Alexander Dumas Die drei Musketiere

Band I


I. Die drei Geschenke von Herrn d'Artagnan Vater

Am ersten Montag des Monats April 1625 schien der Marktflecken Meung, wo der Verfasser des Romans der Rose geboren wurde, in einem so vollständigen Aufruhr begriffen zu sein, als ob die Hugenotten gekommen wären, um ein zweites Rochelle daraus zu machen. Mehrere Bürger beeilten sich, als sie die Frauen die Straßen entlang fliehen sahen und die Kinder auf den Thürschwellen schreien hörten, den Küraß umzuschnallen und, ihre etwas unsichere Haltung durch eine Muskete oder eine Partisane unterstützend, sich nach der Herberge zum Freimüller zu wenden, vor der sich von Minute zu Minute anwachsend eine lärmende, neugierige, dichte Gruppe drängte.

Zu dieser Zeit waren die panischen Schrecken gar häufig, und wenige Tage vergingen, ohne daß eine oder andere Stadt irgend ein Ereigniß dieser Art in ihre Archive einzutragen hatte. Da gab es adelige Herren, welche unter sich Krieg führten; da war der König, der den Kardinal bekriegte; da war der Spanier, der den König bekriegte. Außer diesen stillen oder öffentlichen, geheimen oder geräuschvollen Kriegen, gab es Diebe, Bettler, Hugenotten, Wölfe und Lakaien, welche mit aller Welt Krieg führten. Die Bürger bewaffneten sich immer gegen die Diebe, gegen die Wölfe, gegen die Lakaien; — häufig gegen die adeligen Herren und die Hugenotten; — zuweilen gegen den König; — aber nie gegen den Kardinal und den Spanier. Infolge dieser Gewohnheit geschah es, daß die Bürger an genanntem erstem Montag des Monats April 1625, als sie das Geräusche hörten und weder die gelb und rothen Standarten, noch die Livree des Herzogs von Richelieu sahen, nach der Herberge zum Freimüller liefen.

Hier angelangt, vermochte jeder die Ursache dieses Lärms zu erschauen und zu erkennen.

Ein junger Mensch… entwerfen wir sein Porträt mit einem Federzuge: man denke sich Don Quixote im achtzehnten Jahre; Don Quixote ohne Bruststück, ohne Panzerhemd und ohne Beinschienen; Don Quixote in einem Wamms, dessen blaue Farbe sich in eine unbestimmbare Nuance von Weinhefe und Himmelblau verwandelt hatte. Langes, braunes Gesicht, hervorspringende Backenknochen, Zeichen der Schlauheit, außerordentlich stark entwickelte Kiefermuskeln, ein untrügliches Zeichen, an dem der Gascogner selbst ohne Baret zu erkennen ist, und unser junger Mann trug ein mit einer Art von Feder verziertes Baret; das Auge offen und gescheit; die Nase gebogen, aber fein gezeichnet; zu groß für einen Jüngling, zu klein für einen gemachten Mann, und ein ungeübtes Äuge würde ihn für einen reisenden Pächterssohn gehalten haben, hätte er nicht den langen Degen getragen, der an einem ledernen Wehrgehänge befestigt an die Waden seines Eigentümers schlug, wenn er zu Fuß war, und an das rauhe Fell seines Pferdes, wenn er ritt.

Denn unser junger Mann hatte ein Pferd, und dieses Roß war eben so merkwürdig, als es auch wirklich in die Augen fiel. Es war ein Klepper aus dem Bearn, zwölf bis vierzehn Jahre alt, von gelber Farbe, ohne Haare am Schweif, aber nicht ohne Fesselgeschwüre an den Beinen, ein Thier, das, während es den Kopf im Gehen tiefer hielt, als die Kniee, was die Anwendung des Sprungriemens überflüssig machte, muthig noch seine acht Meilen im Tage zurücklegte. Unglücklicherweise waren die geheimen Vorzüge dieses Pferdes so gut unter seiner seltsamen Haut und unter seinem fehlerhaften Gange versteckt, daß in einer Zeit, wo sich Jedermann auf Pferde verstand, die Erscheinung der genannten Mähre in Meung, woselbst sie vor ungefähr einer Viertelstunde durch das Beaugencythor eingetroffen war, eine allgemeine Sensation hervorbrachte, deren Ungunst bis auf den Reiter zurücksprang.

Und diese Sensation war für den jungen d'Artagnan (so hieß der Don Quixote dieser zweiten Rozinante), um so peinlicher, als er sich die lächerliche Seite nicht verbergen konnte, die ihm, ein so guter Reiter er auch war, ein solches Pferd gab. Es war ihm nicht unbekannt, daß dieses Thier einen Werth von höchstens zwanzig Livres hatte; die Worte, von denen das Geschenk begleitet wurde, waren allerdings unschätzbar.

«Mein Sohn, «sagte der gascognische Edelmann m dem reinen Patois des Bearn, von dem sich Heinrich IV. nie hatte losmachen können,»mein Sohn, dieses Pferd ist in dem Hause Deines Vaters vor bald dreizehn Jahren geboren, und seit dieser Zeit hier geblieben, was Dich bewegen muß, dasselbe zu lieben. Verkaufe es nie, laß es ruhig und ehrenvoll an Altersschwäche sterben, und wenn Du einen Feldzug mit ihm machst, so schone es, wie Du einen alten Diener schonen würdest. Am Hofe, «fuhr d'Artagnan Vater fort,»wenn Du die Ehre hast dahin zu kommen, eine Ehre, auf die wir übrigens vermöge unseres alten Adels Anspruch machen dürfen, halte würdig Deinen Namen als Edelmann aufrecht, der von unsern Ahnen seit fünfhundert Jahren auf eine ruhmvolle Weise geführt worden ist, halte ihn aufrecht für Dich und für die Deinigen. Unter den Deinigen verstehe ich Deine Verwandten und Deine Freunde; dulde nie etwas, außer von dem Herrn Kardinal und von dem König. Durch seinen Muth, höre wohl, nur durch seinen Muth, macht ein Edelmann heut zu Tage sein Glück. Wer eine Sekunde zittert, läßt sich vielleicht den Köder entgehen, welchen ihm das Glück gerade während dieser Sekunde darreichte. Du bist jung. Du mußt aus zwei Gründen tapfer werden; einmal weil Du ein Gascogner und dann weil Du mein Sohn bist. Fürchte die Gelegenheit nicht und suche die Abenteuer; ich habe Dich den Degen handhaben gelehrt. Du besitzest einen eisernen Kniebug, eine stählerne Handwurzel; schlage Dich bei jeder Veranlassung; schlage Dich um so mehr, als Zweikämpfe verboten sind, und weil es deshalb eines doppelten Muthes bedarf, sich zu schlagen. Mein Sohn, ich habe Dir nur fünfzehn Thaler, mein Pferd und die Rathschläge zu geben, die Du so eben vernommen hast. Deine Mutter wird das Recept zu einem gewissen Balsam beifügen, das sie von einer Zigeunerin erhalten hat, und das die wunderbare Kraft besitzt, jede Wunde zu heilen, die nicht gerade das Herz berührt. Ziehe aus Allem Nutzen, lebe glücklich und lange.

«Ich habe nur ein Wort beizufügen. Ich will Dir ein Beispiel nennen, nicht das meinige, denn ich bin nie bei Hof erschienen und habe nur die Religionskriege als Freiwilliger mitgemacht: ich spreche von Herrn von Treville, der einst mein Nachbar war und die Ehre hatte, als Kind mit unserem König Ludwig XIII., den Gott erhalten möge, zu spielen. Zuweilen arteten ihre Spiele in Schlachten aus, und bei diesen Schlachten war der König nicht immer der Stärkere. Die Schläge, welche er erhielt, flößten ihm große Achtung und Freundschaft für Herrn von Treville ein. Später schlug sich Herr von Treville fünfmal während seiner ersten Reise nach Paris mit Andern? vom Tode des seligen Königs an bis zur Volljährigkeit des jungen, ohne die Kriege und Belagerungen zu rechnen, siebenmal, und von dieser Volljährigkeit an bis auf den heutigen Tag hundertmal! — Nun ist er, allen Edicten, Ordonnanzen und Urteilssprüchen zum Trotz, Kapitän der Musketiere, d. h. Anführer einer Legion von Cäsaren, welche der König sehr hoch achtet und der Kardinal fürchtet, der sich sonst bekanntlich vor nichts zu fürchten pflegt. Noch mehr, Herr von Treville nimmt jährlich 10,000 Thaler ein; er ist also ein sehr vornehmer Herr. — Er hat angefangen wie Du, besuche ihn mit diesem Briefe und richte Dein Benehmen nach seinen Vorschriften ein, damit es Dir ergehe, wie ihm.«

Darauf gürtete Herr d'Artagnan Vater dem Jüngling seinen eigenen Degen um, küßte ihn zärtlich auf beide Wangen und gab ihm seinen Segen.

Das väterliche Zimmer verlassend, fand der junge Mann seine Mutter, welche ihn mit dem berühmten Recepte erwartete, zu dessen häufiger Anwendung die so eben erhaltenen Rathschläge ihn nöthigen sollten. Der Abschied war von dieser Seite länger und zärtlicher als von der andern. Nicht als ob Herr d'Artagnan seinen Sohn, der sein einziger Sprößling war, nicht geliebt hätte, aber Herr d'Artagnan war ein Mann, und er hätte es als eines Mannes unwürdig erachtet, sich seiner Rührung hinzugeben, während Frau d'Artagnan Weib und überdieß Mutter war. Sie weinte schrecklich, und wir müssen es Herrn d'Artagnan zum Lob nachsagen, daß er sich trotz seiner Anstrengungen, ruhig zu bleiben, wie es die Pflicht eines zukünftigen Musketiers war, von der Natur hinreißen ließ und eine Menge Thränen vergoß, von denen er nur mit großer Mühe die Hälfte verbergen konnte.

Am selben Tage begab sich der junge Mann auf den Weg, ausgerüstet mit den drei väterlichen Geschenken, welche, wie gesagt, aus fünfzehn Thalern, dem Pferde und dem Briefe an Herrn von Treville bestanden; die Rathschläge waren, wie man sich wohl denken kann, in den Kauf gegeben worden. Mit einem solchen Vademecum erschien d'Artagnan in moralischer, wie in physischer Beziehung als eine getreue Copie des Helden von Cervantes, mit dem wir ihn so glücklich verglichen, als wir uns durch unsere Geschichtschreiberpflichten veranlaßt sahen, sein Bild zu entwerfen. Don Quixote hielt die Windmühlen für Riesen und die Schafe für Armeen, d'Artagnan nahm jedes Lächeln für eine Beleidigung und jeden Blick für eine Herausforderung. Demzufolge hielt er seine Faust von Tarbes bis Meung geschlossen und fuhr wenigstens zehnmal des Tags an seinen Degenknopf; die Faust traf indessen keinen Kinnbacken und der Degen kam nicht aus der Scheide. Nicht als ob der Anblick der unglückseligen gelben Mähre nicht oftmals ein Lächeln auf den Gesichtern der Vorübergehenden hervorgerufen hätte, aber da über dem Klepper ein Degen von achtungswerther Größe klirrte und über diesem Degen ein mehr wildes als stolzes Auge glänzte, so unterdrückten die Vorübergehenden ihre Heiterkeit, oder wenn diese Heiterkeit mächtiger wurde, als die Klugheit, so suchten sie wenigstens, wie die antiken Masken, nur auf einer Seite zu lachen; d'Artagnan blieb also majestätisch und unverletzt in seiner Empfindlichkeit bis zu dem unseligen Städtchen Meung.

Hier aber, als er an der Thüre des Freimüllers vom Pferd stieg, ohne daß irgend Jemand, Wirth, Kellner oder Hausknecht erschien, um ihm den Steigbügel am Auftritt zu halten, erblickte d'Artagnan an einem halbgeöffneten Fenster des Erdgeschosses einen Edelmann von schöner Gestalt und vornehmem Aussehen mit leicht gerunzeltem Gesicht, der mit zwei Personen sprach, welche ihm mit großer Untertänigkeit zuzuhören schienen. D'Artagnan glaubte ganz natürlich, seiner Gewohnheit gemäß, der Gegenstand des Gespräches zu sein, und horchte. Diesmal hatte sich d'Artagnan nur zur Hälfte getäuscht; es war zwar nicht von ihm die Rede, aber von seinem Pferde, dessen Eigenschaften der Edelmann seinen Zuhörern aufzählte, und da diese Zuhörer, wie gesagt, große Ehrfurcht vor dem Erzähler zu hegen schienen, so brachen sie jeden Augenblick in ein neues schallendes Gelächter aus. Da nun ein halbes Lächeln hinreichte, um den jungen Mann zum Zorne zu reizen, so begreift man leicht, welchen Eindruck eine so geräuschvolle Heiterkeit auf ihn hervorbringen mußte.

D'Artagnan wollte sich jedoch vorerst über die Physiognomie des Frechen belehren, der es wagte, sich über ihn lustig zu machen. Er heftete seinen Blick voll Stolz auf den Fremden und erkannte in ihm einen Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, mit schwarzen, durchdringenden Augen, bleicher Gesichtsfarbe, stark hervortretender Nase und schwarzem, vollkommen zugestutztem Schnurrbart; derselbe trug ein Wamms und veilchenblaue Beinkleider mit Schnürnesteln von ähnlicher Farbe. Dieses Wamms und diese Beinkleider schienen, obwohl neu, doch zerknittert, wie lange in einem Mantelsack eingeschlossene Reisekleider. D'Artagnan machte alle seine Bemerkungen mit der Geschwindigkeit des schärfsten Beobachters und ohne Zweifel von einem instinktartigen Gefühl angetrieben, das ihm sagte, dieser Fremde müsse einen großen Einfluß auf sein zukünftiges Leben ausüben.

Da nun in dem Moment, wo d'Artagnan sein Auge auf den Edelmann mit der veilchenblauen Hose heftete, dieser Herr eine seiner gelehrtesten und gründlichsten Erläuterungen in Bezug der bearnischen Mähre zum Besten gab, so brachen seine Zuhörer in ein schallendes Gelächter aus, und er selbst ließ augenscheinlich gegen seine Gewohnheit ein bleiches Lächeln, wenn man so sagen darf, über sein Antlitz schweben. Diesmal konnte kein Zweifel entstehen, d'Artagnan war wirklich beleidigt. Erfüllt von dieser Überzeugung, drückte er sein Baret tief in die Augen und rückte, indem er sich Mühe gab, einige von den Hofmienen nachzuahmen, die er in der Gascogne bei reisenden vornehmen Herren aufgefangen hatte, eine Hand auf das Stichblatt seines Degens, die andere auf die Hüfte gestützt, vor. Leider verblendete ihn der Zorn immer mehr, je weiter er vorschritt, und statt einer würdigen stolzen Rede, die er im Stillen zu einer Herausforderung vorbereitet hatte, fand er auf seiner Zungenspitze nichts mehr, als eine plumpe Grobheit, die er mit einer wüthenden Geberde begleitete.

«He, mein Herr, «rief er,»mein Herr, der Ihr Euch hinter jenem Laden verbergt, ja Ihr, sagt mir doch ein wenig, über wen Ihr lacht, dann wollen wir gemeinschaftlich lachen.«

Der Edelmann richtete langsam die Augen von dem Pferde auf den Reiter, als ob er einiger Zeit bedürfte, um zu begreifen, daß so seltsame Worte an ihn gesprochen wurden; da ihm sodann kein Zweifel mehr übrig blieb, so runzelte er leicht die Stirne, und antwortete nach einer ziemlich langen Pause mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Spott und Keckheit:

«Ich spreche nicht mit Euch.«

«Aber ich spreche mit Euch, «rief der junge Mann, ganz außer sich über diese Mischung von Frechheit und guten Manieren, von Anstand und Verachtung.

Der Unbekannte betrachtete ihn noch einen Augenblick mit seinem leichten Lächeln und zog sich langsam vom Fenster zurück, ging dann aus dem Wirthshause, näherte sich d'Artagnan bis auf zwei Schritte und blieb vor dem Pferde stehen. Seine ruhige Haltung und seine spöttische Miene hatten die Heiterkeit derjenigen vermehrt, mit denen er plauderte, und die am Fenster geblieben waren. Als d'Artagnan ihn auf sich zukommen sah, zog er seinen Degen einen Fuß lang aus der Scheide.

«Dieses Pferd ist offenbar oder war vielmehr in seiner Jugend ein Goldfuchs, «sprach der Unbekannte, während er in den begonnenen Untersuchungen fortfuhr, und wandte sich dabei an seine Zuhörer am Fenster, ohne daß er die Erbitterung d'Artagnan's im Geringsten zu beachten schien.»Es ist eine in der Botanik sehr bekannte, aber bis jetzt bei den Pferden sehr seltene Farbe.«

«Wer über das Pferd lacht, «rief der Nebenbuhler Treville's wüthend,»würde es nicht wagen, über den Herrn zu lachen.«

«Ich lache nicht oft, mein Herr, «erwiederte der Unbekannte,»wie Ihr selbst an meinen Gesichtszügen wahrnehmen könnt, aber ich möchte mir doch gerne das Recht wahren, zu lachen, so oft es mir beliebt.«

«Und ich, «rief d'Artagnan,»ich will nicht, daß irgend Jemand über mich lache, wenn es mir mißfällt.«

«Wirklich, mein Herr?«erwiederte der Unbekannte, ruhiger als je,»nun denn, das ist nicht mehr als billig.«

Und auf seinen Fersen sich drehend, schickte er sich an, durch das große Thor in das Gasthaus zurückzukehren, wo d'Artagnan ein völlig gesatteltes Pferd wahrgenommen hatte.

Aber d'Artagnan besaß nicht den Character, mit dem es ihm möglich gewesen wäre, einen Menschen loszulassen, der die Frechheit gehabt hatte, über ihn zu spotten. Er zog seinen Degen vollends aus der Scheide und fuhr fort, seinen Streit zu verfolgen.

«Umgedreht, mein Herr Spötter, damit ich Euch nicht auf den Rücken schlage.«

«Mich schlagen, mich?«sagte der Andere, sich auf den Fersen umdrehend, und schaute den jungen Mann mit eben so großer Verwunderung als Verachtung an.»Geht, mein Lieber, Ihr seid ein Narr!«Dann fuhr er mit leiser Stimme und als ob er mit sich selbst spräche, fort:»Das ist ärgerlich; welch ein Fund für Seine Majestät, welche überall nach Leuten sucht, um die Musketiere zu rekrutiren.«

Er hatte kaum vollendet, als d'Artagnan mit seiner Degenspitze einen so wüthenden Stoß nach ihm führte, daß er, ohne einen sehr raschen Sprung rückwärts, wahrscheinlich zum letzten Mal gescherzt hätte. Der Unbekannte sah jetzt, daß die Sache über den Spaß hinausging; er zog seinen Degen, begrüßte seinen Gegner und nahm eine Fechterstellung ein. Aber in demselben Augenblick fielen seine zwei Zuhörer in Begleitung des Wirthes mit Stöcken, Schaufeln und Feuerzangen über d'Artagnan her. Dies gab dem Angriff eine so rasche und vollständige Diversion, daß d'Artagnan's Gegner, während sich dieser umwandte, um einen Hagel von Schlägen abzuwehren, seinen Degen mit der größten Gelassenheit einsteckte und aus einem darstellenden Mitglied, das er beinahe geworden wäre, wieder Zuschauer des Kampfes wurde, — eine Rolle, deren er sich mit seiner gewöhnlichen Unempfindlichkeit entledigte. Nichtsdestoweniger murmelte er durch die Zähne:

«Die Pest über alle Gascogner! Setzt ihn wieder auf sein orangefarbiges Pferd, er mag zum Teufel gehen.«

«Nicht ohne Dich getödtet zu haben, Feigling!«rief d'Artagnan, während er sich so gut als möglich und ohne einen Schritt zurückzuweichen gegen seine drei Feinde, die ihn mit Schlägen überhäuften, zur Wehre setzte.

«Abermals eine Gasconnade«, murmelte der Edelmann.»Bei meiner Ehre, diese Gascogner sind unverbesserlich! Setzt also den Tanz fort, da er es durchaus haben will. Wenn er einmal müde ist, wird er schon sagen, es sei genug.«

Aber der Unbekannte wußte noch nicht, mit was für einem hartnäckigen Menschen er es zu thun hatte; d'Artagnan war nicht der Mann, der Gnade gefordert hätte. Der Kampf dauerte also noch einige Sekunden fort, doch endlich ließ d'Artagnan erschöpft seinen Degen fahren, den ein Schlag mit einer Heugabel entzwei brach. Ein anderer Schlag, welcher seine Stirne traf, schmetterte ihn beinahe zu derselben Zeit blutend und fast ohnmächtig nieder. In diesem Augenblick kamen von allen Seiten Leute auf den Schauplatz gelaufen, der Wirth fürchtete ein ärgerliches Aufsehen und trug den Verwundeten mit Hülfe einiger Kellner in die Küche, wo man ihm Pflege angedeihen ließ.

Der Edelmann aber hatte seinen früheren Platz am Fenster wieder eingenommen und betrachtete mit einer gewissen Ungeduld die umherstehende Menge, deren Verweilen ihm sehr ärgerlich zu sein schien.

«Nun! wie geht es dem Wüthenden?«sagte er, indem er sich bei dem durch das Oeffnen der Thüre verursachten Geräusch umkehrte und an den Wirth wandte, der sich nach dessen Befinden erkundigt hatte. — »Ew. Excellenz ist gesund und wohlbehalten?«fragte der Wirth. — »Ja, vollkommen wohl und gesund, mein lieber Wirth, und ich frage Euch, was aus unserem jungen Menschen geworden ist?«—»Es geht besser mit ihm, «erwiederte der Wirth:»er ist in Ohnmacht gefallen.«—»Wirklich?«sprach der Edelmann.

«Doch ehe er in Ohnmacht fiel, raffte er alle seine Kräfte zusammen, rief nach Euch und forderte Euch heraus.«—»Dieser Bursche ist also der leibhaftige Teufel!«rief der Unbekannte. — »O nein, Ew. Excellenz, es ist kein Teufel, «entgegnete der Wirth mit einer verächtlichen Grimasse,»denn während seiner Ohnmacht haben wir ihn durchsucht und in seinem Päckchen nicht mehr als ein Hemd, in seiner Börse nicht mehr als zwölf Thaler gefunden, was ihn jedoch nicht abhielt, kurz bevor er in Ohnmacht fiel, zu bemerken, wenn dergleichen in Paris geschehen wäre, so müßtet Ihr dies sogleich bereuen, während Ihr es hier erst später bereuen würdet.«—»Dann ist er irgend ein verkleideter Prinz von Geblüt, «sagte der Unbekannte kalt. — »Ich theile Euch dies mit, gnädiger Herr, «versetzte der Wirth,»damit Ihr auf Eurer Hut sein möget.«—»Und er hat Niemand in seinem Zorn genannt?«— ›Allerdings, er schlug an seine Tasche und sagte:»Wir wollen sehen, was Herr von Treville zu der Beleidigung sagen wird, die seinem Schützling widerfahren ist.‹ —»Herr von Treville?«sprach der Unbekannte mit steigender Aufmerksamkeit;»er schlug an seine Tasche, während er den Namen des Herrn von Treville aussprach?… Hört, mein lieber Wirth, indeß Euer junger Mann in Ohnmacht lag, habt Ihr sicherlich nicht versäumt, ein wenig in diese Tasche zu schauen. Was fand sich darin?«—»Ein Brief, mit der Adresse des Herrn von Treville, Kapitäns der Musketiere.«—»Wirklich?«—»Es ist, wie ich Ew. Excellenz zu sagen die Ehre habe.«

Der Wirth, welcher eben nicht mit übergroßem Scharfsinn begabt war, gewahrte den Ausdruck nicht, den seine Worte auf dem Gesichte des Unbekannten hervorriefen. Dieser entfernte sich von dem Gesimse des Kreuzstocks, auf das er sich bis jetzt mit dem Ellbogen gestützt hatte, und faltete die Stirne, wie ein Mensch, den etwas beunruhigt.

«Teufel!«murmelte er zwischen den Zähnen,»sollte mir Treville diesen Gascogner geschickt haben? Er ist noch sehr jung! Aber ein Degenstich bleibt ein Degenstich, welches Alter auch sein Spender haben mag, und man nimmt sich vor einem jungen Bürschchen weniger in Acht, als vor anderen Leuten; Zuweilen genügt ein schwaches Hinderniß, um einem großen Plan in den Weg zu treten.«

Und der Unbekannte versank in ein Nachdenken, das einige Minuten währte.

«Hört einmal, Wirth, «sagte er,»werdet Ihr mich nicht von diesem Wüthenden befreien? Ich kann ihn mit gutem Gewissen nicht töten, und dennoch, «fügte er mit einem kalt drohenden Ausdrucke bei,»ist er mir unbequem. Wo verweilt er?«—»Im ersten Stock in der Stube meiner Frau, wo man ihn verbindet.«—»Hat er Kleidungsstücke und seine Tasche bei sich? Er hat sein Wamms nicht ausgezogen?«—»Alles dies blieb im Gegentheil unten in der Küche. Aber wenn Euch dieser junge Laffe unbequem ist…?«

«Gewiß. Er veranlaßt in Eurem Gasthaus ein Ärgernis, das ehrliche Leute nicht aushalten können. Geht hinauf, macht meine Rechnung und benachrichtigt meinen Lakaien.«—»Wie! gnädiger Herr, Ihr verlasset uns schon?«—»Ihr konntet es daraus sehen, daß ich Euch Befehl gegeben hatte, mein Pferd zu satteln. Hat man mir nicht Folge geleistet?«—»Allerdings, und das Pferd steht völlig aufgezäumt unter dem großen Thor, wie Ew. Excellenz selbst hat sehen können.«—»Das ist gut. Thut, was ich Euch gesagt habe.«

«Oh weh!«sprach der Wirth zu sich selbst;»sollte er vor dem kleinen Jungen bange haben?«

Aber ein gebieterischer Blick des Unbekannten machte seinen Gedanken rasch ein Ende. Er verbeugte sich demüthig und ging ab.

«Mylady soll diesen Burschen nicht gewahr werden, «fuhr der Fremde fort;»sie muß bald kommen; sie bleibt schon allzulange aus. Offenbar ist es besser, wenn ich zu Pferde steige und ihr entgegenreite… Könnte ich nur erfahren, was dieser Brief an Treville enthält!«Und unter fortwährendem Murmeln wandte sich der Fremde nach der Küche.

Inzwischen war der Wirth, der nicht daran zweifelte, daß die Gegenwart des jungen Menschen den Unbekannten aus seiner Herberge treibe, zu seiner Frau hinaufgegangen und hatte d'Artagnan hier wieder gefunden. Er machte ihm begreiflich, die Polizei könnte ihm einen schlimmen Streich spielen, da er mit einem vornehmen Herrn Streit angefangen habe, denn nach der Meinung des Wirthes konnte der Unbekannte nur ein vornehmer Herr sein, und er veranlaßte ihn, trotz seiner Schwäche aufzustehen und seinen Weg fortzusetzen. Halb betäubt, ohne Wamms und den Kopf mit Leinwand umwickelt, stand d'Artagnan auf und ging, vom Wirthe gedrängt, die Treppe hinab; aber als er in die Küche kam, war das erste, was er bemerkte, sein Gegner, der am Fußtritt einer schweren, mit zwei plumpen normannischen Pferden bespannten Karosse ruhig plauderte.

Die Frau, mit der er sprach, war eine Frau von zwanzig bis zweiundzwanzig Jahren, deren Kopf in den Kutschenschlag eingerahmt schien. Wir haben bereits erwähnt, mit welcher Raschheit d'Artagnan eine Physiognomie aufzufassen wußte; er sah also auf den ersten Blick, daß die Frau jung und hübsch war. Diese Schönheit fiel ihm um so mehr auf, als sie eine in den südlichen Gegenden, welche d'Artagnan bis jetzt bewohnt hatte, ganz fremde Erscheinung war. Es war eine Blondine mit langen, auf die Schultern herabfallenden Locken, großen, schmachtenden, blauen Augen, rosigen Lippen und Alabasterhänden; sie sprach sehr lebhaft mit dem Unbekannten.

«Also befiehlt mir Seine Eminenz…«sagte die Dame. — »Sogleich nach England zurückzukehren und sie zu benachrichtigen, ob der Herzog London verlassen hat.«—»Und was meine übrigen Instruktionen betrifft?…«fragte die schöne Reisende. — »Sie sind in dieser Kapsel enthalten, welche Ihr erst jenseits des Kanals öffnen dürfet.«—»Sehr wohl; und Ihr, was macht Ihr?«—»Ich kehre nach Paris zurück.«

«Ohne das freche Bürschchen zu züchtigen?«fragte die Dame.

Der Unbekannte war im Begriff zu antworten, aber in dem Augenblick, wo er den Mund öffnete, sprang d'Artagnan, der alles gehört hatte, auf die Thürschwelle.

«Das freche Bürschchen züchtigt andere, «rief er,»und ich hoffe, daß derjenige, welchen er zu züchtigen hat, ihm diesmal nicht entkommen wird, wie das erstemal.«

«Nicht entkommen wird?«entgegnete der Unbekannte, die Stirne faltend.

«Nein, vor einer Dame, denke ich, werdet Ihr nicht zu fliehen wagen.«

«Bedenkt, «rief Mylady, als sie sah, daß der Edelmann die Hand an den Degen legte,»bedenkt, daß die geringste Zögerung Alles verderben kann.«

«Ihr habt Recht, «rief der Edelmann,»reist also Eurerseits, ich thue desgleichen.«

Und indem er der Dame mit dem Kopf zunickte, sprang er zu Pferde, während der Kutscher der Karosse sein Gespann kräftig mit der Peitsche antrieb. Die zwei Sprechenden entfernten sich also im Galopp, jedes in einer entgegengesetzten Richtung der Straße.

«Heda! Eure Rechnung, «schrie der Wirth, dessen Ergebenheit für den Reisenden sich in tiefe Verachtung verwandelte, als er sah, daß er abging, ohne seine Zeche zu bezahlen.

«Bezahle, Schlingel, «rief der Reisende stets galoppierend seinem Bedienten zu, der dem Wirth ein Paar Geldstücke vor die Füße warf und dann eiligst seinem Herrn nachgaloppierte.

«Ha, Feigling, ha, Elender, ha, falscher Edelmann!«rief d'Artagnan und lief dem Bedienten nach.

Aber der Verwundete war noch zu schwach, um eine solche Erschütterung auszuhalten. Kaum hatte er zehn Schritte gemacht, so klangen ihm die Ohren, er sah nichts mehr, eine Blutwolke zog über seine Augen hin und er stürzte unter dem beständigen Geschrei:»Feigling! Feigling! Feigling!«auf die Straße nieder.

«Er ist in der That sehr feig!«murmelte der Wirth, indem er sich d'Artagnan näherte und sich durch diese Schmeichelei mit dem armen Jungen zu versöhnen suchte, wie der Held in der Fabel mit seiner Schnecke.

«Ja, sehr feig, «sagte d'Artagnan mit schwacher Stimme,»aber sie ist sehr schön.«

«Wer sie?«fragte der Wirth.

«Mylady, «stammelte d'Artagnan und fiel zum zweiten Mal in Ohnmacht.

«Gleich viel, «sprach der Wirth,»es bleibt mir doch dieser da, den ich sicherlich einige Tage behalten werde. Da lassen sich immerhin elf Thaler verdienen.«

Man weiß bereits, daß sich der Inhalt von d'Artagnans Börse gerade auf elf Thaler belief.

Der Wirth hatte auf elf Tage Krankheit den Tag zu einem Thaler gerechnet; aber er hatte die Rechnung ohne seinen Reisenden gemacht. Am andern Morgen stand d'Artagnan schon um fünf Uhr auf, ging in die Küche hinab, verlangte außer einigen anderen Ingredienzien, deren Liste uns nicht zugekommen ist, Wein, Öl, Rosmarin, und bereitete sich, das Rezept seiner Mutter in der Hand, einen Balsam, mit dem er seine zahlreichen Wunden salbte; dann erneuerte er seine Kompressen selbst und wollte keine ärztliche Hilfeleistung gestatten. Der Wirksamkeit des Zigeunerbalsams und ohne Zweifel auch ein wenig der Abwesenheit jedes Arztes hatte es d'Artagnan zu danken, daß er schon an demselben Abend wieder auf den Beinen und am andern Tag beinahe völlig geheilt war.

In dem Augenblick aber, als er den Rosmarin, das Öl und den Wein bezahlen wollte — die einzige Ausgabe des Herrn, der strenge Diät hielt, während das gelbe Roß, wenigstens nach der Aussage des Wirthes, dreimal so viel gefressen hatte, als sich vernünftigerweise bei seiner Gestalt voraussetzen ließ — fand d'Artagnan m seiner Tasche nur noch seine kleine Sammetbörse, sowie die elf Thaler, welche sie enthielt; jedoch der Brief an Herrn von Treville war verschwunden.

Der junge Mann suchte anfangs diesen Brief mit großer Geduld, drehte seine Taschen um und um, durchwühlte seinen Mantelsack, öffnete und schloß seine Börse wieder und wieder, als er aber die Überzeugung gewonnen hatte, daß der Brief nicht mehr zu finden war, gerieth er in einen dritten Anfall von Wuth, der ihn leicht zu einem neuen Verbrauch von aromatischem Wein und Öl veranlassen konnte; denn als man sah, daß dieser junge Brausekopf sich erhitzte und drohte, er werde Alles im Hause kurz und klein schlagen, wenn man seinen Brief nicht finde, da ergriff der Wirth einen Spieß, seine Frau einen Besenstiel, und sein Aufwärter nahm von denselben Stöcken, welche zwei Tage vorher benützt worden waren.

«Meinen Empfehlungsbrief, «schrie d'Artagnan,»meinen Empfehlungsbrief, oder ich spieße Euch alle wie Ortolane.«

Unglücklicherweise trat ein Umstand der Ausführung seiner Drohung in den Weg; sein Degen war erwähntermaßen beim ersten Kampf in zwei Stücke zerbrochen worden, was er völlig vergessen hatte. Als d'Artagnan wirklich vom Leder ziehen wollte, sah er sich ganz einfach mit einem Degenstumpfe von acht bis zehn Zoll bewaffnet, den der Wirth sorgfältig wieder in die Scheide gesteckt hatte. Den übrigen Theil der Klinge hatte der Herr der Herberge geschickt auf die Seite gebracht, um sich einen Bratspieß daraus zu machen.

Diese Enttäuschung dürfte wohl unsern jähzornigen jungen Mann nicht zurückgehalten haben, aber der Wirth bedachte, daß die Forderung, die sein Reisender an ihn stellte, eine völlig gerechte war.

«In der That, «sprach er und senkte dabei seinen Spieß,»wo ist der Brief?«

«Wo ist dieser Brief?«rief d'Artagnan.»Ich sage Euch vor Allem, daß dieser Brief für Herrn von Treville bestimmt ist, und daß er sich wiederfinden muß; ist dies nicht der Fall, so wird Er schon machen, daß er gefunden wird!«

Diese Drohung schüchterte den Wirth vollends ein. Nach dem König und dem Herrn Kardinal war Herr von Treville derjenige Mann, dessen Namen vielleicht am öftesten von den Militären und sogar von den Bürgern wiederholt wurde. Wohl war noch der Pater Joseph vorhanden, aber sein Name wurde immer nur ganz leise ausgesprochen, so groß war der Schrecken, den die graue Eminenz einflößte, wie man den Vertrauten des Kardinals nannte.

Er warf also seinen Spieß weit von sich, befahl seiner Frau, dasselbe mit ihrem Besenstiel zu thun, und seinen Dienern, ihre Stöcke wegzulegen; dann ging er mit gutem Beispiel voran und begann nach dem verlorenen Brief zu suchen.

«Enthielt dieser Brief etwas Werthvolles?«sagte der Wirth, nachdem er einen Augenblick fruchtlos gesucht hatte. — »Heiliger Gott, ich glaube es wohl!«erwiederte der Gascogner, der mit Hülfe dieses Schreibens seinen Weg zu machen hoffte,»er enthielt mein Glück.«—»Anweisungen auf Spanien?«fragte der Wirth unruhig. — »Anweisungen auf den Privatschatz Seiner Majestät, «erwiederte d'Artagnan, der darauf zählte, er werde durch diese Empfehlung in den Dienst des Königs aufgenommen werden, und deßhalb ohne zu lügen diese etwas kecke Antwort geben zu können glaubte.

«Teufel!«rief der Wirth ganz in Verzweiflung.

«Aber daran liegt nichts, «fuhr d'Artagnan mit ganz nationaler Dreistigkeit fort,»daran liegt nichts, das Geld kommt gar nicht in Betracht; der Brief war Alles. Ich hätte lieber tausend Pistolen verloren, als diesen Brief.«

Er würde nicht mehr gewagt haben, wenn er zwanzig tausend gesagt hätte, aber eine gewisse jugendliche Schüchternheit hielt ihn zurück.

Ein Lichtstrahl durchdrang plötzlich den Geist des Wirthes, der von einem entsetzlichen Grauen befallen wurde, als er nichts fand.

«Dieser Brief ist durchaus nicht verloren, «rief er.

«Ah!«seufzte d'Artagnan. — »Nein, er ist Euch gestohlen worden.«—»Gestohlen! und von wem?«—»Von dem Edelmann von gestern. Er ist in die Küche hinabgegangen, wo Euer Wamms lag, und daselbst allein geblieben. Ich wollte wetten, daß er ihn gestohlen hat.«

«Ihr glaubt?«erwiederte d'Artagnan nicht sehr überzeugt, denn er kannte den ganz persönlichen Belang dieses Briefes und sah nichts dabei, was einen Andern nach dem Besitz desselben hätte lüstern machen können. Keiner von den Dienern, keiner von den anwesenden Gasten würde etwas damit gewonnen haben, wenn er sich das Papier zugeeignet hätte.

«Ihr sagt also, «versetzte d'Artagnan,»Ihr habet diesen frechen Edelmann im Verdacht?«

«Ich sage, daß ich vollkommen hievon überzeugt bin, «fuhr der Wirth fort;»als ich ihm mittheilte, Ew. Herrlichkeit sei ein Schützling des Herrn von Treville, und Ihr hättet sogar einen Brief an diesen erlauchten Herrn, da schien er sehr unruhig zu werden und fragte mich, wo dieser Brief sei; dann ging er sogleich in die Küche hinab, weil er wußte, daß Euer Wamms dort lag.«

«Dann ist er mein Dieb, «sagte d'Artagnan,»ich werde mich bei Herrn von Treville darüber beklagen, und Herr von Treville wird sich beim König beklagen. «Sofort zog er majestätisch zwei Thaler aus seiner Tasche, gab sie dem Wirth, der ihn mit dem Hut in der Hand bis vor die Thüre begleitete, und bestieg wieder sein gelbes Roß, das ihn ohne weiteren Unfall bis zu der Porte Saint-Antoine in Paris trug, wo es der Eigenthümer um drei Thaler verkaufte, was sehr gut bezahlt war, da d'Artagnan es auf dem letzten Marsch bedeutend übertrieben hatte. Der Roßkamm, welchem d'Artagnan die Mähre gegen erwähnte neun Livres abtrat, verbarg auch dem jungen Mann keineswegs, daß er diese außerordentliche Summe nur wegen der originellen Farbe des Tieres bezahle.

D'Artagnan hielt also zu Fuß seinen Einzug in Paris, trug sein Päckchen unter dem Arm und marschirte so lange umher, bis er eine Stube zu miethen fand, die der Geringfügigkeit seiner Mittel entsprach. Diese Stube war eine Art von Mansarde und lag in der Rue de Fossoyeurs in der Nähe des Luxemburg.

Sobald d'Artagnan die Miethe bezahlt hatte, nahm er Besitz von seiner Wohnung und brachte den übrigen Theil des Tages damit hin, daß er an sein Wamms und an seine Strümpfe Posamenten annähte, die seine Mutter von einem beinahe neuen Wammse des Herrn d'Artagnan Vaters abgetrennt und ihm insgeheim zugesteckt hatte. Dann ging er auf den Quai de la Ferraille, um eine neue Klinge in seinen Degen machen zu lassen, hierauf nach dem Louvre und erkundigte sich bei dem ersten Musketier, dem er begegnete, nach dem Hotel des Herrn von Treville, welches in der Rue du Vieux-Colombier lag, das heißt, ganz in der Nähe der Wohnung, welche d'Artagnan gemiethet hatte — ein Umstand, der ihm als ein glückliches Vorzeichen für den Erfolg seiner Reise erschien.

Zufrieden mit der Art und Weise, wie er sich in Meung benommen hatte, ohne Gewissensbisse wegen der Vergangenheit, voll Vertrauen aus die Gegenwart, voll Hoffnung für die Zukunft, legte er sich hierauf nieder und schlief den Schlaf des Gerechten.

Dieser noch ganz provinzmäßige Schlaf währte bis zur neunten Stunde des Morgens, wo er aufstand, um sich zu dem berühmten Herrn von Treville, der dritten Person des Reiches nach der väterlichen Schätzung, zu begeben.

II. Das Vorzimmer des Herrn von Treville

Herr von Troisville, wie seine Familie in der Gascogne noch hieß, oder Herr von Treville, wie er sich selbst am Ende in Paris nannte, hatte wirklich gerade wie d'Artagnan angefangen, nämlich ohne einen Sou Geldeswerth, aber mit jenem Grundstock von Kühnheit, Geist und Ausdauer, worin der ärmste gascognische Krautjunker mehr an Hoffnungen zum väterlichen Erbtheil erhält, als der reichste Edelmann des Perigord oder Berry in Wirklichkeit empfängt. Sein kecker Muth und sein noch viel keckeres Glück in einer Zeit, wo die Schläge wie Hagel fielen, hatten ihn auf die Höhe der schwer erklimmbaren Leiter gehoben, die man Hofgunst nennt, und deren Stufen er vier und vier auf einmal erstiegen hatte.

Er war der Freund des Königs, der, wie Jedermann weiß, das Andenken seines Vaters Heinrich IV. sehr in Ehren hielt. Der Vater des Herrn von Treville hatte ihm in seinen Kriegen gegen die Ligue so treu gedient, daß er ihm in Ermangelung von baarem Geld — eine Sache, die dem Bearner sein ganzes Leben lang abging, denn er bezahlte seine Schulden stets mit dem einzigen Ding, das er nicht zu entlehnen brauchte, mit Witz — daß ihm in Ermangelung von baarem Geld, sagen wir, nach der Übergabe von Paris die Vollmacht verlieh, als Wappen eines goldenen Löwen im rothen Felde mit dem Wahlspruch: fidelis et fortis zu führen; das war viel in Bezug auf Ehre, aber mittelmäßig in Bezug auf Vermögen. Als der berühmte Gefährte des großen Heinrich starb, hinterließ er also seinem Herrn Sohn als einziges Erbe nur seinen Degen und seinen Wahlspruch. Dieser doppelten Gabe und dem fleckenlosen Namen, von dem sie begleitet war, hatte Herr von Treville seine Aufnahme unter die Haustruppen des jungen Fürsten zu verdanken, wo er sich so gut seines Schwertes bediente, und seiner Devise so treu war, daß Ludwig XIII., einer der besten Degen seines Königreichs, zu sagen pflegte, wenn er einen Freund hätte, der sich schlagen wollte, so würde er ihm den Rath geben, zum Secundanten zuerst ihn selbst und dann Herrn von Treville oder sogar vielleicht diesen vor ihm zu nehmen.

Ludwig XIII. hegte eine wahre Anhänglichkeit an Treville, eine königliche Anhänglichkeit, eine selbstsüchtige Anhänglichkeit allerdings, darum aber nicht minder eine Anhänglichkeit. In dieser unglücklichen Zeit strebte man mit aller Macht darnach, sich mit Männern von dem Schlage Treville's zu umgeben. Viele konnten sich den Beinamen fortis geben, der die zweite Hälfte seiner Devise bildete, aber wenige Edelleute hatten Anspruch darauf, sich fidelis zu nennen, wie der erste Theil hieß. Treville gehörte zu den letzteren; er war eine von den seltenen Organisationen mit dem gehorchenden Verstande des Hundes, dem blinden Muth, dem raschen Auge, der schnellen Hand, ein Mann, dem das Auge nur gegeben schien, um zu sehen, ob der König mit Jemand unzufrieden war, und diesen Jemand, einen Besme, einen Maurevers, einen Poltrot von Meré, einen Vitry niederzuschlagen. Treville hatte bis jetzt nur die Gelegenheit gefehlt, aber er lauerte darauf, er hatte sich gelobt, sie beim Schopfe zu fassen, sobald sie in den Bereich seiner Hand käme. Ludwig XIII. machte Treville zum Kapitän seiner Musketiere, welche in Bezug auf Ergebenheit oder vielmehr auf Fanatismus für ihn dasselbe waren, was die schottische Leibwache für Ludwig XI. und die Ordinären für Heinrich III.

Der Kardinal seiner Seite blieb in dieser Beziehung nicht hinter dem König zurück. Als dieser zweite oder vielmehr erste König von Frankreich die furchtbare Eile wahrnahm, mit der sich Ludwig XIII. seine Umgebung schuf, wollte er ebenfalls seine Leibwache haben. Er hatte also seine Musketiere, wie Ludwig XIII. und man sah diesen mächtigen Nebenbuhler in allen Provinzen Frankreichs und sogar in auswärtigen Staaten die berühmtesten Kampfhähne ausheben. Ludwig XIII. und Richelieu stritten sich auch oft, wenn sie Abends eine Partie Schach spielten, über die Verdienste ihrer Anhänger. Jeder lobte den Muth und die Haltung der seinigen, und während sie sich laut gegen Zweikämpfe und Händel aussprachen, stachelten sie dieselben ganz in der Stille gegen einander auf, und das Unterliegen oder der Sieg ihrer Leute bereitete ihnen wahren Kummer oder eine maßlose Freude. So erzählen wenigstens die Memoiren eines Mannes, der bei einigen dieser Niederlagen und bei vielen von diesen Siegen betheiligt war.

Treville hatte seinen Herrn bei der schwachen Seite gefaßt, und dieser Geschicklichkeit verdankte er die lange und beständige Gunst eines Königs, der nicht den Ruf großer Treue in seinen Freundschaften hinterlassen hat. Mit einem verschmitzten Lächeln ließ er seine Musketiere vor dem Kardinal Armand Duplessis paradiren, wobei sich die Haare im Schnurrbart Sr. Eminenz vor Zorn sträubten. Treville verstand sich vortrefflich auf den Krieg dieser Zeit, wo man, wenn man nicht auf Kosten des Feindes leben konnte, auf Kosten seiner Landsleute lebte; seine Soldaten bildeten eine gegen Jedermann, nur gegen ihn nicht, unbotmäßige Legion lebendiger Teufel.

Hals und Brust entblößt, betrunken, verbreiteten sich die Musketiere des Königs, oder vielmehr des Herrn von Treville, in den Schenken, auf den Spaziergängen, bei den öffentlichen Spielen, schrieen, strichen ihren Schnurrbart, ließen ihre Degen klirren, versetzten aus lauter Muthwillen den Leibwachen des Herrn Kardinals Rippenstöße und zogen unter tausenderlei Scherzen am hellen Tag auf offener Straße vom Leder; sie wurden zuweilen getödtet, aber sie wußten gewiß, daß man sie in diesem Falle beweinte und rächte; zuweilen tödteten sie, aber sie wußten ebenso gewiß, daß sie nicht im Gefängniß zu verschimmeln hatten, denn Herr von Treville war da, um sie zurückzufordern. Das Loblied des Herrn von Treville wurde auch in allen Tonarten von diesen Leuten gesungen, die den Satan nicht fürchteten, aber vor ihm zitterten, wie Schüler vor ihrem Lehrer, seinem geringsten Worte gehorchten und stets bereit waren, sich tödten zu lassen, um einen Vorwurf abzuwaschen.

Herr von Treville hatte sich Anfangs dieses mächtigen Hebels für den König und die Freunde des Königs — dann für sich selbst und für seine Freunde bedient. Übrigens findet man in keinem Memoirenwerk dieser Zeit, welche so viele Memoiren hinterlassen hat, daß dieser würdige Edelmann, selbst nicht einmal von seinen Feinden — und er hatte deren so viele unter den Leuten von der Feder, als unter denen vom Degen — nirgends, sagen wir, findet man, daß dieser würdige Edelmann angeklagt worden wäre, er habe sich für die Mitwirkung seiner Seïden bezahlen lassen. Bei einem seltenen Talent für Intriguen, das ihn auf dieselbe Stufe mit den stärksten Intriganten stellte, war er ein ehrlicher Mann geblieben. Noch mehr, trotz der großen Stoßdegen, welche lendenlahm machen, und der angestrengten Übungen, welche ermüden, war er einer der galantesten Boudoirläufer, einer der feinsten Jungfernknechte, einer der gewürfeltsten Schönredner seiner Zeit geworden; man sprach von Treville's Liebesglück, wie man zwanzig Jahre früher von Bassompierre gesprochen hatte, und das wollte viel sagen. Der Kapitän war also bewundert, gefürchtet und geliebt, und dies bildet wohl den Höhepunkt menschlicher Glücksumstände.

Ludwig XIV. verschlang alle kleinen Gestirne seines Hofes in seiner weiten Ausstrahlung, aber sein Vater, eine Sonne pluribus impar, ließ jedem seiner Günstlinge seinen persönlichen Glanz, jedem seiner Höflinge seinen eigenthümlichen Werth. Außer dem Lever des Königs und dem des Kardinals zählte man damals in Paris mehr als zweihundert einigermaßen besuchte Levers. Unter den zweihundert kleinen Levers war das von Treville eines von denjenigen, zu welchen man sich am meisten drängte.

Der Hof seines in der Rue du Vieux-Colombier gelegenen Hotels glich einem Lager, und dies von Morgens sechs Uhr im Sommer und von acht Uhr im Winter. Fünfzig oder sechzig Musketiere, welche sich hier abzulösen schienen, um stets eine imposante Zahl darzustellen, gingen beständig in völliger Kriegsrüstung und zu jedem Thun bereit umher. Auf einer der großen Treppen, auf deren Raum unsere moderne Civilisation ein ganzes Gebäude errichten würde, stiegen die Bittsteller von Paris aus und ab, die irgend eine Gunst zu erhaschen suchten; ferner die Edelleute aus der Provinz, deren höchster Wunsch war, ins Corps aufgenommen zu werden, und die in allen Farben verbrämten Lakaien, die an Herrn von Treville die Botschaften ihrer Gebieter überbrachten. In den Vorzimmern ruhten auf langen, kreisförmigen Bänken die Auserwählten, das heißt diejenigen, welche berufen waren. Das Gesumme dauerte vom Morgen bis zum Abend, während Herrn von Treville in seinem an dieses Vorzimmer stoßenden Kabinet Besuche empfing, Klagen anhörte, seine Befehle ertheilte und, wie der König auf seinem Balkon im Louvre, sich nur an das Fenster zu stellen hatte, um Menschen und Waffen Revue passiren zu lassen.

Den Tag, an welchem d'Artagnan sich hier einfand, war die Versammlung äußerst imposant, besonders für einen Provinzbewohner, der eben erst aus seiner Heimath anlangte; dieser Provinzbewohner war allerdings Gascogner, und damals besonders standen d'Artagnans Landsleute nicht im Rufe, als ließen sie sich so leicht einschüchtern. In der That, sobald man einmal durch die starke, mit langen viereckigen Nägeln beschlagene Thür gelangt war, gerieth man unmittelbar mitten in eine Truppe von Männern des Degens, die sich im Hofe herumtrieben, einander anriefen, mit einander stritten und spielten. Um sich durch diese brausenden Wogen eine Bahn zu brechen, hätte man ein Offizier, ein vornehmer Herr oder eine hübsche Frau sein müssen.

Mitten durch dieses Gedränge und diese Unordnung rückte unser junger Mann mit zitterndem Herzen, den langen Raufdegen an die magern Beine drückend und eine Hand an den Rand seines Filzes haltend, mit dem verlegenen provinzialen Halblächeln, das eine gute Haltung geben soll, sachte vorwärts. Hatte er eine Gruppe hinter sich, so athmete er freier; aber er begriff wohl, daß man sich umwandte, um ihm nachzuschauen, und zum ersten Mal in seinem Leben kam sich d'Artagnan, der bis auf diesen Tag eine ziemlich gute Meinung von sich selbst gehabt hatte, lächerlich vor.

Als er zur Treppe gelangte, war die Sache noch schlimmer: er fand hier auf den ersten Stufen vier Musketiere, die sich mit folgender Uebung belustigten, während zehn bis zwölf mit ihren Kameraden auf dem Ruheplatz der Treppe warteten, bis es an sie käme, an der Partie Theil zu nehmen. Einer von ihnen, der mit entblößtem Degen auf der obersten Stufe stand, verhinderte die Andern herauf zu steigen, oder er bemühte sich wenigstens, sie daran zu verhindern. Diese drei Andern fochten mit sehr behenden Degenstößen gegen ihn. D'Artagnan hielt Anfangs ihre Eisen für Fechtrappiere und glaubte, sie seien mit Knöpfen versehen; aber bald erkannte er an gewissen Schrammen, daß jede Waffe im Gegentheil gehörig zugespitzt und scharf geschliffen war. Und bei jeder von diesen Schrammen lachten nicht nur die Zuschauer, sondern auch die handelnden Personen, wie die Narren.

Derjenige, welcher in diesem Augenblick die oberste Stufe behauptete, hielt seine Gegner vortrefflich im Schach. Man bildete einen Kreis um sie. Es war Bedingung hiebei, daß bei jedem Stoße der Getroffene die Partie verlassen mußte, und dadurch seine Audienzreihe zu Gunsten des Berührenden verlieren sollte. In fünf Minuten waren drei gestreift, der eine an der Handwurzel, der andere am Kinn, der dritte am Ohr, während der Verteidiger, der ihnen diese Schrammen beibrachte, unberührt blieb, eine Geschicklichkeit, die ihm eine dreimalige Audienzreihe zu seinen Gunsten eintrug. So schwer auch unser junger Reisender in Erstaunen zu setzen war, oder wenigstens sein wollte, so verblüffte ihn doch dieser Zeitvertreib gewaltig: er hatte in seiner Provinz, auf diesem Boden, wo sich die Köpfe doch so schnell erhitzen, etwas mehr als Präliminarien zu Zweikämpfen gesehen, und die Gasconnade der vier Spieler erschien ihm als die stärkste unter allen, von denen er bis jetzt selbst in der Gascogne gehört hatte. Er glaubte sich in das berühmte Land der Riesen versetzt, wohin Gulliver ging und wo er so gewaltig bange hatte; und er war noch nicht einmal am Ziele: es blieben noch der Ruheplatz und das Vorzimmer.

Auf dem Ruheplatz der Treppe schlug man sich nicht, man erzählte sich Geschichten von Frauen, und im Vorzimmer Hofgeschichten. Auf dem Ruheplatz erröthete d'Artagnan, im Vorzimmer schauderte er. Seine rege, umherirrende Einbildungskraft, die ihn in der Gascogne für Kammermädchen und zuweilen sogar für junge Edeldamen furchtbar machte, hatte nie, selbst nicht einmal in den Augenblicken des Delirirens, die Hälfte dieser verliebten Abenteuer und den vierten Theil dieser Heldenthaten geträumt, bei denen die bekanntesten Namen herhalten mußten und die Details ganz und gar nicht verschleiert wurden. Aber wenn auf dem Ruheplatz sein Sittlichkeitsgefühl verletzt wurde, so bereitete man im Vorzimmer seiner Achtung vor dem Kardinal ein wahres Aergerniß. Hier hörte d'Artagnan zu seinem größten Erstaunen ganz laut die Politik, welche Europa erzittern machte, und das Privatleben des Kardinals kritisiren, für dessen Verunglimpfung so viele hochgestellte und mächtige Herren gestraft worden waren; dieser große, von Herrn d'Artagnan Vater verehrte Mann wurde verspottet von den Musketieren des Herrn von Treville, welche sich über seine krummen Beine und seinen gewölbten Rücken lustig machten; Einige sangen Spottlieder auf Madame d'Aiguillon, seine Geliebte, und auf Frau Combalet, seine Nichte, während Andere gegen die Pagen und die Leibwachen des Kardinal-Herzogs Pläne schmiedeten, lauter Dinge, welche d'Artagnan als monströse Unmöglichkeiten vorkamen.

Indessen kam zuweilen plötzlich und ganz unversehens der Name des Königs mitten unter diese kardinalistischen Scherze wie eine Art von Knebel, der für einen Augenblick allen Anwesenden den spöttischen Mund verstopfte; man schaute sachte um sich her und schien die Indiskretion der Scheidewand am Kabinet des Herrn von Treville zu fürchten. Aber bald brachte irgend eine Anspielung das Gespräch wieder auf Se. Eminenz, die Spöttereien wurden immer derber und keine seiner Handlungen blieb mit einer kräftigen Beleuchtung verschont.

«Gewiß sind dieß Leute, welche insgesammt nach der Bastille gebracht und gehängt werden, «dachte d'Artagnan mit Schrecken,»und ich ohne Zweifel mit ihnen, denn von dem Augenblick an, wo ich sie gehört und verstanden habe, wird man mich für ihren Mitschuldigen halten. Was würde mein Herr Vater sagen, der mir so dringend Achtung vor dem Kardinal eingeschärft hat, wenn er mich in Gesellschaft von solchen Lümmeln wüßte?«

D'Artagnan wagte es also, wie man sich leicht denken kann, nicht, an dem Gespräche Theil zu nehmen, er schaute nur mit beiden Augen, hörte nur mit beiden Ohren, er hielt seine fünf Sinne gierig gespannt, um nichts zu verlieren, und trotz seines Vertrauens auf die väterlichen Ermahnungen fühlte er sich, in Folge seiner Geschmacksrichtung und von seinen Instinkten hingerissen, mehr geneigt, die unerhörten Dinge, die sich in seiner Gegenwart ereigneten, zu loben als zu tadeln.

Da er indessen der Menge der Höflinge des Herrn von Treville völlig fremd war, und da man ihn zum ersten Male an diesem Ort bemerkte, so fragte man ihn, was er wünsche. Auf diese Frage nannte d'Artagnan demüthig seinen Namen; er berief sich aus seinen Titel als Landsmann und ersuchte den Kammerdiener, der diese Frage an ihn gerichtet hatte, Herrn von Treville für ihn um eine kurze Audienz zu bitten, welche Bitte man in hohem Gönnertone zu geeigneter Zeit und geeigneten Orts vorzutragen versprach.

D'Artagnan erholte sich allmälig von seinem ersten Staunen und hatte nun Muße, die Trachten und Gesichter ein wenig zu studiren.

Der Mittelpunkt der belebtesten Gruppe war ein Musketier von großer Gestalt, hochmüthigem Antlitz und höchst wunderlichem Aufzug, welcher die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte. Er trug in diesem Augenblick keine Uniform, wozu er auch in jener Zeit geringerer Freiheit, aber größerer Unabhängigkeit nicht durchaus verbunden war, sondern er hatte einen etwas abgetragenen Leibrock an, und auf diesem Kleide gewahrte man ein prachtvolles Wehrgehänge mit goldenen Stickereien, das funkelte, wie ein Wasserspiegel im vollen Sonnenschein. Ein langer, karmesinrother Mantel fiel anmuthig über die Schultern und ließ vorn nur das glänzende Wehrgehänge sehen, woran ein riesiger Raufdegen befestigt war.

Dieser Musketier war so eben von der Wache abgekommen, beklagte sich über Schnupfen und hustete von Zeit zu Zeit mit einer gewissen Affektation. Deßhalb hatte er den Mantel genommen, wie er zu seiner Umgebung sagte, und während er von oben herab sprach und verächtlich seinen Schnurrbart kräuselte, bewunderte man mit großer Begeisterung — d'Artagnan mehr, als jeder Andere — das gestickte Wehrgehänge.

«Was wollt Ihr, es kommt in die Mode, «sagte der Musketier;»es ist eine Thorheit, ich weiß es wohl, aber es ist einmal Mode. Ueberdies muß man doch auch sein anererbtes Vermögen draufgehen lassen.«

«Ah! Porthos!«rief einer von den Umherstehenden,»suche uns nicht glauben zu machen, dieses Wehrgehänge sei Dir durch die väterliche Großmuth zugefallen; die verschleierte Dame hat es Dir ohne Zweifel gegeben, mit der ich Dir an einem Sonntag in der Nähe der Porte Saint-Honoré begegnete.«

«Nein, auf Ehre und Edelmannsparole, ich habe es selbst und zwar um mein eigenes Geld gekauft, «antwortete derjenige, welchen man mit dem Namen Porthos bezeichnete.

«Ja, wie ich diese neue Börse mit Dem gekauft habe, was mir meine Geliebte in die alte gesteckt hat, «sprach ein anderer Musketier.

«Wahrhaftig, ich habe zehn Pistolen dafür bezahlt, «sagte Porthos.

Die Bewunderung verdoppelte sich, obgleich der Zweifel noch fortbestand.

«Nicht wahr, Aramis?«fragte Porthos, und wandte sich dabei gegen einen dritten Musketier um.

Dieser bildete einen vollständigen Contrast mit dem Fragenden, der ihn mit dem Namen Aramis bezeichnet hatte. Er war ein junger Mann von kaum zwei- bis dreiundzwanzig Jahren, mit naivem, süßlichem Gesichte, schwarzem, sanftem Auge und mit Wangen, so rosig, wie ein Pfirsich im Herbste; sein feiner Schnurrbart zog eine völlig gerade Linie auf seiner Oberlippe; seine Hände schienen sich vor dem Herabhängen zu hüten, weil ihre Adern anschwellen könnten, und von Zeit zu Zeit kniff er sich in die Ohren, um sie in einem zarten, durchsichtigen Incarnat zu erhalten. Er hatte die Gewohnheit, wenig zu sprechen, viel zu grüßen und geräuschlos zu lachen, wobei er seine schönen Zähne zeigte, auf die er, wie aus seine ganze Person, die größte Sorgfalt zu verwenden schien. Er beantwortete die Aufforderung seines Freundes mit einem bestätigenden Kopfnicken.

Diese Bestätigung schien allen Zweifeln in Beziehung auf das Wehrgehänge ein Ende zu machen; man bewunderte es fortwährend, aber man sagte nichts mehr davon, und das Gespräch ging in Folge einer der raschen Wendungen des Gedankens auf einen andern Gegenstand über.

«Was denkt Ihr von dem, was der Stallmeister von Chalais erzählt?«fragte ein anderer Musketier, ohne seine Worte unmittelbar an Einen von der Gruppe zu richten, sondern im Gegentheil sich an alle Umstehenden wendend.

«Und was erzählt er?«sagte Porthos in anmaßendem Tone.

«Er erzählt, er habe in Brüssel Rochefort, den Vertrauten des Kardinals, als Kapuziner verkleidet getroffen; der verfluchte Rochefort hatte in dieser Verkleidung Herrn von Laigues, gerade wie er ist, als einen wahren Einfaltspinsel gespielt.«

«Als einen wahren Einfaltspinsel, «fragte Porthos,»aber ist die Sache gewiß?«

«Ich habe es von Aramis gehört, «antwortete der Musketier.

«Wirklich?«

«Ei! Ihr wißt es wohl, Porthos, «sagte Aramis,»ich habe es Euch selbst gestern erzählt; sprechen wir nicht mehr davon.«

«Nicht mehr davon sprechen, meint Ihr?«erwiederte Porthos.»Nicht mehr davon sprechen? Zum Henker! Wie! der Kardinal läßt einen Edelmann ausspähen, er läßt ihm seine Korrespondenz durch einen Verräther, durch einen Dieb, durch einen Galgenstrick stehlen; läßt mit Hülfe dieser Späher und dieser Korrespondenz Chalais unter dem thörichten Vorwand, er habe den König ermordet und Monsieur mit der Königin verheirathen wollen, den Hals abschneiden! Niemand wußte etwas von diesem Räthsel, Ihr erfuhrt es gestern zum allgemeinen Erstaunen, und während wir über diese Neuigkeit noch ganz verwundert sind, kommt Ihr heute und sagt: Sprechen wir nicht mehr davon!«

«Sprechen wir also davon, wenn Ihr es wünscht, «erwiederte Aramis geduldig.

«Wäre ich der Stallmeister des armen Chalais, «rief Porthos,»so würde dieser Rochefort einen schlimmen Augenblick mit mir erleben.«

«Und ihr würdet einen schlimmen Augenblick mit dem Herzog Roth erleben, «versetzte Aramis.

«Ah! der Herzog Roth! bravo, bravo, der Herzog Roth!«erwiederte Porthos, in die Hände klatschend.»Der Herzog Roth, das ist allerliebst. Ich werde den Witz verbreiten, seid nur ruhig. Welch ein gescheidter Kerl doch dieser Aramis ist! Es ist ein wahres Unglück, daß Ihr Euren Beruf nicht verfolgen konntet, mein Lieber; was für ein köstlicher Abbé wäre doch aus Euch geworden!«

«Ah! das ist nur für den Augenblick hinausgeschoben, «entgegnete Aramis,»ich werde es später schon noch werden; Ihr wißt wohl, Porthos, daß ich zu diesem Behuf die Theologie zu studiren fortfahre.«

«Er thut, was er sagt, «rief Porthos,»er thut es früher oder später.«

«Früher, «sprach Aramis.

«Er wartet nur Eines ab, um sich gänzlich hiefür zu entscheiden und die Sutane zu nehmen, welche hinter seiner Uniform hängt, «sagte ein anderer Musketier.

«Und was wartet er denn ab?«fragte ein Dritter.

«Er wartet, bis die Königin der Krone Frankreich einen Erben geschenkt hat.«

«Scherzen wir nicht hierüber, meine Herren, «sprach Porthos;»sie ist, Gott sei Dank! noch in dem Alter, um der Krone einen Erben zu schenken.«

«Man sagt, Herr von Buckingham sei in Frankreich, «versetzte Aramis mit einem spöttischen Lächeln, das dieser scheinbar so einfachen Aeußerung eine ziemlich skandalöse Bedeutung verlieh.

«Aramis, mein Freund, «unterbrach ihn Porthos,»diesmal habt Ihr Unrecht; Eure Manie, Witze zu machen, läßt Euch beständig alle Grenzen überspringen; wenn Herr von Treville Euch hörte, so dürftet Ihr eine solche Sprache theuer zu bezahlen haben.«

«Wollt Ihr mir eine Lektion geben. Porthos!«rief Aramis, und durch sein sanftes Auge zuckte ein Blitz.

«Mein Lieber, seid Musketier oder Abbé, seid das Eine oder das Andere, aber nicht das Eine und das Andere, «erwiederte Porthos.»Hört, Athos hat Euch noch vor Kurzem gesagt: Ihr eßt an allen Raufen! Oh! erzürnt Euch nicht, es wäre vergeblich, Ihr wißt wohl, was zwischen Euch, Athos und mir abgemacht ist. Ihr geht zur Frau d'Aiguillon und macht ihr den Hof; Ihr geht zur Frau von Bois-Tracy, der Base der Frau von Chevreuse, und man sagt, Ihr stehet bedeutend in Gnade bei der Dame. Oh! mein Gott, Ihr braucht Euer Glück nicht einzugestehen; man fragt Euch nicht um Euer Geheimniß, denn man kennt Eure Discretion. Aber da Ihr diese Tugend besitzt, so macht in des Teufels Namen in Beziehung auf Ihre Majestät davon Gebrauch. Beschäftige sich mit dem König und dem Kardinal wer will und wie jeder will; aber die Königin ist geheiligt, und wenn man von ihr spricht, so muß es in Gutem geschehen.«

«Porthos, Ihr seid anmaßend, wie ein Narziß, «erwiederte Aramis.»Ihr wißt, daß ich die Moral hasse, außer wenn sie von Athos gepredigt wird. Was Euch betrifft, mein Lieber, Ihr habt ein viel zu prachtvolles Wehrgehänge, um in diesem Punkt stark zu sein. Ich werde Abbé, wann es mir beliebt; mittlerweile bin ich Musketier; in dieser Eigenschaft sage ich, was mir gefällt, und in diesem Augenblick gefällt es mir zu sagen, daß Ihr mich ungeduldig macht!«

«Aramis!«

«Porthos!«

«He, meine Herren! meine Herren!«rief man um sie her.

«Herr von Treville erwartet Herrn d'Artagnan, «unterbrach der Bediente, die Thür des Kabinets öffnend.

Bei dieser Ankündigung, während welcher die Thüre offen blieb, schwieg Jeder, und unter diesem Stillschweigen durchschritt der junge Gascogner das Vorzimmer und trat bei dem Kapitän der Musketiere ein, nicht ohne sich von ganzem Herzen Glück zu wünschen, daß er gerade zu rechter Zeit dem Ende dieses seltsamen Streites entging.

III. Die Audienz

Herr von Treville war in diesem Augenblick in einer abscheulichen Laune; nichtsdestoweniger grüßte er höflich den jungen Mann, der sich bis zur Erde vor ihm verbeugte, und nahm lächelnd sein Kompliment auf, dessen bearnesischer Ausdruck ihn zugleich an seine Jugend und an seine Heimath erinnerte — eine doppelte Erinnerung, welche den Menschen in jedem Alter zum Lächeln bewegt. Aber beinahe in demselben Augenblick trat er, d'Artagnan mit der Hand ein Zeichen machend, als wolle er ihn um Erlaubniß bitten, die Andern abzufertigen, ehe er mit ihm anfinge, trat er, sagen wir, an die Thüre, und rief dreimal, jedes Mal die Stimme verstärkend, so daß er alle Intervall-Töne zwischen dem befehlenden und dem aufgereizten Accent durchlief:

«Athos! Porthos! Aramis!«

Die uns bereits bekannten zwei Musketiere antworteten auf die zwei letzten von diesen drei Namen, verließen sogleich die Gruppen, unter denen sie standen, und gingen auf das Kabinet zu, dessen Thüre sich hinter ihnen schloß, sobald sie die Schwelle überschritten hatten. Ihre Haltung erregte, obgleich sie nicht ganz ruhig war, durch ihre zugleich würdevolle und ehrerbietige Ungezwungenheit die Bewunderung d'Artagnans, der in diesen Menschen Halbgötter und in ihrem Anführer einen mit all seinen Blitzen bewaffneten Jupiter erblickte.

Als die Musketiere eingetreten waren, als die Thüre hinter ihnen geschlossen war, als das Gemurmel im Vorzimmer, dem der Aufruf ohne Zweifel neue Nahrung gab, wieder angefangen und Herr von Treville endlich drei- bis mehrmal sein Kabinet, schweigend und mit gefalteter Stirne immer an Porthos und Aramis vorübergehend, welche steif und stumm wie auf der Parade dastanden, der ganzen Länge nach durchschritten hatte, blieb er plötzlich vor ihnen stehen, maß sie von Kopf zu Fuß mit zornigen Blicken und rief:

«Wißt Ihr, was mir der König gesagt hat, und zwar erst gestern Abend, wißt Ihr es, meine Herren?«

«Nein, «antworteten die zwei Musketiere nach kurzem Stillschweigen;»nein, gnädiger Herr, wir wissen es nicht.«

«Aber ich hoffe, Ihr werdet uns die Ehre erweisen, es uns zu sagen, «fügte Aramis in seinem höflichen Tone und mit der anmuthigsten Verbeugung bei.

«Er hat mir gesagt, er werde in Zukunft seine Musketiere unter der Leibwache des Herrn Kardinals rekrutiren.«

«Unter der Leibwache des Kardinals, und warum dies?«fragte Porthos lebhaft.

«Weil er sah, daß sein trüber Wein durch eine Vermischung mit gutem Wein aufgefrischt werden muß.«

Die zwei Musketiere errötheten bis unter das Weiß ihrer Augen. D'Artagnan wußte nicht, wo er war, und wäre gern hundert Fuß unter der Erde gewesen.

«Ja, ja, «fuhr Herr von Treville hitziger werdend fort,»und Se. Majestät hat Recht, denn, auf meine Ehre, die Musketiere spielen eine traurige Rolle bei Hof. Der Herr Kardinal erzählte gestern beim Spiele des Königs mit einer Miene des Bedauerns, die mir sehr mißfiel, diese verdammten Musketiere, diese lebendigen Teufel, und er legte auf diese Worte einen ironischen Nachdruck, der mir noch mehr mißfiel; diese Kopfspalter, fügte er bei und schaute mich dabei mit seinem Tigerkatzenauge an, hätten sich gestern in der Rue Ferou in einer Schenke verspätet, und eine Runde von seiner Leibwache, ich glaubte, er wollte mir in's Gesicht lachen, sei genöthigt gewesen, die Ruhestörer zu verhaften. Mord und Tod! Ihr müßt etwas davon wissen! Musketiere verhaften! Ihr wäret dabei, Ihr leugnet es nicht, man hat Euch erkannt, und der Kardinal hat Euch genannt. Es ist freilich mein Fehler, ja mein Fehler ist es, da ich mir meine Leute auswähle. Seht doch, Aramis, warum zum Teufel habt Ihr mich um die Kasake gebeten, da Ihr doch so gut unter der Sutane gewesen wäret? Und Ihr, Porthos, habt Ihr ein so schönes goldenes Wehrgehänge, nur um einen Strohdegen daran zu tragen! Und Athos, ich sehe Athos nicht. Wo ist er?«

«Gnädiger Herr, «antwortete Aramis traurig,»er ist krank, sehr krank.«

«Krank, sehr krank, sagt Ihr, und woran leidet er?«

«Man befürchtet an den Blattern, gnädiger Herr, «antwortete Porthos, der auch ein Wort mitsprechen wollte,»was sehr unangenehm wäre, denn es würde sicherlich sein Gesicht verderben.«

«Blattern! Abermals eine glorreiche Geschichte, die Ihr mir da erzählt. Porthos! In seinem Alter an den Pocken krank? — Nein!.. Aber verwundet ohne Zweifel, vielleicht getödtet — Ah! wenn ich es wüßte… Gottesblut! meine Herren Musketiere, ich dulde es nicht, daß man sich auf diese Art in schlechten schenken umhertreibt, auf der Straße Händel anfängt und an jeder Ecke vom Leder zieht. Ich will nicht, daß man sich vor den Leibwachen des Herrn Kardinals lächerlich macht, denn diese sind brave, ruhige, gewandte Leute, die sich nie der Verlegenheit aussetzen, verhaftet zu werden, und die sich überdies nicht verhaften lassen, gewiß nicht, ich bin es überzeugt! Sie würden eher auf dem Platze sterben, als einen Schritt zurückweichen. Sich flüchten, aus dem Staube machen, Fersengeld geben, das ist eine schöne Aufführung für die Musketiere des Königs, das!«

Porthos und Aramis bebten vor Wuth. Sie würden gerne Herrn von Treville erwürgt haben, wenn sie nicht gefühlt hätten, daß ihn die große Liebe, welche er für sie hegte, zu dieser Sprache veranlaßte. Sie stampften mit dem Fuß auf den Boden, bissen sich die Lippen blutig und preßten das Stichblatt ihres Degens mit aller Gewalt zusammen. Außen hatte man erwähntermaßen Athos, Porthos und Aramis rufen hören, und an dem Ton des Herrn von Treville hatte man errathen, daß er sehr zornig war. Zehn neugierige Köpfe lehnten an der Tapete und erbleichten vor Ingrimm; denn ihre fest an die Thüre gehaltenen Ohren verloren kein Wort von dem, was gesprochen wurde, während ihr Mund die für das ganze Corps beleidigenden Reden des Kapitäns, Silbe für Silbe, wiederholte. In einem Augenblick war das ganze Hotel von der Thüre des Kapitäns bis zu dem nach der Straße führenden Thore in Gährung.

«Ah! die Musketiere des Königs lassen sich von der Leibwache des Herrn Kardinals verhaften!«fuhr Herr von Treville fort, der in seinem Innern eben so wüthend war, wie seine Soldaten, aber seine Worte nur so herausstieß und gleichsam eines nach dem andern wie Dolchstiche in die Brust seiner Zuhörer bohrte.»Ah! sechs Leibwachen Sr. Eminenz arretiren sechs Musketiere Seiner Majestät! Mord Element! ich weiß, was ich thue. Ich begebe mich auf der Stelle nach dem Louvre; ich nehme meine Entlassung als Kapitän des Königs und bewerbe mich um eine Lieutenantsstelle bei den Garden des Kardinals, und wenn er es mir abschlägt, Mord Element! so werde ich Abbé.«

Bei diesen Worten kam es von dem Gemurmel außen zu einem völligen Ausbruch; überall hörte man nur Schwüre und Flüche. Mord Element! Gottesblut! Tod und Teufel! durchkreuzten sich in der Luft. D'Artagnan schaute sich nach einer Tapete um, um sich dahinter zu verbergen, und hatte sehr große Lust unter den Tisch zu kriechen.

«Wohl, mein Kapitän, «sprach Porthos außer sich,»wir waren allerdings sechs gegen sechs, aber wir wurden verräterischer Weise überfallen, und ehe wir Zeit hatten, den Degen zu ziehen, stürzten zwei von uns todt nieder, und Athos war, als schwer verwundet nichts mehr werth. Denn Ihr kennt Athos, Kapitän; nun zweimal versuchte er es, sich zu erheben, aber zweimal fiel er wieder zu Boden. Wir haben uns indessen nicht ergeben; nein, man hat uns mit Gewalt fortgeschleppt. Auf dem Wege flüchteten wir uns. Athos hielt man für todt; man ließ ihn ruhig auf dem Schlachtfelde liegen und achtete es nicht der Mühe werth, ihn wegzuschaffen. Das ist die ganze Geschichte. Was den Teufel! Kapitän, man gewinnt nicht alle Schlachten, der große Pompejus hat die von Pharsalus verloren, und Franz I. der, wie ich sagen hörte, seinen Mann stellte, unterlag in der Schlacht bei Pavia.«

«Und ich habe die Ehre, Euch zu versichern, daß ich Einen mit seinem eigenen Degen tödtete, «sagte Aramis;»denn der meinige war bei der ersten Parade zerbrochen. Getödtet oder erdolcht, gnädiger Herr, wie es Euch gefällig ist.«

«Ich wußte das nicht, «erwiederte Herr von Treville mit etwas sanfterem Tone;»der Herr Kardinal hat, wie es scheint, übertrieben.«

«Aber halten zu Gnaden, Herr Kapitän, «sprach Aramis, der, da er Herrn von Treville etwas besänftigt sah, eine Bitte vorzubringen wagte;»sagt nicht, gnädiger Herr, daß Athos verwundet ist; er wäre in Verzweiflung, wenn dies zu den Ohren des Königs käme, und da die Wunde sehr bedeutend zu sein scheint, insofern sie durch die Schulter tief in die Brust eingedrungen ist, so wäre zu befürchten…«

In demselben Augenblick hob sich der Thürvorhang, und ein edler, schöner, aber furchtbar bleicher Kopf erschien unter der Franse.

«Athos!«riefen die zwei Musketiere.

«Ihr habt nach mir verlangt, gnädiger Herr, «sprach Athos mit einer schwachen, aber vollkommen ruhigen Stimme;»Ihr habt nach mir verlangt, wie mir meine Kameraden sagen, und ich beeile mich, Eurem Befehle nachzukommen. Hier bin ich, gnädiger Herr, was steht zu Diensten?«

Mit diesen Worten trat der Musketier festen Schrittes, in tadelloser Haltung, gegürtet wie gewöhnlich, in das Kabinet. Im Innersten seines Herzens durch diesen Beweis von Muth gerührt, eilte ihm Herr von Treville entgegen.

«Ich war eben im Zuge, diesen Herren zu bemerken, «fügte er bei,»daß ich meinen Musketieren verbiete, ihr Leben unnöthig auszusetzen, denn brave Leute sind dem Könige sehr theuer, und der König weiß, daß seine Musketiere die bravsten Leute dieser Erde sind. Eure Hand, Athos.«

Und ohne eine Antwort des so eben Angekommenen auf diesen Beweis von Zuneigung abzuwarten, faßte Herr von Treville seine rechte Hand und drückte sie mit aller Kraft, wobei er nicht gewahr wurde, daß Athos, wie groß auch seine Selbstbeherrschung war, eine Bewegung des Schmerzes nicht zu bewältigen vermochte und noch bleicher wurde, was man kaum hätte für möglich halten sollen.

Die Thüre war halb offen geblieben, so sehr hatte die Ankunft von Athos, dessen Verwundung, trotz des Geheimnisses, Allen bekannt war, Aufsehen erregt. Ein Freudengeschrei war das Echo der letzten Worte des Kapitäns, und von der Begeisterung hingerissen, zeigten sich einige Köpfe durch die Oeffnungen der Tapete. Ohne Zweifel war Herr von Treville im Begriff, durch kräftige Worte diesen Verstoß gegen die Gesetze der Etikette zurückzudrängen, als er fühlte, daß sich die Hand von Athos krampfhaft in der seinigen zusammenzog, und bei genauerer Betrachtung bemerkte er, daß derselbe einer Ohnmacht nahe war. Im gleichen Augenblick fiel Athos, der alle seine Kräfte zusammengerafft hatte, um den Schmerz zu bekämpfen, wie todt auf den Boden nieder.

«Einen Wundarzt!«rief Herr von Treville.»Den meinigen, den des Königs, den nächsten besten! Einen Wundarzt! oder Gottesblut! mein braver Athos verscheidet!«

Aus das Geschrei des Herrn von Treville stürzte Alles in sein Kabinet, ohne daß er daran dachte, die Thüre irgend Jemand zu verschließen, und alle Anwesenden drängten sich um den Verwundeten. Aber dieser Eifer wäre fruchtlos gewesen, wenn sich der geforderte Arzt nicht im Hotel selbst befunden hätte; er durchschritt die Menge, näherte sich dem immer noch ohnmächtigen Athos, und da ihn das Geräusch und Gedränge in seiner Thätigkeit hemmten, so verlangte er als Erstes und Wesentlichstes, daß man den Musketier in ein anstoßendes Zimmer bringe. Sogleich öffnete Herr von Treville eine Thüre und zeigte Porthos und Aramis, welche ihren Kameraden auf den Armen trugen, den Weg. Hinter dieser Gruppe ging der Wundarzt und hinter dem Wundarzt schloß sich die Thüre. Nun wurde das Kabinet des Herrn von Treville, dieser sonst so geachtete Ort, ein zweites Vorzimmer. Jedermann schwatzte, sprach, deklamierte, schwur, fluchte ganz laut und wünschte den Kardinal und seine Leibwachen zu allen Teufeln.

Nach einem Augenblick kehrten Porthos und Aramis zurück. Der Chirurg und Herr von Treville waren allein bei dem Verwundeten geblieben.

Endlich kam auch Herr von Treville in sein Kabinet zurück. Der Verwundete hatte das Bewußtsein wieder erlangt und der Wundarzt erklärte, der Zustand des Musketiers dürfe seine Freunde durchaus nicht beunruhigen, da seine Schwäche einzig und allein durch den Blutverlust veranlaßt worden sei.

Herr von Treville gab nun ein Zeichen mit der Hand, und Jedermann entfernte sich, mit Ausnahme d'Artagnans, der durchaus nicht vergaß, daß er Audienz hatte, und mit der Hartnäckigkeit eines Gascogners an derselben Stelle geblieben war.

Als sich alle entfernt hatten und die Thüre wieder verschlossen war, wandte sich Herr von Treville um und fand sich allein mit dem jungen Manne. Durch das vorhergehende Ereigniß hatte er einigermaßen den Faden seiner Gedanken verloren. Er fragte daher den hartnäckigen Bittsteller nach seinem Verlangen. D'Artagnan nannte seinen Namen. Rasch tauchten in Herrn von Treville alle Erinnerungen an Gegenwart und Vergangenheit wieder auf und er war im Laufenden über seine Stellung.

«Um Vergebung, «sprach er lächelnd,»um Vergebung, mein lieber Landsmann, aber ich hatte Euch völlig vergessen. Was wollt Ihr! ein Kapitän ist nur ein Familienvater, dem eine größere Verantwortlichkeit obliegt, als einem gewöhnlichen Familienvater. Die Soldaten sind große Kinder; da ich aber darauf halte, daß die Befehle des Königs und besonders die des Herrn Kardinals vollzogen werden…«

D'Artagnan konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Aus diesem Lächeln urtheilte Herr von Treville, daß er es mit keinem Dummkopf zu thun habe; er ging daher gerade auf die Sache los, veränderte das Gespräch und sagte:

«Ich habe Euern Vater sehr geliebt! was kann ich für seinen Sohn thun? Beeilt Euch, meine Zeit gehört nicht mir.«»Gnädiger Herr, «sprach d'Artagnan,»als ich Tarbes verließ und hierher kam, hatte ich die Absicht, Euch in Erinnerung an diese Freundschaft, die Ihr nicht aus dem Gedächtniß verloren habt, um einen Musketiermantel zu bitten. Aber nach Allem, was ich seit zwei Stunden gesehen, begreife ich, daß eine solche Gunst ungeheuer wäre, und ich zittere, sie nicht zu verdienen.«

«Es ist allerdings eine Gunst, junger Mann, «antwortete Herr von Treville,»aber sie kann nicht so hoch über Euch stehen, als Ihr glaubt oder zu glauben Euch das Ansehen gebt. Indessen hat eine Entscheidung Sr. Majestät für diesen Fall vorgesehen, und ich sage Euch mit Bedauern, daß Niemand unter die Musketiere aufgenommen wird, ohne sich vorher in einigen Feldzügen, durch gewisse Waffenthaten oder einen zweijährigen Dienst in einem andern Regiment, das weniger begünstigt ist, als das unsere, erprobt zu haben.«

D'Artagnan verbeugte sich, ohne zu antworten. Sein Verlangen nach der Musketieruniform wurde noch dringender, seit er bemerkte, daß man so viele Hindernisse zu überwinden hatte, um sie zu bekommen.

«Aber, «fuhr Treville fort und heftete dabei auf seinen Landsmann einen so durchdringenden Blick, daß man hätte glauben sollen, er wolle im Grunde seines Herzens lesen;»aber Eurem Vater, meinem alten Landsmann, wie ich Euch gesagt habe, zu Liebe, will ich etwas für Euch thun, junger Mann. Unsere Söhne von Bearn sind gewöhnlich nicht reich, und ich zweifle, daß sich die Verhältnisse seit meiner Abreise aus der Provinz bedeutend verändert haben. Das Geld, das Ihr mitgebracht habt, wird also zum Leben nicht zu viel sein.«

D'Artagnan richtete sich mit einer stolzen Miene auf, welche wohl sagen wollte, er verlange von Niemand ein Almosen.

«Schon gut, junger Mann, schon gut, «fuhr Treville fort,»ich kenne diese Mienen, ich bin nach Paris mit vier Thalern in der Tasche gekommen und hätte mich mit Jedem geschlagen, der mir gesagt haben würde, ich sei nicht im Stande, den Louvre zu kaufen.

D'Artagnan richtete sich noch höher auf; in Folge des Verkaufs seines Pferdes begann er seine Laufbahn mit vier Thalern mehr, als Herr von Treville die seinige begonnen hatte.

«Ihr müßt also, wie ich sagte. Euer Eigenthum zusammennehmen, so stark auch diese Summe sein mag. Aber ihr müßt Euch auch in den Uebungen vervollkommnen, die einem Edelmann anstehen. Ich werde noch heute einen Brief an den Direktor der königlichen Akademie schreiben, und schon morgen seid ihr unentgeltlich aufgenommen, schlagt dieses kleine Geschenk nicht aus. Unsere höchstgeborenen und reichsten Edelleute bewerben sich zuweilen um diese Gunst, ohne sie erlangen zu können. Ihr werdet reiten, fechten und tanzen lernen. Ihr werdet gute Kenntnisse erlangen, und von Zeit zu Zeit besucht Ihr mich, um mir zu sagen, wie weit Ihr seid und ob ich etwas für euch thun kann.«

So wenig d'Artagnan mit den Hofsitten bekannt war, so entging ihm doch die Kälte dieses Empfangs nicht.

«Ach! mein gnädiger Herr, «sagte er,»ich sehe, wie sehr der Empfehlungsbrief, den mir mein Vater eingehändigt hatte, mir heute fehlt.«

«In der That, «erwiederte Herr von Treville,»ich wundere mich, daß Ihr eine weite Reise ohne dieses nothwendige Viatikum, unser einziges Hülfsmittel, unternommen habt.«

«Ich hatte es, Gott sei Dank, in guter Form bei mir, «rief d'Artagnan,»aber es ist mir gestohlen worden.«

Und er erzählte die ganze Scene in Meung, zeichnete den Unbekannten in seinen geringfügigsten Einzelnheiten, Alles mit einer Wärme und Wahrheit, die Herrn von Treville entzückte.

«Das ist seltsam, «sprach der letztere nachsinnend;»Ihr hattet also ganz laut von mir gesprochen?«

«Ja, gnädiger Herr, ich hatte allerdings diese Unklugheit begangen; ein Name, wie der Eurige, mußte mir auf der Reise als Schild dienen. Ihr könnt Euch denken, daß ich mich oft unter den Schutz desselben gestellt habe.«

Schmeichelei war damals sehr in der Mode, und Herr von Treville liebte den Weihrauch so gut wie ein König oder Kardinal.

Er konnte also nicht umhin, mit sichtbarer Befriedigung zu lächeln, aber dieses Lächeln verschwand bald wieder, er kam selbst auf das Abenteuer in Meung zurück und fuhr fort:

«Hatte dieser Edelmann nicht eine leichte Narbe an der Wange?«—»Ja, wie von dem Ritzen einer Kugel.«—»War er nicht ein Mann von schönem Gesicht?«—»Ja.«—»Von hoher Gestalt?«—»Ja.«—»Von bleicher Gesichtsfarbe und braunen Haaren?«—»Ja, ja, so ist es. Wie kommt es, gnädiger Herr, daß Ihr diesen Menschen kennt? Ach! wenn ich ihn wieder finde, und ich werde ihn wieder finden, ich schwöre es Euch, und wäre es in der Hölle…«—»Er erwartete eine Frau?«fuhr Treville fort. — »Er ist wenigstens abgereist, nachdem er einen Augenblick mit der Erwarteten gesprochen hatte.«—»Ihr wißt nicht, was der Gegenstand ihres Gespräches war?«

«Er übergab ihr eine Kapsel, sagte, sie enthalte Instruktionen, und schärfte ihr ein, sie erst in London zu öffnen.«

«Diese Frau war eine Engländerin?«—»Er nannte sie Mylady.«—»Er ist es!«murmelte Treville,»er ist es! Ich glaubte, er wäre noch in Brüssel.«—»Oh! gnädiger Herr, wenn Ihr diesen Menschen kennt, «rief d'Artagnan,»so sagt mir, wer er ist und wo er ist; dann entbinde ich Euch von Allem, selbst von Eurem Versprechen, mich unter die Musketiere aufzunehmen, denn vor Allem will ich mich rächen.«—»Hütet Euch wohl, junger Mann, «rief Treville;»wenn Ihr ihn auf der einen Seite der Straße kommen seht, so geht im Gegentheil auf die andere; stoßt Euch nicht an einem solchen Felsen, er würde Euch wie Glas zerbrechen.«—»Wenn ich ihn je wieder finde, «sprach d'Artagnan,»hält mich dies nicht ab…«—»Sucht ihn einstweilen nicht auf, «versetzte Treville,»wenn ich Euch gut zu Rathe sein soll.«

Plötzlich hielt Treville, von einem raschen Argwohn erfaßt, inne. Der gewaltige Haß, den der junge Reisende so laut gegen diesen Menschen kund that, der ihm, wie sehr wahrscheinlich war, den Brief seines Vaters entwendet hatte, verbarg er nicht etwa eine Treulosigkeit? war dieser junge Mann nicht von Seiner Eminenz abgesandt? kam er nicht, um ihm eine Falle zu legen? war dieser angebliche d'Artagnan nicht ein Emissär des Kardinals, den man in sein Haus zu bringen suchte, den man in seine Nähe gestellt hatte, um sein Vertrauen zu erschleichen und ihn später zu verderben, wie dieß tausendmal geschehen war? Er schaute d'Artagnan das zweite Mal noch schärfer an, als das erste Mal. Diese von schlauem Geist und geheuchelter Unterthänigkeit gleichsam funkelnde Physiognomie vermochte ihn nur wenig zu beruhigen.

Ich weiß, daß er Gascogner ist, dachte Herr von Treville, aber er kann es eben so wohl für den Kardinal, als für mich sein. Wir wollen ihn einmal auf die Probe stellen.»Mein Freund, «sprach er langsam,»ich will Euch als dem Sohn meines alten Freundes, denn ich halte die Geschichte dieses verlorenen Briefes für wahr, ich will Euch, sage ich, um die Kälte, die Ihr Anfangs bei meinem Empfang bemerkt haben möget, wieder gut zu machen, die Geheimnisse unserer Politik offenbaren. Der König und der Kardinal sind die besten Freunde; ihre scheinbaren Streitigkeiten sollen nur Dummköpfe täuschen. Ich will nicht, daß ein Landsmann, ein hübscher Cavalier, ein braver Bursche von diesen Fintenmachern bethört werde und wie ein Einfaltspinsel hinter denen her, welche darin zu Grunde gegangen sind, in das Garn gehe. Bedenkt wohl, daß ich diesen zwei allmächtigen Herren ergeben bin und daß ich nie einen andern Zweck haben werde, als dem König und dem Kardinal, einem der erhabensten Geister, welche Frankreich hervorgebracht hat, zu dienen. Darnach richtet Euch nun, junger Mann, und wenn Ihr, sei es Eurer Familie, sei es Euerer freundschaftlichen Verbindungen wegen oder aus Instinkt gegen den Kardinal einen Groll hegt, wie wir ihn oft bei unseren Edelleuten zum Vorschein kommen sehen, so sagt uns Lebewohl und verlaßt uns. Ich werde Euch in tausenderlei Dingen unterstützen, aber ohne Euch eine nähere Verbindung mit meiner Person zu gestatten. Ich hoffe jedenfalls durch meine Freimütigkeit Euch zum Freund zu gewinnen, denn bis zu dieser Stunde seid Ihr der einzige junge Mensch, mit dem ich so gesprochen habe.«

Treville sagte hiebei zu sich selbst:

Wenn der Kardinal diesen jungen Fuchs an mich abgesandt hat, so wird er, der wohl weiß, wie sehr er mir verhaßt ist, nicht verfehlt haben, seinem Spion kundzugeben, das beste Mittel, mir den Hof zu machen, bestehe darin, daß man das Schlimmste von ihm sage. Der listige Gevatter wird mir auch trotz meiner Versicherungen antworten, er verabscheue den Kardinal.

Es ging ganz anders, als Treville erwartete; d'Artagnan antwortete mit der größten Einfachheit:

«Mein gnädiger Herr, ich komme mit ähnlichen Ansichten und Absichten nach Paris. Mein Vater hat mir eingeschärft, von Niemand, als von dem König, dem Kardinal und von Euch, die er für die drei höchsten Männer von Frankreich hält, Etwas zu dulden.«

D'Artagnan stellte, wie man hier bemerkt, Herrn von Treville zu den beiden Andern, aber er dachte, diese Zusammenstellung könne nichts schaden.

«Ich hege also die größte Verehrung für den Herrn Kardinal, «fuhr er fort,»und die tiefste Achtung vor seinen Handlungen. Desto besser für mich, gnädiger Herr, wenn Ihr, wie Ihr sagt, freimüthig mit mir sprecht, denn Ihr werdet mir dann die Ehre erweisen, diesen Charakterzug auch an mir zu schätzen; habt Ihr aber irgend einen allerdings sehr natürlichen Argwohn gehabt, so sehe ich wohl ein, daß ich mich zu Grunde richte, indem ich die Wahrheit sage; das wäre um so schlimmer, als ich Eure Werthschätzung verlieren würde, und gerade diese ist es, worauf ich in der Welt den höchsten Werth lege.«

Herr von Treville war überrascht durch den letzten Punkt. So viel Offenherzigkeit, so viel Scharfsinn erregten seine Bewunderung, hoben aber seine Zweifel nicht gänzlich; je höher dieser junge Mann über anderen jungen Leuten stand, desto mehr war er zu fürchten, wenn er sich täuschte. Dessenungeachtet drückte er d'Artagnan die Hand und sagte:

«Ihr seid ein ehrlicher Bursche, aber in diesem Augenblick kann ich nicht mehr thun, als ich Euch so eben angeboten habe. Mein Hotel ist stets für Euch offen. Da Ihr zu jeder Stunde bei mir einsprechen und folglich jede Gelegenheit benützen könnt, so werdet Ihr wahrscheinlich später erreichen, was Ihr zu erreichen wünschet.«

«Das heißt, gnädiger Herr, «erwiederte d'Artagnan,»Ihr werdet warten, bis ich mich dessen würdig gemacht habe. Nun gut!«fügte er mit der Vertraulichkeit eines Gascogners bei,»Ihr sollt nicht lange zu warten haben. «Und er grüßte, um sich zu entfernen, als ob das Uebrige nur ihn anginge.

«Aber wartet doch, «rief Herr von Treville ihn zurückhaltend,»ich habe Euch einen Brief an den Vorstand der Academie angeboten. Seid Ihr zu stolz, ihn anzunehmen, Junker?«

«Nein, gnädiger Herr, «entgegnete d'Artagnan,»ich stehe Euch dafür, daß es mit diesem nicht gehen soll, wie mit dem andern. Ich werde ihn so gut bewahren, daß er, ich schwöre es Euch, an seine Adresse gelangen soll, und wehe dem, der es versuchen würde, ihn mir zu rauben!«

Herr von Treville lächelte bei dieser Großsprecherei, ließ seinen jungen Landsmann in der Fenstervertiefung zurück, wo die Unterredung stattgefunden hatte, setzte sich an einen Tisch und schrieb den versprochenen Empfehlungsbrief. Während dieser Zeit begann d'Artagnan, da er nichts Besseres zu thun hatte, einen Marsch auf den Fensterscheiben zu trommeln, beschaute die Musketiere, welche sich einer nach dem andern entfernten, und folgte ihnen mit dem Blicke, bis sie an der Wendung der Straße verschwanden.

Nachdem Herr von Treville den Brief geschrieben hatte, versiegelte er ihn, stand auf und näherte sich dem jungen Manne, um ihm denselben einzuhändigen, aber gerade in dem Augenblick, wo d'Artagnan die Hand ausstreckte, um ihn in Empfang zu nehmen, sah Herr von Treville mit großem Staunen, wie sein Schützling einen Sprung machte, vor Zorn feuerroth wurde und aus dem Kabinet stürzte mit dem Ruf:

«Ah! Gottesblut! dießmal soll er mir nicht entkommen!«

«Wer denn?«fragte Herr von Treville.

«Er, mein Dieb, «antwortete d'Artagnan.»Ha, Verräther!«

Und er verschwand.

«Närrischer Teufel!«murmelte Herr von Treville.»Wenn das nicht eine geschickte Manier ist, sich davon zu machen, weil er gesehen hat, daß sein Stoß fehlgegangen ist.«


IV. Die Schulter von Athos, das Wehrgehänge von Porthos und das Taschentuch von Aramis

Von Wuth entbrannt hatte d'Artagnan in drei Sprüngen das Vorzimmer hinter sich, und er stürzte nach der Treppe, deren Stufen er zu vier und vier hinabeilen wollte, als er blindlings fortstürmend einen Musketier, der durch eine Nebenthüre von Herrn von Treville kam, so gewaltig mit der Stirne auf die Schulter stieß, daß dieser laut aufschrie oder vielmehr brüllte.

«Entschuldigt mich, «sagte d'Artagnan, der seinen Lauf fortzusetzen versuchte,»entschuldigt mich, aber ich habe Eile.«

Kaum war er die erste Treppe hinabgestiegen, als ihn eine eiserne Hand bei der Schärpe packte und zurück hielt.

«Ihr habt Eile, «rief der Musketier, bleich wie ein Leintuch,»unter diesem Vorwande stoßt Ihr mich; Ihr sagt; ›Entschuldigt mich,‹ und glaubt, das genüge. Nicht ganz, junger Mann. Glaubt Ihr, weil Ihr Herrn von Treville heute ein wenig kavaliermäßig mit uns sprechen hörtet, man könne uns behandeln, wie er mit uns spricht? Laßt Euch diesen Wahn vergehen, Ihr seid nicht Herr von Treville, Ihr!«

«Meiner Treu, «erwiederte d'Artagnan, welcher Athos erkannte, der, nachdem der Arzt den Verband vorgenommen hatte, wieder nach seiner Wohnung zurückkehrte,»meiner Treu, ich habe es nicht absichtlich gethan, und weil ich es nicht absichtlich gethan habe, sagte ich; ›Entschuldigt mich.‹ Das scheint mir genug zu sein. Ich wiederhole Euch indessen, daß ich bei meiner Ehre Eile habe, große Eile. Laßt mich los, ich bitte Euch, laßt mich dahin, wo ich zu thun habe.«

«Mein Herr, «sprach Athos, indem er ihn losließ,»Ihr seid nicht artig. Man sieht, daß Ihr von ferne herkommt.«

D'Artagnan hatte schon drei bis vier Stufen überschritten, aber die Bemerkung von Athos hielt ihn plötzlich zurück.

