Das eine muß man der Politik lassen, sagte jemand, sie führt einem die merkwürdigsten Partner ins Bett. Ohne die Politik wären Sundara und ich in jenem Frühling gewiß niemals in eine ad-hoc-Vierergruppe mit Catalina Yarber, der Proktorin des Transit-Glaubens, und Lamont Friedman, dem hochionisierten jungen Finanzgenie, gestolpert. Ohne die Begegnung mit Catalina Yarber hätte sich Sundara vielleicht nicht für Transit entschieden. Hätte Sundara nicht konvertiert, wäre sie sehr wahrscheinlich noch meine Frau. Und so, und so, die Fäden der Verursachung — alle führen sie zurück zum selben Punkt in der Zeit.
Folgendes geschah: Als Mitglied von Paul Quinns engstem Mitarbeiterkreis erhielt ich zwei Freikarten für das Roswell-Day-Festessen — ansonsten 500 Dollar pro Gedeck —, das die Neue Demokratische Partei des Staates New York alljährlich Mitte April veranstaltet. Dies geschieht nicht nur zum Andenken an den ermordeten Gouverneur, sondern ist, in der Tat vorwiegend, eine Gelegenheit, die Parteikasse aufzufüllen und dem jeweiligen Superstar der Partei eine Bühne zu geben. Der Hauptredner des Abends war diesmal natürlich Quinn.
»Es wird langsam Zeit, daß ich mal auf eines eurer politischen Diners mitkomme«, sagte Sundara.
»Die sind reines Formaldehyd.«
»Trotzdem.«
»Du wirst es abscheulich finden, Schatz.«
»Gehst du?« fragte sie.
»Ich muß.«
»Ich glaube, dann werde ich die andere Karte ausnützen. Wenn ich einschlafe, gib mir einen Stoß, sobald der Bürgermeister mit seiner Rede anfängt. Den find’ ich heiß.«
So fuhren wir denn an einem milden, verregneten Abend zum Hafen-Hilton hinaus, dieser großen Pyramide, die auf ihrer schwimmenden Plattform 500 Meter vor der Spitze Manhattans funkelt, und gaben uns mit der Creme des liberalen Establishments der Ostküste ein Stelldichein im strahlenden Gipfelsaal, von dem aus ich — unter anderem — Sarkisians Wohnturm auf der anderen Seite der Bucht sehen konnte, wo ich fast vier Jahre früher zum ersten Mal Paul Quinn begegnet war. Viele Ehemalige von jener pompösen Party würden beim heutigen Abendessen zugegen sein. Sundara und ich bekamen einen Tisch, an dem zwei von ihnen saßen, Friedman und Ms. Yarber.
Während der einleitenden Phase, in der Bone geraucht und Cocktails getrunken wurden, zog Sundara mehr Aufmerksamkeit auf sich als irgendeiner der anwesenden Senatoren, Gouverneure und Bürgermeister, Quinn eingeschlossen. Das war zum Teil eine Sache der Neugier, da jedermann auf der politischen Bühne New Yorks von meiner exotischen Frau gehört, nur wenige sie aber kennen gelernt hatten; zum anderen Teil aber lag es daran, daß sie mit Sicherheit die schönste Frau im Saal war. Sandara war weder überrascht noch fühlte sie sich belästigt. Schließlich ist sie ihr ganzes Leben lang schön gewesen und hat Zeit gehabt, sich an die Wirkungen ihres Aussehens zu gewöhnen. Und sie hatte sich auch nicht gerade angezogen wie jemand, den es stört, angestarrt zu werden. Sie hatte ein regelrechtes Haremsgewand gewählt, dunkel, lose, fließend, das ihren Körper von den Zehen bis zur Kehle bedeckte; darunter war sie nackt, und wenn sie vor einer Lichtquelle vorbeiging, war sie überwältigend. Wie eine leuchtende, funkelnde Motte glühte sie in der Mitte des riesigen Ballsaals, geschmeidig und elegant, dunkel und geheimnisvoll, ihr ebenholzschwarzes Haar schimmerte und blitzte, Ahnungen von Brüsten und Flanken folterten die Betrachter. Oh, sie hatte einen glorreichen Abend! Quinn kam herüber, um uns zu begrüßen, und er und Sundara verwandelten eine keusche Umarmung mit Kuß in einen erlesenen Pas-de-deux sexueller Ausstrahlungskraft, der einige unserer älteren Staatsmänner nach Luft schnappen und erröten und ihre Kragen öffnen ließ. Sogar Quinns Frau Laraine, ob ihres Gioconda-Lächelns berühmt, sah einen Augenblick lang ein ganz klein bißchen verdattert aus, obwohl sie die sicherste aller Politikerehen führt, die ich kenne. (Oder amüsierte sie sich nur über Quinns Glut? Oh, dieses undurchsichtige Feixen!)
