärden die Herrschaft über ganz Asien, falls er ihr den Preis der Schönheit zuerkennen würde.
Minerva, im Waffenschmuck, begleiteten ihre gewöhnlichen Gefährten und Schildknappen in den Schlachten: Schrecken und Furcht, tanzend mit entblößten Schwertern. Ein Pfeifer, der hinter ihnen herging, spielte einen kriegerischen Marsch und ermunterte oder mäßigte ihren rüstigen Schritt abwechselnd bald durch hohe schmetternde, bald durch gedämpfte pathetische Töne. Die Göttin, mit unruhigem Haupte, drohendem Blicke, raschen, gebeugtem Gange, gab dem Paris durch eine lebhafte Gebärdensprache zu verstehen: falls er sie den Sieg der Schönheit davontragen ließe, so wolle sie ihn durch Tapferkeit und durch erfochtene Kriegstrophäen berühmt machen.
Venus war von einem ganzen Volke fröhlicher Amoretten umgaukelt. Süßlächelnd stand sie mit dem ihr eigenen Liebreiz mitten unter denselben, zum allgemeinen Entzücken des Schauplatzes. Man hätte die runden, zarten Knaben allesamt für wahre Liebesgötter halten mögen, die aus Himmel oder Meer herbeigeflattert, so sehr entsprachen sie ihrer Rolle durch ihre kleinen Fittiche und Pfeile und überhaupt durch ihre niedliche Leibesgestalt. Sie trugen der Göttin die flammende Fackeln vor, als ginge sie zum Hochzeitsschmause. Auch die lieblichen Töchter jungfräulicher Schönen, die holden Grazien und die reizenden Horen, umflossen die Göttin. Schalkhaft warfen sie dieselbe mit Sträußen und Blumen und schweben in künstlichem Reigen einher, nachdem sie also mit den Erstlingen des Lenzes der Mutter der Wollust gehuldigt.
Jetzt flüsterten die viellöcherigen Flöten süße lydische Weisen. Jegliches Herz wallte vor Vergnügen. Nun hub leiblicher denn alle Musik Venus sich zu bewegen an. Langsam erhob sich ihr Fuß, es schmiegte sich anmutig sich ihr Körper mit sanft auf die Seite gebogenem Haupte, jede reizende Stellung in Harmonie mit dem weichen Getöne der Flöten! Bald lächelte Huld und Milde auf ihrer Stirn, bald schreckte drohender Ernst; zuweilen tanzte sie allein mit den Augen.
Wie sie vor den Richter hintrat, schien die Bewegung ihrer Arme demselben zu verheißen: daß, wenn er ihr vor den übrigen Göttinnen den Vorzug gäbe, sie ihm eine Gemahlin zuführen würde, die an Schönheit ihresgleichen nicht auf Erden fände und ihr ganz und gar ähnlich sein sollte. Und sofort reicht ihr mit Freuden der phrygische Jüngling den goldenen Apfel hin, das Zeichen des Sieges.
Wundert ihr euch nun noch, ihr einfältigen Schöpse oder vielmehr ihr gierigen Geier von Advokaten, daß heutzutage die Gerechtigkeit jeglichem Richter feil sei, da schon im Anfang aller Dinge in einen zwischen Göttern und Menschen zu entscheidenden Handel Parteilichkeit sich eingemischt; da der allererste Richter – den Zeus, der höchste Zeus, noch dazu selbst bestellt, und der nur ein schlichter Hirte war – durch Wollust sich hat bestechen lassen und das zum gänzlichen Verderben seines Geschlechts! Traun! Auch aus der Folgezeit sind ähnliche Beispiele von den edlen Heerführern der Argiver bekannt. Ist doch der gelehrte, erfindungsreiche Palamedes[82] nicht anders als auf falsche Beschuldigungen der Verräterei wegen verdammt; ist doch des hohen Ajax unüberwindliche Tapferkeit auch den Ränken des lügenhaften Ulysses nachgestellt worden! Und war etwa die Gerechtigkeit bei den Atheniensern, diesen Gesetzgebern, diesen Weisen, diesen Lehrern aller Künste und Wissenschaften, war sie etwa da besser bestellt? Wurde nicht bei ihnen jener Greis von göttlicher Klugheit, welchen der delphische Apollo selbst für den weisesten aller Sterblichen erklärt hat, wurde nicht Sokrates bei ihnen auf die verleumderische Anklage einer schändlichen Rotte, als sei er, der die Jugend besserte, ein Verderber derselben, mit Gift hingerichtet? Ein Schandfleck in der Geschichte dieses Volks, den keine Ewigkeit auszubleichen vermag! Anstatt daß bis auf den heutigen Tag die allervortrefflichsten Philosophen dieses Weisen[83] herrliche Lehrsätze vor allen anderen annehmen und aus brünstigem Verlangen nach Glückseligkeit zu seinem Namen schwören, wenden sie sich vielmehr geflissentlich von ihm ab!
Doch, damit nicht etwa jemand diesen Ausfall tadeln und bei sich selbst sprechen möge: »Da haben wir’s! Nun liest der Esel uns gar die Moral!«, so kehre ich von meiner Digression wieder zur Geschichte zurück.
Nachdem Paris also das Urteil gesprochen, so traten Juno und Minerva unzufrieden und zornig von der Bühne ab. Eine jede drückte auf eine eigentümliche Art den Unwillen über ihre Verschmähung durch Gebärden aus; Venus aber legte ihre Freude über den erhaltenen Sieg durch einen hüpfenden Tanz mit ihrem ganzen Gefolge an den Tag.
Hierauf sah man oben auf dem äußersten Gipfel des Berges aus einer verborgenen Röhre in Wein aufgelösten Safran hoch in die Luft springen und dann als ein wohlriechenden Regen auf die weidenden Ziegen herniedersprühen, so daß bald ihre blendende Weiße sich in Safrangelb verwandelte. Nachdem der ganze Schauplatz mit diesem angenehmen Wohlgeruch angefüllt war, so eröffnete sich plötzlich die Erde, und weg war der quellenströmende Ida!
Nun trabte ein Scherge fort, um auf Verlangen des Volkes aus dem öffentlichen Gefängnis die Missetäterin zu holen, die, wie ich oben erzählt habe, ihrer vielfachen Mordtaten, halber verurteilt war, den wilden Tieren vorgeworfen zu werden, sich vorher aber noch öffentlich mit mir vermählen sollte. Auch wurde das Bett mit großer Sorgfalt bereitet, das uns zum hochzeitlichen Lager dienen sollte; es glänzte von indischem Elfenbein und strotzte von Polstern mit Flaumfedern ausgestopft und mit bunter Seide überzogen.
Allein, außerdem ich mich schämte, mit einer so gottlosen, schandbaren Kreatur angesichts des ganzen Volkes Beilager zu halten, so fürchtete ich mich auch, mein liebes Leben dabei einzubüßen. »Welches Tier«, dachte ich bei mir selbst, »man auch herauslassen mag, das Weibsstück zu zerreißen, so wird es doch nimmermehr weder klug noch künstlich abgerichtet, noch enthaltsam genug sein, daß, wenn es uns selbander im Liebesknoten verschlungen antrifft, es gerade nur die Delinquentin hinwegnehmen und dich, weil du nichts verbrochen hast, unverletzt liegenlassen sollte!«
Da es mir also weit mehr um die Rettung meines Lebens denn um die Schonung meiner Schamhaftigkeit zu tun war, so nahm ich wohl des Augenblicks wahr, wo mein Wärter eben seine ganze Aufmerksamkeit auf Zubereitung des Bettes geheftet hatte, das andere Gesinde aber teils mit Zurüstung der Tiergefechte, teils mit Erwartung des schlüpfrigen Schauspiels beschäftigt, auf mich zahmen, frommen Esel gar nicht acht hatte, stahl mich zum Stadttore, das ziemlich in der Nähe war, unvermerkt hinaus, und nun aus Leibeskräften ausgerissen!
Sechstausend Schritte hatt’ ich in vollem Galopp zurückgelegt, als ich mich vor Cendreä befand, das der edlen korinthischen Kolonie zugehört, vom Ägäischen und Saronischen Meere bespült wird und einen sehr sicheren, schiffreichen Hafen hat.