«Bei Gott! mein Herr, «sprach er,»aus so weiter Ferne ich auch kommen mag, so werdet Ihr mir doch keinen Unterricht in den feinen Manieren ertheilen, das sage ich Euch.«—»Vielleicht, «erwiederte Athos. — »Ah! wenn ich nicht so sehr Eile hätte, «rief d'Artagnan,»und wenn ich nicht Einem nachlaufen würde…«—»Ei, mein eiliger Herr, mich werdet Ihr finden, ohne mir nachzulaufen, versteht Ihr?«—»Und wo dies, wenn es gefällig wäre? — »Bei den Karmeliter-Barfüßern.«—»Zu welcher Stunde?«—»Gegen Mittag.«—»Gegen Mittag, gut; ich werde dort sein.«—»Laßt mich nicht lange warten, denn ein Viertel nach zwölf laufe ich Euch nach, das sage ich Euch, und schneide Euch die Ohren im Laufen ab.«—»Gut!«rief d'Artagnan;»ich werde zehn Minuten vor zwölf mich einfinden.«

Und er fing wieder an zu rennen, als ob ihn der Teufel holte, in der Hoffnung, seinen Unbekannten zu finden, den sein ruhiger Gang noch nicht weit geführt haben konnte.

Aber am Straßenthor plauderte Porthos mit einem Wache stehenden Soldaten. Zwischen den zwei Sprechenden war gerade Raum für einen Mann. D'Artagnan glaubte, dieser Raum würde für ihn genügen, und stürzte vor, um wie ein Pfeil zwischen beiden durchzuschießen. Aber d'Artagnan hatte ohne den Wind gerechnet. Als er eben im Begriffe war, durchzudringen, fing sich der Wind in den langen Mantel von Porthos, und d'Artagnan prallte gerade in den Mantel. Porthos hatte ohne Zweifel Gründe, diesen wesentlichen Theil seiner Kleidung nicht preiszugeben, denn statt das Blatt, welches er festhielt fahren zu lassen, zog er es an sich, so daß d'Artagnan durch eine umdrehende Bewegung, die sich leicht durch den Widerstand des hartnäckigen Porthos erklären läßt, sich in den Sammet verwickelte.

Als d'Artagnan den Musketier fluchen hörte, wollte er sich unter dem Mantel, der ihn verblendete, hervorarbeiten und suchte seinen Weg in den Falten. Er fürchtete besonders die Frische des, uns bereits bekannten, glänzenden Wehrgehänges beeinträchtigt zu haben; als er aber schüchtern die Augen öffnete, fand es sich, daß seine Nase zwischen den beiden Schultern von Porthos, das heißt gerade auf dem Wehrgehänge steckte. Ach! wie die meisten Dinge dieser Welt, die nur den Schein für sich haben, war das Wehrgehänge vorne von Gold und hinten von Büffelleder. Da Porthos, ein Hochmuthsnarr, wie er war, kein ganz goldenes Wehrgehänge haben konnte, so hatte er wenigstens die Hälfte davon: man begreift jetzt die Nothwendigkeit des Schnupfens und das dringliche Bedürfniß eines Mantels.

«Donner und Teufel!«rief Porthos, während er sich mit aller Gewalt anstrengte, von d'Artagnan loszukommen, der ihm am Rücken krappelte, seid Ihr denn wahnsinnig, daß Ihr Euch so auf die Leute werft!«

«Entschuldigt mich, «sagte d'Artagnan, als er wieder unter den Schultern des Riesen erschien,»aber ich hatte Eile, ich laufe Einem nach, und…«

«Vergeßt Ihr vielleicht Eure Augen, wenn Ihr Jemand nachlauft?«fragte Porthos.

«Nein, «antwortete d'Artagnan gereizt,»nein, und meinen Augen hab' ich es sogar zu danken, daß ich das sehe, was Andere nicht sehen.«

Porthos verstand oder verstand nicht, jedenfalls erfaßte ihn der Zorn und er rief:

«Mein Herr, man wird Euch zu striegeln wissen, wenn Ihr Euch an den Musketieren reibt.«

«Striegeln, mein Herr!«sagte d'Artagnan,»das Wort ist hart.«

«Es ist das Wort eines Mannes, der seinen Feinden ins Gesicht zu sehen gewohnt ist.«

«Ah! bei Gott, ich weiß wohl, daß Ihr den Eurigen den Rücken nicht zukehrt.«

Und über seinen Witz entzückt, entfernte sich der junge Mann laut lachend.

Porthos schäumte vor Wuth und machte eine Bewegung, um über d'Artagnan herzufallen.

«Später, später, «rief dieser,»wenn Ihr Euren Mantel nicht mehr anhabt.«

«Um ein Uhr also, hinter dem Luxemburg.«

«Sehr wohl, um ein Uhr, «erwiederte d'Artagnan, sich um die Straßenecke wendend.

Aber weder in der Straße, die er durchlaufen hatte, noch in derjenigen, in welcher er jetzt seine Blicke umherlaufen ließ, sah er irgend Jemand. So sachte der Unbekannte gegangen war, so hatte er doch einen Vorsprung gewonnen; vielleicht war er auch in ein Haus eingetreten. D'Artagnan erkundigte sich bei Allen, denen er begegnete, nach ihm, ging bis zur Fähre hinab und wieder durch die Rue de Seine und la Croix-Rouge hinauf, aber nichts, durchaus nichts. Dieses Laufen war jedoch in so fern für ihn vorteilhaft, als je mehr der Schweiß seine Stirne überströmte, desto mehr sein Gemüth sich abkühlte. Er fing nun an, über die Ereignisse die er so eben erlebt hatte, nachzudenken, sie waren zahlreich und unglücklich; es war kaum elf Uhr und bereits hatte ihm der Morgen die Ungunst des Herrn von Treville zugezogen, der die Art und Weise, wie d'Artagnan ihn verlassen hatte, etwas wenig cavaliermäßig finden mußte. Dann hatte er zwei Duelle mit Männern angebunden, von denen jeder im Stande war, drei d'Artagnan zu tödten, kurz mit zwei Musketieren, mit zwei von diesen Wesen, die er so hoch schätzte, daß er sie in seinem Geist und in seinem Herzen über alle andere Menschen stellte.

Diese Conjunctur war sehr traurig. In der Ueberzeugung, von Athos getödtet zu werden, bekümmerte sich der junge Mann begreiflicher Weise nicht viel um Porthos. Da jedoch die Hoffnung das Letzte ist, was in dem Herzen des Menschen erlischt, so fing er wirklich an zu hoffen, er könnte diese zwei Duelle, freilich mit furchtbaren Wunden, überleben, und im Fall des Ueberlebens machte er sich für die Zukunft folgende Vorstellungen:

«Was für ein hirnloser Tölpel bin ich! Dieser brave und unglückliche Athos ist an der Schulter verwundet und ich stürze mit dem Kopfe auf ihn zu, gerade wie ein Stier. Mich wundert nur, daß er mich nicht todt zu Boden streckte; er hatte das Recht dazu, und der Schmerz, den ich ihm verursacht habe, muß furchtbar gewesen sein. Was Porthos betrifft, — ah Porthos! das ist drolliger. «Und unwillkürlich fing der junge Mann an zu lachen, wobei er indessen umherschaute, ob durch dieses vereinzelte Gelächter Niemand ohne Grund verletzt wurde.»Die Sache mit Porthos ist drolliger, darum bin ich aber nicht weniger ein elender Dummkopf. Wirft man sich so auf die Leute, ohne» Habt Acht!«zu rufen, nein! und schaut man ihnen unter den Mantel, um zu sehen, was nicht da ist? Er hätte mir gewiß verziehen. Er hätte mir verziehen, wäre ich nicht so unklug gewesen, von dem Wehrgehänge zu sprechen, allerdings mit verblümten Worten! ja, schön, verblümt! Ah! verdammter Gascogner, der ich bin, ich würde in der Bratpfanne Witze machen. Auf! d'Artagnan, mein Freund, «fuhr er fort, indem er zu sich selbst mit all der Höflichkeit sprach, die er sich zu schulden glaubte,»entkommst Du, was nicht sehr wahrscheinlich ist, so hast Du in Zukunft eine vollkommene Höflichkeit zu beobachten. Man muß Dich fortan bewundern, als Musterbild nennen. Zuvorkommend und höflich sein, heißt nicht feig sein. Man schaue nur Aramis an, er ist die Sanftmuth, die Artigkeit selbst, und Niemand ist noch der Meinung gewesen, er sei ein Feigling! Nein, gewiß nicht, und von nun an will ich mich ganz nach seinem Vorbild formen! Ah! hier ist er gerade.«

Immer vorwärts marschirend und mit sich selbst sprechend war d'Artagnan bis auf einige Schritte zu dem Hotel d'Aiguillon gelangt, und vor diesem Hotel hatte er Aramis wahrgenommen, welcher munter mit drei Edelleuten von der Leibwache des Königs plauderte. Aramis bemerkte d'Artagnan ebenfalls; da er nicht vergaß, daß sich Herr von Treville diesen Morgen in seiner Gegenwart so stark ausgedrückt hatte, und da ein Zeuge der Vorwürfe, welche den Musketieren zu Theil wurden, ihm in keiner Beziehung angenehm war, so gab er sich den Anschein, als würde er ihn gar nicht gewahr. D'Artagnan aber, der im Gegentheil ganz mit seinen Versöhnungs- und Höflichkeitserklärungen beschäftigt war, näherte sich den vier jungen Leuten und machte eine tiefe Verbeugung, begleitet mit dem artigsten Lächeln. Aramis nickte leicht mit dem Kopf, lächelte aber nicht. Alle vier unterbrachen jedoch sogleich ihr Gespräch.

D'Artagnan war nicht so thöricht, um nicht einzusehen, daß er hier zu viel war, aber er hatte in den Manieren der großen Welt noch nicht genug Gewandtheit, um sich auf eine geschickte Art aus einer Lage zu ziehen, wie es in der Regel die eines Menschen ist, der sich unter Leute, die er nicht kennt, und in ein Gespräch gemischt hat, das ihn nichts angeht. Er suchte eben in seinem Innern nach einem Mittel, sich auf die wenigst linkische Weise zurückzuziehen, als er sah, daß Aramis ein Taschentuch entfallen war, auf das er, ohne Zweifel aus Unachtsamkeit, seinen Fuß gestellt hatte; dies schien ihm der günstige Augenblick zu sein, um seine Unschicklichkeit wieder gut zu machen; er bückte sich, zog mit der verbindlichsten Miene, die er sich zu geben vermochte, das Taschentuch unter dem Fuße des Musketiers hervor, wie sehr dieser sich auch anstrengte, es zurückzuhalten, und sprach, indem er ihm dasselbe übergab:»Ich glaube, mein Herr, Ihr würdet dieses Taschentuch wohl nicht gerne verlieren.«

Das Taschentuch war in der That reich gestickt und hatte eine Krone und ein Wappen in einer seiner Ecken. Aramis erröthete im höchsten Grade und riß das Taschentuch förmlich aus den Händen des Gascogners.

«Ah! ah!«rief einer von den Umstehenden;»wirst Du noch behaupten. Du stehest schlecht mit Frau von Bois-Tracy, da diese anmuthige Dame die Gefälligkeit hat, Dir ihre Taschentücher zu leihen?«

Aramis schleuderte d'Artagnan einen von den Blicken zu, welche einem Menschen begreiflich machen, daß er sich einen Todfeind zugezogen hat; aber sogleich wieder seine süßliche Miene annehmend, sprach er:

«Ihr täuscht Euch, meine Herren, dieses Taschentuch gehört nicht mir, und ich weiß nicht, warum es diesem Menschen in den Kopf gekommen ist, es eher mir, als einem von Euch zuzustellen; zum Beweis ist hier das meinige in meiner Tasche.«

Bei diesen Worten zog er sein eigenes Taschentuch hervor, ebenfalls ein sehr elegantes, feines Batisttuch, obgleich Batist damals noch theuer war, aber ohne Wappen, ohne Stickerei und nur mit einem einzigen Buchstaben, dem seines Eigentümers, bezeichnet.

Diesmal gab d'Artagnan keinen Ton von sich; er hatte seinen Mißgriff erkannt. Aber die Freunde von Aramis ließen sich durch sein Leugnen nicht überzeugen, und der eine von ihnen wandte sich mit geheucheltem Ernste an ihn und sprach:

«Wenn es so wäre, wie du behauptest, mein lieber Aramis, so würde ich mich genöthigt sehen, es von Dir zurückzufordern, denn Bois-Tracy ist, wie Du weißt, einer von meinen innigsten Freunden, und man soll keine Trophäen aus dem Eigenthum seiner Gattin machen.«

«Du stellst Dein Verlangen nicht auf die geeignete Weise, «erwiederte Aramis,»und während ich die Gerechtigkeit Deiner Forderung im Grunde würdige, müßte ich sie der Form wegen zurückweisen.«

«In der That, «wagte d'Artagnan schüchtern zu bemerken,»ich habe das Tuch nicht aus der Tasche von Aramis fallen sehen. Er hatte den Fuß darauf, das ist das Ganze, und weil er den Fuß darauf hatte, glaubte ich, das Taschentuch gehöre ihm.«

«Und Ihr habt Euch getäuscht, «antwortete Aramis kalt, ohne auf diese Entschuldigung Werth zu legen. Dann wandte er sich gegen denjenigen, welcher sich für den Freund von Bois-Tracy ausgegeben hatte, und fuhr fort:»Ueberdies, mein lieber Herzensfreund, bei Bois-Tracy fällt mir gerade ein, daß ich selbst ein nicht weniger zärtlicher Freund von ihm bin, als Du sein kannst, so daß dieses Tuch eben so wohl aus Deiner Tasche, als aus der meinigen gefallen sein kann.«

«Nein, auf meine Ehre, «rief der Soldat von der Leibwache Sr. Majestät.

«Du schwörst bei Deiner Ehre und ich bei meinem Worte, und dabei muß nun nothwendig einer von uns beiden lügen. Halt, es ist das Gescheiteste, Montaran, es nimmt jeder von uns die Hälfte davon.«

«Von dem Taschentuch?«

«Ja.«

«Vortrefflich, «riefen die zwei Andern.»Das Urtheil des Salomo. Aramis, Du bist in der That ein weiser Mann.«

Die jungen Leute brachen in ein schallendes Gelächter aus, und die Sache hatte, wie man sich denken kann, keine weitere Folge. Nach einem Augenblick hörte das Gespräch auf, die drei Soldaten von der Leibwache und der Musketier drückten sich herzlich die Hände und gingen auseinander.

«Das ist der Augenblick, um mit diesem artigen Mann Frieden zu schließen, «sagte d'Artagnan, der sich während des letzten Theils der Unterredung etwas bei Seite gehalten hatte, zu sich selbst, und mit dieser freundlichen Gesinnung trat er näher zu Aramis, der sich entfernte, ohne ihm weitere Aufmerksamkeit zu schenken.

«Mein Herr, «sprach er,»Ihr werdet mich hoffentlich entschuldigen.«

«Ah! mein Herr,»unterbrach ihn Aramis,»erlaubt mir, Euch zu bemerken, daß Ihr in dieser Sache nicht gehandelt habt, wie ein artiger Mann hätte handeln müssen.«

«Wie, Herr! Ihr meint…«

«Ich meine, Herr, daß Ihr kein Dummkopf seid, und daß Ihr, obgleich Ihr aus der Gascogne kommt, wohl wißt, daß man nicht ohne Grund auf Taschentücher steht. Was zum Teufel, Paris ist nicht mit Batist gepflastert.«

«Mein Herr, Ihr habt Unrecht, daß Ihr mich zu demüthigen sucht, «sagte d'Artagnan, bei dem der angeborene Streitgeist lauter sprach, als seine friedlichen Entschließungen.»Ich bin allerdings aus der Gascogne, und da Ihr dieß wißt, so brauche ich Euch nicht zu sagen, daß die Gascogner wenig Geduld besitzen, und wenn sie sich einmal entschuldigt haben, sei es auch wegen einer Grobheit, so sind sie überzeugt, sie haben um die Hälfte mehr gethan, als sie hätten thun sollen.«

«Mein Herr, «erwiederte Aramis,»was ich Euch sage, sage ich nicht aus Händelsucht. Ich gehöre, Gott sei Dank! nicht zu den Raufbolden, und da ich nur vorläufig Musketier bin, so schlage ich mich blos, wenn ich dazu genöthigt werde, und stets mit Widerstreben. Aber diesmal ist es eine Angelegenheit von Belang, denn Ihr habt die Ehre einer Dame gefährdet.«»Ich? was wollt Ihr damit sagen?«rief d'Artagnan. — »Warum hattet Ihr die Ungeschicklichkeit, mir dieses Taschentuch zurückzustellen?«—»Warum hattet Ihr die Ungeschicklichkeit, es fallen zu lassen?«—»Ich habe gesagt und wiederhole, mein Herr, daß dieses Tuch nicht aus meiner Tasche gekommen ist.«—»Nun, dann habt Ihr zweimal gelogen, mein Herr, denn ich habe es selbst herausfallen sehen.«—»Ha! Ihr sprecht aus diesem Tone, Herr Gascogner? nun wohl! ich werde Euch Lebensart beibringen.«—»Und ich werde Euch in Euere Messe zurückschicken, mein Herr Abbé. Zieht vom Leder, und zwar sogleich, wenn es Euch gefällig ist.«

«Nein, mit Eurer Erlaubniß, mein schöner Freund, wenigstens nicht hier. Seht Ihr nicht, daß wir dem Hotel d'Aiguillon gegenüberstehen, das voll von Kreaturen des Kardinals ist? Wer sagt mir, daß Euch nicht Se. Eminenz beauftragt hat, ihm meinen Kopf zu verschaffen? Nun halte ich lächerlich viel auf meinen Kopf, da er mir sehr gut zu meinen Schultern zu passen scheint. Ich will Euch wohl tödten, seid ganz ruhig, aber in der Stille, an einem heimlichen, verborgenen Orte, damit Ihr Euch gegen Niemand Eures Todes rühmen könnt.«—»Es mag wohl sein, aber verlaßt Euch nicht darauf, und nehmt Euer Taschentuch mit, ob es Euch gehört, oder nicht, Ihr habt vielleicht Gelegenheit, es zu benützen.«—»Der Herr ist ein Gascogner?«fragte Aramis.

«Ja, aber der Herr verschiebt einen Zweikampf nicht aus Klugheit.«—»Die Klugheit ist eine für Musketiere ziemlich überflüssige Tugend, wie ich wohl weiß, aber sie ist unerläßlich für Geistliche, und da ich nur provisorisch Musketier bin, so bemühe ich mich klug zu bleiben. Um zwei Uhr werde ich die Ehre haben, Euch im Hotel des Herrn von Treville zu erwarten, dort zeige ich Euch geeignete Stellen.«

Die zwei jungen Leute grüßten, Aramis ging die Straße hinauf, welche nach dem Luxembourg führte, während d'Artagnan, als er sah, daß die bestimmte Stunde nahe rückte, den Weg nach dem Barfüßerkloster einschlug. Dabei sagte er zu sich selbst:»Ich kann offenbar nicht mit dem Leben durchkommen, aber wenn ich getödtet werde, so werde ich doch wenigstens von einem Musketier getödtet.«


V. Vie Musketiere des Königs und die Leibwache des Herrn Kardinals

D'Artagnan kannte Niemand in Paris. Er ging daher nach dem bestimmten Orte, ohne einen Sekundanten mitzubringen, entschlossen, sich mit denen zu begnügen, welche sein Gegner gewählt haben würde. Ueberdies war es ausdrücklich seine Absicht, offen, aber zugleich ohne Schwäche jede Entschuldigung auszusprechen; er fürchtete, dieses Duell könne die gewöhnliche Folge eines solchen Handels haben, wenn sich ein junger und kräftiger Mann mit einem verwundeten und geschwächten Gegner schlägt: überwunden verdoppelt er den Triumph seines Widersachers, als Sieger wird er der Pflichtvergessenheit und eines wohlfeilen Muthes angeklagt.

Wenn wir den Charakter unseres Abenteurers nicht schlecht geschildert haben, so kann es den Lesern nicht entgangen sein, daß d'Artagnan durchaus kein gewöhnlicher Mensch war. Während er sich stets wiederholte, daß sein Tod unvermeidlich sei, ergab er sich durchaus nicht darein, ganz geduldig zu sterben, wie ein anderer minder muthiger Mensch an seiner Stelle gethan haben würde. Er zog die verschiedenen Charaktere derjenigen in Betracht, mit welchen er sich schlagen sollte, und fing an, seine Lage klarer zu durchschauen. Durch die loyalen Entschuldigungen, die er auszusprechen gedachte, hoffte er Athos, dessen vornehmes Aussehen und stolze Miene ihm ungemein gefielen, zum Freund zu gewinnen. Er schmeichelte sich, Porthos mit dem Wehrgehänge-Abenteuer einzuschüchtern, das er, wenn er nicht auf der Stelle getödtet würde, Jedermann erzählen könnte, und eine solche Erzählung, sagte er sich, müßte, auf eine geschickte Weise verbreitet, Porthos im höchsten Grade lächerlich machen; vor dem duckmäuserischen Aramis war ihm nicht besonders bange, und wenn es bis zu ihm käme, so meinte er, es würde ihm wohl gelingen, ihn gänzlich abzuthun oder wenigstens, wie Cäsar gegen die Soldaten des Pompejus empfohlen hatte, durch tüchtige Hiebe in das Gesicht für immer die Schönheit zu Grunde zu richten, auf die er so stolz war.

Dann besaß d'Artagnan jenen unerschütterlichen Grundstock von Entschlossenheit, den in seinem Gemüth die Ermahnungen seines Vaters gebildet hatten, welche darauf hinausliefen, daß er von Niemand, außer von dem König, dem Kardinal und von Herrn von Treville etwas dulden sollte. Er flog also beinahe nach dem Kloster der Karmeliter-Barfüßer, einem fensterlosen Gebäude, das an unfruchtbaren zur Schreiberwiese gehörigen Wiesen lag und von Leuten, welche keine Zeit zu verlieren hatten, gewöhnlich zu Zweikämpfen benützt wurde.

Als d'Artagnan auf dem kleinen Grundgebiet ankam, das sich am Fuß des Klosters ausdehnte, wartete Athos erst seit fünf Minuten, und es schlug gerade zwölf. Er war also pünktlich wie die Samaritanerin, und der strengste Duellcasuist hätte nichts zu rügen gefunden.

Athos, welcher noch immer schwer an seiner Wunde litt, obgleich sie um neun Uhr vom Chirurgen des Herrn vom Treville verbunden worden war, saß auf einem Brunnen und erwartete seinen Gegner mit der ruhigen Haltung und der würdigen Miene, die ihn nie verließ. Beim Anblick d'Artagnans stand er auf und ging ihm höflich einige Schritte entgegen; dieser näherte sich seinem Widersacher, den Hut in der Hand.

«Mein Herr, «sagte Athos,»ich habe zwei von meinen Freunden benachrichtigen lassen, die mir als Sekundanten dienen werden; aber diese zwei Freunde sind noch nicht eingetroffen. Ich wundere mich über ihr langes Ausbleiben, denn es ist sonst nicht ihre Gewohnheit.«

«Ich meines Theils habe keinen Sekundanten, mein Herr, «erwiederte d'Artagnan,»denn erst gestern in Paris eingetroffen, kenne ich hier Niemand, außer Herr von Treville, dem ich durch meinen Vater empfohlen worden bin, welcher sich zu seinen Freunden zu zählen die Ehre hat.«

Athos überlegte einen Augenblick.

«Ihr kennt nur Herrn von Treville?«fragte er.

«Ja mein Herr, ich kenne nur ihn.«

«Ei dann, «fuhr Athos halb mit sich selbst, halb zu d'Artagnan sprechend fort,»wenn ich Euch tödte, werde ich das Ansehen eines Kinderfressers haben!«

«Nicht gar zu sehr, mein Herr, «erwiederte d'Artagnan mit einer Verbeugung, der es nicht an Würde mangelte;»nicht gar zu sehr, da Ihr mir die Ehre erweist, den Degen gegen mich mit einer Wunde zu ziehen, die Euch sehr belästigen muß.«

«Sie ist mir auf mein Wort sehr lästig, und ich muß Euch sagen, Ihr habt mir sehr wehe gethan; aber ich werde die linke Hand nehmen, was unter solchen Umständen meine Gewohnheit ist. Glaubt nicht, daß ich Euch eine Gnade gewähre, denn ich stoße gleichmäßig mit beiden Händen; ja, Ihr seid sogar im Nachtheil, ein Linker ist sehr unbequem für Leute, die nicht zuvor davon in Kenntnis gesetzt sind. Ich bedauere daher ungemein. Euch diesen Umstand nicht früher mitgetheilt zu haben.«

«Mein Herr, «sagte d'Artagnan, sich abermals verbeugend,»Ihr seid in der That von einer Höflichkeit, wofür ich Euch im höchsten Grade Dank weiß.«

«Ihr macht mich verlegen, «erwiederte Athos mit seiner edelmännischen Miene;»ich bitte, sprechen wir von etwas Anderem, wenn es Euch nicht unangenehm ist. Ah, Gottesblut! wie habt Ihr mir weh gethan! die Schulter brennt mir.«

«Wenn Ihr mir erlauben wollt,«… sagte d'Artagnan schüchtern.

«Was denn, mein Herr?«

«Ich besitze einen Wunderbalsam für Wunden, einen Balsam, den mir meine Mutter gegeben hat, und von dem ich an mir selbst eine Probe gemacht habe.«

«Nun denn?«

«Nun denn, ich bin überzeugt, daß dieser Balsam Euch in weniger als drei Tagen heilen würde, und nach Ablauf dieser drei Tage, mein Herr, wäre es mir immer eine große Ehre, Euch zu Diensten zu stehen.«

D'Artagnan sprach diese Worte mit einer Einfachheit, die seinen höflichen Sitten Ehre machte, ohne seinem Muthe Eintrag zu thun.

«Bei Gott, mein Herr, «sagte Athos,»das ist ein Vorschlag, der mir gefällt. Nicht als ob ich ihn annehmen würde, aber auf eine Meile erkennt man daran den Edelmann. So sprachen und handelten die Tapfern in der Zeit Karls des Großen, nach denen jeder Cavalier sich zu bilden suchen muß. Leider befinden wir uns nicht mehr in der Zeit dieses großen Kaisers; wir leben in der Zeit des Herrn Kardinals; da würde man, so gut das Geheimniß auch bewahrt wäre, in drei Tagen erfahren, daß wir uns schlagen sollen, und sich unserem Kampfe widersetzen. Ei, der Teufel! die faulen Bursche kommen nicht.«

«Wenn Ihr Eile habt, mein Herr, «sagte d'Artagnan zu Athos mit derselben Einfachheit, womit er ihm so eben einen dreitägigen Aufschub vorgeschlagen hatte,»wenn Ihr Eile habt und es Euch gefällig wäre, mich sogleich abzufertigen, so bitte ich, Euch nicht zu geniren.«

«Abermals ein Wort, das mir gefällt, «sprach Athos mit freundlichem Kopfnicken.»Er ist nicht ohne Geist und hat sicherlich Herz, «dachte er.»Mein Herr, ich liebe die Leute von Eurem Schlag, und sehe, daß ich, wenn wir einander nicht tödten, später ein großes Vergnügen an Eurer Unterhaltung finden werde. Wir wollen diese Herren abwarten, denn ich habe Zeit genug, und so wird es mehr in der Ordnung sein. Ah, ich glaube, da kommt einer!«

Am Ende der Rue de Vaugirard erschien wirklich der riesige Porthos.

«Wie, «rief d'Artagnan,»Euer erster Zeuge ist Herr Porthos?«—»Ja; ist Euch dies etwa unangenehm?«—»Nein, keineswegs.«—»Und hier ist der zweite.«— D'Artagnan wandte sich nach der von Athos bezeichneten Seite und erkannte Aramis.

«Wie!«rief er mit noch größerer Verwunderung,»Euer zweiter Zeuge ist Herr Aramis?«—»Allerdings; wißt Ihr nicht, daß man nie einen von uns ohne den Andern sieht, und daß man uns bei den Musketieren wie bei den Leibwachen, bei Hofe wie in der Stadt Athos, Porthos und Aramis, oder die drei Unzertrennlichen nennt? Da Ihr jedoch von Dax oder von Pau kommt…«—»Von Tarbes, «sagte d'Artagnan. — »So ist es Euch erlaubt, diese Dinge nicht zu wissen, «sprach Athos. — »Meiner Treu', «erwiederte d'Artagnan, man nennt Euch mit Recht so, und mein Abenteuer, wenn es einiges Aufsehen macht, wird wenigstens beweisen, daß Eure Verbindung nicht auf Contrasten beruht.«

Während dieser Zeit kam Porthos näher und begrüßte Athos mit der Hand. Dann blieb er, sich gegen d'Artagnan umwendend, sehr erstaunt stille stehen.

Beiläufig bemerken wir, daß er sein Wehrgehänge gewechselt und seinen Mantel abgelegt hatte.

«Ah! ah!«rief er,»was ist das?«—»Mit diesem Herrn schlage ich mich, «sprach Athos und deutete mit der Hand auf d'Artagnan. — »Ich schlage mich ebenfalls mit ihm, «sagte Porthos. — »Aber erst um ein Uhr, «erwiederte d'Artagnan. — »Und ich schlage mich auch mit diesem Herrn, «sagte Aramis, der in diesem Augenblick herankam.

«Aber erst um zwei Uhr, «entgegnete d'Artagnan mit derselben Ruhe.

«Doch sage mir, warum schlägst Du Dich, Athos?«fragte Aramis. — »Meiner Treu', ich weiß es nicht, er hat mir an der Schulter wehe gethan; und Du, Porthos?«—»Meiner Treu', ich schlage mich, weil ich mich schlage, «antwortete Porthos erröthend.

Athos, dem nichts entging, sah, wie sich ein feines Lächeln über die Lippen des Gascogners hinzog.

«Wir haben einen Toilettenstreit gehabt, «sagte der junge Mann.

«Und Du, Aramis?«fragte Athos.

«Ich schlage mich wegen eines theologischen Punktes, «antwortete Aramis und gab zugleich d'Artagnan ein Zeichen, durch das er ihn bat, die Ursache ihres Duells geheim zu halten.

Athos sah ein zweites Lächeln über d'Artagnans Lippen schweben.

«Wirklich?«sagte Athos.

«Ja, wegen des heiligen Augustin, über welchen wir verschiedener Meinung sind, «erwiederte der Gascogner.

«Das ist entschieden ein gescheidter Kerl, «murmelte Athos.

«Und nun, da Ihr beisammen seid, meine Herren, «sagte d'Artagnan,»erlaubt mir meine Entschuldigungen vortragen.«

Bei dem Worte Entschuldigungen zog eine Wolke über die Stirne von Athos hin; ein hochmüthiges Lächeln glitt über die Lippen von Porthos, und ein verneinendes Zeichen war die Antwort von Aramis.

«Ihr versteht mich nicht, meine Herren, «sagte d'Artagnan mit hochgehaltenem Haupt, auf welchem in diesem Augenblick ein Sonnenstrahl spielte, der die seinen, kecken Linien vergoldete.»Ich bitte Euch um Vergebung, falls ich nicht im Stande sein sollte, meine Schuld an alle drei abzutragen; denn Herr Athos hat das Recht, mich zuerst zu tödten, was Eurer Schuldforderung, Herr Porthos, viel von ihrem Werthe benimmt und die Eurige, Herr Aramis, beinahe zu nichte macht. Und nun, meine Herren, wiederhole ich, entschuldigt mich, aber nur in dieser Beziehung und ausgelegt!«

Nach diesen Worten zog d'Artagnan mit der ritterlichsten Geberde, die man sehen konnte, seinen Degen. Das Blut war ihm in den Kopf gestiegen und er hätte in diesem Augenblick seinen Degen gegen alle Musketiere des Königreichs gezogen, wie er es gegen Athos, Porthos und Aramis that.

Es war ein Viertel nach zwölf Uhr. Die Sonne stand in ihrem Zenith und die zum Schauplatz des Zweikampfes gewählte Stelle war völlig ihrer Gluth ausgesetzt.

«Es ist sehr warm, «sagte Athos, ebenfalls seinen Degen ziehend,»und dennoch kann ich mein Wamms nicht ablegen. Ich habe so eben gefühlt, daß meine Wunde blutet, und ich müßte den Herrn zu belästigen fürchten, wenn ich ihn Blut sehen ließe, dessen Fließen er nicht selbst veranlaßt hätte.«

«Das ist wahr, mein Herr, «sagte d'Artagnan,»und ich versichere Euch, daß ich, mag die Wunde durch mich oder durch einen Andern veranlaßt sein, stets mit Bedauern das Blut eines so braven Edelmanns sehen werde; ich werde mich also ebenfalls im Wamms schlagen.«

«Vorwärts!«rief Porthos,»genug der Artigkeiten! Bedenkt, daß wir warten, bis die Reihe an uns kommt.«

«Sprecht für Euch allein. Porthos, wenn Ihr solche Ungereimtheiten vorzubringen habt, «unterbrach ihn Aramis.»Ich für meine Person finde die Dinge, die sich diese Herren sagen, sehr gut gesagt und zweier Edelleute vollkommen würdig.«

«Wenns beliebt, mein Herr, «sprach Athos, sich auslegend.

«Ich erwarte Eure Befehle, «entgegnete d'Artagnan den Degen kreuzend.

Aber die zwei Raufdegen hatten kaum bei ihrer Berührung geklirrt, als eine Corporalschaft von der Leibwache Sr. Eminenz, befehligt von Herrn von Jussac, sich an der Ecke des Klosters zeigte.

«Die Leibwachen des Kardinals!«riefen Porthos und Aramis zugleich.»Den Degen in die Scheide, meine Herren, den Degen in die Scheide!«

Aber es war zu spät. Man hatte die zwei Kämpfenden in einer Stellung gesehen, welche keinen Zweifel über ihre Absichten zuließ.

«Halloh!«rief Jussac, indem er gegen sie zurückte und seinen Leuten ein Zeichen gab, dasselbe zu thun.»Halloh! Musketiere, man schlägt sich also hier? und die Edikte, wie steht es damit?«

«Ihr seid sehr edelmüthig, meine Herren Garden, «sagte Athos voll Groll, denn Jussac war einer von den vorgestrigen Angreifern.»Wenn wir sehen, daß Ihr Euch schlagt, so stehe ich Euch dafür, daß wir uns wohl hüten werden, Euch daran zu hindern. Laßt uns also gewähren, und Ihr sollt ein Vergnügen haben, das Euch gar keine Mühe kostet.«

«Meine Herren, «entgegnete Jussac,»zu meinem größten Bedauern erkläre ich Euch, daß dies unmöglich ist. Unsere Pflicht geht Allem vor. Steckt ein, wenns Euch beliebt, und folget uns.«

«Mein Herr, «sprach Aramis, Jussac parodirend,»mit größtem Vergnügen würden wir Eurer freundlichen Einladung Folge leisten, wenn es von uns abhinge, aber leider ist dies unmöglich. Herr von Treville hat es uns verboten. Geht also Eures Wegs, das ist das Beste, was Ihr thun könnt.«

Dieser Spott brachte Jussac außer sich.

«Wir greifen Euch an, «sprach er,»wenn Ihr nicht gehorcht.«

«Sie sind ihrer fünf, «sagte Athos mit leiser Stimme,»und wir sind nur zu drei; wir werden abermals geschlagen und müssen hier sterben, denn ich erkläre, daß ich als Besiegter mich nicht vor dem Kapitän blicken lasse.«

Athos, Porthos und Aramis traten sogleich näher zu einander, während Jussac seine Leute in Linie stellte.

Dieser einzige Augenblick genügte für d'Artagnan, seinen Entschluß zu fassen. War dies eines von den Ereignissen, welche über das Leben eines Menschen entscheiden, so war eine Wahl zwischen dem König und dem Kardinal zu treffen, und hatte er gewählt, so mußte er dabei beharren. Wenn er sich schlug, beging er einen Ungehorsam gegen das Gesetz, wagte seinen Kopf und machte sich auf einmal einen Minister zum Feind, der mächtiger war, als der König selbst. Dies begriff der junge Mann, und wir haben zu seinem Lobe zu erwähnen, daß er nicht eine Sekunde zögerte. Er wandte sich gegen Athos und seine Freunde und sagte:

«Ich habe an Euren Worten, wenn es erlaubt ist, etwas auszusetzen. Ihr sagtet, Ihr wäret nur zu drei, doch mir scheint es, wir sind unser vier.«

«Ihr gehört ja nicht zu den Unsern, «sprach Porthos.

«Allerdings, «entgegnete d'Artagnan, nicht dem Gewandte, aber dem Gemüthe nach. Mein Herz ist das eines Musketiers, das fühle ich wohl, meine Herren, und das reißt mich fort.«

«Entfernt Euch, junger Mann, «rief Jussac, der ohne Zweifel aus seinen Geberden und dem Ausdrucke seines Gesichtes die Absicht d'Artagnans errathen hatte.»Ihr könnt Euch zurückziehen, wir erlauben es. Rettet Eure Haut, geht geschwind.«

D'Artagnan wich nicht von der Stelle.

«Ihr seid entschieden ein herrlicher Junge, «sagte Athos, und drückte dem Gascogner die Hand.

«Vorwärts, vorwärts, entschließen wir uns, «sprach Jussac.

«Auf!«sagten Porthos und Aramis,»wir müssen etwas thun.«

«Ihr seid gar zu edelmüthig, «sprach Athos.

Alle drei zogen die Jugend d'Artagnans in Betracht und fürchteten seine Unerfahrenheit.

«Wir werden sammt dem Verwundeten nur unser drei sein, denn diesen Jungen können wir nicht rechnen, und dennoch wird es heißen, wir seien vier Mann hoch gewesen.«

«Ja, aber zurückweichen!«entgegnete Porthos. — »Das ist schwierig, «sagte Athos. — »Es ist unmöglich, «bemerkte Aramis.

D'Artagnan begriff ihre Unentschlossenheit.

«Meine Herren, stellt mich immerhin auf die Probe, «rief er,»und ich schwöre Euch bei meiner Ehre, daß ich nicht von dieser Stelle gehen will, wenn wir besiegt sind.«

«Wie heißt Ihr, mein Braver?«sagte Athos

«D'Artagnan, mein Herr.«

«Nun wohl, Athos, Porthos, Aramis und d'Artagnan, vorwärts!«rief Athos.

«Gut, meine Herren, Ihr habt Euch entschieden?«rief Jussac zum dritten Mal.

«Es ist geschehen, «entgegnete Athos.

«Und was gedenkt Ihr zu thun?«fragte Jussac.

«Wir werden die Ehre haben. Euch anzugreifen, «antwortete Aramis, indem er mit der einen Hand seinen Hut lüpfte und mit der andern den Degen zog.

«Ah! Ihr leistet Widerstand!«rief Jussac.

«Gottesblut! darüber wundert Ihr Euch?«

Und die neun Kämpfer stürzten auf einander mit einer Wuth los, welche eine gewisse Methode nicht ausschloß. Athos nahm einen gewissen Cahusac, den Liebling des Kardinals, auf sich; Porthos hatte Biscarat gegen sich, und Aramis sah sich zwei Feinden gegenüber gestellt. D'Artagnan hatte gegen Jussac zu kämpfen.

Das Herz des jungen Gascogner schlug, daß es ihm beinahe die Brust zersprengte, nicht aus Furcht, denn davon hatte er keinen Schatten, sondern aus Eifer; er kämpfte wie ein wüthender Tiger, drehte sich zehnmal um seinen Gegner und veränderte zwanzigmal seine Stellungen und sein Terrain. Jussac war, wie man es damals nannte, ein Freund der Klinge und hatte viel Uebung; aber nur mit der größten Mühe vermochte er sich gegen einen Widersacher zu wehren, der rasch und behend alle Augenblicke von den Regeln der Kunst abwich und von allen Seiten zugleich angriff, dabei aber wie ein Mensch parirte, der seiner Oberhaut die größte Umsicht widmet. Endlich verlor Jussac bei diesem Streit die Geduld; wütend darüber, daß er von einem Menschen im Schach gehalten wurde, den er für ein Kind angesehen hatte, erhitzte er sich und fing an, sich Blößen zu geben. D'Artagnan, der in Ermangelung der Praxis eine gründliche Theorie besaß, verdoppelte seine Thätigkeit. Jussac wollte der Sache ein Ende machen und führte einen furchtbaren Streich nach seinem Gegner: aber dieser parirte, und während Jussac sich wieder erhob, stieß er ihm, schlangenartig unter seinem Stahl hingleitend, den Degen durch den Leib. Jussac fiel wie eine träge Masse zu Boden.

D'Artagnan warf einen raschen, unruhigen Blick auf das Schlachtfeld.

Aramis hatte bereits einen von seinen Gegnern getödtet, aber der andere bedrängte ihn lebhaft. Doch war Aramis in einer guten Stellung und konnte sich noch vertheidigen.

Biscarat und Porthos hatten gleichzeitig gegen einander gestoßen. Porthos hatte einen Degenstich durch den Arm und Biscarat einen durch den Schenkel bekommen. Aber da weder die eine noch die andere Wunde bedeutend war, so fochten sie nur mit um so größerer Erbitterung.

Abermals von Cahusac verwundet, erbleichte Athos sichtbar, wich jedoch keinen Fußbreit zurück; er hatte nur den Degen in eine andere Hand genommen und schlug sich jetzt mit der linken.

D'Artagnan konnte nach den Duellgesetzen jener Zeit Einem beistehen; während er mit den Augen denjenigen von seinen Gefährten aufsuchte, der seiner Hülfe bedurfte, erhaschte er einen Blick von Athos. Dieser Blick war in hohem Grade beredt. Athos wäre lieber gestorben, als daß er um Hülfe gerufen hätte. Aber er konnte blicken und mit dem Blicke Unterstützung fordern. D'Artagnan errieth ihn. machte einen furchtbaren Sprung und fiel Cahusac mit dem Ruf in die Seite:

«Gegen mich, mein Herr Garde, oder ich tödte Euch!«

Cahusac wandte sich um, es war die höchste Zeit, Athos, den nur sein außerordentlicher Muth aufrecht erhalten hatte, fiel auf ein Knie.

«Gottes Blut!«rief er d'Artagnan zu,»tödtet ihn nicht, junger Mann, ich bitte Euch, ich habe eine alte Geschichte mit ihm abzumachen, wenn ich geheilt bin. Entwaffnet ihn nur, bindet ihm den Degen. So! so! gut! sehr gut!«

Dieser Ausruf wurde Athos dadurch entrissen, daß Cahusacs Degen zwanzig Fuß weit wegflog. D'Artagnan und Cahusac stürzten zugleich auf ihn zu, der Eine, um ihn wieder zu ergreifen, der Andere, um sich desselben zu bemächtigen. Aber d'Artagnan kam als der behendere zuerst an Ort und Stelle und setzte seinen Fuß darauf.

Cahusac lief nach demjenigen von den Garden, welchen Aramis getödtet hatte, bemächtigte sich seines Degens und wollte gegen d'Artagnan zurückgehen, aber auf seinem Wege begegnete er Athos, der während dieser kurzen Pause, die ihm d'Artagnan verschaffte, Athem geschöpft hatte und den Kampf wieder beginnen wollte, damit d'Artagnan ihm seinen Feind nicht tödten möchte.

D'Artagnan begriff, daß es eine Unhöflichkeit gewesen wäre, Athos nicht gewähren zu lassen. Nach einigen Sekunden stürzte Cahusac wirklich, die Kehle von einem Degenstiche durchbort, nieder. In diesem Augenblick setzte Aramis seinem niedergeworfenen Feinde den Degen auf die Brust und nöthigte ihn, um Gnade zu bitten.

Nun blieben noch Porthos und Biscarat übrig. Porthos erlaubte sich während des Kampfes tausenderlei Prahlereien, fragte Biscarat, wie viel Uhr es wohl sein möchte, und beglückwünschte ihn wegen der Kompagnie, welche sein Bruder bei dem Regiment Navarra bekommen hatte; aber er gewann Nichts mit diesen Spöttereien. Biscarat war einer von jenen Eisenmännern, welche nur fallen, wenn sie getödtet sind.

Es mußte indessen ein Ende gemacht werden. Die Wache konnte kommen, und alle Kämpfer, verwundete oder nicht verwundete, Royalisten oder Kardinalisten, verhaften. Athos, Aramis und d'Artagnan stellten sich um Biscarat und forderten ihn auf, sich zu ergeben. Obgleich allein gegen Alle mit einem Degenstich durch den Schenkel, wollte Biscarat Stand halten; aber Jussac, der sich auf seinen Ellenbogen erhoben hatte, rief ihm zu, er solle sich ergeben. Biscarat war ein Gascogner wie d'Artagnan. Er stellte sich taub, bezeichnete zwischen zwei Paraden eine Stelle auf dem Boden und sagte, einen Vers der Bibel parodirend:»Hier wird Biscarat sterben, der einzige von denen, die bei ihm sind!«

«Aber sie sind ihrer vier gegen Dich, endige, ich befehle es Dir!«

«Ah! wenn Du es befiehlst, dann ist es etwas Anderes, «erwiederte Biscarat;»da Du mein Brigadier bist, so muß ich Dir gehorchen.«

Und einen Sprung rückwärts machend, zerbrach er seinen Degen, um ihn nicht übergeben zu müssen, warf die Stücke über die Klostermauer und kreuzte, ein kardinalistisches Lied pfeifend, die Arme über der Brust.

Der Muth wird immer geachtet, selbst bei einem Feinde. Die Musketiere begrüßten Biscarat mit ihren Degen und steckten diese wieder in ihre Scheide. D'Artagnan that dasselbe und trug dann, unterstützt von Biscarat, welcher allein aufrecht geblieben war, Jussac, Cahusac und denjenigen von den Gegnern des Aramis, welcher nur eine Wunde bekommen hatte, unter die Klosterhalle. Der vierte war, wie gesagt, todt. Dann zogen sie an der Glocke und wanderten, nachdem vier Degen über fünf den Sieg davon getragen hatten, freudetrunken nach dem Hotel des Herrn von Treville. Man sah sie Arm in Arm die ganze Breite der Straße einnehmen und jeden Musketier, dem sie begegneten, herbeirufen, so daß am Ende ein wahrer Triumphzug daraus wurde. D'Artagnan's Herz schwamm in Seligkeit. Er ging zwischen Athos und Porthos, die er sanft an seinen Leib drückte.

«Wenn ich auch noch nicht wirklich Musketier bin, «sprach er zu seinen neuen Freunden, als er die Schwelle des Treville'schen Hotels überschritt,»so bin ich doch wenigstens als Lehrling aufgenommen, nicht wahr?«



VI. Seine Majestät König Ludwig der Dreizehnte

Diese Begebenheit machte großes Aufsehen. Herr von Treville äußerte sich laut sehr ungehalten über seine Musketiere und wünschte ihnen in der Stille Glück. Da aber keine Zeit zu verlieren war, um den König zu benachrichtigen, so begab er sich eiligst in den Louvre. Es war schon zu spät. Der König war mit dem Kardinal eingeschlossen; man sagte, er arbeite und könne in diesem Augenblick Niemand empfangen. Abends kam Herr von Treville zum Spiele des Königs. Der König gewann, und da Se. Majestät sehr geizig war, so war sie auch vortrefflicher Laune. Sobald der König Treville von fern erblickte, rief er ihm zu:»Kommt her, Herr Kapitän, daß ich Euch ausschelte; wißt Ihr, daß Se. Eminenz Eure Musketiere bei mir verklagt hat, und vor lauter Aerger krank geworden ist? Ei, ei, es sind doch leibhaftige Teufel, wahre Galgenstricke, Eure Musketiere!«

«Nein, Sire, «erwiederte Treville, der mit dem ersten Blick bemerkte, welche Wendung die Sache nahm,»nein, sie sind im Gegentheil ganz gute, lammfromme Jungen, und ich hafte dafür, daß sie keinen andern Wunsch hegen, als daß ihr Degen nur im Dienste Eurer Majestät aus der Scheide komme. Aber was wollt Ihr? die Leibwachen des Herrn Kardinals suchen unablässig Streit mit ihnen, und für die Ehre des Korps sehen sich die armen jungen Leute zur Verteidigung genöthigt.«

«Hört Herrn von Treville!«sagte der König,»hört ihn! Sollte man nicht glauben, er spreche von einer religiösen Gemeinschaft? In der That, mein lieber Kapitän, ich habe Lust, Euch Euer Patent abzunehmen und es Fräulein von Chemerault zu geben, der ich eine Abtei zugesagt habe. Hoffet aber nicht, daß ich Euch aufs Wort glauben werde. Man nennt mich Ludwig den Gerechten, und wir werden sogleich sehen!«

«Gerade, weil ich auf diese Gerechtigkeit baue, Sire, erwarte ich ruhig und geduldig, was Ew. Majestät beliebt.«

«Wartet immerhin, wartet immerhin, ich werde Euch nicht lange warten lassen, «sprach der König.

Das Glück nahm wirklich eine Wendung, und da der König seinen Gewinn zu verlieren anfing, so war es ihm nicht unangenehm, daß er einen Vorwand erhielt, um — man entschuldige den Spielerausdruck, dessen Ursprung wir nicht kennen — um Karl den Großen zu machen. Der König stand bald auf, steckte das Gold, das vor ihm lag und zum größeren Theil von seinem Gewinn herrührte, in die Tasche und sagte:

«Vieuville, nehmt meinen Platz ein: ich habe in wichtigen Angelegenheiten mit Herrn von Treville zu verhandeln. Ah… ich hatte achtzig Louisd'or vor mir. Legt dieselbe Summe auf, damit diejenigen, welche verloren haben, sich nicht beklagen können. Vor Allem Gerechtigkeit. «Dann wandte er sich gegen Herrn von Treville, ging mit ihm nach einer Fenstervertiefung und fuhr fort:

«Nun, mein Herr, Ihr sagt, die Leibwachen Sr. Eminenz haben Streit mit Euren Musketieren angefangen?«

«Ja, Sire, wie immer.«

«Und wie kam das? sprecht, denn Ihr wißt, mein lieber Kapitän, ein Richter muß alle Parteien hören.«

«Ach! mein Gott! auf die einfachste und natürlichste Weise. Drei meiner besten Soldaten, welche Ew. Majestät dem Namen nach kennt, und deren Ergebenheit Ihr mehr als einmal gewürdigt habt, denn ich kann den König versichern, daß ihnen ihr Dienst sehr am Herzen liegt; drei von meinen besten Soldaten, sage ich, die Herren Athos, Porthos und Aramis, machten eine Lustpartie mit einem Junker aus der Gascogne, den ich ihnen an demselben Morgen empfohlen hatte. Die Partie sollte, wie ich glaube, in Saint-Germain stattfinden, und sie hatten sich bei den Karmeliter-Barfüßern zusammenbestellt, als sie von Herrn von Jussac, den Herren Cahusac und Biscarat und zwei anderen Leibwachen gestört wurden, welche gewiß nicht ohne eine schlimme Absicht gegen die Edikte in so zahlreicher Gesellschaft dahin kamen.«

«Ah! ah! Ihr bringt mich auf den Gedanken, sie haben die Absicht gehabt, sich selbst zu schlagen.«

«Ich klage sie nicht an, Sire, aber ich überlasse es Ew. Majestät zu bedenken, was fünf bewaffnete Männer an einem so öden, verlassenen Orte, wie die Umgegend des Barfüßerklosters ist, thun können.«

«Ja, Ihr habt Recht, Treville, Ihr habt Recht.«

«Als sie meine Musketiere erblickten, gaben sie sodann ihren Plan auf und vergaßen ihren Privathaß über dem Korpshaß; denn es ist Ew. Majestät nicht unbekannt, daß die Musketiere, die ganz und gar nur dem Könige angehören, die natürlichen Feinde der Leibwachen sind, welche dem Herrn Kardinal angehören.«

«Ja, Treville, ja, «sagte der König schwermüthig, es ist sehr traurig, glaubt mir, in Frankreich zwei Parteien, zwei Köpfe des Königthums zu sehen, aber dies Alles soll ein Ende nehmen. Ihr sagt also, die Leibwachen haben Streit mit den Musketieren gesucht?«

«Ich sage, daß die Sache wahrscheinlich so gegangen ist, aber ich schwöre nicht, Sire. Ihr wißt, wie schwer es ist, die Wahrheit zu erkennen, und wenn man nicht mit dem bewunderungswürdigen Instinkte begabt ist, der Ludwig XIII. den Beinamen» der Gerechte «erworben hat…«

«Und Ihr habt Recht, Treville; aber Eure Musketiere waren nicht allein, es befand sich noch ein Junge bei ihnen.«

«Ja, Sire, und ein verwundeter Mann, so daß drei Musketiere des Königs, worunter ein Verwundeter, und ein Junge nicht allein gegen fünf der furchtbarsten Leibwachen des Herrn Kardinals Stand gehalten, sondern auch vier von ihnen zur Erde niedergestreckt haben.«

«Aber das ist ja ein wahrer Sieg!«rief der König ganz strahlend;»ein vollständiger Sieg!«

«Ja, Sire, eben so vollständig als der vom Pont de Ce!«»Vier Mann, worunter ein Verwundeter und ein Junge, sagt Ihr?«

«Kaum ein Jüngling, der sich bei dieser Gelegenheit so vortrefflich benommen hat, daß ich mir die Freiheit nehme, denselben Ew. Majestät zu empfehlen.«

«Wie heißt er?«

«D'Artagnan, Sire. Er ist der Sohn eines meiner ältesten Freunde; der Sohn eines Mannes, der mit Euerem königlichen Vater glorreichen Andenkens manchen Krieg mitgemacht hat.«

«Und Ihr sagt, dieser junge Mensch habe sich gut benommen? Erzählt mir das, Treville; Ihr wißt, ich liebe Erzählungen von Krieg und Kämpfen.«

Und der König richtete sich auf und strich sich stolz den Schnurrbart in die Höhe.

«Sire, «erwiederte Treville,»Herr d'Artagnan ist, wie ich Euch gesagt habe, beinahe noch ein Kind, uns da er nicht die Ehre hat, Musketier zu sein, so trug er bürgerliche Kleidung; als die Leibwachen des Herrn Kardinals erkannten, wie jung er war und daß er nicht zu dem Korps gehörte, so forderten sie ihn auf, sich zurückzuziehen, ehe sie angreifen würden.«—»Ihr seht also, Treville, «unterbrach ihn der König,»daß sie der angreifende Theil gewesen sind.«—»Allerdings, Sire, es unterliegt keinem Zweifel mehr; sie forderten ihn also auf, sich zu entfernen, er aber antwortete, er sei seinem Herzen nach Musketier und gehöre ganz und gar Seiner Majestät, werde also bei den Herren Musketieren bleiben.«—»Wackrer Jüngling!«murmelte der König. — »Er blieb in der That bei ihnen, und Ew. Majestät hat einen so festen Kämpen an ihm, daß er es war, der Jussac den furchtbaren Degenstich beibrachte, worüber der Herr Kardinal so sehr erbost ist.«—»Er hat Jussac verwundet?«rief der König;»dieser Junge! das ist unmöglich, Treville.«—»Es ist, wie ich Ew. Majestät zu sagen die Ehre habe.«—»Jussac, einer der besten Degen des Königreichs!«—»Wohl, Sire, er hat seinen Meister gefunden.«—»Ich will diesen jungen Menschen sehen, Treville, ich will ihn sehen, und wenn man etwas für ihn thun kann, nun, wir werden sorgen.«—»Wann wird Ew. Majestät denselben zu empfangen geruhen?«—»Morgen um die Mittagsstunde, Treville.«—»Soll ich ihn allein bringen?«—»Nein, bringt mir alle vier miteinander. Ich will allen zugleich danken; ergebene Männer sind selten, Treville, und man muß die Ergebenheit belohnen. — »Um die Mittagsstunde werden wir im Louvre sein.«—»Ah! über die kleine Treppe, Treville, über die kleine Treppe, der Kardinal braucht es nicht zu erfahren…«—»Sehr wohl, Sire.«—»Ihr versteht, Treville, ein Edikt bleibt immer ein Edikt, und es ist am Ende verboten, sich zu schlagen.«—»Aber dieses Zusammentreffen, Sire, liegt ganz außerhalb der gewöhnlichen Bedingungen des Duells, es ist ein Streit, und es dient überdies zum Beweis, daß fünf Leibwachen des Kardinals gegen meine drei Musketiere und Herrn d'Artagnan waren.«—»Das ist richtig, «sprach der König,»aber gleich viel, kommt immerhin über die kleine Treppe.«

Treville lächelte; da es aber schon viel war, daß er dieses Kind dazu gebracht hatte, sich gegen den Gebieter aufzulehnen, so verbeugte er sich ehrfurchtsvoll vor dem König und verabschiedete sich mit dessen Erlaubnis.

Schon an demselben Abend wurden die drei Musketiere von der ihnen vergönnten Ehre benachrichtigt. Da sie den König schon seit langer Zeit kannten, so geriethen sie dadurch nicht besonders ins Feuer, aber d'Artagnan mit seiner gascognischen Einbildungskraft erblickte darin sein zukünftiges Glück und brachte die Nacht in goldenen Träumen hin. Schon um acht Uhr Morgens war er bei Athos.

D'Artagnan fand den Musketier ganz angezogen und zum Ausgehen bereit. Da man sich erst zur Mittagsstunde bei dem König einzufinden hatte, so beabsichtigte er mit Porthos und Athos eine Partie in einem, nahe bei den Ställen des Luxembourg liegenden Ballhause zu machen. Athos lud d'Artagnan ein, ihn zu begleiten, und obgleich er dieses Spiel nicht kannte, an dem er nie Theil genommen hatte, willigte dieser doch in den Vorschlag ein, da er nicht wußte, was er von neun Uhr Morgens bis Mittag mit seiner Zeit machen sollte.

Die zwei Musketiere waren schon eingetroffen und spielten mit einander zum Zeitvertreib, ohne die Regeln zu beobachten. Athos, der in allen körperlichen Hebungen sehr stark war, stellte sich ihnen mit d'Artagnan gegenüber und forderte sie heraus. Aber bei seiner ersten Bewegung bemerkte er, obgleich er mit der linken Hand spielte, daß seine Wunde noch zu neu war, um ihm eine solche Uebung zu gestatten. D'Artagnan blieb also allein, und da er sich für zu ungeschickt erklärte, um eine regelmäßige Partie aufrecht zu erhalten, so fuhr man fort, sich Bälle zuzusenden, ohne das Spiel zu berechnen. Aber einer von den Bällen flog, von der herkulischen Faust von Porthos geschleudert, so nahe an d'Artagnans Gesicht vorüber, daß, wenn er ihn getroffen hätte, statt an ihm vorbei zu schießen, seine Audienz verloren gewesen wäre, weil ihn dieser ohne allen Zweifel in die Unmöglichkeit versetzt hätte, vor dem König zu erscheinen. Da nun seiner gascognischen Einbildungskraft zu Folge von dieser Audienz seine ganze Zukunft abhing, so verbeugte er sich höflich vor Porthos und Aramis und erklärte, er würde die Partie nicht eher aufnehmen, als bis er im Stande wäre, ihnen Widerstand zu leisten, worauf er seinen Platz auf der Gallerie nahm.

Unglücklicher Weise befand sich unter den Zuschauern ein Mann von der Leibwache Sr. Eminenz, der, noch ganz grimmig über die Niederlage, die seine Kameraden am Tage vorher erlitten hatten, fest entschlossen war, die erste Gelegenheit zu ergreifen, um Rache zu nehmen. Er meinte, diese Gelegenheit biete sich ihm, und sagte, sich an seinen Nachbar wendend:

«Man darf sich nicht wundern, daß dieser junge Mensch vor einem Ball bange hat: er ist ohne Zweifel ein Musketier-Lehrling.«

D'Artagnan drehte sich um, als ob ihn eine Schlange gestochen hätte, und schaute den Mann, der das kecke Wort gesprochen, fest an.

«In Gottes Namen!«fuhr dieser, seinen Knebelbart auf eine freche Weise kräuselnd fort,»schaut mich an, so lange Ihr wollt, mein kleiner Herr; was ich gesagt habe, habe ich gesagt.«—»Und da das, was Ihr gesagt habt, zu klar ist, um einer Erläuterung zu bedürfen, so bitte ich Euch, mir zu folgen, «antwortete d'Artagnan mit dumpfer Stimme. — »Wann dies?«fragte der Garde mit derselben spöttischen Miene. — »Sogleich, wenn es Euch gefällig ist.«—»Und Ihr wißt ohne Zweifel, wer ich bin?«—»Ich, ich weiß es nicht und kümmere mich auch nicht darum.«—»Ihr habt Unrecht, denn wenn Ihr meinen Namen wüßtet, wäret Ihr vielleicht minder eilig.«—»Wie heißt Ihr?«—»Bernajoux, Euch zu dienen.«—»Wohl, mein Herr Bernajoux, «erwiederte d'Artagnan ruhig,»ich will Euch vor der Thüre erwarten.«—»Geht, Herr, ich folge Euch.«—»Beeilt Euch nicht zu sehr, mein Herr, damit man nicht gewahr wird, daß wir mit einander gehen; Ihr begreift, daß bei unserem Geschäfte zu viele Menschen lästig wären.«—»Ganz gut, «antwortete der Garde, erstaunt, daß sein Name keine größere Wirkung auf den jungen Menschen hervorgebracht hatte.

Der Name Bernajoux war m der That Jedermann bekannt, d'Artagnan allein vielleicht ausgenommen; denn er war einer von denjenigen, die am häufigsten bei den täglichen Streitigkeiten vorkamen, welche alle Edikte des Königs und des Kardinals nicht zu unterdrücken im Stande gewesen waren.

Porthos und Aramis waren so sehr mit ihrer Partie beschäftigt, und Athos schaute ihnen mit so viel Aufmerksamkeit zu, daß sie nicht einmal ihren jungen Gefährten hinausgehen sahen, der, wie er zu dem Gardisten Sr. Eminenz gesagt hatte, vor der Thüre wartete; nach einem Augenblick folgte ihm Bernajoux. Da d'Artagnan keine Zeit zu verlieren hatte, indem die Audienz bei dem König auf die Mittagsstunde bestimmt war, so schaute er um sich und sagte zu seinem Gegner, als er keinen Menschen auf der Straße erblickte:

«Meiner Treu, es ist ein Glück für Euch, obgleich Ihr Bernajoux heißt, daß Ihr es nur mit einem Musketier-Lehrling zu thun habt; seid indessen ruhig, ich werde mir alle Mühe geben. Legt Euch aus!«—»Ei, «erwiederte der Mann, den d'Artagnan auf diese Art herausforderte,»mir scheint dieser Platz sehr schlecht gewählt, wir wären viel besser hinter der Abtei Saint-Germain oder auf der Schreiberwiese.«—»Was Ihr da sagt, ist sehr verständig, «entgegnete d'Artagnan;»aber leider kann ich nur über wenig Zeit verfügen, da ich gerade um 12 Uhr ein Rendezvous habe. Ausgelegt also, mein Herr, ausgelegt!«

Bernajoux war nicht der Mann, der eine solche Aufforderung zweimal an sich ergehen ließ. In demselben Augenblick glänzte sein Degen in seiner Hand und er fiel gegen seinen Widersacher aus, den er bei seiner großen Jugend leicht einzuschüchtern hoffte.

Aber d'Artagnan hatte den Tag vorher seine Lehre gemacht, und ganz frisch geschliffen durch seinen Sieg, ganz aufgeblasen von seinem zukünftigen Glücke, war er entschlossen, keine Hand breit zurückzuweichen: die zwei Degen waren auch sogleich gebunden, und da d'Artagnan fest auf seiner Stelle blieb, so machte sein Gegner einen Schritt rückwärts. Aber d'Artagnan ergriff den Augenblick, wo bei dieser Bewegung die Klinge von Bernajoux von der Linie abwich, machte seine Klinge los, führte einen Hieb von oben herunter und traf seinen Gegner in die Schulter. Sogleich machte d'Artagnan seiner Seits einen Schritt zurück und hob seinen Degen in die Höhe, aber Bernajoux rief ihm zu, es sei nichts, stürzte wie blind auf ihn los und rannte sich selbst in den Degen seines Feindes. Da er indessen nicht fiel, da er sich nicht für besiegt erklärte, sondern nur seine Stellung mehr nach dem Hotel des Herrn de la Tremouille zu nahm, in dessen Diensten er einen Verwandten hatte, so bedrängte ihn d'Artagnan, welcher nicht wußte, wie schwer sein Gegner verwundet war, auf das lebhafteste und hätte ihm ohne Zweifel mit einem dritten Streiche den Garaus gemacht, als auf das Geräusch, welches von der Straße bis zu dem Ballspiele hinausdrang, zwei von den Freunden des Gardisten, welche ihn einige Worte mit d'Artagnan wechseln und in Folge dessen hinausgehen gesehen hatten, mit dem Degen in der Faust aus dem Ballhause stürzten und über den Sieger herfielen. Aber sogleich erschienen Athos, Porthos und Aramis ebenfalls und nöthigten die zwei Leibwachen in dem Augenblick, wo sie ihren jungen Kameraden angriffen, zum Rückzug. Jetzt fiel Bernajoux zu Boden, und da die Leibwachen nur zu zwei gegen vier waren, so schrieen sie:»Zu Hülfe, Hotel de la Tremouille!«Auf dieses Geschrei lief Alles, was sich in dem Hotel befand, heraus und fiel über die vier Kameraden her, welche ihrerseits:»Uns zu Hülfe Musketiere!«zu schreien anfingen.

Dieser Ruf fand in der Regel Gehör, denn man kannte die Musketiere als Feinde Sr. Eminenz und liebte sie wegen ihres Hasses gegen den Kardinal. Auch ergriffen die Leibwachen der Compagnien, welche nicht dem Herzog Roth gehörten, wie ihn Aramis genannt hatte, in der Regel bei diesen Streitigkeiten Partei für die Musketiers des Königs. Von drei Gardisten von der Compagnie des Herrn des Essarts, welche vorübergingen, kamen also zwei den vier Kameraden zu Hülfe, während der andere nach dem Hotel des Herrn von Treville lief und daselbst:»Zu Hülfe, Musketiere, uns zu Hülfe!«rief. Da gewöhnlich das Hotel des Herrn von Treville voll von Soldaten dieser Waffe war, welche ihren Kameraden schnell zu Hülfe eilten, so wurde das Gefecht allgemein, aber die Oberhand blieb auf der Seite der Musketiere; die Leibwachen des Kardinals und die Leute des Herrn de la Tremouille zogen sich in das Hotel zurück, dessen Thore sie noch zeitig genug schlössen, um ihre Feinde zu verhindern, daß sie mit ihnen einbrachen. Den Verwundeten hatte man gleich Anfangs und zwar, wie gesagt, in sehr schlimmem Zustand weggebracht.

Die Aufregung hatte unter den Musketieren und ihren Verbündeten den höchsten Grad erreicht, und man berathschlagte bereits, ob man nicht, um die Unverschämtheit der Bedienten des Herrn de la Tremouille zu bestrafen, welche einen Ausfall auf die Musketiere des Königs zu machen gewagt hatten, Feuer an das Hotel legen sollte. Ein Vorschlag zu diesem Ende wurde gemacht und mit Begeisterung aufgenommen, als es zum Glück elf Uhr schlug; d'Artagnan und seine Gefährten erinnerten sich ihrer Audienz, und da sie es bedauert hätten, wenn ein so schöner Streich ohne sie ausgeführt worden wäre, so suchten sie die Köpfe zu beschwichtigen, was ihnen auch gelang. Man begnügte sich, einige Pflastersteine an die Thore zu werfen, aber diese widerstanden und man war der Sache müde; überdieß hatten diejenigen, welche man als Anführer des Unternehmens betrachten mußte, seit einigen Augenblicken die Gruppe verlassen und gingen nach dem Hotel des Herrn von Treville zu, der sie, bereits von diesem neuen Handgemenge unterrichtet, erwartete.

«Rasch in den Louvre, «sagte er,»in den Louvre, ohne einen Augenblick zu verlieren, wir müssen den König zu sehen suchen, ehe uns der Kardinal zuvorgekommen ist; wir erzählen ihm die Sache als eine Folge der gestrigen Angelegenheit, und Beides wird zugleich durchgehen.«

Herr von Treville begab sich in Begleitung der vier jungen Leute nach dem Louvre, aber mit großem Erstaunen vernahm der Kapitän der Musketiere, der König sei nach dem Walde von Saint-Germain auf die Hirschjagd gezogen. Herr von Treville ließ sich diese Nachricht zweimal wiederholen, und jedes Mal bemerkten seine Gefährten, wie sich sein Antlitz verdüsterte.

«Hatte Se. Majestät schon gestern die Absicht, diese Jagd zu machen?«fragte er.

«Nein, Ew. Excellenz, «antwortete der Kammerdiener,»der Oberjäger meldete diesen Morgen, man habe in vergangener Nacht einen Hirsch zu Sr. Majestät Vergnügen bestellt. Anfangs antwortete der König, er werde nicht gehen, aber er konnte der Lust nicht widerstehen, die ihm diese Jagd gewähren sollte, und er entfernte sich nach dem Frühstück!«

«Und hat der König den Kardinal gesehen?«fragte Herr von Treville.

«Aller Wahrscheinlichkeit nach, «antwortete der Kammerdiener,»denn ich habe heute früh den Wagen Sr. Eminenz angespannt gesehen; ich fragte, wohin sie ginge, und man antwortete mir: nach Saint Germain.«

«Man ist uns zuvorgekommen, «sagte Herr von Treville.»Meine Herren, ich werde den König diesen Abend sprechen; Euch aber rathe ich nicht, Euch dahin zu wagen.«

Dieser Rath war zu vernünftig und kam überdies von einem Manne, der den König zu gut kannte, als daß die vier jungen Leute ihn zu bekämpfen gesucht hätten. Herr von Treville forderte sie auf, nach Hause zu gehen und Nachricht von ihm zu erwarten.

In sein Hotel zurückgekehrt, bedachte jedoch Herr von Treville, daß es für ihn das Klügste wäre, zuerst Klage zu führen. Er schickte deßhalb einen seiner Bedienten zu Herrn de la Tremouille mit einem Brief, worin er ihn bat, die Leibwache des Herrn Kardinals aus seinem Hause zu entfernen und seinen Leuten einen Verweis darüber zu geben, daß sie die Frechheit gehabt hätten, einen Ausfall gegen die Musketiere zu machen. Aber bereits durch seinen Stallmeister unterrichtet, mit dem Bernajoux, wie man weiß, verwandt war, ließ ihm Herr de la Tremouille antworten, es sei weder an Herrn von Treville, noch an seinen Musketieren, sich zu beklagen, sondern im Gegenteil an ihm, dessen Leute von den Musketieren angegriffen und verwundet worden seien und dem sie sein Hotel hätten in Brand stecken wollen. Da jedoch der Streit zwischen diesen beiden hohen Herren lange hätte dauern können, indem natürlich jeder auf seiner Meinung beharren mußte, so ersann Herr von Treville ein Auskunftsmittel, durch das er die ganze Sache zu beendigen beabsichtige; es bestand darin, Herr de la Tremouille selbst aufzusuchen.

Er begab sich also sogleich in sein Hotel und ließ sich melden.

Die zwei Herren begrüßten sich sehr höflich, denn wenn auch keine Freundschaft unter ihnen bestand, so achteten sie sich doch gegenseitig. Beide waren Männer von Herz und Ehre, und da Herr de la Tremouille, ein Protestant, den König nur selten sah und keiner Partei angehörte, so erfaßte er seine gesellschaftlichen Verhältnisse gewöhnlich ohne Vorurtheil. Diesmal war jedoch sein Empfang, obgleich höflich, kälter als in Regel.

«Mein Herr, «sagte Herr von Treville,»jeder von uns glaubt, er habe sich über den andern zu beklagen, und ich bin gekommen, damit wir diese Angelegenheit gemeinschaftlich ins Reine bringen.«—»Gerne, «erwiederte Herr de la Tremouille,»aber ich habe Euch zu bemerken, daß ich gut unterrichtet bin, und daß alles Unrecht auf Seiten Eurer Musketiere zu suchen ist.«—»Ihr seid ein zu vernünftiger und gerechter Mann, mein Herr, «sagte Herr vom Treville,»um den Vorschlag nicht anzunehmen, den ich Euch machen will.«—»Macht ihn, ich höre.«—»Wie geht es Herrn Bernajoux, dem Vetter Eures Stallmeisters?«—»Sehr schlecht; außer dem nicht besonders gefährlichen Degenstich, den er in den Arm bekommen hat, ist ihm noch ein anderer durch die Lunge beigebracht worden, und der Arzt prophezeit das Schlimmste.«—»Hat der Verwundete sein Bewußtsein behalten?«—»Vollkommen.«—»Spricht er?«—»Mit einer Schwierigkeit, aber er spricht.«—»Nun gut, mein Herr, gehen wir zu ihm. Beschwören wir ihn im Namen Gottes, vor den er vielleicht bald gerufen wird, die Wahrheit zu sagen. Er soll Richter in seiner eigenen Sache sein, und was er sagt, werde ich glauben.«

Herr de la Tremouille überlegte einen Augenblick und willigte dann ein, da man nicht wohl einen billigeren Vorschlag machen konnte.

Beide gingen in das Zimmer hinab, wo der Verwundete lag. Als dieser die edlen Herren eintreten sah, versucht er es, sich auf seinem Bette zu erheben, aber er war zu schwach, und erschöpft durch diese kurze Anstrengung fiel er beinahe bewußtlos zurück.

Herr de la Tremouille näherte sich ihm und ließ ihn an flüchtigen Salzen riechen, die ihn wieder ins Leben zurückriefen. Herr von Treville forderte Herrn de la Tremouille auf, den Kranken selbst zu fragen, damit man ihn nicht beschuldigen könne, er habe einen Einfluß auf denselben ausgeübt.

Es geschah, was Herr von Treville vorhergesehen hatte. Zwischen das Leben und den Tod gestellt, dachte Bernajoux nicht einen Augenblick daran, die Wahrheit zu verschweigen, und erzählte den zwei Herren den Vorfall ganz genau, wie er sich ereignet hatte.

Das war Alles, was Herr von Treville haben wollte; er wünschte Bernajoux eine baldige Wiedergenesung, nahm von Herrn de la Tremouille Abschied, kehrte sogleich in sein Hotel zurück und ließ die vier Freunde benachrichtigen, daß er sie zum Mittagessen erwarte.

Herr von Treville empfing sehr gute, jedoch antikardinalistische Gesellschaft. Man begreift leicht, daß sich das Gespräch während des ganzen Mittagessens um die beiden Niederlagen drehte, welche die Leibwachen Sr. Eminenz erlitten hatten. Da nun d'Artagnan der Held dieser zwei Tage gewesen war, so fielen ihm alle Glückwünsche zu, die ihm Athos, Porthos und Aramis nicht nur als gute Kameraden, sondern auch als Männer überließen, an denen die Reihe in dieser Beziehung schon oft genug gewesen war.

Gegen sechs Uhr äußerte Herr von Treville, er sei verpflichtet, sich nach dem Louvre zu begeben: da jedoch die von Sr. Majestät bewilligte Audienzstunde vorüber war, stellte er sich, statt den Eingang bei der kleinen Treppe zu fordern, mit den vier jungen Leuten im Vorzimmer auf. Der König war noch nicht von der Jagd zurückgekommen. Unsere jungen Leute warteten, unter die Schaar der Höflinge gemischt, kaum eine halbe Stunde, als sich alle Thüren öffneten und man den König ankündigte.

Bei dieser Ankündigung bebte d'Artagnan bis in das Mark seiner Knochen. Der nächstfolgende Augenblick sollte aller Wahrscheinlichkeit nach über sein ganzes Leben entscheiden. Seine Augen waren voll Furcht auf die Thüre geheftet, durch welche Se. Majestät eintreten mußte.

Ludwig XIII. erschien zuerst in dem Vorzimmer. Er trug ein noch ganz bestaubtes Jagdgewand, hatte große Stiefel an und hielt eine Peitsche in der Hand. Auf den ersten Blick erkannte d'Artagnan, daß im Geiste des Königs ein Sturm tobte.

So sichtbar auch diese Stimmung bei Sr. Majestät war, so hielt sie die Höflinge doch nicht ab, sich in den königlichen Vorgemächern an seinem Weg aufzustellen. Für sie ist es immer noch besser, mit einem zornigen Auge, als gar nicht gesehen zu werden. Die drei Musketiere zögerten also nicht und traten einen Schritt vor, während d'Artagnan im Gegentheil hinter ihnen verborgen blieb. Aber obgleich der König Athos, Porthos und Aramis persönlich kannte, ging er doch an ihnen vorüber, ohne sie anzuschauen, ohne mit ihnen zu sprechen, als ob er sie nie gesehen hätte. Als die Augen des Königs sich einen Moment auf Herrn von Treville hefteten, hielt dieser den Blick mit solcher Festigkeit aus, daß der König sein Gesicht abwandte, worauf Se. Majestät unter fortwährendem Gemurre sich in ein inneres Gemach zurückzog.

«Die Sache steht schlimm, «sagte Athos lächelnd,»und man wird uns diesmal noch nicht zu Ordensrittern machen.«

«Wartet hier zehn Minuten, «sprach Herr von Treville,»und wenn Ihr mich nach Ablauf dieser Zeit nicht herauskommen seht, so kehrt in mein Hotel zurück, denn es ist unnütz, daß Ihr dann länger hier verweilt.«

Die jungen Leute warteten zehn Minuten, eine Viertelstunde, zwanzig Minuten; als sie sahen, daß Herr von Treville nicht wieder erschien, entfernten sie sich, sehr unruhig über das, was geschehen würde.

Herr von Treville war keck in das Kabinet des Königs getreten und hatte Se. Majestät, in einem Fauteuil sitzend und mit dem Griffe seiner Peitsche auf seine Stiefel klopfend, in sehr übler Laune gefunden, was ihn nicht abhielt, den König mit dem größten Phlegma nach seinem Befinden zu fragen.

«Es steht schlecht, mein Herr, sehr schlecht, «erwiederte der König, «ich langweile mich.«

Dies war in der That die schlimmste Krankheit Ludwigs XIII., der häufig einen seiner Höflinge am Arme nahm, in ein Fenster zog und zu ihm sagte: Mein Herr So und So, langweilen wir uns mit einander.«

«Wie! Ew. Majestät langweilt sich, «sprach Herr von Treville,»habt Ihr heute nicht das Vergnügen der Jagd genossen?«

«Ein schönes Vergnügen! auf meine Ehre, ganz entartet, und ich weiß nicht, ob das Wild keine Fährte mehr hat oder ob die Hunde keine Nase mehr haben. Wir treiben einen Zehnender auf, wir reiten ihm sechs Stunden nach, und als er eben im begriff ist, Halt zu machen, als Simon eben das Horn an den Mund setzen will, um Halali zu blasen, krack! verschlägt die ganze Meute die Spur und schießt einem Spießer nach. Ihr werdet sehen, daß ich genöthigt bin, auf diese Jagd Verzicht zu leisten, wie ich auf die Beize verzichtet habe. Ach! ich bin ein sehr unglücklicher König, Herr von Treville, ich hatte nur noch einen Geierfalken, er ist vorgestern gestorben.«

«In der That, Sire, ich begreife Eure Verzweiflung, und das Unglück ist groß, aber ich denke, es bleibt Euch noch eine gute Anzahl von Falken und Sperbern übrig.«

«Und kein Mensch, um sie abzurichten; die Falkeniere verschwinden und nur ich allein verstehe noch die Kunst der Jägerei. Nach mir wird Alles aus sein, und man wird nur noch mit Fuchs- und Marderfallen jagen. Wenn ich noch Zeit hätte, Schüler zu bilden! Aber nein, da ist der Herr Kardinal, der mir nicht einen Augenblick Ruhe läßt, der mir von Spanien vorschwatzt! von Oestreich, von England! á propos Kardinal, Herr von Treville, ich bin unzufrieden mit Euch.«

Herr von Treville erwartete den König auf dieser Stelle; er kannte ihn von lange her, er wußte, daß alle diese Klagen nur eine Vorrede, nur eine Art von Aufregung waren, um sich selbst zu ermuthigen, und daß er dahin kommen wollte, wohin er endlich gelangt war.

«Und wodurch habe ich das Unglück gehabt, Ew. Majestät zu mißfallen?«fragte Herr von Treville, das tiefste Erstaunen heuchelnd. — »Erfüllt Ihr auf diese Weise Eure Aufgabe, mein Herr?«fuhr der König fort, ohne unmittelbar auf die Frage des Herrn von Treville zu antworten;»habe ich Euch dafür zum Kapitän meiner Musketiere ernannt, daß sie einen Menschen ermorden, ein ganzes Quartier in Aufruhr bringen und Paris niederbrennen wollen, ohne daß Ihr mir ein Wort davon sagt? Doch während ich mich ereifere. Euch anzuklagen, «fuhr der König fort,»sitzen die Ruhestörer ohne Zweifel bereits im Gefängniß, und Ihr kommt, um mir anzuzeigen, daß Gerechtigkeit gepflogen worden ist.«—»Sire, «antwortete Herr von Treville ruhig,»ich komme im Gegentheil, um diese von Euch zu verlangen.«—»Und gegen wen?«rief der König. — »Gegen die Verleumder, «sprach Herr von Treville. — »Ah! das ist doch ganz neu, «versetzte der König.»Werdet Ihr mir nicht zugestehen, daß sich Eure drei verdammten Musketiere, Athos, Porthos und Aramis und Euer Junker von Bearn wie Wüthende auf den armen Bernajoux geworfen und denselben dergestalt mißhandelt haben, daß er wahrscheinlich noch in dieser Stunde verscheiden wird? Werdet Ihr nicht zugeben, daß sie hierauf das Hotel des Herzogs de la Tremouille belagert haben und dasselbe in Brand stecken wollten, was in Kriegszeiten vielleicht kein sehr großes Unglück gewesen wäre, insofern es ein Hugenottennest ist, jedoch in Friedenszeiten ein ärgerliches Beispiel geben würde? Sagt, wollt Ihr all dies abläugnen?«—»Und wer hat Euch dieses schöne Märchen geliefert, Sire?«fragte Herr von Treville ruhig. — »Wer mir dieses schöne Märchen geliefert hat, mein Herr? wer anders als derjenige, welcher wacht, wenn ich schlafe, welcher arbeitet, wenn ich mich belustige, welcher Alles lenkt, innerhalb und außerhalb des Königreichs, in Frankreich wie in Europa? — »Ew. Majestät beliebt ohne Zweifel von Gott zu sprechen«, sagte Herr von Treville,»denn ich kenne nur Gott, der so hoch über Ew. Majestät steht.«—»Nein, mein Herr, ich spreche von der Stütze des Staates, von meinem einzigen Diener, von meinem einzigen Freunde, von dem Herrn Kardinal.«—»Se. Eminenz ist nicht Se. Heiligkeit, Sire!«—»Was wollt Ihr damit sagen, mein Herr?«—»Daß nur der Pabst unfehlbar ist, und daß sich diese Unfehlbarkeit nicht auf die Kardinäle erstreckt.«—»Ihr wollt behaupten, er täusche mich? Ihr wollt behaupten, er verrathe mich? Ihr klagt ihn also an. Seht, sprecht, gesteht freimüthig, daß Ihr ihn anklagt.«—»Nein, Sire, aber ich sage, daß er sich selbst täuscht, ich sage, daß er schlecht unterrichtet gewesen ist, ich sage, daß er sich beeilt hat, die Musketiere Sr. Majestät anzuklagen, gegen die er ungerecht ist, und daß er seine Nachrichten nicht aus guten Quellen geschöpft hat.«—»Die Anklage kommt von Herrn de la Tremouille, vom Herzog selbst. Was habt Ihr hierauf zu erwiedern?«—»Ich könnte erwiedern, Sire, er sei zu sehr bei der Sache betheiligt, um unparteiischer Zeuge bei dieser Frage zu sein, aber weit entfernt hievon, Sire, ich kenne den Mann als einen loyalen Edelmann, und ich stelle die Sache seinem Ausspruch anheim, jedoch unter einer Bedingung.«—»Unter welcher?«—»Daß Ew. Majestät ihn kommen läßt, ihn selbst Auge in Auge ohne Zeugen befragt, und daß ich vor Ew. Majestät sogleich erscheinen darf, sobald der Herzog dagewesen ist.«—»Gut so!«rief der König,»und Ihr fügt Euch in das, was Herr de la Tremouille aussprechen wird?«—»Ja, Sire.«—»Ihr unterwerft Euch der Genugthuung, die er fordert?«—»Vollkommen.«—»La Chesnaye!«rief der König,»la Chesnaye?«

Der vertraute Kammerdiener des Königs, der sich immer in der Nähe der Thüre aufhielt, trat ein.

«La Chesnaye, «sprach der König,»man gehe sogleich und hole mir Herrn de la Tremouille; ich will ihn noch diesen Abend sprechen.«

«Ew. Majestät gibt mir ihr Wort, daß sie Niemand sehen wird, als Herrn de la Tremouille und mich?«—»Niemand, auf mein adeliges Wort!«—»Morgen also, Sire.«—»Morgen, mein Herr.«—»Um welche Stunde, wenn es Ew. Majestät gefällig wäre?«— Wann es Euch beliebt.«— Aber ich müßte Ew. Majestät aufzuwecken befürchten, wenn ich zu früh käme.«—»Mich aufwecken! Schlafe ich? Ich schlafe nicht mehr, mein Herr; ich träume nur zuweilen, das ist das Ganze. Kommt also so frühe als Ihr wollt, um sieben Uhr etwa; aber nehmt Euch in Acht, wenn Euere Musketiere schuldig sind.«— Wenn meine Musketiere schuldig sind, Sire, so sollen die Schuldigen in die Hände Ew. Majestät überliefert werden, welche nach Gutdünken über sie verfügen wird. Fordert Ew. Majestät noch mehr, so mag sie sprechen, ich bin bereit, ihr zu gehorchen.«—»Nein, mein Herr; nein! man hat mich nicht ohne Grund Ludwig den Gerechten genannt. Morgen also, mein Herr, morgen.«—»Gott beschütze Ew. Majestät bis dahin.«

So wenig der König schlief, schlief Herr von Treville doch noch viel schlechter; er hatte noch an demselben Tage den drei Musketieren und ihrem Geführten Nachricht geben lassen, daß sie sich am andern Morgen um halb sieben Uhr bei ihm einfinden sollten. Er nahm sie mit sich, ohne eine Versicherung, ohne ein Versprechen, und ohne ihnen zu verbergen, daß ihr Glück und sogar das seinige davon abhing, wie die Würfel fielen.

Unten an der kleinen Treppe angelangt, hieß er sie warten. Wenn der König gegen sie aufgebracht wäre, sollten sie sich entfernen, ohne gesehen zu werden: wenn er sie empfangen wollte, so dürfte man sie nur rufen.

Im Privatvorzimmer des Königs traf Herr von Treville la Chesnaye, der ihm mittheilte, man habe den Herzog de la Tremouille am vorigen Abend nicht in seinem Hotel getroffen, er sei zu spät nach Hause gekommen, um sich noch in den Louvre zu begeben; er sei erst vor einem Augenblick erschienen und befinde sich eben jetzt bei dem König.

Dieser Umstand war Herrn von Treville sehr angenehm, denn er war nun überzeugt, daß keine fremde Meinung zwischen die Angabe des Herrn de la Tremouille und ihn einschleichen könne.

Kaum waren zehn Minuten abgelaufen, so öffnete sich in der That die Kabinetsthüre des Königs, und Herr von Treville sah den Herzog de la Tremouille herauskommen, der auf ihn zutrat und zu ihm sagte:

«Herr von Treville, Se. Majestät hat mich kommen lassen, um sich zu erkundigen, wie sich die Dinge gestern Morgen in meinem Hotel zugetragen haben. Ich habe die Wahrheit gesprochen, das heißt, daß meine Leute den Fehler gemacht haben, und daß ich bereit sei, mich bei Euch zu entschuldigen. Da ich Euch gerade hier finde, so nehmt diese Entschuldigung gefälligst an und haltet mich stets für einen Euerer Freunde.«

«Mein Herr Herzog, «sagte Herr von Treville,»ich hegte ein solches Zutrauen zu Eurer Rechtschaffenheit, daß ich bei Sr. Majestät keinen andern Vertheidiger als Euch selbst haben wollte. Ich sehe, daß ich mich nicht getäuscht habe, und ich danke Euch dafür, daß es noch einen Mann gibt, von dem man, ohne sich zu irren, sagen kann, was ich von Euch gesagt habe.«

«Gut! gut!«sprach der König, der alle diese Komplimente zwischen den Thürflügeln mit angehört hatte;»nun sagt ihm, Treville, da er Euer Freund zu sein behauptet, daß ich zu den seinigen zu gehören wünsche, daß er mich vernachlässige, daß ich ihn bald drei Jahre nicht mehr gesehen habe, und daß ich ihn überhaupt nur sehe, wenn ich ihn holen lasse. Sagt ihm das in meinem Namen, denn das sind Dinge, die ein König nicht selbst sagen kann.«

«Ich danke, Sire, ich danke, «sprach der Herzog,»aber Ew. Majestät mag wohl glauben, daß nicht diejenigen, ich sage dies nicht in Beziehung auf Herrn von Treville, daß nicht diejenigen, welche sie zu jeder Stunde des Tages um sich sieht, ihr am meisten ergeben sind.«

«Ah! Ihr habt gehört, was ich gesprochen habe; desto besser, Herzog, desto besser, «sagte der König und trat bis vor die Thüre.»Ah! Ihr seid es, Treville, wo sind Euere Musketiere? Ich habe Euch vorgestern befohlen, sie zu bringen, warum habt Ihr es nicht gethan?«—»Sie sind unten, Sire, und mit Euerer Erlaubniß lasse ich sie heraufholen.«

«Ja, ja, sie sollen sogleich kommen; es ist bald acht Uhr und um neun Uhr erwarte ich einen Besuch. Geht, Herr Herzog, und kommt gewiß wieder. Tretet ein, Treville.«

Der Herzog verbeugte sich und ging. In dem Augenblick, wo er die Thür öffnete, erschienen die drei Musketiere und d'Artagnan, von la Chesnaye geführt, oben an der Treppe.

«Kommt, meine Braven, kommt, «sagte der König,»ich muß Euch schelten.«

Die Musketiere näherten sich unter Verbeugungen, d'Artagnan hinter ihnen.

«Wie Teufels!«fuhr der König fort,»Ihr vier habt sieben Leibwachen Seiner Eminenz in zwei Tagen kampfunfähig gemacht! Das ist zu viel, meine Herren, zu viel. Auf diese Art wäre Seine Eminenz genöthigt, seine Kompagnie in drei Wochen zu erneuern, und ich, die Edikte in aller Strenge in Anwendung zu bringen. Zufällig Einen, da wollte ich nichts sagen, aber sieben, ich wiederhole es, das ist zu viel.«

«Sire, Ew. Majestät sieht wohl, daß sie ganz zerknirscht und reumüthig erscheinen, um ihre Entschuldigungen vorzubringen.«

«Ganz zerknirscht und reumüthig! hm!«rief der König,»ich traue ihren heuchlerischen Gesichtern nicht ganz; ich sehe besonders da hinten ein Gascognergesicht. Tretet näher, mein Herr.«

D'Artagnan begriff, daß das Kompliment an ihn gerichtet war, und näherte sich, seine verzweiflungsvollste Miene annehmend.

«Wie, Ihr sagtet, es sei ein Jüngling? es ist ein Kind, Herr von Treville, ein wahres Kind. Hat dieser dem Jussac den bösen Degenstoß gegeben?«

«Und Bernajoux die zwei schönen Streiche.«

«Wahrhaftig!«

«Abgesehen davon, «sprach Athos,»daß ich, wenn er mich nicht den Händen Biscarats entrissen hätte, sicherlich nicht die Ehre haben könnte, in diesem Augenblick Ew. Majestät meine untertänigste Reverenz zu machen.«

«Es ist also ein wahrer Teufel, dieser Bearner, Ventre-saintgris! Herr von Treville, wie mein königlicher Vater gesagt haben würde. Bei diesem Gewerbe muß man viele Wämmser durchlöchern und viele Degen zerbrechen. — Die Gascogner sind wohl stets arm, nicht wahr?«

«Sire, ich darf wohl behaupten, daß man noch keine Goldmine in ihren Bergen gefunden hat, obgleich ihnen der Herr im Himmel dieses Wunder als Belohnung für die Art und Weise schuldig wäre, wie sie die Ansprüche Eures königlichen Vaters unterstützt haben.«

«Damit ist gesagt, daß sie mich selbst zum König gemacht haben, Treville, insofern ich der Sohn meines Vaters bin. Ganz wohl, ich sage nicht nein. La Chesnaye, seht nach, ob Ihr in allen meinen Taschen vierzig Pistolen findet, und wenn Ihr sie findet, bringt sie mir. Und nun, junger Mann, legt die Hand auf das Herz und sprecht, wie hat sich die Sache zugetragen?«

D'Artagnan erzählte das Abenteuer des vorigen Tages mit allen Einzelheiten; wie er aus Freude, Se. Majestät zu sehen, nicht habe schlafen können und drei Stunden vor der Audienzzeit zu seinen Freunden gekommen sei; wie sie sich mit einander in ein Ballhaus begeben haben, und wie er, weil er Furcht geäußert, einen Ball ins Gesicht zu bekommen, von Bernajoux verspottet worden sei, was dem Spötter selbst beinahe sein Leben und Herrn de la Tremouille sein Hotel gekostet habe.

«Es ist gut so, «murmelte der König, ja, so hat mir der Herzog die Sache erzählt. Armer Kardinal! sieben Menschen in zwei Tagen und zwar seine liebsten; aber damit ist es genug, meine Herren, versteht Ihr? es ist genug; Ihr habt Eure Rache für die Rue de Ferou und noch mehr genommen; Ihr müßt zufrieden sein.«

«Wenn Ew. Majestät es ist, «sagte Treville,»wir sind es.«

«Ja, ich bin es, «fügte der König bei, nahm eine Faust voll Gold aus la Chesnayes Händen, übergab sie d'Artagnan und sagte:»Hier, zum Beweise meiner Zufriedenheit.«

Damals waren die stolzen Ideen, wie sie jetzt der äußere Anstand heischt, noch nicht in der Mode. Ein Edelmann nahm unmittelbar aus der Hand des Königs Geld an und fühlte sich nicht im geringsten dadurch gedemüthigt. D'Artagnan steckte also die vierzig Pistolen ohne alle Umstände in die Tasche und bedankte sich im Gegentheil ganz unterthänig bei dem König.

«So! so!«sprach der König und schaute auf die Pendeluhr;»es ist nun halb neun Uhr und Ihr müßt Euch entfernen; ich habe Euch gesagt, ich erwarte Jemand um neun Uhr. Ich danke Euch für Eure Ergebenheit, meine Herren. Ich kann stets darauf zählen, nicht wahr?«

«Oh! Sire, «riefen die vier Gefährten einstimmig, wir lassen uns für Ew. Majestät in Stücke hauen.«

«Gut, gut; aber bleibt ganz, das ist mehr werth, Ihr seid mir so nützlicher. Treville, «fügte der König mit halber Stimme hinzu, während sich die Andern entfernten,»da kein Platz bei den Musketieren offen ist, und ich überdies als Bedingung der Aufnahme in dieses Corps ein Noviziat festgesetzt habe, so bringt diesen Jungen in die Kompagnie der Garden des Herrn des Essarts, Eures Schwagers. Ah! bei Gott, Treville, ich freue mich auf die Grimasse, die der Kardinal machen wird, er wird wüthend sein, aber daran ist mir nichts gelegen, ich bin in meinem Recht.«

Und der König begrüßte Herrn von Treville mit der Hand. Dieser ging und suchte seine Musketiere auf, die er in einer Theilung der Pistolen mit d'Artagnan begriffen fand.

Und Richelieu war, wie Se. Majestät gesagt hatte, wirklich wüthend, so wüthend, daß er acht Tage die Spielpartie des Königs nicht besuchte, was den König nicht abhielt, ihm das freundlichste Gesicht von der Welt zu machen und ihn, so oft er ihm begegnete, mit dem schmeichelhaftesten Tone zu fragen:

«Nun, mein Herr Kardinal, wie geht es dem armen Bernajoux und dem armen Jussac, Euren Leuten?«


VII. Das Hauswesen der Musketiere

Als sich d'Artagnan außerhalb des Louvre befand und mit seinen Freunden über die Verwendung seines Antheils an den vierzig Pistolen berathschlagte, riet ihm Athos, ein gutes Gastmahl zu bestellen, Porthos einen Lakaien zu nehmen, und Aramis, sich eine anständige Geliebte zu verschaffen.

Das Mahl wurde an demselben Tage ausgeführt und der Lakai servierte dabei. Athos hatte das Mahl bestellt, Porthos den Lakaien geliefert. Dieser war ein Picarde, den der glorreiche Musketier an demselben Tag und aus dieser Veranlassung auf dem Pont de la Tournelle anwarb, während er in das Wasser spuckend Kreise machte. Porthos behauptete, diese Beschäftigung sei der Beweis eines überlegenden und contemplativen Geistes und nahm ihn ohne weitere Empfehlung mit. Das vornehme Aussehen dieses Edelmannes, für dessen Rechnung er sich angeworben glaubte, hatte Planchet — dies war der Name des Picarden — verführt; es trat eine kleine Enttäuschung bei ihm ein, als er sah, daß der Platz bereits durch einen Zunftgenossen Namens Mousqueton besetzt war, und Porthos ihm eröffnete, daß sein Hausstand, so groß er auch sei, zwei Bedienten nicht zulasse, und daß er in d'Artagnans Dienst treten müsse. Als er aber dem Mahl beiwohnte, das sein Herr gab, und diesen bei der Bezahlung eine Hand voll Gold aus der Tasche ziehen sah, hielt er sein Glück für gegründet und dankte dem Himmel, daß er ihn in die Hände eines solchen Krösus fallen lassen; in dieser Meinung beharrte er bis nach dem Festmahl, von dessen Abhub er ein langes Fasten wieder gut machte. Aber Planchet's Chimären verschwanden, als er Abends das Bett seines Herrn machte. Dieses Bett war das einzige in der Wohnung, welche aus einem Vorzimmer und einem Schlafzimmer bestand. Planchet schlief im Vorzimmer auf einer Decke, welche dem Bette d'Artagnans entzogen wurde, und worauf dieser von nun an Verzicht leistete.

Athos besaß einen Bedienten, Namens Grimaud, den er auf eine ganz eigenthümliche Weise für seinen Dienst dressirt hatte. Er war sehr schweigsam, dieser würdige Herr; wohlverstanden, wir sprechen von Athos. In den fünf oder sechs Jahren, die er im vertrautesten Umgang mit seinen zwei Gefährten Porthos und Aramis lebte, erinnerten sich diese wohl ihn lächeln, aber nie lachen gesehen zu haben. Seine Worte waren kurz, ausdrucksvoll, sie sagten immer das, was sie sagen wollten, und nicht mehr; keine Ausschmückungen, keine Stickereien, keine Arabesken. Obgleich Athos erst dreißig Jahre zählte und ein Mann von großer körperlicher und geistiger Schönheit war, kannte doch Niemand eine Geliebte von ihm. Er sprach nie von Frauen; er hielt jedoch auch Niemand davon ab, in seiner Gegenwart von ihnen zu sprechen, obgleich man leicht wahrnehmen konnte, daß diese Art von Unterhaltung, in die er sich nur mit bitteren Worten und menschenfeindlichen Bemerkungen mischte, ihm ganz besonders unangenehm war. Seine Zurückhaltung, sein herbes Wesen, seine Stummheit gaben ihm beinahe das Aussehen eines Greises; um von seinen Gewohnheiten nicht abgehen zu müssen, hatte er Grimaud daran gewöhnt, ihm auf eine einfache Geberde, auf eine einzige Bewegung seines Mundes zu gehorchen. Nur in höchst wichtigen Fällen sprach er mit ihm. Grimaud, der seinen Herrn wie das Feuer fürchtete, obgleich er für seine Person eine große Anhänglichkeit und für seinen Geist eine große Verehrung hegte, glaubte zuweilen vollkommen verstanden zu haben, was er verlangte, eilte, den erhaltenen Befehl auszuführen, und that gerade das Gegentheil davon. Dann zuckte Athos die Achseln und prügelte Grimaud, ohne in Zorn zu gerathen. An solchen Tagen sprach er ein wenig.

Porthos hatte einen Charakter, der, wie man bereits bemerken konnte, dem von Athos gerade entgegengesetzt war: er sprach nicht nur viel, sondern er sprach auch laut; es war ihm indessen, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wenig daran gelegen, ob man ihm zuhörte oder nicht; er sprach, weil es ihm Vergnügen machte, zu sprechen und sich zu hören; er sprach von allen Dingen mit Ausnahme der Wissenschaften; in dieser Hinsicht nahm er einen eingefleischten Haß zum Vorwand, den er seit seiner Kindheit gegen die Gelehrten zu hegen vorgab. Er hatte kein so vornehmes Aussehen, wie Athos, und das Gefühl seiner niedrigeren Stellung in Beziehung auf das Aeußere machte ihn am Anfang ihrer Verbindung oft ungerecht gegen diesen Edelmann, den er sodann durch seine glänzende Toillette zu überbieten sich bemühte. Aber mit seiner einfachen Musketier-Kasake und einzig und allein durch die Art und Weise, wie er den Kopf zurückwarf und den Fuß vorsetzte, nahm Athos sogleich wieder den ihm gebührenden Platz ein und verwies den pomphaften Porthos auf den zweiten Rang. Porthos tröstete sich damit, daß er das Vorzimmer des Herrn von Treville und die Wachtstube des Louvre mit dem Lärme von seinem Liebesglück erfüllte, wovon Athos nie sprach, und nachdem er vom Bürgeradel zum Kriegsadel, von der Robine zur Baronin übergegangen war, handelte es sich im gegenwärtigen Augenblicke bei Porthos um nichts Geringeres, als um eine ausländische Prinzessin, die ihm ein ungemeines Wohlwollen kundgegeben hatte.

