Furchterfüllt wachte ich auf, denn im Schlaf hatte ich Besuch von Mida bekommen. Meine Augen waren von ihrem Licht geblendet worden. Ich hatte versucht, mich in meinem Elend vor ihr zu verbergen, aber wie kann man sich vor Mida verstecken? Tröstend hatte sie sich mir zugewandt und gesagt: »Verzweifle nicht, Jalav. Die Anführerin der Hosta ist nicht besiegt und erniedrigt worden.«
»O doch, das bin ich«, hatte ich geschrien. »Dieser Mann, den man Ceralt nennt, hat mich erniedrigt, und doch will er nicht dein Gesetz erfüllen. Gibt es nichts, was du dazu tun kannst, göttliche Mida?«
Mida hatte leicht gelacht und gesagt: »Es ist bereits alles geschehen. Die Männer handeln so, wie ich es ihnen befahl, obwohl sie es nicht wissen. Ceralt mißachtet mein Gesetz nicht, denn er gehört nicht zu den Midanna. Nur das Volk der Midanna muß diesem Gesetz gehorchen, aber er ist ein Mann. Glaubst du denn, daß ich dich unbewaffnet einem Mann gegenübertreten ließe und erwarte, daß du ihn besiegst? Nur wenn du mit dem Schwert in der Hand kämpfst, erwarte ich von dir, daß du siegst, sei dein Gegner ein Mann oder eine Kriegerin. Und das wird bald der Fall sein, darum sollst du dir wieder ein Herz fassen. Meine Kristalle müssen zurückerobert werden!« »Ich gehorche dir, Mida«, hatte ich demütig erwidert. Alles, was geschehen war, war also Midas Wille gewesen. Ich kannte den Grund dafür nicht, aber bestimmt würde er mir eines Tages klarwerden. Von einem Mann besiegt zu werden, war also nicht so schlimm, wie einer Kriegerin zu unterliegen. Das verstand ich zwar nicht, aber an Midas Wort gab es keine Zweifel.
Als ich meine Augen öffnete, war Mida verschwunden. Die Männer saßen bereits beim Essen und boten mir von ihrem Fleisch an. Ich würgte es hinunter, obwohl es mir nicht schmeckte. Wenn ich Mida weiterhin dienen sollte, mußte ich meine Kräfte zurückgewinnen.
Wieder liefen wir, bis das Licht am höchsten stand. Diesmal waren wir aber nicht angeleint, sondern trugen nur metallene Ketten an den Armen, weil, wie Ceralt sagte, uns die Stärke des Metalls von der Flucht abhalten sollte. Darauf hatte ich nichts entgegnet, aber es war Unsinn, denn bisher hatten wir ja auch keine Gelegenheit zur Flucht gehabt. Vermutlich wollte er, daß Fayan und ich dachten, daß er uns sehr fürchtete, doch das verstand ich nicht. Tatsächlich gibt es kaum etwas Gefährlicheres als eine bewaffnete Midanna, aber wir beide waren unbewaffnet. Wie sollten wir also den Männern gefährlich werden? Das ergab alles wenig Sinn, aber noch weniger Sinn ergab Fayans Benehmen. Noch vor kurzem hatte sie davon gesprochen, daß sie ihre befleckte Ehre mit ihrem Blut sühnen wollte, und nun blickte sie ihn an, als ob sie in Midas Königreich sähe. Die Blicke, die die beiden tauschten, schienen mir höchst verwunderlich. Einmal, als Fayans Blick zufällig mich traf, wurde sie rot und schaute rasch wieder weg.