Ich mied das Getümmel der Menschen und begab mich lieber beiseite auf das einsame Gestade. Allda streckt’ ich dicht an der Brandung meine müden Glieder gemächlich auf weichen Sand hin. Bereits hatte die Sonne das äußerste Ziel des Tages erreicht. Der süßeste Schlaf sank auf mich hernieder.
Ungefähr um die erste Nachtwache wurde ich durch ein jähes Erschrecken aus dem Schlafe geweckt. Eben stieg in vollem Glanze der Mond aus den Meeresfluten herauf.
Die Majestät dieses hehren Wesens erfüllte mich mit tiefster Ehrfurcht, und überzeugt, daß alle menschlichen Dinge durch seine Allmacht regiert werden, überzeugt, daß nicht allein alle Gattungen zahmer und wilder Tiere, sondern auch die leblosen Geschöpfe durch den unbegreiflichen Einfluß seines Lichtes fortdauern, ja daß selbst alle Körper auf Erden, im Himmel und im Meere in vollkommenster Übereinstimmung mit demselben ab- und zunehmen, so bediente ich mich der feierlichen Stille der Nacht, mein Gebet an das holdselige Bild dieser hilfreichen Gottheit zu verrichten; um so mehr, da das Schicksal, meiner so großen und langwierigen Qualen satt, mir endlich Ahnungen meiner Erlösung eingab.
Flugs schüttelte ich jeglichen Rest von Trägheit ab, stand munter auf, badete mich, um mich zu reinigen, im Meere, und nachdem ich mein Haupt siebenmal unter die Fluten getaucht, welches die Zahl ist, die der göttliche Pythagoras als die schicklichste zu gottesdienstlichen Verrichtungen angibt, betete ich frohen und munteren Herzens, doch betränten Angesichts, zur heiligen Göttin also:
»Königin des Himmels! Du seist nun die allernährende Ceres, des Getreides erste Erfinderin, welche, in der Freude ihres Herzens über die wiedergefundene Tochter, dem Menschen, der gleich den wilden Tieren mit Eicheln sich nährte, eine mildere Speise gegeben hat und die eleusinischen Gefilde bewohnt, oder du seiest die himmlische Venus, welche im Urbeginne aller Dinge durch ihr allmächtiges Kind, den Amor, die verschiedensten Geschlechter gegattet und also das Menschengeschlecht fortgepflanzt hat, von dem sie zu Paphos in dem meerumflossenen Heiligtume verehrt wird, oder des Phöbus Schwester, welche durch den hilfreichen Beistand, den sie den Gebärerinnen leistet, so große Völkerschaften erzogen hat und in dem herrlichen Tempel zu Ephesus angebetet wird. Oder du seiest endlich die dreigestaltige Proserpina, die nachts mit grausigem Geheul angerufen wird, den tobenden Gespenstern gebietet und unter der Erde sie einkerkert, während sie entlegenen Haine durchirrt, wo ein mannigfacher Dienst ihr geweiht ist: Göttin! die du mit jungfräulichem Scheine alle Regionen erleuchtest, mit deinem feuchten Strahle der fröhlichen Saat Nahrung und Gedeihen gibst und nach der Sonne Umlauf dein wechselndes Licht einteilst; unter welchem Namen, unter welchen Gebräuchen, unter welcher Gestalt dir die Anrufung immer am wohlgefälligsten sein mag! Hilf mir in meinem äußersten Elende! Stehe mir bei, daß ich nicht gänzlich zugrunde gehe; nach so vielen, so schwer überstandenen Trübsalen verleihe mir endlich einmal Ruhe und Frieden! Ich habe genug des Jammers, genug der Gefahren! Nimm von mir hinweg die schändliche Tiergestalt! Laß mich wieder werden, was ich war; laß mich Lucius werden und gib mich den Meinigen wieder! Oder habe ich ja irgendeine unversöhnliche Gottheit ohne mein Wissen beleidigt: Ach, so sei lieber mir erlaubt, zu sterben denn so zu leben, o Göttin!«
Nachdem ich solchergestalt gebetet und mein Leid geklagt hatte, kehrte ich auf meinen vorigen Ruheplatz zurück, und ein süßer Schlaf bemächtigte sich aufs neue meiner Sinne.
Kaum war ich eingeschlummert, siehe, so erhob sich eine göttliche Gestalt mitten aus dem Meere! Erst zeigte sich ihr selbst den Göttern ehrwürdiges Antlitz, darauf entstieg nach und nach ihr ganzer Körper den Wellen.
Das herrliche Gebild schien vor mir stillezustehen.
Ich will versuchen, euch diese wunderbare Erscheinung zu schildern, wenn anders die Armut menschlicher Sprache zu der Beschreibung hinreicht oder die mir erschienene Gottheit mir Fülle der Beredsamkeit will angedeihen lassen.
Reiche, ungezwungene Locken spielen sanft in angenehmer Verwirrung um den Nacken der Göttin; ihren hohen Scheitel schmückte ein vielförmiger Kranz mit mancherlei Blumen. Über der Mitte der Stirn glänzte mit blassem Scheine eine flache Rundung nach Art eines Spiegels oder vielmehr der Scheibe des Mondes, darumher auf beiden Seiten sich gewundene Schlangen gleich Furchen zogen, und darüber hin, wie bei der Ceres, Kornähren gelegt waren.
Ihr Kleid war feines Zeug, das bald weiß, bald gelb, bald rosenrot wechselte. Es umhüllte sie ein Mantel von blendender Schwärze, der unter dem rechten Arm hindurch über die linke Schulter geschlagen war. Der Zipfel wie ein Schild eines Kriegers über den Rücken zurückgeworfen, fiel in mannigfachen Falten hinab, und die Fransen des Saumes flatterten zierlich im Winde. Sowohl auf der Verbrämung als auf dem Mantel selbst flimmerten zerstreute Sterne in deren Mitte der Vollmond in seiner ganzen Pracht glänzte, und eine schwere Kette allerlei künstlich zusammengeordneter Blumen und Früchte irrte allenthalben verloren darüber hin.
In ihren Händen führte die Göttin weit voneinander verschiedene Dinge; denn in der Rechten hielt sie eine goldene Klapper, durch deren schmales Blech, das sich wie ein Gürtel zusammenbog, einige Stäbe gezogen waren, die beim dreimaligen Schütteln des Armes einen hellen Klang gaben. Von der Linken aber hin ihr ein goldenes Trinkgeschirr herab, über dessen Handhabe an der Seite, wo sie sichtbar war, eine Schlange sich emporreckte mit hocherhobenem Haupte und geschwollenem Nacken.
Ihre ambrosiaduftenden Füße bedeckten Schuhe aus Blättern der Siegespalme geflochten.
Also geschmückt und des wonnigen Arabiens Wohlgeruch um sich her verbreitend, würdigte die hohe Göttin mit folgender Anrede:
»Schau! Dein Gebet hat mich gerührt. Ich, Allmutter Natur, Beherrscherin der Elemente, erstgeborenes Kind der Zeit, Höchste der Gottheiten, Königin der Manen, Erste der Himmlischen; ich, die in mir allein die Gestalt aller Götter und Göttinnen vereine, mit einem Wink über des Himmels lichte Gewölbe, die heilsamen Lüfte des Meeres und der Unterwelt klägliche Schatten gebiete. Ich, die alleinige Gottheit, welche unter so mancherlei Gestalt, so verschiedenen Bräuchen und vielerlei Namen der ganze Erdkreis verehrt – denn mich nennen die Erstgeborenen aller Menschen, die Phrygier, pessinuntische Göttermutter, kekropische[85] Minerva; den eiländischen Kypriern paphische Venus; den pfeilführenden Kretern dictynnische [86] Diana; den dreizüngigen Siziliern stygische Proserpina; den Eleusinern Altgöttin Ceres. Andere nennen mich Juno, andere Bellona, andere Hekate[87], Rhamnusia[88] andere. Sie aber, welche die aufgehenden Sonne mit ihren ersten Strahlen beleuchtet, die Äthiopier, auch die Arier und die Besitzer der ältesten Weisheit, die Ägypter, mit den angemessensten eigensten Gebräuchen mich verehrend, geben meinen wahren Namen mir: Königin Isis[89]. – Ich erscheine dir aus Erbarmen über dein Unglück; ich komme zu dir in Huld und Gnaden. Hemme denn den Lauf deiner Tränen! Stelle ein dein Trauern, dein Klagen! Der Tag deines Heils ist da, kraft meiner Allmacht; öffne nur deine betrübte Seele meinem göttlichen Gebote!
