TEIL II

Tre Kronor

Das Leben im Schloss war weder golden noch einfach. Es steckte voller Stolperfallen und versteckter Regeln, von denen Elin nichts wusste – bis zu dem Moment, in dem sie sie übertrat. Das neue Mieder, das ihr zwar auf den Leib geschneidert war, aber umso enger saß, war bei weitem nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war das Verbot, Wasser zu trinken. Wein und Bier, so rieten die Ärzte der Königin, seien gesünder als Wasser, das verunreinigt sein konnte. Selbst als Elin darum bat, Dünnbier trinken zu dürfen, wurde ihr diese Bitte verwehrt.

»Das ist etwas für arme Leute«, wies Tilda sie mit gutmütigem Spott zurecht. »Denkst du etwa, das, was die Königin trinkt, sei nicht gut genug für dich?« So blieb Elin nichts anderes übrig, als sich so oft wie möglich aus der Kammer zu schleichen. Über Arkadengänge und Treppen erreichte sie die Räume im Ostflügel des Schlosses, wo sie heimlich frisch gefallenen Schnee von einem Fenstersims kratzte und ihn auf der Zunge zergehen ließ. In diesen Augenblicken war die Sehnsucht nach Emilia nicht mehr ganz so schlimm. Der Wind und der frische Geschmack von Winter gaben ihr das Gefühl, wieder lebendig zu werden. Längst kam es ihr so vor, als würde sie das Leben nur noch durch Glasfenster beobachten. Die Nord- und Ostmauern fielen direkt zum Hafen ab – so nah stand das Schloss am Wasser, dass es aussah, als könnte ein Kapitän, der mit seinem Schiff am Schloss vorbeifuhr, seine Hand über die Reling strecken und das Gemäuer berühren. Elin betrachtete die Eisangler und staunte über die Bürger und Adligen, die sich Kufen unter die Schuhe gebunden hatten und über den zugefrorenen See glitten. Ein aus Backsteinen erbauter Palast auf dem Festland faszinierte sie besonders – nicht weit von ihm befand sich die Brücke zu Skeppsholm, der »Schiffsinsel«, auf der sich die Werft befand. Selbst jetzt im Winter brannten dort vereinzelt Feuer, über denen die Spanten für die Kriegsschiffe getrocknet und dabei in Form gebogen wurden. Und weit draußen auf dem Wasser lag auch noch Djurgärden, der »Tiergarten«, die bewaldete Jagdinsel der Königin.

Elins Welt dagegen war mit einem Mal zu einem winzigen Fleck zusammengeschrumpft. Immer wenn sie aus einem der vielen Fenster in die Tiefe blickte – in die verwinkelten, schattigen Höfe des Schlosses, wurde ihr schwindlig. Doch im Inneren des Schlosses fürchtete sie sich ebenso – zum Beispiel davor, die kostbaren Möbel zu berühren. Ständig war sie peinlich bemüht, genug Abstand zwischen ihrem Rock und den Wandteppichen zu halten. Zu allem Überfluss hatte Lovisa ihr einen Stoffwulst um die Hüfte gebunden, der »Weiberspeck« hieß und die Taille betonen sollte, aber Elin kam sich damit vor, als trüge sie unter ihrem schweren Rock riesige Taschen, mit denen sie durch keine Tür mehr passte. Manchmal blieb sie stehen und betrachtete aus sicherer Entfernung die Stickereien.

»Kind, du bist doch kein Geist!«, rief Lovisa, als sie Elin lautlos und eilig vorbeihuschen sah. »Meine Güte, du trampelst entweder wie ein Bauer oder schleichst wie ein Nebelschweif! Lauf anmutig!«

»Ich will nicht anmutig laufen, ich will endlich eine Arbeit.«

»Und widersprich nicht ständig.«

»Dann gib mir eine Aufgabe!«

»Du hast jede Menge Aufgaben: Du musst lernen, anmutig zu gehen, mit dem Besteck zu essen, zu sticken und dich zu benehmen. Vorher kommst du mir nicht einmal in die Nähe der Königin, geschweige denn an die Festtafel.«

»Ich will nicht an die Festtafel! Ich will etwas tun. Es gibt Küchen hier – und Ställe.«

Lovisa zog misstrauisch die Stirn kraus.

»Wo wolltest du gerade hin? Doch nicht etwa in den Stall?«

Elin strich verlegen ihren verrutschten Ärmel zurecht. Es hatte keinen Sinn, Lovisa etwas vorzumachen.

»Zur Königin wollte ich«, gab sie zu. »Zum Audienzraum. Und wenn die Bauern und Geistlichen und Bürger ihre Bitten vorbringen, wollte ich sie fragen, ob ich bald eine Arbeit bekomme.«

Das erwartete Donnerwetter von Lovisa blieb aus. Stattdessen seufzte die Hofdame tief und sah auf einmal sehr faltig und müde aus.

»Ach Kind«, sagte sie leise. »Die Königin hat anderes zu tun, als sich um dich zu kümmern. Heute gibt sie keine Audienz.« Ihre Stimme wurde strenger. »Wenn sie befiehlt, dass du in der Küche Töpfe scheuerst, wirst du es tun. Bis dahin lernst du das, was alle Mädchen im Schloss lernen. Wenn du so versessen darauf bist, dich nützlich zu machen, geh ins Zimmer und mach deine Stickerei fertig.«

»Das ist eine Arbeit für gelangweilte Witwen!«

Lovisas Augen funkelten so gefährlich, dass Elin in Erwartung einer Ohrfeige den Kopf einzog. Aber Lovisa hatte sie noch nie geschlagen und auch jetzt fächelte sie sich nur mit einer zornigen Geste Luft zu. Ihre Löckchen wippten.

»Na schön«, sagte sie scharf. »Dann verschwinde – ich hab genug von dir! Scher dich dorthin, wo du meinst, dass du hingehörst! Geh von mir aus direkt in den Stall und biete dem Pferdeknecht deine Dienste an.«

Mit diesen Worten raffte sie ihren schwarzen Rock und rauschte durch eine der Flügeltüren in das Zimmer, in dem die Hofdamen sich zum Nähen und Tratschen versammelt hatten. Im ersten Augenblick wollte Elin Lovisa hinterherlaufen und sie um Verzeihung bitten. Doch dieser Augenblick verging. Lovisa hatte sie tatsächlich gehen lassen! Langsam wandte Elin sich um und blickte auf den langen, leeren Gang. Zum ersten Mal gehörte ein Stück der endlosen Zeit, die sie ansonsten dafür verwendete, das zu tun, was man ihr sagte, nur ihr allein. Am liebsten wäre sie losgerannt, so aber, in den hohen Schuhen und mit dem schweren Rock, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich gemessenen Schrittes fortzubewegen. Die Gemächer der Königin lagen im Ostflügel des Schlosses. Elin fasste sich ein Herz und machte sich auf den Weg.

Das Schloss war ein Labyrinth mit tausenden von Winkeln. Manche Türen und Gänge waren versperrt, die Gardisten, die sie bewachten, musterten Elin mit finsteren Gesichtern, bereit, die Hellebarden zu senken und sie zurückzuhalten, sollte sie versuchen, den Raum zu betreten. Elin lächelte in sich hinein. Manchmal hatte es doch Vorteile, im Gewand eines Edelfräuleins herumzulaufen. Eine Scheuermagd hätten sie sofort davongejagt. Sie betrachtete die aus Stein gemeißelten Fruchtgirlanden über den Türen. Der in die Form von Trauben und Birnen gehauene Sandstein war bunt bemalt. Aus anderen Winkeln blickten ihr Löwengesichter entgegen. Endlich erreichte sie den Ostflügel und blieb vor einem Wandteppich stehen. Mit golddurchwirktem Garn war darauf eine biblische Geschichte eingestickt, die sie von Lovisa kannte. Die Figuren von Ishmael und seiner Mutter Hager waren altertümlich dargestellt, aber so prächtig, dass Elin der Atem wegblieb. Rasch vergewisserte sie sich, dass niemand sie beobachtete, und streckte vorsichtig die Hand aus. Ihre Finger kribbelten, als sie behutsam die kostbaren Stickereien berührte. Es war ein Gefühl, als hätte ihr jemand ein Geschenk gemacht. Mutiger geworden, ließ sie ihre Finger über vergoldete Bilderrahmen und Türbeschläge wandern, erwiderte die düsteren Blicke der Ahnenbilder und berührte die Rüstungen, die wie Gespensterritter nur darauf zu warten schienen, die Lanze zu heben und anzugreifen. Am Fuß einer schmalen Treppe blieb Elin stehen. Das Gemälde, das hier hing, war anders als die Porträts und Tapisserien. Die Farben waren nicht dunkel und gedeckt – sie leuchteten! Es war, als blickte sie durch ein Fenster mitten in den Frühling. Allerdings war es ein Frühling, wie Elin ihn noch nie erlebt hatte. Zartes Blau und goldenes Rosa vereinten sich zu purem Licht. Und mitten in dem blühenden Wald räkelte sich eine nackte Dame! Ihre Brüste waren unbedeckt – einen Zweig mit saftig grünen Blättern hielt sie lässig und kokett so, dass ihre Scham verdeckt war. Putten mit winzigen Flügeln schwebten über den Bäumen oder tollten über das Gras. Andere junge Frauen, so bekleidet, dass sie kaum weniger schamlos wirkten als die Nackte, tanzten auf der Wiese. Mit einem nackten Mann! Elin ging noch näher an die Leinwand heran. Es duftete nach Öl und Harz – und ein bisschen vielleicht auch nach den zarten Rosen, die den Wolken ihre Farbe liehen. War das tatsächlich ein Kuss, der dort hinten dargestellt war?

»Liederlich!«, ertönte eine tiefe Stimme hinter ihr. Elin fuhr erschrocken zurück und stolperte dabei über ihren Rocksaum. Eine Hand bewahrte sie gerade noch vor einem uneleganten Sturz.

Der Mann musste soeben die Treppe heraufgekommen sein. Heiß schoss Elin das Blut in die Wangen. Sie knickste verlegen und murmelte eine Entschuldigung. Der alte Mann sah sie streng an. Er trug einen spitzen Kinnbart und dunkle Gewänder, die verstaubt und altmodisch wirkten. Sein weißer Spitzenkragen war frisch gestärkt. Die goldenen Ketten, die schwer auf seine Brust fielen, mussten ein halbes Königreich wert sein.

»Entschuldige dich nicht, Mädchen. Es ist kein Wunder, dass diese italienischen Schamlosigkeiten die Jugend verführen. Nun, es ist immer verlockender, an die Liebe zu denken als an die Pflicht.« Seine scharfen, durchdringenden Augen, unter denen Tränensäcke hingen, wurden schmal. »Ich habe dich hier noch nie gesehen – bist du die Tochter von Sekretarius Jörnsson?«

Elin schüttelte den Kopf.

»Elin Asenban«, flüsterte sie. »Aus Uppsala.« Das strenge Gesicht wurde noch eine Spur härter.

»Ach richtig«, sagte er. »Das halbdeutsche Hurenkind, das Mitbringsel aus dem alten Schloss. Ich habe schon von dir gehört. Und was sucht jemand wie du bei den Arbeitsräumen?«

Das war der Ton, den sie von Gudmunds Hof nur zu gut kannte – und trotzdem kam ihr der Satz vor wie eine Ohrfeige.

»Ich … wollte nachfragen … bei der Königin. Oder bei einem Hofmeister. Ob es Arbeit für mich gibt.«

Die buschigen Augenbrauen zogen sich nun noch enger zusammen.

»Dass du hier bist, heißt nicht, dass du zum Schloss gehörst und hier im administrativen Flügel herumlaufen darfst, wie es dir passt«, wies der alte Herr sie zurecht. »Das ist kein Kuhstall. Am Donnerstag ist der nächste offizielle Audienztag. Da kommen die Bauern, um der Königin ihr Leid zu klagen. Und auch die Hurenkinder und die anderen Mindergeborenen dürfen dort ihre Fragen an sie richten.«

Elin sah den Adligen entsetzt an. Seltsamerweise musste sie genau in diesem Moment an Lovisas Beschreibung des Stockholmer Südtores denken, über dem die Köpfe der Hingerichteten aufgespießt wurden und über Wochen hinweg verrotteten. Sie beeilte sich, ihren Blick zu senken. Der alte Herr wartete immer noch auf eine Antwort. Was würde Lovisa an ihrer Stelle antworten? Höflich bleiben! Nicht durchscheinen lassen, was man wirklich dachte.

»Sie haben Recht«, sagte Elin leise. »Hier, wo ich als Mindergeborene bezeichnet werde, habe ich ganz sicher nichts zu suchen. Wenn Sie so freundlich wären und mir sagen würden, wie ich diese Räume hier auf dem schnellsten Weg verlassen kann …«

»Oh, auch noch scharfzüngig. Nun, da kann ich dir helfen. Du gehst diese Treppe dort hinunter – und dann noch ein paar Stufen mehr. Und ganz unten, in der Nähe der Vorratskeller, da wirst du den Ort finden, an dem du dich zu Hause fühlst.«

Wieder besann Elin sich auf alle Lektionen, die Lovisa ihr erteilt hatte, und rang sich ein steifes Lächeln ab.

»Ich danke vielmals für die liebenswürdige Auskunft. Ohne Sie hätte ich den Platz, der mir zusteht, sicher nicht gefunden. Ich wünsche einen angenehmen Tag.«

Obwohl ihre Knie zitterten, machte sie einen übertrieben tiefen Knicks und ging. Den Blick des alten Adligen spürte sie noch lange wie eine kalte Hand im Genick. Niedergeschlagen blieb sie an der Treppe stehen. Tränen brannten in ihren Augen. Jetzt erst bemerkte sie, dass sie ihre Hände zu Fäusten geballt hatte. Halt suchend berührte sie einen Wandteppich, auf dem ein Wald abgebildet war. Hurenkind konnte man sie nennen, ja, aber diese Berührung hier gehörte ihr nun ebenso gut wie den Adligen.

In der Furcht, weiteren adligen Herrschaften zu begegnen, lief sie die Treppe nach unten. Irgendwann würde sie einen Raum, einen Gang erkennen und wissen, wie sie wieder zu Lovisas Kammern zurückkehren konnte. Je weiter sie in die unteren Stockwerke des Schlosses kam, desto mehr Menschen begegneten ihr. Anstelle von Wandteppichen gab es hier nur nackte Ziegelwände und Gewölbe – und statt Musik hörte sie barsche Rufe. Beinahe musste sie lächeln, als sie erkannte, wohin der Adlige sie geschickt hatte: zu den Küchen. Der vertraute Geruch nach Fisch und verbranntem Fett tröstete sie. Sie lehnte sich an eine Tür, lauschte den Geräuschen, dem Klappern und Lachen, den schnellen Schritten und dem Plätschern von Wasser und fühlte sich einen Augenblick lang geborgen. Fast war es so, als würde sie gleich Emilias Stimme hören, die sie mahnte, an die Arbeit zu gehen, bevor Greta zurückkam. Elin lächelte. Wenn Königin Kristina ihr keine Arbeit gab, konnte sie bis zum Audienztag genauso gut selbst nach einer Beschäftigung suchen.

Aber auch hier unten war sie nicht willkommen. Ihre Gegenwart irritierte die Diener, die Mägde knicksten verstört und wichen ihr aus. Elin schlich zur nächsten Tür und spähte vorsichtig in einen Raum. Ein Haufen von Schwanenfedern türmte sich auf dem Tisch. Eine Frau war emsig damit beschäftigt, die Federn auf einem Geflecht aus Eisendraht zu befestigen. Die Frau hatte graublondes, feines Haar und trug ein einfaches braunes Kleid. Leise sang sie ein Lied vor sich hin. Elin erkannte es sofort: »Herr Olof och Älvorna« – Herr Olof und die Feen – wie oft hatte Emilia es ihr vorgesungen! Die Frau griff zu einer weiteren Feder. Ihr Lied verstummte.

»Komm herein oder bleib draußen«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. In ihrer Stimme lag ein Lächeln. Elin machte einen vorsichtigen Schritt ins Zimmer. Auf dem gefliesten Boden schlugen die Absätze ihrer Schuhe laut auf. Zögernd umrundete sie den Tisch und setzte sich auf einen Stuhl. Die Frau tauchte den Kiel einer Schwanenfeder in eine Schale mit Harz und fixierte sie anschließend mit einem Bindfaden am Drahtgestell. Ab und zu hob sie den Metallflügel an und prüfte die andere Seite. Zwischendurch schickte sie einen kurzen Blick aus freundlichen, graublauen Augen zu Elin.

»So«, sagte sie schließlich. »Und nun den anderen Flügel! Möchtest du mir helfen?«

»Gerne! Aber so etwas habe ich noch nie gemacht.«

»Federn nach der Größe sortieren kannst du sicher. Die fingerlangen hierher und die Schwungfedern auf die linke Seite. Nimm den kleinen Korb dort hinten.«

»Wofür wird dieser Schwan denn gebaut?«

»Für das Julfest in zwei Wochen. Der Schwan muss anmutig und so echt aussehen, als würde er noch lebendig auf dem Silbertablett sitzen. Zwischen die Flügel wird der Schwanenbraten gelegt. Hast du schon mal Schwan gegessen?«

Elin schüttelte den Kopf.

»Bis vor kurzem habe ich noch von Rüben und gegorenem Hering gelebt. Und mein Kleid ist auch nicht mein richtiges Kleid. Ich war Scheuermagd.«

»Was du nicht sagst«, sagte die Frau ungerührt. »Nun, ein Rübengericht wird es zum Wild auch geben. Ich bin Helga Lundell.« Ihr Lächeln wurde ein wenig breiter. »Und ich nehme an, du bist das Mädchen aus Uppsala. Willkommen im Schloss!« Elin hätte am liebsten geflucht, weil ihr die Schürze fehlte, um sich die Tränen abzuwischen, die ihr plötzlich über die Wangen rannen. In ihrer Verzweiflung zupfte sie das Taschentuch, das Lovisa ihr gegeben hatte, hervor. Zu spät fiel ihr ein, dass das kostbare, mit Fransen versehene Tuch nur zur Zierde in der Hand getragen werden und niemals zum Naseputzen gebraucht werden durfte. Helga hielt bestürzt in ihrer Arbeit inne und legte Elin die Hand auf den Arm.

»Was ist denn los, Mädchen? Geht es dir nicht gut?« Die freundliche Berührung war endgültig zu viel. Elin drückte das Taschentuch gegen die Augen und schluchzte. Ohne es zu wollen, sprudelte alles aus ihr heraus, was ihr auf der Seele lag: Lovisas ständige Schelte, der Spott der Kammerfrauen, das Gefühl, nirgendwo dazuzugehören, die Sehnsucht nach Emilia und die Demütigung durch diesen alten Adligen. Helga nickte und arbeitete ruhig weiter, bis Elin endlich die Worte und die Tränen ausgingen. Das Taschentuch war hinüber.

»Du bist Axel Oxenstierna in einem ungünstigen Moment über den Weg gelaufen«, sagte Helga schließlich. »Aber gräme dich nicht, sei lieber stolz darauf, wie klug du ihm geantwortet hast.« Sie zwinkerte Elin zu. »Anscheinend sind Frau Lovisas Lektionen, über die du dich so beklagst, doch nicht so unnütz gewesen.«

»Axel Oxenstierna? Der Reichskanzler?«

»Oh, erschrick nicht. Er ist kein Ungeheuer – er ist nur streng und nicht gerade entzückt, katholische Ausländer am Hof zu haben. Unsere Königin ist so damit beschäftigt, ihre gelangweilten französischen Gäste zu zerstreuen, dass er einen Teil ihrer Arbeit macht.«

»Die Königin arbeitet?«

»Oh ja. Der ganze Flügel des Schlosses, in den du dich verirrt hast, ist nur für die Verwaltung des Landes da. Der Reichssaal wurde eigens dafür gebaut, die Vertreter der vier Stände zu Ratschlüssen und Audienzen zu empfangen. Königin Kristina ist eine kluge Frau – klug genug, um zu wissen, dass man nichts, was gut getan werden soll, aus der eigenen Hand legen sollte. Und wenn, dann nur in die Hände von Menschen, die am richtigen Ort das Richtige tun.«

»Dann hat sie sich bei mir geirrt«, meinte Elin und wischte sich die Nase ab. »Ich komme mir vor wie ein Spielzeug, das sie mitgenommen hat – nur um es dann zu vergessen.«

Helga Lundell lächelte wieder.

»Die Königin hat dich nicht vergessen.« Überrascht sah Elin ihr Gegenüber an, aber das freundliche, unbewegte Gesicht gab kein Geheimnis preis.

»Heute haben wir noch einiges zu tun«, fuhr Helga fort. »Du kannst dir bei mir gerne ein paar Öre verdienen. Wenn die Herrschaften von ihrer Schlittenfahrt zurückkommen, werden sie hungrig sein. Bringe mir die weißen Servietten dort vom Regal.«

Mit dem Küchendienst, den Elin zu verrichten gewohnt war, hatte Helgas Arbeit so wenig gemein wie das Ausmisten des Stalls mit der hohen Reitkunst. Hier ging es darum, die Nahrungsmittel zu einem Kunstwerk anzurichten. Elin polierte silberne Salzschälchen und lernte Servietten in der Form von fliegenden Tauben zu falten. Und bald saß sie mit glühenden Wangen vor dem Schwanengestell und klebte dem Tier Feder für Feder an die ausgestopfte Brust. Nach und nach nahm der Vogel Gestalt an. Harz verklebte Elins Finger und Helga reichte ihr ein großes Tuch. Es hatte bräunliche Flecken, die süß und fremd dufteten. Elin prüfte, ob die Rückseite sauber war, und band es sich wie eine Schürze um die Taille, um den kostbaren Stoff ihres Kleides zu schützen.

In diesen wenigen Stunden, in denen sie Splitter von duftendem Konfekt kosten durfte, lernte sie von Helga mehr über die Speisen, die Abfolge von Tellern und Gläsern, als sie je in ihrem Leben über irgendetwas gewusst hatte. Bald schallten Rufe durch die Gänge: »Die Herrschaften sind von der Jagd zurück!«, und ein wenig später: »Wo bleibt der Wein?«

Und dann ein weiterer, schriller Ruf, der Elin vor Schreck beinahe die silberne Konfektschale aus der Hand gleiten ließ.

»Elin!«

Lovisa war so blass, dass sie mit den weißen Haaren wie ein Gespenst aussah. »Im ganzen Schloss habe ich dich gesucht!« Mit zwei Schritten war sie bei Elin und zerrte sie einfach hinter sich her. »Und wie du aussiehst«, zeterte sie. »Sogar Harz hast du in den Haaren!«

»Lass mich los, Lovisa!«

»Den Teufel werde ich tun! Wenn du noch einmal wegläufst, sperre ich dich ein, verstanden?«

»Aber du hast mich doch selbst weggeschickt.«

»Aha, wir verstehen die Dinge jetzt nur noch so, wie wir sie verstehen wollen, ja? Glaub ja nicht, dass du damit durchkommst!« Grob zerrte sie Elin hinter sich die Treppen hoch. »Die Königin will dich morgen Früh in ihrer Kanzlei sehen.«

»Wirklich?«

»Freu dich nicht zu früh! Lieber Gott im Himmel, wie soll ich dir nur bis morgen Benehmen beibringen?«

Inzwischen lief Elin so schnell, dass sie Lovisa überholte. Im ersten Stock musste sie warten, bis die alte Hofdame ihr hinterhergeschnauft kam. Schon wollte sie um die Ecke weiterlaufen, als sie wie festgenagelt stehen blieb. Musik und Gelächter schallten über den Gang, die Flügeltüren zu einem Zimmer standen weit offen – und davor, an einem der hohen Fenster, stand der junge Marquis mit zwei Höflingen und der blassen Madame Toulain. Im selben Moment, als Lovisa Elin erreichte, entdeckte er die beiden. Sein Lächeln kühlte sofort ab.