Bei der Rast gesellte sich Telion zu uns. Er war auf dem Weg vorausgeritten. Hätte Mida mir nicht erklärt, daß die Männer in ihrem Sinn handelten, hätte ich leicht entfliehen können, da Ceralt nicht sehr scharf auf mich aufpaßte. Ich fand es aber nicht klug, mich in diesem Moment wieder zu meinen Kriegerinnen zu gesellen. Mida hatte mich zu einem bestimmten Zweck mit den Männern zusammengebracht, und diesen Zweck wollte ich unbedingt herausfinden. Telion lachte verhalten, als er absprang und sein Kan festband. »Die jungen Damen sind begierig darauf, Ranistard zu erreichen«, sagte er zu Ceralt. »Natürlich würden sie es nicht zugeben, aber sie wünschen unbedingt diejenigen zu sehen, die von ihren Vätern für sie ausgesucht werden. Ich hatte eine sehr angenehme Zeit.«
»Nun werde auch ich mir eine angenehme Zeit machen«, sagte Ceralt. »Ich glaube, es ist an der Zeit für mich, zu heiraten, und da sollte ein Mann sich ernsthaft umsehen.« »Manchmal meine ich, daß das Umsehen wichtiger ist als die endgültige Wahl«, entgegnete Telion lachend. »Wie hat sich unsere Gefangene benommen?«
»Sehr gut«, sagte Ceralt und gab auch mir ein Stück Fleisch. »Du siehst erholt aus, Jalav, und wirkst nicht mehr so bekümmert. «
»Das stimmt«, entgegnete ich und betrachtete das Fleisch mit Widerwillen. »Telion hat recht, Mida hat Verständnis für mich.«
»Ich dachte mir, daß sie das hat«, bemerkte Telion. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß er sich über mich lustig machte, aber das war egal. Hauptsache, er benahm sich nach Midas Willen. Nidisar und Fayan hatten sich etwas abseits hingesetzt, um ihr Fleisch zu essen.
Sie himmelten sich so sehr an, daß Fayan noch nicht einmal den Erkennungsruf der Hosta vernahm. Aber ich hatte ihn klar erkannt und wollte ihn irgendwie erwidern, ohne die Männer mißtrauisch zu machen. Also stand ich langsam auf, streckte mich und hielt meine gefesselten Hände hoch. Das ärgerliche Schimpfen eines Lellin bestätigte mir, daß man mich verstanden hatte.
Als ich meine Arme wieder herunternahm, sah ich, daß mich die beiden Männer anstarrten. Nach einer Weile räusperte sich Telion und sagte: »Gibt es nicht noch etwas, für das wir uns rächen müßten, Ceralt?«
»Nein«, entgegnete Ceralt bestimmt. »Wir haben unser Wort gegeben, und wir werden es nicht brechen.« »Manchmal bedauere ich es, daß ich ein Ehrenmann bin«, sagte Telion, als er seufzend aufstand. »Das Leben eines Schurken ist doch viel angenehmer.«
»Ah, das werde ich mir merken«, ertönte auf einmal eine weibliche Stimme, »daß ihr lieber ein Schurke wärt.« Wir wandten uns alle um und erblickten einige Frauen, die in einem der bedeckten Gefährte herangekommen waren. Sie trugen alle lange Kleider in unterschiedlichen Farben. Diejenige, die gesprochen hatte, war schwarzhaarig, so wie ich, trug aber ihre Haare eng um den Kopf und mit verschiedenen Metallstücken festgesteckt. Die Frauen waren nicht sehr groß. Sie lächelten Telion an, der ihr Lächeln erwiderte. »Halia!« sagte Telion erfreut. »Ich habe nicht gewußt, daß Ihr hier seid. Darf ich Euch mit meinem Freund Ceralt bekannt machen, von der Bruderschaft der Jäger in Bellinard?« »Ich bin sehr erfreut, meine Damen«, sagte Ceralt und verbeugte sich leicht. »Es wird mir eine Freude sein, in Eurer Gesellschaft zu reisen.«
Die Frauen sahen sich an und lachten mit einem hohen, schrillen Lachen, das ich noch nie zuvor gehört hatte. Die, die Telion Halia genannt hatte, sah Ceralt an und strich immer wieder über ihren Rock. »Ich habe schlimme Dinge über die Jäger gehört«, sagte sie mit seitwärts geneigtem Kopf. »Könnte es sein, Ceralt von Bellinard, daß sie wahr sind?« »Keinesfalls«, sagte Ceralt. »Jäger sind feine Kerle. Um das zu beweisen, möchte ich Euch mit meinem Freund Nidisar bekannt machen.« Er wandte sich um und rief: »Nidisar! Komm bitte schnell her, um mich bei der Verteidigung der Bruderschaft der Jäger zu unterstützen!«
Nidisar sah auf, kam mit Fayan an der Leine herüber und sagte lachend: »Soll ich meinen Speer mitbringen, Ceralt? Die Verteidigung der Jägerehre ist eine ernste Sache.« Wieder lachten die Frauen dieses merkwürdige Lachen, und Ceralt sagte: »Deinen Speer benötigen wir nicht, Bruder. Diesen Damen hier hat man verleumderische Lügen über uns Jäger erzählt. Sind wir nicht in Wirklichkeit ganz feine Burschen?« »Die allerfeinsten«, antwortete Nidisar mit einem Grinsen. »Eine junge Dame müßte sich glücklich schätzen, einen Jäger zum Mann zu bekommen.«
»Oder einen Krieger«, warf Telion ein, was bei den Frauen wieder großes Lachen verursachte.