Der Tag, welcher auf diese Nacht folgt, ist mir durch uralte Gewohnheit geheiligt. Die Winterstürme sind vorüber, des Meeres Ungestüm hat sich gelegt; die Schiffahrt beginnt. Meine Priester weihen mir ein neugezimmertes Schiff und opfern mir die Erstlinge jeglicher Ladung. Erwarte ihren heiligen Zug weder mit schüchternem noch frechem Gemüt. Auf mein Geheiß wird der Hohepriester einen Rosenkranz in der rechten Hand am Sistrum hangen haben. Dränge nur unverzüglich dich durch die Menge hindurch, gehe im Vertrauen auf meinen Schutz getrost dem Zuge entgegen, bis du dich so nahe bei dem Hohepriester befindest, daß du unter dem Scheine eins Handkusses unvermerkt einige Rosen ihm rauben kannst: sofort wirst du die Gestalt dieses garstigen, mir längst verhaßten Tieres ablegen! Fürchte bei Ausführung dieses meines Gebots keine Schwierigkeit; denn in diesem selben Augenblick, da ich hier vor dir stehe, bin ich auch dort meinem Hohenpriester im Traume gegenwärtig und offenbare ihm, was geschehen wird, und wie er sich dazu zu verhalten habe. Auf meinen Befehl soll vor dir das herzudrängende Volk Platz machen. Niemand soll bei der frohen Feierlichkeit und dem festlichen Schauspiele Scheu vor diesem deinem häßlichen Ansehen tragen, noch soll irgendein böser Ausleger deine plötzliche Umwandlung boshafterweise verunglimpfen. Nur sei eingedenk und verliere nicht aus dem Gedächtnis, daß mir von nun an deine übrigen Tage bis auf deinen letzten Atemzug verbürgt sind! Denn billig bist du derjenigen, durch deren Wohltat du wieder unter die Menschen zurückgekehrt, dein ganzes Leben schuldig. Inzwischen wirst du glücklich, wirst du rühmlich unter meinem Schutze leben, und wann du hier deinen Weg vollendet hast und zur Unterwelt hinabwandelst, so wirst du auch dort, auf jener unterirdischen Halbkugel, mich, die du vor dir siehst, die ich des Acherons Finsternisse erleuchte und in den stygischen Behausungen regiere, als ein Bewohner der elysischen Gefilde fleißig anbeten und meiner Huld dich zu erfreuen haben. Ja, wofern du dich durch unablässigen Gehorsam, durch gewissenhafte Beobachtung meines Dienstes, durch strenge Fasten und Keuschheit genugsam um meine Gottheit verdient machst, so wirst du auch erfahren, daß es allein in meiner Macht steht, dir selbst das Leben zu fristen bis über das vom Schicksal dir bestimmte Ziel hinaus.«
Nachdem die ehrwürdige Gottheit also huldreich zu mir gesprochen, wich sie in sich selbst zurück.
Unverzüglich war mein Schlaf dahin, und voller Furcht und Freude und wie mit Schweiß übergossen stand ich auf. Im äußersten Erstaunen über die so offenbare Erscheinung dieser gewaltigen Göttin wusch ich mich abermals im Meere und dachte ihren hohen Befehlen samt der beigefügten Ermahnung nach.
Kurze Zeit darauf, als das schwarze Gewölk der Nacht verschwunden und die goldene Sonne hervorging, da sah man alle Landstraßen mit einer großen Menge Leute angefüllt, die zur heiligen Feierlichkeit allerorten herzukamen.
Alles und jegliches schien mir dermaßen mit der Fröhlichkeit meines Herzens zu sympathisieren, daß nicht allein die Tiere aller Arten, sondern auch die Häuser, ja der Tag selbst mich heiterer und vergnügter anzulächeln schienen. Anstatt des gestrigen rauhen Nebels wallten milde, gelinde Lüfte überall, von Frühlingsluft begeistert, stimmten die Vögel angenehme Konzerte an und begrüßten der Gestirne Mutter, die Fürstin der Zeiten und des Weltalls Beherrscherin mit lieblichem Gesange. Auch fruchttragende und andere, nur schattengebende Bäume, erweckt vom Hauche der Mittagswinde, wiegten mit sanftem Wohllaute ihre Zweige, prangend mit den glänzenden Knospen junger Blätter. Jeglicher brausende Sturm schwieg; das Meer, keine düsteren Wogen auftürmend, spülte ruhig an das Gestade, und der Himmel, von Wolken rein, schimmerte im blendenden Glanze seines eigenen Lichtes.
Siehe, da erschien allgemach der lustige Vortrab des heiligen Aufzuges. Ein jeder ging nach seiner Phantasie aufs komischste maskiert. Der eine, mit einem Degengehänge über die Schulter, stellte einen Soldaten vor; der andere, eine Chlamys[90] um, einen Säbel an der Seite und einen Jagdspieß in der Hand, war ein Jäger. Ein dritter, in goldenen Socken, von einem seidenen Gewande umflossen, mit dem köstlichsten Geschmeide geschmückt, die Haare um den Kopf in Flechten gewunden, schwebte als ein Fräulein einher. Noch ein anderer, mit Halbstiefeln, Schild, Helm und Dolch ausgerüstet, schien eben aus der Fechterschule zu kommen. Einer war auch da, der, mit einem purpurverbrämten Kleide, Liktoren mit den Fasces vor sich her, als eine Magistratsperson fungierte. Nicht minder sah man einen Mantel, Stock, Pantoffeln und langem Ziegenbarte einen Philosophen spielen. Es fehlte auch nicht an solchen, die mit Leim- und Angelruten den Vogelstellern und Fischern nachäfften. Auf einem Tragsessel prangte ferner ein zahmer Bär, in eine vornehme Dame verkleidet. Ein Affe folgte ihm, wie der Mundschenk des Zeus herausgeputzt; einen Turban auf, einen safrangelben, gestickten Rock an und eine goldene Schale in der Hand. Den Schluß machte sein Esel, dem man Fittiche angeklebt hatte und dem zur Seite ein schwacher Alter ging: Dieser sollte den Bellerophon[91] vorstellen sowie jener den Pegasus; man mußte lachen, wie man sie sah.