Sundara verströmte nach wie vor purstes Kama Sutra, als wir unsere Plätze entnahmen… Lamont Friedman, der an dem runden Tisch ihr gegenüber saß, ruckte und bebte, als ihre Augen sich begegneten, und starrte sie mit wütender Intensität an, während die Muskeln seines langen, dünnen Halses wie verrückt zuckten. Gleichzeitig starrte — etwas zurückhaltender, aber nicht weniger intensiv — Friedmans Gefährtin des Abends, Ms. Yarber, ebenfalls Sundara an.
Friedman. Er war ungefähr neunundzwanzig, gespenstisch dünn, vielleicht zwei Meter dreißig groß, mit grotesk vortretendem Adamsapfel und unglaublichen, krankhaft hervorquellenden Augen; eine dicke Masse wirren braunen Haars umschloß seinen Kopf wie eine wollige Kreatur von einem anderen Planeten, die ihn angriff. Er hatte Harvard mit dem Ruf eines Geldzauberers absolviert und war, nachdem er mit neunzehn in der Wall Street eingezogen war, zum Hohenpriester einer Gruppe irrer Finanziers geworden, die sich Asgard Equities nannte und durch eine Serie blitzartiger Coups — Optionsstöße, Scheinangebote, doppelte Stellagengeschäfte und eine Vielzahl anderer Methoden, die ich nur vage begreife — innerhalb von fünf Jahren die Kontrolle über ein Milliarden-Dollar-Reich mit ausgedehntem Besitz auf jedem Kontinent außer der Antarktis erwarb. (Und wundern würde es mich nicht, wenn Asgard auch die Konzession für Zollerhebung in der Meerenge von McMurdo hätte.)
Ms. Yarber war eine kleine, blonde Person, ungefähr dreißig, mager und ein wenig spitzgesichtig, energiegeladen, mit flinken Augen und dünnen Lippen. Ihr jungenhaft kurzes Haar fiel in spärlichen Strähnen über ihre hohe, vorwitzige Stirn. Ihr Gesicht war kaum geschminkt, nur eine schwache blaue Linie lief um ihren Mund, und ihre Kleidung war karg — ein strohfarbenes Hemd und ein gerader, einfacher, knielanger brauner Rock. Das wirkte zurückhaltend, geradezu asketisch, aber sie hatte, wie ich beim Hinsetzen bemerkt hatte, ihr überwiegend asexuelles Erscheinungsbild mit einer verblüffenden erotischen Note raffiniert ausgeglichen: Ihr Rock war nämlich auf der linken Seite von Hüfte bis Saum auf eine Spanne von vielleicht zwanzig Zentimetern vollständig offen; wenn sie sich bewegte, wurden ein glatt glänzendes, muskulöses Bein, ein weicher, goldbrauner Schenkel und ein Stück vom Gesäß sichtbar. In der Mitte des Schenkels, befestigt mit einer dünnen silbernen Kette, trug sie das kleine, abstrakte Medaillon des Transit-Glaubens.
Und also zum Diner. Das übliche Aufgebot für Festessen: Furchtsalat, Consommé, Filet aus Soja-Fleisch, gedünstete Erbsen und Karotten, flaschenweise Kalifornischer Burgunder, klumpiger Alaska-Pudding, dies alles mit größtmöglichem Geklirr und kleinstmöglicher Anmut von steingesichtigen Mitgliedern unterdrückter Minderheiten serviert. Weder das Essen noch die Dekoration waren geschmackvoll, aber das störte niemanden; wir waren alle so hoch auf unserem Dope, daß das Mahl Ambrosia und der Saal Walhalla waren. Während wir uns unterhielten und aßen, wanderte eine Schar politischer Profis der niederen Ränge von Tisch zu Tisch, klopfte auf Schultern und schüttelte Hände in ach so herzlicher Begrüßung, und darüber hinaus mußten wir eine Prozession wichtigtuerischer Politikerfrauen ertragen, die zumeist in den Sechzigern waren, plump, grotesk nach der jüngsten Mode gekleidet, und im Umherwandern ihre Nähe zu den Mächtigen und Berühmten auskosteten. Der Lärmpegel mußte um 20db über dem der Niagarafälle liegen. Fontänen wütenden Gelächters spritzten von diesem oder jenem Tisch, wenn irgendein silbermähniger Jurist oder verehrter Gesetzgeber seinen neuesten schlüpfrigen Republikaner/Schwulen/Schwarzen/Puerto/Juden/Iren/Italiener/Arzt/Anwalt/Rabbi/Priester/Politikerinnen/Mafia-Witz im besten 1965er Stil von sich gab. Ich fühlte mich, wie ich mich bei solchen Anlässen immer gefühlt hatte: wie ein Besucher aus der Mongolei, den es ohne Redensartenlexikon in ein unbekanntes amerikanisches Stammesritual verschlagen hatte. Ohne die Röhrchen mit erstklassigem Bone, die ständig herumgereicht wurden, hätte es leicht unerträglich sein können; die Neue Demokratische Partei mag am Wein sparen, aber sie weiß, wie man an gutes Dope kommt.