»Ich fürchte eher, daß ihr alle ganz schlimme Burschen seid«, entgegnete Halia, »aber was kann eine junge Dame schon machen? Sie wird mit dem verheiratet, den ihr Vater für sie auswählt, und hat dabei nichts zu sagen.« Dann sah sie mich an und bemerkte: »Vielleicht wird sie sogar mit jemandem verheiratet, der seine Sklavinnen so abscheulich kleidet.« Die Männer sahen sich unbehaglich an, aber mich belustigte die Bemerkung. »Die Kriegerinnen der Hosta ziehen sich so an, wie es ihnen gefällt«, erklärte ich der kleinen Stadtfrau, »und die Kriegerinnen der Hosta lieben es, Midas Atem an ihrem Körper zu spüren. Dir könnte er auch nichts schaden.« »Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden?« stieß die Frau ärgerlich hervor. »Niemals würde ich mich in der Gegenwart von Männern so entblößen, besonders, wenn ich so überentwickelt wäre wie du!«
Ich warf meinen Kopf in den Nacken und lachte. »Jetzt verstehe ich endlich, warum sich die Stadtfrauen so verhüllen«, sagte ich zu Fayan. »Mida hat ihnen nicht das geschenkt, was die Midanna besitzen, und diesen Makel müssen sie verbergen. Deshalb sind ihre Männer so unzufrieden!«
Fayan lachte gleichfalls herzlich, aber die Stadtweiber ballten vor Zorn ihre Fäuste. Nidisar bemühte sich, Fayans Lachen zu überspielen, während Telion die Weiber beschwichtigen wollte. Ceralt hingegen machte den Versuch, sein Gesicht hinter der vorgehaltenen Hand zu verbergen.
Halia stürzte auf Ceralt zu und verlangte mit sich überschlagender Stimme: »Peitscht sie aus! Keine Sklavin darf es wagen, so mit mir zu reden!«
»Erlaubt mir, mich für sie zu entschuldigen«, sagte Ceralt fast verzweifelt. »Die Worte einer Skalvin können eine Dame...« »Peitscht sie aus!« schrie das Weib, »oder ich verprügele sie!« Ratlos sah Ceralt Telion an, der auch hilflos schien. Da wartete Halia nicht länger. Resolut hob sie einen großen, abgebrochenen Ast auf, der vor ihr auf dem Boden lag, und schlug ihn gegen meinen Kopf. Unwillkürlich hob ich meine gefesselten Arme, und der Ast traf meinen linken Unterarm. Ceralt schnappte sich den Ast und wand ihn der Frau aus den Händen. Dann trat er zwischen uns, als wolle er einen Angriff von mir verhindern. »Sie verdient Prügel!« wiederholte das rasende Weib. »Ich habe keine Angst vor ihr, wie Ihr es zu haben scheint.« »Warum wehrst du dich nicht, Jalav?« fragte Ceralt mich verwundert. »Ich hatte gedacht, daß du dich nicht so behandeln lassen würdest.«
»Was kann man schon gegen eine solche rasende Megäre unternehmen?« fragte ich. »Dabei kann man nicht viel Ruhm ernten. Allerdings sollte dieses Weib sich hüten, mich zu sehr herauszufordern«, fügte ich drohend hinzu.
