18 Phanisar – und die Erzählung eines Narren

Das Geräusch von Schritten auf dem Gang weckte mich. Die meisten Stunden der Nacht hatte ich geschlafen, wobei das quälende Hungergefühl langsam nachgelassen hatte. Unsicher erhob ich mich, bereit zur Konfrontation mit Galiose. Er wurde von Telion und Ceralt begleitet, sowie von zwei weiteren Bewaffneten, die mich amüsiert musterten. Ceralts Augen waren voller Betrübnis, so daß ich wegsehen mußte. »Ich bin wenig überrascht, sie wieder im Palast anzutreffen«, sagte Galiose, »denn mit Sicherheit wurde sie von Sigurr dem Schrecklichen gesandt, um mich für meine Sünden zu bestrafen. Wie folgsam sie doch geworden ist, Jäger!« Ceralt blieb stumm, doch sein Gesicht verfinsterte sich. »Die Kristalle der Mida müssen aus ihrer Gefangenschaft befreit werden«, sagte ich zu Galiose. »Weder sie noch die Kriegerinnen der Hosta dürfen unter der Knechtschaft der Männer aus der Stadt bleiben, das verlangt Mida!« »Ach, tatsächlich?« entgegnete Galiose. »Mich würde interessieren, wie diese Botschaft dich erreichte, mit der ich nicht unbedingt übereinstimme.«

»Sie müssen alle wieder freikommen!« antwortete ich heftig. »Sollte Euch dies nicht passen, so bin ich bereit, Euch mit dem Schwert in der Hand gegenüberzutreten, damit es geschieht, wenn Ihr gefallen seid.«

»Wenn ich gefallen bin?« brüllte Galiose aufgebracht. »Du verdienst wahrhaftig eine Lektion in guten Manieren, Weib! Ich bin ein Krieger mit dem Stolz eines Kriegers, und lasse mich nicht gerne verhöhnen! Solltest du mir jemals mit dem Schwert in der Hand gegenüberstehen, dann wirst du schnell lernen, wessen Schicksal es sein wird, zu fallen.« »Also nehmt Ihr meine Herausforderung an?« fragte ich, zum Entsetzen von Telion und Ceralt. »Dem Gewinner gehört alles, Hosta und Kristalle.«

»Nein!« riefen die beiden wie aus einem Mund, ehe Galiose antworten konnte. Er schien darüber genauso verärgert zu sein wie ich.

»Es darf keinen Kampf geben«, sagte Ceralt eindringlich zu Galiose. »Das Weib wird bestraft werden, dessen könnt Ihr sicher sein, aber einen Kampf darf es nicht geben.« »Jalav redet mit Galiose«, sagte ich. »Darf er nicht selber antworten?«

»Er wird deine Herausforderung nicht annehmen«, sagte Telion, wieder Galiose zuvorkommend. »Du wirst keine Waffe in die Hand bekommen, aber wenn du mir gehörtest, eine ordentliche Tracht Prügel.«

»Hat nun jeder gesagt, was er sagen wollte?« fragte Galiose freundlich. »Wünscht niemand mehr, mir meine schwierigen Entscheidungen abzunehmen?« Telion und Ceralt erröteten und wollten wieder das Wort ergreifen, aber Galiose gebot ihnen mit erhobener Hand zu schweigen. »Genug!« sagte er. »Jalav hat sich an mich gewandt, und ich werde ihr antworten.« Mit einem Lächeln wandte er sich an mich und sagte liebenswürdig: »Liebliche Jalav, ein Krieger wird sein Schwert niemals gegen eine Frau erheben, und sei es selbst eine so außergewöhnliche Frau wie du. Deshalb werden die Hosta und die Kristalle in der ›Knechtschaft der Männer aus der Stadt‹ bleiben, und du wirst daran nichts ändern können. Aber«, fuhr er fort, und sein Ton war nicht mehr so liebenswürdig, »es gibt noch etwas für dich zu tun. Du wirst deinen Weibern erklären, daß sie sofort mit ihrem unmöglichen Benehmen aufzuhören haben!«

Ich wußte nicht, was er meinte, und auch Ceralt und Telion blickten erstaunt. »Was ist passiert?« fragte Telion. »Hat es Schwierigkeiten gegeben?«

