Band II

I. Die Equipirungsjagd

Der ängstlichste von den vier Freunden war offenbar d'Artagnan, obgleich dieser in seiner Eigenschaft als Garde viel leichter zu equipiren war, als die Herren Musketiere; aber unser Junker aus der Gascogne hatte, wie man bereits sehen konnte, einen vorsichtigen, etwas geizigen Charakter, und war dabei so eitel, daß er Porthos die Spitze bieten konnte. Mit der Unruhe seiner Eitelkeit verband sich bei d'Artagnan in diesem Augenblick eine minder egoistische Unruhe. Alle Erkundigungen, die er über Madame Bonacieux einzog, blieben erfolglos. Herr von Treville hatte mit der Königin gesprochen; die Königin wußte nicht, wo die junge Frau war, und versprach, sie suchen zu lassen. Aber diese Zusage war sehr unbestimmt und diente d'Artagnan nicht zur Beruhigung.

Athos verließ sein Zimmer nicht; er war entschlossen, keinen Schritt zum Behuf seiner Equipirung zu unternehmen.

«Es bleiben uns vierzehn Tage, «sagte er zu seinen Freunden;»wohl! wenn ich nach Verlauf dieser vierzehn Tage nichts gefunden habe, oder vielmehr, wenn mich nichts aufgesucht hat, so werde ich, da ich ein zu guter Katholik bin, um mir mit einem Pistolenschuß den Hirnschädel zu zerschmettern, einen ehrlichen Streit mit vier Leibwachen Seiner Eminenz oder mit acht Engländern suchen und mich schlagen, bis mich einer tötet, was in Betracht der Quantität nicht ausbleiben kann. Man wird dann sagen, ich sei im Dienste des Königs gestorben, und ich werde meinen Dienst gethan haben, ohne daß ich mich zu equipiren brauche.«

Porthos ging fortwährend, die Hände auf dem Rücken und den Kopf schüttelnd, auf und ab und sagte:

«Ich habe meine Gedanken.«

Aramis sah sorgenvoll und verwahrlost aus, und sprach nichts.

Aus diesen unglücklichen Einzelheiten kann man ersehen, daß Verzweiflung in der Gemeinde herrschte.

Die Lakaien theilten wie die Renner Hippolyts die trübe Stimmung ihrer Herren. Mousqueton kaufte Krustenvorräte ein; Bazin, der stets ein gottesfürchtiger Mann gewesen war, verließ die Kirche nicht mehr; Planchet beobachtete den Flug der Mücken, und Grimaud, den das allgemeine Unglück nicht dazu bringen konnte, daß er das ihm von seinem Herrn auferlegte Stillschweigen gebrochen hätte, stieß Seufzer aus, daß sich die Steine hätten erbarmen mögen.

Die drei Freunde, denn Athos hatte, wie gesagt geschworen, keinen Schritt für seine Equipirung zu thun, die drei Freunde gingen am frühen Morgen aus und kehrten sehr spät nach Hause. Sie irrten in den Straßen umher und betrachteten jeden Pflasterstein, um zu schauen, ob nicht etwa ein Vorübergehender seine Börse habe fallen lassen. Man hätte glauben sollen, sie verfolgen eine Fährte, so aufmerksam waren sie überall, wo sie gingen. Wenn sie sich begegneten, richteten sie verzweiflungsvolle Blicke an einander, welche zu fragen schienen: hast Du etwas gefunden?

Da jedoch Porthos zuerst seinen Gedanken gefunden und diesen sodann mit der größten Beharrlichkeit verfolgt hatte, so war er auch der Erste, der an das Werk ging. Es war ein Mann der Ausführung, dieser würdige Porthos. D'Artagnan bemerkte ihn eines Tags, wie er nach der Saint-Leu-Kirche wandelte, und folgte ihm instinktmäßig. Er trat in den heiligen Ort ein, nachdem er zuvor seinen Schnurrbart in die Höhe gestrichen und den Knebelbart lang gezogen hatte, was von seiner Seite stets äußerst eroberungssüchtige Pläne andeutete. Da d'Artagnan einige Vorsichtsmaßregeln traf, so glaubte Porthos nicht gesehen worden zu sein. Porthos lehnte sich an die eine Seite eines Pfeilers, d'Artagnan, stets unbemerkt, an die andere.

Es wurde gerade eine Predigt gehalten, weßhalb die Kirche sehr voll war. Porthos benützte diesen Umstand, um die Frauen zu beäugeln. In Folge der Bemühungen Mousqueton's kündigte sein Aeußeres entfernt nicht die Trübsal des Innern an. Sein Filzhut war wohl etwas abgetragen, seine Feder wohl etwas verschossen, seine Stickereien wohl etwas matt geworden, seine Spitzen wohl etwas verzerrt; aber in dem Halblicht verschwanden alle diese Bagatellen und Porthos blieb immer der schöne Porthos.

D'Artagnan bemerkte auf einer Bank, zunächst bei dem Pfeiler, an welchem Porthos und er lehnten, eine Art von reifer Schönheit, etwas vergilbt, etwas vertrocknet, aber steif und hochmütig unter ihrer schwarzen Haube. Die Augen unseres Porthos senkten sich verstohlen auf diese Dame und schweiften dann sogleich wieder im Schiff der Kirche umher.

Die Dame, welche von Zeit zu Zeit erröthete, schleuderte mit Blitzesschnelligkeit einen Blick auf den flatterhaften Porthos, und sogleich fing Porthos wieder an, seine Augen mit aller Wuth umher irren zu lassen. Offenbar stachelte dieses Benehmen die Dame mit der Haube ganz ungemein; denn sie biß sich in die Lippen, daß sie bluteten, kratzte sich an der Nase und rückte verzweiflungsvoll auf ihrem Stuhle hin und her.

Als dies Porthos gewahr wurde, strich er seinen Schnurrbart abermals in die Höhe, zog seinen Knebelbart zum zweiten Mal lang und fing an, einer schönen Dame in der Nähe des Chors Zeichen zu machen, einer Dame, die nicht nur eine schöne, sondern auch ohne Zweifel eine vornehme Dame war; denn sie hatte einen Negerknaben, der das Kissen brachte, auf dem sie kniete, und eine Kammerfrau hinter sich, welche die mit einem Wappen gestickte Tasche in der Hand hielt, worin ihr Gebetbuch verwahrt wurde.

Die Dame mit der schwarzen Haube verfolgte den Blick von Porthos in allen seinen Irrfahrten, und erkannte, daß er auf die Dame mit dem Sammetkissen, dem Negerknaben und der Kammerfrau geheftet blieb.

Während dieser Zeit gab sich Porthos nicht die geringste Blöße; er blinzelte mit den Augen, legte die Finger auf seine Lippen und schoß wiederholt ein kleines mörderisches Lächeln ab, welches der verschmähten Schönen wirklich durch Mark und Bein ging.

Sie stieß daher in Form eines mea culpa, und sich an die Brust schlagend, ein so kräftiges Hm! aus, daß alle Welt und sogar die Dame mit dem rothen Kissen sich umwandte; Porthos hielt fest. Er hatte wohl verstanden, aber er spielte den Tauben.

Die Dame mit dem rothen Kissen brachte, denn sie war sehr schön, eine gewaltige Wirkung auf die Dame mit der schwarzen Haube hervor, welche in ihr eine furchtbare Nebenbuhlerin erblickte, eine große Wirkung auch auf Porthos, der sie viel jünger und auch viel hübscher fand, als die Dame mit der schwarzen Haube, eine große Wirkung auf d'Artagnan, der in ihr die Dame von Meung, von Calais und Dover erkannte, die sein Verfolger, der Mann mit der Narbe, mit dem Titel Mylady begrüßt hatte.

Ohne die Dame mit dem rothen Kissen aus dem Auge zu verlieren, fuhr d'Artagnan fort, das Benehmen von Porthos zu verfolgen, das ihn im höchsten Grad belustigte; er glaubte zu errathen, daß seine Dame mit der schwarzen Haube die Procuratorsfrau von der Rue aux Ours war; dies um so mehr, als die Saint-Leu-Kirche unfern von der genannten Straße lag.

Durch Folgerungen errieth er auch, daß Porthos für seine Niederlage in Chantilly, wo sich die Procuratorsfrau so widerspenstig im Punkt der Börse gezeigt hatte, seine Rache nehmen wollte.

Bei Allem dem aber entging es d'Artagnan nicht, daß kein einziges Gesicht die Galanterien von Porthos erwiderte. Es waren nur Chimären und Illusionen; aber gibt es für eine wahre Liebe, für eine wahre Eifersucht eine andere Wirklichkeit, als Illusionen und Chimären?

Die Predigt war zu Ende. Die Procuratorsfrau ging auf den Weihkessel zu. Porthos kam ihr zuvor und steckte statt eines Fingers die ganze Hand hinein. Die Procuratorsfrau lächelte im Glauben, Porthos versetzte sich für sie in Unkosten, aber sie wurde schnell und grausam enttäuscht. Als sie nur noch drei Schritte von ihm entfernt war, drehte er den Kopf und heftete seine Augen unveränderlich auf die Dame mit dem rothen Kissen, welche sich erhoben hatte und von ihrem Negerknaben und der Kammerfrau gefolgt, herbeikam. Als die Dame mit dem rothen Kissen nahe bei Porthos war, zog dieser seine triefende Hand aus dem Weihkessel; die schöne Andächtige berührte mit ihrer zarten Hand die plumpe von Porthos, machte lächelnd das Zeichen des Kreuzes und verließ die Kirche.

Das war zu viel für die Procuratorsfrau; sie zweifelte nicht mehr daran, daß diese Dame und Porthos in einem Liebesverhältniß standen; wäre sie eine vornehme Dame gewesen, so würde sie in Ohnmacht gefallen sein; da sie aber nur eine Procuratorsfrau war, so begnügte sie sich mit gepreßter Wuth zu Porthos zu sagen:

«Ei, Herr Porthos, Ihr bietet mir kein Weihwasser?«

Porthos machte bei dem Klang dieser Stimme eine Bewegung, etwa wie ein Mensch, der nach einem Schlaf von hundert Jahren erwachen würde.

«Ma… Madame!«rief er,»seid ihr es wirklich? Wie befindet sich Euer Gemahl, der liebe Herr Coquenard? Ist er immer noch ein so großer Filz, wie früher? Wo hatte ich denn die Augen, daß ich Euch während der zwei Stunden, welche die Predigt dauerte, nicht einmal bemerkte?«

«Ich war nur zwei Schritte von Euch entfernt, mein Herr, «antwortete die Procuratorsfrau,»aber bemerktet mich nicht, weil Ihr nur Augen für die schöne Dame hattet, der Ihr so eben Weihwasser gabt.«

Porthos stellte sich, als geriethe er in Verlegenheit.

«Ah!«sagte er» Ihr habt wahrgenommen…«

«Man müßte blind sein, um es nicht zu sehen.«

«Ja, «sagte Porthos nachlässig,»es ist eine Herzogin, eine Freundin von mir, mit der ich wegen der Eifersucht ihres Gatten nur unter den größten Schwierigkeiten zusammenkommen kann, und die mich benachrichtigt hatte, sie würde heute, einzig und allein, um mich zu sehen, in dieser baufälligen Kirche, in diesem abgelegenen, öden Quartier erscheinen.«

«Herr Porthos, «erwiderte die Procuratorsfrau,»würdet Ihr wohl die Güte haben, mir den Arm auf fünf Minuten zu bieten? Ich möchte gern mit Euch sprechen.«

«Wie, Madame!«sagte Porthos sich selbst zublinzelnd, wie ein Spieler, der über den Thoren lacht, welchen er zu fangen im Begriffe ist.

In diesem Augenblick ging d'Artagnan, Mylady verfolgend, vorüber. Er warf Porthos einen Seitenblick zu und las den Triumph in seinem Auge.

«Ei, ei, «sagte er zu sich selbst, im Geiste der äußerst leichten Moral jener Epoche raisonnirend,»da ist Einer, der wohl in der vorgeschriebenen Frist equipirt werden dürfte.«

Dem Drucke des Armes seiner Procuratorsfrau nachgebend, wie eine Barke dem Steuerruder nachgibt, gelangte Porthos in die Nähe des Klosters Saint Magloire, in einen wenigbesuchten, an beiden Enden durch drei Kreuze eingeschlossenen Gang. Man sah hier bei Tage nur essende Bettler oder spielende Kinder.

«Ah, mein Herr Porthos, «rief die Procuratorsfrau, nachdem sie sich versichert hatte, daß sie von Niemand, der nicht zu der gewöhnlichen Bevölkerung dieser Oertlichkeit gehörte, gesehen oder gehört werden konnte;»ah, mein Herr Porthos, Ihr seid, wie es scheint, ein großer Sieger.«

«Ich, Madame?«fragte Porthos sich spreizend.»Und warum dies?«

«Nun die Zeichen von vorhin und das Weihwasser so eben! Es ist mindestens eine Prinzessin, diese Dame mit ihrem Negerknaben und ihrer Kammerfrau.«

«Ihr täuscht Euch. Mein Gott, nein, «antwortete Porthos;»es ist ganz einfach eine Herzogin.«»Und der Läufer, der an der Thüre wartete, und die Karrosse mit dem Kutscher in großer Livree!«

Porthos hatte weder den Läufer, noch die Karrosse gesehen; aber mit dem Blick einer eifersüchtigen Frau hatte Madame Coquenard alles wahrgenommen.

Portos bedauerte, daß er die Dame mit dem rothen Kissen nicht auf den ersten Schlag zu einer Prinzessin gemacht hatte.

«Ah, Ihr seid das Lieblingskind der Schönen, Herr Porthos, «versetzte die Procuratorsfrau seufzend. — »Ihr mögt wohl denken, «erwiderte Porthos,»daß es mir bei einem Aeußern, wie es mir die Natur vergönnt hat, nicht an Glück fehlen kann.«—»Mein Gott, wie schnell die Männer doch vergessen!«rief die Procuratorsfrau, die Augen zum Himmel erhebend. — »Mir scheint es, weniger schnell als die Frauen, «antwortete Porthos,»denn am Ende kann ich wohl sagen, daß ich Euer Opfer war, als ich mich verwundet, sterbend, von den Aerzten verlassen sah. Ich, der Sprößling einer erhabenen Familie, der ich mich Eurer Freundschaft anvertraut hatte, wäre beinahe in einer schlechten Herberge in Chantilly anfangs an meinen Wunden und dann vor Hunger gestorben, und zwar, ohne daß Ihr mich nur einer Antwort auf die dringenden Briefe würdigtet, die ich an Euch schrieb.«—»Aber, Herr Porthos…«murmelte die Procuratorsfrau, welche gegenüber dem Betragen der vornehmen Damen jener Zeit einsah, daß sie Unrecht hatte. — »Ich, der ich für Euch die Gräfin von Penaflor opferte!«—»Ich weiß es wohl.«—»Die Baronin von…«—»Herr Porthos, peinigt mich nicht.«—»Die Gräfin von…«—»Herr Porthos, seid edelmüthig!«—»Ihr habt Recht, Madame, ich werde nicht vollenden.«—»Die Schuld liegt an meinem Manne, der nichts von Anlehen hören will.«—»Madame Coquenard, «sprach Porthos,»erinnert Euch des ersten Briefes, den Ihr mir geschrieben habt, und der tief in mein Herz geprägt ist.«

Die Procuratorsfrau stieß einen Seufzer aus.

«Aber die Summe, die Ihr von mir entlehnen wolltet, «sprach sie,»war auch etwas stark. Ihr sagtet, Ihr braucht tausend Livres.«

«Madame Coquenard, ich gab Euch den Vorzug. Ich dürfte nur an die Herzogin von… schreiben. Ich will ihren Namen nicht sagen, denn ich bin ganz außer Stande, eine Frau zu compromittiren. Ich weiß nur, daß es mich höchstens eine Zeile an sie gekostet hätte, und sie würde mir fünfzehn hundert geschickt haben.«

Die Procuratorsfrau vergoß eine Thräne.

«Herr Porthos, «sagte sie,»ich schwöre Euch, daß Ihr mich schwer bestraft habt, und daß Ihr Euch, wenn Ihr Euch in Zukunft in einer ähnlichen Verlegenheit befindet, nur an mich wenden dürft.«

«Pfui, Madame, «rief Porthos wie empört,»sprechen wir nicht von Geld, wenn es Euch beliebt; denn das ist demüthigend.«

«Also liebt Ihr mich nicht mehr?«fragte die Procuratorsfrau langsam und traurig.

Porthos beobachtete ein majestätisches Stillschweigen.

«Also auf diese Weise antwortet Ihr mir? Ach! ich begreife!«—»Denkt an die Beleidigung, die Ihr mir zugefügt habt, Madame! sie ist hier fest geblieben, «sprach Porthos und preßte die Hand an sein Herz. — »Ich werde sie wieder gut machen, hört wohl, mein lieber Porthos.«—»Ueberdies, was verlangte ich von Euch?«versetzte Porthos mit einem gutmüthigen Achselzucken;»ein Anlehen nichts weiter; im Ganzen bin ich kein unbilliger Mensch; ich weiß, daß Ihr nicht reich seid, Madame Coquenard, und daß Euer Mann die armen Prozeßkrämer besteuern muß, um ihnen ein paar Thaler abzulocken. Oh! wenn Ihr eine Gräfin, eine Marquise, oder eine Herzogin wäret, dann wäre es etwas ganz Anderes, und ich wüßte keine Entschuldigung für Euch zu finden.«

Die Procuratorsfrau war gereizt.

«Vernehmt, Porthos, «sprach sie,»daß meine Geldkasse, obgleich nur die Kasse einer Procuratorsfrau, vielleicht besser gespickt ist, als die aller Eurer zu Grunde gerichteten Zieraffen.«—»Das ist eine doppelte Beleidigung für mich, «sagte Porthos, seinen Arm von dem der Procuratorsfrau losmachend,»denn wenn Ihr reich seid, Madame Coquenard, so ist Eure Weigerung völlig unentschuldbar.«—»Wenn ich Euch sage reich, «erwiderte die Procuratorsfrau, welche einsah, daß sie sich etwas zu weit hatte fortreißen lassen,»so darf man meine Worte nicht buchstäblich nehmen. Ich bin nicht reich, aber wohlhabend.«—»Gut, Madame, «sagte Porthos.»Sprechen wir nicht mehr hievon, ich bitte Euch. Ihr habt mich verkannt; jede Sympathie ist zwischen uns erloschen.«—»Undankbarer Mensch!«—»Ihr habt wohl ein Recht, Euch zu beklagen, «sagte Porthos. — »Geht also mit Eurer Herzogin! Ich halte Euch nicht zurück.«—»Ah, sie ist doch nicht gar so schlimm, wie ich glaubte.«—»Hört, Herr Porthos, ich wiederhole zum letzten Male, liebt Ihr mich noch?«—»Ach, Madame, «entgegnete Porthos, mit dem schwermüthigsten Tone, den er anzunehmen vermochte,»wenn wir in einen Krieg ziehen, in einen Krieg, wo mir meine Ahnungen sagen, daß ich meinen Tod finden werde…«—»Oh! sprecht nicht solche Dinge, «rief die Procuratorsfrau und brach in ein Schluchzen aus. — »Irgend etwas sagt mir dies, «fuhr Porthos, immer schwermüthiger werdend, fort. — »Gesteht vielmehr, daß Ihr eine neue Liebe hegt.«—»Nein, gewiß nicht, ich rede offenherzig mit Euch. Kein neuer Gegenstand rührt mich, und ich fühle, daß sogar hier im Grunde meines Herzens Etwas für Euch spricht. Aber in vierzehn Tagen wird, wie Ihr wißt oder vielleicht nicht wißt, dieser unselige Feldzug eröffnet, und ich sehe mich auf eine abscheuliche Weise durch meine Equipirung in Anspruch genommen. Dann muß ich eine Reise zu meiner Familie machen, welche in dem entferntesten Theile der Bretagne wohnt, um die für meinen Auszug erforderlichen Summen zu erhalten.«

Porthos bemerkte einen letzten Kampf zwischen der Liebe und dem Geiz.

«Und da die Güter der Herzogin, «fuhr er fort,»die Ihr so eben in der Kirche gesehen habt, bei den meinigen liegen, so machen wir die Reise miteinander. Eine Reise, wie Ihr wißt, erscheint bekanntlich viel kürzer, wenn man sie zu zweit macht.«—»Ihr habt also keine Freunde in Paris, Herr Porthos?«sagte die Procuratorsfrau. — »Ich glaubte welche zu haben, «erwiderte Porthos mit seiner schwermüthigen Miene,»aber ich habe eingesehen, daß ich mich täuschte.«—»Ihr habt Freunde, Herr Porthos, Ihr habt, «versetzte die Procuratorsfrau mit einer Begeisterung, über die sie selber erstaunte.»Ihr seid der Sohn meiner Tante, folglich mein Vetter. Ihr kommt von Noyen in der Picardie; Ihr habt mehrere Prozesse in Paris und keinen Procurator. Werdet Ihr wohl Alles dies behalten?«—»Vollkommen, Madame.«— Kommt zur Mittagessenszeit.«—»Sehr gut.«—»Und haltet Euch fest bei meinem Manne, der gar verschmitzt ist, trotz seiner sechsundsiebenzig Jahre.«—»Sechsundsiebenzig Jahre! Pest! was für ein schönes Alter!«sprach Porthos. — »Ein hohes Alter wollt Ihr sagen, Herr Porthos. Der liebe alte Mann kann mich auch jeden Augenblick zur Wittwe machen, «fuhr sie mit einem vielsagenden Blicke fort.»Glücklicherweise ist nach einem unter uns abgeschlossenen Heirathsvertrag der überlebende Theil Erbe des ganzen Vermögens.«—»Des ganzen?«sagte Porthos. — »Des ganzen.«—»Ihr seid eine vorsichtige Frau, wie ich sehe, meine liebe Madame Coquenard, «sprach Porthos, der Procuratorin zärtlich die Hand drückend. — »Wir sind also ausgesöhnt, lieber Herr Porthos, «sagte sie, sich zierend. — »Für das ganze Leben, «erwiderte Porthos mit derselben Miene. — »Aus Wiedersehen also, mein Verräther.«—»Auf Wiedersehen, meine Vergeßliche.«—»Morgen, mein Engel!«—»Morgen, Flamme meines Lebens!«


II. Mylady

D'Artagnan war Mylady gefolgt, ohne daß er von ihr bemerkt wurde. Er sah sie in den Wagen steigen und hörte sie dem Kutscher Befehl geben, nach Saint-Germain zu fahren. Es wäre fruchtlos gewesen, einem in starkem Trabe von zwei kräftigen Pferden fortgeführten Wagen zu Fuß zu folgen. D'Artagnan kehrte daher nach der Rue Ferou zurück.

In der Rue de Seine traf er Planchet, der vor einer Pastetenbude stand und über ein Backwerk von äußerst appetitlichem Aussehen entzückt zu sein schien. Er gab ihm Befehl, zwei Pferde in den Ställen des Herrn von Treville, eines für ihn selbst, eines für Planchet, zu satteln und ihn bei Athos damit abzuholen. Herr von Treville hatte d'Artagnan ein für allemal seine Ställe zur Verfügung gestellt.

Planchet schlug den Weg nach der Rue de Colombier und d'Artagnan den nach der Rue Ferou ein. Athos war zu Hause und leerte traurig eine der Flaschen von dem berühmten spanischen Wein, die er von seiner Reise in der Picardie mitgebracht hatte. Er winkte Grimaud, ein Glas für d'Artagnan herbeizuschaffen, und dieser gehorchte, wie gewöhnlich, stillschweigend.

D'Artagnan erzählte nun seinem Freunde Athos Alles, was zwischen Porthos und der Procuratorsfrau vorgefallen war, und wie ihr Kamerad zu dieser Stunde bereits auf dem Weg sein dürfte, sich zu equipiren.

«Was mich betrifft «antwortete Athos auf die ganze Erzählung,»ich bin völlig ruhig. Die Frauen werden sicherlich meine Ausrüstung nicht bezahlen.«

«Und dennoch gibt es für den hübschen, artigen, stolzen Herrn, der Ihr seid, mein lieber Athos, weder Prinzessinnen, noch Königinnen, die vor Euren Liebespfeilen geschützt wären.«

In diesem Augenblick streckte Planchet bescheiden den Kopf durch die halbgeöffnete Thüre und meldete, daß die beiden Pferde vor dem Hause ständen.

«Welche Pferde?«fragte Athos.

«Zwei Pferde, die mir Herr von Treville zum Spazierenreiten leiht, und mit denen ich einen Ritt nach Saint-Germain machen will.«

«Und was wollt Ihr in Saint-Germain thun?«fragte Athos.

Hierauf erzählte ihm d'Artagnan, wie er in der Kirche der Dame begegnet war, welche ihn, nebst dem Herrn im schwarzen Mantel und der Narbe am Schlaf, beständig in Unruhe erhielt.

«Das heißt, Ihr seid verliebt in diese, wie Ihr es in Madame Bonacieux waret, «sprach Athos, verächtlich die Achseln zuckend, als fühlte er Mitleid mit der menschlichen Schwäche.

«Ich? Keineswegs, «rief d'Artagnan,»ich bin nur begierig, das Geheimniß aufzuklären, in das sie verwickelt ist. Ich weiß mir keinen Grund anzugeben, aber ich bilde mir ein, diese Frau müsse, obschon ich ihr eben so unbekannt bin, als sie mir, einen Einfluß auf mein Leben ausüben.«

«Ihr habt im Ganzen Recht, «sprach Athos,»ich kenne keine Frau, bei der es sich der Mühe lohnen würde, sie aufzusuchen, wenn sie einmal verloren ist. Madame Bonacieux ist verloren, desto schlimmer für sie, sie mag sich wieder suchen.«

«Nein, Athos, nein, Ihr täuscht Euch, «sprach d'Artagnan,»ich liebe meine arme Constance mehr als je, und wenn ich den Ort wüßte, wo sie sich befindet, so würde ich, und wäre sie am Ende der Welt, hineilen, sie den Händen ihrer Feinde zu entreißen. Aber ich weiß diesen Ort nicht; alle meine Nachforschungen waren fruchtlos. Ihr seht wohl ein, man muß sich zerstreuen.«

«Zerstreut Euch mit Mylady, mein lieber d'Artagnan, ich wünsche es Euch von ganzem Herzen, wenn es Euch unterhalten kann.«

«Hört, Athos, «erwiderte d'Artagnan,»statt Euch hier eingeschlossen zu halten, als wäret Ihr im Arrest, steigt zu Pferde und reitet mit mir nach Saint-Germain.«

«Mein Lieber, «sagte Athos,»ich reite meine Pferds, wenn ich welche habe; habe ich keine, so gehe ich zu Fuße.«

«Wohl!«sprach d'Artagnan, über die Unfreundlichkeit von Athos lächelnd, die ihn bei einem Andern sicherlich verletzt haben würde;»ich bin weniger stolz, als Ihr, ich reite das, was ich finde. Also auf Wiedersehen, mein lieber Athos!«

«Auf Wiedersehen, «sagte der Musketier und machte Grimaud ein Zeichen, die Flasche zu entkorken, die er gebracht hatte.

D'Artagnan und Planchet sprangen in den Sattel, und schlugen die Straße nach Saint-Germain ein.

Auf dem ganzen Weg ging d'Artagnan das, was Athos ihm von Madame Bonacieux gesagt hatte, im Kopfe um. Obgleich er nicht von sehr sentimentalem Charakter war, so hatte doch die hübsche Krämerin einen wirklichen Eindruck auf sein Herz hervorgebracht: er war, wie er sagte, bereit, bis an das Ende der Welt zu gehen, um sie zu suchen. Aber die Welt hat, insofern sie rund ist, viele Enden, und er wußte nicht, nach welcher Seite er seine Richtung nehmen sollte.

Mittlerweile suchte er zu erfahren, wer Mylady war. Mylady hatte mit dem Schwarzmantel gesprochen und kannte ihn also. In d'Artagnans Geist aber hatte sicherlich der Schwarzmantel und kein Anderer Frau Bonacieux auch jetzt wieder entführt. D'Artagnan log also nur halb und also sehr wenig, wenn er sagte, indem er Mylady aufsuchte, suche er zu gleicher Zeit Constance auf.

Unter solchen Betrachtungen und sein Pferd von Zeit zu Zeit mit den Sporen aufmunternd, legte d'Artagnan den Weg zurück und erreichte Saint-Germain. Er kam an dem Pavillon vorüber, in welchem zehn Jahre später Ludwig XIV. geboren werden sollte, und schaute, durch eine ziemlich öde Straße reitend, rechts und links, ob er nicht irgend eine Spur von seiner schönen Engländerin finden könnte, als er im Erdgeschoß eines hübschen Hauses, das nach dem Gebrauch jener Zeit kein Fenster nach der Straße zu hatte, ein bekanntes Gesicht erblickte. Dieses Gesicht ging auf einer Art von Terrasse spazieren, welche mit Blumen geschmückt war. Planchet erkannte es zuerst.

«Ei, gnädiger Herr, «sagte er, sich an d'Artagnan wendend,»erinnert ihr Euch dieses Gesichts nicht mehr, das dort Maulaffen feil hat?«

«Nein, «antwortete d'Artagnan,»und doch weiß ich gewiß, daß ich diesen Menschen nicht zum ersten Mal sehe.«

«Bei Gott, ich glaube es wohl, «versetzte Planchet,»das ist der arme Lubin, der Lakai des Grafen von Wardes, den Ihr vor einem Monat in Calais auf dem Weg nach dem Landhaus des Gouverneurs so übel zugerichtet habt.«

«Ah! ja, so ist's, «sprach d'Artagnan,»ich erkenne ihn nun wieder. Glaubst Du, daß er dich auch erkennt?«

«Meiner Treu, gnädiger Herr, er war so voll Angst, daß ich nicht denken kann, ich werde ihm im Gedächtniß geblieben sein.«

«Nun, so geh' und rede mit dem Burschen, erkundige Dich gesprächsweise, ob sein Herr noch lebt.«

Planchet stieg ab, ging gerade aus Lubin zu, der ihn wirklich nicht erkannte, und die zwei Bedienten fingen an, in schönster Eintracht mit einander zu plaudern, während d'Artagnan die zwei Pferde in ein Gäßchen trieb, rund um ein Haus ging und zurückkehrte, um hinter einem Haselstrauche das Gespräch anzuhören.

Kaum hatte er sich einen Augenblick seinen Beobachtungen hingegeben als er Wagengerassel vernahm und die Karrosse von Mylady ihm gegenüber anhielt. Er konnte sich nicht täuschen, Mylady saß darin. D'Artagnan legte sich auf den Hals seines Pferdes, um Alles zu sehen, ohne gesehen zu werden.

Mylady schaute mit ihrem reizenden blonden Kopfe aus dem Kutschenschlag heraus und gab ihrer Zofe Befehle.

Die letztere, ein hübsches, lebhaftes, flinkes Mädchen, die wahre Kammerjungfer einer vornehmen Dame, sprang von dem Fußtritt herab, auf dem sie nach der Sitte jener Zeit saß, und wandte sich nach der Terasse, wo d'Artagnan Lubin bemerkt hatte.

D'Artagnan folgte der Zofe mit den Augen und sah sie nach der Terrasse gehen. Zufälligerweise aber hatte ein Befehl aus dem Innern des Hauses Lubin hineingerufen, und Planchet, der nach allen Seiten hinschaute, um zu erforschen, in welcher Richtung sein Herr verschwunden sein möchte, war allein geblieben.

Die Kammerfrau näherte sich Planchet, den sie für Lubin hielt, gab ihm ein Billet und sagte:

«Für Euern Herrn.«

«Für meinen Herrn?«fragte Planchet sehr erstaunt.

«Ja — und es hat große Eile — nehmt also geschwind.«

Hierauf ging sie nach dem Wagen zurück, der wieder nach der Seite, von welcher er hergekommen war, umgekehrt hatte; sie sprang auf den Fußtritt und die Karrosse entfernte sich.

Planchet wandte das Billet um und um, lief dann, an stummen Gehorsam gewöhnt, von der Terrasse herab, eilte in das Gäßchen und traf nach zwanzig Schritten seinen Herrn, der Alles gesehen hatte und ihm entgegen kam.

«Für Euch, gnädiger Herr, «sprach Planchet, das Billet dem jungen Manne überreichend.

«Für mich?«entgegnete d'Artagnan,»bist Du dessen ganz gewiß?«

«Bei Gott! ganz gewiß, die Kammerjungfer sagte:»»Für Deinen Herrn.««Ich habe keinen andern Herrn außer Euch, also… Ein hübscher Bissen von einem Mädchen, diese Zofe, meiner Treu.«

D'Artagnan öffnete den Brief und las folgende Worte:

«Eine Person, welche sich mehr für Euch interessirt, als sie sagen kann, wünschte zu wissen, an welchem Tage Ihr im Walde promeniren könnt; morgen erwartet ein schwarz und rother Bedienter im Hotel zum goldenen Felde Euere Antwort.«

«Oh! oh!«sagte d'Artagnan zu sich selbst,»das ist ein wenig lebhaft. Es scheint, Mylady und ich leiden an demselben Uebel. Nun, Planchet laßt hören, wie befindet sich Herr von Wardes? Er ist also nicht tot?«

«Nein, gnädiger Herr, es geht so gut, als es mit vier Degenstichen im Leibe gehen kann; denn Ihr habt diesem Edelmann vier ganz tadellose beigebracht, und er ist noch sehr schwach, da er beinahe all sein Blut verloren hat. Lubin erkannte mich nicht, wie ich dem gnädigen Herrn zum Voraus sagte, und erzählte mir das ganze Abenteuer von Anfang bis zu Ende.«

«Sehr gut, Planchet, Du bist der König der Lakaien; jetzt steig zu Pferde und wir wollen dem Wagen nachreiten.«

Das dauerte nicht lange; nach fünf Minuten erblickte man die Karrosse, welche auf der Biegung der Straße stille hielt; Ein reichgekleideter Kavalier befand sich am Kutschenschlag.

Das Zwiegespräch zwischen Mylady und dem Kavalier war so belebt, daß d'Artagnan auf der andern Seite des Wagens stille hielt, ohne daß Jemand, außer der hübschen Zofe, seine Gegenwart bemerkte.

Die Unterredung fand in englischer Sprache statt, von der d'Artagnan nichts verstand, aber am Ausdruck glaubte der junge Mann zu erkennen, daß die schöne Engländerin sehr zornig war; sie schloß mit einer Geberde, die ihm keinen Zweifel über die Natur der Unterhaltung ließ, das heißt, mit einem Fächerschlag, der mit solcher Gewalt geführt wurde, daß das kleine weibliche Geräthe in tausend Stücke flog.

Der Reiter brach in ein Gelächter aus, das Mylady in Verzweiflung zu bringen schien.

D'Artagnan meinte, dies sei der geeignete Augenblick, um ins Mittel zu treten; er näherte sich dem Kutschenschlag, entblößte ehrfurchtsvoll sein Haupt und sprach:

«Madame, erlaubt mir. Euch meine Dienste anzubieten; es scheint mir, dieser Kavalier hat Euch in Zorn gebracht. Sprecht ein Wort, und ich übernehme es, ihn für seinen Mangel an Höflichkeit zu bestrafen.«

«Mein Herr, «antwortete sie in gutem Französisch,»mit freudigem Herzen würde ich mich unter Euern Schutz stellen, wenn die Person, welche mit mir streitet, nicht mein Bruder wäre.«

«Oh! dann verzeiht mir, «sagte d'Artagnan;»Ihr begreift, daß ich das nicht wußte, Madame.«

«Was hat sich denn dieser Narr in unsere Angelegenheit zu mischen, «rief, sich zu dem Kutschenschlag herabbeugend, der Kavalier, den Mylady als ihren Verwandten bezeichnet hatte;»und warum zieht er nicht seines Wegs?«

«Selbst Narr, «erwiderte d'Artagnan, sich ebenfalls auf den Hals seines Pferdes herabbeugend und durch den Kutschenschlag redend,»ich ziehe nicht meines Wegs, weil es mir hier zu bleiben beliebt.«

Der Kavalier richtete einige englische Worte an seine Schwester.

«Ich spreche Französisch mit Euch, «rief d'Artagnan;»ich bitte Euch also, macht mir das Vergnügen und antwortet mir in derselben Sprache. Ihr seid der Bruder dieser Dame, gut! aber Ihr seid glücklicherweise nicht der meinige.«

Man hätte glauben sollen, Mylady würde mit weiblicher Aengstlichkeit gleich beim Anfang der Herausforderung zu vermitteln suchen, damit der Streit nicht zu weit käme, aber sie warf sich im Gegentheil in ihren Wagen zurück und rief dem Kutscher kalt zu:

«Fahr nach dem Hotel!«

Die hübsche Zofe warf einen unruhigen Blick auf d'Artagnan, dessen gefälliges Aussehen einen günstigen Eindruck auf sie gemacht zu haben schien.

Die Karrosse fuhr weiter und ließ die zwei Männer einander gegenüber.

Der Reiter machte eine Bewegung, um dem Wagen zu folgen, aber d'Artagnan, dessen bereits gährender Zorn noch dadurch gesteigert würde, daß er in ihm den Engländer erkannte, der ihm sein Pferd und Athos beinahe seinen Diamant abgewonnen hatte, fiel ihm in den Zügel und hielt ihn zurück.

«Ei! mein Herr, «sagte er,»Ihr scheint mir noch mehr Narr zu sein, als ich, denn es kommt mir vor, als wolltet Ihr vergessen, daß sich ein kleiner Streit zwischen uns entsponnen hat.«—»Ah! ah!«entgegnete der Engländer,»Ihr seid es, Meister? Ihr müßt also immer irgend ein Spiel spielen?«—»Ja, und das erinnert mich daran, daß ich Revanche zu nehmen habe. Wir werden sehen, mein lieber Herr, ob Ihr den Degen eben so gut handhabt, als den Würfelbecher.«—»Ihr müßt bemerken, daß ich keinen Degen bei mir habe, «sprach der Engländer;»wollt Ihr gegen einen Unbewaffneten den Tapfern spielen?«—»Ich hoffe, Ihr werdet zu Hause einen besitzen. Jedenfalls habe ich zwei, und wenn Ihr wollt, so spiele ich um Einen mit Euch.«—»Unnöthig, «sprach der Engländer,»ich bin hinreichend mit dergleichen Werkzeug versehen.«—»Gut, mein würdiger Herr, «entgegnete d'Artagnan,»wählt Euren längsten Degen und zeigt ihn mir diesen Abend.«—»Wo, wenn ich bitten darf?«—»Hinter dem Luxemburg, das ist ein allerliebstes Plätzchen für Spaziergänge, wie ich sie Euch vorschlage.«—»Schön, man wird sich einfinden.«—»Zu welcher Stunde?«—»Um sechs Uhr.«—»Ihr habt auch wohl ein paar Freunde?«—»Ich habe drei, welche sich eine Ehre daraus machen würden, dasselbe Spiel zu spielen, wie ich.«—»Drei? vortrefflich! wie sich das trifft!«rief d'Artagnan,»das ist gerade meine Zahl,«—»Und nun, wer seid Ihr?«fragte der Engländer. — »Ich bin Herr d'Artagnan, gascognischer Edelmann, diene bei der Leibwache, Compagnie des Herrn des Essarts. Und Ihr?«—»Ich bin Lord Winter, Baron von Sheffield.«—»Gut! ich bin Euer Diener, mein Herr Baron, «sprach d'Artagnan,»obgleich Euere Namen sehr schwer zu behalten sind.«

Und er spornte sein Roß und galopirte Paris zu.

Wie gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten, stieg er unmittelbar bei Athos ab. Er fand diesen auf seinem Bette liegend, wo er, wie er sagte, wartete, bis seine Equipirung ihn aufsuchen würde.

D'Artagnan erzählte Athos, außer dem Brief an Herrn von Wardes, Alles was vorgefallen war.

Athos war entzückt, als er erfuhr, daß er sich mit einem Engländer schlagen sollte. Wir haben erzählt, daß dies sein Lieblingsgedanke war.

Man ließ sogleich Porthos und Aramis durch die Lakaien aufsuchen und von der Lage der Dinge in Kenntniß setzen.

Porthos zog seinen Degen aus der Scheide, focht gegen die Wand, ging von Zeit zu Zeit rückwärts und machte Verbeugungen wie ein Tänzer. Aramis, der immer noch an seinem Gedicht arbeitete, schloß sich im Cabinet von Athos ein und bat, ihn nicht eher zu stören, als bis es Zeit wäre, vom Leder zu ziehen.

Athos forderte von Grimaud durch ein Zeichen eine neue Flasche Wein.

D'Artagnan entwarf in aller Stille einen kleinen Plan, dessen Ausführung wir später sehen werden, und der ihm ein anmuthiges Abenteuer verhieß, wie man an dem Lächeln sehen konnte, das von Zeit zu Zeit über sein träumerisches Antlitz flog.

III. Engländer und Franzosen

Zur bestimmten Stunde begab man sich mit den vier Lakaien hinter dem Luxemburg in ein Gehege, das den Ziegen überlassen war, Athos gab dem Ziegenhirten ein Geldstück, damit er sich entferne. Die Lakaien mußten Wache halten.

Bald näherte sich eine stillschweigende Truppe demselben Gehege, trat ein und stieß zu den Musketieren. Dann fanden nach den englischen Gebräuchen die Vorstellungen statt.

Die Engländer waren insgesammt Leute von hohem Stande; die bizarren Namen der drei Freunde wurden deßhalb für sie ein Gegenstand, nicht nur des Erstaunens, sondern auch der Unruhe.

«Bei Allem dem, «sprach Lord Winter, als die Freunde genannt waren,»bei Allem dem wissen wir nicht, wer Ihr seid, und wir schlagen uns mit solchen Namen nicht. Das sind ja wahre Schäfernamen.«—»Es sind auch, wie Ihr voraussetzt, Mylord, nur falsche Namen.«—»Um so mehr müssen wir darauf bestehen, die wahren Namen zu erfahren, «antwortete der Engländer. — »Ihr habt doch auch gegen uns gespielt, ohne uns zu kennen, «sagte Athos,»und uns dabei unsere zwei Pferde abgenommen.«—»Das ist wahr, aber wir wagten nur unsere Pistolen. Diesmal setzen wir unser Blut ein. Man spielt mit der ganzen Welt, aber man schlägt sich nur mit Seinesgleichen. — »Das ist richtig, «sprach Athos.

Und er nahm denjenigen von den vier Engländern, mit welchem er sich schlagen sollte, bei Seite und nannte ihm ganz leise seinen Namen. Porthos und Aramis thaten ihrerseits dasselbe.

«Genügt das, «sprach Athos zu seinem Gegner,»und findet Ihr meine Abkunft vornehm genug, um mir die Gnade zu erzeigen, den Degen mit mir zu kreuzen?«—»Ja, mein Herr, «antwortete der Engländer sich verbeugend. — »Gut! soll ich Euch nun etwas sagen?«versetzte Athos kalt. — »Was?«fragte der Engländer. — »Ihr hättet viel besser daran gethan, nicht von mir zu fordern, daß ich meinen Namen nenne.«—»Warum dies?«—»Weil man mich für tot hält, und ich aus Gründen wünschen muß, daß man mein Leben nicht erfahre, ich werde deßhalb genöthigt sein, Euch zu töten, damit mein Geheimniß nicht in der Welt herumgetragen wird.«

Der Engländer schaute Athos an und glaubte, dieser scherze; aber Athos scherzte durchaus nicht.

«Meine Herren, «sagte Athos, sich an seine Gefährten und an seine Gegner wendend,»sind wir fertig?«—»Ja «antworteten einstimmig Engländer und Franzosen. — »Dann legt Euch aus!«sprach Athos.

Und alsbald glänzten acht Degen in den Strahlen der untergehenden Sonne, und rasch begann der Kampf mit einer Erbitterung, die bei dem gegenseitigen Nationalhaß ganz natürlich war.

Athos focht mit eben so viel Ruhe und Methode, als ob er in einem Fechtsaal stände.

Porthos, dem sein Abenteuer in Chantilly ohne Zweifel etwas von seinem allzu großen Selbstvertrauen benommen hatte, spielte den Feinen und Klugen.

Aramis, der den dritten Gesang seines Gedichtes vollenden wollte, arbeitete wie ein Mann der große Eile hat.

Athos tötete zuerst seinen Gegner. Er hatte ihm nur einen Stoß beigebracht, aber dieser war, wie er vorhergesehen tötlich gewesen; der Degen drang durch das Herz.

Porthos streckte hierauf seinen Gegner zu Boden; er hatte ihm den Schenkel durchstochen. Da ihm der Engländer seinen Degen übergab, so nahm er ihn in seine Arme und trug ihn in seinen Wagen.

Aramis bedrängte seinen Gegenkämpfer so kräftig, daß er ihn, nachdem er ihn beinahe fünfzig Schritt weit über die Mensur getrieben hatte, kampfunfähig machte.

D'Artagnan trieb ganz einfach ein Vertheidigungsspiel. Als er seinen Gegner sehr ermüdet sah, schlug er ihm mit einem sehr heftigen Quartstoß den Degen aus der Faust. Sobald der Baron sich entwaffnet sah, machte er ein paar Schritte rückwärts, aber bei dieser Bewegung glitt sein Fuß und er fiel auf die Erde.

D'Artagnan war mit einem Sprung auf ihm und setzte ihm den Degen an die Kehle.

«Ich könnte Euch töten, mein Herr, «sagte er zu dem Engländer,»und Ihr seid in meinen Händen, aber ich schenke Euch Eurer Schwester zu Liebe das Leben.«

D'Artagnan war im höchsten Grad erfreut: jetzt war der Plan verwirklicht, den er im Voraus gefaßt, und dessen Entwickelung das von uns besprochene Lächeln auf sein Gesicht gerufen hatte.

Entzückt darüber, daß er es mit einem Edelmann von so schönem Charakter zu thun hatte, schloß der Engländer d'Artagnan in seine Arme, sagte den drei Musketieren tausend Schmeicheleien, und da der Gegner von Porthos bereits in seinen Wagen gebracht war und der von Aramis sich aus dem Staube gemacht hatte, so dachte man nur noch an den Toten.

Als Porthos und Aramis in der Hoffnung, seine Wunde würde nicht tötlich sein, ihn entkleideten, fiel eine schwere Börse aus seinem Gürtel. D'Artagnan hob sie auf und reichte sie Lord Winter.

«Ei! den Teufel, was soll ich denn damit machen?«sprach der Engländer. — »Gebt diese Börse seiner Familie zurück, «erwiderte d'Artagnan. — »Seine Familie kümmert sich viel um eine solche Erbärmlichkeit! sie erbt eine Rente von fünfzehntausend Louisd'or. Behaltet diese Börse für Eure Lakaien!«

Während dieser Zeit hatte sich Athos seinem Freund d'Artagnan genähert.

«Nein, «sprach er,»geben wir die Börse nicht unsern Lakaien, sondern den englischen.«

Athos nahm die Börse, warf sie dem Kutscher in die Hand und rief:»Für Euch und Eure Kameraden.«

Diese Großartigkeit der Manieren bei einem gänzlich entblößten Menschen setzte sogar Porthos in Erstaunen, und diese französische Freigebigkeit hatte, von Lord Winter und seinem Freunde wieder erzählt, überall, nur nicht bei den Herrn Grimaud, Mousqueton, Planchet und Bazin, den günstigen Erfolg.

«Und nun, mein junger Freund, denn ihr erlaubt mir hoffentlich, daß ich Euch diesen Namen gebe, «sagte Lord Winter;»noch diesen Abend, wenn es Euch genehm ist, stelle ich Euch Lady Clarick, meiner Schwester, vor, denn sie soll Euch ebenfalls gewogen werden, und da sie bei Hof nicht übel angeschrieben ist, so wird vielleicht in Zukunft ein Wort von ihr nicht unvortheilhaft für Euch sein.«

D'Artagnan erröthete vor Vergnügen und verbeugte sich zum Zeichen der Einwilligung.

Lord Winter gab d'Artagnan, ehe er ihn verließ, die Adresse seiner Schwester; sie wohnte auf der Place Royale, was damals das vornehmste Quartier war, Nro. 6. Ueberdies machte er sich anheischig, ihn zum Behuf der Vorstellung abzuholen. D'Artagnan gab ihm um acht Uhr bei seinem Freunde Athos Rendezvous.

Diese Vorstellung bei Mylady nahm den Kopf unseres Gascogners gewaltig in Anspruch. Er erinnerte sich, auf welch seltsame Weise diese Frau bis jetzt in sein Geschick verwickelt gewesen war. Nach seiner Ueberzeugung war sie ein Geschöpf des Kardinals, und dennoch sah er sich unwiderstehlich durch eines jener Gefühle, von denen man sich keine Rechenschaft gibt, zu ihr hingezogen. Er fürchtete nur, Mylady möchte in ihm den Mann von Meung und Dover wieder erkennen. Dann würde sie wissen, daß er einer von den Freunden des Herrn von Treville war und folglich mit Leib und Seele dem König gehörte, wodurch er gleich einen Theil seiner Vortheile verlieren mußte. Was den Anfang einer Intrigue zwischen ihr und dem Grafen von Wardes betrifft, so kümmerte sich unser junger Mann nur sehr wenig um diesen Umstand, obgleich der Marquis jung, hübsch, reich und bei dem Kardinal sehr in Gunst war. Es will nicht wenig heißen, wenn man zwanzig Jahre zählt, besonders wenn man in Tarbes geboren ist.

D'Artagnan fing damit an, daß er in seinem Zimmer eine glänzende Toilette machte; dann kehrte er zu Athos zurück und erzählte diesem seiner Gewohnheit gemäß Alles. Athos hörte ruhig seine Pläne an, schüttelte sodann den Kopf und empfahl ihm mit einer gewissen Bitterkeit große Vorsicht.

«Wie?«sprach er,»Ihr habt vor Kurzem erst eine Frau verloren, die Ihr gut, schön, vollkommen nanntet, und Ihr lauft bereits einer andern nach?«

D'Artagnan fühlte die Wahrheit dieses Vorwurfs.

«Ich liebe Madame Bonacieux mit dem Herzen, während ich Mylady mit dem Kopfe liebe, «sagte er,»und indem ich mich bei ihr einführen lasse, suche ich mir Licht über die Rolle zu verschaffen, die sie bei Hofe spielt.«—»Welche Rolle sie spielt, bei Gott, das ist nach Allem, was Ihr mir erzählt habt, nicht schwer zu errathen. Sie ist eine Emissärin Richelieus, eine Frau, die Euch in eine Falle locken wird, in der Ihr ganz einfach Euren Kopf lassen müßt.«—»Teufel! Athos, es scheint mir, Ihr seht die Dinge sehr schwarz.«—»Mein Lieber, ich mißtraue den Frauen; was wollt Ihr! ich habe meinen Lohn dahin; und ganz besonders mag ich nichts von den Blonden wissen. Mylady ist blond, sagtet Ihr mir?«—»Sie hat Haare vom schönsten Blond, das man sehen kann.«—»Ah! mein armer d'Artagnan!«rief Athos. — »Hört: ich will mir Licht verschaffen, und wenn ich weiß, was ich wissen will, halte ich mich ferne.«—»Verschafft Euch Licht, «sagte Athos phlegmatisch.

Lord Winter erschien zur bestimmten Stunde, aber zu rechter Zeit benachrichtigt, ging Athos in das zweite Zimmer. Er fand also d'Artagnan allein, und da es beinahe acht Uhr war, so führte er den jungen Mann mit sich fort.

Eine elegante Karrosse wartete vor der Hausthüre; sie war mit zwei vortrefflichen Pferden bespannt, und man hatte in einem Augenblick die Place Royale erreicht.

Mylady Winter empfing d'Artagnan höchst verbindlich.

Ihr Hotel war mit verschwenderischer Pracht ausgestattet, und sie hatte, obgleich die meisten Engländer durch den Krieg vertrieben, Frankreich verließen oder es zu verlassen im Begriffe waren, neue Ausgaben hiefür gemacht, woraus hervorging, daß die allgemeine Maßregel, wodurch die Engländer entfernt wurden, sie nicht traf.

«Ihr seht hier, «sprach Lord Winter,»Ihr seht hier einen jungen Edelmann, der mein Leben in seinen Händen hatte und keinen Mißbrauch von seinem Vortheil machen wollte, obgleich wir doppelte Feinde waren, einmal weil ich ihn beleidigt hatte, und dann weil ich ein Engländer bin. Dankt ihm also, wenn Ihr einige Freundschaft für mich fühlt.«

Mylady zog die Augenbrauen etwas zusammen, eine kaum bemerkbare Wolke lagerte sich über ihre Stirne, und ein so seltsames Lächeln erschien auf ihren Lippen, daß der junge Mann, der diese dreifache Nuance gewahr wurde, von einem leichten Schauder erfaßt wurde.

Der Bruder sah nichts; er hatte sich umgedreht, um mit dem Lieblingsaffen von Mylady zu spielen, der ihn am Wamms zupfte.

«Seid willkommen, mein Herr, «sprach Mylady mit einer Stimme, deren Weichheit in seltsamem Widerspruch mit den Symptomen schlechter Laune stand, welche d'Artagnan bemerkt hatte,»denn Ihr habt Euch heute ein ewiges Recht auf meine Dankbarkeit erworben.«

Der Engländer drehte sich jetzt wieder um und erzählte den Kampf, ohne auch nur das Geringste zu übergehen. Mylady hörte ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zu; aber wie sehr sie sich auch anstrengte, um ihre Eindrücke zu verbergen, so sah man doch leicht, daß ihr das Gespräch durchaus nicht angenehm war; das Blut stieg ihr in den Kopf und ihr kleiner Fuß bewegte sich unruhig unter dem Kleide.

Lord Winter bemerkte nichts; als er vollendet hatte, näherte er sich einem Tisch, auf welchen man ein silbernes Brett mit einer Flasche spanischem Wein gestellt hatte; er füllte zwei Gläser und lud d'Artagnan ein, zu trinken.

D'Artagnan wußte, daß es eine grobe Unhöflichkeit gegen einen Engländer wäre, auf einen Toast nicht Bescheid zu thun. Er trat an den Tisch und ergriff das zweite Glas, verlor jedoch Mylady nicht aus dem Gesicht, und gewahrte im Spiegel die Veränderung, welche in ihren Zügen vorging. Jetzt, da sie nicht mehr beobachtet zu sein glaubte, belebte ein Gefühl, das der Wildheit glich, ihr Antlitz. Sie biß mit ihren schönen Zähnen in das Taschentuch.

Die hübsche Zofe, welche d'Artagnan bereits gesehen hatte, trat ein; sie sagte einige Worte auf Englisch zu Lord Winter, der augenblicklich, unter Vorschützung dringender Geschäfte, d'Artagnan um Erlaubnis bat, sich entfernen zu dürfen, und seine Schwester ersuchte, Verzeihung für ihn zu erlangen.

D'Artagnan tauschte einen Händedruck mit Lord Winter und kam zu Mylady zurück. Das Gesicht dieser Frau hatte mit überraschender Beweglichkeit seinen anmuthigen Ausdruck wieder angenommen: nur deuteten einige rote Fleckchen auf ihrem Taschentuche an, saß sie sich die Lippen blutig gebissen hatte.

Ihre Lippen waren herrlich, wie aus Korallen geformt.

Das Gespräch nahm eine heitere Wendung. Mylady schien ganz von ihrer vorhergehenden Stimmung zurückgekommen. Sie erzählte, daß Lord Winter nur ihr Schwager und nicht ihr Bruder sei; sie selbst habe einen jüngeren Sohn geheirathet, der sie als Wittwe mit einem Kind hinterlassen. Dieses Kind sei der einzige Erbe von Lord Winter, wenn er nicht heirathe. Alles dies ließ d'Artagnan einen Schleier erschauen, der etwas verhüllte; aber er vermochte noch nichts unter dem Schleier zu unterscheiden.

Nach einer Unterredung von einer halben Stunde hatte d'Artagnan indessen die Ueberzeugung gewonnen, daß Mylady seine Landsmännin war; sie sprach das Französische mit einer Reinheit und Eleganz, daß kein Zweifel übrig blieb.

D'Artagnan verschwendete galante Redensarten und Ergebenheits-Betheuerungen. Mylady lächelte wohlwollend zu allen Albernheiten, die unserem Gascogner entschlüpften. Endlich war die Stunde zum Aufbruch gekommen! d'Artagnan verabschiedete sich von Mylady und verließ den Saal als der glücklichste der Sterblichen.

Auf der Treppe begegnete er der hübschen Zofe, welche sanft an ihn anstreifte, bis unter die Augen erröthete und ihn mit so weicher Stimme wegen dieser Berührung um Verzeihung bat, daß diese auch augenblicklich bewilligt wurde.

D'Artagnan kam am andern Tag wieder und wurde noch freundlicher, als am Abend zuvor, empfangen. Lord Winter war nicht anwesend, und Mylady machte ihm alle Honneurs. Sie schien ein großes Interesse an ihm zu nehmen, fragte ihn, wo er wohne, wer seine Freunde seien, und ob er nicht zuweilen daran gedacht habe, in den Dienst des Herrn Kardinals zu treten.

D'Artagnan war, wie man weiß, sehr klug für einen jungen Mann von zwanzig Jahren, und erinnerte sich alsbald seines Verdachts in Beziehung auf Mylady. Er sprach mit großen Lobeserhebungen von Seiner Eminenz und sagte zu Mylady, er würde nicht verfehlt haben, bei der Leibwache des Kardinals statt bei der des Königs einzutreten, wenn er zum Beispiel Herrn von Cavois statt Herrn von Treville gekannt hätte.

Mylady gab dem Gespräch eine andere Wendung, ohne daß es nur entfernt den Anschein einer Absicht hatte, und fragte d'Artagnan auf die gleichgültigste Weise der Welt, ob er je in England gewesen sei.

D'Artagnan antwortete, er sei von Treville dahin geschickt worden, um wegen einer Remonte von Pferden zu unterhandeln, und habe auch vier Stück als Muster mitgebracht.

Mylady biß sich im Verlauf des Gespräches wiederholt auf die Lippen, sie hatte es mit einem jungen Manne zu thun, der sich keine Blößen gab.

D'Artagnan zog sich zu derselben Stunde, wie am Tage vorher, zurück. In der Flur begegnete er abermals der hübschen Ketty, so hieß die Zofe. Sie schaute ihn mit einem Ausdruck geheimen Wohlwollens an. Aber d'Artagnan war so sehr mit der Gebieterin beschäftigt, daß er nur das gewahr wurde, was von ihr herrührte.

Am zweiten Tag kam d'Artagnan abermals und am dritten ebenso, und jedes Mal wurde ihm ein freundlicherer Empfang von Mylady zu Theil.

Jenen Abend begegnete er auch der hübschen Zofe auf der Treppe, oder in der Hausflur.

Aber d'Artagnan ließ, wie gesagt, die seltsame Beharrlichkeit der armen Ketty unbeachtet.


VI. Ein Procuratorsmahl

Das Duell, bei welchem Porthos eine so glänzende Rolle gespielt hatte, ließ ihn indessen das Mittagsmahl nicht vergessen, wozu er von der Frau Procuratorin eingeladen worden war. Am andern Tag gegen ein Uhr ließ er sich von Mousqueton den letzten Bürstenstrich geben, und wanderte der Rue aux Ours zu. Sein Herz klopfte, aber nicht wie das von d'Artagnan, von einer jungen und ungeduldigen Liebe. Nein, ein materielles Interesse leitete seine Schritte. Er sollte endlich die geheimnißvolle Schwelle überschreiten, die unbekannte Treppe ersteigen, welche die alten Thaler des Meisters Coquenard einer um den andern erstiegen hatten. Er sollte wirklich eine gewisse Kiste sehen, deren Bild ihm zwanzigmal in seinen Träumen erschienen war; eine Kiste von langer und tiefer Form, mit Schlössern und Riegeln versehen, und mit eisernen Bändern an den Boden befestigt; eine Kiste, von der er so oft sprechen gehört, und welche die Hände des Procurators nun vor seinen bewundernden Blicken öffnen sollten.

Und er, der in der Welt umherirrende Mensch, der Mann ohne Vermögen, ohne Familie, der an Herbergen, Gasthöfen, Schenken und Wirtschaften aller Art gewöhnte Soldat, der Gourmand, der meistens nur auf zufällige Schmausereien angewiesen war, sollte sich an den Tisch einer bürgerlichen Haushaltung setzen, die Annehmlichkeiten eines so wohlhäbigen Heimwesens kennen lernen.

Täglich in der Eigenschaft eines Vetters bei einer guten Tafel erscheinen, die gelbe gefaltete Stirne des alten Procurators entrunzeln, die jungen Schreiber durch den Unterricht im Bassettspiele, im Lanzknecht und im Würfeln mit den feinsten Kunstgriffen rupfen und ihnen in Form eines Honorars für die Lection, die er ihnen in einer Stunde geben würde, die Ersparnisse eines Monats abnehmen. Alles dies lag in den seltsamen Sitten jener Zeit und war in der Voraussicht ungemein ergötzlich für Porthos.

Der Musketier erinnerte sich wohl der schlimmen Gerüchte, welche über die Procuratoren, ihre Knickerei, ihre Fasttage im Umlaufe waren. Da er aber im Ganzen die Procuratorin, abgesehen von einigen ökonomischen Anfällen, welche er stets sehr unzeitig fand, ziemlich freigebig gesehen hatte, wohl verstanden für eine Procuratorsfrau, so hoffte er ein angenehm eingerichtetes Haus zu finden.

An der Thüre regten sich jedoch einige Zweifel in dem Musketier. Der Zutritt hatte durchaus nichts Einladendes. Er fand einen übelriechenden schwarzen Gang, eine nur schlecht beleuchtete Treppe mit einem Fenster, durch dessen eiserne Stangen das graue Licht eines benachbarten Hofes mühsam eindrang. Im ersten Stock kam er vor eine niedere und, wie die Hauptthüre des großen Chatelet, mit ungeheuren eisernen Nägeln beschlagene Thüre. Porthos klopfte mit dem Finger an. Ein großer, bleicher und unter einem Wald von struppigen Haaren verborgener Schreiber öffnete und grüßte mit der Miene eines Mannes, der sich genöthigt sieht, an einem Andern den kräftigen hohen Wuchs, eine militärische Uniform und das frische rothe Gesicht zu achten, das die Gewohnheit gut zu leben andeutet.

Ein zweiter, kleinerer Schreiber hinter dem ersten, ein anderer größerer Schreiber hinter dem zweiten, ein Gassenjunge von zwölf Jahren hinter dem dritten.

Im Ganzen drei und ein halber Schreiber, was für jene Zeit eine Schreibstube von sehr bedeutender Kundschaft ankündigte.

Obgleich der Musketier erst um ein Uhr erscheinen sollte, war doch die Procuratorin seit der Mittagstunde mit ihrem Auge auf der Lauer, und versah sich zu dem Herzen und vielleicht auch zu dem Magen ihres Anbeters, daß er vor der bestimmten Zeit erscheinen werde.

Madame Coquenard kam also beinahe in demselben Augenblick aus der Zimmerthüre, wo ihr Gast durch die Treppenthüre eintrat, und die Erscheinung der würdigen Dame entzog Porthos einer großen Verlegenheit. Die Schreiber sahen äußerst neugierig aus, und er blieb völlig stumm, da er nicht wußte, was er zu dieser aufsteigenden Tonleiter sagen sollte.

«Das ist mein Vetter!«rief die Procuratorin.»Tretet doch ein, Herr Porthos!«

Der Name Porthos brachte die gehörige Wirkung auf die Schreiber hervor, welche zu lachen anfingen; aber Porthos wandte sich um und auf alle Gesichter kehrte der Ernst zurück.

Man gelangte in das Kabinet des Procurators, nachdem man ein Vorzimmer, wo die Schreiber waren, und die Schreibstube, in der sie hätten sein sollen, durchschritten hatte. Die letztere war eine Art von schwarzem Saale, mit beschriebenem Papier tapezirt. Aus der Schreibstube heraustretend, ließ man die Küche zur Rechten und gelangte in das Empfangszimmer.

Alle diese Zimmer, welche mit einander in Verbindung standen, brachten Porthos durchaus keine guten Begriffe bei. Man mußte die Worte von ferne durch alle diese offenen Thüren hören; dann hatte er im Vorübergehen einen raschen, forschenden Blick in die Küche geworfen und sich zur Schande der Procuratorsfrau und zu seinem eigenen Bedauern gestanden, daß er nichts von dem Feuer, von der Belebtheit von der Bewegung wahrzunehmen vermochte, wie dergleichen gewöhnlich im Augenblicke eines guten Mahles im Heiligthum der Gern- und Gutesserei zu herrschen pflegt.

Der Procurator war ohne Zweifel zum Voraus von seinem Besuche in Kenntniß gesetzt worden, denn er gab nicht das geringste Erstaunen bei dem Anblick von Porthos kund, der sich ihm mit vollkommen ungezwungener Miene näherte und ihn höflich begrüßte.

«Wir sind Vettern, wie es scheint, mein Herr Porthos?«sagte der Procurator und stand, sich mit den Armen stützend, von seinem Rohrstuhle auf.

Der Greis war in ein großes schwarzes Wamms gehüllt, in welchem sich sein schmächtiger Körper verlor, und sah gelb und vertrocknet aus. Seine kleinen grauen Augen glänzten wie Karfunkel und schienen nebst seinem Munde, der in beständigen Grimassen begriffen war, der einzige Theil seines Gesichtes zu sein, wo noch Leben wohnte. Leider fingen die Beine an, dieser ganzen Knochenmaschine den Dienst zu verweigern. Seit den fünf oder sechs Monaten, wo sich diese Schwäche fühlbar gemacht hatte, war der würdige Procurator beinahe der Sklave seiner Gattin geworden.

Der Vetter wurde mit Resignation aufgenommen und nicht weiter. Wäre Meister Coquenard noch flink auf den Beinen gewesen, so würde er alle Verwandtschaft mit Porthos abgelehnt haben.

«Ja, wir sind Vettern, «sprach Porthos, der nie auf eine begeisterte Aufnahme von Seiten des Gatten gerechnet hatte, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen.

«Durch die Frauen, glaube ich, «sagte der Procurator boshaft.

Porthos fühlte diesen Spott nicht und hielt ihn für eine Naivetät, worüber er in seinen dicken Schnurrbart lachte; Madame Coquenard, welche wußte, daß der naive Prokurator eine äußerst seltene Varietät in der Gattung ist, lächelte ein wenig und erröthete stark.

Herr Coquenard hatte seit der Ankunft von Porthos seine Augen unruhig auf einen großen, seinem eigenen Schreibtisch gegenüber stehenden Schrank geworfen. Porthos begriff, daß dieser Schrank, obgleich er seiner Form nach durchaus nicht demjenigen entsprach, welchen er in seinen Träumen gesehen hatte, das glückselige Geräthe sein mußte, und er beglückwünschte sich darüber, daß sie Wirklichkeit sechs Fuß mehr Höhe hatte, als der Traum.

Meister Coquenard trieb seine genealogischen Forschungen nicht weiter; aber seinen unruhigen Blick vom Schranke wieder Porthos zuwendend, begnügte er sich, zu sagen:

«Euer Herr Vetter wird wohl, ehe er in das Feld zieht, uns die Ehre erweisen, mit uns zu Mittag zu essen, nicht wahr, Madame Coquenard?«

Diesmal empfing Porthos den Stich in den vollen Leib und fühlte ihn; Madame Coquenard schien ihrerseits nicht unempfindlicher zu sein, denn sie fügte bei:

«Mein Vetter wird nicht wieder kommen, wenn er findet, daß wir ihn schlecht behandeln; aber im entgegengesetzten Fall hat er zu wenig Zeit noch in Paris zuzubringen und folglich uns zu sehen, als daß wir ihn nicht um jeden Augenblick bitten sollten, über den er noch zu verfügen vermag.«

«Oh! meine Beine, meine armen Beine!«murmelte Herr Coquenard und suchte zu lächeln.

Diese Hülfe, welche Porthos in dem Augenblicke zugekommen war, wo man ihn in seinen gastronomischen Hoffnungen angegriffen hatte, flößte dem Musketier große Dankbarkeit gegen seine Procuratorin ein.

Bald schlug die Mittagsstunde; man ging in das Speisezimmer, eine große dunkle Stube der Küche gegenüber.

Die Schreiber, denen, wie es scheint, die ungewöhnlichen Gerüche im Hause nicht entgangen waren, beobachteten eine militärische Pünktlichkeit und hielten, bereits sich niedersetzend, ihre Bestecke in der Hand. Man sah sie zum Voraus mit furchtbarem Tätigkeitsdrang ihre Kinnbacken bewegen.»Bei Gott!«dachte Porthos, indem er einen Blick auf die drei Ausgehungerten warf, denn der Gassenjunge wurde, wie man sich denken kann, nicht zu der Ehre eines Herrentisches zugelassen.»Bei Gott! an der Stelle meines Vetters würde ich solche Fresser nicht behalten. Sie sehen aus wie Schiffbrüchige, die seit sechs Wochen nicht gegessen.«

Herr Coquenard wurde auf seinem Rollstuhl von Madame Coquenard hereingeschoben, welche Porthos, bis er den Tisch erreichte, zuvorkommend im Rollen unterstützte. Kaum war er im Zimmer, als er Nase und Kinnbacken nach dem Beispiel seiner Schreiber in Bewegung setzte.

«Oh! oh!«sagte er,»das ist eine einladende Suppe.«

«Was Teufel riechen sie denn Außerordentliches in dieser Suppe?«sagte Porthos zu sich selbst beim Anblick einer blassen, weißlichen, aber ganz blinden Fleischbrühe, auf der einige seltene Krusten, wie die Inseln eines Archipels, schwammen.

Madame Coquenard lächelte und auf ein Zeichen von ihr beeilte sich Jedermann niederzusitzen.

Herr Coquenard wurde zuerst bedient, dann Porthos, hierauf füllte Madame Coquenard ihren Teller und theilte die Krusten ohne Fleischbrühe unter die Ungeduldigen aus.

In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre des Speisezimmers knarrend von selbst, und Porthos erblickte durch die halbgeöffneten Flügel den kleinen Schreiber, der, da er nicht an dem Mahl Theil nehmen durfte, sein Brod bei dem doppelten Geruch von der Küche und dem Speisezimmer verzehrte.

Nach der Suppe brachte die Magd eine gesottene Henne, ein Prachtstück, bei dessen Anblick sich die Augenlider der Gäste so sehr erweiterten, daß man glaubte, sie müßten zerreißen.

«Man sieht, Ihr liebt Eure Familie, Madame Coquenard, «sprach der Procurator mit einem beinahe tragischen Lächeln,»das ist offenbar eine Galanterie, die Ihr Eurem Vetter erweist.«

Die arme Henne war alt und mit einer von den dicken, rauhen Häuten bekleidet, welche die Knochen mit aller Anstrengung nicht zu durchdringen vermögen. Man mußte sie lange gesucht haben, um ihre Aufsitzstange zu finden, auf die sie sich zurückgezogen hatte, um an Altersschwäche zu sterben.

«Teufel!«dachte Porthos,»das ist doch sehr traurig. Ich ehre das Alter, aber ich mache mir wenig daraus, wenn es gesotten oder gebraten ist.«

Und er schaute in der Runde umher, um zu beobachten, ob seine Meinung getheilt würde; aber er sah im Gegenteil nur flammende Augen, welche zum Voraus diese erhabene Henne, den Gegenstand seiner Verachtung, verschlangen.

Madame Coquenard zog die Platte zu sich heran, löste geschickt die zwei großen schwarzen Pfoten, die sie ihrem Gatten auf den Teller legte, schnitt den Hals ab, den sie mit dem Kopfe für sich nahm, trennte einen Flügel für Porthos ab und gab der Magd, welche es gebracht hatte, das Thier zurück, so daß es beinahe unberührt zurückkehrte und verschwunden war, ehe der Musketier Zeit hatte, die Veränderungen zu beobachten, welche diese Enttäuschung je nach den Charakteren und Temperamenten der Umsitzenden auf den Gesichtern hervorbrachte.

Nach der Henne machte eine Platte mit Bohnen ihre Aufwartung, in der sich einige Schöpsenknochen zu zeigen schienen, von denen man Anfangs glauben konnte, sie seien mit Fleisch bekleidet. Aber die Schreiber ließen sich durch diesen Trug nicht bethören, und ihre düstern Mienen wurden ergebungsvolle Gesichter.

Madame Coquenard theilte dieses Gericht mit der Mäßigung einer guten Hauswirthin unter die jungen Leute aus.

Nun kam die Reihe an den Wein; Herr Coquenard schenkte aus einem sehr mageren Weinkruge jedem von den jungen Leuten das Drittheil eines Glases em, nahm für sich ungefähr in gleichem Verhältniß, und die Flasche ging sogleich zu Porthos und Madame Coquenard über.

Die jungen Leute füllten das Drittel Wein mit Wasser; wenn sie die Hälfte des Glases getrunken hatten, füllten sie es abermals, und so machten sie dies fortwährend, wodurch sie am Ende des Mahles ein Getränke verschluckten, das von der Farbe des Rubins zu der des Rauchtopases übergegangen war.

Porthos verspeiste schüchtern seinen Flügel. Er trank auch ein halbes Glas von diesem so spärlich zugemessenen Weine und erkannte ihn als einen Montreuil. Meister Coquenard sah ihn den Wein ungemischt trinken und stieß einen Seufzer aus.

«Eßt Ihr vielleicht von diesen Bohnen, mein Vetter Porthos?«sprach Madame Coquenard mit jenem Tone, welcher sagen will:»Glaubt mir, eßt nichts davon.«

«Ich danke meiner Base, «erwiderte er,»ich habe keinen Hunger mehr.«

Es trat ein Stillschweigen ein. Porthos wußte nicht, wie er sich benehmen sollte. Der Procurator wiederholte mehrmals:

«Ah, Madame Coquenard, ich mache Euch mein Compliment. Euer Mittagsbrod ist ein wahres Festmahl!«

Porthos glaubte, man wolle ihn zum Besten halten, und fing an, seinen Schnurrbart in die Höhe zu streichen und die Stirne zu falten. Aber der Blick von Madame Coquenard ermahnte ihn zur Geduld.

In diesem Augenblick standen die Schreiber auf einen Wink des Procurators langsam vom Tische auf, legten ihre Servietten noch langsamer zusammen, verbeugten sich und traten ab.

«Geht, Ihr jungen Leute, geht und verdauet durch Arbeiten, «sagte der Procurator ernsthaft.

Als die Schreiber sich entfernt hatten, erhob sich Madame Coquenard und holte aus einem Speiseschrank ein Stück Käse, eingemachte Quitten und einen Kuchen, den sie aus Mandeln und Honig selbst verfertigt hatte.

Herr Coquenard runzelte die Stirne, weil er zu viel Gerichte erblickte.

«Ein Festmahl, ganz entschieden!«rief er, ungeduldig sich auf seinem Stuhl hin und her bewegend.»Ein wahres Festmahl! Epulae epularum: Lucullus speist bei Lucullus zu Mittag!«

Porthos schaute die Flasche an, die in seiner Nähe stand, und hoffte sich im Wein, Brod und Käse gütlich zu thun. Aber der Wein ging bald aus, die Flasche war leer. Herr und Madame Coquenard thaten, als ob sie es nicht bemerkten.

«Das ist gut, «sprach Porthos zu sich selbst,»ich weiß nun, woran ich bin.«

Er leckte ein wenig an einem Löffel voll eingemachter Quitten und verbiß sich die Zähne in dem zähen Teige von Madame Coquenard.

«Nun ist das Opfer gebracht, «sprach er.

Herr Coquenard fühlte nach den Leckereien eines solchen Mahles, das er einen Exceß nannte, das Bedürfniß, Siesta zu halten.

Porthos hoffte, dies würde an Ort und Stelle und in demselben Räume vorgehen, aber der Procurator wollte nichts davon hören. Man mußte ihn in sein Zimmer zurückbringen, und er schrie, so lange er nicht vor seinem Schranke war, auf dessen Rand er sodann aus Vorsicht seine Füße stellte.

Die Procuratorin führte Porthos in ein anstoßendes Zimmer.»Ihr könnt dreimal in der Woche zu Tisch kommen, «sagte Madame Coquenard. — »Ich danke, «erwiderte Porthos,»ich mache nicht gerne Mißbrauch von solchen Einladungen. Ueberdies muß ich an meine Equipirung denken.«—»Das ist wahr, «sprach die Prokuratorin seufzend,»diese unglückliche Equipirung nimmt Euch in Anspruch, nicht wahr?«—»Ach ja, «sagte Porthos. — »Aber worin besteht denn die Equipirung Eueres Corps, Herr Porthos?«—»Oh! in Mancherlei, «sprach Porthos,»die Musketiere sind, wie Ihr wißt, Elitesoldaten, und sie brauchen viele Dinge, welche die Garden und die Schweizer entbehren können.«—»Nennt sie mir einzeln.«—»Das belauft sich etwa auf… erwiderte Porthos, der sich lieber über den Gesammtbetrag, als über die einzelnen Punkte aussprechen wollte.

Die Procuratorin wartete zitternd.

«Auf wie viel?«fragte sie;»ich hoffe, es wird nicht mehr als…«hier blieb sie stecken, es fehlte ihr das Wort.

«Oh! nein, es beträgt nicht über zwei tausend fünf hundert Livres. Ich glaube sogar, daß ich bei einiger Sparsamkeit mit zwei tausend ausreichen könnte.«

«Guter Gott! zwei tausend Livres!«rief sie,»das ist ja ein ganzes Vermögen, und mein Mann wird sich nie herbeilassen, eine solche Summe zu borgen!«

Porthos machte eine sehr bezeichnende Grimasse; Madame Coquenard verstand ihren Sinn.

«Ich fragte nach den einzelnen Punkten, «sprach sie,»weil ich viele Verwandte und Kunden bei dem Handelsstand habe, und folglich überzeugt sein kann, daß ich die Sache um hundert Procent unter dem Preise bekomme, den Ihr dafür bezahlen müßt.«—»Ah! ah!«rief Porthos,»wenn Ihr damit andeuten wolltet…«—»Ja, mein lieber Herr Porthos. Ihr braucht also vor Allem…«—»Ein Pferd.«—»Ja, ein Pferd. Gut! das ist es gerade, was ich für Euch abmachen kann.«—»Ah!«sprach Porthos strahlend,»in Beziehung auf mein Pferd stehen also die Angelegenheiten ganz gut; dann brauche ich noch ein Pferd für meinen Bedienten und ein Felleisen. Was die Waffen betrifft, so dürft Ihr Euch nicht darum bekümmern, diese habe ich bereits.«—»Ein Pferd für Euern Bedienten?«versetzte die Procuratorin zögernd.»Aber das klingt sehr vornehm.«—»Ei! Madame!«sprach Porthos stolz,»bin ich etwa ein armer Schlucker?«—»Nein. Ich wollte Euch nur sagen, ein hübsches Maulthier sehe gleichsam eben so gut aus, wie ein Pferd, und es scheine mir, wenn ich Euch ein gutes Maulthier für Euren Mousqueton verschaffen würde…«—»Es mag sein, ein hübsches Maulthier; Ihr habt Recht, ich habe sehr vornehme spanische Herren gesehen, deren ganzes Gefolge auf Maulthieren ritt. Aber Ihr werdet dann begreifen, Madame Coquenard, daß ich ein Maulthier mit Federbusch und Schelle haben muß.«—»Seid unbesorgt, «erwiderte die Procuratorin. — »Nun ist noch das Felleisen übrig, «sagte Porthos. — »Oh! das darf Euch nicht beunruhigen, «rief Madame Coquenard,»mein Mann besitzt fünf oder sechs Felleisen, und Ihr sucht Euch das beste aus; es ist besonders eines darunter, das er sehr gerne mit auf Reisen nahm, man könnte eine ganze Welt hineinpacken.«—»Euer Felleisen ist also leer?«fragte Porthos. — »Gewiß, es ist leer, «antwortete die Procuratorin. — »Ah! dasjenige, welches ich brauche, «rief Porthos,»ist ein wohl ausgerüstetes, meine Theure.«

Madame Coquenard stieß neue Seufzer aus. Molière hatte damals seinen Geizhals noch nicht geschrieben. Madame Coquenard gebührt also der Vorrang vor Harpagon.

Der Rest der Equipirung wurde nach und nach auf dieselbe Weise debattirt, und das Resultat der Sitzung war, daß die Procuratorin von ihrem Gatten acht hundert Livres in baarem Gelde verlangen und das Pferd und das Maulthier liefern sollte, welchen beiden Geschöpfen die Ehre zugedacht war, Porthos und Mousqueton zum Ruhme zu tragen.

Als diese Bedingungen festgestellt und die Interessen vertragsmäßig bestimmt waren, nahm Porthos von Madame Coquenard Abschied und kehrte mit abscheulichem Hunger nach seiner Wohnung zurück.

V. Zofe und Gebieterin

Trotz der Stimme seines Gewissens, trotz der weisen Rathschläge von Athos und der zarten Erinnerung an Madame Bonacieux, verliebte sich d'Artagnan von Stunde zu Stunde mehr in Mylady; auch verfehlte er nicht, ihr täglich auf eine Weise den Hof zu machen, von welcher der eitle Gascogner überzeugt war, sie müsse früher oder später eine Erwiderung zur Folge haben.

Als er eines Tages, die Nase hochtragend, leichten Sinnes wie ein Mensch, der einem Goldregen entgegensieht, nach dem Hotel von Mylady kam, traf er die Zofe unter der Einfahrt; aber diesmal begnügte sich die hübsche Ketty nicht mit einem flüchtigen Lächeln, sie nahm ihn sachte bei der Hand.

«Gut!«sprach d'Artagnan zu sich selbst,»sie ist mit einer Botschaft ihrer Herrin an mich beauftragt; sie wird mir ein Rendezvous bezeichnen, das man mir mündlich zu geben nicht gewagt hat, «und dabei schaute er das schöne Kind mit der siegreichsten Miene an.

«Ich wünschte ein paar Worte mit Euch zu sprechen, Herr Chevalier, «stammelte die Kammerjungfer. — »Sprich, mein Kind, sprich, «sagte d'Artagnan,»ich höre.«—»Hier unmöglich; was ich Euch zu sagen habe, ist zu lang und besonders zu geheim.«—»Nun! was ist aber dann zu machen?«—»Wenn der Herr Chevalier mir folgen wollte, «sagte Ketty schüchtern. — »Wohin Du willst, mein schönes Kind.«—»So kommt.«

Und Ketty, die seine Hand nicht losgelassen hatte, zog ihn nach sich auf eine düstere Wendeltreppe, und öffnete eine Thüre, nachdem sie etwa fünfzehn Stufen hinaufgestiegen waren.

«Tretet ein, Herr Chevalier, hier sind wir allein und können ruhig mit einander sprechen.«

«Was ist das für ein Zimmer, mein schönes Kind?«fragte d'Artagnan.»Das meinige, gnädiger Herr; es steht mit dem meiner Gebieterin durch diese Thüre in Verbindung. Aber seid ohne Sorgen, sie kann nicht hören, was wir sprechen, da sie sich nie vor Mitternacht schlafen legt.«

D'Artagnan ließ seine Blicke umherschweifen. Das kleine Zimmer war reizend, sowohl was den Geschmack, als was die Reinlichkeit betraf, aber unwillkürlich hefteten sich seine Augen auf die Thüre, von der ihm Ketty gesagt hatte, sie führe nach dem Zimmer von Mylady.

Ketty erriet, was in der Seele des jungen Mannes vorging, und seufzte.

«Ihr liebt also meine Gebieterin sehr, Herr Chevalier?«fragte sie.

«Ich weiß nicht, ob ich sie wahrhaft liebe, ich weiß nur, daß ich wahnsinnig in sie verliebt bin.«

Ketty stieß einen zweiten Seufzer aus.

«Ach! mein Herr, das ist schade.«

«Was Teufels siehst Du denn darin so Unangenehmes?«

«Ich meine, weil meine Gebieterin Euch gar nicht liebt.«

«Wie!«rief d'Artagnan,»sollte sie Dich beauftragt haben, mir dies zu sagen?«

«Oh! nein, gnädiger Herr, aber ich habe aus Theilnahme für Euch den Entschluß gefaßt, es Euch kund zu thun.«

«Ich danke, meine gute Ketty, aber nur für die Absicht, denn Du wirst wohl zugeben, daß eine solche Eröffnung nicht gerade angenehm ist.«

«Das heißt, Ihr glaubt nicht an das, was ich Euch gesagt habe, nicht wahr?«

«Ich gestehe, daß ich, bis Du mir irgend einen Beweis für Deine Behauptung zu geben vermagst…«

«Was sagt Ihr zu diesem?«

Ketty zog aus ihrem Busen ein kleines Billet ohne Aufschrift hervor.

«Für mich?«rief d'Artagnan, sich rasch des Briefchens bemächtigend, und mit der Geschwindigkeit eines Gedankens zerriß er den Umschlag, trotz des Geschreies, das Ketty erhob, als sie sah, was er thun wollte, oder vielmehr, was er that.

«Ach! mein Gott! Herr Chevalier, was macht Ihr da?«sprach sie.

«Ei! bei Gott, «erwiderte d'Artagnan,»muß ich nicht von dem, was an mich gerichtet ist, Kenntniß nehmen?«Und er las:»Ihr habt auf mein erstes Billet nicht geantwortet: seid Ihr leidend, oder habt Ihr vergessen, mit welchen Augen Ihr mich auf dem Ball der Frau von Guise ansahst? Die Gelegenheit ist da, Graf, laßt sie nicht entschlüpfen.«

D'Artagnan erbleichte, er war in seiner Eigenliebe verletzt, er glaubte sich in seiner Liebe verwundet.

«Dieses Billet ist nicht für mich!«rief er. — »Nein es ist für einen Andern; Ihr habt mir nicht Zeit gelassen, dies Euch zu sagen.«—»Für einen Andern! sein Name! sein Name!«rief d'Artagnan wüthend. — »Für den Grafen von Wardes.«

Die Erinnerung an die Scene in Saint-Germain trat plötzlich wieder vor den Geist des anmaßenden Gascogners und bestätigte die Eröffnung Ketty's.

«Armer, lieber Herr d'Artagnan, «sprach diese in einem Tone voll Mitleids und drückte dem jungen Manne abermals die Hand. — »Du beklagst mich, gute Kleine, «sagte d'Artagnan.»Oh! ja, von ganzem Herzen, denn ich weiß, was Liebe heißt.«—»Du weißt, was Liebe heißt?«fragte d'Artagnan und schaute sie zum ersten Male mit einer gewissen Aufmerksamkeit an. — »Ach! ja.«—»Nun wohl! dann würdest Du, statt mich zu beklagen, viel besser daran thun, mir zu meiner Rache an Deiner Gebieterin zu verhelfen.«—»Und was für eine Rache wollt Ihr nehmen?«—»Meinen Nebenbuhler aus seiner Stelle verdrängen.«—»Dazu werde ich Euch nie behülflich sein, Herr Chevalier, «erwiderte Ketty lebhaft. — »Und warum nicht?«—»Aus zwei Gründen.«—»Aus welchen?«—»Erstens, weil meine Gebieterin Euch nie lieben wird.«—»Weißt Du dies?«—»Ihr habt sie in ihrem Innersten verletzt.«—»In welcher Beziehung kann ich sie verletzt haben, da ich doch, seit ich sie kenne, wie ein Sklave zu ihren Füßen liege? Sprich, ich bitte Dich.«—»Ich werde dieß nur dem Manne gestehen… der in der Tiefe meines Herzens zu lesen vermag.«

D'Artagnan schaute Ketty zum zweiten Male an. Das junge Mädchen war von einer Frische und Schönheit, wofür manche Herzogin ihre Krone gegeben hätte.

«Ketty, ich werde in der Tiefe Deines Herzens lesen, darüber beruhige Dich, mein liebes Kind; aber sprich.«

«O! nein, «rief Ketty,»Ihr liebt mich nicht, Ihr liebt meine Gebieterin; das habt Ihr mir soeben gesagt.«

«Und das hält Dich ab, mir den zweiten Grund zu nennen?«

«Der zweite Grund, mein Herr Chevalier, «sprach Ketty, durch den Ausdruck der Augen des jungen Mannes ermuthigt!» der zweite Grund heißt: in der Liebe sorgt jedes für sich.«

Jetzt erinnerte sich d'Artagnan der schmachtenden Blicke Kettys, ihres Lächelns und ihrer unterdrückten Seufzer, so oft er ihr begegnete; aber ganz und gar von dem Verlangen beseelt, der vornehmen Dame zu gefallen, hatte er die Zofe verachtet: wer den Adler jagt, kümmert sich nicht um den Sperling.