Er nahm Lovisas Gruß mit einem arroganten Nicken entgegen und verschränkte die Arme. Sein Blick wanderte von Elins verklebtem Haar über ihre Wange, auf der er etwas sehr Amüsantes zu entdecken schien.

»Mach deinen Knicks«, raunte ihr Lovisa zu. Elin machte den Mund auf, um zu erwidern, dass sie eher bis zum Ende ihrer Tage im Kerker sitzen würde, als etwas Unglaubliches geschah. Der Marquis machte eine elegante Handbewegung und zog mit seinem Fuß einen zierlichen Halbkreis. Das schmerzende Knie bereitete ihm Mühe, aber trotz des Stocks, auf den er sich stützte, erkannte man, dass es eine ironisch übertriebene Verbeugung darstellte. Zweimal klopfte er mit seinem Stock auf den Boden und rief im Ton eines Haushofmeisters: »Regardez la reine de la cuisine!«

Die verblüfften Gesichter der Höflinge lösten sich aus der Erstarrung. Schallendes Gelächter ergoss sich über Elin wie ein Trog voll schmutzigem Waschwasser. Finger deuteten auf ihren Rock – und erst als sie an sich heruntersah, erkannte sie, dass sie immer noch die fleckige Schürze trug.

Der junge Marquis bog sich vor Lachen. Nur mühsam brachte er einen weiteren Satz heraus, der die Höflinge noch mehr entzückte. Sie klatschten und riefen »La reine! La reine avec le concombre!«

Madame Joulain war die Einzige, die nicht lachte. Sie sandte Elin einen mitleidigen Blick zu und rauschte an den Herren vorbei ins Musikzimmer. Nur zögernd folgte ihr die Hofgesellschaft. Zwei Diener schlossen die Flügeltüren.

»Nun, die Regeln der Höflichkeit musst du noch üben«, sagte Lovisa wütend.

»Ich? Er hat mich verspottet und gesagt, ich sei die Königin der Küche!«

»Nun, ganz Unrecht hat er damit wohl nicht, oder?« Mit einer unwirschen Bewegung riss Lovisa ihr die Schürze herunter, knüllte sie zusammen und wischte Elin damit etwas von der Wange. Wie gelähmt blieb Elin stehen, bis die Kammerfrau sie bei den Schultern nahm und zwang weiterzugehen. Erst nach einigen Schritten stutzte Lovisa und blieb stehen.

»Du hast verstanden, was er gesagt hat?«

»Nur diesen Satz.«

»Wer hat dir das beigebracht?«

»Niemand«, antwortete Elin kläglich. »Ich höre nur zu. Wenn ich etwas nicht verstehen soll, redest du immer auf Französisch.« Es war unglaublich, aber Lovisa war tatsächlich sprachlos. »Aber das andere habe ich nicht verstanden«, entschuldigte sich Elin. »Was hat er noch gesagt?«

»Das willst du nicht wissen.«

»Sei doch nicht so böse auf mich, Lovisa!«

»Ich bin nicht böse«, entgegnete Lovisa zu ihrem Erstaunen. »Du benimmst dich so, weil du es nicht besser weißt. Andere dagegen …«

Mit hektischen Fingern ordnete sie ihre Schläfenlocken und gewann ihre Fassung wieder zurück.

»Also gut, ich sage es dir. Er hat vorgeschlagen, man solle dir eine Rübenkrone schnitzen. Und als Zepter gebe man dir eine Gurke in die Hand, damit du standesgerecht über deinesgleichen herrschen kannst. Nun, den Tonfall brauche ich wohl nicht zu übersetzen.«

Keiner von Gretas Schlägen hatte je so geschmerzt. Elin biss sich so fest auf die Unterlippe, dass es wehtat. Sie musste sich mehrmals räuspern, um den Satz, den sie sagen wollte, herauszubringen.

»Ich … möchte seine Sprache erlernen, Lovisa. Kannst du mir helfen? Dafür gebe ich dir den Riksdaler und die zwei Öre, die ich heute verdient habe.«

Die alte Kammerfrau sah sie mit offenem Mund an. Musik und Gelächter drangen durch die Tür. Nach einer Weile glätteten sich Lovisas zerknitterte Lippen zu einem Lächeln. Sie sah sich nach der geschlossenen Tür um.

»Das Verbeugen werde ich dir dennoch nicht ersparen können«, sagte sie leise. Mit einem Mal trat sie an Elin heran und nahm sie fest bei den Schultern. Auch Lovisa, stellte Elin fest, hatte Drachenaugen. »Behalte dein Geld und versprich mir dafür eins. Wenn ich dir genug Französisch beigebracht habe, dann zahlst du Monsieur Henri diesen Riksdaler, der ihm sein Leben wert war, Wort für Wort zurück.«


Gespenster

Der Gang war so zugig, dass die Flammen der Kerzen in den bronzenen Wandhalterungen bedrohlich flackerten. Hinter den Fenstern war es noch schwärzeste Nacht. Mit fünf schweigsamen Gestalten wartete Elin vor der mächtigen Flügeltür. Sie wurde von zwei Gardisten bewacht, die genauso müde aussahen wie die Gesellschaft, die sich beim Arbeitskabinett der Königin eingefunden hatte. Drei der Herren mussten Sekretäre sein, denn sie trugen Akten unter dem Arm und hatten Tintenflecken an den Händen. Einer konnte sich ein Gähnen nicht verkneifen und steckte die anderen damit an. Stühle oder Bänke gab es keine. Es war noch nicht einmal fünf Uhr morgens und Elin fragte sich, ob sie hier wohl warten mussten, bis die Königin erwachte. Das würde sicher nicht vor neun oder zehn Uhr geschehen. Verstohlen musterte sie den jüngeren der beiden Gardisten. Er war höchstens fünf Jahre älter als sie und wenn sie nicht hinsah, konnte sie aus den Augenwinkeln erkennen, dass er sie ebenfalls betrachtete. Sie konnte sich vorstellen, was er sah: ein Edelfräulein, hergerichtet wie ein Paradepferd. Unbarmherzig hatte Lovisa heute an ihren Haaren gezerrt, um das Harz zu entfernen. Dann wurde ihr Haar in drei Partien geteilt, am Hinterkopf zu einem flachen Dutt hochgesteckt, den Lovisa als »Chignon« bezeichnete. Rechts und links von der Schläfe fiel Elins Haar nun in gedrehten Locken herab und kitzelte ihre Wangen. Eine Stelle an ihrem Ohr, an der Lovisa sie mit einem heißen Metallstab versengt hatte, war rot und pochte.

Die Gemächer der Königin lagen direkt neben den Verwaltungsräumen. Unten, am Fuß der Treppe, leuchtete wie ein verheißungsvoller Sonnenstrahl das Bild der nackten Schönheiten. Als die Tür endlich geöffnet wurde, war Elin so sehr in den rosenfarbenen Frühlingswald vertieft, dass sie erst gar nicht bemerkte, wie die frierenden Gestalten zum Leben erwachten. Gehorsam nahm sie Aufstellung und folgte den Sekretären durch die Tür.

Das Arbeitskabinett der Königin unterschied sich kaum von dem Raum in Uppsala, nur dass dieser hier größer war und mehreren Schreibern Platz bot. Die Seitentüren, die in weitere Gemächer führten – vielleicht sogar direkt in die Privatgemächer der Königin – waren geschlossen. Kristina stand in ein Dokument vertieft neben ihrem Schreibtisch und hob kaum den Kopf, als die Eintretenden ihr mit einer tiefen Verbeugung ihre Aufwartung machten. Elin musste zweimal hinsehen, um sich zu überzeugen, wirklich die Königin vor sich zu haben. Sie wirkte noch kleiner, als Elin sie in Erinnerung hatte, und sah aus wie eine nachlässig gekleidete Bürgerin. Ihre Haare waren offensichtlich in großer Hast hochgesteckt worden. Eine goldbraune Strähne hatte sich gelöst und fiel ihr auf die Schulter.

»Ach, das Fräulein Elin ist auch da.« Die Königin schenkte ihr ein Lächeln. »Und aufgezäumt hat man sie ebenfalls. Na, wie gefällt es dir im Kreise meiner Frauen?«

Zehn Augenpaare starrten Elin neugierig an. Beinahe hätte Elin die Frage ebenso unbefangen beantwortet, wie sie ihr gestellt worden war, aber dann fiel ihr ein, was Lovisa ihr eingebläut hatte: Rede vor unserer Königin nicht zu offen und beachte die Gebote der höflichen Konversation.

»Gut, Ihre Majestät«, antwortete sie. Die Königin hatte sich bereits wieder in ihren Brief vertieft. An ihrem rechten Ärmel prangte ein frischer Tintenfleck.

»Aha. Und die Kandare haben sie dir auch schon zwischen die Zähne gezwängt«, stellte sie fest. »Wo ist meine rebellische Scheuermagd geblieben?« Elin erschrak über den Tadel in Kristinas Stimme. »Setz dich dort neben das Fenster«, befahl die Königin barsch. »Ich werde mich später mit dir befassen.« Elin knickste mit hochrotem Kopf und ging, von den Höflingen misstrauisch beäugt, zu einem geschnitzten Stuhl mit einer durchgesessenen Sitzfläche. Dort verbrachte sie die Zeit damit, der Königin dabei zuzusehen, wie sie ihren Sekretären Briefe diktierte und mit gerunzelter Stirn Akten und einzelne Schriftstücke studierte. Es ging um die Friedensverhandlungen in Deutschland, konnte Elin heraushören. Osnabrück und Münster spielten eine wichtige Rolle. Elin nutzte die Zeit, um sich die Königin genau anzusehen. Um die Akten zu lesen, beugte sich Kristina tief über das Papier und kniff die Augen zusammen – so als würde sie auf die Ferne nicht gut sehen. In den wenigen Augenblicken, in denen sie saß und nicht im Kabinett auf und ab ging, fiel ihre schiefe Schulter besonders auf. Und als sie einmal neben Elin am Fenster stehen blieb, ragte unter dem Rocksaum die Spitze eines flachen Männerschuhs aus schwarzem Leder hervor. Elin konnte sich immer weniger einen Reim auf die junge Königin machen. Frau Gudmund hatte oft gezetert, dass Kristina verschwendungs- und vergnügungssüchtig sei und das Geld mit vollen Händen für Tanz und französischen Pomp ausgebe. Diese konzentrierte Frau in ihrem schlichten Kleid passte allerdings so gar nicht zu der Beschreibung – so wenig wie Emilias Vorstellungen von einem Leben bei Hofe. Als die Königin schließlich die letzte Akte zuklappte, war es im Kabinett schon hell geworden. Mehrere Stunden waren vergangen und Elin hatte sich keinen Augenblick gelangweilt. Aber wenn sie gedacht hatte, dass sich die Königin nun endlich ihr zuwenden würde, hatte sie sich getäuscht. Stattdessen schwang die Flügeltür auf und Axel Oxenstierna trat ein. Die Lehne drückte gegen Elins Rücken, so sehr wünschte sie sich, einfach in der Wand zu verschwinden. Der Kanzler warf ihr jedoch nur einen mürrischen Seitenblick zu und wünschte dann der Königin einen Guten Morgen. Bis auf einen Schreiber verließen alle Sekretäre den Raum. Schon wollte Elin sich ebenfalls erheben, als eine knappe Geste der Königin sie auf ihren Stuhl zurückbefahl. Mit angehaltenem Atem beobachtete sie den Kanzler und die Königin dabei, wie sie noch einmal die Beschlüsse des Tages durchgingen. Ihre Vertrautheit ließ auf eine lange Bekanntschaft schließen. Königin Kristinas Stimme war bestimmt, aber respektvoll, als sie mit dem alten Kanzler sprach. Dennoch schienen ihre Ausführungen nicht seine Zustimmung zu finden.

»Mit den Friedensverhandlungen in Westfalen sollten Sie nichts überstürzen«, sagte er. »Es gibt dringendere Dinge, die Ihrer Aufmerksamkeit bedürfen.«

Kristinas Stirn umwölkte sich, obwohl sie ihre Freundlichkeit behielt und ein Lächeln auf ihrem Gesicht erschien.

»Grundsätzlich stimme ich mit Ihnen überein«, antwortete sie. »Allerdings sehe ich es als meine Pflicht an, den Krieg, an dem mein Vater sich im Namen von Schweden beteiligt hat, auch im Namen von Schweden wieder zu beenden.«

»Meiner Meinung nach wäre es wichtiger, wenn Sie zuerst die internen Angelegenheiten regeln, die Schweden mehr betreffen als ein Krieg in Europa.«

»Wie könnte mich der Krieg weniger betreffen als meine Privatangelegenheiten? Auf den Schlachtfeldern sterben täglich schwedische Männer«, erwiderte sie scharf. »Ganz zu schweigen von der Bevölkerung in den deutschen Städten und Dörfern, die entweder in alle Winde zerstreut oder so verarmt ist, dass die Menschen vor Hunger angeblich schon Gras essen. Soll Schweden etwa über entvölkerte Landstriche herrschen? Es ist meine Pflicht, die Brände zu löschen, die schon beinahe dreißig Jahre wüten.«

In der Pause, die folgte, glaubte Elin die Luft knistern zu hören wie vor einem Gewitter. Die Hand des Sekretärs verharrte in der Bewegung. Ein Tintentropfen löste sich von dem angespitzten Federkiel und zerplatzte auf der polierten Tischplatte.

»Mit der Frage Ihrer Heirat sind Sie weniger ungeduldig«, wandte der Kanzler mit seiner ruhigen Stimme ein. »Sie ist keine ›Privatangelegenheit‹, das wissen Sie selbst besser als ich. Das Fortbestehen der Dynastie hängt davon ab. Sie müssen sich jetzt endlich für einen Hochzeitstermin entscheiden, Kristina.«

»Eine Heirat will wohl überlegt sein«, erwiderte die Königin liebenswürdig.

»Wie viele Jahre wollen Sie noch überlegen? Sie sind öffentlich verlobt und haben Ihrem Vetter Ihr Versprechen gegeben. Ich habe Ihre Wahl nicht gebilligt, aber gut, auch Sie folgen Ihrem Herzen. Mehrmals hat Karl Gustav Sie schon um eine persönliche Unterredung in der Heiratsfrage ersucht, und Sie? Sie beschäftigen sich mit französischer Lebensart. Wie lange wollen Sie Ihren Bräutigam noch warten lassen?«

»Auf eine große Ehre kann man nicht lange genug warten.« Kristinas versöhnliches Lächeln konnte kaum über den gereizten Unterton in ihrer Stimme hinwegtäuschen. Axel Oxenstierna seufzte, als wäre er ein resignierter, strenger Vater und die Königin seine trotzige Tochter.

»Manchmal verstehe ich nicht, was in Ihrem Kopf vorgeht, Kristina. Aber da wir gerade bei offenen Worten sind: Mir ist das Gerücht zu Ohren gekommen, Sie hätten dem Bürgerlichen Adler Salvius einen Sitz im Reichsrat versprochen, wenn er mit seinen Verhandlungen in Deutschland zu einem baldigen Friedensschluss beitragen würde?«

»Wer hat Ihnen das zugetragen?«

»Böse Zungen, die, wie ich doch sehr hoffe, etwas Falsches erzählen.«

Die Königin seufzte. Elin hatte das Gefühl, Zeugin eines Kampfes zu werden, in dem Worte wie Degen geschwungen wurden. Mit einem Lächeln im Gesicht trugen hier zwei Gegner ein Scheingefecht aus und erkundeten für den Ernstfall die Schwächen des anderen. Selbst Elin, die nicht wusste, wer Adler Salvius war, begriff, dass Axel Oxenstierna mit seiner Erwähnung einen warnenden Schlag gegen die Königin geführt hatte.

»Bisher habe ich ihm noch gar nichts versprochen«, antwortete Kristina. »Und ich schätze die Arbeit Ihres Sohnes sehr und versichere Ihnen, dass seine Dienste als Unterhändler in Deutschland nicht weniger geschätzt werden als die seines Kollegen Salvius. Dennoch halte ich Salvius für einen begabten Mann.«

»Ich hoffe, diese Überlegung ist nicht Ihr Ernst«, entgegnete der Reichkanzler steif. »Er ist ein Emporkömmling, ein Bauernsohn, vergessen Sie das nicht. Seit jeher müssen die fünf höchsten Ämter des Reiches von schwedischen Adelsherren bekleidet werden. Ebenso ist es mit den Vertretern des Reichsrats. Ihr seliger Vater wusste das. Vergessen auch Sie es nicht.«

»Weder meine noch Salvius’ Vorfahren sitzen hier am Tisch«, sagte Kristina mit gutmütigem Spott. »Ich verlasse mich lieber auf die Verdienste und Fähigkeiten der Lebenden als auf deren Ahnenreihe. Jeder mag dort sitzen, wo er seine Fähigkeiten am besten zum Wohl für sein Land einsetzen kann.«

»So wie der junge de la Gardie?« Nun war es am Reichskanzler zu spotten. »Seine Verschwendungssucht, die er in Paris an den Tag legte, kostete Schweden ein Vermögen.«

Die Königin lachte.

»Ich gebe Ihnen völlig Recht. Aber wie Sie wissen, schätze ich Großmut und Freigebigkeit. Und ich bin der Meinung, dass Magnus genau diese Gaben zu unserem Nutzen eingesetzt hat, um das Verhältnis zu unserem Bündnispartner Frankreich zu stärken. Manchmal scheint ein Aufwand verschwenderisch zu sein, tatsächlich erweist er sich auf lange Sicht aber als Sparsamkeit. Vertrauen Sie mir, mein Kanzler!«

»Oh, ich vertraue Ihnen, meine Königin«, erwiderte der alte Adlige ruhig. »Sicher können Sie mich überzeugen, dass Frankreich nicht vorhat, lediglich bis zum letzten Schweden zu kämpfen. Ebenso wie ich sicher bin, dass Sie mich von den besonderen Fähigkeiten dieses Bauernkindes hier überzeugen können und davon, dass es einen Platz in der königlichen Kanzlei verdient.«

Bei diesen Worten sah er Elin nicht an, trotzdem duckte sie sich unwillkürlich. Schon seit einigen Minuten hatte sie das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

»Ach ja, das Fräulein Elin meinen Sie.« Kristina nickte. »Ich habe sie hergebeten, ja. Aber nicht als Secretarius, wenn Sie das befürchten. Ich wollte sie anweisen, heute Nachmittag mit dem Reitunterricht zu beginnen.« Sie lächelte Axel Oxenstierna an und machte eine kunstvolle Pause. »Nach dem Julfest wird sie uns auf die Jagd begleiten.«

Wenn sie gesagt hätte, sie wollte Elin eine Krone schmieden lassen, hätte sie keinen besseren Effekt erzielen können. Oxenstierna wurde erst blass, dann rot wie ein Flusskrebs im Kochtopf. Dennoch ließ er sich nicht zu einem Zornesausbruch verleiten. Elin fühlte sich in diesem Augenblick, als wäre der Stoff ihres Rocks, in den sie ihre Finger vergraben hatte, glühend heiß. Auf die Jagd! Die Jagd war das Privileg der Adligen. Aber Königin Kristinas Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass sie nicht vorhatte, Elin als Treiber mitzunehmen.

»Wie Sie meinen«, sagte der Kanzler eisig. »Hoffen wir, dass das Mädchen sich nicht das Genick bricht. Sie wissen ja: Je höher das Pferd, desto tiefer der Fall.«

Ohne Elin eines Blickes zu würdigen, verabschiedete er sich und verließ den Raum. Noch lange hörte man seinen festen Schritt auf der Treppe. Die Königin ging um den Tisch herum und nahm langsam wieder Platz.

»Sie können gehen, Bengt«, befahl sie dem Sekretär. Sofort legte er die Feder beiseite und suchte seine Unterlagen zusammen. Erst als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, wich die Spannung aus dem Rücken der Königin und sie sank auf dem Stuhl zusammen – eine erschöpfte junge Frau. Zum ersten Mal seit Stunden sah sie Elin an und schenkte ihr ein schwaches Lächeln.

»Du hast es gehört«, sagte sie sanft. »Du wirst reiten lernen. Dein Lehrer wird Lars Melkebron sein. Er steht bei der Familie de la Gardie in Diensten.« Erwartungsvoll sah sie Elin an. »Freust du dich nicht auf die Jagd?«

Elin räusperte sich. »Oh doch. Es ist eine große Ehre …«

»Ach, hör auf damit!«, fuhr die Königin sie an. Sie sprang vom Stuhl auf und verschränkte die Arme. »Ist es so leicht, dich abzurichten wie ein Hündchen? Wer hat dir das eingebläut? Diese alte Krähe Lovisa? Sag mir ehrlich, was du denkst, oder sag gar nichts. Dir geht es nicht gut, das sieht ein Blinder! Und was soll dieses alberne Kleid? Meine Damen finden offenbar Gefallen daran, dich in ein Püppchen zu verwandeln.«

Elin schnappte nach Luft. Mit klopfendem Herzen stand sie langsam auf. So, auf gleicher Augenhöhe mit der Königin, fühlte sie sich etwas besser. Nun war es auch viel einfacher, dem Befehl zu gehorchen. Kristina wollte die Wahrheit hören? Das konnte sie haben! »Es stimmt, Majestät«, begann sie. »Ich … fühle mich wie ein verkleidetes Schoßtier und ich ersticke in diesen Räumen, wo ich nicht arbeiten und noch nicht einmal Wasser trinken darf.« Zum ersten Mal an diesem Morgen hatte sie das Gefühl, wieder atmen zu können. Überrascht sah die Königin sie an. Elin wurde noch mutiger. »Aber offenbar ist Lovisa nicht die Einzige, die mich wie ein Spielzeug behandelt. Sie … haben mich nur herkommen lassen, weil es den Kanzler ärgert, mich hier zu sehen, nicht wahr?« Sie schluckte und fuhr fort. »Wahrscheinlich wollen Sie mich nur deshalb auf die Jagd mitnehmen, um Herrn Oxenstierna zur Weißglut zu treiben.«

Königin Kristina brach in ein herzliches Lachen aus. Ihre Augen blitzten.