Nach diesen Possen, die dem umherschwärmenden Volke unsägliches Vergnügen machten, kam endlich die feierliche Prozession meiner Schutzgöttin einhergezogen. Weiber in blendend weißen Gewändern, bekränzt mit jungen Blüten des Frühlings, trugen voller Freude mancherlei Sachen. Den Schoß mit Blüten angefüllt, bestreuten die einen den Weg, welchen der heilige Zug nahm; andere führten auf dem Rücken schimmernde Spiegel, in denen der Göttin zahlreiches Gefolge als ihr entgegenkommend erschien. Einige hatten elfenbeinerne Kämme in den Händen und taten mit Gebärden und Bewegung ihrer Arme und Finger, als schmückten sie das königliche Haar der Isis. Noch andere besprengten die Gassen mit allerhand wohlriechenden Salben und mit köstlichem Balsam. Darauf folgte eine große Menge beiderlei Geschlechts mit Lampen, Fackeln, Wachskerzen und anderen Arten künstlicher Lichter, zu Ehren der Mutter der Gestirne. Allerlei liebliche Instrumente und Pfeifen ließen sich nun hören. Ein munterer Chor der auserlesensten Jugend, mit schneeweißen, ärmellosen Kleidern angetan, vermählte seine Stimmen mit ihren süßen Weisen und sang ein Lied, das ein großer Dichter unter Eingebung der Musen auf gegenwärtige Gelegenheit gedichtet hatte; bei diesen Sängern befanden sich die Pfeifer des großen Serapis. Auf Querpfeifen, die nach der rechten Seite gehalten wurden, bliesen sie die beim Dienste dieses Gottes gewöhnlichen Melodien. Jetzt kamen Herolde, die mit weitschallender Stimme ausriefen: »Platz, Platz für die Heiligtümer!« Hierauf strömten die in den heiligen Gottesdienst Eingeweihten einher, sowohl männlichen und weiblichen Geschlechts, jeglichen Standes, jeglichen Alters. Alle trugen leinene Kleider von blendender Weiße; die Weiber das gesalbte Haar in durchsichtigen Flor eingehüllt, die Männer das Haupt so glatt geschoren, daß die Scheitel glänzten. Diese irdischen Gestirne der erhabenen Religion machten mit ehernen, silbernen, ja auch goldenen Sistren eine sehr wohlklingende Musik. Allein die Oberpriester, in ein anliegendes Gewand von weißer Leinwand gekleidet, das ihnen bis auf die Füße hinabging, trugen die Symbole der allgewaltigen Götter. Der erste hielt eine helleuchtende Lampe, denen, welcher wir uns bei unsern Schmäusen bedienen, eben nicht ähnlich, sondern von Gold und in der Gestalt eines Nachens, in dessen Mitte eine breite Flamme aus einer Öffnung hervorloderte. Der zweite, eben wie jener gekleidet, führte in beiden Händen Altare, die mit besonderem Namen Hilfsaltare heißen, weil die Göttin sich vorzüglich hilfreich zu denselben herabzuneigen würdigt. Der dritte hielt einen Palmzweig, dessen Blätter sauber aus Gold gearbeitet waren, nebst einem geflügelten Schlangenstab, gleich dem des Mercurius. Der vierte trug das Sinnbild der Billigkeit zur Schau: eine offene linke Hand mit ausgestreckten Fingern, denn da die linke von Natur unbehend und langsam ist, so scheint sie der Billigkeit angemessener als die rechte. Eben derselbe Oberpriester trug auch ein goldenes Gefäß, in der Gestalt einer Brust gerundet, woraus er Milch opferte. Der fünfte erschien mit einer Schwinge, die von goldenen Zweigen geflochten war, und der sechste mit einem Wasserkruge. Unmittelbar darauf sah man die Götter selbst, die sich gefallen ließen, auf den Füßen sterblicher Menschen einher zu wandern. Da war, mit schrecklichem, langhalsigem Hundskopfe, der Bote der Ober- und Untergötter[92]. Er trug sein halb schwarzes, halb goldenes Antlitz empor und schwang in der Linken einen Caduceus und in der Rechten einen grünen Palmzweig. Dicht hinter ihm folgte eine Kuh in aufrechter Stellung. Diese Kuh, das segenvolle Bild der allgebärenden Göttin, trug der seligen Priesterschaft einer auf seinen Achseln mit großem Prunke. Von einem andern wurde der mystische Korb getragen, welcher die Geheimnisse der wundertätigen Religion in seinem Innersten verwahrt. In beiden Armen hielt ein anderer Glückseliger des höchsten Wesens ehrwürdiges Bild. Weder mit einem Vogel noch mit einem zahmen oder wilden Tiere, noch auch mit einem Menschen hatte es einige Ähnlichkeit; doch war es, der sinnreichen Erfindung und selbst der Neuheit wegen, nicht nur anbetungswürdig, sondern auch der unaussprechlichste Beweis der höheren, aber in tiefstes Stillschweigen einzuhüllenden Religion. Es war eine kleine, aus schimmerndem Golde sehr künstlich gebildete Urne mit rundem Boden; auswärts mit den wundersamen, hieroglyphischen Charakteren der Ägypter bezeichnet. Ihr kurzer Hals verlor sich hinten in eine wohlgeschwungene Handhabe, an welcher sich eine Schlange hinanwand, deren Kopf mit buntschuppigem, giftgeschwollenem Nacken hoch darüber emporragte. Ganz zuletzt erschien der Trost, die Hilfe, welche mir die mitleidige Göttin verheißen. Mein Heil in den Händen, trat der Hohepriester einher. Vollkommen der göttlichen Offenbarung gemäß trug seine Rechte ein Sistrum für die Göttin und für mich einen Kranz, einen wahrhaftigen Siegeskranz; denn nach so viel erduldetem Elende, nach so viel bestandenen Mühen und Gefahren ward ich nun endlich mit dem Beistande der höchsten Göttin Sieger über mein grausames Schicksal. Inzwischen ließ ich mich nicht von jäher Freude hinreißen und stürzte blindlings hinzu, damit ich nicht die Ordnung und Andacht der Prozession stören möchte, wenn ich ungestüm angelaufen käme, sondern so gesetzt, so ehrfurchtsvoll, als immer ein Mensch hätte tun könne, schlich ich mich ganz geduckt bis zu meinem Heilbringer allgemach hinan, indem auf göttliche Eingebung mir das Volk auf beiden Seiten auswich.
Da gemahnte es den Hohepriester sofort seines nächtlichen Gesichts. In sichtbarer Verwunderung, daß alles genau mit demselben übereinträfe, blieb er stehen, reichte mir von selbst die Rechte hin und hielt den verhängnisvollen Kranz mir dicht vor den Mund.
Zitternd und unter dem gewaltigsten Herzklopfen ergriff ich mit gierigen Lippen den aus den schönsten Rosen gewundenen Kranz und verschlang ihn hastig. Stracks ward die himmlische Verheißung erfüllt!
Zusehens fiel die häßliche Tiergestalt von mir ab. Es verging das schmutzige Haar. Die Haut verdünnte sich. Der fette Panzen zog sich ein. Aus den Hinterhufen drängten sich Zehen hervor. Zu Händen mit Fingern versehen wurden die Vorderhufe. Der lange Hals verkürzte sich Kopf und Gesicht wurden rund. Die ungeheuren Ohren nahmen ihre vorige Kürze wieder an. Die tölpischen Zähne wurden menschlich. Und er, der traun mich mehr denn alles übrige gekränkt hatte, der lange Zagel verschwand.
Es staunte das Volk. Die Priester beteten die Allmacht der Göttin an, die sichtbarlich im Nu, gleichwie einem Traumgesichte, meine Verwandlung bewirkte. Aller Hände waren gen Himmel gestreckt, und man hörte nur einen Schrei des Erstaunens ob dem so großen Wunder.
Mein Herz vermochte eine so plötzliche, so überschwengliche Freude nicht zu fassen. Starr und stumm stand ich da und wußte nicht, was ich zuerst sagen, womit ich die wiedererhaltene Stimme und Sprache am glücklichsten versuchen und mit welchen Worten ich der wohltätigen Göttin meinen Dank zu erkennen geben sollte. Bald winkte der Hohepriester, der zwar von allen meinen Abenteuern durch göttliche Eingebung unterrichtet, darum aber nicht weniger über das Wunder, das vor seinen Augen vorging, erstaunt war, daß mir ein leinen Gewand gereicht würde, weil ich mich von dem Augenblick an, als ich mich von der garstigen Eselshülle befreit fühlte, in mich selbst zusammengeschmiegt hatte und solchergestalt und mit vorgehaltenen Händen, so gut ich nur konnte, meine Blöße zu decken suchte. Einer von den Geweihten zog sofort seinen Oberrock aus und warf mir ihn schleunigst über.