Aber diesmal begriff unser Gascogner blitzschnell, welchen Nutzen man aus dieser Liebe ziehen konnte, die ihm Ketty auf eine so naive Weise zugestanden hatte — Auffangung der an den Grafen von Wardes gerichteten Briefe, Einverständniß am Platze, Eintritt zu jeder Stunde durch Kettys Zimmer, welches an das ihrer Gebieterin stieß. Der Treulose opferte, wie man sieht, bereits in Gedanken das arme Mädchen der vornehmen Dame auf.

Es schlug Mitternacht und man hörte beinahe um dieselbe Zeit das Glöckchen in Myladys Zimmer ertönen.

«Großer Gott!«rief Ketty,»meine Herrin ruft, geht, geht geschwind.«

D'Artagnan stand auf, nahm seinen Hut, als ob er zu gehorchen beabsichtigte, öffnete aber rasch statt der Treppenthüre die Thüre eines großen Schrankes und kauerte sich mitten unter die Kleider und Mäntel von Mylady hinein.

«Was macht Ihr denn?«rief Ketty.

D'Artagnan, der zum Voraus den Schlüssel genommen hatte, schloß sich in seinen Schrank ein, ohne zu antworten.

«Nun!«rief Mylady mit scharfer Stimme,»schläfst Du, daß Du nicht kommst, wenn ich läute?«

D'Artagnan hörte, daß die Verbindungsthüre heftig geöffnet wurde.

«Hier bin ich, Mylady, hier bin ich!«rief Ketty ihrer Gebieterin entgegenlaufend.

Alle Beide traten in das Schlafzimmer ein und da die Thüre offen blieb, konnte d'Artagnan noch einige Zeit hören, wie Mylady ihre Kammerjungfer auszankte; endlich beruhigte sie sich, und es kam auf ihn die Rede, während Ketty ihre Gebieterin bediente.

«Ei!«sagte Mylady,»ich habe unsern Gascogner diesen Abend nicht gesehen.«—»Wie, Madame, «sprach Ketty,»er ist nicht gekommen! Sollte er flatterhaft sein, ehe er glücklich gewesen ist?«—»Oh! nein, Herr von Treville, oder Herr des Essarts werden ihn abgehalten haben. Ich verstehe mich darauf, Ketty, diesen halte ich fest.«—»Was wird die gnädige Frau mit ihm machen?«—»Was ich mit ihm machen werde? sei unbesorgt, Ketty; zwischen diesem Menschen und mir liegt ein Ding, das er nicht kennt. Er hat mich beinahe um meinen Kredit bei Sr. Eminenz gebracht. O! ich werde mich rächen.«—»Ich glaubte, die gnädige Frau liebe ihn?«—»Ich, ihn lieben! ich verabscheue ihn. Ein Einfaltspinsel, der das Leben von Lord Winter in den Händen hat, ihn nicht tötet und mir dadurch einen Verlust von dreimal hunderttausend Livres Rente zuzieht.«—»Das ist richtig, «sagte Ketty.»Euer Sohn wäre der einzige Erbe seines Oheims, und bis zu seiner Volljährigkeit hättet Ihr die Nutznießung seines Vermögens gehabt.«

D'Artagnan schauerte bis in das Mark seiner Knochen, als er hörte, wie ihm dieses liebreizende Geschöpf, mit der scharfen Stimme, die sie nur mit größter Mühe im Gespräch zu verbergen vermochte, vorwarf, daß er einen Mann nicht getötet habe, den sie, wie er selbst gesehen hatte, mit Freundschaftsbeweisen überhäufte.

«Auch hätte ich mich bereits an ihm gerächt, «fuhr Mylady fort,»wenn mir nicht der Kardinal, ich weiß nicht aus welchem Grunde, befohlen hätte, ihn zu schonen.«

«Oh! ja, aber Madame hat die kleine Frau nicht geschont, die er liebte.«

«Ah! die Krämerin aus der Rue des Fossoyeurs! hat er nicht bereits vergessen, daß sie lebte? eine schöne Rache, meiner Treu!«

Der kalte Schweiß lief d'Artagnan von der Stirne: dieses Weib war ein Ungeheuer.

Er horchte wieder, aber leider war die Toilette beendigt.

«Gut, «sprach Mylady,»geh in Dein Zimmer, und suche morgen eine Antwort auf den Brief zu bekommen, den ich Dir gegeben habe.«

«Für Herrn von Wardes?«fragte Ketty.

«Allerdings.«

«Das ist ein Mann, «sprach Ketty,»der mir vorkommt, als wäre er gerade das Gegentheil von dem armen Herrn d'Artagnan.«

«Geht, Mademoiselle, «sagte Mylady,»ich liebe die Kommentare nicht.«

D'Artagnan hörte die Thüre zumachen, dann vernahm er das Geräusch von zwei Riegeln, welche Mylady vorschob, um sich in ihrem Zimmer einzuschließen. Ketty drehte auf ihrer Seite, aber so sachte als möglich, den Schlüssel einmal um. Dann stieß d'Artagnan die Thüre des Schrankes auf.

«Oh! mein Gott!«sprach Ketty mit gedämpfter Stimme,»was habt Ihr denn und wie bleich seht Ihr aus!«

«Das abscheuliche Geschöpf!«murmelte d'Artagnan.

«Stille! stille! kommt heraus; es ist nur eine dünne Scheidewand zwischen meinem Zimmer und dem von Mylady; man hört in dem einen ganz genau, was in dem andern gesprochen wird.«

«Schon gut; aber ich gehe nicht eher heraus, als bis Du mir gesagt hast, was aus Madame Bonacieux geworden ist.«

Das arme Mädchen schwur d'Artagnan auf das Krucifix, daß sie es nicht wisse, da ihre Gebieterin ihre Geheimnisse nie mehr als zur Hälfte durchdringen lasse. Nur glaube sie dafür stehen zu können, daß sie nicht tot sei.

Was die Ursache betraf, aus der Mylady beinahe ihren Kredit bei dem Kardinal verloren hatte, so wußte Ketty auch hievon nicht mehr. Aber diesmal war d'Artagnan besser eingeweiht, als sie. Da er Mylady in dem Augenblick, wo er selbst England verließ, auf einem konsignirten Schiffe gesehen hatte, so vermuthete er, daß von den diamantenen Nestelstiften die Rede war.

Am klarsten trat bei Allem hervor, daß der wahre, tiefe und eingefleischte Haß Myladys gegen ihn davon herrührte, daß er ihren Schwager nicht getötet hatte.

D'Artagnan kehrte am andern Tag zu Mylady zurück. Sie war sehr übler Laune. D'Artagnan begriff, daß das Ausbleiben des Briefes ihre gereizte Stimmung veranlaßt hatte. Ketty trat ein, wurde aber äußerst hart von Mylady behandelt. Ein Blick, den sie d'Artagnan zuwarf, wollte sagen:»Ihr seht, wie ich um Euretwillen leide.«

Doch am Ende des Abends besänftigte sich die schöne Löwin; sie hörte lächelnd die zärtlichen Worte d'Artagnan's und gab ihm sogar die Hand zu küssen.

Als d'Artagnan sich entfernte, wußte er nicht mehr, was er denken sollte; da er aber ein Gascogner war, den man nicht so leicht den Kopf verlieren machte, so ersann er in seinem Innern ein Plänchen.

Er fand Ketty an der Thüre und ging wie am vorhergehenden Tage mit ihr hinauf, um Neuigkeiten von ihr zu erfahren. Ketty war viel gescholten worden; man hatte sie der Nachlässigkeit beschuldigt. Mylady konnte das Stillschweigen des Grafen von Wardes gar nicht begreifen und sie hatte ihr befohlen, am Morgen um neun Uhr in ihrem Schlafzimmer zu erscheinen, um ihre Aufträge zu vernehmen.

D'Artagnan ließ sich von Ketty das Versprechen geben, am andern Tage in seine Wohnung zu kommen, um ihm den Inhalt dieser Befehle mitzutheilen. Die Arme versprach alles, was d'Artagnan haben wollte; sie liebte wahnsinnig.

Um elf Uhr sah er Ketty kommen. Sie hielt ein neues Billet von Mylady in der Hand. Diesmal suchte es das arme Kind d'Artagnan nicht einmal streitig zu machen und ließ ihn gewähren. Sie gehörte mit Leib und Seele dem schönen Soldaten.

D'Artagnan öffnete dieses zweite Billet, das ebenfalls weder mit einer Unterschrift noch mit einer Adresse versehen war, und las, wie folgt:

«Ich schreibe Euch zum dritten Male, um Euch zu sagen, daß ich Euch liebe. Hütet Euch, daß ich Euch nicht zum vierten Male schreibe, um Euch zu sagen, daß ich Euch hasse.«

D'Artagnan wurde wiederholt blaß und roth, während er dieses Billet las.

«Oh! Ihr liebt sie immer noch!«sprach Ketty, die nicht einen Moment die Augen von dem Gesicht des jungen Mannes abgewandt hatte.

«Nein, Ketty, Du täuschest Dich; ich liebe sie nicht mehr, aber ich will mich für ihre Verachtung rächen.«

Ketty seufzte.

D'Artagnan nahm eine Feder und schrieb:

«Madame, bis jetzt habe ich gezweifelt, ob Eure beiden ersten Billets auch gewiß an mich gerichtet wären, so sehr wähnte ich mich einer solchen Ehre unwürdig.

«Heute aber muß ich an das Uebermaß Eurer Güte glauben, weil nicht nur Euer Brief, sondern auch Euere Kammerfrau mir die Versicherung geben, daß ich das Glück habe, von Euch geliebt zu werden.

«Ich werde heute Abend um elf Uhr meine Verzeihung erflehen. Einen Tag länger zögern, wäre jetzt in meinen Augen eine neue Beleidigung.

«Derjenige, welchen Ihr zum glücklichsten Sterblichen macht.«

Dieses Billet war nicht gerade eine Fälschung — d'Artagnan unterzeichnete es nicht — aber es war eine Unzartheit, es war sogar, aus dem Gesichtspunkte unserer gegenwärtigen Sitten betrachtet, etwas wie eine Schändlichkeit; man machte sich in jener Zeit weniger Bedenken, als gegenwärtig. Ueberdieß wußte d'Artagnan durch das eigene Geständniß von Mylady, daß sie des Verraths an wichtigeren Häuptern schuldig war, und er hegte nur eine sehr geringe Achtung vor ihr.

Auch hatte er sich an ihr wegen ihrer Koketterie gegen ihn und wegen ihres Benehmens gegen Madame Bonacieux zu rächen.

D'Artagnans Plan war ganz einfach. Durch Ketty's Zimmer gelangte er in das ihrer Gebieterin. Er beschämte die Treulose, er drohte, sie durch öffentlichen Skandal zu kompromittiren, und erhielt von ihr durch den Schrecken alle Auskunft, die er über Constance's Schicksal zu haben wünschte. Vielleicht konnte sogar die Freiheit der hübschen Krämerin das Resultat dieser Zusammenkunft sein.

«Hier, «sprach der junge Mann und stellte Ketty das Billet ganz versiegelt zu,»gib diesen Brief Mylady; es ist die Antwort des Herrn von Wardes.«

Die arme Ketty wurde bleich wie der Tod; sie vermuthete, was das Billet enthielt.

«Höre, mein liebes Kind, «sagte d'Artagnan zu ihr,»Du begreifst, daß Alles dies auf die eine oder auf die andere Weise endigen muß; Mylady kann entdecken, daß Du das erste Billet meinem Bedienten übergeben hast, statt es dem Bedienten des Grafen einzuhändigen und daß ich die anderen entsiegelt habe, welche Herr von Wardes entsiegeln sollte. Dann wird Dich Mylady fortjagen, und Du kennst sie, sie ist nicht die Frau, ihre Rache hierauf zu beschränken.«

«Ach, «rief Ketty,»wofür habe ich mich Allem dem ausgesetzt!«

«Für mich, ich weiß es wohl, meine Schönste, «sagte der junge Mann;»auch bin ich Dir in hohem Maße dankbar, das schwöre ich.«

«Aber was enthält denn Euer Billet?«

«Mylady wird es Dir sagen.«

«Ach, Ihr liebt mich nicht!«rief Ketty,»und ich bin sehr unglücklich!«

Ketty weinte sehr, ehe sie sich entschloß, diesen Brief Mylady zu übergeben; aber endlich entschloß sie sich dennoch aus Ergebenheit für den jungen Musketier, und das war Alles, was d'Artagnan in diesem Augenblick wollte.

VI. Worin von der Equipirung von Aramis und Porthos die Rede ist

Seitdem jeder der vier Freunde seiner Equipirung nachjagte, fand keine bestimmte Zusammenkunft mehr unter ihnen statt; die Einen speisten ohne die Andern, wo man sich traf, oder vielmehr man traf sich, wo man konnte. Der Dienst nahm auch einen Theil der so schnell verrinnenden Zeit weg. Nur hatte man sich verabredet, einmal wöchentlich gegen ein Uhr bei Athos zusammen zu kommen, weil der letztere seinem Schwure getreu nicht mehr über seine Thürschwelle ging.

Gerade der Tag, an welchem Ketty d'Artagnan aufgesucht hatte, war auch der Tag der Zusammenkunft. Kaum hatte Ketty das Haus verlassen, als sich d'Artagnan nach der Rue Ferou wandte.

Er fand Athos und Aramis, welche philosophirten. Aramis war halb Willens, zu der Sutane zurückzukehren. Athos rieth ihm, seiner Gewohnheit gemäß, weder ab, noch ermuthigte er ihn dazu. Athos war dafür, Jedem seinen freien Willen zu lassen. Er gab nur Rathschläge, die man von ihm forderte, und man mußte sie zweimal fordern.

«Im Allgemeinen fordert man Rathschläge nur, «sagte er,»um sie nicht zu befolgen, oder wenn man sie befolgt, um Jemand zu haben, dem man einen Vorwurf daraus machen kann, daß er sie gegeben.«

Porthos kam einen Augenblick nach d'Artagnan. Die Versammlung der vier Freunde war also vollzählig.

Die vier Gesichter drückten vier verschiedene Gefühle aus: das von Porthos Ruhe, das von d'Artagnan Hoffnung, das von Aramis Unruhe, das von Athos Sorglosigkeit.

Nach einem kurzen Gespräch, in welchem Porthos durchblicken ließ, eine sehr hochgestellte Person wolle es gütigst übernehmen, ihn aus der Verlegenheit zu ziehen, trat Mousqueton ein. Er bat Porthos, in seine Wohnung zu kommen, wo, wie er mit sehr kläglicher Miene sagte, seine Gegenwart dringend nothwendig sei.

«Betrifft es meine Equipirung?«fragte Porthos. — »Ja und nein, «antwortete Mousqueton. — »Aber was willst Du denn?…«—»Kommt, gnädiger Herr!«

Porthos stand auf, grüßte seine Freunde und folgte Mousqueton.

Einen Augenblick später erschien Bazin auf der Thürschwelle.

«Was willst Du von mir, mein Freund?«sagte Aramis mit jener Weichheit der Sprache, die man jedes Mal bei ihm bemerkte, so oft ihn seine Gedanken zu der Kirche zurückführten. — »Ein Mann erwartet den gnädigen Herrn zu Hause, «antwortete Bazin. — »Ein Mann! was für ein Mann?«—»Ein Bettler.«—»Gib ihm ein Almosen, Bazin, und sage ihm, er möge für einen armen Sünder beten.«—»Dieser Bettler will mit aller Gewalt Euch sprechen, und behauptet, Ihr würdet sehr erfreut sein, ihn zu sehen.«—»Hat er nichts Besonderes für mich?«—»Allerdings.«»»Wenn Herr Aramis,««sagte er,»»mich nicht sogleich aufsuchen will, so meldet ihm, ich komme von Tours.««—»Von Tours? ich gehe!«rief Aramis.»Meine Herren, ich bitte tausendmal um Vergebung, aber ohne Zweifel bringt mir dieser Mensch Nachrichten, welche ich erwarte. «So sprechend stand er auf und entfernte sich rasch.

Es blieben noch Athos und d'Artagnan.

«Ich glaube, daß diese Spitzbuben ihre Sachen gefunden haben. Was denkt Ihr davon, d'Artagnan?«sagte Athos.

«Ich weiß, daß Porthos im schönsten Zug ist, «erwiderte d'Artagnan,»und in Bezug auf Aramis bin ich in der That nie ernstlich in Unruhe gewesen. Aber Ihr, mein lieber Athos, der Ihr so edelmüthig die Pistolen des Engländers ausgetheilt habt, die Euch von Rechts wegen zukamen, was gedenkt Ihr zu thun?«

«Ich bin sehr froh, daß ich diesen Schurken getötet habe, da er die alberne Neugierde hatte, meinen wahren Namen erfahren zu wollen; aber wenn ich seine Pistolen eingesackt hätte, so würden sie mich drücken, wie ein Gewissensbiß.«

«Ei, ei, mein lieber Athos, Ihr habt ein wahrhaft unbegreifliches Zartgefühl.«

«Lassen wir das! Apropos, Herr von Treville, der mich gestern mit seinem Besuch beehrte, sagte mir, daß Ihr sehr häufig die verdächtigen Engländer besuchet, welche der Kardinal beschützt.«

«Das heißt, daß ich einer Engländerin meinen Besuch mache, derjenigen, von welcher ich mit Euch gesprochen habe.«

«Ah, ja, die blonde Frau, in Bezug auf welche ich Euch Rathschläge gab, die Ihr natürlich nicht befolgt habt.«

«Ich habe Euch meine Gründe genannt. Ich bin jetzt fest überzeugt, daß diese Dame bei der Entführung der Frau Bonacieux mitgewirkt hat.«

«Ja, und ich begreife, daß Ihr, um eine Frau aufzufinden, einer andern den Hof macht. Das ist der längste Weg, aber der unterhaltendste.«

Wir wollen die zwei Freunde, die sich nichts Wichtiges zu sagen hatten, verlassen, um Aramis zu folgen.

Wir haben gesehen, mit welcher Geschwindigkeit der junge Mann, bei der Nachricht, daß sein Unbekannter von Tours komme, Bazin folgte, oder vielmehr ihm vorauslief. Er machte gleichsam nur einen Sprung von der Rue Ferou nach der Rue Vaugirard.

Beim Eintritt in seine Wohnung fand er wirklich einen Mann von kleinem Wuchs und gescheidten Augen, aber mit Lumpen bedeckt.

«Ihr verlangt nach mir, «sagte der Musketier. — »Das heißt, ich verlange nach Herrn Aramis. Heißt Ihr so?«—»Allerdings. Habt Ihr mir etwas zu übergeben?«—»Ja, wenn Ihr mir ein gewisses gesticktes Taschentuch zeigt.«—»Hier ist es, «sprach Aramis, indem er einen Schlüssel aus der Brust zog und ein kleines, mit Perlmutter inkrustirtes Kistchen von Ebenholz öffnete,»seht, hier ist es.«—»Gut, «sprach der Bettler,»schickt Euren Bedienten weg.«

Bazin hatte wirklich, um zu erfahren, was der Bettler von seinem Herrn wollte, gleichen Schritt mit ihm gehalten und war beinahe zugleich mit ihm angekommen. Aber diese Geschwindigkeit nützte ihn nicht sehr viel. Auf diese Aufforderung des Bettlers gab ihm sein Herr ein Zeichen, sich zu entfernen, und er mußte gehorchen.

Sobald Bazin sich entfernt hatte, warf der Bettler einen raschen Blick umher, um sich zu versichern, daß ihn Niemand hören oder sehen konnte, öffnete seine mit einem ledernen Gürtel nur schlecht verschlossene, zerlumpte Überweste, und fing an, sein Wamms oben aufzutrennen, aus dem er einen Brief hervorzog.

Aramis stieß ein Freudengeschrei bei dem Anblick des Siegels aus und öffnete mit beinahe religiöser Ehrfurcht den Brief, welcher Folgendes enthielt:

«Freund! das Schicksal will, daß wir noch einige Zeit getrennt sein sollen; aber die schönen Tage der Jugend sind nicht unwiederbringlich verloren. Thut Eure Pflicht im Felde, ich thue die meinige anderswo. Nehmt, was der Ueberbringer Euch zustellen wird. Macht den Feldzug als schöner und braver Edelmann mit, und denkt an mich. Adieu, oder vielmehr auf Wiedersehen!«

Der Bettler trennte immer noch auf. Er zog aus seinen schmutzigen Kleidern hundert und fünfzig Doppelpistolen hervor, die er auf dem Tisch an einander reihte; dann öffnete er die Thüre, grüßte und ging ab, ohne daß der erstaunte junge Mann ihm ein Wort hatte sagen können.

Aramis las den Brief noch einmal und bemerkte, daß derselbe eine Nachschrift hatte.

«N. S. Ihr könnt dem Ueberbringer einen guten Empfang zu Theil werden lassen. Er ist Graf und Grand von Spanien.«

«Goldene Träume!«rief Aramis,»oh! das schöne Leben! ja, wir sind jung! ja, wir werden noch schöne Tage haben! oh! Dir! Dir meine Liebe, mein Blut, mein Dasein! Alles, Alles, Alles, meine schöne Geliebte!«

Und er küßte den Brief leidenschaftlich, ohne nur das Gold anzuschauen, das auf dem Tische funkelte.

Bazin kratzte an der Thüre, Aramis hatte keine Ursache mehr ihn entfernt zu halten, und erlaubte ihm einzutreten.

Bazin blieb beim Anblick des Goldes ganz erstaunt stehen und vergaß d'Artagnan zu melden, der aus Neugierde in Betreff des Bettlers zu Aramis kam, nachdem er Athos verlassen hatte.

Da sich aber d'Artagnan bei Aramis keinen Zwang anthat, so meldete er sich selbst, als er sah, daß ihn Bazin vergaß.

«Ah, Teufel, mein lieber Aramis, «sprach d'Artagnan,»wenn das die Pflaumen sind, die man Euch von Tours schickt, so macht dem Gärtner, der sie pflanzt, mein Kompliment.«

«Ihr täuscht Euch, mein Lieber, «erwiderte der allzeit verschwiegene Aramis.»Mein Buchhändler hat mir so eben das Honorar für das Gedicht in einsilbigen Versen geschickt, das ich da unten angefangen habe.«

«Ah, wahrhaftig?«rief d'Artagnan.»Nun wohl! Euer Buchhändler ist splendid, mein lieber Aramis; das ist Alles, was ich sagen kann.«

«Wie, gnädiger Herr, «rief Bazin,»ein Gedicht wird so hoch bezahlt? Das ist unglaublich! Oh, gnädiger Herr! Ihr macht Alles, was Ihr wollt, Ihr könnt es noch so weit bringen, wie Herr Voiture und Herr von Benserade.«

«Bazin, mein Freund, «sagte Aramis,»ich glaube, Du mischest Dich in das Gespräch.«

Bazin begriff, daß er Unrecht hatte, senkte den Kopf und trat ab.

«Wie?«sprach d'Artagnan lächelnd.»Ihr laßt Euch Eure Erzeugnisse mit Gold aufwiegen? Ihr seid sehr glücklich, mein Freund! Aber nehmt Euch in Acht, Ihr verliert den Brief, der aus Eurer Kasake hervorsieht und ohne Zweifel auch von Eurem Buchhändler kommt.«

Aramis erröthete bis unter das Weiß der Augen, drückte seinen Brief tiefer hinein und knöpfte sein Wamms wieder zu.

«Mein lieber d'Artagnan, «sagte er,»wir wollen, wenn es Euch genehm ist, unsere Freunde aufsuchen, und da ich jetzt reich bin, heute wieder anfangen mit einander zu diniren, bis Ihr ebenfalls reich seid.«

«Meiner Treu!«erwiderte d'Artagnan,»mit großem Vergnügen. Wir haben seit geraumer Zeit kein anständiges Mittagsmahl mehr eingenommen, und da ich, für meinen Theil, diesen Abend ein etwas gewagtes Unternehmen auszuführen habe, so wäre es mir, ehrlich gestanden, nicht unangenehm, den Kopf mit einigen Flaschen altem Burgunder zu erwärmen.«

«Es mag sein, alter Burgunder, ich hasse ihn auch nicht, «sprach Aramis, dem der Anblick des Goldes die Gedanken an Zurückgezogenheit abgestreift hatte.

Er steckte drei bis vier Doppelpistolen in seine Tasche, um den Bedürfnissen des Augenblicks zu genügen, und schloß die übrigen in das mit Perlmutter inkrustirte Kistchen von Ebenholz, worin das bereits bekannte Taschentuch lag, das ihm als Talisman gedient hatte.

Die zwei Freunde begaben sich zuerst zu Athos, der es, getreu seinem Schwur nicht auszugehen, übernahm, das Mittagbrod in seine Wohnung bringen zu lassen. Da er sich sehr gut auf die gastronomischen Einzelheiten verstand, so machten d'Artagnan und Aramis keine Schwierigkeit, ihm diese wichtige Sorge zu überlassen.

Sie waren auf dem Wege zu Porthos, als sie an der Ecke der Rue du Bac Mousqueton begegneten, der mit kläglicher Miene ein Maulthier und ein Pferd vor sich hertrieb.

D'Artagnan stieß einen Schrei des Erstaunens aus, dem es nicht an einer Beimischung von Freude fehlte.

«Ah! mein gelbes Pferd!«rief er,»seht dieses Pferd an!«

«Oh! die abscheuliche Mähre!«sagte Aramis.

«Was wollt Ihr, mein Lieber, «versetzte d'Artagnan,»das ist das Pferd, auf welchem ich nach Paris gekommen bin.«

«Wie, der gnädige Herr kennt dieses Pferd?«sprach Mousqueton.

«Es hat eine ganz originelle Farbe, «rief Aramis,»es ist das einzige, das ich mit einer solchen Haut gesehen habe.«

«Ich glaube wohl!«sagte d'Artagnan,»ich habe es auch um drei Thaler verkauft, und das muß der Haut wegen gewesen sein, denn das Gerippe ist sicherlich keine achtzehn Livres werth. Aber wie kommt dieses Pferd in Deine Hände, Mousqueton?«

«Oh! sprecht mir nicht hievon, gnädiger Herr, «erwiderte der Bediente,»das ist ein abscheulicher Streich vom Gemahle unserer Herzogin.«

«Wie so, Mousqueton?«

«Ja, wir sind sehr wohl gelitten bei einer Frau von hohem Stande, bei der Herzogin von… Doch um Vergebung, mein Herr hat mir Verschwiegenheit empfohlen. Sie hatte uns genöthigt, ein kleines Andenken, ein spanisches Roß und ein andalusisches Maulthier anzunehmen, und Beides war herrlich anzuschauen. Der Gemahl erfuhr die Sache, konfiscirte unterwegs die zwei prächtigen Thiers, die man uns schickte, und vertauschte sie mit diesen abscheulichen Bestien.«

«Die Du ihm zurückbringst?«

«Natürlich, «antwortete Mousqueton.»Ihr begreift, daß wir keine solchen Thiere für diejenigen annehmen können, welche uns versprochen waren.«

«Nein, bei Gott! obgleich ich Porthos gerne auf meinem gelben Pferde gesehen haben möchte. Das hätte mir eine Idee davon gegeben, wie ich aussah, als ich nach Paris kam. Aber wir wollen Dich nicht aufhalten, Mousqueton; geh und besorge den Auftrag Deines Herrn. Ist er zu Hause?«

«Ja, gnädiger Herr; aber in sehr verdrießlicher Laune, «sprach Mousqueton.

Und er setzte seinen Weg nach dem Quai des Grands-Augustins fort, während die zwei Freunde an der Thüre des unglücklichen Porthos läuteten. Dieser hatte sie durch den Hof schreiten sehen, und war nicht Willens zu öffnen. Sie klopften also vergebens.

Mousqueton aber trieb seine zwei Mähren vor sich her über den Pont Neuf und erreichte die Rue aux Ours. Hier angelangt, band er, nach dem Befehle seines Herrn, Pferd und Maulthier an den Thürklopfer des Procurators und kehrte sodann, ohne sich um ihr ferneres Schicksal zu bekümmern, zu seinem Herrn zurück, um diesem zu melden, daß sein Auftrag vollzogen sei.

Nach einiger Zeit machten die unglücklichen Thiers, die seit dem Morgen nichts gefressen hatten, dadurch, daß sie den Klopfer aufhoben und wieder fallen ließen, einen solchen Lärm, daß der Procurator seinem Gassenjungen befahl, sich in der Nachbarschaft zu erkundigen, wem das Pferd und das Maulthier gehörten.

Madame Coquenard erkannte ihr Geschenk und konnte Anfangs diese Zurücksendung gar nicht begreifen; aber bald bekam sie Licht durch den Besuch des Musketiers. Der Zorn, der in seinen Augen funkelte, obschon er an sich zu halten suchte, erschreckte die empfindsame Liebende. Mousqueton hatte seinem Herrn wirklich nicht verborgen, daß er d'Artagnan und Aramis begegnet war, und daß d'Artagnan in dem gelben Pferde die Bearner Mähre erkannt, auf der er nach Paris gekommen war und die er sodann um drei Thaler verkauft hatte.

Porthos entfernte sich, nachdem er der Procuratorin im Kloster Saint-Magloire Rendezvous gegeben hatte. Als der Procurator Porthos gehen sah, lud er ihn zum Mittagessen ein, der Musketier aber schlug diese Einladung mit einer Miene voll Majestät aus.

Madame Coquenard begab sich ganz zitternd nach dem Kloster Saint-Magloire, denn sie ahnte die Vorwürfe, die ihrer harrten, aber sie wurde gänzlich geblendet durch die großartigen Manieren von Porthos.

Alles was ein in seiner Eitelkeit verletzter Mensch von Verwünschungen und Vorwürfen auf das Haupt einer Frau herabströmen lassen kann, ließ Porthos auf das gebeugte Haupt der Procuratorin strömen.

«Ach! ich glaubte äußerst klug zu Werke zu gehen, «sagte sie.»Einer von unsern Kunden ist Pferdehändler; er war der Schreibstube Geld schuldig und zeigte sich hartnäckig; ich nahm das Maulthier und das Pferd für das, was wir von ihm zu fordern hatten. Er versprach mir zwei königliche Thiere.«

«Wohl! Madame, «erwiderte Porthos,»wenn er Euch mehr als fünf Thaler schuldig war, so ist Euer Pferdehändler ein Dieb.«

«Es ist nicht verboten, das Wohlfeile zu suchen, Herr Porthos, «entgegnete die Procuratorsfrau, sich entschuldigend.

«Nein, Madame, aber diejenigen, welche das Wohlfeile suchen, müssen Anderen erlauben, sich nach edelmüthigeren Freunden umzusehen.«

Hierauf wandte sich Porthos auf den Absätzen und machte einen Schritt um sich zu entfernen.

«Herr Porthos! Herr Porthos!«rief die Procuratorin,»ich habe Unrecht, ich erkenne es; ich hätte nicht feilschen sollen, da es sich darum handelte, einen Cavalier, wie Ihr seid, zu equipiren.«

Porthos machte, ohne zu antworten, einen zweiten Schritt zum Rückzug.

Die Procuratorin glaubte ihn in einer glänzenden Wolke zu erblicken, umgeben von lauter Herzoginnen uns Marquisen, die ihm Säcke voll Gold vor die Füße warfen.

«Bleibt doch um's Himmels willen, Herr Porthos!«rief sie,»bleibt und laßt mit Euch sprechen.«—»Mit Euch sprechen bringt mir Unglück, «entgegnete Porthos.«—»Sagt mir doch, was wünscht Ihr?«—»Nichts; denn das kommt gerade auf dasselbe heraus, als wenn ich etwas wünschen würde.«

Die Procuratorin hing sich Porthos an den Arm und rief in überströmendem Schmerz:

«Herr Porthos, ich bin unwissend in allen diesen Dingen. Weiß ich, was ein Pferd ist! Weiß ich, was Equipirung heißt?«—»Dann müßt Ihr Euch an mich halten, der ich mich darauf verstehe; aber Ihr wolltet sparen und folglich auf Wucher leihen.«—»Das war Unrecht von mir, Herr Porthos, und ich werde es auf mein Ehrenwort wieder gut machen.«—»Und wie dies?«fragte der Musketier. — »Hört. Diesen Abend geht Coquenard zu dem Herrn Herzog von Chaulnes, der ihn hat rufen lassen. Es findet eine Berathung statt, welche wenigstens zwei Stunden dauert. Kommt zu mir, wir werden allein sein und unsere Angelegenheiten ordnen.«—»Gut. Das heiße ich vernünftig sprechen, meine Liebe.«—»Ihr verzeiht mir?«—»Wir werden sehen, «erwiderte Porthos majestätisch.

Und sie trennten sich nach wiederholtem:»Diesen Abend also.«

«Teufel!«dachte Porthos auf dem Rückweg,»es scheint mir, ich komme dem Geldkasten des Herrn Coquenard immer näher.

VII. Bei Nacht sind alle Katzen grau

Der so ungeduldig von Porthos und von d'Artagnan erwartete Abend kam.

D'Artagnan fand sich wie gewöhnlich gegen neun Uhr bei Mylady ein. Er traf sie in der angenehmsten Laune, nie hatte sie ihn so gut empfangen. Unser Gascogner sah auf den ersten Blick, daß Ketty ihrer Gebieterin das vermeintliche Billet des Grafen von Wardes zugestellt hatte, und daß dieses Billet seine Wirkung hervorbrachte.

Ketty trat ein, um Sorbets zu reichen. Ihre Gebieterin machte ihr die freundlichste Miene, lächelte ihr auf das Anmuthigste zu; aber die Arme war so traurig über die Anwesenheit d'Artagnans bei Mylady, daß sie das Wohlwollen der letzteren gar nicht gewahr wurde.

D'Artagnan schaute die zwei Frauen nach einander an und mußte sich gestehen, daß sich die Natur bei ihrer Hervorbringung getäuscht hatte; der vornehmen Dame hatte sie eine giftige, treulose Seele, der Zofe ein liebendes, treues Herz gegeben.

Um zehn Uhr fing Mylady an, unruhig zu scheinen; d'Artagnan errieth ihre Gedanken sehr wohl; sie schaute auf die Uhr, erhob sich, setzte sich wieder und lächelte d'Artagnan mit einer Miene zu, als wollte sie sagen;»Ihr seid allerdings liebenswürdig, aber Ihr wäret allerliebst, wenn Ihr Euch entferntet.«

D'Artagnan stand auf und nahm seinen Hut; Mylady reichte ihm die Hand zum Kusse. Der junge Mann fühlte, daß sie ihm seine Hand drückte, und begriff, daß er diese Gunst einem Gefühl, nicht der Koketterie, sondern der Dankbarkeit für seinen Aufbruch verdankte.

«Sie liebt ihn wahnsinnig!«murmelte er.

Diesmal erwartete ihn Ketty weder im Vorzimmer, noch auf der Flur, noch im Thorweg. D'Artagnan mußte ganz allein die Treppe und das kleine Zimmer finden.

Ketty hatte an einem Tisch sitzend das Gesicht in den Händen verborgen und weinte.

Sie hörte d'Artagnan eintreten, aber sie hob den Kopf nicht in die Höhe. Der junge Mann näherte sich ihr und nahm sie bei der Hand; dann brach sie in ein Schluchzen aus.

Mylady hatte, wie d'Artagnan voraussetzte, als sie den Brief erhielt, den sie für eine Antwort des Grafen von Wardes hielt, im Uebermaß der Freude der Zofe alles gesagt und ihr als Belohnung für die Art und Weise, wie sie sich ihres Auftrags entledigt, eine Börse geschenkt.

In ihr Zimmer zurückkehrend hatte Ketty die Börse in einen Winkel geworfen, wo sie neben drei oder vier Goldstücken, welche herausgefallen waren, offen liegen blieb.

Bei der Stimme d'Artagnans schaute das arme Mädchen endlich empor. D'Artagnan erschrack über die Veränderung in ihren Gesichtszügen; sie faltete die Hände mit flehender Miene, aber ohne daß sie ein Wort zu sprechen vermochte.

So wenig empfindsam das Herz d'Artagnans war, so fühlte er sich doch gerührt durch diesen stummen Schmerz; aber er hing zu fest an seinen Entwürfen und besonders an diesem, als daß er es hätte über sich gewinnen können, etwas an dem Programm zu verändern, das er zum Voraus gemacht hatte. Er ließ Ketty keine Hoffnung, das von ihm beschlossene kecke Unternehmen zu verhindern. Nur stellte er ihr es als das dar, was es in Wirklichkeit war, das heißt als eine einfache Rache für die Koketterie Mylady's und als das einzige Mittel, von ihr die gewünschte Auskunft über Madame Bonacieux dadurch zu erlangen, daß er sie durch Furcht vor Skandal beherrschen würde.

Dieser Plan war um so leichter ausführbar, als Mylady aus Gründen, die man sich nicht erklären konnte, die jedoch von großem Gewichte zu sein schienen, Ketty den Befehl gegeben hatte, alle Lichter in ihrem Zimmer und sogar die im Zimmer der Zofe auszulöschen.

Bald hörte man Mylady, welche in ihr Gemach zurückkehrte. D'Artagnan stürzte sogleich in den Schrank; kaum war er hineingeschlüpft, als die Glocke ertönte.

Ketty ging zu ihrer Gebieterin hinein und ließ die Thüre diesmal nicht offen, aber die Scheidewand war so dünn, daß man beinahe Alles hörte, was zwischen den zwei Frauen gesprochen wurde.

Mylady schien trunken vor Freude; sie ließ sich von Ketty die geringsten Einzelnheiten der angeblichen Zusammenkunft der Kammerjungfer mit dem Grafen von Wardes wiederholen, — wie er ihren Brief empfangen, wie er geantwortet, welchen Ausdruck sein Gesicht gezeigt habe, ob er sehr verliebt geschienen; auf alle diese Fragen antwortete die arme Ketty, welche sich keine Blöße geben durfte, mit einer erstickten Stimme, deren schmerzhaften Ton ihre Gebieterin nicht einmal bemerkte — so selbstsüchtig ist das Glück.

Als endlich die Stunde nahte, wo der Graf von Wardes erscheinen sollte, ließ Mylady in der That Alles bei sich auslöschen, und hieß Ketty in ihr Zimmer zurückkehren und den Grafen von Wardes bei ihr einführen, sobald er sich zeigen würde.

Ketty hatte nicht lange zu warten. Kaum hatte d'Artagnan durch das Schlüsselloch seines Schrankes gesehen, daß das ganze Zimmer in Finsterniß gehüllt war, so sprang er in dem Augenblick, wo Ketty die Verbindungsthüre wieder schloß, aus seinem Versteck hervor.

«Was soll dieses Geräusch bedeuten?«fragte Mylady.

«Ich bin es, «sagte d'Artagnan mit halber Stimme,»ich, der Graf von Wardes.«

«O, mein Gott, mein Gott!«murmelte Ketty,»er konnte nicht einmal die Stunde abwarten, die er selbst festgesetzt hatte.«

«Nun!«sprach Mylady mit zitternder Stimme,»warum tritt er nicht ein? Graf, Graf, Ihr wißt, daß ich Euch erwarte.«

Auf diesen Ruf schob d'Artagnan Ketty sachte bei Seite und eilte in das Zimmer von Mylady.

Müssen Wuth und Schmerz eine Seele foltern, so ist dies im höchsten Grad bei einem Liebenden der Fall, welcher unter einem Namen, der nicht ihm gehört, Liebesbetheuerungen empfängt, die seinem glücklichen Nebenbuhler gelten.

D'Artagnan befand sich in einer peinvollen Lage, die er nicht vorhergesehen hatte; die Eifersucht marterte sein Herz, und er litt beinahe so sehr, wie die arme Ketty, welche in demselben Augenblick im anstoßenden Zimmer weinte.

«Ja, Graf, «sagte Mylady mit ihrer weichsten Stimme und drückte dabei eine seiner Hände,»ja, ich bin glücklich durch die Liebe, die mir Eure Blicke und Eure Worte ausdrückten. Aber ich liebe Euch auch. Morgen, morgen will ich irgend ein Pfand von Euch, das beweisen soll, daß Ihr an mich denkt, und da Ihr mich vergessen könntet, so nehmt.«

Und sie zog einen Ring von ihrem Finger und steckte ihn d'Artagnan an.

Es war ein prächtiger Saphir, umgeben von Brillanten.

Die erste Regung d'Artagnans war, ihr denselben zurückzugeben; aber Mylady fügte bei:

«Nein, nein, behaltet diesen Ring, mir zu Liebe. Ueberdies leistet Ihr mir, indem Ihr ihn annehmt, «setzte sie mit bewegter Stimme hinzu,»einen größeren Dienst, als Ihr Euch vorstellen könnt.«

«Diese Frau ist doch voll von Geheimnissen, «dachte d'Artagnan.

In diesem Augenblick fühlte er sich geneigt, Alles zu enthüllen. Er öffnete den Mund, um Mylady zu sagen, wer er sei, und welcher Racheplan ihn herbeigeführt; aber sie fügte hinzu:

«Armer Engel, den dieses Ungeheuer von einem Gascogner beinahe getötet hätte!«

Das Ungeheuer war er.

«Oh!«fuhr Mylady fort,»habt Ihr noch an Euren Wunden zu leiden?«—»Ja, viel, «erwiderte d'Artagnan, der nicht wußte, was er sagen sollte. — »Seid ruhig, «antwortete Mylady, in einem für ihren Zuhörer wenig beruhigenden Ton,»ich werde Euch rächen, grausam rächen!«—»Pest, «sprach d'Artagnan zu sich selbst,»der Augenblick der Offenbarung ist noch nicht gekommen.«

D'Artagnan brauchte einige Zeit, um sich von diesem kleinen Dialog zu erholen: alle rachsüchtigen Gedanken, die er mitgebracht hatte, waren völlig verschwunden. Diese Frau übte eine unglaubliche Macht über ihn aus; er haßte sie und betete sie zugleich an; er hatte nie geglaubt, daß zwei so entgegengesetzte Gefühle in einem Herzen wohnen und ihrer Vereinigung eine seltsame, gleichsam teuflische Liebe bilden können.

Es hatte indessen ein Uhr geschlagen; man mußte sich zurückziehen. In dem Augenblick, wo d'Artagnan Mylady verließ, fühlte er nur ein lebhaftes Bedauern, sich von ihr entfernen zu müssen, und bei dem leidenschaftlichen Lebewohl, das sie an einander richteten, wurde eine neue Zusammenkunft für die nächste Woche verabredet.

Die arme Ketty hoffte einige Worte mit d'Artagnan sprechen zu können, wenn er durch ihr Zimmer gehen würde; aber Mylady geleitete ihn selbst in der Dunkelheit und verließ ihn erst auf der Treppe.

Am andern Morgen lief d'Artagnan zu Athos. Er war in ein so seltsames Abenteuer verwickelt, daß er ihn um seinen Rath bitten wollte, und erzählte ihm deßhalb Alles, was vorgefallen war. Athos runzelte wiederholt die Stirne.

«Eure Mylady, «sprach er,»scheint mir ein heilloses Geschöpf zu sein. Aber es war darum von Euch nicht minder unrecht, sie zu täuschen, und Ihr habt nun auf die eine oder auf die andere Weise eine Feindin auf dem Nacken.«

Während Athos sprach, schaute er beständig den mit Diamanten umgebenen Saphir an, der an d'Artagnan's Finger die Stelle des Ringes der Königin eingenommen hatte, welcher sorgfältig in ein Kästchen verschlossen worden war.

«Ihr schaut diesen Ring an, «sagte der Gascogner, stolz darauf, vor den Blicken des Freundes ein so reiches Geschenk glänzen lassen zu können.

«Ja, «sagte Athos,»er erinnert mich an ein Familienjuwel.«

«Der Ring ist schön, nicht wahr?«sprach d'Artagnan.

«Herrlich!«antwortete Athos,»ich glaubte nicht, daß zwei Saphire von so schönem Wasser vorhanden wären. Habt Ihr ihn gegen Euren Diamant ausgetauscht?«

«Nein, «sagte d'Artagnan,»es ist ein Geschenk von meiner schönen Engländerin oder vielmehr von meiner schönen Französin, denn, obgleich ich sie nicht darüber befragt habe, bin ich doch überzeugt, daß sie in Frankreich geboren ist.«

«Dieser Ring ist Euch von Mylady zugekommen?«rief Athos mit einer Stimme, in der sich leicht die große Gemüthsbewegung erkennen ließ.

«Von ihr selbst, sie hat ihn mir heute Nacht gegeben.«

«Zeigt mir den Ring, «sprach Athos.

«Hier ist er, «antwortete d'Artagnan und zog ihn vom Finger.

Athos betrachtete denselben und wurde sehr bleich. Dann probirte er ihn an dem Ringfinger seiner linken Hand. Er ging so gut an diesen Finger, als ob er dafür gemacht worden wäre.

Eine Wolke des Zorns und der Rache zog über die gewöhnlich so ruhige Stirne des Edelmanns.

«Es kann unmöglich derselbe sein, «sprach er.»Wie sollte sich dieser Ring in den Händen von Mylady Clarick finden! Und doch läßt sich kaum zwischen zwei Juwelen eine solche Ähnlichkeit denken!«

«Kennt Ihr diesen Ring?«fragte d'Artagnan.

«Ich glaubte ihn zu erkennen, «erwiderte Athos,»aber ich täuschte mich ohne Zweifel.«

Und er gab d'Artagnan den Ring zurück, schaute ihn aber fortwährend an.

«Ich bitte Euch!«sprach er nach einem Augenblick,»ich bitte Euch, d'Artagnan, nehmt diesen Ring von Eurem Finger oder dreht den Saphir nach Innen. Er ruft so schreckliche Erinnerungen in mir zurück, daß ich nicht die nöthige Besinnung hätte, um mit Euch zu plaudern. Wolltet Ihr nicht Rath von mir haben? Sagtet Ihr mir nicht, Ihr seiet in Verlegenheit, was Ihr thun sollet? Aber halt, gebt mir nochmals diesen Ring. Derjenige, von welchem ich sprechen wollte, muß an einer der Seiten des Steines in Folge eines Unfalls geritzt sein.«

D'Artagnan zog den Ring abermals von seinem Finger und gab ihn Athos.

Athos bebte:»Seht, «sprach er;»seht! ist das nicht seltsam!«

Und er zeigte d'Artagnan die Ritze, deren er sich erinnerte.

«Aber von wem hattet Ihr diesen Saphir, Athos?«

«Von meiner Mutter, die ihn von der ihrigen erbte. Wie ich Euch sage, es ist ein alter Juwel, der nie aus der Familie kommen sollte.«

«Und Ihr habt ihn verkauft?«fragte d'Artagnan zögernd.

«Nein, «antwortete Athos mit seltsamem Lächeln.»Ich habe ihn während einer Liebesstunde verschenkt, wie er an Euch verschenkt worden ist.«

D'Artagnan wurde ebenfalls nachdenkend. Es kam ihm vor, als erblicke er in Myladys Leben Abgründe mit düsteren, furchtbaren Tiefen.

Er steckte den Ring nicht an seinen Finger, sondern in seine Tasche.

«Hört, «sprach Athos und faßte ihn bei der Hand,»Ihr wißt, daß ich Euch liebe, d'Artagnan; hätte ich einen Sohn, ich könnte ihn nicht mehr lieben als Euch; nun, glaubt mir, verzichtet auf diese Frau. Ich kenne sie nicht, aber eine unbestimmte Ahnung sagt mir, daß sie ein verdorbenes Geschöpf ist und daß etwas Unseliges in ihr sein muß.«

«Und Ihr habt Recht, «sprach d'Artagnan,»glaubt mir, ich trenne mich von ihr. Ich gestehe Euch, auch mich erfüllt diese Frau mit Schrecken.«

«Werdet Ihr den Muth haben?«sagte Athos.

«Ich werde ihn haben, «antwortete d'Artagnan,»und zwar in diesem Augenblick.«

«Wohl, mein Junge, Ihr habt Recht, «sprach der Edelmann und drückte dem Gascogner mit wahrhaft väterlicher Zuneigung die Hand.»Gott wolle, daß diese Frau, die kaum in Eure Existenz eingetreten ist, keine traurige Spur darin zurücklasse.«

Und Athos grüßte d'Artagnan mit dem Kopf, wie ein Mensch, der zu verstehen geben will, daß es ihm nicht unangenehm wäre, mit seinen Gedanken allein bleiben zu können.

Als d'Artagnan nach seiner Wohnung zurückkehrte, fand er Ketty, die auf ihn wartete. Ein Monat Fieber hätte das arme Kind nicht mehr verändert, als dies durch eine Stunde der Eifersucht und des Schmerzes geschehen war.

Sie wurde von ihrer Gebieterin zum Grafen von Wardes geschickt. Ihre Gebieterin war toll vor Liebe, trunken vor Freude. Sie wollte wissen, wann der Graf ihr eine zweite Zusammenkunft geben würde.

Bleich und zitternd sah die arme Ketty der Antwort d'Artagnan entgegen.

Athos übte einen großen Einfluß über diesen jungen Mann aus. Der Rath seines Freundes hatte ihn in Verbindung mit den Gefühlen seines eigenen Herzens und der Erinnerung an Madame Bonacieux, welche ihn nur selten verließ, in dem Entschlüsse befestigt, jetzt, da sein Stolz gerettet war, Mylady nicht wieder zu sehen. Statt jeder Antwort nahm er eine Feder und schrieb folgenden Brief, den er eben so wenig unterzeichnete, als den vorhergehenden:

«Rechnet nicht auf mich, Madame; seit meiner Wiederherstellung habe ich so viele Unterhaltungen dieser Art zu bewilligen, daß ich eine gewisse Ordnung in die Sache bringen mußte. Kommt die Reihe an Euch, so werde ich die Ehre haben, Euch davon in Kenntniß zu setzen.«

Von dem Saphir kein Wort; der Gascogner wollte ihn bis auf neuen Befehl als eine Waffe gegen Mylady behalten.

Man hätte übrigens Unrecht, die Handlungen einer Epoche aus dem Gesichtspunkte einer andern zu betrachten. Was man heute als eine Schmach für einen Mann von Welt halten würde, war in jener Zeit etwas ganz Einfaches und Natürliches.

D'Artagnan gab den Brief Ketty offen; diese las ihn anfangs, ohne ihn zu verstehen, und wäre beinahe wahnsinnig geworden, als sie ihn zum zweiten Male las.

Ketty konnte nicht an dieses Glück glauben. D'Artagnan war genöthigt, ihr mündlich die Versicherung zu wiederholen, die ihr der Brief schriftlich gab. Wie groß auch die Gefahr war, welche die Arme bei dem heftigen Charakter von Mylady lief, wenn sie dieses Billet ihrer Gebieterin einhändigte, so ging sie doch so geschwind, als sie konnte, nach der Place Royale zurück.

Das Herz der besten Frau ist gefühllos gegen die Schmerzen einer Nebenbuhlerin.

Mylady öffnete den Brief mit derselben Eile, mit der ihn Ketty gebracht hatte, aber bei den ersten Worten, die sie las, wurde sie leichenblaß, dann zerknitterte sie das Papier und wandte sich mit einem Blitze in den Augen gegen Ketty.

«Was soll dieser Brief?«sprach sie.

«Es ist die Antwort auf den der gnädigen Frau, «erwiderte Ketty zitternd.

«Unmöglich!«versetzte Mylady,»unmöglich kann ein Edelmann an eine Frau einen solchen Brief geschrieben haben.«

Dann rief sie plötzlich:

«Mein Gott! sollte er wissen…«

Und sie hielt bebend inne. Sie knirschte mit den Zähnen, ihr Gesicht war leichenfarbig. Sie wollte einen Schritt gegen das Fenster machen, um Luft zu schöpfen; aber sie konnte nur den Arm ausstrecken, die Kraft versagte ihr und sie sank auf einen Stuhl zurück.

Ketty glaubte, sie befinde sich unwohl, und eilte zu ihr, um den Schnürleib zu öffnen. Aber Mylady sprang auf und rief lebhaft:

«Was willst Du? Warum legst Du Hand an mich?«»Ich glaubte, Mylady befinde sich unwohl, und wollte ihr Hülfe leisten, «antwortete die Zofe, ganz erschrocken über den furchtbaren Ausdruck, den das Gesicht ihrer Gebieterin angenommen hatte.

«Ich mich unwohl befinden! hältst Du mich für ein erbärmliches Weib? Soll ich krank werden, wenn man mich beleidigt? Nein, ich räche mich, verstehst Du wohl?«

Und sie gab Ketty ein Zeichen, sich zu entfernen.

VIII. Rachetraum

Am Abend gab Mylady Befehl, Herrn d'Artagnan einzuführen, sobald er seiner Gewohnheit gemäß kommen würde. Aber er kam nicht.

Am andern Tag besuchte Ketty den jungen Mann abermals und erzählte ihm Alles, was am Abend vorgefallen war. D'Artagnan lächelte. Dieser eifersüchtige Zorn war seine Rache.

Am zweiten Abend war Mylady noch ungeduldiger, als Tags zuvor; sie erneuerte den Befehl in Beziehung auf den Gascogner; aber sie wartete vergeblich, wie am Tag vorher. Am nächsten Morgen erschien Ketty wiederum bei d'Artagnan, nicht heiterer, nicht aufgeräumter, als an den zwei vorhergehenden Tagen, sondern im Gegentheil zum Sterben traurig. D'Artagnan fragte das arme Mädchen, was sie habe; aber sie zog statt jeder Antwort einen Brief aus der Tasche und händigte ihm denselben ein.

Dieser Brief war von der Hand Myladys, nur mit dem Unterschied, daß er diesmal wirklich für d'Artagnan und nicht für Herrn von Wardes bestimmt war.

Er öffnete und las Folgendes:

«Lieber Herr d'Artagnan, es ist nicht schön, seine Freunde zu vernachlässigen, besonders in dem Augenblick, wo man sie auf lange Zeit zu verlassen im Begriffe ist. Mein Schwager und ich haben Euch gestern und vorgestern vergebens erwartet. Wird dies heute Abend ebenso sein? Eure dankbare

Lady Winter

«Das ist ganz einfach, «sprach d'Artagnan.»Ich erwartete diesen Brief. Mein Kredit steigt durch das Sinken des Grafen von Wardes.«

«Werdet Ihr gehen?«fragte Ketty.

«Höre, mein liebes Kind, «sagte der Gascogner, der sich in seinen eigenen Augen darüber zu entschuldigen suchte, daß er von dem Versprechen, welches er Athos geleistet hatte, abgehen wollte;»Du begreifst, daß es unpolitisch wäre, einer so bestimmten Einladung nicht Folge zu leisten. Würde Mylady mich nicht zurückkommen sehen, so dürfte sie das Abbrechen meiner Besuche nicht begreifen; sie könnte dann irgend etwas vermuthen, und wer weiß, wie weit die Rache einer Frau von diesem Schlage gehen könnte?«

«O mein Gott!«sprach Ketty,»Ihr wißt die Dinge so darzustellen, daß Ihr immer Recht habt. Aber Ihr werdet ihr den Hof machen, und wenn Ihr Mylady diesmal unter Eurem wahren Namen und mit Eurem wahren Gesicht gefallen würdet, so wäre es noch viel schlimmer, als das erste Mal.«

Der Instinkt ließ das arme Mädchen einen Theil von dem, was da kommen sollte, ahnen.

D'Artagnan suchte sie so gut als möglich zu beruhigen und versprach ihr, unempfindlich gegen Myladys Verführungen zu bleiben.

Er ließ dieser antworten, er sei äußerst dankbar für ihre Güte und werde ihrem Befehl gehorchen; aber er wagte es nicht, ihr zu schreiben, weil er für so geübte Augen, wie Mylady's, seine Handschrift nicht gehörig verstellen zu können fürchtete.

Mit dem Schlag neun Uhr war d'Artagnan auf der Place Royale. Die Bedienten, welche im Vorzimmer warteten, waren offenbar von seiner Erscheinung in Kenntniß gesetzt, denn sobald er kam, sogar ehe er gefragt hatte, ob Mylady sichtbar sei, lief einer von ihnen hinweg, um ihn zu melden.

«Laßt ihn eintreten, «sprach Mylady mit raschem, aber so durchdringendem Tone, daß d'Artagnan es im Vorzimmer hörte.

Man führte ihn ein.

«Ich bin für Niemand zu Hause, «sprach Mylady,»verstehst Du, für Niemand.«

Der Lakai entfernte sich.

D'Artagnan warf einen neugierigen Blick auf Mylady. Sie war bleich und hatte matte Augen, mochte dies nun von Thränen oder von Schlaflosigkeit herrühren. Man hatte absichtlich die gewöhnliche Zahl der Lichter vermindert, und dennoch gelang es der jungen Frau nicht, die Spuren des Fiebers zu verbergen, von dem sie seit zwei Tagen verzehrt wurde.

D'Artagnan näherte sich ihr mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit. Sie machte eine gewaltige Anstrengung, um ihn zu empfangen, aber nie hat ein verstörteres Gesicht ein liebenswürdigeres Lächeln Lügen gestraft.

Auf die Frage, welche d'Artagnan über ihre Gesundheit an sie richtete, antwortete Mylady:

«Schlecht, sehr schlecht.«

«Dann begehe ich eine Unbescheidenheit, «sagte d'Artagnan,»Ihr bedürft ohne Zweifel der Ruhe, und ich entferne mich.«

«Nein, im Gegentheil, bleibt, Herr d'Artagnan. Eure liebenswürdige Gesellschaft wird mich zerstreuen.«

«Sie ist nie so reizend gewesen, «dachte d'Artagnan.»Wir wollen ihr Trotz bieten.«

Mylady nahm die liebevollste Miene an, die sie anzunehmen vermochte und verlieh ihrer Unterhaltung allen möglichen Reiz. Zu gleicher Zeit gab das Fieber, das sie einen Augenblick verlassen hatte, ihren Augen den Glanz, ihren Wangen die Farbe ihren Lippen den Karmin wieder. D'Artagnan fand abermals die Circe, die ihn bereits in ihren Zauber verstrickt hatte. Mylady lächelte, und es war d'Artagnan zu Muthe, als könnte er für dieses Lächeln die Höllenqualen erleiden.

Es gab einen Augenblick, wo er etwas wie einen Gewissensbiß über das fühlte, was er gegen sie gethan hatte.

Nach und nach wurde Mylady mittheilsam. Sie fragte d'Artagnan, ob er eine Liebe im Herzen trage.

«Ach!«rief d'Artagnan mit seinem empfindsamsten Tone,»könnt Ihr so grausam sein, eine solche Frage an mich zu richten, an mich, der ich, nachdem ich Euch gesehen habe, nur für Euch, für Euch allein athme und seufze!«

Mylady lächelte seltsam.

«Also liebt Ihr mich?«sprach sie. — »Habe ich nöthig, Euch dies zu sagen? Habt Ihr es nicht selbst wahrgenommen?«—»Allerdings, aber Ihr wißt, je stolzer die Herzen sind, desto schwieriger sind sie zu erobern.«—»Oh! die Schwierigkeiten erschrecken mich nicht, «sprach d'Artagnan;»nur die Unmöglichkeiten können mich erschrecken.«—»Nichts ist einer wahren Liebe unmöglich, «sagte Mylady. — »Nichts, Madame?«—»Nichts!«wiederholte Mylady. — »Teufel, «dachte d'Artagnan,»die Note verändert sich. Sollte sie vielleicht verliebt in mich werden? Sollte sie geneigt sein, mir einen zweiten Saphir zu geben, dem ähnlich, welchen sie mir für Herrn von Wardes gegeben hat?«—»Laßt hören, «sagte Mylady,»was würdet Ihr thun, um mir die Liebe zu beweisen, von der Ihr sprecht?«—»Alles, was man von mir verlangte. Man befehle, ich bin bereit.«—»Zu Allem?«—»Zu Allem!«rief d'Artagnan, welcher zum Voraus wußte, daß er nicht viel wagte, wenn er eine solche Verpflichtung einging. — »Schön! plaudern wir ein wenig, «sprach Mylady und rückte ihren Stuhl d'Artagnan näher. — »Ich höre, gnädige Frau, «sprach dieser.

Mylady blieb einen Augenblick nachdenkend und unentschieden, dann schien sie einen Entschluß zu fassen und sagte:

«Ich habe einen Feind.«—»Ihr Madame?«rief d'Artagnan, den Erstaunten spielend.»Mein Gott, ist es möglich… bei Eurer Schönheit und Güte!«—»Einen Todfeind.«—»In der That?«—»Einen Feind, der mich grausam beleidigt hat, daß zwischen ihm und mir ein Krieg auf Leben und Tod stattfindet. Könnte ich auf Euch als auf einen Bundesgenossen rechnen?«

D'Artagnan begriff sogleich, was das rachsüchtige Geschöpf beabsichtigte.

«Ihr könnt es, «sprach er mit Emphase.»Mein Arm und mein Leben gehören Euch, wie meine Liebe.«—»Dann, «sprach Mylady:»da Ihr in demselben Grade edelmüthig seid, in dem Ihr liebt…«—»Nun?«fragte d'Artagnan. — »Nun!«versetzte Mylady nach kurzem Stillschweigen,»sprecht fortan nicht mehr von Unmöglichkeiten.«—»Tödtet mich nicht durch so viel Glück!«rief d'Artagnan, stürzte auf die Kniee und bedeckte die Hände, die man ihm überließ, mit Küssen. — »Räche mich an diesem heillosen Wardes, «dachte Mylady,»und ich werde mich Deiner alsbald zu entledigen wissen, doppelter Dummkopf, lebendige Degenklinge!«—»Ja, sage mir. Du liebest mich, nachdem Du mich so schändlich betrogen hast, heuchlerisches, gefährliches Weib, «dachte d'Artagnan,»und ich verlache Dich dann mit demjenigen, welchen Du durch meine Hand bestrafen willst.«

D'Artagnan schaute empor und sagte:

«Ich bin bereit.«—»Ihr habt mich also begriffen, lieber Herr d'Artagnan, «sprach Mylady. — »Ich würde Eure Blicke errathen.«—»Ihr werdet also für mich Euren Arm gebrauchen, der sich bereits einen so hohen Ruf erworben hat?«—»Sogleich.«—»Und wie werde ich Euch je für einen solchen Dienst danken können?«sprach Mylady. — »Eure Liebe ist die einzige Belohnung, welche ich verlange, «erwiderte d'Artagnan,»die einzige, die Euer und meiner würdig ist.«—»Eigennütziger!«sagte sie lächelnd. — »Ah!«rief d'Artagnan, einen Augenblick durch die Leidenschaft fortgerissen, welche diese Frau in seinem Herzen zu entzünden gewußt hatte;»ah! weil mir Eure Liebe unwahrscheinlich vorkommt, und weil ich sie wie meine Träume verschwinden zu sehen fürchte, drängt es mich die bestimmte Versicherung aus Eurem Munde zu empfangen.«—»Verdient Ihr denn bereits ein solches Geständniß?«—»Ich bin zu Euren Befehlen, «sagte d'Artagnan. — »Gewiß?«rief Mylady mit einem leichten Zweifel. — »Nennt mir den Elenden, der diese schönen Augen weinen gemacht bat.«—»Wer sagt Euch, daß ich geweint habe?«fragte Mylady lebhaft. — »Es schien mir so…«—»Frauen, wie ich, weinen nicht, «versetzte Mylady.»Desto besser! O sagt mir dann, wie er heißt.«—»Bedenkt, daß sein Name ganz mein Geheimniß ist.«—»Ich muß ihn jedoch wissen.«—»Ja, Ihr sollt ihn erfahren. Seht, welches Vertrauen ich in Euch setze!«—»Ihr erfüllt mich mit Freude! Wie heißt er?«—»Ihr kennt ihn.«—»Wirklich?«—»Ja!«—»Es ist keiner von meinen Freunden?«sprach d'Artagnan zögernd, um an seine Unwissenheit glauben machen.

«Wenn es einer von Euren Freunden wäre, würdet Ihr also zögern?«rief Mylady, und ein drohender Blitz zuckte aus ihren Äugen. — »Nein, und wäre es mein Bruder, «sprach d'Artagnan, als würde er von der Begeisterung fortgerissen.

Unser Gascogner betheuerte, ohne zu wagen, denn er wußte, wohin dies alles führen sollte.

«Ich liebe Eure Ergebenheit, «sagte Mylady. — »Ach! liebt Ihr nur das an mir?«fragte d'Artagnan. — »Ich werde Euch das ein andermal sagen, «antwortete sie und nahm ihn bei der Hand.

Und dieser Druck machte d'Artagnan schaudern, als ob ihn das Fieber, welches Mylady verzehrte, durch die Berührung ebenfalls ergriffen hätte.

«Werdet Ihr mich eines Tages lieben?«rief er.»O, wenn dies der Fall wäre, ich könnte den Verstand darüber verlieren!«

D'Artagnan war in der That trunken vor Freude, und in seinem Wahnsinn glaubte er beinahe an die Zärtlichkeit Myladys, er glaubte beinahe an das Verbrechen von Wardes. Wenn Wardes in diesem Augenblicke unter seiner Hand gewesen wäre, er hätte ihn getödtet.

Mylady ergriff die Gelegenheit.

«Er heißt…«sprach sie. — »Von Wardes, ich weiß es, «unterbrach d'Artagnan. — »Und woher wißt Ihr dies?«fragte Mylady, indem sie seine beiden Hände nahm und in seinen Augen bis auf den Grund seiner Seele zu lesen suchte.

D'Artagnan fühlte, daß er sich hatte hinreißen lassen und daß er einen Fehler gemacht hatte.

«Sprecht, sprecht, sprecht doch!«wiederholte Mylady.»Woher wißt Ihr es?«—»Woher ich es weiß?«sprach d'Artagnan, — »Ja.«—»Ich weiß es, weil gestern von Wardes in einem Salon, wo ich mich befand, einen Ring zeigte, von dem er behauptete, er habe ihn von Euch bekommen.«—»Der Elende!«rief Mylady.

Dieser Beiname trug seinen Klang, wie man leicht begreift, bis tief in d'Artagnans Herz.

«Nun wohl…«fuhr sie fort. — »Wohl! ich werde Euch rächen an diesem Elenden!«versetzte d'Artagnan, und gab sich dabei das Ansehen des Don Japhet von Armenien.

«Ich danke Euch, mein muthiger Freund!«rief Mylady» und wann werde ich gerächt sein?«

«Morgen, sogleich, wenn Ihr wollt.«

Mylady wollte ausrufen: Sogleich! Aber sie bedachte, daß eine solche Eile nicht sehr erfreulich für d'Artagnan wäre.

Ueberdies hatte sie tausenderlei Vorsichtsmaßregeln zu nehmen, ihrem Vertheidiger tausenderlei Rathschläge zu geben, damit er Erklärungen vor Zeugen mit dem Marquis vermeiden möchte.

«Morgen, «sprach d'Artagnan,»seid Ihr gerächt, oder ich bin todt.«—»Nein, «sagte sie,»Ihr werdet mich rächen, aber Ihr werdet nicht sterben. Ich weiß etwas.«—»Was wißt Ihr?«—»Es scheint mir, Ihr hattet Euch bei Eurem Streit mit ihm nicht über das Glück zu beklagen.«—»Das Glück ist eine Buhlerin; heute günstig, kann es mich morgen verrathen.«—»Das heißt: Ihr zögert jetzt.«—»Nein, ich zögere nicht, Gott soll mich bewahren, aber…«—»Stille!«unterbrach sie ihn,»ich höre meinen Schwager. Er braucht Euch nicht hier zu finden.«

Sie schellte. Ketty erschien.

«Geht durch diese Thüre, «sagte sie zu d'Artagnan, und stieß dabei eine kleine verborgene Thüre auf.»Kommt um elf Uhr wieder, und wir werden unsere Unterredung zu Ende bringen. Ketty führt Euch bei mir ein.«

Das arme Kind glaubte umzusinken, als sie diese Worte hörte.

«Nun, was macht Ihr denn, Mademoiselle, Ihr bleibt hier unbeweglich, wie eine Statue? Hört Ihr, führt diesen Herrn zurück, und um elf Uhr, vergeßt es nicht.«

«Es scheint, alle ihre Rendezvous finden um elf Uhr statt, «dachte d'Artagnan.»Das ist eine feste Gewohnheit.«

Mylady reichte ihm die Hand, die er zärtlich küßte.

«Sachte, «dachte er sich entfernend und kaum auf die Vorwürfe Kettys antwortend;»sachte, wir wollen kein Thor sein. Offenbar ist diese Frau eine große Missethäterin. Sei auf Deiner Hut, d'Artagnan!«

IX. Das Geheimniß Myladys

D'Artagnan hatte das Hotel verlassen, statt sogleich zu Ketty hinaufzugehen, um hier die Stunde seiner Unterredung mit Mylady abzuwarten, und dies aus zwei Gründen: einmal vermied er auf diese Art die Vorwürfe, den Tadel und die Bitten des jungen Mädchens, und dann war es ihm nicht unangenehm, Zeit zu kalter Ueberlegung zu haben, um wo möglich in die Gedanken dieser Frau einzudringen.

Am klarsten war ihm dabei, daß er sich der Gefahr aussetzte, wahnsinnig in Mylady verliebt zu werden, und daß sie ihn im Gegentheil ganz und gar nicht liebte und nie lieben würde. Einen Augenblick sah er ein, daß es das Gescheiteste wäre, wenn er nach Hause kehrte, einen langen Brief schriebe und gestände, er und der Graf von Wardes seien für sie bis jetzt eine und dieselbe Person; er könne daher, wenn er sich nicht eines Selbstmordes schuldig machen wolle, die Verbindlichkeit nicht übernehmen, den Grafen von Wardes zu tödten, über den sie sich ihrer Behauptung nach zu beklagen habe; aber mit der Ueberzeugung, daß sie ihn haßte, und nur als ein feiles Werkzeug ihrer Rache betrachtete, das sie nach dem Gebrauch zerbrechen würde, kehrte auch das Verlangen, für sich selbst Rache zu üben, in sein Herz zurück. Er wollte diese Frau beherrschen, die mit ihm spielte und ihn als Mitschuldige an der Entführung von Madame Bonacieux in seiner reinen aufrichtigen Liebe verletzt hatte.

Er ging, durch entgegengesetzte Gefühle in Bewegung erhalten, fünf bis sechsmal auf der Place Royale umher, und wandte sich von zehn zu zehn Schritten zurück, um das Licht in Myladys Zimmer zu betrachten, das man durch die Jalousien erblickte; offenbar hatte die junge Frau diesmal weniger Eile, in ihr Zimmer zurückzukehren, als das erste Mal.

Endlich schlug es elf Uhr.

Bei diesem Getöne entwich alle Unentschlossenheit aus dem Herzen d'Artagnans. Er erinnerte sich der Einzelheiten der Unterredung, die so eben zwischen Mylady und ihm stattgefunden hatte, und in einer, unter solchen Umständen so häufig vorkommenden raschen Wendung des Entschlusses trat er mit klopfendem Herzen und entzündetem Kopfe in das Hotel und stürzte in Kettys Zimmer.

Das junge Mädchen wollte, bleich wie der Tod, an allen Gliedern zitternd, d'Artagnan zurückhalten, aber Mylady mit ihren lauernden Ohren hatte das durch seinen Eintritt verursachte Geräusch vernommen, öffnete die Thüre und hieß ihn hereinkommen.

D'Artagnan hatte seine Vernunft verloren, er glaubte von einer jener phantastischen Itriguen fortgezogen zu werden, wie sie uns im Traume vorkommen. Der Anziehungskraft weichend, welche der Magnet auf das Eisen ausübt, ging er auf Mylady zu.

Die Thüre schloß sich hinter ihm.

Ketty stürzte ebenfalls nach der Thüre.

Die Eifersucht, die Wuth, der beleidigte Stolz, alle Leidenschaften, welche sich in dem Herzen eines verliebten weiblichen Wesens streiten, trieben sie zu einer Offenbarung; aber sie war verloren, wenn sie zugestand, daß sie die Hände bei einer solchen Machination im Spiele gehabt hatte, und was mehr als Alles in Betracht kam, — d'Artagnan war für sie verloren; dieser letzte Liebesgedanke rieth ihr, noch ein Opfer zu bringen.

D'Artagnan überließ sich seiner Seite ganz der Eingebungen seiner Eitelkeit. Es war nicht mehr ein Nebenbuhler, den man in ihm liebte, sondern es hatte das Ansehen, als liebte man ihn selbst. Eine geheime Stimme sagte ihm wohl im Hintergrund seines Herzens, er sei nur die Waffe, die man liebkose, bis sie den Tod gegeben habe; aber der Stolz, die Eigenliebe, die Tollheit brachten diese Stimme zum Schweigen, erstickten dieses Gemurmel. Dann verglich sich der Gascogner vermöge seiner bekannten Dosis von Selbstvertrauen mit dem Grafen von Wardes und fragte sich, warum man nicht am Ende ihn selbst um seiner selbst willen lieben könnte.

Durch das Blendwerk dieser Gedanken war Mylady für ihn nicht mehr das Weib mit den unseligen Absichten, die ihn einen Augenblick vorher erschreckt hatten; sie war eine reizende Frau, welche die Liebe selbst zu fühlen versprach, die sie einflößte.

Aber Mylady, welche nicht dieselben Gründe zum Vergessen hatte, wie d'Artagnan, entzog ihn bald seinen Betrachtungen und rief ihn zu der Wirklichkeit dieser Zusammenkunft zurück; sie fragte ihn, ob die Maßregeln, welche am andern Tage einen Streit zwischen ihm und dem Grafen von Wardes herbeiführen sollten, bereits in seinem Kopfe festgestellt seien.

D'Artagnan jedoch, dessen Gedanken einen ganz andern Gang genommen hatten, vergaß sich wie ein Thor und antwortete schmeichelnd: in ihrer Nähe, wo er sich ganz nur dem Glück hingebe, sie zu hören und zu sehen, könne er sich unmöglich mit Duellen und Degenstößen beschäftigen.

Diese Kälte für das einzige Interesse, von dem sie in Anspruch genommen war, erschreckte Mylady, deren Fragen dringender wurden.

D'Artagnan hatte nie ernstlich an dieses Duell gedacht: er wollte dem Gespräch eine andere Wendung geben, aber es lag nicht in seinen Kräften.

Mylady hielt die Unterredung innerhalb der Gränzen, die sie zum Voraus mit ihrem unwiderstehlichen Geist und mit ihrem eisernen Willen festgesetzt hatte.

D'Artagnan hielt sich nun für sehr geistreich, indem er Mylady rieth, Wardes zu vergeben und auf ihre wüthenden Pläne Verzicht zu leisten.

Aber bei den ersten Worten, die er sprach, nahm das Gesicht der jungen Frau einen finsteren Ausdruck an.

«Habt Ihr vielleicht Furcht, lieber Herr d'Artagnan?«rief sie in einem spitzigen, spöttischen Tone, der seltsam in den Ohren des jungen Mannes klang. — »Das kann nicht Euer Ernst sein, meine theure Seele, «erwiderte d'Artagnan;»aber wenn dieser arme Graf Wardes am Ende minder schuldig wäre, als Ihr glaubt?«—»In jedem Fall, «versetzte Mylady ernst,»in jedem Fall hat er mich getäuscht, und von dem Augenblick an, wo er mich getäuscht hat, verdient er den Tod.«—»Er wird also sterben, da Ihr ihn verurtheilt, «sprach d'Artagnan mit so festem Tone, daß dieser Mylady als der Ausdruck einer jede Prüfung bestehenden Ergebenheit erschien.

Alsbald lächelte sie ihm von Neuem zu.

«Ja ich bin ganz bereit, «rief nun d'Artagnan in unwillkürlicher Begeisterung;»aber zuvor wünschte ich einer Sache gewiß zu sein.«—»Und welcher?«fragte Mylady. — »Daß Ihr mich liebt.«—»Eure Anwesenheit dahier scheint mir der beste Beweis zu sein, «antwortete sie mit scheinbarer Verlegenheit. — »Ja; ich bin auch Euer mit Leib und Seele. Verfügt über meinen Arm!«—»Ich danke, mein tapferer Vertheidiger, und eben so, wie ich Euch meine Liebe dadurch beweise, daß ich Euch hier empfange, eben so werdet Ihr mir die Eurige beweisen, nicht wahr?«—»Ganz gewiß. Aber wenn Ihr mich liebt, wie Ihr mir sagt, habt Ihr nicht ein wenig bange für mich?«—»Was sollte ich fürchten?«—»Daß ich gefährlich verwundet, sogar getödtet werde?«—»Unmöglich!«sprach Mylady,»Ihr seid ein so muthiger Mann, ein so geschickter Degen!«—»Ihr würdet also ein Mittel nicht vorziehen, das Euch rächte, während der Kampf dabei überflüssig wäre?«

Mylady schaute den jungen Mann stilleschweigend an; ihre klaren Augen hatten einen seltsam düsteren Ausdruck angenommen.

«In der That, «sprach sie,»ich glaube, Ihr zaudert abermals!«—»Nein, ich zaudere nicht, aber es thut mir in der That leid um den armen Grafen von Wardes, seitdem Ihr ihn nicht mehr liebt, und es scheint mir, ein Mann muß schon durch den Verlust Eurer Liebe so grausam bestraft sein, daß er keiner anderen Züchtigung mehr bedarf.«—»Wer sagt Euch, daß ich ihn geliebt habe?«fragte Mylady. — »Wenigstens kann ich jetzt ohne zu große Abgeschmacktheit glauben, daß Ihr einen Andern liebt, «sprach der junge Mann in höflichem Tone,»und ich wiederhole Euch, ich interessire mich für den Grafen.«—»Ihr?«fragte Mylady. — »Ja, ich.«—»Und warum Ihr?«—»Weil ich allein weiß…«—»Was?«—»Daß er bei weitem nicht so schuldig gegen Euch ist, oder war, als es scheint.«—»In der That?«sprach Mylady mit unruhiger Miene,»erklärt Euch, denn ich weiß wahrhaftig nicht, was Ihr damit sagen wollt.«

Und sie schaute d'Artagnan mit Augen an, in denen sich allmälig ein düsteres Feuer entzündete.

«Ja, ich bin ein Mann von guter Lebensart, «sprach d'Artagnan, entschlossen ein Ende zu machen,»und seitdem Ihr mir Eure Liebe gestanden habt, seitdem ich ihres Besitzes gewiß bin, denn nicht wahr, ich besitze sie?«—»Ganz und gar. Fahrt fort.«—»Seitdem fühle ich mich verwandelt. Ein Geständniß bedrückt mich.«—»Ein Geständniß?«—»Hätte ich an Eurer Liebe gezweifelt, so würde ich es nicht abgelegt haben, aber Ihr liebt mich, nicht wahr, Ihr liebt mich?«—»Allerdings.«—»Wenn ich mich also aus maßloser Liebe zu Euch vergangen hätte, würdet Ihr mir vergeben?«—»Vielleicht. Aber das Geständniß, «sprach sie erbleichend,»was habt Ihr mir zu gestehen?«—»Ihr hattet am vorigen Donnerstag dem Grafen Wardes in diesem Zimmer Rendezvous gegeben, nicht wahr?«—»Ich! nein! das ist nicht der Fall!«sprach Mylady mit so fester Stimme und mit solcher Ruhe im Gesicht, daß d'Artagnan, wenn er nicht vollkommene Gewißheit gehabt hätte, gezweifelt haben würde. — »Lügt nicht, mein schöner Engel, es wäre unnütz, «sprach d'Artagnan und zwang sich dabei zu einem Lächeln. — »Wie so? sprecht doch! Ihr peinigt mich zu Tode.«—»Dieser Ring — ist in meinen Händen. Der Graf von Wardes vom Donnerstag und d'Artagnan von heute sind eine und dieselbe Person.«

Der Unkluge erwartete ein Staunen vermischt mit Scham, einen kleinen Sturm, der sich in Thränen auflösen würde; aber er täuschte sich gewaltig, und sein Irrthum währte nicht lange.

Bleich und furchtbar erhob sich Mylady und wollte d'Artagnan, der in ihrer Nähe war, durch einen heftigen Schlag auf die Brust zurückstoßen und sich von ihm entfernen. D'Artagnan hielt sie am Kleide zurück, um ihre Vergebung zu erflehen, aber mit einer kräftigen, entschlossenen Bewegung suchte sie zu entfliehen. Da zerriß das Kleid oben am Leibe und d'Artagnan erblickte auf einer von ihren schönen Schultern, welche nun entblößt war, zu seinem unaussprechlichen Schrecken die Lilie, das nie zu tilgende Mal, das die Hand des Henkers ausdrückt.

«Großer Gott!«rief er, das Kleid aus den Händen lassend, und blieb stumm, unbeweglich, zu Eis geworden an seiner Stelle.

Aber Mylady fühlte sich gerade durch den Schrecken d'Artagnan's verrathen. Ohne Zweifel hatte er Alles gesehen; der junge Mann wußte nun ihr Geheimniß, ein furchtbares Geheimniß, das außer ihr der ganzen Welt unbekannt war.

Sie wandte sich um, nicht mehr wie ein wüthendes Weib, sondern wie ein verwundetes Panterthier.

«Ha! Elender!«sprach sie,»Du hast mich feig verrathen, und mehr noch. Du bist im Besitze meines Geheimnisses! Du sollst sterben!«

Und sie lief nach einem kleinen Kistchen mit eingelegter Arbeit, das auf ihrer Toilette stand, öffnete es mit fieberhaft zitternder Hand, zog einen kleinen Dolch mit goldenem Griff und dünner spitziger Klinge heraus und stand mit einem Sprunge wieder vor d'Artagnan, welcher sitzen geblieben war.

Obgleich der junge Mann viel Muth besaß, erschrak er doch vor diesem verstörten Gesichte, diesen hervortretenden Augen, diesen bleichen Wangen, diesen blutigen Lippen; er stand auf und wich zurück, wie vor einer Schlange, die auf ihn zugekrochen wäre, fuhr instinktmäßig mit seiner von Schweiß befeuchteten Hand an den Degen und zog ihn aus der Scheide.

Aber ohne durch den Anblick der blanken Klinge beunruhigt zu werden, rückte Mylady auf ihn zu, um ihm einen Stoß beizubringen, und hielt nicht eher stille, als bis sie die Spitze der Klinge auf ihrer Brust fühlte.

Nun suchte sie den Degen mit ihren Händen zu fassen, aber d'Artagnan entzog ihn fortwährend ihren Griffen, streckte ihr denselben, ohne zu stoßen, bald gegen die Brust, bald gegen die Augen entgegen und wich immer mehr zurück, in der Absicht, die Thüre zu suchen, welche zu Ketty führte, und durch diese seinen Rückzug zu nehmen.

Mylady drang während dieser Zeit mit furchtbarer Anstrengung und einem wahren Löwengebrülle auf ihn ein.

Da dies jedoch am Ende wie ein Duell aussah, so beruhigte sich d'Artagnan nach und nach.

«Gut, schöne Dame, gut, «sprach er;»aber ich bitte Euch um Gotteswillen, besänftigt Euch, oder ich zeichne eine zweite Lilie auf Eure andere Schulter.«

«Heilloser, Elender!«heulte Mylady.

Doch fortwährend die Thüre suchend, war d'Artagnan nur auf seine Vertheidigung bedacht.

Bei dem Geräusch, das sie durch das Umwerfen der Gerätschaften verursachten, sie, um zu ihm zu gelangen, er, um sich hinter dem Geräthe vor ihr zu schützen, öffnete Ketty die Thüre. D'Artagnan, der beständig manövriert hatte, um sich der Thüre zu nähern, war nur noch drei Schritte von dieser entfernt. Mit einem einzigen Sprung warf er sich aus dem Zimmer Mylady's in das der Zofe, und verschloß schnell wie der Blitz die Thüre wieder, gegen die er sich mit seiner ganzen Macht stützte, während Ketty die Riegel vorstieß.

Dann suchte Mylady die Thüre zu sprengen und zwar mit Kräften, welche weit über das gewöhnliche Maß einer Frau gingen. Da sie fühlte, daß dies unmöglich war, so versetzte sie der Thüre Dolchstöße, von denen einige das Holz in seiner ganzen Dicke durchdrangen.

Jeder Stoß war von einer furchtbaren Verwünschung begleitet.

«Geschwind, geschwind, Ketty, «sprach d'Artagnan mit leiser Stimme,»mach', daß ich aus diesem Hotel komme; denn wenn wir ihr Zeit gönnen, sich umzudrehen, läßt sie mich durch ihre Bedienten tödten. Eilen wir, verstehst Du wohl, es hängt Leben und Tod davon ab!«

Ketty verstand nur zu gut. Sie führte ihn in der Dunkelheit über die Stufen hinab. Es war die höchste Zeit. Mylady hatte bereits geschellt und weckte das ganze Haus auf; der Portier zog auf die Stimme Ketty's in demselben Augenblicke die Schnur, wo Mylady» Oeffnet nicht!«rief.

Der junge Mann floh, während sie ihn mit einer ohnmächtigen Geberde bedrohte. In der Sekunde, in der sie ihn aus dem Gesicht verlor, stürzte sie ohnmächtig in ihrem Zimmer nieder.

X. Athos, ohne sich die geringste Mühe zu geben, seine Equipirung fand

D'Artagnan war in so gewaltiger Aufregung, daß er, ohne sich im Geringsten darum zu bekümmern, was aus Ketty wurde, in größter Eile die Hälfte von Paris durchlief und nicht eher stille hielt, als bis er sich vor der Thüre von Athos befand. Die Verwirrung seines Geistes, der Schrecken, der ihn spornte. das Geschrei einiger Patrouillen, die ihn verfolgten, bewirkten nur, daß er seinen Lauf noch mehr beschleunigte.

Er flog durch den Hof, stieg die zwei Treppen hinauf, und klopfte an die Thüre, daß sie hätte in Stücke springen sollen.

Grimaud öffnete mit schlaftrunkenen Augen. D'Artagnan stürzte mit solcher Gewalt in das Vorzimmer, daß er ihn beinahe niedergeworfen hätte.

Trotz der gewöhnlichen Stummheit Grimauds kam ihm diesmal das Wort. Beim Anblick des entblößten Degens, den d'Artagnan in der Hand hielt, bildete sich der arme Bursche ein, er habe es mit einem Mörder zu thun, rief:

«Zu Hülfe! zu Hülfe! zu Hülfe!«

«Schweig', Unglücklicher!«sprach der junge Mann,»ich bin d'Artagnan. Erkennst Du mich nicht mehr? wo ist Dein Herr?«

«Ihr Herr d'Artagnan?«rief Grimaud erschrocken,»unmöglich!«

«Grimaud, «sagte Athos, im Schlafrock aus seinem Zimmer tretend,»ich glaube, Du erlaubst Dir zu sprechen!«

«Ach, gnädiger Herr, weil…«

«Stille!«

Grimaud begnügte sich mit dem Finger auf d'Artagnan zu deuten.

Athos brach bei all' seinem Phlegma in ein Gelächter aus, das durch die verstörte Miene seines jungen Freundes gar wohl motivirt war.

«Lacht nicht, mein Freund!«rief d'Artagnan,»um des Himmels willen, lacht nicht, denn bei meiner Seele sage ich Euch, es ist kein Grund zum Lachen vorhanden.«

Und er sprach diese Worte mit einer so feierlichen Betonung und mit einem so unzweideutigen Ausdruck des Schreckens, daß Athos ihn bei der Hand nahm und ausrief:

«Solltet Ihr verwundet sein, mein Freund? Ihr seht sehr bleich aus.«—»Nein, aber es ist mir so eben ein furchtbares Abenteuer begegnet. Seid Ihr allein, Athos?«—»Bei Gott, wer soll denn zu dieser Stunde bei mir sein?«—»Gut, gut!»

D'Artagnan stürzte in das Zimmer von Athos.