Als die Zeit für die Reden gekommen war, ungefähr um halb zehn, hatte sich ein Ritual innerhalb des Rituals entfaltet: Lamont Friedman blitzte fast verzweifelte Signale des Verlangens zu Sundara hinüber, und Catalina Yarber hatte sich, obwohl sie sich eindeutig ebenfalls zu Sundara hingezogen fühlte, in kühler, emotionsloser, nichtverbaler Manier mir angeboten.
Als der Zeremonienmeister — Lombroso war es, dem es brillant gelang, gleichzeitig elegant und primitiv zu sein — sich dem Kernstück seiner Aufgabe näherte — er wechselte jetzt zwischen spöttischen Seitenhieben auf die hervorragendsten der anwesenden Parteimitglieder und pflichtgemäßen Klageliedern auf die traditionellen Märtyrer Roosevelt, Kennedy, Kennedy, King, Roswell und Gottfried hin und her —, beugte sich Sundara zu mir und flüsterte: »Hast du Friedman beobachtet?«
»Der leidet schwer an einem Steifen, würde ich sagen.«
»Ich dachte, Genies wären etwas raffinierter.«
»Vielleicht denkt er, die am wenigsten raffinierte Methode wäre die raffinierteste Methode«, schlug ich vor.
»Nun, ich finde, er benimmt sich pubertär.«
»Da hat er wohl Pech gehabt.«
»Oh, nein«, sagte Sundara. »Ich finde ihn attraktiv. Sonderbar, aber nicht abstoßend, verstehst du? Schon fast faszinierend.«
»Dann ist die direkte Methode für ihn erfolgreich. Siehst du? Er ist ein Genie.«
Sundara lachte. »Die Yarber hat’s auf dich abgesehen. Ist sie auch ein Genie?«
»Ich glaube, mein Liebling, in Wirklichkeit will sie dich. Das nennt man die indirekte Methode.«
»Was möchtest du machen?«
Ich zuckte die Achseln. »Es liegt an dir.«
»Ich bin dafür. Was hältst du von der Yarber?«
»Große Energie, schätze ich.«
»Ich auch. Also eine Vierergruppe für heute nacht?«
»Warum nicht?« sagte ich, und gerade in diesem Augenblick brachte Lombroso das Publikum mit einem ausgeklügelt polyethnisch-perversen Höhepunkt seiner Ankündigung Paul Quinns zu ohrenbetäubendem Gelächter.
Wir zollten dem Bürgermeister eine stehende Ovation, sauber dirigiert von Haig Mardikian auf der Estrade. Als ich mich wieder setzte, schickte ich Catalina Yarber ein Telegramm in Körpersprache, das Farbflecken auf ihre blassen Wangen zauberte. Sie grinste. Kleine, scharfe, gleichmäßige Zähne, dicht aneinander gesetzt: Botschaft erhalten. Abgemacht, abgemacht. Sundara und ich würden heute nacht also ein Abenteuer mit diesen beiden haben. Wir waren monogamer als die meisten Paare, daher unsere Zweiergruppen-Lizenz: die lärmenden vielköpfigen Haushalte mit dem Gezänk über privates Eigentum und den kommunalen Kinderhorden waren unsere Sache nicht. Aber Monogamie ist eine Sache und Keuschheit eine andere, und wenn erstere noch existiert, verwandelt allerdings durch die Evolutionen der Ära, so ist letztere doch so ausgestorben und verschwunden wie der Dinosaurier. Die Aussicht auf einen kleinen Waffengang mit der kraftvollen Ms. Yarber war mir angenehm. Und doch ertappte ich mich dabei, daß ich Friedman beneidete, wie ich stets Sundaras Partner der Nacht beneidete: Denn er würde die einzigartige Sundara haben, die für mich immer noch die begehrenswerteste aller Frauen war, und ich mußte mich mit jemandem begnügen, den ich begehrte, aber weniger begehrte als sie. Ein Maß der Liebe war das, nehme ich an, der Liebe in einer Beziehung, die andere Partner nicht ausschloß. Glücklicher Friedman! Es gibt nur ein erstes Mal mit einer Frau wie Sundara.