Halia erblaßte bei meinen Worten. Auch die anderen Frauen wirkten erschreckt und wichen einen Schritt zurück. Sie bekamen erst wieder Mut, als sie sahen, daß Ceralt mich am Halsband festhielt.
»Sklavin!« höhnte eine von ihnen, die Arme in die Hüften gestemmt. »Sklavin an der Leine, Spielzeug der Männer. Nackte, nackte Sklavin!«
Die anderen Weiber fielen höhnisch ein. »Sklavin an der Leine, Sklavin an der Leine!« sangen sie, Halia allen voran. Ich reckte meinen Kopf höher und grollte leise. Sie sollten sich nur vorsehen! Fayan versuchte, die Weiber zu verjagen, aber Nidisar hielt sie zurück. Ceralts Gesicht verfinsterte sich, und auch Telion war der Ärger anzumerken. »Genug!« befahl er. »Besitzt Ihr nicht genug Würde, um Euch so aufzuführen?« »Sie besitzt nicht genug Würde«, entgegnete Halia und zeigte auf mich. »Wie kann eine Frau nur so herumlaufen, halbnackt und mit den Haaren bis auf die Hüfte? Sie ist nur ein Spielzeug der Männer. Wenn Ihr die Gesellschaft anständiger Frauen wünscht, dann solltet Ihr in Zukunft zu unserem Wagen kommen. Wir werden uns hier nicht mehr blicken lassen!« Mit hocherhobenem Haupt entfernten sich die Weiber. Telion und Ceralt sahen sich verärgert an. »Da geht sie hin, unsere schöne Zeit«, sagte Telion. »Wenn wir uns nun mit ihnen unterhalten wollen, geschieht das unter den Augen ihrer Väter. Das wird bestimmt nicht viel Spaß bereiten.« »Ihr Besuch hier hat auch nicht viel Spaß bereitet«, meinte Ceralt verdrießlich. »Sie sind noch sehr jung, das weiß ich, aber sie scheinen auch noch sehr dumm zu sein. Sollten wir uns nicht besser anderswo umsehen?«
»Und wo?« erwiderte Telion. »In Ranistard werden sie jedenfalls erste Wahl sein.«
»Vielleicht hast du recht«, entgegnete Ceralt. »Wir müssen sehen, daß wir den Schaden wieder gutmachen, aber möglichst erst dann, wenn ihr Ärger abgekühlt ist.« »Und möglichst nicht in Jalavs Gegenwart«, sagte Telion. »Kein Wunder, daß sie schäumten, als man ihnen empfahl, auch ihre Kleider auszuziehen. Sie sind vornehm erzogen worden und nicht gewohnt, daß man so mit ihnen redet.« »Offensichtlich nicht«, stimmte Ceralt zu, dann fragte er: »Glaubst du, daß das der Grund ist für...« Er brach unvermittelt ab. Dann lachten beide Männer brüllend und klopften sich dabei auf die Schenkel. Mir war nicht nach Lachen zumute. Diese Weiber hatten sich über mich lustig gemacht, und ich konnte mich nicht wehren. Auch Fayan schien noch immer erregt zu sein. Nidisar sprach ärgerlich auf sie ein, und sie lauschte mit niedergeschlagenen Augen. Dann blickte sie ihn empört an und wandte sich verärgert ab. Bald darauf bestiegen die Männer wieder ihre Kand, banden uns fest, und wir zogen weiter durch den Wald. Gegen Abend suchte die Karawane sich einen Rastplatz, und die Sklaven begannen mit dem Aufbau der Zelte. Nidisar stand neben seinem Kan, hielt Fayan am Halsband fest und wartete ungeduldig darauf, daß das Zelt fertig wurde. Fayan hatte ihn während des Marsches nicht wieder angesehen, und sein Ärger war zusehends gestiegen. Ceralt hatte mich an einen Baum festgebunden, so daß ich mich nicht bewegen konnte, und war dann mit Telion weggeritten.