«Ei, so sprecht doch, «sagte dieser, die Thüre verschließend und die Riegel vorschiebend, um nicht gestört zu werden.»Ist der König todt? Habt Ihr den Herrn Kardinal umgebracht? Ihr seid ganz verwirrt. Sprecht! laßt hören! denn ich sterbe in der That vor Unruhe.«—»Athos, «antwortete d'Artagnan,»seid bereit, eine unglaubliche, unerhörte Geschichte zu hören!«—»Redet doch, «sagte Athos. — »Nun wohl, «fuhr d'Artagnan, sich nach dem Ohr von Athos beugend und die Stimme dämpfend fort,»Mylady ist mit einer Lilie auf der Schulter bezeichnet.«—»Ha!«rief der Musketier, als ob ihn eine Kugel ins Herz getroffen hätte. — »Sagt, «sprach d'Artagnan,»seid Ihr sicher, daß die Andere todt ist?«—»Die Andere?«versetzte Athos mit so dumpfer Stimme, daß es d'Artagnan kaum hörte. — »Ja, die, von welcher Ihr mir eines Tages in Amiens erzählt habt.«

Athos stieß einen Seufzer aus, und ließ den Kopf in seine Hände fallen.

«Diese, «fuhr d'Artagnan fort,»ist eine Frau von sechsundzwanzig bis achtundzwanzig Jahren.«—»Blond?«fragte Athos. — »Ja.«—»Blaue, helle Augen, von seltener Klarheit, mit schwarzen Wimpern und Brauen?«—»Ja.«—»Groß, gut gewachsen? es fehlt ihr ein Zahn neben dem Augenzahn auf der linken Seite?«—»Ja.«—»Die Lilie ist klein und roth, etwas verwischt durch Pflaster, welche man aufgelegt hat?«—»Ihr sagt jedoch, diese Frau sei eine Engländerin?«—»Ja.«—»Man nennt sie Mylady, aber sie kann dessenungeachtet eine Französin sein. Lord Winter ist nur ihr Schwager.«—»Ich will sie sehen, d'Artagnan!«—»Nehmt Euch in Acht, Athos, nehmt Euch in Acht. Ihr wolltet sie tödten? Sie ist die Frau, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten und Euer nicht zu fehlen.«—»Sie wird es nicht wagen, etwas zu sagen, denn sie würde sich dadurch selbst verrathen.«—»Sie ist zu Allem fähig! Habt Ihr sie je wüthend gesehen?«—»Nein, «sprach Athos. — »Eine Tigerin, ein Pantherthier! ach, mein lieber Athos, ich fürchte sehr, eine gräßliche Rache auf uns herabbeschworen zu haben!«

D'Artagnan erzählte nun Alles, den wahnsinnigen Zorn Mylady's und ihre Todesdrohungen.

«Ihr habt Recht, und ich würde mein Leben für ein Haar geben, «sprach Athos.»Zum Glück verlassen wir Paris übermorgen, wir ziehen höchst wahrscheinlich nach La Rochelle, und wenn wir einmal fort sind…«—»Wird sie Euch verfolgen bis an's Ende der Welt, Athos, wenn sie Euch wieder erkennt. Laßt also ihren Haß sich gegen mich allein wenden.«—»Ei, mein Lieber, was ist daran gelegen, daß sie mich tödtet!«sagte Athos.»Glaubt Ihr etwa, ich hänge am Leben?«—»Unter Allem dem ist ein furchtbares Geheimniß verborgen. Die Frau ist die Spionin des Kardinals. Das bin ich fest überzeugt.«—»In diesem Fall seid auf Eurer Hut. Wenn der Kardinal nicht wegen der Londoner Angelegenheit eine hohe Bewunderung für Euch hegt, so hegt er einen gewaltigen Haß. Aber da er Euch am Ende nichts offen vorwerfen kann und der Haß befriedigt werden muß, besonders wenn es ein Kardinalshaß ist, so hütet Euch wohl! Wenn Ihr ausgeht, geht nicht allein aus, wenn Ihr eßt, nehmet Eure Vorsichtsmaßregeln; mißtraut Allem, selbst Eurem Schatten.«

«Zum Glück handelt es sich nur darum, «sprach d'Artagnan,»bis übermorgen in Bangigkeit umherzugehen. Denn sind wir einmal bei der Armee, so haben wir es hoffentlich nur noch mit Männern zu thun.«—»Indessen, «sagte Athos,»verzichte ich auf meine Einsperrungspläne und gehe überall hin mit Euch. Ihr müßt nach der Rue des Fossoyeurs zurückkehren; ich werde Euch begleiten.«—»Es sei, mein lieber Athos; aber laßt mich Euch zuerst den Ring zustellen, den ich von dieser Frau empfangen habe. Der Saphir gehört Euch. Habt Ihr mir nicht gesagt, es sei ein Familienjuwel?«—»Ja, mein Vater kaufte ihn um zweitausend Thaler, wie er mir einst sagte. Er bildete einen Theil der Hochzeitsgeschenke, die er meiner Mutter machte. Es ist ein prächtiger Stein. Meine Mutter gab ihn mir, und ich in meiner damaligen Narrheit schenkte ihn, statt ihn wie eine heilige Reliquie zu bewahren, meinerseits dieser Elenden.«—»Gut, nehmt den Ring zurück, an dem Ihr begreiflich hängen müßt.«—»Ich den Ring zurücknehmen, nachdem er durch die Hände dieser Schändlichen gegangen ist? Nie, dieser Ring ist beschmutzt, d'Artagnan.«—»Dann verkauft oder verpfändet ihn; man wird Euch wohl tausend Thaler darauf leihen. Mit dieser Summe macht Ihr Eure Angelegenheiten bequem ab. Mit dem ersten Geld, das Ihr einnehmt, löst Ihr ihn sodann wieder und nehmt ihn von seinen alten Flecken gereinigt zurück, denn er ist durch die Hände von Wucherern gegangen.«

Athos lächelte.

«Ihr seid ein entzückender Junge, mein lieber d'Artagnan, «sprach er.»Ihr richtet durch Eure ewige Heiterkeit die armen Geister in ihrem Kummer auf. Nun denn, ja, verpfänden wir diesen Ring, der mir gehört, aber unter einer Bedingung.«—»Unter welcher?«—»Daß fünfhundert Thaler für Euch und fünfhundert für mich sind.«—»Was denkt Ihr, Athos? Ich bedarf nicht des vierten Theils dieser Summe, da ich bei den Garden stehe und wenn ich meinen Sattel verkaufe, so verschaffe ich mir den Betrag. Was brauche ich? ein Pferd für Planchet, das ist Alles. Dann vergeßt Ihr, daß ich auch einen Ring besitze.«—»An dem Ihr noch mehr zu hängen scheint, als ich an dem meinigen. Wenigstens glaubte ich dies zu bemerken.«—»Ja, denn in einem äußersten Fall kann er uns nicht nur aus einer großen Verlegenheit, sondern auch aus einer großen Gefahr ziehen. Das ist kein einfacher Diamant, es ist zugleich ein Talisman.«

«Ich verstehe Euch nicht, aber ich glaube, was Ihr sagt. Um wieder auf meinen Ring, oder vielmehr auf den Eurigen zurückzukommen, so müßt Ihr die Hälfte der Summe, die man Euch darauf leihen wird, annehmen, oder ich werfe ihn in die Seine, und ich zweifle, ob, wie bei Polykrates, ein Fisch so gefällig ist, ihn uns wieder zu bringen.«—»Gut, ich nehme es an, «sagte d'Artagnan.

In diesem Augenblick trat Grimaud in Begleitung von Planchet ein. Dieser war unruhig über seinen Herrn und neugierig zu erfahren, was ihm begegnet sein möchte.

Athos kleidete sich an, und als er auszugehen bereit war, machte er Grimaud ein bedeutsames Zeichen, der Diener nahm seine Muskete von der Wand, und schickte sich an, seinen Herrn zu begleiten.

D'Artagnan und Athos gelangten ohne irgend einen Unfall in die Rue des Fossoyeurs. Herr Bonacieux stand an seiner Thüre und schaute d'Artagnan auf eine pöbelhaft spottende Weise an.

«Eh! mein lieber Miethsmann, «sagte er,»beeilt Euch, es wartet ein hübsches Mädchen in Eurem Zimmer, und Ihr wißt, die Frauen lieben es nicht, daß man sie warten läßt.«

«Es ist Ketty «rief d'Artagnan und lief in den Gang.

Auf dem nach seinem Zimmer führenden Boden fand er das arme Kind, das sich ganz zitternd an die Thüre lehnte. Sobald sie ihn erblickte, sagte sie:

«Ihr habt mir Euren Schutz versprochen, Ihr habt mir gelobt, mich vor ihrem Zorne zu retten. Erinnert Euch, daß Ihr es seid, der mich zu Grunde gerichtet hat.«

«Ja, allerdings, «erwiderte d'Artagnan;»sei ruhig, Ketty. Aber was ist denn nach meinem Abgang vorgefallen?«

«Weiß ich es?«sagte Ketty,»Auf ihr Geschrei liefen alle Lakaien herbei; sie war furchtbar aufgebracht und spie alle Verwünschungen der Welt gegen Euch aus. Dann dachte ich, sie würde sich erinnern, daß Ihr durch mein Zimmer in das ihrige eingedrungen wäret, und sie müßte in mir Eure Mitschuldige erkennen. Ich nahm das wenige Geld, das ich besaß, sowie meine kostbarsten Kleidungsstücke, und flüchtete mich.«

«Armes Kind, aber was soll ich mit Dir machen? Ich reise übermorgen ab.«

«Alles was Ihr wollt, Herr Chevalier. Macht, daß ich Paris, daß ich Frankreich verlasse.«

«Ich kann Dich doch nicht mit zur Belagerung von La Rochelle führen, «sprach d'Artagnan.

«Nein, aber Ihr könnt mich in der Provinz unterbringen, bei irgend einer Dame von Eurer Bekanntschaft; in Eurer Heimath zum Beispiel.«

«Oh, meine liebe Freundin, in meiner Heimath haben die Damen keine Kammerfrauen. Doch halt! ich weiß, was zu thun ist. Planchet, hole mir Aramis. Er möge sogleich kommen. Wir haben etwas sehr Wichtiges mit ihm zu sprechen.«

«Ich begreife, «sagte Athos;»aber warum nicht Porthos? Es scheint mir, seine Marquise…«

«Die Marquise von Porthos ließe sich eher von den Schreibern ihres Mannes ankleiden, als daß sie eine Kammerfrau hielte, «sprach d'Artagnan lachend.»Ueberdies dürfte Ketty nicht gerne in der Rue aux Ours wohnen, nicht wahr, Ketty?«

«Ich werde wohnen, wo man will, «sagte Ketty,»vorausgesetzt, daß ich gut verborgen bin und man nicht weiß, wo ich mich aufhalte.«

«Jetzt, Ketty, da wir uns zu trennen im Begriffe sind, und Du folglich nicht mehr auf mich eifersüchtig bist…«

«Herr Chevalier, «sprach Ketty,»nah oder fern, ich werde Euch beständig lieben.«

«Wo Teufels nistet sich die Beständigkeit ein!«murmelte Athos.

«Auch ich, «sagte d'Artagnan,»auch ich werde Dich stets lieben, glaube mir. Aber höre, antworte mir. Ich lege ein großes Gewicht auf die Frage, die ich an dich richte. Solltest Du nie von einer jungen Frau gehört haben, die man in einer Nacht wegführte?«—»Halt… Oh! mein Gott, Herr Chevalier, liebt Ihr diese Frau noch?«—»Nein, einer meiner Freunde liebt sie — Athos, den Du hier siehst.«—»Ich!«rief Athos mit dem Ausdruck eines Menschen, der gewahr wird, daß er auf eine Natter getreten. — »Allerdings Ihr, «erwiderte d'Artagnan, Athos die Hand drückend.»Ihr wißt wohl, wie sehr wir an dem Schicksal der guten Frau Bonacieux Theil nehmen. Ueberdies wird Ketty nicht plaudern. Nicht wahr, Ketty? Du begreifst, mein Kind, «fuhr d'Artagnan fort,»es ist die Frau des abscheulichen Affen, den Du bei Deinem Eintritt unten an der Thüre gesehen hast.«—»Oh! mein Gott!«rief Ketty,»Ihr erinnert mich an meine Angst; wenn er mich nur nicht erkannt hat!..«—»Wie, erkannt? Du hast also diesen Menschen schon gesehen?«—»Er ist zweimal zu Mylady gekommen.«—»Um welche Zeit?«—»Vor etwa vierzehn oder achtzehn Tagen.«—»Ganz richtig.«—»Und gestern Abend ist er wieder erschienen.«—»Gestern Abend?«—»Ja, einen Augenblick, ehe Ihr selbst eingetroffen seid.«—»Mein lieber Athos, wir sind von einem Netz von Spionen umgeben! Und Du glaubst, er habe Dich erkannt, Ketty?«—»Ich senkte meine Haube, als ich ihn erblickte, aber vielleicht war es zu spät.«—»Geht hinab, Athos, man mißtraut Euch weniger, als mir, und seht, ob er immer noch vor der Thüre steht.«

Athos ging hinab und kam sogleich wieder zurück.

«Der Krämer ist fort, «sprach er,»und das Haus ist geschlossen.«—»Er wird sich ohne Zweifel entfernt haben, um zu melden, daß alle Tauben im Schlage sind.«—»Gut! aber wir wollen ausfliegen, «sagte Athos,»und nur Planchet hier lassen, um uns Nachricht zu bringen.«—»Noch eine Minute! Aramis, nach dem wir geschickt haben?«—»Das ist richtig, erwarten wir Aramis.«

In demselben Augenblicke trat Aramis ein.

Man setzte ihm die ganze Angelegenheit auseinander und sagte ihm, daß er nothwendig unter allen seinen hohen Bekannten einen Platz für Ketty suchen müsse.

Aramis dachte einen Augenblick nach und erwiderte dann erröthend:

«Wird Euch wirklich ein großer Dienst dadurch erwiesen?«

«Ich werde Euch mein ganzes Leben dafür dankbar sein.«

«Nun wohl. Frau von Bois-Tracy hat mich für eine ihrer Freundinnen, welche, glaube ich, in der Provinz wohnt, um eine sichere Kammerfrau gebeten, und wenn Ihr mir für dieses Mädchen stehen könnt, d'Artagnan…«

«Oh! gnädiger Herr, «rief Ketty,»ich werde gewiß der Person, die mich in den Stand setzt, Paris zu verlassen, mit Leib und Seele ergeben sein.«

«Dann geht die Sache vortrefflich, «sprach Aramis.

Er setzte sich an einen Tisch, schrieb ein paar Worte, versiegelte sie mit einem Ringe und händigte das Billet Ketty ein.

«Du weißt nun, mein Kind, «sagte d'Artagnan,»daß es hier nicht besser für uns ist, als für Dich. Wir müssen uns jetzt trennen, werden uns aber in schöneren Tagen wiederfinden.«

«Und an welchem Ort und zu welcher Zeit wir uns wieder sehen werden, «sprach Ketty,»so werde ich Euch so innig lieben, wie ich Euch heute liebe.«

Einen Augenblick nachher trennten sich die drei jungen Männer und ließen nur Planchet zurück, um das Haus zu bewachen.

Aramis kehrte in seine Wohnung zurück, während Athos und d'Artagnan für Unterbringung des Saphirs sorgten.

Man fand, wie unser Gascogner vorhergesehen hatte, leicht dreihundert Pistolen auf den Ring. Ueberdies bemerkte der Jude, wenn man denselben an ihn verkaufen wollte, so würde er sogar fünfhundert Pistolen dafür geben, da er ein prachtvolles Ohrgehänge daraus machen lassen könnte.

Mit der Thätigkeit zweier Soldaten und der Wissenschaft zweier Kenner brauchten Athos und d'Artagnan kaum drei Stunden, um die ganze Equipirung des Musketiers einzukaufen. Athos war vornehmer Herr bis an die Nagelspitzen. Sobald ihm etwas anstand, bezahlte er den verlangten Preis, ohne daß er nur den geringsten Versuch machte, etwas herunterzumarkten. D'Artagnan wollte ihm hierüber Bemerkungen machen, aber Athos legte ihm lächelnd die Hand auf die Schulter, und d'Artagnan begriff, daß für ihn, den kleinen gascognischen Edelmann, das Handeln gut war, aber nicht für einen Mann von fürstlichem Aussehen.

Der Musketier fand ein herrliches andalusisches Roß, schwarz wie Gagath, mit Feuer schnaubenden Nüstern, eleganten, zarten Beinen und sechs Jahre alt. Er untersuchte das Pferd und erkannte es als tadellos. Man bot es für tausend Franken. Vielleicht hätte er es für weniger bekommen, aber während sich d'Artagnan mit dem Pferdehändler über den Preis besprach, zählte Athos die hundert Pistolen auf den Tisch.

Grimaud erhielt ein picardisches Pferd, untersetzt und stark, das dreihundert Livres kostete.

Nachdem der Sattel für letzteres Pferd und die Waffen für Grimaud gekauft waren, blieb kein Sou mehr von den hundert und fünfzig Pistolen von Athos übrig. D'Artagnan bot seinem Freunde etwas von dem ihm zukommenden Theil an. Aber Athos beschränkte sich statt jeder Antwort darauf, die Achseln zu zucken.

«Wie viel würde der Jude für den Ring geben, wenn man ihm denselben als volles Eigenthum überließe?«fragte er. — »Fünfhundert Pistolen.«—»Das heißt zweihundert Pistolen mehr: hundert Pistolen für Euch, hundert Pistolen für mich. Das ist ein wahres Glück, mein lieber Freund, kehrt zu dem Juden zurück.«—»Wie? Ihr wollt…«—»Dieser Ring würde offenbar zu traurige Erinnerungen in mir zurückrufen; dann haben wir ihm auch die dreihundert Pistolen nicht heimzubezahlen, so daß wir bei diesem Handel zweitausend Livres gewinnen. Sagt ihm, der Ring gehöre ihm, d'Artagnan, und kommt mit zweihundert Pistolen zurück. — »Ueberlegt, Athos.«

«Das baare Geld ist in diesen Zeitläuften theuer, und man muß Opfer zu bringen wissen. Geht, d'Artagnan, geht. Grimaud wird Euch mit seinem Mousqueton begleiten.«

Nach einer halben Stunde kam d'Artagnan mit den zweihundert Pistolen und ohne daß ihm ein Unfall zugestoßen war, zurück.

So fand Athos in seiner Wirtschaft Mittel, auf die er nicht gerechnet hatte.

XI. Eine holdselige Erscheinung

Zur bestimmten Stunde waren die vier Freunde bei Athos versammelt. Ihre Unruhe, ihre Bangigkeit in Betreff der Equipirung war völlig verschwunden, und jedes Gesicht behielt nur noch den Ausdruck seiner eigenen und geheimen Unruhe, denn hinter jedem gegenwärtigen Glück ist eine Furcht vor der Zukunft verborgen.

Plötzlich trat Planchet ein und brachte zwei Briefe mit der Adresse d'Artagnan's.

Der eine war ein zierlich zusammengefaltetes Billet von länglicher Form, mit einem hübschen Siegel von grünem Wachs, auf dem sich eine Taube mit einem grünen Zweig im Schnabel eingedrückt fand.

Der andere war ein großer viereckiger Brief, auf dem das furchtbare Wappen von Seiner Eminenz, dem Kardinal Herzog glänzte.

Bei dem Anblick des kleinen Briefes hüpfte d'Artagnan's Herz vor Freude, denn er glaubte die Handschrift zu erkennen, und obgleich er dieselbe nur einmal gesehen, so hatte sich doch die Erinnerung tief in seinem Innern eingegraben.

Er nahm also den kleinen Brief und entsiegelte ihn eilig.

«Reitet nächsten Mittwoch, «schrieb man ihm,»von sechs bis sieben Uhr auf der Straße von Chaillot spazieren, und schaut sorgfältig in jeden Wagen, der an Euch vorüber kommt. Aber wenn Euch an Eurem eigenen Leben und am Leben der Euch liebenden Personen etwas liegt, so sprecht kein Wort. Macht keine Bewegung, woraus man ersehen könnte, daß Ihr diejenige erkannt habt, welche Alles wagt, um Euch einen Augenblick zu sehen.«

Keine Unterschrift.

«Das ist eine Falle, «sprach Athos,»geht nicht hin, d'Artagnan.«—»Ich glaube aber die Handschrift ganz wohl zu erkennen, «sagte d'Artagnan. — »Sie kann nachgemacht sein, «entgegnete Athos.»Von sechs bis sieben Uhr ist um diese Zeit die Straße von Chaillot ganz verlassen. Ihr könntet eben sowohl im Walde von Bondy spazieren gehen.«—»Doch wenn wir Alle gingen?«sagte d'Artagnan.»Was Teufels, man wird nicht alle vier, nebst vier Lakaien, vier Pferden und den Waffen verschlingen; das müßte eine schöne Unverdaulichkeit zur Folge haben.«—»Dann wäre es auch eine schöne Gelegenheit, unsere Rosse zu zeigen, «sprach Porthos. — »Aber wenn es eine Frau ist, die Euch schreibt, «sagte Aramis,»und wenn diese Frau nicht gesehen zu werden wünscht, so bedenkt, daß Ihr sie compromittirt, d'Artagnan, was einem Edelmann gar übel steht.«—»Wir bleiben etwas zurück, «rief Porthos,»und er allein reitet voraus.«—»Ja, aber eine Pistole ist bald aus einem Wagen abgefeuert, der im Galop dahinfährt.«—»Bah!«erwiderte d'Artagnan,»man wird mich nicht treffen.«—»Wir holen dann den Wagen ein, und bringen Alle um, die darin sitzen. Dadurch haben wir immerhin eben so viele Feinde weniger.«—»Er hat Recht, «sagte Porthos,»eine Schlacht kann nichts schaden, wir müssen ohnehin unsere Waffen versuchen.«—»Meiner Treu! Wir wollen uns dieses Vergnügen gönnen, «versetzte Aramis mit seiner sanften, gleichgültigen Miene. — »Wie Ihr wollt, «sprach Athos. — »Meine Herren, «sagte d'Artagnan,»es ist halb fünf Uhr, und wir haben kaum Zeit, uns auf den Weg nach Chaillot zu machen.«—»Wenn wir zu spät ritten, «sagte Porthos,»so würde man uns nicht mehr sehen, und das wäre sehr schade. Vorwärts also, meine Herren.«—»Aber Ihr vergeßt den zweiten Brief, «rief Athos.»Das Sigel scheint mir anzudeuten, daß er geöffnet zu werden verdient. Ich meines Theils muß Euch erklären, daß ich mich viel mehr um diesen bekümmere, als um den kleinen Wisch, den Ihr ganz zart in Euren Busen gesteckt habt.«

D'Artagnan erröthete.

«Nun wohl, «sprach der junge Mann,»sehen wir, meine Herren, was Seine Eminenz von mir will.«

D'Artagnan entsiegelte und las:

«Herr d'Artagnan, Garde des Königs, Kompagnie des Essarts, wird diesen Abend um acht Uhr im Palais-Kardinal erwartet.

La Houdiniére, Kapitän der Leibwache.«

«Teufel!«rief Athos,»das ist ein Rendezvous, welches viel mehr beunruhigen muß, als das andere.«

«Ich gehe zu dem zweiten, wenn ich von dem ersten zurückkomme, «sprach d'Artagnan.»Das eine soll um sieben, das andere um acht Uhr stattfinden. Ich habe Zeit zu Allem.«

«Hm! ich ginge nicht, «entgegnete Aramis.»Ein galanter Ritter darf bei einem Rendezvous nicht fehlen, das ihm eine Dame gibt. Aber ein kluger Edelmann kann sich entschuldigen und nicht zu seiner Eminenz gehen, besonders wenn er einige Gründe hat, zu glauben, daß man ihn nicht rufe, um ihm Komplimente zu machen.«

«Ich bin der Meinung von Aramis, «fügte Porthos bei.

«Meine Herren, «antwortete d'Artagnan,»ich habe bereits durch Herrn von Cavois eine ähnliche Einladung zu Sr. Eminenz erhalten. Ich vernachläßigte sie, und am andern Tage begegnete mir ein großes Unglück. Constance verschwand. Was auch daraus werden mag, ich gehe in jedem Falle hin.«

«Wenn dies Euer fester Entschluß ist, so führt ihn aus, «sprach Athos.

«Aber die Bastille?«sagte Aramis.

«Bah! Ihr werdet mich herausziehen, «erwiderte d'Artagnan.

«Allerdings, «versetzten Aramis und Porthos mit bewundernswürdiger Bestimmtheit, und als ob dies eine ganz einfache Sache wäre.»Allerdings werden wir Dich herausziehen, aber mittlerweile würdet Ihr, da wir übermorgen abreisen, besser daran thun, Euch der Gefahr der Bastille nicht auszusetzen.«

«Thun wir, was in unsern Kräften liegt, «sprach Athos,»verlassen wir ihn diesen Abend nicht. Erwarten wir ihn jeder an einer Thüre des Palastes, je mit drei Musketieren hinter uns. Bemerken wir, daß ein Wagen mit geschlossenem Schlag und von verdächtigem Aussehen herauskommt, so fallen wir darüber her. Es ist schon sehr lange, daß wir keinen Strauß mehr mit den Leibwachen des Herrn Kardinals ausgefochten haben, und Herr von Treville muß uns für todt halten.«

«Ihr seid offenbar zum Heerführer geboren, Athos, «sprach Aramis.»Was sagt Ihr zu diesem Plane, meine Herren?«

«Vortrefflich!«wiederholten die jungen Leute im Chor.

«Gut!«sprach Porthos,»ich laufe nach dem Hotel und benachrichtige unsere Kameraden, damit sie sich auf dem Platze des Palais-Kardinal bereit halten; Ihr laßt mittlerweile die Pferde durch die Bedienten satteln.«

«Ich, was mich betrifft, habe kein Pferd, «entgegnete d'Artagnan, aber ich will eines von Herrn von Treville nehmen.«—»Das ist unnöthig, «versetzte Aramis.»Ihr nehmt eines von den meinigen.«—»Wie viel habt Ihr denn?«fragte d'Artagnan. — »Drei, «antwortete Aramis lächelnd. — »Mein Lieber, «sagte Athos,»Ihr seid sicherlich der bestbezahlte Dichter von Frankreich und Navarra.«

«Hört, mein lieber Aramis, Ihr werdet nicht wissen, was Ihr mit drei Pferden thun sollt? nicht wahr? Ich begreife sogar nicht, warum Ihr drei Pferde gekauft habt.«

«Ich habe auch nur zwei gekauft, «erwiderte Aramis.

«Das dritte ist Euch also vom Himmel zugefallen?«

«Nein, das dritte ist mir diesen Morgen von einem Bedienten ohne Livree zugeführt worden, der mir nicht sagen wollte, wem er gehörte, und mir die Versicherung gab, er habe den Befehl von seinem Gebieter erhalten…«

«Oder von seiner Gebieterin, «unterbrach ihn d'Artagnan.

«Das macht nichts zur Sache, «fuhr Aramis erröthend fort,»und der mir die Versicherung gab, sage ich, er habe Befehl von seinem Gebieter oder seiner Gebieterin erhalten, dieses Pferd in meinen Stall zu bringen, ohne zu sagen, woher es käme.«

«Dergleichen begegnet nur einem Dichter, «sprach Athos ernst.

«Nun, wir wollen dieß benützen, «sagte d'Artagnan.»Welches von den zwei Pferden werdet Ihr reiten? Das, welches Ihr gekauft habt oder das, welches man Euch geschenkt hat?«

«Offenbar das, welches man mir geschenkt hat. Ihr begreift, daß ich eine solche Beleidigung…«

«Dem unbekannten Geber nicht anthun kann, «versetzte d'Artagnan.

«Oder der geheimnißvollen Geberin, «sprach Athos.

«Das gekaufte ist Euch also unnütz.«

«Beinahe.«

«Ihr habt es selbst ausgewählt?«

«Ja, und zwar mit der größten Sorgfalt. Die Sicherheit des Reiters hängt, wie Ihr wißt, beinahe immer von seinem Pferde ab.«

«Nun wohl, überlaßt es mir um den Preis, den es Euch kostet.«

«Ich wollte es Euch anbieten, mein lieber d'Artagnan, und dabei Euch jede Zeit gönnen, die Ihr nöthig haben könntet, um mir diese Bagatelle zurückzubezahlen.«

«Und wie viel kostet Euch das Pferd?«

«Achthundert Livres.«

«Hier sind vierzig Doppelpistolen, mein Freund, «sprach d'Artagnan und zog diese Summe aus seiner Tasche.»Ich weiß, daß dies die Münze ist, in der man Euch Eure Gedichte bezahlt.«

«Ihr seid also bei Kasse?«

«Reich, sehr reich, mein Lieber!«

Und d'Artagnan ließ in seiner Tasche den Rest seiner Pistolen klingen.

«Schickt Euren Sattel in das Hotel der Musketiere, und man wird Euch Euer Pferd mit den unsrigen hieher führen.«

«Sehr gut, aber es ist bald fünf Uhr, eilen wir!«

Eine Viertelstunde nachher erschien Porthos am Ende der Rue Ferou auf einem prächtigen Rosse. Mousqueton folgte ihm auf einem Auvergner Pferde, das kleiner, aber stark war. Porthos glänzte vor Stolz und Freude.

Zu gleicher Zeit sah man Aramis von dem andern Ende der Straße her auf einem herrlichen englischen Renner; Bazin folgte ihm auf einem Rothschimmel und führte ein kräftiges Mecklenburger Roß am Zügel, das für d'Artagnan bestimmt war.

Die zwei Musketiere begegneten sich vor der Thüre. Athos und d'Artagnan betrachteten dieselben durch das Fenster.

«Teufel!«sagte Aramis,»Ihr habt da ein herrliches Pferd, mein Lieber.«

«Ja, «antwortete Porthos,»es ist das, welches man mir gleich am Anfang schicken sollte. Ein schlechter Spaß des Gemahls hatte es durch ein anderes ersetzt; aber er ist schön dafür bestraft worden, und ich habe vollständige Genugthuung erhalten.«

Grimaud zeigte sich ebenfalls, das Pferd seines Herrn an der Hand haltend; d'Artagnan und Athos kamen herab, schwangen sich neben ihren Gefährten in den Sattel, und nun ritten alle vier nach dem Quai, Athos auf dem Pferde, das er seiner Gattin, Porthos auf dem Pferd, das er der Procuratorin, Aramis auf dem Pferd, das er seiner Geliebten, und d'Artagnan auf dem Pferd, das er seinem guten Glück, der schönsten Geliebten der Welt, zu verdanken hatte. Die Bedienten folgten ihnen. Die Kavalcade brachte, wie dies Porthos vorher gedacht hatte, eine gute Wirkung hervor, und wenn sich Madame Coquenard auf dem Wege von Porthos eingefunden und gesehen hätte, wie vornehm er auf seinem spanischen Rosse aussah, so würde sie den Aderlaß nicht bedauert haben, den sie an der Geldkasse ihres Mannes vorgenommen hatte.

In der Nähe des Louvre begegneten die vier Freunde Herrn von Treville, der von Saint-Germain zurückkam. Er hieß sie stille halten, um ihnen sein Kompliment über ihre Equipirung zu machen, was im Augenblick einige hundert Müßiggänger um sie versammelte.

D'Artagnan benützte diesen Umstand, um mit Herrn von Treville von dem Brief mit dem großen rothen Siegel und dem herzoglichen Wappen zu sprechen. Es versteht sich, daß er von dem andern keine Silbe verlauten ließ.

Herr von Treville billigte seinen Entschluß und versicherte ihn, daß, wenn er am andern Morgen nicht wieder erschienen wäre, er ihn zu finden wissen würde, wo er auch sein möchte.

In diesem Augenblick schlug die Glocke der Samaritaine sechs Uhr. Die vier Freunde entschuldigten sich mit einer Zusammenkunft und nahmen von Herrn von Treville Abschied.

Ein kurzer Galop brachte sie auf die Straße von Chaillot. Der Tag fing an sich zu neigen. Wagen fuhren hin und her. In einiger Entfernung von seinen Freunden bewacht, senkte d'Artagnan seine Blicke in die Tiefe jedes Wagens. Er gewahrte jedoch kein ihm bekanntes Gesicht.

Endlich, nachdem er eine Viertelstunde gewartet hatte und die Abenddämmerung völlig eingebrochen war, fuhr ein Wagen in starkem Galop auf der Straße von Sevres herbei. Eine Ahnung sagte d'Artagnan zum Voraus, dieser Wagen müsse die Person enthalten, welche ihn bisher beschieden hatte. Der junge Mann war selbst ganz erstaunt, als er fühlte, wie heftig sein Herz pochte. Beinahe in derselben Sekunde schlüpfte ein Frauenkopf aus dem Kutschenschlage hervor, zwei Finger auf dem Mund, als wollte man Stillschweigen empfehlen oder einen Kuß zusenden. D'Artagnan stieß einen leichten Schrei der Freude aus. Diese Frau oder vielmehr diese Erscheinung — denn der Wagen war mit der Geschwindigkeit einer Vision vorüber gezogen — war Madame Bonacieux.

In unwillkürlichem Drang und trotz der Empfehlung, die an ihn ergangen war, setzte d'Artagnan sein Pferd in Galop und holte den Wagen mit einigen Sprüngen wieder ein, aber die Scheibe des Kutschenschlages war hermetisch verschlossen und die Erscheinung verschwunden.

D'Artagnan erinnerte sich nun der Worte, die man ihm in dem Billet eingeschärft hatte:»wenn Euch an Eurem eigenen Leben und am Leben der Euch liebenden Personen Etwas liegt, so bleibt unbeweglich, als ob Ihr nichts gesehen hättet.«

Er hielt also stille und zitterte, nicht für sich, sondern für die arme Frau, die sich offenbar einer großen Gefahr ausgesetzt hatte, indem sie ihn hieher beschieden.

Die Kutsche setzte ihren Weg in größter Eile fort, fuhr nach Paris hinein und verschwand.

D'Artagnan war ganz verblüfft auf demselben Platze geblieben und wußte nicht, was er denken sollte. War es Madame Bonacieux und kehrte sie nach Paris zurück, warum dieses flüchtige Rendezvous? warum dieser einfache Austausch eines Blickes? warum dieser zugeworfene Kuß? War sie es dagegen nicht, was immer noch sein konnte, denn das geringe Tageslicht machte einen Irrthum ganz leicht möglich; war sie es nicht, sollte dies dann nicht der Anfang eines Ueberfalls sein, den man gegen ihn mit dem Köder dieser Frau beabsichtigte, da man seine Liebe für dieselbe gar wohl kannte?

Die drei Freunde näherten sich ihm. Alle drei hatten vollkommen einen Frauenkopf aus dem Kutschenschlage erscheinen sehen, aber keiner von ihnen, mit Ausnahme von Athos, kannte Madame Bonacieux. Athos war allerdings der Meinung, sie sei es gewesen, aber minder unruhig mit diesem hübschen Gesichte beschäftigt, als d'Artagnan, hatte er einen zweiten Kopf, einen Männerkopf, im Hintergrunde des Wagens zu sehen geglaubt.

«Wenn dem so ist, «sprach d'Artagnan,»so bringt man sie ohne Zweifel von einem Gefängnisse in das andere. Aber, was wollen sie mit diesem armen Geschöpfe machen? Und wie soll ich sie je wiederfinden?«

«Freund, «sprach Athos ernst,»erinnert Euch, daß man nur bei den Todten nicht Gefahr läuft, ihnen auf Erden wieder zu begegnen. Ihr wißt etwas so gut wie ich, nicht wahr? Wenn nur Eure Geliebte nicht todt ist, falls sie es ist, der wir soeben begegnet haben, so werdet Ihr sie eines Tages wiederfinden und vielleicht, mein Gott, «fügte er mit dem ihm eigentümlichen menschenfeindlichen Tone bei,»vielleicht früher, als Euch lieb sein wird!«

Es schlug halb acht Uhr. Der Wagen war zwanzig Minuten nach der für das Rendezvous bestimmten Stunde gekommen. Die Freunde erinnerten d'Artagnan daran, daß er einen Besuch zu machen hatte, bemerkten jedoch, daß es immer noch Zeit sei, sich davon zu entbinden. Aber d'Artagnan war zugleich halsstarrig und neugierig. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, nach dem Palais Richelieus zu gehen, um zu erfahren, was ihm Seine Eminenz sagen wollte. Nichts konnte ihn in seinem Entschluß wankend machen.

Man gelangte nach der Rue St. Honoré und vor das Palais-Kardinal, und traf die zwölf zusammenberufenen Musketiere, welche, ihre Kameraden erwartend, auf- und abgingen. Man erklärte ihnen erst hier, um was es sich handelte.

D'Artagnan war sehr bekannt bei dem ehrenwerten Corps der Musketiere. Man wußte, daß er einst eine Stelle bei demselben bekommen sollte, und betrachtete ihn zum Voraus als einen Kameraden. Dem zu Folge nahm jeder gerne die Sendung an, für welche er beschieden war. Ueberdies hatte man aller Wahrscheinlichkeit nach dem Herrn Kardinal und seinen Leuten einen schlimmen Streich zu spielen, und zu solchen Unternehmungen waren die würdigen Herren stets bereit.

Athos theilte sie in drei Gruppen, übernahm das Kommando der einen, übergab die zweite Aramis, die dritte Porthos, und jede Gruppe legte sich einem Eingang gegenüber in den Hinterhalt.

D'Artagnan trat muthig durch die Hauptpforte ein. Obgleich sich der junge Mann kräftig unterstützt fühlte, war er doch nicht ganz ruhig, als er die große Treppe Stufe um Stufe hinauf stieg. Sein Benehmen gegen Mylady glich einigermaßen einem Verrath, und er vermuthete die politischen Beziehungen, welche zwischen dem Herzog und dieser Frau bestanden; überdies war Herr von Wardes, den er so übel zugerichtet hatte, einer von den Getreuen Seiner Eminenz, und d'Artagnan wußte, daß Seine Eminenz, wenn sie einerseits furchtbar für ihre Feinde war, andererseits eine große Anhänglichkeit an ihre Freunde bewies.

«Hat Herr von Wardes unsere ganze Angelegenheit dem Kardinal erzählt, woran nicht zu zweifeln ist, hat er mich erkannt, was mir sehr wahrscheinlich vorkommt, so darf ich mich beinahe als einen Verurtheilten betrachten, «sagte d'Artagnan den Kopf schüttelnd.»Aber warum hat er bis heute gewartet? Das ist ganz einfach: Mylady wird Klage gegen mich geführt haben, mit jenem heuchlerischen Schmerz, der so interessant macht. Und das letzte Verbrechen hat das Ueberlaufen des Gefässes bewirkt.«

«Zum Glück, «fügte er bei,»sind meine Freunde unten und werden mich nicht wegführen lassen, ohne mich zu vertheidigen. Indessen kann die Musketiercompagnie des Herrn von Treville nicht für sich allein den Krieg gegen den Kardinal führen, der über die Streitkräfte von ganz Frankreich zu verfügen hat, und dem gegenüber der König ohne Willen und die Königin ohne Macht ist. D'Artagnan, mein Freund, Du bist klug. Du hast vortreffliche Eigenschaften, aber die Weiber werden Dich zu Grunde richten!«

Er war bis zu diesem traurigen Schlusse gelangt, als er in das Vorzimmer eintrat. Hier übergab er seinen Brief dem Huissier vom Dienste, der ihn in den Wartesaal führte und sich in das Innere des Palastes verfügte.

In diesem Wartesaal befanden sich fünf bis sechs Leibwachen des Herrn Kardinals, die ihn, da sie d'Artagnan erkannten und wußten, daß er es war, der Jussac verwundet hatte, mit sonderbarem Lächeln anschauten.

Dieses Lächeln erschien d'Artagnan als ein schlimmes Vorzeichen. Aber da unser Gascogner nicht leicht einzuschüchtern war, oder vielmehr da er in Folge eines den Söhnen seiner Heimath natürlichen Stolzes nicht leicht sehen ließ, was in seiner Seele vorging, wenn das, was vorging, der Furcht glich, so pflanzte er sich unerschrocken vor den Herren Garden auf und wartete, die Hand auf die Hüfte gestützt, in einer Stellung, der es nicht an Majestät fehlte.

Der Huissier kehrte zurück und machte d'Artagnan ein Zeichen, ihm zu folgen. Es kam dem jungen Manne vor, als ob die Garden unter sich flüsterten, als sie ihn weggehen sahen.

D'Artagnan kam zuerst durch eine Flur, sodann durch einen Salon, trat in eine Bibliothek ein und stand vor einem Manne, der an einem Bureau saß und schrieb.

Der Huissier, der ihn eingeführt hatte, zog sich zurück, ohne ein Wort zu sprechen.

D'Artagnan glaubte Anfangs, er habe es mit einem Richter zu thun, der in seinen Acten arbeite, aber er bemerkte, daß der Mann an dem Bureau, Worte an den Fingern skandirend, schrieb oder vielmehr Zeilen von ungleicher Länge corrigirte. Er sah, daß er einem Dichter gegenüberstand. Nach einem Augenblick schloß der Dichter sein Manuscript, auf dessen Decke Mirame, Tragödie in fünf Acten, geschrieben war, und schaute empor.

D'Artagnan erkannte den Kardinal Richelieu.

XII. Eine furchtbare Erscheinung

Richelieu stützte seinen Ellbogen auf sein Manuscript, seine Wange auf seine Hand und schaute d'Artagnan einen Augenblick an. Niemand besaß ein tiefer forschendes Auge als der Kardinal, und dem jungen Mann rann es bei diesem Blick wie Fieber durch die Adern.

Er blieb indessen fest, hielt seinen Hut in der Hand und erwartete das Belieben Seiner Eminenz, ohne zu viel Stolz, aber auch ohne zu viel Demuth.

«Mein Herr, «sprach der Kardinal,»seid Ihr ein d'Artagnan aus Bearn?«

«Ja, Monseigneur.«

«Es giebt mehrere Linien d'Artagnan in Tarbes und in der Umgegend; zu welcher gehört Ihr?«

«Ich bin der Sohn desjenigen, welcher die Religionskriege unter dem großen König Heinrich, dem Vater Seiner Allergnädigsten Majestät, mitgemacht hat.«

«Gut Ihr seid es, der etwa vor sieben oder acht Monaten von seiner Heimath abgereist ist, um in der Hauptstadt sein Glück zu suchen?«

«Ja, Monseigneur.«

«Ihr seid durch Meung gekommen, wo Euch etwas begegnete; ich weiß nicht mehr genau was, aber irgend etwas.«

«Monseigneur, «sprach d'Artagnan,«»es begegnete mir…«

«Unnöthig, unnöthig, «versetzte der Kardinal mit einem Lächeln, welches andeutete, daß er die Geschichte so gut kannte, wie derjenige, welcher sie erzählen wollte.»Ihr waret an Herrn von Treville empfohlen?«

«Ja, Monseigneur, aber gerade bei dieser unglücklichen Angelegenheit in Meung…«

«Ging der Empfehlungsbrief verloren, «unterbrach ihn Seine Eminenz, ja, ich weiß es. Aber Herr von Treville ist ein geschickter Physiognomiker, der die Menschen auf den ersten Blick kennt, und er hat Euch in der Compagnie seines Schwagers, des Herrn des Essarts, untergebracht, wobei er Euch Hoffnung machte, mit der Zeit bei den Musketieren eintreten zu können?«

«Monseigneur ist vollkommen unterrichtet.«

«Seit dieser Zeit ist Euch Vielerlei begegnet. Ihr seid eines Tages hinter dem Karmeliterkloster spazieren gegangen, wo es besser gewesen wäre, Ihr hättet Euch anderswo befunden; dann habt Ihr mit Euren Freunden eine Reise nach den Bädern von Forges gemacht. Sie sind auf der Route zurückgeblieben, Ihr aber habt Euren Weg fortgesetzt. Das ist ganz einfach, Ihr hattet Geschäfte in England.«

«Monseigneur, «sagte d'Artagnan ganz verblüfft,»ich begab mich…«

«Auf die Jagd nach Windsor oder anderswohin, das geht Niemand etwas an. Ich weiß das, weil es mein Beruf ist. Alles zu wissen. Bei Eurer Rückkehr seid Ihr von einer hohen Person empfangen worden, und ich sehe mit Vergnügen, daß Ihr das Andenken bewahrt habt, welches Ihr von ihr erhieltet.«

D'Artagnan trug den Diamant am Finger, den er von der Königin hatte, und drehte rasch den Stein nach Innen; aber es war zu spät.

«Am Tage nach diesem Empfang besuchte Euch Herr von Cavois, «fuhr der Cardinal fort.»Er bat Euch, in den Palast zu kommen, Ihr gabt ihm diesen Besuch nicht zurück und hattet Unrecht.«

«Monseigneur, ich fürchtete, die Ungnade Eurer Eminenz auf mich gezogen zu haben.«

«Und warum dies, mein Herr? Weil Ihr die Befehle Eurer Vorgesetzten mit mehr Muth und Verstand befolgt habt, als irgend ein Anderer gethan haben dürfte? Ihr solltet meine Ungnade auf Euch gezogen haben, während Ihr Lob verdient? Ich bestrafe nur die Leute, welche nicht gehorchen, und nicht diejenigen, welche, wie Ihr… zu gut… gehorchen. Und zum Beweise erinnert Euch an das Datum des Tages, an welchem ich Euch zu mir beschied, und sucht in Eurem Gedächtnis, was an diesem Tage vorgefallen ist.«

An diesem Tag hatte die Entführung der Frau Bonacieux stattgefunden.

D'Artagnan schauerte und erinnerte sich, daß eine halbe Stunde vorher die arme Frau an ihm vorübergekommen war, ohne Zweifel abermals durch dieselbe Macht weggeführt, der man ihr Verschwinden zuschreiben mußte.

«Da ich seit einiger Zeit nicht mehr von Euch sprechen hörte, «fuhr Richelieu fort,»so wollte ich wissen, was Ihr machtet. Uebrigens seid Ihr mir immerhin einigen Dank schuldig, denn es konnte Euch nicht entgehen, wie sehr man Euch unter allen Umständen schonte.«

D'Artagnan verbeugte sich.

«Dies rührte nicht allein von einem Gefühl natürlicher Billigkeit her, «fuhr der Kardinal fort,»sondern auch von einem Plan, den ich mir in Beziehung auf Euch gemacht hatte.«

D'Artagnan staunte immer mehr.

«Ich wollte Euch, «sprach der Kardinal,»Ich wollte Euch diesen Plan an dem Tag auseinandersetzen, wo Ihr meine erste Einladung empfangen habt, aber Ihr kamet nicht. Zum Glück ist durch die Zögerung noch nichts verloren, und Ihr sollt ihn heute hören. Setzt Euch zu mir, Herr d'Artagnan, Ihr seid ein zu guter Edelmann, um stehend hören zu müssen.«

Der Kardinal deutete hiebei mit dem Finger auf einen Stuhl, aber der junge Mann war über das, was vorging, so verwundert, daß er, ehe er gehorchte, auf ein zweites Zeichen wartete.

«Ihr seid muthig, Herr d'Artagnan, «fuhr Seine Eminenz fort,»Ihr seid klug, was noch mehr ist. Ich liebe die Menschen von Kopf und Herz. Erschreckt nicht, «sprach er lächelnd,»unter den Menschen von Herz verstehe ich die Menschen von Muth; aber so jung Ihr seid und obgleich Ihr erst in die Welt eintretet, habt Ihr doch mächtige Feinde. Wenn Ihr Euch nicht hütet, so werden sie Euch ins Verderben stürzen.«

«Ach, Monseigneur, «antwortete der junge Mann,»sie werden dies leicht zu Stande bringen, denn sie sind stark und wohl unterstützt, während ich allein stehe.«

«Ja, das ist wahr, aber obgleich allein, habt Ihr bereits viel gethan, und werdet, wie ich nicht zweifle, noch viel thun. Ihr bedürft jedoch meiner Ansicht nach einiger Anleitung auf der abenteuerlichen Laufbahn, die Ihr eingeschlagen habt, denn wenn ich mich nicht täusche, seid Ihr mit dem ehrgeizigen Gedanken, Euer Glück zu machen, nach Paris gekommen.«

«Ich bin in dem Alter toller Hoffnungen, Monseigneur, «erwiderte d'Artagnan.

«Tolle Hoffnungen sind nur für die Thoren vorhanden, mein Herr, und Ihr seid ein Mann von Geist. Laßt hören, was würdet Ihr zu einer Fähnrichsstelle bei meiner Leibwache und zu einer Kompagnie nach dem Feldzuge sagen?«

«Ah! Monseigneur…«

«Ihr nehmt an, nicht wahr?«

«Monseigneur, «erwiderte d'Artagnan mit verlegener Miene.

«Wie, Ihr weigert Euch?«rief der Kardinal erstaunt.

«Ich bin bei der Leibwache Seiner Majestät und habe keinen Grund, damit unzufrieden zu sein.«

«Aber es scheint mir, daß meine Leibwachen auch die Seiner Majestät sind, und daß man, wenn man in einem französischen Korps dient, dem König dient.«

«Monseigneur, Ew. Eminenz hat meine Worte unrichtig verstanden.«

«Ihr wollt einen Vorwand, nicht wahr? Ich begreife. Nun, Ihr habt den Vorwand. Das Vorrücken, der Feldzug, der sich eröffnet, die Gelegenheit, die ich Euch biete — das genügt für die Welt; für Euch kommt noch das Bedürfniß sicherer Protektion dazu. Denn Ihr müßt wissen, Herr d'Artagnan, daß schwere Klagen gegen Euch bei mir erhoben worden sind. Ihr widmet Eure Tage und Eure Nächte nicht ausschließlich dem Dienste des Königs.«

D'Artagnan erröthete.

«Ueberdies, «fuhr der Kardinal fort und legte seine Hand auf einen Haufen Papiere,»überdies habe ich hier einen ganzen Stoß, der Euch betrifft. Aber ich wollte zuvor mit Euch sprechen, ehe ich ihn las. Ich weiß, daß Ihr ein entschlossener Mann seid, und Eure Dienste könnten Euch unter guter Leitung viel eintragen, statt Euch zu Unheil zu führen. Auf! überlegt und entscheidet Euch.«

«Eure Güte macht mich ganz verwirrt, Monseigneur, «antwortete d'Artagnan,»und ich erkenne in Ew. Eminenz eine Seelengröße, die mich klein macht, wie einen Wurm der Erde, aber da mir Monseigneur freimüthig zu sprechen erlaubt…«

D'Artagnan hielt inne.

«Ja, sprecht.«

«So werde ich Ew. Eminenz sagen, daß alle meine Freunde bei den Musketieren und Leibwachen des Königs und alle meine Feinde in Folge eines mir ganz unbegreiflichen Unsterns bei Ew. Eminenz dienen. Ich wäre also hier sehr unwillkommen und müßte da unten in einem schlimmen Lichte erscheinen, wenn ich das, was mir Monseigneur bietet, annehmen würde.«

«Solltet Ihr bereits den stolzen Gedanken haben, ich biete Euch weniger, als Ihr verdient, mein Herr?«sagte der Kardinal mit verächtlichem Lächeln.

«Monseigneur, Ew. Eminenz ist hundertmal zu gut gegen mich, und ich glaube im Gegentheil nicht genug gethan zu haben, um eine solche Güte zu verdienen. Die Belagerung von la Rochelle wird eröffnet, Monseigneur; ich werde unter den Augen Ew. Eminenz dienen, und wenn ich das Glück gehabt habe, mich bei dieser Belagerung so zu benehmen, daß ich Euere Blicke auf mich ziehe, nur dann habe ich eine glänzende Handlung hinter mir, welche die Protektion rechtfertigt, der Ihr mich zu würdigen die Güte haben werdet. Alles zu seiner Zeit. Später werde ich vielleicht das Recht haben, mich zu geben; heute würde es aussehen, als ob ich mich verkaufte.«

«Das heißt, Ihr verweigert mir Euern Dienst, mein Herr?«sprach der Kardinal mit einem ärgerlichen Ton, unter dem jedoch eine gewisse Achtung durchdrang.»Bleibt also frei und bewahrt Euern Haß und Euere Sympathien.«

«Monseigneur…«

«Gut, gut, «sagte der Kardinal,»ich grolle Euch darum nicht; aber versteht wohl: man hat alle Verpflichtung, seine Freunde zu vertheidigen und zu belohnen; seinen Feinden ist man nichts schuldig. Dennoch will ich Euch einen Rath geben. Haltet Euch gut, nehmt Euch wohl in Acht, denn von dem Augenblick an, wo ich meine Hand von Euch abziehe, gebe ich keinen Heller mehr für Euer Leben.«

«Ich werde mich bestreben, «antwortete der Gascogner demüthig und zugleich mit einer gewissen Sicherheit.

«Erinnert Euch später und in einem gewissen Augenblick, wenn Euch Unheil widerfährt, «sagte Richelieu mit vorleuchtender Absicht,»daß ich Euch aufgesucht und daß ich Alles, was in meinen Kräften lag, gethan habe, um dieses Unheil von Euch abzuwenden.«

«Was auch geschehen mag, «erwiderte d'Artagnan, die Hand auf seine Brust legend und sich verbeugend,»ich werde eine ewige Dankbarkeit gegen Ew. Eminenz für das bewahren, was Ihr mir in diesem Augenblick gethan habt.«

«Gut also, Herr d'Artagnan, wir werden uns, wie Ihr sagtet, nach dem Feldzug wieder sehen.»Ich folge Euch mit den Augen, denn ich werde unten sein, «fuhr der Kardinal fort und zeigte d'Artagnan eine prachtvolle Rüstung, die er anlegen sollte.»Und wenn wir zurückkommen, rechnen wir ab.«

«Oh! Monseigneur!«rief d'Artagnan,»erspart mir die Last Eurer Ungnade; bleibt neutral, Monseigneur, wenn Ihr findet, daß ich als ritterlicher Mann handle.«

«Jüngling, «sagte Richelieu,»wenn ich Euch noch einmal sagen kann, was ich Euch heute gesagt habe, so gelobe ich es Euch zu sagen.«

Die letzten Worte Richelieus drückten einen furchtbaren Zweifel aus; d'Artagnan war darüber mehr bestürzt, als über eine Drohung, denn dies war eine Verkündigung. Der Kardinal suchte ihn also vor einem Unglück zu bewahren, das ihn bedrohte. Er öffnete den Mund, um zu antworten, aber Richelieu entließ ihn mit einer stolzen Geberde.

D'Artagnan entfernte sich, aber an der Thüre drückte es ihm beinahe das Herz ab, und es fehlte wenig, so wäre er umgekehrt. Doch das strenge, ernste Antlitz von Athos trat ihm vor die Augen. Machte er mit dem Kardinal den Vertrag, den dieser ihm vorschlug, so würde ihm Athos keine Hand mehr geben, Athos würde ihn verleugnen.

Diese Befürchtung hielt ihn ab; so mächtig ist der Einfluß eines wahrhaft großartigen Charakters auf seine ganze Umgebung.

D'Artagnan stieg dieselbe Treppe hinab, auf der er heraufgekommen war; er fand vor der Thüre Athos und die vier Musketiere, welche auf seine Rückkehr warteten und unruhig zu werden anfingen. D'Artagnan beruhigte sie mit einem Worte, und Planchet lief umher, um die Andern zu benachrichtigen, daß es unnöthig sei, länger Wache zu halten, indem sein Herr wohlbehalten das Palais des Kardinals verlassen habe.

Sobald sie zu Athos zurückgelangt waren, erkundigten sich Aramis und Porthos nach der Ursache dieser seltsamen Bestellung; aber d'Artagnan sagte ihnen nur, Herr von Richelieu habe ihn kommen lassen, um ihm den Eintritt bei seinen Leibwachen mit dem Grad eines Fähnrichs anzutragen; er habe aber dieses Anerbieten ausgeschlagen.

«Und Ihr habt Recht gehabt, «riefen einstimmig Aramis und Porthos.

Athos versank in eine tiefe Träumerei und erwiderte nichts.

Aber als er mit d'Artagnan allein war, sagte er:

«Ihr habt gethan, was Ihr thun mußtet, aber Ihr habt vielleicht Unrecht gehabt.«

D'Artagnan stieß einen Seufzer aus, denn diese Stimme antwortete auf eine geheime Stimme seiner Seele, die ihm sagte, daß großes Unglück seiner harre.

Der nächste Tag ging unter Vorkehrungen für die Abreise hin.

D'Artagnan verabschiedete sich von Herrn von Treville. Noch zu dieser Stunde glaubte man, die Trennung der Garden und der Musketiere würde nur ganz kurz sein; der König würde sein Parlament noch an demselben Tage halten, und am andern Morgen abreisen. Herr von Treville beschränkte sich also darauf, d'Artagnan zu fragen, ob er seiner bedürfe; d'Artagnan aber antwortete stolz, er habe Alles, was er brauche.

Die Nacht versammelte alle Kameraden der Gardecompagnie des Essarts und der Musketiercompagnie des Herrn von Treville, welche Freundschaft miteinander geschlossen hatten. Man verließ sich, um sich wieder zu sehen, wann und wenn es Gott gefiele. Die Nacht war also, wie man sich denken kann, eine höchst geräuschvolle, denn bei einem solchen Fall läßt sich die äußere Unruhe nur mit der äußersten Sorglosigkeit bekämpfen.

Am Morgen trennten sich die Freunde beim ersten Trompetenschall, die Musketiere liefen nach dem Hotel des Herrn von Treville, die Garden nach dem des Herrn des Essarts. Jeder der Kapitäne führte seine Compagnie sogleich nach dem Louvre, wo sie der König Revue passiren ließ.

Der König war traurig und schien krank zu sein, was ihm von seinem guten Aussehen benahm. Es hatte ihn in der That am Tag vorher mitten im Parlament, während er zu Gericht saß, das Fieber ergriffen. Er war darum nicht minder entschlossen, an demselben Tage abzugehen und wollte, trotz allen Bemerkungen, die man ihm machte, die Revue halten, in der Hoffnung, durch dieses erste, kräftige Entgegenstreben die Krankheit zu besiegen, die sich seiner bemächtigte.

Als die Revue vorüber war, marschierten die Garden allein aus, da die Musketiere erst mit dem König abgehen sollten, wodurch es Porthos vergönnt war, mit seiner herrlichen Equipirung einen Ritt durch die Rue aux Ours zu machen.

Die Procuratorin sah ihn in seiner neuen Uniform und auf seinem schönen Pferd vorüberreiten. Sie liebte ihn zu sehr, um ihn abziehen zu lassen; sie machte ihm ein Zeichen abzusteigen und zu ihr zu kommen. Porthos war prächtig: seine Sporen klirrten, sein Panzer glänzte, sein Schwert schlug stolz an seine Beine. Diesmal fühlten die Schreiber keine Lust zum Lachen, so sehr hatte Porthos das Ansehen eines Ohrenabschneiders.

Der Musketier wurde bei Herrn Coquenard eingeführt, dessen kleines graues Auge vor Zorn blitzte, als er seinen angeblichen Vetter ganz flammend erblickte. Eines jedoch tröstete ihn einigermaßen: man sagte allgemein, es würde ein sehr heftiger Feldzug werden, und er hoffte ganz stille im Grunde seines Herzens, Porthos werde dabei das Leben verlieren.

Porthos machte Herrn Coquenard sein Kompliment und verabschiedete sich von ihm. Meister Coquenard wünschte ihm alles mögliche Glück. Madame Coquenard konnte ihre Thränen nicht zurückhalten, aber ihr Schmerz gab zu keinem bösen Gedanken Anlaß; man wußte, daß sie sehr an ihrem Verwandten hing, um dessen willen sie manchen furchtbaren Streit mit ihrem Gatten durchzufechten hatte.

So lange die Procuratorin ihrem schönen Vetter mit den Augen folgen konnte, neigte sie sich zum Fenster hinaus, das man hätte glauben können, sie wolle sich herausstürzen, und winkte mit dem Sacktuch. Porthos empfing alle diese Zeichen der Zärtlichkeit als ein Mann, der an dergleichen Kundgebungen gewöhnt ist. Als er jedoch um die Straßenecke ritt, nahm er seinen Hut vom Kopfe und schwenkte ihn zum Lebewohl.

Aramis schrieb einen langen Brief. An wen? Niemand wußte es. Ketty, welche an demselben Abend nach Tours abreisen sollte, wartete auf diesen geheimen Brief im Nebenzimmer.

Athos trank in kleinen Zügen die letzte Flasche von seinem spanischen Wein.

Während dieser Zeit defilirte d'Artagnan mit seiner Kompagnie. Als er nach dem Faubourg Saint-Germain kam, drehte er sich um und schaute die Bastille heiter an, der er bis dahin glücklich entgangen war. Da er nur die Bastille anschaute, sah er Mylady nicht, die ihn, auf einem Isabell reitend, mit dem Finger zwei Menschen von ziemlich schlimmem Aussehen bezeichnete, welche sich sogleich den Reihen näherten, um ihn zu betrachten. Auf eine Frage, die sie mit dem Blicke machten, antwortete Mylady, er sei es. Sobald sie sich überzeugt hatte, daß kein Versehen bei Ausführung ihres Auftrags stattfinden konnte, spornte sie ihr Pferd und verschwand.

Die zwei Männer folgten sodann der Kompagnie und bestiegen beim Ausgang aus dem Faubourg Saint-Antoine Pferde welche ein Bedienter ohne Livree für sie bereit hielt.

XIII. Die Belagerung von La Rochelle

Die Belagerung von La Rochelle war eines der bedeutendsten Ereignisse unter der Regierung Ludwigs XIII.

Die politischen Absichten des Kardinals, als er die Belagerung unternahm, waren von hoher Bedeutung. Von den wichtigen Städten, welche Heinrich IV. den Hugenotten als Versicherungsplätze gab, war nur noch La Rochelle übrig. Der Kardinal wollte dieses letzte Bollwerk des Calvinismus zerstören.

La Rochelle, das durch den Untergang der andern calvinistischen Städte ein neues Gewicht bekommen hatte, war überdies der letzte Hafen, der den Engländern in Frankreich offen stand; und wenn er denselben für England, den ewigen Feind Frankreichs, verschloß, vollendete er das Werk der Jungfrau von Orleans und des Herzogs von Guise.

Bassompierre, der zugleich Protestant und Katholik war, Protestant aus Ueberzeugung, Katholik als Kommandeur vom heiligen Geist, Bassompierre, ein Deutscher von Geburt, ein Franzose seinem Herzen nach, der ein besonderes Kommando bei der Belagerung von La Rochelle hatte, sagte daher auch, als er an der Spitze mehrerer anderer protestantischer Edelleute angriff:

«Ihr werdet sehen, meine Herren, wir sind so dumm und nehmen La Rochelle.«

Und Bassompierre hatte Recht. Die Kanonade der Insel Ré weissagte ihm die Verfolgungen der Hugenotten; die Einnahme von La Rochelle war die Vorrede zum Widerruf des Edicts von Nantes.

Aber neben diesen allgemeinen Absichten des nivellirenden Ministers, welche der Geschichte angehören, muß der Chronikschreiber die kleinen Gesichtspunkte des verliebten Mannes und eifersüchtigen Nebenbuhlers in's Auge fassen.

Richelieu war, wie Jedermann weiß, in die Königin verliebt gewesen. Hatte diese Liebe bei ihm einen einfachen politischen Zweck, oder war es eine jener tiefen Leidenschaften, wie sie Anna von Oesterreich den Männern, von denen sie umgeben war, einflößte? Wir wissen es nicht zu sagen; aber jeden Falls könnte man aus der früheren Entwickelung dieser Geschichte ersehen, daß Buckingham bei mehreren Umständen den Sieg über ihn davon getragen hatte, und besonders hatte er ihn bei der Geschichte mit den Nestelstiften auf eine grausame Weise mystificirt.

Es handelte sich also für Richelieu nicht nur darum, Frankreich von einem Feinde zu befreien, sondern auch sich an einem Nebenbuhler zu rächen. Die Rache sollte groß, glänzend und besonders eines Mannes würdig werden, der die Kräfte eines ganzen Königreichs als Schwert in der Hand hält.

Richelieu wußte, daß er, indem er England bekämpfte, über Buckingham triumphirte, daß er, indem er England in den Augen Europas demüthigte, Buckingham in den Augen der Königin demüthigte.

Während Buckingham seinerseits nur die Ehre Englands vorschob, wurde er von Interessen in Bewegung gesetzt, die denen des Kardinals vollkommen glichen: Buckingham verfolgte ebenfalls eine Privatrache. Buckingham hatte unter keinem Vorwand wieder als Botschafter Eingang in Frankreich finden können.

Daraus geht hervor, daß der wahre Einsatz bei der Partie, welche die zwei mächtigen Reiche, nach dem Belieben zweier verliebter Männer spielten, weiter nichts als ein Blick Anna's von Oesterreich war.

Den ersten Vortheil hatte der Herzog von Buckingham errungen. Er erschien unerwartet im Angesicht der Insel Ré mit neunzig Schiffen und ungefähr zwanzig tausend Mann, überfiel den Grafen von Toiras, der auf der Insel für den König kommandirte, und bewerkstelligte nach einem blutigen Kampfe seine Landung.

Wir bemerken im Vorübergehen, daß bei diesem Kampfe der Baron von Chantal fiel. Der Baron von Chantal hinterließ eine Enkelin von achtzehn Monaten als Waise. Diese Enkelin wurde später Frau von Sevigné.

Der Graf von Toiras zog sich in die Citadelle Saint-Martin mit der Garnison zurück, und warf etwa hundert Mann in ein kleines Fort, das man das Fort de la Prée nannte.

Dieses Ereigniß hatte die Entschließungen des Kardinals beschleunigt, er schickte, bis der König und er, wie dies beabsichtigt war, den Oberbefehl bei der Belagerung von La Rochelle übernehmen könnten, Monsieur ab, um die ersten Operationen zu leiten, und alle Truppen über die er zu verfügen im Stande war, gingen nach dem Kriegsschauplatz ab.

Zu diesem als Vorhut abgeschickten Detachement gehörte auch unser Freund d'Artagnan.

Der König sollte, wie gesagt, folgen, sobald er seinen großen Gerichtstag im Parlament gehalten hätte. Als er sich am 25. Juni von diesem erhob, fühlte er sich vom Fieber ergriffen. Er wollte nichtsdestoweniger abreisen, aber sein Zustand verschlimmerte sich, und er war genöthigt in Villeroy zu bleiben.

Wo der König stille hielt, mußten auch die Musketiere verweilen. Dadurch geschah es, daß d'Artagnan, der ganz einfach bei den Garden war, sich wenigstens für den Augenblick von seinen Freunden Athos, Porthos und Aramis getrennt sah. Diese Trennung, welche für ihn nur eine Unannehmlichkeit war, würde ihm gewiß zu ernstlicher Unruhe gereicht haben, wenn er die unbekannten Gefahren hätte ahnen können, von denen er umgeben war. Dessenungeachtet langte er in dem vor La Rochelle aufgeschlagenen Lager an.

Es befand sich noch Alles in demselben Zustand. Der Herzog von Buckingham und seine Engländer fuhren als Herren der Insel Ré fort, obgleich ohne Erfolg, die Citadelle von Saint-Martin und das Fort de la Prée zu belagern; und die Feindseligkeiten mit La Rochelle hatten seit zwei oder drei Tagen gegen ein Fort begonnen, das der Herzog von Angoulême in der Nähe erbauen ließ.

Die Garden unter dem Kommando von Herrn des Essarts hatten ihre Wohnungen im Kloster der Minimen.

Aber d'Artagnan, der ganz und gar von dem Ehrgeiz, unter die Musketiere überzutreten, eingenommen war, hatte wenig Freundschaft mit seinen Kameraden gemacht, und fand sich so vereinzelt und seinen eigenen Betrachtungen überlassen.

Diese Betrachtungen waren eben nicht sehr lachend. Seit einem Jahre, seit dem er in Paris angekommen war, hatte er sich in die öffentlichen Angelegenheiten gemischt, und seine eigenen Angelegenheiten waren, was Liebe und Glück betrifft, nicht weit vorgerückt.

Was die Liebe betrifft, war Madame Bonacieux die einzige Frau, die er wahrhaft geliebt hatte, und Madame Bonacieux war verschwunden, ohne daß er nur im Geringsten etwas von ihrem Leben oder Aufenthalt zu entdecken vermochte.

In Betreff des Glückes hatte er, der Schwache, sich den Kardinal, das heißt den Mann, vor dem die Größten des Reiches, vom König abwärts, zitterten, zum Feinde gemacht.

Dieser Mann konnte ihn niederschmettern, zertreten, und er hatte es nicht gethan. Für einen so scharfsinnigen Geist wie d'Artagnan, war diese Nachsicht ein Licht, durch das er eine bessere Zukunft erblickte.

Dann hatte er sich noch einen andern Feind gemacht, der seiner Ansicht nach weniger zu fürchten, aber, wie er instinktmäßig fühlte, darum doch nicht zu verachten war. Dieser Feind war Mylady.

Allen diesen gegenüber durfte er sich des Schutzes und Wohlwollens der Königin versichert halten; aber das Wohlwollen der Königin war zu jener Zeit eine weitere Ursache zur Verfolgung, und ihre Protektion beschützte bekanntlich sehr schlecht, was bei Chalais und Madame Bonacieux sichtbar wurde.

Der augenscheinlichste Gewinn, den er unter allen diesen Verhältnissen errungen hatte, war der Diamant von fünf bis sechstausend Livres, den er an seinem Finger trug, und auch dieser Diamant hatte, da d'Artagnan in seinen ehrgeizigen Plänen ihn behalten wollte, um ihn eines Tages als Zeichen der Wiedererkennung bei der Königin zu benützen, und ihn also nicht veräußern konnte, vorläufig nicht mehr Werth, als die Kieselsteine, auf die er mit seinen Füßen trat.

Wir sagen, als die Kieselsteine, auf die er mit seinen Füßen trat, denn d'Artagnan stellte diese Betrachtungen an, während er einsam auf einem hübschen Pfad spazieren ging, der von dem Lager in eine benachbarte Stadt führte. Unter diesen Betrachtungen aber war er weiter gegangen, als er glaubte, und der Tag fing an sich zu neigen, als er bei dem letzten Strahl der untergehenden Sonne hinter einer Ecke hervor einen Flintenlauf glänzen sah.

D'Artagnan hatte ein lebhaftes Auge und einen raschen Geist. Er begriff, daß die Flinte nicht allein gekommen war, und daß ihr Träger sich nicht in freundschaftlichen Absichten hinter der Hecke verborgen hatte. Er beschloß also das Weite zu suchen, als er auf der andern Seite der Straße hinter einem Felsen das Ende einer zweiten Flinte erblickte.

Das war offenbar ein Hinterhalt.

Der junge Mann warf einen Blick auf die erste Flinte und sah mit einer gewissen Unruhe, daß sie sich in der Richtung nach ihm senkte. Aber sobald er gewahr wurde, daß die Mündung des Laufes unbeweglich blieb, warf er sich mit dem Bauche auf die Erde. Zu gleicher Zeit ging der Schuß los, und er hörte das Zischen einer Kugel, welche über seinem Kopf hinflog.

Es war keine Zeit zu verlieren. D'Artagnan sprang auf und in demselben Augenblick sprengte die andere Flinte die Kieselsteine von der Stelle auf, wo er sich vorher mit dem Gesicht auf die Erde geworfen hatte.

D'Artagnan gehörte nicht zu den Prahlern, welche einen lächerlichen Tod suchen, damit man nicht von ihnen sage, sie seien nicht einen Schritt zurückgewichen. Ueberdies handelte es sich hier nicht mehr um den Muth, denn d'Artagnan war in einen Hinterhalt gefallen.

«Kommt noch ein dritter Schuß, «sprach er zu sich selbst,»so bin ich ein Kind des Todes.«

Und sogleich entfloh er nach dem Lager zu mit der Geschwindigkeit der Bewohner seiner Heimath, welche durch ihr behendes Wesen berühmt geworden sind. Aber so rasch er auch lief, so hatte doch derjenige, welcher zuerst geschossen, Zeit gefunden, sein Gewehr wieder zu laden, und er feuerte ihm einen zweiten Schuß nach, der dießmal so gut gezielt war, daß die Kugel durch seinen Hut drang und diesen zehn Schritte von ihm schleuderte.

Da d'Artagnan keinen andern Hut besaß, so hob er diesen im Laufe vom Boden auf, und langte ganz bleich und athemlos in seiner Wohnung an; er setzte sich hier nieder, ohne Jemand ein Wort zu sagen, und dachte über das Vorgefallene nach.

Dieses Ereigniß konnte drei Ursachen haben.

Die erste und natürlichste ließ sich in einem Hinterhalt von Rochellern suchen, denen es nicht leid gewesen wäre, einen von den Garden des Königs zu tödten, denn sie würden sich dadurch einen Feind weiter vom Halse geschafft haben, und dieser Feind hätte eine wohlgespickte Börse in seiner Tasche tragen können.

D'Artagnan nahm seinen Hut, untersuchte das Loch der Kugel und schüttelte den Kopf. Die Kugel war nicht von einer Muskete, sondern aus einer Büchse. Die Genauigkeit des Schusses hatte ihn schon auf den Gedanken gebracht, er sei aus einem Privatgewehr abgefeuert worden. Es war also kein militärischer Hinterhalt, wie dies aus dem Kaliber der Kugel hervorging.

Es konnte auch ein gutes Andenken von dem Kardinal sein. Man erinnert sich, daß er in dem Augenblick, wo er durch den glücklichen Sonnenstrahl begünstigt den Flintenlauf erblickte, selbst über die Langmuth Seiner Eminenz in Beziehung auf seine Person staunte.

Aber d'Artagnan schüttelte mit zweifelhafter Miene den Kopf. Bei Leuten, nach denen er nur die Hand auszustrecken hatte, nahm der Kardinal nur selten zu solchen Mitteln seine Zuflucht.

Es konnte eine Rache von Mylady sein.

Diese Vermuthung war vernünftiger.

Vergebens suchte er sich der Züge oder der Tracht der Mörder zu erinnern; er war genöthigt gewesen, sich so rasch zu entfernen, daß er nicht Muße gehabt hatte, etwas wahrzunehmen.

«Ah! meine armen Freunde, «murmelte d'Artagnan,»wo seid Ihr? und wie fehlt Ihr mir!«

D'Artagnan verbrachte eine schlimme Nacht. Drei- oder viermal erwachte er plötzlich, weil er sich einbildete, man nähere sich seinem Bette, um ihn zu erdolchen. Aber der Tag erschien, ohne daß die Dunkelheit einen Unfall herbeigeführt hatte.

D'Artagnan verleugnete sich jedoch nicht, daß aufgeschoben nicht aufgehoben war. Er blieb den ganzen Tag in seiner Wohnung, wobei er sich vor sich selbst mit dem schlechten Wetter entschuldigte.

Am zweiten Tag um neun Uhr wurde Marsch geschlagen. Der Herzog von Orleans visitirte die Posten. Die Leibwachen eilten zu den Waffen; d'Artagnan nahm seine Stelle unter seinen Kameraden ein.

Monsieur zog an der Front der Truppen vorüber; dann näherten sich ihm alle höheren Offiziere, um seinen Hof zu bilden, darunter auch der Herr des Essarts.

Nach kurzem kam es d'Artagnan vor, als ob ihn Herr des Essarts durch ein Zeichen zu sich beschiede. Er wartete auf eine neue Geberde seines Vorgesetzten, aus Furcht, er könnte sich täuschen, und als diese Geberde wiederholt wurde, verließ er die Reihen und trat vor, um den Befehl einzuholen.

«Monsieur verlangt Freiwillige zu einer gefährlichen Sendung, die jedoch denjenigen, welche sie erfüllen, Ehre bringt, und ich habe Euch ein Zeichen gemacht, damit Ihr Euch bereit halten möget.«

«Ich danke, mein Kapitän, «antwortete d'Artagnan, dem nichts erwünschter war, als sich unter den Augen des Generallieutenants auszuzeichnen.

Die Rocheller hatten wirklich in der Nacht einen Ausfall gemacht und eine Bastei wieder genommen, deren sich zwei Tage vorher die royalistische Partei bemächtigt hatte; es handelte sich darum, eine Recognoscirung vorzunehmen, um zu sehen, wie die Bastei bewacht werde.

Nach einigen Augenblicken erhob Monsieur die Stimme und sprach:

«Ich bedarf zu diesem Auftrag drei oder vier Freiwillige geführt von einem sichern Manne.«

«Was den sichern Mann betrifft, so habe ich diesen bei der Hand, «erwiderte Herr des Essarts und deutete auf d'Artagnan,»und in Beziehung auf die Freiwilligen darf Monseigneur nur seinen Willen kundgeben, und es wird nicht an Leuten fehlen.«

«Vier Freiwillige, um sich mit mir tödten zu lassen, «sprach d'Artagnan, den Degen erhebend.

Zwei von seinen Kameraden bei den Garden stürzten sogleich hervor, zwei Soldaten verbanden sich mit ihnen und die gewünschte Zahl war voll. D'Artagnan wies daher alle Andere zurück, da er denen, welche zuerst gekommen waren, ihr Recht auf Beförderung nicht schmälern wollte.

Man wußte nicht, ob die Rocheller nach der Einnahme diese Bastei geräumt, oder ob sie eine Garnison darin gelassen hatten. Man mußte also den bezeichneten Ort ziemlich nahe untersuchen, um sich hierüber Gewißheit zu verschaffen.

D'Artagnan ging mit seinen vier Gefährten ab und folgte dem Laufgraben. Die zwei Garden marschirten in demselben Glied mit ihm und die Soldaten kamen hinter ihm.

So gelangten sie, sich deckend, bis auf hundert Schritte zur Bastei; als sich d'Artagnan hier umwandte, sah er, daß die Soldaten verschwunden waren. Er glaubte, sie seien aus Furcht zurückgeblieben, und rückte weiter vor.

An der Biegung der äußersten Grabenmauer waren sie nur noch ungefähr sechzig Schritte von der Bastei entfernt.

Man sah nichts, und die Bastei schien ganz verlassen.

Die drei Verlorenen berathschlagten, ob sie weiter gehen sollten, als plötzlich eine Rauchwolke sichtbar wurde und ein Dutzend Kugeln um d'Artagnan und seine Gefährten zischten.

Sie wußten, was sie wissen wollten, die Bastei wurde bewacht, ein längerer Aufenthalt an diesem gefährlichen Ort wäre eine nutzlose Unklugheit gewesen.

D'Artagnan und die zwei Garden kehrten um und begannen einen Rückzug, der mehr einer Flucht glich.

Als sie die Ecke des Laufgrabens erreichten, der ihnen als Wall dienen sollte, stürzte einer von den Garden; eine Kugel hatte ihm die Brust durchbohrt; der andere war wohlbehalten und setzte seinen Lauf nach dem Lager fort.

D'Artagnan wollte seinen Gefährten nicht so verlassen und beugte sich über ihn herab, um ihn aufzuheben; aber in diesem Augenblicke wurden zwei Schüsse abgefeuert; eine Kugel zerschmetterte dem bereits verwundeten Garden den Kopf, die andere prallte an dem Felsen ab, nachdem sie auf zwei Zoll an d'Artagnan vorüber geflogen war.

Der junge Mann wandte sich lebhaft um, denn dieser Angriff konnte nicht von der Bastei kommen, die durch die Ecke des Laufgrabens maskiert war. Sogleich fielen ihm die zwei Soldaten ein, die ihn verlassen hatten, und er erinnerte sich dabei der Mörder, die ihm zwei Tage vorher nach dem Leben getrachtet. Er beschloß daher, diesmal zu untersuchen, woran er sich zu halten hätte, und fiel auf den Leib seines Kameraden nieder, als ob er todt wäre.

Alsbald sah er, wie sich zwei Köpfe über einem verlassenen Werke, dreißig Schritte von ihm erhoben. Es waren die unserer zwei Soldaten. D'Artagnan hatte sich nicht getäuscht. Diese Leute waren ihm nur gefolgt, um ihn zu tödten, in der Hoffnung, der Tod des jungen Mannes würde dem Feinde auf die Rechnung gebracht werden.

Da er jedoch nur verwundet sein und ihr Verbrechen anzeigen konnte, so näherten sie sich ihm, um ihm den Garaus zu machen. Durch die List d'Artagnans getäuscht, versäumten sie es glücklicher Weise, ihre Gewehre wieder zu laden. Als sie auf zehn Schritte von ihm entfernt waren, stand d'Artagnan, der bei seinem Falle sein Schwert fest in der Hand behalten hatte, rasch auf, und befand sich mit einem Sprunge bei ihnen.

Die Mörder begriffen, daß sie, wenn sie nach dem Lager entflohen, ohne ihren Mann getödtet zu haben, von diesem verklagt wurden; es war daher ihr erster Gedanke, zum Feinde überzugehen. Der Eine von ihnen nahm seine Flinte beim Lauf und bediente sich derselben als einer Keule. Er führte einen furchtbaren Schlag nach d'Artagnan, der ihm dadurch auswich, daß er sich auf die Seite warf, aber durch diese Bewegung ließ er dem Banditen freien Raum, und dieser lief sogleich nach der Bastei.

Da die Rocheller, welche dieselben bewachten, nicht wissen konnten, in welcher Absicht dieser Mann zu ihnen kam, so gaben sie Feuer auf ihn, und er stürzte mit zerschmetterter Schulter nieder.

Während dieser Zeit warf sich d'Artagnan auf den zweiten Soldaten und griff ihn mit dem Degen an. Der Kampf währte nicht lange; der Elende hatte zu seiner Vertheidigung nichts als die abgefeuerte Flinte. Der Degen des Garden glitt an dem Laufe des unnütz gewordenen Gewehres ab und durchdrang den Schenkel des Mörders, welcher niederfiel.

D'Artagnan setzte ihm sogleich seine Degenspitze an die Gurgel.

«Oh! tödtet mich nicht, «rief der Bandit,»Gnade! Gnade! mein Offizier, und ich werde Euch Alles sagen.«—»Ist Dein Geheimnis so viel Werth, daß ich Dir das Leben schenke?«fragte der junge Mann. — »Ja, sobald Ihr das Leben einigermaßen schätzt, wenn man erst zwanzig Jahre alt ist, wenn man schön und brav ist, wie Ihr, und Alles erreichen kann.«—»Elender, «sagte d'Artagnan,»sprich schnell. Wer hat Dir den Auftrag gegeben, mich zu ermorden?«—»Eine Frau, die ich nicht kenne, die man aber Mylady nannte.«—»Doch wenn Du diese Frau nicht kennst, woher weißt Du ihren Namen?«—»Mein Kamerad kannte sie und nannte sie so. Sie verhandelte mit ihm und nicht mit mir. Er hat sogar in seiner Tasche einen Brief von dieser Person, der von großem Belang für Euch sein muß, wie ich ihn sagen hörte.«—»Aber wie kommst Du dazu, an diesem Hinterhalt Antheil zu nehmen?«—»Er machte mir den Vorschlag, diesen Streich zu zwei auszuführen, und ich willigte ein.«—»Und wie viel hat sie Euch für dieses Unternehmen gegeben?«—»Hundert Louisd'or.«—»Schön, «sprach der junge Mann lachend,»sie denkt doch, ich sei etwas werth. Hundert Louisd'or, das ist eine Summe für Schurken Eurer Art; auch begreife ich, daß Du eingewilligt hast, und ich begnadige Dich, jedoch unter einer Bedingung.«—»Unter welcher?«fragte der Soldat unruhig, als er sah, daß noch nicht Alles zu Ende war. — »Daß Du mir den Brief holst, den Dein Kamerad in seiner Tasche hat.«—»Aber das ist nur eine andere Art, mich zu tödten, «rief der Bandit.»Wie soll ich diesen Brief unter dem Feuer der Bastei holen?«—»Du mußt Dich entschließen, ihn herbei zu schaffen, oder ich schwöre Dir, daß Du von meiner Hand stirbst.«—»Gnade! Herr, Barmherzigkeit! Im Namen der jungen Dame, die Ihr liebt, die Ihr vielleicht todt glaubt, und die es nicht ist!«rief der Bandit, sich auf die Kniee erhebend und mit der Hand stützend, denn er fing an mit seinem Blut auch die Kräfte zu verlieren. — »Woher weißt Du, daß es eine junge Frau gibt, die ich liebe, und daß ich diese junge Frau todt geglaubt habe?«fragte d'Artagnan. — »Aus dem Briefe den mein Kamerad in seiner Tasche hat.«—»Du siehst also wohl, daß ich diesen Brief bekommen muß, «sprach d'Artagnan.»Nicht mehr gezögert, oder wie sehr es mir auch widerstrebt, mein Schwert zum zweiten Male in das Blut eines Elenden zu tauchen, wie Du bist, ich schwöre Dir so wahr ich ein ehrlicher Mann bin…«

Bei diesen Worten machte d'Artagnan eine so drohende Geberde, daß sich der Verwundete erhob.

«Halt, halt!«rief er, seinen Muth wieder durch den Schrecken gewinnend,»ich gehe… ich gehe.«

D'Artagnan nahm die Büchse des Soldaten, ließ ihn vor sich hergehen und trieb ihn gegen seinen Gefährten zu, indem er ihn von Zeit zu Zeit mit der Spitze seines Degens in die Hüfte stach. Es war furchtbar anzuschauen, wie dieser Unglückliche, auf seinem Weg eine lange Blutspur zurücklassend, bleich vor dem bevorstehenden Tode, sich ungesehen zu dem Leichnam seines Kameraden hinzuschleppen suchte, der zwanzig Schritte von ihm entfernt lag.

Der Schrecken war so stark auf seinem mit kaltem Schweiß bedeckten Gesichte ausgeprägt, daß d'Artagnan Mitleid bekam und ihn verächtlich anschaute.

«Nun!«sprach er,»ich will Dir zeigen, welch ein Unterschied zwischen einem Manne von Herz und einem Feigling Deiner Art stattfindet. Bleibe, ich werde gehen!«

Und schnellen Schrittes, mit lauerndem Auge jede Bewegung des Feindes beobachtend, alle Vortheile des Terrains benützend, gelangte d'Artagnan bis zu dem zweiten Soldaten.

Es gab zwei Mittel, seinen Zweck zu erreichen: entweder mußte er ihn auf der Stelle durchsuchen oder mußte er ihn, seinen Leib als Schild gebrauchend, nach dem Laufgraben tragen und dort erst durchsuchen.

D'Artagnan zog das zweite Mittel vor und lud den Mörder in dem Augenblick, wo der Feind Feuer gab, auf seine Schulter.

Ein leichter Stoß, ein letzter Schrei, ein Beben des Todeskampfes bewiesen d'Artagnan, daß ihm derjenige, welcher ihn ermorden gewollt, das Leben gerettet hatte.

D'Artagnan erreichte wieder den Laufgraben und warf den Leichnam neben den Verwundeten.

Sogleich begann er die Untersuchung: eine lederne Brieftasche, eine Börse, worin sich offenbar ein Theil von der Summe fand, die der Bandit erhalten hatte, ein Becher und Würfel bildeten die ganze Hinterlassenschaft des Todten.

Er ließ den Becher und die Würfel, wo sie hingefallen waren, schleuderte die Börse dem Verwundeten zu und öffnete gierig die Brieftasche.

Mitten unter unwichtigen Papieren fand sich folgender Brief den er mit Gefahr seines Lebens geholt hatte:

«Da Ihr die Spur dieser Frau verloren habt, und sie nun in Sicherheit in dem Kloster ist, wohin Ihr sie nie durftet gelangen lassen, so sucht wenigstens den Mann nicht zu verfehlen. Verfehlt Ihr ihn, so wißt Ihr, daß ich eine lange Hand habe, und daß Ihr die hundert Louisd'or, die Ihr von mir erhalten habt, teuer bezahlen müßt.«

Keine Unterschrift. Dessenungeachtet kam der Brief unleugbar von Mylady. Er behielt ihn also, als ein Actenstück zum Behuf der Überweisung, und da er sich hinter der Ecke des Laufgrabens in Sicherheit befand, so fing er an den Verwundeten auszufragen. Dieser gestand, daß er es mit seinem soeben getöteten Kameraden übernommen hatte, eine junge Frau, die von Paris durch die Barriere de la Vilette abreisen sollte, zu entführen, daß sie sich aber in einer Schenke, um zu trinken, aufgehalten und den Wagen um zehn Minuten versäumt hatten.