Ein altes Sprichwort sagt: wie der Herr, so der Diener. Gehen wir also vom Diener des Athos zum Diener des Porthos, von Grimaud zu Mousqueton über.

Mousqueton war ein Normanne, dessen friedlichen Namen Boniface sein Herr in den unendlich klangreicheren und kriegerischen Mousqueton verwandelt hatte. Er war in den Dienst von Porthos unter der Bedingung getreten, nur mit Kleidern und Wohnung, aber dies auf eine prachtvolle Weise, versehen zu werden. Er verlangte nur zwei Stunden täglich; um sich einer Industrie zu widmen, mit deren Ertrag er seine übrigen Bedürfnisse bestreiten wollte. Porthos hatte den Handel angenommen; die Sache stand ihm auf diese Art ganz gut an. Er ließ Mousqueton Wämmser aus seinen alten Kleidern und abgetragenen Mänteln zuschneiden, und mit Hülfe eines geschickten Schneiders, der den alten Röcken durch Wenden ein neues Ansehen verlieh, und dessen Frau man im Verdacht hatte, sie veranlasse Porthos, etwas von seinen aristokratischen Gewohnheiten herabzusteigen, spielte Mousqueton im Gefolge seines Herrn eine ziemlich gute Figur. Was Aramis betrifft, dessen Charakter wir hinreichend geschildert zu haben glauben, — einen Charakter, den wir überdies, wie den seiner Gefährten, in seiner Entwicklung verfolgen können, so hieß sein Lakai Bazin. Da sein Herr Hoffnung hatte, eines Tages in den geistlichen Stand einzutreten, so war er immer schwarz gekleidet, wie dies der Diener eines Geistlichen sein soll. Es war ein Berrichon [Fußnote], von ungefähr fünfunddreißig bis vierzig Jahren sanft, friedlich, fett, pflegte in den Mußestunden, die ihm sein Herr ließ, fromme Bücher zu lesen, und speiste, streng genommen für zwei zu Mittag, wobei er sich übrigens mit wenigen Schüsseln begnügte, diese aber mußten vortrefflich zubereitet sein. Im Uebrigen war er stumm, blind, taub, aber von feuerfester Treue. Da wir jetzt die Herren und die Diener wenigstens oberflächlich kennen, wollen wir zu den Wohnungen der Einzelnen übergehen.

Athos wohnte in der Rue Ferou, zwei Schritte vom Luxemburg; seine Wohnung bestand aus zwei kleinen, sehr reinlich ausgestatteten Zimmern in einem möblierten Hause, dessen noch sehr junge und in der That sehr hübsche Wirthin vergeblich mit ihm liebäugelte. Einige Ueberreste großer ehemaliger Herrlichkeit glänzten da und dort an den Wänden dieser bescheidenen Wohnung: ein reich damascirter Degen zum Beispiel, der seiner Form nach aus der Zeit Franz I. herrühren mochte, und dessen mit kostbaren Steinen incrustirter Griff wohl an zweihundert Pistolen werth war; dennoch hatte sich Athos selbst in seinen größten Verlegenheiten nie herbeigelassen, ihn zu verkaufen oder zu verpfänden. Dieser Degen war lange Zeit ein Gegenstand sehnsüchtigen Trachtens von Porthos gewesen. Porthos hätte zehn Jahre seines Lebens für den Besitz dieses Degens gegeben.

Als er eines Tages ein Rendezvous mit einer Herzogin hatte, versuchte er es, ihn von Athos zu entlehnen. Ohne ein Wort zu sprechen, leerte Athos seine Taschen, suchte alle seine Juwelen zusammen, Börsen, goldene Nadeln und Ketten, und bot ihm Alles an, aber von dem Degen sagte er, er sei an seine Stelle befestigt und solle diese nur verlassen, wenn sein Herr selbst seine Wohnung verlasse. Außer diesem Degen besaß er noch ein Porträt, einen vornehmen Mann aus der Zeit Heinrichs III. in äußerst eleganter Tracht und mit dem Heiligengeistorden darstellend, und dieses Porträt glich Athos in Beziehung auf gewisse Linien; es lag eine Familienähnlichkeit darin, aus der sich erkennen ließ, daß dieser vornehme Mann, ein Ritter der Orden des Königs, sein Vorfahre war. Eine Lade endlich von prachtvoller Goldschmiedsarbeit, mit demselben Wappen verziert, wie der Degen und das Porträt, bildete einen Kaminaufsatz, der gewaltig von der übrigen Ausstattung abstach. Athos trug den Schlüssel dieser Lade stets bei sich, aber eines Tages öffnete er sie vor Porthos, und dieser hatte Gelegenheit, sich zu überzeugen, daß die Lade nur Briefe und Papiere enthielt — Liebesbriefe und Familienpapiere ohne Zweifel.

Porthos hatte eine geräumige Wohnung von äußerst prunkvollem Aussehen in der Rue du Vieux-Colombier. So oft er mit einem Freunde an seinen Fenstern vorüber kam, an deren einem Mousqueton stets in großer Livree stand, hob Porthos Kopf und Hand in die Höhe und sagte: Hier ist meine Wohnung. «Aber nie fand man ihn zu Hause, nie lud er Jemand ein, mit ihm hinaufzusteigen, und Niemand konnte sich einen Begriff davon machen, welche wirkliche Reichthümer diese prunkvolle Außenseite in sich schließen dürfte.

Aramis hatte eine kleine Wohnung, bestehend aus einem Ankleidezimmer, einem Speisezimmer und einem Schlafzimmer; das letztere lag, wie die ganze Wohnung im Erdgeschoß und ging auf einen frischen, grünen, schattigen und für die Augen der Nachbarschaft undurchdringlichen kleinen Garten.

Von d'Artagnan wissen wir, wie er wohnte, und wir haben bereits mit seinem Lakaien, Meister Planchet, Bekanntschaft gemacht.

D'Artagnan war von Natur sehr neugierig, wie alle Leute von intrigantem Geist, und gab sich alle Mühe, um zu erfahren, wer Athos, Porthos und Aramis, genau genommen, seien; denn unter diesen Kriegsnamen verbarg jeder der jungen Leute seinen wahren adeligen Namen, Athos besonders, in dem man auf eine Meile den hochgeborenen Mann erkannte. Er wandte sich also an Porthos, um Auskunft über Athos und Aramis zu erhalten, und an Aramis, um Porthos kennen zu lernen.

Leider wußte Porthos von dem Leben seines schweigsamen Kameraden selbst nicht mehr, als was zufällig und von ferne her davon bekannt geworden war. Man sagte, er habe furchtbares Unglück in seinen Liebesangelegenheiten gehabt, ein schändlicher Verrath habe das Leben dieses trefflichen jungen Mannes auf immer vergiftet. Worin bestand dieser Verrath? Niemand wußte es.

Was Porthos betraf, so konnte man sein Leben, abgesehen von seinem wahren Namen, den, wie die seiner beiden Kameraden, nur Herr von Treville wußte, leicht kennen lernen. Ihn, den eitlen, indiscreten Menschen, durchschaute man wie einen Krystall. Die Nachforschung nach seinen Verhältnissen würde nur dadurch irre geleitet worden sein, wenn man alles Gute, was er von sich selbst sagte, geglaubt hätte.

Aramis sah aus, als ob er kein Geheimniß besäße, während er von Mysterien vollgepfropft war, er antwortete wenig auf die Fragen, die man über Andere an ihn richtete, und wußte geschickt denjenigen auszuweichen, welche seine Person betrafen. Als ihn d'Artagnan eines Tages lange über Porthos ausgeforscht und von ihm das Gerücht von dem Glücke des Musketiers bei einer Prinzessin erfahren hatte, wollte er auch wissen, wie es mit den Liebeshändeln desjenigen stehe, mit dem er sich unterhielt.

«Und Ihr, mein lieber Gefährte, «sagte er,»Ihr, der Ihr von Baroninnen, Gräfinnen, Prinzessinnen Anderer sprecht?«

«Um Vergebung, «unterbrach ihn Aramis,»ich habe gesprochen, weil Porthos selbst davon spricht, weil er alle diese schönen Dinge vor mir ausgeschrieen hat. Aber glaubt mir, mein lieber Herr d'Artagnan, wenn ich es aus einer andern Quelle wüßte, oder wenn er es mir anvertraut hätte, so gäbe es für ihn keinen verschwiegenem Beichtvater, als ich bin.«

«Ich zweifle nicht daran, «erwiederte d'Artagnan,»aber es scheint mir, Ihr habt Euch selbst mit den Wappen sehr vertraut gemacht, was ein gewisses Taschentuch beweist, dem ich die Ehre Eurer Bekanntschaft zu danken habe.«

Aramis ärgerte sich diesmal nicht, sondern nahm seine bescheidenste Miene an und antwortete mit rührendem Tone:

«Vergeßt nicht, mein Lieber, daß ich der Kirche angehören will und alle weltlichen Veranlassungen fliehe. Das Taschentuch, welches Ihr gesehen habt, ist mir nicht anvertraut worden, sondern einer von meinen Freunden vergaß es bei mir. Ich mußte es zu mir nehmen, um ihn und die Dame, die er liebt, nicht zu compromitiren. Ich für meine Person habe keine Geliebte und will keine haben; ich folge hierin dem sehr vernünftigen Beispiel von Athos, welcher ebenfalls keine hat.«

«Aber, den Teufel! Ihr seid nicht Abbé, so lange Ihr die Musketierkasake tragt.«

«Musketier ad interim, mein Lieber, wie der Kardinal sagt, Musketier wider meinen Willen, aber glaubt mir, im Herzen Geistlicher. Athos und Porthos haben mich, um mich zu beschäftigen, da hineingeschoben; im Augenblick, wo ich ordinirt werden sollte, hatte ich eine kleine Streitigkeit mit… Aber das interessirt Euch nicht und ich raube Euch eine kostbare Zeit.«

«Im Gegentheil, das interessirt mich sehr, «rief d'Artagnan,»und ich habe in diesem Augenblicke durchaus nichts zu thun.«

«Wohl, aber ich muß mein Brevier beten, «antwortete Aramis,»sodann einige Verse machen, welche Madame d'Aiguillon von mir verlangt hat. Ferner muß ich mich nach der Rue Saint-Honoré begeben, um Schminke für Frau von Chevreuse zu kaufen. Ihr seht, mein lieber Freund, daß, wenn Ihr auch keine Eile habt, ich doch sehr bedrängt bin.«

Nach diesen Worten reichte Aramis seinem jungen Gefährten freundlich die Hand.

D'Artagnan war nicht im Stande, mehr über seine drei neuen Freunde zu erfahren, so sehr er sich auch Mühe gab. Er entschloß sich also, für die Gegenwart Alles zu glauben, was man von ihrer Vergangenheit sagte, mit der Hoffnung, in der Zukunft sichere und umfassendere Nachrichten zu erhalten. Einstweilen betrachtete er Athos als einen Achilles, Porthos als einen Ajax und Aramis als einen Joseph.

Uebrigens führten die vier jungen Leute ein lustiges Leben. Athos spielte, aber stets unglücklich. Er entlehnte indessen nie einen Sou von seinen Freunden, obgleich ihnen seine Börse stets zu Diensten stand, und wenn er auf Ehrenwort gespielt hatte, ließ er seinen Gläubiger um sechs Uhr am andern Morgen wecken, um ihm seine Schuld vom vorhergehenden Abend zu bezahlen. Porthos gab starke Leidenschaften kund: an Tagen, wo er gewann, war er übermüthig und freigebig, und wenn er verlor, verschwand er völlig auf mehrere Tage, bis er mit bleicher Miene und langen Zügen, aber mit Geld in den Taschen, wieder zum Vorschein kam. Aramis spielte nie. Er war der schlimmste Musketier und der abscheulichste Tischgesellschafter, den man sich denken konnte. Er hatte stets etwas zu arbeiten. Mitten in einem Mahle, wenn Jeder in der Aufregung des Weines und der Wärme des Gesprächs glaubte, man habe wenigstens noch zwei bis drei Stunden bei Tische zu bleiben, schaute Aramis zuweilen auf seine Uhr, erhob sich mit einem verbindlichen Lächeln und beurlaubte sich von der Gesellschaft, um, wie er sagte, zu einem Casuisten zu gehen, mit dem er eine Zusammenkunft verabredet hatte. Ein ander Mal kehrte er nach seiner Wohnung zurück, um eine These zu schreiben, und bat seine Freunde, ihn nicht zu stören. Athos aber lächelte in der schwermüthigen Weise, die so gut zu seinem schönen Gesichte stand, und Porthos trank und schwur, aus Aramis würde nie etwas Anderes als ein Dorfpfarrer werden.

Planchet, der Diener d'Artagnans, ertrug das Glück auf eine vortreffliche Weise; er erhielt dreißig Sou täglich und kam einen Monat lang heiter, wie ein Dompfaffe, und sehr freundlich gegen seinen Herrn nach Hause. Als ein entgegengesetzter Wind auf das Hauswesen der Rue des Fossoyeurs zu blasen anfing, das heißt, als die vierzig Pistolen vom König Ludwig XIII. verzehrt oder wenigstens beinahe verzehrt waren, stimmte er Klagen an, welche Athos ekelhaft, Porthos unschicklich und Aramis lächerlich fand. Athos rieth d'Artagnan, den Burschen zu entlassen, Porthos wollte, man sollte ihn zuvor durchprügeln, und Aramis behauptete, ein Herr dürfe nur die Komplimente anhören, die man ihm sage.

«Das könnt Ihr leicht behaupten, «erwiederte d'Artagnan,»Ihr, Athos, der Ihr stumm mit Grimaud lebt, ihm zu sprechen verbietet und folglich nie schlimme Worte mit ihm wechselt; Ihr, Porthos, der Ihr einen prachtvollen Haushalt führt und für Euren Diener Mousqueton ein Gott seid; und endlich Ihr Aramis, der Ihr, stets mit Euren theologischen Studien beschäftigt. Eurem Diener Bazin, einem frommen, religiösen Menschen, die tiefste Ehrfurcht einflößt; aber ich, der ich ohne Mittel und ohne einen bestimmten Stand bin, ich, der ich nicht Musketier und nicht einmal Gardist bin, was soll ich thun, um Planchet Zuneigung, Schrecken oder Achtung einzuflößen?«

«Die Sache ist schwierig, «antworteten die drei Freunde;»es ist eine häusliche Angelegenheit; es ist mit den Bedienten, wie mit den Frauen, man muß sie sogleich auf den Fuß setzen, auf dem sie bleiben sollen.«

D'Artagnan überlegte und beschloß, Planchet provisorisch braun und blau zu prügeln, was mit der Gewissenhaftigkeit ausgeführt wurde, welche d'Artagnan in allen Dingen beobachtete; nachdem er ihn gehörig durchgewammst hatte, verbot er ihm, seinen Dienst ohne seine Erlaubniß zu verlassen.»Denn, «fügte er bei,»denn die Zukunft kann mir nicht entgehen, ich erwarte mit Bestimmtheit bessere Zeiten, Dein Glück ist also gemacht, wenn Du bei mir bleibst, und ich bin ein zu guter Herr, um Deinem Glück durch Genehmigung des Abschieds, den Du von mir verlangst, im Wege zu stehen.«

Diese Handlungsweise flößte den Musketieren große Achtung vor der Politik d'Artagnans ein. Planchet wurde ebenfalls von Bewunderung ergriffen und sprach nicht mehr vom Gehen.

Das Leben der vier jungen Leute war ein gemeinschaftliches geworden; d'Artagnan, der keine Gewohnheit hatte, da er von seiner Provinz herkam, und mitten in eine ihm ganz neue Welt gerieth, nahm alsbald die Gewohnheiten seiner Freunde an.

Man stand im Winter gegen acht Uhr, und im Sommer gegen sechs Uhr auf, holte bei Herrn von Treville das Losungswort und erkundigte sich zugleich nach dem Stande der Angelegenheiten. D'Artagnan that, obgleich er kein Musketier war, den Dienst mit einer rührenden Pünktlichkeit; er war stets auf der Wache, weil er stets demjenigen von seinen drei Freunden, welcher seine Wache bezog, Gesellschaft leistete. Man kannte ihn im Hotel der Musketiere und jeder behandelte ihn als einen guten Kameraden. Herr von Treville, der ihn mit dem ersten Blick gewürdigt hatte und eine wahre Zuneigung für ihn faßte, empfahl ihn beständig dem König.

Die drei Musketiere liebten den jungen Kameraden ungemein. Die Freundschaft, welche diese vier Menschen verband, und ihr Bedürfniß, sich drei- bis viermal täglich zu sehen, sei es wegen eines Duells, sei es in Geschäften oder wegen einer Lustparthie, machten, daß sie sich unablässig nachliefen, wie Schatten, und man begegnete den Unzertrennlichen immer, wie sie sich vom Luxemburg nach der Place Saint-Sulpice oder von der Rue du Vieux-Colombier nach dem Luxemburg begleiteten.

Mittlerweile gingen die Versprechungen des Herrn von Treville ihren Gang. An einem schönen Morgen befahl der König dem Herrn Chevalier des Essarts, d'Artagnan als Kadet in seine Gardenkompagnie aufzunehmen. Seufzend zog d'Artagnan dieses Gewand an, das er um den Preis von zwei Jahren seines Lebens gegen die Musketiersuniform vertauscht hätte. Aber Herr von Treville versprach diese Gunst nach einem Noviziat von zwei Jahren, das sich indessen abkürzen ließ, wenn sich für d'Artagnan eine Gelegenheit darbot, dem König einen Dienst zu leisten oder eine glänzende Waffenthat auszuführen. D'Artagnan beruhigte sich bei diesem Versprechen und trat schon den andern Tag seinen Dienst an.

Nun war es an Athos, Porthos und Aramis, mit d'Artagnan die Wache zu beziehen. Die Kompagnie des Herrn Chevalier des Essarts bekam also an den Tagen, wo d'Artagnan Dienst hatte, vier Mann, statt eines einzigen.


VIII. Eine Hof-Intrigue

Die vierzig Pistolen von König Ludwig XIII. nahmen, wie alle Dinge dieser Welt, nachdem sie einen Anfang gehabt hatten, auch ein Ende, und seit diesem Ende waren unsere vier Gefährten in eine Klemme gerathen. Einige Zeit hatte Athos den Bund mit seinen eigenen Pfennigen unterstützt. Ihm folgte Porthos, und durch eine seiner gewöhnlichen Verschwendungen war es ihm gelungen, beinahe vierzehn Tage lang die Gesammtbedürfnisse zu bestreiten; endlich kam die Reihe an Aramis, der sich auf das Zuvorkommendste auspfänden ließ und, wie er sagte, durch den Verkauf seiner theologischen Bücher einige Pistolen zu verschaffen wußte.

Man nahm nun, wie gewöhnlich seine Zuflucht zu Herrn von Treville, der einige Vorschüsse auf den Sold bewilligte. Aber diese konnten nicht lange ausreichen für Musketiere, welche mit vielen Rechnungen im Rückstande waren, und für einen Gardisten, der keine hatte. Als man endlich sah, daß Alles zu Ende ging, raffte man mit einer letzten Anstrengung acht bis zehn Pistolen zusammen, mit denen Porthos spielte. Leider hatte er an diesem Tage kein Glück; er verlor Alles und überdieß noch fünfundzwanzig Pistolen auf Ehrenwort. Nun wurde die Verlegenheit sehr bedenklich, man sah die Ausgehungerten auf den Quais und in den Wachstuben umherlaufen, wo sie sich von ihren auswärtigen Freunden so oft als nur möglich zu Tische laden ließen; nach der Meinung von Aramis mußte man in glücklichen Umständen rechts und links Gastereien aussäen, um im Unglück einige ernten zu können.

Athos wurde viermal eingeladen und nahm jedesmal seine Freunde sammt ihren Lakaien mit sich. Porthos fand sechs Gelegenheiten und ließ gleichfalls seine Kameraden daran Antheil nehmen; Aramis hatte acht; es war dies ein Mensch, der wie man bereits wahrnehmen konnte, wenig Lärm und viel Geschäfte machte. D'Artagnan aber, der noch Niemand in der Hauptstadt kannte, fand nur ein Chocoladefrühstuck bei einem Priester aus seiner Heimath und ein Mittagsbrod bei einem Cornet der Garden. Er führte sein Heer zu dem Priester, dem man seinen Mundvorrath für zwei Monate verzehrte, und zu dem Cornet, welcher Wunder that; aber man speist stets nur einmal, selbst wenn man viel speist, wie Planchet sagte.

D'Artagnan war daher sehr betrübt, daß er nur anderthalb Mahle, denn das Frühstück bei dem Priester konnte er nur für ein halbes Mahl zählen, seinen Gefährten als Wiedervergeltung für die Schmäuse anbieten konnte, welche Athos, Porthos und Aramis verschafft hatten. Er glaubte sich der Gesellschaft verpflichtet; er vergaß in seiner jugendlichen Gutmüthigkeit, daß er diese Gesellschaft einen Monat lang gänzlich ernährt hatte, und sein geschäftiger Geist fing an zu arbeiten. Er dachte, daß diese Verbindung von vier jungen, muthigen, unternehmenden, thätigen Männern einen andern Zweck haben müsse, als müßige Spaziergänge, Fechtstunden und mehr oder minder geistreiche Spässe. In der That, vier Menschen wie sie, von der Börse bis zum Leben einander ergeben, Leute, die sich beständig unterstützten, vor nichts zurückwichen, die gemeinschaftlich gefaßten Beschlüsse einzeln oder miteinander ausführten, acht Arme, welche allen vier Winden Trotz boten oder sich nach einem einzigen Punkte wandten, mußten unvermeidlich, ob nun unterirdisch oder am lichten Tage, ob nun untergrabend oder durchstechend, ob mit List oder mit Gewalt, sich einen Weg nach dem Ziel öffnen, das sie erreichen wollten, mochte es auch noch so gut beschützt, noch so weit entfernt sein. Das Einzige, worüber d'Artagnan erstaunte, war, daß seine Gefährten noch nicht an das gedacht hatten.

Er dachte daran, und zwar sehr ernstlich; er zerbrach sich den Kopf, um eine Richtung für diese einzige, aber vierfach vermehrte Kraft zu finden, mit der man, wie er nicht zweifelte, wie mit dem Hebel, den Archimed suchte, die Welt aus ihren Fugen heben mußte. Da klopfte es leise an seine Thür. D'Artagnan weckte Planchet auf und befahl ihm, zu öffnen.

Aus den Worten, d'Artagnan weckte Planchet auf, darf der Leser nicht schließen, es sei Nacht gewesen oder noch nicht Tag geworden. Nein, es hatte so eben vier Uhr Nachmittags geschlagen. Planchet hatte zwei Stunden vorher von seinem Herrn Mittagsbrod verlangt und war mit dem Sprichwort abgefertigt worden:»Wer schläft, speist. «Und Planchet speiste schlafend.

Ein Mann von ziemlich einfacher Miene und bürgerlichem Aussehen wurde eingeführt.

Planchet hätte gern zum Nachtisch der Unterredung zugehört, aber der Bürger erklärte d'Artagnan, er habe ihm im Vertrauen etwas Wichtiges mitzutheilen und wünschte mit ihm unter vier Augen zu sein.

D'Artagnan ließ Planchet abtreten und hieß seinen Besuch sitzen.

Es herrschte ein kurzes Stillschweigen, während dessen die zwei Männer sich ansahen, gleichsam um eine vorläufige Bekanntschaft mit einander zu machen, wonach d'Artagnan sich verbeugte, zum Zeichen, daß er zu hören bereit sei.

«Ich habe von Herrn d'Artagnan als von einem sehr braven jungen Manne reden hören, «sagte der Bürger,»und dieser Ruf, in dem er gerechter Weise steht, hat mich bestimmt, ihm ein Geheimniß anzuvertrauen.«—»Sprecht, mein Herr, sprecht, «sagte d'Artagnan, der instinktmäßig etwas Vortheilhaftes roch. Der Bürger machte eine neue Pause und fuhr dann fort: —»Ich habe eine Frau, welche Weißzeugverwalterin bei der Königin ist, und der es weder an Verstand noch an Schönheit gebricht. Man hat mich vor ungefähr drei Jahren veranlaßt, sie zu heirathen, obgleich sie nur ein kleines Vermögen besitzt, weil Herr de la Porte, der Mantelträger der Königin, ihr Pathe ist und sie ganz besonders begünstigt. — »Nun, mein Herr?«fragte d'Artagnan. — »Nun!«versetzte der Bürger,»nun, mein Herr! Meine Frau ist gestern Morgen, als sie aus ihrem Arbeitszimmer ging, entfuhrt worden.«—»Und von wem ist Eure Frau entführt worden?«—»Ich weiß es nicht gewiß, mein Herr, aber ich habe Jemand im Verdacht.«—»Und wer ist die Person, die Ihr im Verdachte habt?«—»Ein Mann der sie seit geraumer Zeit verfolgte.«—»Teufel!«—»Aber, mein Herr, ich muß Euch sagen, «fuhr der Bürger fort,»daß in Allem dem weniger Liebe, als Politik zu suchen ist.«—

«Weniger Liebe als Politik?«erwiederte d'Artagnan mit sehr nachdenklicher Miene,»und wen habt Ihr im Verdacht?«—»Ich weiß nicht, ob ich Euch meinen Verdacht offenbaren soll… — »Mein Herr, ich muß Euch bemerken, daß ich durchaus nichts von Euch verlange. Ihr seid zu mir gekommen, Ihr sagtet, Ihr habet mir ein Geheimniß anzuvertrauen. Thut, wie es Euch beliebt, Ihr habt noch Zeit, Euch zurückzuziehen.«—»Nein, nein, Herr, nein, Ihr habt das Aussehen eines ehrlichen jungen Mannes, und ich vertraue Euch. Ich glaube also nicht, daß meine Frau wegen ihrer eigenen Liebschaften, sondern wegen der Liebschaften einer viel vornehmeren Dame verhaftet worden ist.«—»Ah! ah! etwa wegen der Liebschaften der Frau von Bois-Tracy?«rief d'Artagnan, der dem Bürger gegenüber das Ansehen haben wollte, als wäre er ganz auf dem Laufenden mit den Angelegenheiten des Hofes.«—»Höher, mein Herr, höher!«—»Der Frau d'Aiguillon?«—»Noch höher!«—»Der Frau von Chevreuse?«—»Noch höher, viel höher!«—»Der…«d'Artagnan hielt inne. — »Ja, mein Herr, «antwortete der erschrockene Bürger so leise, daß man ihn kaum hören konnte. — »Und mit wem?«—»Mit wem? natürlich mit dem Herzog von…«—»Dem Herzog von…«— Ja, mein Herr, «antwortetet der Bürger mit fast unmerklicher Stimme. — »Aber woher wißt Ihr das Alles? — »Ah! woher ich das weiß!«—»Ja, woher Ihr es wißt? Keine halbe Offenbarungen, oder… Ihr versteht mich!«—»Ich weiß es von meiner Frau, mein Herr, von meiner Frau selbst.«—»Und von wem weiß es diese?«—»Von Herrn de la Porte. Habe ich Euch nicht gesagt, daß sie die Pathin von Herrn de la Porte, dem Vertrauten der Königin, ist? Nun, Herr de la Porte hatte sie zu Ihrer Majestät gebracht, damit unsere arme Königin, verlassen von dem König, bespäht von dem Kardinal, verrathen von Allen, doch wenigstens Eine Seele hätte, der sie sich anvertrauen könnte.«—»Ah, ah! das wird immer klarer, «sprach d'Artagnan. — »Meine Frau ist nun vor vier Tagen zu mir gekommen; es ist nämlich eine von ihren Bedingungen, daß sie mich zweimal in der Woche besuchen darf, denn wie ich zu bemerken die Ehre gehabt habe, meine Frau liebt mich zärtlich: meine Frau ist also zu mir gekommen und hat mir anvertraut, die Königin schwebe in diesem Augenblick in großer Furcht.«—»Wahrhaftig?«—»Ja. Der Herr Kardinal verfolgt sie, wie es scheint, mehr als je. Er kann ihr die Geschichte mit der Sarabande nicht vergeben. Ihr kennt die Geschichte der Sarabande?«—»Bei Gott! Ob ich sie kenne?«erwiederte d'Artagnan, der nichts von der ganzen Sache wußte, aber sich das Ansehen geben wollte, als wäre er völlig eingeweiht. — »So, daß es jetzt nicht mehr Haß, sondern Rache ist.«—»Wirklich?«—»Und die Königin glaubt. — »Nun, was glaubt die Königin?«—»Sie glaubt, man habe in ihrem Namen an den Herzog von Buckingham geschrieben.«—»Im Namen der Königin?«—»Ja, um ihn nach Paris kommen zu lassen und ihn, wenn er einmal in Paris wäre, in eine Falle zu locken. — »Teufel! aber mein lieber Herr, was hat Eure Frau mit Allem dem zu schaffen?«—»Man kennt ihre Ergebenheit für die Königin, man will sie entweder von ihrer Gebieterin entfernen, oder sie einschüchtern, um die Geheimnisse Ihrer Majestät zu erfahren, oder sie zu Spionendiensten verführen.«—»Das ist wahrscheinlich, «sprach d'Artagnan;»aber kennt Ihr den Mann, der sie in Verhaft genommen hat?«—»Ich habe Euch gesagt, daß ich ihn zu kennen glaube.«—»Sein Name?«—»Ich weiß ihn nicht; ich weiß nur, daß er eine Kreatur des Kardinals und ihm mit Leib und Seele ergeben ist.«—»Aber Ihr habt ihn gesehen?«—»Ja, meine Frau hat ihn mir einmal gezeigt.«—»Dürfte man ihn wohl an seinem Signalement erkennen?«—»Oh, gewiß! es ist ein Herr von hochmüthigem Aussehen, schwarzen Haaren, dunkler Gesichtsfarbe, durchdringendem Auge, weißen Zähnen und mit einer Narbe an der Schläfe.«—»Einer Narbe an der Schläfe!«rief d'Artagnan,»und dabei weiße Zähne, ein durchdringendes Auge, dunkle Gesichtsfarbe, schwarze Haare und ein hochmüthiges Aussehen, das ist mein Mann von Meung.«—»Das ist Euer Mann, sagt Ihr?«—»Ja, ja, das thut aber nichts zur Sache. Nein, ich täusche mich, es vereinfacht sie vielmehr im Gegentheil; wenn Euer Mann der meinige ist, so werde ich mit einem einzigen Streich doppelte Rache nehmen, das ist das Ganze; aber wo diesen Menschen finden?«—»Ich weiß es nicht.«—»Habt Ihr nicht die geringste Kunde von seiner Wohnung?«—»Keine; als ich eines Tags meine Frau nach dem Louvre zurückführte, kam er gerade heraus, während sie einzutreten im Begriff war, und da hat sie mir ihn gezeigt.«—»Teufel, Teufel!«murmelte d'Artagnan,»das ist Alles so unbestimmt. Von wem habt Ihr die Entführung Eurer Frau erfahren?«—»Von Herrn de la Porte.«—»Hat er Euch einzelne Umstände angegeben?«—»Er wußte nichts weiter.«—»Und Ihr habt von keiner anderen Seite etwas erfahren?«—»Doch; ich habe gehört…«—»Was?«—»Aber ich weiß nicht, ob ich nicht eine große Unklugheit begehe.«—»Ihr kommt noch einmal auf diesen Punkt. Nun muß ich Euch aber bemerken, daß es diesmal ein wenig zu spät ist, um zurückzutreten.«—»Ich trete auch nicht zurück, «rief der Bürger unter verschiedenen Flüchen, mit denen er sich wohl Muth machen wollte. Ueberdies, so wahr ich Bonacieux heiße…«—»Ihr heißt Bonacieux?«unterbrach ihn d'Artagnan. — »Ja, das ist mein Name.«—»Ihr sagtet, so wahr ich Bonacieux heiße! Entschuldigt, daß ich Euch unterbrochen habe, aber es kam mir vor, als wäre mir dieser Name nicht unbekannt.«—»Das ist möglich, mein Herr, ich bin Euer Hauseigentümer.«—»Ah! ah!«rief d'Artagnan halb aufstehend und grüßend,»Ihr seid mein Hauseigentümer?«—»Ja, mein Herr, ja, und da Ihr seit den drei Monaten, die Ihr bei mir wohnt, wahrscheinlich aus geschäftlicher Zerstreutheit, meinen Miethzins zu bezahlen vergessen habt, ich Euch aber nicht ein einziges Mal drängte, so dachte ich, Ihr würdet auf meine Zartheit Rücksicht nehmen.«—»Allerdings, mein lieber Herr Bonacieux, «erwiederte d'Artagnan,»glaubt mir, daß ich ein solches Benehmen zu schätzen weiß, und wie gesagt, wenn ich Euch in irgend einer Beziehung nützlich sein kann…«—»Ich glaube Euch, mein Herr, ich glaube Euch, und hege, so wahr ich Bonacieux heiße, Vertrauen zu Euch.«—»vollendet also Eure angefangene Mittheilung.«

Der Bürger zog ein Papier aus seiner Tasche und überreichte es d'Artagnan.

«Ein Brief!«sprach der junge Mann.

«Den ich diesen Morgen erhalten habe.«

D'Artagnan öffnete, und da der Tag sich zu neigen anfing, so trat er näher an's Fenster. Der Bürger folgte ihm.

›Suchet Eure Frau nicht,‹ las d'Artagnan; ›sie wird Euch zurückgegeben werden, wenn man ihrer nicht mehr bedarf. Thut Ihr einen Schritt, um sie aufzufinden, so seid Ihr verloren.‹

«Das ist sehr bestimmt, «fuhr d'Artagnan fort.»Im Ganzen aber ist es nur eine Drohung.«

«Ja, aber diese Drohung erschreckt mich, mein Herr; ich bin durchaus kein Mann vom Degen und fürchte mich vor der Bastille.«

«Herr, «sprach d'Artagnan,»ich sehne mich eben so wenig nach der Bastille, als Ihr. Wenn es sich nur um einen Degenstoß handelte, das möchte noch gehen.«—»Ich habe jedoch bei dieser Veranlassung sehr auf Euch gezählt, mein Herr.«—»So?«—»Als ich Euch beständig von Musketieren von herzlichem Ansehen umgeben sah und erkannte, daß es Musketiere des Herrn von Treville und folglich Feinde des Kardinals waren, so dachte ich, Ihr und Eure Freunde würdet mit dem größten Vergnügen bereit sein, unserer armen Königin zu ihrem Recht zu verhelfen und zugleich Sr. Eminenz einen schlimmen Streich zu spielen.«—»Allerdings!«—»Und dann dachte ich auch, insofern Ihr mir drei Monate Miethzins schuldig wäret, an die ich Euch nie ermahnt habe…«—»Ja, ja, Ihr habt mir diesen Grund bereits genannt, und ich finde ihn vortrefflich.«—»Beabsichtigend ferner, so lange Ihr mir die Ehre erzeigen werdet, bei mir zu bleiben, um von Eurem zukünftigen Miethzins zu sprechen…«—»Schon gut.«— Und überdies, daß ich Euch im Falle der Noth, solltet Ihr Euch in diesem Augenblick, wider alle Wahrscheinlichkeit, in einer Klemme befinden, fünfzig Pistolen anzubieten gedenke…«—»Vortrefflich; Ihr seid also reich, mein lieber Herr Bonacieux?«—»Ich bin wohlhabend, das ist das rechte Wort. Ich habe mir so zwei- bis dreitausend Thaler Renten in meinem Kramladen und besonders dadurch erworben, daß ich einige Kapitalien bei der letzten Reise des berühmten Seefahrers Jean Mosauet anlegte, so daß Ihr wohl begreifen könnt, mein Herr… Ah! dort…«rief der Bürger.

«Was?«fragte d'Artagnan. — »Was sehe ich?«—»Wo?«—»Auf der Straße, Eurem Fenster gegenüber, in der Vertiefung jener Thüre, ein Mann in einen Mantel gehüllt.«—»Er ist es!«rief d'Artagnan und der Bürger zu gleicher Zeit, denn beide hatten ihren Mann erkannt.

«Ah! diesmal, «schrie d'Artagnan, nach seinem Degen laufend,»diesmal soll er mir nicht entgehen.«

Und vom Leder ziehend stürzte er aus dem Zimmer.

Auf der Treppe begegnete er Athos und Porthos, die ihn besuchen wollten. Sie machten Platz, d'Artagnan schoß wie ein Pfeil zwischen ihnen durch.

«He da! wohin läufst Du denn?«riefen die beiden Musketiere zugleich.

«Der Mann von Meung, «erwiederte d'Artagnan und verschwand.

D'Artagnan hatte seinen Freunden mehr als einmal sein Abenteuer mit dem Unbekannten, so wie die Erscheinung der schönen Reisenden mitgeteilt, der dieser Mensch eine, wie es schien, so wichtige Sendung anvertraute.

Athos hatte gemeint, d'Artagnan habe seinen Brief bei dem Streite verloren. Ein Edelmann wäre seiner Ansicht nach — und nach dem Portrait, das d'Artagnan von dem Unbekannten entworfen hatte, konnte es nur ein Edelmann sein — ein Edelmann wäre der Gemeinheit zu stehlen unfähig gewesen.

Porthos hatte in Allem diesem nur ein verliebtes Rendezvous gesehen, das ein Kavalier einer Dame, oder eine Dame einem Kavalier gab, und das durch die Anwesenheit d'Artagnans und seines gelben Rosses gestört wurde.

Aramis sagte, bei so geheimnisvollen Dingen sei es besser, sie gar nicht ergründen zu wollen.

Sie konnten also aus den paar Worten d'Artagnans schließen, wovon die Rede war, und da sie dachten, wenn d'Artagnan seinen Mann getroffen oder aus dem Gesichte verloren hätte, würde er zurückkommen, so setzten sie ihren Weg fort.

Als sie in d'Artagnans Zimmer traten, war es leer. Die Folgen des Zusammentreffens befürchtend, welches ohne Zweifel zwischen dem jungen Manne und dem Unbekannten stattfinden würde, hatte der Hauseigenthümer für gut befunden, sich aus dem Staub zu machen.


IX. D'Artagnan zeigt sich in einem eigenthümlichen Lichte

Nach Verlauf einer halben Stunde kehrte d'Artagnan zurück, wie dies Athos und Porthos vorhergesehen hatten. Er hatte auch dießmal seinen Mann verfehlt, welcher wie durch ein Zauberwerk verschwunden war. D'Artagnan war ihm mit dem Degen in der Faust durch alle benachbarten Straßen nachgelaufen, ohne etwas zu finden, was dem Gesuchten glich. Dann kam er auf das zurück, wobei er vielleicht hätte anfangen sollen und klopfte an die Thüre, an die sich der Unbekannte gelehnt hatte; aber vergeblich ließ er zehn- bis zwölfmal hinter einander den Klopfer ertönen. Niemand antwortete, und Nachbarn, welche in Folge des Geräusches auf ihre Thürschwelle liefen oder die Nase durch's Fenster steckten, gaben ihm die Versicherung, dieses Haus, dessen Fenster sämmtlich verschlossen waren, sei seit sechs Monaten völlig unbewohnt.

Während d'Artagnan in den Straßen umherlief und an die Thüren klopfte hatte sich Aramis bei seinen zwei Gefährten eingefunden, so daß d'Artagnan, in sein Zimmer zurückkehrend, die Versammlung vollzählig fand.

«Nun?«fragten die drei Musketiere zugleich, als sie d'Artagnan mit Schweiß auf der Stirne und zornentstelltem Gesicht eintreten sahen.

«Nun!«rief dieser und warf seinen Degen auf das Bett,»der Mensch muß der leibhaftige Teufel sein; er ist verschwunden, wie ein Phantom, wie ein Schatten, wie ein Gespenst.«

«Glaubt Ihr an Erscheinungen?«fragte Athos seinen Kameraden Porthos.

«Ich? ich glaube nur das, was ich gesehen habe, und da ich nie Erscheinungen gesehen habe, so glaube ich nicht daran.«

«Die Bibel, «sagte Aramis,»macht es uns zum Gesetz, daran zu glauben: der Schatten Samuels erschien Saul, es ist dies ein Glaubensartikel, den ich nicht gern in Zweifel ziehen lasse.«

«In jedem Fall ist dieser Mann, ob nun Mensch oder Teufel, Körper oder Schatten, Täuschung oder Wirklichkeit, zu meiner Verdammniß geboren; denn durch seine Flucht entgeht uns ein herrliches Geschäft, meine Freunde, ein Geschäft, wobei man hundert Pistolen und vielleicht noch mehr hätte gewinnen können.«

«Wie das?«fragten Porthos und Aramis.

Athos aber begnügte sich, seinem Stummheitssystem getreu, d'Artagnan nur mit einem Blick zu befragen.

«Planchet, «sagte d'Artagnan zu seinem Bedienten, der in diesem Augenblick durch die ein wenig geöffnete Thür seinen Kopf steckte, um wo möglich einige Brocken von dem Gespräche zu erhaschen,»geh' hinab zu meinem Hauseigenthümer Bonacieux und sage ihm, er möge uns ein halb Dutzend Flaschen Beaugencywein schicken. Ich ziehe diesen vor.«

«Ah, Du scheinst offenen Credit bei Deinem Hauseigenthümer zu haben?«fragte Porthos.

«Ja, «antwortete d'Artagnan,»von heute an, und seid nur ruhig, wenn sein Wein schlecht ist, so muß er uns andern holen.«

«Man muß gebrauchen und nicht mißbrauchen, «sagte Aramis spruchreich.

«Ich habe immer behauptet, d'Artagnan sei der einsichtsvollste Kopf unter uns Vieren, «bemerkte Athos, und nachdem er diese Meinung ausgesprochen, auf welche d'Artagnan mit einer Verbeugung antwortete, verfiel er alsbald wieder in sein gewöhnliches Stillschweigen.

«Aber nun laßt einmal hören, wie verhält sich die Sache?«fragte Porthos.

«Ja, «sprach Aramis,»theilt es uns mit, lieber Freund, wenn nicht die Ehre einer Dame bei dieser Eröffnung betheiligt ist; in diesem Fall würdet Ihr besser daran thun, das Geheimnis für Euch zu behalten.«

«Seid unbesorgt, «erwiederte d'Artagnan,»es wird sich Niemands Ehre bei dem, was ich Euch mittheilen will, zu beklagen haben.«

Und hierauf erzählte er seinen Freunden Wort für Wort, was sich zwischen ihm und seinem Hauswirth begeben hatte, und wie der Mann, der die Frau des würdigen Hauseigenthümers entführt, derselbe war, mit dem er an der Herberge zu Meung Streit gehabt hatte.

«Eure Angelegenheit ist nicht schlimm, «sagte Athos, nachdem er den Wein als Kenner gekostet und mit einem Zeichen angedeutet hatte, daß er ihn gut finde,»und man könnte wohl aus diesem braven Manne fünfzig bis sechzig Pistolen herausbringen. Nun entsteht nur noch die Frage, ob fünfzig bis sechzig Pistolen so viel werth sind, daß man vier Köpfe dafür aufs Spiel setzt.«

«Aber bemerkt wohl, «rief d'Artagnan,»daß eine Frau bei dieser Angelegenheit betheiligt ist, eine entführte Frau, eine Frau, die man ohne Zweifel bedroht, die man wahrscheinlich martert und zwar Alles dies, weil sie ihrer Gebieterin treu ist.«

«Bemerkt wohl, d'Artagnan, «sprach Aramis,»Ihr erhitzt Euch meiner Ansicht nach ein wenig zu sehr über das Schicksal der Frau Bonacieux. Das Weib ist zu unserem Verderben geboren und von ihm rührt all unser Unglück her.«

Bei dieser Sentenz von Aramis runzelte Athos die Stirne und biß sich in die Lippen.

«Ich hin nicht wegen Frau Bonacieux unruhig, «rief d'Artagnan,»sondern wegen der Königin, die der König im Stich läßt, die der Kardinal verfolgt, und welche die Köpfe ihrer Freunde einen nach dem andern fallen sieht.«

«Warum liebt sie das, was wir am meisten auf der Welt verabscheuen: die Spanier und die Engländer?«

«Ei! meiner Treue!«sprach Athos,»ich muß gestehen, dieser Engländer ist im höchsten Grad würdig, geliebt zu werden. Ich habe nie eine so erhabene Miene erschaut, wie die seinige.«

«Abgesehen davon, daß er sich kleidet, wie kein anderer Mensch, «sprach Porthos;»ich war im Louvre an dem Tag, wo er seine Perlen ausstreute, und ich habe zwei aufgerafft, die ich für zehn Pistolen das Stück verkaufte. Und Du, Aramis, kennst Du ihn?«

«So gut als Ihr, meine Herren, denn ich befand mich unter denjenigen, die ihn im Garten von Amiens angehalten haben, wo mich der Stallmeister der Königin, Herr von Putange, eingeführt hatte. Ich war um diese Zeit im Seminar, und die Geschichte kam mir damals sehr schlimm für den König vor.«

«Wenn ich nur wüßte, wo sich der Herzog von Buckingham befindet, «sagte d'Artagnan,»so sollte mich das nicht abhalten, ihn bei der Hand zu nehmen und zur Königin zu führen, wäre es auch nur, um den Kardinal wüthend zu machen; denn unser wahrer, unser einziger und ewiger Feind, meine Herren, ist der Kardinal, und wenn wir Mittel und Wege finden könnten, ihm einen recht garstigen Streich zu spielen, so würde ich, ich gestehe es, gerne meinen Kopf einsetzen.«

«Und der Krämer hat Euch gesagt, d'Artagnan, «sprach Athos,»man habe den Buckingham unter einem falschen Vorwand kommen lassen?«

«Sie befürchtet es.«

«Wartet, Aramis.«

«Was?«fragte Porthos.

«Immer zu! ich suche mich gewisser Umstände zu erinnern.«

«Und nun bin ich überzeugt, «sprach d'Artagnan,»daß die Verhaftnahme dieser Kammerfrau der Königin sich auf die Ereignisse, von denen wir reden, und vielleicht auf die Gegenwart des Herrn von Buckingham in Paris bezieht.«

«Der Gascogner ist voll kluger Gedanken, «sagte Porthos mit Bewunderung.

«Ich höre ihn sehr gerne sprechen, «versetzte Athos,»sein Patois ergötzt mich.«

«Meine Herren, «rief Aramis,»höret mich an.«

«Hören wir Aramis, «sprachen die drei Freunde.

«Gestern befand ich mich bei einem gelehrten Doctor der Theologie, den ich bei meinen Studien zuweilen um Rath frage. «Athos lächelte.

«Er wohnt in einem öden Quartier, «fuhr Aramis fort;»es entspricht aber seinem Geschmack, seiner Beschäftigung. In dem Augenblick nun, wo ich aus seinem Hause trat…«

Aramis hielt inne.

«Nun!«fragten seine Zuhörer,»in dem Augenblick, wo Ihr aus seinem Hause tratet…«

Aramis schien nicht recht daran zu wollen, wie ein Mensch, der mitten in einer Lüge sich durch ein unvorhergesehenes Hinderniß gehemmt sieht; aber die Augen seiner drei Gefährten waren auf ihn geheftet, ihre Ohren erwarteten gespannt die Fortsetzung, es gab kein Mittel, zurückzuweichen.

«Dieser Doktor hat eine Nichte, «fuhr Aramis fort.

«Ah! er hat eine Nichte, «unterbrach ihn Porthos.

«Eine sehr achtungswerthe Dame, «sagte Aramis.

Die drei Freunde brachen in ein Gelächter aus.

«Ah! wenn Ihr lacht oder wenn Ihr zweifelt, «sagte Aramis,»so erfahrt Ihr nichts mehr«.

«Wir sind gläubig wie Mahomedaner und stumm wie Gräber, «erwiederte Athos.

«Ich fahre also fort, «sprach Aramis.»Diese Nichte besucht ihren Oheim zuweilen; gestern befand sie sich nun zu gleicher Zeit mit mir bei ihm, und ich machte ihr das Anerbieten, sie an ihren Wagen zu führen.«

«Ah, sie hat einen Wagen, die Nichte des Doktors?«unterbrach ihn Porthos, der unter andern Fehlern auch den einer großen Fessellosigkeit der Zunge besaß;»eine schöne Bekanntschaft, mein Freund.«

«Porthos, «sprach Aramis,»ich habe Euch bereits mehr als einmal bemerkt, daß Ihr sehr indiscret seid, und daß Euch dies bei den Frauen schadet.«

«Meine Herren! meine Herren!«rief d'Artagnan, der bereits klar dem Abenteuer auf den Grund sah,»die Sache ist ernst; lassen wir also wo möglich alles Scherzen.«

«Ein großer, brauner Mann, mit adeligen Manieren… halt, so etwa in der Art des Eurigen, d'Artagnan.«

«Vielleicht derselbe «sagte dieser.

«Wohl möglich, «fuhr Aramis fort…»er näherte sich mir plötzlich, in Begleitung von fünf bis sechs Menschen, die ihm ungefähr auf zehn Schritte folgten, und sagte mit dem höflichsten Tone zu mir: ›Mein Herr Herzog und Sie, Madame,‹ fuhr er gegen die Dame fort, die ich am Arm führte…

«Ah! die Nichte des Doctors?«

«Stille, Porthos!«sprach Athos;»Ihr seid unerträglich.«

›Wollet gefälligst in diesen Wagen steigen, und zwar ohne den geringsten Widerstand zu versuchen, ohne den mindesten Lärm zu machen.‹

«Er hielt Euch für Buckingham!«rief d'Artagnan. — »Ich glaube es, «antwortete Aramis. — »Aber diese Dame?«fragte Porthos. — »Er hielt sie für die Königin!«sagte d'Artagnan. — »Allerdings!«erwiederte Aramis. — »Der Gascogner hat den Teufel im Leibe, «rief Athos,»nichts entgeht ihm.«—»Es ist nicht zu leugnen, «sprach Porthos,»Aramis hat die Gestalt des schönen Herzogs und auch etwas von seiner Tournure; dennoch scheint es mir, daß die Musketier-Tracht…«

«Ich trug einen ungeheuren Mantel, «entgegnete Aramis.

«Im Monat Juli? Teufel!«rief Porthos;»befürchtete der Doctor, man würde Dich erkennen?«

«Ich begreife, daß sich der Spion durch die Tournure täuschen ließ, «sprach Athos,»aber das Gesicht…«

«Ich hatte einen großen Hut, «sagte Aramis.

«O! mein Gott, «rief Porthos,»was für Vorsichtsmaßregeln, um Theologie zu studiren.«

«Meine Herren, meine Herren, «sagte d'Artagnan,»verlieren wir nicht die Zeit mit unnützem Geschwätze; wir wollen uns zerstreuen und die Frau des Krämers aufsuchen; das ist der Schlüssel der Intrigue.«

«Eine Frau von so untergeordneter Stellung! Ihr glaubt, d'Artagnan!«sprach Porthos verächtlich die Lippen verziehend.

«Es ist die Pathin La Portes, des vertrauten Dieners der Königin, habe ich Euch das nicht gesagt, meine Herren? Und dann war es diesmal vielleicht Berechnung von der Königin, daß sie so tief unten Beistand suchte. Die erhabenen Köpfe sieht man von ferne, und der Kardinal hat ein gutes Gesicht.«

«Wohl!«sprach Porthos,»doch setzt zuerst mit dem Krämer einen Preis fest und zwar einen guten Preis.«

«Das ist unnöthig, «entgegnete d'Artagnan,»denn ich glaube, wenn er uns nicht bezahlt, so wird man uns von einer andern Seite bezahlen.«

In diesem Augenblick ertönte auf der Treppe das Geräusch eiliger Tritte, die Thüre öffnete sich mit Getöse und der unglückliche Krämer stürzte in das Zimmer, wo der Rath gehalten wurde.

«Ach! meine Herren, «rief er,»rettet mich, ums Himmels willen, rettet mich; es sind vier Männer da, die mich verhaften wollen; rettet mich, rettet mich.«

Porthos und Aramis sprangen auf.

«Einen Augenblick, «rief d'Artagnan und gab ihnen sogleich ein Zeichen, ihre halbgezogenen Degen wieder in die Scheide zu stecken;»es bedarf hier nicht des Muthes, sondern der Klugheit.«

«Doch wir lassen nicht…«rief Porthos.

«Ihr laßt d'Artagnan machen, «sprach Athos;»ich wiederhole es, er ist der Einsichtsvollste von uns, und ich meines Theils erkläre, daß ich ihm gehorche. Thu', was Du willst, d'Artagnan.«

In diesem Augenblick erschienen die vier Leibwachen an der Thüre des Vorzimmers, doch als sie vier Musketiere mit dem Degen an der Seite in aufrechter Haltung erblickten, zögerten sie, weiter zu gehen.

«Tretet ein, meine Herren, tretet ein, «rief d'Artagnan;»Ihr seid hier in meiner Wohnung und wir sind insgesammt treue Diener des Königs und des Herrn Kardinals.«

«In diesem Falle werdet Ihr Euch nicht widersetzen, wenn wir die Befehle, die wir erhalten haben, vollstrecken?«fragte derjenige, welcher der Anführer der kleinen Mannschaft zu sein schien.

«Im Gegentheil, meine Herren, wir werden Euch im Falle der Noth unterstützen.«

«Was spricht er da?«murmelte Porthos.

«Du bist ein Einfaltspinsel, «sagte Athos,»schweige!«

«Aber Ihr habt mir versprochen…, «flüsterte der arme Krämer ganz leise.

«Wir können Euch nur retten, wenn wir frei bleiben, «antwortete d'Artagnan rasch und ebenfalls leise,»machen wir aber Miene, Euch zu vertheidigen, so verhaftet man uns ebenfalls.«

«Es scheint mir jedoch…«

«Kommt, meine Herren, kommt, «sprach d'Artagnan laut;»ich habe keinen Grund, den Herrn zu beschützen. Ich sah ihn heute zum ersten Mal und aus welcher Veranlassung! er wird es Euch selbst sagen, um die Bezahlung meiner Hausmiethe zu fordern. Ist dieß wahr, Herr Bonacieux? Antwortet!«

«Es ist die reine Wahrheit, «rief der Krämer, aber der Herr sagt Euch nicht…«

«Schweigt über mich, schweigt über meine Freunde, schweigt besonders über die Königin, oder Ihr stürzt Alles ins Verderben, ohne Euch zu retten. Vorwärts, vorwärts, meine Herren, führt diesen Mann weg!«

Und d'Artagnan stieß den ganz betäubten Krämer in die Hände der Leibwachen und sagte:

«Ihr seid ein Halunke, mein Lieber, Ihr kommt und verlangt Geld von mir, von einem Musketier! Fort ins Gefängniß! Noch einmal, meine Herren, führt ihn ins Gefängniß und haltet ihn so lange als möglich unter Schloß und Riegel — ich gewinne dadurch Zeit, zu bezahlen.«

Die Sbirren verwickelten sich in Danksagungen und nahmen ihre Beute mit sich fort.

In dem Augenblick, wo sie hinausgingen, klopfte d'Artagnan ihrem Führer auf die Schulter, füllte zwei Gläser mit Beaugency-Wein, den er der Freigebigkeit des Herrn Bonacieux zu verdanken hatte, und sprach:

«Werde ich nicht auf Eure Gesundheit, werdet Ihr nicht auf die meinige trinken?«—»Das wäre eine große Ehre für mich, «antwortete der Anführer der Sbirren,»und ich nehme es dankbar an.«—»Auf Eure Gesundheit also, mein Herr…, wie heißt Ihr?«—»Boisrenard.«—»Boisrenard!«—»Auf die Eurige, mein edler Herr, wie heißt Ihr, wenn es gefällig ist?«—»d'Artagnan.«—»Auf die Eurige, Herr d'Artagnan.«

«Und vor Allem, «rief d'Artagnan, als erfaßte ihn eine Begeisterung,»auf die des Königs und des Kardinals!«

Der Anführer der Sbirren hätte vielleicht an der Aufrichtigkeit d'Artagnans gezweifelt, wenn der Wein schlecht gewesen wäre, aber der Wein war gut und der Mann somit überzeugt.

«Aber was für einen teuflischen Unsinn habt Ihr da gemacht?«sagte Porthos, als sich die vier Freunde wieder allein befanden.»Pfui! vier Musketiere lassen einen Unglücklichen, der um Hilfe ruft, in ihrer Mitte verhaften! Ein Edelmann trinkt mit einem Schergen!«

«Porthos, «sprach Aramis,»Athos hat Dir bereits bemerkt. Du seist ein Einfaltspinsel, und ich pflichte seiner Ansicht bei. D'Artagnan, Du bist ein großer Mann, und wenn Du einmal an der Stelle des Herrn von Treville stehst, so bitte ich um Deine Protektion für eine Abtei.«

«Ah, ich kann nicht klug aus der Sache werden, «sagte Porthos;»Ihr billigt, was d'Artagnan gethan hat?«

«Ich glaube bei Gott wohl, «erwiederte Athos;»ich billige nicht nur, was er gethan hat, sondern ich wünsche ihm sogar Glück dazu.«

«Und nun, meine Herren, «sprach d'Artagnan, ohne sich die Mühe zu geben, Porthos sein Benehmen zu erläutern,»Alle für Einen, Einer für Alle, das ist unser Wahlspruch, nicht wahr?«

«Indessen, «sagte Porthos.

«Strecke die Hand aus und schwöre, «riefen Athos und Aramis zu gleicher Zeit.

Besiegt durch das Beispiel, streckte Porthos unter leisen Flüchen die Hand aus, und die vier Freunde wiederholten mit einer Stimme die von d'Artagnan vorgesprochene Formel:

«Alle für Einen, Einer für Alle.«

«So ist es gut, «sagte d'Artagnan;»Jeder gehe nun ruhig nach Hause, und aufgepaßt! Von diesem Augenblicke an liegen wir im Streite mit dem Kardinal.«


X. Eine Mausfalle im siebzehnten Jahrhundert

Die Mausfalle ist keine Erfindung unserer Tage; sobald die Gesellschaften bei ihrer Bildung irgend eine Polizei erfunden hatten, erfand diese ihrerseits die Mausfalle.

Da unsere Leser vielleicht noch nicht mit dem Rothwälsch der Rue de Jerusalem vertraut sind, und da wir zum ersten Mal dieses Wort in dieser eigenthümlichen Bedeutung anwenden, so wollen wir ihnen erklären, was eine Mausfalle ist.

Wenn man in irgend einem Hause irgend eine eines Verbrechens verdächtige Person verhaftet hat, so hält man diese Verhaftung geheim; man legt vier oder fünf Mann im ersten Zimmer in Hinterhalt, man öffnet die Thüre allen denjenigen, welche anklopfen, schließt sie wieder hinter ihnen und verhaftet sie; nach Verlauf von zwei bis drei Tagen hat man alle diejenigen, welche mit dem betreffenden Hause in Verbindung stehen, in Händen.

Das ist eine Mausfalle.

Man machte also eine Mausfalle aus der Wohnung des Meisters Bonacieux, und wer daselbst erschien, wurde ergriffen und von den Leuten des Kardinals ausgefragt. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß diejenigen, welche zu d'Artagnan kamen, von den Ausforschungen befreit blieben, insofern ein besonderer Gang nach seiner Wohnung im ersten Stock führte.

Ueberdies kamen die drei Musketiere allein dahin. Jeder von ihnen hatte sich einzeln auf Kundschaft gelegt, aber keinem war es gelungen, etwas zu entdecken. Athos war sogar so weit gegangen, Herrn von Treville zu befragen, worüber sein Kapitän in Betracht der gewöhnlichen Schweigsamkeit des würdigen Musketiers nicht wenig erstaunte. Herr von Treville wußte nur, daß das letzte Mal, als er den König, die Königin und den Kardinal gesehen, der Kardinal eine sehr sorgliche Miene hatte, der König sehr unruhig war, und die Augen der Königin andeuteten, daß sie geweint oder gewacht hatte; aber Letzteres veranlaßte keine Verwunderung bei ihm, denn die Königin wachte und weinte viel seit ihrer Verheirathung.

Herr von Treville empfahl jedenfalls Athos den Dienst des Königs und besonders den bei der Königin, und ersuchte ihn, dieselbe Empfehlung seinen Kameraden zu überbringen.

D'Artagnan verließ seine Wohnung nicht; er hatte sein Zimmer in ein Observatorium verwandelt. Von seinem Fenster aus sah er diejenigen ankommen, welche gefangen genommen wurden. Da er ferner die Dielen seines Stubenbodens aufgebrochen hatte und nur ein einfacher Plafond ihn vor dem unter ihm liegenden Zimmer trennte, wo die Verhöre stattfanden, so vernahm er Alles, was zwischen den Inquisitoren und den Angeklagten vorging.

Die Verhöre, welche stets mit einer sorgfältigen Durchsuchung der verhafteten Personen verbunden waren, glichen sich beinahe gänzlich ihrem Inhalt nach:»Hat Euch Madame Bonacieux etwas für ihren Gatten oder für irgend eine andere Person zugestellt?«

«Hat Euch Herr Bonacieux irgend etwas für seine Frau oder für irgend eine andere Person zugestellt?«

«Hat Euch die eine oder der andere von ihnen irgend eine vertrauliche Mittheilung gemacht?«

«Wenn sie etwas wüßten, so würden sie nicht so fragen, «sagte d'Artagnan zu sich selbst.»Was wollen sie nur erfahren? Ob sich der Herzog von Buckingham nicht in Paris befindet, und ob er nicht mit der Königin eine Zusammenkunft gehabt hat oder haben soll.«

D'Artagnan blieb bei dieser Ansicht stehen, der es nach Allem, was er erfahren hatte, nicht an Wahrscheinlichkeit gebrach.

Mittlerweile war die Mausfalle permanent und die Wachsamkeit d'Artagnans ebenso. Am zweiten Tag nach der Verhaftung des armen Bonacieux, als Athos d'Artagnan so eben verlassen hatte, um sich zu Herrn von Treville zu begeben, als es gerade neun Uhr geschlagen und Planchet, der seines Herrn Bett noch nicht gemacht hatte, eben seine Arbeit verrichtete, hörte man an die Hausthüre klopfen. Alsbald wurde diese Thüre geöffnet und wieder verschlossen. Es hatte sich Jemand in der Mausfalle fangen lassen.

D'Artagnan stürzte nach der Stelle, wo die Dielen weggenommen waren, legte sich mit dem Bauch auf den Boden und horchte. Es wurde ein Geschrei vernehmbar, dann folgte ein starkes Seufzen, das man zu ersticken suchte, von einem Verhör war nicht die Rede.

«Teufel!«sprach d'Artagnan zu sich selbst,»es scheint mir, das ist eine Frau; man durchsucht sie, sie widersteht, man thut ihr Gewalt an. Die Schurken!«

D'Artagnan hatte, trotz seiner Klugheit, die größte Mühe, sich von der Scene entfernt zu halten, welche unten vorging.

«Aber ich sage Euch, daß ich die Hausfrau bin, meine Herren, ich sage Euch, daß ich die Frau Bonacieux bin, ich sage Euch, daß ich im Dienste der Königin stehe, «rief die Unglückliche.

«Frau Bonacieux!«murmelte d'Artagnan;»sollte ich so glücklich sein, das gefunden zu haben, was Jedermann sucht?«

«Gerade Euch haben wir hier erwartet, «sprachen die Fragenden unten.

Die Stimme der Frau wurde immer dumpfer; das Tafelwerk ertönte von einer geräuschvollen Bewegung, das Opfer widerstand, so weit eine Frau vier Männern widerstehen kann.

«Vergebung, meine Herren, vergebt…«murmelte die Stimme, welche nur noch unartikulirte Töne hören ließ.

«Sie knebeln sie! sie schleppen sie fort!«rief d'Artagnan und sprang wie eine Feder auf.»Meinen Degen! ich habe ihn zum Glück an meiner Seite. Planchet!«

«Gnädiger Herr!«

«Lauf schnell, suche Athos, Porthos und Aramis auf. Einer von diesen Dreien wird sicherlich zu Hause sein; vielleicht sind alle drei heimgekehrt. Sie sollen sich bewaffnen und rasch hieher kommen. Ah, ich erinnere mich, Athos ist bei Herrn von Treville.«

«Aber wohin geht Ihr, gnädiger Herr, wohin geht Ihr?«

«Ich steige durch das Fenster hinab, «rief d'Artagnan,»um schneller an Ort und Stelle zu sein. Du, lege die Diele wieder ein, fege den Boden, geh' durch die Thüre und lauf, wohin ich Dir gesagt habe.«

«O, mein Herr, mein Herr, Ihr bringt Euch ums Leben, «rief Planchet.

«Schweig, Dummkopf, «sprach d'Artagnan und sich mit der Hand an der Randleiste des Fensters haltend, glitt er vom ersten Stockwerk, das glücklicher Weise nicht hoch war, hinab, ohne die geringste Verletzung zu erleiden.

Dann klopfte er an die Thüre und murmelte dabei:

«Ich will mich ebenfalls in der Mausfalle fangen lassen, aber wehe den Katzen, die sich an einer solchen Maus reiben.«

Kaum hatte der Klopfer unter der Hand des jungen Mannes ertönt, als das Geräusch aufhörte; es näherten sich Tritte, die Thüre öffnete sich und d'Artagnan stürzte mit bloßem Degen in das Zimmer des Meisters Bonacieux, dessen Thüre, ohne Zweifel durch eine Feder in Bewegung gesetzt, sich von selbst wieder schloß.

Dann vernahmen die übrigen Bewohner des unglücklichen Hauses, so wie die nächsten Nachbarn ein gewaltiges Geschrei, ein Stampfen, ein Degengeklirr und ein Zertrümmern von Geräthschaften; einen Augenblick nachher konnten die Menschen, welche erstaunt über diesen Lärmen sich an ihr Fenster gestellt hatten, um die Ursache zu erfahren, deutlich sehen, wie die Thür sich wieder öffnete und vier schwarz gekleidete Menschen nicht heraus gingen, sondern gleich aufgescheuchten Raben herausflogen, am Boden und an den Tischecken Federn von ihren Flügeln zurücklassend, d.h. Fetzen von ihren Kleidern und Stücke von ihren Mänteln.

D'Artagnan hatte mit leichter Mühe den Sieg errungen, denn nur ein einziger von den Alguazils war bewaffnet, und dieser vertheidigte sich nur der Form wegen. Die drei andern hatten es allerdings versucht, den jungen Mann mit Stühlen, Bänken und Töpfen niederzuschlagen, aber zwei bis drei Hiebe vom Flammberg des Gascogners flößten ihnen den gehörigen Schrecken ein. Zehn Minuten waren hinreichend, ihre Niederlage zu bewerkstelligen, und d'Artagnan blieb Herr des Schlachtfeldes.

Die Nachbarn, welche ihre Fenster mit der in jenen Zeiten fortwährender Aufstände und Streitigkeiten den Parisern eigenen Kaltblütigkeit geöffnet hatten, schlossen sie wieder, sobald sie die vier schwarzen Männer entfliehen sahen; ihr Instinkt sagt ihnen, daß für den Augenblick alles zu Ende war; überdies war es bereits spät geworden, und damals, wie heut zu Tage legte man sich im Quartier des Luxemburg frühe schlafen.

Allein mit Frau Bonacieux, drehte sich d'Artagnan nach dieser um. Die arme Frau war auf einen Lehnstuhl zurückgesunken und halb ohnmächtig. D'Artagnan schaute sie mit einem raschen Blick prüfend an. Es war eine reizende Frau von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, brünett, mit blauen Augen, leicht aufgestülpter Nase und einem von Rosa und Opal marmorirten Teint. Hier aber hörten die Zeichen auf, nach welchen man sie mit einer vornehmen Dame hätte verwechseln können. Die Hände waren weiß, aber nicht zart, die Füße kündigten keine Frau von Stand an. Zum Glücke konnte sich d'Artagnan noch nicht mit allen diesen Einzelnheiten beschäftigen.

Als d'Artagnan in seiner Musterung der Frau Bonacieux bis zu den Füßen gelangte, sah er auf dem Boden ein feines Batisttuch, das er seiner Gewohnheit gemäß aufhob, und erkannte an der Ecke dieselbe Zeichnung, wie an dem Taschentuch, wegen dessen er sich mit Aramis beinahe auf Leben und Tod hätte schlagen müssen. Von dieser Zeit an mißtraute d'Artagnan allen mit Wappen verzierten Sacktüchern und er steckte deshalb das von ihm aufgehobene, ohne ein Wort zu sagen, in die Tasche der Frau Bonacieux.

In diesem Augenblick kam Frau Bonacieux wieder zu sich; sie schlug die Augen auf, schaute erschrocken um sich und sah, daß das Zimmer leer und sie mit ihrem Befreier allein war. Sie reichte ihm alsbald lächelnd die Hände. Frau Bonacieux besaß das reizendste Lächeln in der Welt.

«Ah! mein Herr, «sprach sie,»Ihr habt mich gerettet. Erlaubt mir, daß ich Euch danke.«

«Madame, «sagte d'Artagnan,»ich habe nicht mehr gethan, als jeder Edelmann an meiner Stelle gethan haben würde. Ihr seid mir also keinen Dank schuldig.«

«Gewiß, mein Herr, gewiß, und ich hoffe, Euch beweisen zu können, daß Ihr keiner Undankbaren einen Dienst geleistet habt. Aber was wollten denn diese Menschen, die ich Anfangs für Diebe gehalten habe, und warum ist Herr Bonacieux nicht hier?«

«Madame, diese Menschen waren bei weitem gefährlicher, als Diebe sein könnten; denn es sind Schergen des Herrn Kardinals, und was Euern Gatten, den Herrn Bonacieux, betrifft, so befindet sich dieser nicht hier, weil man ihn gestern verhaftet und nach der Bastille abgeführt hat.«

«Mein Mann in der Bastille!«rief Frau Bonacieux;»o mein Gott, was hat er denn gethan, dieser arme liebe Mann, er ist ja die Unschuld selbst!«

Und etwas wie ein Lächeln trat auf dem noch erschrockenen Antlitz der jungen Frau hervor.

«Was er gethan hat, Madame?«sprach d'Artagnan;»ich glaube, sein Verbrechen besteht einzig und allein darin, daß er zugleich das Glück und das Unglück hat, Euer Gatte zu sein.«—»Aber, mein Herr, Ihr wißt also…«—»Ich weiß, daß man Euch entführt hat, Madame.«—»Und wer hat dies gethan? Wißt Ihr es? O! wenn ihr es wißt, so sagt es mir.«—»Ein Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, mit schwarzen Haaren, dunkler Gesichtsfarbe und einer Narbe an der linken Schläfe.«—»So ist es, so ist es, aber sein Name?«—»Ah! sein Name? Ich weiß ihn nicht.«—»Und mein Mann, wußte er, daß man mich gewaltsam weggebracht hatte?«—»Er war von dem Entführer selbst davon benachrichtigt worden.«—»Und hat er irgend einen Verdacht in Beziehung auf die Ursache dieses Ereignisses?«fragte Frau Bonacieux mit einer Verlegenheit. — »Er schrieb dasselbe einer politischen Ursache zu.«—»Anfangs zweifelte ich daran, und nun theile ich seine Ansicht. Also hat dieser gute Herr Bonacieux mich nicht einen Augenblick im Verdacht gehabt?«—»Ach! weit entfernt, Madame. Er war zu stolz auf Eure Klugheit und besonders auf Eure Liebe.«

Ein zweites, beinahe unmerkliches Lächeln umspielte die rosigen Lippen der schönen jungen Frau.

«Aber wie ist es Euch gelungen zu entfliehen?«fuhr d'Artagnan fort.

«Ich benützte einen Augenblick, wo ich allein blieb, und da ich seit diesem Morgen wußte, was ich von meiner Entführung zu halten hatte, so ließ ich mich mit Hülfe meiner Betttücher vom Fenster herab und lief hierher, in der Hoffnung, meinen Mann zu finden.«

«Um Euch unter seinen Schutz zu stellen?«

«Oh! nein, der arme liebe Mann, ich wußte wohl, daß er unfähig wäre, mich zu vertheidigen. Da er uns aber zu etwas Anderem dienen konnte, so wollte ich ihn hievon in Kenntniß setzen.«

«Wovon?«

«O, das ist nicht mein Geheimniß, ich kann es Euch also nicht sagen.«

«Uebrigens, «sprach d'Artagnan,»verzeiht, Madame, daß ich, ein einfacher Soldat, Euch an Klugheit erinnere, übrigens glaube ich, daß wir uns hier nicht am geeigneten Orte zu vertraulichen Mittheilungen befinden. Die Menschen, welche ich in die Flucht geschlagen habe, werden binnen Kurzem mit bewaffneter Mannschaft zurückkehren, und wenn sie uns hier finden, sind wir verloren. Ich habe wohl drei von meinen Freunden benachrichtigen lassen, aber wer weiß, ob man sie zu Hause traf?«

«Ja, ja, Ihr habt Recht, «rief Frau Bonacieux erschrocken,»fliehen wir, retten wir uns!«

Bei diesen Worten nahm sie d'Artagnan beim Arm und suchte ihn fortzuziehen.

«Aber wohin fliehen?«sprach d'Artagnan.»Wo werden wir sicher sein?«

«Entfernen wir uns zuerst von diesem Hause und das Uebrige wird sich finden.«

Und der junge Mann und die junge Frau gingen rasch, ohne auch nur die Hausthüre zu verschließen, durch die Rue des Fosses — Monsieur-le-Prince und hielten erst auf der Place Saint-Sulpice an.

«Und was fangen wir nun an?«fragte d'Artagnan,»und wohin soll ich Euch führen?«

«Ich bin sehr in Verlegenheit, Euch hierauf zu antworten, «sagte Frau Bonacieux.»Es war meine Absicht, Herrn de la Porte durch meinen Mann benachrichtigen zu lassen, damit er uns genau sagen könnte, was seit drei Tagen im Louvre vorgegangen ist, und ob es nicht gefährlich für mich sei, dort zu erscheinen.«

«Aber ich kann eben so wohl Herrn de la Porte benachrichtigen, «sagte d'Artagnan.

«Allerdings, nur ist dabei ein unglücklicher Umstand zu bedenken. Herrn Bonacieux kennt man im Louvre und ließe ihn passiren, während man Euch nicht kennt und Euch die Thüre verschließen würde.«

«Ah, bah!«sprach d'Artagnan,»Ihr habt gewiß an irgend einer Pforte des Louvre einen Hausmeister, der Euch ergeben ist, und mit Hülfe eines Losungswortes…«

Frau Bonacieux schaute den jungen Mann fest an.

«Und wenn ich Euch dieses Losungswort gebe,»sprach sie,»würdet Ihr es wohl vergessen, sobald Ihr Euch desselben bedient hättet?«—»Bei meiner Ehre, so wahr ich ein Edelmann bin, «sagte d'Artagnan mit einem Ton, der keinen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit übrig ließ. —»Gut, ich glaube Euch, Ihr seht aus, wie ein braver junger Mann. Ueberdies ist Euer Glück vielleicht die Folge Eurer Ergebenheit.«—»Ich werde ohne ein Versprechen und freiwillig Alles thun, was in meinen Kräften liegt, um dem König zu dienen und der Königin angenehm zu sein, «sagte d'Artagnan.»Verfügt also über mich, als über einen Freund.«—»Aber ich, wohin werdet Ihr mich einstweilen bringen?«—»Habt Ihr Niemand, bei dem Herr de la Porte Euch abholen konnte?«—»Nein, ich will mich Niemand anvertrauen.«—»Halt!«sprach d'Artagnan,»wir sind an der Thüre von Athos. Ja, so geht es.«—»Wer ist Athos?«—»Einer von meinen Freunden.«—»Aber wenn er zu Hause ist, so sieht er mich.«—»Er ist nicht zu Hause, und ich nehme den Schlüssel mit, nachdem ich Euch in sein Zimmer geführt habe.«—»Und wenn er zurückkommt?«—»Er wird nicht zurückkommen. Ueberdies wird man ihm sagen, ich habe eine Frau gebracht und diese Frau befinde sich in seiner Wohnung.«—»Das wird meinen Ruf zu sehr gefährden, wißt Ihr wohl?«—»Was ist Euch daran gelegen? Man kennt Euch nicht, und abgesehen davon, befinden wir uns in einer Lage, wo man sich einiger Maßen über die Schicklichkeit wegsetzen muß.«—»Gehen wir also zu Eurem Freunde. Wo wohnt er?«—»In der Rue Ferou, zwei Schritte von hier.«—»Vorwärts!«

Uno beide setzten sich wieder in Marsch. Athos war, wie d'Artagnan vorausgesehen hatte, nicht zu Hause. Dieser nahm den Schlüssel, den man ihm als einem Freunde des Miethmannes zu geben gewohnt war, stieg die Treppe hinauf und führte Frau Bonacieux in die von uns bereits beschriebene Wohnung.

«Thut wie daheim, «sprach er,»schließt die Thüre von innen und öffnet Niemand, wenn Ihr nicht dreimal auf folgende Weise klopfen hört; gebt Acht. «Und er klopfte dreimal, zweimal kurz hinter einander und sehr stark, einmal entfernter und leichter.

«Gut, «sprach Frau Bonacieux. Nun ist es an mir. Euch Instructionen zu geben.«—»Ich höre.«—»Begebt Euch nach der Pforte des Louvre auf der Seite der Rue de l'Echelle und fragt nach Germain.«—»Gut, und dann?«—»Er wird Euch fragen, was Ihr wollt, und Ihr antwortet ihm mit den zwei Worten Tours und Brüssel. Sogleich wird er sodann zu Euern Befehlen stehen.«—»Und was soll ich ihm befehlen?«—»Herrn de la Porte, den Kammerdiener der Königin, zu holen.«—»Und wenn er ihn geholt hat und Herr de la Porte kommt?«—»So schickt Ihr ihn zu mir.«—»Ganz gut. Aber wo und wie werde ich Euch wiedersehen?«—»Ist Euch viel daran gelegen, mich wiederzusehen?«—»Gewiß.«—»Ueberlaßt mir die Sorge hiefür und seid ruhig.«—»Ich baue auf Euer Wort.«—»Rechnet darauf.«

D'Artagnan verabschiedete sich von Frau Bonacieux mit dem verliebtesten Blick, den er auf ihrer reizenden kleinen Person zu concentriren vermochte, und während er die Treppen hinabstieg, hörte er die Thüre doppelt hinter sich verschließen. Mit zwei Sprüngen war er am Louvre. Als er durch die Pforte an der Rue de l'Echelle trat, schlug es zehn Uhr. Die von uns mitgetheilten Ereignisse waren im Verlauf einer halben Stunde erfolgt.

Alles ging, wie Frau Bonacieux vorhergesagt hatte. Auf das bestimmte Losungswort verbeugte sich Germain; zwei Minuten nachher befand sich de la Porte in der Loge; mit zwei Worten theilte ihm d'Artagnan das Nothwendige mit und bezeichnete ihm den Aufenthalt der Frau Bonacieux. Sobald de la Porte die Adresse genau wußte, entfernte er sich in größter Eile; kaum hatte er jedoch zehn Schritte gemacht, als er zurückkehrte und zu d'Artagnan sagte:

«Junger Mann, einen Rath!«—»Welchen?«—»Man könnte Euch wegen dessen, was vorgefallen ist, beunruhigen.«—»Ihr glaubt?«—»Ja, habt Ihr einen Freund, dessen Uhr nachgeht?«—»Nun?«—»Geht zu ihm, damit er bezeugen kann, Ihr wäret um halb zehn Uhr bei ihm gewesen. Das nennt man in der Justiz ein Alibi.«

D'Artagnan fand den Rath klug. Er lief über Hals und Kopf und kam zu Herrn von Treville. Aber statt wie alle Welt in den Salon zu gehen, bat er, in sein Cabinet eingelassen zu werden. Da d'Artagnan einer der täglichen Gäste des Hotels war, so setzte man seiner Bitte keine Schwierigkeiten entgegen und benachrichtigte Herrn von Treville, sein junger Landsmann, der ihm etwas Wichtiges mitzutheilen habe, verlange eine Privataudienz. Nach fünf Minuten fragte Herr von Treville d'Artagnan, in was er ihm zu Dienst sein könne, und welchem Umstand er seinen späten Besuch zuzuschreiben habe?

«Um Vergebung, gnädiger Herr, «sprach d'Artagnan, der den Augenblick seines Alleinseins dazu benützt hatte, die Uhr um drei Viertelstunden zurückzurücken;»ich dachte, da es erst neun Uhr fünfundzwanzig Minuten sei, so könne ich mich wohl noch bei Euch einfinden.«

«Neun Uhr fünfundzwanzig Minuten!«rief Herr von Treville und schaute nach seiner Pendeluhr;»das ist unmöglich!«

«Seht selbst, gnädiger Herr, dort ist der Beweis.«

«Es ist richtig, «versetzte Herr von Treville,»ich hätte geglaubt, es wäre später. Doch laßt hören, was wollt Ihr von mir?«

D'Artagnan machte nun Herrn von Treville eine lang Geschichte über die Königin, er setzte ihm seine Befürchtungen in Beziehung auf seine Majestät auseinander, erzählte ihm, was er von den Projekten des Kardinals in Betreff Buckinghams hatte sagen hören, und Alles dies mit einer Ruhe, mit einer festen Haltung, wodurch sich Herr von Treville um so leichter bethören ließ, als er ja selbst wahrgenommen hatte, daß etwas Neues zwischen dem König, der Königin und dem Kardinal vorging.

Als es zehn Uhr schlug, verließ d'Artagnan Herrn von Treville, der ihm für seine Nachrichten dankte und ihm empfahl, den Dienst des Königs und der Königin wohl im Auge und im Herzen zu haben. Aber unten an der Treppe erinnerte sich d'Artagnan, daß er seinen Stock vergessen hatte. Er stieg schnell wieder hinauf, kehrte in das Cabinet zurück, rückte die Uhr mit dem Finger an ihre Stunde vor, damit man am andern Morgen nicht bemerken konnte, daß man sie in Unordnung gebracht hatte, und da er nun eines Zeugen für sein Alibi gewiß war, lief er wieder die Treppe hinab und befand sich in Kurzem abermals auf der Straße.


XI. Die Intrigue schürzt sich

Als d'Artagnan seinen Besuch bei Herrn von Treville gemacht hatte, nahm er den weitesten Weg, um nach Hause zu gehen.

An was dachte d'Artagnan, als er sich so weit von seiner Straße entfernte, die Gestirne des Himmels betrachtete, bald seufzte, bald lächelte?

Er dachte an Frau Bonacieux. Für einen Musketierlehrling war diese junge Frau fast ein Liebesideal. Hübsch, mysteriös, beinahe in alle Geheimnisse des Hofes eingeweiht, welche so viel reizenden Ernst auf ihren anmuthigen Zügen wiederspiegelten, stand sie im Verdacht, nicht unempfindlich zu sein, was für Neulinge in der Liebe einen unwiderstehlichen Reiz bildet. Ueberdies hatte d'Artagnan sie aus den Händen dieser Teufel befreit, die sie mißhandeln und durchsuchen wollten. Und dieser wichtige Dienst hatte Dankbarkeitsgefühle bei ihr gegründet, welche so leicht einen zärtlicheren Charakter annehmen.

D'Artagnan sah bereits, so rasch gehen die Träume auf den Flügeln der Einbildungskraft, einen Boten von der jungen Frau vor sich, der ihm ein Rendezvousbillet, eine goldene Kette oder einen Diamant zustellte. Wir haben schon erwähnt, daß junge Cavaliere, ohne sich zu schämen, Geld von ihrem König annahmen; fügen wir noch bei, daß sie in jenen Zeiten leichter Moral auch vor ihren Geliebten nicht errötheten, und daß diese ihnen beinahe beständig kostbare und dauerhafte Erinnerungen zurückließen, als ob sie die Gebrechlichkeit ihrer Gefühle durch die Festigkeit ihrer Geschenke hätten gutmachen wollen.

Man machte damals seinen Weg durch die Frauen, ohne sich dessen zu schämen. Diejenigen, welche nur schön waren, gaben ihre Schönheit, und hievon rührt ohne Zweifel das Sprichwort: daß das schönste Mädchen der Welt nur das geben kann, was sie hat. Die Reichen gaben überdies einen Theil ihres Geldes, und man könnte gar manche Helden aus dieser galanten Epoche anführen, welche erstens ihre Sporen und zweitens ihre Schlachten nicht gewonnen hätten ohne die mehr oder minder gespickte Börse, die ihre Geliebte ihnen an den Sattelbogen befestigte.

D'Artagnan besaß nichts; die Blödigkeit des Provinzbewohners, — ein leichter Firniß, eine ephemere Blüthe, ein Pfirsichflaum, — war unter dem Winde der nicht sehr orthodoxen Rathschläge verdunstet, welche die drei Musketiere ihrem Freunde gaben. D'Artagnan betrachtete sich, nach dem seltsamen Gebrauch jener Zeit, in Paris wie im Felde, und dies nicht mehr und nicht weniger als in Flandern: der Spanier da unten, die Frau hier. Es gab überall Feinde, die man zu überwinden hatte, überall waren es Steuern, die man eintreiben zu müssen glaubte.

Aber wir können nicht leugnen, daß d'Artagnan in diesem Augenblick von einem edleren, uneigennützigeren Gefühle bewegt war. Der Krämer hatte ihm gesagt, er sei reich; der junge Mann konnte sich leicht denken, daß bei einem albernen Menschen, wie Herr Bonacieux, die Frau den Kassenschlüssel in der Hand haben mußte. Aber Alles dies übte durchaus keinen Einfluß auf die Empfindung aus, welche der Anblick der Frau Bonacieux hervorgebracht hatte, und das Interesse war diesem Liebesanfang, der Folge dieses Anblicks, beinahe fremd geblieben; wir sagen beinahe, denn der Gedanke, daß eine schöne, anmuthige, geistreiche junge Frau zu gleicher Zeit reich ist, benimmt diesem Liebesanfang durchaus nichts, sondern verstärkt ihn vielmehr. Es gibt bei der Wohlhabenheit eine Menge von aristokratischen Launen und Bedürfnissen, die der Schönheit sehr gut stehen. Ein feiner weißer Strumpf, ein seidenes Kleid, ein Spitzenbesatz, ein schöner Schuh am Fuß, ein frisches Band auf dem Kopfe machen eine häßliche Frau nicht hübsch, aber eine hübsche Frau schön, abgesehen von den Händen, die bei Allem dem gewinnen. Die Hände müssen bei den Frauen müßig bleiben, um schön zu bleiben

Dann war d'Artagnan, wie der Leser wohl weiß, da wir ihm seinen Vermögensstand nicht verborgen haben, kein Millionär; er hoffte, es eines Tags zu werden, aber die Zeit, die er selbst für diese glückliche Veränderung der Dinge feststellte, war ziemlich weit entfernt. Bis dahin, welche Verzweiflung, eine Frau die tausenderlei Kleinigkeiten verlangen zu sehen, die das Glück der Frauen bilden, und ihr eben diese tausenderlei Kleinigkeiten nicht geben zu können! Wenn die Frau reich ist und der Liebhaber nicht, so gibt sie sich selbst, was ihr der Liebhaber nicht bieten kann, und obgleich sie sich diesen Genuß gewöhnlich mit dem Gelde ihres Mannes verschafft, so fließt doch ihr Dank sehr selten diesem zu.

Geneigt, der zärtlichste Liebhaber zu sein, war d'Artagnan mittlerweile der ergebenste Freund. Mitten unter den verliebten Entwürfen auf die Frau des Krämers, vergaß er die seinigen nicht; die hübsche Bonacieux war ganz die Frau, die man auf der Ebene St. Denis oder auf dem Markte St. Germain spazieren führen konnte, in Gesellschaft von Athos, Porthos und Aramis, denen er eine solche Eroberung mit Stolz zeigen würde. Wenn man lang gegangen ist, stellt sich der Hunger ein; dies hatte d'Artagnan seit ewiger Zeit bemerkt. Man konnte da jene kleinen Diners einnehmen, wobei man auf der einen Seite die Hand eines Freundes und auf der andern den Fuß einer Geliebten berührt. Und dann konnte d'Artagnan in dringlichen Augenblicken und peinlichen Lagen der Retter seiner Freunde werden.

Herr Bonacieux aber, den d'Artagnan in die Hände der Sbirren gestoßen, den er laut verläugnet und dem er ganz leise Rettung versprochen hatte? Wir müssen unsern Lesern gestehen, daß d'Artagnan auf keine Weise hieran dachte, oder daß er, wenn er auch daran dachte, sich höchstens sagte, der Mann sei ganz gut da, wo er sich befinde, wo dies auch sein möchte. Für den Augenblick wollen wir es machen, wie der verliebte Gascogner; wir kommen jedoch später auf den würdigen Krämer zurück.

Während d'Artagnan seine zukünftige Liebe überdachte, mit der Nacht sprach und den Sternen zulächelte, ging er die Rue Cherche-Midi oder Chasse-Midi, wie man sie damals nannte, hinauf. Da er sich in dem Quartier von Aramis befand, so kam ihm der Gedanke, seinem Freund einen Besuch zu machen und ihm die Gründe auseinanderzusetzen, die ihn bewogen hatten, denselben durch Planchet zu einem augenblicklichen Besuch in der Mausfalle auffordern zu lassen. Wäre Aramis zu Hause gefunden worden, so würde er ohne Zweifel nach der Rue des Fossoyers gelaufen sein und dort Niemand als seine zwei Kameraden gefunden haben, welche eben so wenig, wie er selbst gewußt hätten, was dies bedeuten sollte. Diese Störung verdiente wohl aufgeklärt zu werden; das war es, was sich d'Artagnan ganz laut sagte.

Ganz leise dachte er, es sei für ihn eine Gelegenheit, von der hübschen, kleinen Bonacieux zu sprechen, welche seinen Geist, wenn auch nicht sein Herz, bereits gänzlich erfüllt hatte. Bei einer ersten Liebe darf man keine Discretion fordern; diese erste Liebe ist von so großer Freude begleitet, daß sie ausströmen muß, wenn sie uns nicht ersticken soll.

Paris war seit zwei Stunden düster und fing an, öde zu werden. Es schlug elf Uhr auf allen Glockentürmen des Faubourg St. Germain. Das Wetter war mild. D'Artagnan ging eine Gasse entlang, welche auf der Stelle lag, wo sich jetzt die Rue d'Assas hinzieht. Er athmete die balsamischen Ausdünstungen ein, welche der Wind aus der Rue de Vaugirard und den daran anstoßenden, vom Abendthau erfrischten Gärten herübertrug. Aus der Ferne tönte das durch gute Fensterläden etwas gedämpfte Geräusch der auf der Ebene zerstreuten Schenken. Am Ende der Gasse angelangt, wandte sich d'Artagnan nach links. Das von Aramis bewohnte Haus lag zwischen der Rue Cassette und der Rue Servandoni. D'Artagnan hatte bereits die Rue Cassette durchschritten und erkannte die Hausthüre seines Freundes, welche unter Sykomoren und Rebwinden vergraben war, die über derselben einen schweren Wulst bildeten, als er etwas wie einen Schatten erblickte, der aus der Rue Servandoni hervorkam. Dieses Etwas war in einen Mantel gehüllt und d'Artagnan hielt es Anfangs für einen Mann. Aber an der Feinheit des Wuchses und der Unsicherheit des Ganges erkannte er bald, daß es eine Frau war. Diese Frau schlug, als wäre sie ungewiß über das Haus, das sie suchte, die Augen auf, um sich zu orientieren, blieb stille stehen, kehrte sich um, ging einige Schritte rückwärts und wieder vorwärts. Das reizte die Neugierde d'Artagnan's.

«Wenn ich ihr meine Dienste anböte, «dachte er;»an ihrem Wesen erkennt man, daß sie jung ist; vielleicht ist sie auch hübsch. Oh! ja. Aber eine Frau, welche um diese Zeit in den Straßen umherläuft, sucht in der Regel nichts Anderes, als ihren Liebhaber. Pest! Rendezvous zu stören, wäre eine schlimme Einleitung zu meinem Liebeshandel!«

Die junge Frau ging indessen immer vorwärts, und zählte die Häuser und Fenster. Das war übrigens weder schwierig noch langwierig. Es gab in diesem Theil der Straße nur drei Hotels und zwei Fenster, welche auf die Straße gingen. Das eine war das eines Pavillons, welcher mit der Wohnung von Aramis parallel lag, das andere das von Aramis selbst.

«Bei Gott, «sprach d'Artagnan, dem die Nichte des Theologen einfiel, zu sich selbst,»bei Gott es wäre drollig, wenn diese verspätete Taube das Haus unseres Freundes aufsuchte. Aber, bei meiner Seele, es sieht so aus. Ah, mein lieber Aramis, diesmal wollen wir Dir auf die Sprünge kommen.«

D'Artagnan machte sich so schmal als möglich und verbarg sich auf der dunkelsten Seite der Straße bei einer steinernen Bank, welche im Hintergrund einer Nische stand.

Die junge Frau schritt immer vorwärts; abgesehen von dem leichten Gang, der sie verrathen hatte, ließ sie ein leichtes Husten vernehmen, das eine äußerst frische Stimme offenbarte. D'Artagnan hielt es für ein Signal. Aber ob nun das Husten durch em gleichbedeutendes Zeichen erwiedert wurde, das der Unentschlossenheit der nächtlichen Sucherin ein Ende machte, oder ob sie ohne fremde Hülfe erkannt hatte, daß sie am Ziele ihrer Wanderung angelangt war, — sie näherte sich entschlossen dem Fensterladen von Aramis und klopfte dreimal in gleichen Zwischenräumen mit gekrümmtem Finger daran.

«Das ist allerdings bei Aramis, «murmelte d'Artagnan.»Ah, mein Herr Heuchler, ich ertappe Euch bei den theologischen Studien!«

Die Unbekannte hatte kaum dreimal geklopft, als der innere Kreuzstock sich öffnete und ein Licht durch den Laden sichtbar wurde.

«Ah, ah!«flüsterte der Horcher,»nicht durch die Thüren, sondern durch die Fenster, ah, ah! der Besuch war erwartet. Schön! der Laden wird sich öffnen und die Dame einsteigen. Sehr gut!«

Aber zum großen Erstaunen d'Artagnans blieb der Laden geschlossen, das Licht, welches einen Augenblick geflammt hatte, verschwand wieder, und Alles versank abermals in die frühere Dunkelheit.

D'Artagnan dachte, dies könne nicht lange so dauern, und horchte und schaute mit gespannten Ohren und weit geöffneten Augen. Er hatte Recht. Nach Verlauf einiger Sekunden ertönten zwei dumpfe Schläge im Innern.

Die junge Frau auf der Straße antwortete durch ein einmaliges Klopfen und der Laden öffnete sich.

Man kann sich leicht denken, mit welcher Gier d'Artagnan schaute und horchte.

Zum Unglück hatte man das Licht in ein anderes Zimmer gebracht. Aber die Augen des jungen Mannes waren an die Nacht gewöhnt. Ueberdieß haben die Augen der Gascogner, wie man versichert, die Eigenschaft, daß sie, wie die Katzen, in der Finsterniß sehen.

D'Artagnan bemerkte also, wie die junge Frau aus ihrer Tasche einen weißen Gegenstand herausholte, den sie lebhaft auseinanderwickelte, und der sodann die Gestalt eines Sacktuches annahm. Sobald dieser Gegenstand entwickelt war, zeigte sie der Person im Hause eine Ecke desselben.

Dies erinnerte d'Artagnan an das Taschentuch, das er zu den Füßen der Frau Bonacieux gefunden, und welches ihn an das zu den Füßen von Aramis gefundene erinnert hatte.

«Was Teufel konnte denn dieses Taschentuch bedeuten?«

Auf der Stelle, wo er stand, vermochte d'Artagnan das Gesicht von Aramis nicht zu sehen. Wir sagen, von Aramis, weil d'Artagnan nicht im Geringsten zweifelte, daß sein Freund es sei, der von innen mit der Dame außen sprach. Die Neugierde trug den Sieg über die Klugheit davon, und den Umstand benutzend, daß die zwei Personen, welche wir in Scene gesetzt haben, ganz von der Aufmerksamkeit gefesselt zu sein schienen, die sie dem Anblick des Taschentuchs widmeten, verließ er sein Versteck und drückte sich, rasch wie ein Blitz, aber mit gedämpften Tritten, an eine Mauerecke, von wo aus sein Auge vollkommen in's Innere von Aramis Wohnung dringen konnte.

Hier angelangt, stieß d'Artagnan beinahe einen Schrei des Erstaunens aus. Nicht Aramis sprach mit dem nächtlichen Besuche, sondern eine Frau. D'Artagnan sah wohl genug, um die Form ihrer Kleidung zu erkennen, aber nicht genug, um ihre Züge zu unterscheiden.

In demselben Augenblick zog die Frau in der Wohnung ein zweites Taschentuch hervor, und vertauschte es mit dem, welches man ihr gezeigt hatte. Dann wurden einige Worte zwischen den zwei Frauen gewechselt, der Laden verschloß sich wieder, die Frau, welche sich außen befand, wandte sich um und ging auf vier Schritte, die Kappe ihres Mantels niederschlagend, an d'Artagnan vorüber; aber letztere Vorsichtsmaßregel war zu spät genommen worden, d'Artagnan hatte bereits Frau Bonacieux erkannt.

Frau Bonacieux! Dieser Verdacht hatte sich schon in seinem Geiste geregt, als sie das Taschentuch hervorzog; aber welche Wahrscheinlichkeit war vorhanden, daß Frau Bonacieux, die nach Herrn de la Porte geschickt hatte, um sich nach dem Louvre zurückführen zu lassen, allein um halb zwölf Uhr in der Nacht, auf die Gefahr, abermals verhaftet zu werden, in den Straßen umhergehen würde?

Es mußte also eine sehr wichtige Angelegenheit im Spiele sein, und was für wichtige Angelegenheiten gibt es für eine Frau von fünfundzwanzig Jahren? Die Liebe.

Aber setzte sie sich für eigene Rechnung oder für Rechnung einer andern Person solchen Zufällen aus? Das war es, was sich der junge Mann selbst fragte; denn der Dämon der Eifersucht nagte nicht mehr und nicht minder an seinem Herzen, als wenn er bereits ein in volles Recht eingesetzter Liebhaber gewesen wäre.

Es gab übrigens ein sehr einfaches Mittel, sich zu überzeugen, wohin Frau Bonacieux ging. Er brauchte ihr nur zu folgen, und dieses Mittel war so einfach, daß d'Artagnan es ganz von selbst und instinktmäßig anwandte.

Aber bei dem Anblick des jungen Mannes, der von der Mauer hervortrat, wie eine Statue aus ihrer Nische, und bei dem Geräusch der Tritte, die sie hinter sich erdröhnen hörte, stieß Frau Bonacieux einen kurzen Schrei aus und entfloh.

D'Artagnan lief ihr nach. Es wurde ihm nicht schwer, eine Frau zu erreichen, die durch ihren Mantel im Laufe gehemmt wurde. Er hatte sie also schon innerhalb des ersten Drittels der Straße eingeholt, in die sie sich flüchtete. Die Unglückliche war erschöpft, nicht vor Ermüdung, sondern vor Schrecken, und als ihr d'Artagnan die Hand auf die Schulter legte, stürzte sie auf die Kniee und schrie mit erschreckter Stimme:

«Tödtet mich, wenn Ihr wollt, aber Ihr sollt nichts erfahren.«

D'Artagnan schlang seinen Arm um ihren Leib und hob sie auf. Da er aber an ihrem Gewichte bemerkte, daß sie einer Ohnmacht nahe war, so beeilte er sich, sie durch Betheuerungen seiner Ergebenheit zu beruhigen. Diese Betheuerungen galten der Frau Bonacieux Nichts, denn man kann solche mit den schlimmsten Absichten der Welt geben, aber die Stimme war Alles. Die junge Frau glaubte den Klang dieser Stimme zu erkennen; sie öffnete die Augen, warf einen Blick auf den Mann, der ihr so bange gemacht hatte, erkannte d'Artagnan und stieß einen Freudenschrei aus.