»Ich gestehe«, sagte sie. »Ja. Helga hat mir von der Begebenheit vor dem Bacchanal der Venus berichtet und ich konnte mir einfach nicht verkneifen zu sehen, was mein eiserner Kanzler sagt, wenn er mein neues Mündel hier sieht. Nun, ich hatte mit meiner Vermutung Recht.« Sie wirkte plötzlich wie ein ganz gewöhnliches Mädchen, das einen Streich ausgeheckt hatte. »Ich habe dich an geschickter Stelle platziert – so wie das Bild am Fuß der Treppe. Er hasst meine Gemälde. Besonders das Bild der Venus, das du betrachtet hast. Man stelle sich vor – mitten im streng lutherischen Schloss eine heidnische Liebesgöttin, nackt aus dem Meer entstiegen!« Ihr Lächeln wurde breiter. »Mit dieser Vermutung hattest du also Recht – aber niemals mit deiner Unterstellung, ich würde noch mit Puppen spielen.« Mit energischen Schritten kam sie auf Elin zu und blieb nur eine Armeslänge entfernt abrupt vor ihr stehen. Auge in Auge standen sie sich am Fenster gegenüber: Elin, die Scheuermagd, herausgeputzt wie eine Prinzessin – und Kristina, die Königin von Schweden, mit tintenbeschmutztem Ärmel und zerzaustem Haar. In ihren Augen spiegelten sich die Wolken eines strahlend blauen Winterhimmels.

»Wer bist du, Elin?«

»Das wissen Sie genau«, murmelte Elin gekränkt.

»Allerdings. Und wer bin ich?«

»Die … Königin.«

»Die Königin der Schweden, Goten und Vandalen, Großfürstin von Finnland, Herzogin von Estland und Herrin von Ingermanland. Ich spiele nicht mit Menschen, ich setze sie ein – es ist meine Pflicht, meine Aufgabe zu ihrem Wohl so gut wie nur möglich zu erfüllen. Könige sollen herrschen. Allen anderen ziemt es, ihre Befehle auszuführen und zu gehorchen. Und dich brauche ich für einen besonderen Auftrag.«

Elin hielt dem Blick der Königin stand, obwohl sich ihre Beine plötzlich anfühlten, als würden sie sie nicht mehr lange tragen.

»Sie können darauf vertrauen, dass ich mein Bestes geben werde«, sagte sie steif.

»Ich kann niemandem vertrauen«, erwiderte Kristina. »Liebst du dein Land, Elin?«

»Natürlich, Majestät.«

»Ich liebe es auch. Du ahnst nicht, wie sehr. Und du ahnst nicht, wie schwer es ist, es zu regieren. Von allen Seiten zerren die Vertreter der Stände an mir – die Adligen ebenso wie die Bürger, die Geistlichen und die Bauern. Es ist, als würde man versuchen, gleichzeitig vier Pferde zu zügeln, von denen dich jedes in eine andere Richtung schleifen will.«

Bei den letzten Worten war ihre Stimme lauter geworden, doch plötzlich schien sich die Königin wieder daran zu erinnern, wen sie vor sich hatte. Brüsk wandte sie sich ab, sah aus dem Fenster und seufzte tief. Elin knetete ihre Finger.

»Majestät«, sagte sie leise. »Darf ich eine Frage stellen?«

»Frag!«

»Axel Oxenstiernas Sohn führt im Namen von Schweden die Friedensverhandlungen in Deutschland an?«

Kristina nickte, ohne sich Elin zuzuwenden.

»Johan Oxenstierna ist der echte Sohn seines Vaters – bis auf die Tatsache, dass ihm dessen politisches Geschick fehlt. Aber ich habe kaum eine Wahl.«

»Und … Adler Salvius gehört ebenfalls zu den Gesandten?«

»Ihn habe ich Johan an die Seite gestellt – er gehört zu meinen Königstreuen. Es ist schwer, gegen die Oxenstiernianer zu bestehen. Immerhin hat der Kanzler die Mehrheit des Reichsrats und des Landes hinter sich.«

»Oxenstierna und der Rat wollen den Krieg nicht beenden, nicht wahr?«

»Ich liebe den Frieden so sehr, wie mein Vater den Krieg liebte. Aber es gibt andere Menschen in Stockholm, die kein Interesse daran haben, das Elend auf den Schlachtfeldern zu beenden, kriegslüsterne Männer, die schon meinem Vater treu dienten und die nun um ihre Kriegsbeute fürchten. Sie sind unmäßig wie Raubtiere und wollen so viele Gebiete wie möglich verschlingen. Mein Kanzler ist ein brillanter Staatsmann, aber er wird den Teufel tun, mir nach so vielen Jahrzehnten der Macht die Zügel freiwillig zu überlassen.«

»Werden Sie Adler Salvius den Sitz im Reichsrat geben?«

Nun wirbelte Kristina herum und starrte Elin an.

»Was erzähle ich dir nur?«, sagte sie ärgerlich. »Der Krieg ist nicht dein Geschäft – und die Friedensverhandlungen schon gar nicht. Es steht dir außerdem überhaupt nicht zu, mir solche Fragen zu stellen.«

»Dieser Krieg betrifft mich durchaus«, widersprach Elin leise. »Er hat meinen Vater und meine … Mutter das Leben gekostet. Ich kenne niemanden, der im Krieg nicht einen Sohn oder einen Vater verloren hat. Wenn der Bürgerliche Adler Salvius Ihnen als Königstreuer dienen kann, dann kann ich es auch. Oder denken Sie, ein … Hurenkind sei nicht gut genug?«

Die traurige Königin sah sie an und lächelte. Elin erschrak, als Kristina zu ihr trat und ihr die Hände auf die Schultern legte. Ihre Finger waren kräftig wie die eines Stallburschen.

»Überlege gut, was du mir versprichst. Weißt du, wie viel es dich kosten kann, nicht nur ein Handlanger, sondern eine echte Königstreue zu sein? Ich hätte sogar eine Aufgabe für dich, aber dennoch lasse ich dir die Wahl. Du kannst bei Lovisa bleiben und ein Hoffräulein werden. Und wenn du schön sticken, tanzen und plaudern gelernt hast, wird Lovisa einen Ehemann für dich finden, der dich gut versorgt.«

»Ich werde kein Hoffräulein, das wissen Sie genau. Ich bin nicht hier, um zu sticken.«

»Dann schwöre«, sagte die Königin ernst. »Schwöre bei Gott und beim Grab deiner Eltern, dass du schweigst und dass du tust, worum ich dich bitte.«

Elin dachte an ihren Vater und an Emilias Mann und hob das Kinn.

»Ich schwöre«, sagte sie mit fester Stimme.

Kristina ließ ihre Schultern los und trat zurück. Ein anerkennendes Lächeln glitt über ihr Gesicht.

»Ich hoffe, du wirst deinen Schwur nicht bereuen.« Sie drehte sich um und schritt zum Schreibtisch zurück. Ihr schwerer Rock schwang wie eine Glocke. Papier raschelte, als sie einen Brief öffnete und zu lesen begann.

»Geh!«, sagte sie, ohne sich noch einmal nach Elin umzusehen. »Dein Auftrag wird vielleicht verlangen, dass du gut reiten kannst. Fräulein Ebba wird dich heute Nachmittag zum Palast Makalös mitnehmen. Und richte Lovisa einen schönen Gruß von mir aus. Der ganze überflüssige Putz wird dir auf dem Pferd nur hinderlich sein. Sie soll dir ein bequemes Kleid mit möglichst weitem Rock geben und dein Mieder nicht so fest schnüren. Du bist schließlich keine Presswurst.«

Beleidigt war Lovisa mit wehenden Röcken davongesegelt, um nach passender Reitkleidung für Elin zu suchen. Elin hatte sich indessen mit ihrer Stickerei ans Fenster gesetzt und tat so, als würde sie die gekicherten Kommentare der Mädchen im Nebenraum nicht hören. Sie zählte die Sekunden. Vor Ungeduld stach sie sich schon zum vierten Mal in den Finger. Tildas Stimme war nicht zu überhören. Wie immer konnte das Mädchen ihre scharfe Zunge nicht im Zaum halten. Und heute hatte sie Unterstützung von Linnea, der Tochter des Hofzahlmeisters, die erst seit kurzem im Schloss lebte.

»Jetzt soll sie auch noch reiten, meine Güte!«, tuschelte Tilda. »Meint ihr, die Königin wird ihr auch noch befehlen, Hosen zu tragen?«

»Nun, das würde ihr jedenfalls besser stehen als der Samtrock.« Das war Linneas Stimme. »Wenn sie meint, dass niemand hinschaut, läuft sie wie ein Stallknecht. Vielleicht macht sie auf dem Pferd eine bessere Figur.«

»Bist du sicher? Wenn sie so reitet wie die Königin?«

Wieder ein Prusten. Das Getuschel wurde leiser und schärfer.

»Die Königin reitet wie ein Mann.«

»Vielleicht ist sie ja ein Mann?«, sagte Tilda. Empörungsrufe der anderen Mädchen wurden laut.

»Du Schandmaul!«

»Das ist doch nicht dein Ernst!«

»Doch! Im Ausland werden solche Vermutungen angestellt. Der Diener des englischen Gesandten hat es mir verraten. Wegen ihrer tiefen Stimme. Und seid mal ehrlich, denkt euch die Röcke weg – könnte sie nicht ein Mann sein?«

Elin schüttelte den Kopf. Wie konnte jemand die Königin für einen Mann halten?

»Wie soll das gehen – meint ihr, sie stopft sich Äpfel ins Dekolletee?«

»Nun stell dich nicht dümmer, als du bist! Diese zwei Äpfelchen hier verdankt Linnea allein Frau Lovisas Näh- und Polsterkunst.«

Ein Quieken und ein Klatschen ertönte, als hätte Linnea eine vorwitzige Hand weggeschlagen.

»Ach, hört auf!«, zischte ein anderes Mädchen. »Und lasst das niemanden hören! Das sind doch Lügen!«

»Nun, in jeder Lüge steckt ein Körnchen Wahrheit. Vielleicht gründet sich der Verdacht auf der Vermutung, dass die Königin liebt wie ein Mann?«

»Hast du ihr schon einmal unter den Rock geschaut?«

»Ich nicht, aber Fräulein Ebba bestimmt!«, gab Tilda zurück. »Linnea hat gesehen, wie Kristina das Fräulein geküsst hat! Und warum sollte die Königin sonst mit der Heirat so lange zögern? Wer weiß, was der Bräutigam in der Hochzeitsnacht unter dem Rock finden würde?« Das Kichern wurde lauter und erlosch so abrupt, als hätte jemand die Flamme einer Kerze mit einem eiskalten Hauch ausgeblasen. Einen Augenblick herrschte betretene Stille, dann hörte Elin das Poltern eines umgekippten Stuhls und ein erschrockenes »Oh!«.

»So, hat es euch endlich die Sprache verschlagen?« Lovisas Stimme klang wie ein Donnerschlag. Vor Schreck stach sich Elin noch einmal in den Finger. »Tilda! Linnea! Raus hier! Geht in die Kammer, bis ich euch hole.«

»Oh, Frau Lovisa, verzeihen Sie«, schluchzte die dürre Linnea. »Wir haben nur gescherzt …«

»Das sind keine Scherze, sondern dumme Lügen! Und die werden euch eines Tages noch den Kopf kosten. Wisst ihr, was man im russischen Zarenreich mit solchen Lügnerinnen macht? Man gräbt sie nackt bis zum Kopf in die Erde ein und lässt sie erfrieren. Und Königin Kristina wird weitaus erfindungsreicher sein, wenn sie hört, wie ihr dummen Gänse sie verleumdet.«

Elin hörte entsetztes Stöhnen und unterdrücktes Schluchzen, dann stürzten die zwei Mädchen mit verweinten Gesichtern und hochroten Köpfen durch die Seitentür in das Durchgangszimmer, in dem Elin saß, und verschwanden durch die Tür. Lovisa gönnte Elin keinen Blick, als sie die Kammer betrat. Auf dem Arm trug sie ein Gewand aus festem, grauem Stoff.

»Zu fest geschnürt, ja?«, murmelte sie und winkte Elin zu sich. Mit wenigen Handgriffen hatte sie die Schleifen an Elins Mieder geöffnet und begann die Schnüre zu lockern. Es war ein seltsames Gefühl, die Hände der Kammerfrau auf dem Rücken zu spüren. Trotz ihres Ärgers waren ihre Griffe nicht schmerzhaft, sondern sanft und flink. Erleichtert atmete Elin tief ein. Wenig später hatte sie sich von einer Puppe in einen Menschen zurückverwandelt. Statt der hohen Schuhe trug sie flache Halbschuhe aus schwarzem Leder – ähnlich denen der Königin – und ein etwas zu weites, graues Gewand aus robustem Stoff. Lovisa zupfte mit kritischem Gesicht die Rockfalten zurecht und seufzte.

»Gewöhnlich siehst du jetzt aus«, seufzte sie. »Ein Jammer bei einem so hübschen Mädchen!« Endlich schenkte sie Elin ein flüchtiges Lächeln und kniff sie leicht in die Wange.

»Wie apart sie aussieht!«, rief Fräulein Ebba schon von weitem. »Ich dachte, du hättest grüne Augen, aber wenn du ein graues Kleid trägst, sind auch deine Augen grau wie heller Satin!« Die Gruppe von Höflingen, die Ebba begleitete wie ein Schwarm Motten das Licht, musterte nach dem Kompliment interessiert Elins Gesicht, als gäbe es einen Schatz zu entdecken, den sie dort nie vermutet hätten.

»Ich danke Ihnen«, murmelte Elin. Neben Ebba, die ein safrangelbes Gewand trug, fühlte sie sich wie ein Küchenkäfer neben einem Schmetterling. »Kommt«, befahl Ebba. »Wir nehmen den kürzesten Weg zum Bootssteg!«

Elin hatte erwartet, wieder in einen großen Schlitten steigen zu müssen, der sie über die Brücke bringen würde, stattdessen führte der Weg noch tiefer ins Schlossinnere, mehrere Treppen hinunter in Richtung der Vorratskeller. Durch Gänge, die immer roher wurden – erst Ziegelgewölbe, wo Brennholz gelagert wurde, dann grob behauener Sandstein –, kamen sie durch mehrere Tore und Türen, bis ihnen eisige Luft entgegenwehte. Ein direkter Gang aus dem Schloss! Elin sperrte den Mund auf und blickte an der steilen Burgmauer hoch, die sich, so schien es ihr, bis in den Himmel erhob. Es musste die Ostfassade sein, denn man konnte von hier aus auf die Schiffsinsel mit der Werft schauen. Das Hafenwasser vor ihnen war gefroren. Im Sommer musste hier ein Landungssteg für Ruder- oder Transportboote sein, jetzt aber standen kleine Holzschlitten bereit, um die Gesellschaft über das Eis zum Festland zu bringen. Die Pferde vor den Schlitten scharrten im Schnee, der die Eisfläche bedeckte. Schon beim Anblick der Tiere bekam Elin Herzklopfen. Ein Auftrag der Königin! Und sie sollte dafür reiten lernen. Der nächste Gedanke jagte Elin einen Schauer über den Rücken. Ob die Königin sie nach Deutschland schicken würde?

Ebba winkte Elin zu sich und ließ sie in ihrem Schlitten Platz nehmen. Das Gefährt war nicht viel mehr als eine offene Holzschale mit Kufen. Geschnitzte Meerespferde flankierten die Seiten. Mit einem scharfen Ruck setzte es sich in Bewegung. Die Lakaien froren in ihren Prachtlivreen und trieben die Pferde zu einem raschen Trab an. Das schleifende Geräusch der Kufen und das Schnauben der Pferde vermischten sich zu einem Winterlied, das Elins Seele wärmte. Fräulein Ebba hatte von der Kälte rote Wangen, was ihr sehr gut stand. Mit einer eleganten Bewegung streifte sie ihren Handschuh ab und holte einen Beutel aus bestickter Atlasseide unter ihrem Mantel hervor.

»Ich habe mich immer noch nicht bedankt, Elin«, sagte sie. Der Wind spielte mit ihren Worten und trug sie davon. Ebba rückte näher an Elin heran, eine Nähe, die ungewohnt und aufregend war, und drückte ihr den Beutel in die Hand.

»Das ist für dich. Bewahre es gut, es bringt Glück und schützt vor bösen Geistern!«

»Böse Geister?«

Ebbas Lächeln verblasste zu einer angespannten Sichel. Ihre schönen Augen waren voller Furcht.

»Im Schlossgarten und im Park, ja. Der Oberhofmeister hat sie gesehen und die Nichte des Schatzkanzlers ebenfalls. Das arme Mädchen ist so erschrocken, dass sie eine ganze Woche lang an Fieber und Krämpfen litt.« Sie seufzte und blickte gedankenverloren auf das Eis. »Ich fürchte mich vor ihnen. Schon seit Wochen habe ich das Gefühl, dass ein schreckliches Unglück über dem Schloss liegt. Die Gespenster sind Unglücksboten.« Ihre Stimme wurde leiser, bis sie sich beinahe im Wind verlor. »Auch vor dem Tod meines Vaters gab es Unglückszeichen – Raben und riesige Schwärme von Dohlen, die sich gegenseitig die Augen aushackten.« Elin schauderte und verkroch sich noch tiefer unter das schützende Schaffell, mit dem sie sich zugedeckt hatten. »Und dann verliere ich in Uppsala das Medaillon meines Vaters«, fuhr Ebba leise fort. »Da waren sie mit einem Mal wieder gegenwärtig – all die bösen Omen.«

»Sie haben das Medaillon wieder, Fräulein Ebba«, warf Elin ein. »Manchmal ist ein Rabe nur ein Rabe und ein Gespenst nur Nebel zwischen den Bäumen.«

Die Hofdame zeigte ein trauriges Lächeln und seufzte.

»Natürlich«, sagte sie leise und nicht sehr überzeugt. »Das könnten auch Kristinas Worte gewesen sein. Sie spricht nicht gern von Aberglauben und Gespenstern. Und auch über Hexen verliert man in ihrer Gegenwart am besten kein Wort. Sie glaubt nicht daran, dass es Hexen gibt, und will die Prozesse endgültig verbieten lassen.«

»Ich glaube auch nicht daran«, sagte Elin. »An Hexen, meine ich.« Sie schluckte und dachte an Emilias Haar. Durch den Stoff des Beutels hindurch ertastete sie die filigrane Form eines winzigen Kreuzes.

Die junge Hofdame schenkte ihr ein Lächeln und deutete auf das Ufer, an dem sich der rote Palast aus Ziegelwerk erhob.

»Das ist der Palast Makalös – ›Ohnegleichen‹. Das größte Gebäude nach dem Schloss. Macht er seinem Namen nicht alle Ehre?«

Von den Mauern des Schlosses aus gesehen wirkte das Gebäude nicht halb so prächtig wie aus der Nähe. Elin zählte fünf Stockwerke. Ganz oben befand sich eine riesige Dachterrasse – wie gemacht für Feste unter einem Sommerhimmel.

»Unser Reichsmarschall Jakob de la Gardie hat es vor ein paar Jahren erbauen lassen«, erklärte Ebba. »Er ist Magnus’ Vater.«

Vom Wasser führte eine breite Treppe direkt hinauf zum prächtigen Palast. Vier mächtige Türme grenzten das Gebäude an den Ecken ab und erhoben sich zu spitzen Kupferzinnen. Auf den beiden seezugewandten Türmen an der Südseite thronten kupferne Meerjungfrauen mit wehendem Haar. In den Händen hielten sie Pfeil und Bogen. Steinerne, grimmig dreinblickende Löwen bewachten den Eingang in der Mitte eines langen Arkadengangs, an dem bereits Diener auf die Gäste warteten. Ein Mann kam die Treppe herunter und winkte Ebba zu. Vor dem roten Ziegelwerk leuchtete sein Haar wie eine helle Flamme. Magnus de la Gardie!

»Da sind ja meine Gäste!«, rief er und half Ebba aus dem Schlitten. »Meine Frau fragt schon den ganzen Morgen nach dir, Ebba. Sie weiß gar nicht mehr, womit sie unsere Bretonen noch unterhalten soll. Ach, Fräulein Elin – sie geht mit meinem Diener hier. Unser Reitmeister brennt schon darauf, das Mädchen zu sehen, das sich mit unserem launigsten Schlachtross angelegt hat!«

Lars Melkebron war ein Hüne mit einer Stimme, die so laut war wie die eines Befehlshabers. Seine Worte aber trafen Elin wie die Sticheleien einer bösartigen Hofdame. »Lange Reden wirst du bei mir nicht hören, Fräulein Scheuermagd«, sagte er zur Begrüßung. »Und die Titel hebe ich mir für die jungen Kavaliere auf, denen ich beibringen soll, auf dem Schlachtfeld einen ordentlichen Angriff zu reiten und nicht bei der ersten Fanfare vom Pferd zu kippen. Auch den vornehmen Tanzunterricht für Pferde, wie er jetzt in den Reitanstalten in Europa so in Mode ist, wirst du bei mir nicht finden. Nein, die Königin will, dass du eine ordentliche Jagd oder ein Rennen reiten kannst. Und genau das wirst du lernen.«

Nach dem ersten Schreck stahl sich ein Lächeln auf Elins Lippen.

»Dafür, dass Sie nicht viele Worte machen wollen, war das aber eine sehr lange Ansprache.« Sie hatte Mühe, mit seinen langen Schritten mitzuhalten. Lars zog die Brauen hoch und warf ihr einen schelmischen Blick zu.

»Dein Mundwerk wirst du noch im Zaum halten, bevor die Sonne untergeht. Und das ›Sie‹ lass sein. Für dich bin ich Lars. Hast du schon einmal auf einem Pferd gesessen?«

»Nur an einem gehangen.«

Der alte Reitmeister lachte dröhnend und beschleunigte seinen Schritt noch mehr, sodass Elin nur noch laufend mithalten konnte.

Im Vergleich zu Gudmunds niedrigen Stallungen aus Blockholz war diese hier riesig und wirkte beinahe wie ein gemauerter Wohnraum mit hohen Decken.

Pferdeköpfe mit Atemfahnen vor den Nüstern wandten sich den beiden Neuankömmlingen zu. Augen mit langen Wimpern glänzten im Licht einer Stalllaterne. Elin schöpfte Atem. Ihr war warm, ihre Beine schmerzten. Viel zu lange war sie nur wie eine Dame durch die Gänge getrippelt und hatte am Fenster über ihren Stickereien gesessen. Jetzt durchströmte sie ein lange vermisstes Glücksgefühl. Am liebsten hätte sie gejubelt, aber um Lars nicht herauszufordern, hielt sie vorsichtshalber den Mund und folgte dem Reitmeister zu einer Holzwand. Ein bildschöner Sattel lag darauf. Seine Sattelblätter glänzten und als Elin näher heranging, konnte sie den Duft von feinster Sattelseife und Lanolin wahrnehmen.

»Dieser Sattel ist ein Geschenk der Königin«, erklärte Lars. »Simon Jüterbock hat ihn für dich angefertigt – der beste Sattelmacher der Stadt. Na los, im Gegensatz zu einem Pferd kann dieses tote Stück Leder dich nicht beißen.«

Elin war sprachlos. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und befühlte die Riemen und den glatten Lederüberzug.

»Das … ist ein Sattel für einen Mann.«

»So ist es. Aber wenn du willst, kann ich dir natürlich auch einen Damensattel holen lassen.« Es klang, als hätte er angeboten, ihr anstelle eines goldenen Zaums ein durchgekautes Seil zu bringen. Heftig schüttelte Elin den Kopf.

»Ich will wie die Königin reiten!«

Lars nickte, als hätte er keine andere Antwort erwartet, und strich über das Sattelhorn.