Dann redete Quinn. Er ist kein Komiker, und er machte nur ein paar flüchtige Witzchen, auf die seine Zuhörer taktvoll überreagierten; dann kam das ernste Geschäft, die Zukunft von New York City, die Zukunft der Vereinigten Staaten, die Zukunft der Menschheit im kommenden Jahrhundert. Das Jahr 2000, so sagte er uns, trägt großen symbolischen Wert: Im Wortsinne bezeichnet es die Ankunft eines Jahrtausends. Laßt uns, mit dem Wechsel der ersten Ziffer, reinen Tisch machen und aufs neue beginnen, eingedenk der Fehler der Vergangenheit, aber sie nicht wiederholend. Wir sind, sagte er, im zwanzigsten Jahrhundert durch die Feuerprobe gegangen, haben gewaltige Erschütterungen, Verwandlungen und Verletzungen ertragen; verschiedene Male sind wir dicht an die Zerstörung allen Lebens auf Erden herangekommen; wir haben der Möglichkeit weltweiter Hungersnot und weltweiter Armut ins Auge gesehen; wir haben uns töricht und vermeidbar in Jahrzehnte politischer Unsicherheit gestürzt; wir sind die Opfer unserer eigenen Gier und Angst, unseres Hasses und unserer Unwissenheit gewesen; aber nun, da die Energie der Sonnenreaktion selbst unter unserer Kontrolle ist, da das Bevölkerungswachstum stabil ist, da zwischen ökonomischem Wachstum und dem Schutz der Umwelt ein funktionsfähiges Gleichgewicht hergestellt wurde, ist die Zeit für die Errichtung der bestmöglichen Gesellschaft gekommen, einer Welt, in der Vernunft herrscht und Gerechtigkeit triumphiert, einer Welt, in der die volle Blüte der menschlichen Möglichkeiten sich entfalten kann.
Und so fort, eine glanzvolle Vision der bevorstehenden Epoche. Noble Rhetorik, besonders von einem New Yorker Bürgermeister, der traditionellerweise eher die Probleme des Schulsystems und die Forderungen der Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes als das Schicksal der Menschheit im Kopf hat. Es wäre ein leichtes gewesen, die Rede als bloßen hübschen Bombast abzutun; aber nein, unmöglich, sie hatte eine Bedeutsamkeit, die über ihr Thema hinausging; denn was wir hörten, war der erste Trompetenstoß eines, der sich anschickte, ein Führer der Welt zu werden. Da stand er, wirkte einen halben Meter größer, als er war, sein Gesicht gerötet, die Augen hell, die Arme in jener charakteristischen Pose ruhender Kraft verschränkt, und rüttelte uns auf mit diesen Weckrufen:
»- Laßt uns, mit dem Wechsel der ersten Ziffer, reinen Tisch machen -«
»- wir sind durch die Feuerprobe gegangen -«
»- ist die Zeit für die Errichtung der bestmöglichen Gesellschaft gekommen -«
Die Bestmögliche Gesellschaft. Ich hörte es klicken und rauschen, und das Geräusch kam nicht so sehr vom Wechsel der ersten Ziffer als vom Hervortreten eines neuen politischen Slogans, und ich bedurfte keiner großen stochastischen Fähigkeiten, um zu ahnen, daß wir alle noch viel, viel mehr von der Bestmöglichen Gesellschaft hören würden, bevor Paul Quinn mit uns fertig war.
Verdammt, aber er war mitreißend! Ich fieberte darauf, weg und zu den Taten der Nacht zu kommen, und dennoch saß ich reglos, hingerissen, und ebenso erging es dem ganzen Publikum alkoholisierter Politiker und gestoneter Berühmtheiten, und selbst die Kellner unterbrachen ihr ewiges Geschepper mit dem Geschirr, als Quinns glorreiche Stimme durch den Saal rollte. Seit jener ersten Nacht auf Sarkisians Party hatte ich zugesehen, wie er stetig stärker wurde, fester, als ob sein Aufstieg zur Prominenz ihm seine eigene Selbsteinschätzung bekräftigt und jede Spur von Selbstbezweiflung, die noch in ihm gewesen sein mochte, hinweggebrannt hätte. Nun, da er im Scheinwerferlicht erstrahlte, schien er ein Gefäß kosmischer Energien; durch ihn hindurch und aus ihm hervor spielte eine unwiderstehliche Macht, die mich zutiefst erschütterte. Ein neuer Roosevelt? Ein neuer Kennedy? Ich zitterte. Ein neuer Karl der Große, ein neuer Mohammed, vielleicht ein neuer Dschingis-Khan.