«Ah, Ihr seid's, Ihr seid's, «sprach sie,»Gott sei gelobt!«—»Ja, ich bin's, «erwiederte d'Artagnan,»Gott hat mich gesandt, über Euch zu wachen.«—»Seid Ihr mir in dieser Absicht gefolgt?«fragte mit kokettem Lächeln die junge Frau, deren etwas spöttischer Charakter wieder die Oberhand gewann, und deren Furcht gänzlich verschwunden war, seit sie in dem vermeintlichen Feind einen Freund erkannt hatte. — »Nein, «sprach d'Artagnan,»nein, ich gestehe es, der Zufall hat mich Euch in den Weg geführt. Ich sah eine Frau an das Fenster eines meiner Freunde klopfen.«—»Eines Eurer Freunde?«unterbrach ihn Frau Bonacieux. — »Allerdings; Aramis ist einer meiner besten Freunde.«—»Aramis? wer ist dies?«—»Geht doch! wollt Ihr etwa behaupten, Ihr kennet Aramis nicht?«—»Ich höre zum ersten Mal seinen Namen aussprechen.«—»Ihr kommt also auch zum ersten Mal an dieses Haus?«—»Allerdings!«—»Und Ihr wußtet nicht, daß es von einem jungen Menschen bewohnt war?«—»Nein.«—»Von einem Musketier?«—»Keineswegs.«—»Ihr habt also nicht ihn aufgesucht?«—»Durchaus nicht. Ueberdieß habt Ihr wohl gesehen, daß die Person, mit der ich sprach, eine Frau war.«—»Allerdings; aber diese Frau gehört wohl zu den Freundinnen von Aramis?«—»Ich weiß es nicht.«—»Da sie bei ihm wohnt.«—»Das geht mich nichts an.«—»Aber wer ist sie denn?«—»Oh! das ist nicht mein Geheimniß.«—»Liebe Frau Bonacieux, Ihr seid reizend, aber zugleich die geheimnißvollste Frau…«—»Verliere ich dabei?«—»Nein, Ihr seid im Gegentheil anbetungswürdig.«—»Dann gebt mir den Arm.«—»Sehr gerne; und nun?…«—»Nun führt mich.«—»Wohin?«—»Wohin ich gehe.«—»Aber wohin geht Ihr?«—»Ihr werdet es sehen, da Ihr mich an der Thüre verlassen müßt.«—»Soll ich Euch erwarten?«—»Das wird unnöthig sein.«—»Ihr werdet also allein zurückkehren?«—»Vielleicht ja, vielleicht nein.«—»Aber wird die Person, die Euch sodann begleitet, ein Mann oder eine Frau sein?«—»Ich weiß es noch nicht.«—»Das werde ich wohl erfahren.«—»Wie dies?«—»Ich werde Euch erwarten, um Euch herauskommen zu sehen.«—»In diesem Falle adieu!«—»Wie so?«—»Ich bedarf Eurer nicht.«—»Aber Ihr erbatet Euch ja…«—»Die Hülfe eines Edelmannes und nicht die Überwachung eines Spions.«—»Das Wort ist etwas hart.«—»Wie nennt man diejenigen, welche den Leuten ungeheißen folgen?«—»Indiscrete.«—»Das Wort ist zu weich.«—»Nun, Madame, ich sehe wohl, daß man alles thun muß, was Ihr haben wollt.«—»Warum habt Ihr Euch des Verdienstes beraubt, es sogleich zu thun?«—»Gibt es nicht Menschen, welche zu bereuen wissen?«—»Ihr bereuet also ernstlich? — »Ich weiß dies selbst nicht. Ich weiß nur so viel, daß ich Euch Alles zu thun verspreche, was Ihr haben wollt, wenn Ihr mich Euch bis dahin begleiten laßt, wohin Ihr geht.«—»Und Ihr verlaßt mich sodann?«—»Ja.«—»Ohne mich bei meinem Austritt zu bespähen?«—»Nein.«—»Auf Ehrenwort?«—»So wahr ich ein Edelmann bin!«—»Gebt mir Euren Arm und dann vorwärts!«

D'Artagnan bot seinen Arm der Frau Bonacieux, welche sich halb lachend, halb zitternd daran hing, und sie gewannen die Höhe der Rue de la Harpe. Hier angelangt, schien die junge Frau zu zögern, wie sie dies bereits in der Rue de Vaugirard gethan hatte. Aber sie erkannte wohl an gewissen Zeichen die Thüre, näherte sich dieser und sprach:

«Nun, mein Herr, hier habe ich Geschäfte. Ich danke Euch tausendmal für das ehrenvolle Geleite, das mich vor allen Gefahren beschützt hat; aber der Augenblick, Wort zu halten, ist gekommen. Ich bin am Orte meiner Bestimmung.«

«Und Ihr habt bei Eurer Rückkehr nichts mehr zu befürchten?«

«Ich habe nur die Diebe zu fürchten.«

«Ist das nichts?«»Was könnten sie mir nehmen? ich habe keinen Pfennig bei mir.«

«Ihr vergeßt das schön gestickte Taschentuch mit dem Wappen.«

«Welches?«

«Das, welches ich zu Euren Füßen gefunden und wieder in Eure Tasche gesteckt habe.«

«Schweigt, schweigt. Unglücklicher!«rief die junge Frau.»Wollt Ihr mich verderben?«

«Ihr seht, daß immer noch Gefahr für Euch vorhanden ist, da Euch ein einziges Wort zittern macht und Ihr eingesteht, daß Ihr verloren wäret, wenn man dieses Wort hören würde. Ah! Madame, «fuhr d'Artagnan fort, indem er ihre Hand ergriff und mit glühenden Blicken betrachtete,»seid edelmüthiger, vertraut Euch mir an; habt Ihr nicht in meinen Augen gelesen, daß in meinem Herzen nur Ergebenheit und Mitgefühl herrschen?«

«Allerdings, «antwortete Frau Bonacieux,»verlangt meine Geheimnisse von mir und ich werde sie Euch sagen; aber bei fremden Geheimnissen ist mir dies nicht möglich.«

«Gut, «sprach d'Artagnan,»ich werde sie zu entdecken wissen; da diese Geheimnisse Einfluß auf Euer Leben üben können, so müssen sie die meinigen werden.«

«Hütet Euch wohl, «rief die junge Frau mit einem Ernst, der d'Artagnan unwillkürlich beben machte.»Oh! mischt Euch auf keinerlei Weise in meine Angelegenheiten, sucht mich nicht in der Erfüllung meiner Aufgabe zu unterstützen, ich bitte Euch darum, bei der Theilnahme, die ich Euch einflöße, bei dem Dienste, den Ihr mir geleistet habt, und den ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde. Glaubt vielmehr, was ich Euch sage. Beschäftigt Euch nicht mehr mit mir, ich sei für Euch gar nicht mehr vorhanden, es sei, als ob Ihr mich gar nicht gesehen hättet.«

«Muß Aramis dasselbe thun, wie ich?«fragte d'Artagnan gereizt.

«Ihr habt diesen Namen schon zwei- oder dreimal ausgesprochen, mein Herr, und ich sagte Euch doch, daß ich ihn nicht kenne.«

«Ihr kennt den Mann nicht, an dessen Laden Ihr geklopft habt? Ihr haltet mich doch für gar zu leichtgläubig, Madame!«»Gesteht, daß Ihr, um mich zum Sprechen zu veranlassen, diese Geschichte erfindet und diese Person schafft.«

«Ich erfinde nichts, ich schaffe nichts, Madame, ich sage die strenge Wahrheit.«

«Und Ihr behauptet, einer von Euren Freunden wohne in diesem Hause?«

«Ich behaupte und wiederhole es zum dritten Male, in diesem Hause wohnt mein Freund, und dieser Freund ist Aramis.«

«Alles das wird sich später erklären, für jetzt, mein Herr, schweigt.«

«Wenn Ihr mein Herz ganz unverhüllt sehen könntet, «sprach d'Artagnan,»so würdet Ihr darin so viel Neugierde lesen, daß Ihr Mitleid mit mir hättet, und so viel Liebe, daß Ihr sogleich eben diese Neugierde befriedigen würdet. Man hat von Liebenden nichts zu befürchten.«

«Ihr sprecht sehr rasch von Liebe, mein Herr, «sagte die junge Frau, den Kopf schüttelnd.

«Weil die Liebe mich rasch und zum ersten Male erfaßt hat, und weil ich noch nicht zwanzig Jahre alt bin.«

Die junge Frau schaute ihn verstohlen an.

«Hört, ich bin der Sache bereits auf der Spur, «versetzte d'Artagnan.»Vor drei Monaten hätte ich beinahe ein Duell mit Aramis wegen eines Taschentuchs gehabt, das ganz dem ähnlich ist, das Ihr der Frau, welche bei ihm war, gegen ein auf dieselbe Weise bezeichnetes Tuch vorwieset.«

«Mein Herr, «erwiederte die junge Frau,»ich schwöre Euch, Ihr ermüdet mich mit diesen Fragen.«

«Aber Ihr, die Ihr so klug seid, Madame, bedenkt doch: wenn man Euch verhaftete und dieses Taschentuch bei Euch fände, würdet Ihr hiedurch nicht gefährdet?«

«Warum denn, sind die Anfangsbuchstaben nicht die meinigen: C. B. Constance Bonacieux?«

«Oder Camille von Bois-Tracy.«

«Stille, mein Herr, stille! da die Gefahren, denen ich ausgesetzt bin, Euch nicht zurückhalten, so bedenkt, wie Ihr gefährdet seid.«»Ich?«

«Ja, Ihr, Eure Freiheit ist bedroht. Euer Leben steht auf dem Spiele, wenn Ihr mich kennt.«

«Dann verlasse ich Euch nicht mehr.«

«Mein Herr, «sprach die junge Frau flehend und die Hände faltend,»mein Herr, im Namen des Himmels, im Name der Ehre eines Militärs, im Namen der Ritterlichkeit eines Edelmannes, entfernt Euch; hört, es schlägt Mitternacht, es ist die Stunde, wo man mich erwartet.«

«Madame, «erwiederte der junge Mann sich verbeugend,»wenn man mich so bittet, kann ich nichts verweigern; seid ruhig, ich entferne mich.«

«Aber Ihr folgt mir nicht, Ihr bespäht mich nicht?«

«Ich gehe sogleich nach Hause.«

«Oh! ich wußte wohl, daß Ihr ein braver junger Mann seid!«rief Frau Bonacieux, indem sie ihm eine Hand reichte und die andere an den Klopfer einer beinahe in der Mauer verborgenen Thür legte.

D'Artagnan ergriff die Hand, die man ihm darbot, und bedeckte sie mit glühenden Küssen.

«Ach! ich wollte, ich hätte Euch nie gesehen, «rief d'Artagnan mit jener naiven Derbheit, welche die Frauen häufig den künstlichen Redensarten der Höflichkeit vorziehen, weil sie den Grund der Denkungsart enthüllt und zum Beweise dient, daß das Herz den Sieg über den Geist davon trägt.

«Nun!«erwiederte Frau Bonacieux, mit beinahe schmeichelndem Tone, und drückte dabei d'Artagnans Hand, welche die ihrige noch nicht losgelassen hatte,»nun! ich sage noch nicht so viel, wie Ihr: was für heute verloren ist, ist nicht für die Zukunft verloren. Wer weiß, ob ich nicht, wenn ich eines Tags entbunden bin. Eure Neugierde befriedige.«

«Und leistet Ihr meiner Liebe dasselbe Versprechen?«rief d'Artagnan in der höchsten Freude.

«Ah! von dieser Seite will ich mich zu nichts verpflichten, das hängt von den Gefühlen ab, die Ihr mir einzuflößen wissen werdet.«

«Also heute, Madame…«»Heute, mein Herr, stehe ich erst bei der Dankbarkeit!«

«Ah! Ihr seid zu reizend, «sprach d'Artagnan traurig,»und Ihr mißbraucht meine Liebe.«

«Nein, ich gebrauche Euern Edelmuth, das ist das Ganze. Aber glaubt mir, bei gewissen Menschen findet sich Alles wieder.«

«Oh! Ihr macht mich zum glücklichsten Sterblichen. Vergeßt diesen Abend nicht, gedenket dieses Versprechens.«

«Seid unbesorgt, zu geeigneter Zeit, an geeignetem Orte werde ich mich an Alles erinnern. Aber nun geht, geht in des Himmels Namen! Man erwartet mich auf den Schlag zwölf, und ich habe mich bereits verspätet.«

«Um fünf Minuten.«

«Ja, aber unter gewissen Umständen sind fünf Minuten fünf Jahrhunderte.«

«Wenn man liebt.«

«Ei! wer sagt Euch denn, daß ich es nicht mit einem Liebenden zu tun habe?«

«Ein Mann erwartet Euch, «rief d'Artagnan,»ein Mann?«

«Geht, soll der Streit schon wieder beginnen?«sprach Frau Bonacieux mit einem leichten Lächeln, das nicht ganz von Unruhe frei war.

«Nein, nein, ich gehe, ich gehe, ich entferne mich, ich glaube Euch, ich will das volle Verdienst meiner Ergebenheit haben, und wäre diese auch eine Albernheit. Gott befohlen, Madame! Gott befohlen!«

Und als fühlte er nicht die Kraft in sich, von der Hand, die er hielt, sich anders als durch ein gewaltsames Losreißen zu trennen, lief er rasch weg, während Frau Bonacieux, wie bei dem Fensterladen, dreimal langsam und in denselben Zwischenräumen klopfte; an der Ecke der Straße drehte er sich um; man hatte die Thüre geöffnet und wieder geschlossen. Die schöne Krämerin war verschwunden.

D'Artagnan setzte seinen Weg fort; er hatte sein Wort gegeben, Frau Bonacieux nicht zu beobachten, und hätte sein Leben von dem Orte, wohin sie ging, und von der Person, die sie begleiten sollte, abgehangen, d'Artagnan wäre nach Hause gegangen, weil er es zugejagt hatte. Nach fünf Minuten befand er sich in der Rue des Fossoyeurs.

«Armer Athos, «sprach er,»er wird nicht wissen, was dies heißen soll. Er ist ohne Zweifel, mich erwartend, eingeschlafen, oder nach Hause gegangen, und dort wird er erfahren haben, daß eine Frau in seine Wohnung gekommen ist. Eine Frau bei Athos. Uebrigens war auch eine bei Aramis, «fuhr d'Artagnan fort.»Das ist eine ganz seltsame Geschichte, und ich bin neugierig, wie das Alles enden wird.«

«Schlimm, gnädiger Herr, schlimm, «antwortete eine Stimme, an welcher der junge Mann Planchet erkannte, denn nach Art der Leute, welche ganz und gar von ihren Gedanken in Anspruch genommen sind, war er laut mit sich sprechend in den Gang gelangt, an dessen Hintergrund die Treppe lag, die nach seinem Zimmer führte.

«Wie so, schlimm? Was willst Du damit sagen, Dummkopf?«fragte d'Artagnan,»und was ist denn vorgefallen?«—»Alles mögliche Unglück.«—»Was denn?«—»Erstens hat man Athos verhaftet.«—»Verhaftet! Athos! verhaftet! Warum?«—»Man hat ihn in Eurer Wohnung gefunden und für Euch gehalten.«—»Und durch wen ist er verhaftet worden?«—»Durch die Wache, welche die schwarzen Menschen holen wollte, welche Ihr in die Flucht geschlagen habt.«—»Warum hat er nicht seinen Namen genannt? Warum hat er nicht gesagt, daß er gar nichts von dieser Angelegenheit wisse?«—»Er hat sich wohl gehütet, gnädiger Herr; er näherte sich mir im Gegentheil und sagte: ›Dein Herr bedarf seiner Freiheit in diesem Augenblick, ich nicht, da er Alles weiß und ich nichts. Man wird glauben, er sei verhaftet, und dadurch gewinnt er Zeit. In drei Tagen sage ich, wer ich bin, und dann muß man mich wohl gehen lassen.‹ —»Bravo, Athos! edles Herz, daran erkenne ich ihn, «murmelte d'Artagnan.»Und was thaten die Sbirren?«—»Vier haben ihn, ich weiß nicht wohin, nach der Bastille oder nach dem Fort-l'Evêque geführt, zwei sind mit den schwarzen Männern zurückgeblieben, welche alles durchsuchten und alle Papiere in Beschlag nahmen. Während dieser Expedition hielten die zwei letzten Wache vor der Thüre; sobald Alles zu Ende gebracht war, zogen sie ab und ließen das Haus leer und offen.«—»Und Porthos und Aramis?«—»Ich fand sie nicht, sie kamen nicht.«—»Aber sie können jeden Augenblick kommen, denn Du hast ihnen doch sagen lassen, daß ich sie erwarte?«—»Ja, gnädiger Herr.«—»Gut, geh nicht von der Stelle; wenn sie kommen, sage ihnen, was mir begegnet ist, sie mögen mich in der Herberge zum Fichtenapfel erwarten; hier ist Gefahr, das Haus kann bespäht werden. Ich laufe zu Herrn von Treville, um ihm alles mitzuteilen, und kehre dann zu ihnen zurück.«—»Ganz wohl, gnädiger Herr, «sprach Planchet. — »Aber Du bleibst. Du hast keine Furcht?«sagte d'Artagnan, noch einmal zurückkehrend, um seinem Diener Muth einzuschärfen. — »Seid ruhig, «erwiederte Planchet,»Ihr kennt mich noch nicht; ich bin muthig, wenn ich einmal anfange; ich brauche nur anzufangen; überdieß bin ich ein Picarde.«—»Abgemacht also, «sagte d'Artagnan:»Du läßt Dich eher tödten, als daß Du von deinem Posten weichst.«—»Ja, Herr, es gibt nichts, was ich nicht thun würde, um Euch meine Anhänglichkeit zu beweisen.«—»Gut, «sprach d'Artagnan zu sich selbst;»die Methode, welche ich bei diesem Burschen in Anwendung gebracht habe, scheint offenbar gut zu sein; ich werde bei Gelegenheit weiteren Gebrauch davon machen.«

Und mit der ganzen Geschwindigkeit seiner, durch die verschiedenen Märsche dieses Tages bereits etwas ermüdeten Beine lief d'Artagnan nach der Rue du Colombier.

Herr von Treville war nicht zu Hause; seine Compagnie hatte die Wache im Louvre; er war bei seiner Compagnie.

Man mußte nothwendig zu Herrn von Treville gelangen; es war sehr wichtig, ihn von allen Vorgängen in Kenntniß zu setzen. D'Artagnan beschloß, den Versuch zu machen, ob er in den Louvre könnte. Seine Uniform als Gardist von der Compagnie des Herrn des Essarts sollte ihm als Paß dienen.

Er ging also durch die Rue des Petits-Augustins hinab und an dem Quai hinauf, um den Pont Neuf zu erreichen. Einen Augenblick kam ihm der Gedanke, in der Fähre über den Fluß zu setzen; als er aber am Rande des Wassers stand, steckte er mechanisch die Hand in die Tasche und bemerkte, daß er kein Geld bei sich hatte, um den Fährmann zu bezahlen.

In dem Augenblick, wo er auf die Höhe der Rue Guenegaud gelangte, sah er aus der Rue Dauphine eine aus zwei Personen bestehende Gruppe hervorkommen, deren Erscheinung ihn sehr in Erstaunen setzte.

Die zwei Personen, welche die Gruppe bildeten, waren ein Mann und eine Frau.

Die Frau hatte die Gestalt der Frau Bonacieux, und der Mann war Aramis zum Täuschen ähnlich.

Die Frau trug überdies den schwarzen Mantel, dessen Umrisse d'Artagnan noch auf dem Laden der Rue Vaugirard und auf der Thüre der Rue de la Harpe vor sich sah.

Noch mehr, der Mann trug die Musketier-Uniform.

Die Mantelkappe der Frau war vorgeschlagen; der Mann hielt ein Sacktuch vor sein Gesicht; beide hatten, wie diese Vorsicht bewies, ein Interesse dabei, nicht erkannt zu werden.

Sie schlugen den Weg nach der Brücke ein; es war auch d'Artagnans Weg, da sich dieser nach dem Louvre begab. D'Artagnan folgte ihnen. Kaum hatte er aber zwanzig Schritte gemacht, als er überzeugt war, daß diese Frau nur Frau Bonacieux, dieser Mann nur Aramis sein könne.

Sogleich regte sich der ganze Argwohn der Eifersucht in seinem bewegten Herzen.

Er glaubte sich doppelt verrathen: von seinem Freunde und von derjenigen, welche er bereits wie eine Geliebte liebte. Frau Bonacieux hatte ihm bei allen Göttern geschworen, sie kenne Aramis nicht, und eine Viertelstunde nach diesem Schwur findet er sie am Arme von Aramis.

D'Artagnan bedachte nicht einmal, daß er die hübsche Frau erst seit drei Stunden kannte, daß sie ihm zu nichts verpflichtet war, als zu einiger Dankbarkeit für ihre Errettung aus den Händen der schwarzen Männer, und daß sie ihm gar nichts versprochen hatte. Er betrachtete sie als einen beleidigten, verachteten, verspotteten Liebhaber, das Blut und der Zorn stiegen ihm ins Gesicht, und er beschloß, sich Aufklärung über alles zu verschaffen.

Die junge Frau und der junge Mann bemerkten, daß man ihnen folgte, und verdoppelten ihre Schritte.

D'Artagnan lief schneller, überholte sie und kehrte sich gegen sie in dem Augenblicke um, wo sie sich vor der Samaritaine befanden, welche durch eine Laterne beleuchtet wurde, die ihr Licht über diesen Theil der Brücke verbreitete.

D'Artagnan blieb vor ihnen stehen und sie standen vor ihm stille.

«Was wollt Ihr, mein Herr?«fragte der Musketier, einen Schritt zurückweichend und mit einer fremdartigen Betonung, woraus d'Artagnan ersah, daß er sich in einem Theil seiner Vermuthung getäuscht habe.

«Das ist nicht Aramis, «rief er.

«Nein, mein Herr, es ist nicht Aramis, und da ich aus Eurem Ausrufe erkenne, daß Ihr mich für einen Andern gehalten habt, so vergebe ich Euch.«

«Ihr vergebt mir!«rief d'Artagnan.

«Ja, «erwiederte der Unbekannte,»laßt mich meines Wegs ziehen, da Ihr mit mir nichts zu schaffen habt.«

«Ihr habt Recht, mein Herr, ich habe mit Euch nichts zu thun, wohl aber mit dieser Frau.«

«Mit dieser Frau! Ihr kennt sie nicht, «sprach der Fremde.

«Ihr täuscht Euch, Herr, ich kenne sie.«

«Ah!«sagte Frau Bonacieux mit einem Tone des Vorwurfs,»ah, mein Herr, ich hatte Euer Ehrenwort als Militär und Edelmann und glaubte darauf zählen zu dürfen.«

«Und Ihr, Madame, «erwiederte d'Artagnan verlegen,»Ihr habt mir versprochen…«

«Nehmet meinen Arm, Madame, «sprach der Fremde, und wir wollen weiter gehen.«

Betäubt, niedergebeugt, vernichtet durch Alles, was ihm begegnete, blieb d'Artagnan indessen mit gekreuzten Armen vor dem Musketier und Frau Bonacieux stehen.

Der Musketier trat zwei Schritte vorwärts und suchte d'Artagnan mit der Hand auf die Seite zu schieben.

D'Artagnan sprang zurück und zog seinen Degen.

Zu gleicher Zeit und mit Blitzesschnelligkeit zog der Unbekannte ebenfalls vom Leder.

«Im Namen des Himmels, Mylord, «rief Frau Bonacieux, sich zwischen die Kämpfenden werfend und nach dem Degen greifend.

«Mylord, «rief d'Artagnan, plötzlich durch einen Gedanken erleuchtet,»Mylord, um Vergebung. Gnädiger Herr, solltet Ihr es sein…«

«Mylord Herzog von Buckingham, «sagte Frau Bonacieux mit lauter Stimme,»und nun könnt Ihr uns Alle ins Verderben stürzen.«

«Mylord und Madame, ich bitte um Vergebung, tausendmal um Vergebung; aber ich liebe, Mylord, und war eifersüchtig, und Ihr wißt, was lieben heißt, Mylord. Vergebt mir und sagt mir, wie ich mich für Eure Herrlichkeit kann tödten lassen?«

«Ihr seid ein braver junger Mann, «sprach Buckingham und reichte d'Artagnan eine Hand, die dieser ehrfurchtsvoll drückte.»Ihr bietet mir Eure Dienste, ich nehme sie an; folgt mir auf zwanzig Schritte bis zum Louvre, und wenn uns Jemand verfolgt, so tödtet ihn.«

D'Artagnan nahm seinen bloßen Degen unter den Arm, ließ Frau Bonacieux und den Herzog zwanzig Schritte vorausgehen und folgte ihnen, bereit, die Anweisung des edlen und eleganten Ministers von Carl I. buchstäblich zu vollstrecken.

Glücklicherweise hatte der junge Mann keine Gelegenheit, dem Herzog diesen Beweis von Ergebenheit abzulegen, und die junge Frau und der hübsche Musketier erreichten die Pforte des Louvre an der Rue de l'Echelle, ohne beunruhigt zu werden.

D'Artagnan begab sich sogleich nach der Schenke zum Fichtenapfel, wo er Porthos und Aramis fand, die seiner harrten.

Er gab ihnen keine nähere Erklärung über die Störung, die er beiden verursacht hatte, sondern sagte nur, er habe die Angelegenheit, wobei er ihren Beistand einen Augenblick für nothwendig erachtet, allein abgemacht. Fortgerissen durch den Gang unserer Erzählung, wollen wir die drei Freunde nach Hause gehen lassen und dem Herzog mit seiner Führerin in die Gänge des Louvre folgen.


XII. George Villiers, Herzog von Buckingham

Frau Bonacieux und der Herzog gelangten ohne Mühe in den Louvre; von Frau Bonacieux war es bekannt, daß sie im Dienste der Königin stand. Der Herzog trug die Uniform der Musketiere des Herrn von Treville, welche an diesem Abend die Wache hatten. Ueberdies war Germain im Interesse der Königin, und wenn etwas vorfiel, so wäre Frau Bonacieux ganz einfach beschuldigt worden, sie habe ihren Liebhaber in den Louvre gebracht; sie nahm das Verbrechen auf sich: ihr Ruf war allerdings verloren, aber welchen Werth hat in der Welt der Ruf einer kleinen Krämerin!

Sobald der Herzog und die junge Frau sich im Innern des Hofes befanden, gingen sie ungefähr zwanzig Schritte an einer Mauer hin. Nachdem sie diesen Raum durchwandert hatten, stieß Frau Bonacieux an eine kleine Thüre, welche bei Tag offen, aber in der Nacht gewöhnlich geschlossen war. Die Thüre gab nach, Beide traten ein und befanden sich in der Dunkelheit; Frau Bonacieux kannte jedoch alle Winkel und Räume dieses für die Leute vom Gefolge bestimmten Theiles vom Louvre. Sie verschloß die Thüre hinter sich, nahm den Herzog bei der Hand, machte tastend einige Schritte, faßte ein Geländer, berührte mit dem Fuß eine Stufe und fing an eine Treppe hinaufzusteigen, wobei der Herzog zwei Stockwerke zählte. Dann wandte sie sich nach der rechten Seite, folgte einer langen Flur, stieg wieder ein Stockwerk hinab, machte noch einige Schritte, steckte einen Schlüssel in ein Schloß, öffnete eine Thüre, schob den Herzog in ein nur durch eine Nachtlampe beleuchtetes Zimmer und sagte zu ihm:»Bleibt hier, Mylord Herzog, man wird kommen!«Hierauf entfernte sie sich durch dieselbe Thüre, welche sie mit dem Schlüssel wieder verschloß, so daß sich der Herzog buchstäblich gefangen fand.

Obschon sich der Herzog von Buckingham von aller Welt abgeschnitten sah, so befiel ihn doch nicht die geringste Furcht; eine der hervorspringendsten Seiten seines Charakters bestand in der Aufsuchung von Abenteuern und in der Liebe zum Romantischen. Tapfer, kühn, unternehmend, war es nicht das erste Mal, daß er sein Leben in solchen Versuchen wagte; er hatte erfahren, daß die angebliche Botschaft von Anna von Oesterreich, im Vertrauen auf deren Inhalt er nach Paris kam, eine Falle war, und statt nach England zurückzukehren, hatte er die Lage, in die man ihn versetzt, mißbraucht und der Königin erklärt, er würde nicht zurückkehren, ohne sie gesehen zu haben. Die Königin hielt seinem Drängen Anfangs eine gänzliche Weigerung entgegen, später aber befürchtete sie, der Herzog könnte außer sich gerathen und eine Thorheit begehen. Schon war sie entschlossen, ihn zu empfangen und ihn zu bitten, er möge sogleich abreisen, als gerade an dem Abend dieser Entscheidung Frau Bonacieux, welche den Herzog zu suchen und nach dem Louvre zu führen beauftragt war, verhaftet wurde. Zwei Tage lang wußte man durchaus nicht, was aus ihr geworden war, und Alles blieb ausgesetzt. Aber sobald sie ihre Freiheit wieder erlangt und mit La Porte die Verbindung wiederhergestellt hatte, nahmen die Dinge wieder ihren Lauf, und sie erfüllte den gefahrvollen Auftrag, den sie ohne ihre Verhaftung drei Tage früher vollführt haben würde.

Als sich Buckingham allein sah, näherte er sich einem Spiegel. Die Musketierkleidung stand ihm vortrefflich. Damals ein Mann von fünf und dreißig Jahren, galt er mit Recht für den schönsten Baron und zierlichsten Cavalier von Frankreich und England. Der Liebling zweier Könige, im Besitze eines Vermögens von Millionen, allmächtig in einem Reiche, das er nach seiner Laune aufregte oder beruhigte, war George Villiers, Herzog von Buckingham, eine jener fabelhaften Existenzen, welche noch nach Jahrhunderten die Nachwelt in fortwährendes Erstaunen setzen. Seiner sicher, überzeugt von seiner Macht, gewiß, daß die Gesetze, welche Andere beherrschen, ihn nicht erreichen konnten, ging er gerade auf das Ziel los, das er sich gesteckt hatte, und war dasselbe auch so erhaben, so blendend, daß es für einen Andern eine Thorheit gewesen wäre, nur seinen Blick darauf zu werfen. So war es ihm gelungen, sich wiederholt der schönen und stolzen Anna von Oesterreich zu nähern und durch die Macht der Verblendung ihre Liebe zu gewinnen.

George Villiers stellte sich, wie gesagt, vor einen Spiegel und gab seinem schönen blonden Haare die Wellenlinien wieder, die das Gewicht seines Hutes niedergedrückt hatte, strich seinen Schnurrbart in die Höhe und lächelte, glücklich und stolz, dem so lange ersehnten Augenblick nahe zu sein, sich selbst in übermüthiger Hoffnung zu.

In diesem Augenblick öffnete sich eine verborgene Tapetenthüre und eine Dame erschien. Buckingham sah diese Erscheinung im Spiegel; er stieß einen Schrei aus, es war die Königin!

Anna von Oesterreich zählte damals sechs bis sieben und zwanzig Jahre, das heißt sie stand im vollen Glanze ihrer Schönheit. Ihr Gang war der einer Königin oder Göttin. Ihre Augen, welche Smaragdreflexe warfen, waren unendlich schön und zugleich voll Sanftmuth und Majestät. Ihr Mund war klein und frischroth, und obgleich ihre Unterlippe, wie bei allen Prinzen vom Hause Oesterreich, etwas vortrat, so war er doch äußerst anmuthig in seinem Lächeln, aber ungemein wegwerfend in der Geringschätzung. Ihre Haut war berühmt wegen ihrer sammetartigen Weichheit; ihre Hand und ihre außerordentlich reizenden Arme wurden von den Dichtern der Zeit als unvergleichlich besungen. Ihre Haare, welche in ihrer Jugend blond, nunmehr aber kastanienbraun geworden waren, umrahmten auf eine bewunderungswürdige Weise ihr Antlitz, dem der strengste Richter nur etwas weniger Röthe und der anspruchsvollste Bildhauer nur eine etwas feinere Nase hätte wünschen können.

Buckingham stand geblendet da; nie war ihm Anna von Oesterreich auf den Bällen, bei den Feten, bei den Carroussels so schön vorgekommen, als sie ihm in diesem Augenblick in ihrem einfachen weißen Seidenkleide erschien. Sie war begleitet von Donna Estefania, der einzigen von ihren spanischen Frauen, welche nicht durch die Eifersucht des Königs oder die Verfolgungen von Richelieu vertrieben worden war.

Anna von Oesterreich ging zwei Schritte vorwärts; Buckingham stürzte auf seine Kniee und küßte, ehe es die Königin verhindern konnte, den Saum ihres Kleides.

«Herzog, Ihr wißt bereits, daß ich Euch nicht habe schreiben lassen?«

«O ja, Madame, ja, Ew. Majestät. Ich weiß, daß ich ein Thor, ein Wahnsinniger gewesen bin, glauben zu können, der Schnee würde sich beleben, der Marmor erwärmen; aber was wollt Ihr? wenn man liebt, glaubt man leicht an die Liebe; überdies habe ich bei dieser Reise nicht Alles verloren, da ich Euch sehe.«

«Ja, «erwiederte Anna,»aber Ihr wißt, warum und wie ich Euch sehe, Mylord. Ich sehe Euch aus Mitleid für Euch selbst; ich sehe Euch, weil Ihr, unempfindlich für alle meine Qualen, hartnäckig in einer Stadt verweilt, wo Ihr Euer Leben wagt und meine Ehre bloßstellt. Ich sehe Euch, um Euch zu sagen, daß uns Alles trennt, die Tiefe des Meeres, die Zwistigkeiten der Königreiche, die Heiligkeit der Schwüre. Es ist ein wahrer Frevel, gegen so viele Dinge zu kämpfen, Mylord. Ich sehe Euch endlich, um Euch zu sagen, daß wir uns nicht mehr sehen dürfen.«

«Sprecht, Madame, sprecht, Königin, «erwiederte Buckingham,»die Sanftheit Eurer Stimme verhüllt die Härte Eurer Worte. Ihr sprecht von Frevel! aber der Frevel liegt in der Trennung von Herzen, welche Gott für einander geschaffen hatte.«

«Mylord!«rief die Königin,»Ihr vergeht, daß ich Euch nie gesagt habe, ich liebe Euch.«

«Aber Ihr habt mir auch nie gesagt, Ihr liebet mich nicht, und in der That, eine solche Aeußerung wäre von Seiten Eurer Majestät eine zu große Undankbarkeit. Denn sagt mir, wo würdet Ihr eine Liebe finden, die der meinigen gliche, eine Liebe, welche weder die Zeit, noch die Entfernung, noch die Verzweiflung zu ersticken vermögen; eine Liebe, die sich mit einem entfallenen Bande, einem verlorenen Blicke, einem entschlüpften Worte begnügt? Vor drei Jahren, Madame, habe ich Euch zum ersten Male gesehen, und seit drei Jahren liebe ich Euch auf diese Weise. Soll ich Euch sagen, wie Ihr gekleidet wäret, als ich Euch zum ersten Male sah, soll ich jedes Stück Eurer damaligen Toilette beschreiben? Ich sehe Euch noch vor mir: Ihr saßet nach spanischer Sitte, auf Polstern; Ihr hattet ein Kleid von grüner Seide mit Gold- und Silberstickerei, lange, an Euren schönen, Euren bewunderungswürdigen Armen mit großen Diamanten befestigte Aermel, eine geschlossene Krause, auf Eurem Haupt eine kleine Mütze von der Farbe Eures Kleides und auf dieser Mütze eine Reiherfeder. Oh! ich schließe die Augen und sehe Euch, wie Ihr damals waret. Ich öffne sie wieder, und sehe Euch, wie Ihr jetzt seid — noch hundertmal schöner!«

«Welche Thorheit!«murmelte Anna von Oesterreich, die nicht den Muth besaß, dem Herzog zu grollen, weil er ihr Porträt so gut in seinem Innern bewahrt hatte;»welche Thorheit, eine vergebliche Leidenschaft mit solchen Erinnerungen zu nähren!«

«Und wovon soll ich denn leben? ich habe nur Erinnerungen. Das ist mein Glück, mein Schatz, meine Hoffnung! So oft ich Euch sehe, finde ich einen Diamant mehr, den ich in dem Gefässe meines Herzens einschließe. Dieser ist der vierte, den Ihr fallen laßt und ich aufraffe; denn in drei Jahren, Madame, habe ich Euch nur vier Mal gesehen, das erste Mal, wie ich so eben gesagt, das zweite Mal bei Frau von Chevreuse, das dritte Mal in den Gärten von Amiens…«

«Herzog, «rief die Königin,»sprecht mir nicht von diesem Abend.«

«Oh, sprechen wir im Gegenteil davon, Madame, sprechen wir davon, es ist der schönste, leuchtendste Abend meines Lebens. Ihr erinnert Euch jener herrlichen Nacht! Wie schön und balsamisch war die Lust, wie war der Himmel so blau und mit Sternen bestreut. Ach! damals, Madame, konnte ich einen Augenblick mit Euch allein sein; damals wäret Ihr bereit, mir Alles mitzutheilen, die Einsamkeit Eures Lebens, den Kummer Eures Herzens. Ihr lehntet Euch auf meinen Arm, auf diesen hier. Als ich meinen Kopf nach Eurer Seite neigte, da streiften Eure schönen Haare mein Gesicht, und so oft sie es streiften, bebte ich vom Scheitel bis zu den Zehen. Oh! Königin! Königin! Oh! Ihr wißt nicht Alles, was ein solcher Augenblick an himmlischen, paradiesischen Freuden in sich schließt. Meine Güter, mein Vermögen, meinen Ruhm, mein ganzes übriges Leben würde ich für einen solchen Augenblick und für eine solche Nacht hingeben: denn in dieser Nacht, Madame, in dieser Nacht liebtet Ihr mich, das schwöre ich Euch.«

«Mylord, ja, es ist möglich, daß der Einfluß des Ortes, der Zauber jener schönen Nacht, das Blendwerk Eures Blickes, daß die tausend Umstände, welche sich zuweilen vereinigen, um eine Frau ins Verderben zu stürzen, sich in diesem unseligen Augenblick um mich gruppirt haben; aber Ihr mußtet wahrnehmen, Mylord, daß die Königin der schwach werdenden Frau zu Hülfe kam: bei dem ersten Wort, das Ihr zu sagen wagtet, bei der ersten Kühnheit, auf die ich zu antworten hatte, rief ich die Hülfe herbei.«

«Oh! ja, ja, das ist wahr, und eine andere Liebe, als die meinige, wäre dieser Prüfung unterlegen. Aber meine Liebe ist nur noch glühender und beständiger daraus hervorgegangen. Ihr glaubtet mich zu fliehen, indem Ihr nach Paris zurückkehrtet, Ihr glaubtet, ich würde es nicht wagen, den Schatz zu verlassen, dessen Bewachung mein Herr mir übertragen hatte. Ach! was liegt mir an allen Schätzen der Welt und an allen Königen der Erde! Nach acht Tagen war ich zurückgekehrt, Madame. Diesmal hattet Ihr mir nichts zu sagen. Ich hatts meine Gnade, mein Leben eingesetzt, um Euch zum zweiten Mal zu sehen. Ich berührte nicht einmal Eure Hand und Ihr vergabt mir, als Ihr mich so unterwürfig, so reumüthig erblicktet.«

«Ja, aber die Verleumdung hat sich aller dieser Thorheiten bemächtigt, an denen ich, wie Ihr wohl wißt, nicht im Geringsten schuldig war. Der König hat, durch den Kardinal aufgereizt, ein furchtbares Geschrei erhoben; Frau von Verne wurde fortgejagt, Putange verbrannt, Frau von Chevreuse fiel in Ungnade, und als Ihr als Botschafter nach Frankreich zurückkehren wolltet, widersetzte sich der König selbst, Mylord, wie Ihr Euch wohl erinnern werdet.«

«Ja, und Frankreich wird die Weigerung seines Königs mit einem Kriege bezahlen. Ich kann Euch nicht mehr sehen, Madame, wohl! Ihr sollt jeden Tag von mir sprechen hören. Welchen Zweck glaubt Ihr wohl, daß diese Expedition von Re und das von mir beabsichtigte Bündniß mit den Protestanten von La Rochelle haben? Das Vergnügen, Euch zu sehen. Ich habe nicht die Hoffnung, mit gewaffneter Hand bis nach Paris vorzudringen das weiß ich wohl. Aber dieser Krieg kann einen Frieden herbeiführen; dieser Friede wird die Person eines Unterhändlers nöthig machen, und dieser Unterhändler werde ich sein. Man wird es nicht mehr wagen, mich zurückweisen, ich werde nach Paris zurückkommen, Euch sehen und einen Augenblick glücklich sein. Tausende von Menschen müssen allerdings mein Glück mit ihrem Leben bezahlen, aber was liegt mir daran, wenn ich nur Euch sehe? Alles dieß ist vielleicht thöricht, vielleicht wahnsinnig, aber sagt mir, welche Frau hat einen liebenderen Liebhaber, welche Königin einen glühenderen Diener?«

«Mylord! Mylord! Ihr beruft Euch zu Eurer Vertheidigung auf Dinge, welche Euch noch mehr anklagen. Mylord, alle diese Beweise von Liebe, die Ihr mir geben wollt, sind beinahe Verbrechen.«

«Weil Ihr mich nicht liebt, Madame; wenn Ihr mich liebtet, würdet Ihr alles das ganz anders ansehen; wenn Ihr mich liebtet, oh! es wäre zu viel Glück, ich würde närrisch werden. Ah! Frau von Chevreuse, von der Ihr so eben gesprochen habt, Frau von Chevreuse war minder grausam als Ihr. Holland liebte sie und sie erwiederte seine Liebe.«

«Frau von Chevreuse war nicht Königin, «murmelte Anna von Oesterreich, wider Willen durch den Ausdruck einer so innigen Liebe besiegt.

«Ihr würdet mich also lieben, wenn Ihr nicht Ihr wäret, Madame, Ihr würdet mich also lieben? Ich darf also glauben, daß Euch nur die Würde Eures Ranges so grausam gegen mich macht! Ich darf glauben, daß der arme Buckingham hätte hoffen dürfen wenn Ihr Frau von Chevreuse gewesen wäret? Dank, für die süßen Worte, oh! meine schöne Majestät! hundertfachen Dank!«

«Ei, Mylord, Ihr habt schlecht verstanden, falsch ausgelegt; ich wollte nicht sagen…«

«Stille, stille, «erwiederte der Herzog,»wenn ein Irrthum mich glücklich macht, so seid nicht so grausam, ihn mir zu benehmen. Ihr sagtet mir selbst, man habe mir eine Falle gelegt. Ich werde vielleicht mein Leben darin lassen; denn ich habe seltsamer Weise seit einiger Zeit Vorgefühle meines nahe bevorstehenden Todes. «Und der Herzog lächelte traurig, aber voll Grazie.

«Oh! mein Gott!«rief Anna von Oesterreich mit einem Ausdruck des Schreckens, welcher eine größere Theilnahme für den Herzog kundgab, als sie es gestehen wollte.

«Ich sage dies nicht, um Euch zu erschrecken, Madame. Nein, es ist sogar lächerlich, daß ich es Euch sage. Glaubt mir, dergleichen Träume beschäftigen mich durchaus nicht. Aber das Wort, das Ihr so eben zu mir gesprochen, die Hoffnung, die Ihr mir beinahe gegeben, wird Alles, sogar mein Leben bezahlt haben.«

«Auch ich, Herzog, «sprach Anna von Oesterreich,»auch ich habe Ahnungen und Träume. Ich sah Euch im Traume verwundet, blutend auf der Erde ausgestreckt.«

«Auf der linken Seite verwundet, nicht wahr, und zwar mit einem Messer?«unterbrach Buckingham die Königin.

«Ja, so ist es, Mylord, so ist es, auf der linken Seite mit einem Messer, wer konnte Euch sagen, daß mir dieses träumte? Ich habe es nur Gott in meinem Gebete anvertraut.«

«Ich verlange nicht mehr, und Ihr liebt mich, Madame, das ist gewiß.«

«Ich liebe Euch, ich?«

«Ja, Ihr. Würde Euch Gott dieselben Träume schicken, wie mir, wenn Ihr mich nicht liebtet? Hätten wir dieselben Ahnungen, wenn sich unser beiderseitiges Dasein nicht durch das Herz berührte? Ihr liebt mich, o Königin, und werdet mich beweinen.«

«Oh mein Gott! mein Gott!«rief Anna von Oesterreich,»das ist mehr, als ich ertragen kann. Geht, Herzog, ums Himmels, willen, geht, entfernt Euch! Ich weiß nicht, ob ich Euch liebe oder ob ich Euch nicht liebe; aber ich weiß nur so viel, daß ich nicht meineidig sein werde. Habt also Mitleid mit mir und geht. Oh! wenn Ihr in Frankreich getroffen würdet, wenn Ihr in Frankreich sterben müßtet, und ich könnte glauben. Eure Liebe für mich wäre die Ursache Eures Todes — ich wüßte mich nie mehr zu trösten: ich würde wahnsinnig. Geht also, geht, ich flehe Euch an.«

«Oh! wie schön seid Ihr so, wie liebe ich Euch!«sprach Buckingham.

«Entfernt Euch, geht, ich bitte Euch, und kommt später wieder; kommt als Botschafter, als Minister, kommt umgeben von Garden, die Euch vertheidigen, von Dienern, die Euch bewachen werden, und dann fürchte ich nicht mehr für Euer Leben und werde mich glücklich schätzen, Euch wieder zu sehen.«

«Oh! ist es wahr, was Ihr mir sagt?«

«Ja…«

«Nun wohl, ein Pfand Eurer Huld, einen Gegenstand, der von Euch kommt und mich daran erinnert, daß ich nicht träumte, irgend eine Sache, die Ihr getragen habt und die ich selbst tragen kann, einen Ring, ein Halsband, eine Kette.«

«Und geht Ihr gewiß, wenn ich Euch gebe, was Ihr von mir verlangt?«

«Ja, sogleich, ja.«

«Ihr verlaßt Frankreich? Ihr kehrt nach England zurück?«

«Ja, ich schwöre es.«

«Dann wartet einen Augenblick.«

Anna von Oesterreich ging in ihr Gemach zurück und kam beinahe in demselben Augenblick wieder heraus. Sie hielt in der Hand ein mit Gold incrustirtes Kistchen von Rosenholz.

«Hört, Mylord Herzog, hört, «sprach sie,»behaltet dies zur Erinnerung an mich.«

«Buckingham nahm das Kistchen und sank zum zweiten Male auf die Kniee.

«Ihr habt mir versprochen, abzureisen, «sprach die Königin.

«Und ich halte mein Wort, Eure Hand, Eure Hand, Madame, und ich reise.«

Anna reichte ihm die Hand, indem sie zugleich die Augen schloß und sich auf Estefania stützte, denn sie fühlte, daß ihre Kräfte zusammenbrachen.

Buckhingham drückte seine Lippen leidenschaftlich auf diese schöne Hand, stand dann auf und rief:

«Ehe sechs Monate vergehen, habe ich Euch wieder gesehen, wenn ich nicht todt bin, Madame, und sollte ich auch die ganze Welt umkehren.«

Seinem Versprechen getreu, stürzte er aus dem Zimmer.

Auf der Flur traf er Frau Bonacieux, die ihn erwartete und mit denselben Vorsichtsmaßregeln und mit demselben Glücke aus dem Louvre zurückführte.


XIII. Herr Bonacieux

Bei dieser ganzen Geschichte spielte eine Person mit, um die man sich, trotz ihrer bedenklichen Lage, nur wenig zu beunruhigen schien: diese Person war Herr Bonacieux, der ehrenwerthe Märtyrer politischer und verliebter Intriguen, die sich in dieser zugleich so ritterlichen und so galanten Epoche so gut mit einander vermengten.

Zum Glück erinnert sich der Leser, oder er erinnert sich auch nicht, daß wir ihn nicht aus dem Blick zu lassen versprochen haben.

Die Schergen, welche ihn verhaftet hatten, führten ihn geraden Wegs nach der Bastille, wo man ihn ganz zitternd an einem Zug Soldaten, welche ihre Musketen luden, vorübergehen ließ. Von hier in eine halb unterirdische Galerie gebracht, wurde er von Seiten derjenigen, welche ihn verhaftet hatten, der Gegenstand der gröbsten Beleidigungen, der größten Mißhandlungen. Die Sbirren sahen, daß sie es mit keinem Edelmann zu thun hatten, und behandelten ihn als einen armen Schlucker.

Nach Verlauf einer halben Stunde machte ein Gerichtsschreiber seinen Qualen, aber nicht seiner Unruhe ein Ende, indem er befahl, Herrn Bonacieux ins Verhörzimmer zu bringen. Gewöhnlich befragte man die Gefangenen in ihrem Zimmer, aber mit Herrn Bonacieux machte man nicht so viel Umstände.

Zwei Garden ergriffen den Krämer, ließen ihn durch einen Hof schreiten, sodann in eine Flur eintreten, wo drei Schildwachen standen, öffneten eine Thüre und stießen ihn in eine niedrige Stube, in der das ganze Geräthe aus einem Tische, einem Stuhl und einem Commissär bestand. Der Commissär saß auf dem Stuhle und schrieb auf dem Tisch. Die zwei Garden führten den Gefangenen vor den Tisch und entfernten sich auf ein Zeichen des Commissärs aus dem Bereich seiner Stimme. Der Commissär, welcher bis dahin seinen Kopf gesenkt gehalten hatte, erhob ihn nun, um zu sehen, mit wem er es zu thun hätte. Dieser Commissär war ein Mann von widerlicher Miene, mit spitziger Nase, gelben, hervorstehenden Backenknochen, kleinen, aber forschenden und lebhaften Augen, ein Mann, dessen Physiognomie eine Mischung von Marder und Fuchs zu sein schien. Sein von einem langen Halse getragenes Haupt trat, sich wiegend, aus seinem schwarzen Gewande beinahe mit derselben Bewegung hervor, die man bei der Schildkröte wahrnimmt, wenn sie den Kopf aus ihrer Schale herausstreckt.

Er fing damit an, daß er Herrn Bonacieux nach Namen und Vornamen, Alter und Domicil fragte. Der Angeklagte antwortete, er heiße Jacques Michel Bonacieux, sei einundfünfzig Jahre alt, Krämer, der sich vom Geschäfte zurückgezogen, und wohne in der Rue des Fossoyeurs, Nro. 11.

Statt mit dem Verhör fortzufahren, hielt ihm der Commissär nun eine lange Rede über die Gefahr, die ein unbedeutender Bürger laufe, wenn er sich in die öffentlichen Angelegenheiten mische. Diese Predigt verband er mit einer Erläuterung, worin er von der Macht und den Handlungen des Herrn Kardinals, dieses unvergleichlichen Ministers, dieses Besiegers früherer Minister, dieses Beispiels zukünftiger Minister sprach, von einer Macht und von Handlungen, denen Niemand ungestraft in den Weg trete.

Nach diesem zweiten Theil seiner Rede heftete er seinen Sperberblick auf den armen Bonacieux, und forderte ihn auf, den Ernst seiner Lage in Betracht zu ziehen.

Die Betrachtungen des Krämers waren alle angestellt. Er wünschte den Augenblick zum Teufel, wo Herr La Porte den Gedanken gehabt hatte, ihn mit seiner Pathin zu verheirathen, und mehr noch den Augenblick, wo eben diese Pathin in die Garderobe der Königin aufgenommen wurde.

Der Grundstoff im Charakter von Meister Bonacieux war verhärtete Selbstsucht, vermischt mit schmutzigem Geiz und gewürzt mit außerordentlicher Feigheit. Die Liebe, die ihm seine junge Frau eingeflößt hatte, war ein ganz secundäres Gefühl und konnte mit den aufgezählten Gefühlen nicht in die Schranken treten.

Herr Bonacieux überdachte sich in der That, was man ihm so eben gesagt hatte.

«Aber, mein Herr Commissär, «sprach er schüchtern,»glaubt mir, daß ich mehr als irgend ein Mensch das Verdienst der unvergleichlichen Eminenz, von der wir regiert zu werden die Ehre haben, kenne und zu schätzen weiß.«

«Wirklich?«fragte der Commissär mit etwas zweifelhafter Miene.»Aber wenn dem in der That so ist, wie kommt ihr in die Bastille?«

«Wie ich hieher komme, oder vielmehr, warum ich hier bin, «erwiederte Bonacieux,»das kann ich Euch unmöglich sagen, weil ich es selbst nicht weiß; aber sicherlich nicht, weil ich den Herrn Kardinal beleidigt habe, wenigstens nicht wissentlich.«

«Ihr müßt doch ein Verbrechen begangen haben, da Ihr hier des Hochverraths angeklagt seid.«

«Des Hochverraths!«rief Bonacieux erschrocken.»Des Hochverraths! wie sollte ein armer Krämer, der die Hugenotten haßt und die Spanier verabscheut, des Hochverraths angeklagt sein? Bedenkt doch, mein Herr, dies ist in der That rein unmöglich.«

«Herr Bonacieux, «sprach der Commissär, und schaute dabei den Angeklagten an, als ob seine kleinen Augen die Macht besäßen, in der Tiefe der Herzen zu lesen,»Herr Bonacieux, habt Ihr eine Frau?«

«Ja, mein Herr, «antwortete der Krämer, am ganzen Leibe zitternd, denn er fühlte, daß in diesem Punkte der böse Knoten der ganzen Angelegenheit liegen mußte;»das heißt, ich hatte eine.«

«Wie? Ihr hattet eine! Was habt Ihr gemacht, wenn Ihr sie nicht mehr besitzt?«

«Man hat sie mir entführt, mein Herr.«

«Man hat sie Euch entführt?«sprach der Commissär.»Ah!«

Bonacieux fühlte bei diesem Ah, daß sich die Angelegenheit immer mehr verwickelte.

«Man hat sie Euch entführt?«versetzte der Commissär;»und wißt Ihr, wer der Mann ist, der diesen Raub begangen hat?«

«Ich glaube. Ihn zu kennen.«

«Wer ist es?«

«Bedenkt, daß ich nichts behaupte, mein Herr Commissär, sondern nur vermuthe.«

«Wen habt Ihr im Verdacht? Antwortet offenherzig.«

Herr Bonacieux war in der größten Verlegenheit; sollte er Alles leugnen oder Alles sagen? Leugnete er Alles, so konnte man glauben, er wisse zu viel, um zu gestehen; sagte er Alles, so war dies ein Beweis von gutem Willen. Er entschloß sich, Alles zu sagen.

«Ich habe, «sprach er,»einen großen Mann von bräunlicher Gesichtsfarbe und stolzer Miene im Verdacht, der ganz aussieht, wie ein vornehmer Herr; er folgte uns wiederholt, wie es mir vorkam, wenn ich meine Frau vor der Pforte des Louvre erwartete, um sie nach Haus zu begleiten.«

Der Commissär schien sich etwas beunruhigt zu fühlen.

«Und sein Name?«sprach er.

«Ah, was seinen Namen betrifft, den weiß ich nicht. Aber wenn ich ihm je begegne, und wäre es unter tausend Menschen, werde ich ihn sogleich wieder erkennen, dafür stehe ich Euch.«

Die Stirne des Commissärs verfinsterte sich.

«Ihr werdet ihn unter tausend Menschen wieder erkennen, sagt Ihr?«fuhr er fort.

«Das heißt, erwiederte Bonacieux, welcher einsah, daß er einen falschen Weg eingeschlagen hatte,»das heißt…«

«Ihr habt mir geantwortet, Ihr würdet ihn wieder erkennen, «sprach der Commissär,»schon gut, das ist für heute genug. Ehe wir weiter gehen, muß Jemand davon in Kenntniß gesetzt werden, daß Ihr den Räuber Eurer Frau kennt.«

«Aber ich habe Euch nicht gesagt, ich kenne ihn!«rief Bonacieux in Verzweiflung.»Ich sagte Euch im Gegentheil…«

«Führt den Gefangenen ab, «sprach der Commissär zu den Wachen.

«Und wohin soll man ihn führen?«fragte der Gerichtsschreiber.

«In einen Kerker.«

«In welchen?«

«Oh, mein Gott! in den nächsten besten, wenn er nur fest ist, «erwiederte der Commissär mir einer Gleichgültigkeit, die den armen Bonacieux schaudern machte.

«Wehe, wehe!«sprach er zu sich selbst,»das Unglück lastet auf meinem Haupt; meine Frau wird ein furchtbares Verbrechen begangen haben; man hält mich für ihren Mitschuldigen und bestraft mich mit ihr. Sie wird gesprochen, sie wird eingestanden haben, ich sei mit Allem vertraut; eine Frau ist so schwach! Ein Kerker! der nächste beste! so geht es! eine Nacht ist bald vorüber, und dann morgen Galgen und Rad! Oh! mein Gott, mein Gott, erbarme Dich meiner!«

Ohne im Geringsten auf das Klagegeschrei des Meisters Bonacieux zu hören, ein Geschrei, woran sie übrigens gewöhnt sein mußten, nahmen die zwei Wachen den Gefangenen beim Arm und führten ihn weg, während der Commissär in Eile einen Brief schrieb, auf den der Gerichtschreiber wartete.

Bonacieux schloß kein Auge; nicht als ob sein Kerker zu abscheulich gewesen wäre, sondern weil seine Unruhe zu groß war. Er blieb die ganze Nacht auf seiner Bank, er zitterte bei dem geringsten Geräusche, und als die ersten Strahlen des Tages in seine Kammer drangen, kam es ihm vor, als hätte das Morgenroth eine Leichenfärbung angenommen.

Plötzlich hörte er die Riegel klirren und sprang erschrocken auf. Der Unglückliche glaubte, man komme, um ihn zu holen und nach dem Schaffot zu führen. Aber als er statt des erwarteten Henkers seinen Commissär und seinen Gerichtsschreiber vom vorigen Tage erscheinen sah, war er sehr geneigt, ihnen um den Hals zu fallen.

«Eure Angelegenheit hat sich seit gestern Abend sehr verwirrt, mein braver Mann, «sagte der Kommissär,»und ich rathe Euch, die Wahrheit unumwunden zu gestehen, denn nur Eure Reue vermag den Zorn des Kardinals zu beschwören.«

«Ich bin bereit. Alles zu sagen, «rief Bonacieux,»wenigstens Alles, was ich weiß. Fragt, ich bitte Euch.«

«Vor Allem: wo ist Eure Frau?«

«Ich sagte Euch doch, man habe sie mir entführt.«

«Ja, aber seit gestern Mittag um fünf Uhr ist sie durch Eure Hülfe entflohen.«

«Meine Frau ist entflohen?«rief Bonacieux.»Oh, die Unglückliche! Mein Herr, wenn sie entflohen ist, so bin ich nicht Schuld, ich schwöre es Euch.«

«Was hattet Ihr dann bei Herrn d'Artagnan, Eurem Nachbar zu thun, mit welchem Ihr an diesem Tag eine lange Konferenz hieltet?«

«Ach! ja, Herr Commissär, ja, das ist wahr, und ich gestehe, daß ich Unrecht hatte. Ja, ich bin bei Herrn d'Artagnan gewesen.«

«Und was war der Zweck Eures Besuches?«

«Ich wollte ihn bitten, mir meine Frau aufsuchen zu helfen. Ich glaubte mich berechtigt, sie zurückzufordern; aber ich täuschte mich, wie es scheint, und bitte um Vergebung.«

«Was antwortete Herr d'Artagnan?«

«Herr d'Artagnan hat mir seinen Beistand zugesagt; aber ich sah bald ein, daß er mich verrieth.«

«Ihr wollt der Justiz eine Lüge aufschwatzen! Herr d'Artagnan hat einen Vertrag mit Euch abgeschlossen, hat kraft dieses Vertrags die Polizei, welche Eure Frau verhafteten, in die Flucht gejagt, und alle Nachforschungen vereitelt.«

«Herr d'Artagnan hat meine Frau entführt? Ei, ei, was sagt Ihr mir da?«

«Zum Glück ist Herr d'Artagnan in unsern Händen und Ihr sollt ihm gegenüber gestellt werden.«

«Ah! meiner Treu, das ist mir ungemein lieb;«rief Bonacieux,»es soll mir gar nicht leid thun, ein bekanntes Gesicht zu sehen.«

«Laßt Herrn d'Artagnan eintreten, «sprach der Commissär zu den zwei Wachen.

Die Wachen ließen Athos eintreten.

«Herr d'Artagnan, «sprach der Commissär, sich an Athos wendend,»erklärt, was zwischen Euch und diesem Herrn vorgefallen ist.«

«Aber Ihr zeigt mir ja gar nicht d'Artagnan, «rief Bonacieux.

«Wie, das ist nicht d'Artagnan?«sprach der Commissär.

«Keineswegs, «antwortete Bonacieux.

«Wie heißt dieser Herr?«fragte der Commissär.

«Ich kann es Euch nicht sagen, ich kenne ihn nicht.«

«Wie, Ihr kennt ihn nicht?«

«Nein!«

«Ihr habt ihn nie gesehen?«

«Doch; aber ich weiß nicht, wie er heißt.«

«Euer Name?«fragte der Commissär.

«Athos«, antwortete der Musketier.

«Das ist kein Menschenname, sondern der Name eines Berges, «rief der arme Untersuchungsrichter, der den Kopf zu verlieren anfing.

«Es ist mein Name, «sprach Athos ruhig.

«Aber Ihr sagtet doch, Ihr hießet d'Artagnan?«

«Ich?«

«Ja, Ihr!«

«Man hat zu mir gesagt: Ihr seid Herr d'Artagnan? ich erwiederte: Ihr glaubt? Meine Wachen meinten, sie wüßten es gewiß; ich wollte ihnen nicht widersprechen; überdies konnte ich mich täuschen.«

«Mein Herr, Ihr beleidigt die Majestät der Justiz!«

«Durchaus nicht, «entgegnete Athos gelassen.

«Ihr seid Herr d'Artagnan?«

«Seht, Ihr sagt es mir noch einmal.«

«Nun ich sage Euch, mein Herr Commissär, «rief Bonacieux,»daß man hier keinen Augenblick zweifeln darf. Herr d'Artagnan wohnt in meinem Hause, und ich muß ihn folglich kennen, obgleich er mir meinen Miethzins nicht bezahlt, und gerade aus diesem Grunde. Herr d'Artagnan ist ein junger Mann von kaum neunzehn bis zwanzig Jahren, und dieser Herr ist gewiß dreißig Jahre alt. Herr d'Artagnan steht bei den Garden des Herrn des Essarts, und dieser Herr bei der Musketiercompagnie des Herrn von Treville. Schaut die Uniform an, mein Herr Commissär, schaut die Uniform an.«

«Es ist wahr, «murmelte der Commissär,»es ist bei Gott wahr!«

In diesem Augenblicke wurde die Thüre rasch geöffnet, und ein von einem Gefangenenwärter der Bastille eingeführter Bote übergab dem Commissär einen Brief.

«Oh! die Unglückliche!«rief der Commissär.

«Wie? was sagt Ihr? von wem sprecht Ihr? Hoffentlich nicht von meiner Frau?«

«Im Gegentheil gerade von ihr. Eure Angelegenheit steht ganz schön!«

«Ah, «rief der Krämer in Verzweiflung,»macht mir das Vergnügen und sagt mir, wie sich meine Angelegenheit durch das verschlimmern kann, was meine Frau thut, während ich im Gefängniß sitze.«

«Weil das, was sie thut, die Folge eines unter Euch abgekarteten höllischen Planes ist.«

«Ich schwöre Euch, Herr Commissär, daß Ihr in einem gewaltigen Irrthume befangen seid; daß ich nicht das Mindeste von dem weiß, was meine Frau thun sollte; daß ich dem, was sie gesagt hat, völlig fremd bin, und daß ich sie, wenn sie Dummheiten begangen hat, verleugne, verfluche.«

«Ei, «sprach Athos zu dem Commissär,»wenn Ihr mich hier nicht braucht, so schickt mich irgendwo hin. Dieser Herr Bonacieux ist ein sehr langweiliger Geselle.«

«Führt die Gefangenen in ihre Kerker zurück, «sprach der Commissär, mit derselben Geberde Athos und Bonacieux bezeichnend,»und man bewache sie mit der größten Strenge!«

«Wenn Ihr indessen mit Herrn d'Artagnan zu thun habt, «sagte Athos mit seiner gewöhnlichen Ruhe, «so sehe ich nicht ganz ein, warum ich seine Stelle vertreten soll.«

«Thut, was ich gesagt habe, «rief der Commissär,»und beobachtet das tiefste Stillschweigen, hört Ihr?«

Athos folgte den Wachen mit einem Achselzucken, und Herr Bonacieux mit einem Klagegeschrei, das einem Tiger hätte das Herz zerreißen mögen.

Man führte den Krämer in denselben Kerker, wo er die Nacht zugebracht hatte, und ließ ihn hier den ganzen Tag. Den ganzen Tag weinte Herr Bonacieux, wie ein wahrer Krämer, denn er war durchaus kein Mann vom Schwerte, wie er uns selbst gesagt hat.

Abends gegen neun Uhr, in dem Augenblick, wo er sich entschloß, zu Bette zu gehen, hörte er Tritte in der Hausflur. Diese Tritte näherten sich seinem Kerker, die Thüre wurde geöffnet, die Wachen erschienen.

«Folgt mir, «sagte ein Gefreiter, der hinter den Wachen ging.

«Euch folgen!«rief Bonacieux,»Euch folgen, zu dieser Stunde! und wohin denn, mein Gott?«

«Wohin wir Euch zu führen den Befehl haben.«

«Aber das ist keine Antwort.«

«Es ist die einzige, die wir Euch geben können.«

«Ach! mein Gott, mein Gott, «murmelte der arme Krämer,»diesmal bin ich verloren.«

Und er folgte maschinenmäßig ohne Widerstand den Wachen, die ihn holten. Er ging durch dieselbe Flur, durch die er bereits gegangen war, durchschritt einen ersten Hof und dann ein zweites Hauptgebäude. Vor dem Thore des Einfahrthofes fand er einen von vier Reitern umgebenen Wagen. Man ließ ihn in diesen Wagen einsteigen, der Gefreite setzte sich neben ihn. Man verschloß den Kutschenschlag mit einem Schlüssel, und Beide befanden sich in einem fahrenden Gefängnisse.

Das Gefährt setzte sich langsam wie ein Leichenwagen in Bewegung. Durch das geschlossene Gitter gewahrte der Gefangene die Häuser und das Pflaster, mehr nicht. Aber als wahrer Pariser erkannte Bonacieux jede Straße an den Ecksteinen, an den Schilden, an den Laternen. Als sie zu St. Paul gelangten, wo man die Verurtheilten der Bastille hinrichtete, war er einer Ohnmacht nahe und bekreuzte sich zweimal. Er glaubte, der Wagen würde hier halten, aber er ging weiter. Später erfaßte ihn abermals ein gewaltiger Schrecken, als er an dem Kirchhof St. Jean vorüberfuhr, wo man die Staatsverbrecher beerdigte. Ein einziger Umstand beruhigte ihn einigermaßen, nämlich daß man ihnen vor der Einscharrung gewöhnlich den Kopf abschnitt, und sein Kopf saß noch auf seinen Schultern. Als er aber sah, daß der Wagen die Straße nach der Grève einschlug, als er die spitzigen Dächer des Stadthauses bemerkte und wahrnahm, daß man unter der Arcade einbog, da glaubte er, jetzt sei Alles aus. Er wollte dem Gefreiten beichten; da ihm dieser aber alles Gehör verweigerte, so stieß er ein so erbarmungswürdiges Geschrei aus, daß ihm der Gefreite erklärte, wenn er nicht aufhöre, ihm die Ohren voll zu schreien, so werde er ihm einen Knebel anlegen. Diese Drohung beruhigte Bonacieux einigermaßen. Wollte man ihn an der Grève hinrichten, so lohnte es sich nicht der Mühe, ihn zu knebeln, da man die Richtstätte beinahe erreicht hatte. Der Wagen fuhr in der That über den unseligen Ort hin, ohne anzuhalten. Jetzt war nichts mehr zu befürchten, als die Croix-du-Trahoir, und der Wagen nahm seinen Weg wirklich gerade in dieser Richtung.

Diesmal konnte man nicht mehr zweifeln. Auf der Croix-du-Trahoir wurden Verbrecher untergeordneten Ranges hingerichtet. Bonacieux hatte sich des St. Paul oder des Grève-Platzes würdig gehalten. An der Croix-du-Trahoir sollten sein Leben und sein Schicksal sich endigen! Er konnte das unglückliche Kreuz noch nicht sehen, aber er hatte ein Gefühl, als ob es ihm entgegen käme. Als nur noch etwa zwanzig Schritte zurückzulegen waren, hörte er ein Geräusch und der Wagen hielt stille. Das war mehr, als der arme, durch die rasch auf einander erfolgten Gemüthsbewegungen niedergeschmetterte Krämer zu ertragen vermachte. Er stieß einen schwachen Seufzer aus, den man für den letzten Athemzug eines Sterbenden hätte halten können, und sank in Ohnmacht.


XIV. Der Mann von Meung

Der Zusammenlauf fand nicht statt, weil man einen für den Galgen bestimmten Menschen erwartete, sondern er wurde durch die Anschauung eines Gehenkten veranlaßt. Einen Augenblick aufgehalten, fuhr der Wagen bald wieder weiter, setzte seinen Weg durch die Menge fort, gelangte in die Rue St. Honoré, wandte sich nach der Rue des Bons-Enfants und hielt vor einer niedern Pforte an.

Die Thüre öffnete sich; zwei Wachen nahmen Bonacieux, der von dem Gefreiten unterstützt wurde, in ihre Arme, und man stieß ihn in einen Gang, ließ ihn eine Treppe hinaufsteigen und setzte ihn in einem Vorzimmer nieder. Alle dese Bewegungen hatten sich für ihn maschinenmäßig bewerkstelligt. Er war gegangen, wie man im Traume geht; er hatte die Gegenstände in einem Nebel gesehen. Seine Ohren hatten Töne vernommen, ohne ihre Bedeutung zu verstehen. Man hätte ihn in diesem Augenblick hinrichten können, und er würde nicht die geringste Geberde zu seiner Vertheidigung unternommen, keinen Schrei ausgestoßen haben, um Mitleid zu erflehen.

Er blieb also, den Rücken an die Wand gelehnt und die Arme herabhängend, auf derselben Stelle der Bank sitzen, wo ihn die Wachen niedergesetzt hatten. Da er jedoch bei Umherschauen nichts Bedrohliches gewahr wurde, da nichts eine wirkliche Gefahr andeutete, da die Bank geziemend ausgepolstert und die Wand mit schönem Corduanleder tapeziert war, da prächtige rothe Damastvorhänge, vom Fenster herabwogten, so begriff er allmälig, daß seine Furcht übertrieben war, und er fing an, seinen Kopf nach rechts und links, und von unten nach oben zu bewegen. Durch diese Bewegung, der sich Niemand widersetzte, gewann er etwas Muth; er wagte es, zuerst ein Bein, dann das andere vorzuziehen; dann erhob er sich vorsichtig mit Hülfe seiner Hände auf seiner Bank und stand bald auf seinen Füßen.

In diesem Augenblicke öffnete ein hübscher Offizier einen Thürvorhang. Er wechselte noch ein paar Worte mit einer im anstoßenden Zimmer befindlichen Person, wandte sich sodann gegen den Gefangenen um und sagte:

«Seid Ihr Bonacieux?«

«Ja, mein Herr Offizier, «stammelte der Krämer, mehr todt als lebendig,»Euch zu dienen.«

«Tretet ein, «sagte der Offizier.

Und er trat auf die Seite, daß der Krämer durchgehen konnte. Dieser gehorchte ohne Erwiederung und trat in das Zimmer, wo man ihn zu erwarten schien.

Es war ein großes, an den Wänden mit Vertheidigungs- und Angriffswaffen geschmücktes, geschlossenes und lustloses Cabinet, in welchem bereits ein Feuer brannte, obgleich man erst am Ende des Monats September war. Ein viereckiger, mit Büchern und Papieren bedeckter Tisch, auf welchem ein ungeheurer Plan der Stadt Rochelle entrollt war, nahm die Mitte des Zimmers ein. Vor dem Kamin stand ein Mann von mittlerer Gestalt, stolzer, hochmütiger Miene, mit durchdringenden Augen, breiter Stirne und abgemagertem Gesichte, das durch Schnurr- und Knebelbart noch länger wurde. Obgleich er erst sechs- bis siebenunddreißig Jahre alt sein mochte, so fingen doch Haupthaare, Schnurrbart und Knebelbart an grau zu werden. Dieser Mann trug zwar keinen Degen, sah aber ganz wie ein Krieger aus, und seine büffelledernen, noch leicht mit Staub bedeckten Stiefel deuteten an, daß er im Verlauf des Tages geritten war.

Dieser Mann war Armand Jean Duplessis, Kardinal von Richelieu, nicht wie man ihn uns darstellt, hinfällig wie ein Greis, leidend wie ein Märtyrer, mit gebrochenem Körper, erloschener Stimme, in einem großen Lehnstuhl begraben, nur durch die Kraft seines Genies lebend und den Kampf mit Europa einzig und allein durch die ewige Thätigkeit seines Geistes aushaltend; sondern, so wie er in Wirklichkeit zu dieser Zeit war, das heißt ein galanter Kavalier von aufrechter Haltung, zwar schwach von Körper, aber unterstützt von jener moralischen Kraft, die ihn zu einem der außerordentlichsten Menschen machte, welche je gelebt haben; jetzt, nachdem er den Herzog von Revers in seinem Herzogthum Mantua aufrecht erhalten, nachdem er Nimes, Castres und Uzés genommen hatte, mit den Vorbereitungen beschäftigt, um die Engländer von der Insel Re zu vertreiben und La Rochelle zu belagern.

Beim ersten Anblick bezeichnete nichts den Kardinal, und diejenigen, welche sein Gesicht nicht kannten, konnten unmöglich errathen, vor wem sie sich befanden.

Der arme Krämer blieb vor der Thüre stehen, während die Augen der so eben beschriebenen Person auf ihn gerichtet waren, als wollten sie bis in die tiefste Tiefe seiner Gedanken dringen.

«Ist das Bonacieux?«fragte er nach kurzem Stillschweigen.

«Ja, Monseigneur, «antwortete der Offizier.

«Gut; gebt mir diese Papiere und laßt uns allein.«

Der Offizier nahm die bezeichneten Papiere vom Tisch, übergab sie, verbeugte sich zur Erde und trat ab.

Bonacieux erkannte in diesen Papieren das Verhör in der Bastille. Von Zeit zu Zeit schlug der Mann am Kamin die Augen von den Schriften auf und bohrte sie wie zwei Dolche dem armen Krämer in den Grund des Herzens.

Nachdem der Kardinal zwei Minuten gelesen und zwei Sekunden geprüft hatte, war er entschieden.

«Dieser Kopf da hat nicht conspirirt, «murmelte er,»doch gleich viel, sehen wir ein wenig nach.«

«Ihr seid des Hochverraths angeklagt, «sprach der Kardinal langsam.

«Das hat man mir bereits gesagt, Monseigneur, «rief Bonacieux, indem er dem Fragenden den Titel gab, welchen er von dem Offizier gehört hatte;»aber ich schwöre Euch, daß ich nichts davon wußte.«

Der Kardinal unterdrückte ein Lächeln.

«Ihr habt mit Eurer Frau, mit Frau von Chevreuse und mit Mylord Herzog von Buckingham conspirirt.«—»In der That, Monseigneur, «antwortete der Krämer,»ich habe sie alle diese Namen aussprechen hören.«—»Und bei welcher Veranlassung?«—»Sie sagte, der Kardinal von Richelieu habe den Herzog von Buckingham nach Paris gelockt, um ihn und die Königin mit ihm zu verderben.«—»Das sagte sie?«rief der Kardinal heftig. — »Ja, Monseigneur; aber ich erwiederte ihr, sie hätte Unrecht, solche Worte zu sprechen, und Seine Eminenz sei unfähig…«—»Schweigt! Ihr seid ein Dummkopf, «versetzte der Kardinal. — »Meine Frau hat mir gerade dasselbe geantwortet, gnädigster Herr.«—»Wißt Ihr, wer Eure Frau entführt hat?«—»Nein, Monseigneur!«—»Ihr habt jedoch Verdacht?«—»Ja, Monseigneur, aber dieser Verdacht schien dem Herrn Commissär ärgerlich zu sein und ich habe ihn nicht mehr.«—»Eure Frau ist entflohen; wußtet Ihr es?«—»Nein Monseigneur, ich habe es erst erfahren, seit ich im Gefängniß bin, und zwar einzig und allein durch die Vermittlung des Herrn Commissärs, eines sehr liebenswürdigen Mannes!«

Der Kardinal unterdrückte ein zweites Lächeln.

«Dann wißt Ihr also auch nicht, was aus Eurer Frau seit Ihrer Flucht geworden ist?«—»Durchaus nicht, Monseigneur; aber sie muß in den Louvre zurückgekommen sein.«—»Um ein Uhr Morgens war sie noch nicht zurückgekehrt.«—»Aber mein Gott, was ist dann aus ihr geworden?«—»Man wird es erfahren, seid ruhig; man verbirgt dem Kardinal nichts; der Kardinal weiß Alles.«—»Glaubt Ihr in diesem Fall, Monseigneur, der Kardinal werde sich herablassen, mir zu sagen, was aus meiner Frau geworden ist?«—»Vielleicht; aber zuvor müßt Ihr Alles gestehen, was Ihr in Beziehung auf die Verhältnisse Eurer Frau zu Frau von Chevreuse wißt.«—»Monseigneur, ich weiß nichts, ich habe diese nie gesehen.«—»Kehrte Eure Frau, wenn Ihr sie im Louvre abholtet, unmittelbar in Euer Haus zurück?«—»Beinahe nie, sie hatte Geschäfte mit Leinwandhändlern, zu denen ich sie führte.«—»Mit wie viel Leinwandhändlern?«—»Mit zwei, gnädigster Herr.«—»Wo wohnen sie?«—»Der eine in der Rue de Vaugirard, der andere in der Rue de la Harpe.«—»Gingt Ihr mit ihr hinein?«—»Nie, Monseigneur, ich erwartete sie an der Thüre.«— Welchen Vorwand nahm sie, um allein hineinzugehen?«—»Keinen, sie sagte mir, ich sollte warten, und ich wartete.«—»Ihr seid ein gefälliger Gatte, mein lieber Herr Bonacieux«, sprach der Kardinal.

«Er hat mich seinen lieben Herrn genannt, «sagte der Krämer zu sich selbst;»Teufel, die Sache geht gut.«

«Würdet Ihr die Thüren wieder erkennen?«—»Ja.«—»Wißt Ihr die Nummern?«—»Ja.«—»Welche sind es?«—»Nro. 25 in der Rue de Vaugirard, Nro. 75 in der Rue de la Harpe.«—»Gut, «sagte der Kardinal.

Bei diesen Worten nahm er ein silbernes Glöckchen, läutete, und der Offizier trat wieder ein.

«Sucht mir Rochefort, «sagte er mit leiser Stimme,»und er soll sogleich hieher kommen, sobald er zurückgekehrt ist.«

«Der Graf ist da, «erwiederte der Offizier,»und wünscht mit Ew. Eminenz zu sprechen.«

«Er komme, er komme!«sagte der Kardinal lebhaft.

Der Offizier entfernte sich mit der Geschwindigkeit, mit der alle Diener Richelieus zu gehorchen pflegten.

«Mit Ew. Eminenz!«murmelte Bonacieux, und drehte ganz verwirrt seine Augen in ihren Höhlen.

Es waren noch keine fünf Sekunden seit dem Verschwinden des Offiziers abgelaufen, als die Thüre sich öffnete und eine neue Person eintrat.

«Er ist es!«rief Bonacieux.

«Wer?«fragte der Kardinal.

«Derjenige, welcher mir meine Frau entführt hat.«

Der Kardinal läutete zum zweiten Male. Der Offizier erschien wieder.

«Uebergebt diesen Menschen seinen zwei Wachen und er soll warten, bis ich ihn vor mich rufe.«

«Nein, Monseigneur, nein, er ist es nicht, «schrie Bonacieux,»ich habe mich getäuscht; es ist ein Anderer, der nicht die geringste Aehnlichkeit mit ihm hat. Dieser Herr ist ein rechtschaffener Mann.«

«Führt diesen Dummkopf weg, «sprach der Kardinal.

Der Offizier nahm Bonacieux beim Arm und führte ihn in das Vorzimmer, wo er seine zwei Wachen fand.

Die zuletzt eingeführte Person folgte Bonacieux ungeduldig mit den Augen, bis man ihn aus der Thüre gebracht hatte, und sobald diese wieder verschlossen war, näherte sie sich lebhaft dem Kardinal und sprach:

«Sie haben sich gesehen!«—»Wer?«fragte die Eminenz. — »Er und sie.«—»Die Königin und der Herzog!«rief Richelieu. — »Ja.«—»Und wo?«—»Im Louvre.«—»Wißt Ihr es gewiß?«—»Ganz gewiß!«—»Wer hat es Euch gesagt?«—»Frau von Lannoy, welche Ew. Eminenz ganz ergeben ist, wie Ihr wißt.«—»Warum hat sie es nicht früher gesagt?«—»Die Königin ließ zufälligerweise oder aus Mißtrauen Frau von Surgis in ihrem Zimmer schlafen und behielt sie den ganzen Tag.«—»Das ist schön, wir sind geschlagen; doch wir wollen unsere Revanche nehmen.«—»Ich werde Euch von ganzem Herzen unterstützen, gnädiger Herr, seid ruhig.«—»Wie ist das zugegangen?«—»Um halb ein Uhr war die Königin bei ihren Frauen…«—»Gut.«—»Als man ihr ein Taschentuch von Seiten ihrer Weißzeugverwalterin zustellte.«—»Hernach?…«—»Sogleich gab die Königin eine große Unruhe kund und erbleichte trotz der Schminke, mit der sie ihr Antlitz bedeckt hatte.«—»Hernach, hernach?«—»Sie stand jedoch auf, und sagte mit bewegter Stimme:»Meine Damen, wartet hier zehn Minuten auf mich, ich komme zurück. «Und sie öffnete die Thüre ihres Alkovens und entfernte sich.«—»Warum hat Frau von Lannoy Euch nicht in demselben Augenblick davon unterrichtet?«—»Es war noch nichts gewiß. Ueberdies hatte die Königin gesagt:»Meine Damen, wartet auf mich, «und sie wagte es nicht, ungehorsam gegen ihre Gebieterin zu sein.«—»Und wie lange ist die Königin aus dem Zimmer geblieben?«—»Drei Viertelstunden.«—»Keine ihrer Frauen begleitete sie?«—»Donna Estefania allein.«—»Und sie kehrte dann zurück?«—»Ja, um ein kleines Kistchen von Rosenholz mit ihrem Namenszuge zu holen und sich sogleich wieder zu entfernen.«—»Und als sie später wieder kam, brachte sie dieses Kistchen zurück?«—»Nein.«—»Weiß Frau von Lannoy, was in diesem Kistchen enthalten war?«—»Ja, die Diamant-Nestelstifte, welche Se. Majestät der Königin gegeben hatte.«—»Und sie kehrte ohne das Kistchen zurück?«—»Ja.«—»Frau von Lannoy meint, sie habe es Buckingham gegeben?«—»Sie ist fest davon überzeugt.«—»Wie so?«—»Im Verlauf des Tages suchte Frau von Lannoy als Kammerdame der Königin nach dem Kistchen, stellte sich beunruhigt darüber, daß sie es nicht fand, und fragte endlich die Königin danach.«—»Und die Königin…«—»Wurde sehr roth und erwiederte, sie habe am Tage vorher einen von den Nestelstiften zerbrochen und das Ding zur Ausbesserung ihrem Goldschmied geschickt.«—»Man muß dahin gehen und sich überzeugen, ob es wahr ist oder nicht.«—»Ich bin dort gewesen.«—»Nun, der Goldschmied…«—»Hat keine Sylbe davon erfahren.«—»Gut! gut! Rochefort, es ist noch nicht Alles verloren und vielleicht… vielleicht steht Alles auf's Beste.«—»Ich zweifle allerdings nicht, daß das Genie Ew. Eminenz…«—»Die Thorheiten meines Agenten wieder gut macht, nicht wahr?«—»Das war ich im Begriff zu sagen, wenn Ew. Eminenz mich hätte aussprechen lassen.«—»Wißt Ihr nun, wo sich die Herzogin von Chevreuse und der Herzog von Buckingham verborgen hielten?«—»Nein, Monseigneur, meine Leute konnten mir nichts Bestimmtes hierüber sagen.«—»Ich weiß es.«—»Ihr, Monseigneur?«—»Wenigstens vermuthe ich es. Die eine von diesen zwei Personen hielt sich in der Rue de Vaugirard No. 25, die andere in der Rue de la Harpe No. 75 auf. — »Befehlen Ew. Eminenz, daß ich beide verhaften lasse?«—»Es ist ohne Zweifel zu spät, sie werden abgereist sein.«—»Gleichviel, man kann sich Gewißheit verschaffen.«—»Nehmt zehn Mann von meinen Wachen und durchsucht die zwei Häuser.«—»Ich gehe, Monseigneur.«

Rochefort eilte aus dem Zimmer.

Als der Kardinal allein war, dachte er einen Augenblick nach und läutete zum dritten Male.

Derselbe Offizier erschien.

«Laßt den Gefangenen eintreten, «sprach der Kardinal.

Meister Bonacieux wurde abermals eingeführt und der Offizier zog sich auf ein Zeichen des Kardinals zurück.

«Ihr habt mich getäuscht, «sprach der Kardinal mit strengem Tone.

«Ich!«rief Bonacieux,»ich Ew. Eminenz täuschen!«

«Wenn Euere Frau in die Rue de Vaugirard und in die Rue de la Harpe ging, ging sie nicht zu Leinwandhändlern.«

«Wohin ging sie denn, gerechter Gott!«

«Sie ging zu der Herzogin von Chevreuse und zu dem Herzog von Buckingham.«

«Ja, «sagte Bonacieux, alle seine Erinnerungen in sich sammelnd,»ja, so ist es, Ew. Eminenz haben Recht. Ich bemerkte meiner Frau wiederholt, es sei sonderbar, daß Leinwandhändler in solchen Häusern wohnen, die gar keine Schilder haben, und da lachte sie jedesmal laut auf. Ach! Monseigneur, «fuhr Bonacieux sich dem Richelieu zu Füßen werfend fort,»ach! Ihr seid wohl der Kardinal, der große Kardinal, der Mann von erhabenem Geiste, den alle Welt verehrt!«

So geringfügig auch der Sieg war, den er über einen so gewöhnlichen Menschen, wie Bonacieux, davon getragen hatte, so freute sich doch der Kardinal nichtsdestoweniger einen Augenblick darüber; aber sogleich, als wäre ein neuer Gedanke in ihm aufgetaucht, spielte ein Lächeln um seine Lippen, und er sprach, dem Krämer die Hand reichend:

«Steht auf, mein Freund, Ihr seid ein braver Mann.«

«Der Kardinal hat meine Hand berührt! ich habe die Hand des großen Mannes berührt!«rief Bonacieux.»Der große Mann hat mich seinen Freund genannt.«

«Ja, mein Freund, ja, «sprach der Kardinal mit dem väterlichen Tone, den er zuweilen anzunehmen wußte, wodurch aber nur diejenigen hintergangen wurden, sie ihn nicht kannten;»und da man Euch ungerechter Weise im Verdacht gehabt hat, so verdient Ihr eine Entschädigung. Nehmt diesen Sack mit hundert Pistolen und vergebt mir.«

«Ob ich Euch vergebe, Monseigneur!«sagte Bonacieux, zögerte jedoch, den Sack zu nehmen, ohne Zweifel aus Furcht, das angebliche Geschenk möchte nur ein Scherz sein.»Es stand Euch ganz frei, mich verhaften zu lassen, es steht Euch vollkommen frei, mich foltern, mich hängen zu lassen, Ihr seid der Herr, und ich hätte kein Wörtchen darüber zu sagen gehabt. Euch verzeihen, Monseigneur? Geht, das kann nicht Euer Ernst sein.«

«Ah! mein lieber Herr Bonacieux, Ihr wollt Großmuth üben, wie ich sehe, und ich danke Euch dafür. Ihr nehmt also diesen Sack und geht ohne Groll?«

«Ich gehe entzückt, Monseigneur.«

«So lebt wohl, oder vielmehr auf Wiedersehen, denn ich hoffe, wir werden uns wieder sehen.«

«So oft es Monseigneur haben will, ich stehe ganz Eurer Eminenz zu Befehlen.«

«Seid ruhig, das wird oft vorkommen, denn Eure Unterhaltung hat mich in hohem Maße ergötzt.«

«Ah! Monseigneur!«

«Auf Wiedersehen, Herr Bonacieux, auf Wiedersehen.«

Der Kardinal machte ein Zeichen mit der Hand, das Bonacieux mit einer Verbeugung bis zur Erde erwiederte. Dann entfernte er sich rückwärts, und als er im Vorzimmer war, hörte ihn der Kardinal aus vollem Halse schreien:»Es lebe Monseigneur! Es lebe Se. Eminenz! Es lebe der große Kardinal!«

Der Kardinal vernahm mit einem Lächeln die geräuschvolle Kundgebung der enthusiastischen Gefühle von Meister Bonacieux; als sich das Geschrei in der Ferne verloren hatte, sagte er:»Das ist nunmehr ein Mensch, der sich für mich todtschlagen ließe.«

Und der Kardinal betrachtete mit der größten Aufmerksamkeit die Karte von la Rochelle, welche, wie gesagt, auf seinem Schreibtische ausgebreitet lag, und zog mit dem Bleistift eine Linie, wo sich der bekannte Damm sich hinziehen sollte, der achtzehn Monate später den Hafen der belagerten Stadt schloß.

Als er ganz in seine strategischen Betrachtungen vertieft war, öffnete sich die Thüre wieder und Rochefort trat ein.

«Nun?«sprach der Kardinal, sich mit einer Schnelligkeit erhebend, die verrieth, welch hohes Gewicht er auf den Auftrag legte, den er dem Grafen ertheilt hatte.

«Nun, «sprach dieser,»eine junge Frau von sechs- bis achtundzwanzig Jahren und ein Mann von fünfunddreißig bis vierzig Jahren haben wirklich, die eine vier Tage, der andere fünf, in den von Ew. Eminenz bezeichneten Häusern gewohnt; aber die Frau ist in der vergangenen Nacht und der Mann diesen Morgen abgereist.«

«Sie waren es!«rief der Herzog auf die Pendeluhr schauend;»und nun, «fuhr er fort,»ist es zu spät, um ihnen nachzusetzen; die Herzogin ist in Tours, der Herzog in Boulogne. Man muß sie in London treffen.«

«Was sind Ew. Eminenz Befehle?«

«Kein Wort verlaute von dem, was vorgefallen ist. Die Königin verharre in vollkommener Sicherheit; sie darf nicht erfahren, daß wir ihr Geheimniß wissen; sie soll glauben, wir forschen irgend einer Verschwörung nach. Schickt mir den Siegelbewahrer Seguier.«

«Und dieser Mensch? was hat Ew. Eminenz mit ihm gemacht?«

«Was für ein Mensch?«fragte der Kardinal.

«Dieser Bonacieux?«

«Ich habe Alles aus ihm gemacht, was man aus ihm machen konnte. Ich habe ihn zum Spion seiner Frau gemacht.«

Der Graf von Rochefort verbeugte sich als ein Mann, der die große Ueberlegenheit seines Herrn anerkennt, und ging ab.

Wieder allein setzte sich der Kardinal abermals, schrieb einen Brief, den er mit seinem Privatsiegel verschloß, und läutete. Der Offizier trat zum vierten Male ein.

«Laßt mir Vitray kommen, «sprach er,»und sagt ihm, er solle sich zur Reise bereit halten.«

Einen Augenblick nachher stand der verlangte Mann gestiefelt und gespornt vor ihm.

«Vitray, «sagte der Kardinal,»Ihr geht sogleich nach London. Ihr haltet Euch nicht einen Augenblick unterwegs auf; diesen Brief übergebt Ihr Mylady; hier ist eine Anweisung von zweihundert Pistolen; geht zu meinem Schatzmeister und laßt sie Euch ausbezahlen. Eben so viel erhaltet Ihr, wenn Ihr in sechs Tagen zurück seid und Euern Auftrag gut vollzogen habt.«

Ohne ein Wort zu erwiedern, verbeugte sich der Bote, nahm den Brief und die Anweisung von zweihundert Pistolen und ging ab.

Der Brief enthielt Folgendes:

«Mylady!

«Findet Euch auf dem ersten Balle ein, den der Herzog von Buckingham besucht. Er wird an seinem Wamms zwölf Diamantnestelstifte tragen. Nähert Euch ihm und schneidet zwei davon ab.

«Sobald diese Nestelstifte in Euren Händen sind, gebt mir Nachricht.«


XV. Beamter und Kriegsmann

Als am Tage nach diesen Ereignissen Athos nicht erschien, wurde Herr von Treville durch d'Artagnan und Porthos von seinem Verschwinden in Kenntniß gesetzt.

Aramis hatte sich einen Urlaub von fünf Tagen erbeten und befand sich, der Sage nach, in Familienangelegenheiten in Rouen.

Herr von Treville war der Vater seiner Soldaten. Der Geringste und Unbekannteste unter ihnen war, sobald er die Uniform seiner Kompagnie trug, seiner Hülfe und seines Beistandes so sicher, als es nur sein eigener Bruder hätte sein können.

Er begab sich also sogleich zu dem Kriminalrichter. Man ließ den Offizier kommen, der den Posten an der Croix-Rouge kommandirte, und aus den Nachrichten, die man nach und nach erhielt, ging hervor, daß Athos für den Augenblick im Fort-l'Evéque einquartirt war.

Athos hatte alle Prüfungen durchgemacht, denen Bonacieux unterworfen gewesen war.

Wir haben der Konfrontationsscene zwischen den zwei Gefangenen beigewohnt. Athos, welcher bis dahin nichts gesagt hatte, weil er dachte, d'Artagnan könnte ebenfalls beunruhigt worden sein und die nöthige Zeit nicht gefunden haben, erklärte von diesem Augenblick an, er heiße Athos und nicht d'Artagnan. Uebrigens kenne er weder Herrn noch Dame Bonacieux; er habe noch nie weder mit dem einen noch mit der andern gesprochen, er sei gegen zehn Uhr Abends gekommen, um Herrn d'Artagnan, seinen Freund, zu besuchen, aber bis zu dieser Stunde sei er bei Herrn von Treville gewesen, wo er zu Mittag gespeist habe; zehn Zeugen könnten, fügte er bei, diese Thatsache beweisen, und er nannte mehrere ausgezeichnete Edelleute, worunter den Herrn Herzog de la Tremouille.

Der zweite Kommissär wurde gleich dem ersten gewaltig verblüfft durch die einfache und feste Erklärung des Musketiers, an dem er, wie Civilbeamte Kriegsmännern gegenüber zu thun lieben, so gerne sein Müthchen gekühlt hätte, aber die Namen des Herrn von Treville und des Herrn Herzogs erheischten Respekt.

Athos wurde ebenfalls zu dem Kardinal geschickt, aber zum Unglück befand sich dieser bei dem König im Louvre.

In demselben Augenblick traf Herr von Treville, der von dem Kriminalrichter und dem Gouverneur des Fort-l'Evèque kam, ohne Athos gefunden zu haben, bei dem König ein.

Als Kapitän der Musketiere hatte Herr von Treville zu jeder Stunde Eintritt bei dem König.

Man kennt die Vorurtheile des Königs gegen die Königin, welche auf eine geschickte Weise durch den Kardinal genährt wurden, der im Punkte der Intriguen Frauen viel mehr mißtraute, als Männern. Eine der bedeutendsten Ursachen dieser Vorurtheile war die Freundschaft Annas von Oesterreich für Frau von Chevreuse. Diese zwei Frauen bereiteten ihm mehr Unruhe, als die Kriege mit Spanien, die Streitigkeiten mit England und die Finanzverlegenheiten. In seinen Augen und nach seiner Ueberzeugung unterstützte Frau von Chevreuse die Königin nicht nur in ihren politischen Intriguen, sondern auch, was ihn noch viel mehr quälte, in ihren Liebeshändeln.

Bei dem ersten Wort des Kardinals, daß Frau von Chevreuse, die man an ihrem Verbannungsorte Tours glaubte, nach Paris gekommen sei und der Polizei zum Trotz fünf Tage hier verweilt habe, gerieth der König in furchtbaren Zorn. Launisch und ungetreu, wollte der König Ludwig der Gerechte und Ludwig der Keusche heißen. Der Nachwelt wird es schwer werden, diesen Charakter zu begreifen, den die Geschichte nur durch Thatsachen und nie durch Urtheile erklärt.

Als aber der Kardinal beifügte, Frau von Chevreuse sei nicht nur nach Paris gekommen, sondern auch mittelst einer der geheimnißvollen Korrespondenzen, die man damals eine Kabale nannte, mit der Königin in Verbindung getreten; als er versicherte, er, der Kardinal, sei nahe daran gewesen, die verborgensten Fäden dieser Intrigue zu enthüllen, aber in dem Augenblick, wo man die Abgeordnete der Königin bei der Verbannten mit allen Beweisen auf der That hätte ertappen können, habe ein Musketier sich unterstanden, den Gang der Gerechtigkeit gewaltsam zu unterbrechen und mit dem Degen in der Hand über ehrliche Männer des Gesetzes herzufallen, welche beauftragt gewesen, die ganze Angelegenheit unparteiisch zu untersuchen, um sie dem Könige vor Augen zu legen, da konnte Ludwig XIII. nicht mehr an sich halten: er that, mit jener bleichen, stummen Entrüstung, die diesen Fürsten, wenn sie zum Ausbruch kam, bis zur kalten Grausamkeit führte, einen Schritt gegen das Gemach der Königin.

Und dennoch hatte der Kardinal in der ganzen Sache noch nicht ein Wort von dem Herzog von Buckingham gesprochen.

Jetzt trat Herr von Treville ein, kalt, höflich und in tadelloser Haltung.

Durch die Gegenwart des Kardinals und durch die Entstellung in den Gesichtszügen des Königs genugsam über das Vorgefallene unterrichtet, fühlte sich Herr von Treville stark, wie Simson vor den Philistern.

Ludwig XIII. legte bereits die Hand an den Knopf der Thüre. Bei dem Geräusche, das Herrn von Treville's Eintritt verursachte, drehte er sich um.

«Ihr kommt zu gelegener Zeit, mein Herr, «sprach der König, der, wenn seine Leidenschaften einen gewissen Grad erreicht hatten, sich nicht mehr zu verstellen wußte,»und ich erfahre schöne Dinge von Euren Musketieren.«

«Und ich, «sprach Herr von Treville kalt,»ich habe Ew. Majestät schöne Dinge von Ihren Civildienern zu melden.«

«Wenn es gefällig wäre?«fragte der König stolz.

«Ich habe die Ehre, Ew. Majestät zu benachrichtigen, «fuhr Herr von Treville in demselben Tone fort,»daß eine Anzahl von Prokuratoren, Kommissären und Leuten von der Polizei — sehr schätzenswerthe Leute, aber, wie es scheint, sehr erbittert gegen die Uniform, sich erlaubt hat, einen meiner Musketiere in einem Hause zu verhaften, über die offene Straße zu führen, und auf einen Befehl, dessen Vorzeigung man mir verweigerte, in's Fort-l'Evêque zu werfen, und Alles dies, sage ich, ist einem meiner Musketiere, oder vielmehr Eurer Musketiere, Sire, einem Mann von tadellosem Benehmen, von beinahe erhabenem Ruf, einem Mann, der Ew. Majestät vortheilhaft bekannt ist, Herrn Athos, widerfahren.«

«Athos, «sprach der König maschinenmäßig;»ja, in der That, ich kenne diesen Namen.«

«Ew. Majestät belieben sich seiner zu erinnern, «sagte Herr von Treville,»Athos ist der Musketier, der bei dem ärgerlichen Duelle, das Ihr kennt, Herrn von Cahusac schwer zu verwunden das Unglück hatte. Apropos, Monseigneur, «fuhr Herr von Treville sich gegen den Kardinal wendend fort,»Herr von Cahusac ist völlig wiederhergestellt, nicht wahr?«

«Ich denke, «sagte der Kardinal, sich vor Zorn in die Lippen beißend.

«Herr Athos wollte also einen seiner Freunde besuchen, welcher gerade nicht zu Hause war, einen Bearner, der als Kadett bei den Garden Seiner Majestät, Kompagnie des Essarts steht; aber kaum befand er sich im Zimmer seines Freundes und hatte in Erwartung desselben ein Buch genommen, als ein Haufen von Schergen und Soldaten das Haus belagert und mehrere Thüren einstößt.«

Der Kardinal machte dem König ein Zeichen, welches bedeuten sollte:

«Es geschah in der Angelegenheit, von der ich gesprochen habe.«

«Wir wissen Alles, was Ihr uns da sagt, denn es ist Alles in unserem Dienste geschehen, «sagte der König.

«Dann geschah es wohl auch im Dienste Ew. Majestät, daß man einen meiner Musketiere ganz unschuldig ergriff, wie einen Missethäter zwischen zwei Wachen stellte und mitten durch einen frechen Pöbelhaufen diesen ehrenfesten Mann hindurchführte, der zehnmal sein Blut im Dienste Seiner Majestät vergossen hat und noch zu vergießen bereit ist.«

«Bah!«sprach der König erschüttert,»ist die Sache wirklich so gegangen?«

«Herr von Treville, «versetzte der Kardinal mit dem größten Phlegma,»verschweigt, daß dieser unschuldige Musketier, dieser ehrenfeste Mann, eine Stunde vorher vier Instruktions-Kommissäre, welche ich zur Untersuchung einer sehr wichtigen Angelegenheit abgeschickt, mit dem Degen in der Faust angegriffen und in die Flucht geschlagen hatte.«

«Ich fordere Ew. Eminenz auf, dies zu beweisen, «rief Herr von Treville mit seiner ganzen gascognischen Freimüthigkeit und mit seiner vollen militärischen Derbheit;»denn Herr Athos, ein Mann von vortrefflichen Eigenschaften, erzeigte mir eine Stunde vorher, nachdem er bei mir zu Mittag gespeist hatte, die Ehre, sich im Salon meines Hotels mit dem Herrn Herzog de la Tremouille und dem Herrn Grafen von Chalus zu unterhalten.«

Der König schaute den Kardinal an.