»Zuerst siehst du dir den Sattel genau an. Du musst dein Werkzeug gut kennen. Er hat einen Holzrahmen – hier am Horn kannst du ihn fühlen. Ausgestopft ist er mit Pferdehaar und überzogen mit Hirschleder. Den Seidenüberzug hat Jüterbock weggelassen, es ist ein einfacher Jagdsattel, kein Prunksattel für Prozessionen. Steigbügel bekommst du aber trotzdem solche, wie die Frauen sie haben.« Er hob etwas hoch, das aussah wie ein gewöhnlicher Steigbügel – nur hatte dieser hier eine Fußkappe aus geschwärzter Bronze. »Sporen wirst du ebenfalls nicht bekommen – zumindest jetzt noch nicht. Dafür gebe ich dir einen guten Zaum. Komm mit! Wir suchen dir ein Pferd aus.«

Elins Herz schlug einen Trommelwirbel. Schüchtern folgte sie Lars, der an den Verschlagen entlangschritt. Ein dunkler Kopf wandte sich ihr zu. Selbst im Schattenriss erkannte Elin den schwanengleich gebogenen Hals des Rappen sofort wieder. Das Tier schnaubte ein weißes Wolkengespenst in die Luft und spitzte die Ohren.

»Wie heißt dieses Pferd?«, rief sie Lars hinterher. Der alte Reitmeister blieb stehen.

»Oh, der – Enhörning. Er gehört zu Herrn Magnus’ Pferden. Wird mal ein gutes Streitross. Der junge Vaincourt hat ihn geritten.«

»Ich weiß«, sagte Elin. Und in Gedanken setzte sie hinzu: Wenn man es reiten nennen kann.

»Aber nur bis zu seinem Unfall«, meinte Lars. »Dann hat die Marquise darauf bestanden, dass er ein anderes Pferd bekommt.« Er lachte, trat zu dem Tier und klopfte ihm den Hals. »Der Sanftmütigste ist er zwar nicht, aber der Schnellste allemal.«

»Enhörning«, sagte Elin leise zu sich selbst. Einhorn. »Kann ich ihn reiten?«, fragte sie zaghaft. Lars warf ihr einen Blick zu, als hätte sie gefragt, ob sie einen Waldtroll satteln dürfe.

»Wo denkst du hin, Scheuerfräulein!«, rief er. »Ein Pferd ist keine seelenlose Maschine, was auch immer uns die Kriegsherren, die Pfaffen oder irgendwelche Franzosen weismachen wollen. Du kannst nicht jeden beliebigen Reiter draufsetzen.

Ein Reiter muss sein Pferd verstehen. So wie die Königin«, fügte er mit unverhohlenem Respekt hinzu. »Sie könnte Enhörning jederzeit reiten. Er ist dickköpfig, er braucht einen Reiter, der anstelle der Sporen den Verstand gebraucht. Nein, für dich habe ich etwas Passenderes.«

Mit diesen Worten trat er in die Box auf der anderen Seite des Stalles und führte ein stämmiges, braunes Pferd mit hellem Bauch und schwarzen Fesseln aus dem Verschlag. Seine Mähne war kurz und struppig und so schwarz wie seine Beine. Im Halbdunkel des Stalles leuchtete sein helles Maul, als hätte es seine Nase eben in einen Eimer mit Milch getaucht.

»Das ist Spelaren, ein guter Nordschwede. Seine Rasse stammt von den Wildpferden ab, die schon die Svea-Könige durch alle Schlachten getragen haben. Er ist wie geschnitzt für Ritte im tiefsten Schnee.«

Elin warf Enhörning einen letzten, sehnsüchtigen Blick zu und gab sich fürs Erste geschlagen.

Ein Pferd aufzuzäumen war nicht halb so schwierig wie Gudmunds störrischen Kutschgaul anzuschirren. Schwieriger war es dagegen, sich in den Sattel hochzuziehen. Spelaren legte die Ohren an und stöhnte, als würde man ihm eine Schiffskanone auf den Rücken laden. Lars schwang sich auf sein eigenes Pferd, einen rotbraunen Hengst, dem Spelaren gerade mal bis zur Schulter ging, und wies Elin an, ihm nach draußen zu folgen.

»Heute werden wir ein paar Runden im Lustgarten der Königin reiten. Er liegt direkt hinter dem Palast Makalös. Du wirst lernen, die Zügel und die Beine richtig einzusetzen. Also: Los!«

Elin kam es vor, als würde sie auf einem schwankenden Weinfass sitzen. Vor Aufregung entglitt ihr der linke Zügel. Unendlich weit unter ihr zog der Boden vorbei. Noch tauchten einige zaghafte Sonnenstrahlen den königlichen Lustgarten in spärliches Frühnachmittagslicht. In weniger als einer Stunde würde es wieder dunkel werden. Im Garten brannten bereits Fackeln und Laternen. Zögernd hob Elin den Kopf und sah durch die Pferdeohren nach vorn.

»Na los!«, rief Lars ihr zu. »Wenn dich jemand sieht, wird er dir anbieten, dein Pferd zu tragen, damit es schneller geht!«

Elin nahm ihren ganzen Mut zusammen, lockerte die Zügel und drückte die Unterschenkel fester an die Seiten des Pferdes. Spelaren reagierte und ging schneller. Und plötzlich, als sich Elin in den wiegenden Rhythmus eingefunden hatte, war sie glücklich. Lars sah ihr strahlendes Gesicht und begann mit dem richtigen Unterricht.

Die Sonne hatte sich kaum vom Fleck bewegt, als Elin schon in hohem Bogen durch die Luft segelte. Die Wolken glitten über ihr hinweg, dann ein Himmel aus Schnee und Hufspuren. Gerade noch konnte sie die Arme an den Körper ziehen, da schlug sie schon auf dem gefrorenen Boden auf. Vor Schmerz wollte sie aufschreien, doch sie bekam keine Luft. Benommen setzte sie sich auf, krümmte sich und rang nach Atem. Ihr Rock war voller Schneematsch und Schmutz und ihre Seite schmerzte so stark, dass Elin, sobald sie wieder Luft schöpfen konnte, fluchte wie Gudmunds Viehknecht. Das Schlimmste war die Enttäuschung. Lars vergewisserte sich mit einem kurzen Blick, dass sie unverletzt war, dann schüttelte er ungerührt den Kopf.

»Was habe ich dir gesagt? Pass auf die Fersen und die Zügel auf! Verstehst du jetzt, warum dein Pferd ›Spieler‹ heißt?«, spottete er. »Er sieht harmlos aus, aber er hat stets noch einen Wurf parat, um dich mir nichts, dir nichts aus dem Spiel zu befördern.« Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. »Bete, dass ihr zur Jagd nur auf die Insel Djurgärden geht. Wenn du das Pferd nicht halten kannst, werden es zumindest die Ufer der Insel früher oder später zum Stehen bringen!«

Elin biss die Zähne zusammen und stand mühsam auf. Immer noch zitterte sie vor Schreck. Ihre ganze linke Seite war schneeverklebt und schmerzte wie nach einem Hieb mit einem Holzeimer. Mit fahrigen Händen ordnete sie ihre Röcke und suchte wütend nach einer Antwort.

»Du irrst dich, Lars!«, rief sie schließlich. »Ich bin freiwillig abgesprungen. Wenn du mich auf diese Kuh mit Mähne setzt, musst du dich nicht wundern, wenn ich zu Fuß schneller wieder im Schloss bin als hoch zu Ross!«

Lars sah sie so verblüfft an, dass sie lachen musste, obwohl ihr mehr denn je zum Heulen zumute war.

»So, Fräulein Scheuermagd will lieber spazieren gehen?«, brüllte der Reitmeister. »Nichts da! Zurück in den Sattel, bevor die Angst das Pferd überragt und dir bei jedem Ritt über die Schulter schaut!«

Elin wischte sich rasch über die Augen und humpelte mit erhobenem Kopf zu Spelaren. So, wie sie es vor einer halben Stunde gelernt hatte, zog sie sich auf den Pferderücken hoch und ließ sich in den Sattel gleiten. Ihr nasser Rock hing schwer an ihrer Hüfte. Behutsam und voller Angst holte sie die Zügel ein. Rechts von ihr erhob sich die gewaltige Nordseite des Palastes Makalös. Die beiden berittenen Krieger, die die Zinnen der landzugewandten Seite schmückten, schienen ihr höhnisch mit den Lanzen zuzuwinken. Gerade wollte sie die Zügel weiter nachfassen, als ihr an einem Fenster etwas auffiel. Wie ein blasser Mond leuchtete ein Gesicht hinter den in Blei gefassten, rechteckigen Scheiben. Mit verschränkten Armen stand der junge Marquis de Vaincourt am Fenster und beobachtete die Reitstunde. Selbst als er Elins Blick bemerkte, wich er nicht zurück.

An tausend Stellen pochten Blutergüsse und blaue Flecken. Blasen brannten an den Fingern, die die Zügel wund gescheuert hatten, und zu allem Überfluss hatte sie sich beim zweiten Sturz auch noch die Hand verstaucht. Das Feuer im Mädchenzimmer war heruntergebrannt. Wenn Elin die Augen schloss, saß sie wieder auf Spelarens Rücken und war glücklich wie noch nie zuvor. Behutsam tastete sie unter der Bettdecke nach dem kleinen Silberkreuz, das Fräulein Ebba ihr geschenkt hatte. Und nun besaß sie auch noch einen eigenen Sattel! Wie gern hätte sie Emilia davon erzählt.

Für einen Moment hörte sie wieder Ebbas Worte über das drohende Unheil, aber diesen Gedanken wollte sie schnell wieder beiseite schieben. So kniff sie die Augen zusammen wie ein Kind, das hofft, wenn man den Troll nicht sah, würde er einen auch nicht entdecken. Doch die Träume ließen sich von diesem Zaubertrick nicht zum Narren halten. Als Elin mitten in der Nacht aufwachte, war ihr Haar schweißnass. Immer noch trieb ihr das Bild von einer schlafenden Emilia vor Augen. Aber als Elin im Traum näher an das Bett ihrer Freundin herangetreten war, sah sie, dass die Hand, die auf Emilias Brust lag, sich nicht mit dem Atem hob und senkte. Emilia – ihre Emilia! – war gestorben; mit der Hand auf ihrem schmerzenden, vernarbten Herzen.

Ein klarer Wintermond tauchte die Bettvorhänge in ein geisterhaftes Licht. Nach und nach nahm Elin, noch immer ganz benommen, den Atem der anderen Mädchen wahr, die in diesem Zimmer schliefen. Neben ihr im Bett lag Tilda. Wie immer hielt sie ihr Kissen eng umschlungen und lächelte leicht im Schlaf. Elin schlug die mit Fell gefütterte Decke zurück und stand auf. Nur mit dem knöchellangen Unterkleid aus Leinen bekleidet, verließ sie das Gemach und tappte barfuß über den Gang. Auf dessen Südseite befand sich eine Nische mit einem großen Fenster, das direkt auf ein Gebäudedach zeigte. Links davon konnte Elin einen Blick in den streng geometrisch angelegten Parkgarten werfen, der sich wie eine mit akkurat gestutzten Hecken bepflanzte Terrasse über den tiefer gelegenen Teil der Burg erhob. Zur Rechten, weit unterhalb dieser Anhöhe, befand sich der von der äußersten Schlossmauer umgrenzte Obstgarten. Ganz ungezähmt streckten hier die winterkahlen Obstbäume ihre Äste nach dem Mond aus. Die kleinen, rechteckigen Scheiben beschlugen von Elins Atem und gaben dem Garten einen Heiligenschein. Neben einem Baum glaubte Elin auf einmal eine Gestalt zu erkennen. Reglos stand sie auf einem Teppich aus Nebel.

»Emilia?«, flüsterte Elin. Sie legte die Hand an die Scheibe und sah genauer hin. Es war nicht die finnische Magd. Möglicherweise war es nur eine Nebelsäule. Vielleicht träumte Elin aber auch nur, denn die Gestalt winkte ihr zu. Ihr Gesicht konnte sie von ihrem Standort aus nicht erkennen – aber das Haar war lang und beinahe weiß, wie das von Elin.


Der Mann mit dem Federhut

Während der Jultage sprach man an den Kaminfeuern viel über die Gespenster, die in dieser dunkelsten Zeit des Jahres um die Häuser der Menschen schlichen. Solange Elin mit den anderen am großen Kamin saß, konnte sie darüber lachen, aber sie vermied es, noch einmal in den nebligen, düsteren Garten zu blicken. Die Räume des Schlosses dufteten nach frisch geschnittenen Tannen- und Kiefernzweigen, die als Julschmuck aufgehängt worden waren. Wacholderzweige und Efeublätter lagen auf den Tischen. Elins Reitstunden fanden bei Fackelschein statt. Lovisa schien allerdings wild entschlossen, dem täglichen Reitunterricht etwas weniger Unzüchtiges entgegenzusetzen. Vor ihren religiösen Lektionen gab es kein Entkommen. Sie las Elin aus den Büchern Mose vor, ließ sie die Psalme Davids auswendig lernen und natürlich, wie es sich für jeden guten Gläubigen gehörte, nahm das Studium des lutherischen Katechismus kein Ende. Das, worauf sich Elin nach den religiösen Unterweisungen am meisten freute, waren die Fabeln des Äsop, die Lovisa ihr auf Französisch vorlas. Bald verstand sie mehr als nur ein paar Worte und es machte ihr diebischen Spaß, sich unwissend zu stellen und den anderen Damen beim Plaudern zuzuhören. Die schwindsüchtige Madame Joulain war noch schmaler geworden und strahlte mit ihren brennenden Augen und der blassen Haut inzwischen die morbide Schönheit einer Todesfee aus. Ununterbrochen beklagte sie sich über »die barbarische Kälte und die Menschen, die so steif und humorlos sind, dass sie an trockenes Holz erinnern«. Jeden Tag fragte sie Lovisa, wie lange es noch dauern würde, bis endlich das Eis im Hafen brechen würde. Elin fand den Gedanken, dass der junge Marquis dann mit dem nächsten Schiff davonsegeln würde, sehr beruhigend. Aus einigen Gesprächsfetzen hatte sie herausgehört, dass die französischen Gäste in Paris lebten, aber aus einem Landstrich stammten, der sich »Bretagne« nannte, und dort einen Erbschaftsstreit um Ländereien am Meer verloren hatten.

Königin Kristina strahlte in diesen Tagen hell wie die Sonne selbst. Ihr Lachen hallte durch die Räume, sie plauderte mit den Gästen und scheuchte Musiker, Schneider und die jungen Kavaliere von Magnus de la Gardie herum. Etwas war im Gange. Manchmal, wenn Elin durch die Flure lief, hörte sie rhythmisches Stampfen und eine fremde, haarfeine Musik, die wie ein melodisches Weinen klang. Hofdamen huschten mit Stoffbahnen über dem Arm vorbei. Was es damit auf sich hatte, verriet ihr Lovisa erst am Morgen des Julfestes.

»Heute Abend werden wir ein richtiges Ballett sehen!«, rief ihr die alte Hofdame zu. »Um Himmels willen, unsere übermütige Königin hat sogar versucht, mich altes Schlachtross auf den Tanzboden zu zerren! Ihr ist wirklich nichts heilig.«

»Was ist ein Ballett?«

»Nun, ein Tanz aus Frankreich – und ähnlich unsittlich wie das Reiten im Männersitz.« Ihren Worten zum Trotz blitzte die Vorfreude Lovisa nur so aus den Augen. »Im obersten Stock des Schlosses lässt Kristina ein Theater nach italienischem Vorbild bauen. Wenn es ganz fertig ist, wird es sogar Maschinen geben, die Donner und Blitz erzeugen können. Zum Julbankett heute hat Kristina auch die Mädchen und dich geladen. Mach mir ja keine Schande!«

Lovisa wollte sich jedoch nicht allein auf ihre Ermahnung verlassen und steckte Elin in ein züchtiges Kleid mit hochgeschlossener Chemise. Offensichtlich hoffte die Hofdame, ihr Zögling würde in diesem schlichten Gewand so gut wie unsichtbar werden. Elin ertappte sich dabei, wie sie am späten Nachmittag vor einem Spiegel stehen blieb und sich kritisch betrachtete. Sie sah aus wie eine junge Witwe, stellte sie fest. Aber immerhin wie eine lächelnde Witwe, die vor Aufregung rote Wangen hatte.

Die Pracht, die sie am Julabend zu sehen bekam, überstieg selbst die Bilder vom Hofleben, die Emilia ihr mit Worten in das Dunkel der Mägdekammer gemalt hatte. Der riesige Raum, den sie mit Lovisa und den anderen Mädchen durch eine Seitentür betrat, hätte selbst Emilias kühnste Fantasien übertroffen. Das Lüsterlicht warf ein Netz aus Lichtreflexen auf die gedeckte Tafel. Wie pflichtbewusste Soldaten warteten eckige Polsterstühle mit dunkelbraunen Lederbezügen auf die Gäste. An jedem Platz lag ein Silberteller und ein Besteck mit geschnitzten Elfenbeingriffen in Form von Fischen. Jede Schuppe war detailgetreu eingeritzt. Die zweizinkigen Gabeln sahen aus wie für Puppenhände angefertigte Bratspieße. Auf jedem Teller saß ein perfekt gefalteter Serviettenschwan, was Elin ein Lächeln entlockte. Helga Lundell hatte ganze Arbeit geleistet!

Der Festsaal brummte wie ein Bienenstock – Lakaien eilten durch den Raum und balancierten Silberplatten mit Wildbretpasteten und Brandküchlein. Elin war so überwältigt, dass es ihr nicht gelang, auch nur einen Bissen zu essen. Unter großem Applaus wurden mehrere Schwäne hereingetragen. Sie thronten wie lebendig geworden auf den großen Platten, die silbernen Seen glichen.

Musiker stellten sich am Ende von Kristinas Tafel auf und begannen auf Instrumenten zu spielen, die nur entfernt den Schlüsselfideln glichen, die Elin kannte. »Das ist eine Violine«, erklärte Lovisa. »Und der Mann, der die Hauptmelodie spielt, ist ein Komponist aus Italien.« Die Töne, die er seinem Instrument entlockte, klangen höher und reiner als jede Schlüsselfidel, deren Klänge Elin bisher gehört hatte. Bisweilen berührte Elin die Musik so sehr, dass sie glaubte weinen zu müssen. Der Duft von fremden Gewürzen erfüllte den Raum. Es gab Muscheln und Aal und einen gebratenen Kapaun, der vorwurfsvoll in die Runde starrte. Kerzen steckten in silbernen Leuchtern mit schwerem, achteckigem Fuß. Elin bewunderte das Pfefferschälchen und kostete das wertvolle Gewürz.

Der Pfeffer zerging noch auf ihrer Zunge, als ein Diener erschien und sie bat, an den Tisch der Königin zu kommen. Elin verschluckte sich vor Schreck. Der Pfeffer brannte wie Feuer in ihrer Nase. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Würde sie jetzt den Auftrag erhalten? Am Julabend?

»Denk daran, was ich dir beigebracht habe«, flüsterte Lovisa. »Antworte nur mit Ja oder Nein und nur dann, wenn du gefragt wirst. Und komm mir bloß nicht auf die Idee, mit den französischen Herrschaften zu sprechen!«

Am Tisch der Königin wurde viel gelacht, ausgelassene Spaße flogen hin und her. Die Diener umflatterten die Herrschaften und kamen kaum zur Ruhe. Noch nie war Elin die Königin so fremd erschienen wie heute. Sie strahlte mit den Leuchtern um die Wette, ihr Gesicht war weich und schön. Sie war ebenso galant und kokett wie die französische Gräfin. Elin wurde gegenüber von Madame Joulain platziert, neben einem freundlich aussehenden Herrn in besticktem Rock. Seine gerüschte Halsbinde mit Spitzensaum leuchtete sauber und duftend gepudert im Licht der Kerzen. Neben den Tellern lagen zusätzliche Löffel. Was Elin noch mehr erschütterte als die wundersame Vermehrung des Bestecks, waren die Franzosen. Sie waren alle am Tisch versammelt – Henri natürlich mit seinen Eltern, aber auch die Höflinge, die sie ausgelacht hatten. Schon stießen sich die ersten an, tuschelten und kicherten. Elin konnte Henris Gesicht zwischen den Spitzen der Schwanenflügel sehen. Heute wirkte er weniger lebhaft als sonst, sondern hatte etwas Düsteres, Melancholisches an sich. Elin war sehr wohl bewusst, dass der junge Adlige sie aus den Augenwinkeln genau beobachtete. Ein Diener legte ihr eine Eierspeise auf den Teller. Elin schnürte es die Kehle zu. In ihrer Panik sah sie sich unauffällig um – und fand Madame Joulains Blick. Die Hofdame schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln und zog die Brauen hoch. Mit einer unauffälligen Geste deutete sie auf einen Löffel aus Perlmutt. Henri grinste verächtlich. Elin war den Tränen nah. Trotzdem lauschte sie den Gesprächen. Schwedische Sätze vermischten sich zuweilen mit französischen Phrasen und Elin war sich nicht sicher, ob sie alles verstand. Dennoch erfuhr sie, dass der Mann mit dem hageren, freundlichen Gesicht neben ihr Herr Freinsheim hieß und die königliche Bibliothek verwaltete. Neben ihm saß der französische Botschafter Pierre-Hector Chanut. Bei Magnus de la Gar die saß ein beleibter junger Kriegsherr mit dunklem Haar und noch dunkleren Augen. Er beteiligte sich kaum an den Gesprächen und hatte sich seine Trinkkanne mit dem Silberdeckel schon zum dritten Mal füllen lassen. Seine Augen waren verschleiert vom vielen Wein, und er starrte die Königin an wie ein verdurstender Hund die Quelle. Offenbar gefiel es ihm nicht, dass Kristina in den höchsten Tönen von Ebba schwärmte, die ebenfalls am Tisch saß.

»Sie spielt nicht die Venus, sie ist eine!«, sagte Kristina gerade leidenschaftlich zum alten Marquis. Und setzte provokant hinzu: »Ihr Körper ist ebenso schön wie ihre Seele!« Der junge Oberst am Tisch verzog das Gesicht, als hätte er in einen verdorbenen Fisch gebissen, was Kristina ebenso wenig bekümmerte wie die Tatsache, dass Fräulein Ebba errötete. »Sie werden staunen, wie wundervoll meine Belle in ihrem Ballettkostüm aussieht!«, fuhr Kristina fort. »Ein Jammer, dass unser junger Graf nicht an den Tanzproben teilnehmen konnte. Wie geht es Ihrem Knie?«

»Besser«, erwiderte Henris Vater an der Stelle seines Sohnes. »Nicht der Rede wert. Natürlich hätte er heute tanzen können, aber für Ihr Ballett wäre es sicher kein Gewinn gewesen. Selbst wenn er gesund ist, hat er zwei linke Beine.«

Elin zweifelte daran, ob sie die französischen Sätze alle richtig verstanden hatte, aber im Gegensatz zu seiner Frau, die so schnell zwitscherte wie ein ungeduldiger Vogel, sprach der Marquis langsam und gesetzt. Offenbar hielt er nicht viel von seinem Sohn. Nun, dachte Elin bei sich, dann sind wir ja schon zu zweit.

