3.

Lange Zeit danach, fast bei Sonnenuntergang, erreichte er den Raumhafen von Aldryne; die Sonne Aldryne war fast hinter dem Horizont verschwunden. Ein gelangweilt dreinschauender Mann am Kartenschalter blinzelte ihn überrascht an, als er eine Karte nach Dykran verlangte, und sagte: »Keine Flüge mehr nach Dykran.«

»Wie? Ist der letzte bereits fort? Die Sonne ist doch noch gar nicht untergegangen. Es müßte doch mindestens zwei Abendflüge geben…«

»Keine Flüge mehr, Punkt. Anweisung der Kaiserlichen Verwaltung für die Dauer der Feindseligkeiten auf Dykran.«

»Was für Feindseligkeiten?« fragte Duyair überrascht.

Der Angestellte bewegte seine Hände. »Was weiß ich? Die Bergarbeiter dort streiken doch ständig für irgend etwas. Wie dem auch sei, ich kann Ihnen keine Passage nach Dykran verkaufen.«

»Hm. Was ist mit Paralon? Gehen noch Flüge nach dort heute abend ab?«

»Nein. Alle Flüge innerhalb des Systems sind für heute nacht verboten worden, um genau zu sein. Ich kann Ihnen ein halbes Dutzend Flüge in andere Sonnensysteme anbieten, wenn Sie Interesse haben.«

Duyair rieb sich verwirrt das Kinn. Er hatte nur einhundert Kredits bei sich — kaum genug für einen Flug zu einem anderen System. Und er wagte es nicht, in den Tempel zurückzukehren und mehr Geld zu holen. Er hatte damit gerechnet, einen Linienflug zu einer der Welten des Aldryne-Systems machen zu können.

»Im ganzen Sonnensystem läuft nichts mehr?« fragte er noch einmal.

»Hören Sie, mein Freund — ich glaube ich habe mich deutlich genug ausgedrückt. Wenn Sie jetzt bitte verschwinden würden?«

»Schon gut«, sagte Duyair. »Danke.« Mit einem äußerlich ungerührten Gesicht ging er davon.

Keine Flüge mehr innerhalb des Systems? Das war doch völlig unnormal, dachte er. Auf Dykran gab es vielleicht Probleme, aber warum konnte er nicht nach Paralon, Moorhelm oder einer anderen der Welten fliegen?

Plötzlich spürte er, wie ihn jemand an seinem Ärmel zog. Schnell fuhr er herum und erkannte einen kleinen, von den Strahlen des Weltalles gebräunten Mann neben sich.

»Was wollen Sie?«

»Pst! Wollen Sie, daß man uns einlocht? Ich habe gerade Ihre Probleme am Kartenschalter mitgehört, Freund. Sie wollen heute nacht noch nach Dykran?«

»J-ja«, sagte Duyair zögernd. »Worum geht es?«

»Ein Privatflug. Zweihundert Kredits bringen Sie ordnungsgemäß hin.«

»Ich habe nur einhundert bei mir«, sagte Duyair. »Und ich habe keine Zeit, noch mehr Geld aufzutreiben. Ich bin Priester«, fügte er hinzu. »Ich muß morgen auf einer wichtigen Konferenz auf Dykran sein, und es ist ziemlich schwerwiegend, wenn ich nicht dabei bin.«

»Priester? Von welchem Tempel?«

»Tempel der Sonnen«, sagte Duyair.

Der Raumfahrer überlegte einen Augenblick. »Okay — einhundert Kredits werden reichen. Aber ich möchte im voraus bezahlt werden.«

Vorsichtig faltete Duyair seine Fünfundzwanzig-Kredit-Noten auseinander und zeigte sie dem Mann. »Das müßte reichen, oder?«

»Ja.«

»Gut. Sie gehören Ihnen in dem Moment, in dem wir nach Dykran starten.«


Der Flug war kurz und ungemütlich. Duyair hatte diese interplanetare Reise mehr als ein Dutzend Mal gemacht, und so waren ihm die Verhaltensweisen eines mit Ionen angetriebenen Raumschiffs nicht neu. Er überstand die Beschleunigung gut, genoß die Schwerelosigkeit des freien Falles, und als das Schiff sich zu drehen begann, um künstliche Schwerkraft zu erzeugen, ließ er sich in einer Hängematte nieder und döste vor sich hin.