«Ein Protokoll beglaubigt, was ich sagte, «antwortete der Kardinal ganz laut auf die stumme Frage Seiner Majestät,»und die Mißhandelten haben folgende Urkunde abgefaßt, die ich Ew. Majestät zu überreichen die Ehre habe.«

«Ist ein Protokoll von Beamten so viel werth, als das Ehrenwort eines Kriegsmanns?«erwiederte Herr von Treville in stolzem Tone.

«Ruhig, ruhig, Treville! schweigt, «sagte der König.

«Hegt Seine Eminenz einen Verdacht gegen einen meiner Musketiere, «sprach Treville,»so ist die Gerechtigkeit des Herrn Kardinals so weltbekannt, daß ich selbst eine Untersuchung verlange.«

«In dem Hause, wo diese gerichtliche Besichtigung vorgenommen wurde, «fuhr der Kardinal leidenschaftslos fort,»wohnt, wie ich glaube, ein Bearner, ein Freund des Musketiers.«

«Ja, Ew. Eminenz, so ist es.«

«Glaubt Ihr nicht, daß dieser junge Mensch schlimmen Rath gegeben hat…«

«Herrn Athos, einem Manne, der doppelt so alt ist, «unterbrach ihn Herr von Treville;»nein, Monseigneur, überdies hat Herr d'Artagnan den Abend bei mir zugebracht.«

«Ah! es scheint in der That, die ganze Welt brachte den Abend bei Euch zu?«erwiederte der Kardinal.

«Sollte Ew. Eminenz an meinem Worte zweifeln?«sprach Herr von Treville, dessen Stirne der Zorn roth färbte.

«Nein, davor soll mich Gott bewahren!«sagte der Kardinal;»aber es handelt sich nur darum, zu welcher Stunde er bei Euch war?«

«Ah! das kann ich Ew. Eminenz genau sagen, denn als er eintrat, sah ich auf der Uhr, daß es halb zehn war, obschon ich glaubte, es müßte später sein.«

«Und um welche Zeit hat er Euer Hotel verlassen?«

«Um halb elf Uhr, gerade eine Stunde nach dem Vorfall.«

«Aber, «fuhr der Kardinal fort,»der nicht einen Augenblick an der Redlichkeit des Herrn von Treville zweifelte und gewahr wurde, daß der Sieg seinen Händen entschlüpfen wollte;»aber Athos ist doch in dem Hause der Rue des Fossoyeurs verhaftet worden.«

«Ist es einem Freunde verboten, einen Freund zu besuchen? ist es einem Musketier von meiner Compagnie verboten, mit einem Gardisten von der Compagnie des Essarts Brüderschaft zu halten?«

«Ja, wenn das Haus, wo man mit diesem Freunde Brüderschaft pflegt, verdächtig ist.«

«Weil dieses Haus verdächtig ist, Treville, «sprach der König;»vielleicht wußtet Ihr das nicht?«

«In der That, Sire, ich wußte es nicht. Jedenfalls kann es überall verdächtig sein, nur ziehe ich in Abrede, daß es in dem Theile, welchen Herr d'Artagnan bewohnt, verdächtig ist, denn ich darf wohl im Vertrauen auf seine eigenen Aeußerungen versichern, daß es keinen ergebenern Diener Ew. Majestät, keinen innigern Bewunderer des Herrn Kardinals gibt.«

«Ist das nicht jener d'Artagnan, welcher eines Tags bei dem unglücklichen Streit in der Nähe des Klosters der Karmeliter-Barfüßer Jussac verwundete?«fragte der König und schaute dabei den Kardinal an, der vor Aerger im ganzen Gesicht roth wurde.

«Und am andern Tage Bernajoux. Ja, Sire, ja, es ist derselbe, Ew. Majestät haben ein gutes Gedächtniß.«

«Nun, was wollen wir beschließen?«sagte der König. — »Ich werde die Schuld beweisen.«–

«Und ich leugne sie. Aber Seine Majestät hat Richter und diese Richter sollen entscheiden.«

«Ganz gut, «versetzte der König,»übergeben wir den ganzen Prozeß den Richtern; es ist ihre Sache zu urtheilen, und sie werden urtheilen.«

«Nur ist es sehr traurig, «sprach Herr von Treville,»daß in den gegenwärtigen unglücklichen Zeiten ein Mann beim reinsten Leben, bei der vorwurfsfreiesten Tugend, der Bosheit und Verfolgung nicht entgeht. Die Armee wird auch ganz sicherlich sehr unzufrieden sein, wenn sie sieht, daß sie bei Polizei-Angelegenheiten der strengsten Behandlung preisgegeben wird.«

Das Wort war unklug, aber Herr von Treville hatte es ausgesprochen, weil er mit dem Stand der Dinge genau vertraut war. Er wollte eine Explosion herbeifuhren, denn bei dieser Gelegenheit gibt eine Mine Feuer und Feuer erleuchtet.

«Polizei-Angelegenheiten!«rief der König, Herrn von Treville's Worte aufnehmen».»Polizei-Angelegenheiten!«und was wißt denn Ihr davon, mein Herr? Kümmert Euch um Euere Musketiere und macht mich nicht toll. Hört man Euch, so sollte man glauben, Frankreich wäre in Gefahr, wenn unglücklicherweise ein Musketier verhaftet wird! Ei! was für ein Lärm um einen Musketier! Ich lasse zehn verhaften, bei Gott, hundert, ja, die ganze Compagnie, und man soll nicht mucksen.«

«Die Musketiere sind schuldig, sobald Ew. Majestät einen Verdacht gegen sie hegen, «entgegnete Herr von Treville,»auch seht Ihr mich bereit, Sire, Euch meinen Degen zu übergeben; denn ich zweifle nicht daran, daß der Herr Kardinal, nachdem er meine Soldaten verklagt hat, am Ende auch mich verklagen wird, und es ist somit besser, daß ich mich selbst in Verhaft gebe, mit Herrn Athos, der bereits verhaftet ist, und mit Herrn d'Artagnan, den man noch verhaften wird.«

«Gascogner-Kopf, wollt Ihr schweigen!«rief der König.

«Sire, «antwortete Treville, ohne die Stimme im Geringsten zu dämpfen,»befehlt, mir meinen Musketier zurückzugeben oder Gericht über ihn zu halten.«

«Man wird Gericht über ihn halten, «sagte der Kardinal.

«Nun, desto besser, in diesem Falle werde ich Seine Majestät bitten, für ihn plaidiren zu dürfen.«

Der König fürchtete ein großes Aufsehen und sprach:»Wenn Seine Eminenz nicht persönliche Motive hätte…«

Der Kardinal sah den König kommen und ging ihm entgegen.

«Um Vergebung, «sagte er,»wenn Ew. Majestät in mir einen Richter von vorgefaßter Meinung erblicken, so ziehe ich mich zurück.«

«Hört, «sprach der König,»schwört Ihr mir bei meinem Vater, daß Herr Athos während des Vorfalls bei Euch gewesen ist und keinen Theil daran genommen hat?«

«Bei Eurem glorreichen Vater und bei Euch selbst, der Ihr das seid, was ich auf der Welt am innigsten liebe und verehre, schwöre ich!«

«Wollt bedenken, Sire, «sprach der Kardinal,»wenn wir den Gefangenen so entlassen, wird man nie mehr die Wahrheit erfahren.«

«Herr Athos wird stets vorhanden und bereit sein, den Gerichten Rede und Antwort zu stehen, wenn sie ihn zu befragen Lust haben, «entgegnete Herr von Treville.»Er wird nicht desertiren, dafür stehe ich.«

«Gewiß, er wird nicht desertiren, «sprach der König,»man kann ihn immer wieder finden, wie Herr von Treville sagt. Ueberdies, «fügte er mit gedämpfter Stimme und einem flehenden Blick auf Se. Eminenz hinzu,»überdies wollen wir sie sicher machen, das ist Politik.«

Diese Politik Ludwigs XIII. machte Richelieu lächeln.

«Befehlt, Sire, «sprach er,»Euch steht das Recht der Begnadigung zu.«

«Das Recht der Begnadigung ist nur auf Schuldige anwendbar, «entgegnete Treville, der das letzte Wort haben wollte,»und mein Musketier ist unschuldig. Ihr laßt also nicht Gnade, sondern Gerechtigkeit widerfahren, Sire.«

«Er ist im Fort-l'Evêque?«sagte der König.

«Ja, Sire, und in engem Gewahrsam, in einem Kerker, wie der gemeinste Verbrecher.«

«Teufel! Teufel!«murmelte der König,»was soll man da thun?«

«Den Freilassungsbefehl unterzeichnen und Alles ist abgemacht, «sprach der Kardinal;»ich halte, wie Ew. Majestät, die Gewährschaft des Herrn von Treville für mehr als genügend.«

Treville verbeugte sich ehrfurchtsvoll und mit einer Freude, die nicht ohne alle Beimischung von Furcht war; er hätte einen hartnäckigen Widerstand diesem plötzlichen Nachgeben vorgezogen.

Der König unterzeichnete den Freilassungsbefehl, den Herr von Treville ohne Verzug forttrug.

Im Augenblick seines Abgangs lächelte ihm der Kardinal freundschaftlich zu und sagte zu dem König:

«Es herrscht bei Euren Musketieren eine schöne Harmonie zwischen den Führern und Soldaten, das ist sehr ersprießlich für den Dienst und sehr ehrenvoll für Alle.«

«Er wird mir demnächst einen schlimmen Streich spielen, «dachte Treville.»Man hat nie das letzte Wort bei einem solchen Menschen. Aber eilen wir; dem König kann gleich wieder ein anderer Kopf wachsen; denn im Ganzen ist es schwieriger, einen Menschen, der einmal herausgekommen ist, wieder nach der Bastille oder dem Fort-l'Evêque zu bringen, als einen Gefangenen zu bewachen, den man eingekerkert hat.«

Herr von Treville hielt triumphirend seinen Einzug im Fort-l'Evêque, wo er den Musketier befreite, den seine Ruhe nicht einen Augenblick verlassen hatte.

Als er zum ersten Mal d'Artagnan wieder sah, sprach er:

«Ihr kommt gut weg. Euer Degenstich gegen Jusac ist nun bezahlt. Es bleibt noch der gegen Bernajoux im Rest, aber seid immerhin auf Eurer Hut!«

Herr von Treville hatte übrigens Recht, dem Kardinal zu mißtrauen und zu glauben, es sei noch nicht Alles vorbei; denn kaum hatte der Kapitän der Musketiere hinter sich geschlossen, als Seine Eminenz zu dem König sagte:

«Nun, da wir allein sind, wollen wir ernsthaft sprechen, wenn es Ew. Majestät gefällig ist. — Sire, der Herzog von Buckingham war fünf Tage lang in Paris, und ist erst diesen Morgen abgereist.«



XVI. Worin der Herr Siegelbewahrer Seguier mehrmals die Glocke suchte, um zu läuten, wie er auch sonst gethan

Man kann sich unmöglich einen Begriff von dem Eindruck machen, den diese paar Worte bei Ludwig XIII. hervorriefen. Er wurde abwechselnd blaß und roth, und der Kardinal sah sogleich, daß er mit einem einzigen Schlag das verlorene Terrain wieder gewonnen hatte.

«Herr von Buckingham in Paris!«rief der König.»Und was hat er hier gemacht?«

«Ohne Zweifel mit den Hugenotten und den Spaniern, Euern Feinden, conspirirt.«

«Nein, bei Gott, nein! er hat mit Frau von Chevreuse, Frau von Longueville und dem Condé gegen mein Glück conspirirt.«

«Oh, welcher Gedanke, Sire! Die Königin ist zu klug, zu vernünftig und liebt Ew. Majestät zu sehr.«

«Das Weib ist schwach, mein Herr Kardinal, «sprach der König,»und was die allzugroße Liebe betrifft, so habe ich meine eigene Ansicht darüber.«

«Nichtsdestoweniger behaupte ich, «sagte der Kardinal,»daß der Herzog von Buckingham in rein politischen Zwecken nach Paris gekommen ist.«

«Und ich bin überzeugt, daß er anderer Dinge wegen sich hier eingefunden hat, mein Herr Kardinal. Aber wenn die Königin sich verfehlt hat, so mag sie zittern!«

«Obgleich mein Geist nur mit dem größten Widerwillen bei einem solchen Verrathe verweilt, «erwiederte der Kardinal,»so bringen mich Ew. Majestät doch auf einen Gedanken: Frau von Lannoy, die ich auf Ew. Majestät Befehl wiederholt befragt habe, sagt mir, Ihre Majestät habe in der letzten Nacht sehr lange gewacht, diesen Morgen viel geweint und den ganzen Tag geschrieben.«»So ist's, «sprach der König;»gewiß an ihn. Kardinal, ich muß die Papiere der Königin haben.«

«Aber wie diese nehmen, Sire! Es scheint mir, daß weder ich, noch Ew. Majestät einen solchen Auftrag vollziehen kann.«

«Wie hat man's bei der Marschallin d'Ancre gemacht?«rief der König, im höchsten Grade zornig.»Man hat zuerst ihre Schränke und dann sie selbst untersucht.«

«Die Marschallin d'Ancre, Sire, war nur die Marschallin d'Ancre, eine florentinische Abenteurerin, und weiter nichts, während die erhabene Gemahlin Eurer Majestät, Anna von Oesterreich, Königin von Frankreich, das heißt eine der größten Fürstinnen der Welt ist.«

«Sie ist darum nur um so schuldiger, mein Herr Herzog! Je mehr sie ihre hohe Stellung vergessen hat, desto tiefer ist sie hinabgestiegen. Ich bin überdieß schon längst entschlossen, allen diesen kleinen politischen Intriguen und Liebeshändeln ein Ende zu machen. Sie hat auch einen gewissen la Porte bei sich…«

«Den ich für den Hauptschuldigen beim Ganzen halte, «sagte der Kardinal.

«Ihr glaubt also wie ich, daß sie mich täuscht?«sprach der König.

«Ich glaube und wiederhole Ew. Majestät, daß die Königin gegen die Macht ihres Königs conspirirt; aber ich habe keineswegs gesagt, gegen seine Ehre.«

«Und ich sage Euch, gegen Beides. Ich sage Euch, daß die Königin mich nicht liebt; ich sage Euch, daß sie einen Andern liebt; ich sage Euch, daß sie den Herzog von Buckingham liebt! Warum habt Ihr ihn nicht während seines Aufenthalts in Paris verhaften lassen?«

«Den Herzog verhaften! Den ersten Minister Karls I. verhaften! Bedenkt doch, Sire, welches Aufsehen dies machen müßte, und wenn es sich zeigte, daß der Verdacht Eurer Majestät nicht grundlos gewesen wäre, woran ich immer noch zweifle, welch ein furchtbarer Lärm! welch ein verzweifelter Scandal!«

«Aber da er sich wie ein Vagabund, wie ein Dieb bloßstellte, mußte man…«

Ludwig XIII. hielt erschrocken über das, was er zu sagen im Begriff war, selbst inne, während Richelieu mit großer Spannung vergeblich das Wort erwartete, das auf seinen Lippen fest hielt.

«Man müßte…?«

«Nichts, «sagte der König,»aber Ihr habt ihn doch während der ganzen Zeit, die er sich in Paris aufhielt, nicht aus dem Gesichte verloren?«

«Nein, Sire.«

«Wo wohnte er?«

«In der Rue de la Harpe, Nro. 75.«

«Wo ist dies?«

«Neben dem Luxemburg.«

«Und Ihr seid überzeugt, daß die Königin und er sich nicht gesehen haben?«

«Ich glaube, daß die Königin zu fest an ihren Pflichten hängt, Sire.«

«Aber sie wechselten Briefe, an ihn hat die Königin den ganzen Tag geschrieben. Mein Herr Herzog, ich muß diese Briefe haben.«

«Sire, wenn indessen…«

«Mein Herr Herzog, ich will sie haben, um welchen Preis es auch sein mag.«

«Ich erlaube mir indessen, Ew. Majestät zu bemerken…«

«Verrathet Ihr mich also auch, Herr Kardinal, daß Ihr Euch stets auf diese Art meinem Willen widersetzt? Seid Ihr im Einverständniß mit dem Spanier und dem Engländer? mit Frau von Chevreuse und der Königin?«

«Sire, «antwortete der Kardinal lächelnd,»ich glaubte mich vor einem solchen Verdachte geschützt.«

«Mein Herr Kardinal, Ihr habt mich verstanden, ich will diese Briefe haben.«

«Es dürfte nur ein Mittel geben.«

«Welches?«

«Man müßte den Herrn Siegelbewahrer Seguier damit beauftragen. Die Sache gehört ganz zu den Verpflichtungen seines Amtes.«

«Man soll ihn sogleich holen lassen.«

«Er muß bei mir sein, Sire. Ich habe ihn zu mir bestellt, und als ich in den Louvre ging, Befehl gegeben, ihn warten zu lassen, wenn er sich einfinden würde.«

«Man hole ihn sogleich hieher.«

«Die Befehle Ew. Majestät sollen vollzogen werden, aber…«

«Was aber?«

«Aber die Königin wird sich vielleicht weigern, zu gehorchen.«

«Meinen Befehlen?«

«Ja, wenn sie nicht weiß, daß diese Befehle von dem König herrühren.«

«Gut! damit sie daran nicht zweifelt, will ich sie selbst in Kenntniß setzen.«

«Ew. Majestät werden nicht vergessen, daß ich Alles, was in meinen Kräften lag, gethan habe, um einen Bruch abzuwenden.«

«Ja, Herzog, ja, ich weiß, daß Ihr vielleicht zu nachsichtig seid, und ich sage Euch, daß wir später hierüber sprechen müssen.«

«Wann es Ew. Majestät belieben wird; aber ich werde stets glücklich und stolz sein, Sire, mich dem guten Einvernehmen aufzuopfern, von dem ich wünsche, daß es beständig zwischen dem König und der Königin von Frankreich herrschen möge.«

«Gut, Kardinal, gut. Aber laßt mir mittlerweile den Herrn Siegelbewahrer holen.«

Und Ludwig XIII. öffnete die Verbindungsthüre und ging in die Flur, welche von seinen Zimmern in die Gemächer Anna's von Oesterreich führte.

Die Königin befand sich inmitten ihrer Frauen; um sie her saßen Frau von Guitaut, Frau von Sablé, Frau von Montbazon und Frau von Guémené. In einem Winkel stand die spanische Kammerfrau, Donna Estefania, die ihr von Madrid gefolgt war. Frau von Guémené las vor, und Alle horchten aufmerksam auf die Vorleserin, mit Ausnahme der Königin, welche im Gegentheil diese Lektüre befohlen hatte, um, während sie sich den Anschein gab zu hören, dem Faden ihrer eigenen Gedanken folgen zu können.

Diese Gedanken waren, so sehr sie auch durch einen letzten Widerschein der Liebe vergoldet wurden, darum nicht minder trauriger Natur. Des Vertrauens ihres Gatten beraubt, verfolgt von dem Hasse des Kardinals, der ihr nicht vergeben konnte, daß sie ein zärtlicheres Gefühl zurückgewiesen, das Beispiel der Königin Mutter vor Augen, welche von diesem Hasse ihr ganzes Leben hindurch gequält wurde, obgleich Maria von Medicis, wenn man den Memoiren jener Zeit glauben darf, Anfangs dem Kardinal ein Glück zugestanden, das Anna von Oesterreich beständig verweigerte — hatte sie ihre ergebensten Diener, ihre innigsten Vertrauten, ihre liebsten Günstlinge fallen sehen. Sie brachte Unglück über Alles, was sie berührte; ihre Freundschaft war ein unseliges Zeichen, das Verfolgung hervorrief. Frau von Chevreuse und Frau von Vernet waren verbannt; La Porte verbarg seiner Gebieterin nicht, daß er jeden Augenblick einer Verhaftung entgegen sah.

Während sie aber in ihre düsteren Gedanken vertieft war, öffnete sich die Thüre und der König trat ein.

Die Vorleserin schwieg sogleich, alle Damen standen auf und es herrschte allgemeines Stillschweigen. Der König enthielt sich aller Höflichkeitsbezeigungen, blieb vor der Königin stehen und sagte mit bebender Stimme:

«Madame, Ihr erhaltet einen Besuch von dem Herrn Kanzler, der Euch gewisse Angelegenheiten mittheilen wird, mit denen ich ihn beauftragt habe.«

Die unglückliche Königin, welche man beständig mit Ehescheidung, Verbannung und sogar mit einem Urtheile bedrohte, erbleichte unter der Schminke, und konnte nicht umhin zu erwiedern:

«Aber warum dieser Besuch, Sire? was wird mir der Herr Kanzler sagen, das mir Ew. Majestät nicht selbst sagen könnten?«

Der König wandte sich auf den Fersen um, ohne eine Antwort zu geben, und beinahe in demselben Augenblicke kündigte der Kapitän der Garden, Herr von Guitaut, den Besuch des Herrn Kanzlers an.

Als der Kanzler erschien, war der König bereits durch eine andere Thüre abgegangen.

Der Kanzler trat halb lächelnd, halb erröthend ein, wie wir ihn im Verlaufe dieser Geschichte wieder finden werden. Es kann nicht schaden, wenn unsere Leser sogleich seine Bekanntschaft machen.

Dieser Kanzler war ein drolliger Mensch. Des Roches le Masler, Kanonikus bei Notre-Dame, früher Kammerdiener des Kardinals, schlug ihn Seiner Eminenz als einen ergebenen, zuverlässigen Mann vor. Der Kardinal vertraute hierauf und befand sich gut dabei.

Man erzählte sich gewisse Geschichten von ihm; unter andern folgende:

Nach einer stürmischen Jugend hatte er sich in ein Kloster zurückgezogen, um wenigstens eine Zeit lang die Thorheiten seiner Jugend zu büßen; aber bei seinem Eintritte konnte der arme Reumüthige nicht so schnell die Thüre schließen, daß die Leidenschaften, welche er floh, nicht mit ihm eingezogen wären. Er war ohne Unterlaß von ihnen belagert, und der Superior, dem er dieses Unglück anvertraut hatte, empfahl ihm, er solle, um sich vor diesen Anfällen zu schützen und den versuchenden Teufel zu beschwören, seine Zuflucht zu der Glocke nehmen und mit aller Gewalt läuten. Dadurch würden die Mönche benachrichtigt werden, daß die Versuchung einen Bruder belagere, und die ganze Gemeinde würde Gebete für sein Heil verrichten.

Der Rath schien dem zukünftigen Kanzler gut. Er beschwor den bösen Geist mit starker Unterstützung der Gebete, welche die Mönche verrichteten. Aber der Teufel läßt sich nicht leicht aus einem Orte vertreiben, wo er seine Garnison eingelegt hat.

In demselben Maße, wie man die Exorcismen verdoppelte, verdoppelte er seine Versuchungen, so daß die Glocke Tag und Nacht ertönte und das heiße Verlangen des Reumüthigen nach Abtödtung des Fleisches kund gab.

Die Mönche hatten Tag und Nacht keine Ruhe mehr; sie mußten den ganzen Tag die Treppe auf- und abspringen, welche zu der Kapelle führte; in der Nacht waren sie außer den Completen und Frühmetten noch genöthigt, sich zwanzigmal aus ihren Betten zu erheben und auf den Boden ihrer Zellen niederzustürzen.

Man weiß nicht, ob der Teufel nachließ, oder ob die Mönche müde wurden; nur so viel ist gewiß, daß der Reumüthige nach Verlauf von drei Monaten mit dem Ruf des furchtbarsten Besessenen, der je gelebt, wieder in der Welt erschien.

Als er das Kloster verließ, trat er in die Magistratur, wurde nach seinem Oheim Parlaments-Präsident, schlug sich auf die Partei Richelieu's, was nicht wenig Scharfsinn verrieth, erhielt seine Ernennung als Kanzler, diente Sr. Eminenz mit dem größten Eifer in seinem Hasse gegen die Königin Mutter und in seiner Rache gegen Anna von Oesterreich; stachelte die Richter in der Angelegenheit von Chalais auf, unterstützte die Versuche des Herrn von Laffemas, Großwildmeisters von Frankreich, und erhielt endlich, in das volle, so wohl erworbene Vertrauen des Kardinals eingesetzt, den seltsamen Auftrag, zu dessen Vollstreckung er sich bei der Königin einfand.

Die Königin stand noch bei seinem Eintritte, aber so bald sie ihn gewahr wurde, setzte sie sich nieder in ihr Fauteuil und gab ihren Frauen ein Zeichen, auf ihre Kissen und Tabourets niederzusitzen. In höchst stolzem Tone fragte Anna von Oesterreich:

«Was wollt Ihr, mein Herr? und in welcher Absicht erscheint Ihr hier?«

«Um hier im Namen des Königs und in aller Ehrfurcht, die ich Ew. Majestät schuldig bin, eine genaue Durchsuchung Eurer Papiere anzustellen.«

«Wie? mein Herr! eine Durchsuchung meiner Papiere! Mir dies! Das ist eine unwürdige Handlungsweise.«

«Wollt mir vergeben, Madame, aber unter diesen Umständen bin ich nur das Werkzeug, dessen sich der König bedient. Ist Se. Majestät nicht so eben von hier weggegangen? Hat er Euch nicht selbst aufgefordert, dieses Besuchs gewärtig zu sein?«

«Sucht also, mein Herr. Ich bin, wie es scheint, eine Verbrecherin; Estefania, gebt ihm die Schlüssel zu meinen Tischen und meinen Secretären.«

Der Kanzler suchte der Form wegen in diesen Meubeln, aber er wußte wohl, daß die Königin den Brief, welchen sie am Tage geschrieben, in keinem derselben verschließen würde.

Nachdem der Kanzler zwanzigmal die Schubladen des Secretärs geöffnet und wieder verschlossen hatte, mußte er, wie sehr er auch zögerte, seinen Auftrag zu Ende führen, das heißt, die Königin selbst durchsuchen. Der Kanzler trat gegen Anna von Oesterreich vor und sagte mit äußerst verlegenem Ton und verwirrter Miene:

«Nun habe ich noch die Hauptdurchsuchung vorzunehmen.«

«Welche?«fragte die Königin, die nicht begriff oder vielmehr nicht begreifen wollte.

«Seine Majestät weiß gewiß, daß heute ein Brief von Euch geschrieben worden und daß derselbe noch nicht an seine Adresse abgegangen ist. Dieser Brief findet sich weder in Eurem Tische noch in Eurem Secretär, und doch ist er irgendwo.«

«Solltet Ihr es wagen, Hand an Eure Königin zu legen!«rief Anna von Oesterreich, sich hoch aufrichtend und einen Blick auf den Kanzler heftend, dessen Ausdruck beinahe drohend wurde.

«Ich bin ein getreuer Unterthan des Königs, Madame, und Alles, was Seine Majestät mir befiehlt, werde ich thun.«

«Wohl, das ist wahr, «sprach Anna von Oesterreich,»und der Herr Kardinal ist von seinen Spionen gut bedient worden. Ich habe heute einen Brief geschrieben und dieser ist noch nicht abgegangen. Hier ist der Brief.«

Und die Königin legte hiebei ihre schöne Hand an den Leib.

«Dann gebt mir diesen Brief, Madame, «sprach der Kanzler.

«Ich werde ihn nur dem König geben, mein Herr, «sagte Anna.

«Wäre es des Königs Wille gewesen, den Brief selbst in Empfang zu nehmen, so würde er ihn von Euch gefordert haben. Aber ich wiederhole Euch, er hat mich beauftragt, ihn zu fordern, und wenn Ihr mir denselben nicht geben solltet…«

«Nun?«

«So bin ich ebenfalls beauftragt, ihn zu nehmen.«

«Wie? was wollt Ihr damit sagen?«

«Daß meine Befehle weit gehen, Madame, und daß ich bevollmächtigt bin, das verdächtige Papier sogar an der Person Eurer Majestät zu suchen.«

«Wie abscheulich!«rief die Königin.

«Wollt Euch also etwas leichter ergeben, Madame.«

«Dieses Benehmen ist eine schändliche Gewaltthat; wißt Ihr das, mein Herr?«

«Der König befiehlt, Madame, entschuldigt.«

«Ich werde es nicht dulden, nein, nein, eher sterben!«rief die Königin, bei der sich das kaiserliche Blut der Spanierin und Oesterreicherin empörte.

Der Kanzler machte eine tiefe Verbeugung; mit der klaren Absicht, keinen Zollbreit von der Erfüllung des Auftrags, den er übernommen, zurückzuweichen, und wie es etwa ein Henkersknecht in der Folterkammer hätte thun mögen, näherte er sich Anna von Oesterreich, aus deren Augen man jetzt Thränen der Wuth hervorstürzen sah.

Die Königin war, wie gesagt, eine große Schönheit. Der Auftrag konnte als äußerst delikat angesehen werden, aber der König war durch seine Eifersucht gegen Buckingham so weit gekommen, daß er gegen Niemand mehr Eifersucht fühlte.

Ohne Zweifel suchte der Kanzler Seguier in dieser Minute mit seinen Augen den Strang der berüchtigten Glocke, da er ihn aber nicht fand, so faßte er seinen Entschluß und streckte die Hand nach dem Orte aus, wo das Papier nach dem Geständniß der Königin verwahrt war. Anna von Oesterreich wurde so bleich, daß man hätte glauben sollen, sie würde sterben; einen Schritt rückwärts machend, stützte sie sich, um nicht zu fallen, mit der linken Hand auf einen Tisch, der hinter ihr stand, zog mit der rechten ein Papier aus ihrem Busen hervor, und reichte es dem Siegelbewahrer.

«Nehmt, hier ist der Brief!«rief die Königin mit zitternder Stimme,»nehmt und befreit mich von Eurer gehässigen Gegenwart.«

Der Kanzler, der ebenfalls von einer leicht begreiflichen Aufregung zitterte, nahm den Brief, verbeugte sich bis zur Erde und trat ab.

Kaum war die Thüre hinter ihm geschlossen, als die Königin halb ohnmächtig in die Arme ihrer Frauen sank.

Der Kanzler trug den Brief zum König, ohne ein einziges Wort zu lesen. Der König ergriff ihn mit zitternder Hand, suchte die Adresse, welche fehlte, wurde sehr bleich, öffnete ihn langsam und las den Inhalt sehr rasch, als er bei den ersten Worten bemerkte, daß er an den König von Spanien gerichtet war.

Es war ein förmlicher Angriffsplan gegen Richelieu. Die Königin forderte ihren Bruder und den Kaiser von Oesterreich auf, sich zu stellen, als würden sie, verletzt durch die Politik Richelieu's der sich unablässig mit der Erniedrigung des Hauses Oesterreich beschäftigte, Frankreich den Krieg erklären, und sodann als Friedensbedingung die Entfernung des Kardinals zu fordern; aber von Liebe stand kein Wörtchen in dem Briefe.

Hocherfreut darüber, erkundigte sich der König, ob der Kardinal noch im Louvre sei. Man sagte ihm. Seine Eminenz erwarte im Arbeitskabinet die Befehle Sr Majestät.

Der König begab sich sogleich zu ihm.

«Hört, Herzog, «sprach er,»Ihr hattet Recht, und ich hatte Unrecht. Die ganze Intrigue ist politischer Natur, und die Liebe wird in diesem Briefe von keiner Silbe berührt. Dagegen ist sehr viel von Euch die Rede.«

Der Kardinal nahm den Brief und las ihn mit der größten Aufmerksamkeit. Nachdem er damit zu Ende war, las er ihn noch einmal.

«Gut, Ew. Majestät, «sagte er.»Ihr seht, wohin meine Feinde zielen. Man bedroht Euch mit zwei Kriegen, wenn Ihr mich nicht entfernt. An Eurer Stelle, Sire, würde ich in der That bei so mächtigem Andringen nachgeben, und ich würde mich wahrhaft glücklich fühlen, mich von den Geschäften zurückziehen zu dürfen.«

«Was sagt Ihr da, Herzog?«

«Ich sage, Sire, daß meine Gesundheit in diesen Kämpfen zu Grunde geht; ich sage, daß ich aller Wahrscheinlichkeit nach die Strapazen der Belagerung von La Rochelle nicht aushalten kann, und daß Ihr besser Herrn von Condé oder Herrn von Bassompierre oder irgend einen tapfern Mann, der seinem Stande nach zum Kriegsführen bestimmt ist, hiezu ernennen würdet, aber nicht mich, der ich ein Mann der Kirche bin, und den man beständig von seinem Beruf abzieht, um ihn zu Dingen zu gebrauchen, für welche er keine Geschicklichkeit besitzt. Ihr werdet glücklicher im Innern und, ich zweifle nicht daran, auch nach außen größer sein.«

«Mein Herr Herzog, «sprach der König,»ich begreife, seid nur ruhig. Alle diejenigen, welche in diesem Briefe genannt sind, und die Königin selbst, sollen nach Verdienst bestraft werden.«

«Was sagt Ihr, Sire? Gott behüte mich, daß die Königin meinetwegen die geringste Unannehmlichkeit erfahre; sie hat mich immer für ihren Feind gehalten, Sire, obgleich Ew. Majestät bezeugen kann, daß ich stets ihre Partie, sogar gegen Euch genommen habe. Oh! wenn sie Ew. Majestät in Beziehung auf die Ehre verriethe, dann wäre es etwas Anderes und ich wäre der Erste, der sagen müßte: keine Gnade für die Schuldige! Zum Glück ist dem nicht so, und Eure Majestät haben einen neuen Beweis hiefür erlangt.«

«Das ist wahr, Herr Kardinal, «erwiederte der König,»und Ihr habt Recht, wie immer. Aber die Königin verdient darum nicht minder meinen ganzen Zorn.«

«Ihr habt den ihrigen auf Euch gezogen, Sire, und wenn sie Ew. Majestät ernstlich grollen würde, so könnte ich es wohl begreifen!..«

«So werde ich stets meine Feinde und die Eurigen behandeln, Herzog, so hoch sie gestellt sein mögen, und welche Gefahr ich auch bei strenger Behandlung derselben laufen könnte.«

«Die Königin ist meine Feindin, aber nicht die Eurige, Sire. Sie ist im Gegenteil eine gehorsame und tadellose Gattin. Laßt mich also für sie ein Wort einlegen.«–

«Sie demüthige sich und komme mir zuerst entgegen.«

«Im Gegentheil, Sire, gebt Ihr das Beispiel. Ihr habt zuerst Unrecht gehabt, denn in Euch ist der Verdacht gegen die Königin entstanden.«

«Ich den ersten Schritt thun?«sagte der König.»Nie!«

«Sire, ich flehe Euch an.«

«Uebrigens, wie sollte ich ihr zuerst entgegenkommen?«

«Indem Ihr irgend Etwas veranstaltet, wovon Ihr wißt, daß es ihr angenehm ist.«

«Was?«

«Gebt einen Ball. Ihr wißt, wie gerne die Königin tanzt. Ich stehe dafür, daß ihr Groll gegen eine solche Aufmerksamkeit nicht Stand halten wird.«

«Mein Herr Kardinal, es ist Euch bekannt, daß ich die weltlichen Freuden nicht liebe.«

«Die Königin wird Euch um so dankbarer sein, weil sie Eure Antipathie gegen dieses Vergnügen kennt. Ueberdies wird es ihr eine Gelegenheit bieten, die schönen Diamant-Nestelstifte zu tragen, die Ihr Eurer Gemahlin an ihrem Namenstag geschenkt habt, ohne daß sie sich bis jetzt damit schmücken konnte.«

«Wir werden sehen, Herr Kardinal, wir werden sehen, «sagte der König, der, voll Freude darüber, daß die Königin eines Verbrechens, um das er sich nichts kümmerte, schuldig, und in Betreff eines Vergehens, das er so sehr fürchtete, unschuldig befunden worden, sehr geneigt war, sich mit ihr auszusöhnen;»wir werden sehen, aber bei meiner Ehre, Ihr seid zu nachsichtig.«

«Sire, «sprach der Kardinal,»überlaßt die Strenge Euren Ministern, die Nachsicht ist eine königliche Tugend; wendet sie an, und Ihr werdet Euch überzeugen, daß Ihr Euch gut dabei befindet.«

Als der Kardinal sodann die Uhr elf schlagen hörte, machte er eine tiefe Verbeugung, bat den König, sich beurlauben zu dürfen, und forderte ihn, ehe er sich entfernte, noch einmal auf, sich mit der Königin zu versöhnen.

Anna von Oesterreich, welche in Folge des ihr abgenommenen Briefes Vorwürfe erwartete, war sehr erstaunt, als sie den König am andern Tage Annäherungsversuche machen sah. Ihre erste Bewegung war zurückweisend. Der Stolz der Frau und die Würde der Königin waren so grausam verletzt worden, daß sie sich nicht sogleich von diesem Schlag erholen konnte. Doch ließ sie sich von den Frauen ihrer Umgebung bereden und that, als wollte sie allmählig vergessen. Der König benützte den ersten Moment eines Entgegenkommens, um ihr zu sagen, er gedenke ein Fest zu geben.

Ein Fest war etwas so Seltenes für die arme Anna von Oesterreich, daß bei dieser Ankündigung, wie es der Kardinal vorhergesehen hatte, die letzte Spur ihres Grolles, wenn nicht in ihrem Herzen, doch wenigstens auf ihrem Gesichte verschwand. Sie fragte, an welchem Tage dieses Fest statt haben sollte, aber der König antwortete, er müsse sich über diesen Punkt mit dem Kardinal verständigen.

Der König fragte den Richelieu wirklich jeden Tag, wann das Fest gegeben werden solle, und jeden Tag schob Richelieu eine bestimmte Aeußerung darüber unter irgend einem Vorwande hinaus.

Am achten Tage nach der von uns mitgetheilten Scene bekam der Kardinal einen Brief mit dem Stempel von London, der nur folgende Zeilen enthielt:

«Ich habe sie, aber ich kann London nicht verlassen, weil es mir an Geld fehlt; schickt mir fünfhundert Pistolen, und vier bis fünf Tage nach Empfang derselben bin ich in Paris.«

An demselben Tag, wo der Kardinal diesen Brief empfangen hatte, richtete der König seine gewöhnliche Frage an ihn.

Richelieu zählte an den Fingern und sagte ganz leise zu sich selbst:

«Sie wird, schreibt sie, vier bis fünf Tage nach Empfang des Geldes ankommen; das Geld braucht vier bis fünf Tage, um dort anzukommen, sie braucht vier bis fünf Tage, um hierher zu kommen: das macht zehn Tage; nun rechnen wir noch conträre Winde, etwaige Unfälle, Weiberschwäche dazu, und setzen wir zwölf Tage.«

«Nun, Herr Herzog, «sprach der König,»habt Ihr Eure Rechnung gemacht?«

«Ja, Sire, heute ist der 20. September; der Rath der Stadt Paris giebt am 3. Oktober ein Fest. Das trifft vortrefflich zusammen: dann sieht es nicht aus, als ob Ihr Euch so große Mühe gäbet, um die Königin zu versöhnen.«

«Doch, «fügte der Kardinal bei,»vergeßt nicht, Sire, am Vorabend des Festes Ihrer Majestät zu sagen, daß Ihr zu sehen wünscht, wie ihr die diamantenen Nestelstifte stehen.«


XVII. Die Haushaltung Bonacieux

Es war das zweite Mal, daß der Kardinal der diamantenen Nestelstifte gegen den König erwähnte. Ludwig XIII. war über diese Wiederholung betroffen und dachte, es müsse ein Geheimniß dahinter liegen, daß er ihm diesen Gegenstand so dringend empfahl.

Mehr als einmal hatte sich der König dadurch gedemüthigt gesehen, daß der Kardinal, der eine vortreffliche Polizei besaß, obgleich diese noch nicht die Vollendung der modernen Polizei erreicht hatte, über das, was in seinem eigenen Haushalt vorging, besser unterrichtet war, als er selbst. Er hoffte nun aus einem Gespräch mit Anna von Oesterreich einiges Licht zu gewinnen und sodann mit irgend einem Geheimniß, das der Kardinal mühte, zur Eminenz zurückzukehren, was ihn in den Augen seines Ministers unendlich erhöhen müßte.

Er suchte deßhalb die Königin auf und knüpfte seiner Gewohnheit gemäß die Unterredung mit neuen Drohungen gegen ihre Umgebung an. Anna von Oesterreich senkte den Kopf, ließ den Strom verlaufen, ohne zu antworten, und hoffte, er werde am Ende von selbst stille stehen; aber das war es nicht, was Ludwig XIII. wollte. Ludwig XIII. wollte einen Wortwechsel, aus dem irgend ein Lichtfunke hervorspringen würde, denn er war überzeugt, daß der Kardinal einen Hintergedanken habe und ihm eine von jenen furchtbaren Ueberraschungen bereite, welche Seine Eminenz herbeizuführen wußte. Er gelangte zu diesem Ziele durch seine Beharrlichkeit im Anschuldigen.

«Aber, «rief Anna von Oesterreich, dieser unbestimmten, schwankenden Angriffe müde,»aber, Sire, Ihr sagt mir nicht Alles, was Ihr auf dem Herzen habt; was habe ich denn gethan? Sprecht, welches Verbrechen habe ich begangen? Es ist nicht möglich, daß Ew. Majestät all diesen Lärmen wegen eines Briefes machen, den ich an meinen Bruder geschrieben.«

Seinerseits so direct angegriffen, wußte der König nicht, was er antworten sollte. Er dachte, dies sei der geeignete Augenblick, die Aufforderung anzubringen, die er erst am Vorabend des Festes machen sollte.

«Madame, «sprach er mit Hoheit,»es wird alsbald ein Ball im Rathhaus stattfinden. Ich erwarte, daß Ihr unsern braven Rathsherrn die Ehre anthun werdet, daselbst in Ceremonienkleidern und besonders mit den diamantenen Nestelstiften, die ich Euch an Euerem Namensfest gegeben habe, zu erscheinen. Das ist meine Antwort.«

Die Antwort war furchtbar; Anna von Oesterreich glaubte, Ludwig XIII. wisse Alles, und der Kardinal habe ihn zu dieser sechs- bis siebentägigen Verstellung bestimmt, die übrigens in seinem Charakter lag. Sie wurde todesblaß, stützte ihre bewunderungswürdig schöne Hand, welche jetzt von Wachs zu sein schien, auf eine Console, schaute den König mit erschrockenen Augen an und antwortete keine Sylbe.

«Ihr versteht, Madame, «sagte der König, der sich an dieser Verlegenheit in seiner ganzen Ausdehnung ergötzte, aber ohne die Ursache zu errathen,»Ihr versteht?«

«Ja, Sire, ich verstehe, «stammelte die Königin.

«Ihr werdet auf diesem Balle erscheinen?«

«Ja!«

«Mit Euren Nestelstiften?«

«Ja!«

Die Blässe der Königin nahm wo möglich noch zu, der König bemerkte es und waidete sich daran mit jener kalten Grausamkeit, welche eine der schlimmsten Seiten seines Charakters bildete.

«Dann ist die Sache abgemacht, «sprach der König,»und das ist Alles, was ich Euch zu sagen hatte.«

«Aber an welchem Tage soll der Ball stattfinden?«fragte Anna von Oesterreich.

Ludwig XIII. fühlte instinktmäßig, daß er auf diese Frage, welche die Königin mit beinahe ersterbender Stimme gethan hatte, nicht antworten durfte.

«Sehr bald, Madame, «sagte er,»aber ich erinnere mich nicht mehr genau des Datums und werde den Kardinal fragen.«

«Also hat Euch der Kardinal dieses Fest angekündigt!«rief die Königin. — »Ja, Madame, «erwiederte der König erstaunt.»Aber warum dies?«—»Er hat Euch gesagt, Ihr sollet mich auffordern, dabei mit diesen Nestelstiften zu erscheinen.«—»Das heißt, Madame…«—»Er, Sire!«—»Was liegt daran, ob er oder ich? Ist diese Aufforderung etwa ein Verbrechen?«—»Nein, Sire!«—»So werdet Ihr also erscheinen?«—»Ja, Sire!«—»Gut, «sprach der König sich entfernend,»ich zähle darauf.«

Die Königin machte eine Verbeugung, weniger aus Etikette, als weil ihre Kniee unter ihr brachen.

Der König schien entzückt.

«Ich bin verloren, «murmelte die Königin,»verloren, denn der Kardinal weiß Alles. Und er ist es, der den König antreibt, welcher nichts weiß, aber bald Alles erfahren wird. Ich bin verloren! Mein Gott! mein Gott! mein Gott!«

Sie knieete auf ein Kissen nieder und betete, den Kopf zwischen die zitternden Arme gesenkt.

Ihre Lage war in der That furchtbar. Buckingham war nach London zurückgekehrt. Frau von Chevreuse befand sich in Tours. Strenger als je überwacht, hatte die Königin eine geheime Ahnung, daß sie von einer ihrer Frauen verrathen wurde, ohne sich sagen zu können, von welcher. La Porte konnte den Louvre nicht verlassen. Sie hatte nicht eine Seele auf der Welt, der sie sich anvertrauen durfte.

Bei dem Unglück, das sie bedrohte, und bei der Verlassenheit, der sie preisgegeben war, brach sie in heftiges Schluchzen aus.

«Kann ich Ew. Majestät nichts nützen?«sprach plötzlich eine Stimme voll Sanftmuth und Mitleid.

Die Königin wandte sich lebhaft um, denn man konnte sich im Ausdruck dieser Stimme nicht täuschen: es war eine Freundin, welche so sprach.

An einer der Thüren, welche in das Gemach der Königin führten, erschien wirklich die hübsche Frau Bonacieux; sie war, als der König eintrat, damit beschäftigt gewesen, Kleider und Weißzeug in einem Kabinet zu ordnen. Sie konnte sich nicht entfernen und hatte Alles gehört. Die Königin stieß einen durchdringenden Schrei aus, als sie sich überrascht sah; denn in ihrer Angst erkannte sie anfangs die junge Frau nicht, die ihr La Porte gegeben hatte.

«O, fürchtet nichts, Madame, «sagte die junge Frau, die Hände faltend und selbst über die Bangigkeit der Königin weinend.»Ich gehöre Ew. Majestät mit Leib und Seele, und so fern ich Euch stehe, so untergeordnet meine Stellung ist, so glaube ich doch das Mittel gefunden zu haben, Ew. Majestät aller Pein zu entziehen.«

«Ihr! O Himmel, Ihr!«rief die Königin.»Aber seht, schaut mir ins Gesicht. Ich bin von allen Seiten verrathen; kann ich mich Euch anvertrauen?«

«O, Madame!«rief die junge Frau auf die Kniee fallend,»o, bei meiner Seele, ich bin bereit, für Euch zu sterben!«

Dieser Ruf kam aus der Tiefe des Herzens und man konnte sich über seine Wahrheit so wenig täuschen, als bei dem ersten.

«Ja, «fuhr Frau Bonacieux fort,»ja es gibt Verräther hier. Aber bei der heiligen Jungfrau beschwöre ich Euch, daß Niemand ergebener sein kann, als ich es Ew. Majestät bin. Diese Nestelstifte, welche der König fordert, habt Ihr dem Herzog von Buckingham gegeben, nicht wahr? Diese Nestelstifte waren in einem Kistchen von Rosenholz verschlossen, das er unter seinem Arm trug. Täusche ich mich? ist es nicht so?«

«Oh! mein Gott! mein Gott!«murmelte die Königin, der die Zähne vor Angst klapperten.

«Nun, «fuhr Frau Bonacieux fort,»man muß diese Nestelstifte wieder bekommen.«—»Ja, allerdings, das muß sein!«rief die Königin,»aber wie soll man dies machen, wie dazu gelangen?«—»Man muß Jemand zu dem Herzog schicken.«—»Aber wen?… wem mich anvertrauen?«—»Habt Vertrauen zu mir, Madame; erweist mir diese Ehre, und ich werde den Boten finden.«—»Aber ich werde schreiben müssen!«—»Oh! ja, das ist unerläßlich. Zwei Worte von Ew. Majestät Hand und Euer Privatsiegel.«—»Aber diese zwei Worte sind meine Verdammung, die Ehescheidung, die Verbannung!«—»Ja, wenn sie in böse Hände fallen. Aber ich stehe dafür, daß diese zwei Worte ihrer Adresse zugestellt werden.«—»O mein Gott! Ich muß also mein Leben, meine Ehre, meinen Ruf in Eure Hände legen.«—»Ja, ja, Madame, das muß sein, und ich werde Alles dies retten!«—»Aber wie? sagt mir dies wenigstens.«—»Mein Gatte ist vor zwei oder drei Tagen in Freiheit gesetzt worden, ich habe noch nicht Zeit gehabt, ihn zu sehen; er ist ein braver, ehrlicher Mann, der weder Haß noch Liebe für irgend Jemand hegt. Er wird thun, was ich haben will. Er wird auf einen Befehl von mir abreisen, ohne zu wissen, was er mit sich trägt, und den Brief Ew. Majestät an seine Adresse abgeben, ohne zu erfahren, daß er von Eurer Majestät herrührt.«

Die Königin ergriff die zwei Hände der jungen Frau mit leidenschaftlicher Begeisterung, schaute sie an, als wollte sie in der Tiefe ihres Herzens lesen, und küßte sie zärtlich, als sie nur Aufrichtigkeit in ihren schönen Augen gewahr wurde.

«Thu' dies, «rief sie,»und Du hast mir das Leben, Du hast mir die Ehre gerettet!«—»O, schlaget den Dienst, den ich Euch zu leisten so glücklich bin, nicht allzuhoch an. Ich habe Ew. Majestät, die nur das Opfer treuloser Komplotte ist, nichts zu retten.«—»Das ist wahr, das ist wahr, mein Kind, «sprach die Königin,»und Du hast Recht.«—»Gebt mir also den Brief, Madame, die Zeit drängt.«

Die Königin lief nach einem Tischchen, worauf sich Dinte, Papier und Federn befanden. Sie schrieb zwei Zeilen, versiegelte den Brief mit ihrem Siegel und stellte ihn Frau Bonacieux zu.

«Nun aber, «sagte die Königin,»nun aber vergessen wir eine sehr notwendige Sache.«—»Welche?«—»Das Geld.«

Frau Bonacieux erröthete.

«Ja, das ist wahr, «sagte sie,»und ich gestehe Eurer Majestät, daß mein Mann…«—»Dein Mann hat keines, nicht wahr, das willst Du mir sagen?«—»Gewiß, er hat, aber er ist sehr geizig, das ist sein Fehler. Uebrigens dürfen sich Ew. Majestät hiedurch nicht beunruhigen lassen, wir werden Mittel finden…«—»Ich habe auch keines, «sprach die Königin (diejenigen, welche die Memoiren der Frau von Moteville lesen, werden über diese Antwort nicht staunen),»aber warte!«

Anna von Oesterreich eilte nach ihrem Geschmeidekästchen.

«Halt, «sagte sie,»hier ist ein Ring von großem Werthe, wie man mich versichert. Er kommt von meinem Bruder, dem König von Spanien; er gehört mir, und ich kann darüber verfügen. Nimm diesen Ring, mach ihn zu Gelde und schick Deinen Mann auf die Reise.«

«In einer Stunde soll Euch gehorcht sein.«

«Du siehst die Adresse, «fügte die Königin bei, indem sie so leise sprach, daß man kaum hören konnte, was sie sagte:»An Mylord Herzog von Buckingham in London.«

«Der Brief soll ihm selbst eingehändigt werden.«

«Edelmüthiges Kind!«rief Anna von Oesterreich.

Frau Bonacieux küßte der Königin die Hände, verbarg das Parier in ihrem Schnürleib und verschwand mit der Leichtigkeit eines Vogels.

Zehn Minuten nachher war sie in ihrem Hause. Sie hatte, wie sie der Königin gesagt, ihren Gatten, seid er in Freiheit gesetzt worden war, nicht wieder gesehen und wußte nichts von der Veränderung, welche in ihm, in Beziehung auf den Kardinal vorgegangen war; einer Veränderung, die durch die Schmeichelei und das Geld seiner Eminenz bewerkstelligt und seitdem durch einige Besuche des Grafen von Rochefort gekräftigt worden, welche der beste Freund von Bonacieux wurde und diesen ohne alle Mühe glauben machte, die Entführung seiner Frau sei nicht durch irgend eine Schuld herbeigeführt worden, sondern er habe sie nur als eine politische Vorsichtsmaßregel zu betrachten.

Sie fand Herr Bonacieux allein: der arme Mann brachte mit großer Anstrengung wieder Ordnung in das Haus, dessen Geräthe er beinahe alles zertrümmert, und dessen Schränke er beinahe leer fand, da die Gerechtigkeit nicht zu den drei Dingen gehört, von denen der König Salomo sagt, daß sie keine Spuren ihres Erscheinens zurücklassen. Die Magd war bei der Verhaftung ihres Herrn entflohen. Des armen Mädchens hatte sich ein solcher Schrecken bemächtigt, daß sie von Paris bis in ihr Heimathland Burgund eilte.

Der würdige Krämer hatte sogleich nach seiner Rückkehr in sein Haus seine Frau benachrichtigt, und diese hatte ihm hieraus mit ihrem Glückwunsche und mit der Ankündigung geantwortet, daß der erste Augenblick, wo sie sich ihren Verpflichtungen entziehen könne, vollständig einem Besuche bei ihm gewidmet werden solle.

Dieser erste Augenblick ließ fünf Tage auf sich warten, was unter allen andern Umständen Meister Bonacieux sehr lange vorgekommen sein würde: aber er hatte in dem Besuche, den er dem Kardinal gemacht, und in den Besuchen, die ihm Rochefort machte, reichlichen Stoff zum Nachdenken gefunden, und bekanntlich verkürzt nichts die Zeit so sehr, als das Nachdenken. Ueberdies waren die Betrachtungen von Bonacieux insgesammt rosenfarbig. Rochefort nannte ihn seinen Freund, seinen lieben Bonacieux, und versicherte ihn unaufhörlich, der Kardinal halte große Stücke auf ihn. Der Krämer sah sich bereits auf dem Weg der Ehre und des Glückes.

Frau Bonacieux hatte ihrerseits auch nachgedacht, allerdings über etwas ganz Anderes, als über den Ehrgeiz. Unwillkürlich kam ihr immer und immer wieder der schöne, muthige, junge Mann in den Sinn, der so verliebt schien. Mit achtzehn Jahren an Herrn Bonacieux verheirathet, stets unter den Freunden ihres Gatten lebend, welche gar wenig geeignet waren, einer jungen Frau, deren Herz hoch über ihrer bürgerlichen Stellung stand, Gefühle einzuflößen, war Madame Bonacieux unempfindlich für gewöhnliche Verführung geblieben; der Titel eines Edelmannes übte besonders in dieser Epoche einen großen Einfluß auf das Bürgerthum aus, und d'Artagnan war Edelmann; überdies trug er die Uniform der Garden, welche nach der Musketier-Uniform bei den Damen in der höchsten Achtung stand. Er war, wir wiederholen es, schön, jung, abenteuerlich. Er sprach von Liebe wie ein Mann, welcher liebt und nach Gegenliebe dürstet; darin lag mehr, als es bedurfte, um ein dreiundzwanzigjähriges Köpfchen zu verdrehen. Und Frau Bonacieux war gerade bei diesem glücklichen Lebensalter angelangt.

Die zwei Gatten trafen also, obgleich sie sich seit mehr als acht Tagen nicht gesehen hatten, obgleich im Verlauf dieser Woche wichtige Ereignisse unter ihnen vorgefallen waren, nicht ohne allen Zwang wieder zusammen; dessenungeachtet gab Herr Bonacieux eine wahre Freude kund und ging mit offenen Armen auf seine Frau zu.

Frau Bonacieux bot ihm die Stirne.

«Sprechen wir ein wenig, «sagte sie.

«Wie?«fragte Bonacieux erstaunt.

«Ja, allerdings; ich habe Dir eine Sache von der größten Wichtigkeit mitzutheilen.«

«In der That, ich habe ebenfalls einige sehr ernsthafte Fragen an Dich zu richten. Ich bitte Dich, erkläre mir ein wenig Deine Entführung.«

«Es handelt sich in diesem Augenblicke nicht hievon, «sagte Frau Bonacieux.

«Und wovon handelt es sich denn? von meiner Gefangenschaft?«

«Ich habe sie an demselben Tage erfahren; aber da Du keines Verbrechens, keiner Intriguen schuldig warst, da Du nichts wußtest, was Dich oder sonst Jemand hätte gefährden können, so legte ich nicht mehr Gewicht auf dieses Ereigniß, als es verdiente.«

«Ihr sprecht freundlich, Madame!«versetzte Bonacieux verletzt durch die geringe Theilnahme, welche seine Frau für ihn an den Tag legte.»Wißt Ihr, daß ich einen Tag und eine Nacht in einem Kerker der Bastille saß!«

«Ein Tag und eine Nacht sind bald vorüber. Lassen wir Deine Gefangenschaft und kommen wir auf das, was mich hieher führt.«

«Wie? was Dich hieher führt! Also nicht das Verlangen, einen Gatten wiederzusehen, von dem Du seit acht Tagen getrennt bist?«fragte der Krämer in äußerst gereiztem Tone.

«Zuerst dies und dann etwas Anderes.«

«Sprich!«

«Eine Sache von dem größten Interesse, wovon vielleicht unser zukünftiges Glück abhängt.«

«Unser zukünftiges Glück hat sich bedeutend verändert, seitdem ich Dich nicht mehr gesehen habe, und es sollte mich nicht wundern, wenn uns in einigen Monaten gar viele Leute darum beneiden würden.«

«Ja, besonders wenn Du die Anweisungen befolgen willst, die ich Dir geben werde.«

«Mir?«

«Ja, Dir! Es ist eine gute und heilige Handlung zu vollbringen, mein Freund, und vielleicht viel Geld dabei zu gewinnen.«

Frau Bonacieux wußte, daß sie ihren Mann bei der schwachen Seite faßte, wenn sie von Geld sprach.

Aber ein Mensch, und wäre es auch ein Krämer, ist, wenn er zehn Minuten mit dem Kardinal von Richelieu gesprochen hat, nicht mehr derselbe Mensch.

«Viel Geld zu gewinnen!«— sagte Bonacieux. — »Ja, viel!«

«Wie viel ungefähr?«—»Etwa tausend Pistolen.«—»Was Du von mir zu verlangen hast, ist also sehr wichtig?«—»Ja!«

«Was ist zu thun?«—»Du reisest sogleich ab, ich gebe Dir ein Papier, das Du unter keinem Vorwand aus Deinen Händen lassest, und nur an seine Adresse abgibst.«—»Und wohin soll ich reisen?«—»Nach London.«—»Ich nach London! Geh, Du scherzest; ich habe nichts in London zu thun!«—»Aber für Andere ist es nothwendig, daß Du dahin gehst.«—»Wer sind die Anderen? Ich sage Dir, daß ich nichts mehr blindlings thue, und will nicht nur wissen, welchen Gefahren ich mich aussetze, sondern für wen ich mich aussetze.«—»Eine vornehme Person schickt Dich, eine vornehme Person erwartet Dich. Die Belohnung wird Deine Wünsche übertreffen. Das ist Alles, was ich Dir versprechen kann.«—»Abermals Intriguen! immer Intriguen! ich danke, ich traue jetzt nicht mehr, und der Herr Kardinal hat mich hierüber aufgeklärt.«—»Der Kardinal?«rief Frau Bonacieux,»hast Du den Kardinal gesehen?«—»Er hat mich rufen lassen, «antwortete der Krämer stolz. — »Und Du hast seiner Einladung Folge geleistet, unkluger Mann?«—»Ich muß gestehen, daß es nicht in meiner Wahl stand, mich zu ihm zu begeben oder nicht; denn ich befand mich zwischen zwei Wachen. Ich kann nicht läugnen, daß ich, da ich damals Seine Eminenz nicht kannte, sehr entzückt gewesen wäre, mich von diesem Besuche frei machen zu können.«—»Er hat Dich also mißhandelt? er hat Dich bedroht?«—»Er hat mir die Hand gereicht und mich seinen Freund genannt — seinen Freund! hörst Du wohl? Ich bin der Freund des großen Kardinals!«—»Des großen Kardinals!«—»Wollt Ihr ihm vielleicht diesen Titel streitig machen, Madame?«—»Ich bestreite nichts, ich sage nur, daß die Gunst eines Ministers eine Eintagsfliege ist, und daß man ein Thor sein muß, um sich an einen Minister zu hängen. Es gibt Gewalten, die über den seinigen stehen, und nicht auf der Laune eines Menschen oder dem Ausgang eines Ereignisses beruhen; mit diesen Gewalten muß man sich verbinden.«—»Es thut mir leid, Madame, aber ich kenne keine andere Gewalt, als die des großen Mannes, dem ich zu dienen die Ehre habe.«—»Du dienst also dem Kardinal?«—»Ja, Madame, und als sein Diener werde ich nicht zugeben, daß Ihr Euch in Komplotte gegen die Sicherheit des Staates einlasset, und eine Frau, die keine Französin ist und ein spanisches Herz hat, in ihren Intriguen unterstützt. Zum Glück ist der große Kardinal da. Sein wachendes Auge dringt bis in die Tiefe des Herzens.«

Bonacieux wiederholte Wort für Wort eine Phrase, die er vom Grafen von Rochefort gehört hatte. Aber die arme Frau, die auf ihren Gatten gerechnet und sich in dieser Hoffnung bei der Königin für ihn verantwortlich gemacht hatte, zitterte darum nicht minder über die Gefahr, in die sie sich beinahe gestürzt, so wie über die Ohnmacht, in welche sie sich versetzt sah. Da sie jedoch die Schwäche und besonders die Habgier ihres Mannes kannte, so verzweifelte sie noch nicht daran, ihn zu ihrem Ziele zu lenken.

«Ah, Ihr seid ein Kardinalist, mein Herr, «rief sie,»ah! Ihr dient der Partei derjenigen, welche Eure Frau mißhandeln und Eure Königin beleidigen!«—»Die Privatinteressen sind nichts den allgemeinen Interessen gegenüber. Ich bin für diejenigen, welche den Staat retten, «sagte Bonacieux mit Pathos.

Das war abermals eine Phrase des Grafen von Rochefort, die er im Kopfe behalten hatte und hier gut angebracht glaubte.

«Und wißt Ihr, was der Staat ist, von dem Ihr sprecht?«sagte Frau Bonacieux die Achseln zuckend.»Begnügt Euch, ein Bürger ohne alle seine Unterscheidungen zu sein, und haltet Euch auf die Seite, welche Euch am meisten Vortheil bietet.«—»Ei, ei!«erwiederte Bonacieux, und schlug auf einen Sack mit gerundetem Wanste, der einen silbernen Ton von sich gab.»Was sagt Ihr hievon, Frau Predigerin?«—»Woher kommt dieses Geld?«—»Ihr errathet es nicht?«—»Vom Kardinal?«—»Von ihm und von meinem Freunde, dem Grafen von Rochefort.«—»Von dem Grafen von Rochefort! Aber das ist ja derjenige, welcher mich weggeschleppt hat.«—»Das kann sein, Madame.«—»Und Ihr nehmt Geld von diesem Menschen an?«—»Habt Ihr mir nicht gesagt, diese Entführung sei ganz politischer Natur gewesen?«—»Ja, aber der Zweck dabei war, mich zu einem Verrath an meiner Gebieterin zu veranlassen, mir durch Foltern Geständnisse zu erpressen, welche die Ehre und vielleicht das Leben der erhabenen Fürstin bloßstellen sollten.«—»Madame, «entgegnete Bonacieux,»Eure erhabene Fürstin ist eine treulose Spanierin, und was der große Kardinal thut, ist wohlgethan.«—»Mein Herr, «sprach die junge Frau,»ich kannte Euch als feig, geizig und einfältig, aber ich wußte nicht, daß Ihr ehrlos seid!«—»Madame, «sagte Bonacieux, der seine Frau nie zornig gesehen hatte und vor dem ehelichen Grimme zurückwich;»Madame, was sagt Ihr da?«—»Ich sage, daß Ihr ein Elender seid!«fuhr Madame Bonacieux fort, der es nicht entging, daß sie wieder einigen Einfluß auf ihren Gatten gewann.»Ah! Ihr treibt Politik, Ihr! und zwar kardinalistische Politik! Ah! Ihr verkauft um schnödes Gold Leib und Seele an den Teufel!«—»Nein, aber an den Kardinal.«—»Das ist ganz dasselbe. Wer Richelieu sagt, sagt Satan.«—»Schweigt, Madame, schweigt, man könnte Euch hören!«—»Ihr habt Recht, und ich würde mich Eurer Feigheit schämen.«—»Aber was verlangt Ihr denn von mir? laßt hören!«—»Ich habe Euch gesagt, mein Herr, daß Ihr stehenden Fußes abreisen und den Auftrag, dessen ich Euch würdige, sogleich vollziehen sollt, unter dieser Bedingung vergebe ich Alles, vergesse ich Alles; mehr noch«— sie reichte ihm die Hand —»ich schenke Euch wieder meine Freundschaft.«

Bonacieux war feig und geizig, aber er liebte seine Frau; er ließ sich erweichen. Ein Mann von fünfzig Jahren grollt einer Frau von dreiundzwanzig nicht lange. Madame Bonacieux sah, daß er schwankte, und sagte:

«Nun, seid Ihr entschlossen?«—»Aber, meine liebe Freundin, bedenkt doch einen Augenblick, was Ihr von mir fordert; London ist weit von Paris, sehr weit, und es ist vielleicht mit dem Auftrag, den Ihr mir gebt, Gefahr verbunden.«—»Was ist daran gelegen, wenn Ihr sie vermeidet?«—»Hört, Madame Bonacieux, hört, «sagte der Krämer,»ich widersetze mich entschieden Euerem Ansinnen: die Intriguen machen mir bange. Ich habe die Bastille gesehen. Brrrr! Die Bastille ist furchtbar. Wenn ich nur daran denke, überläuft mich eine Schauer. Man hat mich mit der Folter bedroht. Wißt Ihr, was die Folter ist? steile, die man einem zwischen die Beine treibt, bis die Knochen krachen! Nein, ich bin entschlossen, ich gehe nicht. Ei, der Teufel! warum geht Ihr nicht selbst? Denn in der That, ich glaube, daß ich mich jetzt in Beziehung auf Euere Person nicht getäuscht habe: Ihr seid ein Mann und noch dazu einer der wüthendsten.«—»Und Ihr, Ihr seid ein Weib, ein elendes, albernes, dummes Weib. Ah! Ihr habt Furcht! Nun wohl! wenn Ihr nicht in diesem Augenblick reist, lasse ich Euch auf Befehl der Königin verhaften und in die Bastille setzen, die Ihr so sehr fürchtet.«

Bonacieux versank in tiefes Nachdenken; er erwog reiflich in seinem Gehirne die zwei Grimme, den des Kardinals und den der Königin: der des Kardinals gewann in einem ungeheuer Grade die Oberhand.

«Laßt mich im Namen der Königin verhaften, «sprach er;»ich fordere meine Freilassung von Seiner Eminenz.«

Madame Bonacieux sah ein, daß sie zu weit gegangen war, und erschrack darüber, daß sie sich hatte so fortreißen lassen. Sie betrachtete einen Augenblick nicht ohne Bangigkeit dieses alberne Gesicht, auf dem eine unüberwindliche Entschlossenheit zu lesen war, wie gewöhnlich bei Albernen, welche Furcht haben.

«Nun gut, es sei so!«sagte sie,»Ihr habt vielleicht am Ende Recht; ein Mann sieht in der Politik weiter, als ein Weib, und Ihr besonders, Herr Bonacieux, der Ihr mit dem Kardinal gesprochen habt; aber dennoch ist es sehr hart, «fügte sie bei,»daß mein Gatte, daß ein Mann, aus dessen Liebe ich rechnen zu dürfen glaubte, mich so unfreundlich behandelt und meine Launen nicht befriedigt.«

«Weil Euere Launen zu weit führen könnten, «entgegnete Bonacieux triumphirend,»und weil ich nicht traue.«

«Ich werde also Verzicht leisten, «sprach die junge Frau seufzend,»gut, reden wir nicht mehr davon.«

«Wenn Ihr nur wenigstens sagen wolltet, was ich in London zu thun hätte, «fragte Bonacieux, dem es etwas spät einfiel, daß ihm Rochefort aufgetragen hatte, er solle die Geheimnisse seiner Frau zu erforschen suchen.

«Ihr braucht es nicht zu wissen, «antwortete die junge Frau, welche ein instinktmäßiges Mißtrauen nun wieder zurücktrieb,»es handelte sich um eine Bagatelle, wie sie die Frauen oft zu bekommen wünschen, um einen Einkauf, wobei viel zu gewinnen gewesen wäre.«

Aber je mehr sich die junge Frau vertheidigte, desto mehr kam Bonacieux auf die Meinung, das Geheimniß, welches sie ihm anzuvertrauen sich weigerte, müsse von großem Belang sein. Er beschloß deßhalb, sogleich zu dem Grafen von Rochefort zu laufen und ihm mitzutheilen, die Königin suche einen Boten, um ihn nach England zu schicken.

«Verzeiht, wenn ich Euch verlasse, meine liebe Madame Bonacieux, «sagte er,»aber da ich nicht wußte, daß Ihr kommen würdet, so hatte ich mich mit einem von meinen Freunden zusammenbestellt, ich komme sogleich wieder, und wenn Ihr eine halbe Minute auf mich warten wollt, so hole ich Euch ab, sobald ich meinen Freund abgefertigt habe, und führe Euch, da es bereits spät zu werden anfängt, in den Louvre zurück.«

«Ich danke, mein Herr, «erwiederte Madame Bonacieux.»Ihr seid nicht muthig genug, um mir von irgend einem Nutzen zu sein, und ich werde allein in den Louvre zurückkehren.«

«Wie es Euch gefällig ist, Madame Bonacieux, «versetzte der Exkrämer.»Werde ich Euch bald wieder sehen?«

«Ohne Zweifel; in der nächsten Woche wird mir mein Dienst hoffentlich einige Freiheit gönnen, und ich gedenke diese zu benützen, um die Ordnung in unsern Sachen wieder herzustellen, welche ein wenig durcheinander gebracht worden sein müssen.«

«Gut, ich erwarte Euch; Ihr seid mir nicht böse?«

«Ich! nicht im mindesten.«

«Also, auf baldiges Wiedersehen?«

«Gewiß. «Bonacieux küßte seiner Frau die Hand und entfernte sich rasch.

«Schön, «sagte Madame Bonacieux, als ihr Mann die Hausthüre geschlossen hatte und sie sich allein befand,»diesem Schwachkopf fehlte nichts mehr, als daß er ein Kardinalist wurde. Und ich, die ich der Königin dafür stand, ich, die ich meiner armen Gebieterin versprochen habe… Ah! mein Gott! mein Gott! sie wird mich für eine von den Elenden halten, von denen der Palast wimmelt und die man in ihre Nähe gebracht hat, um sie auszuspioniren. Ah! Herr Bonacieux, ich habe Euch nie sehr geliebt, aber jetzt steht es noch schlimmer! Ich hasse Euch und gebe Euch mein Wort, Ihr sollt es mir bezahlen.«

In dem Augenblicke, wo sie diese Worte sprach, vernahm sie einen Schlag an den Plafond, sie hob den Kopf in die Höhe und eine Stimme, welche durch die Decke kam, rief ihr zu:»Liebe Madame Bonacieux, öffnet mir die kleine Thüre und ich komme zu Euch hinab.«


XVIII. Der Liebhaber und der Gatte

«Aber, Madame Bonacieux, «sagte d'Artagnan, durch die Thüre eintretend, welche ihm die junge Frau öffnete,»erlaubt mir. Euch zu bemerken. Ihr habt da einen traurigen Mann.«

«Hörtet Ihr denn unser Gespräch?«fragte Madame Bonacieux lebhaft und schaute dabei d'Artagnan unruhig an.

«Vollkommen.«

«Aber, mein Gott, wie dies?«

«Durch ein mir bekanntes Verfahren, durch welches ich auch Euer etwas belebteres Gespräch mit der Polizei vernahm.«

«Und was habt Ihr von dem, was wir sagten, verstanden.«

«Tausenderlei Dinge. Vor allem, daß Euer Gatte ein armseliger Tropf ist; ferner daß Ihr glücklicher Weise in Verlegenheit seid, denn dies ist mir sehr angenehm, weil es mir Gelegenheit bietet. Euch zu Diensten zu sein, und Gott weiß, daß ich bereit bin, mich für Euch in die Flammen zu stürzen; endlich, daß die Königin eines braven, gescheiten und ergebenen Mannes zu einer Reise nach London bedarf. Ich besitze wenigstens zwei von diesen Eigenschaften, und hier bin ich.«

Madame Bonacieux antwortete nicht; aber ihr Herz schlug gewaltig vor Freude, und eine geheime Hoffnung erglänzte in ihren Augen.

«Und welche Bürgschaft könnt Ihr mir geben, «fragte sie,»wenn ich mich entschließe, Euch diese Sendung anzuvertrauen?«—»Meine Liebe für Euch. Sprecht, befehlt, was soll ich thun?«—»Mein Gott, mein Gott, «murmelte die junge Frau,»darf ich Euch ein solches Geheimnis anvertrauen, Herr? Ihr seid beinahe noch ein Kind.«—»Ich sehe schon, daß irgend Jemand für mich gut stehen müßte.«—»Ich kann nicht leugnen, daß mich dies ungemein beruhigen würde.«—»Kennt Ihr Athos?«—»Nein!«—»Porthos?«—»Nein!«—»Aramis?«— Nein. Wer sind diese Herren?«—»Musketiere des Königs. Kennt Ihr Herrn von Treville, ihren Kapitän?«—»O ja, diesen kenne ich; nicht persönlich, aber ich habe oft von ihm als einem braven und rechtschaffenen Edelmann sprechen hören.«—»Ihr fürchtet nicht, von ihm an den Kardinal verrathen zu werden, nicht wahr?«—»O nein, gewiß nicht.«—»Nun, so enthüllt diesem Euer Geheimniß, und fragt ihn, ob Ihr es mir, so wichtig, so kostbar, so furchtbar es auch sein mag, anvertrauen könnt?«—»Aber das Geheimniß gehört nicht mir und ich kann es nicht auf diese Art enthüllen.«—»Ihr wolltet es Herrn Bonacieux anvertrauen, «sprach d'Artagnan etwas ärgerlich. — »Wie man einen Brief einem hohlen Baume, dem Flügel einer Taube, dem Halsbande eines Hundes anvertraut.«—»Und doch seht Ihr wohl, daß ich Euch liebe.«—»Ihr sagt es.«—»Ich bin ein gefälliger Mann!«—»Ich glaube es.«—»Ich habe Muth.«—»Oh! davon bin ich überzeugt.«—»Dann stellt mich auf die Probe.«

Madame Bonacieux schaute den jungen Mann mit einem letzten Zögern an. Aber es lag ein solcher Eifer in seinen Augen, eine solche Überzeugungskraft in seiner Stimme, daß sie sich hingezogen fühlte, d'Artagnan sich anzuvertrauen. Ueberdieß befand sie sich in einem jener Verhältnisse, wo man Alles für Alles wagen muß. Die Königin war eben so wohl durch eine zu große Zurückhaltung, als durch ein zu großes Vertrauen verloren. Dann müssen wir gestehen, daß das Gefühl, welches sich unwillkürlich für diesen jungen Beschützer in ihr regte, ihr vollends den Mund verschloß.

«Hört, «sprach sie, ich füge mich Eueren Betheuerungen, ich gebe Eueren Versicherungen nach; aber ich schwöre Euch vor Gott, der uns hört, daß ich, wenn Ihr mich verrathet und meine Feinde mich tödten, Euch meines Todes anklage.«

«Und ich schwöre Euch vor Gott, Madame, «sagte d'Artagnan,»daß ich, wenn ich bei der Vollziehung Euerer Befehle ergriffen werde, sterbe, ehe ich irgend etwas thue oder sage, was einen Menschen gefährden könnte.«

Hierauf vertraute ihm die junge Frau das furchtbare Geheimniß an, das ihm der Zufall theilweise vor der Samaritaine geoffenbart hatte.

Das war ihre gegenseitige Liebeserklärung.

D'Artagnan strahlte vor Stolz und Freude. Das Geheimniß, welches er nun besaß, die Frau, die er liebte, das Vertrauen und die Liebe machten ihn zum Riesen.

«Ich reise, «sagte er,»ich reise auf der Stelle.«—»Wie! Ihr reist!«rief Madame Bonacieux,»und Euer Kapitän, Euer Regiment? — »Bei meiner Seele! Ihr habt mich das ganz und gar vergessen gemacht, liebe Constanze. Ja, Ihr habt Recht, ich bedarf eines Urlaubs.«—»Abermals ein Hinderniß!«murmelte Madame Bonacieux schmerzlich. — »Oh! was dieses betrifft, «rief d'Artagnan nach kurzem Bedenken,»seid ruhig, ich werde es zu beseitigen wissen.«—»Wie dies?«—»Ich suche noch diesen Abend Herrn von Treville auf und veranlasse ihn, seinen Schwager, Herrn des Essarts, um diese Gunst für mich zu bitten.«—»Nun, noch etwas Anderes.«—»Was?«fragte d'Artagnan, als er sah, daß Madame Bonacieux fortzufahren zögerte. — »Habt Ihr vielleicht kein Geld?«—»Vielleicht ist zu viel, «erwiederte d'Artagnan lächelnd. — »Gut, «versetzte Madame Bonacieux, öffnete einen Schrank und zog daraus den Sack, den ihr Gatte vor einer halben Stunde so verliebt gestreichelt hatte;»gut, so nehmt diesen Sack.«—»Den Sack des Kardinals!«rief d'Artagnan mit lautem Lachen, denn er hatte, wie man sich erinnert, durch Wegnahme seiner Fließen keine Silbe von der Unterredung des Krämers und seiner Frau verloren. — »Ja freilich, «antwortete Madame Bonacieux;»Ihr seht, daß er sich unter einer sehr ehrwürdigen Gestalt präsentirt.«—»Bei Gott!«rief d'Artagnan, es wird doppelt belustigend sein, die Königin mit dem Gelde Seiner Eminenz zu retten!«—»Ihr seid ein liebenswürdiger und artiger junger Mann, «sagte Madame Bonacieux.»Glaubt mir, Ihre Majestät wird nicht undankbar sein.«

«Oh! ich bin bereits großartig belohnt, «rief d'Artagnan.»Ich liebe Euch. Ihr erlaubt mir, es Euch zu sagen, das ist bereits mehr Glück, als ich zu hoffen wagte.«—»Stille, «sprach Madame Bonacieux zitternd. — »Was?«

«Man spricht auf der Straße.«–

«Es ist die Stimme…«–

«Meines Mannes, ja ich erkenne sie.«–

D'Artagnan lief an die Thüre, und stieß den Riegel vor.

«Er wird nicht eher eintreten, als bis ich weggegangen bin, «sprach er,»und dann öffnet Ihr ihm.«

«Aber ich sollte ebenfalls weggegangen sein. Wie ließe sich das Verschwinden des Geldes rechtfertigen, wenn ich hier wäre?«—»Ihr habt Recht, wir müssen fortgehen.«—»Wie dies? Er wird uns gehen sehen.«—»Dann müssen wir in meine Wohnung hinauf.«—»Ach! rief Madame Bonacieux,»Ihr sagt mir dies in einem Tone, der mich bange macht.«

Madame Bonacieux sprach diese Worte mit einer Thräne in den Augen. D'Artagnan gewahrte diese Thräne und warf sich beunruhigt, gerührt vor ihr auf die Kniee.

«Bei mir, «sagte er,»seid Ihr so sicher, wie in der Kirche, darauf gebe ich Euch mein Edelmannswort.«

«So laßt uns gehen, «erwiederte sie;»ich traue Euch, mein Freund.«

D'Artagnan öffnete vorsichtig den Riegel wieder. Beide schlüpften leicht wie Schatten durch die innere Thüre des Ganges, stiegen geräuschlos die Treppe hinauf und traten in das Zimmer d'Artagnans.

Sobald sich der junge Mann hier befand, verbarrikadierte er zu größerer Sicherheit die Thüre; dann näherten sich beide dem Fenster und sahen durch einen Spalt des Ladens Herrn Bonacieux, der mit einem in einen Mantel gehüllten Mann sprach.

Beim Anblick dieses Mannes im Mantel sprang d'Artagnan auf und stürzte mit halbgezogenem Degen nach der Thüre. Es war der Mann von Meung.

«Was wollt Ihr thun?«rief Madame Bonacieux,»Ihr richtet uns zu Grunde.«—»Aber ich habe geschworen, diesen Menschen zu tödten!«sagte d'Artagnan. — »Euer Leben ist in diesem Augenblick Andern geweiht und gehört nicht Euch. Ich verbiete Euch im Namen der Königin, Euch in irgend eine Gefahr zu begeben, außer in die der Reise.«—»Und in Eurem Namen befehlt Ihr mir nichts?«—»In meinem Namen, «sagte Madame Bonacieux äußerst bewegt,»in meinem Namen bitte ich Euch. Aber horchen wir! Es scheint mir, sie sprechen von mir. «D'Artagnan näherte sich dem Fenster und lauschte.

Herr Bonacieux hatte die Thüre wieder geöffnet und kehrte, als er die Wohnung leer fand, zu dem Manne im Mantel zurück, den er einen Augenblick allein gelassen hatte.

«Sie ist fort, «sprach er,»sie wird in den Louvre zurückgekehrt sein.«—»Ihr wißt gewiß, «erwiederte der Fremde,»daß sie nicht vermuthet, in welcher Absicht Ihr weggegangen seid?«

«Allerdings, «antwortete Bonacieux mit anmaßendem Tone.»Es ist eine zu gedankenlose Frau.«—»Ist der Gardecadet zu Hause?«—»Ich glaube nicht. Sein Laden ist, wie Ihr seht, geschlossen, und man sieht kein Licht durch die Spalten glänzen.«—»Gleich viel, man sollte sich vergewissern.«—»Wie dies?«—»Indem man an die Thüre klopfen würde.«—»Ich werde nach seinem Bedienten fragen.«—»Geht!«

Bonacieux kehrte in sein Haus zurück, ging durch dieselbe Thüre, durch welche die zwei Flüchtlinge geschlüpft waren, stieg bis zu dem Vorplatze d'Artagnan's hinauf und klopfte.

Niemand antwortete. Um eine größere Figur zu spielen, hatte Porthos diesen Abend Planchet entlehnt. D'Artagnan hütete sich wohl, ein Lebenszeichen von sich zu geben.

Im Augenblick, wo der Finger von Bonacieux an der Thüre ertönte, schlugen die Herzen der jungen Leutchen gewaltig.

«Es ist Niemand zu Hause, «sagte Bonacieux. — »Gut, doch gehen wir immerhin zu Euch hinein. Wir sind sicherer als auf einer Thürschwelle.«—»Ach, mein Gott, «murmelte Madame Bonacieux,»wir werden nichts mehr hören.«—»Im Gegentheil, «sprach d'Artagnan,»wir hören nur besser.«

D'Artagnan hob die drei bis vier Fließen auf, welche aus seinem Zimmer ein zweites Dionysiusrohr machten, breitete einen Teppich auf dem Boden aus, legte sich auf die Kniee und gab Madame Bonacieux durch ein Zeichen zu verstehen, sie möge sich, wie er, gegen die Oeffnung neigen.

«Ihr wißt gewiß, daß Niemand zu Hause ist, «sprach der Unbekannte. — »Ich stehe dafür, «sagte Bonacieux —»Und Ihr glaubt, daß Euere Frau…«—»In den Louvre zurückgekehrt ist.«—»Ohne mit irgend Jemand zu sprechen, außer mit Euch?«—»Ich bin dessen gewiß.«—»Das ist ein wichtiger Punkt, versteht Ihr.«—»Also hat die Nachricht, die ich Euch überbracht habe, einigen Werth?…«—»Einen sehr großen Werth, mein lieber Bonacieux, ich will es Euch nicht verbergen.«—»Dann wird der Kardinal mit mir zufrieden sein.«—»Ich zweifle nicht daran.«—»Der große Kardinal!«—»Ihr wißt gewiß, daß Euere Frau in Euerer Unterredung mit Euch keinen Eigennamen ausgesprochen hat.«—»Ich glaube nicht.«—»Sie hat weder Frau von Chevreuse, noch Herrn von Buckingham, noch Frau von Vernet genannt?«—»Nein, sie hat mir nur gesagt, sie wolle mich nach London schicken, um den Interessen einer vornehmen Person zu dienen.«—»Der Verräther!«murmelte Madame Bonacieux. — »Stille, «sagte d'Artagnan und nahm sie bei der Hand, die sie ihm, ohne daran zu denken, überließ.

«Wie dem sein mag, «fuhr der Mann im Mantel fort,»Ihr seid ein Thor, daß Ihr Euch nicht gestellt habt, als wollet Ihr den Auftrag übernehmen. Ihr hättet jetzt den Brief, der Staat, den man bedroht, wäre gerettet, und Ihr…«—»Und ich?… — »Nun, der Kardinal würde Euch in den Adelstand erheben.«—»Hat er Euch dies gesagt?«—»Ja, er wollte Euch diese Ueberraschung bereiten.«—»Seid ruhig, «erwiederte Bonacieux,»meine Frau betet mich an, und es ist noch Zeit.«—»Der Dummkopf!«murmelte Madame Bonacieux. — »Stille!«sagte d'Artagnan und drückte ihr die Hand noch stärker. — »Wie, ist es noch Zeit?«versetzte der Mann in dem Mantel. — »Ich kehre in den Louvre zurück, ich frage nach Madame Bonacieux, ich sage, ich habe mir die Sache überdacht, ich knüpfe die Angelegenheit wieder an, ich erhalte den Brief und laufe zu dem Kardinal.«—»Nun! geht geschwind. Ich werde bald zurückkehren, um den Erfolg Eueres Ganges zu erfahren.«

Der Unbekannte entfernte sich.

«Der Schändliche!«sagte Madame Bonacieux, sich mit diesem Beinamen abermals an ihren Gatten wendend.

«Stille!«wiederholte d'Artagnan, und drückte ihr die Hand immer stärker.

Ein furchtbares Gekreische unterbrach jetzt die Betrachtungen d'Artagnans und der Frau Bonacieux. Ihr Gatte hatte das Verschwinden seines Sackes bemerkt und schrie um Hilfe gegen Diebe.

«O mein Gott!«rief Madame Bonacieux,»er wird das ganze Quartier in Aufruhr bringen!«

Bonacieux schrie lange Zeit, aber da dergleichen Geschrei, weil es sehr häufig vorkam, Niemand nach der Rue des Fossoyeurs zog, und da überdies das Haus des Krämers seit einiger Zeit in ziemlich schlimmem Rufe stand, so ging er, als er Niemand kommen sah, hinaus, ohne in seinem Gekreische nachzulassen, und man hörte seine Stimme in der Richtung der Rue du Bac verhallen.

«Und nun, da er fort ist, ist es an Euch wegzugehen, «sagte Madame Bonacieux.»Muth und besonders Klugheit! Bedenkt, daß Ihr Euch der Königin weiht.«

«Ihr und Euch!«rief d'Artagnan,»seid ruhig, schöne Constanze, ich werde Ihrer Dankbarkeit würdig wiederkehren, aber werdet Ihr mich dann auch Eurer Liebe würdig halten?«

Die junge Frau antwortete nur durch eine lebhafte Röthe, welche ihre Wangen färbte. Einige Augenblicke nachher entfernte sich auch d'Artagnan, ebenfalls in einen großen Mantel gehüllt, aus welchem kavaliermäßig die Scheide eines langen Degens vorstand.

Madame Bonacieux folgte ihm mit jenem langen Liebesblicke, womit die Frau den Mann begleitet, von dem sie sich geliebt fühlt; aber nachdem er an der Straßenecke verschwunden war, fiel sie auf ihre Kniee, faltete die Hände und rief:

«O! mein Gott! mein Gott! beschütze die Königin, beschütze mich!«


XIX. Feldzugsplan

D'Artagnan begab sich geraden Wegs zu Herrn von Treville. Er hatte überlegt, daß in einigen Minuten der Kardinal durch diesen verdammten Unbekannten, welcher sein Agent zu sein schien, benachrichtigt sein mußte, und dachte mit Recht, daß man keinen Augenblick verlieren dürfe.

Das Herz des jungen Mannes strömte vor Freude über. Ein Abenteuer, wobei Ruhm zu erwerben und Geld zu gewinnen war, bot sich ihm dar, und hatte ihn als erste Ermuthigung einer Frau näher gebracht, die er anbetete. Dieser Zufall that beinahe auf den ersten Schlag mehr für ihn, als er von der Vorsehung zu verlangen gewagt hätte.

Herr von Treville befand sich mit seinem gewöhnlichen Hofe von Edelleuten in seinem Salon. D'Artagnan, den man als einen Vertrauten des Hauses kannte, begab sich geradezu in sein Kabinet und ließ ihn benachrichtigen, daß er ihn in einer wichtigen Angelegenheit erwarte.

D'Artagnan war hier seit etwa fünf Minuten, als Herr von Treville eintrat. Beim ersten Blicke und aus der Freude, die aus seinem Antlitz strahlte, erkannte der würdige Kapitän, daß wirklich etwas Neues vorging.

Den ganzen Weg entlang hatte d'Artagnan sich gefragt, ob er sich Herrn von Treville anvertrauen oder ob er ihn nur bitten sollte, ihm Carte blanche in einer wichtigen Angelegenheit zu bewilligen. Aber Herr von Treville war stets so vollkommen gut gegen ihn gewesen, er war so sehr dem König und der Königin ergeben, er haßte den Richelieu so von ganzem Herzen, daß der junge Mann sich entschloß, ihm Alles zu sagen.

«Ihr habt mich bitten lassen, mein junger Freund?«sprach Herr von Treville. — »Ja, mein Herr, «sprach d'Artagnan,»und Ihr werdet mir diese Störung hoffentlich vergeben, wenn Ihr erfahrt, wie wichtig die Angelegenheit ist, um die es sich handelt.«—»Sprecht, ich höre!«—»Es handelt sich um nichts Geringeres, «sagte d'Artagnan, die Stimme dämpfend,»als um die Ehre, und vielleicht um das Leben der Königin.«—»Was sprecht Ihr da?«fragte Herr von Treville, indem er sich rings umschaute, ob sie auch gewiß allein seien, und heftete dann wieder seinen Blick auf d'Artagnan.

«Ich sage, gnädiger Herr, daß mir der Zufall ein Geheimniß in die Hände gespielt hat…«—»Das Ihr hoffentlich bewahren werdet, junger Mann! Bei Eurem Leben warne ich Euch!«—»Das ich aber Euch anvertrauen muß, gnädiger Herr, denn Ihr allein könnt mich in der Sendung unterstützen, die ich von der Königin erhalten habe.«—»Gehört das Geheimniß Euch?«—»Nein, der Königin.«—»Seid Ihr von Ihrer Majestät bevollmächtigt, es mir anzuvertrauen?«—»Nein, es ist mir im Gegentheil das tiefste Stillschweigen anempfohlen.«—»Und warum wollt Ihr es mir gegenüber brechen?«—»Weil ich, wie gesagt, ohne Euch nichts thun kann, und weil ich fürchte, Ihr könntet mir die Gnade, um die ich Euch bitte, abschlagen, wenn Ihr nicht wüßtet, in welcher Absicht ich Euch bitte.«—»Behaltet Euer Geheimniß, junger Mann, und nennt mir Euern Wunsch.«—»Ich wünsche, daß Ihr mir bei Herrn des Essarts einen Urlaub von vierzehn Tagen verschaffet.«—»Wann dies?«—»Noch in dieser Nacht.«—»Ihr verlaßt Paris?«—»Ich gehe in einem Auftrag.«—»Könnt Ihr mir sagen, wohin?«—»Nach London.«—»Hat Jemand ein Interesse dabei, daß Ihr Euer Ziel nicht erreicht?«—»Der Kardinal würde, glaube ich. Alles in der Welt dafür geben, wenn es mir nicht gelänge.«—»Und Ihr reist allein?«—»Ich reise allein.«—»In diesem Fall kommt Ihr nicht über Bondy hinaus; das sage ich Euch, so wahr ich Treville heiße.«—»Wie so?«—»Man läßt Euch ermorden.«—»Dann sterbe ich in der Erfüllung meiner Pflicht.«—»Aber Eure Sendung ist nicht vollzogen.«— Das ist wahr, «sprach d'Artagnan. — »Glaubt mir, «fuhr Treville fort,»bei dergleichen Unternehmungen müssen es vier sein, wenn einer ankommen soll.«—»Ihr habt Recht, gnädiger Herr, «sagte d'Artagnan,»aber Ihr kennt Porthos, Athos und Aramis und wißt, daß ich über diese verfügen kann.«—»Ohne ihnen das Geheimniß anzuvertrauen, das ich nicht wissen wollte?«—»Wir haben uns ein für allemal blindes Vertrauen und Ergebenheit unter jeder Bedingung geschworen. Ueberdies könnt Ihr ihnen sagen, daß Ihr volles Vertrauen in mich setzt, und sie werden nicht minder gläubig sein, als Ihr.«—»Ich kann nicht mehr thun, als jedem von ihnen einen Urlaub von vierzehn Tagen schicken: Athos, der immer noch an seiner Wunde leidet, um die Bäder von Farges zu besuchen; Porthos und Aramis, um ihrem Freunde zu folgen, den sie in einer so schmerzlichen Lage nicht verlassen wollen. Die Übersendung des Urlaubs wird ihnen zum Beweise dienen, daß ich die Reise billige.«—»Ich danke, gnädiger Herr, für diese hundertfache Güte.«—»Sucht sie also sogleich auf, und bringt Alles noch in dieser Nacht zur Ausführung. Doch schreibt mir vor Allem Euer Urlaubsgesuch an Herrn des Essarts. Vielleicht hattet Ihr einen Spion auf Euren Fersen, und Euer Besuch, der in diesem Falle dem Kardinal bereits bekannt ist, wird hierdurch legitimirt.«

D'Artagnan faßte die Meldung ab; Herr von Treville übernahm sie mit der Versicherung, vor zwei Uhr Morgens sollen die vier Urlaube in den Wohnungen der verschiedenen Reisenden sein.

«Habt die Güte, den meinigen zu Athos zu schicken, «sagte d'Artagnan.»Ich fürchte ein schlimmes Zusammentreffen, wenn ich nach Hause heimkehren würde.«—»Seid unbesorgt. Gott befohlen und glückliche Reise! Doch hört, «sagte Herr von Treville zurückrufend.

D'Artagnan kehrte noch einmal um.

«Habt Ihr Geld?«

D'Artagnan ließ den Sack erklingen, den er in seiner Tasche hatte.

«Genug?«fragte Herr von Treville. — »Dreihundert Pistolen.«—»Gut! damit kann man bis ans Ende der Welt kommen.«

D'Artagnan verbeugte sich vor Herrn von Treville, der ihm die Hand reichte; der junge Gardist drückte sie mit einer Mischung von Ehrfurcht und Dankbarkeit. Seit seiner Ankunft in Paris hatte er nur Rühmenswertes von diesem vortrefflichen Manne zu erfahren gehabt, den er stets würdig, redlich, groß in seinem ganzen Benehmen fand.

Zuerst suchte er Aramis auf; er war nicht mehr zu seinem Freunde gekommen seit dem bekannten Abend, wo er Frau Bonacieux folgte. Mehr noch, er hatte den jungen Musketier kaum gesehen, und so oft er ihn wiedersah, glaubte er das Gepräge tiefer Schwermuth auf seinem Antlitz wahrzunehmen.

Auch diesen Abend wachte Aramis düster und träumerisch; d'Artagnan richtete einige Fragen an ihn über diese lange anhaltende Schwermuth; Aramis entschuldigte sich mit einem Commentar über das neunzehnte Kapitel des heiligen Augustin, den er in lateinischer Sprache bis zur nächsten Woche schreiben müsse, was seinen Geist sehr in Anspruch nehme.

Die zwei Freunde hatten kaum einige Minuten miteinander geplaudert, als ein Diener von Herrn von Treville mit einem versiegelten Päckchen eintrat.

«Was ist das?«fragte Aramis. — »Der Urlaub, den der Herr verlangt hat, «antwortete der Lakai. — »Ich? ich habe keinen Urlaub verlangt.«—»Schweigt und nehmt, «sagte d'Artagnan.»Und Ihr, mein Freund, habt hier eine halbe Pistole für Euere Mühe. Ihr sagt Herrn von Treville, Herr Aramis lasse ihm von Herzen danken. Geht.«

Der Bediente verbeugte sich bis zur Erde und trat ab.

«Was soll das bedeuten?«fragte Aramis. — »Nehmt, was Ihr zu einer Reise von vierzehn Tagen braucht, und folgt mir.«

«Aber ich kann Paris diesen Augenblick nicht verlassen, ohne zu wissen…«

Aramis hielt inne.

«Was aus ihr geworden ist, nicht wahr?«fuhr d'Artagnan fort. — »Aus wem?«—»Aus der Frau, welche hier war, aus der Frau mit dem gestickten Taschentuch.«—»Wer sagt Euch, daß eine Frau hier war?«fragte Aramis und wurde dabei bleich wie der Tod. — »Ich habe sie gesehen.«—»Und Ihr wißt, wer es ist?«—»Ich glaube es wenigstens zu vermuthen.«—»Hört, «sprach Aramis,»da Ihr so viele Dinge wißt, wißt Ihr vielleicht auch, was aus dieser Frau geworden ist?«—»Meiner Ueberzeugung nach ist sie nach Tours zurückgekehrt.«—»Nach Tours? ja, so hieß es; Ihr kennt sie. Aber warum ist sie nach Tours zurückgekehrt, ohne mir etwas davon zu sagen?«—»Weil sie verhaftet zu werden fürchtete.«—»Warum hat sie mir nicht geschrieben?«—»Weil sie Euch einer Gefahr auszusetzen fürchtete.«—»D'Artagnan, Ihr gebt mir das Leben wieder!«rief Aramis;»ich hielt mich für verachtet, für verrathen. Ich war so glücklich, sie wieder zu sehen, und konnte nicht glauben, daß sie ihre Freiheit für mich auf das Spiel setzen würde, und doch, aus welcher andern Ursache sollte sie nach Paris gekommen sein?«—»Aus derselben Ursache, die uns heute zu der Reise nach England veranlaßt.«—»Und was ist dies?«—»Ihr sollt es eines Tages erfahren, Aramis; für den Augenblick aber werde ich die Zurückhaltung der Nichte des Doctors nachahmen.«

Aramis lächelte, denn er erinnerte sich dessen, was er an einem gewissen Abend seinen Freunden erzählt hatte.

«Nun also, da sie Paris verlassen hat, und da Ihr es gewiß wißt, d'Artagnan, so hält mich nichts hier zurück, und ich bin bereit, Euch zu folgen. Ihr sagt, wir gehen…«

Zunächst zu Athos, und wenn Ihr mitkommen wollt, so bitte ich Euch um Eile, denn wir haben bereits viel Zeit verloren. Doch bald hätte ich vergessen, setzt Bazin davon in Kenntniß.«

«Wird uns Bazin begleiten?«

«Vielleicht. In jedem Falle ist es gut, wenn er uns vorläufig zu Athos folgt.«

Aramis rief Bazin und nachdem er demselben Befehl gegeben hatte, ihn bei Athos aufzusuchen, sagte er:»Nun wollen wir gehen. «Ehe er jedoch sein Zimmer verließ, nahm er seinen Mantel, seinen Degen und seine Pistolen, und öffnete vergeblich mehrere Schubladen, um nachzusehen, ob nicht etwa irgend ein verirrtes Goldstück zu finden wäre. Nachdem er sich von der Fruchtlosigkeit seiner Nachsuchung überzeugt hatte, folgte er d'Artagnan, indem er sich fragte, wie es komme, saß der junge Gardecadett so gut wie er selbst wisse, wer die Frau gewesen, der er Gastfreundschaft gegeben, und besser als er, was aus ihr geworden.

Als sie aus dem Hause traten, legte Aramis seine Hand auf d'Artagnan's Arm, schaute ihn fest an und sagte:

«Ihr habt mit Niemand von dieser Frau gesprochen?«—»Mit Niemand auf dieser Welt.«—»Nicht einmal mit Athos und Porthos?«—»Ich habe nicht davon gehaucht.«—»Dann ist es gut.«

Und über diesen wichtigen Punkt beruhigt, setzte Aramis den Weg mit d'Artagnan fort und beide gelangten bald zu Athos.

Als sie eintraten, hielt er seinen Urlaub in der einen, den Brief des Herrn von Treville in der andern Hand.

«Könnt Ihr mir erklären, was dieser Brief und dieser Urlaub bedeuten sollen?«sprach Athos erstaunt.

«Mein lieber Athos, es ist mein Wille, da es Eure Gesundheit durchaus heischt, daß Ihr vierzehn Tage ausruht. Geht in die Bäder von Forges oder in jedes andere Bad, das Euch zusagen mag, und sorgt, daß Ihr Eure Gesundheit bald wieder herstellt.

Euer wohlaffectionirter Treville

«Nun! dieser Urlaub und dieser Brief bedeuten, daß Ihr mir folgen sollt, Athos!«—»In die Bäder von Forges?«—»Dahin oder wo andershin.«—»Im Dienste des Königs?«—»Des Königs oder der Königin: sind wir nicht Diener Ihrer Majestäten?«

In diesem Augenblick trat Porthos ein.