«Aber was hättet Ihr mit dieser Frau gemacht?«fragte d'Artagnan bange.

«Wir sollten sie in ein Hotel der Place Royale bringen, «erwiderte der Verwundete.

«Ja, ja, «murmelte d'Artagnan,»das ist es, zu Mylady selbst.«

Nun begriff der junge Mann schaudernd, welcher furchtbare Rachedurst diese Frau antrieb, ihn, so wie diejenigen, welche ihn liebten, zu Grunde zu richten, und wie sehr sie mit den Angelegenheiten des Hofes vertraut war, da sie Alles entdeckt hatte. Ohne Zweifel hatte sie ihre Nachrichten dem Kardinal zu verdanken. Aber dagegen sah er auch mit einem Gefühl wahrer Freude ein, daß die Königin endlich den Kerker erkundet, in welchem die arme Madame Bonacieux ihre Ergebenheit büßen mußte, und daß sie dieselbe diesem Kerker entzogen hatte.

Von dieser Zeit wurde es, wie Athos vorhergesagt hatte, möglich, Madame Bonacieux wieder aufzufinden, und ein Kloster war nicht uneinnehmbar.

Dieser Gedanke vollendete die Milde in seinem Herzen. Er wandte sich gegen den Verwundeten um, welcher ängstlich all die verschiedenen Ausdrücke in seinem Gesichte verfolgte, und reichte ihm den Arm.

«Auf!«sprach er,»ich will Dich nicht so verlassen. Stütze Dich auf mich, und kehren wir in das Lager zurück.«

«Ja, «sagte der Verwundete, der kaum an so viel Großmuth glauben konnte,»aber geschieht dies nicht, um mich hängen zu lassen?«

«Du hast mein Wort und zum zweiten Mal schenke ich Dir Dein Leben.«

Der Verwundete sank auf die Kniee und küßte seinem Retter abermals die Füße. Aber d'Artagnan, der durchaus keinen Grund hatte, so nahe beim Feinde zu bleiben, kürzte selbst die Dankbarkeitsbezeigungen ab.

Der Garde, welcher bei dem ersten Feuer der Rocheller zurückgeeilt war, hatte den Tod seiner vier Gefährten angekündigt. Man war also sehr erstaunt und äußerst vergnügt im Regiment, als man den jungen Mann wohlbehalten ankommen sah.

D'Artagnan erklärte den Degenstich seines Gefährten durch einen Ausfall, den er improvisirte. Er erzählte den Tod des andern Soldaten und die Gefahren, denen sie preisgegeben gewesen. Seine Erzählung hatte einen wahren Triumph für ihn zur Folge. Die ganze Armee sprach einen Tag lang von dieser Expedition, und Monsieur ließ ihm darüber seine Zufriedenheit aussprechen.

Wie übrigens jede schöne Handlung ihre Belohnung mit sich trägt, so war das Resultat der schönen Handlung d'Artagnans, daß sie ihm die verlorene Ruhe wieder gab. Der junge Mann glaubte in der That ruhig sein zu können, da von seinen zwei Feinden der eine todt, der andere seinen Interessen ergeben war.

Diese Sache bewies blos, daß d'Artagnan Mylady noch nicht kannte.

XIV. Anjou-Wein

Nachdem man beinahe verzweifelte Nachrichten vom König erhalten hatte, fing das Gerücht von seiner Wiedergenesung an sich zu verbreiten, und da er große Eile hatte, in Person zu der Belagerung zu kommen, so sagte man, er würde abreisen, sobald er wieder zu Pferde steigen könnte.

Monsieur, welcher wußte, daß er jeden Tag durch den Herzog von Angoulême, durch Bassompierre oder durch Schomberg, die sich um das Commando stritten, im Oberbefehl ersetzt werden konnte, that mittlerweile nur wenig, verlor seine Zeit durch Umhertappen und wagte kein großes Unternehmen, um die Engländer von der Insel Ré zu vertreiben, wo sie die Citadelle Saint-Martin und das Fort de la Prée belagerten, während die Franzosen ihrerseits La Rochelle belagerten.

D'Artagnan war, wie gesagt, ruhiger geworden, wie dies stets nach einer überstandenen Gefahr, oder wenn man die Gefahr für verschwunden hält, der Fall ist. Sein einziger Kummer war, daß er keine Nachricht von seinen Freunden erhielt.

Aber eines Morgens wurde ihm durch folgenden aus Villeroy datirten Brief Alles klar:

«Herr d'Artagnan,

«Die Herren Athos, Porthos und Aramis machten, nachdem sie bei mir ein gutes Mahl eingenommen hatten, einen so gewaltigen Lärm, daß ihnen der Herr Schloßrichter, ein sehr strenger Mann, einige Tage Zimmerarrest gab. Ich vollziehe ihre Befehle, indem ich Euch zwölf Flaschen von meinem Anjou-Wein schicke, dem sie großes Lob spenden; sie wünschen, Ihr möget ihren Lieblingswein auf ihre Gesundheit trinken.

«Ich bin, mein Herr, mit der größten Achtung

Euer

ergebenster und gehorsamster Diener Godeau, Gastwirth der Musketiere.«

«Vortrefflich!«rief d'Artagnan,»sie gedenken mein bei ihren Vergnügungen, wie ich ihrer bei meinem Kummer gedachte. Ich werde gewiß auf ihre Gesundheit trinken, und zwar von ganzem Herzen und nicht allein.«

Und d'Artagnan lief zu zwei Garden, mit denen er mehr Freundschaft geschlossen hatte, als mit den andern, und lud sie ein, den köstlichen Wein mit ihm zu trinken, der von Villeroy angekommen war. Der Eine von ihnen war für denselben Abend, der Andere für den folgenden eingeladen; so wurde also die Zusammenkunft auf den zweiten Tag festgesetzt.

D'Artagnan schickte seine zwölf Flaschen Wein in die Trinkstube der Garden, mit dem Befehle, sie sorgfältig aufzubewahren. Als der Tag des Festes erschien, mußte Planchet schon um neun Uhr sich an Ort und Stelle begeben, um die nothwendigen Vorbereitungen zu treffen, während die Stunde zum Mittagsmahle auf ein Uhr festgesetzt war.

Stolz, zur Würde eines Haushofmeisters erhoben worden zu sein, war Planchet darauf bedacht, sich seiner Aufgabe als ein gescheidter Kerl zu entledigen. Er nahm zu diesem Ende noch einen Bedienten von einem der Gäste seines Herrn, Namens Fourreau, zu sich, nebst Baisemout, dem falschen Soldaten, der unsern Helden hatte tödten wollen und, da er zu keinem Korps gehörte, in den Dienst d'Artagnans oder vielmehr Planchets getreten war, seitdem ihm d'Artagnan das Leben geschenkt hatte.

Zur bestimmten Stunde erschienen die zwei Gäste, nahmen Platz und die Gerichte wurden aufgetragen; Planchet wartete mit der Serviette unter dem Arm auf, Fourreau öffnete die Flaschen, und Baisemout, der Rekonvalescent, goß den Wein, der durch das Schütteln einen Satz bekommen zu haben schien, in gläserne Karaffen über. Die erste Flasche von diesem Wein war etwas trüb, Baisemont goß den Satz in ein Glas und d'Artagnan erlaubte ihm, dasselbe zu trinken, denn der arme Teufel hatte noch nicht viel Kraft.

Die Gäste hatten die Suppe gegessen und waren gerade im Begriff, das erste Glas an die Lippen zu setzen, als plötzlich die Kanone im Fort Louis und im Fort Neuf ertönte. Die Garden glaubten, es handle sich um einen unvorhergesehenen Angriff von Seiten der Engländer und von Seiten der Belagerten, und liefen nach ihren Degen; d'Artagnan machte es ebenso und alle drei eilten an ihre Posten.

Aber kaum waren sie außerhalb der Trinkstube, als sie sich durch ein gewaltiges Getöse gefesselt sahen. Von allen Seiten ertönte der Ruf:»Es lebe der König! Es lebe der Herr Kardinal!«und die Trommler schlugen in allen Richtungen.

Der König hatte wirklich in seiner Ungeduld zwei Etapen verdoppelt und traf in diesem Augenblick mit all seinen Haustruppen und einer Verstärkung von zehntausend Mann ein. Vor und hinter ihm zogen die Musketiere. D'Artagnan hatte mit seiner Kompagnie Spalier zu machen, und begrüßte mit einer ausdrucksvollen Geberde seine Freunde und Herrn von Treville. Sobald die Empfangsceremonie vorüber war, versammelten sich die vier Freunde.

«Bei Gott!«rief d'Artagnan,»Ihr hättet nicht besser ankommen können; das Fleisch hat gewiß noch nicht Zeit gehabt, kalt zu werden. Nicht wahr, meine Herren, «fügte der junge Mann gegen die zwei Garden bei, die er seinen Freunden vorstellte. — »Ah! ah! es scheint, wir bankettiren, «sprach Porthos. — »Hoffentlich ist doch keine Frauensperson bei dem Mahle?«sagte Aramis. — »Gibt es trinkbaren Wein in Eurer Schenke?«fragte Athos. — »Ei! bei Gott den Eurigen, lieber Freund, «antwortete d'Artagnan. — »Unseren Wein?«rief Athos. — »Ja den Wein, welchen Ihr mir geschickt habt.«—»Wir haben Euch Wein geschickt?«—»Ihr wißt doch von dem köstlichen Wein von den Rebhügeln von Anjou?…«—»Ja, ich weiß wohl, von welchem Weine Ihr sprecht.«—»Von dem Wein, welchem Ihr den Vorzug gebt.«—»Allerdings, wenn ich weder Champagner noch Chambertin habe.«—»Nun! in Ermanglung des Champagners und des Chambertin werdet Ihr Euch mit diesem begnügen.«—»Wir haben also Anjou-Wein kommen lassen, wir Leckermäuler?«sprach Porthos. — »Nein, es ist der Wein, den man mir in Eurem Auftrage geschickt hat.«—»In unserem Auftrag?«riefen die Musketiere. — »Aramis, habt Ihr den Wein geschickt?«fragte Athos. — »Nein, und Ihr Porthos?«—»Nein.«—»Ganz wohl, aber Euer Wirth, Godeau, der Wirth der Musketiere.«—»Meiner Treu, er mag kommen, woher er will, daran ist nichts gelegen, «sagte Porthos,»wir wollen ihn versuchen und wenn er gut ist, trinken.«—»Nein, «entgegnete Athos,»wir wollen den Wein nicht trinken, der aus einer unbekannten Quelle kommt.«—»Ihr habt Recht, Athos, «sprach d'Artagnan.»Niemand von Euch hat den Gastwirth Godeau beauftragt, mir den Wein zu schicken?«—»Nein: und dennoch ist er Euch in unserem Auftrage zugeschickt worden?«—»Hier ist der Brief, «erwiderte d'Artagnan, und übergab seinen Kameraden das Billet. — »Das ist nicht seine Handschrift, «rief Athos;»ich kenne sie, denn ich habe vor dem Abgang die Rechnungen der Brüderschaft geordnet.«—»Ein falscher Brief, «sagte Porthos,»wir hatten keinen Zimmerarrest.«—»D'Artagnan, «sprach Aramis im Tone des Vorwurfs,»wie konntet Ihr glauben, wir hätten Lärm gemacht?…«

D'Artagnan erbleichte, und ein krampfhaftes Zittern schüttelte seine Glieder.

«Du jagst mir Schrecken ein, «sagte Athos, der ihn nur bei bedeutenden Gelegenheiten duzte;»was ist denn vorgefallen?«

«Rasch, laßt uns laufen, meine Freunde!«rief d'Artagnan, dessen Geist ein furchtbarer Verdacht durchzuckte:»sollte es abermals eine Rache von dieser Frau sein?«

Athos erbleichte ebenfalls.

D'Artagnan stürzte nach der Trinkstube; die drei Musketiere und die zwei Garden folgten ihm.

Das Erste was d'Artagnan beim Eintritt in den Speisesaal ins Auge fiel, war Baisemout, der sich in furchtbaren Convulsionen auf dem Boden wälzte.

Bleich wie der Tod suchten ihm Planchet und Fourreau Hülfe zu leisten, aber jeder Beistand war offenbar fruchtlos; alle Züge des Sterbenden waren im Todeskampfe zusammengezogen.

«Ah!«rief er, als er d'Artagnan gewahr wurde;»ah! das ist abscheulich: Ihr gebt Euch das Ansehen, als wolltet Ihr mich begnadigen, und Ihr vergiftet mich.«

«Ich!«rief d'Artagnan,»ich, Unglücklicher! Was sagst Du da?«

«Ich sage, daß Ihr mir diesen Wein gegeben habt; ich sage, daß Ihr mich habt trinken heißen, ich sage, daß Ihr Euch an mir rächen wolltet, ich sage, daß dies abscheulich ist.«

«Glaubt es nicht, Baisemout, «rief d'Artagnan,»glaubt es nicht: ich schwöre Euch…«

«Aber es lebt ein Gott! Gott wird Euch bestrafen! Mein Gott, laß ihn einen Tag leiden, was ich leide.«

«Beim heiligen Evangelium, «sprach d'Artagnan, sich auf den Sterbenden stürzend,»ich schwöre Euch, ich wußte nicht, daß dieser Wein vergiftet war, und wollte so eben selbst davon trinken.«

«Ich glaube Euch nicht, «sagte der Soldat und verschied unter doppelten Qualen.

«Schändlich! schändlich!«murmelte Athos, während Porthos die Flaschen zerbrach und Aramis etwas spät den Befehl gab, einen Beichtiger zu holen.

«Oh! meine Freunde, «sprach d'Artagnan,»Ihr habt mir abermals das Leben gerettet, und zwar nicht allein mir, sondern auch diesen Herren. Meine Herren, «fuhr er, sich an die Garden wendend, fort,»ich bitte, dieses ganze Abenteuer zu verschweigen; hohe Personen könnten in einer Beziehung zu dem, was Ihr gesehen habt, stehen, und das Schlimme von Allem dem würde auf uns zurückfallen.«

«Ach! gnädiger Herr, «stammelte Planchet, mehr todt als lebendig,»ach, gnädiger Herr, da bin ich schön durchgeschlüpft.«

«Wie, Schurke!«rief d'Artagnan,»Du wolltest also meinen Wein trinken?«

«Auf die Gesundheit des Königs, gnädiger Herr; ich wollte eben ein armseliges Gläschen leeren, als Fourreau mir sagte, man rufe mich.«

«Ach!«sprach Fourreau, dem die Zähne vor Schrecken klapperten,»ich wollte ihn entfernen, um allein trinken zu können.«

«Meine Herren, «sagte d'Artagnan,»Ihr begreift, daß ein solches Mahl nach dem, was vorgefallen ist, nur sehr traurig sein könnte: entschuldigt also gütigst, und wollt mich, ich bitte, an einem anderen Tag mit Eurer Gesellschaft beehren!«Die zwei Garden nahmen die Entschuldigungen d'Artagnan's höflich auf und entfernten sich, da sie wohl begreifen mochten, daß die vier Freunde allein zu sein wünschten.

Als der junge Garde und die drei Musketiere ohne Zeugen waren, schauten sie sich mit einer Miene an, aus der hervorging, daß sie die ernste Bedeutung ihrer Lage begriffen.

«Vor Allem, «sprach Athos,»wollen wir dieses Zimmer verlassen; ein Todter ist eine schlechte Gesellschaft.«

«Planchet, «sagte d'Artagnan,»ich empfehle Dir, über den Leichnam des armen Teufels zu wachen; er soll in geweihter Erde begraben werden. Allerdings hat er ein Verbrechen begangen, aber er bereute es.«

Die vier Freunde entfernten sich aus dem Zimmer und überließen Planchet und Fourreau die Sorge, Baisemout die letzte Ehre zu erweisen.

Der Wirth gab ihnen eine andere Stube, in die man ihnen weich gesottene Eier und Wasser brachte, das Athos selbst aus dem Brunnen schöpfte. Mit ein paar Worten wurden Porthos und Aramis über die Lage der Dinge in Klare gesetzt.

«Nun! wohl, «sagte d'Artagnan zu Athos,»Ihr seht, es ist ein Krieg auf Leben und Tod.«

Athos schüttelte den Kopf und erwiderte:

«Ja, ja, ich sehe es wohl, aber glaubt Ihr, sie sei es?«

«Ich bin es fest überzeugt.«

«Doch, ich muß Euch gestehen, daß ich noch daran zweifle.«

«Aber die Lilie auf der Schulter…«

«Es ist eine Engländerin, welche irgend ein Verbrechen in Frankreich begangen haben wird, wofür man sie gebrandmarkt hat.«

«Athos, es ist Eure Frau, sage ich Euch, «antwortete d'Artagnan;»erinnert Ihr Euch nicht, wie sehr sich die zwei Signalements gleichen?«

«Ich glaubte, die andere müßte todt sein, ich hatte sie so gut gehenkt!«

Nun war die Reihe an d'Artagnan, den Kopf zu schütteln.

«Aber was läßt sich am Ende machen?«sprach der junge Mann.

«Offenbar kann man nicht ewig mit einem Schwert über dem Haupte bleiben, «sagte Athos,»und man muß aus dieser Lage herauskommen.«

«Aber wie?«

«Hört: versucht es irgendwo mit ihr zusammen zu kommen und zu einer Erklärung mit ihr zu gelangen. Sagt ihr:»»Krieg oder Friede. Ich gebe Euch mein Ehrenwort als Edelmann, nie etwas von Euch zu sagen, nie etwas gegen Euch zu thun. Von Eurer Seite fordere ich einen feierlichen Eid, neutral in Beziehung auf meine Person zu sein; wollt Ihr dies nicht, so suche ich den Kanzler, den König, den Henker auf: ich bringe den ganzen Hof gegen Euch in Aufruhr, ich gebe Euch als Gebrandmarkte an: ich stelle Euch vor Gericht und wenn man Euch freispricht, nun wohl! dann tödte ich Euch, so wahr ich ein Edelmann bin, an dem nächsten besten Eckstein, wie ich einen wüthenden Hund umbringen würde.««

«Dieses Mittel gefällt mir, «erwiderte d'Artagnan,»aber wie mit ihr zusammenkommen?«

«Die Zelt, mein theurer Freund, die Zeit führt die Gelegenheit herbei; die Gelegenheit ist die Martingale; je höher man spielt, desto mehr gewinnt man, wenn man zu warten weiß.«

«Ja; aber umgeben von Mördern und Giftmischern zu warten…«

«Bah!«rief Athos,»Gott hat uns bis daher bewahrt, Gott wird uns auch fernerhin bewahren.«

«Allerdings uns. Doch wir sind im Ganzen genommen Männer, und es liegt in unserem Stande, unser Leben zu wagen; aber sie…«fügte er mit halber Stimme bei.

«Wer, sie?«fragte Athos.

«Constance.«

«Madame Bonacieux? Ah! das ist richtig, «sprach Athos.»Armer Freund! Ich vergaß, daß Ihr verliebt seid.«

«Ei, wohl!«sagte Aramis;»aber habt Ihr nicht aus dem Briefe, der sich bei dem Schurken fand, welcher Euch ermorden wollte, ersehen, daß sie in einem Kloster ist? Man befindet sich ganz wohl in einem Kloster, und sobald die Belagerung vorüber ist, erkläre ich Euch meines Theils…«

«Gut, gut, «rief Athos.»Ja, mein lieber Aramis, wir wissen, daß Eure Wünsche auf die Religion abzielen.«

«Ich bin nur einstweilen Musketier, «sagte Aramis demüthig.

«Er scheint lange Zeit keine Briefe mehr von seiner Geliebten empfangen zu haben, «sagte Athos leise;»aber merke nicht darauf, wir kennen das.«

«Mir scheint, es gibt ein ganz einfaches Mittel, «rief Porthos.»Welches?«fragte d'Artagnan.

«Sie ist in einem Kloster, sagt Ihr?«

«Ja.«

«Nun, sobald die Belagerung vorüber ist, entführen wir sie aus diesem Kloster.«

«Aber man muß auch wissen, in welchem Kloster sie sich befindet.«

«Das ist richtig, «versetzte Porthos.

«Doch, wenn ich bedenke, «sprach Athos,»behauptet Ihr nicht, mein liebes d'Artagnan, die Königin habe das Kloster für sie ausgewählt.«

«Ja, ich glaube es wenigstens.«

«Gut! da kann uns Porthos helfen.«

«Wie dies, wenn ich bitten darf?«

«Durch Eure Marquise, durch Eure Herzogin, Eure Prinzessin; sie muß einen langen Arm haben.«

«Stille!«erwiderte Porthos und legte einen Finger auf seine Lippen;»ich halte sie für eine Kardinalistin und sie darf nichts davon wissen.«

«Dann übernehme ich es, Kunde von ihr zu erhalten, «sagte Aramis.

«Ihr! Aramis?«riefen die drei Freunde;»Ihr, und wie dies!«

«Durch den Almosenier der Königin, mit dem ich befreundet bin, «antwortete Aramis erröthend.

Die vier Freunde hatten ihr bescheidenes Mahl zu sich genommen und trennten sich auf diese Versicherung, mit dem Versprechen, sich am Abend wieder zu sehen. D'Artagnan kehrte nach Hause zurück, und die Musketiere begaben sich nach dem Quartiere des Königs, wo sie sich ihre Wohnungen einrichten zu lassen hatten.

XV. Die Wirtschaft zum Rothen Taubenschlag

Kaum in dem Lager angelangt, wollte der König, welcher so große Eile hatte, dem Feinde gegenüber zu stehen, und den Haß des Kardinals gegen Buckingham theilte, alle Vorkehrungen treffen, einmal um die Engländer von der Insel Ré zu verjagen, und dann um die Belagerung von La Rochelle kräftiger zu betreiben; aber er wurde gegen seinen Willen durch die feindselige Art aufgehalten, womit die Herren Bassompierre und Schomberg dem Herzog von Angoulême entgegentraten.

Herr von Bassompierre und Schomberg waren Marschälle von Frankreich und forderten ihr Recht, das Heer unter dem Befehle des Königs zu kommandiren; aber Richelieu, welcher befürchtete, Bassompierre, der im Innern seines Herzens ein Hugenotte war, möchte die Engländer und die Rocheller, seine Religionsbrüder, nur wenig bedrängen, suchte im Gegentheil den Herzog von Angoulême zu begünstigen, den der König auf seinen Antrieb zum General-Lieutenant ernannt hatte. Wenn also die Herren Bassompierre und Schomberg nicht die Armee verlassen sollten, so mußte man jedem von ihnen ein besonderes Kommando übergeben. Bassompierre nahm seine Quartiere im Norden der Stadt von Lalen bis Dompierre, der Herzog von Angoulême nahm die seinigen im Osten von Dompierre bis Perigny, und Herr von Schomberg im Süden von Perigny bis Angoulin.

Die Wohnung Monsieurs war in Dompierre, die des Königs bald in Estré, bald in la Jarri.

Die Wohnung des Kardinals war auf den Dünen bei dem Pont de la Pierre in einem einfachen Hause ohne alle Verschanzung.

Monsieur überwachte auf diese Weise Bassompierre, der König den Herzog von Angoulême und der Kardinal Herrn von Schomberg.

Sobald diese Anordnung getroffen war, beschäftigte man sich damit, die Engländer von der Insel zu vertreiben.

Die Umstände waren dazu günstig. Die Engländer, welche vor Allem guter Lebensmittel bedürfen, um gute Soldaten zu sein, hatten viele Kranke in ihrem Lager, da sie nur gesalzenes Fleisch und schlechten Zwieback zu essen bekamen. Das Meer war um diese Jahreszeit an allen östlichen Küsten sehr gefährlich, und das Gestade war von der Spitze des Aiguillon bis zu den Laufgräben buchstäblich bei jeder Fluth mit zertrümmerten Pinassen, Robergen und Felucken bedeckt; daher kam es, daß sich die Leute des Königs in ihrem Lager hielten, und Buckingham. der aus Halsstarrigkeit noch auf der Insel Ré verweilte, mußte eines Tages genöthigt werden, die Belagerung aufzugeben.

Aber da Herr von Toiras melden ließ, im feindlichen Lager bereite sich Alles zu einem neuen Sturme vor, so meinte der König, man müsse der ganzen Sache ein Ende machen, und gab die nöthigen Befehle zu einem entscheidenden Kampf.

Es war nicht unsere Absicht, ein Tagebuch der Belagerung zu schreiben, sondern wir wollten im Gegentheil nur die Ereignisse berichten, welche mit der Geschichte, die wir erzählen, in besonderem Zusammenhang stehen, und wir begnügen uns also, mit zwei Worten zu bemerken, daß das Unternehmen zur großen Zufriedenheit des Königs und zum großen Ruhme des Kardinals glückte. Fuß für Fuß zurückgetrieben, bei jedem Zusammentreffen geschlagen, mußten sich die Engländer mit Zurücklassung von zweitausend Todten auf der Wahlstätte wieder einschiffen; unter diesen Todten waren fünf Obersten, drei Oberst-Lieutenants, zweihundert und fünfzig Kapitäne und zwanzig Edelleute von hohem Rang; ferner verloren die Engländer viele Feldstücke und sechzig Fahnen; die letzteren wurden von Claude von Saint-Simon nach Paris gebracht und mit großem Gepränge in den Gewölben von Notre-Dame aufgehängt.

Im Lager ertönten Te Deum, die sich von da durch ganz Frankreich verbreiteten.

Dem Kardinal blieb es also überlassen, die Belagerung fortzusetzen, ohne daß er, wenigstens für den Augenblick, von den Engländern etwas zu befürchten hatte.

Aber die Ruhe war, wie gesagt, nur eine augenblickliche. Es war ein Abgesandter des Herzogs von Buckingham, Namens Montaigu, aufgefangen worden, und man hatte den Beweis eines Bündnisses zwischen dem Reiche, Spanien, England und Lothringen erlangt.

Dieses Bündniß war gegen Frankreich gerichtet.

Außerdem hatte man in der Wohnung des Herzogs von Buckingham, die er in großer Eile verlassen gemußt, Papiere gefunden, welche dieses Bündniß bestätigten, wie der Herr Kardinal in seinen Memoiren versichert, und Frau von Chevreuse, und folglich auch die Königin bedeutend kompromittirten.

Auf Richelieu lastete die ganze Verantwortlichkeit, denn man ist nicht unumschränkter Minister, ohne verantwortlich zu sein. Auch waren alle Quellen und Mittel seines umfassenden Genies Tag und Nacht in Anspruch genommen, um das geringste Geräusch zu vernehmen, das sich in einem der großen Reiche Europas erhob.

Der Kardinal kannte die Thätigkeit und besonders den Haß Buckinghams; triumphirte das Bündniß, von dem Frankreich bedroht wurde, so war sein ganzer Einfluß verloren. Die spanische und die österreichische Politik hatte ihre Repräsentanten im Louvre. Er, Richelieu, der französische, der vorzugsweise nationale Minister, war verloren. Der König, der ihm wie ein Kind gehorchte, haßte ihn, wie ein Kind seinen Lehrmeister haßt, und überließ ihn der vereinigten Rache Monsieurs und der Königin. Er war verloren und Frankreich vielleicht auch; dem Allem mußte man zuvorkommen.

Jeden Augenblick waren die Eilboten zahlreicher, und man sah sie einander Tag und Nacht in dem kleinen Hause am Pont de la Pierre folgen, wo der Kardinal seine Residenz aufgeschlagen hatte.

Es waren Mönche, welche die Kutte so schlecht trugen, daß man leicht erkennen konnte, sie gehören hauptsächlich der streitenden Kirche an; Frauen, die in ihren Pagen-Kleidern etwas beengt waren, und deren weite Hosen die gerundeten Formen nicht völlig verbergen konnten: Bauern endlich mit geschwärzten Händen, aber zarten Beinen, in denen man den Mann von Stand auf eine Meile in der Runde erkannte.

Dann kamen noch andere minder angenehme Besuche, denn wiederholt verbreitete sich das Gerücht, der Kardinal wäre beinahe ermordet worden.

Allerdings behaupteten die Feinde Seiner Eminenz, sie selbst habe ungeschickte Mörder in das Feld geschickt, um vorkommenden Falls das Recht zu Repressalien zu haben, aber man muß weder das, was die Minister, noch das, was ihre Feinde sagen, glauben.

Dies hielt jedoch den Kardinal, dem seine erbittertsten Verläumder den Muth nicht abgesprochen haben, nicht ab, viele nächtliche Ritte zu machen, bald um dem Herzog von Angoulême wichtige Befehle zu eröffnen, bald um sich mit dem König, bald um sich mit irgend einem Boten zu besprechen, den man nicht in seinem Hause sehen sollte.

Die Musketiere, welche bei der Belagerung nicht viel zu thun hatten, waren nicht streng gehalten uns führten ein lustiges Leben. Dies war hauptsächlich unsern drei Genossen um so leichter, als sie, mit Herrn von Treville befreundet, von diesem ohne Schwierigkeit die Erlaubniß erhielten, länger auszubleiben und auch nach Schließung des Lagers außen zu verweilen.

Eines Abends, als d'Artagnan, der den Dienst in den Laufgräben hatte, sie nicht begleiten konnte, kamen Athos, Porthos und Aramis auf ihren Schlachtrossen, in ihre Kriegsmäntel gehüllt, eine Hand auf dem Kolben ihrer Pistole, aus einer Schenke, zum Rothen Taubenschlag genannt, zurück, welche zwei Tage vorher von Athos auf der Straße nach Jarri entdeckt worden war. Sie verfolgten den Weg, der nach dem Lager führte, und waren dabei aus Furcht vor einem Hinterhalt wohl auf ihrer Hut, als sie ungefähr eine Viertelstunde von dem Dorfe Boisneau das Geräusch von Pferden zu hören glaubten, welche auf sie zukamen. Sogleich hielten alle Drei stille und schlossen sich, die Mitte der Straße behauptend, eng an einander an. Nach einem Augenblick, als der Mond eben unter einer Wolke hervortrat, sahen sie wirklich an der Biegung der Straße zwei Reiter, welche, sobald sie unsere Freunde erblickten, ebenfalls stillehielten und mit sich zu Rathe zu gehen schienen, ob sie ihren Weg fortsetzen oder umkehren sollten. Dieses Zögern erregte Verdacht bei den Musketieren; Athos rückte einige Schritte vor und rief mit fester Stimme:

«Wer da?«

«Wer da, Ihr selbst?«erwiderte einer von den Reitern.

«Das ist keine Antwort!«sprach Athos.»Wer da? oder wir feuern.«

«Besinnt Euch wohl, ehe Ihr dies thut, meine Herren, «entgegnete eine vibrirende Stimme, welche zu befehlen gewohnt zu sein schien.

«Das ist ein Oberoffizier, der diese Nacht seine Runde macht, «sprach Athos, sich gegen seine Freunde umwendend.»Was wollen wir thun, meine Herren?«

«Wer seid Ihr?«rief dieselbe Stimme mit demselben befehlenden Tone;»antwortet oder Ihr dürftet Euch schlecht bei Eurem Ungehorsam befinden.«

«Musketiere des Königs!«erwiderte Athos, immer mehr überzeugt, daß der, welcher sie fragte, auch das Recht hiezu hatte.

«Welche Kompagnie?«

«Kompagnie von Treville.«

«Rückt vor und gebt mir Rechenschaft, was Ihr zu dieser Stunde hier zu machen habt.«

Die drei Musketiere rückten etwas verblüfft vor, denn alle drei waren überzeugt, daß sie es mit einem Mächtigern zu thun hatten. Man überließ indessen Athos die Sorge, das Wort zu führen.

Einer von den zwei Reitern war ungefähr zehn Schritte von seinem Gefährten entfernt; Athos gab Porthos und Aramis ein Zeichen, ebenfalls zurückzubleiben, und ritt allein vorwärts.

«Um Vergebung, mein Offizier, «sprach Athos,»aber wir wußten nicht, mit wem wir es zu thun hatten, und Ihr könnt sehen, wir halten gute Wache.

«Euer Name?«fragte der Offizier, der einen Theil seines Gesichtes mit dem Mantel verhüllte.

«Ihr selbst, mein Herr, «sagte Athos, den dieses Verhör zu empören anfing,»gebt mir, ich bitte Euch, den Beweis, daß Ihr das Recht habt, mich so zu fragen?«

«Euer Name?«wiederholte der Reiter, und ließ den Mantel so fallen, daß sein Gesicht entblößt war.

«Der Herr Kardinal!«rief der Musketier erstaunt.

«Euer Name?«fragte Seine Eminenz zum dritten Male.

«Athos, «antwortete der Musketier.

Der Kardinal gab dem Stallmeister ein Zeichen und dieser näherte sich.

«Die drei Musketiere werden uns folgen, «sprach er mit leiser Stimme;»man soll nicht erfahren, daß ich das Lager verlassen habe, und wenn sie uns folgen, sind wir sicher, daß sie Niemand etwas davon sagen.«

«Wir sind Edelleute, Monseigneur, «sprach Athos;»verlangt unser Ehrenwort und seid unbesorgt. Wir wissen, Gott sei Dank! ein Geheimniß zu bewahren.«

Richelieu heftete seine durchdringenden Augen auf den kühnen Redner.

«Ihr habt ein feines Ohr, Herr Athos, «sprach der Kardinal.»Aber nun hört: ich bitte Euch, nicht aus Mißtrauen, sondern meiner Sicherheit wegen, mir zu folgen. Ohne Zweifel sind Eure zwei Gefährten die Herren Porthos und Aramis.«

«Ja, Ew. Eminenz, «antwortete Athos, während die zwei zurückgebliebenen Musketiere, den Hut in der Hand, sich näherten.

«Ich kenne Euch, meine Herren, «sagte der Kardinal,»ich kenne Euch. Ich weiß, daß ich Euch nicht ganz zu meinen Freunden zu zählen habe, und das thut mir leid. Ich weiß aber auch, daß Ihr brave, wackere Edelleute seid, und daß man sich Euch anvertrauen kann. Herr Athos, erweist mir die Ehre, mich nebst Euren zwei Freunden zu begleiten, und ich werde dann eine Eskorte haben, um welche mich Seine Majestät beneiden müßte, wenn wir ihr begegnen würden.«

Die drei Musketiere verbeugten sich bis auf den Hals ihrer Pferde.

«Ei, bei meiner Ehre!«rief Athos,»Ew. Eminenz hat Recht, uns mitzunehmen. Wir stießen unterwegs auf abscheuliche Gesichter, und hatten sogar mit vier von diesen Gesichtern einen Zank im Rothen Taubenschlag.«

«Einen Zank! und warum, meine Herren, «sagte der Kardinal.»Ich liebe die Zänkereien nicht, wie Ihr wißt.«

«Gerade deßhalb habe ich die Ehre, Ew. Eminenz von dem Vorfall in Kenntniß zu setzen; denn sie könnte es von Andern erfahren und uns auf einen falschen Bericht hin schuldig glauben.«

«Und was war das Resultat dieses Streites?«fragte der Kardinal die Stirne faltend.

«Mein Freund Aramis, den Ihr hier seht, hat einen kleinen Degenstich in den Arm bekommen, was ihn jedoch nicht abhalten wird, wie Ihr wohl bemerken möget, morgen den Sturm mitzumachen, wenn Euer Eminenz dazu Befehl geben sollte.«

«Aber Ihr seid nicht die Menschen, die sich auf diese Art Degenstiche geben lassen?«sagte der Kardinal.»Sprecht offen, meine Herren, Ihr habt sicherlich einige zurückgegeben! Beichtet, Ihr wißt, ich habe das Recht, Absolution zu ertheilen.«

«Ich, gnädiger Herr, «sagte Athos,»ich habe nicht einmal den Degen gezogen, aber ich nahm denjenigen, mit welchem ich zu schaffen hatte, um den Leib und warf ihn zum Fenster hinaus. Es scheint, «fuhr Athos mit einigem Zögern fort,»daß er beim Fallen den Schenkel gebrochen hat.«

«Ah! ah!«rief der Kardinal,»und Ihr, Herr Porthos?«

«Ich, Monseigneur, ergriff, da ich wußte, daß das Duell verboten ist, eine Bank und versetzte einem von diesen Schurken einen Streich, der ihm, glaube ich, die Schulter zerschmettert hat.«

«Gut, «sagte der Kardinal,»und Ihr, Herr Aramis?«

«Ich, Monseigneur, da ich ein sehr sanftes Gemüth habe und überdies, was Monseigneur vielleicht nicht weiß, in den geistlichen Stand einzutreten im Begriffe bin, wollte meine Kameraden trennen, als einer von diesen Elenden mir verrätherischer Weise einen Degenstich durch den linken Arm beibrachte. Da ging mir die Geduld aus und ich zog meinen Degen ebenfalls, und als er wieder angriff, glaube ich bemerkt zu haben, daß er sich, indem er sich auf mich warf, meine Klinge durch den Leib rannte. Ich weiß nur, daß er fiel, und es schien mir, als ob man ihn mit seinen zwei Genossen fortgetragen hätte.«

«Teufel, meine Herren!«sprach der Kardinal,»drei Menschen wegen einer Wirthshauszänkerei wehrlos zu machen! Ihr scheint mir keine faule Hände zu haben! Und worüber entspann sich der Streit?«

«Die Elenden waren berauscht und wollten, da sie wußten, daß diesen Abend eine Frau in der Schenke angekommen war, die Thüre sprengen.«

«Diese Frau war wohl jung und hübsch?«fragte der Kardinal mit einiger Unruhe.

«Wir haben sie nicht gesehen, Monseigneur, «sagte Athos.

«Ihr habt sie nicht gesehen? Ah! sehr gut!«versetzte der Kardinal lebhaft.»Ihr habt wohl daran gethan, die Ehre einer Frau zu vertheidigen, und da ich gerade selbst zur Herberge zum Rothen Taubenschlag gehe, so werde ich erfahren, ob Ihr die Wahrheit gesprochen habt.«

«Monseigneur, «sagte Athos stolz,»wir sind Edelleute und würden uns keine Lüge erlauben, und wenn wir damit unser Leben retten könnten.«

«Auch zweifle ich nicht einen Augenblick an dem, was Ihr mir sagt, Herr Athos, ich zweifle nicht im Mindesten daran. Doch, «fügte er bei, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben,»doch diese Dame war wohl allein?«

«Sie hatte einen Kavalier bei sich eingeschlossen, «sagte Athos.»Da sich dieser Kavalier jedoch, trotz des Lärmens, nicht zeigte, so läßt sich annehmen, daß er ein Feigling ist.«

«Richtet nicht vorlaut, sagt das Evangelium, «entgegnete der Kardinal.

Aramis verbeugte sich.

«Und nun, meine Herren, ist es gut, «fuhr Seine Eminenz fort;»ich weiß, was ich wissen wollte, folgt mir.«

Die drei Musketiere ritten hinter dem Kardinal, der wieder das Gesicht in seinen Mantel hüllte, sein Pferd in Marsch setzte und sich acht bis zehn Schritte vor seinen vier Gefährten hielt.

Man gelangte bald zu der einsamen, stillen Herberge. Ohne Zweifel wußte der Wirth, welcher erhabene Besuch erscheinen würde, und hatte deßhalb die Lästigen weggeschickt.

Zehn Schritte von der Thüre entfernt gab der Kardinal seinem Stallmeister und den Musketieren ein Zeichen, Halt zu machen. Ein völlig gesatteltes Pferd war an den Laden angebunden. Der Kardinal klopfte dreimal und auf eine besondere Weise. Ein in einen Mantel gehüllter Mann trat heraus und wechselte rasch einige Worte mit dem Kardinal, wonach er zu Pferde stieg und sich in der Richtung von Surgère, was auch zugleich die Richtung von Paris war, entfernte.

«Vorwärts, meine Herren, «sprach der Kardinal.

«Ihr habt mir die Wahrheit gesagt, meine edlen Herrn, «fügte er, sich an die Musketiere wendend, bei,»und es ist nicht meine Schuld, wenn unser Zusammentreffen an diesem Abend nicht vortheilhaft für Euch ausfällt. Mittlerweile folgt mir.«

Der Kardinal stieg ab, die Musketiere thaten dasselbe. Der Kardinal warf den Zügel seines Pferdes seinem Stallmeister zu, die drei Musketiere banden die ihrigen an die Läden.

Der Wirth blieb auf der Schwelle seiner Thüre. Für ihn war der Kardinal nur ein Offizier, der eine Dame besuchte.

«Habt Ihr ein Zimmer im Erdgeschoß, wo diese Herren mich bei einem guten Feuer erwarten können?«sagte der Kardinal.

Der Wirth öffnete die Thüre einer großen Stube, in welcher man eben im Begriffe war, einen schlechten Ofen durch ein großes vortreffliches Kamin zu ersetzen.

«Ich habe diese hier, «sagte er.

«Das ist gut, «versetzte der Kardinal.»Tretet ein, meine Herren, und erwartet mich gefälligst. Ich werde höchstens eine halbe Stunde ausbleiben.«

Und während die drei Musketiere in die Stube im Erdgeschoß eintraten, stieg der Kardinal, ohne weitere Auskunft zu verlangen, die Treppe hinauf, wie ein Mensch, der sich den Weg nicht zeigen zu lassen braucht.

XVI. Von dem Nutzen der Ofenröhren

Offenbar hatten unsere drei Freunde, ohne es zu vermuthen und einzig und allein durch ihren ritterlichen, abenteuerlichen Charakter bewogen, Jemand, den der Kardinal mit seinem besonderen Schutze beehrte, einen Dienst erwiesen.

Wer war nun dieser Jemand? Das war eine Frage, welche die drei Musketiere auch an sich richteten. Da sie aber sahen, daß keine von den Antworten, welche ihr Verstand zu geben vermochte, genügend war, so rief Porthos den Wirth und forderte Würfel.

Porthos und Aramis setzten sich an einen Tisch und fingen an zu spielen; Athos ging nachdenklich auf und ab.

Bei dieser Gelegenheit kam er wiederholt an einer Ofenröhre vorüber, deren eine Hälfte abgebrochen war, während das andere Ende in ein oberes Zimmer ging und so oft er vorüber kam, hörte er ein Gemurmel von Worten, das am Ende seine Aufmerksamkeit fesselte. Athos näherte sich und unterschied einige Worte, die ihm ohne Zweifel eine so große Theilnahme zu verdienen schienen, daß er seinen zwei Gefährten ein Zeichen gab, sie möchten schweigen, während er sein Ohr an die Mündung der Röhre legte.

«Hört, Mylady, «sprach der Kardinal,»die Sache ist äußerst wichtig, setzt Euch, wir wollen uns besprechen.«

«Mylady?«murmelte Athos.

«Ich höre Euere Eminenz mit der größten Aufmerksamkeit, «antwortete eine Frauenstimme, welche den Musketier beben machte.

«Ein kleines Schiff mit englischer Bemannung, dessen Kapitän mir ergeben ist, erwartet Euch an der Mündung der Charente, bei dem Fort de la Pointe. Es wird morgen unter Segel gehen.«

«Ich muß mich also noch in dieser Nacht dahin begeben?«

«In diesem Augenblick, das heißt, sobald Ihr meine Instruktionen erhalten habt. Zwei Männer, die Ihr bei Eurem Abgang vor der Thüre findet, werden Euch als Geleite dienen. Ihr laßt mich aber zuerst gehen, und entfernt Euch eine halbe Stunde nach mir.«

«Gut, Monseigneur. Nun aber wollen wir auf die Sendung zurückkommen, mit der Ihr mich beauftragen werdet, und da mir Alles daran gelegen ist, fortwährend das Vertrauen Eurer Eminenz zu verdienen, so setzt mir gnädigst in klaren und scharfen Worten die Sache auseinander, damit ich keinen Irrthum begehe.«

Es herrschte einen Augenblick tiefes Stillschweigen unter den Sprechenden, offenbar wog der Kardinal vorher die Ausdrücke ab, deren er sich bedienen wollte, und Mylady faßte alle ihre geistigen Fähigkeiten zusammen, um die Dinge, die er ihr sagen würde, vollständig zu begreifen und, wenn sie gesagt wären, ihrem Gedächtnisse einzuprägen.

Athos benützte diesen Augenblick, um seine Freunde aufzufordern, die Thüre von Innen zu schließen und dann zu ihm heranzutreten, um mit ihm zu hören.

Die zwei Musketiere, welche die Bequemlichkeit liebten, brachten einen Stuhl für jeden von ihnen und einen weiteren für Athos herbei. Alle drei setzten sich, hielten die Köpfe neben einander und horchten mit gespannten Ohren.

«Ihr begebt Euch nach London, «fuhr der Kardinal nun fort.»Dort sucht Ihr sogleich Buckingham auf.«

«Ich erlaube mir, Eurer Eminenz zu bemerken, «sagte Mylady,»daß seit der Geschichte mit den diamantenen Nestelstiften, wegen deren mich der Herzog stets im Verdacht gehabt hat, Seine Herrlichkeit mir mißtraut.«

«Es handelt sich auch diesmal, «entgegnete der Kardinal,»nicht darum, sein Vertrauen zu gewinnen, sondern sich ihm aus eine offene und loyale Weise als Unterhändlerin zu nähern.«

«Aus eine offene und loyale Weise?«wiederholte Mylady mit einer unbeschreiblich doppelsinnigen Betonung.

«Ja, offen und loyal, «versetzte der Kardinal in demselben Ton,»diese ganze Angelegenheit muß offen behandelt werden.«

«Ich werde die Instruktionen Seiner Eminenz buchstäblich befolgen und sehe denselben entgegen.«

«Ihr sucht Buckingham in meinem Namen auf und sagt ihm, ich wisse von allen Vorbereitungen, die er treffe, aber ich kümmere mich nicht im Geringsten darum, indem ich bei der ersten Bewegung, die er wagen würde, die Königin ins Verderben stürze.«

«Wird er glauben, daß Eure Eminenz im Stande ist, diese Drohung zu erfüllen?«

«Ja, denn ich habe Beweise.«

«Ich muß diese Beweise seiner Prüfung vorlegen können.«

«Allerdings, und Ihr sagt ihm: erstens, daß ich den Bericht von Bois-Robert und vom Marquis von Beautru über die Zusammenkunft bekannt mache, die der Herzog mit der Königin bei der Frau Connetable an demselben Abend gehabt hat, wo die letztere ein Maskenfest gab. Ihr sagt ihm, damit ihm kein Zweifel übrig bleibt, daß er daselbst im Costüm des Großmoguls erschienen ist, das der Chevalier von Guise tragen sollte, dem er es um dreitausend Pistolen abgekauft hat.«

«Gut, Monseigneur.«

«Alle Einzelnheiten über seinen Ein- und Austritt im Louvre in der Nacht, wo er sich unter dem Costüm eines italienischen Wahrsagers eingeschlichen hat, sind mir bekannt; Ihr sagt ihm, damit er nicht an der Aechtheit meiner Nachrichten zweifelt, er habe unter seinem Mantel ein weites, mit schwarzen Thränen, Todtenköpfen und Knochen in Form von Andreaskreuzen besätes Gewand getragen; denn im Fall der Ueberraschung sollte er für das Gespenst der weißen Dame gehalten werden, welche, wie Jedermann weiß, im Louvre erscheint, so oft ein großes Ereigniß um den Weg ist.«

«Ist das Alles, Monseigneur?«

«Sagt ihm auch, ich wisse alle Einzelnheiten von seinem Abenteuer in Amiens. Ich werde daraus ein geistreiches Romänchen mit dem Plane des Gartens und den Porträts der Hauptpersonen dieser nächtlichen Scene machen lassen.«

«Ich werde ihm Alles das sagen.«

«Sagt ihm ferner: ich halte Montaigu fest, Montaigu sei in der Bastille. Man habe allerdings keinen Brief bei ihm gefunden, aber die Folter könne ihn dazu bringen. Alles zu gestehen, was er weiß und selbst… das, was er nicht weiß.«

«Vortrefflich!«

«Fügt endlich bei: Seine Herrlichkeit habe bei der Eile, mit der er die Insel Ré verließ, einen gewissen Brief von Frau von Chevreuse liegen lassen, der die Königin sehr bedeutend compromittire, indem daraus hervorgehe, daß Ihre Majestät nicht nur die Feinde des Königs liebe, sondern auch mit denen Frankreichs conspirire. Ihr habt Alles, was ich Euch gesagt, wohl behalten, nicht wahr?«

«Eure Eminenz mag selbst urtheilen: der Ball der Frau Connetable, die Nacht im Louvre, die Abendunterhaltung von Amiens, die Verhaftung von Montaigu, der Brief der Frau von Chevreuse.«

«So ist es, «sprach der Kardinal,»so ist es. Ihr habt ein sehr glückliches Gedächtniß, Mylady.«

«Aber, «versetzte diejenige, an welche der Kardinal dieses Compliment gerichtet hatte,»wenn sich der Herzog trotz all dieser Gründe nicht ergiebt und Frankreich zu bedrohen fortfährt?«

«Der Herzog ist verliebt, wie ein Narr, oder vielmehr wie ein Dummkopf, «erwiderte Richelieu mit tiefer Bitterkeit.»Wie die alten Paladine, hat er diesen Krieg nur unternommen, um einen Blick von seiner Schönen zu erlangen. Weiß er, daß dieser Krieg die Dame seiner Gedanken, wie er sagt, die Ehre und vielleicht die Freiheit kosten kann, so wird er sich doppelt in Acht nehmen, dafür stehe ich Euch.«

«Aber, «sagte Mylady mit einer Beharrlichkeit, welche bewies, daß sie den Auftrag, den man ihr gab, bis an sein Ende durchschauen wollte,»aber wenn er dennoch fest bleibt?«

«Wenn er fest bleibt«— sagte der Kardinal…»das ist nicht wahrscheinlich.«

«Es ist möglich, «entgegnete Mylady.

«Wenn er fest bleibt…«Seine Eminenz machte eine Pause und sprach sodann:»Wenn er festbleibt, gut! so hoffe ich auf eines jener Ereignisse, welche die Gestalt der Staaten verändern.«

«Wenn Seine Eminenz die Güte haben wollte, mir aus der Geschichte einige solche Ereignisse anzuführen,»sagte Mylady,»so würde ich vielleicht dieses Vertrauen auf die Zukunft theilen.«

«Nun wohl, zum Beispiel, «antwortete Richelieu, als im Jahre 1610 wegen einer Ursache, welche derjenigen ungefähr ähnlich ist, die den Herzog in Bewegung setzt, König Heinrich IV., glorreichen Andenkens, zu gleicher Zeit einen Einfall in Flandern und Italien machte, um Oesterreich von zwei Seiten anzugreifen, — nun, geschah es da nicht, daß ein Ereigniß Oesterreich rettete? Warum sollte der König von Frankreich nicht dasselbe Glück haben, wie der Kaiser?«

«Eure Eminenz beliebt von dem Messerstiche in der Rue de la Feronnerie zu sprechen.«

«Allerdings, «sagte der Kardinal.

«Fürchtet Eure Eminenz nicht, die Hinrichtung Ravaillacs werde diejenigen zurückschrecken, welche einen Augenblick den Gedanken haben dürften, sein Beispiel nachzuahmen?«

«Es gibt zu allen Zeiten und in allen Ländern, besonders wenn die Länder durch die Religion getheilt sind, Fanatiker, deren höchster Wunsch es ist, Märtyrer zu werden. Halt! in diesem Augenblick fällt mir ein, daß die Puritaner gegen den Herzog von Buckingham wüthend sind, und daß ihre Prediger ihn als den Antichrist bezeichnen.«

«Nun?«fragte Mylady.

«Nun!«fuhr der Kardinal mit gleichgültiger Miene fort,»es würde sich für den Augenblick z. B. nur darum handeln, eine hübsche, junge, geschickte Frau zu finden, die sich selbst an dem Herzog zu rächen hätte. Eine solche Frau läßt sich finden. Der Herzog ist ein Mann, der bei den Weibern Glück hat, und säete er auch viel Liebe durch seine Versprechungen ewiger Treue aus, so mußte er dagegen ebenfalls viel Haß durch seine ewige Untreue ausstreuen.«

«Gewiß, «sagte Mylady,»eine solche Fran läßt sich finden.«

«Gut, eine Frau, welche das Messer Jacques Clements oder Ravalliacs einem Fanatiker in die Hände zu drücken wüßte, würde Frankreich retten.«

«Ja aber sie wäre die Mitschuldige einer Mordthat.«

«Hat man je die Mitschuldigen Ravaillacs oder Jacques Clements kennen gelernt?«

«Nein, denn sie waren vielleicht zu hoch gestellt, als daß man es hätte wagen sollen, sie da zu suchen, wo sie sich befanden. Man würde den Justizpalast nicht um Alles in der Welt verbrennen, Monseigneur.«

«Ihr glaubt also, daß der Brand des Justizpalastes einer andern Ursache, als dem Zufall zuzuschreiben ist?«fragte Richelieu in einem Ton, worin er eine ganz bedeutungslose Frage gestellt haben würde.

«Ich, Monseigneur, «antwortete Mylady,»ich glaube nichts. Ich führe eine Thatsache an, weiter Nichts. Ich sage nur, wenn ich Mademoiselle von Montpensier oder Königin Marie von Medicis hieße, würde ich weniger Vorsichtsmaßregeln nehmen, als jetzt, da ich ganz einfach Lady Winter heiße.«

«Das ist richtig, «sprach Richelieu.»Was würdet Ihr also verlangen?«

«Ich würde einen Befehl verlangen, der Alles das zum Voraus bestätigte, was ich zur Wohlfahrt Frankreichs thun zu müssen glauben würde.«

«Aber vor Allem müßte man die Frau finden, wie ich sie bezeichnet habe, und die sich an dem Herzog zu rächen hätte.«

«Sie ist gefunden, «sprach Mylady.

«Dann müßte man den elenden Fanatiker finden, der als Werkzeug für die Gerechtigkeit Gottes dienen würde.«

«Man wird ihn finden.«

«Wohl, «sagte der Herzog,»dann wird es Zeit sein, den Befehl zu fordern, den ihr so eben von mir verlangt habt.«

«Ew. Eminenz hat Recht, «erwiderte Mylady,»und ich habe Unrecht gehabt, in der Sendung, womit sie mich beehrt, etwas Anderes zu sehen, als was sie wirklich ist, das heißt Seiner Herrlichkeit von Seiten Seiner Eminenz zu melden, daß Ihr die verschiedenen Verkleidungen kennt, mit deren Hilfe es Seiner Herrlichkeit gelungen ist, sich der Königin auf dem Ball der Frau Connetable zu nähern; daß Ihr Beweise von der Zusammenkunft besitzet, welche die Königin einem gewissen Astrologen, der Niemand anders war als der Herzog von Buckingham, im Louvre gegeben; daß Ihr einen äußerst geistreichen Roman über das Abenteuer in Amiens sammt dem Plane des Gartens, wo diese Geschichte vorfiel, und den Porträts der handelnden Personen, bestellt habt; daß Montaigu sich in der Bastille befindet, und daß ihn die Folter bewegen kann, Dinge zu sagen, deren er sich erinnert, und sogar Dinge, die er vergessen hat; endlich, daß Ihr einen gewissen Brief von Frau von Chevreuse besitzt, der sich in der Wohnung seiner Herrlichkeit gefunden hat und nicht nur die Schreiberin, sondern auch diejenige, in deren Namen er geschrieben worden ist, bedeutend compromittirt. Bleibt er dessenungeachtet fest, so habe ich, da sich, wie gesagt, mein Auftrag hierauf beschränkt, nur Gott zu bitten, er möge ein Wunder zur Rettung Frankreichs thun. So ist es, nicht wahr, Monseigneur, und ich habe nichts Anderes zu vollbringen?«

«So ist es, «erwiderte der Kardinal trocken.

«Und nun, «sprach Mylady, ohne daß sie die Veränderung im Tone des Kardinals zu bemerken schien,»nun, da ich die Instruktionen Eurer Eminenz in Bezug auf Eure Feinde erhalten habe, so wird mir Monseigneur erlauben, ihm ein paar Worte über die meinigen zu sagen.«—»Ihr habt also Feinde?«fragte Richelieu. — »Ja, Monseigneur, gegen die Ihr mir Eure Unterstützung schuldig seid, denn ich habe sie mir im Dienste Eurer Eminenz zugezogen.«—»Und wer sind sie?«fragte der Kardinal. — »Vor allem eine kleine Intrigantin, Namens Bonacieux.«—»Sie ist im Gefängnisse von Nantes.«—»Das heißt, sie war dort, «entgegnete Mylady;»aber die Königin hat sich von dem König einen Befehl zu verschaffen gewußt, mit dessen Hülfe sie dieselbe in ein Kloster bringen ließ.«—»In ein Kloster?«sagte der Herzog. — »Ja, in ein Kloster.«—»Und in welches?«—»Ich weiß es nicht; daß Geheimniß ist wohl verwahrt.«—»Ich werde es erfahren.«—»Und Eure Eminenz wird mir sagen, in welchem Kloster sich diese Frau befindet?«—»Ich sehe keinen Grund, es Euch zu verweigern, «sprach der Kardinal. — »Gut. Nun habe ich noch einen andern Feind, der mir viel furchtbarer ist, als die kleine Madame Bonacieux.«—»Und wen?«»Ihren Liebhaber.«—»Wie heißt er?«—»Oh! Eure Eminenz kennt ihn wohl, «rief Mylady voll Zorn;»er ist der böse Genius von uns Beiden. Es ist derselbe Kerl, der bei einem Zusammentreffen mit den Leibwachen Ew. Eminenz den Sieg zu Gunsten der Musketiere des Königs entschieden hat; derselbe, der dem Grafen von Wardes, Eurem Emissär, vier Degenstiche versetzte und dadurch die Angelegenheit mit den Nestelstiften scheitern machte; derselbe, der mir, weil er weiß, daß ich ihm Madame Bonacieux entführte, den Tod geschworen hat.«—»Ah! ah!«sagte der Kardinal,»ich weiß, von wem Ihr sprechen wollt.«—»Ich will von dem elenden d'Artagnan sprechen.«—»Das ist ein kecker Geselle, «rief der Kardinal. — »Und gerade, weil er ein kecker Geselle ist, hat man ihn um so mehr zu fürchten.«—»Man müßte einen Beweis von seinem Einverständniß mit Buckingham haben, «sprach der Herzog. — »Einen Beweis!«rief Mylady,»es werden mir zehn zu Gebot stehen.«—»Gut, dann ist es die einfachste Sache der Welt. Liefert mir diesen Beweis und ich schicke ihn in die Bastille.«—»Wohl, Monseigneur, aber hernach?«—»Wenn man in der Bastille ist, gibt es keine Hernach, «entgegnete der Kardinal mit dumpfer Stimme.»Ah! bei Gott!«fuhr er fort,»wenn es mir so leicht wäre, mich meines Feindes zu entledigen, als es mir leicht ist. Euch den Eurigen vom Halse zu schaffen, und wenn Ihr gegen solche Leute Straflosigkeit von mir verlangtet…«—»Monseigneur, «versetzte Mylady,»Zug um Zug, Leben um Leben, Menschen um Menschen: gebt mir diesen, und ich gebe Euch den andern.«—»Ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt, «erwiderte der Kardinal,»und will es sogar nicht einmal wissen; aber ich hege den Wunsch, Euch angenehm zu sein, und ich sehe nichts Ungeeignetes darin. Euch Euern Wunsch in Betreff eines so untergeordneten Geschöpfes zu gewähren, um so mehr als dieser kleine d'Artagnan, wie Ihr mir sagt, ein lockerer Geselle, ein Raufbruder, ein Verräther ist.«—»Ein Schandbube! Monseigneur! ein Schandbube!«—»Gebt mir Tinte, Feder und Papier, «sagte der Kardinal.

Es trat ein kurzes Stillschweigen ein, woraus hervorging, daß der Kardinal damit beschäftigt war, die Ausdrücke zu suchen, in denen das Billet beschrieben werden sollte, oder es wirklich zu schreiben. Athos, der kein Wort von der Unterredung verloren hatte, nahm seine zwei Gefährten bei der Hand und führte sie ans andere Ende der Stube.

«Nun, «sagte Porthos,»Was willst Du? und warum läßt Du uns nicht den Schluß des Gespräches hören?«

«Stille!«entgegnete Athos, leise redend,»wir haben Alles vernommen, was wir vernehmen mußten; übrigens halte ich Euch nicht ab, den Rest zu hören, aber ich muß gehen.«

«Du mußt gehen?«fragte Porthos.»Aber wenn der Kardinal nach dir verlangt, was sollen wir antworten?«

«Ihr wartet nicht, bis er nach mir verlangt, Ihr sagt ihm, ich sei als Kundschafter vorausgeritten, weil mich gewisse Worte unseres Wirthes auf den Gedanken gebracht hätten, daß der Weg nicht sicher sei. Ueberdies werde ich dem Stallmeister des Kardinals ein paar Worte zuflüstern. Das Weitere geht mich an, kümmre Dich nicht darum.«

«Sei klug, Athos, «sagte Aramis.

«Seid ruhig, «antwortete Athos,»Ihr wißt, daß ich kaltes Blut habe.«

Porthos und Aramis nahmen ihren Platz bei der Ofenröhre wieder ein.

Athos ging hinaus, ohne ein Geheimniß daraus zu machen nahm sein Pferd, das mit denen seiner zwei Freunde an die Läden angebunden war, überzeugte mit vier Worten den Stallmeister von der Nothwendigkeit einer Vorhut bei der Rückkehr, untersuchte, scheinbar mit großer Pünktlichkeit, das Zündkraut auf seiner Pistole, nahm den Degen zwischen die Zähne und ritt wie ein verlorener Posten auf dem Wege voraus, der nach dem Lager führte.

XVII. Eheliche Scene

Richelieu kam, wie es Athos vorhergesehen hatte, alsbald herab. Er öffnete die Thür der Stube, in welche die Musketiere eingetreten waren, und fand Porthos in einem sehr hitzigen Würfelspiel mit Aramis begriffen. Mit einem Blick durchforschte er alle Winkel der Stube und sah, daß einer von seinen Leuten fehlte.

«Was ist aus Herrn Athos geworden?«fragte er.

«Monseigneur, «antwortete Porthos,»er ist als Kundschafter vorausgeritten wegen einiger Worte unseres Wirthes, aus denen er entnehmen mußte, daß der Weg nicht sicher sein dürfte.«

«Und Ihr, was habt Ihr gemacht, Herr Porthos?«

«Ich habe Aramis fünf Pistolen abgenommen.«

«Und nun könnt Ihr mit mir zurückkehren?«

«Wir stehen Eurer Eminenz zu Befehl.«

«Zu Pferde also, meine Herren, denn es ist spät.«

Der Stallmeister war vor der Thüre und hielt das Pferd des Kardinals am Zügel. Eine Gruppe von zwei Menschen und drei Pferden erschien im Schatten. Diese zwei Menschen waren diejenigen, welche Mylady nach dem Fort de la Pointe geleiten und ihre Einschiffung bewachen sollten.

Der Stallmeister bestätigte dem Kardinal das, was die zwei Musketiere ihm bereits in Beziehung auf Athos gesagt hatten. Der Kardinal machte eine billigende Geberde und schlug den Rückweg ein, wobei er sich mit denselben Vorsichtsmaßregeln umgab, die er bei seinem Auszug genommen hatte.

Lassen wir ihn beschützt von seinem Stallmeister und den zwei Musketieren seinen Weg nach dem Lager verfolgen, und kehren wir zu Athos zurück.

Eine Zeit lang hatte er seinen Marsch in gleichem Tempo fortgesetzt, aber als er aus dem Gesichte war, warf er sein Pferd auf die rechte Seite, machte einen Umweg und kehrte auf etwa zwanzig Schritte in das Gehölze zurück, um das Vorüberziehen der kleinen Truppe zu beobachten; als er die eingefaßten Hüte seiner Gefährten und die goldene Franse am Mantel des Herrn Kardinals erkannte, wartete er, bis sich die Reiter um die Ecke der Straße wandten, und sobald er sie aus dem Gesichte verloren hatte, sprengte er im Galop nach dem Wirthshause zurück, das man ihm ohne Schwierigkeit öffnete.

Der Wirth erkannte ihn.

«Mein Offizier, «sprach Athos,»hat vergessen, der Dame im ersten Stocke eine Sache von großer Wichtigkeit zu empfehlen, und ich bin von ihm abgeschickt, um seinen Fehler gut zu machen.«

«Geht hinauf, «sagte der Wirth,»sie ist noch in ihrem Zimmer.«

Athos benützte diese Erlaubnis;, stieg, so leicht als er es vermochte die Treppe hinauf, gelangte auf die Flur und sah durch die halb geöffnete Thüre Mylady, welche ihren Hut knüpfte.

Er trat in das Zimmer ein und verschloß die Thüre hinter sich.

Athos stand an der Thüre in seinen Mantel gehüllt, seinen Hut tief in die Augen gedrückt.

Als Mylady diese stumme, unbewegliche, einer Statue ähnliche Gestalt erblickte, wurde ihr bange.

«Wer seid Ihr und was wollt Ihr?«rief sie.

«Wahrlich, sie ist es, «murmelte Athos.

Und er ließ den Mantel fallen, hob den Hut in die Höhe und trat vor Mylady.

«Erkennt Ihr mich, Madame?«sprach er.

Mylady wich zurück, als hätte sie eine Schlange erschaut.

«Wohl, «sagte Athos,»ich sehe, Ihr erkennt mich.«

«Der Graf de la Fère!«murmelte Mylady erbleichend, und wich immer mehr zurück, bis die Wand sie hinderte weiter zu gehen.

«Ja, Mylady, «antwortete Athos,»der Graf de la Fère in Person, der eigens von der andern Welt zurückkommt, um das Vergnügen zu haben, Euch zu sehen. Setzt Euch und wir wollen uns besprechen, wie der Kardinal sagt.«

Von einem namenlosen Schrecken beherrscht setzte sich Mylady, ohne eine Silbe zu stammeln.

«Ihr seid ein auf die Erde geschickter Teufel, «sagte Athos,»Eure Macht ist groß, ich weiß es, aber Ihr wißt auch, daß die Menschen oft mit Gottes Hülfe die furchtbarsten Teufel besiegt haben. Ihr habt Euch schon einmal auf meinem Wege gezeigt, ich glaubte Euch niedergeschmettert zu haben, aber wenn mich nicht Alles trügt, hat Euch die Hölle wiedererweckt.«

Bei diesen Worten, welche gräßliche Erinnerungen in ihr zurückriefen, ließ Mylady mit einem dumpfen Seufzer das Haupt sinken.

«Ja, die Hölle hat Euch wiedererweckt, «fuhr Athos fort,»die Hölle hat Euch einen andern Namen gegeben, die Hölle hat Euch reich gemacht, die Hölle hat Euch beinahe ein neues Gesicht verliehen, aber sie hat weder die Flecken Eurer Seele noch das Brandmal Eures Leibes getilgt.«

Mylady stand auf, als ob sie von einer Feder gehoben würde, und ihre Augen schleuderten Blitze. Athos blieb sitzen.

«Ihr hieltet mich für todt, nicht wahr, wie ich euch für todt hielt, und der Name Athos hatte den Grafen de la Fère verborgen, wie der Name Mylady Winter Anna von Breuil verbarg? Nanntet Ihr Euch nicht so, als Euer ehrenwerther Bruder unsere Ehe schloß? Unsere Stellung ist in der That seltsam, «fuhr Athos lachend fort,»wir lebten bis jetzt beide nur, weil wir uns für todt hielten, und weil eine Erinnerung weniger beengt, als ein lebendes Wesen, obgleich eine Erinnerung oft eine verzehrende Sache ist.«

«Sprecht, «sagte Mylady mit dumpfer Stimme,»wer führt Euch zu mir, und was wollt Ihr von mir?«

«Ich will Euch sagen, daß ich Euch, obgleich unsichtbar für Eure Augen, nicht aus dem Gesichte verloren habe!«

«Ihr wißt, was ich gethan?«

«Ich kann Euch Euere Handlungen Tag für Tag erzählen, seit Eurem Eintritt in den Dienst des Kardinals bis zu diesem Abend.«

Ein ungläubiges Lächeln zog über die bleichen Lippen Mylady's.

«Hört! Ihr habt die zwei diamantenen Nestelstifte von der Schulter des Herzogs von Buckingham geschnitten; — Ihr habt Madame Bonacieux entführen lassen; — Ihr habt, in den Grafen von Wardes verliebt, und im Glauben diesen zu empfangen, d'Artagnan Eure Thüre geöffnet; — Ihr wolltet Wardes, weil Ihr glaubtet, er habe Euch betrogen, durch seinen Nebenbuhler tödten lassen; — Ihr wolltet, als dieser Nebenbuhler Euer schmachvolles Geheimniß entdeckt hatte, ihn ebenfalls durch Meuchler, die ihr ihm nachschicktet, ermorden lassen; — Ihr habt, als Ihr sahet, daß die Kugeln den Mann verfehlten, vergifteten Wein mit einem falschen Brief geschickt, um Euer Opfer glauben zu machen, er komme von seinen Freunden; — Ihr habt endlich in diesem Zimmer, auf dem Stuhle, wo ich jetzt sitze, vorhin gegen den Kardinal die Verbindlichkeit übernommen, den Herzog von Buckingham ermorden zu lassen und zwar nachdem Ihr ihm das Gegenversprechen abgenommen, d'Artagnan zum Tode zu befördern.«

Mylady wurde leichenblaß.

«Ihr seid also Satan in eigener Person?«sagte sie.

«Vielleicht, «erwiderte Athos,»doch hört: ermordet den Herzog von Buckingham oder laßt ihn ermorden, daran ist mir wenig gelegen, ich kenne ihn nicht und überdies ist er ein Feind Frankreichs; aber krümmt d'Artagnan kein Haar, denn er ist ein treuer Freund, den ich liebe und vertheidige, oder ich schwöre Euch bei dem Haupte meines Vaters, das Verbrechen, welches Ihr zu begehen versucht, oder begangen habt, ist Euer letztes.«

«Herr d'Artagnan hat mich grausam verletzt, «sagte Mylady mit dumpfer Stimme;»Herr d'Artagnan muß sterben.«»In der That, ist es möglich. Euch zu verletzen, Madame?«sprach Athos lachend;»er hat Euch verletzt und muß sterben!«

«Er muß sterben!«versetzte Mylady,»Er zuerst und sie hernach.«

Athos war wie von einem Schwindel befallen; der Anblick dieses Geschöpfes, das nichts mehr mit dem Weibe gemein hatte, erweckte gräßliche Erinnerungen in ihm; er bedachte, daß er sie schon einmal in einer viel weniger gefährlichen Lage seiner Ehre hatte opfern wollen; seine Mordlust kehrte glühend zurück und bemächtigte sich seiner mit fieberischer Gewalt. Er erhob sich ebenfalls, fuhr mit der Hand nach dem Gürtel, zog eine Pistole hervor und spannte sie.

Bleich wie eine Leiche, wollte Mylady schreien, aber über ihre kaltgewordene Zunge kam nur ein rauher Ton, dem Röcheln eines wilden Thieres ähnlich; an die düstere Wand gedrückt, erschien sie mit ihren aufgelösten Haaren als das schauderhafte Bild des Schreckens.

Athos hob langsam die Pistole in die Höhe, streckte den Arm so aus, daß das Gewehr beinahe Mylady's Stirne berührte, und sprach dann mit einer Stimme, die um so furchtbarer klang, als die erhabene Ruhe eines unbeugsamen Entschlusses daraus hervortrat:

«Madame, Ihr werdet auf der Stelle das Papier herausgeben, das Euch der Kardinal unterzeichnet hat, oder bei meiner Seele, ich schieße Euch über den Haufen.«

Bei einem andern Mann würde Mylady vielleicht ein Zweifel übrig geblieben sein, aber sie kannte Athos. Dennoch blieb sie unbeweglich.

«Ihr habt eine Sekunde um Euch zu entscheiden, «rief er.

Mylady sah an der Zusammenziehung seines Gesichts, daß der Schuß losgehen sollte; sie fuhr rasch mit der Hand an ihre Brust, zog ein Papier hervor und reichte es Athos mit den Worten:

«Nehmt und seid verflucht:«

Athos nahm das Papier, steckte die Pistole wieder in seinen Gürtel, näherte sich der Lampe, um sich zu überzeugen, daß es gewiß das geforderte Papier war, entfaltete es und las:

«Auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates hat der Inhaber dieses gethan, was er gethan hat.«

Den 3. August 1628. Richelieu

«Und nun, «sprach Athos, indem er seinen Mantel wieder nahm und den Hut aufsetzte,»und nun, da ich Dir die Zähne ausgerissen habe, beiß' wenn Du kannst.«

Hierauf verließ er das Zimmer, ohne sich nur umzuschauen. Vor der Thüre fand er die zwei Männer und das Pferd, das sie an der Hand hielten.

«Meine Herren, «sagte er,»Monseigneur befiehlt, wie Ihr wißt, diese Frau ohne Zeitverlust nach dem Fort de la Pointe zu führen, und sie nicht eher zu verlassen, als bis sie an Bord ist.«

Da diese Worte wirklich mit dem Befehl, den sie erhalten hatten, übereinstimmten, so verbeugten sie sich leicht zum Zeichen der Bestätigung.

Athos schwang sich in den Sattel und sprengte im Galopp davon. Doch statt der Straße zu folgen, ritt er quer durch das Feld, trieb sein Pferd kräftig mit den Sporen an und hielt von Zeit zu Zeit stille, um zu horchen.

Bei einem seiner Halte vernahm er auf der Straße die Tritte mehrerer Pferde. Er zweifelte nicht daran, daß es der Kardinal mit seiner Eskorte sei. Sogleich sprengte er noch eine Strecke voraus, stieg dann rasch ab, rieb sein Pferd mit Haidekraut und Baumblättern, sprang wieder in den Sattel und stellte sich auf der Straße ungefähr zweihundert Schritte von dem Lager auf.

«Wer da!«rief er von ferne, als er die Reiter ansichtig wurde.

«Das ist, glaube ich, unser braver Musketier, «sagte der Kardinal.

«Ja, Monseigneur, «erwiderte Athos,»er ist es.«

«Herr Athos, «sprach Richelieu,»empfangt meinen Dank, daß Ihr uns so gut Wache gehalten habt. Meine Herren, wir sind an Ort und Stelle, reitet durch das Thor links; das Losungswort ist: der König und Ré.

Nach diesen Worten nickte der Kardinal den drei Freunden mit dem Kopfe zu und ritt, gefolgt von seinem Stallmeister, nach rechts, denn diese Nacht schlief er selbst im Lager.

«Nun, wie steht es?«fragten Porthos und Aramis, als der Kardinal außer dem Bereich ihrer Stimmen war,»hat er das von ihr geforderte Papier unterzeichnet?«

«Allerdings, «antwortete Athos ruhig,»ich habe es hier.«

Und die drei Freunde wechselten keine Silbe mehr bis in ihr Quartier, und sagten nur den Wachen das Losungswort.

Man ließ nun Planchet durch Mousqueton sagen, sein Herr werde gebeten, wenn er von der Laufgraben-Wache abkomme, sich sogleich nach der Wohnung der Musketiere zu begeben.

Mylady machte, wie es Athos vorhergesehen hatte, keine Schwierigkeit, den Männern zu folgen, als sie dieselben vor der Thüre erblickte; wohl hatte sie einen Augenblick Lust, sich zu dem Kardinal zurückführen zu lassen und ihm Alles zu erzählen, aber eine Enthüllung von ihrer Seite führte eine Enthüllung von Athos herbei; sie konnte wohl sagen, Athos habe sie gehängt, aber Athos konnte sagen, daß sie gebrandmarkt war; sie hielt es also für das Klügste zu schweigen, in der Stille abzureisen, mit ihrer gewöhnlichen Gewandtheit die Sendung zu erfüllen, die sie übernommen hatte, und wenn alles zur Zufriedenheit des Kardinals vollzogen wäre, Rache von ihm zu fordern.

Nachdem sie die ganze Nacht gereist war, langte sie um sieben Uhr Morgens im Fort de la Pointe an; um acht Uhr war sie an Bord und um neun Uhr lichtete das Schiff die Anker und segelte nach England.

XVIII. Die Bastei Saint Gervais

Als d'Artagnan bei den drei Freunden eintraf, fand er sie in demselben Zimmer versammelt. Athos dachte nach. Porthos kräuselte seinen Schnurrbart, Aramis betete aus einem reizenden, in blauen Sammet gebundenen Büchlein.

«Bei Gott!«sagte er,»meine Herren, ich hoffe, daß sich das, was Ihr mir sagen wollt, wohl der Mühe lohnen wird, sonst könnte ich Euch nicht verzeihen, daß Ihr mich veranlaßt habt, allein die Mauern einer Bastei niederzureißen!«Ach! daß Ihr nicht dabei wäret, es ging hübsch warm zu.«

«Wir befanden uns anderswo, wo es auch nicht kalt war, «antwortete Porthos, während er seinem Schnurrbart eine ihm eigenthümliche Biegung verlieh.

«Stille!«sagte Athos.

«Oh! oh!«rief d'Artagnan, der das leichte Stirnrunzeln des Musketiers wohl verstand,»es scheint Neuigkeiten zu geben.«

«Aramis, «sprach Athos,»ich glaube. Du hast vorgestern in der Herberge zum Parpaillot [Fußnote] gefrühstückt; wie ißt man dort?«

«Ich war für meine Perlon sehr schlecht versorgt; vorgestern war Fasttag und sie hatten nur Fleischspeisen.«

«Wie!«rief Athos,»in einem Seehafen haben sie keine Fische?«

«Sie sagen, «antwortete Aramis, und wandte sich wieder zu seiner frommen Lektüre,»sie sagen, der Damm, den der Herr Kardinal bauen lasse, vertreibe sie in das offene Meer.«

«Das ist es nicht, was ich von Euch wissen wollte, Aramis, «entgegnete Athos,»ich wollte Euch fragen, ob Ihr ohne Zwang gewesen, ob Euch niemand gestört habe.«

«Es scheint mir, wir hatten nicht zu viele lästige Gäste. Ja, in Beziehung auf das, was Ihr wissen wollt, Athos, werden wir uns ziemlich wohl beim Parpaillot befinden.«

«Also auf, zum Parpaillot, «sprach Athos,»denn hier sind die Wände wie Papierblätter.«

D'Artagnan, der an die Handlungsweise seines Freundes gewöhnt war, und an einem Wort, an einem Zeichen, an einer Geberde von ihm erkannte, wenn es sich um eine Angelegenheit von Bedeutung handelte, nahm Athos beim Arm und entfernte sich mit ihm, ohne ein Wort zu sagen. Porthos folgte mit Aramis plaudernd.

Auf dem Wege begegnete man Grimaud. Athos winkte ihm mitzugehen. Grimaud gehorchte seiner Gewohnheit gemäß stillschweigend. Der arme Bursche hatte am Ende beinahe das Sprechen verlernt.

Man gelangte in die Trinkstube zum Parpaillot. Es war sieben Uhr morgens und es wurde eben Tag. Die vier Freunde bestellten ein Frühstück und traten in eine Stube ein, wo sie nach der Aussage des Wirths nicht gestört werden sollten.

Zum Unglück war die Stunde zu einer Berathung schlecht gewählt. Man hatte gerade Tagwache geschlagen. Jeder schüttelte den Schlaf von den Gliedern und nahm, um die feuchte Luft zu vertreiben, in der Trinkstube einen Schluck zu sich; Dragoner, Schweizer, Garden, Musketiere, Chevauxlegers folgten sich so rasch, daß sich der Wirth gut dabei stehen mußte, aber den Absichten der vier Freunde entsprach dies keineswegs. Sie erwiderten auch die Grüße, Toaste und Späße ihrer Genossen sehr verdrießlich.

«Wir werden uns hiedurch einen Streit zuziehen, «sprach Athos,»und wir brauchen dies gegenwärtig nicht. D'Artagnan erzählt uns von Eurer Nacht; wir erzählen Euch die unsere nachher.«

«In der That, «sprach ein Chevauleger, der sich hin- und herwiegte und langsam etwas Branntwein aus einem Glase, das er in der Hand hielt, kostete,»in der That, Ihr waret auf der Laufgraben-Wache, mein Herr Garde, und es scheint mir, Ihr hattet einen Strauß mit den Rochellern auszufechten.«

D'Artagnan schaute Athos an, als wollte er ihn fragen, ob er dem Eindringlinge antworten solle, der sich in das Gespräch mischte.

«Nun, «sagte Athos,»hörst Du nicht, daß Herr von Busigny Dir die Ehre erweist, das Wort an Dich zu richten? Erzähle was vorgefallen ist, da es diese Herren zu wissen wünschen.«

«Habt ihr nicht eine Bastei genommen?«fragte ein Schweizer, der Rum aus einem Bierglase trank.

«Ja, Herr, «antwortete d'Artagnan sich verbeugend,»wir haben diese Ehre gehabt: wir haben sogar, wie Ihr hören konntet, unter eine der Ecken ein Pulverfäßchen gebracht, das beim Aufspringen eine hübsche Bresche machte, abgesehen davon, daß der übrige Theil des Baues, insofern die Bastei nicht von gestern war, gewaltig erschüttert wurde.«

«Welche Bastei ist es?«fragte ein Dragoner, der an seinem Säbel eine Gans gespießt hielt, die er herbei brachte um sie braten zu lassen.

«Die Bastei Saint Gervais, «antwortete d'Artagnan,»aus der die Rocheller unsere Arbeiter beunruhigten.«

«Und die Affaire war hitzig?«

«Gewiß. Wir haben fünf Mann, die Rocheller acht bis zehn verloren.«

«Balzembleu!«rief der Schweizer, der trotz der bewundernswürdigen Sammlung von Flüchen, welche die deutsche Sprache besitzt, die Gewohnheit französisch zu fluchen angenommen hatte.

«Doch ist es wahrscheinlich, «sagte der Chevauxleger,»daß sie diesen Morgen Pioniere abschicken werden, um die Bastei wieder in Stand zu setzen.«

«Ja, das ist wahrscheinlich, «bemerkte d'Artagnan.

«Meine Herren, «sagte Athos,»eine Wette!..«

«Ah! ja, eine Wette!«rief der Schweizer.

«Welche?«fragte der Chevauxleger.

«Wartet, «sprach der Dragoner und legte seinen Säbel wie einen Spieß über die zwei großen Feuerblöcke im Kamin.»Unglückswirth! eine Bratpfanne, sogleich, daß ich keinen Tropfen von dem Fett dieses achtungswerthen Vogels verliere.«

«Er hat Recht, «sagte der Schweizer,»Gänsefett ist sehr gut bei Eingemachtem.«

«So, «rief der Dragoner,»nun. Eure Wette. Laßt hören, Herr Athos.«

«Ja, die Wette, «wiederholte der Chevauxleger.

«Wohl, Herr von Busigny, ich wette mit Euch, «antwortete Athos,»daß meine drei Gefährten, die Herren Porthos, Aramis, d'Artagnan und ich in der Bastei Saint-Gervais frühstücken und uns daselbst eine Stunde lang, die Uhr in der Hand, aufhalten, was der Feind auch thun mag, um uns zu vertreiben.«

Porthos und Aramis schauten sich an, sie fingen an zu begreifen.

«Aber, Freund, «sprach d'Artagnan, sich an das Ohr von Athos beugend,»Du willst uns ohne Barmherzigkeit tödten lassen.«

«Wir werden viel eher getödtet, «antwortete Athos,»wenn wir nicht dahin gehen.«

«Ah, meiner Treu, meine Herrn, «sprach Porthos, sich auf dem Stuhl umdrehend und seinen Schnurrbart kräuselnd,»das ist hoffentlich eine schöne Wette!«

«Ich nehme sie auch an, «erwiderte Herr von Busigny.»Nun handelt es sich nur noch darum, den Einsatz zu bestimmen.«

«Ihr seid zu vier, meine Herren, «sagte Athos,»wir sind auch zu vier; ein Mittagsmahl nach Belieben für acht Personen, ist das Euch angenehm?«

«Vortrefflich, «versetzte Herr von Busigny.

«Vollkommen, «sprach der Dragoner.

«Es sei so, «sagte der Schweizer.

Der vierte Zuhörer, der bei dem ganzen Gespräch eine stumme Rolle gespielt hatte, machte ein Zeichen mit dem Kopfe zum Beweis, daß er dem Vorschlag beitrat.

«Das Frühstück dieser Herren ist bereit, «rief der Wirth.

«Gut, so bringt es, «sagte Athos.

Der Wirth gehorchte; Athos winkte Grimaud herbei, zeigte ihm einen großen Korb, der in einer Ecke stand, und befahl ihm durch eine Geberde, das aufgetragene Fleischwerk in Servietten zu hüllen.

Grimaud begriff sogleich, daß es sich um ein Frühstück im Freien handelte, nahm den Korb, packte das Fleisch ein, legte die Flaschen dazu und hob den Korb sodann auf seinen Arm.

«Aber wo wollt Ihr mein Frühstück verzehren?«sagte der Wirth.

«Was geht das Euch an, «erwiderte Athos,»wenn man Euch nur bezahlt!«

Und er warf majestätisch zwei Pistolen auf den Tisch.

«Muß ich herausgeben, mein Herr Offizier?«fragte der Wirth.

«Nein, fügt nur zwei Bouteillen Champagner bei, und das Uebrige ist für die Servietten.«

Der Wirth machte kein so gutes Geschäft, als er Anfangs geglaubt hatte. Aber er entschädigte sich dadurch, daß er den vier Gästen zwei Flaschen Anjou-Wein statt der zwei Flaschen Champagner gab.

«Herr von Busigny, «sagte Athos,»wollt Ihr die Güte haben, Eure Uhr nach der meinigen zu richten, oder mir erlauben, die meinige nach der Euren zu regeln?«

«Sehr wohl, mein Herr, «sprach der Chevauxleger, und zog eine sehr schöne, mit Diamanten eingefaßte Uhr aus seiner Tasche,»ich habe halb acht Uhr.«

«Sieben Uhr fünfunddreißig Minuten, «entgegnete Athos.»Wir wissen also, daß meine Uhr um fünf Minuten voraus geht.«

Die jungen Leute grüßten die Umstehenden, welche im höchsten Grad erstaunt waren, und schlugen den Weg nach der Bastei Saint-Gervais ein, gefolgt von Grimaud, der den Korb trug, ohne zu wissen, wohin er ging, aber auch bei dem leidenden Gehorsam, an den er sich gewöhnt hatte, nicht einmal daran dachte, darnach zu fragen.

So lange sie noch innerhalb des Lagers waren, wechselten die vier Freunde kein Wort; es folgten ihnen viele Neugierige, welche von der eingegangen Wette wußten und sehen wollten, wie sie sich herausziehen würden. Aber sobald sie die Umschanzungslinie hinter sich hatten und sich in freier Luft befanden, glaubte d'Artagnan, der durchaus nicht wußte, wovon es sich handelte, es sei Zeit, sich eine Aufklärung zu erbitten.