Die Verhältnisse an Bord waren ihm sehr schnell klar geworden. Der Pilot war offenbar ein Privatmann, der illegale Warentransporte zwischen einigen Welten durchführte. Was es war, interessierte Duyair nicht. Aber es war auch offensichtlich, daß der gerissene Pilot schon bald dazu übergegangen war, ein paar Extra-Kredits durch die Mitnahme von Passagieren zu verdienen. Insgesamt befanden sich etwa ein Dutzend Reisende an Bord, und zweifellos hatte jeder von ihnen einen wichtigen Grund, nach Dykran zu reisen. Sie alle waren von dem unerwarteten Verbot überrascht worden.

Duyair wurde von einem Signal geweckt — ein Läuten zeigte den Landeabstieg des Schiffes an. Langsam senkte sich das kleine Schiff auf die Oberfläche von Dykran hinab.

Sie waren in einer, wie es schien, kargen, baumlosen Ebene weitab von jeder Zivilisation gelandet; ein kalter Wind heulte, wirbelte graue Sandwolken auf, als Duyair durch eine offene Luke hinausglitt und den Boden berührte.

Er wandte sich an den Piloten, der das Ausladen der Kisten und Paletten beaufsichtigte. »Sollen wir den Weg in die Stadt selbst finden?«

Der Angesprochene lachte. »Erwarten Sie eine Limousine bei einem illegalen Flug? Sie müssen hier auf eigenen Füßen stehen. Für weitere einhundert Kredits fahre ich Sie in die Stadt, aber das Geld haben Sie ja nicht, nicht wahr?«

»Nein«, sagte Duyair bitter und wandte sich ab. Er war zu überhastet geflüchtet, stand völlig ohne Geld da und war auch für das eisige Klima auf Dykran nicht angezogen.

Aber hier gab es Priester und Tempel — er würde schon Unterkunft finden. Also marschierte er über den ausgedörrten Boden los. Einige seiner Mitreisenden folgten seinem Beispiel.

Als er etwa einen Kilometer gelaufen war und bereits bei jedem Schritt vor Kälte zitterte, senkte sich beinahe direkt vor ihm ein Jetkopter herab; durch den aufgewirbelten Staub konnte er das Emblem auf einer Seite des Gleiters erkennen: Es war das purpur-goldene Sternensymbol der Imperial-Polizei.

Eine Flucht kam nicht in Frage, obwohl er kurz an diese Möglichkeit dachte. Die Imperial-Polizei war sehr viel stärker gefürchtet als die Lokalpolizei von Dykran.

Ein auf ihn gerichteter Strahlerlauf vertrieb alle solche Gedanken. Duyair blieb auf der Stelle stehen, wartete ab, bis der Polizist näherkam.

Der Beamte war ein kleiner, stämmiger Mann mit einem zerfurchten Gesicht. Seine Eröffnungsworte waren vorauszusehen: »Zeigen Sie mal Ihre Papiere!«

»Aber natürlich«, sagte Duyair und übergab seine Ausweispapiere. Der Beamte las sie gründlich durch, gab sie zurück: »Sie sind also Ras Duyair von Aldryne. Was tun Sie auf Dykran?«

»Ich bin zu Besuch. Ich bin Priester.«

»Das habe ich gelesen. Allerdings habe ich keinerlei Raumhafenvermerke in Ihren Papieren erkennen können. Wie sind Sie hierhergekommen?«

»Mit einem Raumschiff, natürlich«, sagte Duyair milde. Er überragte den Beamten um mehr als dreißig Zentimeter, aber der Strahler, der immer noch auf seine Rippen deutete, verbot jede Gewaltanwendung seinerseits.