»Das kann man wohl sagen«, entgegnete Galiose verärgert. »Ihr habt sicher von der Ausgangssperre gehört, die gegen die Weiber verhängt wurde?« Telion und Ceralt nickten, und die Bewaffneten hinter ihnen bemühten sich, ein Grinsen zu verbergen.»Es gibt einen guten Grund für eine solche Ausgangssperre«, fuhr Galiose fort und sah mich eindringlich an. »Kleine Gruppen ihrer Weiber haben sich in der Dunkelheit zusammengetan, und am nächsten Morgen mußten manche Männer unserer Stadt feststellen, daß sie von ihnen – hm – überredet worden waren, ihnen zu... Gefallen zu sein. Aber diese Ausgangssperre hat sie lediglich dazu gebracht, sich noch besser in den Schatten der Nacht zu verbergen, und wir waren bis jetzt nicht in der Lage, die Schuldigen herauszufinden. Jalav, als ihre Anführerin, muß diesem Treiben Einhalt gebieten, oder sie wird stellvertretend für alle bestraft.«

»Das könnt Ihr nicht tun«, protestierte Ceralt. »Mein Weib ist an diesem Treiben nicht beteiligt, sondern hat sich immer bei mir befunden.«

»Das haben die anderen auch erklärt«, erwiderte Galiose erzürnt. »Alle sind sie bereit, einen Eid darauf zu schwören, daß ihr Weib unschuldig ist. Mich interessiert es nicht, wer es wirklich getan hat, ich will, daß die Sache ein Ende findet! Jalav soll mit ihren Weibern sprechen, damit sie aufhören, oder sie wird selbst zu leiden haben.«

»Jalav wird nichts dergleichen tun«, entgegnete ich. »Man hat mir meine Kriegerinnen weggenommen, damit sie den Bedürfnissen der Männer in der Stadt dienen, nun können die Männer auf sich selbst achten. Wie käme ich dazu, den Dieben der Kristalle der Mida einen Dienst zu erweisen?« »Du wagst es, mich einen Dieb zu nennen?« brüllte Galiose, außer sich vor Zorn. Er packte das Gitter meiner Zelle und rüttelte daran, als wolle er es aus den Angeln heben. Telion schloß verstört seine Augen. Ceralt wagte ich gar nicht erst anzusehen, denn ich wollte Galiose noch mehr in Zorn bringen, und seine Gegenwart störte mich.

»Jawohl, gestohlen habt ihr die Kristalle – und die Freiheit der Hosta«, entgegnete ich. »Sollte Euch diese Anschuldigung zu tief treffen, so findet Ihr vielleicht den Mut, meine Herausforderung anzunehmen. Was meint Ihr dazu, ehrenwerter Krieger?«

Galiose suchte vergeblich nach Worten und sah mich mit zornerfüllten Augen an. Dann wandte er sich um und ging wortlos fort. Telion folgte ihm auf dem Fuß. Ich war sehr enttäuscht, daß meine Herausforderung nicht angenommen worden war, und umklammerte zornig das Gitter.

Ceralt umfaßte mein Handgelenk und zischte: »Wenn du noch ein Wort sagst, werde ich dich eigenhändig knebeln! Du wirst nicht mit Galiose kämpfen, selbst wenn er es will, denn du gehörst mir, und ich werde es nicht erlauben. Hast du mich verstanden?«

Natürlich hatte ich ihn verstanden. Ich senkte meinen Blick und streichelte seine Hand. Er erweckte so seltsame Gefühle in mir, daß ich seinen Blick nicht ertragen konnte, aber auch die Berührung seiner Hand ging mir durch und durch. Er zitterte leicht und packte mich noch fester. »Jalav«, flüsterte er rauh, »ich hatte geglaubt, du hättest mich endgültig verlassen. Warum bist du fortgegangen, und was tust du hier?« »Ich muß die Kristalle der Mida zurückholen«, flüsterte ich zurück. »Ceralt darf sich nicht um Jalav kümmern, denn Jalav muß Midas Befehlen gehorchen und darf keinem Mann gehören. Fast wünschte ich, es wäre nicht so.« »Es muß nicht so sein«, sagte er und zog mich durch die Stäbe hindurch an sich. »Es gibt nichts, was du tun kannst, um wieder in den Besitz der Kristalle zu gelangen, und die Hosta gehören nun den Männern von Ranistard. Du gehörst mir, Jalav, und wirst mir immer gehören, selbst wenn du tausendmal von mir wegläufst!«