»Sie hatten großes Glück, Monsieur Henri, dass das Fräulein Elin in der Nähe war«, hörte sie Kristinas Stimme. Erschrocken blickte sie auf.

Der alte Marquis zog die Brauen hoch.

»Wie darf ich das verstehen? Mir wurde gesagt, die Gardisten hätten das Pferd eingefangen?«

»Das ist auch nicht gelogen«, erwiderte die Königin mit einem Lachen. »Fräulein Elin ist ein weit beherzterer Soldat als so mancher in meiner Leibgarde. Karl sollte sie für seine Kavallerie anwerben.« Der Oberst erwachte aus seinem trunkenen Groll und ließ den Blick zu Elin schweifen. Das war also Kristinas Verlobter! »Meine Hofdamen sind nicht zu viel zu gebrauchen, aber Fräulein Elin sollte man nicht unterschätzen«, schloss Kristina und hob das Weinglas. Elin senkte den Kopf und starrte die weiße Tischdecke an. Als Muster waren ausgerechnet springende Einhörner eingewebt. Erst als das Schweigen bleischwer wurde, wagte sie aufzusehen.

Der Marquis musterte seinen Sohn kritisch. Trotz seines galanten Lächelns gefror sein Blick. Henri kniff die Lippen zusammen und schwieg.

»Nun, dann danke ich Ihnen von Herzen, Mademoiselle«, wandte sich der Marquis schließlich an Elin. »Ich hoffe, Sie sind gebührend entlohnt worden.«

»Sie spricht nur Schwedisch«, meinte die Königin gut gelaunt.

Der Blick, den der Marquis Elin nun zuwarf, gab ihr das Gefühl, ein verachtungswürdiger Wechselbalg zu sein.

»Sie ist trotzdem ein ganz reizendes Mädchen«, beeilte sich die Marquise zu sagen. »So ein hübscher Teint!« Mit einem Mal hasste Elin nicht nur Henri und seine Eltern, sondern auch alle anderen am Tisch – den betrunkenen Karl Gustav, der sie aus glasigen Augen anstarrte, den Bibliothekar, ja sogar die Königin, die sie in diese Lage gebracht hatte. Lovisas Ermahnung schrillte in ihrem Ohr, aber ihr Mund öffnete sich wie von selbst.

»Ich bin reich belohnt worden, Monsieur«, sagte sie und bemühte sich, die französischen Worte langsam und korrekt auszusprechen. »Einen Riksdaler habe ich erhalten.« Der Marquis und seine Frau überspielten ihre Überraschung gut. Henri dagegen war ebenso verblüfft wie die übrigen Tischgäste. Am anderen Ende der Tafel reckte man die Hälse, um zu sehen, was die plötzliche Stille zu bedeuten hatte.

»Dann ist es wohl an mir, der Mademoiselle ein angemesseneres Dankesgeschenk zu machen«, sagte der Marquis.

»Überlassen Sie es mir, mich bei der jungen Dame erkenntlich zu zeigen«, versuchte Magnus galant zu vermitteln. »Schließlich war der Unfall allein meine Schuld. Enhörning ist kein Pferd, das man einem Gast überlässt, dessen Leben einem teuer ist.«

»Ich danke Ihnen, aber wir Vaincourts lassen niemals unsere Gastgeber dafür bezahlen, dass unsere Kinder ihre Reitstunden nicht ernst genug nehmen. Henri!« Die Stimme des alten Grafen schnitt schärfer als das Rasiermesser eines Barbiers. »Geh in mein Gemach und lass dir von meinem Diener zwanzig silberne Ecu geben.« Henri schoss von seinem Stuhl hoch und empfahl sich mit einer steifen Verbeugung. Sein Gesicht war ebenso rot wie das von Elin. Mit einer zierlichen Geste nahm die Marquise die Serviette und tupfte sich die Mundwinkel ab. Dann winkte sie dem Diener, ihren Stuhl nach hinten zu rücken. »Ich werde mich ebenfalls für einen Augenblick entschuldigen!«, sagte sie mit einem charmanten Lächeln.

»Madame, ich bitte Sie, nehmen Sie wieder Platz!« Die Stimme der Königin brachte die Menschen am Tisch zum Schweigen. Sie war nicht aufgestanden, trotzdem schien sie Elin und alle anderen zu überragen. Sie wandte sich an die Grafenfamilie und sprach auf Französisch einige versöhnliche Worte. Für Elin zu schnell, um sie verstehen zu können. Die Marquise lächelte höflich und nahm wieder Platz. Henri dagegen setzte sich erst auf einen gezischten Befehl seiner Mutter wieder hin. Dann wandte sich Kristina an Elin. Ihre Augen blitzten vor Wut.

»Du beleidigst meine Gäste?«, fuhr sie Elin auf Schwedisch an. »Jemandem das Leben zu retten ist eine Ehre, keine Arbeit, für die du Lohn erhältst. Ich dachte, man hätte dir ein Mindestmaß an Anstand beigebracht! Der wahre Held ist bescheiden und schweigt über seine Taten.«

»Aber Majestät!«, wandte Elin ein. Ihre Fingernägel drückten schmerzhafte Halbmonde in ihre Handflächen. »Das Geld bedeutet mir nichts. Darum ging es nicht. Wenn Sie an meiner Stelle wären …«

»An deiner Stelle?«, donnerte Kristina. »Du wagst es, dich mit mir zu vergleichen?« Die Musik kam endgültig aus dem Takt und verstummte.

»Nein«, stotterte Elin. »Ich wollte nur …«

»Schweig! Mademoiselle hat wohl vergessen, wo sie herkommt und wo sie offenbar immer noch hingehört. Vielleicht fällt es dir wieder ein, wenn du in die Küche zurückkehrst. Jetzt sofort!«

Elin stand auf. Der Raum schien zu schwanken. Die vielen Gesichter verschwammen vor ihren Augen. Im Saal war es totenstill geworden. Der junge Marquis war blass. In seiner Miene lag nicht mehr die geringste Spur von Verachtung. Er sah so unglücklich aus, wie Elin sich fühlte.

»Herr Freinsheim, seien Sie so freundlich und reichen Sie meiner menschlichen Zündschnur zum Abschied doch bitte ein Konfekt«, sagte Kristina mit kalter Stimme. »Vielleicht ist das ja eine Möglichkeit, ihren vorlauten Mund zu stopfen.« Höflich lachten die schwedischen Tischgäste und nahmen nach und nach ihre Gespräche wieder auf. Murmeln füllte den Saal, die Violinen setzten wieder ein. Der Bibliothekar erhob sich und reichte Elin mit einem mitfühlenden Lächeln eine silberne Konfektschale. Die Königin hatte sich halb abgewandt und würdigte Elin keines Blickes mehr. Mit Tränen in den Augen machte Elin einen hastigen Hof knicks und ging.

Wie sie zu Lovisas Tisch zurückgekommen war, wusste sie nicht. Die Lichter und Farben verschwammen vor ihren Augen, so sehr kämpfte sie gegen die Tränen an. Die alte Kammerfrau schalt Elin nicht, sondern stand auf und zog sie unter einem Vorwand aus dem Saal. Erst in der leeren Vorhalle richtete sie das Wort an sie.

»Schluck die Tränen runter«, sagte sie sanft. »Das ruiniert nur das Wangenrouge.«

»Zum Henker mit dem verdammten Rouge!«

»Hör auf zu fluchen!«

»Warum? Was soll dieses höfliche Getue? Sie sind alle … so falsch!«

»Seht! Wie kannst du so etwas sagen!«

»Für den Grafen bin ich Ungeziefer.«

»Was hast du erwartet?«, gab Lovisa unbarmherzig zurück. »Ein Esel merkt erst, dass er ein Esel ist, wenn er in die Gesellschaft von Rössern kommt. Die gräfliche Familie behandelt dich nun einmal deinem Stand entsprechend. Du bist keine Adlige, sondern die Tochter eines einfachen Soldaten und einer unbekannten Mutter, mag sie nun eine Lagerdirne gewesen sein oder nicht. Am besten, du freundest dich mit dieser Tatsache an und nimmst den anderen ihre Zielscheibe.«

»Ich will den Riksdaler haben«, fuhr Elin die alte Dame plötzlich an. »Jetzt sofort! Ich gebe ihn dem Marquis zurück. Ich will sein verfluchtes Geld nicht!«

Entschieden schüttelte Lovisa den Kopf.

»Eine Frau kann es sich nicht leisten, aus Stolz Geld wegzuwerfen. Der Taler ist nur Metall – aber er bedeutet sehr viel mehr als das. Eines Tages kann er darüber entscheiden, ob du dich frei fühlst oder unfrei wie eine Magd«, erwiderte sie ruhig. »Solange du diese Tatsache nicht zu schätzen weißt, wirst du von mir keine lumpige Öre bekommen!«

»Dann behalte den verdammten Taler! Und auch dieses Kleid und den Puder und den ganzen Tand. Ich will nichts mehr von euch! Ich verlasse das Schloss. Noch heute!« Im Raum verstummte die Musik, Applaus und Stühlerücken erklang. Lovisas Fingernägel gruben sich schmerzhaft in Elins Schultern.

»Das hat die Königin dir weder befohlen noch erlaubt«, sagte sie mit Nachdruck. »Sie hat dich in die Küche zurückgeschickt. Und genau dort wirst du dich nun hinbegeben. Ich werde mit ihr reden.«

»Aber …«

»Kein Aber, Elin. Sie ist die Königin. Und die Leute an ihrem Tisch, die du in Verlegenheit gebracht hast, sind ihre Gäste. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, außer vielleicht das eine: Königin Kristina ist aufbrausend, sie hat das wilde Blut und auch das stürmische Gemüt der Wasa. Fordere es nicht heraus!«

Elin zitterte am ganzen Körper. Die Locken waren aus den Haaren gekämmt, das Rouge abgewischt. Nie war ihr aufgefallen, wie grob der einfache Stoff der Mägdekleidung sich anfühlte. Dieses Kleid hier roch zudem nach fremder Haut und altem Schweiß – Gerüche, die ihre Nase früher kaum wahrgenommen hatte. Ihr Leben auf Gudmunds Hof und in der Mägdekammer erschien ihr so schäbig und grau wie nie zuvor. Zwei der Mägde schnarchten in ihrem Bett, aber Elin konnte ohnehin nicht schlafen. Seit Stunden saß sie regungslos auf ihrem Schlaflager, den Rücken an die kalte Wand gelehnt. Ihr Körper schien taub geworden zu sein wie ein Stück Holz. Brennend vor Wut ging sie immer wieder ihren Plan durch. Niemand konnte ihr befehlen, in diesem Schloss zu bleiben! Sie würde fliehen. Gleich morgen. Sie würde Stockholm verlassen und zu Emilia nach Uppsala zurückkehren. Und wenn die Königin sie suchen ließ, würde sie sich nach Deutschland durchschlagen, zu der Insel, auf der ihre Mutter gelebt hatte. Alles war besser, als hier zu sein. Vielleicht ließ sich Fräulein Ebbas Silberkreuz verkaufen? Gerade wollte sie nach dem Schmuckstück greifen, das unter dem groben Stoff verborgen war, als sie einen Lichtschimmer entdeckte.

»Elin!«, flüsterte jemand in der Dunkelheit. Im ersten Moment glaubte Elin das Gespenst aus dem Park zu sehen, dann aber erkannte sie im Licht eines glimmenden Kienspans Helga Lundells Lächeln.

»Komm mit und weck die anderen nicht auf«, raunte Helga ihr zu. »Du hast Besuch!« Das war bestimmt Lovisa! Elin glitt über die klamme Decke und folgte dem tanzenden Licht des Kienspans, der wie ein Glühwürmchen vor ihr herschwebte. Helga führte sie durch einen schmalen Gang und eine Holzstiege hinunter. Kälte kroch ihnen entgegen.

»Wohin gehen wir?«, flüsterte Elin. Helga drehte sich um und legte warnend den Finger an die Lippen. Erst als Elin runde Ziegelgewölbe erkannte, erriet sie, dass sie in den Lagerkellern sein mussten – in dem Teil, wo das Brennholz und Holzfässer mit eingelegten Zwiebeln und Stockfisch gelagert wurden. »Dort hinein«, flüsterte Helga und deutete auf eine schmale Holztür. Elin schluckte und drückte die Klinke herunter. Kerzenlicht leckte über ihre Schuhe. Durch die Fässer, die sich bis zur Decke stapelten, wirkte der Raum sehr schmal. Dennoch bot er genug Platz für einen Tisch. Ein Verwalter führte hier wahrscheinlich die Aufstellungen über die Vorräte. Jetzt ging allerdings eine Gestalt in einem langen Mantel im Raum hin und her. Der Federhut verbarg ihr Gesicht, aber die energischen Bewegungen hätte Elin überall wieder erkannt.

»Ihre Majestät!«

»Hier, fang auf!«, befahl die Königin barsch. Mit einem Ruck wandte sie sich um und warf Elin einen Gegenstand zu. Es war ein in Leder gebundenes, schmales Buch.

»Lies mir den Titel vor.«

»Wie Sie wissen, kann eine kleine Magd wie ich nicht lesen«, schnappte Elin.

»Woher soll ich das wissen?«, gab die Königin ebenso schnippisch zurück. »Heute sprichst du Französisch, morgen zitierst du womöglich auf Deutsch aus dem Osnabrücker Verhandlungsprotokoll? Ich habe den Verdacht, du kannst viel mehr, als du mir zeigst.« Ihre Stimme bekam einen schneidenden Unterton. »Wie kommst du überhaupt dazu, meine Gäste zu beschämen?«

»Ich habe sie beschämt?«, rief Elin. »Der Marquis hat mich mit diesem Riksdaler beleidigt!«

»Dich beleidigt?«, spottete Kristina. »Du beleidigst dich selbst, Elin Ansgarsdotter. Du solltest bescheiden sein, statt aus Eitelkeit einen Streit vom Zaun zu brechen – und dazu noch mit Personen, denen du nicht gewachsen bist. Bevor man in den Kampf zieht, sollte man sorgfältig die Waffe wählen, statt sich die erstbeste Mistgabel zu schnappen.«

»Sie waren es doch, die mich auf den Kampfplatz gezerrt hat«, gab Elin zurück. Kristinas Mundwinkel zuckten, und plötzlich brach sie in Gelächter aus. Sie lachte so sehr, dass sie sich verschluckte und husten musste.

»Guter Gott, Elin«, sagte sie schließlich atemlos. »Jemanden wie dich könnte Karl wirklich auf dem Feld gebrauchen. Woher hast du nur diesen Trotzkopf?«

»Leute wie ich brauchen besonders harte Schädel«, erwiderte Elin ernst.

Kristina winkte ab.

»Bilde dir nur nichts auf dein Elend ein. Und den jungen Marquis sieh als Lektion: Du wirst im Leben viele Feinde haben – und jeder davon lehrt dich, mit zukünftigen Widrigkeiten besser fertig zu werden. Er ist der Stein, an dem du lernen kannst, deinen Säbel zu schärfen.« Sie lachte wieder und strahlte Elin an. »Im Grunde war es ein großartiger Auftritt bei Tisch! Alle glauben, dass du bei mir in Ungnade gefallen bist. Niemand würde auch nur vermuten, dass ich dir jetzt noch traue.«

Vielleicht war es die Tatsache, dass die Königin in dem einfachen Gewand und vor den Ziegelmauern wie eine ganz gewöhnliche Frau wirkte, vielleicht machte Elins Enttäuschung sie auch nur gleichgültig, jedenfalls lachte Elin nicht, sondern verschränkte die Arme.

»Wer sagt, dass ich Ihnen noch vertraue?« Kristinas Lachen erstarb. Elin schluckte und sprach weiter. »Vorher haben Sie mir verboten, mich mit Ihnen zu vergleichen, jetzt vergleichen Sie mein Elend mit Ihrem Glanz. Ich … bitte um die Erlaubnis, das Schloss verlassen zu dürfen.«

Kristinas Augen wurden schmal.

»Auf keinen Fall. Wenn ich nicht auf dein Vertrauen zählen kann, tut es mir Leid. Dann werde ich dich eben an deinen Schwur erinnern müssen. Oder bedeutet ein Hurenkind zu sein, keine Ehre zu haben?«

Das hatte gesessen! Elin reckte das Kinn in die Höhe und rang um Fassung.

»Sie können leicht spotten, Majestät«, sagte sie leise. »Sie sind von hoher Geburt und wissen, wer Ihre Eltern sind. Ich kenne meinen Vater nur vom Namen und meine Mutter gar nicht.«

»Sei froh darum«, erwiderte Kristina bitter. Dann seufzte sie und ihr Gesicht wurde weicher.

»Ich wollte dich nicht beleidigen, Elin. Und auch die Worte an der Tafel sind eher zur Täuschung als aus echtem Ärger gesprochen worden. Lerne von mir! Manchmal sind solche Listen nötig!«

»Haben Sie noch mehr Befehle für mich?«, entgegnete Elin frostig.

»Ja, die habe ich. Schlag das Buch auf!«

Elin blickte auf den Ledereinband. Immer noch hielt sie die Kostbarkeit fest umklammert, als fürchtete sie, das Buch könne ihr aus der Hand springen und davonflattern. Behutsam lockerte sie den Griff und klappte das Buch mit einem ungeschickten Handgriff auf. Die Seiten fielen auseinander, niedergedrückt von etwas, das schwerer war und in der Mitte des Buches steckte. Ein Brief.

»Es ist so weit«, sagte Kristina.

»Ich soll einen Brief überbringen?«, flüsterte Elin. »Muss ich etwa nach Deutschland? Zu Pferd? Ich kann noch nicht reiten!« Kristina lächelte nicht mehr und Elin fiel auf, wie dunkel die Schatten unter ihren Augen waren.

»Nein. Du wirst zu Fuß gehen – und zwar hier in Stockholm. In letzter Zeit werden Briefe abgefangen, die von höchster Wichtigkeit sind. Nun habe ich beschlossen, den Verrätern ein Schnippchen zu schlagen. Ich brauche jemanden, der sich im Volk bewegen kann, ohne aufzufallen. Jemanden, auf den ich mich verlassen kann und der klug genug ist, einen Brief so gut zu behüten, als wäre er ein kostbares Schmuckstück oder vielleicht sogar ein Leben.«

»Darf ich … danach das Schloss verlassen?«

Die Königin schüttelte den Kopf und seufzte.

»Auf welchem Schlachtfeld wurde dein Vater getötet?«

»Bei Nördlingen.«

»Meiner fiel in Lützen, als ich fünf Jahre alt war. Man fand ihn ohne Kleidung, nur noch mit seinen Strümpfen und seinen drei Unterhemden bekleidet. Ein Krieg macht die Menschen zu Bestien. Ich schlage dir einen Handel vor, Elin. Hilf mir, diesen Krieg zu beenden. Ich kann jeden Vertrauten brauchen, der mir Treue schwört. Sobald der Krieg vorbei ist, verspreche ich dir, dass du gehen kannst, wohin du willst. Wenn du mir bis dahin dienst, mit deinem ganzen Herzen, deinem Mut und deiner Klugheit, dann werde ich dich belohnen. Und glaube mir …« – sie beugte sich weit zu Elin vor -»… du wirst es nicht bereuen, mir zu dienen. Oder möchtest du nicht schreiben und lesen können wie Monsieur Henri? Bedenke – du könntest auch Dokumente lesen. Besonders solche, die dir möglicherweise einen Hinweis auf deine Herkunft geben könnten.«

Elin betrachtete nachdenklich das Buch in ihren Händen. Die unverständlichen Zeichen auf dem Buchdeckel grinsten ihr höhnisch entgegen. Vergeblich bemühte sie sich, ihre Wut und Empörung wieder zu finden, stattdessen konnte sie nicht anders, als der Königin ein flüchtiges Lächeln zu schenken.

»Wem soll ich den Brief überbringen?«

»Einem Sendboten, der nach Deutschland reiten wird. Zeitgleich schicke ich einen offiziellen Boten los. Er wird sich ein paar Dummheiten leisten, die die Spione am Hof auf seine Fährte bringen werden. Den mögen die Posträuber dann jagen, während unser Kurier unbehelligt den Brief trägt.« Beim Wort »unser« zuckte Elin zusammen. Kristinas Stimme sank zu einem Flüstern.

»Deine Aufgabe ist einfach. Du gehst als ganz gewöhnliche Magd zum Hötorget – dem Heumarkt – und von dort aus zum Haus von Simon Jüterbock, dem Sattelmacher.«

»Und wie komme ich ungesehen aus dem Schloss?«

»In wenigen Stunden werden Bauern und Bürger in den Audienzraum kommen. Helga wird dich dorthin bringen. Von da aus kannst du nach der Audienz unauffällig mit ihnen gemeinsam das Schloss verlassen.«

»Das ist ein Brief an Adler Salvius in Deutschland, nicht wahr? Sie versprechen ihm den Posten im Reichsrat?«

Kristina lächelte anerkennend.

»Und wenn der Brief sein Ziel erreicht, hat dieser unselige Krieg vielleicht schneller ein Ende, als den Oxenstiernianern lieb ist.«

»Er wird sein Ziel erreichen«, sagte Elin.

»Nimm dieses Siegel mit und verstecke es gut! Es ist dein Erkennungszeichen für Jüterbock.« Helga drückte ihr ein kleines, hartes Oval aus Metall in die Hand, das Elin sofort in ihrem Ärmel verbarg. Das Kopftuch hatte Helga ihr bis ins Gesicht heruntergezogen. Das Wolltuch um ihre Schultern roch nach Räucherkammer. »Schau auf den Boden«, riet ihr Helga. »Und halte dich in der Mitte der Gruppe, die den Audienzraum verlassen wird. Sieh dich nicht um und errege auch sonst nicht die Aufmerksamkeit der Gardisten und Wächter. Den Weg zum Hötorget hast du dir gemerkt?«

Elin nickte und strich sich nervös über den Rock, in den der kostbare Brief eingenäht war.

»Gott schütze dich«, flüsterte Helga. »Ich warte zu jeder vollen Stunde an der Anlegestelle.«

Wenig später stand Elin in einer Nische des Gangs, der zum Audienzraum führte. Murmeln wurde laut, als sich die Türen öffneten. Ein Strom von Menschen drängte aus dem Saal – Bürger in ihrem Sonntagsstaat, Handelsleute, Tagwerker und Bauern, die die Last vieler Jahre Feldarbeit gebeugt hatte wie alte Bäume.