Er schloß mit einer Floskel, und wir waren auf den Beinen und schrieen, Mardikians Choreographie war nicht mehr nötig; die Leute von den Medien rannten, ihre Kassetten abzuholen, die kaltäugigen Burschen aus den Clubhäusern schlugen sich in die Hände und redeten vom Weißen Haus, Frauen weinten, Quinn nahm, schwitzend, die Arme ausgebreitet, unsere Huldigung mit stiller Befriedigung entgegen, und ich spürte, wie das Dröhnen des Götzen zum ersten Mal durch diese Vereinigten Staaten ging.
Es dauerte eine weitere Stunde, bis Sundara, Friedman, Catalina und ich aus dem Hotel waren. Zum Hubschraubertaxi und schnell nach Hause. Merkwürdiges, befangenes Schweigen; alle vier sind wir darauf erpicht, zur Sache zu kommen, aber die gesellschaftlichen Konventionen dominieren vorerst, und wir täuschen Gelassenheit vor; außerdem hat Quinn uns überwältigt. Wir sind noch so voll von ihm, seinen klingenden Sätzen, seiner kraftvollen Gegenwart, daß wir alle vier zu Nullen geworden sind, stumpf, betäubt, ohne Selbst. Niemand ist zum Eröffnungszug fähig. Wir reden. Brandy, Bone; eine Führung durch das Apartment. Sundara und ich geben mit unseren Gemälden, Plastiken, unseren Kunstwerken der Primitiven, unserem Blick auf die Silhouette von Brooklyn an; allmählich fühlen wir uns etwas wohler miteinander, aber immer noch will keine sexuelle Spannung aufkommen; jene Stimmung erotischer Erwartung, die drei Stunden lang so aufregend gewachsen war, hatte sich unter der Wucht von Quinns Rede völlig verflüchtigt. War Hitler eine orgasmische Erfahrung? Cäsar? Wir räkeln uns auf dem dicken weißen Teppich. Mehr Brandy. Mehr Bone. Quinn, Quinn, Quinn: Statt Sex reden wir über Politik. Friedman streichelt schließlich, höchst unspontan, Sundaras Knöchel, dann wandert seine Hand ihre Wade hinauf. Es ist ein Signal. Wir werden die Erotik herbeizwingen. »Er muß nächstes Jahr kandidieren«, sagt Catalina Yarber und bewegt sich ostentativ so, daß sich der Schlitz in ihrem Rock weit öffnet und einen straffen Schenkel, goldene Locken enthüllt. »Leydecker hat die Nominierung praktisch in der Tasche«, meint Friedman und wird mutiger, liebkost Sundaras Brüste. Ich schalte den Lichtverwandlungsrheostat ein, im Raum breitet sich ein psychedelisches Schimmern aus. Um und um, in leisen, magischen Kreisen, tanzen die Hexenfeuer. Yarber bietet uns eine frische Röhre Bone an. »Aus Sikkim«, erklärt sie. »Der beste Stoff auf dem Markt.« Zu Friedman sagt sie: »Ich weiß, Leydecker führt; aber Quinn kann ihn zur Seite schieben, wenn er will. Wir können nicht noch vier Jahre auf ihn warten.« Ich hole einen tiefen Zug aus der Röhre, und der Stoff aus Sikkim setzt eine Schnelle-Brüter-Reaktion in meinem Hirn in Gang. »Nächstes Jahr ist noch zu früh«, sage ich. »Quinn war unglaublich heute Abend, aber ein Jahr reicht nicht aus, ihn dem ganzen Land einzubläuen. Mortonson wird sowieso todsicher wiedergewählt. Soll sich Leydecker nächstes Jahr ruhig aufreiben, Null-Vier führen wir dann Quinn ins Feld.« Ich hätte womöglich noch die ganze Strategie mit der Scheinbewerbung um die Vizepräsidentschaft ausgespuckt, aber Sundara und Friedman waren in die Schatten verschwunden, und Catalina interessierte sich nicht mehr für Politik.