«Und nun, mein lieber Athos, «sprach er,»erzeige mir die Freundschaft, mir zu erklären, wohin wir gehen?«

«Ihr seht es ja, «antwortete Athos,»wir gehen in die Bastei.«

«Aber was machen wir dort?«

«Ihr wißt es ja, wir frühstücken daselbst.«

«Aber warum frühstücken wir nicht beim Parpaillot?«

«Weil wir uns sehr wichtige Dinge zu sagen haben, und weil es unmöglich wäre, in diesem Wirthshause zu sprechen, bei all den Ueberlästigen, die dort kommen, grüßen und plaudern. Hier, «fuhr Athos, auf die Bastei deutend fort,»hier wird man uns wenigstens nicht stören.«

«Es scheint mir, «sprach d'Artagnan mit der Klugheit, die er so gut und natürlich mit seinem außerordentlichen Muth vereinigte,»es scheint mir, wir hätten einen verborgenen Ort auf den Dünen am Meeresufer finden können.«

«Wo man die Besprechung zwischen uns vier gesehen hätte, so daß nach einer Viertelstunde der Kardinal durch seine Spione von unserer Beratung benachrichtigt gewesen wäre.«

«Ja, «sagte Aramis.»Athos hat Recht; Animadvertuntur in desertis.«

«Eine Wüste wäre nicht übel gewesen, «sprach Porthos,»aber wie hätte man sie finden können?«

«Es gibt keine Wüste, wo nicht ein Vogel über das Haupt hinfliegen, ein Fisch über das Wasser springen oder ein Hase aus fernem Lager laufen kann, und ich glaube, Vogel, Fisch, Hase, Alles hat sich zum Spion des Kardinals gemacht. Es ist also besser, wir verfolgen unser Unternehmen, von dem wir übrigens ohne Schmach nicht mehr zurückweichen können. Wir haben eine Wette eingegangen, eine Wette, welche nicht vorhergesehen werden konnte, und deren wahre Ursache, das weiß ich gewiß, Niemand zu errathen vermag. Um zu gewinnen, halten wir eine Stunde in der Bastei aus. Entweder werden wir angegriffen oder wir werden nicht angegriffen. Wenn nicht, so gewinnen wir hinreichend Zeit, uns zu besprechen, und Niemand wird uns hören, denn ich stehe dafür, daß die Mauern dieser Bastei keine Ohren haben. Greift man uns an, so besprechen wir unsere Angelegenheiten dennoch, und bedecken uns durch unsere Vertheidigung mit Ruhm. Ihr sehet, daß Alles zu unserem Vortheil ist.«

«Ei!«rief d'Artagnan,»wir werden sicherlich eine Kugel erwischen.«

«Ei, mein Lieber, «erwiderte Athos,»Ihr wißt, daß die am meisten zu fürchtenden Kugeln nicht vom Feinde kommen.«

«Aber, «meinte Porthos, mir scheint, für ein solches Unternehmen hätten wir wenigstens unsere Musketen mitnehmen sollen.«

«Ihr seid ein Thor, Freund Porthos, warum sich mit einer unnützen Bürde belasten?«

«Ich finde eine gute Muskete mit zwölf Patronen und dem Pulversack, dem Feinde gegenüber, nicht unnütz.«

«Wie, «sprach Athos,»habt Ihr nicht gehört, was d'Artagnan gesagt hat?«

«Was hat er gesagt?«fragte Porthos.

«D'Artagnan hat erzählt, bei dem Angriff in dieser Nacht seien acht bis zehn Franzosen und eben so viel Rocheller getödtet worden.«

«Weiter?«

«Man hat nicht Zeit gehabt, sie zu plündern, nicht wahr? insofern man für den Augenblick etwas Eiligers zu thun hatte?«

«Nun?«

«Nun, wir werden ihre Musketen, ihre Pulversäcke und ihre Patronen finden, und statt vier Musketen und zwölf Kugeln haben wir fünfzehn Gewehre, und können wohl hundert Schüsse thun.«

«Oh! Athos, «rief Aramis,»Du bist in der That ein großer Mann!«

Porthos verbeugte sich zum Zeichen der Beipflichtung. D'Artagnan allein schien nicht völlig überzeugt.«

Wahrscheinlich theilte Grimaud die Zweifel des jungen Mannes, denn als er sah, daß man fortwährend der Bastei zumarschirte, was er bis jetzt noch nicht geglaubt hatte, zog er seinen Herrn am Rockschoße.

«Wohin gehen wir?«fragte er mit einer Geberde.

Athos deutete auf die Bastei.

«Aber, «sprach der stillschweigende Grimaud, stets in demselben Dialekte,»aber wir werden unsere Haut dort lassen.«

Athos hob die Augen und den Finger zum Himmel empor. Grimaud stellte seinen Korb auf die Erde und setzte sich, den Kopf schüttelnd, nieder.

Athos nahm eine Pistole aus seinem Gürtel, schaute, ob sie mit Zündkraut versehen war, spannte und hielt den Lauf Grimaud an das Ohr.

Grimaud war auf den Beinen, als ob ihn eine Feder emporgeschnellt hätte.

Athos hieß ihn durch ein Zeichen den Korb nehmen und vorausgehen. Grimaud gehorchte.

Der arme Bursche hatte bei dieser Pantomime eines Augenblicks durchaus nicht mehr gewonnen, als daß er von der Nachhut zur Vorhut gekommen war.

Als die vier Freunde die Bastei erreichten, wandten sie sich um. Mehr als vierhundert Soldaten von allen Waffen waren an einem Thor des Lagers versammelt, und man konnte in einer getrennten Gruppe Herrn von Busigny, den Dragoner, den Schweizer und den vierten Theilnehmer an der Wette unterscheiden.

Athos nahm seinen Hut ab, steckte ihn an das Ende seines Degens und schwenkte ihn in der Luft.

Alle Zuschauer gaben ihm den Gruß zurück und begleiteten diese Höflichkeit mit einem Hurrah, das bis zu ihnen drang.

Hierauf verschwanden alle vier in der Bastei, wohin ihnen Grimaud vorausgegangen war.

XIX. Der Rath der Musketiere

Die Bastei war, wie dies Athos vorhergesehen, nur von einem Dutzend Todter, sowohl Franzosen als Rocheller, besetzt.

«Meine Herren, «sprach Athos, der das Kommando bei diesem Zug übernommen hatte,»während Grimaud die Tafel zurichtet, wollen wir zuvörderst die Gewehre und Patronen sammeln. Wir können übrigens sprechen, so lange wir dieses Geschäft besorgen, denn diese Herren, «fügte er auf die Todten deutend bei,»hören uns nicht.«

«Wir könnten sie immerhin in die Gräben werfen, «sagte Porthos,»nachdem wir uns zuvor versichert, daß sie nichts in den Taschen haben.«

«Allerdings, «versetzte Athos,»aber das ist ein Geschäft für Grimaud.«

«Wohl, «sprach d'Artagnan,»so mag Grimaud sie hernach durchsuchen und in die Gräben werfen.«

«Das sei ferne von uns, «rief Athos,»sie können uns nützlich sein.«

«Diese Todten könnten uns nützlich sein?«fragte Porthos» ei. Du wirst ein Narr, mein lieber Freund.«

«Urtheilt nicht vorlaut, sagen das Evangelium und der Herr Kardinal, «antwortete Athos.»Wie viele Flinten, meine Herren?«

«Zwölf, «antwortete Aramis.

«Wie viel Schüsse zu feuern?«

«Etwa hundert.«

«Das ist so viel, als wir brauchen; laden wir die Gewehre.«

Die vier Musketiere machten sich an die Arbeit. Als sie das letzte Gewehr geladen hatten, deutete Grimaud mit einem Zeichen an, das Frühstück sei bereit.

Athos antwortete, stets mit einer Geberde, es sei gut, und zeigte Grimaud eine Art von Nische. Dieser begriff, daß er darin Wache halten sollte. Um ihm jedoch die Unannehmlichkeit seiner Trennung etwas zu versüßen, erlaubte ihm Athos ein Brod, zwei Kalbsrippchen und eine Flasche Wein mitzunehmen.

«Und nun zu Tische, «sprach Athos.

Die vier Freunde setzten sich auf die Erde, die Beine gekreuzt, wie Türken oder wie Schneider.

«Doch jetzt, «sagte d'Artagnan,»jetzt, da Du nicht mehr gehört zu werden fürchten mußt, wirst Du uns hoffentlich Dein Geheimniß mittheilen?«

«Ich hoffe Euch zugleich Vergnügen und Ruhm zu verschaffen, meine Herren, «antwortete Athos.»Ich habe Euch einen reizenden Spaziergang machen lassen. Hier ist ein äußerst schmackhaftes Frühstück und dort unten stehen, wie Ihr durch die Schießscharten sehen könnt, fünfhundert Personen, die uns für Narren oder für Helden halten, zwei Klassen von Schwachköpfen, die sich ziemlich gleichen.«

«Aber das Geheimniß, «sagte d'Artagnan.

«Das Geheimniß, «erwiederte Athos,»besteht darin, daß ich gestern Abend Mylady gesehen habe.«

D'Artagnan setzte eben sein Glas an die Lippen, aber bei dem Namen Mylady zitterte seine Hand so sehr, daß er es auf den Boden stellte, um den Inhalt nicht zu verschütten.

«Du hast Deine Fr.. — »Stille«, unterbrach ihn Athos.»Ihr vergeßt, mein Lieber, daß diese Herren nicht wie Ihr in das Geheimniß meiner häuslichen Angelegenheiten eingeweiht sind. Ich habe Mylady gesehen.«—»Und wo dies?«fragte d'Artagnan. — »Ungefähr zwei Meilen von hier, in der Herberge zum Rothen Taubenschlag.«—»Dann bin ich verloren, «rief d'Artagnan. — »Nein, noch nicht ganz, «versetzte Athos,»denn zu dieser Stunde muß sie die Küste von Frankreich verlassen haben.«

D'Artagnan athmete.

«Aber wer ist denn diese Mylady?«fragte Porthos. — »Eine reizende Frau, «erwiederte Athos, ein Glas Schaumwein kostend.»Canaille von einem Wirth!«rief er,»der uns Anjouer für Champagner gibt und glaubt, wir lassen uns hintergehen! Ja, «fuhr er fort,»eine reizende Frau, der unser Freund d'Artagnan irgend einen schlimmen Streich gespielt hat, für den sie sich dadurch zu rächen suchte, daß sie ihn vor einem Monat mit Musketenschüssen tödten lassen wollte, daß sie ihn vor acht Tagen zu vergiften trachtete, und daß sie gestern sich vom Kardinal seinen Kopf erbat.«—»Wie! vom Kardinal meinen Kopf erbat?«rief d'Artagnan bleich vor Schrecken. — »Gewiß!«sprach Porthos,»das ist so wahr wie das Evangelium; ich habe es mit meinen eigenen zwei Ohren gehört.«—»Ich ebenfalls, «fügte Aramis bei. — »Dann, «versetzte d'Artagnan und ließ entmuthigt die Arme sinken,»dann ist es unnütz, länger zu kämpfen; es ist besser, ich schieße mir eine Kugel vor den Kopf, und Alles ist vorbei.«—»Das ist die letzte Dummheit, die man zu machen hat, «sprach Athos,»insoferne es die einzige ist, für die es kein Gegenmittel gibt.«—»Aber bei solchen Feinden werde ich nie entkommen, «erwiederte d'Artagnan.»Zuerst mein Unbekannter von Meung; sodann Herr von Wardes, dem ich vier Degenstiche beigebracht habe; ferner Mylady, deren Geheimniß ich entdeckte, und endlich der Kardinal, dessen Rache ich vereitelt habe.«—»Gut, «sprach Athos,»Alles das macht zusammen nur vier, einer gegen einen, bei Gott! Wenn wir den Zeichen glauben dürfen, die uns Grimaud macht, so werden wir es mit einer viel größeren Anzahl von Menschen zu thun haben. Was gibt es, Grimaud? In Betracht des Gewichts der Umstände erlaube ich Euch zu sprechen; doch ich bitte, faßt Euch kurz. Was seht Ihr?«—»Eine Truppe!«—»Von wie viel Personen?«—»Von zwanzig Menschen.«—»Was für Menschen?«—»Sechszehn Gefangene, vier Soldaten.«—»Auf wie viel Schritte sind sie von uns entfernt?«—»Auf fünfhundert Schritte.«—»Gut, wir haben noch Zeit, dieses Huhn vollends zu verzehren und ein Glas Wein zu trinken. Auf Deine Gesundheit! d'Artagnan!«—»Auf Deine Gesundheit!«wiederholten Porthos und Aramis. — »Wohl denn, auf meine Gesundheit, obgleich ich nicht glaube, daß mir Eure Wünsche viel nützen werden.«—»Bah!«rief Athos,»Gott ist groß, wie die Anhänger Mahomeds sagen, und die Zukunft liegt in seinen Händen.«

Nachdem Athos sein Glas geleert hatte, stand er gleichgültig auf, nahm das nächste beste Gewehr und näherte sich einer Schießscharte.

Porthos, Aramis und d'Artagnan thaten dasselbe. Grimaud erhielt Befehl, sich hinter die vier Freunde zu stellen um die Gewehre wieder zu laden.

Bald sah man die Truppe erscheinen; sie kam durch einen schlauchartigen Laufgraben, der eine Verbindung zwischen der Bastei und der Stadt bildete.

«Bei Gott!«sprach Athos,»es war wohl der Mühe Werth, unser Mahl wegen zwanzig solcher mit Karsten, Hauen und Schaufeln bewaffneter Schufte zu unterbrechen. Grimaud hätte ihnen nur durch ein Zeichen bedeuten dürfen, sie sollen gehen und ich bin überzeugt, sie würden uns in Ruhe gelassen haben.«

«Ich bezweifle es, «sprach d'Artagnan,»denn sie rücken sehr entschlossen heran. Uebrigens sind bei den Arbeitern vier mit Musketen bewaffnete Soldaten und ein Brigadier.«

«Weil sie uns nicht gesehen haben, «entgegnete Athos.

«Meiner Treu, «sagte Aramis,»es wiederstrebt mir, auf diese armen Teufel von Bürgersleuten zu schießen.«

«Ein schlechter Priester, «rief Porthos,»der mit Ketzern Mitleid hat.«

«In der That, «sagte Athos,»Aramis hat Recht, und ich will sie warnen.«

«Was Teufels macht Ihr denn?«entgegnete d'Artagnan,»Ihr wollt Euch, scheint es, niederschießen lassen, mein Lieber.«

Aber Athos hörte nicht auf diesen Rath, sondern stieg auf die Bresche, wandte sich, sein Gewehr in der einen, den Hut in der andern Hand, höflich grüßend an die Soldaten und Arbeiter, welche erstaunt über diese Erscheinung ungefähr fünfzig Schritte vor der Bastei stehen blieben, und rief:

«Meine Herren, einige Freunde und ich sitzen hier in dieser Bastei beim Frühstück. Ihr wißt aber wohl, wie unangenehm es ist, gestört zu werden, wenn man frühstückt: wir bitten Euch also, wenn Ihr unerläßliche Geschäfte hier habt, entweder zu warten bis wir unser Mahl vollendet haben oder später wieder zu kommen, wenn Ihr nicht, was das Heilsamste wäre, Lust habt, die Partei der Rebellen zu verlassen und mit uns auf die Gesundheit des Königs von Frankreich zu trinken.«

«Nimm Dich in Acht, Athos, «jagte d'Artagnan,»siehst Du nicht, daß sie auf Dich anlegen?«

«Allerdings, «erwiederte Athos,»aber es sind Bürger, die sehr schlecht schießen und mich gewiß nicht treffen werden.«

Es wurden in der That in demselben Augenblick vier Flintenschüsse abgefeuert und die Kugeln schlugen um Athos her an die Mauern, aber keine traf ihn.

Vier Schüsse antworteten ihnen beinahe in derselben Sekunde, aber unsere Freunde hatten besser gezielt, als die Angreifenden: drei Soldaten stürzten maustodt nieder und ein Arbeiter war verwundet.

«Grimaud, eine andere Muskete, «sagte Athos, immer noch auf der Bresche stehend.

Grimaud gehorchte sogleich. Die drei Freunde hatten ihre Gewehre selbst wieder geladen, der Brigadier und zwei Pionniere wurden todt zu Boden gestreckt, der Rest der Truppe ergriff die Flucht.

«Auf! meine Herren, einen Ausfall, «rief Athos.

Und die vier Freunde stürzten aus dem Fort hervor, gelangten bis zum Schlachtfeld, rafften die vier Musketen der Soldaten und die Halbpike des Brigadiers auf, und zogen sich, überzeugt, daß die Fliehenden erst in der Stadt anhalten werden, mit ihren Siegestrophäen in die Bastei zurück.

«Lade unsere Gewehre wieder, Grimaud, «sprach Athos,»und wir, meine Herren, wollen zu unserem Frühstück zurückkehren und unser Gespräch fortsetzen. Wo waren wir?«

«Ich erinnere mich, «antwortete d'Artagnan,»Du sagtest Mylady habe Frankreich verlassen, nachdem sie meinen Kopf von dem Kardinal verlangt habe.«

«Und wohin geht sie?«fügte d'Artagnan bei, den Myladys Reiseplan sehr in Anspruch zu nehmen schien.

«Sie geht nach England, «erwiederte Athos.

«In welcher Absicht?«

«In der Absicht, Buckingham zu ermorden oder ermorden zu lassen.«

«Ei das ist ja ganz heillos, «rief d'Artagnan voll Staunen und Entrüstung.

«Oh! was das betrifft, «entgegnete Athos,»darum kümmere ich mich nicht viel. Nun, da Du fertig bist, Grimaud, «fuhr Athos fort,»nimm die Halbpike unseres Brigadier, binde eine Serviette daran und pflanze sie dann auf unserer Bastei auf, damit diese rebellischen Rocheller sehen, daß sie es mit braven und loyalen Soldaten des Königs zu thun haben.«

Grimaud gehorchte, ohne zu antworten, und einen Augenblick nachher wehte eine weiße Fahne über dem Haupte der vier Freunde. Freudengeschrei und donnernder Beifall begrüßten ihre Erscheinung. Die Hälfte des Lagers war an den Barrieren.

«Wie, «versetzte d'Artagnan,»Du kümmerst Dich wenig darum, ob sie Buckingham ermordet, oder ermorden läßt? Der Herzog ist unser Freund.«

«Der Herzog ist ein Engländer, der Herzog kämpft gegen uns, sie mag also mit ihm machen, was sie will, ich kümmere mich so wenig darum, als um eine leere Flasche.«

Und bei diesen Worten schleuderte Athos eine Flasche, deren Inhalt er bis auf den letzten Blutstropfen in sein Glas gegossen hatte, zwanzig Schritte von sich.

«Einen Augenblick — «sagte d'Artagnan,»ich gebe den Herzog nicht so rasch auf, er schenkte uns sehr schöne Pferde.«

«Und besonders sehr schöne Sättel, «sprach Porthos, der die Galone des seinigen an seinem Mantel trug.

«Auch will Gott die Bekehrung und nicht den Tod des Sünders, «sagte Aramis.

«Amen!«sprach Athos,»und wir werden später hierauf zurückkommen, wenn es Euch beliebt. Doch ich war am meisten daraus bedacht — und Du wirst das wohl begreifen, d'Artagnan — dieser Frau eine Art von Vollmacht abzunehmen, welche sie Richelieu abgepreßt hatte, und mit deren Hülfe sie sich ungestraft Deiner und vielleicht unserer Personen entledigen könnte.«

«Aber das ist doch ein wahrer Teufel, dieses Geschöpf!«sprach Porthos und reichte Aramis, welcher Geflügel zerlegte, seine Serviette.

«Und diese Vollmacht, «fragte d'Artagnan,»diese Vollmacht blieb in Ihren Händen?«

«Nein, sie ging in die meinigen über. Wenn ich sagen würde, dies sei ohne Mühe geschehen, so müßte ich lügen.«

«Mein lieber Athos, «sprach d'Artagnan,»ich zähle nicht mehr, wie oft Ihr mir das Leben gerettet habt.«

«Also um zu ihr zurückzukehren, hast Du uns verlassen?«fragte Aramis.

«Allerdings.«

«Und Du besitzest den Brief des Kardinals?«fragte d'Artagnan.

«Hier ist er, «antwortete Athos.

Und er zog das kostbare Papier aus der Tasche seiner Kasake hervor.

D'Artagnan entfaltete es mit einer Hand, deren Zittern er nicht einmal zu verbergen suchte und las:

«Auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates hat der Inhaber gethan, was er gethan hat.

Den 3. August 1628. Richelieu

«In der That, «sprach Aramis,»das ist eine Absolution nach allen Regeln.«

«Man muß dieses Papier vernichten, «sprach d'Artagnan, der sein Todesurtheil zu lesen meinte.

«Ganz im Gegentheil, «erwiederte Athos,»man muß es sorgfältig aufbewahren, und ich würde dieses Papier nicht hergeben, wenn man es mit Goldstücken bedecken wollte.«

«Und was wird sie nun wohl thun?«fragte der junge Mann.

«Wahrscheinlich, «antwortete Athos,»wahrscheinlich wird sie dem Kardinal schreiben, ein verdammter Musketier, Namens Athos, habe ihr mit Gewalt ihren Geleitsbrief entrissen. Sie wird ihm in demselben Brief den Rath geben, sich zu gleicher Zeit seiner, so wie seiner zwei Freunde, Porthos und Aramis, zu entledigen. Der Kardinal wird sich erinnern, daß es dieselben Menschen sind. denen er immer auf seinen Wegen begegnet. Dann wird er an einem schönen Morgen d'Artagnan verhaften lassen und, damit er sich ganz allein nicht zu sehr langweilt, auch uns in die Bastille schicken, um ihm Gesellschaft zu leisten.«

«Ei, den Teufel!«rief Porthos,»es scheint mir, Du machst da sehr schlechte Spässe, mein Lieber?«

«Ich spasse nicht, «sagte Athos.

«Weißt Du, «versetzte Porthos,»daß es eine geringere Sünde wäre, dieser verdammten Mylady den Hals umzudrehen, als diesen armen Teufeln von Hugenotten, welche nie ein anderes Verbrechen begangen haben, als daß sie die Psalmen französisch singen, die wir lateinisch singen.«

«Was sagt der Abbé dazu?«fragte Athos ruhig.

«Ich sage, daß ich der Meinung von Porthos bin, «antwortete Aramis.

«Und ich ebenfalls, «sprach d'Artagnan.

«Zum Glück ist sie ferne von hier, «versetzte Porthos,»denn ich gestehe, sie würde mich hier sehr genieren.«

«Sie geniert mich in England eben so sehr, als in Frankreich, «sagte Athos.

«Sie geniert mich überall, «sprach d'Artagnan.

«Aber da Du sie in Deinen Händen hattest, «rief Porthos,»warum hast Du sie nicht ertränkt, erdrosselt, aufgehenkt?… Nur die Todten kommen nicht wieder.«

«Ihr glaubt das?«erwiederte der Musketier mit einem düstern Lächeln, das d'Artagnan allein verstand.

«Ich habe einen Gedanken, «sprach d'Artagnan.

«Laß hören, «sagten die Musketiere.

«Zu den Waffen!«schrie Grimaud.

Die jungen Leute sprangen rasch auf und liefen nach ihren Gewehren.

Ein kleiner Trupp, aus zwanzig bis fünfundzwanzig Mann bestehend, rückte heran. Aber diesmal waren es nicht mehr Arbeiter, sondern Soldaten der Garnison.

«Wenn wir in das Lager zurückkehrten, «sprach Porthos.

«Es scheint mir, die Partie ist ungleich.«

«Unmöglich aus drei Gründen, «antwortete Athos.»Erstens haben wir unser Frühstück noch nicht vollendet, zweitens haben wir uns noch wichtige Dinge zu sagen, drittens fehlen noch zehn Minuten, bis die Stunde abgelaufen ist.«

«Wohl, «sagte Aramis,»wir müssen jedoch einen Schlachtplan feststellen.«

«Das ist ganz einfach, «sagte Athos;»sobald der Feind in Schußweite kommt, geben wir Feuer. Rückt er weiter vor, so geben wir abermals Feuer; wir feuern, so lange wir geladene Gewehre haben; wenn hernach der Rest des Trupps Sturm laufen will, so lassen wir die Belagerer bis in den Graben heransteigen und werfen ihnen dann einen Flügel von dieser Mauer, welche nur noch durch ein Wunder ihr Gleichgewicht hält, auf die Köpfe.«

«Bravo, «sagte Porthos,»Du bist entschieden zum General geboren, Athos, und der Kardinal, der sich für einen großen Kriegsmann hält, ist offenbar sehr wenig im Vergleich mit Dir.«

«Meine Herren, «sprach Athos,»nicht auf zwei Seiten verhandelt, ich bitte. Nehmt jeder Euern Mann auf das Korn!«

«Ich habe den meinigen, «sagte d'Artagnan.

«Und ich den meinigen, «sagte Porthos.

«Und ich ebenfalls, «sagte Aramis.

«Gebt Feuer!«sagte Athos.

Die vier Flintenschüsse machten nur einen Knall und vier Soldaten stürzten zu Boden.

Sogleich schlug der Tambour und der kleine Trupp rückte im Sturmschritt vor.

Dann folgten sich die Schüsse unregelmäßig, aber mit der größten Genauigkeit gezielt; doch die Rocheller rückten, als hätten sie die numerische Schwäche der Feinde gekannt, fortwährend im Geschwindschritt vor.

Bei drei Schüssen fielen immer zwei Mann: dessenungeachtet wurde der Marsch der Übrigbleibenden nicht langsamer.

Am Fuße der Bastei angelangt, waren die Feinde noch zwölf bis fünfzehn Mann stark. Eine letzte Ladung empfing sie, hielt sie aber nicht auf. Sie sprangen in den Graben und schickten sich an, die Bresche zu ersteigen.

«Auf, meine Freunde, «rief Athos,»endigen wir mit einem Schlage. Zur Mauer! Zur Mauer!«

Und von Grimaud unterstützt, stemmten sich die vier Freunde mit dem Laufe ihrer Flinten an einen enormen Mauerflügel, der, wie vom Sturmwind erfaßt, sich neigte, sich von seiner Grundlage ablöste, und mit furchtbarem Gekrach in den Graben stürzte. Dann vernahm man ein gewaltiges Geschrei, eine Staubwolke stieg zum Himmel auf und Alles war vorbei.

«Sollten wir sie vom Ersten bis zum Letzten zerschmettert haben?«sagte Athos.

«Meiner Treu', es sieht so aus, «erwiederte d'Artagnan.

«Nein, «sagte Porthos,»seht dort zwei oder drei, welche sich hinkend fortzuschleppen suchen.«

Drei oder vier von den Unglücklichen flohen wirklich, mit Koth und Blut bedeckt, in den Hohlweg, und erreichten die Stadt. Das war Alles, was von dem Trupp übrig blieb.

Athos schaute auf seine Uhr.

«Meine Herren, wir sind nun eine Stunde hier, und die Wette ist gewonnen. Aber man muß ehrlich spielen, und d'Artagnan hat uns überdies seinen Gedanken noch nicht gesagt.«

Nach diesen Worten setzte sich der Musketier mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit zu den Ueberresten des Frühstücks.

«Ihr wollt meinen Plan kennen lernen?«sprach d'Artagnan zu seinen drei Gefährten, als sie nach dem Angriffe, der für den kleinen Trupp der Rocheller so traurig geendet hatte, wieder beim Frühstück saßen. — »Ja, «antwortete Athos,»Ihr sagtet, Ihr habet einen Gedanken.«—»Richtig, ich habs wieder, «rief d'Artagnan.»Ich reise zum zweiten Mal nach England, suche Herrn von Buckingham auf und benachrichtige ihn von dem Komplott, das gegen ihn gesponnen wird.«—»Ihr werdet das nicht thun, d'Artagnan, «sprach Athos kalt. — »Und warum nicht? Habe ich es nicht bereits gethan?«—»Ja, aber damals waren wir nicht im Krieg begriffen, und Herr von Buckingham war zu jener Zeit unser Verbündeter und kein Feind. Was Ihr thun wollt, würde man als einen Verrath taxiren.«

D'Artagnan begriff das Gewicht dieses Urtheils und schwieg.

«Aber ich glaube ebenfalls einen Gedanken zu haben, «sprach Porthos.

«Hört den Gedanken des Herrn Porthos, «sagte Aramis.

«Ich verlange einen Urlaub von Herrn von Treville unter irgend einem Vorwand, den Ihr finden werdet, denn ich bin nicht so stark in Vorwänden. Mylady kennt mich nicht. Ich nähere mich ihr, ohne daß sie mich fürchtet, und wenn ich meine Schöne treffe, erdrossele ich sie.«

«Ei, «sagte Athos,»ich bin nicht abgeneigt, dem Gedanken von Porthos beizupflichten.«

«Pfui, «sprach Aramis,»eine Frau umbringen! Halt! ich habe den wahren Gedanken.«

«Laßt ihn hören, Aramis, «erwiederte Athos, welcher große Achtung vor dem jungen Musketier hegte.

«Man müßte die Königin in Kenntniß setzen.«

«Ah, meiner Treu, ja, «sprachen Porthos und d'Artagnan zugleich,»ich glaube, wir haben ein Mittel gefunden.«

«Die Königin in Kenntniß setzen?«fragte Athos,»und wie dies? Haben wir Verbindungen bei Hofe? Können wir Jemand nach Paris schicken, ohne daß man es im Lager erfährt? Von hier nach Paris sind es hundert und vierzig Meilen; unser Brief hat noch nicht Angers erreicht und wir sitzen bereits im Gefängnisse.«

«Was die Aufgabe betrifft, Ihrer Majestät einen Brief sicher zuzustellen, «sagte Aramis erröthend,»so übernehme ich dies. Ich kenne in Tours eine geschickte Person…«

Aramis hielt inne, als er Athos lächeln sah.

«Nun, Athos? Ihr nehmt dieses Mittel nicht an?«fragte d'Artagnan.

«Ich weise es nicht gänzlich zurück, «antwortete Athos;»aber ich wollte Aramis nur bemerken, daß er das Lager nicht verlassen kann, daß jeder Andere sicherer ist, als Einer von uns; daß zwei Stunden, nachdem der Bote abgegangen, alle Kapuziner, alle Alguazils, alle Schwarzmützen des Kardinals Euren Brief auswendig kennen, und daß man Euch sammt Euren geschickten Personen verhaften wird.«

«Abgesehen davon, «sprach Porthos,»daß die Königin Herrn von Buckingham, aber keineswegs uns retten wird.«

«Meine Herren, «sagte d'Artagnan,»was Porthos einwendet, ist sehr vernünftig.«

«Ah ah! was geht in der Stadt vor?«rief Athos.

«Man schlägt Generalmarsch.«

Die vier Freunde horchten und der Lärm der Trommeln drang wirklich bis zu ihnen.

«Ihr werdet sehen, daß man ein ganzes Regiment schickt, «sagte Athos.

«Ihr hofft doch nicht gegen ein ganzes Regiment Stand zu halten, «sprach Porthos.

«Warum nicht?«erwiederte der Musketier.»Ich fühle mich jetzt im Zug und würde vor einer ganzen Armee Stand halten, wenn wir nur so vorsichtig gewesen wären, ein Dutzend Flaschen mehr mitzunehmen.«

«Bei meinem Ehrenwort, der Trommler nähert sich, «sagte d'Artagnan.

«Laßt ihn herankommen!«rief Athos.»Es ist eine Viertelstunde Wegs von hier nach der Stadt, und folglich auch von der Stadt hieher. Das ist mehr Zeit als wir brauchen, um unsern Plan festzustellen. Wenn wir von hier weggehen, finden wir nie mehr einen so passenden Ort. Und halt, gerade jetzt kommt mir der wahre Gedanke.«

«Sprecht also!«

«Erlaubt mir, daß ich Grimaud einige unerläßliche Befehle gebe.«

Athos machte seinem Bedienten ein Zeichen, sich zu nähern.

«Grimaud, «sprach Athos, auf die Todten deutend, die in der Bastei lagen,»Du nimmst diese Herren, stellst sie an die Mauer, setzest ihnen ihre Hüte auf den Kopf und gibst ihnen ihre Flinten in die Hand.«

«O großer Mann!«rief d'Artagnan,»ich verstehe Dich!«—»Ihr versteht?«fragte Porthos. — »Und Du, verstehst Du, Grimaud?«sagte Athos.

Grimaud machte ein bejahendes Zeichen.

«Mehr braucht es nicht, «sprach Athos.»Kommen wir auf meinen Gedanken zurück.«—»Ich wünschte jedoch zu begreifen, «sprach Porthos. — »Das ist unnöthig!«—»Ja, ja, den Gedanken von Athos!«riefen d'Artagnan und Aramis zugleich. — »Diese Mylady, diese Frau, dieses Geschöpf, dieser Teufel, hat, wie Ihr mir, glaube ich, sagtet, einen Schwager, d'Artagnan?«—»Ja, ich kenne ihn genau, und ich bin überzeugt, daß er keine große Sympathie für seine Schwägerin hegt.«—»Das ist nicht schlimm, «antwortete Athos,»und es wäre sogar das Beste, wenn er sie haßte und verabscheute.«—»In diesem Falle sind wir nach Wunsch bedient.«—»Indessen möchte ich doch einsehen, «sprach Porthos,»was Grimaud macht.«—»Stille, Porthos, «sagte Aramis. — »Wie heißt dieser Schwager?«—»Lord Winter.«—»Wo hält er sich gegenwärtig auf?«—»Er ist bei dem ersten Kriegslärm nach London zurückgekehrt.«—»Nun, das ist gerade der Mann, den wir brauchen, «sagte Athos.»Er ist es, den wir von dem, was vorgeht, in Kenntniß setzen müssen. Wir lassen ihn wissen, daß seine Schwägerin im Begriffe ist, Jemand zu ermorden, und bitten ihn, sie nicht aus dem Gesicht zu verlieren. Es giebt in London hoffentlich Anstalten nach Art der Madelonetten oder der reuigen Schwestern. Er läßt seine Schwägerin dahin bringen und wir sind ruhig.«—»Ja, «sagte d'Artagnan,»bis sie wieder heraus ist.«—»Ah meiner Treu, Ihr verlangt zu viel, d'Artagnan, «sagte Athos,»ich habe Euch Alles gegeben, was ich besaß, und leugne nicht, daß ihr meinem Sack auf den Grund gekommen seid.«—»Ich meines Theils, «sagte Aramis,»halte es für das Beste, wir setzen die Königin und Lord Winter zugleich in Kenntniß.«—»Ja aber durch wen lassen wir den Brief nach Tours und den nach London tragen?«—»Ich stehe für Bazin, «sagte Aramis. — »Und ich für Planchet, «fügte d'Artagnan bei. — »In der That, «sprach Porthos,»wenn wir das Lager nicht verlassen können, so können es doch wenigstens unsere Lakaien verlassen.«—»Allerdings, «bemerkte Aramis,»noch heute schreiben wir die Briefe, geben ihnen Geld und sie gehen ab.«—»Wir geben ihnen Geld?«fragte Athos.»Ihr habt also Geld?«

Die vier Freunde schauten sich an, und eine Wolke zog über ihre Stirne hin.

«Geschwind!«rief d'Artagnan.»Ich sehe schwarze und rothe Punkte, die sich da unten bewegen. Was spracht Ihr von einem Regiment, Athos? Es ist ein wahres Heer.«

«In der That, da kommen sie. Seht, die Duckmäuser! Sie rücken ohne Trommel und Trompete heran. Bist Du fertig, Grimaud?«

Grimaud machte ein bejahendes Zeichen und deutete aus ein Dutzend Todte, die er in den pittoreskesten Stellungen aufgepflanzt hatte. Die Einen hatten ihre Gewehre geschultert, die Andern sahen aus, als schlügen sie an, wieder Andere hielten den Degen in der Faust.

«Bravo!«rief Athos,»das macht Deiner Einbildungskraft Ehre!«

«Das ist ganz gleichgültig, «sagte Porthos,»ich möchte jedoch wissen, zu was er sich solche Mühe gegeben.«

«Machen wir uns vorerst aus dem Staube, «erwiederte d'Artagnan.

«Einen Augenblick, meine Herren, einen Augenblick, gönnen wir Grimaud Zeit, abzutragen.«

«Ah!«sagte Aramis,»seht, die schwarzen Punkte und die rothen Punkte werden sichtbar größer, und ich bin der Meinung d'Artagnans. Ich glaube, daß wir keine Zeit zu verlieren haben, um das Lager wieder zu erreichen.«

«Meiner Treu, «sprach Athos,»ich habe nichts gegen den Rückzug einzuwenden. Wir haben auf eine Stunde gewettet, und sind anderthalb Stunden geblieben. Das ist mehr als genug. Vorwärts, meine Herren!«

Grimaud war schon mit dem Korbe vorausgegangen.

Die vier Freunde gingen hinter ihm hinaus und machten etwa zehn Schritte, als ihnen Athos zurief:

«Meine Herren! was machen wir?«

«Hast Du etwas vergessen?«fragte Aramis.

«Die Fahne! Mord und Teufel! Man darf keine Fahne in den Händen des Feindes lassen, selbst wenn es eine Serviette ist.«

Und Athos stürzte in die Bastei, erstieg die Plattform und nahm die Fahne ab. Als aber die Rocheller in Schußweite gelangt waren, eröffneten sie ein furchtbares Feuer auf diesen Mann, der sich gleichsam zum Vergnügen den Schüssen auszusetzen schien.

Doch man hätte glauben sollen, Athos würde durch einen Zauber beschützt; die Kugeln flogen zischend um ihn her, keine einzige berührte seine Person.

Athos schwang seine Fahne, indem er den Leuten von der Stadt den Rücken zukehrte und die im Lager begrüßte.

Von zwei Seiten erscholl ein mächtiges Geschrei, von der einen Seite ein Geschrei der Wuth, von der andern ein Geschrei der Begeisterung.

Eine zweite Ladung folgte der ersten, und drei Kugeln durchlöcherten die Serviette und machten wirklich eine Fahne aus ihr.

Das ganze Lager rief:»Steigt herab, steigt herab!«

Athos stieg herab; seine Kameraden, welche ängstlich seiner harrten, sahen ihn zu ihrer großen Freude wieder erscheinen.

«Vorwärts, Athos, vorwärts!«rief d'Artagnan,»ziehen wir uns zurück; jetzt, da wir Alles gefunden haben, wäre es thöricht, wenn wir uns töten ließen.«

Aber Athos fuhr fort, majestätisch einherzumarschiren; und da seine Gefährten sahen, daß jede Bemerkung fruchtlos war, so regelten sie ihren Gang nach dem seinigen.

Grimaud und sein Korb waren vorausmarschirt und befanden sich beide außerhalb des Bereichs eines Angriffes.

Nach einem Augenblick vernahm man das Gekrache eines furchtbaren Gewehrfeuers.

«Was ist das?«fragte Porthos,»und wonach schießen sie? Ich höre die Kugeln nicht pfeifen, und sehe Niemand.«

«Sie schießen nach unsern Todten, «antwortete Athos.»Aber unsere Todten werden nicht antworten.«

«Ganz richtig, dann glauben sie an einen Hinterhalt, beratschlagen, schicken einen Parlamentär ab, und wenn sie den Spaß gewahr werden, sind wir außer dem Bereich der Kugeln. Es ist daher unnöthig, uns durch große Eile ein Seitenstechen zuzuziehen.«

«O! ich begreife, «sprach Porthos erstaunt.

«Das ist ein Glück, «sagte Athos, die Achseln zuckend.

Als die Franzosen ihre vier Freunde im Schritt zurückkommen sahen, erhoben sie ein Freudenschrei.

Endlich vernahm man ein neues Musketenfeuer, die Kugeln prallten dießmal an den Kieselsteinen um die vier Freunde her auf und zischten unheilschwanger in ihre Ohren. Die Rocheller hatten sich der Bastei bemächtigt.

«Das sind sehr ungeschickte Leute, «sagte Athos.»Wie viel haben wir getödtet?«—»Zwölf bis fünfzehn.«—»Wie viel haben wir niedergeschmettert?«—»Acht bis zehn.«—»Für Alles dies nicht einmal eine Schramme! Doch was habt Ihr an der Hand, d'Artagnan? Blut, wie es mir scheint!«—»Es ist nichts, «erwiderte d'Artagnan. — »Eine verlorene Kugel!«—»Nicht einmal.«—»Was ist es denn?«

Athos liebte d'Artagnan wie sein eigenes Kind und dieser düstere und unbeugsame Charakter hegte zuweilen, wie wir schon früher bemerkten, eine wahrhaft väterliche Sorge für den jungen Mann.

«Eine Verletzung der Haut«, antwortete d'Artagnan,»meine Finger sind zwischen zwei Steine gekommen, zwischen den der Mauer und den meines Ringes, da öffnete sich die Haut.«

«Das kommt davon her, daß man Diamanten trägt, «sprach Athos verächtlich.

«Ah! wirklich, «rief Porthos,»er besitzt einen Diamant? Und warum des Teufels klagen wir, daß wir kein Geld haben, da er einen Diamant besitzt?«

«Ganz richtig, «sagte Aramis.

«Das ist gut. Porthos, diesmal habt Ihr einen Gedanken.«

«Ganz gewiß, «sprach Porthos, sich bei dem Komplimente von Athos brüstend,»da er einen Diamant hat, so wollen wir ihn verkaufen.«

«Aber es ist der Diamant der Königin, «entgegnete d'Artagnan.

«Ein Grund mehr, «versetzte Athos.»Die Königin rettet Herrn von Buckingham, ihren Liebhaber, nichts ist billiger; die Königin rettet uns, ihre Freunde, nichts ist moralischer. Verkaufen wir den Diamant. Was denkt der Herr Abbé hierüber? Ich frage Porthos nicht um seine Meinung; er hat sie bereits ausgesprochen.«

«Ich denke, «antwortete Aramis erröthend,»daß d'Artagnan, da sein Ring nicht von einer Geliebten kommt und folglich kein Liebespfand ist, denselben verkaufen kann.«

«Mein Lieber, Ihr sprecht wie die leibhaftige Theologie. Es ist also Euer Rath?…«

«Den Diamant zu verkaufen, «erwiderte Aramis.

«Gut!«rief d'Artagnan heiter.»Verkaufen wir den Diamant und sprechen wir nicht mehr davon.«

Das Gewehrfeuer dauerte fort, aber die Freunde befanden sich außerhalb der Schußweite und die Rocheller schossen nur, um ihr Gewissen zu entlasten.

«Meiner Treu, es war Zeit, daß Porthos auf diese Idee kam: wir sind im Lager. Also, meine Herren, kein Wort mehr von der ganzen Geschichte. Man bemerkt uns, man kommt uns entgegen; man wird uns im Triumphe hineintragen!«

In der That war, wie wir bemerkt haben, das ganze Lager in Bewegung. Mehr als zweitausend Personen hatten die glückliche Prahlerei der vier Freunde, deren wahre Ursache man nicht im entferntesten errieth, wie ein Schauspiel betrachtet. Man hörte nichts als den Ruf:»Es leben die Garden! Es leben die Musketiere!«Herr von Busigny war der erste, der herbei kam, um Athos die Hand zu drücken und die Wette für verloren zu erklären. Der Schweizer und der Dragoner ahmten ihm nach und alle Kameraden folgten dem Schweizer und dem Dragoner. Das Händedrücken, Glückwünschen, Umarmen wollte kein Ende nehmen, es entstand ein unauslöschliches Gelächter über die Rocheller und der Tumult nahm dermaßen zu, daß der Herr Kardinal, in der Meinung, es sei ein Aufruhr ausgebrochen, La Houdinière, den Kapitän seiner Leibwachen, abschickte, um sich zu erkundigen, was vorging.

Man erzählte ihm die Sache mit dem ganzen Feuer der Begeisterung.

«Nun?«fragte der Kardinal, als er La Houdinière zurückkommen sah.

«Monseigneur, «erwiderte dieser,»drei Musketiere und ein Garde haben mit Herrn von Busigny gewettet, in der Bastei Saint Gervais zu frühstücken; sie hielten zwei Stunden gegen den Feind aus und tödteten, ich weiß nicht wie viele Rocheller.«

«Habt Ihr nach den Namen der drei Musketiere gefragt?«

«Ja, Monseigneur.«

«Wie heißen sie?«

«Es sind die Herren Athos, Porthos und Aramis.«

«Immer meine drei Braven, «murmelte der Kardinal.»Und der Garde?«

«Herr d'Artagnan.«

«Immer mein junger Tollkopf! Diese vier Menschen müssen um jeden Preis mein werden.«

Am Abend desselben Tages sprach der Kardinal mit Herrn von Treville über die That vom Morgen, welche das Gespräch des ganzen Lagers bildete; Herr von Treville, der die Begebenheit aus dem Munde des Helden selbst erfahren hatte, erzählte sie Seiner Eminenz in allen ihren Einzelheiten, ohne die Episode der Serviette zu vergessen.

«Das ist schön, Herr von Treville, «sagte der Kardinal,»ich bitte Euch, verschafft mir diese Serviette, ich lasse drei goldene Lilien darauf sticken und gebe sie Eurer Kompagnie als Standarte.«

«Monseigneur, «erwiederte Herr von Treville,»das wäre eine Ungerechtigkeit gegen die Garden, Herr d'Artagnan gehört nicht mir an, sondern Herrn des Essarts.«

«Gut, so nehmt ihn, «sprach der Kardinal,»es ist nicht mehr als billig, daß die vier braven Militärs, die sich so sehr lieben, in einer Kompagnie dienen.«

An demselben Abend theilte Herr von Treville diese gute Botschaft den drei Musketieren und d'Artagnan mit, und lud alle vier auf den andern Tag zum Frühstück ein.

D'Artagnan gerieth außer sich vor Freude. Musketier zu sein war, wie man weiß, der Traum seines ganzen Lebens.

Auch die drei Freunde waren sehr erfreut.

«Meiner Treu, «sprach d'Artagnan zu Athos,»Da hast einen glorreichen Gedanken gehabt, und wir erlangten dabei Ruhm, wie Du sagtest, und konnten eine höchst wichtige Unterredung halten.«

«Die wir jetzt wieder aufnehmen können, wann es uns beliebt, denn mit Gottes Hülfe werden wir von nun an für Kardinalisten gelten.«

An demselben Abend machte d'Artagnan Herrn des Essarts seine Aufwartung, um ihm sein Avancement mitzutheilen.

Herr des Essarts, der d'Artagnan sehr gewogen war, bot diesem seine Dienste an, denn die Korps-Veränderung hatte bedeutende Equipirungskosten zur Folge.

D'Artagnan schlug das Anerbieten aus, aber er wollte die gute Gelegenheit benützen und bat ihn, den Diamant schätzen zu lassen, den er ihm zustellte und den er zu Geld zu machen wünschte.

Am andern Morgen um acht Uhr trat der Bediente des Herrn des Essarts bei d'Artagnan ein und übergab ihm einen Sack mit siebentausend Franken. Dies war der Preis für den Diamant der Königin.

XX. Familien-Angelegenheit

Athos hatte das rechte Wort gefunden: man mußte aus der Angelegenheit Buckinghams eine Familien-Angelegenheit machen. Eine Familien-Angelegenheit war nicht der Nachforschung des Kardinals unterworfen. Eine Familien-Angelegenheit ging Niemand etwas an. Man konnte sich vor der ganzen Welt mit einer Familien-Angelegenheit beschäftigen.

Aramis hatte den Gedanken gefunden: die Lakaien.

Porthos hatte das Mittel gefunden: den Diamant.

D'Artagnan allein hatte nichts gefunden, obschon er sonst der erfindungsreichste unter den vier Freunden war, aber man muß auch bemerken, daß schon der Name Mylady ihn lähmte. Doch wir täuschen uns, er hatte einen Käufer für seinen Diamant gefunden.

Bei dem Frühstück des Herrn von Treville herrschte die ungezwungenste Heiterkeit. D'Artagnan hatte bereits seine Uniform. Da er beinahe von demselben Wuchse war, wie Aramis, und da Aramis in Folge des reichlichen Honorars von dem Buchhändler, der ihm sein Gedicht abgekauft hatte, wie er behauptet hatte, Alles doppelt besaß, so trat er d'Artagnan eine vollständige Equipirung ab.

D'Artagnan wäre auf dem Höhepunkt seiner Wünsche gestanden, wenn er nicht Mylady wie eine düstere Wolke am Horizont hätte hervortreten sehen.

Nach dem Frühstück kam man überein, sich am Abend in der Wohnung von Athos zu versammeln und dort die Angelegenheit zu Ende zu führen.

D'Artagnan brachte den Tag damit zu, seine Musketier-Uniform in allen Straßen des Lagers zu zeigen.

Am Abend versammelten sich die Freunde zur bestimmten Stunde; es blieben nur noch drei Dinge zu entscheiden:

Was man dem Bruder von Mylady schreiben sollte; Was man der geschickten Person in Tours schreiben sollte; Und welche Bedienten die Briefe besorgen sollten.

Jeder bot den seinigen an. Athos rühmte die Verschwiegenheit Grimauds, der nur sprach, wenn ihm sein Herr den Mund auftrennte; Porthos pries die Kraft Mousquetons, der vier Männer von gewöhnlicher Leibesbeschaffenheit durchprügeln konnte. Aramis vertraute auf die Gewandtheit Bazin's und sprach mit pomphaften Lobeserhebungen von seinem Kandidaten; d'Artagnan endlich hatte ein vollkommenes Zutrauen zu dem Muth Planchets und erinnerte daran, wie er sich in der so kitzeligen Angelegenheit von Boulogne benommen hatte. Diese vier Tugenden stritten lang um den Preis und gaben zu glänzenden Reden Anlaß, die wir in Betracht ihrer Ausdehnung nicht anführen.

«Leider, «sprach Athos,»müßte der, welchen man abschickt, die vier Tugenden vereinigt besitzen.«

«Aber wo ließe sich ein solcher Bediente finden?«

«Nicht zu finden; ich weiß wohl, «antwortete Athos;»nehmt also Grimaud.«

«Nehmt Mousqueton.«

«Nehmt Bazin.«

«Nehmt Planchet. Planchet ist ehrlich und gewandt, das sind schon zwei von den vier Eigenschaften.«

«Meine Herren, «sprach Aramis,»die Hauptsache ist nicht zu ermessen, welcher von unsern vier Bedienten der verschwiegenste, der stärkste, der gewandteste und der muthigste ist; die Hauptsache ist, daß wir ermessen, welcher das Geld am meisten liebt.«

«Was Aramis sagt, ist sehr vernünftig, «versetzte Athos,»man muß auf die Fehler der Menschen spekulieren, und nicht auf ihre Tugenden. Mein Herr Abbé, Ihr seid ein großer Moralist.«

«Allerdings, «erwiederte Aramis,»denn wir bedürfen guter Bedienung, nicht nur damit unser Plan gelingt, sondern daß wir nicht scheitern, weil es sonst um unsre Köpfe geht, nicht um die der Lakaien…«

«Leiser, Aramis, «sagte Athos.

«Das ist wahr, «sprach Aramis,»nicht um die der Lakaien, sondern um die der Herren. Sind uns unsere Bedienten so sehr ergeben, daß sie das Leben für uns wagen? Nein.«

«Meiner Treu, «entgegnete d'Artagnan,»ich wollte beinahe für Planchet stehen.«

«Gut! mein lieber Freund, so fügt seiner natürlichen Ergebenheit eine schöne Summe bei, wodurch er zu einiger Wohlhabenheit gelangt, und steht dann zweimal für ihn.«

«Eh! guter Gott, Ihr werdet gleichfalls betrogen werden, «sagte Athos, der Optimist war, wenn es sich um Dinge, und Pessimist, wenn es sich um Menschen handelte;»sie werden Alles versprechen, um Geld zu bekommen, und unterwegs wird sie die Furcht abhalten zu handeln. Sind sie einmal gefangen, so bindet man sie; sind sie gebunden, so gestehen sie. Was Teufels, wir sind keine Kinder! Um nach England zu gehen (Athos dämpfte seine Stimme), muß man ganz Frankreich durchreisen, während das Land von Spionen und Kreaturen des Kardinals wimmelt; man muß einen Paß haben, um sich einzuschiffen; man muß Englisch verstehen, um den Weg nach London zu erfragen. Mir kommt die Sache sehr schwierig vor.«

«Keineswegs, «entgegnete d'Artagnan, dem Alles daran lag, die Sache durchzusetzen;»mir kommt sie im Gegentheil ganz leicht vor. Es versteht sich, bei Gott! von selbst, daß, wenn man an Lord Winter von niederträchtigen Dingen, von Abscheulichkeiten des Kardinals…«

«Leiser, «ermahnte Athos.

«Von Intriguen und Staatsgeheimnissen schriebe, «fuhr d'Artagnan sich der Ermahnung fügend fort,»es versteht sich, sage ich, dann von selbst, daß wir bei lebendigem Leibe gerädert würden, aber vergeßt doch um Gottes willen nicht, daß wir ihm, wie Ihr selbst gesagt habt, Athos, in Familienangelegenheiten schreiben, daß wir uns einzig und allein an ihn wenden, damit er Mylady bei ihrer Ankunft in London außer Stand setzt, uns zu schaden. Ich werde ihm einen Brief ungefähr in folgenden Ausdrücken schreiben.«

«Laßt hören, «sagte Aramis und nahm zum Voraus das Gesicht eines Kritikers an.

«Mein Herr und theuer Freund…«

«Ah! ja, theurer Freund, an einen Engländer!«unterbrach ihn Athos.»Gut angefangen, d'Artagnan, schon wegen dieses einzigen Wortes würdet Ihr geviertheilt, statt gerädert.«

«Wohl, es sei, ich werde also ganz kurz»»Mein Herr««sagen.«

«Ihr könnt sogar Mylord sagen, «erwiederte Athos, der große Stücke auf derartige Äußerlichkeiten hielt.

«Mylord, erinnert Ihr Euch des kleinen Ziegengeheges beim Luxemburg?«

«Gut! jetzt kommt der Luxemburg, man wird glauben, es sei eine Anspielung auf die Königin Mutter! das ist geistreich!«sprach Athos.

«Wohl, setzen wir ganz einfach: Mylord, erinnert Ihr Euch eines gewissen kleinen Geheges, wo man Euch das Leben gerettet hat?«

«Mein lieber d'Artagnan, «sprach Athos,»Ihr werdet stets ein sehr schlechter Briefsteller sein. Wo man Euch das Leben rettete! pfui! das ist nicht würdig; einen anständigen Mann erinnert man nicht an dergleichen Dienste; eine Wohlthat vorwerfen heißt beleidigen.«

«Ah! mein Lieber, «erwiederte d'Artagnan,»Ihr seid unerträglich, und wenn ich unter Eurer Censur schreiben muß, so verzichte ich darauf.«

«Und daran thut Ihr wohl. Handhabt die Muskete und den Degen, mein Freund, bei solchen Uebungen benehmt Ihr Euch vortrefflich; aber überlaßt die Feder dem Herrn Abbé, das ist seine Sache.«

«Ja gewiß, «sprach Porthos,»überlaßt die Feder Aramis, der Thesen in lateinischer Sprache schreibt.«

«Nun wohl, es sei, «sagte d'Artagnan,»entwerft Ihr diesen Brief, Aramis; aber im Namen des heiligen Vaters! nehmt Euch wohl in Acht, ich hechle Euch ebenfalls durch, das sage ich Euch zum Voraus.«

«Das ist mir äußerst angenehm, «antwortete Aramis mit dem naiven Selbstvertrauen, das jeder Dichter besitzt;»aber man theile mir die betreffenden Umstände mit. Ich habe wohl beiläufig gehört, diese Schwägerin sei eine schurkische Person, ich habe sogar selbst den Beweis hiefür erhalten, als ich ihre Unterredung mit dem Kardinal hörte…«

«Leiser, Donner und Teufel!«sprach Athos.

«Aber, «fuhr Aramis fort,»die Einzelheiten sind mir nicht bekannt.«

«Mir auch nicht, «sagte Porthos.

D'Artagnan und Athos schauten sich einige Zeit stillschweigend an. Endlich, als sich Athos etwas gesammelt hatte, machte er, noch bleicher als gewöhnlich, ein Zeichen der Einwilligung. D'Artagnan begriff, daß er sprechen konnte.

«Wohl, so hört, was zu schreiben ist, «versetzte d'Artagnan,»Mylord, Eure Schwägerin ist eine Schändliche, die Euch tödten lassen wollte, um Euch zu beerben; aber sie konnte Euern Bruder nicht heirathen, da sie schon in Frankreich verheirathet war und…«d'Artagnan hielt inne, als ob er nach dem Worte suchte, und schaute Athos an. — »Von ihrem Gatten fortgejagt wurde, «sagte Athos. — »Weil sie gebrandmarkt war, «fuhr d'Artagnan fort. — »Bah!«rief Porthos,»unmöglich! Sie wollte ihren Schwager tödten lassen?«—»Ja.«—»Sie war verheirathet?«fragte Aramis. — »Ja.«—»Und ihr Gatte bemerkte, daß sie eine Lilie auf der Schulter hatte?«rief Porthos. — »Ja.«

Diese drei Ja wurden von Athos, jedes mit düsterer Betonung ausgesprochen.

«Und wer hat die Lilie gesehen?«fragte Aramis. — »D'Artagnan und ich, oder vielmehr, um die chronologische Ordnung zu beobachten, ich und d'Artagnan, «antwortete Athos. — »Und der Gatte dieses abscheulichen Geschöpfes lebt noch?«sprach Aramis. — »Er lebt noch.«—»Ihr wißt es gewiß?«—»Ich weiß es gewiß.«

Es herrschte ein kurzes Stillschweigen, während dessen jeder die Eindrücke nach seiner eigentümlichen Natur in sich verarbeitete.

«Diesmal, «sagte Athos, das Stillschweigen zuerst unterbrechend,»diesmal hat uns d'Artagnan ein vortreffliches Programm gegeben, und das muß man vor Allem schreiben.«

«Teufel, Ihr habt Recht, Athos, «versetzte Aramis,»und der Entwurf ist kitzelig. Der Herr Kanzler käme selbst in Verlegenheit, wenn er einen Brief von dieser Wichtigkeit abfassen müßte, und der Herr Kanzler faßt doch ein Protokoll sehr gut ab. Doch gleich viel, schweigt, ich schreibe.«

Aramis nahm eine Feder, dachte einen Augenblick nach, schrieb acht bis zehn Zeilen mit einer zierlichen Frauenhandschrift, und las sodann mit weicher Stimme, als ob jedes Wort ängstlich von ihm erwogen worden wäre, wie folgt:

«Mylord,

«Die Person, welche Euch diese Zeilen schreibt, hat die Ehre gehabt, den Degen in einem kleinen Gehege der Rue d'Enfer mit Euch zu kreuzen. Da Ihr seitdem wiederholt die Güte hattet. Euch den Freund dieser Person zu nennen, so glaubt sie Euch für diese Freundschaft durch einen guten Rath danken zu müssen. Zweimal wäret Ihr beinahe das Opfer einer nahen Verwandten geworden, die Ihr für Eure Erbin haltet, weil Ihr nicht wißt, daß sie, ehe sie in England eine Ehe eingegangen hatte, bereits in Frankreich verheirathet war; aber das dritte Mal, das Euch jetzt bevorsteht, könntet Ihr unterliegen. Eure Verwandte ist von La Rochelle nach England abgereist. Ueberwacht ihre Ankunft, denn sie hat große, furchtbare Pläne. Wenn ihr durchaus wissen wollt, was sie zu thun fähig ist, so lest ihre Vergangenheit auf ihrer linken Schulter.«

«Das ist vortrefflich, «rief Athos.»Ihr habt die Feder eines Staatssekretärs, mein lieber Aramis. Lord Winter wird wohl auf seiner Hut sein, wenn der Rath überhaupt zu ihm gelangt, und fiele er in die Hände seiner Eminenz, so dürften wir dadurch nicht gefährdet werden. Da jedoch der Bediente, dem die Besorgung übertragen wird, uns glauben machen könnte, er sei in London gewesen, während er in Chatelleraut angehalten hat, so wollen wir ihm nur die Hälfte der Summe geben und die andere Hälfte für die Antwort versprechen. Habt Ihr den Diamant?«fuhr Athos fort.

«Ich habe etwas Besseres, ich habe das baare Geld, «antwortete d'Artagnan.

Und er warf den Sack auf den Tisch. Beim Klange des Goldes schlug Aramis die Augen auf. Porthos bebte, Athos blieb unempfindlich.

«Wie viel ist in diesem Säckchen?«sagte er.

«Siebentausend Livres in Louisd'or zu zwölf Franken.«

«Siebentausend Livres!«rief Porthos;»dieser schlechte, kleine Diamant war siebentausend Livres werth!«

«Es scheint, Porthos, da sie hier liegen; ich glaube nicht, daß unser Freund d'Artagnan von dem seinigen dazu gethan hat.«

«Aber, meine Herren, bei allem dem denken wir gar nicht an die Königin; sorgen wir doch auch ein wenig für die Gesundheit ihres lieben Buckingham, das sind wir ihm mindestens schuldig.«

«Ganz richtig, «sprach Athos,»doch das geht Aramis an.«

«Wohl, «sagte dieser erröthend,»was soll ich thun?«

«Das ist ganz einfach, «antwortete Athos,»einen zweiten Brief an die gewandte Person schreiben, welche in Tours wohnt.«

Aramis nahm die Feder wieder auf, dachte abermals einen Augenblick nach und schrieb folgende Zeilen, die er sogleich der Billigung seiner Freunde unterwarf:

«Meine liebe Base…«

«Ah! ab!«sagte Athos,»diese gewandte Person ist mit Euch verwandt?«

«Geschwisterkind, «sprach Aramis.

«Also Base.«

Aramis fuhr fort:

«Meine liebe Base, Seine Eminenz der Kardinal, den Gott zum Wohle Frankreichs und zur Schmach der Feinde des Reiches erhalten möge, ist auf dem Punkte, den ketzerischen Rebellen von La Rochelle den Garaus zu machen; es ist wahrscheinlich, daß die Hülfe der englischen Flotte nicht einmal vor dem Platz ankommen wird; ich möchte beinahe sagen, ich weiß gewiß, daß Herr von Buckingham durch ein gewisses Ereigniß verhindert sein wird, abzureisen. Seine Eminenz ist der erhabenste Politiker der Vergangenheit, der Gegenwart und wahrscheinlich auch der Zukunft. Er würde die Sonne auslöschen, wenn sie ihn genirte. Theilt diese glücklichen Nachrichten Eurer Schwester mit, meine liebe Base. Ich träumte, der verdammte Engländer wäre tot. Ich weiß nicht mehr, ob durch Eisen oder durch Gift; nur dessen bin ich gewiß, daß er tot war und Ihr wißt, meine Träume täuschen mich nie. Haltet Euch also versichert, mich bald zurückkommen zu sehen.«

«Vortrefflich, «rief Athos;»Ihr seid der König der Dichter, Ihr sprecht wie die Apokalypse und seid wahr wie das Evangelium. Es braucht jetzt nur noch die Adresse auf den Brief gesetzt zu werden.

«Das ist sehr leicht, «sagte Aramis.

Er legte den Brief niedlich zusammen und schrieb:

«An Mademoiselle Michon, Weißnäherin in Tours.«

Die drei Freunde schauten sich lachend an. Sie waren getäuscht.

«Nun begreift Ihr wohl, meine Herren, «sagte Aramis,»daß Bazin allein diesen Brief nach Tours bringen kann. Meine Base kennt nur Bazin und hat nur zu ihm Vertrauen. Bei jedem Andern würde die Sache scheitern. Ueberdies ist Bazin ehrgeizig und gelehrt. Bazin hat die Geschichte gelesen, meine Herren, er weiß, daß Sixtus V. Pabst geworden ist, nachdem er Schweine gehütet, und da er zugleich mit mir zur Kirche übertreten will, so verzweifelt er nicht daran, selbst einmal Pabst oder wenigstens Kardinal zu werden. Ihr begreift, daß ein Mensch, der solche Absichten hegt, sich nicht fangen läßt, oder wenn er gefangen wird, eher das Märtyrerthum erduldet, als daß er spräche.«

«Sehr gut, «sagte d'Artagnan,»ich lasse Euch gerne Bazin gelten, laßt mir dagegen Planchet gelten. Mylady hat ihn einst mit Stockschlägen aus dem Hause gejagt. Planchet aber hat ein gutes Gedächtniß, und wenn er irgendwo eine Rache wittern kann, so würde er sich eher bei lebendigem Leibe rädern lassen, als darauf Verzicht leisten. Sind die Angelegenheiten von Tours die Eurigen, Aramis, so sind die von London die meinigen. Ich bitte also, Planchet zu wählen, welcher überdies schon einmal mit mir in London gewesen ist und ganz deutlich auszusprechen versteht: London, Sir, if you please und my master, Lord d'Artagnan. Mit diesem wird er seinen Weg hin und zurück machen, Ihr könnt ganz unbesorgt sein.«

«In diesem Fall, «sprach Athos,»muß Planchet siebenhundert Livres für die Hinreise und siebenhundert für die Rückreise bekommen, und Bazin dreihundert für die Hinreise und dreihundert für die Rückreise. Dadurch schmilzt die Summe auf fünftausend Livres herab. Wir nehmen jeder Tausend Livres, um sie nach Gutdünken zu verbrauchen, und behalten einen Fonds von tausend Livres übrig, den der Abbé für außerordentliche Fälle oder gemeinschaftliche Bedürfnisse aufbewahrt. Ist Euch dies angenehm?«

«Mein lieber Athos, «sagte Aramis,»Ihr sprecht wie Nestor, der, wie Jedermann weiß, der weiseste der Griechen war.«

«Gut, das ist abgemacht, «versetzte Athos.»Planchet und Bazin werden reisen. Im Ganzen ist es mir nicht leid, daß Grimaud bei mir bleibt. Er ist an meine Art und Weise gewöhnt, und darauf halte ich große Stücke. Der gestrige Tag hat ihn bereits etwas erschüttert, diese Reise würde ihn zu Grund richten.«

Man ließ Planchet kommen und gab ihm seine Instruktionen. Er wurde von d'Artagnan unterrichtet, der ihm zuerst den Ruhm, dann das Geld und endlich die Gefahr ankündigte.

«Ich werde den Brief im Aufschlag meines Rockes tragen, «sagte Planchet,»und ihn verschlingen, wenn man mir ihn nehmen will.«

«Aber dann kannst Du Deinen Auftrag nicht besorgen, «entgegnete d'Artagnan.

«Ihr gebt mir diesen Abend eine Abschrift, die ich auswendig lerne.«

D'Artagnan schaute seine Freunde an, als wollte er sagen:

«Nun, was hatte ich Euch versprochen?«

«Du hast acht Tage, «fuhr er, sich an Planchet wendend, fort,»um zu Lord Winter zu gelangen. Du hast acht Tage, um hieher zurückzukommen. Im Ganzen sechzehn Tage. Wenn Du am sechszehnten Tage nach Deiner Abreise Abends nicht zurückgekommen bist, kein Geld, und wenn es acht Uhr fünf Minuten wäre.«

«Dann kauft mir eine Uhr, gnädiger Herr, «sprach Planchet.

«Nimm diese, «sagte Athos und gab ihm mit seiner sorglosen Großmuth die seinige,»sei ein braver Bursche und bedenke, daß Du, wenn Du plauderst, Schuld bist, daß Deinem Herrn, der so großes Vertrauen auf Deine Treue setzt und für Dich haftete, der Hals abgeschnitten wird. Aber bedenke auch, daß ich Dich, wenn durch Deine Schuld d'Artagnan ein Unglück widerfährt, überall finden werde, um Dir den Bauch aufzuschlitzen.«

«Oh, gnädiger Herr!«sagte Planchet, gedemüthigt durch diesen Verdacht und besonders erschrocken über die ruhige Miene des Musketiers.

«Und ich, «rief Porthos, seine große Augen in ihren Höhlen rollend,»bedenke, daß ich Dich lebendig erdroßle.«

«Oh, gnädiger Herr!«

Und Planchet fing an zu weinen; wir vermögen nicht anzugeben, ob dies aus Schrecken wegen der Drohungen, die man gegen ihn ausstieß, oder aus Rührung darüber geschah, daß er die vier Freunde so enge verbunden sah.

D'Artagnan faßte ihn bei der Hand und sprach:

«Siehst Du, Planchet, diese Herren sagen Dir dies Alles aus Liebe für mich, aber im Grunde sind sie Dir wohl geneigt.«

«Ah, gnädiger Herr, «erwiederte Planchet,»entweder schlage ich mich durch, oder man schneidet mich in Stücke, und wenn man mich in Stücke schneidet, so dürft Ihr überzeugt sein, daß keines davon sprechen wird.«

Es wurde beschlossen, daß Planchet am andern Morgen um acht Uhr abgehen sollte, damit er, wie er gesagt hatte, während der Nacht den Brief auswendig lernen könnte. Bei dieser Anordnung gewann er gerade zwölf Stunden. Er mußte am sechszehnten Tage Abenos acht Uhr zurückgekommen sein.

Als er am andern Morgen zu Pferde steigen wollte, nahm d'Artagnan, der eine gewisse Vorliebe für den Herzog von Buckingham in seinem Innern fühlte, Planchet bei Seite und sprach:

«Höre, wenn Du den Brief Lord Winter zugestellt und er ihn gelesen hat, so sagst Du ihm noch weiter;»»Wacht über Seine Herrlichkeit, Lord Buckingham, denn man will ihn ermorden!««Siehst Du, Planchet, das ist aber so ernst und so wichtig, daß ich es nicht einmal meinen Freunden gestehen wollte; ich vertraue nur Dir dieses Geheimniß an, und ich möchte es nicht für eine Kapitänsstelle niederschreiben.«

«Seid unbesorgt, gnädiger Herr, «sprach Planchet,»Ihr werdet sehen, ob man auf mich zählen kann.«

Und auf einem vortrefflichen Pferd, von dem er sich zwanzig Meilen von da trennen sollte, um die Post zu nehmen, ritt Planchet im Galopp von dannen, das Herz ein wenig gepreßt durch das traurige Versprechen, das ihm die Musketiere gemacht hatten, aber im Ganzen in der besten Stimmung.

Bazin ging am andern Tag nach Tours ab und hatte acht Tage, um seinen Auftrag zu besorgen.

Die vier Freunde hatten, wie man sich leicht denken kann, während der ganzen Dauer dieser zwei Abwesenheiten, mehr als je ihre Augen auf der Lauer, die Nase im Winde und das Ohr im Horchwinkel.

Sie verbrachten ihre Tage damit, daß sie zu erfahren suchten, was man sagte, daß sie die Gänge des Kardinals beobachteten und die ankommenden Couriere ausspähten. Mehr als einmal wurden sie von einer unüberwindlichen Angst befallen, wenn man sie zu irgend einem unerwarteten Dienste rief. Sie hatten sich übrigens zu ihrer eigenen Sicherheit zu hüten: Mylady war ein Gespenst, das, wenn es einmal den Menschen erschienen war, sie nicht mehr ruhig schlafen ließ.

Am Morgen des achten Tages trat Bazin frisch, wie immer, und lächelnd, wie gewöhnlich, in die Schenke zum Parpaillot ein, wo die vier Freunde gerade beim Frühstücke saßen, und sagte, wie dies verabredet war:

«Herr Aramis, hier ist die Antwort Eurer Base.«

Die vier Freunde tauschten einen freudigen Blick aus, die Hälfte des Geschäftes war abgemacht. Allerdings war es die kürzere und leichtere.

Aramis nahm unwillkürlich erröthend den Brief, der von einer plumpen Handschrift und ohne Orthographie war.

«Guter Gott!«rief er lachend,»ich gerathe gewiß noch in Verzweiflung, nie wird die arme Michon wie Herr von Voiture schreiben.«

«Was soll das heißen: die arme Michon?«fragte der Schweizer, welcher, als der Brief ankam, gerade in einem Gespräch mit den vier Freunden begriffen war.

«Oh! mein Gott, weniger als nichts, «antwortete Aramis,»eine kleine reizende Nähterin, die ich sehr lieb habe, und von der ich mir einige Zeilen ihrer Hand als Andenken erbat.«

«Gottes Blut!«rief der Schweizer,»wenn ihre Seele so groß ist, als ihre Handschrift, so sitzt Ihr sehr im Glücke, mein Kamerad.«

«Laßt sehen, was sie mir schreibt, «sagte Athos.

Athos warf einen Blick auf das Papier und laß, um jeden Verdacht zu entfernen, der hätte entstehen können, ganz laut:

«Mein Vetter, meine Schwester und ich, wir errathen die Träume sehr gut und wir haben eine furchtbare Angst davor; aber von Eurem wird man hoffentlich sagen können: Träume Schäume. Adieu! Bleibt gesund und macht, daß wir von Zeit zu Zeit etwas von Euch hören.

Aglaë Michon.«

«Von welchem Traume spricht sie?«fragte der Dragoner.

«Ei, bei Gott!«rief Aramis,»das ist ganz einfach, von einem Traume, den ich gehabt und ihr erzählt habe.«

«Ah ja, bei Gott! Das ist ganz einfach, wenn man seine Träume erzählt. Aber ich, was mich betrifft, ich träume nie.«

«Ihr seid sehr glücklich, «sagte Athos aufstehend,»und ich wollte, ich könnte dasselbe von mir sagen.«

«Nie, «versetzte der Schweizer, entzückt, daß ein Mann wie Athos ihn um etwas beneidete,»nie, nie!«

Als d'Artagnan sah, daß Athos aufstand, machte er es ebenso, nahm ihn beim Arm und ging mit ihm hinaus.

Porthos und Aramis blieben zurück, um den Späßen des Dragoners und des Schweizers die Spitze zu bieten.

Bazin legte sich auf einen Bund Stroh nieder, und da er mehr Einbildungskraft als der Schweizer hatte, so träumte er, Aramis sei Papst geworden und schmücke ihn mit einem Kardinalshut.

Aber Bazin hatte, wie gesagt, durch seine glückliche Rückkehr den vier Freunden nur einen Theil der Unruhe benommen, welche auf ihnen lastete. Die Tage des Wartens sind lang und d'Artagnan besonders hätte gewettet, jeder Tag habe achtundvierzig Stunden.

Er vergaß die nothwendige Langsamkeit der Schifffahrt, er stellte sich die Macht Myladys allzu groß vor, er verlieh dieser Frau, die ihm einem Dämon ähnlich zu sein schien, übernatürliche Mittel; er bildete sich bei dem geringsten Geräusche ein, man komme, um ihn zu verhaften, und bringe Planchet herbei, um ihn mit ihm und seinen Freunden zu confrontiren. Diese Unruhe war so groß, daß sie auch Porthos und Aramis ergriff; nur Athos blieb unempfindlich. Er war, als ob es gar keine Gefahr um ihn her gäbe und als ob er seine gewöhnliche Atmosphäre athmete.

Am sechszehnten Tage besonders wurden diese Zeichen der Aufregung bei d'Artagnan und seinen zwei Freunden so sichtbar, daß sie nicht am Platze bleiben konnten und wie Schatten auf dem Wege umherirrten, auf welchem Planchet zurückkehren sollte.

«Wahrlich, «sagte Athos zu ihnen,»Ihr seid Kinder, daß Euch eine Frau so bange macht. Ei, was kann denn am Ende geschehen? Daß man uns einsperrt? Man wird uns auch wieder aus dem Gefängnisse ziehen, wie man Madame Bonacieux herausgezogen hat. Daß man uns enthauptet? Jeden Tag setzen wir uns im Laufgraben noch viel Schlimmerem aus, denn eine Kugel kann uns das Bein zerschmettern und ich bin überzeugt, daß uns ein Wundarzt bei Weitem größere Schmerzen verursacht, wenn er uns den Schenkel abschneidet, als ein Henker, wenn er uns den Kopf abschlägt. Seid also ruhig: in zwei Stunden, in vier, in sechs Stunden spätestens wird Planchet hier sein; denn er hat einzutreffen versprochen, und ich setze großes Vertrauen auf die Versprechungen Planchets.«

«Aber wenn er nicht kommt?«fragte d'Artagnan.

«Wenn er nicht kommt, nun so wird er aufgehalten worden sein. Das Pferd kann ihn abgeworfen haben, es kann einen Sprung über die Brücke gemacht haben, er kann so rasch gelaufen sein, daß er eine Brustentzündung bekommen hat. Ei, meine Herren, wir müssen auch die Ereignisse in Rechnung bringen. Das Leben ist ein großer Rosenkranz von kleinen Unglücksfällen, die der Philosoph lachend abkörnt. Seid Philosophen, wie ich, meine Herren, setzt Euch zu Tische und trinkt. Nichts läßt die Zukunft so rosenfarbig erscheinen, als wenn man sie durch ein Glas Chambertin anschaut.«

«Das ist sehr gut, «antwortete d'Artagnan,»aber ich bin es müde, bei jedem Schluck fürchten zu müssen, der Wein könnte aus Myladys Keller kommen.«

«Ihr seid sehr heikel, «sagte Athos,»eine so schöne Frau!«

«Eine Gebrandmarkte!«rief Porthos mit seinem plumpen Lachen.

Athos bebte, strich mit der Hand über die Stirne, um den Schweiß abzutrocknen, und stand ebenfalls mit einem Nervenzittern auf, das er nicht zu bewältigen vermochte.

Der Tag ging indessen hin und der Abend kam noch langsamer heran, aber er kam doch endlich; die Trinkstuben füllten sich mit Gästen. Athos, der seinen Antheil an dem Diamant in die Tasche gesteckt hatte, verließ den Parpaillot nicht mehr. Er fand in Herrn von Busigny, der ihnen übrigens ein vortreffliches Mittagsmahl gegeben hatte, einen würdigen Partner. Sie spielten wie gewöhnlich miteinander, als es sieben Uhr schlug: man hörte die Patrouillen vorüberziehen, welche die Posten verdoppelten. Um halb acht Uhr wurde Retraite geschlagen.

«Wir sind verloren, «sagte d'Artagnan Athos in das Ohr.

«Ihr wollt sagen: wir haben verloren, «erwiderte Athos ruhig und warf zehn Louisd'or auf den Tisch, die er aus seiner Tasche gezogen hatte.»Auf, meine Herren, «fuhr er fort;»man schlägt die Retraite, gehen wir schlafen.«

Athos verließ den Parpaillot, von d'Artagnan gefolgt. Aramis gab Porthos den Arm und kam hinter ihnen. Aramis kaute Verse und Porthos riß sich von Zeit zu Zeit ein Haar aus dem Schnurrbart als Zeichen der Verzweiflung.

Aber plötzlich zeigte sich in der Dunkelheit ein Schatten, dessen Form d'Artagnan bekannt war und eine Stimme sagte:

«Gnädiger Herr, ich bringe Euch Euern Mantel, denn es ist frisch heute Abend.«

«Planchet!«rief d'Artagnan trunken vor Freude.

«Planchet!«riefen Porthos und Aramis.

«Ja wohl, Planchet!«sagte Athos.»Was ist darüber zu staunen? Er hatte versprochen, um acht Uhr zurückzukommen, und eben schlägt es acht Uhr. Bravo, Planchet, Ihr seid ein Mann von Wort, und wenn Ihr je Euern Herrn verlaßt, so nehme ich Euch in meine Dienste.«

«Oh! nein, nie, «sagte Planchet,»nie verlasse ich Herrn d'Artagnan.«

Und in demselben Augenblick fühlte d'Artagnan, daß ihm Planchet ein kleines Billet in die Hand schob.

D'Artagnan hatte große Lust, seinen Planchet zu umarmen, aber er fürchtete, dieses Freundschaftszeichen gegen seinen Lakaien auf offener Straße könnte einem Vorübergehenden auffallend erscheinen, und er hielt sich zurück.

«Ich habe das Billet, «sagte er zu Athos und zu seinen Freunden.

«Das ist gut, «sprach Athos,»kehren wir nach Hause und lesen wir es.«

Das Billet brannte d'Artagnan in der Hand. Er wollte seinen Marsch beschleunigen; aber Athos nahm ihn beim Arme, faßte ihn fest, und der junge Mann war genöthigt, gleichen Schritt mit seinem Freunde zu halten.

Endlich trat man in das Zelt ein und zündete eine Lampe an. Während Planchet bei der Thüre blieb, damit die vier Freunde nicht überrascht würden, erbrach d'Artagnan mit zitternder Hand das Siegel und öffnete den so sehnsüchtig erwarteten Brief.

Er enthielt eine halbe Zeile von ächt brittischer Handschrift und lakonischer Gedrängtheit:

«Thank you! be easy. «Was sagen sollte:»Ich danke, seid ruhig.«

Athos nahm d'Artagnan den Brief aus den Händen, näherte ihn der Lampe, brannte ihn an und ließ ihn nicht aus dem Auge bis er in Asche verwandelt war.

Dann rief er Planchet und sagte:

«Nun, mein Junge, kannst Du die siebenhundert Livres fordern; aber Du wagtest nicht viel mit einem Billet wie dieses hier.«—»Das hielt mich nicht ab, alle möglichen Mittel zu ersinnen, um es zu bewahren, «sprach Planchet. — »Nun erzähle uns, «sagte d'Artagnan. — »Das wäre in der That sehr weitschweifig, gnädiger Herr.«—»Du hast Recht, Planchet; überdies hat man die Retraite geschlagen, und es könnte auffallen, wenn wir länger Licht behielten, als die Anderen.«—»Es sei, «sagte d'Artagnan,»legen wir uns nieder; schlaf wohl, Planchet.«

«Meiner Treu, gnädiger Herr, das ist das erste Mal seit vierzehn Tagen.«—»Bei mir auch!«sagte d'Artagnan. — »Bei mir auch!«sagte Porthos. — »Bei mir auch!«sagte Aramis. — »Nun, soll ich Euch die Wahrheit gestehen? Bei mir auch, «sagte Athos.

XXI. Widerwärtigkeiten

Außer sich vor Zorn, auf dem Verdecke wie eine Löwin schnaubend, die man einschifft, war Mylady mittlerweile versucht gewesen, sich in das Meer zu stürzen, um die Küste wieder zu erreichen; denn sie konnte den Gedanken nicht fassen, daß sie von d'Artagnan beleidigt, von Athos bedroht worden war, und Frankreich verlassen sollte, ohne sich an ihnen zu rächen. Bald wurde dieser Gedanke ihr so unerträglich, daß sie auf die Gefahr, was auch Furchtbares daraus entstehen möchte, den Kapitän bat, sie an das Ufer zu setzen; aber zwischen die französischen und englischen Kreuzer, wie die Fledermaus zwischen die Ratten und Vögel gestellt, lag dem Kapitän Alles daran, so bald als möglich nach England zu gelangen. Er weigerte sich also hartnäckig, einem Ansinnen zu gehorchen, das er für eine Frauenlaune hielt, wobei er jedoch seiner Passagierin, die ihm von dem Kardinal besonders empfohlen war, versprach, daß er sie, wenn es das Meer und die Franzosen erlauben, in einem der Häfen der Bretagne, entweder in Lorient oder in Brest, an das Ufersetzen wolle. Aber das Meer war schlimm und der Wind conträr; man mußte laviren und verlor viel Zeit. Erst neun Tage nachdem man aus der Charente ausgelaufen war, sah Mylady, ganz bleich vor Aerger und Zorn, das bläuliche Gestade von Finisterre.

Sie berechnete, daß es wenigstens drei Tage bedürfe, um diese Ecke von Frankreich zu umschiffen und wieder in die Nähe des Kardinals zu gelangen. Hiezu einen Tag für das Ausschiffen gerechnet, machte vier Tage. Fügte sie zu diesen vier Tagen die neun anderen, so kamen dreizehn verlorene Tage heraus, dreizehn Tage, während welcher so viele wichtige Ereignisse in London vorfallen konnten. Sie bedachte, daß der Kardinal ohne Zweifel über ihre Rückkehr wüthend sein würde und folglich viel mehr geneigt wäre, den Klagen Gehör zu schenken, die man gegen sie führen, als den Anschuldigungen, welche sie gegen Andere vorbringen würde. Sie ließ also Lorient und Brest vorübergehen, ohne daß sie bei dem Kapitän auf ihrem Willen beharrte, und dieser hütete sich seinerseits wohl, sie darin zu bestärken. Mylady setzte also ihre Reise fort, und an demselben Tage, wo sich Planchet in Portsmouth nach Frankreich einschiffte, lief die Botin Seiner Eminenz triumphirend in dem Hafen ein.

Die ganze Stadt war in einer außerordentlichen Bewegung. Vier große, in den letzten Tagen erst fertig gewordene Schiffe hatte man vom Stapel laufen lassen. Buckingham stand, mit Gold verbrämt, seiner Gewohnheit gemäß von Diamanten und Edelsteinen funkelnd, den Hut mit einer Feder geschmückt, welche auf seine Schultern herabfiel, von seinem glänzenden Generalstab umgeben, auf dem Hafendamme.

Es war einer von den schönen, seltenen Sommertagen, wo England sich erinnert, daß es eine Sonne gibt. Das bleiche, aber immer noch schimmernde Gestirn ging am Horizont unter, übergoß den Himmel und die See mit Feuerstreifen und warf auf die Thürme und alten Gebäude der Stadt einen letzten goldenen Strahl, der die Scheiben wie der Reflex eines Brandes funkeln machte. Als Mylady diese, in der Nähe des Landes lebhaftere balsamischere Seeluft einathmete, und die ganze Macht dieser Vorbereitungen, welche sie zu zerstören beauftragt war, die ganze Kraft dieses Heeres betrachtete, das sie allein bekämpfen sollte, sie allein mit einigen Säcken Goldes, da verglich sie sich im Geiste mit Judith, der furchtbaren Jüdin, als sie in das Lager der Assyrer drang und die ungeheure Masse von Wagen, Pferden, Menschen und Waffen erblickte, welche eine Bewegung ihrer Hand wie eine Rauchwolke zerstreuen sollte.

Man lief in die Rhede ein; aber als man sich anschickte, daselbst Anker zu werfen, näherte sich ein kleiner, furchtbar bemannter Kutter dem Handelsschiffe und ließ ein Boot in das Meer setzen, das sich sogleich nach der Leiter wandte. Der Offizier allein stieg an Bord, wo er mit der Achtung aufgenommen wurde, welche die Uniform einflößt.

Der Offizier unterhielt sich einige Augenblicke mit dem Patron, ließ ihn einige Papiere lesen, die er bei sich trug, und alle aus dem Schiff befindliche Personen, Matrosen und Passagiere wurden aus das Verdeck gerufen. Als dieser Aufruf geschehen war, fragte der Offizier ganz laut nach dem Auslaufpunkte der Brigg, nach ihrer Route, nach ihren Landungen, und alle diese Fragen wurden von dem Kapitän ohne Zögern und ohne Schwierigkeit beantwortet. Dann ließ der Offizier alle Personen, eine nach der andern, Revue passiren, und als die Reihe an Mylady kam, betrachtete er sie äußerst aufmerksam, aber ohne ein einziges Wort an sie zu richten.«

Dann kehrte er zu dem Kapitän zurück, sagte ihm noch einige Worte und empfahl, als ob das Schiff ihm jetzt zu gehorchen hatte, ein Manöver, das die Mannschaft sogleich ausführte.

Während der Offizier Mylady prüfend anschaute, hatte ihn Mylady ihrerseits, wie sich leicht denken läßt, mit dem Blicke verschlungen. Aber wie sehr auch diese Frau mit den Flammenaugen daran gewöhnt war, in dem Herzen derjenigen zu lesen, deren Geheimnisse zu errathen sie für nothwendig erachtete, so fand sie doch diesmal ein Gesicht von solcher Unbeweglichkeit, daß ihre Forschung keine Entdeckung zur Folge hatte. Der Offizier, welcher vor ihr stehen geblieben war und stillschweigend ihr Aeußeres so sorgfältig studirte, mochte etwa fünfundzwanzig bis sechsundzwanzig Jahre alt sein, und hatte ein weißes Gesicht und blaue, etwas tief liegende Augen. Sein feiner, wohlgezeichneter Mund blieb unbeweglich in seinen untadelhaften Linien, sein kräftiges Kinn deutete jene Willenskraft an, welche in dem gewöhnlichen brittischen Typus nichts Anderes als Halsstarrigkeit ist; eine etwas zurückliegende Stirne, wie sie den Dichtern den Enthusiasten und den Soldaten geziemt, war kaum von einem kurzen Haare beschattet, das sich wie der Bart, welcher den unteren Theil seines Gesichtes bedeckte, durch eine schöne dunkel kastanienbraune Farbe auszeichnete.

Als man in den Hafen einlief, war es bereits Nacht. Der Nebel vermehrte noch die Dunkelheit und bildete um die Leuchten und Laternen des Hafendammes einen Kreis, demjenigen ähnlich, welcher den Mond umgibt, wenn das Wetter regnerisch zu werden droht. Die Luft, welche man einathmete, war trübe, feucht und kalt.

Mylady schauderte trotz all ihrer Stärke.

Der Offizier ließ sich die einzelnen Stücke von Mylady nennen, ihr Gepäck sodann in das Boot bringen, und ersuchte sie, nachdem dieses Geschäft abgemacht war, selbst hinabzusteigen, wobei er seine Hand bot. Mylady schaute diesen Mann an und zögerte.

«Wer seid Ihr, mein Herr, «fragte sie,»der Ihr die Güte habt, Euch so ganz besonders mit mir zu beschäftigen?«»Ihr müßt es wohl an meiner Uniform sehen, Madame. Ich bin englischer Marineoffizier, «antwortete der junge Mann.