Elin mischte sich unauffällig unter die Menge und ließ sich, den Kopf gesenkt, mit ihr treiben. Langsam schob sie sich zur Mitte des Trosses, der von mehreren Dienern zum Ausgang geleitet wurde. »Ich sagte dir doch, die Königin kann uns nicht helfen«, flüsterte neben ihr eine Frau. »Gegen den Bauernschinder Oxenstierna wird sie nichts ausrichten.«

»Sie hat versprochen, sich beim Rat für die Bauern einzusetzen. Mehr kann sie nicht tun. So ist es nun mal. Nicht einmal eine Königin kann einfach so über alles und jeden frei bestimmen.«

»Nun, dafür kann sie frei bestimmen, wie viel Geld sie für den ganzen Prunk und diese Ausländer ausgibt«, kam die spitze Antwort. »Man sagt, die Staatsfinanzen liegen am Boden!«

»Lass es gut sein, Grit«, sagte der Mann müde. »Sie hat uns immerhin Geld aus der Schatzkasse gegeben.«

»Dieses Geld lindert unsere Not für einen Monat«, knurrte die Frau. »Aber die Steuerlast nimmt es uns nicht – während die Adelsherren ihre Privilegien genießen und sich Paläste bauen. Und wer erlässt uns die Steuern und Zölle? Wer? Ohne die Zustimmung des Rats darf der Reichstag keine neuen Zollverordnungen beschließen. Und wer sitzt im Rat? Die Adelsherren! Einen Teufel werden die beschließen, um uns das Leben leichter zu machen.«

Ein Ellenbogen traf Elin in der Seite und sie wurde abgedrängt. Wenig später tat sich vor ihr das Tor auf und ein eisiger Morgenwind strich über ihr Gesicht. Gefrorener Matsch auf den Straßen machte es schwer, vorwärts zu kommen. Elin klammerte sich an ihren Korb. Die Tage unter Lovisas Obhut schienen ihr ein Stück Sicherheit geraubt zu haben. Sie fühlte sich allein und fehl am Platz. Die Welt, die früher die ihre gewesen war, war ihr entglitten und in die Ferne gerückt. Bei jedem Schritt bildete sie sich ein, das Papier, das in ihrem Rock eingenäht war, rascheln zu hören. Jeder musste es hören! Erst nachdem sie den Stortorget überquert hatte und in das Gewühl der Straßen eingetaucht war, begann sie wieder Boden unter den Füßen zu spüren. Die meisten Gassen waren so breit, dass Kutschen hindurchfahren konnten. Aber es gab auch schmalere mit steilen Treppen. In diese Schluchten zwischen den Häusern fiel nur spärliches Licht. Und obwohl es Tag war, brannten in den Werkstätten Kerzen und Öllampen. Elin legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die schmalen weißen Schornsteine, die Treppengiebel und die eisernen Ankerklemmen an den Fassaden, die die Wände der Häuser zusammenhielten. Ganz oben zwinkerte nur ein schmaler Streifen Himmel auf die Stadt herunter. Hinter den vereisten Fenstern sah sie Schuhmacher und Knopfschnitzer bei der Arbeit. Sie hörte die regelmäßigen Schläge der Kupferstecher und fasste nach und nach Mut, sich die Menschen, die ihr entgegenkamen, genauer anzusehen. Manche der Bürger schmückten sich nach europäischer Mode mit Perücken, andere waren altmodisch gekleidet. Die Flamen trugen Schuhe mit roten Sohlen und Absätzen. Elin folgte einer Gruppe von ihnen quer durch die Stadt bis zum Stadttor und schlüpfte dort rasch an ihnen vorbei. Über die Brücke verließ sie dann die Stadtinsel. Weit vor ihr erhob sich der Brunkeberg. Die Flügel der roten Windmühlen bewegten sich träge im Wind. Verstohlen blickte sie sich um, aber niemand folgte ihr. Bauern trieben Schweine zum Markt oder trugen Hühner in Käfigen auf dem Rücken dorthin. Der Hötorget selbst war der größte Markt, den Elin je gesehen hatte. Es mussten hunderte von Menschen sein, die hier ihre Waren feilboten! Milchkrüge, Schafe, Eier, Hühner, Gerätschaften für die Küche – alles gab es hier zu kaufen. Der Duft von Torffeuer vermischte sich mit dem Geruch von Kuhmist und dem Aroma von siedender Fischsuppe. In Kohlepfannen wurde sogar frischer Fisch geröstet.

Simon Jüterbocks Haus war unscheinbar und lag in einer Seitengasse, nicht weit von der breiten Hauptstraße entfernt. Nur das Kupferschild mit einem aufgemalten Sattel wies darauf hin, dass sich hier eine Sattlerei befand. Elin zögerte und blieb stehen. Sie nahm ihren Korb hoch und tat so, als würde sie die Dinge darin ordnen. Leute drängten an ihr vorbei. Auf der anderen Straßenseite lehnte ein Mann mit einem Federhut an einem Karren und schnitt mit einem kleinen Messer einen Apfel in Stücke. Sein Gesicht konnte sie unter der Hutkrempe nicht erkennen. Er trug Handschuhe. Sein kleiner Finger stand steif und geziert ab. Elin ließ ihren Blick weiterwandern, bis sie sich schließlich ein Herz fasste und an Jüterbocks Tür klopfte. Sie öffnete sich beinahe augenblicklich und ein strenges Gesicht erschien. Die Haut des Mannes sah aus, als hätte ein Rotgerber sie ein wenig zu gründlich bearbeitet.

»Simon Jüterbock?« Der Mann nickte. In ihrem Rücken glaubte Elin die stechenden Blicke von Spähern zu fühlen. Mit einer kaum merklichen Geste schüttelte sie das Siegel aus dem Ärmel und ließ es Jüterbock einige Sekunden lang sehen.

»Ich komme wegen der neuen Kutschzügel«, sagte sie laut. Simon nickte und ließ sie eintreten. Im Inneren der Werkstatt arbeiteten zehn Leute. Ein Geselle, der dabei war, einen Sattelrahmen mit Leder zu beziehen, ließ die Hände sinken und musterte Elin mit besorgtem Blick.

»Die Zügel habe ich im Hof«, sagte Simon und ging voraus. Mit weichen Knien folgte Elin ihm. Natürlich führte der Weg nicht in den Hof, sondern in eine kleine Kammer. Sorgfältig verschloss Simon die Tür und drehte sich zu ihr um.

»Der Brief«, flüsterte er. »Du hast ihn bei dir?«

Elin nickte. Simon wandte höflich den Blick ab, während sie ihr kleines Nähmesser aus dem Korb holte und die Naht an ihrem Rocksaum auftrennte. Der versiegelte Brief lag schwer in ihrer Hand. Simon Jüterbock nahm das Papier entgegen.

»Ich habe auch einen weiteren Brief dabei«, sagte Elin leise. »Falls der Bote abgefangen wird, soll er diesen hier aushändigen. Das wird ihm Zeit geben, das richtige Dokument zu vernichten.« Mit diesen Worten zog sie das zweite Schreiben aus der Stofffalte am Rock.

»Die Königin lässt ausrichten, dass der Brief in spätestens acht Tagen am vereinbarten Ort sein muss.«

Jüterbocks Gesicht war angespannt, die Hand, die die Briefe hielt, zitterte leicht.

»Gut«, sagte er heiser. »Ich danke dir. Hier, nimm diese Zügel mit und geh.«

Wenig später stand Elin wieder vor dem Haus. Simons Aufregung hatte sie angesteckt, sie musste sich beherrschen, sich nicht ständig umzuschauen. Der Mann mit dem Federhut stand immer noch am anderen Ende der Straße. Er betrachtete Jüterbocks Türschild und sah dann mit großer Konzentration auf ein Hausdach. Elins Herz begann schneller zu schlagen. Unauffällig überquerte sie die Straße und verschwand aus seinem Blickfeld. Dann drückte sie sich flink an eine kalte Hauswand, schaute vorsichtig um die Ecke und folgte den Augen des Mannes. Da fiel ihr eine winkende Bewegung auf einem der Dächer auf. Ein Späher! Elin fluchte. Sie musste Jüterbock warnen! Seltsamerweise spürte sie in diesem Moment keine Angst. Mit einer genau bemessenen Bewegung steckte der Mann das Messer ein und begab sich auf Jüterbocks Straßenseite, wo sich ein anderer Mann wie ein Schatten aus einer Gasse löste. Schnauben und das Geräusch von einem scharrenden Huf erklang. Hielt jemand in der Gasse Pferde bereit? Behutsam stellte Elin den Korb auf einer Treppe ab und wickelte die langen Zügel um ihren Unterarm. Im Schatten der Gasse waren der Mann mit dem Federhut und der zweite Unbekannte in ein Gespräch vertieft.

Elin zog sich unauffällig zurück, lief ein Stück weiter und huschte dort über die breite Straße. So schnell es auf dem gefrorenen Weg ging, hastete sie zwischen den Häusern hindurch. Hier musste Jüterbocks Hinterhof sein. Vor ihr erhob sich eine fensterlose Steinmauer – vermutlich die Rückseite einer weiteren Werkstatt oder vielleicht des Stalls. Ein leises Wiehern bestätigte ihre Vermutung. Eine Tür klappte. Elin wich zurück und hielt nach einer Möglichkeit Ausschau, in den Hinterhof zu gelangen. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie eine Bewegung und zuckte zurück. Da hockte der Späher – gut verborgen auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses beobachtete er Simons Hof. Nun gab er den Männern in der Seitengasse ein zweites Zeichen. Elin überlegte nicht lange. Sie raffte den Rock hoch und stopfte sich den Saum in den Bund. Nun hatte sie die Beine frei. Dann tastete sie nach einer Ritze in der Mauer und kletterte im Sichtschutz des Stalls an ihr hoch. Mit aufgeschürften Fingerknöcheln kam sie oben an und legte sich bäuchlings über die Mauer. So konnte der Späher auf dem Dach sie nicht sehen. Rechts von ihr befand sich der Stall. Elin zog sich näher an das schmale Seitenfenster heran und schielte hindurch. Der Geselle, der eben noch den Sattelrahmen bezogen hatte, schob gerade Königin Kristinas Brief in ein Geheimfach unter dem Sattelblatt. Sorgfältig zurrte er die Schnalle darüber fest und stieg auf das Pferd. Pferd und Reiter verließen den Stall und verschwanden aus Elins Blickfeld. Zu spät. Rufen konnte sie nicht. Und wenn sie von der Mauer in den Hof sprang und zu dem Kurier rannte, würde der Späher sie sofort entdecken. Elin überlegte fieberhaft, dann robbte sie ein Stück auf der Mauer zurück und sprang auf die Straße. Der Aufprall nahm ihr die Luft, ihre Handflächen, mit denen sie sich abgestützt hatte, pochten. Sofort schoss sie hoch und lief los. Die Häuser schienen kein Ende zu nehmen. Sie umrundete ein weiteres Gebäude, bis sie in der Gasse stand, in der sie die Verfolger vermutete. Und richtig: Da war ein Schatten. Zuckende Pferdeohren und eine wippende Feder auf einem Hut. Die Verfolger lauerten darauf, dass der Bote aus dem Hof ritt, um ihm zu folgen. Natürlich – mitten in der Stadt würden sie keinen Tumult riskieren. Elin sah sich um. Jedes Geräusch erschien ihr plötzlich doppelt so laut, jede Kleinigkeit nahm sie mit größter Schärfe wahr. Zum Beispiel die beiden Heringsfässer am Rand der Straße. Gegenüber stand ein Karren. Elin schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass der Kurier diesen Weg nehmen würde, und rannte los. Die Fässer waren leer und standen vermutlich bereit, um abgeholt zu werden. Sie verkroch sich hinter ihnen und lauschte. So schnell sie konnte, wickelte sie den Kutschzügel von ihrem Unterarm ab und schlang ihn um die Fässer. Hufschlag erklang. Jüterbocks Kurier. In schnellem Trab bewegte er sich genau auf Elin zu. Sie zurrte den Zügel fest und huschte zum Karren, das lose Ende des Zügels in der Hand. Hinter dem Karren ging sie in Deckung. Der Trab wurde langsamer. Reite weiter!, flehte Elin in Gedanken. Doch das Pferd blieb stehen. Elin spähte hinter dem Wagen hervor. Der Kurier hatte sein Pferd angehalten und starrte den Kutschzügel an, der quer über der Straße lag. Elin winkte ihm zu und machte eine warnende Handbewegung. Er verstand und gab seinem Pferd die Sporen. Sein Wallach sprang über den Zügel am Boden und flog los wie ein Pfeil, der von der Bogensehne schnellt. Elin wand die Zügel um die Speiche des Karrenrads und hielt das Ende mit beiden Händen fest. Galoppschlag näherte sich. Gerade noch rechtzeitig spähte sie unter dem Wagen hindurch, um die Pferdebeine zu erkennen, dann warf sie sich nach hinten und zog mit aller Kraft am Seil. Der Zügel schnellte vom Boden hoch und spannte sich quer über die Straße. Der plötzliche Ruck drohte ihr die Arme aus den Gelenken zu hebeln. Ein brennender Schmerz zuckte durch ihre Handflächen. Gepolter und ohrenbetäubendes Gebrüll ertönte. Die Fässer tanzten über die Straße und brachten die Pferde zu Fall, der Karren rutschte weg. Elin wurde gegen die Hauswand geschleudert. Ein Fass schlingerte auf sie zu. Gerade noch rechtzeitig konnte sie zur Seite springen, bevor es die Hauswand genau an der Stelle traf, an der sie sich eben noch befunden hatte. Auf der Straße wuchtete sich eines der gestürzten Pferde wieder auf die Beine und schüttelte benommen den Kopf. Sein Reiter wand sich schreiend im Schneematsch und hielt sich das verletzte Bein. Innerhalb von wenigen Sekunden verwandelte sich die menschenleere Gasse in einen Jahrmarkt. Fenster flogen auf, Menschen strömten aus den Häusern. Das zweite Pferd hatte sich im Zügel verheddert und trat in seiner Panik nach allem, was sich ihm näherte. Elin stützte sich an der Hauswand ab und kam benommen auf die Beine. Im selben Augenblick stand der Mann mit dem Federhut auf und sah sie an. Sein blutüberströmtes Gesicht wirkte wie eine rote Maske. Die Feder klebte an seiner Wange und verdeckte seine Züge. Als er seine Hand ausstreckte und auf Elin deutete, stand sein kleiner Finger ab, als wäre er ausgerenkt. Elin ließ endlich den Zügel los und begann zu rennen. Eine Hand riss an ihrem Wolltuch. Sie ließ es einfach zurück und schlitterte weiter. »Haltet sie!«, brüllte eine Männerstimme. Zum Glück war ihr Rock noch hochgebunden, was das Rennen erleichterte. Wie vom Teufel gejagt, hetzte sie um die Ecke. Eine Gruppe von Frauen stob erschrocken auseinander. Entsetzt starrten sie auf Elins verschmutzten Rock und ihre bloßen Beine.

»Dahinten!«, schrie sie den Frauen zu. »Er wollte mich schänden! Haltet ihn auf!«

Als sie das Ende der Straße erreicht hatte, hörte sie hinter sich Gebrüll und Gezeter. Mistgabeln stießen mit einem trockenen Knall gegeneinander. Die Frauen schrien: »Schändung!« Elins Verfolger brüllten: »Mord!« Elin sprang in eine Seitenstraße, hetzte die Treppen einer schmalen Gasse hinauf und kletterte über eine Mauer. Mit einem schmerzhaften Satz landete sie in einem kleinen Hinterhof, in dem ein Holzstapel lag. Dahinter verkroch sie sich. Ihre Lungen fühlten sich an, als hätte sie eine Hand voll Nadeln verschluckt, und ihre Hände brannten höllisch. Erst jetzt sah sie, dass ihr die Zügel blutige Schürfwunden zugefügt hatten. Rufe und trappelnde Schritte ertönten. Elin drückte sich noch dichter an den Holzstoß.

»Hier ist sie nicht!«, rief eine Frau. »Das arme Ding! Sicher ist sie zum Hötorget gelaufen!« Elin kauerte sich zusammen und schloss die Augen. Der Schock ebbte nur langsam ab. Der Kurier ist auf dem Weg, wiederholte sie in Gedanken immer wieder wie ein beruhigendes Gebet. Es dauerte lange, bis sie es wagte, hinter dem Holzstapel hervorzukommen. Erst als die Dunkelheit sich längst wieder über die Stadt gelegt hatte, kroch sie völlig durchgefroren hervor und kletterte schwerfällig auf die Straße. Noch länger dauerte es, bis sie den Weg zum Schloss fand, immer auf der Hut, immer in der Erwartung, entdeckt und festgenommen zu werden. In weitem Bogen umrundete sie die Gegend um den Hötorget und huschte von Nische zu Nische bis zur Brücke. Das Schloss erschien ihr wie ein fremder Ort aus einem Märchen. Ihre Füße trugen sie kaum noch, als sie endlich die Anlegestelle erreichte. Ob Helga noch dort war? Eine neue Sorge flammte in ihr auf – was, wenn sie nicht mehr ins Schloss kam? In diesem Moment nahm sie den süßen Duft von Marzipan wahr. Sie drehte sich um und sank in Helgas Arme.

»Mein armes Mädchen!«, murmelte Helga immer wieder, während sie behutsam Elins Wunden reinigte. Elin saß zitternd am Tisch, an dem Helga noch vor wenigen Wochen den Schwan erschaffen hatte. »Lovisa stellt schon seit Stunden das halbe Schloss auf den Kopf, um dich zu finden«, flüsterte sie. »Ich habe gesagt, ich hätte dich das letzte Mal in den Vorratskellern gesehen. Oh, meine arme Kleine! Ich wünschte, mein Neffe wäre hier. Er studiert Medizin in Uppsala.«

»Es ist nicht schlimm«, murmelte Elin mit klappernden Zähnen. Sie fragte sich, wo der Kurier wohl heute übernachten würde. Waren ihm weitere Verfolger auf der Spur? Nur langsam ließ die Anspannung nach. Hier, in der Geschirrkammer, schlüpfte sie schließlich in ihr Mieder und den Rock, den sie gestern getragen hatte. Helga steckte ihr das Haar hoch und stäubte es mit Parfümpuder ein. Nach und nach verschwand Elin, das Bauernmädchen. Gerade war sie dabei, Handschuhe über ihre verwundeten Hände zu ziehen, als sie einen Schatten auf dem gefliesten Boden entdeckte. Mit einem Schrei sprang sie zur Seite. Im Bruchteil einer Sekunde sah sie einen ganzen Tag an sich vorbeiziehen – der Mann mit dem Federhut war ihr gefolgt und hatte sie gefunden! Ein Messer blitzte auf und Elin sank zu Tode getroffen auf die Fliesen. Doch der Schatten gehörte nur zu Lovisa.

In ihren Locken hing eine Spinnwebe. Obwohl sie sofort ein strenges Gesicht aufsetzte, konnte sie ihre Erleichterung kaum verbergen.

»Da bist du ja. Erschöpft siehst du aus. Mein Gott, Helga! Was habt ihr nur mit dem Mädchen gemacht?« Rasch verbarg Elin ihre Hände in den Falten des Rockes. Zufällig blieb ihr Blick dabei an einem blanken Silberteller hängen. Schemenhaft erkannte sie darin das Gesicht einer jungen Hofdame mit ängstlichen Augen. Auf der Straße war ihr Gesicht schmutzverklebt gewesen – und ihr Haar unter dem Tuch verborgen. Selbst wenn sie sich begegneten, würde der Verräter sie unmöglich wieder erkennen.

»Und?«, fragte Lovisa streng. »Bedankst du dich nicht, dass ich dich aus der Küche erlöst habe? Du glaubst nicht, wie sehr ich der Königin auf die Nerven fallen musste, bis sie ein Einsehen hatte.«

»Entschuldige«, erwiderte Elin gehorsam. »Ich danke dir. Du weißt gar nicht, wie sehr!«

Die alte Dame schenkte Elin ein strahlendes Lächeln. »Vielleicht wirst du ja in Zukunft auf mich hören. Und vergiss nicht, dich bei der Königin zu entschuldigen und dich auch bei ihr vielmals zu bedanken.« Elin lächelte müde. Wenn sich hier jemand bedanken würde, dann war es die Königin.


Der rote Handschuh

Das Jahr 1648 begann mit einem Wintersturm. Man wollte Unglückszeichen am Himmel gesehen haben und berief sich auf die düsteren Prophezeiungen von Sterndeutern. Blass und übernächtigt erschien die Königin morgens um fünf in ihrem Arbeitskabinett und brütete über ihren Dokumenten. Immer noch war keine Nachricht von Adler Salvius eingetroffen. Kristina trieb die Friedensverhandlungen unermüdlich voran. Sie hielt ihr Versprechen und schenkte Elin zum Dank für ihren Dienst eine hübsche Geldkassette aus Ebenholz und dazu zwanzig Riksdaler. Was Elin jedoch weit mehr freute als das Geld, das sie baldmöglichst Emilia schicken wollte, war die Befreiung von ihren Mädchendiensten und der Unterricht, den sie stattdessen erhielt. Jeden Morgen stand sie leise auf und schlich zur Waschschüssel, um die anderen Mädchen nicht zu wecken. Längst wunderten sich die Lakaien und Gardisten nicht mehr, wenn sie Elin vor der königlichen Bibliothek warten sahen. Um halb sechs Uhr morgens begann der Hauslehrer mit dem ersten Unterricht. Manchmal, wenn die Arbeit ihr eine Pause bot, kam sogar Kristina mitten am Tag in die Bibliothek, lauschte Elins Lektionen oder wies den Lehrer zurecht. Nach und nach entschlüsselte Elin das Mysterium der Schrift. Die Bücher verwandelten sich in Berge von Wissen, die sie allerdings nur mühsam Buchstabe für Buchstabe erklimmen konnte.

In ihren Träumen wurde Elin von dem Mann mit dem Federhut heimgesucht und aus dem Schlaf geschreckt. In diesen Stunden lauschte sie dem pfeifenden Atmen der anderen Mädchen und wagte nicht, zum Fenster zu gehen. Längst waren die Wunden an ihren Händen verheilt, doch der Gedanke an den Mann, der immer noch nicht gefunden worden war, jagte ihr Angst ein. Möglicherweise lebte er am Hof und stand in den Diensten eines Adligen. Verstohlen begann Elin damit, die Menschen im Schloss besonders aufmerksam zu beobachten. Oxenstierna mit seiner ruhigen Art und seinem brütenden Groll erschien ihr ebenso verdächtig wie die anderen Mitglieder des Rats – mit Ausnahme von Magnus und dem Reichsadmiral Karl Karlsson Gyllenhielm, die der Partei der Königstreuen angehörten.

Wenn die Königin im großen Audienzsaal Vertreter der Stände empfing, stand Elin neben der Tür in der Nähe der Gardisten und ließ ihren Blick über die Gesichter wandern. Unter dem gewaltigen Thronhimmel am Ende des Raums sah Kristina winzig aus, ihre Stimme aber war laut und bestimmt. Elin staunte über die Fähigkeit der Königin, auf alle Fragen mit dem gleichen Ernst einzugehen, die Bauern zu besänftigen, die Bürger zu ermutigen, die Adligen nicht zu verärgern und ihnen dennoch keine Zusagen zu machen. Als eine ganze Delegation von Geistlichen und Adligen erschien und sich lauthals darüber beschwerte, dass der französische Botschafter im Keller seines Hauses katholische Messen abhalten ließ, die auch die anderen Ausländer aus der Stadt besuchten, schaffte Kristina es, die Situation nicht eskalieren zu lassen, sondern alle Parteien zu besänftigen. Weniger Glück hatte sie bei der Verleumdungskampagne gegen Adler Salvius, der von den Adligen als gewinnsüchtiger Bauernsohn geschmäht wurde. Als Kristina in einer Ratssitzung bemerkte, Salvius würde im Reichsrat gute Dienste leisten, bekam der sonst so ruhige Oxenstierna einen Wutanfall, der bis vor die Türen des Versammlungssaals zu hören war. Nach solchen Sitzungen zog sich die Königin erschöpft in die Bibliothek zurück und las schweigend in einem Buch, während Herr Freinsheim Elin unterrichtete.