»Das darf nicht sein«, seufzte ich, »denn Mida verlangt die Rückgabe ihrer Kristalle. Darf ich... darf ich mein Amulett von dir zurückhaben, wenn ich gegen Galiose kämpfe?« »Nein!« rief er, und meine Hand schmerzte unter seinem Griff. Ich seufzte noch einmal, denn ich hatte die Hoffnung gehabt, daß meine Seele doch nicht verloren sein würde, aber Ceralt handelte noch immer nach dem Willen von Mida. Meine Seele war der Preis für mein früheres Versagen, und nichts konnte dies ändern. »Nein!» rief Ceralt erneut und schüttelte mich. »Du wirst nicht gegen Galiose kämpfen, und deswegen brauchst du auch dein Stückchen Holz nicht zurück. Sprich nicht wieder davon!«

In diesem Moment kehrten Telion und Galiose zurück. Galiose lächelte leicht, als er sah, daß Ceralt mich festhielt, und sagte: »Wir müssen deine Aufmerksamkeit auf andere Dinge als einen Kampf lenken. Vielleicht können dich einige Worte mit Phanisar davon überzeugen, daß die Kristalle nicht den Hosta zurückgegeben werden können. Wächter, schließ auf!« Ceralt und ich gingen auseinander, und der Wächter ließ mich hinaus. Wir gingen den Weg zurück, den ich in der vergangenen Nacht gekommen war, die beiden Bewaffneten hinter mir, was ich mit Freude bemerkte, denn notfalls würde es ein leichtes sein, mich ihrer Waffen zu bemächtigen. Wir betraten einen Raum, der ganz mit blauer Seide ausgekleidet war. Aus einem Sitz erhob sich der Alte, der mich in der vergangenen Nacht hatte gefangennehmen lassen, und verbeugte sich grüßend. Neben seinem Sitz bemerkte ich einen Stapel Leder und Tücher. Das Leder zeigte schwarze Streifen. Zu meiner Enttäuschung verließen die Bewaffneten den Raum und verschlossen die Tür sorgfältig. »Jalav, das ist Phanisar«, sagte Galiose und deutete auf den alten Mann. »Ich glaube, daß ihr euch bereits kennengelernt habt, wenn auch nicht so förmlich.«

»Das stimmt«, entgegnete Phanisar. Seine rechte Hand war mit einem weißen Tuch verbunden, und er bewegte sie sehr behutsam. »Jalav und ich haben uns bereits kennengelernt, doch war meine Bekanntschaft mit ihren Zähnen weitaus enger. Ich hoffe, daß sich dies nicht wiederholt!« Die Männer lachten, und Ceralt schüttelte mich. »Ich werde auf ihr Benehmen achtgeben«, sagte er, »aber ich kann Euch nachfühlen, denn ihre Zähne sind fast so scharf wie ihre Zunge.«

»Vielleicht können wir ihre Schärfe etwas mildern«, sagte Galiose. »Laßt uns Platz nehmen, dann kann Phanisar die Anführerin der Hosta über die wahre Natur der Kristalle aufklären. «

Wir ließen uns alle auf den herumstehenden Sitzen, die mit blauer Seide bespannt waren, nieder, dann deutete Phanisar auf den Stapel Leder und Tücher und sagte: »Dies, Jalav, ist ein Schriftstück aus früheren Zeiten, von denen, die das verlorengegangene Wissen besaßen, mit den Göttern selbst sprechen zu können. In dem Schriftstück wird von dem Gerät gesprochen, das du gesehen hast, und von den Kristallen, die dazu gehören. «

So ernst sagte er dies, daß ich auf den Unsinn, den er da erzählte, nichts entgegnete. Jedermann wußte doch, daß Wissen nicht verlorengehen konnte, weil es von der Mutter auf die Tochter überliefert wurde, und daß Leder und Tücher keine Zunge haben, um damit zu sprechen. Sein Alter hatte diesen Phanisar zu einem Narren gemacht, und eine Kriegerin konnte ihn nur mit Nachsicht behandeln.