Unsere Kleider fielen von uns. Ihr Körper war schlank und fest, athletisch, jungenhaft, glatt und muskulös, die Brüste voller, als ich erwartet hatte, die Hüften schmaler. Die Silberkette mit dem Abzeichen des Transit-Glaubens behielt sie an ihrem Schenkel. Ihre Augen glühten, aber ihre Haut war kühl und trocken und ihre Brustwarzen waren nicht steif geworden; was auch immer für Gefühle sie bewegen mochten, ein starkes körperliches Verlangen nach Lew Nichols war gegenwärtig nicht darunter. Was ich empfand, war Neugier und eine gewisse, von fern sich ankündigende Bereitschaft, zu kopulieren; zweifellos empfand sie für mich nicht mehr. Wir führten unsere Körper zusammen, streichelten uns, ließen unsere Münder sich treffen, unsere Zungen sich kitzeln. Es war eine so unpersönliche Angelegenheit, daß ich befürchtete, ihn niemals hochzukriegen, aber die gewohnten Reflexe setzten ein, die zuverlässigen alten hydraulischen Mechanismen begannen, Blut in meine Lenden zu treiben, und da spürte ich auch das gehörige Pulsieren, die gehörige Versteifung. »Komm«, sagte sie, »werde mir nun geboren.« Ein sonderbarer Ausdruck. Transit-Zeugs, wie ich später erfuhr. Ich hing über ihr, und ihre schlanken, starken Schenkel ergriffen mich, und ich drang in sie ein.
Unsere Körper bewegten sich, auf und ab, vor und zurück. Wir rollten uns in diese Position und in jene, klapperten freudlos das ganze Standard-Repertoire ab. Ihre Fähigkeiten waren beträchtlich, aber eine ansteckende Kälte hing daran, die mich zu einer bloßen Bumsmaschine machte, zu einem stampfenden Kolben, der endlos in einen fühllosen Zylinder hineinstieß, so daß ich ohne Vergnügen und fast ohne Erregung kopulierte. Was konnte sie dem abgewinnen? Nicht viel, nahm ich an. Weil sie in Wirklichkeit hinter Sundara her ist, dachte ich, und sich mit mir nur abgibt, um ihr näher zu kommen. Ich hatte recht, aber ich irrte mich auch, denn Ms. Yarbers stählerne, leidenschaftslose Technik war, wie ich noch herausfinden sollte, nicht so sehr ein Ausdruck ihres mangelnden Interesses an mir als vielmehr ein Ergebnis der Transit-Lehren. Sexualität, so sagen die guten Proktoren, hält uns im Hier und Jetzt gefangen und verzögert Verwandlungen, und Verwandlung ist alles: Stillstand ist Tod. Koitiert also, wenn ihr müßt oder wenn etwas Größeres damit zu gewinnen ist, aber laßt euch nicht von Ekstase auflösen, auf daß ihr nicht im Sumpf der Verharrung versinkt.
Gleichwohl. Wochenlang, so kam es mir vor, schwelgten wir in unserem eisigen Ballett, und dann kam sie — oder erlaubte sich zu kommen — in einem stillen, schnellen Zittern, und mit verschwiegener Erleichterung stieß ich mich über die Grenze zu meinem Höhepunkt, und wir rollten auseinander, kaum außer Atem.
»Ich hätte gern noch einen Brandy«, sagte sie nach einer Weile.
Ich holte die Flasche. Von fernher kamen das Stöhnen und Keuchen orthodoxer Lüste: Sundara und Friedman hielten sich ran.