«Bei Gott, «sagte er,»das ist eine seltsame Geschichte. Seit wann bewilligt man bei den Musketieren den Leuten einen Urlaub, wenn sie ihn nicht verlangen?«—»Seitdem es Freunde gibt, die einen solchen für sie erbitten, «erwiederte d'Artagna», — »Ah, ah, «sagte Porthos,»da scheint etwas Neues vorzugehen.«—»Ja, wir reisen, «sprach Aramis. — »Nach welchem Lande?«fragte Porthos. — »Meiner Treu', ich weiß es nicht, «erwiederte Athos.»Frage d'Artagnan.«—»Nach London, meine Herren, «sagte d'Artagnan. — »Nach London!«rief Porthos,»und was sollen wir in London machen?«—»Das kann ich Euch nicht sagen, meine Herren, Ihr müßt mir trauen.«—»Aber um nach London zu gehen, «fügte Porthos bei,»braucht man Geld und ich habe keines.«—»Ich auch nicht, «sagte Aramis. — »Ich eben so wenig, «sprach Athos. — »Ich aber habe, «versetzte d'Artagnan, zog seinen Schatz aus seiner Tasche und legte ihn auf den Tisch.»In diesem Sack sind dreihundert Pistolen. Jeder von uns nimmt fünf und siebzig davon. Das ist genug, um nach London zu reisen und wieder zurückzukehren. Ueberdies seid ruhig wir erreichen nicht alle London.«—»Und warum dies?«—»Weil aller Wahrscheinlichkeit nach einige von uns auf dem Marsche bleiben werden.«—»Wir unternehmen also einen Feldzug?«—»Und zwar einen sehr gefährlichen, das sage ich Euch.«—»Ei, da wir Gefahr laufen, uns umbringen zu lassen, «sprach Porthos,»so möchte ich wenigstens wissen, warum?«—»Du wirst bald der Sache auf dem Grunde sein, «sprach Athos. — »Ich bin indessen auch der Meinung von Porthos, «sagte Aramis. — »Hat der König die Gewohnheit, Euch Rechenschaft abzulegen? Nein; er sagt ganz einfach: Meine Herren, man schlägt sich in der Gascogne oder in Flandern. Begebt Euch dahin, schlagt Euch. Warum? Um das Warum habt Ihr Euch nicht zu kümmern.«—»D'Artagnan hat Recht, «sagte Athos.»Hier sind unsere drei Urlaube, welche von Herrn von Treville kommen, und hier dreihundert Pistolen, welche Gott weiß woher kommen. Lassen wir uns tödten, wo man uns sagt, daß wir hingehen sollen. Lohnt sich das Leben nur der Mühe, so viele Fragen darüber zu machen? D'Artagnan, ich bin bereit. Dir zu folgen.«—»Und ich auch, «sprach Porthos. — »Und ich ebenfalls, «rief Aramis.»Auch ist es mir gar nicht unangenehm, Paris zu verlassen. Ich bedarf der Zerstreuung.«—»Gut! seid nur ruhig, Ihr sollt Zerstreuung finden, meine Herren, «sagte d'Artagnan. — »Und nun, wann reisen wir?«fragte Athos. — »Sogleich, «antwortete d'Artagnan,»es ist keine Minute zu verlieren!«—»Holla, Grimaud, Planchet, Mousqueton, Bazin!«riefen die vier jungen Leute ihren Lakaien zu.»Schmiert unsere Stiefel und führt unsere Pferde vom Hotel herbei!«

Jeder Musketier ließ wirklich im allgemeinen Hotel wie in einer Kaserne sein Pferd und das seines Lakaien.

Planchet, Grimaud, Mousqueton und Bazin entfernten sich eiligst.

«Nun wollen wir einen Feldzugsplan entwerfen, «sagte Porthos.»Wohin gehen wir zuerst?«

«Nach Calais, «antwortete d'Artagnan.»Das ist die geradeste Linie, um nach London zu gelangen.«

«Nun so hört meinen Rath, «versetzte Porthos.

«Sprich!«

«Vier mit einander reisende Personen wären verdächtig; d'Artagnan wird jedem von uns seine Instruction geben. Ich reise voraus auf der Route von Boulogne, um den Weg zu lichten; Athos geht zwei Stunden später auf der Route von Amiens ab; Aramis folgt uns auf der von Noyon; d'Artagnan reist auf einer ihm beliebigen Straße in den Kleidern Planchets, während uns Planchet als d'Artagnan in der Uniform der Garden folgt.«

«Meine Herren, «sagte Athos,»es ist meine Ansicht, daß es nicht zuträglich sein kann, die Lakaien bei einer solchen Angelegenheit ins Vertrauen zu ziehen; ein Geheimnis wird von Edelleuten zufällig verrathen, aber von den Bedienten stets verkauft.«

«Der Plan von Porthos scheint mir unausführbar, «sprach d'Artagnan,»insofern ich selbst nicht weiß, welche Instructionen ich Euch geben soll. Ich bin der Ueberbringer eines Briefes, das ist das Ganze. Ich kann nicht drei Abschriften von dem Briefe machen, weil er versiegelt ist. Wir müssen also meiner Meinung nach in Gesellschaft reisen. Dieser Brief ist hier in meiner Tasche. «Und er deutete auf die Tasche, in welcher der Brief verwahrt war.»Werde ich getödtet, so nimmt ihn einer von Euch, und Ihr setzt den Marsch fort. Wird dieser getödtet, so ist die Reihe an einem Andern, u. s. f. Wenn nur einer ankommt, das ist genug.«

«Bravo, d'Artagnan, Dein Rath ist auch der meinige, «sprach Athos.»Man muß überdieß consequent sein. Ich will die Bäder gebrauchen; Ihr begleitet mich. Statt die Bäder von Forges zu gebrauchen, wähle ich Seebäder; das steht in meinem Belieben. Man will uns verhaften, ich zeige den Brief von Herrn von Treville, und Ihr zeigt Eure Urlaube; man greift uns an, wir vertheidigen uns; man stellt uns vor Gericht, wir behaupten steif und fest, daß wir nichts Anderes beabsichtigen, als uns ein Dutzendmal in das Meer zu tauchen; mit vier vereinzelten Menschen hätte man zu leichten Kauf, während wir zusammen eine Truppe bilden; wir bewaffnen die vier Lakaien mit Pistolen und Gewehren; schickt man eine Armee gegen uns, so liefern wir eine Schlacht, und der Ueberlebende bringt den Brief nach London, wie d'Artagnan gesagt hat.«

«Wohl gesprochen!«rief Aramis.»Du sprichst nicht viel, Athos, aber wenn Du sprichst, klingt es wie ein Evangelium. Ich schließe mich dem Plane von Athos an. Und Du, Porthos?

«Ich ebenfalls, «antwortete Porthos,»wenn er d'Artagnan zusagt. D'Artagnan ist als Ueberbringer des Briefes natürlich das Haupt der Unternehmung; er mag entscheiden, wir führen aus.«

«Gut!«sagte d'Artagnan; ich entscheide mich für den Plan von Athos, und wir reisen in einer halben Stunde.«

«Angenommen!«riefen im Chor die drei Musketiere.

Jeder von ihnen streckte die Hand nach dem Sacke aus, nahm fünf und siebenzig Pistolen und traf Anstalt zu schleuniger Abreise.


XX. Die Reise

Um zwei Uhr Morgens zogen die vier Abenteurer durch die Barriere St. Denis aus Paris; so lange es Nacht war, blieben sie stumm. Unter dem Einflüsse der Dunkelheit erblickten sie unwillkürlich überall Hinterhalte, erst bei den ersten Strahlen des Tages lösten sich ihre Zungen. Mit der Sonne kehrte ihre Heiterkeit wieder: es war wie am Vorabend einer Schlacht; das Herz klopfte in der Brust, die Augen lachten, man fühlte, daß das Leben, von dem man vielleicht scheiden sollte, am Ende doch ein schönes Ding war.

Der Anblick der Caravane hatte übrigens etwas Furchtbares: die Rappen der Musketiere, ihre martialische Tournure, die Gewohnheit der Schwadron, welche die edlen Gefährten der Soldaten regelmäßig marschiren läßt, hätten das strengste Incognito verrathen.

Die Bedienten folgten, bis an die Zähne bewaffnet.

Alles ging gut bis Chantilly, wo man gegen acht Uhr Morgens anlangte. Man mußte frühstücken und stieg vor einer Herberge ab, die sich durch einen Schild, den heiligen Martin darstellend, wie er die Hälfte seines Mantels einem Armen gibt, empfahl. Man schärfte den Lakaien ein, die Pferde nicht abzusatteln und sich zu schleunigem Wiederaufbruch bereit zu halten. Die vier Freunde traten in das gemeinschaftliche Wirthszimmer und setzten sich zu Tisch.

Ein Herr, welcher auf der Straße von Dampmartin angelangt war, saß an demselben Tisch und frühstückte. Er fing an von Regen und schönem Wetter zu sprechen. Die Reisenden antworteten; er trank ihre Gesundheit. Die Reisenden erwiederten diese Höflichkeit.

Aber in dem Augenblick, wo Mousqueton ankündigte, die Pferde seien bereit, und man vom Tische aufstand, schlug der Fremde Porthos die Gesundheit des Kardinals vor. Porthos antwortete: er sei ganz damit einverstanden, wenn der Fremde ebenfalls die Gesundheit des Königs trinken wolle. Der Fremde antwortete: er kenne keinen andern König, als Se. Eminenz. Porthos nannte ihn einen Trunkenbold; der Fremde zog seinen Degen.

«Ihr habt eine Albernheit begangen, «sprach Athos,»gleich viel, jetzt läßt sich nicht mehr zurückweichen. Tödtet diesen Menschen, und holt uns so schnell als möglich wieder ein.«

Und alle drei bestiegen wieder ihre Pferde und jagten mit verhängten Zügeln davon, während Porthos seinem Gegner versprach, er werde ihn mit allen in der Fechtkunst bekannten Stößen durchbohren.

«Dies der erste, «sagte Athos nach fünfhundert Schritten.

«Aber warum hat dieser Mensch eher Porthos, als jeden Andern angegriffen?«fragte Aramis.

«Weil Porthos viel lauter sprach als wir, weßhalb er ihn für unsern Führer gehalten hat.«

«Ich habe immer gesagt, dieser gascognische Kadett sei ein wahrer Brunnen der Weisheit, «murmelte Athos.

Und die Reisenden setzten ihren Marsch fort.

In Beauvais hielt man zwei Stunden an, sowohl um die Pferde ausschnaufen zu lassen, als um Porthos zu erwarten. Als dieser nach Verlauf von zwei Stunden nicht erschien und auch keine Nachricht von ihm eintraf, begab man sich wieder auf den Weg.

Eine Meile von Beauvais, an einer Stelle, wo die Straße zwischen zwei Böschungen eingezwängt war, stieß man auf acht bis zehn Menschen, welche, da man hier gerade das Pflaster aufgebrochen hatte, aussahen, als ob sie hier arbeiteten, um Löcher zu graben oder die Straße auszubessern.

Aramis, der seine Stiefel in diesem künstlichen Schlammloche zu beschmutzen fürchtete, redete sie mit harten Worten an. Athos wollte ihn zurückhalten, es war zu spät. Die Arbeiter fingen an, die Reisenden zu verspotten, und ihre Frechheit brachte den kalten Athos so sehr außer sich, daß er sein Pferd gegen einen von ihnen antrieb.

Nun wich jeder dieser Menschen bis zu dem Graben zurück und ergriff eine verborgene Muskete. Aramis wurde von einer Kugel getroffen, die durch seine Schulter drang, Mousqueton von einer andern, welche im fleischigen Theile der Lende stecken blieb. Mousqueton fiel indessen allein vom Pferde, nicht als ob er schwerer verwundet gewesen wäre; aber da er die Wunde nicht sehen konnte, so hielt er sich ohne Zweifel für viel gefährlicher verletzt, als er es in der That war.

«Das ist ein Hinterhalt!«rief d'Artagnan,»lassen wir unser Zündkraut unverbrannt, und vorwärts!«

Aramis nahm trotz seiner Wunde sein Pferd bei der Mähne, und dieses trug ihn mit den Andern fort. Das von Mousqueton holte sie wieder ein und galoppirte ganz allein und in seiner Reihe.

«Das gibt uns ein Pferd zum Wechseln, «sagte Athos.

«Ein Hut wäre mir lieber, «sprach d'Artagnan,»der meinige ist von einer Kugel fortgerissen worden. Es ist nur ein Glück, daß der Brief, den ich trage, nicht darin war.«

«Bei Gott! sie werden den armen Porthos tödten, wenn er vorüber kommt, «sprach Aramis.

«Wenn Porthos auf den Beinen wäre, so müßte er uns bereits eingeholt haben, «sagte Athos.»Meiner Meinung nach hat der Trunkenbold auf dem Kampfplatze den Rausch verloren.«

Und man galoppirte noch zwei Stunden lang, obgleich die Pferde so ermüdet waren, daß man befürchten mußte, sie werden bald den Dienst versagen.

Die Reisenden hatten einen Seitenweg eingeschlagen, in der Hoffnung, auf diese Art weniger beunruhigt zu werden; aber in Crevecour erklärte Aramis, er könne nicht weiter reiten. In der That hatte er seines ganzen Muthes bedurft, den er unter seiner eleganten Form und unter seinen höflichen Manieren verbarg, um bis hieher zu gelangen. Jeden Augenblick erbleichte er und man war genöthigt, ihn auf seinem Pferde zu unterstützen: man hob ihn vor der Thüre einer Schenke herab, ließ ihm Bazin, der übrigens bei einem Scharmützel mehr hinderlich als nützlich war, und zog weiter, in der Hoffnung, erst in Amiens Nachtlager zu halten.

«Beim Teufel!«sagte Athos, als sie sich auf zwei Herren und auf Grimaud und Planchet zusammengeschmolzen, wieder auf der Straße befanden,»beim Teufel! ich lasse mich nicht drankriegen, und stehe Euch dafür, daß mich von hier bis Calais Niemand dazu bringen wird, den Mund zu öffnen oder den Degen zu ziehen. Ich schwöre…«

«Schwören wir nicht, «sagte d'Artagnan,»galoppiren wir lieber, wenn es unsere Pferde gestatten.«

Die Reisenden spornten ihre Rosse so, daß sie ihre Kräfte wieder fanden. Man langte in Amiens um Mitternacht an und stieg vor der Herberge zur goldenen Lilie ab.

Der Wirth sah aus, wie der ehrlichste Mann von der Welt. Er empfing die Reisenden, seinen Leuchter in der einen, die baumwollene Mütze in der andern Hand; er wollte die zwei Reisenden jeden in einem vortrefflichen Zimmer einquartieren. Zum Unglück lag jedes von diesen Zimmern am äußersten Ende des Gasthauses. D'Artagnan und Athos weigerten sich. Der Wirth antwortete, er habe keine andere Ihrer Excellenzen würdige Zimmer; aber die Reisenden erklärten, sie würden in einer gemeinschaftlichen Stube jeder auf einer Matratze schlafen, die man auf den Boden werfen könne; der Wirth bestand auf seiner Meinung, die Reisenden gaben nicht nach, und er mußte thun, wie sie haben wollten.

Sie hatten ihr Bett geordnet und ihre Thüre von innen verbarrikadirt, als man vom Hof aus an ihre Läden klopfte. Sie fragten, wer da sei, erkannten die Stimme ihrer Bedienten und öffneten. Es waren wirklich Planchet und Grimaud.

«Grimaud kann allein die Pferde bewachen, «sagte Planchet.»Wenn die Herren erlauben, so werde ich mich quer vor ihre Thüre legen. Auf diese Art sind sie sicher, daß man nicht bis zu ihnen gelangt.«

«Und auf was willst Du schlafen?«sagte d'Artagnan.

«Hier ist mein Bett, «antwortete Planchet und zeigte einen Bund Stroh.

«Komm also, «sprach d'Artagnan,»Du hast Recht, das Gesicht des Wirthes will mir nicht zusagen, es ist zu freundlich.«

Planchet stieg durch das Fenster ein und legte sich quer vor die Thüre, während sich Grimaud in dem Stalle einschloß, nachdem er zuvor die Versicherung gegeben hatte, daß er und die Pferde um fünf Uhr Morgens bereit sein sollen.

Die Nacht ging ziemlich ruhig vorüber; man versuchte es wohl gegen zwei Uhr Morgens die Thüre zu öffnen; aber da Planchet plötzlich erwachte und:» Wer da!«rief, so antwortete man ihm, man habe sich getäuscht, und zog ab. Um vier Uhr Morgens vernahm man einen gewaltigen Lärm im Stalle. Grimaud hatte die Hausknechte wecken wollen und diese schlugen ihn. Als man das Fenster öffnete, sah man den armen Burschen bewußtlos auf der Erde ausgestreckt. Ein Hieb mit der Heugabel hatte ihm den Kopf verletzt.

Planchet ging in den Hof hinab und wollte die Pferde satteln: die Pferde lahmten; nur das von Grimaud, welches am Tage vorher fünf bis sechs Stunden ohne Herrn gereist war, hätte den Marsch fortsetzen können. Aber in Folge eines unbegreiflichen Irrthums hatte der Thierarzt, den man ohne Zweifel holen ließ, um dem Pferde des Wirthes zur Ader zu lassen, dem von Grimaud zur Ader gelassen.

Die Sache fing an beunruhigend zu werden: alle diese rasch aufeinander folgenden Begebenheiten waren vielleicht das Resultat des Zufalls, aber sie konnten ebensowohl die Frucht eines Komplottes sein. Athos und d'Artagnan gingen hinaus, während sich Planchet erkundigte, ob man nicht in der Gegend drei Pferde zu kaufen finden könne. Vor der Thüre standen wirklich zwei Pferde gesattelt und gezäumt, frisch und kräftig. Das fügte sich gut. Er fragte, wo die Herren seien, man antwortete ihm, sie haben die Nacht in dem Wirthshause zugebracht und bezahlen in diese Augenblick ihre Zeche.

Athos ging hinab, um die Rechnung zu berichtigen, während d'Artagnan und Planchet an der Hausthüre stehen blieben; der Wirth befand sich in einem unteren nach hinten gelegenen Zimmer; man bat Athos, dahin zu gehen.

Athos trat ohne Mißtrauen ein und zog zwei Goldstücke hervor, um zu bezahlen. Der Wirth war allein und saß vor einem Bureau, an dem eine der Schubladen halb offen war. Er nahm das Geld, das ihm Athos darbot, drehte es wiederholt in der Hand um und rief plötzlich, es sei falsch, und er werde ihn und seine Gefährten als Falschmünzer in Verhaft nehmen lassen.

«Schurke, «sprach Athos gegen ihn vorrückend,»ich werde Dir die Ohren abschneiden!«

Aber der Wirth bückte sich, nahm zwei Pistolen aus einer der Schubladen, und richtete sie, um Hülfe rufend, gegen Athos.

In demselben Augenblick traten vier bis an die Zähne bewaffnete Männer durch die Seitenthüren ein und warfen sich auf Athos.

«Ich bin verloren, «schrie Athos mit der vollen Gewalt seiner Lunge;»mach Dich fort, d'Artagnan, fort, fort!«Und er drückte seine beiden Pistolen ab.

D'Artagnan und Planchet ließen sich diesen Zuruf nicht wiederholen; sie machten die zwei Pferde, welche vor der Thüre standen, los, sprangen in den Sattel, stießen ihnen die Sporen in den Leib und jagten im stärksten Galopp davon.

«Weißt Du, was aus Athos geworden ist?«fragte d'Artagnan.

«Ach! gnädiger Herr, «erwiederte Planchet,»ich habe zwei auf seine Schüsse fallen sehen, und bei einem Blicke, den ich noch durch die Glasthüre warf, kam es mir vor, als fuchtelte er mit den andern.«

«Braver Athos!«murmelte d'Artagnan.»Wenn ich bedenke, daß man ihn so im Stiche lassen muß! Uebrigens erwartet uns vielleicht zehn Schritte von hier dasselbe Schicksal. Vorwärts! Planchet, vorwärts! Du bist ein wackerer Bursche.«

«Ich habe es Euch gesagt, gnädiger Herr, «antwortete Planchet,»die Picarden erkennt man erst beim Gebrauch; übrigens bin ich hier in meiner Heimath und das feuert mich an.«

Beide spornten auf das Schönste und gelangten in einem Zuge nach Saint-Omer. Hier ließen sie ihre Pferde ausschnaufen, wobei sie aus Furcht vor irgend einem Unfalle die Zügel um den Arm schlangen, und aßen, vor der Thüre stehend, einen Bissen aus der Faust, wonach sie ihren Marsch wieder fortsetzten.

Hundert Schritte vor den Thoren von Calais stürzte d'Artagnans Pferd es war unmöglich, dasselbe wieder auf die Beine zu bringen; das Blut lief ihm aus der Nase und aus den Augen; es war noch das Pferd Planchets übrig, aber dieses stand stille, und man konnte es keinen Schritt mehr weiter treiben.

Zum Glück waren sie, wie gesagt, nur noch hundert Schritte von der Stadt entfernt. Sie ließen die beiden Rosse aus der Landstraße und liefen nach dem Hafen. Planchet machte seinen Gebieter auf einen Herrn aufmerksam, der eben mit seinem Bedienten ankam und nur fünfzig Schritte vor ihnen ging.

Sie näherten sich rasch diesem Herrn, der große Eile zu haben schien. Seine Stiefel waren mit Staub bedeckt, und er fragte, ob er nicht sogleich nach England überfahren könnte.

«Nichts leichter als das, «antwortete der Patron eines segelfertigen Schiffes; aber diesen Morgen ist ein Befehl eingetroffen, Niemand ohne ausdrückliche Erlaubniß des Herrn Kardinals passiren zu lassen.«

«Ich habe diese Erlaubniß, «sagte der Herr, ein Papier aus seiner Tasche ziehend;»hier ist sie.«

«So laßt sie vom Hafen-Gouverneur unterzeichnen und gönnt mir den Vorzug vor den anderen Schiffen.«

«Wo kann ich den Gouverneur finden?«

«In seinem Landhause.«

«Und wo liegt dieses?«

«Eine Viertelmeile von der Stadt! Ihr seht es dort, am Fuße jener Anhöhe, mit dem Schieferdache.«

«Gut!«rief der Herr und schlug von seinem Bedienten gefolgt den Weg nach dem Landhause des Gouverneurs ein.

D'Artagnan und Planchet folgten dem Herrn in einer Entfernung von fünfhundert Schritten.

Sobald sie vor der Stadt waren, beschleunigte d'Artagnan seine Schritte und holte den Herrn ein, als er eben in ein kleines Gehölze eintrat.

«Mein Herr, «sprach d'Artagnan,»Ihr scheint mir große Eile zu haben.«—»Im höchsten Grade.«—»Bedaure sehr, denn da ich ebenfalls große Eile habe, so wollte ich Euch um einen Dienst bitten.«—»Um welchen?«—»Mich vorausgehen zu lassen. Ich habe sechzig Meilen in vier und vierzig Stunden zurückgelegt und muß morgen Mittag in London sein.«—»Ich habe denselben Weg in vierzig Stunden gemacht und muß morgen früh um zehn Uhr in London sein.«—»Bedaure, mein Herr, aber da ich zuerst angekommen, werde ich nicht als zweiter gehen.«—»Es thut mir unendlich leid ich bin als zweiter angekommen, aber ich werde zuerst gehen.«—»Im Dienste des Königs?«sprach der Herr. — »In meinem Dienste!«antwortete d'Artagnan. — »Ihr scheint mir Händel zu suchen?«—»Beim Teufel! wie soll es anders sein?«—»Was verlangt Ihr von mir?«—»Wollt Ihr es wissen?«—»Allerdings.«—»Nun! ich verlange den Befehl, den Ihr bei Euch tragt, insofern ich keinen habe und doch desselben nothwendig bedarf.«—»Ihr scherzt hoffentlich?«—»Ich scherze nie.«—»Laßt mich ziehen.«—»Ihr kommt nicht von der Stelle.«—»Mein braver junger Mann, ich werde Euch den Schädel zerschmettern. Holla! Lubin, meine Pistolen.«—»Planchet, «sagte d'Artagnan,»übernimm Du den Bedienten, ich nehme den Herrn.«

Durch die erste That ermuthigt, sprang Planchet auf Lubin, warf ihn, stark und kräftig, wie er war, auf den Boden und setzte ihm das Knie auf die Brust.

«Macht Euer Geschäft ab, gnädiger Herr, «sagte Planchet,»ich bin mit dem meinigen fertig.«

Dies gewahrend, zog der Unbekannte seinen Degen und fiel gegen d'Artagnan aus, aber er hatte es mit einem gewaltigen Gegner zu thun.

In drei Sekunden versetzte ihm d'Artagnan drei Degenstöße und bei jedem Stoße sagte er:

«Einen für Athos, einen für Porthos, einen für Aramis!«

Beim dritten Stoße stürzte der Unbekannte wie eine träge Masse zur Erde.

D'Artagnan hielt ihn für todt oder wenigstens für ohnmächtig, und näherte sich ihm, um den Befehl zu nehmen; aber in dem Augenblicke, wo er die Hand ausstreckte, um ihn zu suchen, brachte ihm der Verwundete, der seinen Degen nicht losgelassen hatte, einen Stich in die Brust bei und rief:

«Einen für Euch!«

«Und einen für Dich! Wer zuletzt lacht, lacht am besten!«schrie d'Artagnan wüthend und spießte ihn mit einem vierten Stoße durch den Bauch an den Boden.

Diesmal schloß der Fremde, ohnmächtig geworden, die Augen.

D'Artagnan durchsuchte die Tasche, in welche er ihn den Ueberfahrsbefehl hatte stecken sehen, und nahm ihn. Er war auf den Namen des Grafen von Wardes ausgestellt.

Einen letzten Blick auf den schönen jungen Mann werfend, der kaum fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte, und den er hier auf der Erde ausgestreckt, das Bewußtsein beraubt, vielleicht gar todt zurücklassen mußte, seufzte er über das seltsame Geschick, welches die Menschen dahinbringt, daß sie einander umbringen im Interesse von Leuten, die ihnen fremd sind, und denen ihr Dasein häufig ganz unbekannt ist.

Bald aber wurde er seinen Betrachtungen durch Lubin entzogen, der ein furchtbares Jammergeschrei ausstieß und mit aller Gewalt um Hilfe rief.

Planchet faßte ihn bei der Gurgel und schnürte sie ihm aus Leibeskräften zusammen.

«Gnädiger Herr, «sagte er,»so lange ich ihn so halte, wird er sicherlich nicht schreien, das weiß ich gewiß, aber sobald ich ihn loslasse, wird er wieder zu kreischen anfangen. Es ist ein Normann und die Normannen sind hartnäckige Bursche.«

Lubin suchte wirklich, so gepreßt er auch war, einige Töne von sich zu geben.

«Warte!«sprach d'Artagnan, nahm sein Taschentuch und knebelte ihn.

«Nun wollen wir ihn an einen Baum binden!«sagte Planchet.

Dies wurde gewissenhaft ausgeführt. Dann schleppte man den Grafen von Wardes in die Nähe seines Bedienten, und da die Nacht bereits einbrach und beide, der Verwundete und der Geknebelte, sich mehrere Schritte in einem Gehölze befanden, so mußten sie offenbar bis am andern Tage hier bleiben.

«Und nun zum Gouverneur, «rief d'Artagnan.

«Es scheint mir, Ihr seid verwundet?«sagte Planchet.

«Das ist jetzt von keiner Bedeutung, wir wollen uns mit dem Dringenderen beschäftigen, und dann nach der Wunde fragen, die mir übrigens durchaus nicht gefährlich zu sein scheint.«

Und beide eilten mit großen Schritten nach dem Landhause des würdigen Beamten.

Man kündigte den Grafen von Wardes an.

D'Artagnan wurde eingeführt.

«Ihr habt einen vom Kardinal unterzeichneten Paß?«sagte der Gouverneur. — »Ja, mein Herr, hier ist er.«—»Ah, ah! er ist in Ordnung und mit guten Empfehlungen versehen, «sprach der Gouverneur. — »Das ist ganz einfach, «erwiederte d'Artagnan,»ich gehöre zu seinen getreuesten Anhängern.«—»Es scheint. Seine Eminenz will irgend Jemand verhindern, nach England zu kommen?«—»Ja, einen gewissen d'Artagnan, einen Bearner Edelmann, der mit drei von seinen Freunden von Paris abgereist ist, in der Absicht, sich nach London zu begeben.«—»Kennt Ihr ihn persönlich, «fragte der Gouverneur. — »Wen?«—»Diesen d'Artagnan.«—»Sehr gut!«—»Gebt mir sein Signalement.«—»Nichts leichter!«

D'Artagnan gab Zug für Zug das Signalement des Grafen von Wardes.

«Hat er einen Begleiter?«fragte der Gouverneur.

«Ja, einen Bedienten, Namens Lubin.«

«Man wird auf sie Acht haben, und wenn man ihrer habhaft wird, mag Seine Eminenz ruhig sein, sie sollen unter sicherem Geleite nach Paris zurückgeführt werden.«

«Wenn Ihr dies thut, mein Herr Gouverneur, «sprach d'Artagnan,»werdet Ihr Euch ein großes Verdienst um den Kardinal erwerben.«

«Ihr seht ihn wohl bei Eurer Rückkehr, mein Herr Graf?«

«Das versteht sich.«

«Sagt ihm gefälligst, ich sei sein getreuer Diener.«

«Ich werde nicht ermangeln.«

Erfreut über diese Versicherung, visirte der Gouverneur den Paß und stellte ihn d'Artagnan zu.

D'Artagnan verlor keine Zeit mit unnützen Komplimenten, verbeugte sich vor dem Gouverneur, dankte ihm und ging weg.

Sobald er mit Planchet aus dem Hause war, setzten sie sich in raschen Lauf, machten einen langen Umweg, um das Gehölze zu vermeiden, und gelangten durch ein anderes Thor nach der Stadt zurück.

Das Schiff war immer noch zur Abfahrt bereit. Der Patron wartete am Hafen.

«Nun, wie steht's?«sagte er, sobald er d'Artagnan gewahr wurde. — »Hier ist der visirte Paß, «erwiederte dieser. — »Und der andere Herr?«—»Er wird heute nicht mehr abreisen, «sprach d'Artagnan,»aber seid ruhig, ich bezahle die Ueberfahrt für uns Beide.«—»In diesem Fall, zu Schiffe, «sagte der Patron. — »Zu Schiffe, «wiederholte d'Artagnan.

Und er sprang mit Planchet in den Nachen; fünf Minuten nachher waren sie an Bord.

Es war höchste Zeit; sie befanden sich kaum eine halbe Meile in See, als d'Artagnan eine Flamme bemerkte und einen Knall hörte.

Es war der Kanonenschuß, der das Schließen des Hafens ankündigte.

Nun mußte man sich endlich mit d'Artagnans Wunde beschäftigen. Zum Glück war sie, wie er selbst gedacht hatte, nicht gefährlich. Die Degenspitze hatte eine Rippe getroffen und war von dem Beine abgeglitten; überdieß hatte sich das Hemd an die Wunde festgeklebt und so waren nur einige Tropfen Blutes hervorgedrungen.

D'Artagnan war im höchsten Grad ermattet. Man breitete ihm eine Matratze auf dem Verdeck aus, er warf sich darauf und entschlummerte.

Am andern Morgen bei Tagesanbruch befand er sich noch drei bis vier Meilen von der Küste Frankreichs entfernt; der Wind war in der ganzen Nacht sehr schwach gewesen und man hatte eine kleine Strecke zurückgelegt.

Um zwei Uhr ging das Schiff in dem Hafen von Dover vor Anker.

Um halb drei Uhr setzte d'Artagnan den Fuß auf den Boden Englands und rief:»Endlich bin ich hier!«

Aber damit war es noch nicht genug. Man mußte London erreichen. In England war die Post ziemlich gut bedient. D'Artagnan und Planchet nahmen jeder einen Klepper. Ein Postillon ritt voraus, in vier Stunden langten sie vor den Thoren der Hauptstadt an.

Der Herzog befand sich mit dem König auf der Jagd.

D'Artagnan kannte London nicht. D'Artagnan verstand kein Wort Englisch; aber er schrieb den Namen Buckingham auf ein Papier und Jedermann zeigte ihm das Hotel des Herzogs.

D'Artagnan fragte nach dem ersten Kammerdiener Buckinghams, der ihn auf allen seinen Reisen begleitet hatte und vollkommen Französisch sprach. Er sagte ihm, er komme von Paris in einer Angelegenheit, bei der es sich um Leben und Tod handle, und müsse seinen Herrn sogleich sprechen.

Die Sicherheit, mit der d'Artagnan sein Verlangen ausdrückte, überzeugte Patrice, so hieß dieser Minister des Ministers. Er ließ zwei Pferde satteln und übernahm es, den jungen Gardisten zu begleiten. Planchet hatte man steif wie ein Rohr von seinem Rosse herabgehoben. Die Kräfte des armen Burschen waren völlig erschöpft. D'Artagnan schien von Eisen.

Man kam in dem Schlosse an und zog hier Erkundigung ein; der König und Buckingham waren auf der Beize in einem zwei bis drei Meilen von da entfernten Moore.

In zwanzig Minuten befand man sich an der bezeichneten Stelle. Bald hörte Patrice die Stimme seines Herrn, der seinen Falken zurückrief.

«Wen soll ich Mylord-Herzog ankündigen?«fragte Patrice.

«Den jungen Mann, der eines Abends auf dem Pont Neuf bei der Samaritaine Händel mit ihm gesucht hat.«

«Eine sonderbare Empfehlung!«

«Ihr werdet sehen, daß sie so viel werth ist, als irgend eine andere.«

Patrice setzte sein Pferd in Galopp, erreichte den Herzog und meldete ihm in den so eben erwähnten Worten einen Boten an, der seiner harrte.

Buckingham erkannte d'Artagnan sogleich, und da er vermuthete, daß in Frankreich etwas vorging, wovon man ihn in Kenntniß setzen wollte, so nahm er sich nicht die Zeit, zu fragen, wo der Bote sei, sondern galoppirte, als er von Ferne die Uniform der Garden erkannt hatte, gerade auf d'Artagnan zu. Patrice hielt sich aus Discretion entfernt.

«Es ist der Königin doch kein Unglück widerfahren?«rief Buckingham, alle seine Gedanken, seine ganze Liebe in diese Frage legend.

«Ich glaube nicht, aber ich bin der Ueberzeugung, daß sie eine große Gefahr läuft, der Eure Herrlichkeit allein sie entziehen kann.«

«Ich?«rief Buckingham.»Sollte ich so glücklich sein, ihr in irgendwie nützen zu können? Sprecht? sprecht!«

«Nehmt diesen Brief, «sagte d'Artagnan

«Diesen Brief? von wem kommt er?«

«Von Ihrer Majestät, wie ich glaube.«

«Von Ihrer Majestät, «sprach Buckingham und erbleichte dergestalt, daß d'Artagnan meinte, er würde in Ohnmacht fallen.

Er erbrach das Siegel.

«Woher dieser Riß?«sagte er und zeigte d'Artagnan eine Stelle, wo er durchbohrt war.

«Ah, ab!«rief d'Artagnan,»ich hatte das nicht gesehen. Der Degen des Grafen von Wardes wird dieses schöne Loch gemacht haben, als er ihn mir in die Brust stieß.«

«Ihr seid verwundet?«fragte Buckingham.

«O! nichts, «erwiederte d'Artagnan;»eine Schramme.«

«Gerechter Himmel! was habe ich gelesen?«rief der Herzog.»Patrice, bleibe hier, oder vielmehr suche den König auf, wo er auch sein mag, und sage Seiner Majestät, daß ich mich zu entschuldigen bitte; aber eine Angelegenheit von höchstem Belang rufe mich nach London zurück. Kommt, Herr, kommt!«

Und Beide schlugen im Galopp den Weg nach der Hauptstadt ein.


XXI.Die Gräfin von Winter

Den ganzen Weg entlang ließ sich der Herzog über Alles von d'Artagnan Bericht erstatten, nicht über Alles, was vorgefallen war, sondern über das, was d'Artagnan davon wußte. Indem er die Mittheilungen des jungen Mannes mit seinen Erinnerungen zusammenhielt, konnte er sich einen genauen Begriff von der Lage machen, von deren Mißlichkeit ihm der Brief der Königin, so kurz er auch war, einen Maßstab gab. Er wunderte sich besonders darüber, daß es dem Kardinal, dem so viel daran liegen mußte, daß der junge Mann England nicht erreichen konnte, nicht gelungen war, ihn auf dem Wege aufgreifen zu lassen. Als er sein Erstaunen hierüber kund gab, erzählte ihm d'Artagnan von den Vorsichtsmaßregeln, die er genommen, und wie er durch die aufopfernde Ergebenheit seiner drei Freunde, die er blutend und zerstreut auf der Straße zurückgelassen, mit einem Degenstiche sich durchgeschlagen, der durch das Billet der Königin gedrungen war, und den er dem Grafen von Wardes mit so furchtbarer Münze zurückbezahlt hatte. Während der Herzog auf diese Erzählung hörte, die mit der größten Einfachheit vorgetragen wurde, schaute er d'Artagnan mit erstaunter Miene an, als könnte er nicht begreifen, wie er so viel Muth, so viel Klugheit, so viel Ergebenheit mit einem Gesichte zusammenreimen sollte, das kaum zwanzig Jahre andeutete.

Die Pferde gingen wie der Wind, und in wenigen Minuten befanden sie sich vor den Thoren von London. D'Artagnan hatte geglaubt, der Herzog würde in der Stadt etwas langsamer reiten; aber dem war nicht so. Er setzte seinen Weg in größter Eile fort und kümmerte sich nicht darum, ob er die Leute auf der Straße niederwarf. Wirklich ereigneten sich mehrere Unfälle dieser Art während des Rittes durch die Stadt. Aber Buckingham drehte nicht einmal den Kopf um zu sehen, was aus denjenigen, welche er niederritt, geworden war. D'Artagnan folgte ihm mitten unter Schreien, welche viel Aehnlichkeit mit Verfluchungen hatten.

Im Hof seines Hotels sprang Buckingham von seinem Pferd, warf ihm gleichgültig den Zügel auf den Hals und stürzte nach der Treppe. D'Artagnan that dasselbe, jedoch mit etwas mehr Unruhe für diese edlen Thiers, deren Verdienst er würdigen gelernt hatte; aber zu seiner Befriedigung bemerkte er, daß drei bis vier Bedienten aus den Küchen und Ställen herbeiliefen und sich sogleich der Pferde bemächtigten.

Der Herzog ging so rasch, daß d'Artagnan Mühe hatte, ihm zu folgen. Er durchschritt nach einander mehrere Salons von einer Eleganz, von der selbst die vornehmen Herren Frankreichs keinen Begriff hatten, und gelangte endlich in ein Schlafgemach, das zugleich ein Wunder von Geschmack und Reichtum war. Im Alkoven dieses Gemachs war eine in der Tapete angebrachte Thüre, welche der Herzog mit einem kleinen goldenen Schlüssel öffnete, den er an einer Kette von demselben Metall am Halse trug. Aus Bescheidenheit war d'Artagnan zurückgeblieben. Aber in dem Augenblick, wo Buckingham die Schwelle dieser Thüre überschritt, drehte er sich um und sprach, als er das Zögern des jungen Mannes wahrnahm:

«Kommt, und wenn Ihr die Ehre habt, vor Ihrer Majestät erscheinen zu dürfen, so sagt ihr, was Ihr hier seht.«

Ermuthigt durch diese Aufforderung, folgte d'Artagnan dem Herzog, der die Thüre hinter sich schloß.

Beide befanden sich nun in einer kleinen mit persischer Seide tapezierten und mit Gold gestickten Kapelle, welche mit einer großen Anzahl von Kerzen stark beleuchtet war. Ueber einer Art von Altar und unter einem Prachthimmel von blauem Sammet, überragt von weißen und rothen Federn, gewahrte man ein Porträt in natürlicher Größe, Anna von Oesterreich so vollkommen ähnlich darstellend, daß d'Artagnan unwillkürlich einen Schrei des Erstaunens ausstieß. Man hätte glauben sollen, Ihre Majestät wäre im Begriff zu sprechen.

Auf dem Altar und unter dem Porträt stand das Kistchen, welches die diamantenen Nestelstifte enthielt.

Der Herzog näherte sich dem Altar, kniete davor nieder, wie ein Priester vor dem Christusbilde, und öffnete das Kistchen.

«Seht, «sprach er, indem er eine große ganz von Diamanten funkelnde blaue Bandschleife hervorzog,»seht, hier sind diese kostbaren Nestelstifte, mit denen ich mich begraben zu lassen geschworen hatte. Die Königin hat sie mir gegeben, die Königin nimmt sie mir wieder, ihr Wille geschehe, wie der Wille Gottes, in allen Dingen.«

Dann küßte er alle diese Stifte, von denen er sich trennen sollte, einen um den andern. Plötzlich stieß er einen furchtbaren Schrei aus.

«Was gibt es?«fragte d'Artagnan unruhig.»Was ist Euch, Mylord?«

«Alles ist verloren!«rief Buckingham, indem er todesbleich wurde;»zwei von diesen Nestelstiften fehlen; es sind nur noch zehn.«

«Hat Mylord sie verloren, oder glaubt er, man könnte sie ihm gestohlen haben?«

«Man hat sie mir gestohlen, «erwiederte der Herzog,»und das ist ein Streich des Kardinals! Seht, die Bänder, an denen sie befestigt waren, sind mit der Scheere durchschnitten.«

«Sollte Mylord vermuthen, wer den Diebstahl begangen hat?… Vielleicht sind sie noch in den Händen der Person.«

«Geduld!«rief der Herzog.»Ich trug diese Nestelstifte nur ein einziges Mal vor acht Tagen auf einem Ball des Königs in Windsor. Die Gräfin von Winter, mit der ich gespannt war, näherte sich nur auf diesem Ball. Diese Annäherung war eine Rache der eifersüchtigen Frau. Seitdem habe ich sie nicht wieder gesehen. Sie ist eine Agentin Richelieus.«

«Also gibt es auf der ganzen Welt Agenten von ihm?«rief d'Artagnan.

«Oh! ja, ja, «sprach Buckingham vor Zorn mit den Zähnen knirschend;»ja, er ist ein furchtbarer Gegner. Doch wann soll der bewußte Ball stattfinden?«

«Nächsten Montag.«

«Nächsten Montag! Fünf Tage also? Das ist mehr Zeit als wir brauchen. Patrice!«rief ver Herzog, die Thüre der Kapelle öffnend,»Patrice!«

Der Kammerdiener erschien.

«Meinen Juwelier und meinen Sekretär!«

Der Kammerdiener entfernte sich mit einer Geschwindigkeit, und Schweigsamkeit, woraus sich erkennen ließ, daß er an blinden und stummen Gehorsam gewöhnt war.

Aber obgleich man den Juwelier zuerst gerufen hatte, erschien doch der Sekretär vor diesem. Dies war ganz einfach, denn er wohnte im Hotel. Er fand Buckingham in seinem Schlafzimmer vor einem Tisch sitzend und eigenhändig einige Briefe schreibend.

«Herr Jakson, «sprach er,»Ihr begebt Euch stehenden Fußes zum Lordkanzler und sagt ihm, daß ich ihn mit Vollziehung dieser Befehle beauftrage. Ich verlange, daß sie sogleich bekannt gemacht werden sollen.«

«Aber, gnädigster Herr, wenn der Lordkanzler mich nach den Motiven fragt, die Eure Herrlichkeit zu so außerordentlichen Maßregeln veranlassen konnten, was soll ich antworten?«

«So habe es mir gefallen, und ich habe Niemand über meinen Willen Rechenschaft zu geben.«

«Ist das die Antwort, die er Seiner Majestät zu überbringen hat, «versetzte der Sekretär lächelnd,»wenn Seine Majestät zufällig so neugierig sein sollte, wissen zu wollen, warum kein Schiff aus den Häfen Großbritanniens auslaufen darf?«

«Ihr habt Recht, mein Herr, «antwortete Buckingham;»er mag in diesem Fall dem König sagen, ich habe den Krieg beschlossen, und diese Maßregel sei mein erster feindseliger Akt gegen Frankreich.«

Der Sekretär verbeugte sich und trat ab.

«Wir sind nun von dieser Seite her ruhig, «sprach Buckingham, sich gegen d'Artagnan umwendend.»Wenn die Nestelstifte noch nicht nach Frankreich abgegangen sind, so werden sie erst nach Euch ankommen.«

«Wie dies?«

«Ich habe einen Embargo aus alle Schiffe gelegt, welche sich zu dieser Stunde in den Häfen seiner Majestät befinden, und ohne besondere Erlaubniß wird es keines wagen, die Anker zu lichten.«

D'Artagnan betrachtete staunend diesen Mann, der die unbeschränkte Gewalt, womit ihn das Vertrauen des Königs bekleidet hatte, im Dienste seiner Liebschaften ausbeutete. Buckingham bemerkte am Gesichtsausdruck des jungen Mannes, was in seinem Innern vorging, und lächelte.

«Ja, «sagte er,»ja, Anna von Oesterreich ist meine wahre Königin, auf ein Wort von ihr verrathe ich mein Vaterland, meinen König, meinen Gott. Sie hat mich gebeten, den Protestanten von La Rochelle die Hülfe nicht zu schicken, die ich ihnen zugesagt hatte, und ich habe es gethan. Ich habe mein Wort gebrochen, aber gleich viel, ich gehorchte ihrem Wunsche; sagt, wurde ich nicht großmüthig für meinen Gehorsam bezahlt? denn diesem habe ich ihr Porträt zu verdanken.«

D'Artagnan staunte und bedachte, an welch schwachen und unbekannten Fäden oft die Geschicke der Völker und das Leben der Menschen hängen.

Er war ganz in Betrachtungen versunken, als der Goldschmied eintrat: er war ein Irländer und einer der geschicktesten Künstler seines Fachs; er gestand selbst, daß er jährlich hundert tausend Livres bei dem Herzog von Buckingham gewann.

«Herr O'Reilly, «sagte der Herzog, indem er ihn in die Kapelle führte,»betrachtet diese diamantenen Nestelstifte und sagt mir, was das Stück werth ist.«

Der Goldschmied warf einen Blick auf die zierliche Fassung, berechnete den Werth jedes einzelnen Diamants und antwortete ohne Zögern:

«Fünfzehnhundert Pistolen das Stück.«

«Wie viel Tage braucht man, um zwei solche Nestelstifte zu machen, wie diese sind? Ihr seht, daß zwei fehlen.«

«Acht Tage, Mylord.«

«Ich bezahle Euch dreitausend Pistolen für das Stück; übermorgen muß ich sie haben.«

«Mylord wird sie haben.«

«Ihr seid ein kostbarer Mann, Herr O'Reilly; aber das ist noch nicht Alles; diese Stifte kann man Niemand anvertrauen, sie müssen in meinem Palaste gemacht werden.«

«Unmöglich, Mylord, nur ich bin im Stande, die Arbeit so auszuführen, daß man den Unterschied zwischen den neuen und den alten nicht sieht.«

«Dann seid Ihr mein Gefangener, mein lieber Herr O'Reilly, und dürft den Palast von dieser Stunde an nicht mehr verlassen: entschließt Euch also. Nennt mir diejenigen Eurer Gehülfen, deren Ihr bedürft, und bezeichnet mir die Werkzeuge, die sie mitbringen sollen.«

Der Goldschmied kannte den Herzog! er wußte, daß jede Gegenbemerkung vergeblich gewesen wäre, und faßte also sogleich seinen Entschluß.

«Es wird mir erlaubt sein, meine Frau davon in Kenntniß zu setzen?«fragte er.

«Oh! es ist Euch auch erlaubt, sie zu sehen, mein lieber O'Reilly; seid unbesorgt, Euere Gefangenschaft soll mild sein, und da jede Störung eine Schadloshaltung heischt, so nehmt außer dem Preise für die zwei Nestelstifte, diese Anweisung auf tausend Pistolen, damit Ihr leichter die Beschwerde vergeht, die ich Euch verursache.«

D'Artagnan konnte sich von seinem Erstaunen über diesen Minister nicht erholen, der mit vollen Händen Menschen und Millionen in Bewegung setzte.

Der Goldschmied schrieb an seine Frau und schickte ihr die Anweisung auf tausend Pistolen, mit dem Auftrag, ihm dagegen seinen geschicktesten Gesellen, ein Sortiment von Diamanten, die er ihr dem Gewicht und Titel nach bezeichnete, und eine Anzahl von Instrumenten, deren er bedurfte, zuzusenden.

Buckingham führte den Goldschmied in das für ihn bestimmte Zimmer, welches nach Verlauf einer halben Stunde in eine Werkstätte verwandelt war; dann stellte er eine Wache vor jede Thüre mit dem strengen Verbot, irgend Jemand außer seinem Kammerdiener Patrice einzulassen. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß es dem Goldschmied O'Reilly und seinem Gehülfen unter keinem Vorwand gestattet war, den Palast zu verlassen.

Nachdem der Herzog diesen Punkt geordnet hatte, kehrte er zu d'Artagnan zurück.

«Nun, mein junger Freund, «sprach er,»nun gehört England uns beiden; was wollt Ihr, was wünscht Ihr?«

«Ein Bett, «antwortete d'Artagnan;»das ist in diesem Augenblick für mich das wesentlichste Bedürfniß.«

Buckingham gab d'Artagnan ein Zimmer, das an das seinige stieß. Er wollte den jungen Mann bei der Hand behalten, nicht als ob er ihm mißtraut hätte, sondern um einen Menschen bei sich zu haben, mit dem er beständig von der Königin sprechen konnte.

Eine Stunde nachher wurde in London der Befehl verkündigt, kein nach Frankreich bestimmtes Schiff aus den Häfen auslaufen zu lassen, nicht einmal das Briefpaquetboot. Dies war in Aller Augen eine Kriegserklärung zwischen den zwei Königreichen.

Am zweiten Tag um elf Uhr waren die diamantenen Nestelstifte vollendet und so genau nachgeahmt, so vollkommen ähnlich, daß Buckingham die neuen nicht von den alten unterscheiden konnte, und daß das geübteste Kennerauge sich getäuscht hätte.

Sogleich ließ der Herzog d'Artagnan rufen.

«Hier sind die diamantenen Nestelstifte, die Ihr holen wolltet. Seid mein Zeuge, daß ich Alles gethan habe, was in der Macht eines Menschen lag.«

«Seid unbesorgt, Mylord, ich werde erzählen, was ich gesehen habe, aber Ew. Herrlichkeit legen die Nestelstifte nicht wieder in das Kistchen.«

«Das Kistchen wäre unbequem für Euch. Ueberdies ist es für mich um so kostbarer, als es mir allein bleibt. Ihr werdet sagen, daß ich es behalte.«

«Euer Auftrag soll Wort für Wort vollzogen werden, Mylord.«

«Und nun, «sprach Buckingham und schaute dabei den jungen Mann fest an,»wie soll ich meine Schuld gegen Euch abtragen?«

D'Artagnan erröthete bis unter das Weiß der Augen. Er sah, daß der Herzog ihn bewegen wollte, irgend etwas anzunehmen, und der Gedanke, daß das Blut seiner Gefährten und das seinige mit englischem Golde bezahlt werden sollte, widerstrebte ganz und gar seiner Denkungsart.

«Verständigen wir uns, Mylord, «versetzte d'Artagnan,»wägen wir die Umstände vorher genau ab, damit nicht nachher ein Mißverständniß daraus entstehe. Ich bin im Dienste des Königs und der Königin von Frankreich und gehöre zu der Gardekompagnie des Herrn des Essarts, welcher, wie sein Schwager, Herr von Treville, Ihren Majestäten ganz besonders ergeben ist. Ich habe also Alles für die Königin und nichts für Ew. Herrlichkeit gethan. Ueberdieß hätte ich vielleicht von Allem dem gar nichts ausgeführt, wenn es sich nicht darum gehandelt hätte, einer Person angenehm zu sein, welche meine Dame ist, wie die Königin die Eure.«

«Ja, «sprach der Herzog lächelnd,»und ich glaube sogar die andere Person zu kennen; es ist…«

«Mylord, ich habe sie nicht genannt, «unterbrach ihn der junge Mann lebhaft.

«Das ist wahr, «sprach der Herzog.»Also muß ich dieser Person für Eure Aufopferung dankbar sein?«

«Ihr habt es gesagt, Mylord; denn gerade zu dieser Stunde, wo von einem Krieg die Rede ist, gestehe ich, daß ich in Ew. Herrlichkeit nur einen Engländer und folglich einen Feind sehe, dem ich noch viel lieber auf dem Schlachtfeld, als im Park von Windsor oder in den Gängen des Louvre begegnen würde, was mich indessen nicht abhalten soll, meine Sendung zu vollziehen und mich nötigenfalls in Erfüllung derselben tödten zu lassen; aber ich wiederhole Ew. Herrlichkeit, daß Ihr mir persönlich ebenso wenig für das zu danken habt, was ich bei diesem zweiten Zusammentreffen für mich thue, als für das, was ich bei dem ersten für Euch gethan habe.«

«Wir sagen: ›Stolz wie ein Schottländer,‹ murmelte Buckingham.

«Und wir sagen: ›Stolz wie ein Gascogner,‹ antwortete d'Artagnan.»Die Gascogner sind die Schottländer Frankreichs.«

D'Artagnan verbeugte sich vor dem Herzog und schickte sich an zu gehen.

«Nun? Ihr geht, wie Ihr da seid! Auf welchem Wege, wie?«

«Das ist wahr!«

«Gott verdamm mich! die Franzosen bedenken gar nichts.«

«Ich hatte vergessen, daß England eine Insel ist, und daß Ihr der König derselben seid.«

«Geht in den Hafen, fragt nach der Brigg Sund, stellt dem Kapitän diesen Brief zu; er wird Euch nach einer Bucht führen, wo man Euch gewiß nicht erwartet, und wo gewöhnlich nur Fischerschiffe landen.«

«Wie heißt diese Bucht?«

«Saint Valery. Doch wartet: hier angelangt, geht Ihr in eine schlechte Herberge ohne Namen und Schild, in eine wahre Matrosenschenke; Ihr könnt Euch nicht täuschen; es giebt nur eine daselbst.«

«Hernach?«

«Ihr fragt nach dem Wirthe und sagt ihm: Forward.«

«Was soll das heißen?«

«Vorwärts: das ist das Losungswort. Er wird Euch ein gesatteltes Pferd geben und den Weg nennen, den Ihr einzuschlagen habt; auf dieselbe Art findet Ihr vier Relais auf Euerer Route. Wenn Ihr wollt, so gebt Ihr jedem derselben Eure Adresse in Paris, und die vier Pferde werden Euch dahin folgen. Zwei davon kennt Ihr bereits und es schien mir, Ihr wußtet sie als Liebhaber zu schätzen. Es sind die beiden, welche wir ritten. Glaubt mir, die zwei andern stehen nicht hinter ihnen zurück. Diese vier Pferde sind für das Feld ausgerüstet. So stolz Ihr auch sein mögt; werdet Ihr Euch doch nicht weigern, eines für Euch und die drei andern für Eure Gefährten anzunehmen. Ihr nehmt sie ja, um damit Krieg gegen uns zu führen. Der Zweck heiligt das Mittel, wie ihr Franzosen sagt, nicht wahr?«

«Ja, Mylord, ich nehme Euer Anerbieten an, «sprach d'Artagnan,»und wir werden, wenn es Gott gefällt, einen guten Gebrauch von Euren Geschenken machen.«

«Nun, Eure Hand, junger Mann, vielleicht treffen wir uns bald auf dem Schlachtfelde, mittlerweile scheiden wir gewiß als gute Freunde.«

«Ja, Mylord, aber in der Hoffnung, bald Feinde zu werden.«

«Seid ruhig, ich verspreche es Euch.«

«Ich baue auf Euer Wort, Mylord.«

D'Artagnan verbeugte sich vor dem Herzog und lief rasch nach dem Hafen.

Dem Tower von London gegenüber fand er das bezeichnete Schiff, stellte den Brief dem Kapitän zu, der ihn von dem Hafengouverneur visiren ließ und sogleich unter Segel ging.

Fünfzig Schiffe warteten zum Auslaufen bereit. Als d'Artagnan Bord an Bord an einem derselben vorüberfuhr, glaubte er die Frau von Meung zu erkennen, dieselbe, welche der unbekannte Edelmann Mylady genannt, und die er selbst so schön gefunden hatte.

Aber mit Hülfe der raschen Strömung und eines guten Windes ging das Schiff so geschwind, daß er in einem Augenblick den übrigen Fahrzeugen aus dem Auge war.

Am andern Tage gegen neun Uhr Morgens ankerte man vor Saint Valery.

D'Artagnan wandte sich sogleich nach der bezeichneten Herberge und erkannte dieselbe aus dem Geschrei, welches daraus hervordrang; man sprach von dem Krieg zwischen England und Frankreich als von einer nahe bevorstehenden und unzweifelhaften Sache, und die Matrosen feierten zum Voraus ein lustiges Gelage.

D'Artagnan durchschritt die Menge, ging auf den Wirth zu und sprach das Wort» Forward«aus. Sogleich deutete ihm der Wirth durch ein Zeichen an, er möge ihm folgen, entfernte sich mit ihm durch eine Thüre, welche nach dem Hofe ging, führte ihn in den Stall, wo ein völlig gesatteltes und aufgezäumtes Pferd seiner harrte und fragte ihn, ob er sonst noch etwas bedürfe.

«Ich brauche nur den Weg kennen zu lernen, den ich einzuschlagen habe, «sagte d'Artagnan.

«Geht von hier nach Blangy, und von Blangy nach Neufchatel. In Neufchatel steigt an der Herberge zur goldenen Egge ab, sagt dem Wirthe das Losungswort, und Ihr werdet wie hier ein Pferd mit Sattel und Zeug finden.«

«Habe ich Euch etwas zu entrichten?«fragte d'Artagnan.

«Es ist Alles bezahlt, «antwortete der Wirth,»und zwar reichlich. Geht also, und Gott geleite Euch.«

«Amen!«erwiederte der junge Mann und ritt im Galopp von dannen.

Vier Stunden später war er in Neufchatel.

Er befolgte streng die Instruktion, welche er erhalten hatte. In Neufchatel, wie zuvor in Saint Valery, fand er ein Pferd mit Sattel und Zeug, das seiner harrte. Er wollte die Pistolen aus dem Sattel nehmen, den er verließ, und in den andern übertragen; die Halfter waren bereits mit ähnlichen Pistolen ausgerüstet.

«Eure Adresse in Paris?«—»Hotel der Garden, Kompagnie des Essarts.«—»Gut, «antwortete der Wirth. — »Welche Route soll ich nehmen?«fragte d'Artagnan.

«Die von Rouen. Ihr laßt aber die Stadt zu Eurer Rechten. In dem kleinen Dorfe Ecouis haltet Ihr an. Es giebt dort nur eine Herberge, die zum französischen Thaler. Beurtheilt sie nicht nach ihrem Aussehen. In ihrem Stalle findet Ihr ein Pferd, das so viel werth ist, wie dieses.«

«Dasselbe Losungswort?«—»Ganz dasselbe.«—»Gott befohlen, Meister!«—»Glückliche Reise, edler Herr. Bedürft Ihr sonst noch etwas?«

D'Artagnan machte mit dem Kopf ein verneinendes Zeichen und gab seinem Pferde die Sporen. In Ecouis wiederholte sich dieselbe Scene. Er fand einen eben so zuvorkommenden Wirth, ein frisches, ausgeruhtes Pferd, ließ seine Adresse zurück, wie er es vorher gethan hatte, und ritt mit derselben Eile nach Pontoise. In Pontoise wechselte er zum letzten Male, und um neun Uhr Abends sprengte er in vollem Galopp in den Hof des Herrn von Treville. Er hatte beinahe sechszig Lieues in zwölf Stunden zurückgelegt.

Herr von Treville empfing ihn, als ob er ihn an demselben Morgen gesehen hätte, nur drückte er ihm die Hand etwas lebhafter, als gewöhnlich. Er theilte ihm mit, daß die Kompagnie des Herrn des Essarts im Louvre die Wache habe, und daß er sich sogleich auf seinen Posten begeben könne.



XXII. Das Ballet der Merlaison

Am folgenden Tag sprach man in allen Straßen von Paris nur von dem Ball, den die Herren Schöppen der Stadt dem König und der Königin gaben, und wobei Ihre Majestäten das berühmte Ballet der Merlaison, das Lieblingsballet des Königs, tanzen sollten.

Man traf wirklich seit acht Tagen im Stadthaus alle Anstalten zu dieser feierlichen Soiree. Der Stadtwerkmeister hatte Gerüste aufgeschlagen, auf welchen die eingeladenen Damen ihre Plätze bekommen sollten. Die Krämer der Stadt hatten die Säle mit zweihundert Flambeaux von weißem Wachs geschmückt, was in jener Zeit als ein unerhörter Luxus zu betrachten war; endlich waren zwanzig Geiger bestellt worden, und man hatte ihnen das Doppelte des gewöhnlichen Lohnes bewilligt, in Betracht — sagt der Bericht — daß sie die ganze Nacht spielen mußten.

Um zehn Uhr Morgens erschien der Sieur de la Coste, Fähnrich der Garden des Königs, gefolgt von zwei Gefreiten und von mehreren Leibbogenschützen, und forderte von dem Rathsschreiber der Stadt, Namens Clement, alle Schlüssel der Thüren, der Zimmer und Bureaux des Stadthauses. Diese Schlüssel wurden ihm sogleich zugestellt. An jedem derselben war ein Zettelchen befestigt, damit man sich auskennen sollte, und von diesem Augenblick an war dem Sieur de la Coste die Bewachung aller Thüren und Zugänge übertragen.

Um elf Uhr kam du Hallier, Kapitän der Garden, mit fünfzig Bogenschützen, die sich sogleich in dem Stadthaus an den Thüren, die man ihnen bezeichnete, aufstellten.

Um drei Uhr langten zwei Kompagnien Garden an, eine französische und eine schweizerische. Die Kompagnie der französischen Garden bestand zur Hälfte aus der Mannschaft des Herrn du Hallier, zur Hälfte aus der des Herrn des Essarts.

Um sechs Uhr fingen die Eingeladenen an einzutreten. Bei ihrem Eintritt wurden ihnen Plätze im großen Saal auf den hiezu bestimmten Gerüsten angewiesen.

Um neun Uhr traf die Gemahlin des ersten Präsidenten ein. Da diese nach der Königin die bedeutendste Person des Festes war, so wurde sie von den Herren der Stadt empfangen und in die Loge derjenigen gegenüber geführt, welche die Königin einnehmen sollte.

Um zehn Uhr trug man in dem kleinen Saal, auf der Seite der St. Jean-Kirche, und zwar dem silbernen Büffet der Stadt gegenüber, das von vier Bogenschützen bewacht wurde, das Zuckerwerk für den König auf.

Um Mitternacht hörte man einen gewaltigen Lärmen und zahlreiche Zurufe. Es war der König, welcher durch die Straßen zog, die vom Louvre nach dem Stadthause führten und insgesammt durch farbige Lampen beleuchtet waren.

Die Herren Schöppen, vor denen Sergenten mit Fackeln in den Händen einhergingen, eilten, in ihre Tuchgewänder gekleidet, dem König bis auf die Treppe entgegen, wo ihn der Prevot der Kaufleute mit einer Anrede bewillkommte, die der König dadurch erwiederte, daß er sein spätes Erscheinen entschuldigte, und die Schuld auf den Herrn Kardinal schob, der ihn bis elf Uhr mit Staatsangelegenheiten aufgehalten habe.

Se. Majestät erschien in großer Gala, und sein Gefolge bestand aus Sr. Königl. Hoheit Monsieur, dem Grafen von Soissons, dem Großprior, dem Herzog von Longueville, dem Herzog d'Elbeuf, dem Grafen d'Harcourt, dem Grafen de la Roch-Guyon, Herrn von Liancourt, Herrn von Baradas, dem Grafen von Cramail und dem Chevalier Souveray. Jedermann bemerkte, daß der König traurig und mißgestimmt war.

Man hatte ein Kabinet für den König und ein anderes für Monsieur bereitet; in jedem von diesen Kabineten lagen Maskenkleider.

Dasselbe hatte man für die Königin und die Frau Präsidentin gethan. Die Herren und Damen vom Gefolge Ihrer Majestäten sollten sich zwei und zwei in Zimmern ankleiden, welche zu diesem Ende eingerichtet waren.

Ehe der König in das Kabinet eintrat, gab er Befehl, ihn sogleich zu benachrichtigen, wenn der Herr Kardinal erscheinen würde.

Eine halbe Stunde nach dem Eintritt des Königs ertönten neue Zurufe; diese verkündeten die Ankunft der Königin; die Schöppen der Stadt thaten dasselbe, was sie bereits gethan hatten, und gingen, Sergenten voran, ihrem erhabenen Gaste entgegen.

Die Königin erschien im Saal. Man bemerkte, daß sie, wie der König, traurig und angegriffen aussah.

Im Augenblick, wo sie eintrat, öffnete sich der Vorhang einer kleinen Tribüne, die bis jetzt geschlossen gewesen war, und man erblickte den bleichen Kopf Richelieu's, der die Tracht eines spanischen Cavaliers angelegt hatte. Seine Augen hefteten sich auf die der Königin und ein Lächeln furchtbarer Freude umzuckte seine Lippen: die Königin trug ihre diamantenen Nestelstifte nicht.

Die Königin verweilte einige Zeit, um die Komplimente der Herren der Stadt in Empfang zu nehmen und die Begrüßungen der Damen zu erwidern.

Plötzlich erschien der König mit dem Kardinal an einer der Saalthüren. Der Kardinal sprach sehr leise mit ihm und der König war äußerst bleich.

Der König durchschritt die Menge; er war ohne Maske und hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, die Bänder seines Wammses knüpfen zu lassen; so näherte er sich der Königin und sprach mit erschütternder Stimme zu ihr:

«Madame, wenn ich fragen darf, warum tragt Ihr Euere diamantenen Nestelstifte nicht, da Ihr doch wißt, daß es mir angenehm gewesen wäre, dieselben zu sehen?«

Die Königin schaute um sich her und erblickte hinter sich den Kardinal, der mit wahrhaft teuflischer Miene lächelte.

«Sire, «antwortete die Königin mit bebender Stimme,»ich fürchtete, unter dieser großen Menschenmasse könnte mir damit ein Unglück begegnen.«

«Und Ihr habt Unrecht gehabt, Madame. Wenn ich Euch dieses Geschenk machte, so geschah es, damit Ihr Euch damit schmücken solltet. Ich wiederhole, Ihr habt Unrecht gehabt.«

Die Stimme des Königs zitterte vor Zorn. Jedermann sah und hörte mit Erstaunen und Niemand begriff, was vorging.

«Sire, «sagte die Königin,»ich kann sie im Louvre holen lassen, um den Wünschen Ew. Majestät zu entsprechen.«

«Thut das, Madame, thut das, und zwar so bald als möglich; denn in einer Stunde beginnt das Ballet.«

Die Königin verbeugte sich, um damit ihre Folgsamkeit anzudeuten, und begab sich mit ihren Damen in das für sie bestimmte Kabinet.

Der König kehrte ebenfalls in das seinige zurück.

Es herrschte einen Augenblick Unruhe und Verwirrung im Saale.

Jedermann konnte bemerken, daß etwas zwischen dem König und der Königin vorging; aber beide sprachen so leise, daß sich alle Anwesenden aus Ehrfurcht einige Schritte zurückzogen und somit Niemand etwas vernahm. Die Geigen ertönten mit aller Gewalt aber Niemand hörte sie.

Der König trat zuerst aus seinem Kabinet. Er trug ein äußerst elegantes Jagdcostüm, und Monsieur und die übrigen Großen hatten sich ebenso gekleidet. Es war dies das Costüm, welches dem König am besten stand, und worin er allerdings der erste Edelmann seines Königreichs zu sein schien.

Der Kardinal näherte sich dem König und übergab ihm ein Etui, der König öffnete es und fand darin zwei diamantene Nestelstifte.

«Was soll das bedeuten?«fragte er den Kardinal.

«Nichts, «antwortete dieser;»wenn die Königin Nestelstifte trägt, woran ich zweifle, so zählt sie, Sire, und wenn Ihr nur zehn findet, so fragt Ihre Majestät, wer ihr die Stifte, die Ihr hier in Händen habt, genommen haben könne.«

Der König schaute den Kardinal forschend an, aber er hatte nicht Zeit, eine Frage an ihn zu richten, ein Schrei der Verwunderung drang aus dem Munde aller Anwesenden. Schien der König der erste Edelmann seines Reiches zu sein, so war die Königin sicherlich die schönste Frau Frankreichs.

Die Tracht einer Jägerin stand ihr allerdings wunderbar schön. Sie trug einen Filzhut mit blauen Federn, ein durch Diamant-Agraffen befestigtes perlgraues Sammetoberkleid und ein durchaus mit Silber gesticktes Unterkleid von blauer Seide. Auf ihrer linken Schulter glänzten die Nestelstifte, gehalten von einer Schleife von derselben Farbe wie die Federn und das Unterkleid.

Der König bebte vor Freude, der Kardinal vor Zorn; doch in der Entfernung, in der sie von der Königin standen, konnten sie die Stifte nicht zählen. Die Königin hatte sie, so viel war gewiß; nur fragte es sich, hatte sie zehn oder zwölf?

In diesem Augenblick gaben die Geigen das Zeichen zum Ballet. Der König schritt gegen die Frau Präsidentin vor, mit der er tanzen sollte, und seine Hoheit Monsieur näherte sich der Königin. Man stellte sich in Ordnung und das Ballet begann.

Der König figurirte der Königin gegenüber, und so oft er an ihr vorüberkam, verschlang er mit seinen Blicken die Nestelstifte, die er nicht abzuzählen vermochte. Kalter Schweiß bedeckte die Stirne des Kardinals.

Das Ballet dauerte eine Stunde; es hatte sechszehn Entres.

Sobald das Ballet vorüber war, führte jeder Herr unter dem Beifallklatschen des ganzen Saales seine Dame an ihren Platz. Aber der König benützte das ihm zukommende Vorrecht, seine Dame da zu lassen, wo er sich gerade befand, um lebhaft auf die Königin zuzugehen.

«Ich danke Euch Madame, «sprach er,»für die Bereitwilligkeit, mit der Ihr meinen Wünschen Folge geleistet habt, aber ich glaube, es fehlen Euch zwei Nestelstifte, die ich Euch hier überbringe.«

Bei diesen Worten überreichte er die zwei Stifte, die ihm der Kardinal gegeben hatte.

«Wie, Sire!«sagte die Königin, die Erstaunte spielend,»Ihr gebt mir noch zwei andere, dann habe ich vierzehn.«

Der König zählte wirklich, und die zwölf Nestelstifte fanden sich an der Schulter Ihrer Majestät.

Der König rief den Kardinal und fragte in strengem Tone:»Ei, was soll das bedeuten, Herr Kardinal?«

«Sire, «antwortete der Kardinal,»das bedeutet, daß ich der Königin gerne diese Stifte verehrt hätte, und da ich es nicht wagte, dieselben Ihrer Majestät anzubieten, so wählte ich dieses Mittel.«

«Und ich bin Ew. Eminenz hiefür um so mehr zu Dank verpflichtet, «antwortete Anna von Oesterreich mit einem Lächeln, welches bewies, daß sie sich durchaus nicht von dieser geistreichen Galanterie täuschen ließ,»als ich die Ueberzeugung hege, daß diese zwei Stifte allein Euch mehr kosten, als die zwölf andern Seine Majestät gekostet haben.«

Dann zog sich die Königin, nachdem sie den König und den Kardinal gegrüßt hatte, wieder in das Zimmer zurück, wo sie sich angekleidet hatte und wo sie sich entkleiden sollte.

Die Aufmerksamkeit, welche wir am Anfang dieses Kapitels den von uns eingeführten hohen Personen schenken mußten, entfernte uns einen Augenblick von demjenigen, welchem Anna von Oesterreich den unerhörten Triumph zu verdanken hatte, den sie über den Kardinal davon trug, und der unbekannt, verloren unter der an der Thür sich drängenden Menge, diese Scene betrachtete, welche nur für vier Personen, für den König, die Königin, Seine Eminenz und ihn begreiflich war.

Die Königin hatte ihr Zimmer wieder erreicht und d'Artagnan schickte sich an abzugehen, als er fühlte, daß man leicht seine Schulter berührte; er wandte sich um und sah eine junge Frau, die ihn durch ein Zeichen aufforderte, ihr zu folgen. Das Gesicht dieser jungen Frau war mit einer schwarzen Sammetmaske bedeckt; aber trotz dieser Vorsichtsmaßregel, welche übrigens mehr Andern als ihm galt, erkannte er sogleich seine gewöhnliche Führerin, die heitere und geistreiche Frau Bonacieux.

Am Tag vorher hatten sie sich kaum bei dem Schweizer Germain, wohin sie d'Artagnan hatte rufen lassen, gesprochen, Die junge Frau eilte so sehr, der Königin die vortreffliche Nachricht von der Rückkehr ihres Boten zu überbringen, und somit konnten die beiden Liebenden nur sehr wenige Worte mit einander wechseln. Von einer doppelten Empfindung, von Liebe und Neugierde getrieben, folgte d'Artagnan Frau Bonacieux. Auf dem ganzen Weg und als es in den Hausfluren öde wurde, wollte d'Artagnan die junge Frau anhalten, ergreifen, betrachten, wenn auch nur für einen Augenblick; aber lebhaft wie ein Vogel entschlüpfte sie stets seinen Händen, und wenn er sprechen wollte, wurde er durch ihren, mit einer kleinen gebieterischen Miene voll Liebreiz auf den Mund gelegten Finger daran erinnert, daß er unter der Herrschaft einer Macht stand, der er blindlings gehorchen mußte und die ihm auch die leiseste Klage untersagte. Nachdem Beide ein paar Minuten lang die Kreuz und Quer gegangen waren, öffnete Frau Bonacieux eine Thüre und führte den jungen Mann in ein völlig dunkles Kabinet. Hier gab sie ihm ein neues Zeichen, stumm zu bleiben, schloß eine zweite, unter einer Tapete verborgene, Thüre auf, deren Oeffnung plötzlich ein lebhaftes Licht verbreitete, und verschwand.

D'Artagnan blieb einen Augenblick unbeweglich und fragte sich, wo er wäre; aber ein Lichtstrahl, der aus diesem Zimmer drang, die warme und von Wohlgerüchen geschwängerte Lust, die an ihn heranströmte, die Unterhaltung mehrerer Frauen in zugleich ehrfurchtsvoller und zierlicher Sprache, das mehrmals wiederholte Wort Majestät zeigten ihm plötzlich ganz klar, daß er sich in einem an das Zimmer der Königin stoßenden Kabinet befand.

Der junge Mann blieb im Schatten stehen und wartete der Dinge, die da kommen sollten.

Die Königin schien heiter und glücklich, worüber die Personen ihrer Umgebung ohne Zweifel gewaltig staunten, da sie im Gegenteil gewöhnlich beinahe kummervoll aussah. Die Königin schrieb dieses heitere Gefühl der Schönheit des Festes, dem Vergnügen, das ihr das Ballet verursacht habe, zu, und da es nicht erlaubt ist, einer Königin zu widersprechen, so überboten sich alle in Lobeserhebungen über die Galanterie der Herren Schöppen der Stadt Paris.

Obgleich d'Artagnan die Königin nicht kannte, so unterschied er doch bald ihre Stimme von den übrigen, einmal an dem etwas fremdartigen Accent und dann an jenem Gefühl der Oberherrschaft, das allen fürstlichen Reden ein eigenthümliches Gepräge verleiht. Er hörte, wie sie sich der offenen Thüre näherte und sich von derselben entfernte. Er sah sogar zwei- oder dreimal, wie der Schatten eines Körpers das Licht unterbrach. Endlich kamen plötzlich eine Hand und ein Arm von bewunderungswürdiger Form und Weiße durch die Tapete hervor. D'Artagnan begriff, daß dieß seine Belohnung war. Er warf sich auf ein Knie, ergriff diese Hand und drückte ehrfurchtsvoll seine Lippen darauf. Dann zog sich diese Hand zurück und ließ in der seinigen einen Gegenstand, in welchem er einen Ring erkannte. Alsbald schloß sich die Thüre wieder und d'Artagnan befand sich in völliger Finsterniß.

D'Artagnan steckte den Ring an seinen Finger und wartete abermals. Offenbar war noch nicht Alles zu Ende. Auf die Belohnung seiner Ergebenheit mußte der Lohn seiner Liebe folgen. Das Ballet war allerdings getanzt, aber das Fest hatte kaum seinen Anfang genommen. Man speiste um drei Uhr zu Nacht und die Glocke von St. Jean hatte bereits vor einiger Zeit drei Viertel nach zwei geschlagen.

Der Lärm der Stimmen nahm in der That in dem anstoßenden Zimmer allmählig ab. Dann hörte man, wie er sich entfernte; die Thüre des Kabinets, in welchem sich d'Artagnan befand, öffnete sich wieder und Frau Bonacieux trat heraus.

«Endlich kommt Ihr!«rief d'Artagnan.

«Stille!«sprach die junge Frau und legte ihre Hand auf seine Lippen;»stille! und geht auf demselben Weg zurück, aus dem Ihr gekommen seid.«

«Aber wo und wann werde ich Euch wiedersehen?«rief d'Artagnan.

«Ein Billet, das Ihr bei Eurer Rückkehr zu Hause findet, wird Euch das sagen. Geht, geht!«

Bei diesen Worten öffnete sie die Flurthüre und drängte d'Artagnan aus dem Kabinet.

D'Artagnan gehorchte wie ein Kind ohne Widerstand, ohne Einwendung, woraus hervorgeht, daß er wirklich sehr verliebt war.


XXIII. Das Rendezvous

D'Artagnan lief in aller Eile nach Haus, und obgleich es Morgens drei Uhr war und er die abscheulichsten Quartiere von Paris zu durchwandern hatte, begegnete ihm doch nichts Schlimmes. Bekanntlich wacht ein Gott über den Trunkenen und Verliebten.

Er fand die Thüre zu seinem Gange halb offen, stieg die Treppe hinauf und klopfte auf eine zwischen ihm und seinem Lakaien abgemachte Weise sachte an. Planchet, den er zwei Stunden vorher mit dem Befehl, auf ihn zu warten, aus dem Stadthaus zurückgeschickt hatte, öffnete ihm.

«Hat Jemand einen Brief für mich gebracht?«fragte d'Artagnan lebhaft.

«Niemand hat einen Brief gebracht, gnädiger Herr, «antwortete Planchet;»aber es ist einer ganz allein gekommen.«

«Was willst Du damit sagen, Dummkopf?«

«Ich will damit sagen, daß ich bei meiner Rückkehr, obgleich ich den Schlüssel Eurer Wohnung in der Tasche hatte, und dieser nicht aus derselben gekommen war, auf dem grünen Teppich des Tisches in Eurem Schlafzimmer einen Brief gefunden habe.«

«Und wo ist dieser Brief?«

«Ich ließ ihn, wo er war, gnädiger Herr. Es geht nicht mit natürlichen Dingen zu, daß Briefe auf diese Art zu den Leuten kommen. Wäre wenigstens das Fenster offen oder nur auch halb geöffnet gewesen, so würde ich nichts sagen. Aber nein, Alles war hermetisch verschlossen. Seid auf Eurer Hut, Herr, denn sicherlich ist hiebei ein Zauberwerk im Spiele. «Während dieser Zeit stürzte der junge Mann in das Zimmer und öffnete den Brief. Er war von Frau Bonacieux und in folgenden Worten abgefaßt:

«Man hat Euch lebhaften Dank abzustatten und zu überbringen. Findet Euch diesen Abend gegen zehn Uhr in St. Cloud vor dem Pavillon ein, der sich an der Ecke des Hauses von Herrn d'Estrées erhebt.

C. B.«


Als d'Artagnan diesen Brief las, fühlte er, wie sich sein Herz unter jenem süßen Kampfe, der Liebende quält und liebkost, erweiterte und zusammenschnürte.

Es war der erste Liebesbrief, den er erhielt, das erste Rendezvous, das ihm bewilligt wurde. Von der Trunkenheit der Freude übervoll, war sein Herz nahe daran, auf der Schwelle des irdischen Paradieses, das man Liebe nennt, zu brechen.

«Nun, gnädiger Herr, «sagte Planchet, der seinen Gebieter bald blaß, bald roth werden sah:»Nicht wahr, ich habe richtig errathen, es ist eine abscheuliche Geschichte?«

«Du täuschest Dich, Planchet, «antwortete d'Artagnan,»und zum Beweis hast Du hier einen Thaler, um meine Gesundheit dafür zu trinken.«

«Ich danke dem gnädigen Herrn für den Thaler, den er mir gibt, und verspreche ihm seine Anweisung pünktlich zu befolgen; darum ist es aber nicht minder wahr, daß Briefe, welche auf diese Art in die geschlossenen Häuser kommen…«

«Vom Himmel fallen, mein Freund, vom Himmel fallen.«

«Der gnädige Herr ist also zufrieden?«fragte Planchet.

«Mein lieber Planchet, ich bin der glücklichste der Sterblichen.«

«Und ich darf das Glück des gnädigen Herrn benützen, um mich schlafen zu legen?«

«Ja, geh.«

«Alle Segnungen des Himmels mögen auf den gnädigen Herrn herabströmen, darum ist es aber nicht minder wahr, daß dieser Brief…«

Und Planchet entfernte sich, den Kopf schüttelnd und mit einer Miene des Zweifels, den d'Artagnans Großmuth nicht gänzlich zu beseitigen vermocht hatte.

Allein in seinem Zimmer, las d'Artagnan das Billet wieder und wieder. Dann küßte er wohl zwanzigmal diese von seiner schönen Geliebten geschriebenen Zeilen. Endlich legte er sich nieder, entschlummerte und träumte goldene Träume.

Um sieben Uhr Morgens stand er auf und rief Planchet, der, mit noch einigen Spuren von der gestrigen Ausschweifung im Gesicht, auf den zweiten Ruf die Thüre öffnete.

«Planchet, «sagte d'Artagnan zu ihm,»ich entferne mich vielleicht für den ganzen Tag. Du bist also bis sieben Uhr Abends frei; aber um sieben Uhr halte Dich mit zwei Pferden bereit.«—»Ah, gnädiger Herr, «sprach Planchet,»es scheint, wir wollen uns die Haut noch an verschiedenen Stellen durchstechen lassen.«—»Du nimmst Deine Muskete und Deine Pistolen.«—»Schön, sagte ich's doch!«rief Planchet.»Dahinter steckt ganz bestimmt der verdammte Brief.«—»Sei ruhig, alberner Tropf, es handelt sich ganz einfach um eine Vergnügungspartie.«—»Ja, wie bei den Lustreisen von neulich, wo es Kugeln regnete und die Wolfsfallen blühten.«—»Wenn Du übrigens Furcht hast, Planchet, «sprach d'Artagnan,»so werde ich allein gehen. Ich will lieber allein reisen, als einen zitternden Gefährten bei mir haben.«—»Der gnädige Herr thut mir Unrecht, «sagte Planchet;»es scheint mir doch, er hat mich bei der Arbeit gesehen.«—»Ja, aber ich glaubte. Du hättest all Deinen Muth auf einmal verbraucht.«—»Der gnädige Herr wird sehen, daß ich vorkommenden Falls noch übrig habe, nur bitte ich, nicht zu verschwenderisch damit umzugehen, wenn mir noch lange etwas davon bleiben soll.«—»Meinst Du, Du könnest heute Abend noch eine gewisse Summe ausgeben?«—»Ich hoffe es.«—»Gut, ich zähle auf Dich.«—»Zur genannten Stunde werde ich bereit sein. Ich glaubte nur, der gnädige Herr hätte nur ein Pferd im Stalle der Garden.«—»Vielleicht findet sich in diesem Augenblick nur eines daselbst, aber diesen Abend werden vier dort sein.«—»Unsere Reise war, scheint es, eine Remonte-Reise?«—»Ganz richtig, «sagte d'Artagnan, schärfte Planchet seinen Austrag durch eine Geberde noch einmal ein und entfernte sich.

Herr Bonacieux stand an seiner Thür. D'Artagnan wollte vorbeigehen, ohne mit dem würdigen Krämer zu sprechen; aber dieser grüßte ihn so zuckersüß und freundlich, daß sich der Miethsmann nicht nur genöthigt sah, den Gruß zurückzugeben, sondern auch ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen.

Wie sollte man nicht ein wenig Herablassung gegen einen Mann zeigen, dessen Frau einem für denselben Abend ein Rendezvous vor dem kleinen Pavillon des Herrn d'Estrées in St. Cloud gegeben hat? D'Artagnan näherte sich ihm mit der liebenswürdigsten Miene, die er anzunehmen im Stande war.

Man kam natürlich auf die Einkerkerung des armen Mannes zu sprechen. Herr Bonacieux, der nicht wußte, daß d'Artagnan seine Unterredung mit dem Manne von Meung gehört hatte, erzählte seinem jungen Miethsmanne die Verfolgungen dieses Ungeheuers von Laßmann, den er unabläßig während seiner Mittheilungen als den Henker des Kardinals bezeichnete, und verbreitete sich mit vielen Worten über die Bastille, die Riegel, die Pforten, die Luftlöcher, die Gitter und die Folterwerkzeuge.

D'Artagnan hörte ihm mit musterhafter Gefälligkeit zu und sagte, als er geendigt hatte:

«Und wie steht's mit Frau Bonacieux? Wißt Ihr, wer sie entführt hat? denn ich vergesse nicht, daß ich diesem unangenehmen Umstand die Ehre Eurer Bekanntschaft zu danken habe.«

«Ah!«rief Herr Bonacieux,»sie haben sich wohl gehütet, mir dies zu sagen, und meine Frau hat mir bei allen Göttern geschworen, daß sie nichts wisse. Aber Ihr selbst, «fuhr Bonacieux mit äußerst gutmüthigem Tone fort,»was ist mit Euch in allen diesen Tagen vorgegangen? Ich habe weder Euch, noch Eure Freunde gesehen, und Ihr habt wohl nicht auf dem Pflaster von Paris all den Staub gesammelt, den Planchet gestern aus Euren Stiefeln klopfte?«

«Ihr habt Recht, mein lieber Herr Bonacieux. Meine Freunde und ich machten eine kleine Reise.«

«Weit von hier?«

«O mein Gott, nein, höchstens vierzig Meilen; wir begleiteten Herrn Athos nach den Bädern von Forges, wo meine Freunde zurückgeblieben sind.«

«Und Ihr seid zurückgekehrt, nicht wahr?«versetzte Herr Bonacieux, indem er seinem Gesichte ein höchst witziges Aussehen zu geben trachtete.»Ein hübscher Junge, wie Ihr, erhält keine langen Urlaube von seiner Geliebten. Und wir wurden ungeduldig zurückerwartet, nicht wahr?«

«Meiner Treu, «erwiederte der junge Mann lachend,»ich gestehe Euch dies um so eher, mein lieber Herr Bonacieux, als ich sehe, daß man Euch nichts verbergen kann. Ja, ich wurde erwartet, und zwar sehr ungeduldig, das mögt Ihr glauben.«

Eine leichte Wolke zog über Bonacieux's Stirne, aber so leicht, daß es d'Artagnan nicht gewahr wurde.

«Und wir werden für unsern Eifer belohnt?«fuhr der Krämer mit einem beinahe unmerklichen Zittern seiner Stimme fort, einem Zittern, das d'Artagnan eben so wenig bemerkte, als die augenblickliche Wolke, welche einen Augenblick vorher das Antlitz des würdigen Mannes verdüstert hatte.

«Ah! schweigt doch, «sagte d'Artagnan lachend.

«Nein, «versetzte Bonacieux,»ich sage Euch dies nur, um zu erfahren, ob wir spät nach Hause kommen.«

«Warum diese Frage, mein lieber Wirth?«entgegnete d'Artagnan;»habt Ihr vielleicht im Sinn, auf mich zu warten?«

«Nein, aber seit meiner Verhaftung und dem Diebstahl, der bei mir begangen wurde, erschrecke ich, so oft ich eine Thüre öffnen höre, und zwar besonders bei Nacht. Verdammt! was wollt Ihr? Ich bin kein Kriegsmann.«

«Schon gut, erschreckt meinetwegen nicht, wenn ich erst um zwei oder drei Uhr zurückkehre; erschreckt nicht, wenn ich auch gar nicht nach Hause komme.«

Diesmal wurde Bonacieux so bleich, daß es d'Artagnan nicht entgehen konnte, weshalb er ihn auch fragte, was ihm sei.

«Nichts, «antwortete Bonacieux,»nichts; seit meinen Unglücksfällen bin ich Schwächen unterworfen, die mich plötzlich befallen, und es hat mich soeben ein Schauder überlaufen. Achtet nicht darauf, denn Ihr habt Euch doch nur damit zu beschäftigen, glücklich zu sein.«

«Dann habe ich Beschäftigung, denn ich bin es.«

«Noch nicht, wartet noch. Ihr sagtet diesen Abend.«

«Wohl, dieser Abend wird kommen, Gott sei Dank! Und Ihr erwartet ihn wohl mit eben so großer Ungeduld, als ich? Vielleicht wird Madame Bonacieux das eheliche Gemach besuchen.«

«Madame Bonacieux ist diesen Abend nicht frei, «erwiederte der Gatte sehr ernst;»sie wird durch ihren Dienst im Louvre zurückgehalten.«

«Desto schlimmer für Euch, mein lieber Wirth, desto schlimmer; wenn ich glücklich bin, wünsche ich, die ganze Welt wäre es; aber es scheint, das ist nicht möglich.«

Und der junge Mann entfernte sich, laut lachend über den Scherz, den er allein verstehen zu können glaubte.

«Unterhaltet Euch gut, «erwiederte Bonacieux mit einer Leichenstimme.

Aber d'Artagnan war bereits zu weit entfernt, um ihn zu hören, und hätte er ihn gehört, so würde er es in seiner Gemüthsstimmung gewiß nicht verstanden haben.

Er wandte sich nach dem Hotel des Herrn von Treville: sein Besuch war am Tag vorher, wie man sich erinnern wird, sehr kurz gewesen und hatte wenig Erläuterungen herbeigeführt.

Er fand Herrn von Treville in der vollen Freude seines Herzens. Der König und die Königin hatten sich auf dem Ball höchst freundlich gegen ihn benommen. Der Kardinal war allerdings unter dem Vorwand einer Unpäßlichkeit höchst verdrießlich gewesen. Er entfernte sich schon um ein Uhr Morgens. Ihre Majestäten kehrten erst um sechs Uhr in den Louvre zurück.

«Nun, «sprach Herr von Treville, die Stimme dämpfend und mit dem Blick alle Winkel des Zimmers durchforschend, um zu sehen, ob sie allein waren:»nun, sprechen wir von Euch, mein junger Freund, denn Eure glückliche Rückkehr spielt offenbar eine Rolle bei der Freude des Königs, bei dem Triumph der Königin und bei der Demüthigung Sr. Eminenz. Ihr müßt auf Eurer Hut sein.«—»Was habe ich zu fürchten?«antwortete d'Artagnan,»so lange ich mich des Glückes erfreue, bei Ihren Majestäten in Gunst zu stehen?«—»Glaubt mir. Alles. Der Kardinal ist nicht der Mann, eine Mystifikation zu vergessen, so lang er noch nicht mit dem Mystificirenden abgerechnet hat. Und dieser scheint mir ganz einem gewissen jungen Manne von meiner Bekanntschaft zu gleichen.«—»Glaubt Ihr, der Kardinal sei so gut unterrichtet, als Ihr, und wisse, daß ich in London gewesen bin?«—»Teufel! Ihr seid in London gewesen und von London habt Ihr diesen schönen Diamant mitgebracht, der an Eurem Finger glänzt? Nehmt Euch in Acht, mein lieber d'Artagnan. Es ist nichts Gutes um ein Geschenk von einem Feinde. Gibt es nicht hierüber einen lateinischen Vers?«… —»Ja, allerdings, «antwortete d'Artagnan, der nie die erste Regel der Elemente hatte in den Kopf bringen können und oft durch seine Unwissenheit seinen Lehrer in Verzweiflung brachte,»ja, allerdings, es gibt einen hierüber.«—»Ganz gewiß, «sprach Herr von Treville, dem es nicht an einem wissenschaftlichen Anstrich fehlte.»Und Herr von Benserade citirte mir ihn eines Tages… Geduld… ah! ich hab' es:

… Timeo Danaos et dona ferentes.

Das bedeutet:»Mißtrauet dem Feinde, wenn er Euch Geschenke gibt.«—»Dieser Diamant kommt nicht von einem Feinde, gnädiger Herr, «entgegnete d'Artagnan,»er kommt von der Königin.«—»Von der Königin! oh! oh!«sprach Herr von Treville;»das ist ein wahrhaft königlicher Juwel, der tausend Pistolen, wie einen Heller werth ist. Durch wen hat Euch die Königin dieses Geschenk zustellen lassen?«—»Sie hat es mir selbst übergeben.«—»Wo?«—»In dem Kabinet, welches an das Zimmer stößt, wo sie ihre Toilette wechselte.«—»Wie?«—»Indem sie mir die Hand zum Kusse reichte.«—»Ihr habt die Hand der Königin geküßt?«rief Herr von Treville d'Artagnan anschauend. — »Ihre Majestät hat mir die Ehre erzeigt, mir diese Gnade zu bewilligen.«—»Und dies in Gegenwart von Zeugen? Unvorsichtige, dreimal unvorsichtige Frau!«—»Nein, gnädiger Herr, seid unbesorgt. Niemand hat es gesehen, «erwiederte d'Artagnan und erzählte Herrn von Treville den Hergang der Sache. — »O die Weiber! die Weiber!«rief der alte Soldat,»ich erkenne sie an ihrer romanhaften Einbildungskraft. Alles entzückt sie, was geheimnißvoll klingt. Also habt Ihr nur den Arm gesehen, und nicht weiter? Ihr würdet der Königin begegnen und sie nicht wieder erkennen? Sie würde Euch begegnen und nicht wissen, wer Ihr seid?«—»Nein, aber durch diesen Diamant…«versetzte der junge Mann. — »Hört, «sprach Herr von Treville,»soll ich Euch einen Rath geben, einen guten Rath, einen Freundesrath?«—»Ihr werdet mir eine Ehre erweisen, gnädiger Herr, «sprach d'Artagnan. — »Wohl! so geht zu dem ersten besten Goldschmied und verkauft diesen Diamant um das, was er Euch dafür gibt! so jüdisch er auch sein mag, so werdet Ihr doch immerhin achthundert Pistolen dafür bekommen. Pistolen haben keinen Namen, junger Mann, aber dieser Ring hat einen furchtbaren Glanz, der seinen Träger verrathen kann.«—»Diesen Ring verkaufen! einen Ring, den ich von meiner Fürstin erhalten habe! nie!«sagte d'Artagnan. — »Dann dreht den Stein nach innen, armer Narr; denn man weiß, daß ein Junker aus der Gascogne keine solche Juwele in dem Schmuckkästchen seiner Mutter findet.«—»Ihr glaubt also, daß ich etwas zu befürchten habe?«fragte d'Artagnan. — »Das heißt, junger Mann, daß Derjenige, welcher auf einer Mine einschläft, deren Lunte angezündet ist, sich im Vergleich mit Euch für sicher halten darf.«—»Teufel!«sprach d'Artagnan, den der bestimmte Ton des Herrn von Treville zu beunruhigen anfing,»Teufel! und was soll ich thun?«—»Stets uns vor Allem auf Eurer Hut sein. Der Kardinal hat ein beharrliches Gedächtniß und eine lange Hand; glaubet mir, er wird Euch einen schlimmen Streich spielen.«—»Aber welchen?«—»Weiß ich es? Hat er nicht alle Ränke des Teufels in seinem Dienste? Das Geringste, was Euch widerfahren kann, ist, daß man Euch verhaftet.«—»Wie, man sollte es wagen, einen Mann im Dienste Seiner Majestät zu verhaften?«—»Bei Gott, hat man sich bei Athos viel darum bekümmert; glaubt jeden Falls, junger Thor, einem Manne, der seit dreißig Jahren bei Hofe lebt, entschlummert nicht in Eurer Sicherheit, oder Ihr seid verloren. Seht vielmehr im Gegentheil überall Feinde, das sage ich Euch. Sucht man einen Streit mit Euch, weicht aus, und wäre es ein Kind von zehn Jahren, das mit Euch anbinden wollte; greift man Euch bei Tag oder bei Nacht an, nehmt fechtend Euern Rückzug und schämt Euch dessen nicht; geht Ihr über eine Brücke, so betastet die Bretter, aus Furcht, es könnte etwas unter Euren Füßen weichen; kommt Ihr an einem Ort vorüber, wo man ein Haus baut, schaut in die Höhe, es könnte Euch ein Stein auf den Kopf fallen; kehrt Ihr spät in der Nacht heim, so laßt Euch von Eurem Bedienten begleiten, und dieser sei bewaffnet, wenn Ihr Euch überhaupt auf Euren Bedienten verlassen könnt. Mißtraut aller Welt, Euren Freunden, Eurem Bruder, Eurer Geliebten besonders.«

D'Artagnan erröthete.

«Meiner Geliebten, «wiederholte er mechanisch,»und warum ihr mehr, als einer andern?«

«Die Geliebte ist das Lieblingsmittel des Kardinals, es gibt kein wirksameres; eine Frau verkauft Euch um zehn Goldstücke, dies beweist Delila. Ihr kennt die heilige Schrift, he?«

D'Artagnan dachte an das Rendezvous, das ihm Madame Bonacieux für diesen Abend gegeben hatte, aber unserem Helden zum Lob sei es gesagt, die schlechte Meinung, welche Herr von Treville im Allgemeinen von den Frauen hatte, flößte ihm nicht den geringsten Verdacht gegen seine junge Wirthin ein.

«Aber apropos, «versetzte Herr von Treville,»was ist denn aus Euern drei Gefährten geworden?«—»Ich war im Begriff, Euch zu fragen, ob Ihr keine Kunde von Ihnen erhalten hättet.«

«Keine, mein Herr.«—»Nun, ich habe sie auf meiner Reise zurückgelassen. Porthos in Chantilly mit einem Duell auf den Armen, Aramis in Crevecoeur mit einer Kugel in der Schulter, Athos in Amiens mit einer Falschmünzeranklage auf dem Leibe.«

«Seht Ihr!«rief Herr von Treville,»und wie seid Ihr entkommen?«—»Ich muß gestehen, durch ein Wunder, gnädiger Herr, mit einem Degenstich in der Brust, und indem ich den Grafen von Wardes auf der Straße von Calais in die Gosse spießte, wie einen Schmetterling in die Tapete.«—»Da seht Ihr abermals! Von Wardes, emen Mann des Kardinals, einen Vetter von Rochefort; hört, mein Freund, es kommt mir ein Gedanke.«—»Sprecht, gnädiger Herr.«—»An Eurer Stelle würde ich etwas thun.«—»Was?«—»Während ich Seine Eminenz suchen ließe, würde ich ganz in aller Stille den Weg nach der Picardie einschlagen und mich nach meinen drei Gefährten erkundigen. Den Teufel! sie verdienen wohl diese kleine Aufmerksamkeit von Euch.«—»Der Rath ist gut und ich werde morgen reisen.«—»Morgen! und warum nicht diesen Abend?«—»Diesen Abend hält mich eine unerläßliche Angelegenheit in Paris zurück.«—»Ah! junger Mann! junger Mann! irgend ein Liebschäftchen. Nehmt Euch in Acht, ich muß Euch wiederholen, das Weib hat uns insgesammt ins Verderben gestürzt, und wird uns verderben, so lange wir bestehen. Folget mir, reist noch diesen Abend.«—»Unmöglich, gnädiger Herr.«—»Ihr habt Euer Wort gegeben?«—»Ja, gnädiger Herr.«—»Das ist ein ander Ding, aber versprecht mir, morgen zu reisen, wenn Ihr in dieser Nacht nicht getödtet werdet.«—»Ich verspreche es Euch.«—»Braucht Ihr Geld?«—»Ich habe noch fünfzig Pistolen. Mehr brauche ich, glaube ich, nicht.«—»Aber Euere Gefährten.«—»Ich denke nicht, daß es ihnen daran fehlt. Wir sind jeder mit fünfundsiebenzig Pistolen in der Tasche von Paris abgereist.«—»Werde ich Euch noch vor Euerem Abgang sehen?«—»Es ist nicht wahrscheinlich, gnädiger Herr, wenn nichts Neues vorfällt.«—»Dann glückliche Reise!«—»Ich danke, gnädiger Herr.«

D'Artagnan verabschiedete sich von Herrn von Treville, mehr als je gerührt durch seine wahrhaft väterliche Fürsorge für seine Musketiere.

Er ging hinter einander zu Athos, zu Porthos und zu Aramis. Keiner von ihnen war zurückgekehrt. Auch ihre Bedienten waren noch abwesend und man hatte nicht die geringste Kunde von ihnen.

Wohl hätte er sich gern bei ihren Geliebten nach ihnen erkundigt, aber er kannte weder die von Porthos, noch die von Aramis; — Athos hatte keine.

Als er an dem Hotel der Garden vorüberkam, warf er einen Blick in den Stall; drei von den vier Pferden waren bereits eingetroffen. Obgleich sehr erstaunt, war Planchet doch schon im Zug, sie zu striegeln, und hatte zwei von ihnen vollkommen geputzt.