»Seien Sie nicht so neunmalklug«, schimpfte der Mann zurück. »Sagen Sie mir lieber, wie lange Sie schon auf Dykran sind.«

»Etwa eine halbe Stunde.«

»Eine halbe Stunde? Und Sie sind mit einem Raumschiff gekommen? Sehr interessant. Seit acht Stunden ist ein Verbot für alle interplanetaren Flüge im Aldryne-System verhängt worden. Ich denke, Sie begleiten mich ins Hauptquartier des Prokonsuls und erklären ihm das mal.«


»Sie sind Ras Duyair?«

»So lautet mein Name, ja. So steht es auch da drin.«

»Nicht vorlaut werden«, sagte der Frager. Es war Rolsad Quarloo, Imperialer Prokonsul auf Dykran, ein kleiner, von Wind und Wetter gezeichneter Mann mit einem grimmigen Äußeren. »Ich möchte wissen, warum Sie trotz eines kaiserlichen Verbots auf Dykran sind. Wie sind Sie hergekommen?«

Duyair schwieg. Der Polizeibeamte, der ihn aufgegriffen hatte, sagte: »Er kam mit einem Schmuggelschiff. In seiner Umgebung griffen wir etwa ein Dutzend Leute auf.«

»Das weiß ich, Sie Narr!« schnauzte der Prokonsul. »Ich möchte, daß er das sagt. Es muß alles in den Bericht aufgenommen werden.«

»Schon gut«, warf Duyair ein. »Ich bin mit dem Schmuggelschiff gekommen, wenn Sie das hören wollen. Ich wollte nach Dykran fliegen, und kein Kartenschalter hat ein Ticket verkauft. Da kam dieser Pilot daher und bot mir für einhundert Kredits einen Flug an. Er hat mich hergebracht, Sie haben mich festgenommen, das ist alles.«

Der Prokonsul musterte ihn finster. »Sie müssen gewußt haben, daß die Reise illegal war. Warum wollten Sie unbedingt nach Dykran kommen?«

»Zu einem Besuch«, sagte Duyair. Er hatte sich vorher überlegt, daß es das sicherste wäre, einen unbedarften Touristen zu spielen und seinen Fragestellern das Reden zu überlassen.

»Zu Besuch? Und dafür übertraten Sie ein kaiserliches Verbot — nur um einen Besuch zu machen? Ich gebe auf«, sagte Rolsad Quarloo, berührte einen Knopf auf seinem Tisch, und eine Tür ging auf.

Ein großer, in seiner purpur-goldenen Robe würdevoll aussehender Mann betrat den Raum. Er musterte den Prokonsul geringschätzig und sagte: »Nun, haben Sie etwas aus ihm herausbekommen, Quarloo?«

»Gar nichts. Wollen Sie es versuchen?«

»Natürlich.« Seine Magnifizenz musterte Duyair. »Ich bin Olon Domyel, Kaiserlicher Legat. Sie sind der Priester Ras Duyair von Aldryne im Aldryne-System?«

»So lautet mein Name, ja.«

»Und Sie sind der Sohn des verstorbenen Vail Duyair, Priester, ebenfalls von Aldryne?«

Duyair nickte.

»Wissen Sie, wie Ihr Vater gestorben ist?« fragte Domyel.

»Unter den Händen des kaiserlichen Befragers. Man wollte ihm ein Geheimnis unserer Religion entreißen.«

»Den Hammer von Aldryne, meinen Sie«, sagte Domyel.

»Ja, genau das.«

Der wuchtige Legat lief im kleinen Büro des Prokonsuls auf und ab. Nach einer Weile sagte er: »Sie wissen, daß wir Sie auch foltern lassen könnten, um das Geheimnis zu erfahren. Wir vom Imperium haben ein großes Interesse an diesem Hammer, Duyair.«

Duyair grinste. Plötzlich schien sich jeder für den Hammer zu interessieren.

»Sie lächeln?«

»Ja, Mylord. Dieser Hammer — er existiert nicht, verstehen Sie? Er ist eine unserer Legenden, ein Mythos. Mein Vater hat versucht, das Ihren Verhörexperten klarzumachen, und sie haben ihn umgebracht. Jetzt werden Sie mich wohl auch verhören lassen und mich genauso töten. Das ist alles schon sehr komisch.«

Der Legat schaute Duyair säuerlich an. »Ein Mythos, sagen Sie? Für eine Legende habe ich die halbe Galaxis durchquert…«

»Der Aufstand auf Dykran ist etwas sehr Reales«, erinnerte Prokonsul Quarloo den Gesandten.