Nun hob der Hohepriester mit fröhlichem Gesichte und begeistert über meine Menschwerdung also an:
»Willkommen, o Lucius, nach so viel und mancherlei bestandenen Abenteuern, nach so wilden, erlittenen Stürmen und Ungewittern des Schicksals, willkommen im Hafen der Ruhe, willkommen am Altare der Barmherzigkeit! Schau, trotz deiner Geburt, deines Standes, deiner großen Gelehrsamkeit selbst, bist du auf die schlüpfrige Bahn der Jugend geglitten, zur Buhlerei mit einer Magd hinabgesunken und hast einen unseligen Vorwitz teuer bezahlt. Und trotz seiner Blindheit, seiner Bosheit, seiner Schadenfreude hat das feindselige Glück durch die schlimmsten Widerwärtigkeiten dich hierher zu deinem Heile geführt. Es gehabe sich nun wohl und gehe und übe an andern Wut und suche andere Gegenstände für seine Grausamkeit! Wer, wie du, von unserer erhabenen Göttin zum Diener erkoren, der steht außer der Macht desselben. Mag es dir noch so sehr durch Räuber, durch wilde Tiere, durch Sklaverei, durch mühselige Märsche, durch tägliche Todesgefahr mitgespielt haben: der Tyrannei des blinden Wesens ist nun ein Ende. Du bist in den Schutz einer sehenden Gottheit aufgenommen, die auch die übrigen Götter durch den Schein ihres Lichtes erleuchtet! Nimm denn eine fröhliche Miene an, so wie sie sich zu diesem weißen Gewande schickt, und begleite mit Frohlocken das Gepränge deiner göttlichen Wohltäterin. Es sehen dich die Ungläubigen, sehen dich und erkennen ihren Irrtum! Schauet auf, ihr Unglückseligen! Sehet da des durch die Allmacht der großen Isis vom Elend erretteten Lucius’ Triumph über das Unglück! Doch, um sicherer, um desto beschirmter hinfort zu wandeln, so verleibe dich, o Lucius, auf der Stelle unserm heiligen Orden ein; unterziehe freiwillig dich mit unbedingtem Gehorsam unsern gottesdienstlichen Satzungen: bis für dich der glückliche Augenblick kommt, da du das feierliche Gelübde wirst ablegen dürfen! Je früher du dich der Göttin weihest, je süßere Früchte wirst du für deine hingegebene Freiheit einernten.«
Nachdem der Hohepriester also mit heiliger Salbung gesprochen, schwieg er keuchend. Ich aber mischte mich unter die Geweihten und begleitete den heiligen Zug.
Da hätte man sehen sollen, wie nach mir geguckt wurde! Alle Welt wollte mich kennen. Einer wies mich immer dem andern, bald durch Winke, bald durch Fingerzeigen, und wohin ich mich wandte, hört’ ich wispern: »Da, da geht der, welchen heut’ die allmächtige Isis wiederum zum Menschen verwandelt hat! Wie glücklich, wie selig ist er doch zu preisen! Er muß vorher einen sehr unschuldigen, tugendhaften Lebenswandel geführt haben, daß ihm eine so ausnehmende Gunst des Himmels widerfahren und sowie er nur gleichsam wieder in das Leben getreten, er sogleich auch zum Priester angeworben worden ist!«
Unter solcherlei Gerede und unter dem Getöse feierlicher Gebete rückten wir allmählich fort, bis wir dem Gestade naheten und endlich an denselben Ort kamen, wo ich vergangene Nacht meine Ruhestätte gehabt hatte.
Daselbst wurden die Bilder der Götter gehörig in Ordnung aufgestellt. Mit keuschem Munde verrichtete sodann der Hohepriester ein förmliches Gebet, reinigte mit brennender Fackel, Ei und Schwefel ein künstlich gezimmertes und ringsumher mit ägyptischen Wundermalereien geziertes Schiff und weihte und heiligte es der Göttin.
Im blendenden Segel dieses heiligen Kiels stand mit großen Buchstaben das Gelübde für die gesegnete Schiffahrt des neuen Jahres geschrieben. Hoch erhob sich der runde, glattbehauene Tannenmast mit wallendem Wimpel. Auf dem Hinterteile prangte eine vergoldete Gans mit gewundenem Halse, und über und über glänzte das ganze Schiff von geglättetem, köstlichem Zitronenholz.
Nun kamen Priester und Laien und trugen um die Wette Körbchen voll Gewürze und solcherlei Geschenke herbei und gossen eine Milchmährte [93] über die Wellen hin.
Als endlich das ganze Schiff mit reichlichen Gaben und Sühneopfern angefüllt war, wurden die Ankertaue gelöst, und ein eigener, frischer Wind trieb es in die hohe See.
Sobald es aus unserm Gesichte verschwunden war, nahmen die heiligen Träger ein jeglicher dasjenige wieder, was er gebracht hatte, und unter denselben Gebräuchen, worunter die feierliche Prozession gekommen, kehrte sie fröhlich wieder nach dem Tempel zurück.
Wie wir vor dem Tempel angelangt waren, begab sich der Hohepriester nebst denen, welche die Bilder der Götter trugen, und denen, welche vorlängst in das Allerheiligste waren aufgenommen worden, in die Sakristei der Göttin und setzten allda gehörig die atmenden Bilder nieder. Darauf erschien einer von ihnen, der von allen der Geheimschreiber genannt wurde, vor der Pforte und berief das Kollegium der Pastophoren (Erzpriester) zusammen. Sodann sprach er von einer hohen Kanzel herab aus einem Buche und aus besonderen Schriften den Segen über den Kaiser, den Senat, die Ritter und das ganze römische Volk, über die Schiffahrt und über alles aus, was der Herrschaft unseres Reiches untertan ist, und schloß endlich mit der Formel: »Gehet nun heim, es ist vollbracht!« – »Amen«, antwortete auf sein Gebet mit lautem Geschrei die Gemeinde, »Amen!« Und heilige Zweige und Kräuter oder Kränze tragend, küßten alle, mit Freuden überströmt, die Füße der Göttin, die, aus Silber gebildet, auf den Stufen des Tempels stand, und zogen dann jeglicher seines Weges heim. Ich aber, ich konnte es nicht von meinem Herzen erlangen, nur einen Fingerbreit von dannen zu weichen. Meine ganze Seele auf der Göttin Ebenbild geheftet, blieb ich da und dachte meinem Schicksale nach.
Unterdessen hatte das flügelschnelle Gerücht nicht gesäumt, flugs in meinem Vaterlande der huldreichen Göttin große Wohltat nebst meinen besonderen Abenteuern hin und wieder auszuposaunen. Eiligst kamen Freunde und Diener und meine nächsten Blutsverwandten, nach abgelegter Trauer über die falsche Nachricht von meinem Tode vor plötzlicher Freude außer sich, mit allerlei Geschenken herbei, mich durch göttliche Gnade Neugeborenen wiederzusehen. Ihr Anblick war mir ein wahres Labsal, da ich schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, sie jemals mit Augen wiederzuschauen. Für ihre Geschenke aber bedankte ich mich herzlich, da meine Familie mir so viel geschickt hatte, als ich überflüssig zu Kleidung und zum Lebensunterhalt brauchte.
Nachdem ich mich mit einem jeglichen von ihnen aufs freundschaftlichste unterhalten und allen meine erlittenen Trübsale und meine jetzige Glückseligkeit erzählt hatte, kehrte ich wiederum zum Anschauen meiner Göttin zurück.
Ich mietete mir ein Haus innerhalb der Ringmauern des Tempels, worin ich meine Wohnung eine Zeitlang aufschlug, um desto bequemer mit den Priestern der Göttin Umgang zu pflegen und unzertrennlich mit denselben den öffentlichen und Privatgottesdienst abzuwarten. Da ging auch keine Nacht hin – der Schlaf schloß kein einzig Mal meine Augen –, daß die Göttin mich nicht in einem Gesichte ermahnt hätte, mich, der ich vorlängst schon zu ihrem Dienste berufen wäre, doch endlich einweihen zu lassen! Indessen, so sehnlich ich’s auch selbst begehrte, so hielt mich dennoch eine heilige Furcht davon zurück. Ich hatte beobachtet, daß diese Religion sauer zu erfüllende Pflicht auferlege, zu vielerlei Enthaltsamkeit fordere und das Leben, das leider! der Mühen schon genug hat, durch gar zu strenge Selbstverleugnung noch mehr erschwere. Je mehr ich das bedachte, desto mehr eilte ich mit Weile.
Eine Nacht aber schien es mir im Schlafe, ich sähe den Hohenpriester mir den Schoß voll Sachen bringen, und als ich ihn fragte, was ich denn damit solle, da gäbe er mir zur Antwort: Soeben wären mir diese Sachen aus Thessalien samt meinem Diener Schimmel nachgeschickt worden.