Als die Zelte fertig aufgebaut waren, übergab Nidisar den Zügel seines Kan einem Sklaven und zog Fayan ins Zelt hinein. Die Sklaven sahen sich an und lachten. Ich entdeckte, daß man durch einen schmalen Spalt ins Zelt hineinsehen konnte. Nidisar und Fayan diskutierten erregt, dann wandte sich Fayan wieder von ihm ab. Da griff er sie, legte sie übers Knie und verdrosch sie mit ihrer Leine. Auch als Fayan zu wimmern begann, hörte er nicht auf. Endlich stieß sie unverständliche Worte hervor, er hörte auf und stellte sie wieder auf die Beine. Danach sprach er ernst mit ihr. Offensichtlich stellte er eine Frage, die sie traurig machte. Er legte die Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht an. Ihre Miene bekam den merkwürdigen Ausdruck, den ich früher schon an ihr beobachtet hatte, sie bot ihm die Lippen und ließ sich von ihm küssen. Dann nahm er sie fest in die Arme und warf sie auf den Boden, wodurch sie meinen Blicken entschwanden.
Ich war äußerst verwundert. Was hatte Nidisar angestellt, um meine Kriegerin zu solch einem seltsamen Verhalten zu veranlassen? Ich wünschte sehr, mit ihr reden zu können, war mir aber bewußt, daß Nidisar sie nun für einige Zeit in Anspruch nehmen würde.
In diesem Moment flüsterte eine Stimme hinter mir: »Mida segne dich, Jalav! Wie ergeht es dir unter all den Männern?« »Nicht so gut, wie es dir ergangen ist, Larid«, flüsterte ich. »Seid ihr alle wohlauf?«»Wohlauf und frei«, entgegnete sie. »Es war nicht schwierig, den Leuten in der Stadt zu entkommen. Sobald wir über die Mauer waren, folgten wir den Zeichen, die uns Gimin hinterlassen hatte. Bei Gimin und unseren Schwestern mußte uns einer der gefangenen Männer von dem Metall befreien. Die anderen sind etwa einen Tag voraus. Ich soll Gimin Nachricht bringen, ob sie über die Männer herfallen und dich befreien sollen.« »Das wäre schön, darf aber nicht sein«, erwiderte ich. »Mida ist mir erschienen und hat verlangt, daß ich bei den Männern bleibe. Ich kenne den Grund nicht, muß aber ihr Gebot befolgen. Bring Gimin die Botschaft, daß diese Karawane nach Ranistard zieht. Bevor sie die Stadt erreicht, muß die Stadt von unseren Kriegerinnen heimlich besetzt werden. Sobald die Karawane dort eintrifft, würde man gewarnt sein.« »Ich werde Gimin deine Botschaft überbringen«, flüsterte Larid, »und dann zurückkehren, falls du mich brauchst.« »Komm nicht zurück!« flüsterte ich. »Du darfst dich nicht in Gefahr begeben, denn Gimin wird jedes Schwert benötigen.« Da ich keine Antwort bekam, flüsterte ich: »Larid, hörst du mich ?« Wieder Schweigen. Ärgerlich zog ich an meinen Fesseln. Zu oft schon hatten meine Kriegerinnen meine Befehle mißachtet. Es wurde Zeit, daß ich ihnen wieder Disziplin beibrachte. Langsam senkte sich die Nacht hernieder, und noch immer saß ich dort am Baum, meine Arme festgebunden, und auch mit der Leine meines Halsbandes so befestigt, daß ich mich kaum bewegen konnte. Von den Lagerfeuern kam der Geruch von gegrilltem Fleisch, und es ertönte das Lachen von Männern und Frauen. Ich fragte mich, welchen Spaß sie wohl zusammen hätten, und vor mir erschien die Szene jener Nacht in Bellinard, als wir mit den Jägern zusammensaßen und Renth