Herr Freinsheim war der liebenswürdigste Herr, den Elin je kennen gelernt hatte. Der protestantische Bibliothekar hatte eine angenehm ruhige Stimme. Ursprünglich stammte er aus Ulm und hatte lange an der Universität in Uppsala unterrichtet. Sein Humor war nicht so scharf und spottend wie der von Kristina. In seiner Gegenwart lernte Elin, wie schnell die Zeit verfliegen konnte.

Für die französischen Gäste dagegen wurde die Zeit am Hof immer länger. Der Winter begann sie zu zermürben. Die Kavaliere verlegten sich darauf, im Schloss Scherze zu treiben oder Streit anzuzetteln. Elin hatte rasch gelernt, ihnen aus dem Weg zu gehen. Inzwischen kannte sie das Schloss so gut, dass sie innerhalb von Sekunden unsichtbar werden konnte. Nur während ihrer Reitstunden sah sie Henri ab und zu aus dem Fenster schauen, aber sie hatte beschlossen, ihn zu ignorieren, was ihr nach einer Weile auch gut gelang. Spelaren tanzte inzwischen unter ihr wie eine gespannte Bogensehne und Lars nahm sie zu Ausritten an die Ufer des Mälarsees mit.

Schnee stob, wenn das schwere Pferd in großen Sprüngen hinter dem viel schnelleren Ross des Reitlehrers hergaloppierte.

»Nicht übel, Scheuerfräulein«, sagte Lars eines Tages nach der Reitstunde. »Wenn du Glück hast, nimmt die Königin dich nächste Woche auf die Schlittenjagd mit.«

Elin strahlte und klopfte Spelarens Hals.

»Darf ich dann Enhörning reiten? Nur für diesen einen Tag! Dann muss ich nicht hinter den anderen herhinken.«

»Gib es endlich auf«, murrte er. »Wie oft soll ich es dir noch sagen: Enhörning bekommst du in tausend kalten Wintern nicht. Er erscheint sanft wie ein Lämmchen, aber wenn er freies Land sieht, verwandelt er sich in ein Schlachtross.« Elin kannte den gereizten Tonfall ihres Reitlehrers nur zu gut, um noch weiter auf ihrem Wunsch zu beharren.

Mit glühenden Wangen kehrte sie in die Bibliothek zurück, wo Freinsheim sie schon erwartete. Der Lehrer schüttelte lächelnd den Kopf und zog ein langes Pferdehaar von ihrem Ärmel.

»Du bist spät«, sagte er mit sachtem Tadel. Atemlos entschuldigte sich Elin und nahm am Tisch Platz. Zu ihrer Überraschung klatschte Freinsheim zweimal in die Hände und hob die Stimme.

»Und Sie, Monsieur Henri, werden bestimmt bereits im Palast Makalös erwartet.«

Elin fuhr herum und erstarrte. Henri de Vaincourt wandte nur zögernd den Blick von einer Sternkarte, die er eingehend betrachtet hatte, und lächelte Freinsheim verlegen an. Er war so versunken darin gewesen, die Planeten und Sterne zu studieren, dass er sich jetzt offenbar nur langsam daran erinnerte, wo er sich befand. Elin irritierte sein Anblick – die Person, die sie hier sah, war kein hochmütiger Edelmann, sondern ein junger Mann mit traurigen Augen.

»Sicher, Monsieur Freinsheim«, entgegnete er mit sanfter Stimme. Dann wandte er sich Elin zu. »Sieh an. Die Küchenkönigin lernt in den Buchstaben herumzurühren.«

Von einer Sekunde auf die andere schoss Elin das Blut in die Wangen. Sie widerstand der Versuchung, das Tintenfass zu nehmen und es Henri ins Gesicht zu werfen.

»Wenn ich die Buchstaben nur halb so gut beherrsche wie andere Leute ihr Pferd, dann bin ich wirklich eine Königin«, entgegnete sie. »Die Königin der Schriften.«

Henris Lächeln verschwand. Sie freute sich, dass sie ihn mit ihrer Bemerkung getroffen hatte.

»Interessant, dass Sie es ansprechen, Mademoiselle«, sagte Henri. »Ich hörte, Sie begleiten uns mit Ihrem altersschwachen Wallach zum Schlittenturnier. Es wird Ihnen sicher ein Vergnügen sein, den Schweif meines Pferdes zu bewundern – vorausgesetzt, Sie erkennen ihn auf die große Entfernung.«

Sein Lächeln flammte wieder auf, als er ihr empörtes Gesicht sah. Nun, so leicht würde sie sich nicht geschlagen geben.

»Das letzte Mal sah ich nicht nur den Schweif Ihres Pferdes, sondern darunter auch Ihr Gesicht. Eine eigenwillige Methode, Schnee zu essen.« Freinsheim legte seine Hand auf Elins Schulter.

»Genug jetzt«, sagte er freundlich. »Auch Feindschaften wollen behutsam gepflegt sein. Wollen Sie sich nicht die Hände reichen und Ihre Differenzen lieber auf einem Schachbrett austragen?«

»Feindschaft, Monsieur Freinsheim?«, erwiderte Henri. »Eine Küchenmagd kann nicht mein Feind sein. Auch dann nicht, wenn sie wie ein Äffchen Kunststücke wie das Lesen und das Reiten lernt.«

Er verbeugte sich und ging mit raschen Schritten aus dem Saal.

»Nein, nein, nein, Elin«, sagte der Bibliothekar. »Bücher sind zwar Waffen, aber dennoch nicht zum Werfen da.« Sacht wand er ihr das Buch, das sie fest umklammert hatte, aus der Hand.

»Den Globus sollte man ihm an den Kopf werfen. Was bildet der sich ein!«, erboste sich Elin. »Er ist so … eitel! Und widerlich, arrogant und …«

»… vor allem noch sehr jung. Er hat es nicht leicht, glaube mir.«

»Was hat er denn schon für Sorgen? Ob er einen Goldknopf mehr oder weniger am Wams hat?«

Freinsheim lächelte wohlwollend.

»Nimm die jungen Männer nicht zu ernst, Elin. Sie sind viel zu stolz und dazu hitzköpfig wie junge Pferde – und du bist auch nicht viel besser.«

»Immer noch besser als er!«

Der Bibliothekar runzelte die Stirn.

»Keine Adlige zu sein, heißt nicht, ein besserer Mensch zu sein«, wies er sie ernst zurecht. Elin machte den Mund zu und schwieg. Verbissener denn je vertiefte sie sich an diesem Tag in das Studium der Buchstaben, die sich anstellten wie eine Schafherde, die auseinander stob, sobald Elin sie zu fangen versuchte. Selbst nachdem Freinsheim gegangen war, blieb sie noch mehrere Stunden über ihren Büchern sitzen. Jedes Mal, wenn sie zur Kerze blickte, schien jemand ein großes Stück davon abgeschnitten zu haben. Schließlich, als ihre Augen schon brannten, griff sie zum Federkiel und nahm ein Stück Pergament. Behutsam tunkte sie den angespitzten Kiel in die Tinte, setzte die Spitze auf das Blatt und schrieb.

Liebe Emilia,

Das Schreiben wollte auch nach den Wochen der Übung nicht so recht gelingen. Ihr Federkiel spreizte sich unter dem Druck ihrer ungelenken Schreibhand.

Ich hoffe, Dein Herz schmerzt nicht mehr.

Mir

Erschöpft hielt sie inne und blickte zweifelnd ihr Gekritzel an. Es sah aus, als wäre eine betrunkene Spinne erst in die Tinte gefallen und dann über das Blatt gehumpelt. Wie gerne hätte sie Emilia all das geschrieben, was ihr auf dem Herzen lag – tausend Momente, Ereignisse, Gespräche, tausend Zweifel und Sorgen, die sie nachts nicht schlafen ließen. Stattdessen setzte sie den Kiel wieder an und beendete das Schreiben: geht es gut.

Der Raum schwankte, die schattigen Gespenster feixten im zitternden Kerzenlicht. Elin rieb sich die Augen und starrte auf die Landkarte der neuen Welt, die an der Wand hing. Da waren sie – die Americas, die Africas, das Kap der Stürme und Terra Australis. Länder und Kontinente, die sie nie sehen würde. Müde stand Elin auf und schlich aus der Bibliothek.

In der Nähe der königlichen Gemächer blieb sie verwundert stehen. Ihre Nase kitzelte. Es roch … nach verbranntem Holz? Sie lief die Treppe hinauf und erschrak. Rauch quoll unter einer Türritze hervor. So schnell, dass sie beinahe gestürzt wäre, rannte Elin die Treppe wieder hinunter und hämmerte an die Türen der Gemächer.

Wenig später war das Schloss in heller Aufruhr. Lakaien, Gardisten und Reitknechte wimmelten durcheinander. Aus Küchen und Ställen wurden Eimer herbeigeschafft. Die Küchenmädchen wurden aus dem Schlaf gerissen und kamen herbeigerannt, um beim Löschen zu helfen. In dem Chaos dauerte es eine ganze Weile, bis man eine Löschkolonne gebildet hatte, die sich lückenlos bis zum Brunnen erstreckte. Eimer um Eimer wurde hochgeholt. Inzwischen schlugen die Flammen aus mehreren Räumen im Verwaltungstrakt und den Gemächern der Königin. Elin stand mitten auf der Treppe. Ihre Arme waren längst lahm. Es war sicher schon der fünfzigste Eimer, den sie weiterreichte. Zu ihrer Erleichterung entdeckte sie am Fuße der Treppe Kristina – unversehrt, immer noch in ihrer Tageskleidung. »Lasst die verdammten Wandteppiche!«, schrie sie mit rauer Stimme. »Rettet die Akten!«

»Geben Sie her, Mademoiselle!« Der volle Eimer wurde Elin aus der Hand gerissen. Erst als der junge Mann im Studentenrock ihr flüchtig zulächelte, wusste sie, woher sie seine Stimme kannte. Es schien Jahre her zu sein, dass sie in Uppsala Schnee für die Küche geholt hatte.

»Hampus? Was machst du denn hier?«

Irritiert runzelte er die Stirn. Elin wurde klar, dass er sie mit ihrem rußverschmierten Gesicht nicht erkennen konnte.

»Arbeiten. Und studieren. Mademoiselle, der Eimer!«

Erst gegen Morgen war der Brand gelöscht. Zurück blieben Haufen von versengten, durchnässten Teppichen und verkohlten Tischen und Stühlen. Jeder, der mit anfassen konnte, half dabei, die Trümmer in den Hof zu schleppen. Die wenigen Gardinen, die durch das Löschwasser vom Feuer verschont geblieben waren, hingen starr gefroren in den verwaisten Räumen.

»Auch hier sind keine Akten beschädigt worden«, stellte Ebba Sparre fest. Ihre Hände waren schwarz von Ruß. An der Stelle, an der sie sich eine Locke hinter das Ohr gestrichen hatte, prangte ein dunkler Streifen wie eine kunstvolle Verzierung. »Ich wusste es«, flüsterte sie immer wieder. »Die Gespenster haben das Unglück angekündigt.«

»Dann kannst du jetzt ja wieder ruhig schlafen«, sagte die Königin. »Das Unglück ist passiert.« Obwohl sie beherzt klang, sprach ihr Körper eine andere Sprache. Mehrmals fielen ihr Gegenstände aus den Händen und als Elin herbeisprang, um sie aufzuheben, scheuchte die Königin sie unwillig weg. »Belle, sei so gut und hole ein paar Diener«, wandte sie sich schließlich an Ebba. »Sie sollen zusehen, dass der Kamin wieder in Gang kommt, bevor uns die Wände durchfrieren.« Kaum hatte die Hofdame den Raum verlassen, wurde Kristina aschfahl und schwankte. Elin konnte sie gerade noch stützen.

»Hast du die Fenster gesehen, Mädchen?«, flüsterte sie. Elin nickte.

»Sie waren alle weit geöffnet. Jemand wollte das Feuer nähren.« Kristina lächelte matt und stützte sich schwer auf das verkohlte Fensterbrett. »Beneidest du mich immer noch um mein Los als Königskind?«

»Wer will Sie töten?«

»Wer will es nicht? Meine eigenen Adligen, die um ihre Lehen und Privilegien fürchten und das Königtum am liebsten abschaffen würden? Oder vielleicht Geistliche, die nicht dulden, dass Katholiken an meinem Hof sind? Bürger oder Bauern? Möglicherweise war es sogar ein Agent der polnischen Wasa, die nur darauf lauern, dass Schwedens Thron verwaist ist. Dann könnten sie ihre eigenen Erbansprüche geltend machen.«

»Der Thron ist nicht verwaist«, sagte Elin. »Sie leben.«

»Fragt sich nur, wie lange noch«, erwiderte die Königin in ihrer trockenen, harschen Art. Nachdenklich starrte Elin auf das verschmierte Fensterglas. Erst jetzt erkannte sie, dass sich ein Handabdruck darauf abzeichnete – der Ruß machte die Fingerspuren sichtbar.

»Bauern waren es sicher nicht«, sagte sie leise. »Der Mann vor Jüterbocks Haus war besser gekleidet.« Kristina musste nah herangehen, um mit ihren kurzsichtigen Augen die Fingerabdrücke zu erkennen, auf die Elin deutete.

»Als ich ihn sah, hielt er den kleinen Finger betont abgespreizt«, erklärte Elin. »Und ich habe beobachtet, dass ein Mensch, der auf eine Wand schreibt, seine Hand auf Augenhöhe hält. Wenn der Attentäter beim Öffnen des Fensters ebenso gehandelt hat, würde auch die Größe passen.«

Nach dem Brandanschlag wurde die Königin krank und litt an Schüttelfrost und Fieber. Fräulein Ebba wachte an ihrem Bett, um ihr die Stirn abzuwischen, wenn die Fieberträume sie unruhig schlafen ließen. Gerüchte trieben durch das Schloss. Die Königin liege im Sterben, hieß es. Als Kristinas Kammerdiener Johan Holm erschien und Elin zur Königin bat, war sie überzeugt davon, dass es zu Ende ging. Da ihre Privatgemächer ausgebrannt waren, hatte man die Königin in einem anderen Flügel des Schlosses untergebracht. Elin erwartete, eine Atmosphäre behutsamer Stille vorzufinden, stattdessen erklang von weitem eine laute Stimme. Mit betretenem Gesicht blieb Holm stehen und bat Elin mit einer höflichen Geste, sich zu gedulden. Die Gardisten lauschten gespannt.

»Nie werde ich meine Unterschrift unter diesen Beschluss setzen!«, donnerte die Stimme des Kanzlers Oxenstierna. »Solange ich lebe, werden die Reichsräte und der Reichstag ihn nicht als Thronerben anerkennen!«

»Karl Gustav ist die beste Wahl!«, gab die Königin zurück. Das klang nicht wie die Stimme einer schwachen Kranken.

»Es war schwer genug, den Rat davon zu überzeugen, dass dieser Pfalzgrafensohn Ihr Gemahl werden soll«, rief der Kanzler. »Dann allerdings sagten Sie, Sie würden keinen Mann unter Ihrem Stand heiraten, also soll Karl Gustav nun zum Oberbefehlshaber der schwedischen Truppen in Deutschland ernannt werden. Sogar dieser Wunsch wurde vom Rat respektiert. Aber Karl Gustav will nicht nach Deutschland. Er will Sie endlich heiraten!«

»Eine tote Braut nützt weder ihm noch Schweden«, erwiderte Kristina. »Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Erst das Attentat in der Kirche vor einigen Monaten – nun der Brandanschlag. Begreifen Sie denn nicht, dass Schweden für den Fall meines Todes einen Nachfolger braucht?«

Oxenstierna senkte die Stimme.

»Einen Erben braucht Schweden.«

»Nicht von mir!«, schrie Kristina. »Niemals werde ich heiraten! Nie!«

In der Pause, die entstand, kam es Elin so vor, als würde die Zeit stehen bleiben.

»Nun, Kristina«, sagte der Kanzler schließlich. »Sie sind jung. Das Privileg der Jugend ist es, dass sie sprunghaft sein darf und ihre Meinungen immer wieder ändern kann.«

Elin überraschte der väterliche Tonfall des Kanzlers. Ein Scharren war zu hören und sie drückte sich in die Ecke. Mit großen Schritten verließ der Kanzler das Gemach der Königin. Wie immer trug er seine schwarzen Gewänder und den weißen Männerkragen. Aus seinen Bewegungen sprach Resignation. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, wie alt doch der eiserne Kanzler war.

Wenig später winkte ihr der Kammerdiener, in das Schlafzimmer der Königin zu kommen. Dort lag Kristina in einem riesigen Bett. Auf den Bettvorhängen waren in regelmäßigen Abständen goldene Kronen aufgestickt. Die Königin war blass, schwarze Schatten lagen unter ihren Augen. Ihre Nase ragte wie ein Habichtschnabel aus ihrem Gesicht. Sobald sie Elin sah, setzte sie sich auf und schickte mit einem Wink den Kammerdiener weg.

»Elin. Was machst du nur für ein Gesicht! Komm her und gib mir deine Hand!« Alle Kraft war aus ihrer Stimme gewichen. Elin umfasste die kalte, feuchte Hand.

»Ich habe ein Geschenk für dich«, flüsterte Kristina. »Du findest es auf dem Tisch.« Elin drehte sich um und entdeckte ein schmales Buch. »Trost der Philosophie«, las sie auf dem Titel. Behutsam zog Kristina Elin zu sich hinunter, bis sie ihr ins Ohr flüstern konnte.

»Schlag es auf und suche zwei verbundene Seiten! Zwischen ihnen findest du einen Brief. Hebe ihn auf und verstecke ihn gut – und wenn ich sterben sollte, dann bringe ihn unverzüglich zu Karl Gustav. Hörst du? Zu keinem anderen!«

»Sie werden nicht sterben!«

Die Königin lächelte schwach.

»Ich habe es nicht vor, aber man muss stets für alle Fälle gerüstet sein.«

»Sie müssen den Mann finden, der Ihre Gemächer in Brand gesteckt hat.«

Kristinas Lachen ging in ein Husten über.

»Natürlich suchen wir ihn. Aber soll ich alle Männer, die einen Federhut tragen, verhaften lassen?«

»Nein«, antwortete Elin. »Aber er wird sich dort aufhalten, wo er glaubt, dass Sie sind.«

Kristina zog die Brauen zusammen.

»Ich höre«, sagte sie leise.

»Inzwischen weiß jeder im Schloss, dass in wenigen Tagen das Schlittenturnier für die Damen stattfindet und dass die Kavaliere am Mälarsee zur Jagd gehen werden. Lars sagte mir, Sie reiten immer auf der Jagd mit.«

»Diesmal nicht. Magnus und Karl Gustav werden meine Gäste begleiten.«

»Vielleicht wäre es klug, wenn Sie verlautbaren ließen, dass Sie doch an der Jagd teilnehmen. Dann könnte ich Ausschau nach ihm halten.«

»Wer sagt, dass du an der Jagd teilnehmen darfst!«, fuhr Kristina sie an. »Du kannst noch nicht gleichzeitig auf dein Pferd und auf die anderen Reiter achten. Wozu habe ich Gardisten und Vertraute?«

»Aber ich bin die Einzige, die dem Mann schon einmal begegnet ist. Auch wenn ich sein Gesicht nicht gesehen habe, würde ich ihn erkennen – da bin ich ganz sicher!«

»Meine Soldaten sind durchaus in der Lage, verdächtige Personen zu erkennen. Dazu brauche ich verdammt noch mal kein kleines Mädchen.«

»Aber …«

»Kein Aber! Du bleibst im Schloss.« Elin drängte die Tränen der Enttäuschung zurück. Die Königin schloss die Augen. Schweißperlen hatten sich auf ihrer Stirn gebildet. Sie entzog Elin ihre Hand und krümmte sich zusammen.

»Sag meinem Diener, er soll Doktor van Wullen holen«, sagte sie nach einer Weile leise.

Der Leibarzt der Königin, der gleich darauf erschien, trug eine Perücke, die ihm bis über die Schultern fiel. Unter dem Arm hielt er einen lederbespannten rechteckigen Kasten. Mit schnellem Schritt ging er zum Bett der Königin und beugte sich über sie. Elin blieb neben der Tür stehen, das Buch mit dem kostbaren Brief an sich gepresst. Mit einem Murmeln antwortete die Königin dem Leibarzt auf seine Fragen.

»Schmerzen«, flüsterte sie. »Hier.« Van Wullen nickte.

»Wie immer das linke Hypochondrium«, sagte er streng. »Sie leiden an zu viel gelber Galle, die sich mit schwarzer Galle vermengt. Ihr Magen ist geschädigt. Und wenn ich mich nicht irre, sehe ich auch schon die Ursache, Majestät.« Mit diesen Worten beugte er sich über das Tischchen neben Kristinas Bett und hob einen weißen Krug hoch. Angewidert roch er daran und schüttelte den Kopf.

»Schon wieder Wasser, Majestät. Ich sagte Ihnen bereits, dass es Ihr Blut verdirbt. Mit ihm dringen schädliche Stoffe in Ihren Körper und verunreinigen die Körpersäfte. Haben Sie denn nicht den gepfefferten Branntwein getrunken, den ich Ihnen bringen ließ?«

Die Königin schüttelte den Kopf. Jetzt wurde van Wullen ernsthaft wütend. Mit einer akkuraten Bewegung klappte er den kleinen Kasten auf. Schimmernde Zangen, Nadeln und Skalpelle kamen zum Vorschein. Van Wullen suchte das Aderlassbesteck heraus.

»Das schlechte Blut muss abfließen.«

Von einem weiteren Tisch holte er eine Schüssel und entnahm dem Kästchen ein Lederband, das er der Königin um den Oberarm schlang. Behutsam schob er die Schüssel unter den Ellenbogen. Schlaff hing Kristinas Arm über den Bettrand nach unten. Mit einem routinierten Griff ertastete der Arzt eine Stelle in der Armbeuge. Die Lider der Königin zuckten nicht einmal, als das Skalpell in ihre Haut fuhr. Blut begann zu fließen und sammelte sich in der Schale.

»Sie sollten keinen Besuch mehr empfangen«, sagte der Arzt. »Es strengt Sie zu sehr an. Auch so wird es lange dauern, bis Sie sich erholt haben.«

»Sie irren sich«, antwortete Kristina mit geschlossenen Augen. »Ich werde an der Jagd teilnehmen!«

Im Innenhof des Schlosses ging es zu wie auf einem Marktplatz. Mit offenem Mund betrachtete Elin den prachtvollen Schlitten der Familie Oxenstierna. Der Reichskanzler und sein Vetter, der Schatzkanzler Gabriel Oxenstierna, waren in altehrwürdigem Ornat erschienen und boten ihren Damen die Plätze in zwei mit rotem Leder bespannten Schlitten an. Adelsherren aus dem Reichsrat waren mit ihren Töchtern und Frauen ebenso vertreten wie deren Söhne auf Streitrössern, die nicht minder jung und aufbrausend waren wie ihre Herren.