«Aber sagt mir, ist es Gewohnheit, daß sich die englischen Marineoffiziere ihren Landsleuten zu Befehl stellen, wenn sie in einem Hafen Großbritanniens ankommen, und ihre Höflichkeit sogar soweit treiben, sie bis ans Land zu begleiten?«

«Ja, Mylady, aber nicht aus Galanterie, sondern aus Klugheit werden die Fremden in Kriegszeiten in ein bestimmtes Gasthaus geführt, damit die Regierung sie überwachen kann, bis man vollständige Auskunft über sie erhalten hat.«

Diese Worte wurden mit der größten Artigkeit und der vollkommensten Ruhe ausgesprochen, aber sie waren nicht im Stande, Mylady zu überzeugen.

«Ich bin keine Fremde, mein Herr, «sagte sie mit dem reinsten Accente, der je zwischen Portsmouth und Manchester erklang.»Ich heiße Lady Winter, und diese Maßregel…«

«Diese Maßregel ist allgemein, Mylady, und Ihr würdet es vergeblich versuchen. Euch derselben zu entziehen.«

«Ich folge Euch also, mein Herr.«

Und die Hand des Offiziers ergreifend, fing sie, an die Treppe hinabzusteigen, unter der das Boot wartete. Der Offizier folgte ihr; ein großer Mantel war auf dem Hintertheil ausgebreitet; der Offizier ließ sie auf den Mantel sitzen und setzte sich neben sie.

«Fahrt zu, «sprach er zu den Matrosen.

Die acht Ruder sielen geräuschvoll in das Meer, ließen nur einen gleichzeitigen Schlag hören, und das Boot schien aus der Oberfläche des Wassers hinzufliegen.

Nach fünf Minuten hatte man das Land erreicht. Der Offizier sprang auf das Quai und bot Mylady seine Hand.

Ein Wagen wartete.

«Ist dieser Wagen für uns?«fragte Mylady.

«Ja, Madame, «antwortete der Offizier.

«Das Gasthaus ist also sehr entfernt?«

«Am andern Ende der Stadt.«

«Vorwärts!«rief Mylady und stieg entschlossen in den Wagen. Der Officier wachte darüber, daß das Gepäcke gut hinter dem Kasten befestigt wurde, nahm, als dies geschehen war, seinen Platz neben Mylady und schloß den Kutschenschlag.

Sogleich, ohne daß ein Befehl gegeben war und ohne daß man ihm die Bestimmung anzugeben hatte, setzte der Kutscher seine Pferde in Galopp und fuhr in die Straßen der Stadt.

Eine so seltsame Aufnahme mußte Mylady reichlichen Stoff zum Nachdenken bieten. Als sie sah, daß der junge Officier keineswegs geneigt schien, ein Gespräch anzuknüpfen, lehnte sie sich in eine Ecke des Wagens und ließ alle Vermuthungen, welche in ihrem Geist auftauchten, eine nach der andern Revue passiren.

Erstaunt über die Länge des Weges, neigte sie sich jedoch nach Verlauf einer Viertelstunde aus dem Kutschenschlage heraus, um zu sehen, wohin man sie führe. Man erblickte keine Häuser mehr; Bäume erschienen in der Finsterniß, wie große, schwarze, einander nachlaufende Gespenster.

Mylady bebte.

«Aber wir sind nicht mehr in der Stadt, mein Herr, «sagte sie.

Der Officier beobachtete dasselbe Stillschweigen.

«Ich gehe nicht weiter, wenn Ihr mir nicht sagt, wohin Ihr mich führt, das erkläre ich Euch, mein Herr.«

Diese Drohung erhielt keine Antwort.

«Ah, das ist zu stark!«rief Mylady.»Zu Hülfe! zu Hülfe!«

Keine Stimme antwortete der ihrigen. Der Wagen rollte mit derselben Geschwindigkeit fort. Der Officier schien eine Bildsäule.

Mylady fixirte den Officier mit dem ihr eigenthümlichen furchtbaren Ausdruck, der nur selten seine Wirkung verfehlte. Der Zorn machte ihre Augen in der Finsterniß funkeln.

Der junge Mann blieb unbeweglich.

Mylady wollte den Kutschenschlag öffnen und hinausspringen.

«Nehmt Euch in Acht, Madame, «sagte der junge Mann kalt.»Ihr tötet Euch, wenn Ihr springt.«

Mylady setzte sich schäumend wieder zurück. Der Officier neigte sich vor, schaute sie ebenfalls an und schien erstaunt, als er dieses kurz zuvor noch so schöne Gesicht durch die Wuth ganz verstört und beinahe häßlich geworden sah. Die schlaue Person begriff, daß sie sich ins Verderben stürzte, wenn sie so in ihre Seele blicken ließ. Sie suchte ihre Züge wieder aufzuheitern und sprach mit seufzender Stimme:

«Um Gotteswillen, mein Herr, sagt mir, ob ich Euch, Eurer Regierung oder einem Feinde die Gewalt zuzuschreiben habe, die man mir anthut?«

«Man thut Euch keine Gewalt an, Madame, und was Euch widerfährt, ist die Folge einer ganz einfachen Maßregel, die wir bei Allen zu nehmen genöthigt sind, welche in England landen.«

«Also kennt Ihr mich nicht?«

«Es ist das erste Mal, daß ich die Ehre habe, Euch zu sehen.«

«Und auf Euer Wort, Ihr habt keinen Grund des Hasses gegen mich?«

«Keinen, ich schwöre Euch.«

Es lag so viel Offenheit, Kaltblütigkeit und sogar Sanftmuth in der Stimme des jungen Mannes, daß Mylady beruhigt wurde.

Nachdem man ungefähr eine Stunde gefahren war, hielt der Wagen vor einem eisernen Gitter stille, das einen Hohlweg verschloß, welcher nach einem massiven Schlosse von ernstem Aussehen führte. Als nun die Räder auf einem zarten Sande hinliefen, hörte Mylady ein dumpfes Geräusch, das sie als ein Brausen der See erkannte, welche sich an einem abschüssigen Gestade brach.

Der Wagen lief unter zwei Gewölben hin und hielt endlich in einem düstern viereckigen Hofe. Beinahe in demselben Augenblicke öffnete sich der Kutschenschlag, der junge Mann sprang leicht heraus und bot Mylady seine Hand. Sie stützte sich darauf und stieg mit ziemlich viel Ruhe aus.

«Es wird mir immer klarer, «sprach Mylady, indem sie um sich schaute und ihre Augen dann mit dem anmuthigsten Lächeln der Welt auf den jungen Officier richtete, es wird mir immer klarer, daß ich eine Gefangene bin. Aber ich werde es nicht lange bleiben, das weiß ich gewiß, «fügte sie bei.»Mein Gewissen und Eure Artigkeit, mein Herr, bürgen mir hiefür.«

So schmeichelhaft auch dieses Kompliment war, so antwortete doch der Officier nicht, sondern zog aus seinem Gürtel eine kleine silberne Pfeife hervor, derjenigen ähnlich, welcher sich die Hochbootsleute auf Kriegsschiffen bedienen, und pfiff dreimal auf drei verschiedene Modulationen; sogleich erschienen mehrere Männer, spannten die Pferde aus und führten den Wagen unter eine Remise.

Der Officier forderte, stets mit derselben ruhigen Höflichkeit, seine Gefangene auf, in das Haus einzutreten. Diese nahm, fortwährend mit demselben lächelnden Gesichte, seinen Arm und trat mit ihm unter eine niedrige Thüre, welche durch ein nur im Hintergrund beleuchtetes Gewölbe nach einer steinernen Treppe führte; dann blieb man vor einer zweiten starken Thüre stehen, die sich, nachdem der junge Mann sie mit einem Schlüssel aufgeschlossen hatte, den er bei sich trug, schwerfällig auf ihren Angeln drehte und das für Mylady bestimmte Zimmer öffnete.

Mit einem einzigen Blick hatte die Gefangene das Zimmer in seinen kleinsten Einzelnheiten überschaut.

Es war eine Stube, deren Geräthe ein für ein Gefängniß reinliches, anständiges, für die Wohnung eines freien Menschen aber strenges Aussehen hatte. Die eisernen Stangen an den Fenstern und die Riegel an der Thüre entschieden jedoch den Prozeß zu Gunsten des Gefängnisses. Einen Augenblick wurde dieses Geschöpf, das seine Kraft in so mächtigen Quellen gestählt hatte, von aller Seelenstärke verlassen. Sie fiel auf einen Stuhl zurück, kreuzte die Arme, ließ den Kopf sinken und erwartete jeden Augenblick, es werde ein Richter erscheinen, um sie zu verhören.

Aber es kam Niemand, außer zwei oder drei Marinesoldaten, welche die Koffer und Kisten brachten, diese in eine Ecke niederstellten, und sich dann entfernten, ohne ein Wort zu sprechen.

Der Officier wohnte allen diesen Verrichtungen mit derselben Ruhe bei, welche Mylady beständig an ihm wahrgenommen hatte, sprach selbst kein Wort und verschaffte sich durch eine Handbewegung oder einen Ton seiner Pfeife Gehorsam.

Man hätte glauben sollen, zwischen diesem Mann und seinen Untergebenen bestehe die Sprache nicht, die man mit der Zunge spricht, oder sie sei überflüssig geworden. Endlich konnte Mylady nicht mehr länger an sich halten. Sie unterbrach das Stillschweigen und rief:

«Um Gottes willen, mein Herr, was soll das Alles bedeuten? Macht meiner Unruhe ein Ende. Ich habe Muth, jeder Gefahr, die ich vorher sehe, jedem Unglück, das ich begreife, zu trotzen. Wo bin ich und was bin ich? Bin ich frei? Warum diese eisernen Stangen und diese Thüren? Bin ich eine Gefangene? Welches Verbrechen habe ich begangen?«

«Ihr seid hier in der für Euch bestimmten Wohnung, Madame. Ich habe Befehl erhalten. Euch auf der See abzuholen und in dieses Schloß zu bringen. Diesen Befehl habe ich, wie ich glaube, mit aller Strenge eines Soldaten, aber zugleich mit aller Höflichkeit eines Edelmanns vollzogen. Hiemit endigt sich, wenigstens für jetzt, der Auftrag, den ich bei Euch zu erfüllen habe, das Uebrige geht eine andere Person an.«

«Und die andere Person, wer ist sie?«fragte Mylady.»Könnt Ihr mir nicht ihren Namen sagen?«

In diesem Augenblick vernahm man auf der Treppe ein gewaltiges Sporengeklirr, einige Stimmen machten sich im Vorübergehen hörbar und verhallten dann wieder. Das Geräusch eines einzelnen Trittes näherte sich der Thüre.

«Hier ist sie, Madame, «sagte der Officier, den Gang öffnend und eine ehrfurchtsvolle Stellung nehmend.

Zu gleicher Zeit erschien ein Mann auf der Schwelle: er war ohne Hut, trug einen Degen an seiner Seite und zerknitterte ein Sacktuch zwischen seinen Fingern.

Mylady glaubte diesen Schatten im Schatten zu erkennen. Sie stützte sich mit einer Hand auf den Arm eines Lehnsessels und reckte den Kopf, um einer Gewißheit entgegen zu gehen.

Der Fremde näherte sich langsam; sobald er in den von der Lampe geworfenen Lichtkreis eintrat und näher kam, wich Mylady unwillkürlich zurück. Als ihr kein Zweifel mehr übrig blieb, rief sie mit dem höchsten Erstaunen:

«Wie, mein Bruder, Ihr seid es?«—»Ja, schöne Dame, «antwortete Lord Winter mit einer halb höflichen, halb ironischen Verbeugung;»ich bin es.«—»Aber dieses Schloß?«—»Gehört mir.«—»Dieses Zimmer?«—»Ist das Eure.«—»Und ich bin also eine Gefangene?«—»Ungefähr.«—»Aber das ist ein ganz abscheulicher Mißbrauch der Gewalt.«—»Keine großen Worte! Setzen wir uns und plaudern wir ruhig mit einander, wie es sich zwischen Bruder und Schwester geziemt.«

Dann wandte er sich nach der Thüre um und sagte, als er sah, daß der junge Offizier auf seine letzten Befehle wartete:»Es ist gut, ich danke Euch, laßt uns nun allein, Herr Felton.«

XXII. Plauderei eines Bruders und einer Schwester

Während Lord Winter die Thüre schloß, einen Laden aufstieß und einen Stuhl näher zu dem seiner Schwägerin rückte, senkte Mylady träumerisch ihren Blick in die Tiefen der Möglichkeit und entdeckte den ganzen Faden, den sie nicht von ferne geahnt hatte, so lange sie nicht wußte, in welche Hände sie gefallen war. Sie kannte ihren Schwager als einen guten Edelmann, als einen treuherzigen Jäger, als einen unerschrockenen Spieler, unternehmend bei Frauen, aber von weniger als mittelmäßigem Intriguirtalent. Wie war es ihm gelungen, ihre Ankunft zu entdecken, sie ergreifen zu lassen? und warum hielt er sie fest?

Athos hatte ihr wohl einige Worte gesagt, woraus hervorging, daß ihr Gespräch mit dem Kardinal in fremde Ohren gefallen war, aber sie konnte nicht glauben, daß er so geschickt und so rasch eine Gegenmine zu graben vermocht habe. Sie fürchtete vielmehr, ihre früheren Operationen in England möchten entdeckt worden sein. Buckingham konnte errathen haben, daß sie die zwei Nestelstifte abgeschnitten hatte, und wollte sich für diesen kleinen Verrath rächen. Aber Buckingham war unfähig, sich zu irgend einer harten Maßregel gegen eine Frau verleiten zu lassen, besonders wenn man glauben konnte, diese Frau werde zu ihren Handlungen durch ein Gefühl von Eifersucht getrieben.

Diese Vermuthung kam ihr als die wahrscheinlichste vor. Sie glaubte, man wolle sich für die Vergangenheit rächen und nicht der Zukunft entgegentreten. In dem Fall beglückwünschte sie sich, daß sie in die Hände ihres Schwagers gefallen war, bei dem sie jedenfalls leichteren Kaufes durchzukommen wähnte, als wenn sie in die Hände eines unmittelbaren und gescheiteren Feindes gerathen wäre.

«Ja, plaudern wir, mein Bruder, «sagte sie mit einer Art von Vergnügen, entschlossen, sich trotz aller Verstellung, mit der Lord Winter dabei zu Werke gehen könnte, aus dem Gespräch die nötige Aufklärung zu verschaffen, um ihr Benehmen darnach einzurichten.

«Ihr habt Euch also entschlossen, nach England zurückzukehren, «sagte Lord Winter, obschon Ihr mir in Paris so oft erklärt habt, daß Ihr das Gebiet Großbritanniens nie wieder betreten würdet?«

Mylady beantwortete die Frage mit einer Gegenfrage.

«Erklärt mir vor Allem, «sagte sie,»wie Ihr mich habt so scharf beobachten lassen, daß Ihr nicht allein von meiner Ankunft, sondern auch von dem Tag, der Stunde, und dem Hafen, wo ich eintraf, benachrichtigt wäret?«

Lord Winter nahm dieselbe Taktik an, wie Mylady. Er glaubte, da sie diese angewendet hatte, müßte sie die richtige sein.

«Sagt Ihr mir, meine liebe Schwester, «versetzte er,»was Ihr in England thun wolltet?«

«Ich komme nur um Euch zu besuchen, «erwiderte Mylady, ohne zu wissen, wie sehr sie durch diese Antwort den Verdacht erschwerte, den der Brief d'Artagnans bei ihrem Schwager erregt hatte, und nur in der Absicht, das Wohlwollen ihres Zuhörers durch eine Lüge zu gewinnen.

«Um mich zu besuchen?«fragte Lord Winter.

«Allerdings, um Euch zu besuchen. Was ist daran zu verwundern?«

«Und Ihr hattet keinen andern Zweck bei Eurer Reise nach England, als den, mich zu sehen?«

«Nein!«

«Also habt Ihr Euch nur allein mir zu Liebe die Mühe gegeben, über den Kanal zu fahren?«

«Allerdings.«

«Teufel, welche Zärtlichkeit, meine Schwester!«

«Bin ich denn nicht Eure nächste Verwandte?«fragte Mylady im Ton der rührendsten Naivetät.

«Und sogar meine einzige Erbin, nicht wahr?«sagte Lord Winter, seine Augen auf die von Mylady heftend,»das heißt durch Euern Sohn!«

Welche Macht auch Mylady über sich selbst besaß, so konnte sie sich doch eines Bebens nicht enthalten, und da Lord Winter bei den letzten Worten seine Hand auf den Arm seiner Schwester gelegt hatte, so entging ihm dieses Beben nicht.

Der Schlag kam in der That unmittelbar und ging tief. Der erste Gedanke, welcher sich bei Mylady regte, war, daß Ketty sie verrathen und dem Baron den habsüchtigen Haß mitgetheilt habe, den sie unkluger Weise vor ihrer Kammerjungfer hatte laut werden lassen. Und sie erinnerte sich auch des wüthenden Ausfalls, den sie gegen d'Artagnan gemacht hatte, als er ihrem Schwager das Leben rettete.

«Ich begreife nicht, Mylord, «sagte sie, um Zeit zu gewinnen und ihren Gegner zum Sprechen zu bringen.»Was sollen Eure Worte bedeuten? Ist vielleicht ein unbekannter Sinn darunter verborgen?«

«Oh! mein Gott, nein, «erwiderte Lord Winter mit scheinbarer Gutmüthigkeit.»Ihr habt das Verlangen, mich zu sehen und kommt nach England. Ich erfahre von diesem Verlangen oder ich vermuthe vielmehr, daß Ihr es fühlt, und um Euch alle Unannehmlichkeiten einer nächtlichen Ankunft in einem Hafen, alle Anstrengungen des Ausschiffens zu ersparen, stelle ich Euch einen Wagen zur Verfügung. Er führt Euch hieher in dieses Schloß, dessen Gouverneur ich bin, und ich habe, da ich jeden Tag an diesen Ort komme, zur vollständigen Befriedigung unseres beiderseitigen Verlangens, einander zu sehen, ein Zimmer für Euch einrichten lassen. Wie könnte man sich darüber mehr verwundern, als über das, was Ihr mir gesagt habt?«

«Nein, ich staune nur darüber, daß Ihr von meiner Ankunft zuvor benachrichtigt gewesen seid.«

«Das ist jedoch die allereinfachste Sache, meine liebe Schwester. Ihr konntet wohl sehen, daß der Kapitän Eures kleinen Fahrzeuges, ehe er in die Rhede einlief, um die Erlaubniß zur Hafeneinfahrt zu erlangen, einen Nachen vorausschickte, der sein Logbuch und sein Mannschaftsregister überbrachte. Ich bin Hafenkommandant und man übergab mir dieses Buch, in welchem ich Euren Namen erkannte. Mein Herz sagte mir, was mir Euer Mund so eben bestätigt hat; es sagte mir, in welcher Absicht Ihr Euch den Beschwerden eines so gefährlichen oder wenigstens in diesem Augenblick so ermüdenden See aussetztet, und ich schickte Euch meinen Kutter entgegen. Das Uebrige wißt Ihr.«

Mylady sah wohl, daß Lord Winter die Unwahrheit sprach, und gerieth darum nur noch mehr in Schrecken.

«Mein Bruder, «fuhr sie fort,»war es nicht Mylord Buckingham, den ich diesen Abend auf dem Hafendamme sah?«

«Er selbst. Oh! ich begreife, daß Ihr bei seinem Anblick betreten wäret, «versetzte Lord Winter.»Ihr kommt aus einem Lande, wo man sich viel mit ihm beschäftigen muß, und ich weiß, daß seine Rüstungen gegen Frankreich Euern Freund, den Kardinal, sehr beunruhigen.«

«Meinen Freund, den Kardinal!«rief Mylady, als sie einsah, daß Mylord Winter über diesen Punkt, wie über den anderen vollständig unterrichtet schien.

«Ist er nicht Euer Freund?«erwiderte der Baron mit gleichgültigem Ton.»Ah, um Vergebung, ich glaubte es. Doch wir werden später auf Mylord Herzog zurückkommen. Wir wollen uns nicht von der sentimentalen Wendung entfernen, welche das Gespräch genommen hatte. Ihr sagtet, Ihr kämet, um mich zu sehen?«

«Ja.«

«Nun wohl, ich antwortete Euch, Ihr sollt nach Wünschen bedient werden und wir werden uns jeden Tag sehen.«

«Soll ich also ewig hier bleiben?«fragte Mylady mit einem gewissen Schrecken.

«Wenn Euch diese Wohnung schlecht vorkommt, meine Schwester, so verlangt, was Euch fehlt, und ich werde mich beeilen, es Euch geben zu lassen.«

«Ich habe meine Frauen, meine Leute nicht bei mir.«

«Ihr sollt Alles das haben, Madame. Sagt mir, auf welchem Fuße Euer erster Gatte Euer Haus eingerichtet hatte, und ich werde es, obgleich ich nur Euer Schwager bin, auf demselben Fuß einrichten.«

«Mein erster Gatte!«rief Mylady und schaute Lord Winter mit verstörten Augen an.

«Ja, Euer französischer Gatte! ich spreche nicht von meinem Bruder. Uebrigens wenn Ihr es vergessen habt, könnte ich ihm, da er noch lebt, schreiben, und er wird mir wohl Auskunft über diesen Gegenstand geben.«

Ein kalter Schweiß perlte auf der Stirne Mylady's.

«Ihr spottet, «sagte sie mit dumpfer Stimme.

«Sehe ich so aus?«fragte der Baron, indem er aufstand und einen Schritt zurückging.

«Oder vielmehr, Ihr beleidigt mich, «fuhr sie fort, indem sie mit ihren krampfhaften Händen die zwei Arme des Lehnstuhls drückte und sich auf den Faustgelenken zu erheben suchte.

«Euch beleidigen! ich?«sagte Lord Winter verächtlich.»In der That, Madame, glaubt Ihr, dies sei möglich?«

«Mein Herr, «sprach Mylady,»Ihr seid entweder betrunken oder wahnsinnig. Geht und schickt mir meine Frauen.«

«Diese Frauen sind sehr indiskret, meine Schwester. Könnte ich Euch nicht als Hofe dienen? Auf diese Art blieben alle unsere Geheimnisse in der Familie.

«Unverschämter!«rief Mylady, und als ob sie von einer Feder emporgeschnellt würde, sprang sie gegen den Baron, der sie ganz ruhig erwartete, obschon er mit einer Hand an seinen Degen griff.

«Ei, ei, «sagte er,»ich weiß, daß Ihr die Gewohnheit habt, die Leute zu ermorden, aber ich werde mich vertheidigen, das sage ich Euch, und wäre es auch gegen Euch.«

«Oh! Ihr habt Recht, «sprach Mylady,»Ihr kommt mir feig genug vor, um Hand an eine Frau zu legen.«

«Wenn dies geschähe, so wäre ich entschuldigt. Meine Hand wäre übrigens nicht die erste Männerhand, die sich an Euch gelegt hätte, denke ich.«

Und der Baron deutete mit einer langsamen, anschuldigenden Geberde auf die linke Schulter Mylady's, die er beinahe mit dem Finger berührte.

Mylady stieß ein dumpfes Röcheln aus und wich bis in die Ecke des Zimmers zurück, wie ein Panther, der sich anstemmt, um seinen Sprung zu machen.

«O brüllt, so lange Ihr wollt, «rief Lord Winter,»aber versucht nicht, zu beißen, denn ich sage Euch, die Sache würde zu Eurem Nachtheil ausfallen; es gibt hier keine Procuratoren, welche die Erbfolge zum voraus ordnen; es gibt hier keinen fahrenden Ritter, der der schönen Dame zu Liebe, welche ich gefangen halte, Streit mit mir anfangen würde; aber ich habe ganz in der Nähe Richter, welche über eine Frau urtheilen werden, die schamlos genug ist, durch eine Doppelehe in die Familie Lord Winters, meines älteren Bruders, einzudringen, und diese Richter werden Euch einem Henker überliefern, der Eure beiden Schultern gleichmacht.«

Mylady's Augen schleuderten so mächtige Blitze, daß Lord Winter, obgleich er Mann war und bewaffnet vor einer wehrlosen Frau stand, die Kälte der Furcht bis in die Tiefe seiner Seele fühlte. Nichtsdestoweniger fuhr er mit wachsendem Grimme fort:

«Ja, ich begreife, nachdem Ihr meinen Bruder beerbt habt, wäre es Euch angenehm gewesen, auch mich zu beerben. Aber wißt zum Voraus, Ihr könnt mich tödten oder tödten lassen, meine Vorsichtsmaßregeln sind getroffen. Nicht ein Penny von dem, was ich besitze, soll in Eure oder in Eures Sohnes Hände übergehen. Seid Ihr nicht reich, besitzt Ihr nicht beinahe eine halbe Million, und könntet Ihr nicht auf Eurem unseligen Pfad stille stehen, wenn Ihr nicht das Böse aus grenzenloser Lust verübtet? Oh! ich sage Euch, wenn mir das Andenken an meinen Bruder nicht heilig wäre, müßtet Ihr in einem Staatsgefängnisse vermodern oder in Tyburn die Neugierde der Matrosen befriedigen! Ich werde schweigen, aber Ihr müßt Eure Gefangenschaft ruhig ertragen. In vierzehn Tagen bis drei Wochen gehe ich mit dem Heere nach La Rochelle ab, doch am Vorabend meiner Abreise holt Euch ein Schiff, dessen Abfahrt ich noch ansehen werde, und das Euch nach unsern Kolonien im Süden führt, und seid unbesorgt, ich gebe Euch einen Gesellschafter, der Euch bei dem ersten Versuche, den Ihr wagt, um nach England oder auf den Kontinent zurückzukommen, über den Haufen schießen wird.«

Mylady hörte mit einer Aufmerksamkeit, wobei sich ihre entflammten Augen immer mehr erweiterten.

«Ja, aber vorläufig, «fuhr Lord Winter fort,»bleibt Ihr in diesem Schlosse. Die Mauern desselben sind dick, die Thüren stark, die Gitter fest und überdies geht Euer Fenster gerade auf die See hinab. Die Leute von meiner Schiffsmannschaft, welche mir auf Leben und Tod ergeben sind, werden um diese Wohnung her aufgestellt und bewachen alle Zugänge, welche zu dem Hof führen. Wäret Ihr auch im Hof, so müßtet Ihr noch durch drei Gitter gelangen. Der Befehl ist genau. Ein Schritt, eine Geberde, ein Wort, woraus sich auf einen Entweichungsversuch schließen ließe, und man gibt Feuer auf Euch. Tödtet man Euch, so hat die englische Justiz mir Dank zu sagen, daß ich ihr ein Geschäft erspart habe. Ah, Eure Züge nehmen ihre Ruhe wieder an. Euer Antlitz gewinnt wieder seine Sicherheit. Zehn Tage, vierzehn Tage, sagt Ihr? bah! bis dahin wird mir ein Gedanke kommen: ich habe einen erfindungsreichen, einen höllischen Geist, und werde schon irgend ein Opfer treffen. In vierzehn Tagen von heute an, sagt Ihr Euch, werde ich ferne von hier sein. Versucht es einmal!«

Als sich Mylady verrathen sah, preßte sie sich die Nägel in das Fleisch, um jede Bewegung zu bewältigen, welche ihrer Physiognomie irgend einen andern Ausdruck, als den des Schreckens hätte geben können.

Lord Winter fuhr fort.

«Den Officier, welcher allein hier in meinem Namen kommandirt, habt Ihr gesehen und kennt ihn also bereits. Ihr konntet wahrnehmen, daß er einem Befehle zu gehorchen weiß: denn Ihr seid nicht von Portsmouth hierher gekommen, ohne den Versuch zu machen, ihn zum Sprechen zu bringen. Was sagt Ihr von ihm? Hätte eine Marmorstatue unempfindlicher, stummer sein können? Ihr habt die Macht Eurer Verführungsmittel schon an vielen Männern versucht und leider ist es Euch stets gelungen. Versucht sie auch bei diesem, und wenn Ihr zu Eurem Ziele kommt, so erkläre ich Euch für den Teufel selbst.«

Er ging nach der Thüre und öffnete sie heftig.

«Man rufe mir Herrn Felton!«sagte er.»Wartet noch ein wenig und ich werde Euch ihm empfehlen.«

Es herrschte einen Augenblick ein seltsames Stillschweigen zwischen diesen zwei Personen, und inzwischen hörte man das Getöne eines langsamen regelmäßigen Schrittes, der sich dem Zimmer näherte.

Bald sah man im Schatten der Hausflur eine menschliche Gestalt, und der junge Lieutenant, mit dem wir bereits Bekanntschaft gemacht Haben, erschien, die Befehle des Barons erwartend, auf der Schwelle.

«Tretet ein, mein lieber John, «sprach Lord Winter,»tretet ein und schließt die Thüre.«

Der junge Offizier trat ein.

«Schaut nun diese Frau an, «sagte der Baron,»sie ist jung, sie ist schön, alle Verführungsmittel der Welt stehen ihr zu Gebot. Hört wohl, sie ist ein Ungeheuer, das sich mit fünfundzwanzig Jahren so vieler Verbrechen schuldig gemacht hat, als Ihr in einem Jahre in den Archiven unserer Tribunale lesen könnt. Ihre Stimme nimmt zu ihren Gunsten ein, ihre Schönheit dient als Köder für ihre Opfer. Sie wird Euch zu verführen, vielleicht sogar zu tödten versuchen. Ich habe Euch aus dem Elend gezogen, Felton, ich habe Euch zum Lieutenant ernennen lassen, ich habe Euch einmal das Leben gerettet, Ihr wißt, bei welcher Gelegenheit. Ich bin Euch nicht nur ein Beschützer, sondern ein Freund, nicht nur ein Wohlthäter, sondern ein Vater. Diese Frau ist nach England gekommen, um gegen mein Leben zu conspiriren. Ich halte diese Schlange in meinen Händen; ich habe Euch rufen lassen und sage Euch: Freund Felton, John, mein Junge, hüte Dich und mich vor dieser Frau. Schwöre mir bei Deinem Seelenheil, sie für die verdiente Strafe aufzubewahren. Felton, ich baue auf Dein Wort, John Felton, ich glaube an Deine Rechtschaffenheit.«

«Mylord, «erwiderte der junge Offizier, sein reines Auge mit allem Hasse füllend, den er in seinem Herzen finden konnte;»Mylord, ich schwöre Euch, daß ich thun werde, wie Ihr wünscht.«

Mylady nahm diesen Blick wie ein in ihr Schicksal ergebenes Opfer auf. Man könnte unmöglich einen unterwürfigeren und sanfteren Ausdruck sehen, als den, welcher jetzt auf ihrem schönen Antlitz herrschte.

Kaum erkannte Lord Winter in ihr die Tigerin, die er einen Augenblick vorher zu bekämpfen sich anschickte.

«Sie wird dieses Zimmer nie verlassen, hört Ihr wohl, John, «fuhr der Baron fort,»sie wird mit Niemand Briefe wechseln, sie wird nur mit Euch sprechen, wenn Ihr überhaupt Euch herablassen wollt, ein Wort an sie zu richten.«

«Es ist genug, Mylord, ich habe geschworen.«

«Und nun, Madame, «sprach der Baron,»und nun versucht es. Euren Frieden mit Gott zu machen, denn von den Menschen seid Ihr gerichtet.«

Mylady ließ das Haupt sinken, als ob sie durch dieses Urtheil zu Boden getreten wäre. Lord Winter entfernte sich mit einer Geberde gegen Felton, der ihm folgte und die Thüre schloß.

Einen Augenblick nachher hörte man in der Flur den schweren Gang eines Marinesoldaten, der mit seiner Axt in der Hand Wache stand.

Mylady verharrte einige Minuten in derselben Stellung, denn sie meinte, man könne sie durch das Schlüsselloch beobachten. Dann hob sie sachte das Haupt, das einen furchtbar drohenden, trotzigen Ausdruck angenommen hatte. Sie lief an die Thüre, um zu horchen, schaute durch das Fenster und begrub sich wieder in einen weiten Lehnstuhl.

Sie überlegte.

XXIII. Offizier!

Richelieu erwartete mittlerweile Kunde aus England.

Aber es kam keine Nachricht, außer unangenehmen, bedrohlichen. So gut La Rochelle eingeschlossen war, so sicher der Erfolg durch die Maßregeln, die man ergriffen, und besonders durch den Damm erscheinen durfte, der keine Barke mehr in die belagerte Stadt eindringen ließ, so konnte die Blokade doch noch lange Zeit dauern, und das war eine große Schmach für die Waffen des Königs und eine große Last für den Herrn Kardinal, der allerdings nicht mehr Ludwig XIII. mit Anna von Oesterreich zu veruneinigen hatte, was bereits abgemacht war, wohl aber Herrn von Bassompierre versöhnen sollte, der sich mit dem Herzog von Angoulème entzweit hatte.

Die Stadt hatte trotz der unglaublichen Beharrlichkeit ihres Bürgermeisters eine Meuterei versucht, um sich zu ergeben. Der Bürgermeister ließ die Meuterer hängen. Die Strafe brachte die schlimmsten Köpfe zur Ruhe, und sie ergaben sich jetzt in die Aussicht auf den Hungertod, der immerhin langsamer und auch nicht so schrecklich gewiß war, als die Erdrosselung.

Von Zeit zu Zeit erwischten die Belagerer Boten, welche die Rocheller an Buckingham schickten, oder Spione, welche Buckingham an die Rocheller absandte.

Im einen wie im andern Fall war der Proceß schnell abgemacht. Der Kardinal sprach das einzige Wort: Gehenkt! Man lud den König ein, das Hängen mit anzusehen; der König kam kraftlos herbei und wählte sich einen guten Platz, um die Operation in allen ihren Einzelnheiten anschauen zu können. Dies gewährte ihm stets einige Zerstreuung, aber er langweilte sich dessenungeachtet und sprach alle Augenblicke von einer Rückkehr nach Paris, so daß Seine Eminenz wenn es an Boten und Spionen gefehlt hätte, trotz ihrer Einbildungskraft in große Verlegenheit gerathen wäre.

Nichtsdestoweniger ging die Zeit vorüber, und die Rocheller ergaben sich nicht. Der letzte Spion, den man auffing, war der Ueberbringer eines Briefes. Dieser Brief sagte allerdings Buckingham, daß die Stadt jetzt in der äußersten Noth sei, aber statt des Beisatzes:»Wenn Eure Hülfe nicht vor vierzehn Tagen eintrifft, werden wir uns ergeben, «war ganz einfach beigefügt:»Wenn Eure Hülfe nicht vor vierzehn Tagen eintrifft, werden wir bei Eurer Erscheinung sammt und sonders verhungert sein. «Die Rocheller setzten ihre Hoffnung also auf Buckingham. Buckingham war ihr Messias. Hätten sie eines Tages auf eine sichere Weise erfahren, daß sie nicht mehr auf Buckingham rechnen dürften, so wäre offenbar ihr Muth mit der Hoffnung gesunken.

Der Kardinal erwartete also mit großer Ungeduld Nachrichten aus England, die ihm melden würden, daß Buckingham nicht komme.

Die Frage, ob man die Stadt nicht stürmen solle, wurde oft im Rathe des Königs verhandelt. Einmal schien La Rochelle uneinnehmbar, und dann wußte der Kardinal, was er auch gesagt haben mochte, gar wohl, daß das bei einem solchen Zusammentreffen, wo Franzosen gegen Franzosen kämpfen sollten, vergossene Blut einen Schrecken einjagen mußte, der für die Politik eine retrograde Bewegung von sechszig Jahren bedeutete, und Richelieu war um diese Zeit, was man heut zu Tage einen Mann des Fortschrittes nennt. In der That hatten im Jahr 1628 die Plünderung von La Rochelle und die Ermordung von drei bis viertausend Hugenotten, welche sich tödten ließen, viel Aehnlichkeit mit dem Gemetzel der Bartholomäusnacht im Jahre 1572. Dieses Mittel, das dem König, einem guten Katholiken, keineswegs widerstrebte, scheiterte stets an der Behauptung der belagernden Generale;»La Rochelle ist auf keine andere Weise, als durch den Hunger zu nehmen.«

Der Kardinal konnte nicht über die Angst hinweg kommen, worein seine furchtbare Emissärin ihn versetzte; denn auch er hatte die seltsamen Verhältnisse dieser Frau begriffen, die bald eine Schlange, bald eine Löwin war. Hatte sie ihn verrathen? war sie todt? Er kannte sie hinreichend, um zu wissen, daß sie, für oder gegen ihn handelnd, Freundin oder Feindin, ohne große Hindernisse nicht unbeweglich blieb. Aber von welcher Seite kamen diese Hindernisse? Das war es, was er nicht wissen konnte.

Uebrigens zählte er auf Mylady, und zwar mit Recht. Er hatte in der Vergangenheit dieser Frau gewisse Dinge errathen, die nur sein rother Mantel bedecken konnte; und er fühlte, daß diese Frau ihm aus dem einen oder dem andern Grunde zugethan war, da nur er allein sie in der Gefahr, von der sie bedroht war, mächtig beschützen konnte.

Er beschloß also, den Krieg ganz allein zu führen und einen von außen kommenden Erfolg nur so zu erwarten, wie man einen günstigen Zufall erwartet. Er ließ an dem furchtbaren Damm, welcher La Rochelle aushungern sollte, weiter bauen, und warf mittlerweile seine Augen auf die unglückliche Stadt, welche so viel tiefes Elend, so viel heldenmüthige Tugenden in sich schloß; er erinnerte sich dabei des Wortes von Ludwig XI., seinem politischen Vorgänger, wie er selbst der Vorgänger von Robespierre war. Er erinnerte sich der Maxime von Gevatter Tristan:»Divide et impera.«

Als Heinrich IV. Paris belagerte, ließ er Brod und Lebensmittel über die Mauern werfen. Der Kardinal ließ kleine Zettel hinüberwerfen, in welchen er den Rochellern vorstellte, wie ungerecht, selbstsüchtig und barbarisch das Verfahren ihrer Häupter sei. Diese Häupter hatten Getreide im Ueberfluß und vertheilten es nicht. Sie nahmen als Grundsatz an, denn sie hatten Grundsätze, daß wenig daran liege, ob die Weiber, Kinder und Greise umkommen, wenn nur die Männer, welche die Mauern verteidigen sollten, stark und gesund bleiben. Bis jetzt war dieser Grundsatz, sei es aus Ergebenheit, sei es, weil jede Auflehnung vergeblich gewesen wäre, ohne allgemein anerkannt zu werden, von der Theorie zur Praxis übergegangen: aber durch die erwähnten Zettel geschah ein Angriff auf denselben. Diese Zettel erinnerten die Männer daran, daß die Kinder, Weiber und Greise, die man sterben ließ, ihre Söhne, Frauen und Väter waren; daß es billiger wäre, wenn jeder dem allgemeinen Elend unterworfen würde, damit die Gleichmäßigkeit der allgemeinen Lage auch Einhelligkeit in den Beschlüssen herbeiführen müßte.

Aber in dem Augenblick, wo der Kardinal bereits sein Mittel Früchte tragen sah und sich zur Anwendung desselben Glück wünschte, gelangte ein Einwohner von La Rochelle, der durch die königlichen Linien gedrungen war — Gott weiß, auf welche Weise, denn Bassompierre, Schomberg und der Herzog von Angoulême beobachteten, selbst wieder von dem Kardinal überwacht, eine große Wachsamkeit — ein Einwohner von La Rochelle, sagen wir, gelangte, von Portsmouth her, in die Stadt und sagte aus, er habe eine herrliche Flotte gesehen, welche noch vor acht Tagen auslaufen werde. Ueberdies kündigte Buckingham dem Bürgermeister an, daß endlich das große Bündniß gegen Frankreich sich erklärt habe, und daß zu gleicher Zeit die englischen, kaiserlichen und spanischen Heere das Königreich überfallen werden. Dieser Brief wurde öffentlich auf allen Plätzen vorgelesen. Man klebte eine Abschrift an die Straßenecken, und diejenigen, welche Unterhandlungen angeknüpft hatten, brachen dieselben wieder ab, um die in so kurzer Zeit angekündigte Hülfe zu erwarten.

Dieser unvorhergesehene Umstand versetzte Richelieu wieder in seine frühere Unruhe und nöthigte ihn, seine Augen abermals dem Meere zuzuwenden.

Während dies vorging, führte die königliche Armee, frei von der Unruhe ihres einzigen und wahren Hauptes, ein lustiges Leben, es fehlte im Lager nicht an Speise und Trank und nicht an Geld. Alle Corps wetteiferten an Kühnheit und Heiterkeit. Spione auffangen und hängen, kecke Expeditionen auf dem Damm oder auf der See ausführen, Tollheiten ersinnen und kaltblütig ins Werk setzen, das waren die Zeitvertreibe, womit sich die Armee die Tage verkürzte, welche den von Angst und Hunger aufgeriebenen Rochellern so lang, und dem Kardinal, der sie belagerte, noch weit länger erschienen.

Wenn der Kardinal, welcher stets wie der geringste Soldat umher ritt, seinen nachdenkenden Blick zuweilen über die Werke hinschweifen ließ, welche unter seinem Befehl von Ingenieuren errichtet wurden, die er aus allen Winkeln Frankreichs herbeirief, und er dann einem Musketier von Treville's Kompagnie begegnete, so schaute er ihn auf eine seltsame Weise an, und richtete seinen Blick sogleich wieder anderswohin, wenn er in ihm nicht einen von den vier Gefährten erkannte.

Eines Tages ritt der Kardinal, von tödtlichem Aerger gequält, ohne Hoffnung auf die Unterhandlungen mit der Stadt, ohne Nachrichten aus England, in keiner andern Absicht, als gerade um auszureiten, nur von Cahusac und La Houdinière begleitet, am Ufer entlang hin, und vermischte die Unermeßlichkeit seiner Träume mit der Unermeßlichkeit des Oceans. So kam er auf einen Hügel, von dessen Höhe herab er, hinter einer Hecke und unter einer Baumgruppe vor der großen Sonnenhitze geschützt, sieben von leeren Flaschen umgebene Menschen liegen sah. Vier davon waren unsere Musketiere, welche sich anschickten, einen Brief vorlesen zu hören, den einer von ihnen bekommen hatte. Dieser Brief war so wichtig, daß man ihm zu Liebe auf einer Trommel Karten und Würfel im Stiche ließ.

Die drei Andern beschäftigten sich, eine ungeheure mit Stroh umflochtene Flasche Collioure-Wein aufzumachen. Es waren die Lakaien dieser Herren.

Richelieu war, wie gesagt, bei finsterer Laune, und in dieser Gemüthsstimmung ärgerte ihn nichts mehr als die Heiterkeit Anderer. Ueberdies hegte er einen seltsamen Argwohn und glaubte, gerade die Ursache seiner Traurigkeit errege die Heiterkeit der Fremden. Er gab La Houdinière und Cahusac ein Zeichen, stille zu halten, stieg vom Pferde und näherte sich diesen verdächtigen Lachern, in der Hoffnung, mit Hülfe des Sandes, der seinen Schritt unhörbar machte, und der Hecke, die seinen Gang bedeckte, einige Worte von dem Gespräch zu erlauschen, das ihm so interessant erschien. Erst zehn Schritte von der Hecke erkannte er das gascognische Geplauder d'Artagnans, und da er bereits wußte, daß diese Leute zu den Musketieren gehörten, so zweifelte er nicht daran, daß die drei Andern die sogenannten Unzertrennlichen, das heißt, Athos, Porthos und Aramis seien.

Man kann sich leicht denken, daß sein Verlangen, etwas von dem Gespräch zu hören, sich durch diese Entdeckung nur noch vermehrte. Seine Augen nahmen einen seltsamen Ausdruck an und er näherte sich der Hecke mit dem Tritt einer Tigerkatze; aber er hatte noch nicht mehr als einige unbestimmte Sylben ohne einen richtigen Sinn aufzufassen vermocht, als ein kurzer kräftiger Ruf ihn beben machte und die Aufmerksamkeit der Musketiere erregte.

«Offizier!«rief Grimaud.

«Ihr sprecht, glaube ich, Bursche, «sagte Athos, sich auf einem Ellbogen erhebend und Grimaud mit seinem flammenden Blick anblitzend.

Grimaud fügte auch kein Wort mehr bei, er begnügte sich, den Zeigefinger in der Richtung der Hecke auszustrecken, und deutete durch Geberde den Kardinal und seine Escorte an.

Mit einem Sprung waren die vier Musketiere auf den Beinen und grüßten ehrfurchtsvoll.

Der Kardinal schien wüthend.

«Es scheint, daß man sich bei den Herren Musketieren bewachen läßt, «sagte er.»Kommt der Engländer zu Lande oder sollten sich die Musketiere für hohe Offiziere halten?«

«Monseigneur, «antwortete Athos, denn er allein hatte mitten unter dem allgemeinen Schrecken die Ruhe und Kaltblütigkeit des vornehmen Mannes behalten, die ihn nie verließ.»Monseigneur, wenn die Musketiere nicht im Dienste sind oder wenn ihr Dienst zu Ende ist, so trinken und würfeln sie und sind für ihre Lakaien sehr hohe Offiziere.«

«Lakaien!«brummte der Kardinal,»Lakaien, welche Befehl haben, ihre Herren zu benachrichtigen, wenn Jemand vorüber kommt, das sind keine Lakaien, sondern Wachen.«

«Seine Eminenz sieht jedoch, daß wir, wenn wir diese Vorsichtsmaßregel nicht getroffen hätten, uns der Unannehmlichkeit ausgesetzt haben würden, sie vorübergehen zu lassen, ohne ihr unsere Ehrfurcht zu bezeigen und unsern Dank für die Gnade ihres Besuches, abzustatten. D'Artagnan, «fuhr Athos fort,»Ihr, der Ihr Euch so eben nach einer Gelegenheit sehntet, Monseigneur Eure Dankbarkeit auszudrücken, habt sie nun gefunden und werdet sie benützen.«

Diese Worte wurden mit dem unstörbaren Phlegma, das Athos in den Stunden der Gefahr bezeichnete, und mit der außerordentlichen Höflichkeit gesprochen, die ihm in gewissen Augenblicken etwas Königliches gab, so daß er ein majestätischeres Ansehen hatte, als geborene Könige.

D'Artagnan näherte sich und sprach einige Worte des Dankes, welche bald unter dem düsteren Blicke des Kardinals erloschen.

«Gleich viel, meine Herren, «fuhr der Kardinal fort, der sich, wie es schien, durch den von Athos benützten Zwischenfall nicht im Geringsten von seiner ersten Ansicht abbringen ließ,»gleichviel, ich liebe es nicht, daß einfache Soldaten weil sie den Vorzug haben, in einem privilegirten Corps zu dienen, auf diese Art die großen Herren spielen, und die Disciplin ist für sie dieselbe, wie für die ganze Welt.«

Athos ließ den Kardinal ganz aussprechen, verbeugte sich sodann zum Zeichen der Beipflichtung und versetzte:

«Die Disciplin, Monseigneur, ist, wie ich hoffe, von uns in keiner Beziehung vergessen worden, wir sind nicht im Dienste und glaubten, da nur nicht im Dienste sind, über unsere Zeit nach unserem Gutdünken verfügen zu können. Sollte uns Eure Eminenz durch einige besondere Befehle beglücken wollen, so sind wir bereit zu gehorchen. Monseigneur sieht, «fuhr Athos die Stirne runzelnd fort, denn dieses Verhör fing an, ihn ungeduldig zu machen,»daß wir, um auf den ersten Trommelschlag bereit zu sein, mit unsern Waffen ausgezogen sind.«

Und er deutete mit dem Finger auf die vier Musketen, welche in der Nähe der Trommel, auf der die Würfel und Karten lagen, aufgepflanzt waren.

«Eure Eminenz wolle überzeugt sein, «fügte d'Artagnan bei,»daß wir ihr entgegengekommen wären, wenn wir hätten vermuthen können, daß sie sich uns in so kleiner Gesellschaft näherte.«

Der Kardinal biß sich in den Schnurrbart und auch etwas in die Lippen.

«Wißt Ihr, wie Ihr ausseht, wenn Ihr, wie in diesem Augenblick, stets beisammen, stets bewaffnet und von Euren Bedienten bewacht seid?«sprach der Kardinal.»Ihr seht aus, wie Verschwörer.«

«Oh! was das betrifft, Monseigneur, das ist wahr, «sprach Athos.»Wir conspiriren allerdings, wie Seine Eminenz an jenem Morgen sehen konnte, aber nur gegen die Rocheller.«

«Ei, meine Herren Politiker, «entgegnete der Kardinal, ebenfalls die Stirne faltend,»man würde vielleicht in Eurem Gehirn das Geheimniß von allerlei Dingen finden, wenn man darin lesen könnte, wie Ihr in dem Briefe gelesen habt, den Ihr bei meiner Ankunft verbarget.«

Athos stieg das Blut ins Gesicht, er machte einen Schritt gegen Seine Eminenz.

«Man sollte glauben, Ihr hegtet wirklich einen Argwohn gegen uns, Monseigneur, und wir hätten ein wahres Verhör zu bestehen.«

«Und wenn es nun wirklich ein Verhör wäre?«fragte der Kardinal.

«Monseigneur, ich habe Eurer Eminenz gesagt, daß sie nur zu fragen habe und daß wir zu antworten bereit seien.«

«Was für ein Brief war das, den Ihr vorhin gelesen habt, Herr Aramis, und was verbargt Ihr?«

«Einen Brief von einer Frau, Monseigneur.«

«Oh ich begreife, «sprach der Kardinal,»man muß bei solchen Briefen discret sein; aber man kann sie doch einem Beichtiger zeigen, und Ihr wißt, ich gehöre dem geistlichen Stande an.«

«Monseigneur, «sagte Athos mit einer um so furchtbareren Ruhe, als er bei dieser Antwort um seinen Kopf spielte,»Monseigneur, der Brief ist von einer Frau, aber weder Marion Delorme, noch Frau von Combalot, noch Frau von Chaulnes unterzeichnet.

Der Kardinal wurde bleich wie der Tod. Ein wilder Blitz guckte aus seinen Augen. Er wandte sich um, als wollte er Cahusac und La Houdinière einen Befehl geben. Athos sah diese Bewegung und machte einen Schritt gegen die Musketen, auf welche die drei Freunde ihre Augen wie Männer gerichtet hielten, die sehr wenig Lust hatten, sich verhaften zu lassen. Der Kardinal war zu drei, die Musketiere, ihre Bedienten mit einbegriffen, zu sieben. Er dachte, die Partie wäre um so weniger gleich, wenn Athos und seine Gefährten wirklich conspiriren, und vermöge einer der raschen Wendungen, über die er stets zu verfügen im Stande war, verwandelte sich sein ganzer Zorn in ein lächeln.

«Gut, gut, «sprach er,»Ihr seid wackre junge Leute, stolz in der Sonne, getreu in der Dunkelheit, und es ist kein Fehler, über sich selbst zu wachen, wenn man so gut über Andere wacht. Meine Herren, ich habe die Nacht durchaus nicht vergessen, wo Ihr mir als Escorte bei meinem Ritt nach dem rothen Taubenschlag dientet. Wenn irgend eine Gefahr auf der Route, die ich zu machen habe, zu befürchten wäre, so würde ich Euch bitten, mich zu begleiten. Da aber dies nicht der Fall ist, so bleibt, wo Ihr seid, endiget Eure Flaschen, Eure Partie und Euern Brief. Gott befohlen, meine Herren!«

Hierauf bestieg er wieder sein Pferd, das ihm Cahusac entgegen brachte, grüßte sie mit der Hand und entfernte sich.

Die vier jungen Leute standen unbeweglich und folgten ihm mit den Blicken, ohne ein einziges Wort zu sprechen, bis er verschwunden war.

Dann schauten sie sich an.

Alle sahen bestürzt aus, denn trotz des freundschaftlichen Abschiedes des Kardinals begriffen sie, daß Seine Eminenz mit Wuth im Herzen wegging.

Athos allein lächelte verächtlich.

Als der Kardinal außer Hör- und Sehweite war, rief Porthos, welcher große Lust hatte, seine üble Laune auf einen Andern fallen zu lassen:

«Dieser Grimaud hat sehr spät geschrieen!«

Grimaud war im Begriff zu antworten, um sich zu entschuldigen. Athos hob den Finger auf und Grimaud schwieg.

«Würdet Ihr den Brief abgegeben haben, Aramis?«sagte d'Artagnan.

«Ich, «erwiderte Aramis mit seiner flötendsten Stimme,»ich war entschieden. Wenn er die Auslieferung verlangt hätte, so würde ich ihm mit einer Hand den Brief übergeben und mit der andern den Degen durch den Leib gerannt haben.«

«Das erwartete ich, «sagte Athos,»und darum habe ich mich zwischen Euch und ihn geworfen. Dieser Mann ist in der That sehr unklug, daß er auf solche Art mit andern Männern spricht. Man sollte glauben, er habe es sein Leben lang nur mit Weibern und Kindern zu thun gehabt.«

«Mein lieber Athos!«rief d'Artagnan,»ich bewundere Euch, aber wir hatten im Ganzen doch Unrecht.«

«Wie, Unrecht?«entgegnete Athos,»wem gehört denn diese Luft, die wir athmen? wem dieses Meer, an welchem wir lagern? wem dieser Brief von Eurer Geliebten? Etwa dem Kardinal? Dieser Mensch bildet sich am Ende ein, die ganze Welt gehöre ihm. Ihr standet stammelnd, erstaunt, vernichtet da, als ob die Bastille vor Euch empor starrte, und die eisige Medusa Euch in Stein verwandelte. Ist Verliebtheit eine Conspiration? Ihr seid in eine Frau verliebt, die der Kardinal einsperren ließ; Ihr wollt sie den Händen des Kardinals entziehen, das ist die Partie, die Ihr mit Seiner Eminenz spielt. Dieser Brief ist Euer Spiel. Warum solltet Ihr Euer Spiel Eurem Gegner zeigen? Er mag es errathen! Wir errathen das seinige gar wohl.«

«Was Ihr da sagt, Athos, ist allerdings sehr vernünftig, «sprach d'Artagnan.

«Dann sei von dem ganzen Vorfall nicht mehr die Rede, und Aramis nehme den Brief seiner Base da auf, wo ihn der Herr Kardinal unterbrochen hat.«

Aramis zog den Brief aus seiner Tasche. Die drei Freunde näherten sich ihm und die drei Lakaien lagerten sich abermals um die Strohflasche.

«Ihr habt nur eine oder zwei Zeilen gelesen, «sagte d'Artagnan.»Lest also den Brief von Anfang an.«

«Gerne, «erwiderte Aramis.

«Mein lieber Vetter,

«Ich glaube wohl, daß ich mich entschließen werde, nach Bethune abzureisen, wo meine Schwester unsere kleine Magd in eine Karmeliterinnen-Kloster gebracht hat. Dieses arme Kind hat sich darein ergeben. Es weiß, daß es nicht anderswo leben kann, ohne daß das Heil seiner Seele gefährdet wäre. Wenn jedoch unsere Familienangelegenheiten sich ordnen, wie wir es wünschen, so glaube ich, daß die Arme auf die Gefahr ihres Seelenheiles hin zu demjenigen zurückkehren wird, nach welchen sie sich um so mehr sehnt, als sie weiß, daß man stets an sie denkt. Einstweilen ist sie nicht zu unglücklich. Ihr einziger Wunsch ist ein Brief von ihrem Bräutigam. Ich weiß sehr wohl, daß solche Waaren schwer durch die Gitter gehen, aber im Ganzen, mein lieber Vetter, bin ich — und ich habe Euch hievon Beweise gegeben — nicht gar zu ungeschickt, und ich übernehme diesen Auftrag. Meine Schwester dankt Euch für Eure beständige Erinnerung; sie schwebte einen Augenblick in großer Unruhe, aber jetzt ist sie ein wenig beruhigt, weil sie ihren Gehülfen hinuntergeschickt hat, damit nichts Unvorhergesehenes vorfallen kann.

«Adieu, mein lieber Vetter, gebt so oft als möglich Nachricht von Euch, das heißt, so oft, als Ihr es sicher thun zu können glaubt. Ich küsse Euch.

Marie Michon

«O wie viel Dank bin ich Euch schuldig, Aramis, «rief d'Artagnan.»Die theure Constance! endlich habe ich also Kunde von ihr! Sie lebt, sie ist in Sicherheit in einem Kloster; sie ist in Bethune! Wo liegt Bethune, Athos?«

«Auf der Grenze von Artois und Flandern; ist die Belagerung einmal aufgehoben, so können wir eine Reise dahin machen.«

«Und das wird hoffentlich nicht mehr lange währen, «sprach Porthos;»denn man hat diesen Morgen wieder einen Spion gehängt, welcher behauptete, die Rocheller seien am Oberleder ihrer Stiefel. Nehme ich nun an, daß sie die Sohlen essen, wenn sie das Oberleder verzehrt haben, so sehe ich nicht ein, was ihnen nachher noch übrig bleiben soll, wenn sie nicht einander selber verspeisen wollen.«

«Arme Tröpfe!«sprach Athos und leerte ein Glas vortrefflichen Bordeauxweins, der, ohne damals schon seinen heutigen Ruf zu besitzen, ihn doch wenigstens verdiente.»Arme Tröpfe, als ob die katholische Religion nicht die vortheilhafteste und angenehmste der Religionen wäre. Doch gleich viel, «fuhr er fort, nachdem er mit der Zunge am Gaumen geschnalzt hatte,»es sind brave Leute. Aber was Teufels macht Ihr denn, Aramis, Ihr steckt diesen Brief in Eure Tasche?«

«Ja, «sagte d'Artagnan,»Athos hat Recht, man muß ihn verbrennen. Wer weiß jedoch, ob der Herr Kardinal nicht ein Geheimniß besitzt, um die Asche zu befragen.«

«Er muß wohl eines besitzen, «erwiderte Athos.

«Aber, was wollt Ihr denn mit dem Briefe machen?«fragte Porthos.

«Kommt hieher, Grimaud, «sagte Athos.

Grimaud stand auf und gehorchte.

«Zur Strafe dafür, daß Ihr ohne Erlaubniß gesprochen habt, mein Freund, werdet ihr das Stück Papier essen, und für den Dienst, den Ihr uns leistet, trinkt ihr sodann dieses Glas Wein. Hier, nehmt zuerst den Brief, kaut kräftig.«

Grimaud lächelte, und die Augen auf das Glas gerichtet, das Athos bis auf den Rand gefüllt hatte, zerkaute er das Papier und verschlang es.

«Bravo, Meister Grimaud!«rief Athos,»und nun dieses. Gut, ich entbinde Euch der Verpflichtung, Dank zu sagen.«

Grimaud trank stillschweigend das Glas Bordeauxwein, aber seine zum Himmel aufgeschlagenen Augen sprachen, so lange diese süße Beschäftigung dauerte, eine Sprache, die, obgleich stumm, darum doch nicht minder ausdrucksvoll war.

«Und nun, «sagte Athos,»wenn nicht der Herr Kardinal den geistreichen Gedanken hat, Grimaud den Bauch öffnen zu lassen, können wir, glaube ich, beinahe ruhig sein.«

Während dieser Zeit setzte Seine Eminenz ihren schwermüthigen Spazierritt fort und brummte wiederholt in seinen Schnurrbart:

«Diese vier Bursche müssen um jeden Preis mein werden.«

XXIV. Erster Tag der Gefangenschaft

Kehren wir zu Mylady zurück, die uns ein Blick auf die Küste Frankreichs eins Weile aus dem Gesichte verlieren ließ.

Wir werden sie in der verzweifelten Lage wieder finden, in der wir sie zurückgelassen haben, einen Abgrund düsterer Betrachtungen, eine finstere Hölle grabend, an deren Pforte sie beinahe jede Hoffnung zurückgelassen hat, denn zum ersten Male zweifelt, zum ersten Male fürchtet sie.

Bei zwei Gelegenheiten hat ihr Glück sie verlassen, bei zwei Gelegenheiten hat sie sich entdeckt und verrathen gesehen, bei zwei Gelegenheiten scheiterte sie an dem bösen Geiste, den ohne Zweifel der Herr sandte, um sie zu bekämpfen. D'Artagnan hat sie besiegt, sie, die unbesiegbare Macht des Bösen.

Er hat sie in ihrer Liebe verletzt, in ihrem Stolze gedemüthigt, und nun richtet er sie in ihrem Vermögen zu Grunde, schlägt sie in ihrer Freiheit, bedroht sie sogar in ihrem Leben. Mehr noch, er hat eine Ecke ihrer Maske aufgehoben, mit der sie sich bedeckt, die sie so stark macht.

D'Artagnan hat von Buckingham, den sie haßt, wie sie alles haßt, was sie geliebt hat, den Sturm abgewendet, mit dem ihn Richelieu in der Person der Königin bedrohte. D'Artagnan hat sich für Wardes ausgegeben, für den sie eine glühende Tigerliebe, unbezähmbar, wie bei allen Frauen dieses Charakters, hegte. D'Artagnan kennt das furchtbare Geheimniß, das nach ihrem Schwure Niemand kennen sollte, ohne zu sterben. In dem Augenblick, wo sie von Richelieu eine Vollmacht erhalten hat, mit dessen Hülfe sie sich an ihrem Feinde zu rächen gedenkt, wird ihr dieses Papier aus den Händen gerissen, und d'Artagnan hält sie gefangen und will sie nach irgend einem schmachvollen Botanybay, nach irgend einem abscheulichen Tyburn des indischen Oceans schicken.

Denn alles dies kommt ohne Zweifel von d'Artagnan. Von wem sollte so viele auf ihr Haupt gehäufte Schmach kommen, außer von ihm? Er allein konnte Lord Winter all' die furchtbaren Geheimnisse mittheilen, die er nach einander durch eine unselige Verkettung von Umständen erfahren hatte.

Wie viel Haß zersetzt sie! Hier, unbeweglich und die glühenden Augen starr auf ihr einsames Stübchen geheftet, während das Geräusch des dumpfen Schnaubens, das zuweilen aus der Tiefe ihrer Brust hervorkommt, das Tosen der Wellen begleitet, welche steigen, brausen und brüllen und sich wie eine ewige, unmächtige Verzweiflung an den Felsen brechen, auf denen das stolze, düstere Schloß erbaut ist, während ihr stürmischer Zorn mit seinen Blitzen ihren Geist erleuchtet, hier entwirft sie gegen Madame Bonacieux, gegen Buckingham und besonders gegen d'Artagnan großartige, in der fernen Zukunft sich verlierende Rachepläne.

Ja, aber um sich zu rächen, muß man frei sein, und um frei zu sein, wenn man gefangen ist, muß man eine Mauer durchbrechen, Gitterstangen losmachen, einen Boden durchhöhlen, lauter Unternehmungen, welche ein geduldiger und starker Mann zu Ende führen kann, an denen jedoch die fieberhaften Aufregungen einer Frau scheitern müssen.

Um Alles dies zu thun, muß man überdies Zeit, Monate Jahre haben, und sie hat, wie ihr Mylord Winter, ihr brüderlicher und furchtbarer Kerkermeister, sagte, nur zehn bis zwölf Tage.

Und dennoch, wenn sie ein Mann wäre, würde sie Alles dies versuchen, und es würde ihr vielleicht gelingen; warum hat sich der Himmel so getäuscht, indem er diese männliche Seele in einen so schwachen und zarten Leib legte?

Die ersten Augenblicke der Gefangenschaft waren also furchtbar. Mit einigen krampfhaften Zuckungen der Wuth, die sie nicht zu überwinden vermochte, wurde die Schuld weiblicher Schwäche an die Natur abgetragen. Nach und nach aber hat sie die Ausbrüche ihres tollen Zornes bewältigt, das Nervenzittern, welches ihren Körper bewegte, ist verschwunden, und sie hat sich nun auf sich selbst zurückgewunden, wie eine müde Schlange, wenn sie ausruht.

«Auf, auf! ich war eine Thorin, daß ich mich hinreißen ließ, «spricht sie, in den Spiegel schauend, der ihren Augen den glühenden Blick zurückwirft, durch den sie sich selbst zu befragen scheint,»keine Gewaltthätigkeit! die Gewaltthätigkeit ist ein Zeichen der Schwäche, und ich habe nie durch dieses Mittel gesiegt. Wenn ich vielleicht von meiner Kraft gegen Frauen Gebrauch machen müßte, hätte ich Hoffnung, sie noch schwächer zu finden, als ich selbst bin, und sie folglich zu überwältigen; aber ich kämpfe gegen Männer und bin für sie nur eine Frau. Wir wollen als Frau kämpfen. Meine Kraft liegt in meiner Schwäche.«

Als wollte sie sich selbst von den Veränderungen Rechenschaft geben, die sie in ihrer so ausdrucksvollen und so edeln Physiognomie zu bewerkstelligen im Stande war, ließ sie diese sodann nach und nach alle Ausdrücke annehmen, vom Zorne an, der ihr Gesicht krampfhaft zusammenzog, bis zum sanftesten, zärtlichsten, verführerischsten Lächeln. Ihre Haare erhielten unter ihren geschickten Händen alle Wellenformen, von denen sie glaubte, sie dürften die Reize ihrer Züge erhöhen. Endlich murmelte sie mit sich selbst zufrieden:

«Noch ist nichts verloren, ich bin immer noch schön.«

Es war ungefähr acht Uhr Abends. Mylady bemerkte ein Bett und dachte, ein paar Stunden Ruhe würden nicht nur ihren Kopf und ihre Gedanken, sondern auch ihren Teint erfrischen. Doch ehe sie sich niederlegte, kam ihr noch eine bessere Idee; sie hatte von Abendbrod sprechen hören. Schon war sie seit geraumer Zeit in diesem Zimmer und man konnte nicht länger zögern, ihr das Mahl zu bringen. Die Gefangene wollte keine Zeit verlieren, und sie beschloß schon an diesem Abend einen Versuch zu machen, um das Terrain zu sondiren und die Charaktere der Leute zu erforschen, denen ihre Bewachung anvertraut war.

Ein Licht erschien unter der Thüre, es kündete die Rückkehr ihrer Kerkermeister an. Mylady, welche sich erhoben hatte, warf sich rasch wieder in ihren Lehnstuhl, den Kopf zurückgebogen, die Haare aufgelöst und zerstreut, den Hals halb entblößt unter zerknitterten Spitzen, eine Hand auf ihrem Herzen, die andere herabhängend.

Man öffnete die Riegel, die Thüre ächzte auf ihren Angeln; Tritte erschollen im Innern und näherten sich.

«Stellt den Tisch hierher, «sagte eine Stimme, an der Mylady Felton erkannte.

Der Befehl wurde vollzogen.

«Bringt Lichter und laßt die Wache ablösen, «fuhr Felton fort, und dieser doppelte Befehl, den der junge Lieutenant denselben Menschen ertheilte, gab Mylady die Ueberzeugung, daß ihre Diener und ihre Wächter dieselben Menschen waren, nämlich Soldaten.

Endlich wandte sich Felton, der Mylady noch nicht angeschaut hatte, nach ihr um.

«Ah! ah!«sagte er,»sie schläft gut, bei ihrem Erwachen wird sie zu Nacht speisen.«

Er machte einige Schritte, um sich zu entfernen.

«Aber, mein Lieutenant, «sagte der Soldat, der etwas weniger stoisch war, als sein Vorgesetzter, und sich Mylady genähert hatte,»diese Frau schläft nicht.«

«Wie, sie schläft nicht?«sprach Felton,»was macht sie denn?«

«Sie ist ohnmächtig. Ihr Gesicht ist sehr bleich, und ich höre, wie sehr ich auch lausche, keinen Athemzug.«

«Ihr habt Recht, «erwiderte Felton, nachdem er Mylady von dem Platze, wo er stand, ohne einen Schritt gegen sie zu thun, angeschaut hatte.»Benachrichtigt Lord Winter, seine Gefangene sei in Ohnmacht gefallen, denn ich weiß nicht, was ich thun soll, da dieser Fall nicht vorhergesehen ist.«

Der Soldat ging ab, um den Befehlen des Officiers zu gehorchen. Felton setzte sich auf einen Stuhl, der sich zufällig in der Nähe der Thüre fand, und wartete, ohne ein Wort zu sprechen, ohne die geringste Geberde zu machen. Mylady besaß die große, von den Frauen so sehr studirte Kunst, alles mit Hülfe eines Reflexes, eines Spiegels oder eines Schattens zu sehen; sie bemerkte Felton, der ihr den Rücken zukehrte; sie schaute ihn beinahe zehn Minuten beständig an, und während dieser zehn Minuten wandte sich der kalte Wächter nicht ein einziges Mal um.

Sie bedachte nun, daß Lord Winter kommen und durch seine Gegenwart ihrem Kerkermeister neue Kraft verleihen würde. Ihr erster Versuch war gescheitert; sie faßte ihren Entschluß als eine Frau, welche auf ihre Mittel zählt. Diesem Entschlusse zu Folge hob sie den Kopf, öffnete die Augen und stieß einen schwachen Seufzer aus.

Bei diesem Seufzer wandte sich Felton um.

«Ah! Ihr seid erwacht, Madame, «sprach er,»ich habe also nichts mehr hier zu thun. Wenn Ihr etwas braucht, so ruft.«

«Oh, mein Gott, mein Gott! was habe ich gelitten!«murmelte Mylady mit der wohlklingenden Stimme, welche Alle bezauberte, sie sie ins Verderben stürzen wollte.

Und sich auf ihrem Stuhle aufrichtend, nahm sie eine noch anmuthigere und zugleich nachlässigere Stellung an.

Felton stand auf.

«Ihr werdet auf diese Art dreimal des Tags bedient werden, Madame, «sprach er,»Morgens um neun Uhr, Mittags um ein Uhr und Abends um acht Uhr. Wenn Euch das nicht genehm ist, so könnt Ihr andere Stunden statt derer, welche ich Euch vorschlage, nennen, und man wird sich in dieser Beziehung Euern Wünschen fügen.«

«Aber soll ich denn immer in dieser großen, traurigen Stube allein bleiben?«fragte Mylady.

«Eine Frau aus der Gegend ist bestellt, sie wird morgen im Schlosse sein und zu Euch kommen, so oft Ihr ihre Gegenwart wünscht.«

«Ich danke Euch, mein Herr, «antwortete die Gefangene demüthig.

Felton grüßte leicht und wandte sich nach der Thüre. In dem Augenblick, wo er über die Schwelle treten wollte, erschien Lord Winter, gefolgt von dem Soldaten, der ihn von Myladys Ohnmacht in Kenntnis gesetzt hatte, in der Flur; er hielt einen Flacon mit Riechsalz m der Hand.

«Wie! was geht denn hier vor?«sprach er mit spöttischem Tone, als er sah, daß seine Gefangene aufrecht stand und Felton im Begriff war zu gehen.»Die Todte ist also wieder erweckt? Mein Gott, Felton, mein Junge, hast Du denn nicht wahrgenommen, daß man Dich für einen Neuling hielt und den ersten Akt einer Komödie mit Dir spielte, dessen ganze Entwicklung zu verfolgen wir ohne Zweifel das Vergnügen haben werden?«

«Ich habe es wohl gedacht, Mylord, «erwiderte Felton,»aber da die Gefangene im Ganzen doch eine Frau ist, so wollte ich die Rücksicht nehmen, die ein Mann von guter Geburt einem weiblichen Wesen schon um seiner selbst willen schuldig ist.«

Mylady bebte am ganzen Leibe. Diese Worte liefen wie Eis durch alle ihre Adern.

«Diese schönen Haare, «versetzte Lord Winter lächelnd,»diese schönen, so geschickt ausgebreiteten Haare, diese weiße Haut, dieser schmachtende Blick haben Dich also nicht verführt, Marmorherz?«

«Nein, Mylord, «antwortete der unempfindliche junge Mann,»glaubt mir, es bedarf mehr, als der Frauen-Kunstgriffe und Koketterien, um mich zu bestechen.«

«Wenn dem so ist, mein braver Lieutenant, so mag Mylady etwas Anderes ersinnen, und wir wollen zu Nacht speisen. Oh! sei ruhig, sie hat eine furchtbare Phantasie, und der zweite Akt der Komödie wird bald dem ersten folgen.«

Nach diesen Worten nahm Lord Winter Felton beim Arme, und ging lachend mit ihm weg.

«Oh! ich werde schon finden, was Du brauchst, «murmelte Mylady zwischen den Zähnen; armer, verunglückter Mönch, umgekehrter Soldat, der Du Dir Deine Uniform aus einer Kutte geschnitten hast.«

«Doch, was ich noch bemerken wollte, «versetzte Lord Winter, auf der Schwelle stehen bleibend,»dieses Scheitern braucht Euch den Appetit nicht zu benehmen. Kostet das Huhn und die Fische, die ich bei meinem Ehrenwort nicht habe vergiften lassen. Ich bin ziemlich wohl mit meinem Koche zufrieden, und da er nichts von mir zu erben hat, so setze ich volles Vertrauen in ihn. Macht es wie ich. Gott befohlen, liebe Schwester. Bei Eurer nächsten Ohnmacht sehen wir uns wieder.«

Das war Alles, was Mylady zu ertragen vermochte. Ihre Hände zogen sich krampfhaft auf dem Lehnstuhl zusammen. Ihre Zähne knirrschten dumpf, ihre Augen folgten der Bewegung der Thüre, welche sich hinter Lord Winter und Felton schloß, und als sie sich allein sah, fühlte sie sich von einer neuen Krisis der Verzweiflung befallen. Sie schaute nach dem Tische, gewahrte ein Messer, stürzte darauf los und ergriff es. Aber es trat sogleich eine grausame Enttäuschung ein, die Klinge war rund, und von biegsamem Silber.

Ein schallendes Gelächter wurde an der Thüre hörbar, und diese öffnete sich wieder.

«Ah! ah!«rief Lord Winter,»ah, ah! siehst Du wohl, mein braver Felton, was ich Dir gesagt habe? Dieses Messer war für Dich bestimmt, mein Kind, sie hätte Dich umgebracht. Siehst Du, das ist eine ihrer Verkehrtheiten, daß sie sich der Leute, welche sie geniren, auf die eine oder die andere Weise entledigt. Wenn ich auf Dich gehört hätte, so wäre das Messer spitzig und von Stahl gewesen, dann gäbe es keinen Felton mehr; sie hätte Dich erstochen und nach Dir die ganze Welt. Siehst Du, John, wie sie das Messer so gut zu halten weiß!«

Mylady hielt in der That noch die unschädliche Waffe in ihrer Hand. Die letzte Beleidigung löste ihre Hände, ihre Kräfte und sogar ihren Willen auf. Das Messer fiel zu Boden.

«Ihr habt Recht, Mylord, «sprach Felton mit einem Ausdruck des tiefsten Ekels, der in dem Herzen Myladys wiederhallte,»Ihr habt Recht und ich hatte Unrecht.«

Hierauf entfernten sich Beide abermals.

Aber diesmal horchte Mylady aufmerksamer, als das erste Mal, und sie hörte, wie ihre Tritte nach und nach im Hintergrunde der Flur erstarben.

«Ich bin verloren, «murmelte sie,»ich befinde mich in der Gewalt von Leuten, auf die ich nicht mehr Einfluß ausüben werde, als auf Bildsäulen von Erz oder Granit. Sie kennen mich auswendig und sind gegen alle meine Waffen gepanzert.«

«Doch diese Sache kann unmöglich, «sprach sie nach einem Augenblick,»so endigen, wie sie es beschlossen haben.«

Die Furcht und das Gefühl der Schwäche schwammen, wie dies die letztere Betrachtung, die instinktmäßige Rückkehr zur Hoffnung, andeutete, nicht lange oben in dieser tiefen Seele.

Mylady setzte sich zu Tische, aß von mehreren Gerichten, trank ein wenig spanischen Wein und fühlte ihre ganze Entschlossenheit wieder erwachen.

Ehe sie sich schlafen legte, hatte sie bereits die Worte, die Schritte, die Geberden, die Zeichen und sogar das Stillschweigen ihrer Kerkermeister erklärt, analysirt, von allen Seiten betrachtet, in allen Punkten geprüft, und aus diesem geschickten, geistreichen Studium hatte sie entnommen, daß Felton jedenfalls der weniger unverwundbare von Beiden war.

Ein Wort besonders tauchte immer wieder im Geiste der Gefangenen auf.

«Wenn ich auf Dich gehört hätte, «hatte Lord Winter zu Felton gesagt.

Felton hatte also zu ihren Gunsten gesprochen, da ihn Lord Winter nicht hören wollte.

«Dieser Mensch, «wiederholte Mylady,»hat also jedenfalls einen mehr oder minder starken Anflug von Mitleid in seinem Herzen. Diesen Schimmer werde ich zu einem Brande anfachen, der ihn verzehren soll. Der andere kennt mich, er fürchtet mich und weiß, was er von mir zu erwarten hat, wenn ich je seinen Händen entkomme. Es ist also vergeblich, etwas gegen ihn zu versuchen. Aber bei Felton ist es etwas Anderes. Er ist ein unschuldiger reiner junger Mann, ein tugendhafter Mensch, wie es scheint. Bei ihm gibt es ein Mittel, ihn zu verderben.«

Und Mylady legte sich nieder und entschlummerte mit einem Lächeln auf den Lippen. Wer sie schlafend sah, hätte glauben können, ein junges Mädchen liege vor ihm und träume von dem Blumenkranz, den es beim nächsten Fest auf seiner Stirne tragen solle.

XXV. Zweiter Tag der Gefangenschaft

Mylady träumte, sie habe d'Artagnan endlich erwischt und wohne seiner Hinrichtung bei; der Anblick seines unter dem Henkerbeil entströmenden verhaßten Blutes brachte dieses reizende Lächeln auf ihre Lippen. Sie schlief, wie ein Gefangener schläft, der durch seine erste Hoffnung eingewiegt wird.

Als man am andern Morgen in ihr Zimmer trat, lag sie noch im Bette. Felton verweilte in der Flur. Er brachte die Frau, von der er am Abend zuvor gesprochen hatte. Diese Frau trat ein, näherte sich dem Bette Mylady's und bot ihr ihre Dienste an.

Mylady war gewöhnlich bleich, ihre Gesichtsfarbe konnte also diejenige täuschen, die sie zum erstenmale sah.

«Ich habe das Fieber, «sprach sie,»und konnte die ganze Nacht kein Auge zuthun. Ich leide furchtbar. Werdet Ihr menschlicher sein, als man gestern gegen mich gewesen ist? Ich verlange nichts Anderes, als liegen bleiben zu dürfen.«

«Wollt Ihr, daß man einen Arzt rufe?«sprach die Frau.

Felton hörte diesen Dialog an, ohne ein Wort zu sagen. Mylady überlegte, daß sie, je mehr man sie mit Menschen umgebe, desto mehr Leute hätte, die sie zum Mitleid bewegen könnte, und daß sich sodann die Wachsamkeit Lord Winters verdoppeln müßte. Ueberdies konnte der Arzt erklären, die Krankheit sei nur geheuchelt, und Mylady wollte, nachdem sie die erste Partie verloren hatte, die zweite nicht ebenfalls verlieren.

«Einen Arzt holen, «sagte sie,»wozu soll dies nützen? Diese Herren haben gestern erklärt, mein Uebel sei eine Komödie. Heute würde wohl dasselbe der Fall sein. Denn seit gestern Abend hat man Zeit genug gehabt, den Arzt zu benachrichtigen.«

«Nun, so sagt selbst, «sprach Felton ungeduldig,»welche Kur Ihr wünscht.«

«Ei, mein Gott, weiß ich es denn? ich fühle, daß ich leide; das ist Alles. Man gebe mir, was man will, es ist mir ganz gleichgültig!«

«Holt Lord Winter, «sagte Felton, der ewigen Klagen müde.

«Oh! nein, nein!«rief Mylady,»nicht, mein Herr, ruft ihn nicht! Ich beschwöre Euch, ich befinde mich wohl! ich brauche nichts; ruft ihn nicht!«

Sie sprach diese Worte mit einer so natürlichen Heftigkeit, daß Felton, davon hingerissen, einige Schritte in das Zimmer that.

«Er ist bewegt, «dachte Mylady.

«Wenn Ihr jedoch wirklich leidet, Madame, «sagte Felton,»so wird man einen Arzt holen, und täuscht Ihr uns, nun, um so schlimmer für Euch; wir haben uns wenigstens nichts vorzuwerfen.«

Mylady antwortete nicht, sondern sie warf ihren schönen Kopf auf das Kissen zurück und fing an zu weinen und zu schluchzen.

Felton betrachtete sie mit seiner gewöhnlichen Unempfindlichkeit. Als er aber sah, daß die Krisis sich zu verlängern drohte, ging er weg. Die Frau folgte ihm. Lord Winter erschien nicht.

«Ich glaube, ich fange an, klar zu sehen, «murmelte Mylady mit einer wilden Freude und begrub sich unter ihren Betttüchern, um allen denjenigen, welche sie beobachten könnten, diesen Ausbruch innerer Befriedigung zu verbergen.

Es schlug zehn Uhr.

«Nun ist es Zeit, die Krankheit aufhören zu lassen, «sagte sie.»Wir wollen aufstehen, und schon heute einigen Erfolg zu gewinnen suchen. Ich habe nur zehn Tage, und heute Abend und bereits zwei davon abgelaufen.«

Die Bedienung hatte, als sie am Morgen in Mylady's Zimmer getreten war, ihr das Frühstück gebracht. Nun dachte die Gefangene, man werde es ihr bald wegnehmen, und sie werde bei dieser Gelegenheit Felton wiedersehen.

Mylady täuschte sich nicht. Felton erschien abermals und gab, ohne nachzusehen, ob Mylady das Frühstück berührt hatte oder nicht, Befehl, den Tisch wegzutragen, den man gewöhnlich ganz serviert brachte.

Felton blieb zurück. Er hielt ein Buch in seiner Hand. In einem Fauteuil in der Nähe des Kamins liegend, glich Mylady, schön, bleich und ergebungsvoll, einer heiligen Jungfrau, welche dem Märtyrerthum entgegensieht.

Felton näherte sich ihr und sprach:

«Lord Winter, der ein Katholik ist, wie Ihr, Madame, glaubte, die Entbehrung der Gebräuche und Zeremonien Eurer Religion dürfte schmerzlich für Euch sein. Er erlaubt also, daß Ihr jeden Tag die gewöhnlichen Gebete Eurer Messe lest, und hier ist ein Buch, welches das Ritual enthält.«

Bei der Miene, mit der Felton dieses Buch auf das Tischchen legte, an welchem Mylady saß, bei dem Tone, mit dem er die zwei Worte Eurer Messe aussprach, bei dem verächtlichen Lächeln, womit er dieselben begleitete, hob Mylady das Haupt und schaute den Offizier aufmerksamer an.

An dem ernsten Schnitt des Haares, an der einfachen Tracht, an der Stirne, die so glatt war wie Marmor, aber hart und undurchdringlich wie dieser, erkannte sie einen von den finstern Puritanern, dergleichen sie sowohl am Hof des Königs Jakob, als am Hof des Königs von Frankreich, wo sie zuweilen trotz der Erinnerung an die Sanct-Bartholomäusnacht Zuflucht suchten, so häufig getroffen hatte.

Sie hatte daher eine jener raschen Eingebungen, wie sie nur Leute von Genie in großen Krisen, in den äußersten Momenten, die über Glück und Leben entscheiden sollen, zu bekommen pflegen.

Die zwei Worte Eurer Messe und ein einziger Blick auf Felton hatten ihr in der That das ganze Gewicht der Antwort enthüllt, welche sie zu geben im Begriffe war.

Aber mit dem ihr eigenthümlichen schnellen Geistesblick trat diese Antwort sogleich ganz fertig auf ihre Lippen, und mit einer verächtlichen Betonung, welche sie mit dem Ausdruck in Einklang brachte, den sie in der Stimme des jungen Mannes wahrgenommen hatte, erwiderte sie:

«Ich, mein Herr? meine Messe? Lord Winter, der verdorbene Katholik, weiß ganz wohl, daß ich nicht seiner Religion angehöre, und es ist nur eine Falle, die er mir legen will.«

«Von welcher Religion seid Ihr denn, Madame?«fragte Felton mit einem Staunen, das er trotz seiner Selbstbeherrschung nicht ganz zu verbergen vermochte.

«Ich werde es sagen!«rief Mylady mit einer erheuchelten Begeisterung,»ich werde es sagen, wenn ich genug für meine Religion gelitten haben werde.«

Der Blick Feltons enthüllte vor Mylady die ganze Ausdehnung des Raumes, den sie sich durch dieses einzige Wort geöffnet hatte.

Der junge Mann blieb indessen stumm und unbeweglich. Sein Blick hätte allein gesprochen.

«Ich bin in den Händen meiner Feinde, «fuhr sie in jenem Tone der Begeisterung fort, von dem sie wußte, daß er den Puritanern eigenthümlich war.»Gott mag mich retten, oder ich mag für meinen Gott untergehen! Das ist die Antwort, die ich Euch Lord Winter zu überbringen bitte, «fügte sie bei und deutete mit der Fingerspitze auf das Gebetbuch, jedoch ohne es zu berühren, als hätte sie sich durch eine solche Berührung verunreinigt geglaubt,»Ihr könnt dieß zurückbringen und gebraucht es für Euch selbst; denn Ihr seid ohne Zweifel ein doppelter Mitschuldiger von Lord Winter, mitschuldig bei seiner Verfolgung, mitschuldig bei seiner Ketzerei.«

Felton antwortete nicht. Er nahm das Buch mit demselben Gefühl des Widerwillens, das er bereits kund gegeben hatte, und zog sich nachdenklich zurück.

Lord Winter erschien gegen fünf Uhr Abends. Mylady hatte den ganzen Tag Zeit gehabt, den Plan für ihr Benehmen zu entwerfen. Sie empfing ihn als eine Frau, die bereits wieder in alle ihre Vortheile eingetreten ist.

«Es scheint, «sagte der Baron, indem er sich Mylady gegenüber in einen Lehnstuhl setzte und seine Füße nachläßig gegen den Kamin ausstreckte,»es scheint, wir haben eine kleine Apostasie gemacht.«

«Was wollt Ihr damit sagen, mein Herr?«

«Ich will damit sagen, daß Ihr, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben, die Religion gewechselt habt. Solltet Ihr zufällig einen dritten protestantischen Gatten genommen haben?«

«Erklärt Euch, Mylord, «entgegnete die Gefangene mit Majestät;»denn ich sage Euch, daß ich Eure Worte zwar höre, aber nicht verstehe.«

«Dann habt Ihr gar keine Religion, und das gefällt mir noch besser, «versetzte Lord Winter mit Hohnlachen.

«Jedenfalls stimmt es besser zu Euren Grundsätzen, «sprach Mylady kalt.

«Ich muß Euch gestehen, daß mir dies vollkommen gleichgültig ist.«

«Gesteht immerhin diese religiöse Gleichgültigkeit, Eure Ausschweifungen und Verbrechen sind hinreichende Belege hiefür.«

«Wie, Ihr sprecht von Ausschweifungen, Frau Messalina, Ihr sprecht von Verbrechen, Lady Macbeth? Entweder habe ich unrecht verstanden, oder Ihr seid bei Gott! sehr unverschämt.«

«Ihr sprecht so, weil man uns hört, mein Herr, «erwiderte Mylady mit kaltem Tone,»und weil Ihr Eure Kerkermeister und Henker gegen mich einnehmen wollt.«

«Meine Kerkermeister, meine Henker! potz tausend, Madame, Ihr stimmt einen kuriosen Ton an, und die Komödie von gestern verwandelt sich heute Abend in eine Tragödie. Uebrigens werdet Ihr in acht Tagen da sein, wo Ihr sein sollt, und meine Aufgabe ist geendigt.«

«Schandfleck, heilloser Schandfleck!«rief Mylady mit der Begeisterung des Opfers, das seine Richter herausfordert.

«Bei meinem Ehrenwort, ich glaube, die drollige Person wird verrückt, «sagte Lord Winter.»Seid ruhig, Frau Puritanerin, oder ich lasse Euch in den Kerker werfen. Bei Gott! mein spanischer Wein steigt Euch in den Kopf, nicht wahr? Aber seid unbesorgt, diese Trunkenheit ist nicht gefährlich und wird keine Folgen haben.«

Und Lord Winter zog sich fluchend zurück, was in jener Zeit eine ganz ritterliche Gewohnheit war.