Phanisar ahnte wohl, was ich dachte. Er lächelte und fuhr fort: »Mit Hilfe des Gerätes, Jalav, kann man tatsächlich mit den Göttern sprechen, um ihnen die Fragen zu stellen, die die Menschen nicht beantworten können. Vor langen, langen Jahren, als noch nicht einmal der Vater meines Vaters lebte, wurden die Kristalle aus dem Gerät gestohlen, so daß die Menschen nicht mehr in der Lage waren, mit den Göttern zu reden, denn die Kristalle verfügten in sich über eine Kraft, ohne die das Gerät nutzlos ist. Aus irgendeinem Grund wirkt diese Kraft schmerzlich auf Frauen, während sie Männer verschont. «

»Die Kristalle gehören Mida«, sagte ich, »und wurden von ihr den Midanna übergeben, um sie zu behüten, bis zu der Zeit, da sie sie zurückhaben will. Männer haben nichts mit ihnen zu schaffen.«

»Männer haben doch etwas mit ihnen zu schaffen«, erwiderte Phanisar mit einem lächeln. »Es ist die Aufgabe der Männer, mit den Göttern zu sprechen, und diese Aufgabe wird bald erfüllt werden. Zwei der Kristalle sind bereits in unserer Gewalt, und es wird nur eine Frage der Zeit sein, wann wir auch den dritten hierhaben. Wir wollen das Gerät nicht ohne ihn benutzen, um unseren Frauen unnötige Qualen zu ersparen. Sage mir, mein Kind, welches Gefühl hattest du, als Vistren es in deiner Gegenwart in Gang setzte?«

Ich vergegenwärtigte mir die Todesangst und die stechenden Schmerzen, die ich empfunden hatte, aber entgegnete nur: »Der Schmerz war groß, größer als der, den Männer sonst Frauen antun, deshalb war es weise von Mida, ihnen die Kristalle wegzunehmen, und ich hoffe, daß dies so bleibt.« »Wir bedauern deine Qualen, liebliche Jalav«, warf Galiose ein, »doch müssen die Kristalle im Besitz der Männer bleiben. Ich werde sie so streng bewachen lassen, daß sie diesmal nicht mehr in die Hände der Frauen fallen.«

Unbewaffnet würden die Midanna also nie wieder in den Besitz der Kristalle gelangen, überlegte ich. Also müßten sie sich, wie auch immer, wieder bewaffnen.

»Sage mir«, fragte mich Phanisar erneut, »wie schnell der Schmerz dich verließ, nachdem das Gerät nicht mehr arbeitete. Verschwand er sofort, blieb er noch lange Zeit, ging er und kam wieder? Erzähle mir alles, an das du dich erinnerst.« Ich konnte mir nicht vorstellen, wieso ihn das interessierte, aber achselzuckend kam ich seinem Wunsch nach. »Der Schmerz verließ mich und meine Kriegerinnen bald, aber sein Echo spürten wir noch lange. Einige von uns verloren das neue Leben, das sie trugen.«

Eine Bewegung ging durch die Männer. »Das neue Leben, sagst du?« fragte Phanisar überrascht.

Telion griff nach meinem Arm und fragte mühsam: »Welche von den Kriegerinnen trug ein Kind? Kenne... ich eine davon?«

»Telion kennt die meisten«, entgegnete ich verwundert. »Die meisten empfingen seinen Samen im Männerzelt der Hosta. Andere haben sich von Ceralts Jägern befruchten lassen. Fayan verlor das Leben, das Nidisar ihr spendete, und auch Larid hat das verloren, was sie trug. Andere...« Meine Rede wurde abrupt dadurch unterbrochen, daß Telion und auch andere Männer mit traurigen Augen den Raum verließen. Ich verstand nicht, wie der Verlust neuen Lebens für die Hosta sie so traurig machen konnte. »Und Jalav«, fragte mich Ceralt tonlos. »War nichts in Jalav, was sie verlieren konnte?«

»Jalav ist die Anführerin der Hosta«, erklärte ich ihm. »Eine Anführerin darf kein neues Leben in sich tragen, deshalb kaut sie die Blätter des Dablabusches.«

Ceralt sah Phanisar an, der nachdenklich sagte: »Des Dablabusches ... Ich habe darüber gelesen, aber auch, daß es ein Gegenmittel gibt. Sorge dich nicht, mein Sohn, ich werde mich darum kümmern.«

Ich verstand nicht, was Phanisar damit meinte, aber Ceralt strahlte vor Freude, was ich gleichfalls nicht verstehen konnte. Doch mir blieb kaum Zeit darüber nachzudenken, denn Phanisar wandte sich wieder an mich.