Catalina sagte: »Du bist sehr kompetent.«
»Danke«, erwiderte ich unsicher. Ganz so hatte es noch niemand ausgedrückt. Ich überlegte, wie ich antworten sollte, und beschloß, das undurchsichtige Kompliment nicht zurückzugeben. Cognac für zwei. Sie setzte sich auf, verschränkte die Beine, glättete das Haar, nippte an ihrem Glas. Kein Schweiß war an ihr zu sehen, sie sah unzerrauft, in der Tat, ungebumst, aus. Und doch glühte sie merkwürdigerweise vor sexueller Energie; sie schien mit dem, was wir getan hatten, wahrhaft zufrieden zu sein, und ebenso zufrieden mit mir. »Ich meine es ernst«, sagte sie. »Du bist hervorragend. Du machst es kraftvoll und mit Abstand.«
»Abstand?«
»Leidenschaftslos, sollte ich sagen. Wir schätzen das hoch ein. Leidenschaftslosigkeit ist das, was wir von Transit suchen. Alle Transit-Übungen richten sich darauf, ein Fließen zu erzeugen, stetigen evolutionären Wechsel; denn wenn wir uns an irgendeinen Aspekt des Hier und Jetzt klammern, wenn wir zum Beispiel von erotischer Befriedigung abhängig werden, wenn wir uns darauf festlegen, reich zu werden oder uns auf irgendeinen Aspekt des Ego fixieren, der uns im Bereich des Stillstands bindet…«
»Catalina…«
»Ja?«
»Ich bin ganz schön abgedampft. Theologie ist jetzt zu hoch für mich.«
Sie grinste. »Sich an das Nicht-Klammern zu klammern«, sagte sie, »ist eine der schlimmsten Torheiten. Ich werde ein Nachsehen haben. Kein Wort mehr über Transit.«
»Ich bin dir sehr verbunden.«
»Ein andermal vielleicht? Mit dir und Sundara. Ich würde sehr gern unsere Lehre erklären, wenn…«
»Aber klar«, sagte ich. »Nicht jetzt.«
Wir tranken, wir rauchten, und schließlich bumsten wir wieder — es war mein Schutz gegen ihr Sehnen, mich zu bekehren —, und diesmal muß sie ihre Glaubenssätze wohl weniger fest vor ihrem geistigen Auge gehabt haben, denn es war weniger eine Kopulation, mehr ein Akt der Liebe. Gegen Morgengrauen erschienen Sundara und Friedman, sie sah glatt und himmlisch aus, er knochenklapprig, ausgetrocknet, ausgewrungen, fast benommen. Sie küßte mich über einen Abstand von zwölf Metern hinweg, ein zärtlicher Lufthauch, der mich anwehte: Hallo, Schatz, hallo, dich lieb’ ich immer noch am meisten. Ich ging zu ihr, und sie preßte sich an mich, und ich knabberte an ihrem Ohrläppchen und sagte: »Spaß gehabt?« Sie nickte verträumt. Auch Friedman mußte über Fähigkeiten verfügen, nicht nur finanzielle. »Ist er dir mit Transit gekommen?« wollte ich wissen. Sundara schüttelte den Kopf. Friedman habe sich noch nicht auf Transit eingelassen, murmelte sie, obwohl Catalina ihn bearbeitet habe.
»Mich bearbeitet sie auch«, sagte ich.
Friedman war auf dem Sofa zusammengesackt, mit glasigen Augen starrte er in den Sonnenaufgang über Brooklyn. Sundara, Meisterin klassischer Hindu-Erotologie, war ein schwerer Trip für jeden Mann.
— wenn eine Frau ihren Liebhaber so eng umschlungen hält, wie sich eine Schlange um einen Baum windet, und seinen Kopf zu ihren wartenden Lippen zieht, wenn sie ihn dann küßt, indem sie einen leisen, zischenden Laut, »soutt soutt«, von sich gibt, und ihn lange und zärtlich anblickt — ihre Pupillen vor Verlangen geweitet —, so ist diese Stellung als die Umarmung der Schlange bekannt…
»Will jemand frühstücken?« fragte ich.
Catalina lächelte ein schiefes, offenbar verneinendes Lächeln. Sundara neigte lediglich den Kopf. Friedman sah lustlos aus. »Später«, sagte er, und seine Stimme erhob sich kaum über ein Flüstern. Die ausgebrannte Hülse eines Mannes.
— wenn eine Frau einen Fuß auf den Fuß ihres Liebhabers setzt und mit dem anderen Bein seinen Schenkel umfaßt; wenn sie einen Arm um seinen Hals und den anderen um seine Lenden legt und leise ihre Lust summt, als wolle sie am festen Stamm seines Körpers hinaufklettern und sich einen Kuß pflücken — so ist diese Stellung als die Baumbesteigung bekannt…
Ich ließ jeden in seinem Teil des Wohnzimmers und ging mich duschen. Ich hatte nicht geschlafen, aber mein Geist war wach und rege. Eine sonderbare, eine geschäftige Nacht: Ich fühlte mich lebendiger als seit Wochen, ich verspürte ein stochastisches Kribbeln, einen Schauer von Hellsichtigkeit, der mich warnte, daß ich mich der Schwelle irgendeiner neuerlichen Veränderung entgegenbewegte. Ich drehte die Dusche voll auf, drückte den Knopf für maximale Vibration, Wellen von Ultraschall strömten in mein sich weit öffnendes, zuckendes Nervensystem: Und als ich das Bad verließ, hatte ich Lust, neue Welten zu erobern.
Nur Friedman war im Wohnzimmer, immer noch nackt, immer noch glasäugig, immer noch rücklings auf dem Sofa.
»Wo sind sie hin?« fragte ich.
Träge deutete er auf das Schlafzimmer. So hatte Catalina also ihr Ziel doch noch erreicht.