Felton stand allerdings vor der Thüre und hatte kein Wort von dieser ganzen Scene verloren.

Mylady hatte ihn richtig errathen.

«Ja, gehe, gehe!«sagte sie zu ihrem Schwager,»die Folgen kommen im Gegentheil: aber Du sollst sie erst erfahren, wenn es nicht mehr Zeit ist, sie zu vermeiden.«

Es trat wieder eine völlige Stille ein. Zwei Stunden verliefen und man brachte das Abendbrod; man fand Mylady mit ihrem Gebet beschäftigt, mit einem Gebet, das sie von einem Diener ihres zweiten Gatten, einem äußerst strengen Puritaner, gelernt hatte. Sie schien in eine solche Begeisterung versetzt, daß man glauben konnte, sie achte ganz und gar nicht auf das, was um sie her vorging. Felton befahl durch ein Zeichen, sie nicht zu stören, und als Alles in Ordnung war, entfernte er sich geräuschlos mit den Soldaten.

Mylady wußte, daß sie beobachtet werden konnte, sie setzte deßhalb ihr Gebet bis zum Schlusse fort, und es kam ihr vor, als ob der Soldat, der an ihrer Thüre Wache hielt, nicht mehr in demselben Schritt marschirte, sondern horchte.

Für den Augenblick wollte sie nicht mehr; sie stand auf, setzte sich zu Tische, aß wenig und trank nur Wasser.

Eine Stunde nachher kam man, um den Tisch wegzunehmen. Aber Mylady bemerkte, daß Felton die Soldaten diesmal nicht begleitete.

Er fürchtete also, sie zu oft zu sehen.

Sie wandte sich ab, um zu lächeln, denn in diesem Lächeln lag ein so triumphirender Ausdruck, daß sie sich schon dadurch hätte verrathen können.

Abermals ließ sie eine halbe Stunde vergehen, und da in diesem Augenblick Alles in dem alten Schlosse still war und man nur das ewige Gemurmel des Meeres, dieses ungeheure Athemholen des Oceans, vernahm, so stimmte sie mit ihrer reinen, klangreichen, vibrirenden Stimme den ersten Vers des folgenden, damals bei den Puritanern sehr beliebten, Psalmes an:

«Herr Du verläßt uns nur. Zu prüfen uns're Stärke, Doch Deine Himmelshand Beut dann den Preis für unsere Werke.«

Diese Verse waren nicht ausgezeichnet, dazu fehlte im Gegentheil noch viel: aber die Protestanten kümmerten sich nichts um die Poesie.

Während Mylady sang, horchte sie zugleich. Der Soldat, welcher vor ihrer Thüre Wache hielt, stand stille, als ob er in Stein verwandelt worden wäre. Mylady konnte hienach die Wirkung beurtheilen, die sie hervorgebracht hatte.

Sie setzte nun ihren Gesang mit unaussprechlicher Inbrunst und Gefühlsfülle fort. Es kam ihr vor, als verbreiteten sich die Töne in der Feme unter den Gewölben und müßten wie ein magischer Zauber das Herz ihrer Kerkermeister erweichen. Jedoch, der Soldat, welcher Schildwache stand, ohne Zweifel ein eifriger Katholik, schüttelte den Zauber ab, denn er öffnete das in der Thüre angebrachte Gitter und sprach:

«Schweigt, Madame, Euer Gesang ist traurig, wie de profundis, und wenn man, außer dem Vergnügen, hier in Garnison zu sein, auch noch solche Dinge hören müßte, so wäre es nicht auszuhalten.«

«Stille!«sagte eine tiefe Stimme, an der Mylady Felton erkannte.»In was mischt Ihr Euch, Bursche? Hat man Euch geboten, diese Frau im Singen zu hindern? Nein! man hat Euch gesagt, Ihr sollt sie bewachen und auf sie schießen, wenn sie zu entweichen suchen würde. Bewacht sie, schießt auf sie, wenn sie entweichen will, aber ändert nichts an dem Befehl.«

Ein Ausdruck unnennbarer Freude erleuchtete das Antlitz Mylady's, aber dieser Ausdruck war flüchtig, wie der Wiederstrahl eines Blitzes, und als ob sie das Zwiegespräch nicht gehört hätte, von dem sie kein Wort verlor, fuhr sie zu singen fort, indem sie ihrer Stimme den ganzen Zauber, den ganzen Umfang, die ganze Verführungskraft verlieh, womit sie von einem Dämon ausgerüstet war.

«Für so viele Thränen, Elend, Bann und Ketten Bleibt mir Gebet noch, Kraft und Jugend, Gott zählt sie selbst, die Zahl der Schrecken, Und lohnt sie mit dem Lohn der Tugend.«

Diese Stimme von unerhörtem Umfang und voll erhabener Leidenschaft gab der rohen, ungeschliffenen Poesie dieser Psalmen eine Zauberkraft, welche selbst die begeisterten Puritaner nur selten in den Gesängen ihrer Brüder fanden: Felton glaubte den Engel singen zu hören, der die drei Hebräer im feurigen Ofen tröstete.

Mylady fuhr fort:

«Er kommt gewiß, gerechter großer Gott, Des Leidens Lösetag, Und immer bleibt uns Märtyrthum und Tod, Ob jener auch die Hoffnung täuschen mag.«

Dieser Vers, in welchen die furchtbare Zauberin ihre ganze Seele legte, vollendete die Verwirrung im Herzen des jungen Offiziers. Er öffnete heftig die Thüre und Mylady sah ihn bleich wie immer, aber mit glühenden, beinahe irren Augen eintreten.

«Warum singt Ihr so, «sprach er,»und mit einer solchen Stimme?«

«Ich bitte um Vergebung, mein Herr, «erwiderte Mylady mit sanftem Tone.»Ich vergaß, daß meine Lieder in diesem Hause nicht gebräuchlich sind. Ich habe Euch ohne Zweifel in Eurem Glauben verletzt, aber ich schwöre Euch, es geschah unwillkürlich. Verzeiht mir also einen Fehler, der vielleicht groß, aber gewiß absichtslos ist.«

Mylady war in diesem Augenblick so schön, die religiöse Begeisterung, in welche sie sich versetzt hatte, gab ihrem Gesicht einen solchen Ausdruck, daß es Felton in seiner Verblendung vorkam, als sähe er den Engel, den er kurz zuvor zu hören geglaubt hatte.

«Ja, ja, «antwortete er,»ja, Ihr stört die Leute, die dieses Schloß bewohnen, Ihr bringt sie in Aufregung.«

Der arme Thor bemerkte nicht einmal die Zusammenhangslosigkeit seiner Rede, während Mylady ihr Luchsauge in die tiefste Tiefe seiner Seele tauchte.

«Ich werde schweigen, «sprach Mylady, indem sie mit der ganzen Weichheit, die sie ihrer Stimme, mit der ganzen Resignation, die sie ihrer Haltung zu geben vermochte, die Augen niederschlug.

«Nein, nein, Madame, «erwiderte Felton,»singt nur etwas weniger laut, besonders bei Nacht.«

Nach diesen Worten verließ Felton eilig das Zimmer, da er fühlte, daß er der Gefangenen gegenüber seine Strenge nicht länger zu bewahren vermochte.

«Ihr habt wohl gethan, Lieutenant, «sagte der Soldat.»Solche Gesänge drehen das Herz um; doch man gewöhnt sich am Ende daran. Die Stimme ist so schön!«

XXVI. Dritter Tag der Gefangenschaft

Felton war gekommen, aber es blieb noch ein Schritt zu thun: man mußte ihn zurückhalten oder er mußte vielmehr von selbst bleiben, und Mylady sah nur dunkel das Mittel, das sie zu diesem Resultate führen sollte.

Man brauchte noch mehr, man mußte ihn zum Sprechen bringen, um ebenfalls mit ihm zu sprechen; denn Mylady wußte wohl, daß ihre größte Versuchungskraft in ihrer Stimme lag, welche so geschickt die ganze Tonleiter von dem menschlichen Wort bis zur himmlischen Sprache durchlief.

Aber trotz dieser Verführungskunst konnte Mylady an dem geringsten Zufall scheitern, denn Felton war unterrichtet. Von nun an beobachtete sie alle seine Handlungen, alle seine Worte, den einfachsten Blick seiner Augen, jede Geberde, jedes Athemholen, das man als einen Seufzer halten konnte, kurz sie studirte Alles, wie ein geschickter Schauspieler, dem man eine Rolle in einem Fach gegeben hat, worin er nicht gewöhnlich auftritt.

Lord Winter gegenüber war ihr Benehmen leichter; in Beziehung auf ihn hatte sie schon am Tage vorher ihren ganzen Operationsplan festgestellt; stumm und würdig in seiner Anwesenheit bleiben, ihn zuweilen durch eine geheuchelte Verachtung, durch ein geringschätziges Wort reizen, ihn zu Drohungen und Gewaltthätigkeiten antreiben, die einen Kontrast mit ihrer Resignation bilden würden, dies war ihr Plan. Felton würde sehen, er würde vielleicht nichts sagen, aber er würde sehen.

Am Morgen kam Felton, wie gewöhnlich. Mylady ließ ihn allen Vorbereitungen zu ihrem Frühstück beiwohnen, ohne ein Wort an ihn zu richten.

In dem Augenblick, wo er sich entfernen wollte, belebte sie daher ein Hoffnungsschimmer, denn sie glaubte, er wolle sprechen; aber seine Lippen bewegten sich, ohne daß ein Ton aus seinem Munde kam, mit einer gewaltigen Anstrengung verschloß er die Worte, die seinen Lippen entschlüpfen wollten, und verließ das Zimmer.

Gegen Mittag trat Lord Winter ein.

Es war ein schöner Sommertag, und ein Strahl der bleichen Sonne Englands, welche erleuchtet und nicht erwärmt, drang durch die Gitter des Gefängnisses.

Mylady schaute durch das Fenster und stellte sich, als ob sie das Oeffnen der Thüre nicht hörte.

«Ah, ah, «sagte Lord Winter,»nachdem man abwechselnd Komödie und Tragödie gespielt hat, spielt man jetzt Melancholie.«

Die Gefangene antwortete nicht.

«Ja, ja, ich verstehe, «fuhr Lord Winter fort.»Ihr möchtet wohl auf diesem Gestade in Freiheit sein, Ihr möchtet wohl auf einem guten Schiff die Wellen dieser smaragdgrünen See durchfurchen. Ihr möchtet, sei es zu Wasser oder zu Land, mir einen jener guten kleinen Hinterhalte legen, die Ihr so schön einzurichten wißt. Geduld, Geduld! in vier Tagen ist Euch das Gestade erlaubt und die See geöffnet, mehr vielleicht, als Ihr wünschen möget, denn in vier Tagen ist England von Euch befreit.«

Mylady faltete die Hände und schlug ihre schönen Augen zum Himmel auf.

«Herr, Herr, «sprach sie mit englischer Weichheit der Geberde und Betonung,»vergib diesem Manne, wie ich ihm selber vergebe!«

«Ja bete. Verdammte!«rief der Baron,»Dein Gebet ist um so edelmüthiger, als Du Dich, ich schwöre es Dir, in der Gewalt eines Menschen befindest, der Dir nicht vergeben wird.«

Und er entfernte sich.

Im Moment wo er hinausging, glitt ein scharfer Blick durch die halbgeöffnete Thür, und sie gewahrte Felton, der sich rasch auf die Seite drückte, um nicht gesehen zu werden.

Dann warf sie sich auf die Kniee und fing an zu beten.

«Mein Gott! mein Gott!«sagte sie,»Du weißt, für was für eine heilige Sache ich leide. Gib mir die Kraft, das Leiden zu ertragen.«

Die Thüre wurde sachte geöffnet, die schöne Beterin gab sich den Anschein, als hätte sie es nicht einmal gehört, und fuhr mit einer thränenreichen Stimme fort:

«Rächender Gott! Gott der Güte! wirst Du die schändlichen Pläne dieses Mannes in Erfüllung gehen lassen?«

Jetzt erst stellte sie sich, als hörte sie das Geräusch der Tritte Feltons; sie sprang rasch wie ein Gedanke aus und erröthete, als schämte sie sich, auf den Knieen getroffen worden zu sein.

«Ich störe Betende nicht gerne, Madame, «sprach Felton mit ernstem Tone.»Laßt Euch also nicht durch mich unterbrechen, ich beschwöre Euch darum.«

«Woher wißt Ihr, daß ich betete?«sagte Mylady mit einer von Schluchzen erstickten Stimme.»Ihr täuschet Euch, mein Herr, ich betete nicht.«

«Glaubt Ihr denn, Madame, «antwortete Felton, mit demselben Ernst, doch mit etwas weicherem Ausdruck,»glaubt Ihr, ich halte mich für berechtigt, ein Geschöpf, das sich vor seinem Schöpfer niederwerfen will, daran zu verhindern? das wolle Gott verhüten! Ueberdies steht den Schuldigen die Reue wohl an, welches Verbrechen sie auch begangen haben mögen, ein Schuldiger ist mir heilig zu den Füßen Gottes.«

«Schuldig ich?«entgegnete Mylady mit einem Lächeln, das einen Engel des jüngsten Gerichts entwaffnet haben würde.»Schuldig, o mein Gott! Du weißt, ob ich es bin? Sagt, ich sei verdammt, mein Herr! Aber Ihr wißt, Gott, der die Märtyrer liebt, läßt es oft zu, daß die Unschuldigen auf dieser Erde verdammt werden.«

«Mögt Ihr verdammt, mögt Ihr unschuldig, mögt Ihr eine Märtyrin sein, «antwortete Felton,»Ihr habt um so mehr Grund zu beten, und ich werde Euch mit meinem Gebet unterstützen.«

«Oh! Ihr seid ein Gerechter, «rief Mylady ihm zu Füßen fallend,»hört, ich kann es nicht länger in mir verschließen, denn ich fürchte, es könnte mir in dem Augenblick, wo ich den Kampf bestehen und meinen Glauben bekennen soll, an Kraft mangeln; hört das Flehen einer Frau, welche von der Verzweiflung erfaßt ist. Man täuscht Euch, mein Herr, aber hievon soll nicht die Rede sein. Ich bitte Euch nur um eine Gnade, und wenn Ihr sie mir gewährt, werde ich Euch dafür in dieser und in der andern Welt segnen.«

«Sprecht mit dem Herrn, Madame, «sagte Felton,»ich habe zum Glück nicht den Auftrag, zu vergeben oder zu strafen. Gott hat diese Verantwortlichkeit einem Höheren übertragen.«

«Mit Euch, nein, mit Euch allein. Hört mich und tragt zu meinem Untergange, zu meiner Schmach bei.«

«Wenn Ihr diese Schmach verdient habt, Madame, wenn Ihr die Schande Euch selbst zuzuschreiben habt, so müßt Ihr Euch geduldig unterwerfen und in Gottes Willen fügen.«

«Was sagt Ihr? Oh! Ihr versteht mich nicht. Wenn ich von Schande spreche, so meint Ihr, ich spreche von einer Bestrafung, von Gefängnis oder vom Tod? Möchte es dem Himmel so gefallen! Was liegt mir an Tod oder Gefängniß?«

«Nun begreife ich Euch nicht, Madame, «sagte Felton.

«Oder Ihr stellt Euch, als ob Ihr mich nicht begriffet, mein Herr, «erwiderte die Gefangene mit einem zweifelhaften Lächeln.

«Nein, Madame, bei der Ehre eines Soldaten, bei dem Glauben eines Christen.«

«Wie! Ihr kennt die Absichten Lord Winters in Beziehung auf meine Person nicht?«

«Ich kenne sie nicht.«

«Unmöglich! Ihr, sein Vertrauter!«

«Ich lüge nie, Madame.«

«Doch er verstellt sich zu wenig, als daß man ihn nicht errathen sollte.«

«Ich suche nichts zu errathen, ich warte, bis man mir etwas anvertraut, und außer dem, was er mir in Eurer Gegenwart gesagt hat, ist mir von Lord Winter nichts anvertraut worden.«

«Wie!«rief Mylady mit einem unglaublichen Gepräge von Wahrheit,»Ihr seid also nicht sein Mitschuldiger! Ihr wißt nicht, daß er mir eine Schmach anzuthun gedenkt, der alle Strafen der Erde an Abscheulichkeit nicht gleichkommen?«

«Ihr täuscht Euch, Madame, «entgegnete Felton erröthend.»Lord Winter ist keines solchen Verbrechens fähig.«

«Gut!«sagte Mylady zu sich selbst,»er nennt das ein Verbrechen, ohne zu wissen, was es ist.«

Dann sprach sie laut:

«Der Freund des Schändlichen ist zu Allem fähig.«

«Wen nennt Ihr den Schändlichen?«fragte Felton.

«Gibt es in England zwei Menschen, denen ein solcher Name gebührt?«

«Ihr sprecht von George Villiers, «sagte Felton, dessen Blicke flammten.

«Den die Heiden, die Ungläubigen und die Gottlosen Herzog von Buckingham nennen, «versetzte Mylady;»ich hätte nicht geglaubt, daß in ganz England ein Mensch leben könnte, der einer so langen Erläuterung bedürfte, um denjenigen zu erkennen, von welchem ich sprechen wollte.«

«Die Hand des Herrn ist über ihm ausgestreckt, er wird der verdienten Strafe nicht entgehen.«

Felton sprach in Beziehung auf den Herzog nur das Gefühl der Verwünschung aus, das alle Engländer gegen den Mann hegten, den auch die Katholiken schlechtweg Satan nannten.

«Oh! mein Gott! mein Gott!«rief Mylady,»wenn ich Dich bitte, über diesen Menschen die ihm gebührende Strafe zu verhängen, so weißt Du, daß ich nicht meiner eigenen Rache Genüge thun will, sondern die Befreiung eines Volkes vom Himmel erflehe.«

«Ihr kennt ihn also?«fragte Felton.

«Endlich fragt er mich!«sagte Mylady zu sich selbst, voll Freude, so schnell zu einem so großen Resultat gelangt zu sein.

«Ob ich ihn kenne! oh ja! zu meinem Unglück, zu meinem ewigen Unglück. «Und Mylady rang die Hände, als ob sie von einem Paroxismus des Schmerzes befallen wäre.

Felton fühlte ohne Zweifel in seinem Innern, daß ihn die Kraft verließ; er machte einige Schritte gegen die Thüre; aber die Gefangene, welche ihn nicht aus den Augen ließ, lief ihm nach und hielt ihn zurück.

«Mein Herr!«rief sie,»seid barmherzig, hört meine Bitte. Das Messer, welches mir die unselige Klugheit des Barons genommen hat, weil er weiß, welchen Gebrauch ich davon machen will… Oh! hört mich bis zu Ende. Dieses Messer, oh! gebt es mir nur auf eine Minute zurück, gebt es mir aus Gnade, aus Mitleid. Ich umfasse Eure Kniee! Ihr schließt die Thüre, ich will nicht Euch an das Leben gehen. Gott! Euch an das Leben gehen. Euch, dem einzigen gerechten, guten und teilnehmenden Wesen, das ich getroffen habe! Euch, meinem Retter vielleicht. Eine Minute, nur eine Minute dieses Messer und ich gebe es Euch durch das Gitter der Thüre zurück! Nur eine Minute, Herr Felton, und Ihr habt meine Ehre gerettet!«

«Euch tödten!«rief Felton voll Schrecken und vergaß seine Hände denen seiner Gefangenen zu entziehen;»Euch tödten!«

«Ich habe es ausgesprochen, mein Herr, «murmelte Mylady, indem sie die Stimme sinken ließ und kraftlos auf den Boden niederfiel,»ich habe mein Geheimniß ausgesprochen! Er weiß Alles, mein Gott! ich bin verloren!«

Felton blieb unbeweglich und unentschlossen auf der Stelle.

«Er zweifelt noch, «dachte Mylady,»ich bin nicht wahr genug gewesen.«

Man hörte in der Flur gehen, Mylady erkannte den Tritt von Lord Winter.

Felton erkannte ihn ebenfalls und machte einen Schritt gegen die Thüre.

Mylady sprang auf und sagte mit gepreßter Stimme:

«Oh! nicht ein Wort, nicht ein Wort zu diesem Menschen von Allem, was ich Euch gesagt habe, oder ich bin verloren; und Ihr seid es… Ihr…«

Als die Tritte nun näher kamen, schwieg sie aus Furcht, ihre Stimme könnte gehört werden, und legte dabei mit einer Geberde unsäglichen Schreckens ihre schöne Hand Felton auf den Mund.

Felton stieß Mylady sanft zurück und diese sank auf eine Bank.

Lord Winter ging an der Thüre vorüber, ohne stehen zu bleiben, und man vernahm das Geräusch der Tritte, wie sie sich entfernten.

Bleich wie der Tod, horchte Felton einen Augenblick mit gespanntem Ohr; als aber das Geräusch gänzlich erstorben war, athmete er wie ein Mensch, der aus einem Traume erwacht, und stürzte aus dem Zimmer.

«Ah!«sagte Mylady, als sie die Tritte Feltons in entgegengesetzter Richtung sich ebenfalls verlieren hörte,»endlich bist Du mein.«

Dann verdüsterte sich ihre Stirne wieder.

«Wenn er bei dem Baron plaudert, bin ich verloren, «sagte sie,»denn der Baron, der wohl weiß, daß ich mir nicht das Leben nehme, wird mir in seiner Gegenwart ein Messer in die Hände geben, und Felton wird sehen, daß diese ganze große Verzweiflung nur eine Spiegelfechterei war.«

Sie stellte sich vor den Spiegel und beschaute sich: nie war sie so schön gewesen.

«Oh! ja, «sprach sie lächelnd,»aber er wird nicht plaudern.«

Am Abend erschien Lord Winter, als man Mylady ihr Mahl brachte.

«Mein Herr, «sprach Mylady,»ist Eure Gegenwart eine nothwendige Beigabe meiner Gefangenschaft, und könntet Ihr mir nicht den Zuwachs an Qualen ersparen, den mir Eure Besuche verursachen?«

«Wie, meine liebe Schwester, habt Ihr mir nicht auf eine ganz empfindsame Weise mit diesem schönen, heute aber gegen mich so grausamen, Munde angekündigt, Ihr seiet einzig und allein, um mich nach Gefallen sehen zu können, nach England gekommen, nur um diesen Genuß zu haben, dessen Entbehrung Ihr so sehr fürchtetet, wie Ihr mir sagt, daß Ihr Alles dafür gewagt habt, Seekrankheit, Sturm, Gefangenschaft? Uebrigens hat mein Besuch diesmal einen Grund.«

Mylady bebte; sie glaubte, Felton habe gesprochen; nie vielleicht fühlte diese Frau, welche so mächtige und entgegengesetzte Gemütsbewegungen erfahren hatte, ihr Herz so heftig schlagen.

Sie saß; Lord Winter nahm einen Lehnstuhl, stellte ihn neben sie, setzte sich und zog ein Papier aus seiner Tasche, das er langsam entfaltete.

«Hört, «sprach er,»ich wollte Euch diesen Paß zeigen, den ich selbst abgefaßt habe, und der Euch als Verhaltungs-Vorschrift in dem Leben dienen soll, das ich Euch lasse.«

Dann las er, seine Augen von Mylady ab und nach dem Papier wendend:

«Befehl, die Charlotte Backson, welche durch die Gerichte des Königreichs Frankreich gebrandmarkt, aber nach der Strafvollziehung wieder frei gelassen worden ist, nach… der Name ist noch nicht eingetragen, «unterbrach sich Winter,»wenn Ihr einem Orte den Vorzug gebt, so sagt es mir; beträgt die Entfernung wenigstens zwei tausend Meilen von London, so soll Euch willfahrt werden. Ich fahre also fort: Befehl, die Charlotte Backson, welche durch die Gerichte des Königreichs Frankreich gebrandmarkt, aber nach der Strafvollziehung wieder frei gelassen worden ist, nach… zu führen. Sie wird an diesem Orte bleiben, ohne sich je mehr als drei Meilen davon zu entfernen. Im Fall eines Fluchtversuches soll die Todesstrafe an ihr vollzogen werden. Sie erhält täglich fünf Schillinge für Kost und Wohnung.«

«Dieser Befehl betrifft mich nicht, «sprach Mylady kalt,»da ein anderer Name als der meinige, eingetragen ist.«

«Ein Name! habt Ihr einen Namen?«

«Ich habe den Eures Bruders.«

«Ihr täuscht Euch; mein Bruder ist nur Euer zweiter Gatte, und der erste lebt noch. Sagt mir seinen Namen und ich werde ihn an die Stelle von Charlotte Backson setzen. Nicht? Ihr wollt nicht?… Ihr schweigt. Gut; Ihr werdet unter dem Namen Charlotte Backson in das Gefangenen-Register eingetragen.«

Mylady blieb stumm; diesmal aber geschah es nicht aus Verstellung, sondern vor Schrecken. Sie glaubte, der Befehl werde alsbald vollstreckt werden; sie fürchtete, Lord Winter habe ihre Abreise beschleunigt; sie glaubte sich verurtheilt, schon an demselben Abend weggebracht zu werden; für einen Augenblick war in ihrem Innern Alles verloren, als sie plötzlich bemerkte, daß der Befehl noch nicht mit einer Unterschrift versehen war.

Die Freude, welche ihr diese Entdeckung gewährte, war so groß, daß sie nicht die Kraft besaß, sie zu verbergen.

«Ja, ja, «sprach Lord Winter, als er wahrnahm, was in ihr vorging,»ja, Ihr sucht die Unterschrift, und sagt Euch:»»Noch ist nicht Alles verloren, da diese Akte nicht unterzeichnet ist. Man zeigt sie mir, um mir Schrecken einzuflößen, das ist das Ganze.««Ihr täuscht Euch: morgen wird dieser Befehl Lord Buckingham zugeschickt, übermorgen kommt er von seiner Hand unterzeichnet und mit seinem Siegel versehen zurück, und vierundzwanzig Stunden nachher, dafür stehe ich Euch, beginnt der Anfang der Vollstreckung. Gott befohlen, Madame, ich habe Euch sonst nichts zu sagen.«

«Und ich, mein Herr, erkläre Euch, daß dieser Mißbrauch der Gewalt, daß diese Verbannung unter einem fremden Namen eine Niederträchtigkeit ist.«

«Wollt Ihr vielleicht lieber unter Euerem eigenen Namen gehenkt werden? Ihr wißt, die englischen Gesetze sind unerbittlich im Punkte einer Doppelehe; erklärt Euch ganz offen; obgleich mein Name oder vielmehr der meines Bruders in diese Geschichte verflochten ist, scheue ich doch den Scandal eines öffentlichen Prozesses nicht, wenn ich überzeugt sein kann, daß ich mit Einem Schlag von Euch befreit werde.«

Mylady antwortete nicht, wurde aber leichenblaß.

«Oh, ich sehe, daß Ihr die Auswanderung vorzieht. Vortrefflich, Madame, ein altes Sprichwort behauptet: Reisen bilden die Jugend. Meiner Treu, Ihr habt nicht ganz Unrecht, das Leben ist so schön! Darum habe ich auch ganz und gar keine Lust, mich von Euch umbringen zu lassen. Es bleibt also noch der Punkt der fünf Schillinge zu ordnen; ich zeige mich hier etwas sparsam, nicht wahr? Das kommt davon her, daß ich Euch die Möglichkeit rauben will. Eure Wächter zu bestechen. Uebrigens besitzt Ihr immer noch Eure Reize, um sie zu verführen. Benützt sie, wenn der Umstand, daß Ihr bei Felton gescheitert seid, Euch nicht einen Widerwillen gegen dergleichen Versuche beigebracht hat.«

«Felton hat nicht gesprochen, «sagte Mylady zu sich selbst,»noch ist nichts verloren.«

«Und nun, Madame, auf Wiedersehen! Morgen werde ich Euch den Abgang meines Boten melden.«

Lord Winter stand auf, verbeugte sich ironisch vor Mylady und verließ das Zimmer.

Mylady athmete: sie hatte noch vier Tage vor sich, vier Tage genügten ihr, um Felton vollends zu verführen.

Ein furchtbarer Gedanke tauchte in ihr auf, der Gedanke, Lord Winter könnte Felton selbst abschicken, um den Befehl von Buckingham unterzeichnen zu lassen; auf diese Art entging ihr Felton, denn es bedurfte des Zaubers einer fortwährenden Verführung, wenn die Gefangene ihren Plan zum Ziel führen sollte.

Doch, wie gesagt, ein Umstand beruhigte sie; Felton hatte nicht gesprochen.

Sie wollte sich nicht das Ansehen geben, als ob Winters Drohungen ihr zu Herzen gingen; deßhalb setzte sie sich zu Tisch und speiste.

Dann warf sie sich, wie am Tage vorher, auf die Kniee und betete laut. Der Soldat hörte, wie am Tage vorher auf, im Gange umherzumarschiren, blieb vor der Thüre stille stehen und lauschte.

Bald vernahm sie leichtere Tritte, als die der Wache, welche aus dem Hintergrunde der Flur kamen und vor ihrer Thüre still anhielten.

«Er ist es, «sagte sie.

Und sie stimmte denselben religiösen Gesang an, der am Abend vorher Felton so sehr exaltirt hatte.

Aber ihre Thüre blieb verschlossen, obgleich ihre sanfte, volle, sonore Stimme harmonischer, ergreifender vibrirt hatte, als je. Wohl glaubte Mylady bei einem flüchtigen Blicke, den sie nach dem Gitter warf, die glühenden Augen des jungen Mannes gesehen zu haben, aber ob es nun Wirklichkeit oder eine Vision war, diesmal hatte er die Macht über sich selbst, nicht einzutreten.

Nur meinte Mylady einige Augenblicke, nachdem sie ihren religiösen Gesang vollendet hatte, einen tiefen Seufzer zu vernehmen; dann entfernten sich dieselben Tritte, welche sie kommen gehört hatte, langsam und mit Widerwillen.


XXVII. Vierter Tag der Gefangenschaft

Als Felton am andern Tage bei Mylady eintrat, stand sie auf einem Stuhle und hielt einen, mittelst mehrerer in Streifen zerrissener Batistsacktücher geflochtenen Strick in der Hand. Bei dem Geräusch, das Felton durch das Oeffnen der Thüre verursachte, sprang Mylady leise vom Stuhle herab und suchte den improvisirten Strick hinter sich zu verbergen.

Der junge Mann war noch bleicher als gewöhnlich, und seine von der Schlaflosigkeit gerötheten Augen verriethen, daß er eine fieberhafte Nacht zugebracht hatte.

Aber seine Stirne war mehr als je mit einem tiefen Ernst bewaffnet.

Er ging langsam auf Mylady, die sich niedergesetzt hatte, zu, nahm das mörderische Geflechte, das sie aus Unachtsamkeit oder absichtlich hatte vorsehen lassen, an einem Ende und fragte kalt:

«Was soll das bedeuten, Madame?«

«Dies? nichts, «erwiderte Mylady, indem sie mit jenem schmerzhaften Ausdruck, den sie ihren Zügen so gut zu geben wußte, lächelte.»Die Langweile ist, wie Ihr wißt, der Todfeind der Gefangenen. Ich langweilte mich und suchte mich durch das Flechten dieses Strickes zu zerstreuen.«

Felton schaute nach dem Punkte an der Wand, vor dem er Mylady auf dem Stuhle stehend getroffen hatte, auf welchem sie jetzt saß, und er gewahrte über ihrem Kopfe eine vergoldete Krampe in der Mauer befestigt, die zum Aufhängen von Waffen oder Kleidern bestimmt war.

«Und warum standet Ihr auf diesem Stuhle?«fragte er.

«Was kümmert das Euch?«entgegnete Mylady.

«Aber ich wünsche es zu wissen.«

«Fragt mich nicht, «sagte die Gefangene:»Ihr wißt wohl, daß es uns wahren Christen verboten ist, zu lügen.«

«Nun ich will Euch sagen, «sprach Felton,»was Ihr thatet, oder was Ihr vielmehr thun wolltet. Ihr wolltet den unseligen Gedanken zur Ausführung bringen, den Ihr in Eurem Innern nährt. Wenn Euer Gott die Lüge verbietet, Madame, so verbietet er noch viel strenger den Selbstmord.«

«Wenn Gott eines von seinen Geschöpfen, ungerechter Weise verfolgt, zwischen Selbstmord und Schande gestellt sieht, «antwortete Mylady im Tone tiefer Ueberzeugung,»glaubt mir, mein Herr, dann vergibt Gott den Selbstmord, denn der Selbstmord wird zum Märtyrthum.«

«Ihr sagt zu viel oder zu wenig; sprecht, Madame, ums Himmels willen, erklärt Euch.«

«Soll ich Euch die Unglücksfälle meines Lebens erzählen, damit Ihr sie für Märchen erkläret? Soll ich Euch meine Pläne nennen, damit Ihr sie meinem Verfolger angebt? Nein, mein Herr. Ueberdies was liegt Euch am Leben oder Tod einer unglücklichen Verdammten! Ihr seid nur für meinen Leib verantwortlich, insofern man, wenn Ihr einen Leichnam zeigt, der als der meinige erkannt wird, nicht mehr von Euch verlangen wird. Ja, vielleicht erhaltet Ihr sogar doppelten Lohn dafür?«

«Ich, Madame, ich!«rief Felton,»Ihr könnt glauben, ich würde den Preis Eures Lebens annehmen? O Ihr glaubt nicht, was Ihr da sprecht.«

«Laßt es gut sein, Felton, laßt es gut sein, «sprach Mylady voll Heftigkeit.»Jeder Soldat ist ehrgeizig, nicht wahr? Ihr seid ein Lieutenant; nun Ihr werdet meinem Leichenzuge mit dem Grad eines Kapitäns folgen.«

«Aber was habe ich Euch denn gethan, «rief Felton erschüttert,»daß Ihr mir eine solche Verantwortlichkeit vor Gott und den Menschen aufbürdet? In einigen Tagen seid Ihr ferne von hier, Madame; Euer Leben steht nicht mehr unter meiner Bewachung, und dann, «fügte er mit einem Seufzer bei,»dann werdet Ihr thun, was Euch beliebt.«

«Also Ihr, «sprach Mylady, als ob sie einer heiligen Entrüstung nicht länger widerstehen könnte,»Ihr ein heiliger Mann, Ihr, den man einen Gerechten nennt, Ihr verlangt nichts Anderes, als daß man Euch wegen meines Todes nicht eines Versehens beschuldigen könne?«

«Ich muß über Euer Leben wachen, Madame, und werde darüber wachen.«

«Aber begreift Ihr auch den Auftrag, den Ihr erfüllt? Ist er schon grausam, selbst wenn ich schuldig wäre, welchen Namen werdet Ihr ihm geben, welchen Namen wird ihm der Herr geben, wenn ich unschuldig bin?«

«Ich bin Soldat, Madame, und vollziehe die Befehle, die ich erhalten habe.«

«Glaubt Ihr, daß Gott beim jüngsten Gerichte die blinden Henker von den ungerechten Richtern trennen wird? Ihr wollt nicht, daß ich meinen Leib tödte, und macht Euch zum Werkzeug des Menschen, der meine Seele tödten will.«

«Ich wiederhole, «versetzte Felton erschüttert,»es droht Euch keine Gefahr, und ich stehe für Lord Winter, wie für mich selbst.«

«Wahnsinniger!«rief Mylady,»armer Wahnsinniger, der für einen andern Menschen stehen will, während die Weisesten, die Gottgefälligsten nicht wagen können, für sich selbst zu stehen, und der sich auf die stärkere, glücklichere Partei schlägt, um ein schwaches, unglückliches Geschöpf niederzutreten!«

«Unmöglich, Madame, unmöglich, «murmelte Felton, der in Gefangene werdet Ihr durch mich nicht die Freiheit erhalten, als Lebende erhaltet Ihr durch mich nicht den Tod.«

«Ja, «rief Mylady,»ich werde verlieren, was mir theurer ist, als das Leben; ich werde die Ehre verlieren, Felton, und Euch, Euch mache ich vor Gott und den Menschen für meine Schmach, meine Schande verantwortlich.«

Diesmal konnte Felton trotz seiner wirklichen oder scheinbaren Unempfindlichkeit dem Einflusse nicht widerstehen, der sich seiner bereits bemächtigt hatte. Diese schöne Frau, so weiß wie die reinste Vision, bald in Thränen zerfließend, bald drohend zu sehen, der Macht des Schmerzes und der Schönheit bloßgestellt zu sein, das war zu viel für ein durch glühende Träume eines exaltirten Glaubens bereits unterhöhltes Gehirn, für ein zugleich von der brennenden Liebe des Himmels und von dem verzehrenden Hasse der Menschen zernagtes Herz.

Mylady sah seine Unruhe; sie fühlte durch innere Anschauung die Flamme entgegengesetzter Leidenschaften, welche in den Adern des jungen Fanatikers brannten, und einem geschickten Generale gleich, der, wenn er sieht, daß der Feind zurückweichen will, mit einem Siegesgeschrei auf ihn losmarschirt, stand sie auf, ging wie eine schöne Priesterin des Alterthums, begeistert wie eine christliche Jungfrau, den Arm ausgestreckt, mit fliegenden Haaren, mit einer Hand schamhaft das über der Brust zusammengezogene Kleid haltend, den Blick erleuchtet von dem Feuer, das bereits eine Verwirrung in den Sinnen des jungen Puritaners hervorgebracht hatte, auf ihn zu und rief mit ihrer sanften Stimme, der sie bei dieser Gelegenheit eine furchtbare Gewalt verlieh:

«So wirf sein Opfer vor den Baal, Und wirf den Märtyrer dem Löwen vor. Gott weckt in Dir der Reue Qual, Vom Abgrund dringt mein Ruf zu ihm empor.«

Felton blieb wie versteinert auf seiner Stelle.

«Wer seid Ihr? wer seid Ihr?«rief er die Hände faltend.»Seid Ihr Engel oder Teufel! Heißt Ihr Eloah oder Astarte?«

«Hast Du mich nicht erkannt, Felton? Ich bin weder ein Engel noch ein Teufel. Ich bin eine Tochter der Erde, ich bin eine Schwester Deines Glaubens und nichts weiter.«

«Ja, ja, «sprach Felton,»ich zweifelte noch, aber jetzt glaube ich.«

«Du glaubst und bist dennoch der Schuldgenosse dieses Belialskindes, das man Lord Winter nennt? Du glaubst und lässest mich in den Händen meiner Feinde, des Feindes von England, des Feindes Gottes. Du glaubst, und dennoch überantwortest Du mich demjenigen, welcher die Welt mit seinen Ketzereien und Ausschweifungen erfüllt und befleckt, diesem schändlichen Sardanapal, den die Blinden den Herzog von Buckingham und die Gläubigen den Antichrist nennen!«

«Ich Euch Buckingham überantworten! was sagt Ihr da?«

«Sie haben Augen, «rief Mylady,»und werden nicht sehen; sie haben Ohren, und werden nicht hören!«

«Ja, ja, «sprach Felton, indem er mit den Händen über seine schweißbedeckte Stirne strich, als wollte er den letzten Zweifel entfernen;»ja, ich erkenne die Stimme, die in meinen Träumen mit mir spricht; ja, ich erkenne die Züge des Engels, der mir allnächtlich erscheint und meiner schlaflosen Seele zuruft:»»Schlage; rette England, rette Dich, denn Du wirst sterben, ohne Gott entwaffnet zu haben!««Sprecht, sprecht!«rief Felton,»denn ich kann Euch jetzt verstehen.«

Ein Blitz furchtbarer Freude, aber rasch wie der Gedanke, sprang aus den Augen Myladys hervor.

So flüchtig auch dieses mörderische Zucken gewesen war, so entging es doch Felton nicht, und er bebte, als ob dieser Blitz die Abgründe des Herzens dieser Frau erleuchtet hätte.

Felton erinnerte sich plötzlich der Bemerkungen von Lord Winter, der Verführungskünste Myladys, ihrer ersten Versuche bei ihrer Ankunft. Er wich einen Schritt zurück, ließ den Kopf sinken, hörte aber nicht auf, sie anzuschauen, als ob er von diesem seltsamen Geschöpf verzaubert wäre und seine Augen sich nicht von ihr trennen könnten.

Mylady war nicht die Frau, um sich in dem Sinne dieses Zögerns zu täuschen. Unter den scheinbaren Aufregungen verließ ihre eisige Kaltblütigkeit sie nicht. Ehe ihr Felton geantwortet hatte und sie sich genöthigt sah, das Gespräch wieder aufzunehmen, das so schwer in demselben Tone der Begeisterung fortzusetzen war, ließ sie ihre Arme zurücksinken, als ob weibliche Schwäche über den Enthusiasmus der Begeisterten obsiegte.

«Aber nein, «sprach sie,»mir kommt es nicht zu, die Judith zu sein, welche Bethulien von diesem Holofernes befreien wird. Das Schwert des Ewigen ist zu schwer für meinen Arm. Laßt mich also der Schande durch den Tod entfliehen, laßt mich meine Zuflucht zum Märtyrthum nehmen. Ich verlange von Euch nicht die Freiheit, wie dies eine Schuldige thun würde, nicht die Rache, wie es eine Heidin thäte. Ich bitte Euch, ich flehe Euch auf meinen Knieen an: laßt mich sterben, und mein letzter Seufzer soll eine Segnung für meinen Retter sein.«

Bei dieser sanften, flehenden Stimme, bei diesem schüchternen, niedergeschlagenen Blicke näherte sich Felton.

Allmählig hatte die Zauberin das magische Gewand angethan, das sie nach Belieben an- und ablegte, das heißt die Schönheit, die Sanftmuth, die Thränen und vor Allem den unwiderstehlichen Reiz mystischer Wollust, einer Wollust, die verzehrender wirkt, als jede andere.

«Ach, «sprach Felton,»ich kann weiter Nichts als Euch beklagen, wenn Ihr mir beweist, daß Ihr ein Opfer seid. Aber Lord Winter erhebt schreckliche Anschuldigungen gegen Euch. Ihr seid Christin, Ihr seid meine Religionsschwester. Ich fühle mich zu Euch hingezogen, ich, der ich nie einen andern Menschen geliebt habe als meinen Wohlthäter, ich, der ich im Leben nur Verräther und Gottlose gefunden habe! Aber Ihr, Madame, die Ihr in Wahrheit so schön, und dem Anscheine nach so rein seid, Ihr habt also, da Euch Lord Winter auf diese Weise verfolgt, große Frevel verübt?«

«Sie haben Augen, «wiederholte Mylady mit einem Ausdrucke unsäglichen Schmerzes,»und werden nicht sehen; sie haben Ohren, und werden nicht hören.«»Aber so sprecht doch, «rief der junge Offizier,»sprecht, sprecht!«

«Euch meine Schmach und meine Schande anvertrauen!«rief Mylady, mit Schamröthe im Gesicht;»denn oft ist das Verbrechen des Einen die Schande des Andern. Euch meine Schande anvertrauen, einem Manne, ich die Frau! Oh, «fuhr sie fort, und legte dabei verschämt die Hand auf die schönen Augen.»Oh! nie, nie werde ich dies über mich vermögen!«

«Vertraut mir als einem Bruder!«rief Felton.

Mylady schaute ihn lange mit einem Ausdrucke an, den der Offizier für Zweifel hielt, während er nichts Anderes, als Beobachtung und hauptsächlich Absicht zu blenden war. Nun faltete Felton flehend die Hände.

«Wohl!«sprach Mylady,»ich will mich einem Bruder anvertrauen, ich will es wagen.«

In diesem Augenblicke hörte man die Tritte von Lord Winter, aber diesmal begnügte sich der furchtbare Schwager Myladys nicht damit, wie am Tage vorher, an der Thüre vorüber zu gehen und sich wieder zu entfernen, sondern er blieb stehen und wechselte zwei Worte mit der Wache. Die Thüre öffnete sich und er trat ein.

Während die zwei Worte gewechselt wurden, war Felton rasch zurückgewichen, und als Lord Winter erschien, stand er einige Schritte von der Gefangenen entfernt.

Der Baron trat langsam ein, und ließ seinen forschenden Blick von der Gefangenen auf den jungen Offizier überschweifen.

«Ihr seid schon sehr lange hier, John, «sagte er.»Hat Euch diese Frau ihr Verbrechen erzählt? Dann begreife ich die Dauer der Unterhaltung.«

Felton bebte und Mylady fühlte, daß sie verloren war, wenn sie dem aus der Fassung gebrachten Puritaner nicht zu Hülfe kam.

«Ah, Ihr fürchtet Eure Gefangene dürfte Euch entkommen, «sprach sie.»Ei, so fragt doch Euren Kerkermeister, welche Gnade ich mir so eben von ihm erbeten habe.«

«Ihr habt Euch eine Gnade erbeten?«sprach der Baron argwöhnisch.

«Ja, Mylord, «erwiderte der junge Mann verwirrt.

«Und welche Gnade? Laßt hören!«fügte Lord Winter bei.

«Ein Messer, das sie mir eine Minute, nachdem sie es empfangen, durch das Gitter der Thüre zurückgeben will, «antwortete Felton.

«Es ist also irgend Jemand hier verborgen, den diese anmuthreiche Person erstechen will?«versetzte Lord Winter mit spöttischem, verächtlichem Tone.

«Ich bin hier, «antwortete Mylady.

«Ich habe Euch die Wahl zwischen Amerika und Tyburn gelassen, «entgegnete Lord Winter.»Wählt Tyburn, Mylady. Glaubt mir, der Strick ist sicherer, als das Messer.«

Felton fühlte einen Schauer durch das Mark seiner Knochen. Wahrscheinlich bemerkte Lord Winter diese Bewegung.

«Ihr habt Recht, «sprach Mylady,»und ich habe bereits daran gedacht;«dann fügte sie mit dumpfer Stimme bei:»ich werde noch einmal daran denken.«

Felton erbleichte und machte einen Schritt vorwärts, denn er erinnerte sich, daß Mylady, als er eintrat, einen Strick in der Hand gehalten hatte.

«Traue nicht, John, «sagte der Baron.»John, mein Freund, ich habe mich auf Dich verlassen. Nimm Dich in Acht, Du bist von mir unterrichtet. Sei übrigens guten Muths, mein Kind! In drei Tagen werden wir von diesem Geschöpfe befreit sein, und an dem Orte, wohin ich sie schicke, wird sie Niemand mehr schaden.«

«Du hörst ihn!«rief Mylady, die Stimme erhebend, so daß der Baron glaubte, sie wende sich an den Himmel, während Felton begriff, daß es ihm galt.

Felton ließ das Haupt sinken und träumte.

Der Baron nahm den Offizier beim Arme und drehte sogleich den Kopf über seine Schulter zurück, um Mylady nicht aus dem Gesichte zu verlieren, bis er das Zimmer verlassen hätte.

«Ach, ich bin noch nicht so weit vorgerückt, als ich glaubte, «sagte die Gefangene, als die Thüre wieder geschlossen war.»Der Baron hatte seine gewöhnliche Albernheit in eine ihm sonst unbekannte Klugheit verwandelt; das ist die Rachgier, die den Menschen bildet. Felton zögerte noch. Ach, das ist kein entschlossener Mensch, wie dieser verdammte d'Artagnan.«

Mylady wartete jedoch mit Ungeduld, denn sie vermuthete mit Recht, der Tag würde nicht vorüber gehen, ohne daß Felton wieder käme. Eine Stunde nach der so eben erzählten Scene hörte sie leise an der Thüre sprechen. Bald öffnete sich die Thüre und sie erkannte Felton.

Der junge Mann trat rasch in das Zimmer ein, ließ die Thüre hinter sich offen und bedeutete Mylady durch ein Zeichen, sie möge schweigen. Sein Gesicht war ganz verstört.

«Was wollt Ihr von mir?«sagte sie.

«Hört, «antwortete Felton mit leiser Stimme;»ich habe die Wache entfernt, um hier bleiben zu können, ohne daß man weiß, daß ich gekommen bin, um mit Euch sprechen zu können, ohne daß man hört, was ich Euch sage. Der Baron hat mir eine furchtbare Geschichte erzählt.«

Mylady nahm wieder das Lächeln des in sein Schicksal ergebenen Opfers an.

«Entweder seid Ihr ein Teufel, oder der Baron, mein Wohlthäter, mein Vater, ist ein Ungeheuer. Ich kenne Euch seit vier Tagen, ich liebe ihn seit zehn Jahren. Ich darf also in der Wahl zwischen Euch beiden wohl bedenklich sein. Erschreckt nicht über das, was ich Euch sage. Ich bedarf der Ueberlegung; ich komme nach Mitternacht zu Euch und Ihr werdet mich überzeugen.«

«Nein, Felton, nein, mein Bruder, «entgegnete sie.»Das Opfer ist zu groß, und ich fühle, was es Euch kostet. Nein, ich bin verloren, richtet Euch nicht auch zu Grunde. Mein Tod wird viel beredter sein, als mein Leben, und das Stillschweigen des Leichnams wird Euch eher überzeugen, als das Wort der Gefangenen.«

«Schweigt, Madame!«rief Felton,»und laßt mich nicht solche Worte hören. Ich bin gekommen, damit Ihr mir bei Eurer Ehre gelobet, damit Ihr mir schwöret bei Allem, was heilig ist, nicht Hand an Euer Leben zu legen.«

«Ich will nicht geloben, «antwortete Mylady,»denn Niemand achtet den Eid so sehr wie ich, und wenn ich geloben würde, dann müßte ich es auch halten.«

«Gut, «sagte Felton,»so versprecht es wenigstens nur bis zu dem Augenblick, wo wir uns wiedergesehen haben werden. Besteht Ihr auf Eurer Absicht, wenn wir uns wiedergesehen haben, so seid Ihr frei, und ich selbst gebe Euch die Waffe, die Ihr von mir verlangt.«

«Es sei!«sagte Mylady,»Euch zu Liebe werde ich warten.«

«Schwöret mir!«

«Ich schwöre bei unserem Gott! Seid Ihr zufrieden?«

«Wohl, «erwiderte Felton,»heute Nacht also!«

Und er stürzte aus dem Zimmer, verschloß die Thüre, und blieb außen, die Halbpike des Soldaten in der Hand haltend, als ob er die Wache bezogen hätte.

Der Soldat kam zurück, Felton gab ihm seine Waffe wieder.

Mylady sah nun durch das Gitter der Thüre, dem sie sich genähert hatte, wie sich der junge Mann mit allen Zeichen einer irrsinnigen Inbrunst geberdete und in einer Art von Entzücken durch die Hausflur wegeilte. Sie aber kehrte, ein Lächeln wilder Verachtung auf den Lippen, an ihren Platz zurück und wiederholte lächelnd den furchtbaren Namen Gottes, bei welchem sie geschworen, ohne ihn je kennen gelernt zu haben.

«Mein Gott, «sagte sie,»wahnsinniger Fanatiker, mein Gott bin ich selbst und derjenige, welcher mir zu meiner Rache verhelfen wird.«


XXVIII. Fünfter Tag der Gefangenschaft

Mylady war bereits zu einem halben Triumph gelangt und der Erfolg verdoppelte ihre Kräfte.

Bisher hatte sie keine große Mühe gehabt, um Menschen zu besiegen, welche sich leicht verführen ließen und von der galanten Erziehung des Hofes rasch in die Falle gelockt wurden. Mylady war schön genug, um die Sinne zu reizen, und geschickt genug, um alle Hindernisse des Geistes zu überwältigen.

Aber diesmal hatte sie gegen eine rohe und in ihrer Strenge unempfindliche Natur zu kämpfen. Die Religion und die Buße hatten Felton für gewöhnliche Versuchungsmittel unempfänglich gemacht. In diesem exaltirten Kopfe bewegten sich so weit umfassende Pläne, so stürmische Entwürfe, daß darin kein Platz mehr für die Liebe war, für dieses Gefühl, das sich durch die Muße nährt und durch die Verdorbenheit der Sitten groß wird.

Mylady hatte mit ihrer falschen Tugend in der Meinung eines gegen sie eingenommenen Mannes, und durch ihre Schönheit in dem Herzen und in den Sinnen eines unschuldigen Menschen Bresche gemacht.

Nichtsdestoweniger verzweifelte sie manchmal während dieses Abends an dem Geschicke und an sich selbst. Sie rief Gott nicht an, wie wir wissen, sie hegte Vertrauen zu dem Geiste des Bösen, dieser ungeheuern Souveränetät, welche in allen Einzelnheiten des menschlichen Lebens herrscht, und für die wie in der arabischen Fabel ein Granatkern hinreicht, um eine ganze verlorene Welt wieder aufzubauen.

Gut auf den Empfang Feltons vorbereitet, konnte Mylady ihre Batterien für den andern Tag aufpflanzen; sie wußte, daß ihr nur noch zwei Tage übrig blieben, daß, wenn der Befehl einmal von Buckingham unterzeichnet war (und Buckingham mußte ihn um so leichter unterzeichnen, als in dem Befehl ein falscher Name eingetragen war und er die Frau, um die es sich handelte nicht zu erkennen vermochte), daß, wenn dieser Befehl einmal unterzeichnet war, sagen wir, der Baron sie sogleich einschiffen würde; sie wußte auch, daß die zur Deportation verurtheilten Frauen sich minder mächtiger Waffen bei ihren Verführungsplänen bedienen, als die angeblich tugendhaften Frauen, deren Schönheit die Sonne der Welt bescheint, deren Geist die Stimme der Mode rühmt, die ein Wiederschein der Aristokratie mit seinem zauberhaften Glanze vergoldet. Eine zu einer entehrenden Strafe verurtheilte Frau kann immer noch schön sein, aber nicht so leicht wieder zur Macht gelangen. Wie alle Menschen von wahrem Genie kannte Mylady die ihrer Natur und ihren Mitteln zusagende Mitte. Die Armuth widerstrebte ihr, der Zustand der Verachtung minderte ihre Größe um zwei Drittheile. Mylady war nur Königin unter den Königinnen. Ihre Herrschaft bedurfte der Lust befriedigten Stolzes; untergeordnete Menschen zu beherrschen, war für sie eher eine Demüthigung als ein Vergnügen.

Gewiß wäre sie aus ihrer Verbannung zurückgekehrt, daran zweifelte sie nicht einen Augenblick; aber wie lange konnte diese Verbannung dauern? Für eine thätige, ehrgeizige Natur, wie Mylady, sind die Tage, wo man nicht emporsteigt, verlorene Unglückstage. Wie soll man also die Tage nennen, wo man nur hinabsteigt? Ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre verlieren, das ist eine Ewigkeit. Vielleicht nach dem Tode oder der Ungnade des Kardinals zurückkommen, zurückkommen, wenn d'Artagnan und seine Freunde glücklich und triumphirend die wohl verdiente Belohnung für ihre Dienste erhalten hatten: das waren verzehrende Gedanken, welche eine Frau, wie Mylady, nicht ertragen konnte. Der Sturm, welcher in ihr tobte, verdoppelte indessen ihre Kraft, und sie hätte die Wände ihres Kerkers gesprengt, wenn ihr Körper einen Augenblick die Verhältnisse ihres Geistes anzunehmen vermocht hätte.

Unter all diesen Gemüthsbewegungen wurde sie ganz besonders noch durch die Erinnerung an den Kardinal gepeinigt. Was mußte der unruhige, mißtrauische, argwöhnische Kardinal von ihrem Stillschweigen denken und sagen? der Kardinal, nicht nur ihre einzige Stütze, ihr einziger Beschützer in der Gegenwart, sondern auch das Hauptwerkzeug ihres künftigen Glückes, ihrer zukünftigen Rache? Sie kannte ihn: sie wußte, daß sie bei ihrer Rückkehr immerhin eine vergebliche Reise und ihre Gefangenschaft vorschützen, daß sie immerhin die ausgestandenen Leiden mit den schwärzesten Farben ausmalen mochte, der Kardinal würde ihr mit jener spöttischen Ruhe des zugleich durch die Kraft und das Genie mächtigen Skeptikers antworten:»Ihr hättet Euch nicht fangen lassen sollen!«

Mylady raffte ihre ganze Energie zusammen, murmelte in der Tiefe ihrer Gedanken den Namen Felton, den einzigen Strahl, der bis in die Hölle drang, in die sie gestürzt war, und der Schlange ähnlich, welche ihre Ringe rollt und entrollt, um sich, ihrer Kraft recht bewußt zu werden, hüllte sie Felton zum Voraus in die tausend Falten ihrer erfindungsreichen Einbildungskraft.

Indessen verlief die Zeit. Die Stunden schienen eine nach der andern im Vorübergehen die Glocke zu erwecken, und jeder Ton des ehernen Schlägels hallte in dem Herzen der Gefangenen wieder.

Um neun Uhr machte Lord Winter den gewöhnlichen Besuch, beschaute die Fenster und die Gitterstangen davor, sondirte den Boden und die Wände, betrachtete den Kamin und die Thüren, ohne daß während dieser langen und sorgfältigen Untersuchung Mylady oder er ein einziges Wort sprachen. Ohne Zweifel begriffen Beide, daß die Lage der Dinge zu ernst geworden war, um die Zeit mit unnöthigen Worten und in erfolglosem Zorne zu verlieren.

«Gut, «sagte der Baron, als er sie verließ,»Ihr werdet diese Nacht noch nicht entweichen.«

Um zehn Uhr führte Felton eine Wache auf, Mylady erkannte seinen Tritt; sie errieth ihn jetzt, wie eine Liebende den Geliebten ihres Herzens erräth, und dennoch verachtete, verabscheute Mylady diesen schwachen Fanatiker.

Es war nicht die verabredete Stunde und Felton trat nicht ein.

Zwei Stunden später, als es Mitternacht schlug, wurde die Wache abgelöst.

Diesmal war es die Stunde, und Mylady wartete von diesem Augenblick mit großer Ungeduld.

Die neue Wache fing an in der Flur auf und abzugehen.

Nach zehn Minuten kam Felton.

Mylady horchte.

«Höre, «sprach der junge Mann zu der Wache,»entferne Dich unter keinem Vorwand von dieser Thüre; denn Du weißt, daß in der letzten Nacht ein Soldat von Mylord bestraft worden ist, weil er einen Augenblick seinen Posten verlassen hatte, und ich hielt doch während seiner kurzen Abwesenheit Wache.«

«Ja, ich weiß es, «sagte der Soldat.

«Ich empfehle Dir also die pünktlichste Wachsamkeit; aber, «fügte er bei,»ich will hineingehen und zum zweiten Mal das Zimmer dieser Frau visitiren, welche, wie ich fürchte, Unseliges gegen sich selbst beabsichtigt, weshalb ich Befehl erhalten habe, sie zu überwachen.«

«Gut, «murmelte Mylady,»der strenge Puritaner lügt!«

Der Soldat begnügte sich zu lächeln.

«Teufel! mein Lieutenant, «sprach er,»Ihr seid nicht der Unglückseligste, daß man Euch einen solchen Auftrag gegeben hat.«

Felton erröthete; unter allen andern Umständen würde er dem Soldaten, der sich einen solchen Scherz erlaubte, einen Verweis ertheilt haben. Aber sein Gewissen murrte zu laut, als daß sein Mund zu sprechen gewagt hätte.

«Wenn ich rufe, «sagte er,»so komm; wenn man kommt, so rufe mich.«

«Sehr wohl, mein Lieutenant, «antwortete der Soldat.

Felton trat bei Mylady ein. Mylady stand auf.

«Seid Ihr hier?«sagte sie.

«Ich hatte Euch zu kommen versprochen, «erwiderte Felton,»und ich bin gekommen.«

«Ihr habt mir noch etwas Anderes versprochen.«

«Was denn, mein Gott!«rief der junge Mann, der trotz seiner Selbstbeherrschung fühlte, wie seine Kniee zitterten und der Schweiß seine Stirne befeuchtete.

«Ihr habt versprochen, mir ein Messer zu bringen und es mir nach unserer Unterredung zu lassen.«

«Verschont mich mit Euren Worten, Madame, «sagte Felton;»es gibt keine Lage, die so schrecklich wäre, daß sie ein Geschöpf Gottes berechtigte, sich den Tod zu geben. Ich habe überlegt, daß ich mich nie einer solchen Sünde schuldig machen darf.«

«Ah! Ihr habt überlegt, «sprach die Gefangene, indem sie sich mit verächtlichem Lächeln in ihren Lehnstuhl zurückwarf.»Und ich habe mir auch überlegt!«

«Was?«

«Daß ich einem Menschen, der sein Wort nicht hält, nichts zu sagen habe.«

«Oh! mein Gott, «murmelte Felton.

«Ihr könnt Euch entfernen, ich werde nichts sprechen.«

«Hier das Messer, «sagte Felton und zog die Waffe, die er mitzubringen versprochen, aber der Gefangenen nicht hatte geben wollen, aus seiner Tasche.

«Laßt sehen, «sagte Mylady.

«Was wollt Ihr damit machen?«

«Bei meiner Ehre, ich gebe Euch das Messer gleich zurück. Ihr legt es auf diesen Tisch und bleibt zwischen ihm und mir.«

Felton überreichte Mylady die Waffe, sie prüfte aufmerksam die Härtung und versuchte die Spitze an ihren Fingern.

«Gut, «sagte sie und gab das Messer dem jungen Offizier zurück…»das ist ein schöner, guter Stahl… Ihr seid ein treuer Freund, Felton.«

Felton nahm die Waffe und legte sie auf den Tisch, wie dies mit seiner Gefangenen verabredet war.

Mylady folgte ihm mit den Augen und machte eine Geberde der Zufriedenheit.

«Nun hört mich, «sprach sie.

Die Aufforderung war unnöthig, der junge Mann stand vor ihr und lauschte auf ihre Worte, um sie zu verschlingen.»Felton, «sagte Mylady mit einer schwermuthsvollen Feierlichkeit,»Felton, wenn Eure Tochter oder die Tochter Eures Vaters zu Euch spräche:»»Noch jung, zum Unglück ziemlich schön, hat man mich in eine Falle gelockt, ich widerstand; man verdoppelte die Schlingen, die Hinterhalte, die Gewaltstreiche um mich her, ich widerstand; man lästerte die Religion, der ich diene, den Gott, den ich anbete, ich widerstand; dann überhäufte man mich mit Beleidigungen, und da man meine Seele nicht zu verderben vermochte, so wollte man meinen Leib für immer brandmarken.«

Mylady hielt inne, ein bitteres Lächeln zog über ihre Lippen hin.

«Endlich, «sprach Felton,»was that man endlich?«

«Endlich eines Abends beschloß man diesen Widerstand, den man nicht besiegen konnte, zu lähmen, man mischte eines Abends ein narkotisches Mittel in mein Wasser; kaum hatte ich mein kleines Mahl beendigt, als ich von einer seltsamen Schläfrigkeit befallen wurde; obgleich ich kein Mißtrauen hegte, ergriff mich doch eine schwankende Furcht und ich suchte gegen den Schlaf zu kämpfen; ich stand auf, ich wollte zum Fenster laufen, um Hülfe rufen, aber meine Beine versagten mir den Dienst, es war mir, als sänke der Plafond auf mich herab und drückte mich mit seinem Gewichte nieder; ich streckte den Arm aus, ich versuchte zu sprechen; aber ich konnte nur unartikulirte Töne ausstoßen, eine unüberwindliche Erstarrung bemächtigte sich meiner, ich hielt mich an einem Stuhl, denn ich fühlte, daß ich dem Fallen nahe war, bald aber genügte diese Stütze für meine schwachen Arme nicht mehr, ich sank auf ein Knie, dann auf beide, ich wollte beten, meine Zunge war in Eis verwandelt. Gott hörte und sah mich ohne Zweifel nicht, und ich glitt, die Beute eines todähnlichen Schlafes, auf den Boden.

«Von Allem, was während dieses Schlafes vorging, habe ich keine Erinnerung mehr, ich weiß nur noch, daß ich in einem runden, reich ausgestatteten Zimmer erwachte, in welches das Tageslicht durch eine Oeffnung in der Decke drang. Keine Thüre schien den Eingang in dasselbe zu gewähren und man hätte glauben sollen, es wäre ein prächtiges Gefängniß.

«Lange bemühte ich mich, mir Rechenschaft von dem Orte, wo ich mich befand, und von den einzelnen Umständen zu geben, welche mich dahingebracht hatten; mein Geist schien vergebens zu kämpfen, um die drückende Finsterniß des Schlafes abzuschütteln, dem ich mich nicht zu entreißen vermochte; ich hatte unbestimmte Vorstellungen von einem durchlaufenen Räume, vom Rollen eines Wagens, aber dies Alles war so düster und schwankend in meinem Geiste, daß die Ereignisse einem andern Leben, als dem meinigen anzugehören und doch mit dem meinigen durch eine phantastische Doppelheit vermengt zu sein schienen.

«Einige Zeit kam mir der Zustand, in dem ich mich befand, so sonderbar vor, daß ich zu träumen glaubte. Allmälig aber trat die Wirklichkeit schreckensvoll vor mich, ich war nicht mehr in dem Hause, das ich sonst bewohnte; soweit ich es nach dem Sonnenlichte beurtheilen konnte, war der Tag schon zu zwei Dritteln abgelaufen, am Abend zuvor war ich eingeschlummert und mein Schlaf hatte also beinahe vierundzwanzig Stunden gedauert. Was war während dieser langen Zeit vorgefallen?

«Ich erhob mich wankend. Die Lahmheit aller meiner Bewegungen bewies, daß der Einfluß des narkotischen Mittels noch nicht ganz aufgehört hatte. Das Zimmer war übrigens zur Aufnahme eines weiblichen Wesens eingerichtet und der vollendetsten Kokette wäre kein Wunsch übrig geblieben, den sie nicht erfüllt gesehen hätte, wenn sie ihren Blick in diesem Gemach umherlaufen ließ.

«Offenbar war ich nicht die erste Gefangene, die sich in diesem glänzenden Kerker eingeschlossen gesehen hatte, aber Ihr begreift, Felton, je schöner der Kerker war, desto mehr mußte er mich in Schrecken setzen.

«Ja, es war ein Gefängniß; denn vergebens versuchte ich hinauszukommen, ich sondirte alle Wände, um eine Thüre zu entdecken, überall gaben sie einen vollen und zugleich matten Ton von sich.

«Zwanzig Mal machte ich vielleicht die Runde im Zimmer, um irgend einen Ausweg zu suchen, es war keiner vorhanden; der Müdigkeit und dem Schrecken unterliegend, sank ich in einen Lehnstuhl.

«Mittlerweile rückte die Nacht rasch heran und mit der zunehmenden Finsterniß vermehrte sich meine Angst; ich wußte nicht, ob ich da, wo ich saß, sitzen bleiben sollte, es kam mir vor, als wäre ich von unbekannten Gefahren umgeben, in die ich bei jedem Schritt stürzen müßte. Obgleich ich seit dem vorhergehenden Tage nichts gegessen hatte, ließ mich doch meine Furcht keinen Hunger empfinden.

«Kein Geräusch von außen, nach dem ich die Zeit hätte ermessen können, drang zu mir: ich vermuthete nur, es möchte etwa sieben oder acht Uhr sein; denn wir waren im Monat Oktober und es war bereits finstere Nacht.

«Plötzlich machte mich das Knarren einer auf ihren Angeln sich drehenden Thüre heftig erbeben, eine Feuerkugel erschien über der gläsernen Oeffnung, des Plafond, und ich sah zu meinem größten Schrecken, daß einige Schritte vor mir ein Mann stand.

«Ein Tisch mit zwei Gedecken, auf dem ein vollständiges Abendbrod aufgetragen war, hatte sich, wie durch einen Zauber, mitten im Zimmer erhoben.

«Dieser Mann war derjenige, welcher mich seit einem Jahre verfolgte, der meine Entehrung geschworen hatte, und mir mit den ersten Worten, die aus seinem Munde kamen, begreiflich machte, daß ich durch seinen Entschluß jeder Hoffnung beraubt sei, wieder in Freiheit gesetzt zu werden.«

«Der Schändliche!«murmelte Felton.

«Oh ja! der Schändliche!«rief Mylady, den Antheil gewahrend, den der junge Offizier, dessen Seele an ihren Lippen zu hängen schien, an dieser seltsamen Erzählung nahm,»oh! ja! der Schändliche, er glaubte, damit, daß er mich im Schlafe entführen ließ, als Alles abgemacht; er kam in der Hoffnung, ich würde meine Schande hinnehmen, weil die That vollbracht war, er bot mir ein Vermögen gegen mein Herz.

«Alles, was ein Frauenherz an erhabener Verachtung, an Worten des Abscheus in sich zu schließen vermag, ergoß ich über diesen Menschen: ohne Zweifel war er an dergleichen Vorwürfe gewöhnt, denn er hörte mich ruhig, lächelnd, mit gekreuzten Armen an; als er glaubte, ich habe Alles gesagt, näherte er sich mir, um meine Hand zu ergreifen, aber ich sprang nach dem Tische, ergriff ein Messer, hielt es an meine Brust und rief:»»Noch einen Schritt und Ihr habt Euch außer meiner Schande auch meinen Tod vorzuwerfen.««

«Ohne Zweifel lag in meinem Blick, in meiner Stimme, in meiner ganzen Person jene Wahrheit der Geberde, der Stellung und des Tones, welche auch die verdorbensten, verkehrtesten Gemüther überzeugt, denn er blieb stille stehen.

«Euern Tod?««sagte er zu mir,»»oh! nein. Ihr seid eine zu reizende Gefangene, als daß ich mich entschließen könnte. Euch so zu verlieren. Adieu, meine Schönste, um Euch wieder zu besuchen, werde ich warten, bis Ihr Euch in eine bessere Stimmung versetzt habt.««

«Nach diesen Worten pfiff er. Die Flammenkugel stieg in die Höhe und verschwand. Ich befand mich wieder in der Finsterniß. Einen Augenblick nachher hörte ich dasselbe Geräusch einer sich öffnenden und wieder schließenden Thüre. Die Feuerkugel wurde abermals herabgelassen und ich sah mich allein.

«Dieser Augenblick war furchtbar; hätte ich noch einige Zweifel über mein Unglück gehabt, sie wären unter einer jammervollen Wirklichkeit verschwunden; ich befand mich in der Gewalt eines Menschen, den ich nicht nur verabscheute, sondern auch verachtete, eines Menschen, der mir bereits einen unseligen Beweis von dem, was er zu thun im Stande war, gegeben hatte.«»Aber, wer war denn dieser Mensch?«fragte Felton. Mylady beantwortete diese Frage nicht und fuhr in ihrer Erzählung fort:

«Ich brachte die Nacht, bei dem geringsten Geräusche zitternd, auf einem Stuhle zu; um Mitternacht etwa erlosch die Lampe und ich befand mich wieder in völliger Dunkelheit, aber die Stunden gingen vorüber, ohne daß mein Verfolger zum zweiten Male erschien; der Tag brach an, der Tisch war verschwunden, nur hatte ich das Messer noch immer in der Hand.»Auf diesem Messer beruhte meine ganze Hoffnung.

«Ich war von Müdigkeit ganz entkräftet, die Schlaflosigkeit brannte m meinen Augen; denn ich hatte es nicht gewagt, auch nur einen Augenblick zu schlummern. Der Tag beruhigte mich, ich warf mich auf mein Bett, ohne mich von meinem Befreiungsmesser zu trennen, das ich unter dem Kopfkissen verbarg.

«Als ich erwachte, stand abermals ein gedeckter Tisch im Zimmer.

«Diesmal machte sich trotz meiner Befürchtungen, trotz meiner Angst ein peinlicher Hunger fühlbar, ich hatte seit achtundvierzig Stunden keine Nahrung zu mir genommen; ich aß Brod und etwas Obst; da ich mich aber des narkotischen Mittels erinnerte, mit dem das Wasser vermischt gewesen war, das ich getrunken hatte, so berührte ich das, welches auf dem Tische stand, nicht, sondern füllte mein Glas an einem marmornen, über meiner Toilette an der Wand befestigten Handbrunnen.

«Trotz dieser Vorsichtsmaßregeln schwebte ich nichtsdestoweniger in großer Angst, aber meine Furcht war dießmal nicht begründet, ich brachte den Tag hin, ohne daß ich etwas von dem verspürte, was ich gefürchtet hatte.

«Damit man mein Mißtrauen nicht wahrnähme, war ich darauf bedacht, die Flasche halb zu leeren.

«Der Abend kam, doch so finster es auch wurde, so begannen meine Augen sich daran zu gewöhnen; mitten in der Dunkelheit sah ich, wie der Tisch versank. Nach einer Viertelstunde kam er wieder mit meinem Abendbrod beladen, und einen Augenblick nachher wurde mein Zimmer mit derselben Lampe beleuchtet.

«Ich war entschlossen, nur Speisen zu mir zu nehmen, in welche man unmöglich Schlafmittel mischen konnte; zwei Eier und etwas Obst bildeten mein Mahl, dann schöpfte ich ein Glas Wasser aus meiner Schutzquelle und trank es.

«Bei dem ersten Schlucke kam es mir vor, als hätte es nicht mehr denselben Geschmack, wie am Morgen; ein jäher Verdacht regte sich in mir; ich hielt inne, aber ich hatte bereits ein halbes Glas getrunken. Den Rest goß ich mit Abscheu aus und wartete mit Angstschweiß auf der Stirne.

«Ohne Zweifel hatte mich ein unsichtbarer Zeuge Wasser aus dem Brunnen nehmen sehen und benützte gerade mein Vertrauen, um meinen so kalt beschlossenen, so grausam verfolgten Untergang sicher zu bewerkstelligen.

«Es verging keine halbe Stunde, als dieselben Symptome wieder eintraten; nur kämpfte ich länger, da ich kaum ein halbes Glas Wasser getrunken hatte, und statt gänzlich zu entschlummern, verfiel ich in eine Art von Betäubung, die mir das Gefühl von Allem, was um mich her vorging, ließ, ohne daß ich zu fliehen vermochte.

«Ich schleppte mich nach meinem Bette, um dort das einzige Vertheidigungsmittel zu suchen, das mir übrig blieb, mein Rettungsmesser, aber ich war nicht im Stande, das Kopfkissen zu erreichen, sank in die Kniee und klammerte mich mit den Händen an eine der Bettsäulen an.«

Felton wurde furchtbar bleich und ein krampfhafter Schauer durchlief seinen ganzen Körper.

«Das Gräßlichste dabei war, «fuhr Mylady mit bebender Stimme fort, als ob sie noch mit derselben Angst erfüllt wäre, wie in jenem furchtbaren Augenblicke,»das Gräßlichste dabei war, daß ich dießmal das Bewußtsein der Gefahr hatte, die mich bedrohte, daß meine Seele, so zu sagen, in meinem entschlummerten Körper wachte, daß ich sah und hörte: Alles dies freilich nur wie in einem Traum, aber darum war es nicht minder peinlich.

«Ich sah die Lampe, welche hinaufgezogen wurde und mich allmälig in der Finsterniß ließ.

«Dann hörte ich das Geräusch der Thüre, das mir so wohl bekannt war, obgleich sich diese Thüre nur zweimal geöffnet hatte.

«Ich fühlte instinktmäßig, daß man sich mir näherte; man sagt, der Unglückliche, der in den Wüsten Amerikas umherirre, fühle auf solche Art die Annäherung der Schlange.

«Ich wollte meine Kräfte zusammenraffen, ich versuchte zu schreien; durch eine unglaubliche Willensanstrengung hob ich mich sogar in die Höhe, doch nur, um sogleich wieder zurückzufallen.«

«Aber sagt mir endlich, wer war denn Euer Verfolger?«rief der junge Offizier.

Mylady überschaute mit einem Blicke, welche Pein sie Felton dadurch verursachte, daß sie bei allen Einzelnheiten ihrer Geschichte so lange verweilte; aber sie wollte ihm keine Folter ersparen. Je mehr sie ihm das Herz zu brechen vermochte, desto gewisser mußte er sie rächen. Sie fuhr also dießmal ebenfalls fort, als ob sie seinen Ausruf nicht gehört hätte, oder als ob sie glaubte, der Augenblick, ihm zu antworten, sei noch nicht gekommen.

«Als er mich anblickte, hörte ich ihn schreien:»»Diese elenden Puritaner! ich wußte wohl, daß sie ihre Henker ermüdeten, hielt sie aber für minder stark gegen ihre Verführer.««

Felton hörte zu, ohne daß er etwas Anderes vernehmen ließ, als eine Art von Schnauben; der kalte Schweiß rieselte von seiner Marmorstirne, und seine unter dem Rock verborgene Hand zerfleischte seine Brust.

«Meine erste Bewegung, «fuhr Mylady fort,»als ich zu mir selbst kam, war, daß ich unter dem Kopfkissen das Messer suchte, welches ich nicht hatte erreichen können; hatte es nicht zur Verteidigung gedient, so konnte es wenigstens zur Sühnung dienen.

«Als ich aber dieses Messer ergriff, kam mir ein furchtbarer Gedanke. Ich habe geschworen, Euch Alles zu sagen und werde Euch Alles sagen; ich habe Euch Wahrheit versprochen und werde mein Wort halten, und sollte ich dabei zu Grunde gehen.«

«Es kam Euch der Gedanke, an diesem Menschen Rache zu nehmen, nicht wahr?«rief Felton.

«Nun! ja, «erwiderte Mylady,»ich weiß wohl, dieser Gedanke ziemte sich nicht für eine Christin. Ohne Zweifel blies ihn der ewige Feind unserer Seele meinem Geiste ein. Nun, was soll ich Euch noch weiter sagen, Felton, «fuhr Mylady mit dem Tone eines Weibes fort, das sich eines Verbrechens anklagt,»dieser Gedanke kam mir und verließ mich nicht mehr. Für diese mörderische Absicht habe ich jetzt vielleicht die Strafe zu tragen.«

«Fahrt fort, fahrt fort, «rief Felton,»es drängt mich, Euch zur Rache gelangen zu sehen.«

«Oh! ich beschloß, sie so bald als möglich in das Werk zu setzen, ich zweifelte nicht daran, daß er in der nächsten Nacht wieder kommen würde. Bei Tage hatte ich nichts zu befürchten.

«Als die Frühstücksstunde kam, zögerte ich nicht zu essen und zu trinken; ich war entschlossen, mich zu stellen, als speise ich auch zu Nacht, aber nichts zu mir zu nehmen, und mußte also durch die Nahrung am Morgen das Fasten am Abend bekämpfen.

«Von meinem Frühstück nahm ich ein Glas Wasser und verbarg es, weil mich der Durst am meisten gepeinigt hatte, als ich achtundvierzig Stunden ohne Speise und Trank geblieben war.

«Der Tag verging ohne einen andern Einfluß auf mich, als daß er mich in meinem Entschluß bestärkte; nur war ich dafür besorgt, daß mein Gesicht durch Nichts den Gedanken meiner Seele kundgab, denn ich zweifelte nicht daran, daß man mich beobachtete; wiederholt fühlte ich sogar ein Lächeln auf meinen Lippen. Felton, ich wage es nicht, Euch zu gestehen, bei welchem Gedanken ich lächelte, Ihr könntet von Abscheu gegen mich ergriffen werden.«

«Fahrt fort, fahrt fort, «sprach Felton,»Ihr seht wohl, daß ich höre, und daß es mich drängt, zum Ende zu gelangen.«

«Der Abend kam, «fuhr Mylady fort,»die gewöhnlichen Ereignisse traten ein; mein Abendbrod wurde wie in den vorhergehenden Tagen in der Dunkelheit servirt, dann erleuchtete sich die Lampe und ich setzte mich zu Tische.

«Ich aß nur etwas Obst, stellte mich, als ob ich ein wenig Wasser aus der Flasche einschenkte, trank sodann dasjenige, das ich mir in meinem Glase aufbewahrt hatte, suchte dabei jedoch so geschickt zu manövriren, daß meine Spione, wenn ich welche hatte, keinen Verdacht schöpfen konnten.

«Nach dem Abendbrod gab ich dieselben Zeichen der Erstarrung kund, wie am Tage vorher, aber diesmal that ich, als ob ich entschlummerte, wie wenn ich der Müdigkeit unterläge, oder wie wenn ich mich an die Gefahr gewöhnt hätte.

«Nun fand ich mein Messer, und während ich mich schlafend stellte, preßte ich krampfhaft das Heft in der Hand.

«Es vergingen zwei Stunden, ohne daß etwas Neues vorfiel. Jetzt, o mein Gott! wer mir das am Tage vorher gesagt hätte, jetzt fürchtete ich, er könnte nicht kommen.

«Endlich sah ich die Lampe sachte sich erheben und in der Vertiefung das Plafond verschwinden; mein Zimmer erfüllte sich mit Finsterniß, aber ich strengte mich an, die Dunkelheit mit meinem Blicke zu durchdringen.

«Es gingen etwa zehn Minuten vorüber, ich hörte kein anderes Geräusch, als die Schläge meines Herzens.

«Ich flehte den Himmel an, er möge ihn kommen lassen.

«Endlich hörte ich das bekannte Knarren der Thüre, die sich öffnete und wieder schloß. Trotz eines dicken Teppichs erdröhnte der Boden unter einem Tritte und ich sah unerachtet der Finsterniß einen Schatten, der sich mir näherte.«

«Eilt, eilt!«unterbrach Felton die Erzählerin,»seht Ihr nicht, daß mich jedes Eurer Worte brennt, wie geschmolzenes Blei?«

«Da raffte ich alle meine Kräfte zusammen, «fuhr Mylady fort;»ich erinnerte mich, daß die Stunde der Rache oder vielmehr der Gerechtigkeit geschlagen hatte, ich sah mich wie eine zweite Judith an, ich hielt mein Messer in der Hand, und als ich bemerkte, daß er mir nahe genug war, stieß ich es ihm mit einem letzten Schrei des Schmerzes und der Verzweiflung mitten auf die Brust.

«Der Elende! er hat Alles vorhergesehen, seine Brust war durch ein Panzerhemd beschützt, die Messerspitze sprang ab.

«Ah! ah!«rief er, indem er mich beim Arme ergriff und mir die Waffe entriß, die mich so schlecht bedient hatte,»»Ihr trachtet mir nach dem Leben, schöne Puritanerin; aber das ist mehr als Haß, das ist Undankbarkeit. Beruhigt Euch, mein schönes Kind; ich glaubte, Ihr wäret zahm geworden. Ich bin keiner von den Tyrannen, welche die Frauen mit Gewalt zurückhalten. Ihr liebt mich nicht? Ich bezweifelte es in meiner Eitelkeit, nun bin ich überzeugt. Morgen seid Ihr frei.««

«Ich hatte nur ein einziges Verlangen, nämlich von ihm getödtet zu werden.

«Nehmt Euch in Acht,««sprach ich,»»denn meine Freiheit ist Eure Schande.««

«Erklärt Euch deutlicher, schöne Sibylle.««

«Ja, denn sobald ich diesen Ort verlassen habe, sage ich Alles; ich sage, welche Gewaltthat Ihr an mir verübt habt; mit lauter Stimme erzähle ich der Welt von meiner Gefangenschaft, von diesem Schlosse der Ehrlosigkeit. Ihr seid sehr hoch gestellt, aber zittert! Ueber Euch ist ein König! über dem König lebt ein Gott!««

«So sehr mein Verfolger noch Herr über sich zu sein schien, so vermochte er doch eine Bewegung des Zornes nicht zu bewältigen. Ich konnte den Ausdruck seines Gesichtes nicht sehen, aber ich fühlte, wie sein Arm zitterte, auf. dem meine Hand lag.»»Dann werdet Ihr nicht von hinnen gehen,««sprach er.

«Gut! gut!««rief ich,»»die Stelle meines Todes wird auch die Stelle meines Grabes sein. Ich werde hier sterben, und Ihr werdet sehen, ob ein Gespenst, das anklagt, nicht furchtbarer ist, als ein Lebender mit allen seinen Drohungen.««

«Man wird Euch keine Waffen lassen.««

«Es gibt eine, welche die Verzweiflung jedem Menschen zugänglich gemacht hat, wenn er nur den Muth besitzt, sich ihrer zu bedienen. Ich werde mich aushungern.««

«Hört,««sprach der Elende,»»ist der Friede nicht mehr werth, als ein solcher Krieg? Ich schenke Euch sogleich die Freiheit, ich erkläre Euch für eine Tugend, ich nenne Euch die Lukretia Englands.««

«Und ich sage, daß Ihr der Sextus seid, ich klage Euch vor den Menschen an, wie ich Euch vor Gott angeklagt habe, und wenn es sein muß, unterzeichne ich, wie Lucretia, meine Anklage mit Blut.««

«Ah! ah!««erwiderte mein Feind mit spöttischem Tone,»»das ist etwas Anderes. Meiner Treu, Ihr seid im Ganzen hier sehr gut, es soll Euch an nichts fehlen, und wenn Ihr Hungers sterbt, so ist es Eure eigene Schuld.««

«Nach diesen Worten entfernte er sich, ich hörte die Thüre öffnen und schließen. Ich war wie niedergeschmettert, und zwar, das gestehe ich, weniger durch meinen Schmerz, als durch die Schmach, nicht gerächt zu sein.

«Er hielt Wort. Der ganze Tag, die ganze Nacht verging, ohne daß ich ihn wieder sah, aber auch ich hielt Wort und berührte weder Speise noch Trank, denn ich war entschlossen, mich durch den Hunger zu tödten.

«Ich brachte den Tag und die Nacht in Gebeten hin, denn ich hoffte, Gott würde mir meinen Selbstmord vergeben.

«In der zweiten Nacht öffnete sich die Thüre. Ich lag auf dem Boden, die Kräfte verließen mich allmälig.

«Bei dem Geräusch richtete ich mich auf eine Hand auf.

«Nun!««sprach eine Stimme, die zu furchtbar in meinen Ohren klang, als daß ich sie nicht hätte erkennen sollen,»»nun! sind wir ein wenig besänftigt, werden wir unsere Freiheit mit dem einfachen Versprechen zu schweigen bezahlen? Hört, ich bin ein guter Mensch,««fügte er bei,»»und obgleich ich die Puritaner nicht liebe, lasse ich ihnen, wie den Puritanerinnen, wenn sie hübsch sind, Gerechtigkeit widerfahren. Auf, leistet mir einen kleinen Eid auf das Kreuz, mehr verlange ich nicht.««

«Auf das Kreuz!««rief ich mich erhebend, denn beim Ton der verhaßten Stimme hatte ich meine ganze Kraft wieder gewonnen:»»auf das Kreuz schwöre ich, daß kein Versprechen, keine Drohung, keine Marter mir den Mund verschließen soll; auf das Kreuz schwöre ich Euch als einen Mörder, als einen Ehrenräuber, als einen Elenden anzuklagen; auf das Kreuz schwöre ich, daß ich, wenn es mir je gelingt, diesen Ort zu verlassen, im Namen des ganzen Menschengeschlechts Rache gegen Euch fordern werde.««

«Nehmt Euch in Acht,««erwiderte er mit einer drohenden Betonung, die ich noch nicht von ihm gehört hatte,»»es steht mir ein Mittel zu Gebot, das ich nur im äußersten Falle anwenden werde, um Euch den Mund zu verschließen, oder wenigstens zu verhindern, daß man auch nur ein Wort von dem glaubt, was Ihr aussagt.««

«Ich raffte alle meine Kräfte zusammen, um ihm mit einem schallenden Gelächter zu antworten…

«Er sah, daß unter uns nun ein Krieg auf Leben und Tod ausgebrochen war.

«Hört,««sagte er,»»ich gebe Euch noch den Rest der Nacht und den morgigen Tag. Bedenkt wohl. Versprecht zu schweigen, und Reichthum, Achtung, Ehre soll Euch umgeben; droht Ihr zu sprechen, so überantworte ich Euch der Schande.««»»Ihr?««rief ich,»»Ihr?««

«Der ewigen, untilgbaren Schande.««»»Ihr?««wiederholte ich.»Ah! ich sage Euch, Felton, ich hielt ihn für wahnsinnig.

«Oh! laßt mich,««rief ich,»»geht, wenn Ihr nicht wollt, daß ich mir in Eurer Gegenwart die Hirnschale an der Wand zerschmettere.««

«Gut, Ihr wollt es so haben; morgen Abend also.««»»Morgen Abend,««erwiderte ich, sank auf den Boden nieder und biß vor Wuth in den Teppich.«

Felton stützte sich auf einen Schrank und Mylady sah mit teuflischer Freude, daß der junge Offizier vielleicht nicht die Kraft haben würde, die Erzählung bis zu Ende zu hören.