»Sieh her, Jalav«, sagte er und deutete auf den Stapel, der neben ihm lag. »Diese Schriften sprechen von den Kristallen, und wohin zwei von ihnen gesendet wurden. Weißt du nicht, wo sich der dritte befindet?«

»Jalav weiß nur von zwei Kristallen«, erwiderte ich. Phanisar wendete die Tücher in dem Stapel langsam um, ich sah eine Menge schwarzer Striche auf ihnen. Ich wunderte mich noch, wie jemand so dumm sein konnte, so eine Menge schwarzer Striche zu machen, als plötzlich die Zeichen erschienen. Ich sah eine Linie von Händen, manche einzeln, manche zusammenstehend, die sich aber alle zu bewegen schienen. Erst wurde mir ihr Sinn nicht klar, bis ich plötzlich endeckte, daß es die Zeichensprache der Midanna war. Langsam entzifferte ich ihren Sinn. Der letzte der Kristalle, so hieß es, ist im Palast des Hohen Senats von Bellinard tief unten versteckt. Fünf Schritte vom ersten entfernt, dann zwanzig Schritte links. Wir beten darum, daß er nicht von den Männern gefunden wird. Ich dachte noch über den Sinn der Botschaft nach, als mir zu Bewußtsein kam, daß Phanisar nicht weiterblätterte, sondern mich aufmerksam beobachtete. Deshalb fragte ich: »Was für einen Sinn haben diese Zeichen? Sprechen sie auch zu Euch?« »Nicht in einer mir bekannten Zunge«, antwortet Phanisar. »Sprechen sie auch nicht mit dir?«

»Vielleicht kennt Mida ihre Bedeutung«, sagte ich. »Da die Kristalle ihr gehören, wird sie auch wissen, wo sie sind.« Galiose wollte sich einmischen, aber Phanisars Hand gebot ihm zu schweigen. »Das Weib scheint die Zeichen auch nicht zu kennen«, sagte er. »Wir müssen die Antwort anderswo suchen. «

Galiose erhob sich von seinem Sitz und sagte: »Vielleicht verstehst du nun, liebliche Jalav, warum wir die Kristalle nicht herausgeben. Sie gehören uns Männern, wurden uns aber von den Frauen gestohlen. Das darf nie wieder geschehen. Ich übergebe Jalav wieder Eurer Obhut«, sagte er dann zu Ceralt. »Sollte sie noch einmal ohne Erlaubnis in diesen Mauern ertappt werden, wird es ihr schlecht ergehen. Ich lasse Euch Bescheid geben, wenn sie mit den anderen sprechen soll.« Ceralt nickte wortlos und entfernte sich eilig mit mir. Draußen wehte ein kühler Wind. Ich schauderte und sehnte mich nach der warmen Heimat der Hosta. Ceralt bemerkte es und nahm mich in den Arm.

»Wie ich sehe, ist dir kühl«, sagte er. »Bald wird der Winter hier einziehen, der noch viel kälter ist. Dann werden die albernen Frauen, die sich nicht in Kleider hüllen, noch viel stärker frieren. Aber Jalav wird erst ein Kleid bekommen, wenn sie es wünscht, denn ich sehe sie auch so sehr gerne.« Ich fühlte, daß Ceralt die Wahrheit sprach, denn die Kälte machte mir bereits jetzt zu schaffen. Aber eine Hosta würde niemals freiwillig auf ihre Stammeskleidung verzichten, und ich war eine Hosta. Endlich erreichten wir Ceralts Behausung, und ihre Wärme war mir sehr willkommen. Ich wollte mich sofort in meinen Raum begeben, um über das nachdenken zu können, was ich erfahren hatte, als Ceralt mich fragte: »Du siehst sehr hungrig aus. Was hast du im Palast des Hohen Senats zu essen bekommen?«