tranken. Obwohl ich auf unseren Kriegszügen und bei der Jagd schon viel Spaß gehabt hatte, war kein Spaß größer gewesen als der in jener Nacht. Aus dem roten Zelt vor mir, in dem Nidisar und Fayan waren, kam kein Laut, und die Dunkelheit wurde immer schwärzer. Schließlich hörte ich Schritte, und aus der Dunkelheit tauchten vor mir drei bewaffnete Männer auf, Wächter, die mit der Karawane ritten. Sie sahen mich begierig an, und einer von ihnen streckte die Hand aus und streichelte meine Brüste. »Eine faszinierende Sklavin«, sagte er, »die wohl jedem Mann gefallen würde. Seht nur, wie sie sich in ihren Fesseln bewegt, Brüder! Sie würde selbst das Eis des Berges zum Schmelzen bringen, auf dem Sigurr thront.«
»Was tust du eigentlich hier, kleine Sklavin?« fragte der zweite der Männer. »Du bist weit von deiner Heimat entfernt, und wir sehen euresgleichen hier nicht so gern. Hat man dich nur zur Sklavin gemacht, oder gehst du dahin, wo dich der Tod erwartet?«
Ich antwortete nicht, fühlte aber eine riesengroße Freude in meinem Innern. Diese Männer wußten, wie eine Kriegerin der Hosta aussah, und sie kannten auch ihre Heimat. Diejenigen, die den Kristall geraubt und das Leben meiner Kriegerinnen genommen hatten, standen vor mir! Oh, große Mida, du weißt genau, was du tust!
»Sie will nicht mit uns sprechen«, sagte der dritte und zog einen Dolch aus der Scheide. Er hatte ein hübsches Gesicht, fast wie ein Mädchen, das durch sein Lächeln noch hübscher wurde. Mit diesem Lächeln setzte er die Spitze seines Dolches auf meine Brust und sagte: »Vielleicht muß sie erst überredet werden.« Er bohrte den Dolch etwas tiefer in mein Fleisch und sagte dann: »Ich rate dir, zu reden, Weib!« Eine Midanna kann einen Schmerz ertragen, ohne einen Laut von sich zu geben. Der Mann trieb den Dolch noch mehr in mich hinein, bis der, der zuerst gesprochen hatte, sagte: »Sie ist ebenso störrisch, wie die andere neulich. Suche dir eine weichere Stelle, dann wird sie vielleicht ihre Sprache wiederfinden. «
Der andere zog den Dolch zurück, aber ehe er mich wieder damit berühren konnte, wurde er zurückgerissen und heftig geschüttelt. Es war Ceralt, der ihn ergriffen hatte. Seine beiden Kameraden wollten aufspringen, um ihm zur Hilfe zu kommen, wurden aber von Telion in Schach gehalten.»Was machst du mit meiner Sklavin?« brüllte Ceralt erregt. »Warum bedrohst du sie?«
»Sie... sie hat mich geärgert«, schrie der Mann. »Sie weigerte sich, mich um eine Liebkosung zu bitten, deshalb liebkoste ich sie ein wenig mit meiner Klinge.«
»Es ist nicht deine Liebkosung, um die sie bitten muß«, grollte Ceralt. »Scher dich weg! Sollte ich dich noch einmal in unserer Nähe entdecken, hat die Karawane einen Wächter weniger! Und nimm deine dreckigen Freunde mit!« Er warf den Mann zu Boden, der sich hastig aufrappelte und sich mit seinen Freunden entfernte. Dann wandte sich Ceralt mir zu und brummte: »Fest an einem Baum ist sie angebunden, und schafft doch noch immer Ärger. Wenn ich nicht an meine Jäger denken müßte, hätte ich sie bestimmt schon laufen lassen.«
»Da du an deine Jäger zu denken hast«, sagte Telion, »wird es das klügste sein, sie in unser Zelt zu bringen.« Ceralt grunzte zustimmend.