«Ah! gnädiger Herr!«sprach er, als er d'Artagnan gewahr wurde,»wie freut es mich. Euch zu sehen!«—»Und warum, Planchet?«fragte der junge Mann. — »Habt Ihr Vertrauen zu Herrn Bonacieux, unserem Wirthe?«—»Ich? nicht im mindesten.«—»Oh! daran thut Ihr sehr wohl, gnädiger Herr.«—»Warum diese Frage?«—»Darum weil ich, während Ihr mit ihm plaudertet, Euch beobachtete, ohne Euch zu hören; sein Gesicht hat zwei- bis dreimal die Farbe gewechselt.«—»Bah!«—»Nur mit dem Briefe beschäftigt, den er erhalten, hat es der gnädige Herr nicht wahrgenommen; aber ich, den der auf so seltsame Weise ins Haus gekommene Brief behutsam gemacht hatte, ich habe keine Bewegung seiner Physiognomie verloren.«—»Und Du fandest sie?«—»Verrätherisch, gnädiger Herr.«—»In der That?«—»Mehr noch — so bald der gnädige Herr ihn verlassen hatte und an der Straßenecke verschwunden war, nahm Herr Bonacieux seinen Hut, verschloß die Thüre und lief aus Leibeskräften durch die entgegengesetzte Straße.«—»Du hast wirklich Recht, Alles dies kommt mir sehr zweideutig vor; sei ohne Sorge, wir bezahlen ihm unsern Miethzins nicht eher, als bis er uns die ganze Geschichte auf eine kategorische Weise erklärt hat.«—»Der gnädige Herr scherzt, aber er wird sehen.«—»Was willst Du, Planchet! was geschehen soll, steht im Buche des Schicksals geschrieben.«—»Der gnädige Herr verzichtet also nicht auf seinen Abendspazierritt?«»Ganz im Gegentheil, Planchet, je mehr ich Herrn Bonacieux grolle, desto mehr bin ich entschlossen, mich bei dem Rendezvous einzufinden, das mir der Brief gegeben hat, der Dich so sehr beunruhigt.«—»Wenn es also des Entschluß der gnädigen Herrn ist…«—»Der unerschütterliche Entschluß, mein Freund. Um sieben Uhr halte Dich hier am Hotel bereit. Ich hole Dich ab.«

Als Planchet sah, daß keine Hoffnung vorhanden war, seinen Herrn zur Verzichtleistung auf sein Vorhaben zu bewegen, stieß er einen tiefen Seufzer aus und schickte sich an, auch das dritte Pferd zu striegeln.

D'Artagnan, im Grund ein sehr kluger junger Mann, ging, um zu Mittag zu speisen, nicht nach Hause, sondern zu dem gascognischen Priester, der zur Zeit, wo die vier Freunde auf der Hefe waren, ein Chocoladefrühstück zum Besten gegeben hatte.


XXIV. Der Pavillon

Um sieben Uhr befand sich d'Artagnan bei dem Hotel der Garden. Er fand Planchet unter den Waffen. Das vierte Pferd war eingetroffen. Planchet hatte seine Muskete und eine Pistole bei sich. D'Artagnan war mit seinem Degen bewaffnet und steckte zwei Pistolen in seinen Gürtel. Dann schwangen sich beide zu Pferd und zogen geräuschlos ab. Es war finstere Nacht, und Niemand sah, wie sie sich entfernten. Planchet ritt zehn Schritte hinter seinem Herrn.

D'Artagnan ritt über die Quais, zog durch die Porte de la Conference und schlug sodann den reizenden Weg ein, der nach Saint-Cloud führt und damals noch viel schöner war, als heut zu Tage.

So lange man in der Stadt war, hielt sich Planchet in der ehrfurchtsvollen Entfernung, die er sich vorgeschrieben hatte; aber als der Weg öder und dunkler zu werden anfing, näherte er sich ganz sachte, so daß er, als man das Bois de Boulogne erreichte, auf eine ganz natürliche Weise neben seinem Herrn einherzog. Wir können nicht verschweigen, daß die zitternde Bewegung der großen Bäume und der Widerschein des Mondes in dem düsteren Gehölz ihm eine lebhafte Unruhe verursachte. D'Artagnan bemerkte, daß in seinem Bedienten etwas Außerordentliches vorging, und fragte ihn:

«Ei, mein Herr Planchet, was haben wir denn?«—»Findet Ihr nicht, gnädiger Herr, daß die Wälder gerade wie die Kirchen sind?«—»Warum dies, Planchet?«—»Weil man in diesen, wie in jenen nicht laut zu sprechen wagt.«—»Warum wagst Du nicht laut zu sprechen, Planchet? Weil Du Furcht hast?«—»Furcht gehört zu werden, ja, gnädiger Herr.«—»Furcht gehört zu werden? Unser Gespräch ist doch moralischer Natur und Niemand wird etwas dagegen einzuwenden haben!«

«Ach, gnädiger Herr, «versetzte Planchet, auf den in ihm vorherrschenden Gedanken zurückkommend,»daß dieser Herr Bonacieux etwas Duckmäuserisches in seinen Augenbraunen und etwas Widerwärtiges im Spiele seiner Lippen hat, ist gewiß nicht zu läugnen!«—»Wer Teufel heißt Dich an Bonacieux denken?«—»Gnädiger Herr, man denkt, an was man kann, und nicht an was man will.«—»Weil Du ein Hasenherz bist, Planchet.«—»Gnädiger Herr, wir wollen nicht die Klugheit mit der Feigheit verwechseln; die Klugheit ist eine Tugend.«—»Und Du bist tugendhaft, nicht wahr, Planchet?«—»Gnädiger Herr, ist das nicht ein Musketenlauf, was da unten glänzt? Wenn wir uns bückten?«

«Wahrlich, «murmelte d'Artagnan, der sich an den Rath des Herrn von Treville erinnerte,»wahrlich, dieses Vieh könnte mir am Ende bange machen. «Und er setzte sein Pferd in Trab.

Planchet folgte der Bewegung seines Herrn so genau, als ob er sein Schatten gewesen wäre, und hielt sich trabend an seiner Seite.

«Werden wir die ganze Nacht so marschiren, gnädiger Herr?«fragte er. — »Nein, Planchet, denn Du bist an Ort und Stelle.«—»Wie! ich bin an Ort und Stelle! Und der gnädige Herr?«—»Ich gehe noch einige Schritte.«—»Und der gnädige Herr läßt mich hier allein?«—»Hast Du bange, Planchet?«—»Nein, aber ich erlaube mir zu bemerken, daß die Nacht sehr kalt sein wird, daß die Kühle Rheumatismen verursacht, und daß ein mit Rheumatismus behafteter Lakai ein trauriger Bedienter ist, besonders für einen so rüstigen Mann, wie der gnädige Herr.«—»Wohl, wenn Du frierst, Planchet, so gehe in eine von den Schenken, die Du da unten siehst, und erwarte mich morgen früh um sechs Uhr vor der Thüre.«—»Gnädiger Herr, ich habe den Thaler, den Ihr mir diesen Morgen gegeben, ehrfurchtsvoll verspeist und vertrunken, so daß mir kein elender Sou mehr übrig bleibt, falls ich frieren würde.«—»Hier ist eine halbe Pistole. Morgen also.«

D'Artagnan stieg vom Pferde, warf Planchet den Zügel über den Arm, hüllte sich in seinen Mantel und ging rasch weg.

«Gott wie kalt, «rief Planchet, sobald er seinen Herrn aus dem Gesicht verloren hatte, und um sich so schnell als möglich wieder zu erwärmen, klopfte er eiligst an die Thür eines Hauses, das mit allen Zeichen einer Schenke geschmückt war.

D'Artagnan, der einen kleinen Fußpfad eingeschlagen hatte, setzte mittlerweile seine Wanderung fort und erreichte Saint Cloud, aber statt die Landstraße zu nehmen, wandte er sich hinter das Schloß, ging durch eine ziemlich verborgene Gasse und befand sich bald vor dem bezeichneten Pavillon. Dieser lag an einem völlig öden Ort. Eine große Mauer, an deren Ecke er den Pavillon gewahr wurde, zog sich an der einen Seite dieser Gasse hin, auf der andern beschützte eine Hecke, in deren Hintergrund sich eine elende Hütte erhob, einen kleinen Garten gegen die Vorübergehenden.

Er hatte die Stelle des Rendezvous erreicht, und da man ihm nicht angedeutet hatte, daß er seine Gegenwart durch ein Signal kundgeben sollte, so wartete er.

Nicht das geringste Geräusch ließ sich vernehmen; man hätte in der That glauben sollen, man wäre hundert Meilen von der Hauptstadt entfernt. D'Artagnan lehnte sich an die Hecke, nachdem er einen Blick hinter sich geworfen hatte. Jenseits der Hecke des Gartens und der Hütte hüllte ein düsterer Nebel den unermeßlichen Raum in seine Falten, wo Paris schläft, eine gähnende Leere, in welcher noch einige leuchtende Punkte, düstere Sterne dieser Hölle glänzten.

Aber für d'Artagnan kleideten sich alle diese Ansichten in eine glückliche Gestalt, alle Gedanken hatten ein Lächeln, alle Finsternisse waren durchsichtig. Die Stunde des Rendezvous sollte schlagen. Nach Verlauf einiger Minuten ließ wirklich der Glockenthurm von Saint Cloud langsam zehn Schläge aus seinem blöckenden Rachen fallen. Es lag etwas Trauriges in dieser ehernen, mitten in der Nacht wehklagenden Stimme.

Aber jeder dieser Schläge, welcher die erwartete Stunde bildete, vibrirte harmonisch in dem Herzen des jungen Mannes.

Seine Augen blieben auf den kleinen an der Ecke der Mauer liegenden Pavillon gerichtet, dessen Fenster insgesammt durch Läden verschlossen waren, mit Ausnahme eines einzigen im ersten Stock. Durch dieses Fenster glänzte ein sanftes Licht, welches das zitternde Laubwerk einiger Linden versilberte, die eine Gruppe bildend, sich vor dem Park erhoben. Hinter diesem so anmuthig beleuchteten Fenster erwartete ihn offenbar die hübsche Madame Bonacieux.

Von diesem süßen Gedanken gewiegt, harrte d'Artagnan eine halbe Stunde ohne die geringste Ungeduld, die Augen auf die reizende kleine Wohnung geheftet, von der er theilweise den Plafond mit den vergoldeten Leisten erblickte, welche auf die Eleganz des Uebrigen schließen ließen.

Im Glockenthurm von Saint Cloud schlug es halb elf Uhr. Diesmal durchlief ein Schauer die Adern unsres Helden, ohne daß er begriff, warum. Vielleicht bemächtigte sich die Kälte seiner, und er nahm eine ganz körperliche Empfindung für einen moralischen Eindruck.

Dann kam ihm der Gedanke, er habe schlecht gelesen und das Rendezvous sei erst auf elf Uhr bestimmt.

Er näherte sich dem Fenster, stellte sich in einen Lichtstrahl, zog den Brief aus der Tasche, und las ihn abermals; er hatte sich nicht getäuscht; das Rendezvous war auf zehn Uhr festgesetzt. Er begab sich wieder auf seinen Posten und fing an über diese Stille und Einsamkeit sehr traurig zu werden.

Es schlug elf Uhr.

D'Artagnan begann nun wirklich zu fürchten, es könnte Madame Bonacieux etwas widerfahren sein.

Er schlug dreimal in seine Hände — das gewöhnliche Zeichen der Verliebten — aber Niemand antwortete, nicht einmal das Echo.

Dann dachte er, nicht ohne einen gewissen Aerger, die junge Frau sei vielleicht, während sie ihn erwartete, eingeschlafen. Er näherte sich der Mauer und suchte hinaufzusteigen, aber sie war neu bestrichen und d'Artagnan brach sich vergeblich die Nägel ab.

In diesem Augenblick bemerkte er die Bäume, deren Blätter fortwährend von dem Licht versilbert wurden, und da einer derselben auf den Weg vorsprang, so glaubte er, aus seinen Zweigen würde sein Blick in den Pavillon dringen können.

Der Baum war leicht zu ersteigen. D'Artagnan zählte überdies erst zwanzig Jahre und erinnerte sich seiner Schülerübungen. Sogleich befand er sich mitten unter den Zweigen und durch die durchsichtigen Scheiben tauchten seine Augen in das Innere des Pavillons.

Seltsamer Anblick, der d'Artagnan vom Scheitel bis zur Fußsohle schaudern machte — dieses sanfte Licht, diese ruhige Lampe beleuchtete eine Scene furchtbarer Störung: eine der Fensterscheiben war zerbrochen, die Thüre hatte man eingestoßen und sie hing halb zertrümmert an ihren Angeln, ein Tisch, auf dem ein elegantes Abendbrod gestanden haben mußte, lag auf dem Boden, Scherben von den Flaschen lagen aus dem Fußteppich umher, und zwischen denselben sah man Früchte und Speisen umhergeworfen; Alles zeugte dafür, daß in diesem Zimmer ein heftiger, verzweiflungsvoller Kampf stattgefunden hatte; d'Artagnan glaubte sogar mitten unter diesem seltsamen Durcheinander Fetzen von Kleidern und Blutflecken an dem Tischtuch und an den Vorhängen zu erkennen.

Er beeilte sich mit gräßlichem Herzklopfen wieder auf die Straße herabzusteigen und wollte sehen, ob er keine andere Spuren von Gewaltthat wahrnehmen könnte.

Das sanfte Licht glänzte immer noch in der Stille der Nacht. D'Artagnan bemerkte jetzt, was ihm früher entging, da ihn nichts vorher zu einer näheren Prüfung antrieb, daß der Boden, da und dort eingetreten und durchlöchert, verworrene Spuren von Menschentritten und Pferdehufen zeigte. Ueberdies hatten die Räder eines Wagens, der von Paris zu kommen schien, in der weichen Erde einen tiefen Eindruck ausgehöhlt, der nicht über die Höhe des Pavillons ging und gegen Paris zurückkehrte.

Seine Nachsuchungen weiter verfolgend, fand d'Artagnan in der Nähe der Mauer einen Frauenhandschuh, der jedoch an allen Punkten, wo er die schmutzige Erde nicht berührt hatte, von tadelloser Frische war. Es war in der That einer jener duftenden Handschuhe, wie die Liebenden sie so gerne einer hübschen Hand entreißen.

Je länger d'Artagnan seine Forschungen fortsetzte, desto stärker troff ein eisiger Schweiß von seiner Stirne. Sein Herz schnürte sich in furchtbarerer Angst zusammen, sein Athem wurde keuchend, und dennoch suchte er sich durch den Gedanken zu beruhigen, dieser Pavillon habe vielleicht nichts mit Madame Bonacieux gemein; die junge Frau habe ihn ja vor und nicht in den Pavillon beschieden; sie könnte in Paris durch ihren Dienst, durch die Eifersucht ihres Gatten zurückgehalten worden sein. Aber alle diese Betrachtungen wurden abgeschwächt, zerstört, über den Haufen geworfen durch jenes schmerzliche innere Gefühl, das sich bei gewissen Veranlassungen unseres ganzen Seins bemächtigt und uns durch Alles das, was wir zu hören bestimmt sind, zuruft, daß ein großes Unglück über uns schwebe.

D'Artagnan wurde nun beinahe wahnsinnig; er lief nach der Landstraße, schlug denselben Weg ein, den er bereits gemacht hatte, und ging bis zu der Fähre um den Fährmann zu befragen.

Gegen sieben Uhr Abends hatte der Fährmann eine in einen schwarzen Mantel gehüllte Frau übergesetzt, der viel daran zu liegen schien, daß man sie nicht erkenne, aber gerade wegen der Vorsichtsmaßregel, die sie nahm, betrachtete sie der Fährmann mit größerer Aufmerksamkeit und erkannte, daß es eine junge und schöne Frau war.

Damals, wie heut zu Tage gab es eine Menge junger und schöner Frauen, welche nach St. Cloud kamen, und denen sehr viel daran lag, nicht erkannt zu werden, und dennoch zweifelte d'Artagnan nicht einen Augenblick daran, daß Madame Bonacieux von dem Fährmann erkannt worden war.

D'Artagnan benützte die Lampe, welche in der Hütte des Fährmanns glänzte, um das Billet von Madame Bonacieux noch einmal zu lesen und sich zu überzeugen, daß er sich nicht getäuscht, daß das Rendezvous in St. Cloud, und nicht anderswo, vor dem Pavillon des Herrn d'Estrées und nicht in einer andern Straße stattfinden sollte. Alles wirkte zusammen, um d'Artagnan zu beweisen, daß seine Ahnungen ihn nicht täuschten und daß sich ein großes Unglück ereignet hatte.

Er lief rasch auf dem Weg nach dem Schlosse zurück; er dachte, es sei in dem Pavillon vielleicht etwas Neues vorgefallen, und es müssen ihn Nachrichten dort erwarten.

Die Gasse war immer noch öde und derselbe ruhige, sanfte Schein verbreitete sich aus dem Zimmer. D'Artagnan dachte nun an das blinde und taube Gemäuer, das aber ohne Zweifel gesehen hatte und vielleicht sprechen konnte. Die Thüre des Zauns war geschlossen, aber er sprang über die Hecke und näherte sich der Hütte trotz des Bellens eines Kettenhundes.

Auf die ersten Schläge antwortete Niemand; es herrschte eine Todesstille in der Hütte wie in dem Pavillon; da jedoch diese Hütte seine letzte Zuflucht war, so blieb er beharrlich.

Bald glaubte er im Innern ein leichtes Geräusch zu vernehmen, ein furchtsames Geräusche, ein Geräusch, das zitterte, gehört zu werden.

D'Artagnan hörte nun auf zu klopfen, und bat mit einem Ton so voll Unruhe und Versprechungen, voll Schrecken und Schmeichelei, daß seine Stimme auch den Furchtsamsten beruhigen mußte. Endlich wurde ein alter, wurmstichiger Laden ein wenig geöffnet, aber sogleich wieder geschlossen, als der Schein einer elenden Lampe, welche in einem Winkel brannte, d'Artagnans Wehrgehänge, seinen Degengriff und den Schaft seiner Pistolen beleuchtete. So rasch die Bewegung gewesen war, so hatte d'Artagnan doch Zeit gehabt, flüchtig den Kopf eines Greises wahrzunehmen.

«Um Gottes willen!«rief er,»hört mich. Ich erwarte Jemand, der nicht kommt, und sterbe vor Unruhe. Sollte ein Unglück in der Gegend vorgefallen sein? Sprecht!«

Das Fenster öffnete sich langsam zum zweiten Male und dasselbe Gesicht erschien wieder, nur war es viel bleicher als das erste Mal.

D'Artagnan erzählte ganz unumwunden seine Geschichte beinahe bis auf die Namen. Er sagte, wie er mit einer jungen Frau vor diesem Pavillon hätte Rendezvous haben sollen, und wie er, da sie nicht erschienen, auf eine Linde gestiegen und beim Lampenschein die Zerstörung im Innern des Zimmers gesehen habe.

Der Greis hörte ihm aufmerksam zu und bestätigte durch Zeichen, daß es sich so verhalten müsse. Als d'Artagnan geendigt hatte, schüttelte er den Kopf mit einer Miene, die nichts Gutes andeutete.

«Was wollt Ihr sagen?«rief d'Artagnan.»Ich beschwöre Euch im Namen des Himmels, erklärt Euch.«

«Oh! Herr, «sprach der Greis,»fragt mich nicht; denn wenn ich Euch sagte, was ich gesehen habe, würde es mir sicherlich schlimm ergehen.«

«Ihr habt also etwas gesehen?«versetzte d'Artagnan.»In diesem Falle bitte ich Euch um Gotteswillen, «fuhr er, dem Alten ein Goldstück zuwerfend fort,»sagt, sagt, was Ihr gesehen habt, und ich gebe Euch mein Wort als Edelmann, daß nichts von dem, was Ihr mir mittheilt, über meine Lippen kommen soll.«

Der Greis las in d'Artagnans Gesicht so viel Schmerz und Offenherzigkeit, daß er ihm ein Zeichen gab, er möge hören, und mit leiser Stimme sprach:

«Es war ungefähr neun Uhr; ich vernahm ein Geräusch auf der Straße, und wollte wissen, was das sein könnte, als man sich meiner Thüre näherte und ich sah, daß Jemand hereinzukommen suchte. Da ich arm bin und mich nicht vor Dieben zu fürchten habe, so öffnete ich und erblickte einige Schritte vor mir drei Männer; im Schatten stand ein Wagen mit angespannten Pferden und Reitpferden. Letztere gehörten offenbar den drei Männern, welche als Reiter gekleidet waren.«

«Aber meine guten Herren, «rief ich,»was verlangt Ihr?«

«Du mußt eine Leiter haben, «sprach derjenige von ihnen, welcher der Anführer der Escorte zu sein schien.

«Ja Herr, diejenige, mit welcher ich mein Obst pflücke.«

«Gib sie uns, und geh wieder in Deine Hütte; hier ist ein Thaler für die Störung. Erinnere Dich jedoch, daß Du, wenn Du ein Wort von dem sagst, was Du sehen oder hören wirst (und Du wirst sehen und hören, wie sehr wir Dich auch bedrohen mögen), daß Du, sage ich, verloren bist.«

«Bei diesen Worten warf er mir einen Thaler zu, den ich aufhob, und nahm meine Leiter.

«Nachdem ich die Thüre der Hecke hinter ihnen verschlossen hatte, stellte ich mich wirklich, als kehrte ich in das Haus zurück, aber ich ging sogleich wieder durch eine Hinterthüre hinaus, schlüpfte in den Schatten, und es gelang mir, das Hollundergebüsch zu erreichen, aus dem ich Alles sehen konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

«Die drei Männer hatten den Wagen ohne Geräusch vorfahren lassen und zogen einen kleinen, dicken, kurzen, ärmlich gekleideten Mann heraus, welcher vorsichtig die Leiter hinaufkletterte, duckmäuserisch in das Innere des Zimmers schaute, leise wieder herabstieg und mit gedämpfter Stimme murmelte:

«Sie ist es!«

«Sogleich näherte sich derjenige, welcher mit mir gesprochen hatte, der Pavillonthüre und öffnete sie mit einem Schlüssel, den er bei sich trug, verschloß die Thüre wieder und verschwand. Zu gleicher Zeit stiegen die zwei Anderen die Leiter hinauf. Der kleine Alte blieb am Kutschenschlag, der Kutscher hielt die Wagenpferde und ein Lakai die Reitpferde.

«Plötzlich ertönte ein gewaltiges Geschrei in dem Pavillon. Eine Frau lief an das Fenster und öffnete es, als wollte sie sich hinausstürzen. Aber sobald sie die zwei Männer erblickte, warf sie sich zurück; die zwei Männer sprangen ihr ins Zimmer nach.

«Nun sah ich nichts mehr, aber ich hörte ein Getöse, wie wenn Möbel zerschlagen würden. Die Frau kreischte und schrie um Hülfe. Bald wurde ihr Geschrei erstickt. Die drei Männer näherten sich, die Frau in ihren Armen tragend, dem Fenster. Zwei stiegen auf der Leiter herab und brachten sie in den Wagen, in den der kleine Alte nach ihr hineinkletterte. Derjenige, welcher im Pavillon geblieben war, verschloß das Fenster wieder, trat einen Augenblick nachher zur Thüre heraus und überzeugte sich, daß die Frau im Wagen gut untergebracht war; seine zwei Gefährten erwarteten ihn bereits zu Pferde. Er sprang ebenfalls in den Sattel; der Lakai nahm seinen Platz neben dem Kutscher; der Wagen entfernte sich, von den drei Reitern geleitet, im Galopp, und Alles war vorüber. Von diesem Augenblick an habe ich nichts mehr gehört, nichts mehr gesehen.«

Niedergeschmettert von einer so furchtbaren Kunde, blieb d'Artagnan stumm und unbeweglich, während in seinem Innern alle Teufel des Zorns und der Eifersucht wütheten.

«Aber, mein edler Herr, «versetzte der Greis, auf den diese Verzweiflung eine größere Wirkung hervorbrachte, als wenn er geschrieen und geweint hätte;»laßt Euch doch nicht vom Schmerz so sehr niederbeugen, sie haben sie Euch nicht getödtet, das ist die Hauptsache.«

«Wißt Ihr vielleicht, «sprach d'Artagnan,»wer der Mann ist, der diese höllische Expedition anführte?«

«Ich kenne ihn nicht.«

«Aber da er mit Euch sprach, so konntet ihr ihn doch wohl sehen?«

«Ah! Ihr verlangt sein Signalement von mir.«

«Ja.«

«Ein großer, magerer Mann von schwärzlicher Gesichtsfarbe, mit schwarzem Schnurrbart, schwarzen Augen und dem ganzen Wesen eines Edelmanns.«

«Der ist es!«rief d'Artagnan,»abermals er! immer er! das ist mein böser Dämon, wie es scheint! Und der Andere?«

«Welcher?«

«Der Kleine.«

«Ah! das ist kein vornehmer Herr! Dafür stehe ich. Auch trug er keinen Degen, und die Andern behandelten ihn durchaus nicht mit Achtung.«

«Irgend ein Lakai, «murmelte d'Artagnan.»Oh! arme Frau, arme Frau! Was haben sie mit Dir gemacht?«

«Ihr habt mir Geheimhaltung versprochen, «sagte der Greis.

«Ich erneuere Euch mein Versprechen. Seid unbesorgt, ich bin ein Edelmann. Ein Edelmann hat nur sein Ehrenwort, und ich habe Euch das meinige gegeben.«

Mit tief verwundeter Seele schlug d'Artagnan wieder den Weg nach der Fähre ein. Bald konnte er nicht glauben, daß es Madame Bonacieux gewesen, und er hoffte sie am andern Tage wieder im Louvre zu finden; bald befürchtete er, sie könnte einen Liebeshandel mit einem Andern haben, und ein Eifersüchtiger habe sie überfallen und entführt. Er schwankte, er wüthete, er verzweifelte.

«O wenn meine Freunde hier wären!«rief er,»dann hätte ich wenigstens Hoffnung, sie wieder zu finden, aber wer weiß, was aus ihnen geworden ist?«

Es war beinahe Mitternacht, und er mußte Planchet aufsuchen. D'Artagnan ließ sich nach und nach alle Schenken öffnen, in denen er etwas Licht bemerkte. In keiner derselben fand er Planchet. Bei der sechsten bedachte er, daß die Nachforschung etwas gewagt war. D'Artagnan hatte seinen Bedienten erst auf sechs Uhr Morgens bestellt, und derselbe befand sich in seinem Rechte, wo er auch sein mochte. Ueberdieß kam dem jungen Manne der Gedanke, daß er, wenn er in der Nähe des Ortes bliebe, wo das Ereigniß vorgefallen war, vielleicht einige Aufklärung über die geheimnißvolle Geschichte erhalten würde. In der sechsten Schenke blieb d'Artagnan also, verlangte eine Flasche Wein erster Qualität, und zog sich in den dunkelsten Winkel zurück, entschlossen hier den Tag zu erwarten. Aber auch diesmal wurde er in seiner Hoffnung getäuscht, und obgleich er mit gespitzten Ohren horchte, vernahm er doch mitten unter den Flüchen, den Späßen und den Grobheiten, welche die Arbeiter, Lakaien und Fuhrleute, in deren ehrenwerthe Gesellschaft er gerathen war, einander zuwarfen, durchaus nichts, was ihn auf die Spur der entführten Frau bringen konnte. Nachdem er also, um kein Aufsehen zu erregen, seine Flasche in aller Muße geleert hatte, mußte er in seinem «Winkel eine möglichst entsprechende Lage suchen und wohl oder übel schlafen. D'Artagnan zählte, wie man sich erinnern wird, erst zwanzig Jahre, und in diesem Alter hat der Schlaf unverjährbare Rechte, die er gebieterisch auch von dem verzweiflungsvollsten Gemüthe fordert.

Gegen sechs Uhr Morgens erwachte d'Artagnan mit jener Unbehaglichkeit, welche gewöhnlich bei Tagesanbruch nach einer schlechten Nacht eintritt. Seine Toilette machte ihm nicht lange zu schaffen; er betastete sich, um sich zu überzeugen, daß man seinen Schlaf nicht zu einer Beraubung benützt hatte, und als er seinen Diamant am Finger, seine Börse in der Tasche und seine Pistolen im Gürtel fand, stand er auf, bezahlte seine Flasche und ging hinaus, um nachzusehen, ob ihn das Glück beim Aufsuchen seines Lakaien am Morgen nicht mehr begünstigen würde, als in der Nacht. Das Erste, was er durch den feuchten, graulichen Nebel erblickte, war wirklich der ehrliche Planchet, der ihn, die zwei Pferde an der Hand, vor der Thüre einer kleinen Winkelschenke erwartete, vor welcher d'Artagnan vorübergegangen war, ohne nur ihr Dasein zu ahnen.


XXV. Porthos

Statt sich unmittelbar nach Haus zu begeben, stieg d'Artagnan vor dem Hotel des Herrn von Treville ab und sprang rasch die Treppe hinauf. Diesmal war er entschlossen, ihm Alles zu erzählen, was sich ereignet hatte. Er hoffte von ihm einen guten Rat in der ganzen Angelegenheit; indem Herr von Treville die Königin beinahe täglich sah, so konnte dieser auch bei Ihrer Majestät Erkundigungen über die arme Frau einziehen, welche man ohne Zweifel ihre Ergebenheit für ihre Gebieterin bezahlen ließ.

Herr von Treville hörte die Erzählung des jungen Mannes mit einem Ernste an, woraus hervorging, daß er in diesem ganzen Abenteuer etwas Anderes sah, als eine Liebesintrigue. Als d'Artagnan vollendet hatte, sagte er:

«Hm! das riecht auf eine Meile nach dem Kardinal.«

«Aber was ist zu thun?«fragte d'Artagnan.

«Nichts, durchaus nichts, zu dieser Stunde, als Paris, wie ich Euch gesagt habe, so schnell als möglich zu verlassen. Ich werde die Königin sehen, ich werde ihr alle einzelnen Umstände von dem Verschwinden der armen Frau, wovon sie vielleicht noch gar nichts weiß, mittheilen; diese Umstände werden ihr als Leitfaden dienen, und bei Eurer Rückkehr habe ich vielleicht gute Kunde für Euch. Verlaßt Euch auf mich.«

D'Artagnan wußte, daß Herr von Treville, obgleich Gascogner, nicht die Gewohnheit hatte, zu viel zu versprechen, und daß er, wenn er zufällig versprach, Wort hielt. Er verabschiedete sich von ihm, voll Dankbarkeit für das Vergangene und für die Zukunft, und der würdige Kapitän, der eine lebhafte Theilnahme für diesen so muthigen, so entschlossenen jungen Mann fühlte, drückte ihm liebevoll die Hand und wünschte ihm glückliche Reise.

Entschlossen, sogleich den Rath des Herrn von Treville in Ausführung zu bringen, wanderte d'Artagnan nach der Rue des Fossoyeurs, um beim Packen seines Mantelsacks gegenwärtig zu sein. Als er sich Nro. 11 näherte, erkannte er Herrn Bonacieux, der in einem Morgenanzug auf der Schwelle seiner Thüre stand. D'Artagnan erinnerte sich alles dessen, was ihm der kluge Planchet Tags zuvor über den zweideutigen Charakter seines Wirthes gesagt hatte, und schaute ihn aufmerksamer an, als je zuvor. Außer der gelblichen krankhaften Blässe, welche die Einsickerung der Galle in das Blut andeutet und nur zufällig sein konnte, bemerkte d'Artagnan etwas duckmäuserisch Treuloses in der Art und Weise, wie er sein Gesicht zu runzeln gewohnt war. Ein Schelm lacht nicht auf dieselbe Art, wie ein ehrlicher Mann, ein Heuchler weint nicht dieselben Thränen, wie ein Mann von Treu und Glauben. Jede Falschheit ist eine Maske; so gut diese auch gemacht sein mag, mit etwas Geduld und Aufmerksamkeit lernt man sie immer vom Gesicht unterscheiden.

D'Artagnan kam es also vor, als ob Herr Bonacieux eine Maske trüge, und zwar eine der unangenehmsten, die man sehen konnte.

Ueberwältigt von dem Widerwillen, den ihm dieser Mensch einflößte, ging er an ihm vorüber, ohne mit ihm zu sprechen, als Herr Bonacieux, wie am Tage zuvor, d'Artagnan anrief.

«Ei! ei! junger Mann, «sprach er,»es scheint mir, wir machen Faschingsnächte? Morgens sieben Uhr, pest! Ihr wollt wahrscheinlich den Gebrauch umdrehen, und kommt nach Haus, wenn Andere ausgehen.«

«Euch kann man diesen Vorwurf nicht machen, Meister Bonacieux, denn Ihr seid ein wahres Muster von einem geordneten Mann. Wenn man eine hübsche junge Frau hat, braucht man allerdings dem Glücke nicht nachzulaufen; das Glück sucht Euch auf, nicht wahr, Herr Bonacieux?«

Bonacieux wurde bleich wie der Tod, und schnitt eine Grimasse, welche ein Lächeln bedeuten sollte.

«Ah! ah!«sprach Bonacieux,»Ihr seid ein lustiger Geselle. Aber wo seid Ihr denn die ganze Nacht umhergelaufen, junger Herr? Die Nebenwege scheinen nicht sehr gut gewesen zu sein.«

D'Artagnan senkte seine Augen gegen seine ganz mit Koth bedeckten Stiefel, aber bei dieser Bewegung traf sein Blick zugleich die Schuhe und Strümpfe des Krämers; man hätte in der That glauben sollen, sie wären in denselben Schlamm getaucht worden; an den einen, wie an den andern zeigten sich ganz dieselben Schmutzflecken.

Plötzlich durchzuckte ein Gedanke d'Artagnans Geist; der kleine, kurze, dicke, gräuliche, lakaienartige, schlecht gekleidete Mann, der von den Kriegsleuten, welche die Escorte bildeten, ohne alle Achtung behandelt worden, war Bonacieux selbst. Der Mann hatte die Entführung seiner Frau geleitet.

D'Artagnan fühlte ungeheure Lust, dem Krämer an die Gurgel zu springen und ihn zu erdrosseln; allein er war, wie gesagt, ein kluger Bursche und hielt sich zurück. Aber der Aufruhr, der in seinem Innern vorging, drückte sich so sichtbar auf seinem Antlitz aus, daß Bonacieux darüber in Schrecken gerieth und einen Schritt zurückzuweichen suchte; er befand sich jedoch gerade vor dem geschlossenen Thürflügel, und dieses materielle Hinderniß, auf das er stieß, zwang ihn, auf seiner Stelle zu bleiben.

«Ei! ei! Ihr spaßt, mein guter Herr, «sagte d'Artagnan,»mir scheint es, wenn meine Stiefel des Schwammes bedürfen, so fordern Eure Schuhe und Eure Strümpfe einigermaßen die Bürste. Solltet Ihr etwa ebenfalls herumgestrichen sein, Meister Bonacieux? Ah! Teufel, das wäre unverzeihlich bei einem Mann von Eurem Alter, und vollends bei einem Mann, der eine so hübsche Frau hat, wie Ihr.«

«Ach! mein Gott, nein, «sagte Bonacieux,»aber ich war gestern in Saint-Mandé, um Erkundigungen über eine Magd einzuziehen, da ich nothwendig eine solche dingen muß; und da die Wege schlecht waren, so brachte ich all den Schmutz mit, dessen ich mich aus Mangel an Zeit noch nicht entledigen konnte.«

Der von Bonacieux als Ziel seiner Wanderung bezeichnete Ort war eine neue Bestätigung des Verdachtes, welcher sich in d'Artagnan geregt hatte. Bonacieux nannte Saint-Mandé, weil Saint-Mandé gerade in der entgegengesetzten Richtung von Saint-Cloud lag.

Diese Vermuthung gereichte ihm zum ersten Trost. Wußte Bonacieux, wo seine Frau war, so konnte man immerhin zu gewagten Mitteln greifen und den Krämer zwingen, den Mund aufzuthun und sein Geheimniß zu verrathen. Man mußte diese Vermuthung in Gewißheit verwandeln.

«Ich bitte um Vergebung, mein lieber Herr Bonacieux, wenn ich mit Euch ohne alle Umstände verfahre, «sprach d'Artagnan,»aber nichts greift so sehr an, als eine Nacht nicht geschlafen zu haben, und mich plagt ein wüthender Durst; erlaubt mir ein Glas Wasser bei Euch zu trinken, Ihr wißt, Nachbarn verweigern das einander nicht.«

Und ohne die Antwort seines Wirthes abzuwarten, trat d'Artagnan rasch in das Haus ein, und warf einen Blick auf das Bett. Es war unberührt und Bonacieux hatte sich nicht schlafen gelegt. Es unterlag keinem Zweifel, er war erst seit ein paar Stunden zurückgekehrt und hatte seine Frau an den Ort, wohin man sie führte, oder wenigstens bis zum ersten Relais begleitet.

«Ich danke, Meister Bonacieux, «sagte d'Artagnan sein Glas leerend,»das war Alles, was ich von Euch wollte. Nun gehe ich in mein Zimmer, lasse mir von Planchet meine Stiefel putzen, und ist er damit fertig, so schicke ich ihn, wenn Ihr wollt, zu Euch, daß er Eure Schuhe bürstet.«

Und er verließ den Krämer, der über diesen seltsamen Abschied ganz erstaunt war und sich fragte, ob er sich nicht durch irgend eine unbesonnene Rede bloßgestellt habe.

Oben auf der Treppe fand d'Artagnan seinen Diener Planchet in der größten Bestürzung.

«Ah! gnädiger Herr, «rief der Lakai, sobald er seinen Herrn erblickt,»endlich seid Ihr hier, ich konnte Eure Rückkehr kaum erwarten!«—»Was gibt es denn?«—»Oh! ich wette hundert, ich wette tausend, gnädiger Herr, gegen Eins, daß Ihr den Besuch nicht errathet, den ich in Eurer Abwesenheit für Euch erhalten habe.«—»Wann?«—»Vor einer halben Stunde, während Ihr bei Herrn von Treville wäret.«—»Wer ist denn hier gewesen? sprich.«—»Herr von Cavois.«—»Herr von Cavois?«—»In eigener Person.«—»Der Kapitän der Leibwachen Seiner Eminenz?«—»Er selbst.«—»Er wollte mich ohne Zweifel verhaften?«—»Ich habe es vermuthet trotz seiner freundlichen Miene. — »Er sah freundlich aus, sagst Du?«—»Er war ganz Honig, gnädiger Herr.«—»Wirklich?«—»Er sagte, er komme von Seiner Eminenz, die Euch sehr wohl wolle, um Euch zu bitten, ihm ins Palais Royal zu folgen.«—»Und Du hast ihm geantwortet?«—»Es sei dies nicht möglich, insofern Ihr Euch außer dem Hause befändet, wie er selbst sehen könne.«—»Was sagte er hierauf?«—»Ihr würdet wohl nicht verfehlen, ihn im Verlauf des Tages zu besuchen; dann fügte er noch ganz leise bei: ›Sage Deinem Herrn, Seine Eminenz sei sehr wohl gesinnt gegen ihn, und sein Glück hänge vielleicht von dieser Zusammenkunft ab.‹ —»Diese Falle war für den Kardinal ziemlich ungeschickt gestellt, «versetzte der junge Mann lächelnd. — »Ich habe die Falle auch gesehen und erwiederte, Ihr würdet bei Euerer Rückkehr sehr bedauern, nicht sogleich da gewesen zu sein.«— ›Wohin ist er gegangen?‹ — fragte Herr von Cavois. — ›Nach Troyes in der Champagne,‹ antwortete ich.«— ›Und wann ist er abgereist?‹ — ›Gestern Abend.‹»Planchet, mein Freund, «unterbrach ihn d'Artagnan,»Du bist in der That ein herrlicher Bursche.«—»Ich dachte natürlich, wenn Ihr Herrn von Cavois sehen wolltet, so sei es immer noch Zeit, mich Lügen zu strafen und zu sagen, Ihr habet keine Reise unternommen: ich hätte in diesem Falle gelogen, und da ich kein Edelmann bin, so kann ich wohl lügen.«—»Sei unbesorgt. Du sollst Deinen Ruf als wahrheitsliebender Mann behalten; in einer Viertelstunde reisen wir.«—»Diesen Rath wollte ich eben dem gnädigen Herrn geben; und wohin gehen wir? das möchte ich wohl erfahren, ohne neugierig zu sein.«—»Gerade in entgegengesetzter Richtung von der Gegend, die Du genannt hast. Dir scheint übrigens an Nachrichten von Grimaud, Mousqueton und Bazin nicht so viel zu liegen, wie wir an Nachrichten über Athos, Porthos und Aramis.«—»Oh! gewiß! gnädiger Herr, «erwiederte Planchet,»und ich reise, wann Ihr wollt; die Provinzluft taugt, wie ich glaube, in diesem Augenblick besser für uns als die Pariser Luft. Also…»Schnüre Deine Bündel, Planchet, und dann vorwärts; ich gehe mit den Händen in der Tasche, damit man keinen Verdacht schöpft, voraus. Du holst mich im Hotel der Garden ein. Doch — beiläufig gesagt — Du hattest Recht in Beziehung auf unsern Wirth, das ist offenbar eine schändliche Canaille.«—»Oh! glaubt mir immer, wenn ich Euch etwas sage; ich bin ein Physiognomiker, ich!«

D'Artagnan ging verabredeter Maßen zuerst hinab und wandte sich, um sich keinen Vorwurf machen zu müssen, zum letzten Mal nach der Wohnung seiner drei Freunde; man hatte keine Nachricht von ihnen erhalten; nur ein ganz von Wohlgerüchen geschwängerter Brief von äußerst zarter und zierlicher Handschrift war für Aramis eingelaufen. D'Artagnan übernahm denselben. Zehn Minuten nachher traf Planchet mit ihm in den Ställen des Hotels der Garden zusammen. Um keine Zeit zu verlieren, hatte d'Artagnan sein Pferd bereits selbst gesattelt.

«Gut so, «sagte er zu Planchet, als er den Mantelsack festgeschnallt hatte;»nun sattle auch vie drei andern Pferde und dann vorwärts.«

«Glaubt Ihr, daß wir jeder mit zwei Pferden schneller reisen?«fragte Planchet mit einer verschmitzten Miene.

«Nein, nein, schlechter Spaßvogel, «antwortete d'Artagnan,»aber mit unsern vier Pferden können wir unsere drei Freunde zurückbringen, wenn wir sie überhaupt noch lebend finden.«

«Das wäre ein großes Glück, «sprach Planchet,»aber man darf an der Barmherzigkeit Gottes nicht verzweifeln.«

«Amen, «rief d'Artagnan und stieg zu Pferde.

Beide verließen das Hotel der Garden, jedoch auf verschiedenen Straßen, der Eine um den Wog durch die Barriere de la Villete zu nehmen, der Andere, um durch die Barriere Montmartre zu reiten, und jenseits Saint-Denis sollten sie sich sodann wiederzusammenfinden — ein strategisches Manöver, das von beiden Seiten mit gleicher Pünktlichkeit ausgeführt und von den glücklichsten Resultaten gekrönt wurde. D'Artagnan und Planchet ritten also mit einander in Pierresitte ein.

Planchet war allerdings muthiger bei Tag als bei Nacht. Seine natürliche Klugheit verließ ihn jedoch keinen Augenblick. Er hatte keinen von den Vorfällen der ersten Reise vergessen und glaubte in allen Menschen, denen er auf der Reise begegnete. Feinde zu erblicken. Dem zu Folge hielt er unablässig den Hut in der Hand, was ihm strenge Verweise von Seiten d'Artagnan's zuzog, welcher befürchtete, man möchte ihn bei diesem Uebermaß von Höflichkeit für einen Mann von geringem Stande ansehen.

Wurden die Vorübergehenden wirklich durch das artige Benehmen Planchets gerührt oder hatte man diesmal Niemand an dem Wege des jungen Mannes in Hinterhalt gelegt — unsere Reisenden gelangten jedenfalls, ohne irgend einen Unfall zu erleben, nach Chantilly und stiegen vor dem Gasthause zum großen Sanct Martin ab, wo sie bei ihrer ersten Reise angehalten hatten.

Der Wirth trat ehrfurchtsvoll auf die Schwelle seiner Thüre, als er einen jungen Mann, mit einem Lakaien und zwei Handpferden kommen sah. Da d'Artagnan bereits elf Meilen zurückgelegt hatte, so hielt er es für zweckdienlich, einzukehren, ob Porthos in dem Wirthshaus wäre oder nicht. Vielleicht war es auch nicht der Klugheit gemäß, mit der Thüre ins Haus zu fallen und sich sogleich zu erkundigen, was aus dem Musketier geworden. Durch diese Betrachtungen bewogen, stieg d'Artagnan ab, ohne sich nach irgend Jemand zu erkundigen, empfahl die Pferde seinem Lakaien, trat in ein kleines Zimmer, das zur Aufnahme von Gästen bestimmt war, welche allein zu bleiben wünschten, und verlangte von dem Wirth eine Flasche von seinem besten Wein, und ein Frühstück so gut, als man es haben könne; dieses Verlangen bestärkte den Gastgeber noch mehr in der guten Meinung, die er beim ersten Blick von dem Reisenden gefaßt hatte.

D'Artagnan wurde auch mit wunderbarer Geschwindigkeit bedient. Das Regiment der Garden rekrutierte sich unter den ersten Edelleuten des Königreichs; von einem Lakaien gefolgt und mit vier prachtvollen Pferden reisend, mußte also d'Artagnan trotz der Einfachheit seiner Uniform notwendig einiges Aufsehen erregen. Der Wirth wollte ihn selbst bedienen. Als d'Artagnan dieß sah, ließ er zwei Gläser herbeischaffen und knüpfte folgendes Gespräch an:

«Meiner Treu, mein lieber Wirth, «sprach d'Artagnan, die zwei Gläser füllend,»ich verlangte von Eurem besten Wein, und wenn Ihr mich getäuscht habt, so sollt Ihr da gestraft werden, wo Ihr sündigtet, insofern Ihr mit mir trinken müßt, da ich es hasse, allein eine Flasche zu leeren. Nehmt also dieses Glas und laßt uns trinken. Auf was wollen wir trinken, um keine empfindliche Seite zu verletzen? Trinken wir auf die Wohlfahrt Eures Gasthofes.«—»Eure Herrlichkeit erweist mir eine große Ehre, «sprach der Wirth,»und ich danke von Herzen für diesen guten Wunsch.«—»Täuscht Euch nicht, «sprach d'Artagnan,»es liegt in meinem Toast vielleicht mehr Selbstsucht, als Ihr wohl glauben möget. Nur in den Gasthöfen, welche gedeihen, findet man gute Aufnahme; in denjenigen, welche in der Abnahme begriffen sind, geht Alles drunter und drüber, und der Reisende ist das Opfer der Verlegenheiten seines Wirthes. Da ich aber viel und besonders viel auf dieser Straße reise, so wünschte ich, daß es allen Gastgebern wohl erginge.«—»In der That, «sprach der Wirth,»es scheint mir, es ist nicht das erste Mal, daß ich die Ehre habe, den gnädigen Herrn zu sehen.«—»Bah! ich bin mehr als zehnmal durch Chantilly gereist und dabei wenigstens drei bis viermal bei Euch eingekehrt. Ich war sogar vor zehn bis zwölf Tagen hier. Damals begleitete ich Freunde, Musketiere. Zum Beweis hiefür erinnere ich Euch daran, daß einer von ihnen mit einem Fremden, einem Unbekannten, in Streit gerieth, der, Gott weiß warum, Händel mit ihm suchte.«—»Ah, ja, wahrhaftig!«sprach der Wirth.»Eure Herrlichkeit meint wohl Herrn Porthos?«—»Das ist gerade der Name meines Reisegefährten. Mein Gott! mein lieber Wirth, sagt mir, sollte ihm etwa ein Unglück widerfahren sein?«—»Eure Herrlichkeit muß wohl wahrgenommen haben, daß er seine Reise nicht fortsetzen konnte.«—»In der That, er versprach uns, sogleich nachzufolgen, und wir haben ihn nicht wiedergesehen.«—»Er hat uns die Ehre erzeigt, hier zu bleiben.«—»Wie? er hat Euch die Ehre erzeigt, hier zu bleiben?«—»Ja, gnädiger Herr, in diesem Gasthof. Wir sind sogar sehr in Unruhe.«—»Worüber?«—»Ueber gewisse Ausgaben, die er gemacht hat.«—»Gut! aber er wird die Ausgaben, die er gemacht hat, bezahlen.«—»Ah, gnädiger Herr, Ihr gießt mir in der That Balsam in das Blut. Wir haben große Vorschüsse geleistet und noch diesen Morgen erklärte uns der Wundarzt, wenn ihn Herr Porthos nicht bezahle, so werde er sich an mich halten, da ich ihn habe holen lassen.«—»Porthos ist also verwundet?«—»Ich wüßte es Euch nicht zu sagen, gnädiger Herr.«—»Wie, Ihr wüßtet es mir nicht zu sagen? Ihr solltet doch besser unterrichtet sein, als irgend Jemand.«—»Ja, aber wir in unserem Stande sagen nicht Alles, was wir wissen, besonders wenn man uns bedeutet hat, daß unsere Ohren für unsere Zunge haften müssen.«—»Kann ich Porthos sehen?«—»Gewiß, gnädiger Herr, geht die Treppe hinauf und klopft im ersten Stocke an Nr. 1, nur thut ihm kund, daß Ihr es seid.«—»Wie, ich soll ihm kundthun, daß ich es bin?«—»Ja, es könnte Euch sonst ein Unglück widerfahren.«—»Und welches Unglück soll mir widerfahren?«—»Herr Porthos könnte Euch für Jemand aus dem Hause halten und Euch in einem Anfall von Zorn den Degen durch den Leib rennen oder die Hirnschale zerschmettern.«—»Was habt Ihr ihm denn gethan?«—»Wir haben Geld von ihm gefordert!«—»Ah, Teufel, ich begreife es. Das ist eine Forderung, welche Porthos sehr übel aufnimmt, wenn er nicht bei Kasse ist; aber ich weiß, daß er dies sein sollte.«—»Das haben wir auch gedacht, gnädiger Herr; da in diesem Hause große Ordnung herrscht, und wir jede Woche unsere Rechnungen machen, so überreichten wir ihm nach Verlauf von acht Tagen unsere Note; aber es scheint, wir hatten hiezu einen ungünstigen Augenblick gewählt, denn bei dem ersten Wort, das wir über diesen Gegenstand sprachen, wünschte er uns zu allen Teufeln; allerdings hatte er den Tag vorher gespielt.«—»Wie, er hatte gespielt, und mit wem?«—»O mein Gott, wer weiß? Mit einem durchreisenden vornehmen Herrn, dem er eine Partie Landsknecht antragen ließ.«—»Das ist es, der Unglückliche wird wohl Alles verloren haben.«—»Bis auf sein Pferd, gnädiger Herr, denn als der Fremde abreisen wollte, gewahrten wir, daß er das Pferd des Herrn Porthos durch seinen Lakaien satteln ließ. Wir machten ihm hierüber eine Bemerkung, aber er erwiederte uns, wir mischen uns in Dinge, die uns nichts angehen, und das Pferd gehöre ihm. Wir ließen auch Herrn Porthos von dem Vorfall in Kenntniß setzen, doch er antwortete, wir seien Schufte, daß wir an dem Wort eines Edelmannes zweifelten, und da dieser uns gesagt habe, das Pferd gehöre ihm, so müsse es wohl auch so sein.«—»Daran erkenne ich ihn, «murmelte d'Artagnan. — »Darauf ließ ich ihm sagen, «fuhr der Wirth fort,»wenn wir uns in Betreff der Bezahlung nicht verstehen können, so müsse ich hoffen, daß er wenigstens die Güte habe, die Gunst seiner Kundschaft meinem Kollegen, dem Wirth zum goldenen Adler, zuzuwenden; aber Herr Porthos antwortete mir, da mein Gasthof der beste sei, so wünsche er hier zu bleiben. Diese Antwort war zu schmeichelhaft, als daß ich auf seinem Auszug bestehen konnte. Ich bat ihn also blos, er möchte mir sein Zimmer, das schönste im Gasthof, zurückgeben und sich mit einem hübschen Cabinet im dritten Stock begnügen. Hierauf aber erwiederte Herr Porthos, da er jeden Augenblick seine Geliebte, eine der vornehmsten Damen des Hofes erwarte, so müsse ich einsehen, daß das Zimmer, welches er zu bewohnen mir die Ehre erweise, immer noch sehr mittelmäßig für eine solche Person sei. Obschon ich die Wahrheit des Gesagten vollkommen einsah, glaubte ich dennoch auf meiner Forderung bestehen zu müssen. Aber er gab sich nicht einmal die Mühe, sich mit mir in eine Discussion darüber einzulassen, sondern nahm seine Pistole, legte sie auf seinen Nachttisch und erklärte, daß er beim ersten Wort, welches man über ein Ausziehen nach einem andern Gasthof oder im Innern des Hauses zu ihm zu sprechen sich erfreche, demjenigen die Hirnschale zerschmettern werde, der so unklug wäre, sich in eine Angelegenheit zu mischen, die ihn nichts anginge. Seit dieser Zeit, gnädiger Herr, betritt außer seinem Bedienten Niemand mehr sein Zimmer.«—»Mousqueton ist also hier?«—»Ja, gnädiger Herr. Fünf Tage nach seiner Abreise ist er in sehr übler Laune zurückgekehrt. Es scheint, es sei ihm auch eine Unannehmlichkeit auf seiner Reise widerfahren. Leider ist er noch flinker als sein Herr und kehrt für diesen das Unterste zu oberst; da er glaubt, man könnte ihm verweigern, was er fordert, so nimmt er Alles, was er braucht, ohne zu fordern.«—»Ich habe bei Mousqueton allerdings stets eine ungewöhnliche Ergebenheit und Geisteskraft wahrgenommen, «erwiederte d'Artagnan. — »Das ist möglich, gnädiger Herr; aber setzt den Fall, ich komme nur viermal im Jahre mit einer solchen Ergebenheit und Geisteskraft in Berührung, so bin ich ein zu Grunde gerichteter Mann.«—»Nein, denn Porthos wird Euch bezahlen.«—»Hm, «murmelte der Wirth mit zweifelhaftem Tone. — »Er ist der Günstling einer vornehmen Dame, die ihn wegen einer Bagatelle, die er Euch schuldig ist, nicht im Stich lassen wird.«—»Wenn ich es wagte, Euch zu sagen, was ich hierüber denke…«—»Was denkt Ihr hierüber?«—»Ich dürfte sogar sagen: was ich hierüber weiß.«—»Was Ihr wißt?«—»Und sogar was ich ganz gewiß weiß.«—»Und was wißt Ihr gewiß? Laßt hören!«—»Ich dürfte sagen, ich kenne diese vornehme Dame.«—»Ihr?«—»Ja, ich.«—»Und woher kennt Ihr sie?«—»O, gnädiger Herr, wenn ich mich Eurer Verschwiegenheit anvertrauen dürfte…«—»Sprecht! und auf Edelmannswort, Ihr sollt Euer Vertrauen nicht zu bereuen haben.«—»Wohl, gnädiger Herr. Ihr begreift, daß die Besorgniß zu allerhand Dingen leitet.«»Was habt Ihr gemacht?«—»Oh! nichts, was nicht in der Befugniß eines Gläubigers läge.«—»Nun?«—»Herr Porthos übergab uns ein Billet für diese Herzogin, mit dem Befehl, es auf die Post zu bringen. Sein Bedienter war noch nicht angelangt. Da er sein Zimmer nicht verlassen konnte, so mußten wir seine Aufträge zur Besorgung übernehmen.«—»Weiter?«—»Statt den Brief auf die Post zu bringen, was nie ganz sicher ist, benützten wir die Gelegenheit, da gerade einer von unsern Aufwärtern nach Paris ging, und beauftragten ihn, den Brief der Herzogin selbst zuzustellen. Dieß hieß den Absichten von Herrn Porthos entsprechen, der uns seinen Brief so sehr empfohlen hatte, nicht wahr?«—»Ungefähr.«—»Nun, gnädiger Herr, wißt Ihr, wer diese große Dame ist?«—»Nein, ich habe nur Porthos von ihr sprechen hören.«—»Wißt Ihr, wer diese angebliche Herzogin ist?«—»Ich wiederhole Euch, ich kenne sie nicht.«—»Es ist eine alte Frau, die Gattin eines Prokurators beim Chatelet, gnädiger Herr, Madame Coquenard; sie hat wenigstens ihre fünfzig Jahre auf dem Rücken und spielt noch die Eifersüchtige. Das kam mir auch ganz sonderbar vor — eine Prinzessin, die in der Rue aux Ours wohnt!«—»Woher wißt Ihr dies?«—»Weil sie in gewaltigen Zorn gerieth, als sie den Brief empfing, und sagte: Herr Porthos sei ein flatterhafter Mensch und habe wohl irgend einer Frauensperson wegen den Degenstich bekommen.«—»Er hat also einen Degenstich bekommen?«—»Ah! mein Gott! was habe ich da gesagt?«—»Ihr sagtet, Porthos habe einen Degenstich bekommen.«—»Ja, aber er hat mir streng verboten, darüber zu sprechen.«—»Warum dies?«—»Weil er sich gerühmt hatte, er werde diesen Fremden, mit dem Ihr ihn im Streite zurückließet, durchbohren, während dieser Fremde im Gegentheil ihn trotz aller seiner Prahlereien zu Boden streckte. Da nun Herr Porthos ein sehr eitler Mann ist, zumal seiner Herzogin gegenüber, die er durch Erzählung seines Abenteuers für sich gewinnen zu können geglaubt hatte, so will er Niemand zugestehen, daß er einen Degenstich erhalten hat.«—»Also hält ihn ein Degenstich im Bette zurück?«—»Und zwar ein Hauptstich. Die Seele Eures Freundes muß mit Pflöcken im Körper befestigt sein.«—»Ihr wäret also dabei?«—»Gnädiger Herr, ich folgte ihnen aus Neugierde, und sah den Kampf, ohne daß die Kämpfenden mich sehen konnten.«—»Und wie ging es dabei zu?«—»Oh! die Sache dauerte nicht lang, dafür kann ich Euch wohl stehen. Sie nahmen ihre Stellung. Der Fremde machte eine Finte und stieß zu, und zwar so schnell, daß Herr Porthos, als er zur Parade gelangte, bereits drei Zoll Eisen in der Brust hatte. Der Fremde setzte ihm sogleich die Spitze seines Degens an die Gurgel, aber als sich Herr Porthos der Gnade seines Gegners preisgegeben sah, erklärte er sich für überwunden; der Fremde fragte ihn hierauf nach seinem Namen, und als er erfuhr, daß er Herr Porthos und nicht Herr d'Artagnan hieß, so bot er ihm seinen Arm, führte ihn bis zum Hotel, stieg zu Pferde und verschwand.«—»Also wollte der Fremde Herrn d'Artagnan an den Leib gehen?«—»Es scheint so.«—»Und wißt Ihr, was aus ihm geworden ist?«—»Nein, ich habe ihn bis zu diesem Augenblicke nicht gesehen, und er ist uns auch seitdem nicht wieder zu Gesicht gekommen.«—»Gut, ich weiß, was ich wissen wollte. Ihr sagt also, das Zimmer von Porthos sei im ersten Stock Nro. 1?«—»Ja, gnädiger Herr, das schönste des Gasthofes; ein Zimmer, das ich schon mehr als zehnmal zu vermiethen Gelegenheit gehabt hätte.«—»Bah, beruhigt Euch, «sprach d'Artagnan lachend,»Porthos wird Euch mit dem Gelde der Herzogin Coquenard bezahlen.«—»O gnädiger Herr, Procuratorfsrau oder Herzogin, wenn sie nur ihre Börse öffnen wollte, das wäre mir gleich viel; aber sie hat geradezu erklärt, sie sei der Forderungen und Treulosigkeiten des Herr Porthos müde, und sie werde ihm nicht einen Pfennig schicken.«—»Und habt Ihr diese Antwort Eurem Gaste wieder mitgeteilt?«—»Wir hüteten uns wohl, er würde gesehen haben, auf welche Weise wir seinen Auftrag besorgten.«—»Also wartet er immer noch auf sein Geld?«—»O mein Gott, ja, er hat gestern erst geschrieben, aber dießmal brachte sein Bedienter den Brief auf die Post.«—»Und Ihr sagt, die Person sei alt und häßlich?«—»Wenigstens fünfzig Jahre alt, gnädiger Herr, und durchaus nicht schön, wie Pathaud behauptet.«—»Dann seid ohne Sorgen, sie wird sich erweichen lassen. Ueberdies kann Euch Porthos nicht viel schuldig sein.«—»Wie, nicht viel schuldig! Bereits zwanzig Pistolen, den Arzt nicht zu rechnen. O! er versagt sich nicht das Mindeste, man sieht, daß er gut zu leben gewohnt ist.«—»Wenn ihn seine Geliebte auch verläßt, so wird er doch Freunde finden, dafür bürge ich Euch. Seid also ganz ruhig, mein lieber Wirth, und widmet ihm alle Sorgfalt, welche sein Zustand fordert.«—»Der gnädige Herr hat mir versprochen, den Mund über die Procuratorsfrau nicht zu öffnen und keine Silbe über die Wunde zu sagen?«—»Das ist eine abgemachte Sache. Ihr habt mein Wort darauf.«—»Oh, er würde mich sicherlich umbringen!«—»Seid ohne Furcht! Er ist nicht so teufelmäßig als er aussieht.«

Sofort stieg d'Artagnan die Treppe hinauf, der Wirth aber war in Beziehung auf die zwei Dinge, auf welche er sehr viel zu halten schien, nämlich seine Schuldforderung und sein Leben bedeutend ruhiger.

Oben an der Treppe war an die augenfälligste Thüre der Hausflur mit schwarzer Farbe ein riesiges Nro. 1 geschrieben; d'Artagnan klopfte an, und trat auf die Einladung, welche hierauf erfolgte, in das Zimmer.

Porthos lag im Bette und spielte zum Zeitvertreib eine Parthie Lanzknecht mit Mousqueton, während sich ein mit Rebhühnern beladener Spieß vor dem Feuer drehte und in jeder Ecke eines großen Kamins auf zwei Gluthpfannen zwei Kasserole kochten, aus denen der doppelte Wohlgeruch von Gibelotte und Matelote lieblich hervorströmte. Die Oberfläche eines Schrankes und die Marmortafel einer Kommode waren überdies mit leeren Flaschen bedeckt.

Beim Anblick seines Freundes erhob Porthos ein Freudengeschrei; Mousqueton stand ehrfurchtsvoll auf, trat ihm seinen Platz ab und ging zu den Gluthpfannen, um einen Blick in die Kasserole zuwerfen, deren Oberaufsicht ihm anvertraut zu sein schien.

«Ah, bei Gott, Ihr seid es, «sprach Porthos zu d'Artagnan.»Seid mir willkommen und entschuldigt, daß ich Euch nicht entgegengehe. Aber, «fügte er bei, und schaute d'Artagnan zugleich mit einer gewissen Unruhe an,»Ihr wißt, was mir begegnet ist?«—»Nein.«—»Der Wirth hat Euch nichts gesagt?«—»Ich habe nach Euch gefragt und bin sogleich heraufgegangen.«

Porthos schien freier zu athmen.

«Und was ist Euch denn begegnet, mein lieber Porthos?«fuhr d'Artagnan fort. — »Als ich gegen meinen Widersacher ausfiel, dem ich bereits drei Degenstiche beigebracht hatte und mit dem vierten den Garaus machen wollte, stieß ich mit dem Fuß an einen Stein und verstauchte mir das Knie.«—»Wirklich?«—»Auf Ehre! zum Glück für den Schurken, denn ich hätte ihn todt auf dem Platze gelassen, dafür stehe ich Euch.«—»Und was ist aus ihm geworden?«—»Oh! ich weiß es nicht. Er hatte genug und zog ab, ohne den Rest von mir zu fordern; aber Ihr, mein lieber d'Artagnan, was ist Euch begegnet?«—»Also, «fuhr d'Artagnan fort,»also fesselt Euch diese Verstauchung an das Bett?«—»Ach! mein Gott, ja, nichts Anderes; übrigens werde ich in einigen Tagen wieder auf den Beinen sein.«

«Aber warum habt Ihr Euch nicht nach Paris transportiren lassen, Ihr müßt Euch hier schrecklich langweilen?«—»Es war meine Absicht, doch ich muß Euch etwas gestehen.«—»Was?«—»Gerade weil ich mich schrecklich langweilte, wie Ihr sagtet, und die fünf und siebzig Pistolen in meiner Tasche hatte, die Ihr mir zutheiltet, ließ ich, um mich zu zerstreuen, einen vorüberziehenden Edelmann zu mir heraufkommen und bot ihm eine Würfelpartie an. Er willigte ein, und, meiner Treu, meine fünf und siebzig Pistolen gingen aus meiner Tasche in die seinige über, mein Pferd gar nicht zu rechnen, das er noch in den Kauf bekam. Aber Ihr, mein lieber d'Artagnan?«—»Was wollt Ihr, mein lieber Porthos, man kann nicht auf jede Weise bevorzugt sein, «sagte d'Artagnan. Ihr kennt das Sprüchwort:»Unglück im Spiel, Glück in der Liebe!«Ihr seid zu glücklich in der Liebe, als daß sich nicht das Spiel rächen sollte. Aber was kümmert Ihr Euch um den Umschlag des Glückes? Habt Ihr, glücklicher Bursche, der Ihr seid, nicht Euere Herzogin, die Euch nothwendig zu Hülfe kommen muß?«—»Seht, mein lieber d'Artagnan, wie Alles gegenwärtig bei mir schief geht, «antwortete Porthos mit der freimüthigsten Miene von der Welt;»ich schrieb ihr um etliche fünfzig Louisd'or, deren ich in Betracht meiner dermaligen Lage durchaus bedürfe.«—»Nun?«—»Nun! sie muß auf ihren Gütern sein, denn sie hat mir gar nicht geantwortet!«—»Wahrhaftig!«—»Nein; auch schickte ich ihr gestern eine neue Epistel noch viel dringenderen Inhaltes als die erste zu; aber da Ihr jetzt hier seid, so sprechen wir von Euch, mein Liebster! Ich gestehe, daß ich über Euch unruhig zu werden anfing.«—»Doch Euer Wirth benimmt sich gut gegen Euch, mein lieber Porthos, «sprach d'Artagnan und deutete auf die vollen Kasserole und die leeren Flaschen. — »So so!«erwiederte Porthos.»Der unverschämte Kerl brachte mir schon vor drei oder vier Tagen seine Rechnung, aber ich warf beide, seine Rechnung und ihn, zur Thüre hinaus, so daß ich hier wie eine Art von Sieger, wie ein Eroberer lebe. Auch bin ich, wie Ihr seht, bis an die Zähne bewaffnet, da ich immer einen Angriff aus meine Stellung fürchten muß.«—»Ihr scheint mir indessen von Zeit zu Zeit Ausfälle zu machen «sprach d'Artagnan lachend und deutete abermals auf die Flaschen und Kasserole. — »Nein, leider nicht ich, «sagte Porthos.»Diese elende Verstauchung hält mich im Bett, aber Mousqueton zieht zu Felde und bringt Proviant mit. Mousqueton, mein Freund, «fuhr Porthos fort,»Ihr seht, daß wir Verstärkung bekommen, wir bedürfen einen Zusatz an Victualien.«—»Mousqueton, «sprach d'Artagnan,»Du mußt mir einen Gefallen thun.«—»Welchen, gnädiger Herr?«—»Du mußt mir Dein Recept für Planchet geben; ich könnte ebenfalls belagert werden, und es würde mir leid thun, wenn ich nicht dieselben Vortheile genöße, mit denen Du Deinen Herrn erfreust.«—»Ei, mein Gott, gnädiger Herr, «sprach Mousqueton mit bescheidener Miene,»nichts leichter auf der Welt. Man muß nur geschickt sein, das ist das Ganze. Ich bin im Felde aufgezogen worden, und mein Vater war in seinen müßigen Augenblicken ein wenig Wildschütze.«—»Und was machte er die übrige Zeit?«—»Gnädiger Herr, er trieb ein Gewerbe, das mir immer sehr glücklich vorkam.«—»Welches?«

«Da er in der Zeit der Kriege der Katholiken und Hugenotten lebte und sah, wie die Katholiken die Hugenotten und die Hugenotten die Katholiken ausrotteten. Alles im Namen der Religion, so hatte er sich einen gemischten Glauben gebildet, was ihm bald Katholik, bald Hugenott zu sein erlaubte. Er ging nun gewöhnlich, seine Stutzbüchse auf der Schulter, hinter den Hecken spazieren, welche die Wege begränzen, und wenn er einen Katholiken allein kommen sah, so gewann die protestantische Religion sogleich in seinem Innern die Oberhand. Er senkte seine Stutzbüchse in der Richtung des Reisenden, und wenn dieser etwa zehn Schritte von ihm entfernt war, knüpfte er ein Gespräch an, welches beinahe immer damit endigte, daß ihm der Reisende, um sein Leben zu retten, seine Börse abtrat. Es versteht sich von selbst, daß er sich, wenn er einen Hugenotten erblickte, von einem so glühenden katholischen Eifer erfaßt fühlte, daß er gar nicht begriff, wie er eine Viertelstunde vorher an dem hohen Vorzug unserer heiligen Religion hätte zweifeln können. Denn ich, mein Herr, ich bin Katholik, während mein Vater, seinen Grundsätzen getreu, aus meinem älteren Bruder einen Hugenotten machte.«

«Und wie hat dieser würdige Mann geendet?«fragte d'Artagnan. — »Oh! auf die allerunglücklichste Weise, gnädiger Herr. Er befand sich eines Tags in einem Hohlweg zwischen einem Hugenotten und einem Katholiken. Er hatte bereits mit Beiden zu thun gehabt. Beide erkannten ihn wieder, vereinigten sich gegen ihn und hingen ihn an einem Baume auf. Dann kamen sie in das Wirthshaus des nächsten Dorfes, wo ich mit meinem Bruder trank, und erzählten den albernen Streich, den sie gemacht hatten.«—»Und was thatet Ihr?«sprach d'Artagnan. — »Wir ließen sie reden, «erwiederte Mousqueton;»da sie jedoch, als sie das Wirthshaus verließen, eine entgegengesetzte Route einschlugen, so legte sich mein Bruder an dem Wege des Katholiken und ich mich an dem des Protestanten in Hinterhalt. Zwei Stunden nachher war Alles vorbei. Wir hatten mit Jedem das Geschäft abgemacht, jedoch nicht ohne die Klugheit unseres Vaters zu bewundern, der so vorsichtig gewesen war, jeden von uns in einer andern Religion erziehen zu lassen.«—»In der That, Mousqueton, Dein Vater scheint, wie Du behauptest, ein sehr gescheidter Bursche gewesen sein. Und Du sagst also, der brave Mann habe in seinen müßigen Augenblicken das Wildschützenhandwerk getrieben?«—»Ja, gnädiger Herr, er hat mich eine Schlinge binden und mit Legangeln umgehen gelehrt. Als ich nun sah, daß uns unser Schurke von einem Wirth mit Massen von schwer verdaulichem Fleische, höchstens gut für Bauern und keineswegs zuträglich für zwei so sehr geschwächte Magen, fütterte, so pflegte ich wieder ein wenig mein altes Gewerbe. Während ich im Walde spazieren ging, legte ich Schlingen auf die Wechsel; während ich am Rande des Wassers lag, ließ ich Leinen in die Teiche gleiten. Auf diese Art fehlt uns, Gott sei Dank! jetzt nichts mehr, wie sich der gnädige Herr selbst überzeugen kann. Wir haben Feldhühner und Kaninchen, Karpfen und Aale, lauter leichte und gesunde, für Kranke zweckdienliche Nahrungsmittel.«—»Aber den Wein, «sprach d'Artagnan,»wer liefert den Wein? Euer Wirth?«—»Das heißt: ja und nein.«—»Wie, ja und nein?«—»Er liefert ihn allerdings, aber er weiß nicht, daß er diese Ehre hat.«—»Erklärt Euch näher, Mousqueton. Eure Unterhaltung ist äußerst lehrreich.«—»So hört, gnädiger Herr: der Zufall wollte, daß ich auf meinen Wanderungen einen Spanier traf, die viele Länder und unter Anderem auch die neue Welt gesehen hatte.«—»In welchem Zusammenhang kann die neue Welt mit den Flaschen stehen, die ich auf dem Schrank und auf der Kommode erblicke?«—»Geduld, gnädiger Herr, Alles zu seiner Zeit.«—»Das ist richtig, Mousqueton; fahre fort, ich höre.«—»Dieser Spanier hatte einen Lakaien in seinem Dienste, der mit ihm nach Mexiko gereist war. Dieser Lakai war ein Landsmann, und wir knüpften um so leichter ein freundschaftliches Verhältniß an, als eine große Ähnlichkeit der Charaktere zwischen uns stattfand. Wir liebten Beide ganz besonders die Jagd, und er erzählte mir, wie die Eingebornen des Landes auf den Ebenen von Pampas den Tiger und den Büffel ganz einfach mit Schlingen jagen, die sie den furchtbaren Thieren um den Hals werfen. Anfangs wollte ich nicht glauben, daß man einen solchen Grad von Geschicklichkeit erreichen könne, auf zwanzig bis dreißig Schritte das Ende des Strickes dahin zu werfen, wohin man will. Aber ich mußte die Wahrheit anerkennen, als er mir Proben zur Bestätigung seiner Behauptung ablegte. Mein Freund stellte eine Flasche auf dreißig Schritte Entfernung auf, und bei jedem Wurf faßte er den Hals mit der Schlinge. Ich übte mich in der Kunst, und da mich die Natur mit einigen Fähigkeiten ausgerüstet hat, so werfe ich heute den Lasso mit so viel Geschicklichkeit als irgend ein Mensch in der Welt. Nun begreift Ihr? Unser Wirth hat einen sehr wohl ausgerüsteten Keller, dessen Schlüssel er jedoch immer bei sich trägt. Dieser Keller hat aber ein Luftloch, durch dieses Luftloch werfe ich nun den Lasso, und da ich weiß, wo der rechte Winkel ist, so schöpfe ich aus diesem. Auf diese Art, gnädiger Herr, steht die neue Welt mit den Flaschen auf dem Schrank und auf der Kommode in Verbindung. Wollt Ihr nun unsern Wein kosten und uns ohne Vorurtheil sagen, was ihr davon denkt?«—»Ich danke, mein Freund, ich danke, ich habe leider schon gefrühstückt.«—»Gut, «sprach Porthos,»stelle den Tisch hieher, Mousqueton, und während wir frühstücken, wird uns d'Artagnan erzählen, was ihm in den zehn Tagen, seit er uns verlassen hat, begegnet ist.«—»Sehr gerne, «erwiederte d'Artagnan.

Während Porthos und Mousqueton mit dem Appetit von Wiedergenesenden und mit der brüderlichen Herzlichkeit frühstückten, welche die Menschen im Unglück einander näher bringt, erzählte d'Artagnan, wie Aramis in Crevecoeur verwundet zurückbleiben gemußt, wie er Athos zu Amiens in einem Handgemenge mit vier Menschen, die ihn der Falschmünzerei angeklagt, zurückgelassen hatte, und wie er, d'Artagnan, um England zu erreichen, genöthigt gewesen war, den Grafen von Wardes an den Boden zu spießen.

Damit endeten die Mittheilungen d'Artagnans; er sprach nur noch davon, daß er bei seiner Rückkehr aus Großbritannien vier prachtvolle Pferde mitgebracht habe, wovon eines für ihn, und ein anderes für jeden von seinen Gefährten; dann schloß er mit der Ankündigung, das für Porthos bestimmte stehe bereits im Stall des Gasthofes.

In diesen, Augenblick trat Planchet ein. Er meldete seinem Herrn, die Pferde seien hinreichend ausgeruht, und man könne wohl bis zum Abend Clermont erreichen und dort ein Lager suchen.

Da d'Artagnan in Beziehung auf Porthos ziemlich beruhigt war, und es ihn drängte, auch von seinen zwei andern Freunden Kunde zu erhalten, so reichte er dem Kranken die Hand und sagte ihm, er werde sogleich abreisen, um seine Nachforschungen fortzusetzen. Er hoffe übrigens auf demselben Weg zurückzukehren und gedenke Porthos, wenn er sich in sechs bis acht Tagen noch im Hotel zum großen Sanct Martin befände, im Vorüberziehen mitzunehmen.

Porthos erwiederte, aller Wahrscheinlichkeit nach würde ihm seine Verstauchung die Abreise um diese Zeit noch nicht erlauben; überdies müsse er in Chantilly bleiben, um die Antwort seiner Herzogin abzuwarten.

D'Artagnan wünschte ihm ein baldiges und erfreuliches Eintreffen dieser Antwort, empfahl Porthos noch einmal der Sorge Mousqueton's, bezahlte dem Wirth seine Rechnung und setzte seine Reise mit Planchet fort, der nun bereits von einem seiner Handpferde befreit war.


XXVI. Die These von Aramis

D'Artagnan hatte Porthos weder von der Wunde noch von der Procuratorsfrau Etwas gesagt. Es war ein sehr kluger Bursche, unser Bearner, trotz seiner Jugend. Er stellte sich, als glaube er Alles, was ihm der ruhmredige Musketier erzählte, wobei er von der Ueberzeugung ausging, daß man immer eine moralische Ueberlegenheit über die Menschen hat, deren Leben man kennt, ohne es sie sogleich fühlen zu lassen und ihren Stolz dadurch zu verletzen. D'Artagnan aber, der fest entschlossen war, seine drei Gefährten zu Werkzeugen seines Glückes zu machen und sie bei seinen zukünftigen Intriguen zu benützen, freute sich zum Voraus, in seiner Hand die unsichtbaren Fäden zu vereinigen, mit deren Hülfe er sie zu lenken gedachte.

Auf dem ganzen Marsch schnürte ihm jedoch eine gewaltige Traurigkeit das Herz zusammen. Er dachte an die junge und hübsche Frau Bonacieux, die ihm den Preis für seine Ergebenheit reichen sollte. Fügen wir jedoch sogleich bei, daß diese Traurigkeit bei dem jungen Mann weniger von der Klage über sein verlornes Glück herrührte, als von seiner Furcht, es könnte der armen Frau ein Unglück widerfahren sein. Für ihn gab es keinen Zweifel mehr, sie war das Opfer einer Rache des Kardinals; die Rache Sr. Eminenz war bekanntlich furchtbar. Wie hatte er Gnade vor den Augen dieses Ministers gefunden? Das wußte er sich selbst nicht zu erklären, und der Herr von Cavois würde ihm dies wohl enthüllt haben, wenn ihn der Kapitän der Garden zu Haufe getroffen hätte.

Nichts leiht der Zeit raschere Flügel, nichts kürzt den Weg so sehr ab, als ein Gedanke, der alle Fähigkeiten der Organisation des Denkenden verschlingt. Das äußere Dasein gleicht sodann einem Schlummer, dessen Traum dieser Gedanke ist; durch seinen Einfluß hat die Zeit kein Maaß, der Raum keine Entfernung mehr; man geht von einem Ort aus und kommt an einem andern an, das ist das Ganze. Von dem durchlaufenen Zwischenraum ist unserm Gedächtniß nichts gegenwärtig geblieben, als ein unbestimmter Nebel, in dem sich tausend verworrene Bilder von Bäumen, Bergen und Landschaften gegenseitig verwischen. In dieser Geistesabwesenheit legte d'Artagnan bei dem Gang, den sein Pferd zu nehmen beliebte, die sechs bis acht Meilen, welche Chantilly von Crevecoeur trennen, zurück, ohne daß er sich bei seiner Ankunft in diesem Dorfe eines der Dinge erinnerte, denen er auf seinem Ritt begegnet war.

Hier erst kehrte sein Gedächtniß zurück; er schüttelte den Kopf, bemerkte die Schenke, wo er Aramis gelassen hatte, und trabte auf das Thor zu. Diesmal war es kein Wirth, sondern eine Wirthin, die ihn empfing. D'Artagnan war Physiognomiker; er überschaute mit einem Blick das dicke, heitere Gesicht der Herrin des Ortes und begriff, daß es hier keiner Verstellung bedurfte, und daß er von Seiten einer so lustigen Physiognomie nichts zu fürchten hatte.

«Meine gute Dame, «fragte sie d'Artagnan,»könnt Ihr mir wohl sagen, was aus einem meiner Freunde geworden ist, den wir vor etwa zwölf Tagen hier zu lassen genöthigt waren?«—»Ein hübscher junger Mann von drei- bis vierundzwanzig Jahren, sanft, liebenswürdig, wohlgebaut?«—»So ist es, überdies an der Schulter verwundet.«—»Ganz richtig. Nun, mein Herr, er befindet sich immer noch hier.«—»Ah, bei Gott, meine liebe Dame, «sprach d'Artagnan absteigend und Planchet den Zügel seines Pferdes zuwerfend,»Ihr gebt mir das Leben wieder; wo ist dieser theure Aramis, damit ich ihn umarme? denn ich gestehe, es drängt mich, ihn wieder zu sehen.«—»Um Vergebung, gnädiger Herr, ich zweifle, ob er Euch in diesem Augenblicke empfangen kann.«—»Warum? Ist eine Frau bei ihm?«—»Jesus, mein Gott! der arme Junge! nein, gnädiger Herr, es ist keine Frau bei ihm.«—»Nun, wer ist denn bei ihm?«—»Der Pfarrer von Montdidier und der Superior der Jesuiten von Amiens.«—»Gott im Himmel!«rief d'Artagnan.»Sollte es mit dem armen Jungen so schlimm stehen?«—»Nein, gnädiger Herr, im Gegentheil, aber in Folge seiner Krankheit hat ihn die Gnade berührt, und er ist entschlossen, in den geistlichen Stand einzutreten,«—»Ganz richtig, «sprach d'Artagnan,»ich hatte vergessen, daß er nur vorläufig Musketier war.«—»Besteht der gnädige Herr immer noch darauf, ihn zu sehen?«—»Mehr als je.«—»Nun, der gnädige Herr darf nur die Treppe rechts im Hof hinaufgehen, im zweiten Stock Nro. 5.«

D'Artagnan eilte in der angegebenen Richtung weg und fand eine von den äußern Treppen, wie man sie noch heut zu Tage in den Höfen der alten Gasthäuser sieht. Aber man gelangte nicht aus diese Art in die Wohnung des zukünftigen Abbé; die Zugänge zu den Zimmern von Aramis waren nicht mehr und nicht minder bewacht, als die Gärten der Armida. Bazin stand in der Hausflur Wache und versperrte ihm den Weg mit um so größerer Unerschrockenheit, als er sich endlich dem Ziele nahe sah, nach welchem er ewig mit frommem Ehrgeiz gestrebt hatte. Der arme Bazin hatte stets davon geträumt, einem Manne der heiligen Kirche zu dienen, und er erwartete mit Ungeduld den Augenblick, den er unablässig in der Zukunft erblickt hatte, wo Aramis endlich die Uniform mit der Sutane vertauschen würde; nur das oft wiederholte Versprechen des jungen Mannes, daß dieser Augenblick nicht mehr lange ausbleiben könne, hatte ihn im Dienst eines Musketiers zurückgehalten, einem Dienst, wo, wie er sagte, seine Seele nothwendig zu Grunde gehen müßte.

Bazin schwamm also in einem Meer von Freude. Aller Wahrscheinlichkeit nach konnte sein Herr diesmal nicht wieder zurücktreten.

Das Zusammentreffen des körperlichen Schmerzes mit dem moralischen hatte endlich die so lang ersehnte Wirrung hervorgebracht. An Leib und Seele leidend, hatte Aramis seine Augen und seinen Geist auf die Religion gerichtet, und sein doppelter Unfall, das heißt, das plötzliche Verschwinden seiner Geliebten und seine Verwundung an der Schulter, war ihm als eine Verkündigung des Himmels erschienen.

Man begreift, daß Bazin bei der gegenwärtigen Lage der Dinge nichts unangenehmer sein konnte, als die Ankunft d'Artagnans, welche seinen Herrn wieder in den Strudel weltlicher Gedanken, die ihn so lange fortgerissen hatten, zurückwerfen konnte. Er beschloß also, die Thüre muthig zu vertheidigen, und da er, insofern es bereits von der Wirthin verrathen war, nicht sagen konnte, Aramis befinde sich nicht zu Hause, so suchte er dem Ankommenden zu beweisen, es wäre der höchste Grad von Indiscretion, seinen Herrn in der frommen Konferenz zu stören, die schon am Morgen angefangen habe und nach der Aussage Bazins vor Abend nicht zu Ende gehen konnte.

Aber d'Artagnan nahm keine Rücksicht auf die Beredsamkeit des Meisters Bazin, und da er es nicht über sich gewinnen konnte, sich in eine Polemik mit dem Diener seines Freundes einzulassen, so schob er ihn ganz einfach mit einer Hand aus die Seite und drehte mit der andern den Knopf der Thüre von Nro. S.

Die Thüre öffnete sich und d'Artagnan trat in das Zimmer ein.

Aramis saß in einem schwarzen Oberrock mit einer runden und platten Kopfbedeckung, welche nicht wenig Ähnlichkeit mit einer Calotte hatte, vor einem länglichen, mit Papierrollen und ungeheuren Folianten bedeckten Tische. Zu seiner Rechten saß der Superior der Jesuiten, zu seiner Linken der Pfarrer von Montdidier. Die Vorhänge waren halb geschlossen und ließen nur ein mystisches, glückseliger Träumerei entsprechendes Licht eindringen. Alle weltlichen Gegenstände, welche das Auge berühren, wenn man in das Zimmer eines jungen Mannes eintritt, und besonders, wenn dieser junge Mann ein Musketier ist, waren wie durch einen Zauber verschwunden, und ohne Zweifel hatte die Furcht, ihr Anblick möchte seinen Herrn auf Gedanken von dieser Welt zurückbringen, Bazin veranlaßt, den Degen, die Pistolen, den Federhut und die Stickereien und Spitzen jeder Art und Gattung bei Seite zu schaffen.

Aber an ihrer Stelle glaubte d'Artagnan in einem dunkeln Winkel etwas wie eine Geißel an einem Nagel hängen zu sehen.

Bei dem Geräusch, das d'Artagnan verursachte, als er die Thüre öffnete, hob Aramis seinen Kopf in die Höhe und erkannte sogleich den Freund. Aber zum großen Erstaunen des jungen Mannes schien sein Anblick keinen großen Eindruck auf den Musketier hervorzubringen, so sehr hatte sich sein Geist von allen irdischen Dingen losgeschält.

«Guten Morgen, mein lieber d'Artagnan, «sprach Aramis,»glaubt mir, daß ich mich unendlich freue. Euch wiederzusehen.«

«Und ich Euch, «erwiderte d'Artagnan,»obgleich ich noch nicht ganz gewiß weiß, ob es Aramis ist, mit dem ich spreche.«

«Mit ihm selbst, mein Freund, mit ihm selbst, aber was konnte Dich zu einem Zweifel veranlassen…«

«Ich fürchtete mich im Zimmer zu täuschen und glaubte Anfangs in die Wohnung eines Tieners der heiligen Kirche einzutreten. Dann erfaßte mich ein neuer Schrecken, als ich Euch in Gesellschaft dieser Herren fand, denn ich glaubte, Ihr wäret ernstlich krank.«

Die zwei schwarzen Herren schleuderten d'Artagnan, dessen Absicht sie begriffen, einen drohenden Blick zu, aber d'Artagnan kümmerte sich nicht darum.

«Ich störe Euch vielleicht, lieber Aramis, «fuhr er fort,»denn nach dem, was ich sehe, muß ich glauben, daß Ihr diesen Herren Beichte ableget.«

Aramis erröthete unmerklich.

«Ihr mich stören! ei, ganz im Gegentheil, lieber Freund; das schwöre ich Euch. Und zum Beweise erlaubt mir vor Allem mich zu freuen, daß ich Euch gesund und wohlbehalten wiedersehe.«

«Ah, nun kommt er endlich, «dachte d'Artagnan,»es steht nicht ganz schlimm!«

«Denn dieser Herr, mein Freund, ist einer dräuenden Gefahr entgangen, «fuhr Aramis salbungsreich fort, indem er mit der Hand auf d'Artagnan deutete.

«Lobet Gott, mein Herr, «erwiederten die zwei Geistlichen und verbeugten sich gleichzeitig.

«Ich habe dies nicht versäumt, ehrwürdige Herren, «antwortete der junge Mann und gab ihnen den Gruß zurück.

«Ihr kommt zu gelegener Zeit, lieber d'Artagnan; Ihr werdet an der Diskussion Theil nehmen und sie mit Eurem Lichte erleuchten. Der Herr Prinzipal von Amiens, der Herr Pfarrer von Montdidier und ich argumentiren über gewisse theologische Fragen, deren Interesse uns seit geraumer Zeit in Anspruch nimmt. Ich werde entzückt sein, Eure Meinung darüber zu vernehmen.«

«Die Meinung eines Mannes vom Schwerte entbehrt jeglichen Gewichts, «antwortete d'Artagnan, der über die Wendung, welche die Dinge nahmen, unruhig zu werden anfing,»und Ihr könnt Euch, glaubt mir, ganz an die Wissenschaft dieser Herren halten.«

«Im Gegentheil, «versetzte Aramis,»Eure Meinung wird höchst werthvoll für uns sein. Hört, warum es sich handelt: der Herr Prinzipal glaubt, meine These müsse hauptsächlich dogmatisch und didaktisch sein.«

«Eure These! Ihr macht also eine These?«

«Allerdings, «antwortete der Jesuit,»für die Prüfung, die der Ordination vorhergeht, ist eine These unerläßlich.«

«Der Ordination!«rief d'Artagnan, welcher nicht glauben konnte, was ihm die Wirthin und Bazin gesagt hatten.»Ordination!«wiederholte er, und ließ seine Äugen erstaunt auf den drei Personen, welche er vor sich hatte, umher laufen.

«Da nun, «fuhr Aramis fort, indem er auf seinem Fauteuil eine Haltung annahm, als säße er in einem Chorstuhl, und zugleich seine frauenhaft weiße und fleischige Hand, die er in der Luft hielt, um das Blut zurückkehren zu machen, wohlgefällig betrachtete;»da nun, wie Ihr gehört habt, d'Artagnan, der Herr Prinzipal meine These dogmatisch haben will, während ich wünsche, daß sie ideal sein möchte, so hat mir der Herr Prinzipal nachfolgenden Gegenstand vorgeschlagen, welcher noch nicht behandelt worden ist, und worin ich allerdings Stoff zu prachtvollen Entwickelungen finden werde:

«Utramque manum in benedicendo clericis inferioribus necessariae sit.«

D'Artagnan, dessen wissenschaftliche Bildung wir kennen, veränderte sein Gesicht bei diesem Citat so wenig als bei demjenigen, das ihm Herr von Treville in Beziehung auf die Geschenke gemacht hatte, von denen er glaubte, er habe sie vom Herzog von Buckingham erhalten.

«Was so viel heißen will, «fuhr Aramis fort, um ihn, die Sache zu erleichtern:»die zwei Hände sind für die Priester der niederen Ordnung unerläßlich, wenn sie den Segen geben.«

«Ein bewunderungswürdiger Gegenstand!«rief der Jesuit.

«Bewunderungswürdig und dogmatisch, «wiederholte der Pfarrer, der, im Lateinischen ungefähr eben so bewandert, wie d'Artagnan, sorgfältig den Jesuiten beobachtete, um gleichen Schritt mit ihm zu halten und seine Worte wie ein Echo zu wiederholen.

D'Artagnan blieb vollkommen gleichgültig bei der Begeisterung der zwei schwarzen Männer.

«Ja bewunderungswürdig! prorsus admirabile!«fuhr Aramis fort,»aber es heischt ein großes Studium der Kirchenväter und der heiligen Schrift. Ich erkläre nun diesen gelehrten geistlichen Herren, und zwar in aller Demuth, daß ich in der Wachtstube der Musketiere und beim Dienste des Königs dieses Studium etwas vernachläßigt habe. Ich würde mich bequemer, facilius natans, bei einem Gegenstande meiner Wahl finden, der bei diesen rein theologischen Fragen das wäre, was die Moral für die Metaphysik in der Philosophie ist.«

D'Artagnan langweilte sich sehr.

«Seht, welches Exordium!«rief der Jesuit.

«Exordium!«wiederholte der Pfarrer, um etwas zu sagen.

«Quem ad modum inter colorum immensitatem!«

Aramis warf einen Seitenblick auf d'Artagnan und sah ihn dergestalt gähnen, daß er den Kiefer beinahe ausrenkte.

«Sprechen wir Französisch, mein Vater, «sagte er zu dem Jesuiten,»Herr d'Artagnan wird mehr Genuß an unseren Worten finden.«

«Ja, ich bin müde von der Reise, «sagte d'Artagnan,»und alles Latein entgeht mir.«

«Vor Allem, «sprach der Jesuit, etwas aus der Fassung gebracht, während der Pfarrer äußerst erfreut d'Artagnan voll Dankbarkeit anschaute;»betrachtet einmal den Nutzen, den man aus dieser Glosse ziehen könnte.«

«Moses, ein Diener Gottes… er ist nur ein Diener, versteht Ihr wohl, Moses segnet mit den Händen, er läßt sich die zwei Arme halten, während die Hebräer ihre Feinde schlagen. Er segnet also mit beiden Händen. Ueberdies sagt das Evangelium: Imposuite manus, und nicht manum, leget die Hände auf, und nicht die Hand.«

«Leget die Hände auf, «wiederholte der Pfarrer mit einer Geberde.

«Bei dem heiligen Petrus dagegen, dessen Nachfolger die Päpste sind, «fuhr der Jesuit fort:» porrige digitos, strecket die Finger aus. Begreift Ihr das nun?«

«Gewiß, «erwiederte Aramis, der ein Vergnügen an dieser Abhandlung zu haben schien,»gewiß, aber die Sache ist sehr kitzeliger Natur.«

«Die Finger, «wiederholte der Jesuit;»der heilige Petrus segnete mit den Fingern. Der Papst segnet also auch mit den Fingern. Und mit wie viel Fingern segnet er? Mit drei Fingern. Einen für den Vater, einen für den Sohn und einen für den heiligen Geist.«

Alle Anwesenden bekreuzten sich.

D'Artagnan glaubte dieses Beispiel nachahmen zu müssen.

«Der Papst ist der Nachfolger des heiligen Petrus und stellt die drei göttlichen Gewalten dar. Der Rest, ordines inferiores der kirchlichen Hierarchie, erscheint im Namen der heiligen Erzengel und Engel. Die niedersten Geistlichen, wie unsere Diakone und Sakristane, segnen mit den Weihwedeln, welche als eine unbegränzte Zahl von segnenden Fingern zu betrachten sind. Dies ist der ganze auf seine Einfachheit zurückgeführte Gegenstand, Argumentum omni denutatum ornamento. Aus diesem, «fuhr der Jesuit fort,»wollte ich zwei Bände von dem Umfang des Folianten hier machen.«

Und in seiner Begeisterung schlug er auf den heiligen Chrysostomus in Folio, daß der Tisch sich unter seinem Gewichte bog.

D'Artagnan bebte.

«Ich lasse gewiß den Schönheiten dieser These Gerechtigkeit widerfahren, «sagte Aramis,»aber ich muß zu gleicher Zeit erkennen, daß ich ihrer Last erliegen würde. Ich hatte folgenden Text gewählt; sagt mir, lieber d'Artagnan, ob er Eurem Geschmack entspricht: Non inutile est desiderium in oblatione, oder besser: Etwas Bedauern bei dem Opfer, das ich dem Herrn darbringe, steht mir nicht übel an.«

«Halt!«rief der Jesuit,»diese These riecht nach Ketzerei. Es ist ein ähnlicher Vorschlag in dem Augustinus des Ketzervaters Jansen enthalten, dessen Buch früher oder später von Henkershand verbrannt werden wird. Nehmt Euch in Acht, mein junger Freund, Ihr neigt Euch zu falschen Lehren, Ihr richtet Euch zu Grunde, mein junger Freund.«

«Ihr richtet Euch zu Grunde, «sprach der Pfarrer schmerzlich den Kopf schüttelnd.

«Ihr berührt den bekannten Punkt vom freien Willen, der eine menschliche Klippe ist. Ihr greift die Insinuationen der Pelagianer und Semi-Pelagianer an.«

«Aber, ehrwürdiger Herr…, «versetzte Aramis, etwas betäubt von dem Hagel von Argumenten, der auf seinen Kopf fiel.

«Wie wollt Ihr beweisen, «fuhr der Jesuit fort, ohne daß er ihm zum Sprechen Zeit ließ,»wie wollt Ihr beweisen, daß man die Welt bedauern muß, wem. man Gott ein Opfer darbringt? Hört folgendes Dilemma: Gott ist Gott, und die Welt ist der Teufel. Die Welt bedauern, heißt den Teufel bedauern. Das ist mein Schluß.«

«Das ist auch der meinige, «sagte der Pfarrer.

«Aber ich bitte…«versetzte Aramis.

«Desideras diabolum! Unglücklicher!«rief der Jesuit.

«Er bedauert den Teufel. Ha! mein junger Freund, «sprach der Pfarrer seufzend,»bedauert den Teufel nicht, darum bitte ich Euch.«

D'Artagnan wirbelte es im Kopfe. Es kam ihm vor, als sei er in einem Narrenhaus und solle ein Narr werden, wie diejenigen, welche er vor sich sah. Nur war er genöthigt zu schweigen, da er die Sprache nicht verstand, welche man in seiner Gegenwart sprach.

«Aber hört mich doch, «sagte Aramis mit einer Höflichkeit, unter der etwas Ungeduld durchzuscheinen anfing;»ich sage nicht, daß ich bedaure, nein; ich werde nie dieses Wort aussprechen, welches nicht orthodox wäre…«

Der Jesuit hob die Arme zum Himmel auf und der Pfarrer that dasselbe.

«Nein, aber gebt wenigstens zu, daß es nicht sehr schön ist, dem Herrn nur das anzubieten, was man mit gänzlichem Ueberdruß und Widerwillen betrachtet. Habe ich Recht, d'Artagnan?«

«Ich glaube, bei Gott!«rief dieser.

Der Pfarrer und der Jesuit sprangen von ihren Stühlen auf.

«Folgendes ist mein Ausgangspunkt; es ist ein Syllogismus: Es fehlt der Welt nicht an Reizen, ich verlasse die Welt, folglich bringe ich ein Opfer; nun sagt aber die Schrift ganz bestimmt: Bringt dem Herrn ein Opfer dar.«

«Das ist wahr, «sprachen die Antagonisten.

«Und dann, «sagte Aramis, sich in das Ohr kneipend, um es roth zu machen, wie er die Hände schüttelte, damit sie weiß wurden,»und dann habe ich hierüber ein gewisses Ringelgedicht gemacht, das ich im vorigen Jahre Herrn Voviture mittheilte und worüber mir dieser große Mann tausend Komplimente sagte.«

«Ein Ringelgedicht?«sagte der Jesuit verächtlich.

«Ein Ringelgedicht?«sprach der Pfarrer maschinenmäßig.

«Sprecht, sprecht, «rief d'Artagnan,»das bringt ein wenig Abwechslung in die Sache.«

«Nein, es ist religiöser Natur, «antwortete Aramis,»es ist Theologie in Versen.«

«Teufel, «murmelte d'Artagnan.

«Hört, «sagte Aramis mit einer bescheidenen Miene, welche nicht ganz von einer gewissen Färbung von Heuchelei frei war:

O weinet nicht um früh entschwundne Freuden, Vertraut auf Gott In eurer Noth, Er wird gewißlich enden eure Leiden.

D'Artagnan und der Pfarrer schienen erfreut, der Jesuit beharrte bei seiner Meinung.

«Hütet Euch vor dem profanen Geschmack im theologischen Styl. Was sagt der heilige Augustin? Severus sit clericorum sermo.«

«Ja, die Rede sei klar, «sprach der Pfarrer.

«Eure These, «unterbrach ihn der Jesuit rasch, als er sah, daß sein Acolyt vom rechten Weg abkam,»Eure These wird höchstens den Damen gefallen. Sie wird den Erfolg einer Proceßrede von Herrn Patrou haben.«

«Möge es Gott gefallen!«rief Aramis entzückt.

«Ihr seht es, «rief der Jesuit,»die Welt spricht noch mit lauter Stimme in Euch. Altissima voce. Ihr folgt der Welt, Freund, und ich fürchte, die Gnade ist noch nicht ganz wirksam.«

«Beruhigt Euch, ehrwürdiger Herr, ich stehe für mich.«

«Weltliche Anmaßung!«

«Ich kenne mich, mein Vater, mein Entschluß ist unwiderruflich.«

«Also besteht Ihr darauf, diese These auszuführen?«

«Ich fühle mich berufen, diese und keine andere zu behandeln. Ich will sie fortsetzen und Ihr werdet hoffentlich mit den Verbesserungen zufrieden sein, die ich nach Eurem Rathe daran vorgenommen habe.«

«Arbeitet langsam, «sprach der Pfarrer,»wir lassen Euch in vortrefflicher Stimmung zurück.«

«Ja der Boden ist ganz eingesäet, «sagte der Jesuit,»und wir haben nicht zu befürchten, daß ein Theil des Korns auf einen Felsen, ein anderer an den Weg falle, und daß die Vögel des Himmels das Uebrige fressen. Aves coeli comederunt illam.«

«Die Pest ersticke Dich mit Deinem Latein, «sagte d'Artagnan, der kaum mehr an sich halten konnte.