»Nichts«, erwiderte ich und dachte an den Palast in Bellinard. Wo konnte dort der Kristall versteckt liegen, und wie kamen wir Hosta an ihn heran? Wenn es uns gelang, aus Ranistardzu flüchten, Bellinard zu erobern, den ändern Kristall zu finden, und in unsere Heimat zurückzukehren, würden wir sicher die anderen Midanna dazu bewegen können, mit uns zurückzureiten, um die beiden anderen Kristalle zurückzuerobern. Doch mußte ich dafür sorgen, daß Ceralt dabei kein Leid geschah. Er war ein merkwürdiger Mann, dieser Jäger, und merkwürdig waren die Gefühle, die ich für ihn hegte. »Nichts?« sagte Ceralt aufgebracht. »Läßt der Hohe Senat seine Gefangenen einfach verhungern? Jalav, du wirst mich jetzt sofort darum bitten, mit mir mein Essen teilen zu dürfen, oder ich werde sehr zornig sein. Willst du, daß ich zornig bin?« Ich streichelte ihn sachte und erwiderte: »Jalav möchte nicht, daß Ceralt zornig ist. Deshalb bittet sie ihn darum, mit ihm sein Essen teilen zu dürfen.«

»Sehr gut gemacht«, meinte Ceralt lachend und zog mich an sich. »Ich glaube, ich muß selbst fortfahren, dich zu unterrichten, dann wirst du bald zivilisiert sein. Komm, Inala wird das Essen bringen.«

Ich folgte ihm in den Raum mit der roten Seide, wo er Inala anwies, das Essen hereinzubringen. Unschuldsvoll fragte sie: »Soll es auch eine Kanne Renth sein?« Ceralt zuckte zusammen und sagte: »Der Renth rumort noch in meinem Kopf. Bringe mir nur etwas Wasser.« »Wie der Herr wünscht«, entgegnete sie, dann fragte sie mich: »Wünscht die Herrin einen Becher Renth?« »Etwas Renth könnte ich schon vertragen«, erwiderte ich. Ceralt sah mich ungläubig an, dann meinte er: »Natürlich, du hast nicht so viel getrunken, wie Telion und ich.« »O nein, Herr«, sagte Inala mit kaum verborgener Belustigung, »die Herrin hat sehr viel mehr Renth getrunken als Ihr, ohne daß er ihr etwas anhaben konnte.« Ceralt winkte sie hinaus, dann setzte er sich und sah mich unbehaglich an. Das Mahl verlief schweigend. Immer, wenn Inala meinen Becher wieder mit Renth füllte, schüttelte er den Kopf und blickte mich ungläubig an.

Nach dem Essen holte er ein großes Stück steifes Tuch und eine Holzkohle, wie sie das Weib Lodda gehabt hatte, und machte damit Striche, von denen er behauptete, sie hießen Jalav. Ich wollte ihm nicht wehtun und widersprach diesem Unsinn deshalb nicht. Während er weitere Striche machte, die er »Buchstaben« nannte, dachte ich darüber nach, wie wir in den Besitz der Kristalle gelangen konnten. Die Hosta mußte aus Ranistard fliehen, das war klar, aber wie war das zu bewerkstelligen?

Ceralt war sehr böse, als er herausfand, daß ich ihm überhaupt nicht zugehört hatte. Sein Ärger machte mich traurig, und schweigend badete ich in dem großen Topf, den Inala mit Wasser füllte. Bald würde ich ihn schon wieder verlassen müssen, und das würde ihn noch zorniger machen. Es war Midas Wille, und trotzdem bekümmerte es mich. Die Dunkelheit war schon hereingebrochen, als endlich mein Haar getrocknet und gekämmt war, und mich Ceralt zu einer weiteren Mahlzeit rief. Offensichtlich war er noch immer böse wegen dieser albernen Sache mir den Strichen, und allmählich regte ich mich auch auf. Ich machte mir nun einmal nichts aus Strichen und Buchstaben. Konnte er das nicht verstehen? Offensichtlich noch mehr in Rage brachte ihn aber, daß ich auch bei dieser Mahlzeit kräftig dem Renth zusprach. Als wir satt waren, stand er abrupt auf und sagte: »Es ist schon dunkel, mein Weib. Wir sollten uns zurückziehen. Morgen werde ich mich erneut darum kümmern, daß du die Buchstaben lernst.«