Im Kerzenlicht des Zeltes inspizierte er mich und stieß einen erschrockenen Laut aus. »Bei Sigurrs tödlichem Hauch, sieh, was sie mit ihr gemacht haben!« rief er. »Ich hätte dem Schurken den Hals umdrehen sollen!«
Aus der Wunde in meiner Brust floß das Blut. Aber was war das schon im Hinblick auf die Tatsache, daß ich nun die Gesichter derjenigen kannte, die in Midas Hort eingebrochen waren. Niemals wieder würde ich diese Gesichter vergessen, und, wenn Mida es wollte, würden diese Männer mir niemals entgehen.
»Nicht ein Laut kam von ihren Lippen!« sagte Telion. »Nicht ein Laut, und keine Träne aus ihren Augen!« »Sie ist ja auch eine... Kriegerin«, sagte Ceralt, dann nahm er mich und setzte mich sanft auf die Lengapelze am Boden. »Hör zu, du tapfere Kriegerin«, sagte er, sich vor mich hinkniend. »Sollte dich noch einmal irgend jemand derartig angreifen, dann schrei so laut du kannst um Hilfe!« »Um wessen Hilfe sollte ich schreien?« fragte ich verwirrt.
»Meine Kriegerinnen sind nicht nahe genug, um mich zu hören.«
»Du sollst nach mir schreien, du dumme Gans«, fauchte Ceralt ärgerlich.
»So, so, er denkt nur an seine Jäger«, kicherte Telion. »Nur aus diesem Grund wünscht er allein gerufen zu werden.«
Ceralt lief rot an. »Natürlich meinte ich auch, daß du nach Telion rufen sollst«, sagte er, stand auf und ging zu dem Wassersack, der an der Zeltwand hing. »Ich habe mich nur versprochen.«
»Natürlich«, sagte Telion. »Und wann wird die ungehorsame Sklavin verprügelt?«
Ceralt erstarrte, drehte sich aber nicht um. »Ich weiß nicht, was du meinst«, sagte er.
»Oh, das ist aber einfach zu verstehen«, erwiderte Telion. »Die liebliche Halia hat doch angeordnet, daß diese Sklavin eine ordentliche Tracht Prügel bekommt, andernfalls will sie dich aus ihrer Gegenwart verbannen. Ich selbst habe gehört, wie sie dir das höchst freundlich beigebracht hat, und hast du nicht etwa zugestimmt?«
»Ja, ich habe irgend etwas in der Art gesagt«, gab Ceralt zu.
»Aber das ist doch albern. Morgen früh wird sie es wieder vergessen haben. Hast du irgendwas, um die Wunde auszuwaschen?«
»Ich hole ein Tuch«, sagte Telion und verließ das Zelt. Ceralt wandte sich mir zu und suchte nach Worten. Ich blickte ihn enttäuscht und verärgert an. Wieder hatte er mich für seine eigenen Zwecke mißbrauchen wollen. Das Versprechen, das er dem Weib gegeben hatte, vergrößerte meine Beschämung noch.
Immer wurde ich nur von ihm ausgenutzt!
Telion kam mit dem Tuch zurück, und Ceralt benetzte es mit Wasser. Dann kniete sich Telion zu mir nieder und sagte mit zartem Lächeln: »Wenn du willst, lasse ich dir von jemand anderem Beistand leisten.« Dabei ging sein Blick zu Ceralt, der noch immer verlegen herumstand.
»Ich wünsche keinen anderen Beistand«, sagte ich. »Du und ich, wir sind doch beide Krieger.« »Ja, das stimmt«, entgegnete Telion, leicht traurig, »du und ich, wir sind beide Krieger.« Er begann, meine Wunde zu säubern. Ich schloß die Augen. Als ich sie wieder öffnete, war Telion verschwunden. Langsam ließ der Schmerz nach, und ich schlief ein.