»Ah — ja, die Rebellion. Und dieser Hammer von Aldryne — ein Mythos? Was weiß ich. Mann, warum sind Sie nach Dykran gekommen?«

»Ich bin hier zu einem Besuch«, sagte Duyair unschuldig.


Sie befragten ihn noch etwa eine halbe Stunde lang und ließen ihn dann laufen. Duyair hielt sich strikt an seine Touristenrolle, und es wurde dem verbitterten Legaten und dem Prokonsul schnell klar, daß sie nichts aus ihm herausholen würden. Duyair versprach, die Stadt nicht zu verlassen, dann entließen sie ihn.

In dem Augenblick, als er das Hauptquartier des Prokonsuls verließ, huschte eine schattenhafte Gestalt an seine Seite, und eine leise Stimme sagte: »Bist du Ras Duyair?«

»Vielleicht.«

»Du bist gerade vom Prokonsul verhört worden, nicht wahr? Sag die Wahrheit, oder ich lasse dich mein Messer spüren.«

»So war es«, gab Duyair zu. »Wer bist du?«

»Wahrscheinlich ein Freund. Begleitest du mich?«

»Bleibt mir eine andere Wahl?« fragte Duyair.

»Nein«, gestand der Fremde.

Gottergeben ließ Duyair sich die Straße hinunter zu einem blauen Wagen führen, der dort stand. Auf Anweisung des Fremden stieg er ein, und sie fuhren davon.

Duyair machte keine Versuche, sich die Straßennamen zu merken. Sein Fahrer fuhr eine derart verwirrende, chaotische Route, daß jeder Versuch dieser Art von vornherein hoffnungslos war.

Schließlich stoppten sie vor einem flachen, grau-braunen Steinhaus, das in dem häßlichen, veralteten Stil erbaut war.

Duyair und der Fremde verließen den Wagen und betraten das alte Gebäude.

»Wir sind da«, sagte Duyairs rätselhafter Entführer.

Sie passierten zwei reglose Wachtposten, und Duyair fragte sich schon, in welche verrückte Intrige er jetzt gestolpert war. Er überlegte, ob er nicht besser auf Aldryne geblieben war.

»Ist das Duyair?« fragte ein Mann mit einem eiskalten Gesicht und einem fremden Akzent.

Duyairs Entführer nickte.

»Bring ihn hinein«, befahl der Mann.

Duyair wurde in einen hell erleuchteten Raum geschoben, der mit vollgepackten Buchregalen eingefaßt und mit alten, schäbigen Möbeln ausgestattet war. Ein paar weitere Männer saßen auf klapprigen Stühlen.

Der Mann mit dem reglosen Gesicht wandte sich an Duyair und sagte: »Ich muß mich für eine Reihe von Dingen entschuldigen. Zuerst, daß ich Sie nicht vor den Imperiumsleuten erwischt habe, und weiter für die rätselhafte Behandlung, der Sie unterworfen wurden, seit Quarloo Sie freigelassen hat.«

»Die Entschuldigung ist angenommen«, sagte Duyair. »Wo bin ich und was geht hier vor?«

»Mein Name ist Bluir Marsh«, sagte der Sprecher. »Ich stamme von Dervonar. Sie kennen Dervonar?«

»Es ist die Hauptstadt des Imperiums, nicht wahr?«

»Richtig. Ich habe das Imperium aus erster Hand kennengelernt, von innen heraus. Es ist verfault. Es steht kurz davor, zusammenzubrechen, wenn man es nur antippt.«

»Und?«

»Also bin ich nach Dykran gekommen. Ich habe eine Organisation aufgebaut und möchte, daß Sie ihr beitreten. Wir bereiten uns darauf vor, dem Imperium diesen letzten Stoß zu versetzen.«

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