Lange sann ich beim Erwachen hin und her, was dies Gesicht wohl zu bedeuten haben möchte; zumal, da ich gewiß war, niemals einen Kerl, der Schimmel geheißen, in meinem Dienst gehabt zu haben. Wie ich aber auch meinen Traum drehen und wenden mochte, so konnt’ ich mir dennoch nichts weiter daraus nehmen, denn allenfalls eine Hoffnung zu einem bevorstehenden Glücke, weil mir doch Sachen waren zugebracht worden.
Unruhig in der Ahnung irgendeines frohen Begegnisses, harrte ich am Morgen der Eröffnung des Tempels.
Die weißen Vorhänge wurden endlich aufgezogen; wir beteten vor dem ehrwürdigen Bilde der Göttin. Der Hohepriester ging von einem umstehenden Altar zum andern, verrichtete Opfer und goß unter feierlichen Gebeten aus dem Weihkessel, der aus einem Quell im Allerheiligsten des Tempels gefüllt worden, Wasser aus. Dies auf gebührende Weise vollbracht, begannen alle Eingeweihten laut die Frühmette zu singen. Und siehe da, die Bedienten, die ich zu Hypata gelassen hatte, als Fotis aus Versehen mich zum Langohr gemacht, traten herein. Meine mütterlichen Anverwandten brachten sie mir nebst meinem Pferde, das sie, nachdem es schon durch verschiedene Hände gegangen war, an einem Zeichen auf dem Rücken wiedererkannt und reindiziert hatten. Zu meiner großen Verwunderung sah ich also meinen Traum vollkommen ausgehen, sah die mir verheißenen Sachen, sah meinen treuen thessalischen Schimmel, der als ein Bedienter mir war angedeutet worden.
Hierdurch bewegt, widmete ich mich mit desto lebendigerem Eifer dem Dienste der Göttin. Diese gegenwärtigen Wohltaten waren mir für meine zukünftige Hoffnungen Bürge. Nicht minder entflammte von Tag zu Tage mehr und mehr meine Begierde nach dem Empfängnis der Heiligtümer. Mit den dringendsten Bitten lag ich zum öftern dem Hohepriester an, mich in der Weih-Nacht Geheimnisse aufzunehmen. Allein dieser fromme, im Rufe der lautersten Gottesfurcht stehende Mann wußte immer mit ebensoviel Freundlichkeit und Milde, als nur ein liebreicher Vater bei Bezähmung des jugendlichen Ungestüms seines Sohnes anwenden kann, die Ungeduld meiner Seele durch süße Hoffnung hinzuhalten. Die Göttin, sagte er, bestimme durch unmittelbare Eingebung allemal zuvor sowohl den Tag der Weihe, als auch den Priester, welcher dieselbe und den zur Feierlichkeit erforderlichen Aufwand zu verrichten habe. Ob diese Weissagung auch verziehe, so müsse ich ihrer dennoch mit geziemender Geduld harren. Zudringlichkeit sei ebenso gefährlich als Widerspenstigkeit. Ich versündige mich nicht minder an der Göttin, wenn ich ihrem Rufe voreilig zuvor-, denn saumselig nachkäme. Niemand aus seinem Orden besitze auch eine so ruchlose Frechheit, das Geschäft der Einweihung zu übernehmen, ohne gleichfalls seinerseits ausdrücklichen Befehl der Göttin dazu erhalten zu haben: das hieße, sich des Todes schuldig machen. In den Händen der Isis läge überhaupt das Leben eines jeglichen Menschen, lägen die Schlüssel zum Reiche der Schatten; in ihren Mysterien würde Hingebung zu einem freiwillig gewählten Tod und Wiedererlangung des Lebens durch die Gnade der Göttin gefeiert und vorgestellt. Auch pflege die Göttin nur solche zu erkiesen, die nach vollbrachter Lebenszeit am Rande des Grabes sich befänden, weil denen die großen Geheimnisse der Religion am sichersten könnten anvertraut werden. Durch ihre Allmacht würden dieselben dann gleichsam wiedergeboren und zu einem neuen Leben zurückgeführt. Wäre ich nun gleich aus besonderer, sichtbarer Gunst der großen Göttin vorlängst schon zu ihrem seligen Dienste auserkoren und berufen, so müsse ich demungeachtet mich jener himmlischen Verordnung unterwerfen, mich gerade wie ihre anderen Diener aller unheiligen und verbotenen Nahrungsmittel von nun an zu enthalten. Ich würde dadurch desto fähiger, zu den verborgensten Geheimnissen der allerreinsten Religion zugelassen zu werden. Also der Hohepriester.
Ich schickte mich denn in Geduld und befließ mich mit stiller Gelassenheit und anständigem Stillschweigen tagtäglich des Gottesdienstes auf das allereifrigste.
Aus Huld täuschte mich die mächtige Göttin nicht, noch ließ sie mich lange nach meinem Heile schmachten. Im Dunkel der Nacht offenbarte sie mir durch nichts weniger als dunkle Worte: Er sei gekommen, der Tag, der mir ewig wünschenswerte Tag, an dem ich des allerhöchsten Glückes sollte teilhaftig werden! Zugleich bestimmte sie den Aufwand, den ich bei der Einweihung zu machen, und ernannten gar ihren Hohenpriester Mithras[94] selbst zu meinem Mystagogen (Einführer in die heiligen Geheimnisse), weil er, wie sie sagte, durch eine gewisse Übereinkunft der Gestirne mit mir verwandt sei.
Kaum graute der Tag, so sprang ich schon vor Freuden über die gnadenreichen Befehle der hohen Göttin aus dem Schlafe auf und lief zur Wohnung des Hohenpriesters hin. Er trat eben aus seiner Zelle. Indem ich ihn begrüßen und nun aufs dringendste die Aufnahme als eine heilige Pflicht von ihm heischen wollte, so ward er mich gewahr und kam mir durch folgende Anrede zuvor:
»Heil dir, o Lucius, den die hehre Isis eines so auszeichnenden Wohlwollens würdigt! Und du säumst noch? Verweilst dich selbst? Es ist ja nun da, der Tag, der von dir so sehnlich erwünschte Tag, an dem auf der vielnamigen Göttin Geheiß du von mir selbst in ihrer Religion heilige Geheimnisse sollst eingeweiht werden!«
Somit reichte mir freundlich der Alte seine Rechte und führte mich stracks zur Pforte des geräumigen Tempels. Mit feierlichem Gebrauche verrichtete er das Amt der Eröffnung, und nach Vollendung des Morgenopfers holte er Bücher aus dem Allerheiligsten hervor, welche mit unbekannten Charakteren geschrieben waren. Sie enthielten gewisse Formeln, welche teils durch die sinnbildliche Bedeutung der Figuren von allerhand Tieren, teils durch verschränkte, nach Art des Rades gewundene oder wie die Gäbelein der Weinreben sich ringelnde Züge vor dem Verständnis jedes vorwitzigen Unheiligen gesichert waren. Hieraus las er mir alles vor, was ich zur eigentlichen Einweihung vorzubereiten und anzuschaffen hätte.
Sofort kaufte ich aufs geflissentlichste und im Überfluß alles Nötige teils selbst, teils durch meine Bekannten zusammen.
Wie es endlich nach des Hohenpriesters Angabe die Zeit erforderte, so führte er mich, vom ganzen Priesterschwarme begleitet, in das nächste Bad. Erstlich mußte ich mich nach gewöhnlicher Weise baden, darauf hielt er ein Gebet über mich, besprengte mich über und über mit Weihwasser und reinigte mich.
In den Tempel zurückgekehrt, ließ er mich, da schon zwei Teile des Tages vorüber waren, zu den Füßen der Göttin hintreten, und nachdem er mir insgeheim gewisse Aufträge erteilt hatte, die ich zu verschweigen habe, so gebot er mir endlich ganz laut, daß es alle Anwesenden hören konnten: zehn Tage lang der Werke der Venus mich zu enthalten und weder Fleischspeisen zu essen noch Wein zu trinken.