Die halbe Nacht lang war Elin immer und immer wieder ihren Plan durchgegangen, doch immer noch schnürte die Angst ihr die Kehle zu. Der Reitmantel einer Hofdame, den sie ohne Lovisas Erlaubnis aus einer der Kleidertruhen entwendet hatte, zog schwer an ihren Schultern. Hoffentlich hatte sie an alles gedacht! Freinsheim glaubte, sie müsse Lovisa helfen, Lovisa hatte sie gesagt, sie sei in der Bibliothek, und Fräulein Ebba, die heute bei der Königin blieb, hatte sie weisgemacht, sie halte sich bei Helga auf. Und Helga würde sagen, Elin sei morgens in der Küche gewesen, wenn jemand fragen würde. Jetzt durfte nur Lars sie nicht entdecken! Verstohlen zog Elin den Hut tiefer in die Stirn. Ihr helles Haar war gut verborgen, ein Tuch aus dunkler Seide ließ es noch weniger auffallen.

Hufgeklapper brach sich an den hohen Wänden. Endlich entdeckte sie einen von den Reitknechten und winkte ihn heran.

»Wo bleibt das Pferd?«, rief sie ihm zu. »Die Königin wartet!«

Der Bursche erschrak. »Die Königin? Aber reitet sie denn nicht ihren Ardenner?«

Elin musste sich überwinden, ihrer Stimme einen scharfen Klang zu geben.

»Seht ihr ihn hier irgendwo? Nein, sie hat Graf Magnus ausdrücklich um Enhörning gebeten. Also?«

Würdevoll richtete sie sich auf. Der Reitknecht runzelte die Stirn. »Gut«, sprach sie in gereiztem Ton. »Nenne mir deinen Namen, damit ich weiß, was ich Reitmeister Lars Melkebron sage, wenn er fragt, warum er Enhörning persönlich satteln muss.«

Es war beinahe zum Lachen, wie gut ihre Täuschung funktionierte. Der Bedienstete wurde knallrot.

»Ich hole das Pferd«, stammelte er.

»Beeile dich!«, rief sie ihm hinterher. »Und nimm den Männersattel!«

Rasch trat sie in den Schatten eines Arkadengangs zurück und wartete. Ihr Mund war trocken vor Aufregung, aber sie erwiderte das Lächeln eines jungen Adligen, der sie wohlwollend musterte. Gleich darauf warf sie ihm einen zweiten verstohlenen Blick zu. Nein, er war sicher nicht der Mann mit dem Federhut. Wenn nur niemand sie erkannte, bis sie das Schloss verlassen hatte! Um sich die Zeit zu vertreiben, betrachtete sie die Schlitten. Über vierzig waren es – schmale, bunt bemalte Holzschlitten, vor die je ein Pferd gespannt war. In den meisten Gefährten fand nur eine Person Platz. Hölzerne Meerespferde, aber auch geschnitzte Schwäne, Meerjungfrauen und Hirsche schmückten die Schlitten. An den Seiten waren die Wappen der schwedischen Adelshäuser aufgemalt. Die Gesellschaft, die sich im Hof versammelt hatte, war nicht weniger bunt. Graf Per Brahe, der Hofmarschall, hatte ein weißes Pferd vor seinen Schlitten gespannt und trug passend dazu einen mit weißem Pelz verbrämten Mantel. Zobelpelz und Fuchsfell glänzten im Fackelschein. Endlich wurden auch die Reitpferde der Damen in den Hof geführt. Es waren nicht viele Damen, die reitend an der Jagd teilnehmen würden. Elin zerknüllte vor Aufregung ihre Handschuhe. Endlich – da war ihr Pferd! Enhörning reckte den Hals und spitzte die Ohren. Der Reitknecht, der ihn führte, war völlig außer Atem. Im vorderen Teil des Hofes knallten die ersten Peitschen, Schlitten setzten sich in Bewegung. Als der Festzug den Hof verließ und zum Westtor fuhr, erhoben sich hinter den Fensterscheiben unzählige Arme und winkten dem Tross hinterher. Elin eilte zu dem Reitknecht und griff nach Enhörnings Zügeln.

»Aber wo ist … ich dachte, die Königin?«, stammelte der Bedienstete.

»Sie ist eben zu Herrn Brahes Schlitten gegangen«, zischte Elin ihm zu. »Vorher sagte sie noch etwas wie: ›Wenn ich den Burschen erwische, der mein Pferd nicht bereitgestellt hat, werde ich seinen Kopf über dem Südtor aufspießen lassen.‹ Ich führe das Pferd zu ihr – oder willst du, dass sie dich sieht und weiß, wer für die Verspätung verantwortlich ist?«

Der Junge überließ ihr die Zügel, als hätte er sich daran verbrannt. Elin spürte seinen verängstigten Blick noch, als sie den Hof schon halb überquert hatte. Enhörning folgte brav dem Zug des Zügels, bis sie ihn an der Arkadentreppe zum Stehen brachte. Sie musste drei Stufen hochsteigen, um den Steigbügel zu erreichen. Das Pferd trappelte auf der Stelle. Elin erschrak, doch dann nahm sie allen Mut zusammen, fasste die Zügel und stieg auf.

In den Werkstätten, an denen sie vorüberritten, brannten Kerzen, die die Finsternis des Morgens vertreiben sollten. Enhörning bewegte sich geschmeidig wie eine Katze. Überrascht stellte Elin fest, dass das Streitross viel leichter zu reiten war als der plumpe Spelaren. Ihre Sicherheit wuchs und sie holte in federndem Trab zu dem Tross auf. An jedem Fenster erschienen Gesichter und bestaunten das Schauspiel auf der Straße. Kinder folgten dem Konvoi und kreischten begeistert, zwischen den Beinen Stöcke oder Besen, die in ihrer Vorstellung zu feurigen Reittieren wurden. »Die da – die reitet wie ein Mann!«, rief ein kleiner Junge. Elin winkte dem Kind zu und lächelte.

Zahlreiche Hufspuren am Ufer des Mälarsees zeigten, wo vor einigen Stunden die Diener bereits vorausgeritten waren, um den Turnierplatz herzurichten. Fackeln und Laternen erhellten den Teil des Sees, auf den sie nun abbogen. Weit hinaus ging es, mitten auf die Eisfläche. Das kratzende Geräusch der Kufen würde die Barsche und Hechte aufschrecken, die tief unten im Schlamm schliefen. Elin fröstelte es bei der Vorstellung, samt ihrem Pferd im eisigen Wasser zu versinken. Wie Irrlichter vergessener Seelen leuchteten die Fackeln und tauchten den Turnierplatz in diffuses Licht.

Diener hatten bereits Ringe an Stangen aufgehängt, die es in vollem Galopp vom Schlitten aus mit Lanzen herunterzuhangeln galt. Elin ritt an jedem Schlitten vorbei, musterte den Kutscher, die Adligen, betrachtete jeden Handschuh, jeden Mann, der ihr von der Statur her bekannt vorkam. Sie erntete viele erstaunte Blicke und hörte Damen tuscheln – einen Verdächtigen fand sie jedoch nicht. Schließlich wandte sie sich von den Schlitten ab und sah sich nach der Jagdgesellschaft um. Enhörning riss den Kopf hoch, als hätte er ihren Schreck gespürt.

Henri de Vaincourt saß auf einem weißen Koloss von einem Pferd, dessen Brust so breit wie eine Truhe war. Elin zwang sich zu einem freundlichen Gruß. Henris Blick glitt fassungslos über Enhörning.

Das Lächeln, das Henris Vater ihr schenkte, glich einem Zähnefletschen. Heute hatte der alte Mann nichts Feines an sich – er sah aus wie ein Haudegen auf dem Schlachtfeld.

»Ah, Mademoiselle! Wie ich sehe, begleiten Sie uns heute auf dem Ausritt in die Wälder, statt an den Spielen teilzunehmen?«

Enhörning spürte ihre Nervosität und begann zu tänzeln.

»Schlittenfahrten sind nichts für mich«, erwiderte Elin.

»Ich bezweifle, dass Streitrösser eine bessere Wahl sind«, gab der Marquis zurück. Er warf seinem Sohn einen stechenden Blick zu. Elin fasste die Zügel fester und rang sich ein nervöses Lächeln ab. Ein Horn erscholl, die Reiter verabschiedeten sich von der Schlittengesellschaft und sammelten sich am Ufer des Sees. Vogelflinten wurden geprüft. Elin lenkte Enhörning zu der Gruppe. Ihre Sinne waren bis aufs Äußerste gespannt. Drei weitere Frauen im Damensattel fanden sich ein und schüttelten die Köpfe über Elins Sattel.

»Wie kommt es, dass mein Sohn nicht mit einem Pferd fertig wird, das sogar eine Bauernmagd reiten kann?«, zischte der Marquis dem jungen Grafen zu. »Warum sitzt du heute nicht auf dem Gaul?«

»Wie Sie wissen, Vater, musste ich Mutter versprechen, dieses Pferd nicht mehr zu reiten.«

Die Stimme des alten Vaincourt vibrierte vor Verachtung.

»Memme«, stauchte er seinen Sohn zusammen. »Soldaten fragen nicht nach ihren Müttern, wenn es um Pferde oder Waffen geht. Ein Weib bist du! Nun, das Schlachtfeld wird dich bald lehren, als Feigling zu sterben oder als Mann zu leben.«

Elin schämte sich, Zeuge einer solchen Demütigung zu werden. Irgendwie tat ihr Henri sogar ein wenig Leid. Rasch trieb sie Enhörning an und schloss zu den vorderen Reitern auf. Auch hier war niemand, der dem Mann mit dem Federhut ähnelte. Wieder ertönte das Horn. Die Reiter johlten und gaben das Zeichen zum Galopp. Enhörning legte die Ohren an und schoss davon. Elin hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, was für große Sätze das Pferd machte. Der Schreck dauerte nur kurz, dann hatte sie mit einem Mal das Gefühl, auf Wolken zu reiten.

Unter ihr flog der Boden dahin. Sie überholte die anderen Reiter, die ihr zuriefen, ihr Pferd zu zügeln. Die Wälder am Mälar trugen Schleier aus Reif – die sanfte Morgensonne tauchte sie in märchenhaftes Licht. Elin atmete die Winterluft ein und war glücklich. Erst als unmittelbar hinter ihr regelmäßige Hufschläge erklangen, blickte sie sich um. Es war Henri de Vaincourt.

Verbissen trieb er seinen Schimmel an. Elin drückte Enhörning die Fersen in die Flanken. Der Hengst spannte sich – und brach zur Seite aus! Plötzlich verlor sie das Gleichgewicht und wäre beinahe vom Pferderücken gestürzt. Höhnisch winkte ihr der peitschende Schweif von Henris Schimmel zu. Der Graf blickte über die Schulter und grinste. Auf der Stelle vergaß Elin den Mann mit dem Federhut, sie vergaß jede von Lars’ Lektionen und riss Enhörning herum. Die Wut durchströmte sie so jäh und heftig, dass ihre Wangen heiß zu glühen begannen.

Überrumpelt von ihrem scharfen Befehl legte Enhörning die Ohren an und verwandelte sich in einen Pfeil. In weniger als zehn Atemzügen hatte sie Henri eingeholt. Ihre Blicke trafen sich. Nase an Nase preschten die Pferde in gestrecktem Galopp durch den Schnee. Hinter ihnen gellten warnende Rufe, aber Elin und Henri hatten längst den Pakt geschlossen. Schulter an Schulter ritten sie ein halsbrecherisches Rennen. Nur aus den Augenwinkeln erkannte Elin das Flattern eines Rebhuhns. Ihr Hengst brach so abrupt aus, dass die Zügel schmerzhaft durch ihre Hände ruckten. Das Pferd entglitt ihr wie ein glitschiges Seil.

Einige Sekunden lang hatte sie das Gefühl, dass sie von einem unendlich hohen Turm fallen würde, dann stürmte der Hengst wieder los. Henri verging das siegesgewisse Grinsen, als er das Streitross, das er eben überholt hatte, wieder herandonnern sah. Mit vorgestrecktem Kopf raste Enhörning an dem Schimmel vorbei und riss mit einer beiläufigen Kopfbewegung Elin die Zügel aus der Hand. Sie klammerte sich an der Mähne fest.

»Hol den Zügel!«, rief ihr Henri zu. »Der Zügel, rechts! Er hat sich am Steigbügel verfangen!« Längst konnte Elin nichts mehr sehen. Mühsam ertastete sie den Zügel und nahm ihn auf. Auf einmal bockte Enhörning mitten im Lauf. Ein Schlag warf Elin zur Seite – dann dehnte sich die Zeit zur Ewigkeit. Als stünde sie neben sich, sah sie sich aus dem Sattel fliegen. Ein peitschender Schweif streifte ihre Stirn. Dann zuckte nur noch Schmerz durch die Dunkelheit.

»Mademoiselle? Mademoiselle!« Die bange, bebende Stimme kam aus weiter Ferne. War sie in der Bibliothek? Nein, an ihrer Lippe klebte bitterer Schnee. Benommen blinzelte sie und blickte – in ein verängstigtes Gesicht. Der junge Mann hatte eine fein geformte Nase und eine schön geschwungene Oberlippe. Sein eisiger Atem zerschellte an ihrer Wange. »Das wollte ich nicht!«, flüsterte er ihr zu. »Es tut mir so Leid!« Unendlich behutsam strich ihr eine sanfte Hand über die Wange – eine Berührung, die sie lächeln ließ. Erleichterung erhellte das Gesicht. Erst jetzt fiel Elin wieder ein, woher sie den Jungen kannte. Es war Henri. Seltsamerweise fiel ihr kein schnippischer Satz ein – und auch die Wut war verschwunden. Henris Reittier stand nicht weit von ihr, der Zügel schleifte im Schnee. Enhörning war fort.

»Es … geht schon«, erwiderte sie. Das war gelogen. Ihr linker Arm fühlte sich seltsam taub an. Hufschlag ertönte, dann entsetzte Schreie. Die Schnauze eines Jagdhunds fuhr ihr über die rechte Hand. Sie blinzelte und ließ es zu, dass ihr für einige Sekunden die Wirklichkeit entglitt. Von fern hörte sie scharfe Streitworte, die sie nicht verstand. Als sie wieder mühsam in die Welt des Schnees zurückfand, stellte sie verwundert fest, dass es der alte Vaincourt und Henri waren, die sich gerade stritten.

»Lassen Sie mich in Ruhe, Vater! Gehen Sie zur Seite! Sie sehen doch, dass ich ihr helfen muss!« Mit einer Behutsamkeit, die Elin ihm nie zugetraut hätte, legte Henri den Arm um sie und bettete ihren Kopf an seine Schulter. Sie wollte protestieren, stattdessen rutschte ihr Kopf kraftlos zur Seite. Die Brokatborte kratzte an ihrer Braue. Ein vergoldeter Knopf klickte gegen ihren Eckzahn. Plötzlich hielt Henri abrupt in der Bewegung inne. An ihrer Wange spürte sie, wie schnell sein Herz schlug.

»Was … ist?«, flüsterte sie. Langsam zog er die Hand unter ihrer Schulter hervor. Blut bedeckte seine Finger. Ein roter, glänzender Handschuh – nur der kleine Finger war nicht in Elins Blut getaucht. Schlagartig wurde ihr übel. Sie musste den Kopf abwenden. Doch das, was sie stattdessen sah, war noch viel schlimmer: Im Schnee lag der zerbrochene Pfeil einer Armbrust. Rasch blickte sie weg – und fand Henris Augen. In diesem Moment, der eine Ewigkeit dauerte, machte die Angst sie beide völlig gleich. Sie waren nicht mehr Graf und Scheuermagd, sondern nur Henri und Elin. Doch dann kam der Schmerz und Elin stöhnte auf. Henri schrie nach den Gardisten und zerrte sich den Mantel von den Schultern. Mit flinken Händen ballte er den Stoff zu einem Bündel und drückte ihn gegen die Wunde. »Haben Sie keine Angst, Mademoiselle.« Trotz der tödlichen Kälte, die sich von der Wunde her ausbreitete, klammerte sie sich an der Wirklichkeit fest und versuchte, nicht wieder das Bewusstsein zu verlieren. Ein Gardist beugte sich über sie.

»Der Attentäter!«, flüsterte sie ihm zu. »Sucht den Mörder! Er hat an der rechten Hand nur vier Finger!«

Als Elin das nächste Mal die Augen aufschlug, war es nicht mehr Henris Hand, die sie umklammert hielt, sondern Kristinas. Es musste viel Zeit vergangen sein, denn die Königin sah wieder gesund und kräftig aus.

»Wir haben ihn, Elin«, sagte sie leise. »Meine Gardisten haben ihn noch am selben Tag gefunden. Und seinen Auftraggeber auch. Wie wir vermutet haben, war es ein Adliger aus dem Schloss, der mit meiner Politik nicht einverstanden ist – zumindest gehörte er weder zum Rat, noch saß er im Reichstag.«

Elin versuchte zu nicken, aber es wollte ihr nicht gelingen. Die verbundene Wunde an ihrem Rücken pochte dumpf.

»Er lag am Rand des Reitwegs auf der Lauer. Du hast Glück gehabt, dass Enhörning dich abgeworfen hat. Sonst hätte dich der Pfeil direkt ins Herz getroffen.« Die Königin musste sich über Elin beugen, um ihr Flüstern zu verstehen.

»Warum … hat er auf mich geschossen? Hat er mich wieder erkannt?«

»Nicht dich – mich!«, sagte Kristina. »Er wusste, dass die Königin am Ausritt teilnehmen wollte. Dann sah er eine Dame, die im Männersitz auf einem Streitross reitet – mit Federhut. Er dachte, du wärest ich. Nun, du siehst, dass Soldaten- und Königskinder oft das gleiche Schicksal teilen.«

Sie lachte verschmitzt und beugte sich noch weiter zu Elin. »Ab heute sind wir Schwestern! Und wer seine königliche Schwester mit dem eigenen Leib schützt, hat natürlich einen Wunsch frei.«

»Den Wunsch hebe ich mir auf, Majestät«, flüsterte Elin.

»Nicht Majestät«, sagte die Königin. »Wenn wir allein sind, bin ich Kristina.« Mit einem Lächeln setzte sie hinzu: »Trotzdem wirst du der Strafe für deinen Ungehorsam nicht entgehen.«

Suchend sah Elin sich um. Seltsam, die Tür nahm sie nur verschwommen wahr.

»Monsieur Henri?«, fragte sie. »Kann ich … ihn sehen?«

»Später vielleicht. Er lässt dir Grüße bestellen und wünscht dir gute Genesung.«

Die Wunde entzündete sich. Die Tage wurden zu einer endlosen Abfolge von wirren, schmerzdurchleuchteten Träumen. Die Gesichter an ihrem Bett wechselten wie Tänzer bei einem Menuett: Lovisa, Ebba, Doktor van Wullen und Kristina. Einmal bildete sie sich sogar ein, Madame Joulain und die Gräfin zu sehen. Manchmal, wenn Elin die Augen aufschlug, war es Tag, einen Wimpernschlag später Nacht und die Frau mit dem weißblonden Haar beugte sich über ihr Bett. Die leeren Augen eines Totenkopfs sahen Elin an – doch sie war zu schwach, um zu schreien. Sorgsame Hände wischten ihr mit nach Lavendel duftenden Tüchern den Fieberschweiß ab. Immer wieder sah sie Henri – den anderen Henri. In ihren Träumen war er nicht hochmütig, sondern strich ihr sanft über die Wange. »Keine Angst, Mademoiselle«, flüsterte er.

»Mademoiselle Schneefee!« Die Stimme gehörte nicht Emilia. Aber Emilia war es, die neben ihr lag, nach Luft schnappend und die Hand auf ihr Herz gelegt. Doch als Elin nach ihrem Arm tastete, um sie zu trösten, fühlte sich ihre Haut kalt und rau wie ein klammes Laken an. Mühsam kämpfte sich Elin ins Bewusstsein zurück und blinzelte benommen ins Tageslicht. Die Gleichgültigkeit, die wie eine Decke aus Ziegelsteinen auf ihr gelastet hatte, war von ihr gewichen. Sie schlug die Augen auf, doch statt Henri, den sie erwartet hatte, saß Hampus an ihrem Bett. Der Student schenkte ihr ein strahlendes Lächeln.

»Guten Morgen! Du bist es ja doch. Ohne einen Eimer in der Hand hätte ich dich beinahe nicht erkannt. Muss ich jetzt ›Sie‹ zu dir sagen?«

»Hampus«, flüsterte sie. »Was machst du im Schlafgemach einer Frau?«

»Studieren. Bei Doktor van Wullen. Aber auch wenn er mich nicht an dein Bett gelassen hätte, wäre ich hier – meine Tante, Helga, hat mir alles Mögliche angedroht, wenn wir dich nicht wieder gesund machen. Spürst du deinen Arm? Versuche ihn zu heben, geht es?«

Es tat weh, den Arm zu bewegen und der Ellenbogen war steif, aber Elin nickte matt.

»Ich muss aufstehen«, flüsterte sie. »Emilia … Sie stirbt! Ich muss …«

»Langsam, Elin. Du musst gar nichts.«

»Hampus – du musst mir helfen! Wenn du wieder in Uppsala bist, geh bitte zu Emilia!«

»Ach, du meinst diese finnische Magd mit den roten Haaren? Als ich vor zehn Tagen aus Uppsala abgereist bin, habe ich Sie am Hofbrunnen gesehen. Sie sah nicht so aus, als würde sie bald vor den Herrn treten.« Erleichtert schlief Elin wieder ein.

Es musste Tage später sein, als sie sich das erste Mal aufsetzte. Besorgt beobachtete Fräulein Ebba, wie Lovisa Elin unbarmherzig in eine sitzende Position schob und ihr half, die Beine aus dem Bett zu heben. Kristina stand mit verschränkten Armen neben der Tür.

»Was denn, so schwach?«, spottete sie und lächelte verschmitzt. »Ich habe die Köpfe der Verräter im Schlosshof aufspießen lassen, willst du sie nicht sehen?«

»Regen Sie das Mädchen nicht mit solchen Schauergeschichten auf, Majestät«, tadelte Lovisa die Königin.

»Es wird noch viel schauriger, wenn sie einen Blick aus dem Fenster wagt«, erwiderte Kristina ungerührt. »Aber so wie sie aussieht, schafft sie es nicht einmal bis zum Tisch.«

Elin biss die Zähne zusammen und schaute zum Glasfenster. Draußen schien die Sonne! Auf Lovisa gestützt machte sie einen ersten Schritt und dann noch einen weiteren. Das Zimmer schwankte, aber sie tappte weiter, bis ihre Finger das Fensterbrett berührten. Im nächsten Augenblick war schon Kristina an ihrer Seite und legte den Arm um ihre Taille, damit sie nicht in den Knien einknickte. Ihr Griff war kräftig und bestimmt. Die Berührung tat gut und fühlte sich vertraut und warm an. Sie sahen sich an. Kristina lächelte.

»Sieh nach unten und erschauere vor Furcht«, raunte sie Elin ins Ohr. »Das ist die Strafe für deinen Ungehorsam.« Unten im Schlosshof stand Lars. Ein Lächeln erlaubte er sich bei Elins Anblick natürlich nicht, aber immerhin erwiderte er ihr Winken. Bei der Handbewegung warf Enhörning den Kopf hoch. »Du hast dir das Pferd ohne Erlaubnis aus dem Stall geholt«, sagte Kristina. »Nun reite es gefälligst auch!«


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