«Gott befohlen, mein Sohn, «sprach der Pfarrer,»morgen also.«

«Morgen, junger Verwegener, «sagte der Jesuit,»Ihr versprecht ein Licht der Kirche zu werden. Wolle der Himmel, daß dieses Licht zu einem verzehrenden Feuer werde.«

Die zwei schwarzen Männer standen auf, grüßten Aramis und d'Artagnan und gingen nach der Thüre. Bazin, der im Zimmer stehen geblieben war und die ganze Controverse mit frommem Jubel gehört hatte, stürzte ihnen entgegen, nahm das Brevier des Pfarrers, das Meßbuch des Jesuiten und marschirte ehrfurchtsvoll vor ihnen her, um ihnen den Weg zu bahnen.

Aramis begleitete sie bis unten an die Treppe und kam sogleich wieder zu d'Artagnan zurück, der noch in Träume versunken war.

Als die zwei Freunde einander allein gegenüber standen, beobachteten sie Anfangs ein verlegenes Stillschweigen. Einer mußte es jedoch brechen, und da d'Artagnan entschlossen schien, die Ehre seinem Freund zu überlassen, so fing dieser an: —»Ihr seht, daß ich zu meinem Grundgedanken zurückgekehrt bin.«—»Ha, die wirksame Gnade hat Euch berührt, wie dieser Herr so eben sagte.«—»Oh, der Plan, mich zurückzuziehen, hat sich längst gebildet, und Ihr habt mich bereits davon sprechen hören, nicht wahr, mein Freund?«—»Allerdings, aber ich glaubte, Ihr wolltet scherzen.«—»Mit solchen Dingen? Oh! d'Artagnan!«—»Gott verdamme mich, man scherzt auch mit dem Tode.«—»Und man hat Unrecht, d'Artagnan, denn der Tod ist die Pforte, welche zum Heil oder zum Verderben führt.«—»Einverstanden! aber lassen wir die Theologie bei Seite, wenn es Euch beliebt, Aramis. Ihr müßt für den Rest des Tages genug haben. Ich, meines Theils, habe das wenige Latein, was ich nie konnte, völlig vergessen. Dann muß ich gestehen, daß ich seit diesem Morgen um zehn Uhr ohne Speise und Trank geblieben bin und einen ganz teufelmäßigen Hunger habe.«—»Wir werden sogleich zu Mittag speisen, lieber Freund; nur erinnert Euch, daß es heute Freitag ist, und an einem solchen Tag kann ich weder Fleisch essen, noch essen sehen. Wollt Ihr Euch mit meinem Mittagsbrod begnügen? es besteht aus gekochten Vierecken und Obst.«—»Was versteht Ihr unter Vierecken?«fragte d'Artagnan unruhig. — »Ich verstehe darunter Spinat, «erwiederte Aramis.»Aber für Euch werde ich Eier beifügen lassen, und das ist eine schwere Verletzung der Vorschrift, denn die Eier sind Fleisch, da sie das Huhn erzeugen.«—»Dieses Mahl ist eben nicht sehr saftig; doch gleich viel, um bei Euch zu bleiben, will ich mich dem unterziehen.«—»Ich bin Euch dankbar für dieses Opfer, «sprach Aramis;»aber wenn es Eurem Körper nichts nützt, so wird es doch Eurer Seele nützen, das könnt Ihr überzeugt sein.«—»Also Ihr tretet entschieden in den geistlichen Stand ein, Aramis? Was werden Eure Freunde, was wird Herr von Treville sagen? sie werden Euch als Deserteur behandeln, das sage ich Euch zum Voraus.«—»Ich trete nicht in den geistlichen Stand ein, ich trete zu demselben zurück. Ich hatte die Kirche der Welt zu Liebe verlassen, denn Ihr wißt, daß ich mir Gewalt anthun mußte, um die Kasake des Musketiers zu nehmen.«—»Ich, ich weiß nichts davon.«—»Wie? Ihr wißt nicht, wie ich das Seminar verlassen habe?«—»Nein.«—»Hört meine Geschichte; übrigens sagt die Schrift, beichtet einander, und ich lege Euch meine Beichte ab, d'Artagnan.«—»Und ich gebe Euch zum Voraus die Absolution; Ihr wißt, daß ich ein guter Kerl bin.«—»scherzt nicht mit heiligen Dingen, mein Freund.«—»So sprecht also, ich höre.«

«Ich war im Seminar von meinem neunten Jahr und zählte jetzt einundzwanzig; noch drei Tage, und ich wäre Abbé geworden und Alles wäre abgethan gewesen. Als ich mich eines Abends meiner Gewohnheit gemäß in ein Haus begab, das ich oft besuchte — was wollt Ihr? man ist jung, man ist schwach — trat ein Offizier, der es mit eifersüchtigem Auge sah, daß ich der Gebieterin des Hauses das Leben der Heiligen vorlas, plötzlich und unangemeldet ein. Gerade an diesem Abend hatte ich eine Episode von Judith übersetzt und ich theilte meine Verse der Dame mit, welche mir alle mögliche Complimente darüber sagte und sie, über meine Schulter geneigt, mit mir zum zweiten Male las. Die Stellung, welche — ich kann es nicht läugnen — etwas nachlässig war, verletzte den Offizier: er sagte nichts, aber als ich wegging, folgte er mir; er holte mich ein und sprach: ›Herr Abbé liebt Ihr Stockschläge?‹

›Ich kann es nicht sagen, mein Herr,‹ erwiederte ich, ›da es Niemand gewagt hat, mir solche zu geben.‹

›Nun, so hört mich, Herr Abbé: wenn Ihr noch einmal in das Haus kommt, wo ich Euch getroffen habe, so werde ich es wagen.‹

«Ich glaube, ich hatte Furcht; ich wurde bleich, ich fühlte, daß die Beine beinahe unter mir brachen, ich suchte eine Antwort, fand keine und schwieg.

«Der Offizier erwartete eine Antwort, und da er sah, daß sie ausblieb, so lachte er, wandte mir den Rücken und ging in das Haus zurück.

«Ich begab mich in das Seminar.

«Ich bin ein guter Edelmann und habe lebhaftes Blut, wie Ihr bemerken konntet, mein lieber d'Artagnan. Die Beleidigung war furchtbar, und obgleich die Welt nichts davon erfahren hatte, so fühlte ich doch, daß sie in der Tiefe meines Herzens tobte. Ich erklärte meinen Oberen, ich sei nicht hinreichend für die Ordination vorbereitet, und auf meine Bitte verschob man die Ceremonie um ein Jahr.

«Dann suchte ich den besten Fechtmeister von Paris auf; ich schloß einen Vertrag mit ihm ab, dem zu Folge er mir jeden Tag eine Lection in der Fechtkunst zu geben hatte, und ein ganzes Jahr lang nahm ich diese Lection jeden Tag. Am Jahrestag der mir widerfahrenen Beleidigung hängte ich meine Sutane an einen Nagel, legte ein vollständiges Cavaliercostüm an und ging auf einen Ball, den eine mir befreundete Dame gab, wo ich meinen Mann zu treffen überzeugt sein konnte. Es war in der Rue des Francs-Bourgeois, ganz nahe bei der Force.

«Mein Offizier hatte sich wirklich eingefunden; ich näherte mich ihm, als er unter zärtlichen Blicken auf eine Dame ein Lieblingslied sang, und unterbrach ihn mitten in der ersten Strophe.

›Mein Herr,‹ sprach ich, ›mißfällt es Euch immer noch, wenn ich ein gewisses Haus der Rue Payenne besuche, und werdet Ihr mir immer noch Stockschläge geben, wenn es mir einfällt, Euch ungehorsam zu sein?‹

«Der Offizier sah mich erstaunt an und sagte:

›Was wollt Ihr von mir, mein Herr? ich kenne Euch nicht.‹

›Ich bin der kleine Abbé,‹ erwiederte ich, ›der das Leben der Heiligen vorliest und Judith in Verse übersetzt.‹

›Ah, ah, ich erinnere mich,‹ sprach der Offizier mit gleichgültigem Lachen, ›was wollt Ihr von mir?‹

›Ich wollte, Ihr hättet Muße, einen Spaziergang mit mir zu machen.‹

›Morgen früh, wenn Ihr wollt, und zwar mit dem größten Vergnügen.‹

›Nein, nicht morgen früh, wenn es Euch beliebt, sondern sogleich.‹

›Wenn Ihr es durchaus verlangt…‹

›Ja ich verlange es.‹

›So laßt uns gehen. — Meine Damen,‹ sprach der Offizier, ›laßt Euch nicht stören. Ich brauche nur so viel Zeit, um diesen Herrn zu tödten, und werde dann sogleich zurückkommen und meine zweite Strophe vollenden.‹

«Wir entfernten uns.«

«Ich führte ihn in die Rue Payenne gerade an die Stelle, wo er mir ein Jahr vorher zur selben Stunde das erwähnte Compliment gemacht hatte. Es war herrlicher Mondenschein. Wir nahmen den Degen in die Hand, und mit dem ersten Stoß streckte ich ihn maustodt zur Erde.«

«Teufel!«rief d'Artagnan.

«Da nun, «fuhr Aramis fort,»die Damen ihren Sänger nicht zurückkommen sahen und man ihn in der Rue Payenne mit einem gewaltigen Degenstich durch den Leib fand, so dachte man, ich hätte ihn aus diese Weise gebettet, und die Sache erregte Aufsehen. Ich war also genöthigt, für einige Zeit auf die Sutane zu verzichten. Athos, dessen Bekanntschaft ich um diese Zeit machte, und Porthos, der mir außer meinen Lectionen einige Fechterkunstgriffe beigebracht hatte, bestimmten mich, um eine Musketierkasake zu bitten. Der König, der meinen Vater, welcher bei der Belagerung von Arras getödtet worden war, sehr lieb gehabt hatte, bewilligte mir diese Gnade. Ihr begreift nun, daß heute für mich der Augenblick gekommen ist, in den Schoß der Kirche zurückzukehren.«

«Und warum eher heute, als gestern und morgen? Was ist Euch heute begegnet, das Euch auf so abscheuliche Gedanken bringt?«—»Diese Wunde, mein lieber d'Artagnan, war mir eine Verkündigung des Himmels.«—»Diese Wunde! bah! sie ist beinahe geheilt, und ich bin überzeugt, daß es heute nicht diese ist, welche Euch am meisten leiden macht.«

Aramis' Auge funkelte unwillkührlich.

«Ah!«sprach er, die Bewegung in seinem Innern unter einer geheuchelten Gleichgültigkeit verbergend,»sprecht mir nicht von solchen Dingen! Ich an dergleichen Dinge denken! Ich Liebeskummer haben! Vanitas vanitatum! Ich sollte mir, Eurer Meinung nach, das Hirn verdreht haben! Und für wen? Für eine Kammerjungfer oder irgend eine Bürgerdirne, der ich in einer Garnison den Hof gemacht hätte? Pfui!«—»Verzeiht, mein lieber Aramis, aber ich glaubte, Eure Blicke wären etwas höher gerichtet.«—»Höher, und was bin ich, was berechtigte mich, zu einem solchen Stolze? Ein bettelarmer, unbekannter Musketier, der die Sklaverei haßt und sich in der Welt durchaus nicht an seinem Platze sieht.«—»Aramis, Aramis!«rief d'Artagnan und schaute seinen Freund mit zweifelhafter Miene an. — »Staub, kehre ich in den Staub zurück, «fuhr Aramis fort.»Das Leben ist voll von Demüthigungen und Schmerzen, «sagte er düster werdend;»alle Fäden, die es mit dem Glücke verknüpfen, brechen nach einander in der Hand des Menschen ab, und besonders die goldenen Fäden. Oh! mein lieber d'Artagnan, «fuhr er mit einem leichten Anflug von Bitterkeit fort,»verbergt Eure Wunden wohl, wenn Ihr welche habt. Das Stillschweigen ist die letzte Freude der Unglücklichen. Hütet Euch wohl, irgend Jemand auf die Spur Eurer Schmerzen zu bringen. Die Neugierigen pumpen unsere Thränen aus, wie die Fliegen das Blut eines verwundeten Hirsches.«—»Ach! mein lieber Aramis, «sprach d'Artagnan ebenfalls einen Seufzer ausstoßend.»Was Ihr da sagt, ist gerade meine Geschichte.«—»Wie?«—»Ja, eine Frau, die ich liebte. die ich anbetete, ist mir mit Gewalt entführt worden. Sie ist vielleicht eingekerkert, vielleicht todt.«—»Aber Ihr habt doch wenigstens den Trost, Euch sagen zu können, daß sie Euch nicht freiwillig verlassen hat, daß ihr, wenn Ihr keine Kunde von ihr erhaltet, alle Verbindung mit Euch untersagt ist, während…«—»Während?«—»Nichts, «erwiederte Aramis,»nichts.«—»Also entsagt Ihr der Welt für immer? Das ist Euer fester, unwiderruflicher Entschluß?«»Für immer. Ihr seid heute mein Freund, morgen werdet Ihr für mich nur ein Schatten sein, oder vielmehr Ihr werdet gar nicht für mich bestehen. Was die Welt betrifft, so ist sie ein Grab und nichts Anderes.«—»Teufel! das ist sehr traurig, was Ihr mir da sagt.«—»Was wollt Ihr? Mein Beruf zieht mich fort, reißt mich hin.«

D'Artagnan lächelte und antwortete nicht. Aramis fuhr fort:

«Und dennoch hatte ich, während ich noch an der Welt halte, gerne mit Euch über Euch und über unsere Freunde gesprochen.«

«Und ich, «sagte d'Artagnan,»hätte gerne über Euch selbst gesprochen; aber ich sehe Euch so sehr von Allein losgeschält. Die Liebe behandelt Ihr mit Pfui, die Freunde sind Schatten, die Welt ist ein Grab.«—»Ach, Ihr werdet es an Euch selbst erfahren, «sprach Aramis mit einem Seufzer. — »Es sei also unter uns nicht mehr die Rede davon, «sagte d'Artagnan,»und wir wollen diesen Brief verbrennen, der Euch ohne Zweifel eine neue Treulosigkeit von Eurer Grisette oder von Eurer Kammerjungfer ankündigte.«—»Welchen Brief?«rief Aramis lebhaft. — »Einen Brief, der in Eurer Abwesenheit für Euch eingetroffen ist, und den man mir für Euch übergeben hat.«—»Aber von wem ist dieser Brief?«—»Von irgend einer thränenreichen Zofe, von einer verzweiflungsvollen Grisette, vielleicht von der Kammerjungfer der Frau von Chevreuse, welche genöthigt gewesen sein wird, mit ihrer Gebieterin nach Tours zurückzukehren, und ohne Zweifel aus eitel Gefallsucht parfümiertes Papier genommen und ihren Brief mit einer Herzogskrone versiegelt hat.«—»Was sagt Ihr da?«—»Ich werde ihn wohl verloren haben, «sprach der junge Mann, indem er sich den Anschein gab, als suchte er das Schreiben.»Zum Glück ist die Welt ein Grab, die Menschen und folglich die Frauen nur Schatten, die Liebe ist ein Gefühl, über das Ihr Pfui macht.«—»Ah, d'Artagnan!«rief Aramis,»Du tödtest mich.«—»Da ist er endlich, «sprach d'Artagnan und zog den Brief aus seiner Tasche.

Aramis sprang auf, nahm den Brief und las oder vielmehr verschlang ihn; sein Antlitz strahlte.

«Die Zofe scheint einen hübschen Styl zu haben, «sagte d'Artagnan nachlässig.

«Ich danke, d'Artagnan!«rief Aramis beinahe außer sich.»Sie hat sich genöthigt gesehen, nach Tours zurückzukehren, Sie ist mir nicht ungetreu; sie liebt mich noch. Komm, mein Freund, komm, daß ich Dich umarme, das Glück erstickt mich!«

Und die zwei Freunde fingen an, um den ehrwürdigen Sankt Chrysostomus zu tanzen, und stampften mit den Füßen auf die Blätter der These, welche auf den Boden gefallen waren.

In diesem Augenblick trat Bazin mit dem Spinat und dem Eierkuchen ein.

«Fleuch, Unglücklicher!«rief Aramis, und warf ihm seine Calotte ins Gesicht.»Kehre dahin zurück, wo Du hergekommen bist, bringe dieses furchtbare Gemüse und die abscheuliche Beilage weg! Verlange einen gespickten Hasen, einen fetten Kapaun, eine Hammelskeule mit Knoblauch und vier Flaschen alten Burgunder.«

Bazin, der seinen Herrn anschaute und diese Veränderung durchaus nicht begreifen konnte, ließ schwermüthig den Eierkuchen in den Spinat und den Spinat auf den Boden fallen.

«Das ist der Augenblick, Euer Dasein dem König der Könige zu opfern, «sprach d'Artagnan,»wenn Ihr ihm eine Artigkeit erzeigen wollt. Non inutile desiderium in oblatione.«

«Geht zum Teufel mit Eurem Latein! Laßt uns trinken, lieber d'Artagnan, Tod und Teufel! laßt uns trinken und erzählt mir ein wenig, was da unten vorgefallen ist.«


XXVII. Die Frau von Athos

«Wir müssen uns nun noch Kunde von Athos verschaffen, «sagte d'Artagnan dem munter gewordenen Aramis, als er ihn von dem, was seit ihrer Abreise in der Hauptstadt vorgefallen war, in Kenntniß gesetzt, und nachdem ein vortreffliches Mittagsbrod den Einen seine These, den Andern seine Müdigkeit vergessen gemacht hatte.

«Glaubt Ihr also, es könnte ihm ein Unglück widerfahren sein?«fragte Aramis.»Athos ist so kaltblütig, so muthig und weiß seinen Degen so geschickt zu handhaben.«—»Allerdings, und Niemand ist mehr geneigt, als ich, den Muth und die Geschicklichkeit von Athos anzuerkennen, aber ich lasse mich lieber mit Lanzen als mit Knitteln angreifen. Ich fürchte, Athos ist von dem Bedientenvolk gestriegelt worden. Die Knechte sind Leute, welche gewaltig schlagen und nicht so bald aufhören. Das ist der Grund, warum ich so schnell als möglich abzureisen wünsche.«—»Ich werde es versuchen, Euch zu begleiten, «sagte Aramis,»obgleich ich mich kaum im Stande fühle, zu Pferd zu steigen. Gestern versuchte ich die Geißel, welche Ihr dort an der Wand seht, und der Schmerz nöthigte mich diese fromme Übung zu unterbrechen.«—»Man hat auch noch nie gesehen, mein lieber Freund, daß Büchsenschüsse mit Geißelhieben geheilt werden. Aber Ihr wäret krank, und Krankheit schwächt, weßhalb ich Euch entschuldige.«—»Und wann gedenkt Ihr abzureisen?«—»Morgen mit Tagesanbruch. Ruhet diese Nacht so gut als möglich, und morgen, wenn Ihr könnt, reisen wir mit Tagesanbruch.«—»Morgen also, «sagte Aramis,»denn so sehr Ihr auch von Eisen seid, so müßt Ihr doch wohl der Ruhe bedürfen.«

Als d'Artagnan am andern Morgen bei Aramis eintrat, stand dieser an seinem Fenster.

«Was betrachtet Ihr da?«fragte d'Artagnan. — »Meiner Treu! ich bewundere diese drei prächtigen Pferde, welche die Stallknechte am Zaume halten; es ist ein fürstliches Vergnügen, auf solchen Pferden zu reisen.«—»Nun, mein lieber Aramis, Ihr werdet Euch dieses Vergnügen machen, denn eines von den drei Pferden gehört Euch.«—»Ah! ah! und welches?«—»Dasjenige, welches Ihr auswählt. Ich gebe keinem den Vorzug.«—»Und die reiche Decke gehört auch mir?«—»Allerdings.«—»Ihr scherzt, d'Artagnan.«—»Ich scherze nicht mehr, seitdem Ihr wieder französisch sprecht.«—»Also gehören mir diese vergoldeten Halfter, diese Sammetschabracke, dieser silberbeschlagene Sattel?«—»Euch selbst, wie jenes sich bäumende Pferd mir, und das andere tänzelnde Athos gehört.«—»Teufel, das sind drei herrliche Thiere!«—»Es freut mich, daß sie Eurem Geschmack entsprechen.«—»Also der König hat Euch dieses Geschenk gemacht?«—»Sicherlich nicht der Kardinal, aber kümmert Euch nicht darum, woher sie kommen, und denkt nur daran, daß eines derselben Euch gehört.«—»Ich nehme das, welches der rothe Bediente hält.«—»Vortrefflich.«—»Bei Gott, «rief Aramis,»das befreit mich von dem Rest meines Schmerzes. Ich würde es mit dreißig Kugeln im Leibe besteigen. Ah, bei meiner Seele, die schönen Steigbügel! Hollah! Bazin, komm hieher; sogleich!«

Bazin erschien trübe und lahm auf der Schwelle.

«Putze meinen Degen, stülpe meinen Hut auf, bürste meinen Mantel und lade meine Pistolen!«

«Letzteres ist unnöthig, «unterbrach ihn d'Artagnan,»es sind geladene Pistolen in Euren Holstern.«

Bazin seufzte.

«Auf, Meister Bazin, beruhigt Euch. Man gewinnt das himmlische Reich in allen Lebenslagen.«

«Der gnädige Herr war ein so guter Theolog, «sagte Bazin weinerlich,»er wäre Bischof oder vielleicht Kardinal geworden.«

«Nun, mein armer Bazin, sieh und bedenke ein wenig: ich bitte Dich, wozu nützt es, ein Mann der Kirche zu sein? Man muß darum doch in den Krieg ziehen. Du siehst, daß der Kardinal den ersten Feldzug mit der Pickelhaube auf dem Kopf und mit der Partisane in der Faust macht, und Herr von Nogaret de la Valette — was sagst Du von ihm? er ist ebenfalls Kardinal. Frage seinen Lakai, wie oft er Charpie für ihn gezupft hat.«

«Ach, ich weiß es, gnädiger Herr, «seufzte Bazin.»Alles ist heutzutage verkehrt in der Welt.«

Während dieser Zeit waren die zwei jungen Leute und der arme Lakai die Treppe hinabgegangen.

«Halte mir den Steigbügel, Bazin, «sprach Aramis.

Und er sprang mit seiner gewöhnlichen Anmuth und Leichtigkeit in den Sattel; aber nach einigen Volten und Courbetten des edlen Thieres fühlte sein Reiter so unerträgliche Schmerzen, daß er erbleichte und wankte. D'Artagnan, der ihn in der Voraussicht dieses Unfalles nicht aus dem Gesicht verloren hatte, lief hinzu, faßte ihn in seinen Armen auf und führte ihn in sein Zimmer.

«Es ist gut, mein lieber Aramis, pflegt Euch, «sagte er,»und ich werde Athos allein aufsuchen.«—»Ihr seid ein eherner Mann, «erwiederte Aramis. — »Nein, ich habe Glück, das ist das Ganze. Aber wie wollt Ihr leben, bis ich zurückkomme? Keine These? keine Glosse über die Finger und die Segnungen mehr, nicht wahr?«

Aramis lächelte.

«Ich werde Verse machen, «sprach er.

«Ja, Verse so duftend wie das Billet der Kammerjungfer der Frau von Chevreuse. Lehrt Bazin die Verskunst, das wird ihn beruhigen. Was Euer Pferd betrifft, so reitet es jeden Tag ein wenig, damit Ihr Euch an seine Manöver gewöhnt.«

«O, was das betrifft, seid unbesorgt, «sprach Aramis,»Ihr werdet mich bereit finden. Euch zu folgen.«

Sie nahmen Abschied, und zehn Minuten nachher trabte d'Artagnan in der Richtung von Amiens, nachdem er zuvor seinen Freund der Wirthin und Bazin empfohlen hatte.

Wie sollte er Athos wiederfinden und durfte er ihn überhaupt zu finden hoffen?

D'Artagnan hatte Athos in einer äußerst kritischen Lage zurückgelassen und er konnte wohl unterlegen sein. Dieser Ge danke verdüsterte d'Artagnan's Stirne und veranlaßte ihn zu ganz leisen Racheschwüren. Von allen seinen Freunden war Athos der älteste und folglich derjenige, welcher ihm in Geschmack und Sympathien scheinbar am wenigsten nahe stand. Er hegte jedoch für diesen Edelmann eine sichtbare Vorliebe. Das edle stolze Aussehen von Athos, diese Blitze von Größe, welche von Zeit zu Zeit aus den Schatten hervorsprangen, in denen er sich freiwillig eingeschlossen hielt, diese unveränderliche Gleichheit der Gemüthsart, die ihn zum angenehmsten Kameraden von der Welt machte, und diese beißende Heiterkeit, dieser Muth, den man hätte blind nennen können, wenn er nicht das Resultat der seltensten Kaltblütigkeit gewesen wäre, alle diese Eigenschaften nöthigten d'Artagnan mehr als Achtung, mehr als Freundschaft, sie nöthigten ihm volle Bewunderung ab.

Selbst Herrn von Treville, dem eleganten und edlen Hofmann gegenüber, konnte Athos in seinen Tagen schöner Laune mit Vortheil eine Vergleichung aushalten. Er war von mittlerer Gestalt, aber diese Gestalt war so bewundernswürdig gebaut, so verhältnißmäßig, daß er bei seinen Kämpfen mit Porthos diesen Riesen, dessen Körperkraft unter den Musketieren sprüchwörtlich geworden war, mehr als einmal bezwungen hatte. In seinem Kopf mit den blitzenden Augen, mit der Adlernase, mit dem Brutuskinn lag ein Charakter unbeschreiblicher Größe und Anmuth; seine Hände, auf die er keine Sorgfalt verwendete, brachten Aramis zur Verzweiflung, der die seinigen mit Hülfe von sehr viel Mandelteig und wohlriechendem Oel pflegte; der Ton seiner Stimme war zugleich durchdringend und melodisch, und dabei hatte Athos, der sich immer klein und dunkel machte, etwas ganz Unerklärliches an sich, diese genaue Vertrautheit mit der Welt und den Gebräuchen der guten Gesellschaft, diese Gewohnheit an ein vornehmes Leben, die sich ganz unwillkürlich selbst in seinen geringsten Handlungen kundgab.

Sollte ein Festmahl stattfinden, so vermochte es Niemand in der Welt besser zu ordnen, als er, indem er jeden Gast an den Platz und nach dem Range setzte, den er vermöge seiner Ahnen oder seines eigenen Verdienstes ansprechen durfte. War von heraldischer Wissenschaft die Rede, so kannte Athos alle edlen Familien des Königreichs, ihre Genealogie, ihre Verbindungen, ihre Wappen und den Ursprung ihrer Wappen. Die Etikette hatte keine, wenn auch noch so kleinliche Rücksichten, die ihm fremd gewesen wären; er war vertraut mit den Rechten der großen Grundeigenthümer, er besaß vollkommene Kenntnisse in dem Jagdwesen und in der Falknerei, und er hatte eines Tags, als er über diese große Kunst sprach, den König Ludwig XIII., der doch für einen Meister galt, in Erstaunen gesetzt. Wie alle große Herren dieser Zeit, war er ein vollendeter Reiter und ein ausgezeichneter Fechter.

Mehr noch: man hatte seine Erziehung, sogar hinsichtlich der scholastischen Studien, welche damals unter Edelleuten so selten zu finden waren, so wenig vernachlässigt, daß er oft bei den lateinischen Brocken, welche Aramis zum Besten gab und Porthos verstehen wollte, sich eines Lächelns nicht enthalten konnte. Einige Male war es sogar zum großen Erstaunen seiner Freunde vorgekommen, daß er, wenn Aramis sich eines Fehlers in den Rudimenten schuldig machte, das Verbum in sein Tempus und das Nomen in seinen Casus setzte. Ueberdies war seine Redlichkeit unantastbar in einem Jahrhundert, wo es die Kriegsmänner mit ihrer Religion und ihrem Gewissen, die Liebenden mit dem strengen Zartgefühl und die Armen mit dem siebenten Gebot des Herrn so leicht nahmen. Athos war also ein sehr ungewöhnlicher Mann.

Und doch sah man diese so ausgezeichnete Natur, dieses so schöne Geschöpf, dieses so gesund organisirte Wesen sich unmerklich dem materiellen Leben zuwenden, wie sich die Greise den körperlichen und geistigen Schwächen zuwenden. In seinen Mußestunden, und diese kamen sehr häufig vor, erlosch Athos ganz in seinem leuchtenden Theil, und seine glänzende Seite verschwand in einer tiefen Nacht. Wenn dann der Halbgott unsichtbar wurde, blieb kaum noch ein Mensch übrig. Mit gesenktem Kopf, mattem Auge und schwerer Zunge schaute Athos Stunden lang seine Flasche, sein Glas oder Grimaud an, der gewöhnt war, ihm auf Zeichen zu gehorchen, und in dem stummen Blick seines Gebieters sein geringstes Verlangen las, das er auch sogleich befriedigte. Fand in einem solchen Augenblick eine Zusammenkunft der vier Freunde statt, so war ein gewaltsam ausgestoßenes Wort das einzige Kontingent, das Athos zu ihrem Gespräche lieferte. Dagegen trank Athos ganz allein für vier, und zwar ohne daß dies durch etwas Anderes, als durch ein stärkeres Runzeln der Stirne und durch eine tiefere Traurigkeit sichtbar wurde.

D'Artagnan, dessen forschenden durchdringenden Geist wir kennen, hatte bis jetzt, so sehr ihm daran lag, auch seine Neugierde in dieser Beziehung zu befriedigen, noch keinen Grund für diese seltsame Erscheinung aufzufinden, und die Ereignisse die ihr vorangegangen sein mußten, noch nicht zu erforschen vermocht. Nie empfing Athos Briefe, nie that er einen Schritt, der nicht allen seinen Freunden bekannt gewesen wäre. Man konnte nicht sagen, der Wein versetzte ihn in diese Traurigkeit, denn er trank im Gegenteil nur, um diese Traurigkeit zu bekämpfen, welche sich, wie bemerkt, durch dieses Gegenmittel noch düsterer gestaltete. Man konnte dieses Uebermaß von Mißmuth nicht dem Spiel zuschreiben, denn im Gegensatz gegen Porthos, welcher alle Wechselfälle des Spieles mit seinen Flüchen oder Liedern begleitete, blieb Athos eben so unempfindlich, wenn er gewonnen, als wenn er verloren hatte. Man hat ihn in Gesellschaft der Musketiere an einem Abend dreitausend Pistolen gewinnen, sein Pferd, seine Waffen, ja sogar das goldgestickte Wehrgehänge für Galatage verlieren, und später das Alles und noch hundert Louisd'or dazu wieder gewinnen gesehen, ohne daß sich seine schönen schwarzen Augenbrauen auch nur um eine halbe Linie erhöht oder gesenkt hätten, ohne daß seine Hände ihre Perlmutterfarbe verloren, ohne daß seine Unterhaltung, welche an diesem Abend sehr angenehm war, aufgehört hätte, ruhig und freundlich zu sein.

Eben so wenig war es, wie bei unsern Nachbarn, den Engländern, ein atmosphärischer Einfluß, der sein Gesicht verdüsterte, denn diese Traurigkeit nahm gewöhnlich in der schönen Jahreszeit überhand: Juni und Juli waren die furchtbarsten Monate von Athos.

Für die Gegenwart hatte er keinen Kummer; er zuckte die Achseln, wenn man von der Zukunft mit ihm sprach. Sein Geheimniß lag also in der Vergangenheit, wie man dies auf eine unbestimmte Weise d'Artagnan gesagt hatte.

Diese geheimnißvolle, über seine ganze Person verbreitete Färbung machte den Mann noch viel interessanter, der nie, selbst nicht einmal im Zustand vollkommener Trunkenheit, weder mit den Augen noch mit dem Munde etwas verrathen hatte, so geschickt auch die Fragen gestellt gewesen sein mochten, die man an ihn richtete.

«Der arme Athos ist vielleicht schon todt, «dachte d'Artagnan,»und todt durch meine Schuld, denn ich habe ihn in diese Angelegenheit verwickelt, deren Ursprung er nicht kannte, deren Erfolg er nicht erfahren, und woraus er nicht den geringsten Nutzen ziehen wird.«

«Abgesehen davon, gnädiger Herr, «erwiederte Planchet,»daß wir ihm wahrscheinlich das Leben zu verdanken haben. Ihr erinnert Euch, wie er schrie: ›Fort, d'Artagnan, ich bin gefangen!‹ Und nachdem er seine zwei Pistolen abgefeuert hatte, was für einen furchtbaren Lärm machte er mit seinem Degen! man hätte glauben sollen, es wären zwanzig Menschen, oder vielmehr zwanzig rasende Teufel!«

Diese Worte verdoppelten den Eifer d'Artagnans, der sein Pferd antrieb, welches, keines Antriebs bedürftig, seinen Reiter im schnellsten Galopp forttrug. Gegen elf Uhr Morgens erblickte man Amiens; um halb zwölf Uhr war man vor der Thür «des schlimmen Wirthshauses.

D'Artagnan hatte oft gegen den treulosen Wirth auf eine Rache gesonnen, deren Hoffnung den Menschen tröstet. Er trat also, den Hut in die Augen gedrückt, die linke Hand am Degengriff und die Reitpeitsche mit der Rechten schwingend, in den Gasthof ein.

«Erkennt Ihr mich?«sprach er zu dem Wirthe, der ihm begrüßend entgegen trat.

«Ich habe nicht die Ehre, gnädigster Herr, «antwortete der Wirth, dessen Auge noch von dem glänzenden Aufzuge d'Artagnans geblendet war.

«Ah, Ihr kennt mich nicht?«

«Nein, gnädiger Herr.«

«Gut. Zwei Worte sollen Euch das Gedächtniß zurückgeben. Was habt Ihr mit dem Edelmann gemacht, den Ihr vor vierzehn Tagen der Falschmünzerei zu bezichtigen die Frechheit hattet?«

Der Wirth erbleichte, denn d'Artagnan hatte seine drohendste Stellung angenommen und Planchet formte sich nach seinem Gebieter.

«Ach, gnädiger Herr, sprecht mir nicht hievon!«rief der Wirth mit äußerst kläglicher Stimme.»Ach, gnädiger Herr, wie theuer mußte ich dieses Versehen bezahlen! Ach ich bin ein unglücklicher Mann!«

«Sprecht, was ist aus diesem Edelmann geworden?«

«Hört mich gnädigst an und verfahrt glimpflich. Habt die Gnade, setzt Euch.«

Stumm vor Zorn und Aufregung, setzte sich d'Artagnan drohend wie ein Richter. Planchet lehnte sich stolz an seinen Stuhl.

«Hört die ganze Geschichte, gnädiger Herr, «fuhr der Wirth zitternd fort; denn jetzt erkenne ich Euch. Ihr seid weggeritten, als ich den unseligen Streit mit dem Edelmann hatte, von dem Ihr sprecht.«—»Ja, das war ich. Ihr seht also, daß Ihr keine Gnade zu erwarten habt, wenn Ihr nicht die volle Wahrheit bekennt.«—»Wollt mich gnädigst anhören, und Ihr sollt Alles erfahren.«—»Ich höre.«—»Ich war von den Behörden in Kenntniß gesetzt worden, es würde ein berühmter Falschmünzer mit mehreren seiner Gefährten, die sich alle als Garden oder Musketiere verkleidet hätten, in meinen Gasthof kommen. Eure Pferde, Eure Lakaien, Eure Gesichter, gnädigster Herr, Alles war mir genau bezeichnet worden.«—»Weiter, weiter, «sprach d'Artagnan, welcher alsbald erkannte, woher ein so scharfes Signalement gekommen war. — »Ich ergriff also auf Befehl der Behörde, die mir eine Verstärkung von sechs Mann zuschickte, diejenigen Maßregeln, die ich für zweckmäßig hielt, um mich der angeblichen Falschmünzer zu versichern.«—»Auch noch!«rief d'Artagnan, dem der Ausdruck Falschmünzer furchtbar die Ohren erhitzte. — »Vergebt mir, gnädiger Herr, daß ich solche Dinge sage, aber sie dienen gerade zu meiner Rechtfertigung. Die Behörde hatte mir bange gemacht, und Ihr wißt, daß ein Wirth der Behörde gehorchen muß.«—»Aber noch einmal, wo ist dieser Edelmann? was ist aus ihm geworden? ist er todt? lebt er?«—»Geduld, gnädiger Herr, wir kommen sogleich daran. Es geschah, was Ihr wißt, und Eure schleunige Abreise schien zu dem Verfahren zu berechtigen, «fügte der Wirth mit einer Schlauheit bei, welche d'Artagnan nicht entging.»Dieser Edelmann, Euer Freund, vertheidigte sich wie em Verzweifelter. Sein Bedienter, der durch ein unvorhergesehenes Unglück Streit mit den Leuten von der Behörde gesucht hatte, welche als Stallknechte verkleidet waren…«—»Ha, Elender, «rief d'Artagnan,»Ihr wäret also einverstanden, und ich weiß nicht, warum ich Euch nicht sogleich Alle umbringe?«—»Ach, nein, gnädiger Herr, wir waren nicht alle einverstanden, wie Ihr sehen werdet. Euer Herr Freund (vergebt, daß ich ihn nicht bei dem ehrenwerthen Namen nenne, den er ohne Zweifel führt, aber wir wissen diesen Namen nicht). Euer Herr Freund zog sich, nachdem er zwei Menschen mit seinen zwei Pistolenschüssen kampfunfähig gemacht hatte, fechtend zurück, indem er sich mit seinem Degen vertheidigte, wobei er einen von meinen Leuten zum Krüppel hieb und mich durch einen Schlag mit der flachen Klinge betäubte.«—»He, Henkersknecht, wirst Du bald zu Ende kommen?«rief d'Artagnan.»Athos! was geschah mit Athos?«—»Indem er sich fechtend zurückzog, wie ich dem gnädigen Herrn gesagt habe, fand er hinter sich die Kellertreppe, und da die Thüre offen war, so sprang er hinein. Sobald er sich im Keller befand, zog er den Schlüssel ab und verrammelte sich von innen. Da man überzeugt war, daß man ihn hier wieder finden konnte, so ließ man ihn frei.«—»Ja, «sprach d'Artagnan,»man kümmerte sich nicht darum, ihn zu tödten, man suchte ihn nur einzukerkern.«—»Gerechter Gott! Ihn einzukerkern, gnädiger Herr? Er kerkerte sich selbst ein, das schwöre ich Euch. Er hatte zuvor ein tüchtiges Stück Arbeit gemacht. Ein Mann lag todt auf dem Platze, zwei andere waren schwer verwundet. Der Todte und die zwei Verwundeten wurden von ihren Kameraden weggebracht, und nie habe ich mehr von dem Einen oder von den Andern sprechen hören. Ich selbst, als ich wieder zum Bewußtsein kam, suchte den Herrn Gouverneur auf, dem ich Alles erzählte, was vorgefallen war; ich fragte ihn, was ich mit dem Gefangenen machen sollte, aber der Gouverneur sah aus, als wäre er aus den Wolken gefallen. Er sagte mir, er verstehe gar nicht, was ich da spreche, die Befehle, die ich erhalten, seien nicht von ihm ausgegangen, und wenn ich so unglücklich wäre, gegen irgend Jemand zu äußern, daß er den geringsten Antheil an diesem heillosen Streite gehabt habe, so würde er mich hängen lassen. Es scheint, ich hatte mich getäuscht, gnädiger Herr, und den Einen für den Andern genommen, und derjenige, welcher verhaftet werden sollte, war gerettet.«—»Aber Athos?«rief d'Artagnan, dessen Ungeduld sich noch durch die Art und Weise verdoppelte, wie die Behörde die ganze Sache von sich abgelehnt hatte;»was ist aus Athos geworden?«—»Da mir daran liegen mußte, eiligst mein Unrecht gegen den Gefangenen gut zu machen, «antwortete der Wirth,»so lief ich nach dem Keller, um ihn wieder in Freiheit zu setzen. Ach, gnädiger Herr, das war kein Mensch mehr, das war ein Teufel. Bei meinem Freiheitsantrag erklärte er, es sei eine Falle, die man ihm stellen wolle, und ehe er herausgebe, werde er Bedingungen machen. Ich erwiederte ihm ganz demüthig, denn ich verhehlte mir die schlimme Lage nicht, in die ich mich dadurch gebracht hatte, daß ich an einen Musketier Seiner Majestät Hand legte; ich erwiederte ihm, ich sei bereit, mich allen seinen Bedingungen zu unterziehen.«—»Vor Allem, «sprach er,»verlange ich, daß man mir meinen Bedienten vollständig bewaffnet zurückgibt.«—»Man beeilte sich, diesem Befehl zu gehorchen, denn Ihr begreift wohl, gnädiger Herr, daß wir bereit waren. Alles zu thun, was Euer Freund verlangte. Herr Grimaud (dieser hat seinen Namen genannt, obgleich er nicht viel spricht), Herr Grimaud wurde also, obschon verwundet, in den Keller hinabgelassen. Sobald er sich bei seinem Herrn befand, verrammelte dieser wieder die Thüre und befahl uns, in unserer Schenkstube zu bleiben.«—»Aber wo ist er denn?«rief d'Artagnan,»wo ist Athos?«–

«Im Keller, gnädiger Herr.«—»Wie, Unglücklicher? Ihr haltet ihn seit dieser Zeit im Keller fest?«—»Gütiger Gott! nein, gnädiger Herr. Wir ihn im Keller festhalten! Ihr wißt also nicht, was er in dem Keller gemacht hat? Ach! wenn Ihr ihn herausbringen könntet, ich wäre Euch mein ganzes Leben dankbar, ich würde Euch anbeten, wie meinen Schutzpatron!«—»Also ist er da? ich finde ihn dort?«—»Allerdings, gnädiger Herr. Er besteht darauf, nn Keller zu bleiben. Jeden Tag reicht man ihm durch das Luftloch Brod an einer Gabel, und Fleisch, wenn er es verlangt. Aber sein stärkster Verbrauch besteht leider nicht in Brod und Fleisch. Einmal versuchte ich es, mit zwei von meinen Aufwärtern hinabzusteigen, aber er gerieth in eine furchtbare Wuth. Ich hörte das Geräusch seiner Pistolen, die er lud, und seiner Muskete, die sein Bedienter lud. Als wir sie sodann fragten, was sie beabsichtigten, so antwortete er: sie hätten zusammen noch vierzig Schüsse abzufeuern, und sie würden sie eher abfeuern, als daß sie einem von uns den Eintritt in den Keller gestatteten. Ich ging sodann zu dem Gouverneur, gnädiger Herr, um mich zu beklagen. Dieser aber erwiederte mir, es geschehe mir ganz recht, und das würde mich wohl lehren, in Zukunft ehrenwerthe Edelleute, welche bei mir einkehren, nicht mehr zu beleidigen.«—»Und seit dieser Zeit…«versetzte d'Artagnan, der sich eines lauten Lachens über das erbarmungswürdige Gesicht des Wirthes nicht enthalten konnte. — »Und seit dieser Zeit, gnädiger Herr, «sprach dieser,»führen wir das traurigste Leben, das man sich denken kann, denn Ihr müßt wissen, daß alle meine Vorräthe im Keller aufbewahrt find: unser Flaschen- und unser Faßwein, das Bier, das Öl und die Specereien, der Speck und die Würste. Und da es uns verboten ist, hinabzusteigen, so sind wir genöthigt, den Reisenden, die bei uns ankommen, Essen und Trinken zu verweigern, so daß unser Gasthof von Tag zu Tag abnimmt. Verweilt Euer Freund noch eine Woche in unserm Keller, so sind wir geschlagene Leute.«—»Und das wäre nicht mehr als billig. Schuft! Sagt, hat man uns nicht an unserer Miene angesehen, daß wir Leute von Stand und keine Falschmünzer waren?«—»Ja, gnädiger Herr, ja, Ihr habt Recht. Aber hört, hört, wie er wüthet!«—»Ohne Zweifel wird man ihn gestört haben.«—»Man muß ihn wohl stören, «rief der Wirth.»Es sind soeben zwei vornehme Engländer bei uns angekommen.«—»Was weiter?«—»Was weiter! Die Engländer lieben den guten Wein, wie Ihr wißt, und diese haben vom besten verlangt. Meine Frau wird von Eurem Freund sich die Erlaubniß erbeten haben, eintreten zu dürfen, um diese Herren befriedigen zu können. Und er hat es wahrscheinlich wie gewöhnlich abgeschlagen. Ach, gütiger Gott! der Teufelslärm verdoppelt sich!«

D'Artagnan hörte wirklich auf der Seite des Kellers ein gewaltiges Getöse. Er stand auf. Der Wirth schritt, die Hände ringend, vor ihm her, Planchet folgte ihm, das geladene Gewehr in der Hand, und so näherte er sich dem Orte der Handlung.

Die zwei fremden Herren waren in Verzweiflung. Sie hatten einen langen Ritt gemacht, und starben beinahe vor Hunger und Durst.

«Das ist eine wahre Tyrannei!«riefen sie in sehr gutem Französisch, obgleich mit etwas fremdem Accent;»es ist eine wahre Tyrannei, daß dieser Hauptnarr die guten Leute nicht über ihren Wein verfügen lassen will. Aus! treten wir die Thüre ein, und wenn er zu wüthend ist, so schlagen wir ihn todt.«

«Warum nicht gar, meine Herren, «sagte d'Artagnan, seine Pistolen aus dem Gürtel ziehend.»Ihr werdet Niemand todtschlagen, wenn's beliebt.«

«Gut, gut, «sprach Athos ruhig hinter der Thür,»man lasse sie nur ein wenig eintreten, diese Kleinkinderfresser, und wir werden sehen.«

So muthig die beiden englischen Herren sich geberdet hatten, so schauten sie doch jetzt zögernd einander an; man hätte glauben sollen, im Keller befinde sich ein ausgehungerter Wehrwolf, einer jener riesigen Helden der Volkssage, in deren Höhle Niemand ungestraft eindringt.

Nach einer kurzen Pause stieg der Händelsüchtigste von ihnen die fünf oder sechs Stufen der Treppe hinab, und gab der Thüre einen Fußtritt, daß eine Mauer hätte bersten müssen.

«Planchet, «sprach d'Artagnan, seine Pistolen rüstend,»ich übernehme den obern, übernimm Du den untern. Ah! meine Herren, Ihr wollt eine Schlacht! Ganz gut, sie soll Euch geliefert werden.«

«Mein Gott, «rief Athos mit hohler Stimme,»ich höre d'Artagnan, wie es mir scheint.«

«In der That!«schrie d'Artagnan,»ich bin es, mein Freund.«

«Ah, dann ist es gut, «sprach Athos,»wir wollen sie bearbeiten, diese Thürenstürmer!«

Die Fremden hatten ihre Degen ergriffen, aber sie fanden sich zwischen zwei Feuer gestellt; sie zögerten noch einen Augenblick; doch der Stolz trug wie das erste Mal den Sieg davon, und ein zweiter Fußtritt machte die Thüre in ihrer ganzen Höhe erkrachen.

«Halt' Dich fertig, d'Artagnan, halt' Dich fertig!«brüllte Athos,»halt' Dich fertig! ich schieße!«

«Meine Herren!«rief d'Artagnan, den die Ueberlegung nie verließ,»meine Herren, bedenkt wohl! Geduld, Athos. Ihr fangt einen schlimmen Handel an, bei dem Ihr sicherlich den Kürzeren ziehet. Ich und mein Bedienter, wir feuern dreimal, eben so viele Kugeln werden Euch vom Keller aus zugeschleudert; dann haben wir noch unsere Degen, mit denen mein Freund und ich ziemlich gut zu spielen wissen, das versichere ich Euch. Laßt mich Eure und meine Sache abmachen. Ihr werdet sogleich zu trinken bekommen, darauf gebe ich Euch mein Ehrenwort.«

«Wenn noch etwas übrig ist, «knurrte Athos mit spöttischer Stimme.

Dem Wirth lief der kalte Schweiß über den Rücken.

«Wie so? wenn noch etwas übrig ist!«murmelte er.

«Der Teufel! es wird wohl noch etwas übrig sein, «erwiederte d'Artagnan.»Seid unbesorgt, sie werden zu zwei nicht den ganzen Keller ausgetrunken haben. Meine Herren, steckt Eure Degen in die Scheide!«

«Gut, aber steckt Ihr ebenfalls Eure Pistolen in den Gürtel!«

«Gern!«

D'Artagnan gab das Beispiel, wandte sich sodann gegen Planchet um und deutete ihm durch ein Zeichen an, er solle seine Muskete abspannen.

Hiedurch überzeugt, steckten die Engländer ihre Degen brummend in die Scheide. Man erzählte ihnen die Geschichte der Einkerkerung von Athos, und da sie gute Edelleute waren, so gaben sie dem Wirth Unrecht.

«Nun, meine Herren, «sagte d'Artagnan,»geht in Euer Zimmer hinauf, und in zehn Minuten sollt Ihr Alles bekommen, dafür stehe ich Euch, was Ihr nur wünschet.«

Die Engländer grüßten und entfernten sich.

«Da ich jetzt allein bin, mein lieber Athos, «sagte d'Artagnan,»so öffnet mir gefälligst die Thüre.«

«Sogleich, «erwiederte Athos.

Dann vernahm man ein Geräusch von unter einander geworfenen Reißbündeln und knarrenden Balken. Dies waren die Contreescarpen und Basteien von Athos, welche der Belagerte selbst zerstörte. Nach einem Augenblick wankte die Thüre und man sah den bleichen Kopf von Athos erscheinen, der mit raschem Blick das Terrain musterte.

D'Artagnan warf sich ihm an den Hals und umarmte ihn zärtlich; dann wollte er ihn aus seinem feuchten Aufenthalt herausziehen. Nun aber merkte er erst, daß sein Freund wankte.

«Ihr seid verwundet, «sprach er.

«Nicht im Mindesten, ich bin schwer betrunken, das ist das Ganze. Und um dies zu bewerkstelligen, ist nie ein Mensch in der Welt besser verfahren. Bei Gott! Herr Wirth, ich habe für meinen Theil wenigstens hundert und fünfzig Flaschen getrunken.«

«Barmherzigkeit!«rief der Wirth,»wenn der Diener nur halb so viel getrunken hat, als der Herr, so bin ich zu Grund gerichtet.«

«Grimaud ist ein Lakai von gutem Hause, der sich nicht erlaubt haben würde, auf dieselbe Weise ein Tägliches zu sich zu nehmen, wie ich. Er trank nur aus dem Fasse. Halt! ich glaube, er hat vergessen, den Zapfen wieder hineinzustecken. Hört Ihr, das läuft!«

D'Artagnan brach in ein schallendes Gelächter aus, das den Schauder des Wirths in ein hitziges Fieber verwandelte.

In demselben Augenblick erschien auch Grimaud hinter seinem Herrn, die schwere Büchse auf der Schulter mit wackelndem Kopf, wie trunkene Satyrn auf den Gemälden von Rubens. Lr war hinten und vorn mit einer fetten Flüssigkeit benetzt, worin der Wirth sein bestes Olivenöl erkannte.

Der Zug ging durch den großen Saal und verfügte sich in das schönste Zimmer des Gasthofes, welches d'Artagnan aus eigener Machtvollkommenheit in Beschlag nahm.

Während dieser Zeit stürzten der Wirth und seine Frau in den Keller, der für sie so lange verschlossen gewesen war. Hier aber harrte ihrer ein furchtbares Schauspiel.

Jenseits der Festungswerke, die aus Reißbüscheln, Brettern, Balken und leeren Fässern bestanden, welche Athos nach allen Regeln der Strategie aufgehäuft, nun aber eingerissen hatte, um herausgehen zu können, sah man in Teichen von Oel und Wein die Gebeine aller verspeisten Schinken schwimmen, während eine Masse zerbrochener Flaschen den linken Winkel des Kellers füllte, und ein Faß, dessen Hahn offen geblieben war, durch diese Oeffnung die letzten Tropfen seines Blutes vergoß. Das Bild der Verwüstung und des Todes herrschte hier, nach den Worten eines alten Dichters, wie auf dem Schlachtfelde.

Von fünfzig an den Balken aufgehängten Würsten waren kaum noch zehn übrig.

Das Jammergeschrei des Wirthes und der Wirthin durchdrang nun das Kellergewölbe, und selbst d'Artagnan ward von ihrem lauten Wehklagen bewegt. Athos wandte nicht einmal den Kopf um.

Auf den Schmerz folgte die Wuth. Der Wirth bewaffnete sich mit einem Bratspieß und rannte in seiner Verzweiflung in das Zimmer, in das sich die zwei Freunde zurückgezogen hatten.

«Wein!«sprach Athos, als er den Wirth erblickte. — »Wein!«rief der Wirth ganz außer sich.»Wein! Ihr habt mir für mehr als hundert Pistolen getrunken, ich bin ein geschlagener, verlorener zu Grunde gerichteter Mann!«—»Bah!«sagte Athos,»unser Durst ist immer gleich geblieben.«—»Wenn Ihr Euch nur mit dem Trinken begnügt hättet, aber Ihr habt alle Flaschen zerbrochen.«—»Ei, warum mußtet Ihr mich aus einen Haufen treiben, der herunterrumpelte? Das ist Euer Fehler.«—»All mein Oel ist zu Grunde gegangen.«—»Das Oel ist ein vortrefflicher Balsam für die Wunden, und der arme Grimaud mußte doch die, welche Ihr ihm beigebracht habt, ein wenig einschmieren.«—»Alle meine Würste sind aufgegessen.«— Es gibt eine ungeheure Menge Ratten in diesem Keller.«—»Ihr werdet mir Alles bezahlen, «rief der Wirt verzweiflungsvoll. — »Dreifacher Schurke, «sagte Athos aufstehend, aber er fiel sogleich wieder zurück und gab dadurch einen Maßstab von seinen Kräften. D'Artagnan kam ihm, die Reitpeitsche schwingend, zu Hülfe.

Der Wirth wich einen Schritt zurück und machte sich durch einen Thränenstrom Luft.

«Das wird Euch die Gäste, welche Euch Gott schickt, auf eine höflichere Weise behandeln lehren, «sprach d'Artagnan.

«Gott schickt? sagt lieber der Teufel.«

«Mein lieber Freund, «erwiederte d'Artagnan,»wenn Ihr unsere Ohren noch länger peinigt, so schließen wir uns alle vier in den Keller ein, und wir werden dann sehen, ob der Schaden wirklich so groß ist, als Ihr sagt.«

«Ja, ja, «sprach der Wirth,»ich gestehe, ich habe Unrecht, aber es gibt Gnade und Barmherzigkeit für jede Sünde. Ihr seid vornehme Herren und ich bin ein armer Wirth; Ihr werdet Mitleid mit mir haben.«

«Ah! wenn Du so sprichst, «sagte Athos,»so zerreißest Du mir das Herz, und die Thränen entströmen meinen Augen, wie der Wein deinen Fässern entströmte. Man ist kein so eingefleischter Teufel, wie man aussieht. Komm her, schwatzen wir miteinander.«

Der Wirth trat unruhig näher.

«Komm her, sage ich Dir, und fürchte Dich nicht, «fuhr Athos fort.»In dem Augenblick, wo ich Dich bezahlen wollte, hatte ich meine Börse auf den Tisch gelegt.«—»Ja, gnädiger Herr.«—»Diese Börse enthielt sechszig Pistolen; wo ist sie!«—»In der Gerichtskanzlei deponirt; man sagte, es sei falsche Münze.«—»Gut! laß Dir meine Börse zurückgeben und behalte die sechszig Pistolen.«—»Aber, der gnädige Herr weiß doch, daß die Gerichtskanzlei nichts mehr zurückgibt, was sie einmal in ihrer Kasse hat; wenn es falsche Münze wäre, dann dürfte man noch hoffen, aber leider sind es gute Goldstücke.«—»Mach das mit der Kanzlei ab, mein braver Mann; darum kümmere ich mich um so weniger, als mir kein Livre mehr übrig bleibt.«—»Hört, «sagte d'Artagnan,»wo ist das alte Pferd von Athos?«—»Im Stalle.«—»Wie viel ist es werth?«—»Höchstens fünfzig Pistolen.«—»Es ist achtzig wert, nimm es und Alles ist abgethan'«—»Wie, Du verkaufst mein Pferd?«sprach Athos,»Du verkaufst meinen Bajazet? und auf was soll ich den Feldzug machen? auf Grimaud?«—»Ich bringe Dir ein anderes, «sagte d'Artagnan. — »Ein herrliches!«rief der Wirth. — »Wenn ein schöneres und jüngeres für mich vorhanden ist, so nimm das alte, und — jetzt Wein her!«—»Von welchem?«fragte der Wirth wieder erheitert. — »Von dem, welcher hinten bei den Latten liegt; es sind noch fünfundzwanzig Flaschen davon übrig; die andern zerbrachen insgesammt bei meinem Sturze. Rasch hinab!«—»Das ist ein wahrer Teufelskerl von einem Menschen, «sagte der Wirth bei Seite; bleibt er nur vierzehn Tage hier und bezahlt Alles, was er trinkt, so bin ich wieder geborgen.«—»Und vergiß nicht, «fuhr d'Artagnan fort,»vier Flaschen von demselben zu den englischen Herren hinaus zu tragen.«—»Nun, mein Freund, «sprach Athos,»während er den Wein holt, erzähle mir, was aus den Anderen geworden ist; laß hören.«

D'Artagnan theilte ihm mit, wie er Porthos mir einer Quetschung im Bette, und Aramis an einem Tische zwischen zwei Theologen gefunden hatte. Als er seine Erzählung endigte, erschien der Wirth mit den verlangten Flaschen und mit einem Schinken, der zu seinem Glück außerhalb des Kellers geblieben war.

«Das ist gut, «sagte Athos sein und d'Artagnans Glas füllend,»so viel von Porthos und Aramis; aber Ihr, mein Freund, was habt Ihr und was ist Euch persönlich begegnet? Ihr seht so trübselig aus.«—»Ach! ich bin wahrlich der Unglücklichste von uns Allen.«—»Du unglücklich, d'Artagnan?«sprach Athos.»Laß hören, sprich, auf welche Art bist Du unglücklich?«—»Später, «sagte d'Artagnan. — »Später, und warum später? weil Du glaubst, ich sei betrunken, d'Artagnan? Merke Dir wohl, ich habe nie klarere Ideen, als wenn ich im Wein schwimme. Sprich also, ich bin ganz Ohr.«

D'Artagnan erzählte sein Abenteuer mit Madame Bonacieux. Athos hörte ihm zu, ohne eine Miene zu verändern; als er vollendet hatte, rief der Musketier:

«Erbärmlichkeiten, lauter Erbärmlichkeiten!«

«Erbärmlichkeiten! das ist immer Euer Wort, «sprach d'Artagnan;»das steht Euch sehr schlecht. Euch, der Ihr nie geliebt habt.«

Das todte Auge von Athos flammte plötzlich, aber es war nur ein Blitz; es wurde wieder matt, wie vorher.

«Das ist wahr, «sagte er ruhig,»ich habe nie geliebt.«—»Ihr seht also wohl, Marmorseele, «sprach d'Artagnan,»daß Ihr Unrecht habt, gegen uns, die wir ein zärtlich Herz besitzen, hart zu sein.«—»Zärtliches Herz, durchlöchertes Herz.«—»Was sagt Ihr da?«—»Ich sage, daß die Liebe eine Lotterie ist, wo derjenige, welcher gewinnt, den Tod gewinnt. Glaubt mir, mein lieber d'Artagnan, Ihr seid sehr glücklich, daß Ihr verloren habt. Wenn ich Euch rathen soll, so verliert immer.«—»Sie hatte das Ansehen, als liebte sie mich so sehr.«—»Sie hatte das Ansehen.«—»Oh! sie liebte mich.«—»Kind! es gibt keinen Menschen, der nicht geglaubt hätte, sein Liebchen liebe ihn, und der nicht von seiner Geliebten betrogen worden wäre.«—»Euch ausgenommen, Athos, der Ihr nie geliebt habt.«—»Das ist wahr, «sprach Athos nach kurzem Stillschweigen,»ich habe nie geliebt. Laß uns trinken.«—»Aber unterstützt mich, belehrt mich, Ihr, der Ihr ein Philosoph seid, «sprach d'Artagnan,»ich bedarf der Weisheit und des Trostes.«—»Des Trostes, worüber?«—»Ueber mein Unglück.«—»Euer Unglück macht mich lachen, «sagte Athos die Achseln zuckend,»ich möchte wohl wissen, was Ihr sagtet, wenn ich Euch eine Liebesgeschichte erzählen würde.«—»Die Euch begegnet ist?«—»Oder einem von meinen Freunden, was ist daran gelegen?«—»Sprecht, Athos, sprecht.«—»Wir wollen trinken, das wird besser sein.«—»Trinkt und erzählt.«—»Wirklich, das läßt sich machen, «sagte Athos, sein Glas leerend und wieder füllend;»diese zwei Dinge gehen vortrefflich zusammen.«

Athos sammelte sich, aber je mehr er sich sammelte, desto bleicher sah ihn d'Artagnan werden; er hatte die Periode der Trunkenheit erreicht, wo gewöhnliche Trinker fallen und einschlafen.

«Ihr wollt es durchaus haben?«fragte er.

«Ich bitte Euch darum, «sagte d'Artagnan.

«Euerem Wunsche soll willfahrt werden. Einer von meinen Freunden, hört Ihr wohl? nicht ich, «sprach Athos sich mit einem düstern Lächeln unterbrechend;»einer von den Grafen meiner Provinz, das heißt im Berry, hochgeboren wie ein Dandolo oder ein Montmorency, verliebte sich in seinem fünfundzwanzigsten Jahr in ein sechszehnjähriges Mädchen, das so schön war wie eine Liebesgöttin. Durch die Naivetät ihres Alters leuchtete ein glühender Geist, kein Frauengeist, sondern ein Dichtergeist; sie gefiel nicht, sie berauschte; sie lebte in einem kleinen Dorf bei ihrem Bruder, der Pfarrer war. Beide waren in die Gegend gekommen, ohne daß man wußte, woher; aber wenn man sah, wie schön sie, und wie fromm ihr Bruder war, so dachte man nicht daran, sie zu fragen, woher sie kämen. Ueberdies behauptete man, sie seien von guter Herkunft. Mein Freund, welcher der Gebieter dieser Ländereien war, hätte sie nach seinem Belieben verführen oder mit Gewalt wegnehmen können, denn er war der Herr; wer wäre zwei Fremden, zwei Unbekannten zu Hülfe gekommen? Zu seinem Unglück war er ein ehrlicher Mann und heirathete sie. Der Narr, der Dummkopf, der Tropf!«

«Aber warum dies, da er sie liebte?«fragte d'Artagnan.

«Nur Geduld, «erwiederte Athos.»Er führte sie in sein Schloß und machte sie zur ersten Dame der Provinz; und man muß ihr hierin Gerechtigkeit widerfahren lassen; sie wußte ihren Rang vortrefflich zu behaupten.«

«Nun?«fragte d'Artagnan.

«Nun! eines Tages, als sie mit ihm auf der Jagd war, «fuhr Athos mit gedämpfter Stimme und sehr schnell sprechend fort,»fiel sie vom Pferde und wurde ohnmächtig; der Graf eilte ihr zu Hülfe, und da sie in ihren Kleidern beinahe erstickte, so schlitzte er diese mit seinem Dolche und entblößte ihre Schulter. Errathet, was sie auf ihrer Schulter hatte, d'Artagnan?«

«Kann ich es wissen?«

«Eine Lilie, «sprach Athos.»Sie war gebrandmarkt. «Und Athos leerte mit einem Zuge das Glas aus, das er in der Hand hatte.

«Gräßlich!«rief d'Artagnan,»was erzählt Ihr mir da?«

«Die Wahrheit, mein Lieber. Der Engel war ein Teufel. Das arme Mädchen hatte gestohlen.«

«Und was that der Graf?«

«Der Graf war ein hoher Herr; er hatte auf seinen Gütern die hohe und die niedere Gerichtsbarkeit; er zerriß die Kleider der Gräfin vollends, band ihr die Hände auf den Rücken und knüpfte sie an einem Baume auf.«

«Himmel! Athos, ein Mord!«rief d'Artagnan.

«Ja, ein Mord, nicht mehr «sprach Athos bleich wie der Tod.»Aber es scheint, es fehlt uns an Wein.«

Und er ergriff die letzte Flasche, welche noch übrig war, am Halse, setzte sie an den Mund und leerte sie auf einen Zug, als wäre es ein gewöhnliches Glas gewesen.

Dann ließ er den Kopf zwischen seine beiden Hände sinken, d'Artagnan aber blieb stumm vor Schrecken.

«Das heilte mich von allen Frauen, von den schönen, von den poetischen und von den verliebten, «sprach Athos sich wieder erhebend und ohne daran zu denken, die Fabel von dem Grafen fortzusetzen.»Gott gewähre Euch eben so viel! Trinken wir!«

«Sie ist also todt?«stammelte d'Artagnan.

«Beim Teufel!«erwiederte Athos.»Doch reicht mir Euer Glas. Schinken, Schuft!«rief er.»Wir können nicht mehr trinken!«

«Aber ihr Bruder?«fügte d'Artagnan schüchtern bei.

«Ihr Bruder?«versetzte Athos.

«Ja, der Priester.«

«Ich schickte nach ihm, um ihn ebenfalls aufhängen zu lassen, aber er war mir zuvorgekommen und hatte seinen Pfarrhof am Abend zuvor verlassen.«

«Wußte man, wer der Elende war?«

«Er war der erste Liebhaber und der Mitschuldige der Schönen, ein würdiger Mann, der sich den Anschein gab, als wäre er Pfarrer, um sie zu verheirathen und ihr eine Zukunft zu sichern; er wird hoffentlich geviertheilt worden sein.«

«Oh! mein Gott! mein Gott!«rief d'Artagnan ganz betäubt von dieser furchtbaren Begebenheit.

«Eßt doch von diesem Schinken, d'Artagnan, er ist vortrefflich, «sagte Athos und legte eine Schnitte auf den Teller des jungen Mannes.»Wie Schade, daß nicht wenigstens nur vier wie dieser in dem Keller gewesen sind! Ich hätte fünfzig Flaschen mehr getrunken.«

D'Artagnan vermochte dieses Gespräch nicht länger zu ertragen, denn es hätte ihn toll gemacht, er ließ den Kopf auf seine Hände sinken und stellte sich als entschliefe er.

«Die jungen Leute können nicht mehr trinken, «sprach Athos und schaute ihn mitleidig an, und doch ist dieser noch einer von den besten!..«


XXVIII. Rückkehr

D'Artagnan blieb ganz betäubt durch die furchtbare Mittheilung von Athos. Es erschienen ihm noch sehr viele Dinge dunkel in dieser halben Offenbarung. Vor Allem war sie von einem völlig betrunkenen Menschen, einem halb Betrunkenen gemacht worden. Aber trotz der Schwankung, welche durch den Dunst von zwei oder drei Flaschen Burgunder im Gehirn entsteht, war d'Artagnan, als er am andern Morgen erwachte, jedes Wort noch so gegenwärtig, als ob die Sylben, wie sie von dem Mund des Einen fielen, in den Geist des Andern eingezeichnet worden wären. Der Zweifel, der sich in ihm regte, erzeugte ein noch viel lebhafteres Verlangen, Gewißheit zu bekommen, und er begab sich zu seinem Freund in der besten Absicht, das Gespräch am vorigen Abend wieder anzuknüpfen, aber er fand Athos bereits wieder in den feinsten, undurchdringlichsten Menschen umgewandelt.

Der Musketier, nachdem er einen Händedruck und ein Lächeln mit ihm ausgetauscht hatte, kam ihm indessen zuvor.

«Ich war gestern sehr betrunken, mein lieber d'Artagnan, «rief er,»ich fühlte dies heute Morgen an meiner immer noch etwas schweren Zunge und an meinem aufgeregten Pulse. Ich wette, daß ich tausenderlei närrische Dinge preisgegeben habe.«

Während er diese Worte sprach, schaute er seinen Freund so fest an, daß dieser dadurch in Verlegenheit gerieth.

«Nicht doch, «erwiederte d'Artagnan,»und wenn ich mich recht erinnere, so habt Ihr nichts Außerordentliches gesprochen.

«Ah, Ihr setzt mich in Erstaunen. Ich glaubte Euch eine höchst klägliche Geschichte erzählt zu haben, «und dabei sah er den jungen Mann an, als wollte er in der Tiefe seiner Seele lesen.

«Meiner Treu', «sprach d'Artagnan,»es scheint, ich war noch betrunkener als Ihr, da ich mir gar nicht mehr erinnern kann.«

Athos ließ sich nicht mit diesen Worten abspeisen, sondern versetzte:

«Es kann Euch nicht entgangen sein, mein lieber Freund, daß jeder seine eigene Art von Trunkenheit bat: der Eine, eine lustige, der Andere eine traurige. Ich habe sie traurige Trunkenheit, und wenn ich einmal weingrün bin, so ist es meine Manier, alle trübselige Geschichten zu erzählen, die mir meine alberne Amme in das Hirn gepflanzt hat. Das ist mein Fehler, ein Hauptfehler, ich gestehe es zu; aber abgesehen davon bin ich ein guter Trinker.«

Athos sagte dies auf eine so natürliche Weise, daß d'Artagnan in seiner Ueberzeugung erschüttert wurde.

«O! das ist es, in der That, «sprach der junge Mann, der hinter die Wahrheit zu kommen suchte.»Dergleichen ist es. Ich erinnere mich, wie man sich eines Traumes erinnert, daß wir von Gehenkten gesprochen haben.«—»Ah, Ihr seht wohl, «sagte Athos erbleichend, während er zu lächeln suchte,»ich wußte es, die Gehenkten sind mein Alp.«—»Ja, ja, «entgegnete d'Artagnan,»das Gedächtnis kehrt wieder bei mir ein: es war die Rede… wartet nur… es war die Rede von einer Frau.«—»Seht, «erwiederte Athos beinahe bleifarbig geworden,»das ist meine große Geschichte von der blonden Frau. Wenn ich diese erzähle, bin ich bis zur Bewußtlosigkeit betrunken.«—»Ja, das ist es, «sagte d'Artagnan,»die Geschichte von der blonden Frau, groß und schön mit blauen Augen.«—»Ja, und gehenkt.«—»Durch ihren Gatten, der ein hoher Herr von Eurer Bekanntschaft war, «fuhr d'Artagnan, seinen Freund fest anschauend, fort. — »Seht Ihr, wie man einen Menschen bloßstellen kann, wenn man nicht mehr weiß, was man sagt, «fuhr Athos fort und zuckte die Achseln, als ob er sich selbst bemitleidete.»Gewiß, ich will mich nicht mehr betrinken, d'Artagnan, es ist eine gar zu schlechte Gewohnheit. Bald hätte ich vergessen, «fügte er hinzu,»ich danke Euch für das Pferd, das Ihr mir mitgebracht habt.«—»Gefällt es Euch?«—»Ja, aber es ist kein Pferd für Strapazen.«—»Ihr täuscht Euch. Ich habe zehn Meilen in weniger als anderthalb Stunden mit ihm ge macht, und es schien nicht mehr ermüdet, als wenn es einmal auf der Place Saint-Sulpice im Kreise umher geritten worden wäre.«—»Ei, ei, das ist sehr ärgerlich.«—»Aergerlich?«—»Ja, ich habe mich desselben entäußert.«—»Wie dies?«—»Hört: als ich diesen Morgen um sechs Uhr erwachte, schlieft Ihr wie ein Dachs, und ich wußte nicht, was ich machen sollte. Ich war noch ganz verdumpft von unserer gestrigen Schwelgerei. Ich ging in den großen Saal hinab und sah einen von unfern Engländern, der mit einem Roßtäuscher um ein Pferd handelte. Dem seinigen war ein Blutgesäß gesprungen. Ich nähere mich ihm und sage, als ich gewahr wurde, daß er hundert Pistolen für einen Schweißfuchs bot: ›Bei Gott, mein edler Herr, ich habe auch ein Pferd zu verkaufen.‹ — ›Und zwar ein sehr schönes,‹ sprach er. ›Ich habe es gestern gesehen. Der Knecht Eures Freundes führte es an der Hand.‹ — ›Glaubt Ihr, es sei hundert Pistolen werth?‹ — ›Ja. Wollt Ihr es mir um diesen Preis geben?‹ — ›Nein, aber ich spiele mit Euch darum.‹ — ›Wie?‹ — ›Mit Würfeln.‹ —»Gefugt gethan, und ich habe das Pferd verloren. «Doch hört wohl, «fuhr Athos fort,»die Decke habe ich wieder gewonnen.«

D'Artagnan machte eine ziemlich verdrießliche Miene.

«Das ist Euch unangenehm?«sprach Athos.

«Allerdings, ich muß es Euch gestehen, «erwiederte d'Artagnan.»Dieses Pferd sollte dazu dienen, uns an einem Schlachttag kenntlich zumachen; es war ein Pfand, ein Andenken. Athos, Ihr habt Unrecht gehabt.«

«Ei, mein lieber Freund, versetzt Euch an meine Stelle, «entgegnete der Musketier,»ich langweilte mich zum Sterben, und dann auf Ehre, ich liebe die englischen Pferde nicht. Hört, wenn es sich nur darum handelt, von irgend Jemand erkannt zu werden, so wird der Sattel genügen. Er ist auffallend genug. Was das Pferd betrifft, so werden wir irgend eine Entschuldigung finden, um sein Verschwinden zu rechtfertigen. Was Teufels! ein Pferd ist sterblich. Gesetzt, das meine hätte den Wurm oder den Rotz bekommen!«

D'Artagnan's Antlitz erheiterte sich nicht.

«Es ist mir verdrießlich, «fuhr Athos fort,»daß Ihr so viel auf diese Thiere zu halten scheint, denn ich bin mit meiner Geschichte noch nicht zu Ende.«—»Was habt Ihr weiter noch gemacht?«—»Nachdem ich mein Pferd verloren hatte, neun gegen zehn, (seht, was für ein Wurf!) kam mir der Gedanke, um das Eurige zu spielen.«—»Ja, aber es blieb doch hoffentlich bei dem Gedanken?«—»Nein, ich brachte ihn sogleich in Ausführung.«—»Ah, den Henker!«rief d'Artagnan unruhig. — »Ich spielte und verlor.«—»Mein Pferd?«—»Euer Pferd, sieben gegen acht; um ein Auge… Ihr kennt das Sprichwort?«—»Athos, ich schwöre, Ihr seid nicht bei Vernunft.«—»Mein Lieber, das hättet Ihr mir gestern sagen sollen, als ich Euch die tollen Geschichten erzählte, und nicht heute. Ich verlor es also sammt Sattel und Zeug.«—»Aber das ist abscheulich!«—»Nur Geduld, Ihr habt Unrecht. Ich wäre ein vortrefflicher Spieler, wenn ich nicht hartnäckig würde, aber das ist der Fall, wie beim Trinken. Ich wurde also hartnäckig.«—»Aber um was konntet Ihr denn spielen? Es blieb Euch ja nichts mehr übrig.«—»Allerdings, mein Freund, es blieb Euch noch der Diamant übrig, der an Eurem Finger glänzt und den ich gestern bemerkt hatte.«—»Dieser Diamant!«rief d'Artagnan, und fuhr mit der Hand an seinen Ring. — »Und da ich Kenner bin, insoferne ich einige für eigene Rechnung besessen hatte, schätzte ich ihn auf tausend Pistolen.«—»Ich hoffe «sprach d'Artagnan halbtodt vor Schrecken,»Ihr erwähntet meines Diamants nicht?«—»Im Gegentheil, lieber Freund, Ihr begreift doch, daß dieser Diamant unser einziges Rettungsmittel war. Mit ihm konnte ich unser Reitzeug, unsere Pferde, und sogar Geld für die Reise wieder gewinnen.«—»Athos, Ihr macht mich zittern!«rief d'Artagnan. — »Ich sprach also von Eurem Diamant mit meinem Gegenspieler, der ihn ebenfalls wahrgenommen hatte. Was Teufel, mein Lieber, Ihr tragt an Eurem Finger einen Stern des Himmels und wollt, man soll nicht darauf aufmerksam werden? Unmöglich.«—»Vollendet, mein Lieber, vollendet!«sprach d'Artagnan,»denn auf Ehre, Ihr bringt mich um mit Eurer Kaltblütigkeit.«—»Wir theilten also diesen Diamant in zehn Theile von je hundert Pistolen.«—»Ah, Ihr wollt scherzen und mich auf die Probe stellen, «sagte d'Artagnan, den der Zorn zu ersticken drohte. — »Nein, ich scherze nicht, Mord und Teufel! Ich hätte Euch wohl sehen mögen! Vierzehn Tage lang hatte ich kein menschliches Antlitz zu Gesicht bekommen, und war durch dieses ewige Umarmen der Weinflaschen rauhborstig geworden.«—»Das ist kein Grund, um meinen Ring auf das Spiel zu setzen, «entgegnete d'Artagnan, die Hand krampfhaft zusammenpressend. — »Hört also das Ende. Zehn Theile zu hundert Pistolen, ohne Revanche. Auf dreizehn Würfe verlor ich Alles. Auf dreizehn Würfe! Dreizehn ist immer eine Unglückszahl für mich gewesen; es geschah am 13. Juli, daß…«—»Tod und Teufel!«rief d'Artagnan aufspringend; die Geschichte dieses Tages machte ihn die des vorhergehenden vergessen. — »Geduld, «sprach Athos,»ich hatte einen Plan. Der Engländer war ein Original. Ich sah ihn am Morgen mit Grimaud plaudern, und dieser meldete mir, er habe ihm den Antrag gemacht, er möge in seine Dienste treten. Ich spiele mit ihm um Grimaud, den stillschweigenden Grimaud, in zehn Portionen getheilt.«—»Ah, Gottes Wunder!«rief d'Artagnan und brach in ein lautes Gelächter aus. — »Grimaud selber, hört Ihr wohl, und mit den zehn Theilen von Grimaud, der nicht ganz einen Dukaten werth ist, gewinne ich den Diamant wieder. Sagt mir also noch einmal, die Beharrlichkeit sei keine Tugend.«—»Meiner Treue! das ist drollig!«rief d'Artagnan getröstet, und hielt sich vor Lachen die Seiten. — »Ihr begreift, daß ich, als ich mich wieder bei Kräften fühlte, abermals um den Diamant zu spielen anfing.«—»Ah, Teufel!«sagte d'Artagnan verdüstert. — »Ich gewann Euer Reitzeug wieder und dann Euer Pferd, dann mein Reitzeug, dann mein Pferd, und verlor abermals. Kurz, ich habe Euer Reitzeug wieder bekommen und das meinige. Und so stehen nun die Sachen. Das war ein vortrefflicher Wurf, und ich blieb dabei.«

D'Artagnan athmete, als ob man ihm das ganze Wirthshaus von der Brust genommen hätte.

«Der Diamant bleibt mir also?«sprach er schüchtern. –

«Unberührt, mein lieber Freund. Auch das Reitzeug Eueres Bucephalus und des meinigen.«—»Aber was sollen wir mit dem Reitzeug ohne Pferd machen?«—»Ich habe hierüber einen Gedanken.«—»Athos, Ihr macht mich beben.«—»Hört: Ihr habt seit langer Zeit nicht mehr gespielt, d'Artagnan!«—»Und ich habe auch keine Lust zu spielen.«—»Verschwören wir nichts. Ihr habt seit langer Zeit nicht mehr gespielt, sagte ich, Ihr müßt folglich eine glückliche Hand haben.«—»Gut, und hernach?«—»Gut, der Engländer und sein Gefährte sind noch hier. Ich bemerkte, daß es ihnen sehr leid thut, unser Reitzeug nicht zu besitzen. Ihr scheint viel auf Euer Pferd zu halten. An Euerer Stelle würde ich um Euer Reitzeug gegen Euer Pferd spielen.«—»Aber er wird nicht um ein einziges Reitzeug wollen.«—»Spielt um beide. Bei Gott, ich bin kein Egoist, wie Ihr.«—»Ihr würdet dies thun?«sagte d'Artagnan unentschlossen, so sehr wurde er unwillkürlich von der Zuversichtlichkeit seines Freundes angesteckt. — »Bei meinem Ehrenwort, auf einen Wurf!«—»Da ich die Pferde verloren habe, so muß mir sehr viel daran liegen, wenigstens das Reitzeug zu behalten.«—»So spielt um Euern Diamant.«—»O, das ist ein ander Ding; nie, nie!«—»Teufel!«sprach Athos,»ich würde Euch vorschlagen, um Grimaud zu spielen; da dies aber bereits geschehen ist, so wird der Engländer ohne Zweifel nicht mehr wollen.«—»Entschieden, mein lieber Athos, «sagte d'Artagnan,»ich will lieber gar nichts mehr wagen.«—»Das ist Schade, «sprach Athos kalt.»Der Engländer ist ganz gespickt mit Pistolen. Ei, mein Gott, versucht doch einen Wurf. Ein Wurf ist bald gemacht.«—»Und wenn ich verliere?«—»Ihr werdet gewinnen.«—»Aber wenn ich verliere?«—»Gut, so gebt Ihr ihm unser Reitzeug.«—»Es mag sein, einen Wurf, «sprach d'Artagnan.

Athos suchte den Engländer auf und fand ihn im Stalle, wo er das Reitzeug der Freunde mit lüsternen Augen betrachtete. Die Gelegenheit war günstig. Er machte seine Bedingungen: Beider Reitzeug gegen ein Pferd oder hundert Pistolen nach Belieben. Der Engländer rechnete schnell. Das Reitzeug war wenigstens dreihundert Pistolen werth. Er schlug ein.

D'Artagnan warf die Würfel zitternd und bekam die Zahl drei. Seine Blässe erschreckte Athos, welcher nur die Worte sprach:»Das ist ein trauriger Wurf, Kamerad; Ihr bekommt die Pferde mit Sattel und Zeug, mein Herr.«

Triumphirend nahm sich der Engländer nicht einmal die Mühe, die Würfel zu rollen. Er warf sie auf den Tisch, ohne hinzusehen, so sehr war er von seinem Siege überzeugt. D'Artagnan hatte sich umgedreht, um seinen Verdruß zu verbergen.

«Halt, halt, halt!«sprach Athos in seinem ruhigen Tone.»Das ist ein außerordentlicher Wurf, und ich habe ihn nur viermal in meinen Leben gesehen. Zwei Aß!«

Der Engländer schaute und war wie niedergedonnert. D'Artagnan schaute ebenfalls und wurde roth vor Freude.

›Ja,‹ fuhr Athos fort,»nur viermal: einmal bei Herrn von Crequi, zum zweiten Mal bei mir im Felde, in meinem Schlosse, als ich noch ein Schloß hatte, ein drittes Mal bei Herrn von Treville, und ein viertes Mal in einer Schenke, wo es mich traf und ich dabei hundert Louisd'or nebst einem Abendbrod verlor.«—»Der Herr nimmt also sein Pferd wieder?«sprach der Engländer. — »Allerdings, «sagte d'Artagnan. — »Dann findet keine Revanche statt?«—»Unsere Bedingungen lauteten: keine Revanche, wie Ihr Euch erinnern werdet.«—»Allerdings; das Pferd soll Eurem Bedienten übergeben werden.«»Einen Augenblick, «sagte Athos.»Mit Euerer Erlaubniß, mein Herr, ich wünschte ein Wort mit meinem Freunde zu sprechen.«—»Sprecht!«

Athos nahm d'Artagnan bei Seite.

«Nun?«fragte d'Artagnan.»Was willst Du noch von mir, Versucher? Du willst, daß ich spiele?«—»Ich will, daß Du nachdenkst.«—»Worüber?«—»Du hast das Pferd wieder genommen?«—»Gewiß.«—»Du hast Unrecht. Ich würde die hundert Pistolen nehmen. Du weißt, daß Du um unser Reitzeug gegen das Pferd, oder um hundert Pistolen gespielt hast.«—»Ja.«—»Ich würde die hundert Pistolen nehmen.«—»Gut, und ich nehme das Pferd.«—»Und Ihr habt Unrecht, mein Freund, das wiederhole ich Euch. Was wollen wir mit einem Pferde für uns Beide machen? Ich kann doch nicht hinten aufsitzen, wir würden aussehen, wie zwei Haimonskinder, die ihre Brüder verloren haben. Ihr könnt mich doch nicht so sehr demüthigen, daß Ihr auf diesem prachtvollen Schlachtrosse neben mir herreitet. Ich nähme, ohne einen Augenblick m schwanken, die hundert Pistolen. Wir brauchen Geld, um nach Paris zurückzukommen.«—»Es liegt mir Alles an diesem Pferde, Athos.«—»Und Ihr habt Unrecht mein Freund. Ein Pferd macht einen Seitensprung, ein Pferd bäumt sich und überschlägt, ein Pferd frißt aus einer Krippe, aus der ein rotziges Thier gefressen hat, dann ist ein Pferd, oder vielmehr es sind hundert Pistolen verloren. Ferner muß der Herr sein Pferd ernähren, während im Gegentheil hundert Pistolen ihren Herrn ernähren.«—»Aber wie sollen wir zurückkommen?«—»Auf den Pferden unserer Bedienten. Bei Gott! man wird uns immer noch am Gesicht ansehen, daß wir Leute von Stand sind.«—»Wir werden uns gut ausnehmen auf solchen Mähren, während Aramis und Porthos auf ihren schönen Rossen einherreiten.«—»Aramis! Porthos!«rief Athos und brach in ein schallendes Gelächter aus. — »Was gibt es denn?«fragte d'Artagnan, der die Heiterkeit seines Freundes nicht begreifen konnte. — »Nichts, nichts, fahrt nur fort, «sagte Athos. — »Also Euer Rath…«—»Ist, die hundert Pistolen zu nehmen, d'Artagnan mit den hundert Pistolen können wir schwelgen bis zu dem Ende des Monats. Wir haben Strapazen ausgestanden, seht Ihr wohl, und bedürfen ein wenig der Ruhe.«—»Ich ausruhen? o nein, Athos! Sobald ich in Paris bin, forsche ich wieder nach dieser armen Frau.«—»Wohl, glaubt Ihr etwa, Euer Pferd wäre Euch zu diesem Behufe nützlicher, als schöne Louisd'or? Nehmt die hundert Pistolen, mein Freund, nehmt die hundert Pistolen.«

D'Artagnan bedurfte nur eines Grundes um sich zu fügen, und dieser schien ihm vortrefflich. Ueberdies befürchtete er, in den Augen von Athos egoistisch zu erscheinen, wenn er länger auf seinem Willen beharren würde. Er willigte also ein, und wählte die hundert Pistolen, die ihm der Engländer sogleich ausbezahlte.

Nun dachte man nur an die Abreise, der Friedensschluß mit dem Wirthe kostete außer dem alten Pferd von Athos sechs Pistolen. D'Artagnan und Athos nahmen die Pferde von Planchet und Grimaud. Die zwei Bedienten begaben sich, die Sättel auf ihren Köpfen tragend, zu Fuß auf den Weg.

So schlecht beritten die Freunde auch waren, so gewannen sie doch bald einen Vorsprung vor ihren Lakaien und langten in Crevecoeur an. Sie erblickten von ferne Aramis, der sich schwermüthig auf ein Fenstergesimse stützte und nachschaute, wie der Horizont in eine Staubwolke gehüllt wurde.

«He, holla, Aramis! was macht Ihr denn da?«riefen die zwei Freunde.

«Ah, Ihr seid es, d'Artagnan, Ihr seid es, Athos?«sprach der junge Mann.»Ich dachte darüber nach, mit welcher Schnelligkeit die Güter dieser Welt verschwinden. Mein englisches Roß, das sich von hier entfernte, und eben in einem Staubwirbel verschwunden ist, war mir ein lebendiges Bild von der Hinfälligkeit aller irdischen Dinge. Das Leben läßt sich in die drei Worte auflösen: fuit. est. erit.«—»Das will sagen?«fragte d'Artagnan, der die Wahrheit zu ahnen anfing. — »Das will sagen, daß ich so eben einen albernen Handel abgeschlossen habe. Sechszig Louisd'or um ein Pferd, das nach seinem Gange zu schließen wenigstens fünf Meilen in einer Stunde zurücklegen kann.«

D'Artagnan und Athos brachen in ein Gelächter aus.

«Mein lieber d'Artagnan, «sagte Aramis,»seid mir nicht zu sehr gram, ich bitte Euch. Noth kennt kein Gebot. Ueberdies bin ich am meisten gestraft, da mich dieser heillose Roßhändler wenigstens um fünfzig Louisd'or betrogen hat. Ah! Ihr seid gute Haushalter, Ihr Beiden. Ihr reitet auf den Pferden Eurer Lakaien, und laßt Euch Eure Luxuspferde sachte und in kleinen Tagemärschen an der Hand nachführen.«

In demselben Augenblick hielt ein Frachtwagen, den man seit einigen Minuten auf der Straße von Amiens erblickte, vor dem Gasthofe an, und man sah Grimaud und Planchet, ihre Sättel auf dem Kopfe, aussteigen. Der Frachtwagen kehrte leer nach Paris zurück, und die zwei Lakaien hatten sich anheischig gemacht, den Fuhrmann auf dem ganzen Wege zechfrei zu halten, wenn er sie mitnehmen würde.

«Was ist das? was soll das bedeuten?«sagte Aramis, als er sah, was vorging.»Nur die Sättel?«—»Begreift Ihr nun?«sprach Athos. — »Meine Freunde, das ist gerade, wie bei mir. Ich habe Sattel und Zeug instinktmäßig behalten. Holla, Bazin, trage mein neues Reitzeug zu denen der beiden Herren.«—»Und was habt ihr mit euren Doktoren gemacht?«fragte d'Artagnan.

«Mein Lieber, ich habe sie am andern Tag zum Mittagessen eingeladen, «sprach Aramis.»Es gibt hier, beiläufig gesagt, vortrefflichen Wein. Ich machte sie, so gut es mir möglich war, betrunken, dann verbot mir der Pfarrer, die Uniform abzulegen, und der Jesuit bat mich, ihn unter die Musketiere aufnehmen zu lassen!«—»Ohne These, «rief d'Artagnan,»ohne These! Ich verlange die Unterdrückung der These.«

«Von da an lebte ich angenehm, «fuhr Aramis fort.»Ich fing ein Gedicht in einsilbigen Versen an, das ist schwierig, aber das Verdienst liegt bei jeder Sache in der Schwierigkeit. Der Stoff ist galanter Natur; ich werde Euch den ersten Gesang vorlesen. Er hat vierhundert Verse und dauert eine Minute.«

«Meiner Treue, mein lieber Aramis, «sprach d'Artagnan, der die Verse beinahe eben so sehr haßte, als das Latein,»fügt dem Verdienste der Schwierigkeit noch das der Kürze bei, und Ihr könnt wenigstens überzeugt sein, daß es zwei Verdienste haben wird.«

«Ein drittes besteht darin, «fuhr Aramis fort,»daß es redliche Leidenschaften athmet. Wir kehren nach Paris zurück? Bravo! Ich bin bereit! Wir werden also den guten Porthos wieder sehen? Desto besser! Ihr glaubt nicht, wie sehr er mir fehlte, dieser große Pinsel. Ich sehe ihn so gerne in seiner Selbstzufriedenheit, das söhnt mich mit mir aus. Er wird sein Pferd nicht verkauft haben, und wäre es auch gegen ein Königreich! Es ist mir, als ob ich ihn vor mir hätte, auf seinem schönen Thier und seinem glänzenden Sattel. Er sieht gewiß aus, wie ein Großmogul.«

Man hielt eine Stunde an, um die Pferde ausschnaufen zu lassen. Aramis bezahlte seine Rechnung, brachte Bazin bei seinen Kameraden im Frachtwagen unter, und man setzte sich in Marsch, um zu Porthos zu gelangen.

Die Freunde fanden ihn beinahe genesen und folglich minder bleich, als er bei d'Artagnans erstem Besuch gewesen war. Er saß vor einem Tische, auf dem, obgleich er allein war, ein Mittagsbrod für vier Personen figurirte; dieses Mittagsbrod bestand aus zierlich zugerichteten Fleischspeisen, ausgesuchten Weinen und vortrefflichem Obst.

«Ah, bei Gott!«sprach er ausstehend,»Ihr kommt wie gerufen, meine Herren. Ich war gerade bei der Suppe und Ihr könnt mit mir zu Mittag speisen.«

«Oh, oh!«rief d'Artagnan,»hat Mousqueton solche Flaschen mit dem Lasso gefangen, dann finde ich hier ein gespicktes Fricandeau und einen Lendenbraten…«

«Ich stärke mich, «sagte Porthos,»ich stärke mich. Nichts schwächt so sehr, als diese verdammten Quetschungen. Habt Ihr schon Quetschungen gehabt, Athos?«

«Niemals, nur erinnere ich mich, daß ich bei unserem Streit in der Rue Ferou einen Degenstich bekam, der nach Verlauf von vierzehn oder acht Tagen genau dieselbe Wirkung hervorbrachte.«

«Aber dieses Mittagsbrod war nicht für Euch allein, mein lieber Porthos, «sagte Aramis.

«Nein, «erwiederte Porthos,»ich erwartete einige Edelleute aus der Nachbarschaft, die mir so eben sagen ließen, sie würden nicht kommen; ihr nehmt ihre Stellen ein, ich verliere nichts bei dem Tausch. Holla, Mousqueton, Stühle! und man verdopple die Flaschen!«

«Wißt Ihr, was wir hier essen?«sagte Athos nach zehn Minuten.

«Bei Gott!«antwortete d'Artagnan,»ich esse gespicktes Kalbfleisch mit Artischocken.«—»Und ich Hammelskeule, «sprach Porthos. — »Und ich Hühnerfricassee, «sagte Aramis. — »Ihr täuscht Euch, meine Herren, «erwiederte Athos ernst.»Ihr verspeist Pferdefleisch.«—»Geht doch, «rief d'Artagnan. — »Pferdefleisch!«brummte Aramis mit einer Grimasse des Ekels.

Porthos allein antwortete nicht.

«Ja, Pferdefleisch, nicht wahr. Porthos, wir speisen Pferdefleisch, und vielleicht Sattel und Zeug dazu?«

«Nein, meine Herren, ich habe das Reitzeug behalten, «sagte Porthos.

«Meiner Treue, von uns ist einer so gut wie der andere, «rief Aramis;»es ist, als ob wir uns das Wort gegeben hätten.«

«Was wollt Ihr, dieses Pferd beschämte meine Gäste und ich wollte sie nicht demüthigen.«

«Und dann ist Euere Herzogin immer noch in den Bädern, nicht wahr?«fragte d'Artagnan.

«Immer noch, «erwiederte Porthos.»Auch schien der Gouverneur der Provinz, einer von den Edelleuten, die ich heute zum Mittagsbrod erwartete, ein so großes Verlangen darnach zu haben, daß ich es ihm schenkte.«—»Geschenkt, «rief d'Artagnan.

«Oh! mein Gott, ja, geschenkt, das ist das rechte Wort, «sprach Porthos,»es war wenigstens hundert und fünfzig Louisd'or werth und der Knicker wollte mir nicht mehr dafür geben, als achtzig.«—»Ohne den Sattel?«sagte Aramis. — »Ja, ohne den Sattel.«

«Ihr bemerkt, meine Herren, «sprach Athos,»daß Porthos abermals den besten Handel von uns allen gemacht hat.«

Dann entstand ein schallendes Gelächter, wodurch der arme Porthos ganz verdutzt wurde, aber man erzählte ihm bald die Ursache dieser Heiterkeit, an der er, seiner Gewohnheit gemäß, geräuschvollen Antheil nahm.

«Auf diese Art sind wir also alle bei Kasse, «sagte d'Artagnan. — »Was mich betrifft, «entgegnete Athos,»ich fand den spanischen Wein von Aramis so gut, daß ich sechzig Flaschen in den Frachtwagen der Bedienten packen ließ, was meinen Baarbestand gewaltig geschmälert hat.«—»Und ich, «sprach Aramis,»stellt Euch vor, daß ich meinen letzten Sou der Kirche von Montdidier und den Jesuiten von Amiens geschenkt, daß ich überdies Verbindlichkeiten eingegangen hatte, welche erfüllt werden mußten: ich habe für mich und Euch, meine Herren, Messen bestellt, die man lesen wird, und bei denen wir uns, wie ich gar nicht zweifle, vortrefflich befinden werden.«—»Und ich, «sagte Porthos,»glaubt Ihr, meine Quetschung habe nichts gekostet? Die Wunde Mousquetons nicht zu rechnen, für den ich jeden Tag zweimal den Chirurgen kommen lassen mußte.«—»Wohl, wohl, «versetzte Athos, mit d'Artagnan und Aramis ein Lächeln austauschend,»ich sehe, daß Ihr Euch sehr großmüthig gegen den armen Burschen benommen habt. So benimmt sich nur ein guter Herr.«—»Kurz, wenn ich meine Rechnung bezahlt habe, werden mir höchstens dreißig Thaler übrig bleiben.«—»Und mir ungefähr zehn Pistolen, «sprach Aramis. — »Es scheint, wir sind die Krösusse der Gesellschaft, «sagte Athos,»wie viel habt ihr noch von Eueren hundert Pistolen übrig?«—»Von meinen hundert Pistolen? Erstlich habe ich Euch fünfzig davon gegeben.«—»Ihr glaubt?«—»Bei Gott!«—»Ah! es ist wahr, ich erinnere mich.«—»Dann habe ich dem Wirthe sechs bezahlt.«—»Welches Vieh, dieser Wirth? Warum habt Ihr ihm sechs Pistolen gegeben?«—»Weil Ihr es mich hießet.«—»Allerdings ich bin zu gut. Kurz, es bleiben übrig?«—»Fünf und zwanzig Pistolen, «antwortete d'Artagnan.«—»Und ich, «sprach Athos, etwas kleine Münze aus der Tasche ziehend,»seht hier.«—»Ihr, nichts.«—»Meiner Treue, oder so wenig, daß es nicht der Mühe werth ist, es zur Masse zu schlagen.«—»Nun wollen wir berechnen, wie viel wir besitzen: Porthos?«—»Dreißig Thaler.«—»Aramis?«—»Zehn Pistolen.«—»Und Ihr, d'Artagnan?«—»Fünf und zwanzig.«—»Das macht im Ganzen?«fragte Athos. — »Vier hundert und fünf und siebenzig Livres, «antwortete d'Artagnan, ein Archimed im Rechnen. — »Bei unserer Ankunft in Paris werden uns immerhin noch vierhundert übrig bleiben, «rief Porthos.»Vortrefflich! doch wir wollen jetzt speisen, der zweite Gang wird kalt.«

Nunmehr über ihre Zukunft beruhigt, erwiesen die vier Freunde dem Mittagsmahl alle Ehre, die Überreste desselben aber wurden den Herren Mousqueton, Bazin, Planchet und Grimaud überlassen.

Als d'Artagnan in Paris ankam, fand er einen Brief von Herr des Essarts, der ihn von dem festen Entschluß Sr. Majestät, am ersten Mai den Feldzug zu eröffnen, benachrichtigte und ihn darauf aufmerksam machte, daß er sich ungesäumt zu equipiren habe.

Er lief sogleich zu seinen Kameraden, die er eine halbe Stunde zuvor verlassen hatte und jetzt sehr traurig, oder vielmehr sehr in Unruhe fand. Sie waren bei Athos im Rathe versammelt, was immer Umstände von ernster Bedeutung ankündigte.

Es hatte wirklich jeder in seiner Wohnung einen ähnlichen Brief von Herrn von Treville erhalten.

Die vier Philosophen schauten sich ganz verdutzt an; Herr von Treville kannte keinen Scherz, was die Disciplin betraf.

«Wie hochschätzt Ihr diese Equipirungen?«fragte d'Artagnan.

«O! das läßt sich so ungefähr sagen, «erwiederte Aramis,»wir haben in diesem Augenblick unsere Rechnung mit spartanischer Knickerei gemacht und gefunden, daß jeder von uns fünfzehnhundert Livres braucht.«

«Vier mal fünfzehn macht sechzig, das sind sechstausend Livres, «sprach Athos.

«Mir scheint, «entgegnete d'Artagnan,»tausend Livres wären hinreichend für Jeden. Ich spreche allerdings nicht als Spartaner, sondern als Procurator…«

Das Wort Procurator erweckte Porthos.

«Halt! ich habe einen Gedanken, «rief er.

«Das ist schon etwas; ich habe nicht einmal einen Schatten von einem Gedanken, «sprach Athos kalt;»aber d'Artagnan ist ein Narr, meine Herren. Tausend Livres! Ich erkläre, daß ich für meine Equipirung allein zweitausend brauche.«

«Vier mal zwei macht acht, «sagte Aramis;»wir brauchen also achttausend Livres, um uns zu equipiren, wobei nicht zu vergessen, daß wir die Sättel bereits haben.«

«Und dann, «sagte Athos, der, um diesen verheißungsreichen Gedanken auszusprechen wartete, bis d'Artagnan, welcher Herrn von Treville danken wollte, die Thüre hinter sich geschlossen hatte,»und dann der schöne Diamant, der am Finger unseres Freundes funkelt. Was Teufels, d'Artagnan ist ein zu guter Kamerad, um Brüder in der Verlegenheit stecken zu lassen, während er an seinem Mittelfinger das Lösegeld für einen König trägt.«

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