Ich erfüllte diese geheiligten Vorschriften mit aller Gewissenhaftigkeit.
Nun war der Tag der Einweihung da. Sobald sich die Sonne gen Abend neigte, kamen allenthalben her die Leute zusammen und verehrten mir, nach altem gottesdienstlichem Brauche, allerhand Geschenke. Darauf mußten sich alle und jegliche Profanen entfernen. Ich wurde mit einem groben, leinenen Gewande angetan, und der Hohepriester führte mich bei der Hand in das innerste Heiligtum des Tempels ein.
Vielleicht fragst du hier neugierig, geneigter Leser, was nun gesprochen und vorgenommen worden! – Wie gern wollte ich’s sagen, wenn ich es sagen dürfte! Wie heilig solltest du es erfahren, wenn es dir zu hören erlaubt wäre! Allein Zunge und Ohr würden gleich hart für den Frevel zu büßen haben!
Doch es möchte dir schaden, wenn ich deine fromme Neugier so auf die Folter spannte; so höre denn und – glaube, traue! Es ist wahrhaftig.
Ich ging bis zur Grenzscheide zwischen Leben und Tod. Ich betrat Proserpinens Schwelle, und nachdem ich durch alle Elemente gefahren, kehrte ich wiederum zurück. Zur Zeit der tiefsten Mitternacht sah ich die Sonne in ihrem hellsten Lichte leuchten; ich schaute die Unter- und Obergötter von Angesicht zu Angesicht und betete sie in der Nähe an.
Siehe! Nun hast du alles gehört: aber auch verstanden? Unmöglich! So vernimm wenigstens, was ich ohne Sünde dir Laien verständlich machen kann!
Erst gegen Morgen war die Einweihung vollendet. Ich hatte während derselben zwölfmal die Kleidung verändert und ging endlich aus dem Innersten des Tempels in einem Aufzuge hervor, der zwar auch mystisch war, von dem aber kein Gesetz verbietet, ganz frei zu reden! da mich drinnen sogar sehr viele Anwesende gesehen haben.
Mitten in dem Tempel mußte ich vor der Göttin Ebenbild auf eine hölzerne Bank hintreten. Mein Leibrock war von Kattun, mit bunten Blumen bemalt, und von den Schultern herab bis zu den Fersen fiel mir ein köstlicher Mantel, auf dessen beiden Seiten allerhand Tiere von verschiedenen Farben zu sehen waren: hier indische Drachen, dort hyperboreische[95] Greife in Löwengestalt, aber mit Adlerköpfen und Flügeln, wie sie die andere Welt hervorbringt. Bei den Eingeweihten heißt dieser Mantel die olympische Stole.
Ich führte eine brennende Fackel in der rechten Hand und war mit einem Kranze von Palmblättern geziert, die so geordnet waren, daß sie um mein Haupt gleich Strahlen herumstanden.
So als Bild der Sonne ausgeschmückt, stand ich gleich einer Bildsäule da. Ein Vorhang öffnete sich und zeigte mich den neugierigen Blicken des Volkes.
Hierauf beging ich den erfreulichen Entstehungstag der Mysterien mit leckeren und fröhlichen Gastmählern. Am dritten Tage aber wurde den heiligen Satzungen gemäß mit allerhand Feierlichkeiten der Beschluß der Schmausereien und der ganzen Einweihung gemacht.
Noch einige Tage blieb ich da, mich mit unsäglicher Wonne am Anblick des Götterbildes zu weiden. Ich war durch eine zu unvergeltbare Wohltat verpflichtet. Nachdem ich mich in Demut, zwar nach meinem geringen Maße doch bei weitem noch nicht vollkommen, alles Dankes entledigt hatte, so schickte ich mich endlich auf ausdrücklichen Geheiß der Göttin zu meiner Abreise an. Kaum vermochte ich die Bande der inbrünstigen Liebe, die mich bei meiner Wohltäterin zurückhielten, zu lösen. Vor ihrem Angesicht stürzte ich nieder und wusch lange in stummer Betäubung ihre Füße mit meinen Küssen, bis ich zuletzt unter Tränen in diese, von häufigen Schluchzen unterbrochen, erstickten Worte ausbrach:
»Göttin! Heilige, ewige Erhalterin des Menschengeschlechts! Die du nicht aufhörst, Schutz den schwachen Sterblichen zu verleihen; die du dem Elenden die milde Zärtlichkeit einer Mutter angedeihen lässest! Kein Tag, keine Nacht, kein geringer Augenblick schwindet leer an deinen Wohltaten dahin. Zu Wasser und zu Lande beschirmst du die Menschen, entfernest von ihnen jegliche Lebensgefahr und reichst ihnen deine hilfreiche Rechte, mit welcher du das verworrene Gewebe des Schicksals auseinanderwirrst, die Unglücksstürme zum Schweigen bringst und der Sterne schädlichen Lauf einhältst. Dich verehren die Ober- und Untergötter. Du wirbelst die Erde im Kreise herum, entzündest das Licht der Sonnen, regierst die Welt und hältst den Tartarus untertan. Dir antworten die Gestirne, jauchzen die Götter, wechseln die Jahreszeiten und dienen die Elemente. Auf deinen Wink wehen die Lüfte, füllen sich die Wolken, keimt das Gesäme und sprießt das Gras. Deine Majestät scheuen die Vögel unterm Himmel, die wilden Tiere auf den Bergen, die Schlangen in den Klüften und die Ungeheuer im Meer. Doch bin ich zu schwach an Geiste, dein Lob zu preisen, bin zu arm an Habe, dir würdige Opfer zu bringen; Fülle der Worte gebricht mir, das Gefühl deiner Herrlichkeit auszusprechen. Ja, leihe tausend Lippen mir und ebenso viele Zungen nebst einem ewigen Fluß ununterbrochener Rede, dennoch bin ich zu ohnmächtig. So laßt dir denn wohlgefallen, was demütiglich meine fromme Armut dir anlobt! Ewig soll dein göttliches Antlitz, ewig dein beneideter Name hochverehrt im innersten Heiligtum meines Herzens leben!«
Nachdem ich also zur Göttin gebetet, nahm ich auch vom Hohenpriester Mithras Abschied. Mit einer Rührung, als wenn ich mich von meinem Vater trennen müßte, hing ich an seinem Halse und küßte ihn und bat ihn um Vergebung, wenn ich die von ihm mir erwiesenen großen Wohltaten nicht würdiglich zu vergelten vermöchte. Endlich, nach langen, herzlichen Danksagungen, verließ ich ihn und begab mich hinweg.
Mein Sinn war gerade nach meiner Heimat gerichtet, von der ich nun so lange Zeit abwesend gelebt hatte. Indessen, nach wenigen Tagen mußte ich auf Antrieb der Göttin meine Sachen über Hals und Kopf zu Schiffe bringen und gen Rom segeln. Mit günstigem Winde erreichte ich schnell und glücklich den Hafen, nahm einen Wagen und kam wohlbehalten am zwölften Dezember gegen Abend in dieser hochheiligen Hauptstadt an.
Täglich war meine vornehmste Sorge, die Königin Isis anzubeten, deren erhabene Gottheit allda unter dem von der Lage des Tempels hergenommenen Namen, Isis vom Marsfelde, mir der größten Heiligkeit verehrt wird. Ich ward einer der eifrigsten Diener, zwar fremd im Tempel, doch in der Religion einheimisch.
Siehe, als die große Sonne nach durchlaufenem Tierkreise das Jahr vollendet, da erschien mir die wohltätige Göttin wiederum im Traume und ermahnte mich zu einer abermaligen feierlichen Aufnahme und Einweihung in die Geheimnisse.
Ich konnte nicht begreifen, was dies vorstellen, was dies bedeuten sollte. Denn eingeweiht glaubt’ ich schon aufs vollkommenste zu sein. Endlich, nachdem ich lange den Skrupel mit mir herumgetragen hatte, zog ich die Priester darüber zu Rate. Welch ein neues, wunderbares Licht ging mir da auf!