Erwartete man von mir, daß ich Friedman nun ähnliche Gastfreundschaft erwies? Mein Bisexualitätsquotient ist sehr niedrig, und Friedman erweckte in mir keinen schwulen Funken. Doch nein, Sundara hatte seine Libido demontiert; nur Zeichen der Erschöpfung kamen von ihm. »Sie sind ein glücklicher Mann«, murmelte er nach einer Weile. »Was für eine fantastische Frau… was… für eine… fantastische…« Ich dachte, er sei eingenickt. »… Frau. Kann man sie kaufen?«
»Kaufen?«
Fast klang es ernst.
»Über Ihre orientalische Sklavin rede ich.«
»Meine Frau?«
»Sie haben sie auf dem Markt in Bagdad gekauft. Fünfhundert Dinare für sie, Nichols.«
»Nichts zu machen.«
»Tausend.«
»Nicht für zwei Königreiche«, sagte ich.
Er lachte. »Wo haben Sie sie gefunden?«
»Kalifornien.«
»Gibt’s da draußen mehr von der Art?«
»Sie ist einzigartig«, sagte ich. »Und das bin ich auch, und Sie, und Catalina. Menschen kommen nicht von der Stange, Friedman. Haben Sie inzwischen Lust auf ein Frühstück bekommen?«
Er gähnte. »Wenn wir auf einer höheren Ebene wiedergeboren werden sollten, müssen wir uns von den Gelüsten des Fleisches reinigen. Das ist Transit. Ich werde mein Fleisch kasteien, indem ich auf mein Frühstück verzichte.« Seine Augen schlossen sich, und weg war er.
Ich frühstückte alleine und sah zu, wie sich der Morgen aus dem Atlantik drängte. Ich holte die Times aus dem Türschlitz und freute mich, daß Quinns Rede es auf die erste Seite geschafft hatte, zwar unterhalb des Knicks, aber mit einem zweispaltigen Foto.
BÜRGERMEISTER QUINN SIEHT GRÖSSERES POTENTIAL DER MENSCHHEIT.
Das war die Schlagzeile, die etwas unterhalb des üblichen Prägnanzniveaus der Times lag. Der Artikel zentrierte sich um den Slogan von der Bestmöglichen Gesellschaft und zitierte in den ersten zwanzig Zeilen ein halbes Dutzend glitzernder Sätze aus der Rede. Der Artikel wurde dann auf Seite 21 fortgesetzt, und daneben erschien der vollständige Text der Rede in einem Kasten. Ich las sie, und während ich las, wunderte ich mich, warum ich so ergriffen gewesen war; denn die gedruckte Rede schien jeglichen wirklichen Inhalts zu entbehren; es war reines Wortgeklingel, eine Sammlung gefälliger Phrasen, die kein Programm bot, keine konkreten Vorschläge machte. Und mir hatte sie am Abend zuvor wie ein Fahrplan nach Utopia geklungen. Mir fröstelte.
Quinn hatte nicht mehr als ein paar Haken an der Wand geboten; ich selbst hatte die schönen Bilder daran aufgehängt, all meine vagen Fantasien von sozialer Reform und Aufbruch in ein neues Jahrtausend. Quinns Auftritt war reinstes Charisma in Aktion gewesen, eine elementare Kraft, die vom Podium aus in uns hineinfuhr. So ist es mit all den großen Führern: Die Ware, die sie zu verkaufen haben, ist ihre Persönlichkeit. Bloße Ideen können geringeren Männern überlassen werden.
Kurz nach acht klingelte das Telefon zum ersten Mal. Mardikian wollte tausend Videobänder von der Rede an Parteibüros der Neuen Demokraten im ganzen Land verteilen; was hielt ich davon? Lombroso meldete Zusagen von einer halben Million für die noch nicht existierende Kasse der Quinn-for-President-Kampagne, die nach der Rede eingegangen waren. Missa-kian… Ephrikian… Sarkisian…
Als ich schließlich einen Moment Ruhe hatte, ging ich ins Wohnzimmer und fand Catalina Yarber, die nur ihre Bluse und Schenkelkette trug und Lamont Friedman gerade wachrüttelte.
Sie schenkte mir ein füchsernes Grinsen. »Ich weiß, wir werden uns öfter sehen«, sagte sie kehlig.
Sie gingen. Sundara schlief weiter. Weitere Anrufe kamen. Überall schlug Quinns Rede hohe Wellen. Schließlich kam Sundara heraus, nackt, köstlich, schläfrig, aber vollkommen in ihrer Schönheit — nicht einmal verquollene Augen hatte sie.
»Ich glaube, Transit interessiert mich«, sagte sie.