»Jalav hat schon viele Dinge gelernt«, entgegnete ich. »Sie kennt die Spuren der Hadat, der Lenga und der Falth. Sie kennt den Ruf des Lellin und den Flug des Wrettan, und sie weiß mit einem Gando umzugehen. Sie weiß, wie sie sich selbst mit Nahrung versorgt, und wo sie Wasser findet. Sie kann für ihre eigene Sicherheit in den Wäldern sorgen, sie weiß, wie man den Bogen spannt, den Speer wirft, das Schwert schwingt. Können die Striche, die du machst, sie noch mehr lehren?«

»Die ›Striche‹, wie du sie nennst, können dich noch sehr viel mehr lehren, Jalav«, erwiderte Ceralt mit einem Lächeln. »Weißt du denn auch, wo man die verschiedenen Metalle findet, wie man die Steine aufeinanderschichtet, daß sie ein Haus ergeben, das nicht zusammenfällt; kennst du die richtige Jahreszeit, um auszusäen, weiß du, wie man sich mit Hilfe von Spiegeln eine Botschaft zukommen läßt? All dies können dich die ›Striche‹ lehren, wenn du sie selbst erst einmal gelernt hast.« »Jalav hat keinen Bedarf dafür«, entgegnete ich kühl. »Die Hosta leben nicht in Städten, wo sie Metall oder Häuser brauchen oder Samen aussäen müssen.«

»Doch, nun leben die Hosta in der Stadt«, antwortete Ceralt lachend, »und sie müssen diese Dinge lernen, um ihren Männern zu gefallen. Komm nun, die Nacht verstreicht viel zu schnell.«

Damit führte er mich nach oben, in einen Raum, der ganz in Braun gehalten war. Etwas schimmerte weiß, ein Bett, wie Telion es genannt hatte. Er deutete darauf und sagte: »Darin schlafen zivilisierte Frauen, und auch meine Frau wird sich daran gewöhnen. Zieh dich aus, und der Unterricht wird beginnen!«

Ich schüttelte den Kopf und entgegnete: »Jalav wird vor dem Feuer schlafen. Eher würde sie noch auf einem Gandorücken schlafen, als auf solch einem Gestell.«

»Bedauerlicherweise«, sagte Ceralt grinsend, »gibt es in diesem Haus keinen Gando, sondern nur ein solches Gestell – verdammt, ein Bett! Ein Bett, Jalav, nennt man so etwas!« »Jalav kümmert es nicht, wie man es nennt«, erwiderte ich, »aber sie wird nicht darauf schlafen.«

»Jalav wird«, antwortete er und hob mich mit seinen starken Armen darauf, so sehr ich mich auch wehrte. Auch meine Stammesbekleidung hielt seinem Zugriff nicht stand. Dann legte er sich neben mich, hielt mich fest umschlungen, seufzte und schloß die Augen.Nach einer Weile wandte ich mich ihm zu und sagte: »Jalav ist die Gefangene des Jägers. Will er sie nicht gebrauchen?«

Seine Lippen berührten meine Stirn, dann sagte er: »Wünscht du es denn?«

»Jalav ist nicht so stark, daß sie sich gegen einen Mann zur Wehr setzen kann«, entgegnete ich. Seine Hand bewegte sich auf meinem Körper und weckte in mir den starken Wunsch, ihn zu nehmen.

»Wenn Jalav etwas will, dann soll sie es sagen«, murmelte Ceralt.

Ich kämpfte mit mir, dann sagte ich zögernd: »Jalav möchte gern, daß Ceralt sie gebraucht.«

Ceralt bewegte sich nicht, sondern streichelte mich nur noch stärker und sagte: »Damit keine Mißverständnisse entstehen, meine liebe Jalav, könntest du das noch einmal wiederholen?«

In meiner Not schrie ich laut: »Ich will, daß Ceralt mich nimmt. Im Namen von Mida, nimm mich!«

»Und so soll es sein«, sagte Ceralt. Kraftvoll nahm er mich, und noch viele Male in der Nacht forderte ich von ihm, mich zu gebrauchen.

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