Ich wäre zwar, sagten sie, in der Göttin Geheimnisse eingeweiht, aber in die des großen Gottes, des höchsten Vaters der Götter, des unüberwindlichen Osiris, wäre ich noch nicht aufgenommen. Ungeachtet beider Gottheit und Religion verbunden, ja ganz dieselbe sei, so wäre dennoch ein wesentlicher Unterschied zwischen der Weihe; daher sollte ich nur denken, daß ich auch zum Diener des großen Gottes berufen würde. Der Knoten wurde bald gelöst.
In einem Gesichte sah ich in der folgenden Nacht einen von den Priestern. Mit einem leinenen Gewande angetan, brachte er mir Thyrusstäbe und Efeuzweige und andere Sachen, die ich nicht sagen darf, in das Zimmer; setzte sich auf meinen Stuhl nieder und gebot mir, einen Einweihungsschmaus zu veranstalten. Zuletzt zeigte er mir, zum Merkmal, woran ich ihn wiedererkennen möchte, daß an seinem linken Fuß der Knöchel dermaßen verrenkt sei, daß er hinke.
Nach einer so offenbaren Willenserklärung der Götter waren alle meine Zweifel gehoben. Sobald also der Göttin Frühmette vorbei war, betrachtete ich mir alle Priester aufmerksam, ob keiner darunter sei, der, gleich meinem Traumgesichte, hinke. Ich entdeckte wirklich einen. Es befand sich jemand unter den Pastophoren (Erzpriestern), der nicht allein wegen des Merkmals am Fuße, sondern auch an Statur und Mienen vollkommen demjenigen ähnlich war, der mir im Traume erschienen. Wie ich nachher erfuhr, hieß er Asinius Marcellus (Dürr-Esel), ein Name, der mit meiner vormaligen Verunstaltung in Verwandtschaft stand.
Unverzüglich trat ich zu ihm. Er wußte aber schon, was ich ihm sagen wollte; denn er hatte gleichfalls Befehl erhalten, meinen Mystagogen abzugeben. In vergangener Nacht hatte es ihm geschienen, als habe ihm der große Gott, während er demselben Kränze aufsetzte, mit dem Munde, der aller Menschen Schicksal bestimmt, deutlich verkündet: Er werde ihm einen Madaurer zuschicken, den er trotzt seiner Armut sogleich in seine Mysterien einweihen solle: weil dieser dereinst durch seine Fügung sich sehr in den Wissenschaften hervortun, er aber einen ansehnlichen Schatz finden würde.
Solchergestalt zur Einweihung auserwählt, wurde ich gleichwohl durch meine wenige Barschaft, aber sehr wider meinen Willen, davon zurückgehalten. Nicht allein, daß meine geringe Habe auf der Reise ziemlich geschmolzen war, so überstieg auch der zur Aufnahme erforderliche Aufwand in Rom bei weitem denjenigen, welchen ich in der Provinz dabei zu machen genötigt gewesen. Man kann nicht mehr als ich bei dieser Gelegenheit die drückende Last der Armut fühlen! Das Messer stand mir, mit einem alten Sprichwort zu reden, an der Kehle, da die Gottheit mich immerfort zur Erfüllung meines Berufes antrieb.
Endlich, nachdem ich lange einmal über das andere vergebens erinnert worden und ich mir gar nicht anders mehr zu helfen wußte, so verkaufte ich meine Garderobe, womit ich denn, so gering sie auch war, die erforderliche Summe noch zusammenbrachte; zwar geschah es auch nur auf besondere Anmahnung.
»Wie?« hieß es, »du, der du kein Bedenken tragen würdest, um ein nichtiges Vergnügen sogar deinen Rock vom Leibe dahinzugeben: du stehst noch an, dich um so großer Geheimnisse willen einer verdienstlichen Armut in die Arme zu werfen?«
Ich schaffte denn alles in Überfluß an, was nötig war; ließ mir wiederum zehn Tage lang an leblosen Speisen genügen, und nachdem ich nun auch in die nächtlichen Orgien des größten Gottes, Serapis, aufgenommen war, besucht’ ich noch fleißiger als zuvor den heiligen Gottesdienst, mit dem vollkommensten Vertrauen in die geschwisterliche Religion.
In dieser Lage genoß ich nicht allein der größten Gemütsruhe, ungeachtet ich in der Fremde lebte, sondern ich hatte auch noch mein reichliches Auskommen: denn das Glück gab sein Gedeihen zu den Rechtshändeln, deren ich mich vor Gericht annahm.
Es währte jedoch nicht lange, so erschienen mir, ehe ich mir’s versah, die Götter aufs neue und heischten von mir, mich zum dritten Male weihen zu lassen.
Sorgenvoll, wußte ich nicht, was ich darüber denken sollt. So sehr ich mir auch den Kopf zerbrach, so konnte ich doch auf keine Weise weder die Absicht der Himmlischen erraten noch mir vorstellen, was nach einer wiederholten Weihe mir noch fehlen könnte, wofern beide Hohepriester anders mich nicht hintergangen oder vielleicht mir manches vorenthalten hätten? Fast war mir ihre Ehrlichkeit verdächtig.
Indem ich aber also auf diesem Meere unruhiger Gedanken umherschwankte und meinen Verstand bald darüber verloren hätte, so er hielt ich durch ein Traumgesicht folgende Offenbarung:
»Sei unbesorgt! Nichts ist bei deinen vorigen Einweihungen versehen worden! Wenn du jetzt zu einer dritten aufgefordert wirst, so geschieht es bloß, weil dir die Götter vorzüglich hold sind. Freue dich denn und jauchze! Was andere kaum einmal, das wirst du dreimal werden. Kraft dieser Zahl, glaube es fest, wirst du ewig glückselig sein! Übrigens ist diese künftige Einweihung unumgänglich nötig. Bedenke nur, daß das Gewand der Göttin, welches du in Griechenland angelegt hast, allda in ihrem Tempel zurückgeblieben ist, und daß zu Rom du dich dieses heiligen Schmuckes weder an gewöhnlichen noch außerordentlichen Bet- und Dankfesten bedienen kannst. Darum, mit Heil, Glück und Segen! laß dich hinwiederum einweihen und folge fröhlichen Muts der Eingebung der großen Götter!«
Hierauf zeigte mir der durch göttliche Allmacht zugesandte überredende Traum an, was ich anzuschaffen und weiter zu tun hätte.
Ich nahm sonach keinen Anstand, sondern hinterbracht gleich meinem Erzpriester das gehabte Gesicht, unterzog mich dem Joche der Fasten, verdoppelte freiwillig die durch ein unverbrüchliches Gesetz gebotenen zehntätige Frist der Enthaltsamkeit und kaufte aus frommen Eifer alle zur Weihe nötigen Sachen in weit reichlicherem Maße an, als es vorgeschrieben war. Und wahrlich! Niemals habe ich mich weder diese Kasteiung des Fleisches noch die gemachten Ausgaben gereuen lassen; auch hatt’ ich nicht Ursache! Ungerechnet, daß mit der Götter Segen ich mir schon ein ansehnliches Vermögen durch Advozieren erworben hatte, so würdigte mich nach mehreren Tagen der großen Götter Größter, der Größten Höchster, Höchsten Gewaltigster und der Gewaltigsten König – Osiris, nicht mehr unter eines andern Bildung, sondern von Angesicht zu Angesicht mit mir zu reden. Im Traume schien er in seiner eigenen ehrwürdigen Gestalt mir zu befehlen: unverzüglich mich den allerrühmlichsten Rechtshändeln zu widmen trotz der Neider, welche der Ruf meiner durch unermüdlichen Fleiß erworbenen Gelehrsamkeit mir zuziehen möchte. Ferner erhob er mich aus dem gemeinen Haufen seiner Diener in das Kollegium der Pastophoren; ja, er erkieste mich sogar zu einem seiner fünfjährigen Dekurionen.
Flugs ließ ich die Haare mir glatt wieder abscheren, und ohne meine Glatze auf irgendeine Weise zu verbergen oder zu bedecken, trat ich voller Freude in dies sehr alte Kollegium ein, das schon zu Sullas Zeiten gestiftet worden war.