XXIX. Ein Vorwurf zu einer klassischen Tragödie

Nach einem kurzen Stillschweigen, während dessen Mylady den jungen Offizier, der ihr zuhörte, zu beobachten beschäftigt war, fuhr sie in ihrer Erzählung fort:

«Ich hatte beinahe drei Tage nichts gegessen und nichts getrunken, und war furchtbaren Qualen preisgegeben; zuweilen zog es wie Wolken über meine gepreßte Stirne hin, meine Augen verschleierten sich, meine Gedanken geriethen in Verwirrung.

«Der Abend kam; ich war so schwach, daß ich jeden Augenblick in Ohnmacht sank, und so oft ich ohnmächtig wurde, dankte ich Gott, denn ich glaubte, mein Tod nahe heran.

«Mitten in einer solchen Ohnmacht hörte ich, daß sich die Thüre öffnete. Der Schrecken brachte mich zum Bewußtsein.

«Mein Verfolger trat mit einem maskirten Manne ein; er war selbst maskirt; ich erkannte seinen Tritt, ich erkannte seine Stimme, ich erkannte das imposante Wesen, das die Hölle seiner Person zum Unglück der Menschheit verliehen hat.

«Nun!««sprach er,»»seid Ihr entschlossen, mir den Eid zu leisten, den ich von Euch verlange?««

«Ihr habt es gesagt, die Puritaner haben nur ein Wort: das meinige habt Ihr vernommen, ich habe mir angelobt. Euch auf Erden vor dem Gerichte der Menschen, im Himmel vor dem Gerichte Gottes zu verfolgen!««

«Ihr beharrt also auf Eurer Absicht?««

«Ich schwöre es vor Gott, der mich hört; ich nehme die ganze Welt zum Zeugen Eures Verbrechens, und zwar bis ich einen Rächer gefunden habe.««

«Ihr seid eine Metze,««rief er mit einer Donnerstimme,»»und sollt die Strafe der Metzen erdulden!.. Gebrandmarkt in den Augen der Welt, die Ihr anrufen wollt, versucht es dieser Welt zu beweisen, daß Ihr weder wahnwitzig noch schuldig seid.««

«Dann wandte er sich an seinen Begleiter mit den Worten:»»Henker, thue Deine Schuldigkeit.««

«Oh! seinen Namen! seinen Namen!«rief Felton abermals;»nennt mir seinen Namen.«

«Trotz meines Geschreis, trotz meines Widerstands, denn ich fing nun an, zu begreifen, daß es sich für mich um etwas Schlimmeres, als um den Tod handelte, packte mich der Henker, warf mich zu Boden, schnürte mir die Arme fest zusammen, und vom Schluchzen halb erstickt, beinahe ohne Bewußtsein, Gott anrufend, der mich nicht hörte, stieß ich plötzlich einen furchtbaren Schrei des Schmerzes und der Schande aus: ein glühendes Eisen, ein rothes Eisen, das Eisen des Henkers hatte man auf meine Schulter gedrückt.«

Felton schnaubte und brüllte.

«Seht, «sprach Mylady, sich mit der Majestät einer Königin erhebend,»seht Ihr, wie man für das reine Mädchen, das ein Opfer der Rohheit eines heillosen Missethäters war, ein neues Märtyrthum ersonnen hatte. Lernt das Herz der Menschen kennen, und dient von nun an minder leicht als Werkzeug ihrer ungerechten Rache.«

Mit einer raschen Bewegung öffnete Mylady ihr Kleid, zerriß den Batist, welcher ihre Schulter bedeckte, und zeigte, roth vor geheucheltem Zorn und gespielter Scham, dem jungen Manne das untilgbare Mal, das ihre so schöne Schulter entehrte.

«Aber ich sehe hier eine Lilie, «rief Felton.

«Darin liegt gerade die Niederträchtigkeit, «antwortete Mylady,»die Brandmarkung von Frankreich!.. Er hätte beweisen müssen, von welchem Tribunal mir diese aufgedrückt worden sei, und ich hätte einen öffentlichen Aufruf an alle Gerichte des Königreichs ergehen lassen. Aber durch die Brandmarkung von Frankreich war ich wirklich gebrandmarkt.«

Das war zu viel für Felton. Bleich, unbeweglich, niedergeschmettert durch diese furchtbare Enthüllung, geblendet durch die übermenschliche Schönheit dieser Frau, die sich mit einer Schamlosigkeit vor ihm enthüllte, welche er erhaben fand, stürzte er endlich vor ihr auf die Kniee nieder, wie dies die ersten Christen vor jenen heiligen Märtyrerinnen thaten, welche die Verfolgung der Kaiser im Circus der blutgierigen Lüsternheit des Pöbels bloßstellte. Das Brandmal verschwand, die Schönheit allein blieb übrig!

«Vergebung, Vergebung!«rief Felton,»o Vergebung!«

Mylady las in seinen Augen: Liebe, Liebe!

«Vergebung, wofür?«fragte sie.

«Vergebung dafür, daß ich mit Euren Verfolgern in Verbindung stand.«

Mylady reichte ihm die Hand.

«So schön! so jung!«rief Felton und bedeckte ihre Hand mit Küssen.

Mylady ließ einen jener Blicke, die einen Sklaven zum König machen, auf ihn fallen.

Felton war Puritaner. Er ließ die Hand dieser Frau los, um ihr die Füße zu küssen.

Er liebte sie bereits nicht mehr, er betete sie an.

Als diese Krise vorüber war, als Mylady ihre Kaltblütigkeit, die sie nie verlassen hatte, wieder gewonnen zu haben schien, sprach er:

«Und nun habe ich Euch nur Eines noch zu sagen: nennt mir den Namen Eures wahren Henkers, denn für mich gibt es nur einen; der andere war das Werkzeug und nicht mehr.«

«Wie, Bruder!«rief Mylady,»ich soll ihn Dir nennen und Du hast ihn noch nicht errathen?«

«Wie!«versetzte Felton,»Er!.. abermals er! — immer er!.. Er, der wahre Schuldige?«

«Der wahre Schuldige ist der Verwüster Englands, der Verfolger der ächten Gläubigen, der feige Räuber der Ehre so vieler Frauen! Er, der aus einer Laune seines verdorbenen Herzens so viel Blutvergießen über England bringt, der heute die Protestanten beschützt, und sie morgen verrathen wird.«

«Buckingham! also Buckingham!«rief Felton außer sich.

Mylady verbarg ihr Gesicht in den Händen, als vermöchte sie die Schmach nicht zu ertragen, an welche dieser Mann sie erinnerte.

«Buckingham! der Henker dieses engelreinen Geschöpfes!«rief Felton.»Und Du hast ihn nicht mit Deinem Donner niedergeschmettert, mein Gott! und Du lässest ihn erhaben, geehrt, mächtig, zu unser aller Verderben!«

«Gott verläßt den, der sich selbst verläßt, «sprach Mylady.

«Er will also auf sein Haupt die Strafe der Verdammten herabrufen, «fuhr Felton mit wachsender Begeisterung fort.»Die menschliche Rache soll also der göttlichen Rache zuvorkommen!«

«Die Menschen fürchten und schonen ihn.«

«Oh, ich fürchte ihn nicht und werde ihn nicht schonen!«rief Felton.

Myladys Seele schwamm in höllischer Freude.

«Aber in welchem Zusammenhange, «fragte Felton,»steht Lord Winter, mein Beschützer, mein Vater, mit Allem dem?«

«Hört, Felton, «erwiderte Mylady,»neben feigen und verächtlichen Menschen finden sich erhabene, edelmüthige Naturen; ich hatte einen Bräutigam, einen Mann, der mich liebte und den ich liebte, ein Herz wie das Eurige, Felton, einen Mann, wie Ihr. Ich ging zu ihm und erzählte ihm Alles. Er kannte mich und zweifelte nicht einen Augenblick. Er war ein hochgestellter Herr, in allen Beziehungen Buckingham gleich. Er sprach nichts, gürtete nur sein Schwert um, hüllte sich in seinen Mantel, und begab sich nach Buckingham Palace.«

«Ich begreife, «sagte Felton,»obgleich man gegen solchen Menschen nicht das Schwert, sondern den Dolch brauchen muß.«

«Buckingham war am Tage vorher abgereist, als Botschafter nach Spanien geschickt, wo er um die Hand der Infantin für König Karl I., der damals noch Prinz von Wales war, werben sollte. Mein Bräutigam kam zurück.«

«Hört,««sprach er zu mir,»»dieser Mensch ist abgereist, und folglich für den Augenblick meiner Rache entgangen; aber mittlerweile schließen wir unsere Verbindung, wie wir dies beabsichtigten, und dann baut auf Lord Winter, daß er seiner Ehre und die seiner Gemahlin aufrecht zu erhalten wissen wird.««

«Lord Winter!«rief Felton.

«Ja, «antwortete Mylady,»Lord Winter, und nun begreift Ihr wohl Alles, nicht wahr? Buckingham blieb beinahe ein Jahr abwesend. Acht Tage vor seiner Ankunft starb Lord Winter plötzlich und hinterließ mich als seine einzige Erbin. Woher kam der Schlag? Gott, der Alles weiß, weiß auch dies ohne Zweifel. Ich klage Niemand an.«

«Oh welch ein Abgrund! Welch ein furchtbarer Abgrund!«rief Felton.

«Lord Winter war gestorben, ohne seinem Bruder etwas zu sagen. Das furchtbare Geheimniß sollte vor Allem verborgen bleiben, bis es wie ein Gewitter über dem Haupte des Schuldigen ausbrechen würde; Euer Beschützer hatte nur mit Widerwillen die Heirath seines Bruders mit einem jungen Mädchen ohne Vermögen angesehen. Ich fühlte, daß ich keine Stütze bei einem Manne zu erwarten hatte, der in seinen Erbschaftshoffnungen betrogen worden war, und zog nach Frankreich, entschlossen, mein ganzes übriges Leben daselbst zuzubringen. Aber da sich mein Vermögen in England befand, und jede Verbindung durch den Krieg abgebrochen war, so fehlte es mir an Allem, und ich sah mich genöthigt, dahin zurückzukehren. Vor sechs Tagen landete ich in Portsmouth.«

«Was geschah weiter?«fragte Felton.

«Buckingham erfuhr ohne Zweifel meine Rückkehr, er sprach darüber mit Lord Winter und sagte ihm, seine Schwägerin sei eine Geschändete, eine Gebrandmarkte. Die edle, reine Stimme meines Gatten konnte mich nicht mehr vertheidigen. Lord Winter glaubte Alles, was man ihm sagte, um so leichter, als er ein Interesse dabei hatte, es zu glauben. Er ließ mich verhaften und hierher führen, und stellte mich unter Eure Obhut. Das Uebrige wißt Ihr. Uebermorgen deportirt er mich. Uebermorgen schickt er mich in die Verbannung unter ehrlose Verbrecher. Oh! der Faden ist gut gesponnen, das Complott ist geschickt angelegt, aber meine Ehre wird es nicht überleben. Ihr seht wohl, daß ich sterben muß, Felton. Felton, gebt mir das Messer!«

Und nach diesen Worten sank Mylady, als ob alle ihre Kräfte erschöpft wären, schwach und schmachtend in die Arme des jungen Offiziers.

«Nein, nein!«rief er,»nein. Du sollst leben, rein und geehrt. Du sollst über Deine Feinde triumphiren!«

Mylady stieß ihn sachte mit der Hand zurück, während sie ihn mit dem Blicke anzog.

«O den Tod! den Tod!«sprach sie, die Stimme und die Augen verschleiernd.»O lieber den Tod, als die Schande!.. Felton, mein Bruder, mein Freund, ich beschwöre Dich!«

«Nein, «rief Felton,»nein. Du sollst leben und gerächt werden.«

«Felton, ich bringe Unglück über Alles, was mich umgibt. Felton, verlaß mich! Felton, laß mich sterben!«

«Wohl, so sterben wir mit einander!«rief er.

Es tönten mehrere Schläge an der Thüre.

«Horch!«sprach sie,»man hat uns belauscht; man kommt! Es ist vorbei; wir sind verloren.«

«Nein, «sprach Felton,»es ist die Wache, welche mir meldet, daß eine Runde kommt.«

«Dann eilt an die Thüre und öffnet selbst.«

Felton gehorchte. Diese Frau war bereits sein ganzer Gedanke, seine ganze Seele.

Er stand dem Sergenten gegenüber, der eine Wachpatrouille commandirte.

«Was gibt es?«fragte der Offizier.

«Ihr habt mir gesagt, ich solle die Thüre öffnen, wenn ich um Hülfe rufen höre, aber Ihr vergaßt, mir den Schlüssel zu lassen. Ich hörte Euch rufen, ohne daß ich verstand, was Ihr verlangtet, und wollte die Thüre öffnen, aber sie war von innen verschlossen, und ich rief deßhalb den Sergenten.«

«Und hier bin ich, «sagte der Sergent.

Verwirrt, beinahe verrückt, blieb Felton lautlos.

Mylady betriff, daß sie sich der Lage der Dinge bemächtigen mußte. Sie lief nach dem Tische und ergriff das Messer, welches Felton darauf gelegt hatte.

«Und mit welchem Rechte wollt Ihr mich hindern zu sterben?«fragte sie.

«Großer Gott!«rief Felton, als er das Messer in ihrer Hand blinken sah.

In diesem Augenblick erscholl ein ironisches Gelächter in der Flur.

Von dem Geräusche herbeigezogen, stand der Baron im Schlafrocke, den Degen unter dem Arm, auf der Thürschwelle.

«Ah! ah!«sagte er,»wir sind im letzten Akte der Tragödie angelangt. Ihr seht, Felton, das Drama hat alle von mir bezeichneten Phasen durchgemacht; aber seid unbesorgt, das Blut wird nicht fließen.«

Mylady begriff, daß sie verloren war, wenn sie nicht Felton einen unmittelbaren und furchtbaren Beweis von ihrem Muthe gab.

«Ihr täuscht Euch, Mylord, das Blut wird fließen. Möge es auf diejenigen zurückfallen, welche es fließen lassen!«

Felton stieß einen Schrei aus und stürzte auf sie zu. Es war zu spät, Mylady hatte gestochen.

Aber das Messer hatte glücklicher Weise — wir sollten sagen geschickter Weise — das stählerne Planchet getroffen, das in jener Zeit wie ein Panzer die Brust der Frauen beschützte. Es hatte das Kleid zerrissen, war aber dann abgeglitten und schräg zwischen dem Fleisch und den Rippen eingedrungen.

Myladys Kleid war darum nicht minder in einer Sekunde mit Blut befleckt.

Mylady sank zurück und schien ohnmächtig. Felton entriß ihr das Messer.

«Seht, Mylord, «sprach er mit düsterer Miene.»Diese Frau war unter meine Obhut gestellt und hat sich getötet.«

«Seid unbesorgt, Felton, «sprach Lord Winter,»sie ist nicht tot. Die Teufel sterben nicht so leicht; seid unbesorgt, erwartet mich in meinem Zimmer.«

«Aber, Mylord…«

«Geht, ich befehle es Euch!«

Felton gehorchte dem Befehl seines Vorgesetzten, aber er steckte das Messer in seinen Busen, als er sich entfernte.

Lord Winter begnügte sich, die Frau zu rufen, welche Mylady bediente, und als diese gekommen war, empfahl er ihr die noch immer ohnmächtige Gefangene und ließ sie mit dieser allein.

Da jedoch die Wunde trotz seines Argwohns von Bedeutung sein konnte, so schickte er sogleich einen Reitenden ab, um den Arzt zu holen.


XXX. Die Flucht

Myladys Wunde war, wie Lord Winter gedacht hatte, durchaus nicht gefährlich. Sobald sie sich mit der für ihre Bedienung bestimmten Frau allein befand, schlug sie die Augen wieder auf.

Aber man mußte Schwäche und Schmerz heucheln; das war nicht schwierig für eine Schauspielerin wie Mylady. Die arme Frau, welche sich beeilte sie zu entkleiden, wurde auch dergestalt von ihrer Gefangenen bethört, daß sie, trotz der Einwendungen Myladys, auf ihrem Willen, die ganze Nacht bei ihr zu wachen, beharrte.

Aber die Gegenwart dieser Frau hinderte Mylady nicht am Nachdenken. Es blieb kein Zweifel mehr, Felton war überzeugt, Felton gehörte ihr. Wäre ein Engel dem jungen Manne erschienen, um Mylady anzuklagen, er würde ihn in seiner damaligen Gemüthsstimmung sicherlich für einen Abgesandten des Teufels gehalten haben.

Mylady lächelte bei diesem Gedanken; denn Felton war von nun an ihre einzige Hoffnung, ihr einziges Rettungsmittel.

Aber in Lord Winter konnte ein Verdacht gegen ihn entstanden sein. Felton konnte jetzt selbst überwacht werden.

Gegen vier Uhr Morgens erschien der Arzt; doch seit der Zeit, wo Mylady sich den Stich beigebracht, hatte sich die Wunde bereits wieder geschlossen. Der Arzt konnte also weder ihre Richtung noch ihre Tiefe ermessen. Er erkannte nur an dem Pulse der Kranken, daß die Sache von keiner Bedeutung war.

Am Morgen schickte Mylady, unter dem Vorwand, die ganze Nacht nicht geschlafen zu haben und der Ruhe zu bedürfen, die Frau weg, welche bei ihr wachte.

Sie hegte einigermaßen die Hoffnung, Felton werde zur Frühstückstunde erscheinen, aber er kam nicht.

Hatten sich ihre Befürchtungen verwirklicht? Sollte ihr Felton, von dem Baron beargwöhnt, in dem entscheidenden Augenblicke sein Wort nicht halten können? Sie hatte nur noch einen Tag. Lord Winter hatte ihr die Einschiffung auf den 23. angekündigt und man hatte bereits den Morgen des 22. erreicht. Nichtsdestoweniger wartete sie noch geduldig bis zur Stunde des Mittagsmahles. Obgleich sie am Morgen nichts gegessen hatte, wurde doch das Mittagsbrod zur gewöhnlichen Stunde gebracht. Mylady bemerkte mit Schrecken, daß die Uniform der Soldaten, welche sie bewachten, sich verändert hatte. Sie wagte es jetzt zu fragen, was aus Felton geworden sei?

Man antwortete ihr: Felton sei vor einer Stunde zu Pferde gestiegen und weggeritten.

Sie erkundigte sich, ob sich der Baron immer noch im Schlosse befinde. Der Soldat bejahte diese Frage mit der Bemerkung, er habe Befehl erhalten, ihn zu benachrichtigen, wenn ihn die Gefangene zu sprechen wünsche.

Mylady antwortete, sie sei für den Augenblick zu schwach und wünsche nur allein zu bleiben.

Der Soldat trat, das Mittagsbrod zurücklassend, ab.

Felton war entfernt. Die Marinesoldaten hatten sich verändert: man mißtraute also Felton.

Dies war der letzte Schlag für die Gefangene.

Sobald sie sich allein sah, stand sie auf. Das Bett, in welchem sie aus Klugheit, und damit man sie für schwer verwundet halten sollte, geblieben war, brannte sie wie ein glühender Rost. Sie warf einen Blick nach der Thüre. Der Baron hatte ein Brett vor das Gitter nageln lassen. Ohne Zweifel fürchtete er, es dürste ihr mit Hülfe dieser Oeffnung durch irgend ein teuflisches Mittel gelingen, die Wachen zu verführen.

Mylady lächelte vor Freude; sie konnte sich allen ihren Gemüthsbewegungen, ohne beobachtet zu werden, hingeben. Sie durchlief das Zimmer mit der Exaltation einer Wahnsinnigen oder einer in einem eisernen Käfig eingeschlossenen Tigerin. Wäre ihr das Messer geblieben, sie hätte sicherlich daran gedacht, nicht mehr sich selbst, sondern diesmal den Baron zu ermorden.

Um sechs Uhr trat Lord Winter, bis an die Zähne bewaffnet, ein. Dieser Mann, in dem Mylady bis dahin nur einen eleganten, artigen Edelmann gesehen hatte, war ein bewunderungswürdiger Kerkermeister geworden. Er schien Alles vorherzusehen, Alles zu errathen. Allem zuvorzukommen.

Ein einziger Blick auf Mylady unterrichtete ihn von Allem, was in ihrer Seele vorging.

«Gut, «sagte er,»aber Ihr werdet mich heute noch nicht umbringen. Ihr habt keine Waffe mehr und überdieß bin ich auch auf meiner Hut. Ihr hattet schon angefangen, meinem armen Felton den Kopf zu verdrehen. Er stand bereits unter Eurem höllischen Einflüsse, aber ich will ihn retten; er wird Euch nicht mehr sehen. Alles ist vorbei. Packt Eure Kleidungsstücke zusammen. Morgen reist Ihr ab. Ich hatte die Einschiffung auf den 23. festgestellt; aber je näher die Sache gerückt wird, desto sicherer ist sie. Morgen Mittag habe ich Euern Verbannungsbefehl, von Buckingham unterzeichnet, in meinen Händen. Sprecht Ihr ein einziges Wort zu irgend Jemand, ehe Ihr Euch auf dem Schiffe befindet, so schießt Euch mein Sergeant über den Haufen, dazu hat er Befehl. Sprecht Ihr auf dem Schiffe ein Wort zu irgend Jemand, ehe es der Kapitän gestattet, so läßt Euch dieser ins Meer werfen, das ist so abgemacht. Auf Wiedersehen, dies hatte ich Euch heute zu eröffnen. Morgen sehe ich Euch noch einmal, um Abschied zu nehmen.«

Nach diesen Worten entfernte sich der Baron.

Mylady hatte diese ganze drohende Tirade mit einem Lächeln auf den Lippen, aber mit Wuth im Herzen, angehört.

Man trug das Abendbrod auf. Mylady fühlte, daß sie der Kräfte bedurfte. Sie wußte nicht, was in dieser Nacht vorgehen konnte, welche drohend herannahte, denn schwere Wolken wälzten sich am Himmel hin und ferne Blitze kündigten einen Sturm an.

Der Sturm brach wirklich gegen zehn Uhr Abends aus. Mylady fand einen Trost darin, daß die Natur die Verwirrung ihres Herzens theilte. Der Donner rollte in der Luft, wie der Zorn in ihrem Herzen. Es war ihr, als brauste der Wind über ihre Stirne, wie über die Bäume hin, deren Zweige er krümmte, deren Blätter er fortriß. Sie heulte wie der Ocean, und ihre Stimme verlor sich in der großen Stimme der Natur, welche ebenfalls zu seufzen und zu verzweifeln schien.

Von Zeit zu Zeit betrachtete sie einen Ring, den sie am Finger trug. Der Kasten dieses Ringes enthielt ein feines, scharfes Gift; dies war ihre letzte Zuflucht.

Plötzlich hörte sie an ein Fenster klopfen, und bei dem Schimmer eines Blitzes erblickte sie ein männliches Gesicht hinter den Gitterstangen. Sie lief nach dem Fenster und öffnete es.

«Felton!«rief sie,»ich bin gerettet!«

«Ja, «sagte Felton,»aber stille, stille! Ich brauche Zeit, um Euere Stangen zu durchsägen. Nehmt Euch in Acht, daß sie Euch nicht durch das Gitter in der Thüre sehen.«

«Oh! das dient zum Beweise, daß der Herr für uns ist, Felton, «versetzte Mylady,»sie haben das Gitter mit einem Brette verschlossen.«

«So ist es gut! Gott hat sie wahnsinnig gemacht, «sprach Felton.

«Aber was habe ich zu thun?«fragte Mylady.

«Nichts, nichts, verschließt nur dieses Fenster wieder. Legt Euch schlafen, oder legt Euch wenigstens ganz angekleidet in Euer Bett. Sobald ich fertig bin, klopfe ich an die Scheibe. Aber könnt Ihr mir auch folgen?«

«O gewiß!«

«Eure Wunde?«

«Macht mir Schmerzen, hindert mich aber nicht zu gehen.«

«Haltet Euch also auf das erste Zeichen bereit.«

Mylady schloß das Fenster, löschte ihre Lampe aus und kauerte sich, wie ihr Felton empfohlen hatte, in ihr Bett. Inmitten der Klagen des Sturmes hörte sie das Knirschen der Feile an den Stangen, und bei dem Schimmer jedes Blitzes gewahrte sie den Schatten Feltons hinter den Scheiben.

Sie verbrachte eine Stunde ohne zu athmen, keuchend, mit Schweiß auf der Stirne, unter furchtbarer Angst bei jeder Bewegung, die sie in der Flur hörte.

Es gibt Stunden, welche ein Jahr dauern.

Nach Verlauf einer Stunde klopfte Felton abermals. Mylady sprang aus ihrem Bett und öffnete. Zwei ausgebrochene Stangen bildeten eine Oeffnung, durch welche ein Mensch schlüpfen konnte.

«Seid Ihr bereit?«— fragte Felton. — »Ja; soll ich etwas mitnehmen?«—»Geld, wenn Ihr habt!«—»Glücklicher Weise hat man mir das, was ich besaß, gelassen.«—»Desto besser, denn ich habe das meinige aufgebraucht, um eine Barke zu miethen.«—»Nehmt, «sagte Mylady und legte Felton einen Sack Gold in die Hände.

Felton nahm den Sack und warf ihn an den Fuß der Mauer.

«Wollt Ihr nun kommen?«sprach er.

«Hier bin ich!«

Mylady stieg auf einen Stuhl und schlüpfte mit dem ganzen obern Theile ihres Körpers durch das Fenster. Sie sah, daß der junge Offizier auf einer Strickleiter über dem Abgrunde hing.

Zum ersten Male erinnerte sie eine Regung von Angst daran, daß sie ein Weib war.

Die gähnende Leere machte ihr bange.

«Ich dachte es mir, «sagte Felton.

«Es ist nichts, «sprach Mylady,»ich werde mit geschlossenen Augen hinabsteigen.«

«Habt Ihr Vertrauen zu mir?«sagte Felton.

«Könnt Ihr noch fragen?«

«Reicht mir Eure zwei Hände, kreuzt sie; so ist es gut.«

Felton band ihr die zwei Faustgelenke mit seinem Taschentuche zusammen und umwickelte das Taschentuch mit einem Stricke.

«Was macht Ihr?«fragte Mylady erstaunt.

«Legt Eure Arme um meinen Hals und fürchtet Euch nicht.«

«Aber Ihr werdet durch mich das Gleichgewicht verlieren, und wir stürzen Beide hinab.«

«Seid unbesorgt; ich bin ein Seemann!«

Man hatte keine Sekunde, um sich zu besinnen. Mylady legte ihre beiden Arme um Feltons Hals und ließ sich aus dem Fenster gleiten.

Felton fing an die Sprossen langsam, eine nach der andern, hinabzusteigen. Trotz des Gewichtes der zwei Körper wiegte sie der Orkan in der Luft.

Plötzlich hielt Felton inne.

«Was giebt es?«fragte Mylady. — »Still!«sagte Felton,»ich höre Tritte!«—»Wir sind entdeckt!«

Es wurde wieder einen Augenblick still.

«Nein, «sprach Felton,»es ist nichts.«—»Aber was ist denn das für ein Geräusch?«—»Es kommt von der Patrouille, welche auf dem Rundengang geht.«—»Wo ist der Rundengang?«—»Gerade unter uns.«—»Sie wird uns entdecken.«—»Wenn keine Blitze kommen, nicht.«—»Sie wird unten an die Leiter stoßen.«—»Glücklicherweise ist diese um sechs Fuß zu kurz.«—»Mein Gott! hier kommen sie!«—»Schweigt!«

Alle Beide blieben zwanzig Fuß über der Erde unbeweglich und ohne zu athmen aufgehängt. Während dieser Zeit gingen die Soldaten lachend und plaudernd unter ihnen hin.

Es war für die Flüchtlinge ein furchtbarer Augenblick.

Die Patrouille zog weiter. Man hörte, wie sich das Geräusch ihrer Tritte immer mehr entfernte und das Gemurmel ihrer Stimmen immer schwächer wurde.

«Nun sind wir gerettet, «sprach Felton.

Mylady stieß einen Seufzer aus und wurde ohnmächtig.

Felton fuhr fort hinabzusteigen. Als er unten an der Leiter angelangt war, und keine Stütze mehr für seine Füße fühlte, klammerte er sich mit den Händen an, und als er die letzte Sprosse erreicht hatte, ließ er sich an den Faustgelenken herabhängen und berührte die Erde. Er bückte sich, hob den Goldsack auf und nahm ihn zwischen die Zähne.

Dann nahm er Mylady in seine Arme und entfernte sich rasch, in entgegengesetzter Richtung von der, welche die Patrouille eingeschlagen hatte. Bald verließ er den Rundengang, stieg durch die Felsen hinab und ließ, am Ufer des Meeres angelangt, einen scharfen Ton seiner Pfeife hören.

Ein ähnliches Signal antwortete, und fünf Minuten nachher sah er eine Barke mit vier Mann erscheinen.

Die Barke kam so nahe als möglich zum Ufer heran, aber sie hatte hier nicht genug Tiefe, um den Rand erreichen zu können. Felton ging bis an den Gürtel in das Wasser, da er seine kostbare Beute Niemand anvertrauen wollte.

Zum Glück fing der Sturm an sich ein wenig zu legen. Das Meer war jedoch immer noch aufgeregt. Die kleine Barke hüpfte, wie eine Nußschale über die Wellen hin.

«Zur Schaluppe!«sagte Felton,»und rasch vorwärts.«

Die vier Männer fingen an zu arbeiten, aber die See ging zu hoch, als daß die Ruder eine starke Wirkung hätten äußern können.

Doch man entfernte sich wenigstens vom Schlosse. Das war die Hauptsache. Die Nacht hatte Wasser und Land in tiefe Finsterniß gehüllt, und bereits war es unmöglich, das Ufer von der Barke aus zu unterscheiden, man hätte also noch viel weniger die Barke vom Ufer aus unterscheiden können.

Ein schwarzer Punkt schwankte auf dem Meere.

Das war die Schaluppe.

Während die Barke mit aller Kraft ihrer vier Ruderer vorrückte, band Felton den Strick und das Sacktuch los, womit die Hände Myladys zusammengeknüpft waren.

Nachdem er ihre Hände gelöst hatte, nahm er Seewasser und sprengte es ihr ins Gesicht.

Mylady stieß einen Seufzer aus.

«Wo bin ich, «sagte sie.

«Gerettet!«antwortete der junge Offizier.

«Oh! gerettet! gerettet!«rief sie.»Ja, hier ist der Himmel, hier ist das Meer! Die Luft, die ich athme, ist die Freiheit. Ach! Dank, Felton, tausend Dank!«

Der junge Mann drückte sie an sein Herz.

«Aber, was habe ich denn an den Händen?«fragte Mylady:»es scheint, man hat sie mir in einen Schraubstock gepreßt.«

Mylady hob die Arme auf; die Faustgelenke waren in der That gequetscht.

«Ach!«seufzte Felton, die schönen Hände anschauend und schüttelte schmerzlich den Kopf.

«Oh! es ist nichts, es ist nichts!«rief Mylady;»ich erinnere mich nun wieder.«

Mylady suchte mit den Augen um sich her.

«Er ist da, «sprach Felton und stieß mit dem Fuß an den Goldsack.

Man näherte sich dem Schiffe. Der Matrose von der Wache rief die Barke an. Die Barke antwortete.

«Was für ein Schiff ist das?«fragte Mylady. — »Das, welches ich für Euch gemiethet habe.«—»Wohin wird es mich bringen?«—»Wohin Ihr wollt, nur müßt Ihr mich in Portsmouth an das Land setzen.«—»Was wollt Ihr in Portsmouth machen?«fragte Mylady. — »Die Befehle von Lord Winter vollziehen, «antwortete Felton mit düsterem Lächeln. — »Welche Befehle?«—»Ihr begreift nicht?«—»Nein, erklärt Euch, ich bitte.«—»Da er mir mißtraute, wollte er Euch selbst bewachen, und schickte mich ab, um für ihn Euren Deportations-Befehl von Buckingham unterzeichnen zu lassen.«—»Aber wenn er Euch mißtraute, wie konnte er Euch diesen Auftrag anvertrauen?«—»Konnte er glauben, daß ich wußte, was ich trug, da er mir nichts gesagt hatte, und ich das Geheimniß von Euch erfuhr?«—»Das ist richtig. Und Ihr geht nach Portsmouth?«—»Ich habe keine Zeit zu verlieren; morgen ist der 23. und Buckingham geht morgen mit der Flotte ab.«—»Er geht morgen ab! Wohin?«—»Nach La Rochelle.«—»Er darf nicht abgehen!«rief Mylady, ihre gewöhnliche Geistesgegenwart verlierend. — »Seid ruhig, «erwiderte Felton,»er wird nicht abgehen.«

Mylady bebte vor Freude, sie hatte tief im Herzen des jungen Mannes gelesen: der Tod Buckinghams stand mit allen Buchstaben darin geschrieben.

«Felton!«sagte sie,»Ihr seid groß, wie Judas Maccabäus! Sterbt Ihr, so sterbe ich mit Euch. Das ist Alles, was ich Euch sagen kann.«

«Leise, wir sind an Ort und Stelle.«

Man berührte wirklich die Schaluppe.

Felton stieg zuerst die Leiter hinauf und reichte Mylady die Hand, während die Matrosen sie unterstützten, denn die See war noch stürmisch.

Einen Augenblick nachher befanden sie sich auf dem Verdeck.

«Kapitän, «sprach Felton,»hier ist die Person, von der ich gesagt habe, und die Ihr gesund und wohlerhalten nach Frankreich bringen müßt.«

«Gegen tausend Pistolen, «entgegnete der Kapitän.

«Ich habe Euch fünfhundert gegeben.«

«Ganz richtig.«

«Und hier sind die andern fünfhundert, «sprach Mylady und fuhr in den Goldsack.

«Nein, «erwiderte der Kapitän,»ich habe nur ein Wort, und dieses gab ich dem jungen Manne: die anderen fünfhundert Pistolen ist man mir erst schuldig, wenn wir in Boulogne angekommen.«

«Und wir werden ankommen?«

«Gesund und wohlbehalten, «sprach der Kapitän,»so wahr ich Jack Butler heiße.«

«Gut, «sprach Mylady,»wenn Ihr Euer Wort haltet, so gebe ich Euch nicht fünfhundert, sondern tausend Pistolen.«

«Dann Hurrah für Euch, meine schöne Dame!«rief der Kapitän,»und Gott möge mir oft Kunden, wie Eure Herrlichkeit schicken!«

«Mittlerweile führt uns in die kleine Bucht von Chichester, «sagte Felton,»vor Portsmouth, Ihr wißt, es ist verabredet, daß Ihr uns dahin bringen sollt!«

Der Kapitän erwiderte diese Worte durch den Befehl zu dem erforderlichen Manöver, und um sieben Uhr Abends ankerte das kleine Schiff in der bezeichneten Bucht.

Während dieser Fahrt erzählte Felton Mylady Alles, wie er, statt nach London zu gehen, das Schiff gemiethet hatte, wie er zurückgekehrt war, wie er mit Hülfe von Lücken, hervorspringenden Steinen und Klammern, die er befestigte, um seinen Füßen einen Halt zu geben, die Mauer erstiegen und endlich zu dem Gitter gelangt, die Leiter angebunden hatte: das Uebrige wußte Mylady.

Mylady suchte ihrer Seits den jungen Offizier in seinem Vorhaben zu ermuthigen und zu bestärken, aber bei den ersten Worten, die aus ihrem Munde kamen, sah sie, daß der Fanatiker eher einer Dämpfung, als einer Aufmunterung bedurfte.

Es wurde verabredet, daß Mylady Felton bis zehn Uhr erwarten sollte; wäre er um zehn Uhr nicht zurück, so sollte sie absegeln.

In der Voraussetzung, daß er frei wäre, sollte er sodann in Frankreich im Kloster der Karmeliterinnen in Bethune mit ihr zusammentreffen.


XXXI. Was in Portsmouth am 23. August 1628 vorfiel

Felton nahm von Mylady Abschied, wie ein Bruder, der einen einfachen Spaziergang machen will, von seiner Schwester Abschied nimmt, d.h. in dem er ihr die Hand küßte.

Seine ganze Person schien in den Zustand ihrer gewöhnlichen Ruhe zurückversetzt zu sein; nur war in seinen Augen ein seltsamer, dem Wiederscheine eines Fensters ähnlicher Glanz vorherrschend. Seine Stirne war noch bleicher, als früher, seine Zähne waren zusammengepreßt und seine Sprache machte sich durch ein gewisses Stoßen der Töne bemerkbar, woraus sich schließen ließ, daß finstere Gedanken in seinem Innern ihr Lager genommen hatten.

So lange er sich auf der Barke befand, die ihn nach dem Lande führte, war sein Gesicht Mylady zugewendet, die ihm, auf dem Verdecke stehend, mit den Augen folgte. Alle Beide fürchteten sich sehr wenig vor einer Verfolgung. Man betrat das Zimmer Myladys nie vor neun Uhr, und man brauchte drei Stunden, um vom Schlosse aus London zu erreichen.

Felton stieg an das Land, erkletterte den kleinen Kamm der auf die Höhe des abschüssigen Ufers führte, grüßte Mylady mm letzten Mal und lief nach der Stadt.

Nach hundert Schritten konnte er, weil sich das Terrain senkte, nur noch den Mast des Schiffes sehen.

Er eilte in der Richtung von Portsmouth fort, dessen Thürme und Häuser er in einer Entfernung von ungefähr einer halben Meile im Morgennebel vor sich erblickte.

Jenseits Portsmouth war das Meer mit Schiffen bedeckt, deren Masten, einem Wald von winterlich entblätterten Pappelbäumen ähnlich, sich unter dem Hauch des Windes schaukelten.

Während seines raschen Laufes durchging Felton Alles, was ihm zehn Jahre asketischer Betrachtungen und ein langer Aufenthalt unter den Puritanern an wahren und falschen Beschuldigungen gegen den Liebling Jacobs VI. und Carls I. geliefert hatten.

Wenn Felton die öffentlichen Verbrechen des Ministers, schreiende, so zu sagen europäische Verbrechen mit den unbekannten und persönlichen Verbrechen verglich, mit denen ihn Mylady belastete, so fand er, daß der schuldigere von den zwei Menschen, welche Buckingham in sich schloß, derjenige war, dessen Leben das Volk nicht kannte. Seine so seltsame, so neue, so glühende Liebe ließ ihn die schändlichen, erdichteten Anklagen von Lady Winter so ansehen, wie man durch ein Vergrößerungsglas in sonst unbemerkbaren Atomen furchtbare Ungeheuer erblickt.

Der rasche Lauf entzündete sein Blut noch mehr. Der Gedanke, daß er eine furchtbarer Rache preisgegebene Frau hinter sich ließ, die er liebte, oder vielmehr wie eine Heilige anbetete, die Aufregung der vorhergehenden Stunden und Tage, die gegenwärtige Anstrengung, Alles dies exaltirte seine Seele über das Maß menschlicher Gefühle.

Er erreichte Portsmouth gegen acht Uhr Morgens. Die ganze Bevölkerung war auf den Beinen. Die Trommeln wurden in den Straßen und in den Häfen gerührt. Die zum Einschiffen bestimmten Truppen marschirten nach dem Meere zu.

Felton gelangte mit Staub bedeckt und von Schweiß triefend nach dem Admiralitätspalast. Sein gewöhnlich bleiches Gesicht war purpurroth vor Grimm und Hitze. Die Wache wollte ihn zurückweisen, aber Felton rief den Anführer des Postens, zog aus seiner Tasche den Brief, welchen er zu überbringen hatte, und sagte nur die Worte:

«Eilbote von Lord Winter.«

Bei dem Namen des Lords, den man als einen der vertrautesten Freunde Seiner Herrlichkeit kannte, gab der Anführer der Posten Befehl, Felton, der ohnedies die Uniform eines Marineoffiziers trug, passiren zu lassen.

Felton stürzte in den Palast. Im Augenblick, wo er in die Flur eintrat, erschien auch ein bestaubter, athemloser Mann, der vor der Thüre ein Postpferd stehen ließ, das sogleich vor Erschöpfung in die Kniee sank.

Felton und er wandten sich zu gleicher Zeit an Patrick, den ersten Kammerdiener des Herzogs. Felton nannte den Baron Winter. Der Unbekannte wollte Niemand nennen und behauptete, er dürfe sich nur dem Herzog allein zu erkennen geben. Jeder wollte vor dem andern den Eintritt erlangen.

Patrick, welcher wußte, daß Lord Winter in dienstlichen und freundschaftlichen Verhältnissen zu dem Herzog stand, gab demjenigen, der in des Lords Namen kam, den Vorzug. Der Andere war genöthigt zu warten, und man sah deutlich, wie sehr er diese Zögerung verwünschte.

Der Kammerdiener ließ Felton durch einen großen Saal gehen, in welchem die Deputirten von La Rochelle, mit dem Fürsten von Soubise an der Spitze warteten, und führte ihn in ein Kabinet, wo Buckingham, aus dem Bade kommend, seine Toilette vollendete, der er diesmal, wie immer, eine besondere Aufmerksamkeit widmete.

«Der Lieutenant Felton, «sagte Patrick,»von Lord Winter geschickt.«

«Von Lord Winter?«wiederholte Buckingham.»Laßt ihn eintreten.«

Felton trat ein. In diesem Augenblicke warf Buckingham einen reichen, mit Gold gestickten Schlafrock auf das Kanapé, um ein durchaus mit Perlen gesticktes Wamms von blauem Sammet anzuziehen.

«Warum ist der Baron nicht selbst gekommen?«fragte Buckingham.»Ich erwartete ihn diesen Morgen.«

«Er hat mich beauftragt, Eurer Herrlichkeit zu sagen, «antwortete Felton,»daß er sehr bedaure, nicht diese Ehre haben zu können, aber er sei durch eine nothwendige Bewachung im Schlosse abgehalten.«

«Ja, ja, «sprach Buckingham,»ich weiß das, er hat eine Gefangene.«

«Gerade von dieser Gefangenen wollte ich mit Eurer Herrlichkeit sprechen, «versetzte Felton.

«Nun, so sprecht!«

«Was ich zu sagen habe, kann nur von Eurer Herrlichkeit gehört werden.«

«Laß uns allein, Patrick, «sprach Buckingham,»aber halte Dich im Bereich der Glocke auf. Ich werde Dich sogleich rufen.«

Patrick ging hinaus.

«Wir sind allein, mein Herr, «sagte Buckingham,»sprecht nun.«

«Mylord, «erwiderte Felton,»der Baron von Winter hat Euch kürzlich geschrieben, und Euch in seinem Briefe gebeten, einen Deportationsbefehl bezüglich auf eine junge Frau Namens Charlotte Backson zu unterzeichnen.«

«Ja, mein Herr, und ich habe ihm geantwortet, er möge mir diesen Befehl bringen oder schicken, und ich werde ihn unterzeichnen.«

«Hier ist er, Mylord.«

«Gebt, «sagte der Herzog.

Er nahm das Papier aus den Händen Feltons und warf einen raschen Blick darauf. Als er sah, daß es derjenige war, welchen man ihm angekündigt hatte, legte er ihn auf den Tisch, ergriff eine Feder und schickte sich an, denselben zu unterzeichnen.

«Um Vergebung Mylord, «sprach Felton, den Herzog zurückhaltend.»Weiß Eure Herrlichkeit, daß der Name Charlotte Backson nicht der wahre Name dieser jungen Frau ist?«

«Ja, mein Herr, ich weiß es, «antwortete der Herzog, die Feder in das Tintenfaß tauchend.

«Also kennt Eure Herrlichkeit ihren wahren Namen?«fragte Felton in kurzem Tone.

«Ich kenne ihn.«

Der Herzog näherte die Feder dem Papiere. Felton erbleichte.

«Und mit dem wahren Namen vertraut, «sprach Felton,»wird Eure Herrlichkeit dennoch unterzeichnen?«

«Allerdings, «erwiderte Buckingham,»eher zweimal, als einmal.«

«Ich kann nicht glauben, «fuhr Felton mit einer Stimme fort, welche immer mehr abgestoßen klang,»ich kann nicht glauben, daß Eure Herrlichkeit weiß, daß es sich um Lady Winter handelt.«

«Ich weiß es vollkommen, obgleich ich staune, daß Ihr es wißt.«

«Und Eure Herrlichkeit wird diesen Befehl ohne Gewissensbisse unterzeichnen?«

Buckingham schaute den jungen Mann stolz an.

«Ei! Herr, wißt Ihr, «sagte er,»daß Ihr ganz seltsame Fragen an mich stellt, und daß es einfältig von mir ist darauf zu antworten?«

«Antwortet, gnädigster Herr, «sprach Felton;»die Lage der Dinge ist bedeutungsvoller, als Ihr wohl glauben möget.«

Buckingham dachte, da der junge Mann von Lord Winter abgeschickt sei, so spreche er ohne Zweifel in dessen Namen, und besänftigte sich.

«Ohne irgend einen Gewissensbiß, «sagte er,»und der Baron weiß so gut wie ich, daß Mylady eine große Verbrecherin ist, und daß man es beinahe als eine Begnadigung betrachten muß, wenn man ihre Strafe auf Deportation beschränkt.«

Der Herzog legte die Feder auf das Papier.

«Ihr werdet diesen Befehl nicht unterzeichnen, Mylord, «sprach Felton und machte einen Schritt gegen den Herzog.

«Ich werde diesen Befehl nicht unterzeichnen?«fragte Buckingham,»und warum nicht?«

«Weil Ihr in Euch gehen und Mylady Gerechtigkeit widerfahren lassen werdet.«

«Man würde ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn man sie nach Tyburn schickte, «sagte Buckingham.»Mylady ist eine schändliche Verbrecherin.«

«Gnädigster Herr, Mylady ist ein Engel. Ihr wißt es wohl, und ich fordere von Euch ihre Freiheit.«

«Seid Ihr ein Narr, «rief Buckingham,»daß Ihr so sprecht!«

«Mylord, entschuldigt mich, ich spreche wie ich kann. Bedenkt jedoch Mylord, was Ihr zu thun im Begriffe seid, und fürchtet das Maß zu überschreiten.«

«Wie?… Gott vergebe mir, «rief Buckingham,»ich glaube, er droht mir!«

«Nein, Mylord, ich bitte noch und sage Euch: ein Tropfen Wasser reicht hin, um das volle Gefäß überlaufen zu machen. Ein leichter Fehler genügt, um die Strafe auf das trotz so vieler Verbrechen bis auf diesen Tag verschonte Haupt zu ziehen.«

«Herr Felton, «sprach Buckingham,»Ihr entfernt Euch und meldet Euch sogleich in Arrest.«

«Und Ihr, Ihr werdet mich ganz anhören, Mylord. Ihr habt das junge Mädchen verführt, Ihr habt die Unglückliche beschmutzt, mißhandelt. Macht Eure Verbrechen gegen sie wieder gut; laßt sie frei ziehen, und ich werde nichts Anderes von Euch fordern.«

«Ihr werdet nicht fordern?«sprach Buckingham, Felton mit Erstaunen anschauend und auf jede Silbe der vier Worte, die er sprach, einen besonderen Nachdruck legend.

«Mylord, «fuhr Felton fort, der immer aufgeregter wurde, je länger er sprach,»ganz England ist Eurer Frevel müde, Mylord, Ihr habt die königliche Gewalt, die Ihr an Euch gerissen, mißbraucht, Mylord, Ihr seid Gott und den Menschen zum Abscheu. Gott wird Euch später bestrafen, aber ich, ich bestrafe Euch heute.«

«Ah, das ist zu stark, «rief Buckingham mit einem Schritte gegen die Thüre.

Felton versperrte ihm den Weg.

«Ich bitte Euch in Demuth: unterzeichnet den Freilassungsbefehl von Lady Winter. Bedenkt, daß es die Frau ist, sie Ihr entehrt habt.«

«Entfernt Euch, Herr, «sagte Buckingham,»oder ich rufe und lasse Euch von meinen Leuten wegjagen.«

«Ihr werdet nicht rufen, «sagte Felton und warf sich zwischen den Herzog und die Glocke, welche auf einem mit Silber eingelegten Tischchen stand.»Nehmt Euch in Acht, Mylord, Ihr seid jetzt in den Händen Gottes.«

«In den Händen des Teufels, wollt Ihr sagen!«rief Buckingham, die Stimme verstärkend, um Leute herbeizuziehen, ohne diese jedoch unmittelbar aufzufordern.

«Unterzeichnet, Mylord, unterzeichnet die Freigebung von Lady Winter, «sagte Felton und stieß ein Papier vor den Herzog.

«Gewalt? scherzt Ihr? Holla, Patrick!«

«Unterzeichnet Mylord!«

«Nie!«

«Nie?«

«Herbei!«rief der Herzog und lief zu gleicher Zeit nach seinem Degen.

Aber Felton ließ ihm nicht Zeit, ihn zu ziehen; er hielt ganz entblößt und unter seinem Wams verborgen das Messer, mit dem sich Mylady gestochen hatte. Mit einem Sprunge war er an dem Herzog.

In diesem Augenblick trat Patrick in den Saal und rief:

«Mylord, ein Brief von Frankreich.«

«Von Frankreich!«sprach der Herzog, der jetzt Alles um sich her vergaß und nur daran dachte, von wem wohl dieser Brief komme.

Felton benützte diesen Augenblick und stieß ihm das Messer bis ans Heft in die Seite.

«Ha, Verräther!«schrie Buckingham,»Du hast mich ermordet.«»Mörder! Mörder!«heulte Patrick.

Felton warf seine Blicke umher, um zu entfliehen. Als er die Thüre geöffnet sah, stürzte er in das anstoßende Zimmer, wo erwähntermaßen die Abgeordneten von La Rochelle warteten, eilte durch dieses und lief nach der Treppe. Aber auf der ersten Stufe begegnete er Lord Winter, der ihn, als er ihn bleich, verstört, leichenfarbig, an der Hand und im Gesicht mit Blut befleckt, herabstürzen sah, an der Gurgel faßte, und ihm zurief:

«Ich wußte es! ich hatte es geahnt. Eine Minute zu spät! Oh! ich Unglücklicher! ich Unglücklicher!«

Felton leistete keinen Widerstand. Lord Winter übergab ihn den Wachen, die ihn bis auf weitere Befehle auf eine kleine, das Meer beherrschende, Terrasse führten, und eilte selbst in das Cabinet Buckinghams.

Bei des Herzogs Geschrei, bei dem Rufe Patricks lief der Mann, welchen Felton im Vorzimmer getroffen hatte, hastig in das Cabinet. Er fand den Herzog auf einem Sopha ausgestreckt, die Wunde mit krampfhafter Hand zudrückend.

«La Porte, «sprach der Herzog mit sterbender Stimme,»La Porte, kommst Du von ihr?«

«Ja, gnädigster Herr, «antwortete der getreue Diener Annas von Oesterreich,»aber vielleicht zu spät.«

«Stille, La Porte! man könnte Euch hören. Patrick, laß Niemand herein. Oh! ich soll nicht erfahren, was sie mir sagen läßt. Mein Gott, ich sterbe!«

Und der Herzog fiel in Ohnmacht.

Indessen waren Lord Winter, die Abgeordneten, die Anführer der Expedition, die Beamten des Hauses Buckingham in sein Zimmer eingedrungen. Ueberall erscholl ein Geschrei der Verzweiflung. Die Nachricht, welche den Palast mit Klagen und Seufzen erfüllte, wurde bald ruchbar und verbreitete sich in der Stadt.

Lord Winter raufte sich die Haare aus.

«Um eine Minute zu spät!«rief er,»um eine Minute zu spät! O mein Gott, welch ein Unglück!«

Man hatte ihm wirklich Morgens um sieben Uhr gemeldet, eine Strickleiter hänge an einem der Fenster des Schlosses. Er war sogleich in Myladys Zimmer gelaufen, hatte dieses leer, das Fenster offen und die Gitterstangen durchsägt gefunden. Er erinnerte sich wieder, was ihm d'Artagnan durch seinen Boten mündlich empfohlen hatte. Er zitterte für den Herzog, lief in den Stall, ohne sich Zeit zu nehmen, ein Pferd satteln zu lassen, bestieg das nächste beste, eilte im stärksten Galopp davon, sprang im Hofe herab, eilte die Treppe hinauf und begegnete, wie wir erzählten, Felton auf der ersten Stufe.

Der Herzog war jedoch nicht tot. Er kam wieder zu sich, öffnete die Augen und Alle waren mit neuer Hoffnung belebt.

«Meine Herren, «sagte er,»laßt mich mit Patrick und La Porte allein… Ah! Ihr seid es, Lord Winter! Ihr habt mir diesen Morgen einen seltsamen Narren geschickt; seht den Zustand, in welchen er mich versetzt hat!«

«Oh! Mylord, «rief der Baron,»Mylord, ich werde mich nie zu trösten wissen.«

«Und Du hättest Unrecht, mein guter Winter, «erwiderte Buckingham und reichte ihm die Hand.»Ich kenne keinen Menschen, der es verdiente, von einem andern Menschen ein ganzes Leben hindurch beklagt zu werden. Aber ich bitte Dich, laß uns allein.«

Der Baron entfernte sich schluchzend.

Es blieben nur noch der Verwundete, La Porte und Patrick. Man suchte einen Arzt und konnte ihn nicht finden.

«Ihr werdet leben, Mylord, Ihr werdet leben, «wiederholte vor dem Sopha des Herzogs knieend, der Bote Annas von Oesterreich.

«Was schreibt sie mir?«fragte der Herzog mit schwacher Stimme, von Blut triefend und furchtbare Schmerzen bewältigend, um von der Geliebten sprechen zu können.»Was schreibt sie mir? Lies mir ihren Brief vor!«—»Oh! Mylord!«rief La Porte. — »Nun, La Porte, siehst Du nicht, daß ich keine Zeit zu verlieren habe?«

La Porte erbrach das Siegel und legte dem Herzog das Pergament unter die Augen; aber Buckingham versuchte vergebens die Schrift zu unterscheiden.

«Lies doch, «sagte er,»lies doch. Ich sehe nichts mehr, lies doch, denn bald vielleicht werde ich auch nicht mehr hören und sterben, ohne zu erfahren, was sie mir geschrieben hat.«

La Porte machte keine Schwierigkeiten mehr und las:

«Mylord,

«Bei dem, was ich, seit ich Euch kenne, für Euch und durch Euch gelitten habe, beschwöre ich Euch, wenn Euch an meiner Ruhe etwas gelegen ist, die großen Rüstungen zu unterbrechen, welche Ihr gegen Frankreich ins Werk setzt, und einen Krieg aufzugeben, als dessen scheinbare Ursache man laut die Religion bezeichnet, während man ganz leise sagt, Eure Liebe für mich sei die verborgene Ursache. Dieser Krieg kann nicht nur für Frankreich und England große Katastrophen, sondern auch für Euch ein Unglück herbeiführen, über das ich mich nie mehr trösten würde.

«Wacht über Euer Leben, das man bedroht und das mir von dem Augenblicke an theuer sein wird, wo ich nicht mehr genöthigt bin, in Euch einen Feind zu sehen.

Eure wohlergebene Anna

Buckingham raffte den ganzen Rest seines Lebens zusammen, um diesen Brief zu hören. Sobald er zu Ende war, fragte er, als hätte er eine bittere Enttäuschung darin gefunden:

«Habt Ihr mir nichts Anderes mündlich zu sagen, La Porte?«

«Allerdings, gnädiger Herr. Die Königin beauftragte mich Euch zu sagen, Ihr möget auf Eurer Hut sein, denn sie habe sichere Kunde, daß man Euch ermorden wolle.«

«Und das ist Alles? das ist Alles?«versetzte Buckingham ungeduldig.

«Sie hat mich auch noch beauftragt, Euch zu sagen, daß sie Euch stets liebe.«

«Ah!«rief Buckingham,»Gott sei gelobt! Mein Tod wird also für sie nicht der Tod eines Fremden sein.«

La Porte zerfloß in Thränen.

«Patrick, «sprach der Herzog,»bring mir das Kästchen, in welchem die diamantenen Nestelstifte eingeschlossen waren.«

Patrick brachte den verlangten Gegenstand, worin La Porte ein früheres Eigenthum der Königin erkannte.

«Jetzt das kleine Kissen von weißem Atlas, auf welches ihre Chiffre in Perlen gestickt ist.«

Patrick gehorchte abermals.

«Seht, La Porte, «sprach Buckingham,»das find die einzigen Pfänder, die ich von ihr besitze. Dieses silberne Kästchen und diese zwei Briefe. Ihr gebt sie Ihrer Majestät zurück und zum letzten Andenken… (er suchte einen kostbaren Gegenstand um sich her)… fügt Ihr…«

Er suchte abermals, aber seine durch den Tod verfinsterten Blicke begegneten nur dem Messer, das Feltons Händen entfallen war, und dessen Klinge noch von frischrothem Blute rauchte.

«Und Ihr fügt dieses Messer bei, «sprach der Herzog und drückte La Porte die Hand.

Er legte das kleine Kissen in das silberne Kästchen, ließ das Messer hineinfallen und machte La Porte ein Zeichen, daß er nicht mehr sprechen könne. Dann erfaßte ihn eine letzte krampfhafte Zuckung, die er nicht mehr zu bekämpfen vermochte, und er glitt vom Sopha auf den Boden herab.

Patrick stieß ein furchtbares Geschrei aus. Buckingham wollte zum letzten Mal lächeln, aber der Tod schlug seinen Gedanken in Fesseln und dieser blieb wie ein letztes Lebewohl auf seine Lippen und auf seine Stirne geprägt.

In diesem Augenblick traf der Arzt des Herzogs ganz verstört ein. Er war schon an Bord des Admiralschiffes gewesen, und man hatte sich genöthigt gesehen, ihn dort zu suchen.

Er näherte sich dem Herzog, nahm seine Hand, hielt sie einen Augenblick in der seinigen und ließ sie wieder fallen.

«Alles ist vergeblich, «sprach er,»er ist tot!«

«Tot! Tot!«rief Patrick.

Bei diesem Schrei drang der ganze Haufe wieder in den Saal und überall herrschte Bestürzung und Aufruhr.

Sobald Lord Winter Buckingham entseelt sah, lief er zu Felton zurück, den die Soldaten auf der Terrasse des Palastes bewachten.

«Elender, «sprach er zu dem jungen Manne, der seit dem Tode Buckinghams seine ganze Ruhe und Kaltblütigkeit wiedergewonnen hatte.»Elender, was hast Du gethan?«

«Ich habe mich gerächt, «antwortete er.

«Du!«rief der Baron,»sage, daß Du diesem verfluchten Weibe als Werkzeug gedient hast; aber ich schwöre Dir, dieses Verbrechen soll ihr letztes sein!«

«Ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt, «entgegnete Felton ruhig,»und ich begreife nicht, von was Ihr sprechen wollt, Mylord: ich habe den Herzog von Buckingham getötet, weil er es Euch selbst zweimal abschlug, mich zum Kapitän zu ernennen. Ich habe ihn für seine Ungerechtigkeit bestraft, das ist das Ganze.«

Lord Winter schaute die Leute, welche Felton banden, erstaunt an und wußte nicht, was er von einer solchen Unempfindlichst denken sollte. Nur Eines lagerte sich wie eine Wolke auf Feltons Stirne. Bei jedem Tritt, den er hörte, glaubte der naive Puritaner den Tritt und die Stimme Myladys zu hören, welche komme, um sich in seine Arme zu werfen, sich mit ihm anzuklagen und dem Verderben zu überantworten.

Plötzlich bebte er. Sein Blick war auf einen Punkt im Meere gerichtet, das man von der Terrasse aus, auf welcher er sich befand, völlig beherrschte. Mit seinem seemännischen Adlerblick hatte er da, wo ein Anderer nur eine auf den Wellen sich wiegende Möve gesehen hätte, ein Segel erschaut, das nach der Küste Frankreichs steuerte. Er erbleichte, fuhr mit der Hand nach dem brechenden Herzen und begriff den ganzen Verrath.

«Eine letzte Gnade, «sagte er zu dem Baron. — »Welche?«fragte dieser. — »Wie viel Uhr ist es?«—»Neun Uhr.«

Mylady hatte ihre Abfahrt um anderthalb Stunden vorgerückt. Sobald sie den Kanonenschuß hörte, der ein unglückliches Ereigniß verkündigte, gab sie Befehl, die Anker zu lichten.

Die Barke schwamm in großer Entfernung von dem Gestade unter einem blauen Himmel.

«Es war so Gottes Wille, «sprach Felton, mit der Resignation des Fanatikers, jedoch ohne seine Augen von dem Fahrzeug losmachen zu können, an dessen Bord er ohne Zweifel das weiße Gespenst derjenigen zu unterscheiden glaubte, welcher sein Leben geopfert werden sollte.

Lord Winter folgte seinem Blicke, schaute in sein leidendes Antlitz und errieth Alles.

«Du sollst vorerst allein bestraft werden. Elender, «sagte der Lord zu Felton, der sich, die Augen nach der See gekehrt, wegführen ließ,»aber ich schwöre Dir bei dem Andenken an meinen Bruder, den ich unendlich liebte, daß Deine Mitschuldige nicht gerettet ist.«

Felton neigte das Haupt, ohne eine Silbe zu sprechen.

Der Baron aber stieg rasch die Treppe hinab und begab sich nach dem Hafen.


XXXII. In Frankreich

Als König Carl I. von England den Tod des Herzogs erfuhr, fürchtete er vor Allem, die Rocheller könnten durch diese furchtbare Nachricht entmuthigt werden, er suchte sie ihnen daher, wie die Memoiren des Kardinals sagen, so lang als möglich vorzuenthalten, ließ die Häfen in seinem ganzen Königreich schließen und sorgfältig darüber wachen, daß kein Schiff auslaufen konnte, bis das Heer, welches Buckingham ausrüstete, abgegangen wäre, und übernahm es, in Ermangelung Buckinghams, die Abfahrt in eigener Person zu leiten.

Er trieb die Strenge sogar so weit, daß er den Gesandten Dänemarks, der sich bereits verabschiedet hatte, und den Botschafter von Holland, der die indischen Schiffe, welche Carl I. den Vereinigten Niederlanden zurückgegeben, in den Hafen von Vließingen zurückführen sollte, in England zurückhielt.

Da er aber seinen Befehl erst fünf Stunden, nachdem die Sache vorgefallen war, das heißt gegen zwei Uhr Nachmittags erließ, so waren bereits zwei Schiffe aus dem Hafen ausgelaufen: das eine führte Mylady, welche das Ereigniß vermuthete und in ihrem Glauben noch bestätigt wurde, als sie die schwarze Flagge auf dem Admiral-Schiff sah.

Wen das zweite Schiff führte und wie es hinauskam, werden wir später mittheilen.

Während dieser Zeit ging nichts Neues im Lager von La Rochelle vor. Nur beschloß der König, der sich wie immer, im Lager aber vielleicht noch ein wenig mehr als anderswo, langweilte, das Fest des heiligen Ludwig incognito in Saint-Germain mitzumachen, und ersuchte den Kardinal, eine Eskorte von zwanzig Musketieren für ihn bereit zu halten. Der Kardinal, den die Langweile des Königs manchmal ansteckte, bewilligte mit großem Vergnügen seinem königlichen Lieutenant einen Urlaub, und dieser versprach ihm, am 15. September zurück zu sein.

Von Sr. Eminenz benachrichtigt, traf Herr von Treville Anstalt zur Reise, und da er, ohne die Ursache zu wissen, mit dem lebhaften Verlangen und sogar dem gebieterischen Bedürfniß seiner Freunde, nach Paris zurückzukehren, vertraut war, so bezeichnete er sie zur Theilnahme an der Eskorte.

Die vier jungen Leute erfuhren die Neuigkeit eine Viertelstunde nach Herrn von Treville, denn sie waren die ersten, denen er sie mittheilte. Jetzt erst wußte d'Artagnan die Gunst recht zu schätzen, die ihm der Kardinal dadurch bewilligt hatte, daß er ihn zu den Musketieren übertreten ließ. Ohne diesen Umstand hätte er im Lager zurückbleiben müssen, während seine Freunde reisten.

Man wird später sehen, daß das ungeduldige Verlangen, wieder nach Paris zu kommen, von der Furcht vor der Gefahr herrührte, der Madame Bonacieux preisgegeben sein mußte, wenn sie im Kloster von Bethune mit Mylady, ihrer Todfeindin, zusammen traf. Aramis hatte auch unmittelbar an Marie Michon, die Weißnätherin von Tours, welche sich so schöner Bekanntschaften erfreute, geschrieben, sie möchte von der Königin für Madame Bonacieux die Erlaubniß auswirken, das Kloster verlassen und sich nach Lothringen oder Belgien zurückziehen zu dürfen. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, und schon nach acht bis zehn Tagen hatte Aramis folgenden Brief empfangen:

«Mein lieber Vetter, Ihr erhaltet hier die Erlaubniß, unsere kleine Dienerin aus dem Kloster in Bethune zurückzuziehen, da ihr Eurer Ansicht nach die Luft daselbst nicht zuträglich ist; meine Schwester schickt Euch diese Erlaubniß mit großem Vergnügen, denn sie liebt das kleine Mädchen gar sehr und gedenkt ihr in der Folge nützlich zu sein.

«Ich umarme Euch. Marie Michon.«

Diesem Brief war eine in folgenden Worten abgefaßte Vollmacht beigefügt:

«Die Superiorin des Klosters in Bethune wird der Person, welche ihr dieses Billet zustellt, die Novizin übergeben, die auf meine Empfehlung und unter meinem Patronat in ihr Kloster eingetreten ist.

«Im Louvre, den 10. August 1628. Anna

Man begreift, wie sehr die Verwandtschafts-Verhältnisse zwischen Aramis und einer Weißnähterin, welche die Königin ihre Schwester nannte, unsere Freunde belustigten; aber nachdem Aramis wiederholt bis unter das Weiße der Augen bei den plumpen Späßen von Porthos erröthet war, bat er seine Genossen, nie mehr auf diesen Gegenstand zurückzukommen, und erklärte zugleich, wenn man ihm noch ein Wort hierüber sagen sollte, so würde er seine Base nun und nimmermehr als Vermittlerin in solchen Angelegenheiten benützen.

Es war also nicht mehr von Marie Michon die Rede unter den vier Musketieren, welche übrigens in Händen hatten, was sie haben wollten, nämlich den Befehl, Madame Bonacieux aus dem Kloster der Karmeliterinnen in Bethune wegzunehmen. Dieser Befehl nützte ihnen allerdings nicht viel, so lange sie sich im Lager von La Rochelle, das heißt am andern Ende Frankreichs, befanden. Auch war d'Artagnan im Begriff, sich von Herrn von Treville, unter einfacher Andeutung der Wichtigkeit seiner Abreise, einen Urlaub zu erbitten, als ihm wie seinen Freunden die Nachricht ertheilt wurde, daß sich der König mit einer Eskorte von zwanzig Musketieren, worunter auch sie, nach Paris begeben würde.

Die Freude war groß. Man schickte die Bedienten mit dem Gepäcke voraus und zog am 16. Morgens ab.

Der Kardinal begleitete Se. Majestät von Surgères bis Maupes, und hier nahmen der König und sein Minister unter großen Freundschaftsbetheurungen von einander Abschied.

Obgleich der König, welcher Zerstreuung suchte, so schnell als es ihm möglich war, reiste, denn er wollte am 23. in Paris sein, hielt er doch von Zeit zu Zeit stille, um die Elster beizen zu sehen, ein Vergnügen, wofür er stets eine große Vorliebe hegte. Von den zwanzig Musketieren freuten sich immer sechszehn, wenn dies der Fall war, über die Ruhe, welche dann eintrat, aber vier murrten gewaltig. D'Artagnan besonders hatte ein beständiges Summen in den Ohren, was Porthos also erklärte:

«Eine sehr vornehme Dame hat mich belehrt, dies bedeute, daß man irgendwo von Dir spreche.«

Endlich am 23. in der Nacht zog die Eskorte durch Paris, der König dankte Herrn von Treville und bevollmächtigte ihn, Urlaube auf vier Tage unter der Bedingung zu ertheilen, daß sich keiner von den Begünstigten bei Strafe der Bastille an einem öffentlichen Ort sehen lasse.

Die vier ersten Urlaube, welche bewilligt wurden, erhielten, wie sich leicht denken läßt, unsere vier Freunde. Athos erhielt sogar sechs Tage statt vier, und ließ diesen sechs Tagen noch zwei Nächte beifügen, denn sie reisten am 24. Abends fünf Uhr ab, und Herr von Treville stellte den Urlaub vom Morgen des 25. aus.

«Ei! mein Gott, «sprach d'Artagnan, der bekanntlich nie an Etwas verzweifelte,»wir machen viel Wesens um eine ganz einfache Sache; wir reiten ein paar Pferde zu Tode, was liegt daran? ich habe Geld; in zwei Tagen bin ich in Bethune, überreiche der Superiorin den Brief der Königin und führe den theuren Schatz, den ich suche, nicht nach Belgien, nicht nach Lothringen, sondern nach Paris, wo er besser verborgen sein wird, besonders so lange der Herr Kardinal vor La Rochelle liegt. Sind wir einmal aus dem Felde zurück, so erhalten wir von der Königin, halb durch die Protektion ihrer Base, halb für die Dienste, die wir ihr persönlich geleistet haben. Alles was wir wollen. Bleibt also hier und erschöpft Euch nicht durch unnütze Anstrengungen. Ich und Planchet genügen für eine so einfache Expedition.«

Hierauf erwiderte Athos ruhig:»Wir besitzen auch Geld, denn ich habe den Rest des Diamants noch nicht ganz vertrunken, und Porthos und Aramis haben ihn noch nicht ganz verspeist. Wir werden also eben so gut vier Pferde, als eines zu Tode reiten. Aber bedenkt, d'Artagnan, «fügte er mit so finsterer Betonung bei, daß dieser von einem Schauer ergriffen wurde,»bedenkt, daß Bethune eine Stadt ist, wo der Kardinal einer Frau Rendezvous gegeben hat, welche, wohin sie auch geht, stets Unglück mit sich bringt. Wenn Ihr nur mit vier Männern zu thun hättet, d'Artagnan, so ließe ich Euch allein ziehen. Ihr habt es aber mit einem Weibe zu thun, darum laßt uns zu vier ausziehen, und möge es Gott gefallen, daß wir mit unsern vier Bedienten die hinreichende Zahl bilden.«

«Ihr erschreckt mich, Athos!«rief d'Artagnan;»mein Gott! was fürchtet Ihr denn?«—»Alles!«antwortete Athos.

D'Artagnan schaute die Gesichter seiner Freunde forschend an; auf allen trat, wie bei Athos, das Gepräge tiefer Unruhe scharf hervor, und man setzte den Ritt in großer Eile, aber ohne ein Wort zu sprechen fort.

Als sie am 25. in Arras anlangten, und d'Artagnan vor dem Gasthaus zur goldenen Egge abstieg, um ein Glas Wein zu trinken, kam ein Reiter aus dem Posthof, wo er die Pferde gewechselt hatte, und sprengte mit verhängtem Zügel auf der Straße nach Paris fort. Im Augenblick, wo er durch das große Thor in die Straße ritt, öffnete der Wind den Mantel, in den er sich gehüllt hatte, obgleich man erst im Monat August war, und lüpfte seinen Hut, den der Reisende mit der Hand faßte und rasch wieder in die Stirne drückte.

D'Artagnan heftete seinen Blick auf diesen Menschen, erbleichte, und ließ sein Glas fallen.

«Was habt Ihr, gnädiger Herr?«fragte Planchet.»Holla! herbei, meine Herren, mein Gebieter wird unwohl!«

Die drei Freunde liefen herbei, und fanden d'Artagnan, der, statt sich übel zu befinden, nach seinem Pferde eilte. Sie hielten ihn auf der Schwelle zurück.

«Wo, des Teufels, willst Du denn hin?«rief ihm Athos zu.

«Er ist es!«erwiderte d'Artagnan bleich vor Zorn und mit schweißtriefender Stirne;»er ist es, laßt mich ihn einholen.«—»Wer denn?«—»Er! dieser Mensch!«—»Welcher Mensch?«

«Dieser verfluchte Mensch, mein böser Genius, dem ich stets begegnete, wenn ich von einem Unglück bedroht war, derjenige, welcher die furchtbare Frau begleitete, als ich sie zum ersten Male erblickte; derjenige, welchen ich suchte, als ich unsern Freund Athos herausforderte; derjenige, welchen ich an demselben Morgen gewahr wurde, wo man Madame Bonacieux entführte; ich habe ihn gesehen, er ist es! der Mann von Meung, ich habe ihn wieder erkannt, als der Wind seinen Mantel öffnete.«

«Teufel!«sprach Athos träumerisch.

«Zu Pferde! meine Herren, zu Pferde! wir wollen ihn verfolgen und werden ihn sicherlich einholen.«

«Mein Lieber, «sagte Aramis,»bedenkt, daß er in der entgegengesetzten Richtung von uns reitet, daß er ein frisches Pferd hat und daß unsere Pferde ermüdet sind, daß wir folglich unsere Pferde, ohne die geringste Hoffnung ihn zu erreichen, zu Tode reiten werden. Lassen wir also den Mann, d'Artagnan, und retten wir die Frau.«

«He, Herr!«rief ein Stallknecht, der dem Unbekannten nachlief.»He, Herr, hier ist ein Papier, das aus Eurem Hute fiel. He, Herr, he!«

«Mein Freund, «sprach d'Artagnan,»eine halbe Pistole für dieses Papier.«

«Meiner Treu, Herr, mit dem größten Vergnügen.«

Entzückt über den guten Tagelohn, den er gemacht hatte, kehrte der Stallknecht in den Hof des Wirthshauses zurück; d'Artagnan entfaltete das Papier.

«Nun?«fragten seine Freunde lauschend.

«Ein einziges Wort!«antwortete d'Artagnan.

«Ja, «sagte Aramis,»aber dieses Wort ist der Name einer Stadt.«

«Armentières, «las Porthos.»Armentières, ich kenne das nicht.«

«Und der Name dieser Stadt ist von ihrer Hand geschrieben.«

«Wir wollen das Papier sorgfältig bewahren, «sprach d'Artagnan.»Meine halbe Pistole ist vielleicht nicht verloren. Zu Pferde, meine Freunde, zu Pferde!«

Und die vier Gefährten sprengten im Galopp auf der Straße nach Bethune fort.


XXXIII. Das Kloster der Karmeliterinnen in Bethune

Die großen Verbrecher tragen eine Art von Vorherbestimmungen mit sich, durch welche sie alle Hindernisse zu überwinden vermögen und allen Gefahren entgehen, bis zu dem Augenblick, den die Vorsehung als Klippe ihres frevelhaften Glücks bezeichnet hat.

Dies war bei Mylady der Fall. Sie fuhr mitten durch die Kreuzer der beiden Nationen und gelangte ohne irgend einen Unfall nach Boulogne.

Als sich Mylady in Portsmouth ausschiffte, war sie eine durch die Verfolgungen Frankreichs aus La Rochelle vertriebene Engländerin. Nach einer zweitägigen Fahrt sich in Boulogne ausschiffend, gab sie sich für eine Französin aus, welche die Engländer in Portsmouth aus Franzosenhaß mißhandelten.

Mylady trug übrigens den wirksamsten aller Pässe bei sich: ihre Schönheit und die Freigebigkeit, mit der sie die Pistolen ausstreute. Von den gebräuchlichen Formalitäten durch das höfliche Lächeln und die galanten Manieren eines alten Hafengouverneurs befreit, der ihr die Hände küßte, hielt sie sich in Boulogne nur so lange auf, bis sie einen in folgenden Worten abgefaßten Brief auf die Post gegeben hatte.

«An Seine Eminenz, Monseigneur Kardinal von Richelieu, im Lager von La Rochelle.

«Monseigneur, Ew. Eminenz mag unbesorgt sein. Seine Herrlichkeit der Herzog von Buckingham wird nicht nach Frankreich abgehen.

Boulogne den 25. Abends. Mylady ***.«

«N. S. Nach dem Wunsche Eurer Eminenz begebe ich mich in das Kloster der Karmeliterinnen in Bethune, wo ich weiteren Befehlen entgegen sehe.«

Mylady begab sich wirklich noch an demselben Abend auf den Weg.

Die Nacht überfiel sie. Sie sah sich genöthigt anzuhalten und schlief in einem Gasthof. Am andern Morgen um fünf Uhr reiste sie wieder ab und hatte nach drei Stunden Bethune erreicht.

Sie ließ sich das Kloster der Karmeliterinnen zeigen und verfügte sich sogleich nach demselben. Die Superiorin kam ihr entgegen. Mylady wies ihr den Befehl des Kardinals. Die Aebtissin ließ ihr ein Zimmer geben und ein Frühstück vorsetzen.

Alles Vergangene hatte sich vor den Augen dieser Frau verwischt, und den Blick auf die Zukunft gerichtet, sah sie nur das hohe Glück, das ihr der Kardinal vorbehielt, den sie so gut bedient hatte, ohne daß sein Name irgendwie in diese blutige Angelegenheit gemischt war. Die stets neuen Leidenschaften, welche sie verzehrten, gaben ihrem Leben Aehnlichkeit mit jenen Wolken, die am Himmel aussteigen, ein Wiederschein bald von Azur, bald von Feuer, bald von der schwarzen Farbe des Sturmes sind und keine andere Spuren als Verwüstung und Tod zurücklassen.

Nach dem Frühstück machte ihr die Aebtissin ihren Besuch. Im Kloster gibt es wenig Zerstreuungen, und es drängte die gute Vorsteherin, bald Bekanntschaft mit ihrer neuen Kostgängerin anzuknüpfen.

Mylady wollte der Aebtissin gefallen, und dies war etwas Leichtes für eine Frau von so hervorragenden Eigenschaften. Sie versuchte es, liebenswürdig zu sein: sie war bezaubernd und verführte die Superiorin durch ihr wechselreiches Gespräch und durch die über ihre ganze Person ausgegossene Anmuth.

Die Aebtissin, eine Tochter aus adeligem Hause, liebte besonders die Hofgeschichten, welche so selten in die Klostermauern gelangen, an deren Schwelle das Geräusch der Welt erstirbt.

Mylady dagegen war sehr auf dem Laufenden mit allen aristokratischen Intriguen, in deren Mitte sie fünf bis sechs Jahre beständig gelebt hatte. Sie fing also an, der guten Aebtissin von den weltlichen Ränken und Geschichten des Hofes von Frankreich, sowie den übertriebenen Andachtsübungen des Königs zu erzählen. Sie lieferte ihr die Scandalchronik der vornehmen Herren und Damen des Hofes, welche die Aebtissin dem Namen nach kannte, berührte obenhin die Liebschaft der Königin mit Buckingham und sprach viel, damit man ein wenig sprechen möchte.

Aber die Aebtissin begnügte sich zu hören und zu lächeln, und antwortete nicht. Da Mylady jedoch sah, daß diese Art von Erzählungen sie sehr zu ergötzen schien, so fuhr sie fort, lenkte aber das Gespräch auf den Kardinal.

Dabei gerieth sie jedoch in große Verlegenheit, denn sie wußte nicht, ob die Aebtissin Royalistin oder Kardinalistin war. Sie hielt sich deshalb in einer klugen Mitte. Aber die Aebtissin, welche ihrerseits eine noch klügere Zurückhaltung beobachtete, beschränkte sich darauf, eine tiefe Verbeugung mit dem Kopfe zu machen, so oft die Reisende den Namen Seiner Eminenz aussprach.

Mylady fing an zu glauben, sie würde sich in diesem Kloster gewaltig langweilen. Sie beschloß daher, etwas zu wagen, um sogleich zu erfahren, woran sie sich zu halten hatte. Da sie wissen wollte, wie weit die Discretion der Aebtissin ging, begann sie sehr verblümt über den Kardinal loszuziehen; dann rückte sie näher und erzählte von den Liebschaften des Ministers mit Frau von Aiguillon, mit Marion de Lorme und einigen andern galanten Damen.

Die Aebtissin hörte aufmerksam zu, belebte sich allmählig und lächelte.

«Gut, «sagte Mylady zu sich selbst,»sie findet Geschmack an meiner Unterhaltung. Ist sie eine Kardinalistin, so treibt sie es wenigstens nicht fanatisch.«

Dann ging sie auf die Verfolgungen über, welche sich der Kardinal gegen seine Feinde zu Schulden kommen ließ. Die Aebtissin beschränkte sich darauf, sich zu bekreuzigen, ohne zu billigen oder zu mißbilligen. Dies bestätigte Mylady in ihrer Meinung, daß die Nonne mehr Royalistin als Kardinalistin sei. Mylady trug immer dicker auf.

«Ich bin sehr unwissend in allen diesen Verhältnissen, «sagte die Aebtissin endlich,»aber wie ferne wir auch vom Hofe leben, wie sehr wir auch außerhalb der weltlichen Interessen gestellt sind, so haben wir doch äußerst traurige Beispiele von der Wahrheit dessen, was Ihr uns da erzählt, und eine unserer Kostgängerinnen hat viel unter der Rache und den Verfolgungen des Herrn Kardinals gelitten.«

«Eine Eurer Kostgängerinnen?«fragte Mylady.»O mein Gott! die arme Frau! wie sehr beklage ich sie!«

«Und Ihr habt Recht, denn sie ist sehr zu beklagen. Gefängniß, Drohungen, Mißhandlungen, Alles mußte sie ausstehen. Aber im Ganzen, «versetzte die Aebtissin,»hatte der Herr Kardinal vielleicht triftige Gründe so zu handeln, und obgleich sie wie ein Engel aussieht, so darf man die Menschen doch nicht nach ihrem Gesichte beurtheilen.«

«Gut, «sagte Mylady zu sich selbst,»wer weiß? ich entdecke vielleicht hier etwas.«

Und sie verlieh ihren Zügen einen Ausdruck vollkommener Unschuld.

«Ach, ich weiß wohl, «sprach Mylady,»man sagt, es sei den Physiognomien nicht zu trauen. Aber wem sollte man denn Glauben schenken, wenn nicht dem schönen Werke des Herrn? Ich für meine Person werde vielleicht mein ganzes Leben lang getäuscht werden; aber stets werde ich einer Person trauen, deren Gesicht mir Mitgefühl einflößt.«

«Ihr seid also versucht, diese junge Frau für unschuldig zu halten?«fragte die Aebtissin.

«Der Herr Kardinal bestraft nicht allein die Verbrechen, «erwiderte Mylady;»es gibt gewisse Tugenden, die er noch heftiger verfolgt, als gewisse Frevel.«

«Erlaubt mir, Madame, Euch mein Erstaunen auszudrücken, «sagte die Aebtissin. — »Und worüber?«fragte Mylady naiv.

«Ueber die Sprache, die Ihr führt.«

«Was findet Ihr denn Wunderbares an dieser Sprache?«fragte Mylady lächelnd.

«Ihr seid die Freundin des Kardinals, da er Euch hierher schickt, und dennoch…«

«Und dennoch spreche ich Schlimmes von ihm, «versetzte Mylady, den Gedanken der Superiorin vollendend.

«Wenigstens sagt Ihr nichts Gutes von ihm.«

«Dies geschieht, weil ich nicht seine Freundin, sondern sein Opfer bin, «erwiderte sie seufzend.

«Doch diesen Brief, durch den er Euch mir empfiehlt…«

«Ist ein Befehl für mich, in einer Art von Gefängniß zu verharren, bis er mich durch seine Schergen…«

«Aber warum habt Ihr Euch nicht geflüchtet?«

«Wohin sollte ich gehen? Glaubt Ihr, es gebe irgend einen Ort der Erde, wohin der Kardinal nicht reichen könnte, wenn er sich die Mühe geben will seinen Arm auszustrecken? Wäre ich ein Mann, so dürfte dies noch möglich sein, aber eine Frau!.. Was sollte ich als Frau machen? Hat die junge Kostgängerin, die Ihr bei Euch habt, zu entfliehen versucht?«

«Nein, das ist wahr; doch bei ihr ist es etwas Anderes. Sie wird, wie ich glaube, durch irgend eine Liebschaft in Frankreich zurückgehalten.«

«Wenn sie liebt, «sprach Mylady mit einem Seufzer,»ist sie nicht ganz unglücklich.«

«Also sehe ich, «fragte die Aebtissin, und schaute Mylady mit wachsender Theilnahme an,»also sehe ich abermals eine arme Verfolgte vor mir?«

«Ach ja, «antwortete Mylady.

Die Aebtissin betrachtete Mylady einen Augenblick mit großer Unruhe, als ob ein neuer Gedanke in ihrem Geist rege geworden wäre.

«Ihr seid keine Feindin unseres heiligen Glaubens, «sprach sie stammelnd.

«Ich, «rief Mylady,»ich eine Protestantin? Oh nein! ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich im Gegentheil eine eifrige Katholikin bin.«

«Dann, Madame, «sprach die Aebtissin lächelnd,»dann möget Ihr Euch beruhigen; denn das Haus, in welchem Ihr Euch befindet, soll kein harter Kerker für Euch sein, und wir werden Alles thun, was in unsern Kräften liegt, um Eure Gefangenschaft angenehm zu machen. Ueberdies findet Ihr hier die junge Frau, welche ohne Zweifel wegen einer Hofintrigue verfolgt wird. Sie ist liebenswürdig, anmuthig, und wird Euch gefallen.«

«Wie heißt sie?«

«Sie ist mir von einer sehr hochgestellten Person unter dem Namen Ketty empfohlen worden. Ich habe ihren andern Namen nicht zu erfahren gesucht.«

«Ketty!«rief Mylady.»Seid Ihr dessen gewiß?«

«Daß sie sich so nennen läßt? Ja, Madame. Solltet Ihr sie etwa kennen?«

Mylady lächelte bei dem Gedanken, diese junge Frau könnte ihre ehemalige Zofe sein. In die Erinnerung an dieses Mädchen mischte sich eine Erinnerung des Zorns, und die Rachgier verstörte schnell Myladys Züge, welche jedoch beinahe in demselben Augenblicke den ruhigen, wohlwollenden Ausdruck wieder annahmen, den diese Frau mit den hundert Gesichtern ihnen zuvor verliehen hatte.

«Und wann könnte ich diese junge Dame sehen, für welche ich bereits eine so große Sympathie in mir fühle?«fragte Mylady.

«Diesen Abend, «erwiderte die Aebtissin,»noch heute. Aber Ihr reist seit vier Tagen, wie Ihr mir selbst sagt, seid heute Morgen um fünf Uhr aufgestanden und müßt der Ruhe bedürfen. Legt Euch nieder und schlaft. Zur Stunde des Mittagessens werden wir Euch erwecken.«

Obgleich Mylady, unterstützt durch alle Aufregungen, welche ein neues Abenteuer in ihrem nach Intriguen gierigen Gemüthe erzeugte, leicht den Schlaf hätte entbehren können, so nahm sie doch nichts destoweniger das Anerbieten der Superiorin an. Seit zehn bis vierzehn Tagen hatte sie so verschiedene Gemüthsbewegungen durchlebt, daß, wenn auch ihr eiserner Körper die Anstrengungen zu ertragen vermochte, ihre Seele doch der Ruhe bedurfte.

Sie nahm also von der Aebtissin Abschied und legte sich, sanft gewiegt durch Rachegedanken, auf die der Name Ketty sie gebracht hatte, zu Bette. Sie erinnerte sich des beinahe unbegrenzten Versprechens, das der Kardinal ihr gegeben hatte, falls sie ihre Unternehmungen glücklich zu Ende führte. Es war ihr geglückt und somit konnte sie sich an d'Artagnan rächen.

Eines jedoch erschreckte Mylady, das Andenken an ihren Gatten, den Grafen La Fère, den sie todt, oder wenigstens aus dem Vaterland entfernt geglaubt hatte, nun aber in Athos, dem besten Freund d'Artagnans, wiederfand.

Aber wenn er der Freund d'Artagnans war, so mußte er ihm auch in allen seinen Handlungen, wodurch er den Plan Seiner Eminenz vereitelt hatte, Beistand geleistet haben; wenn er der Freund d'Artagnans war, so war er der Feind des Kardinals, und ohne Zweifel würde es ihr gelingen, ihn in dasselbe Rachewerk zu verstricken, in welchem der junge Musketier seinen Untergang finden sollte.

Alle ihre Aussichten waren angenehme Gedanken für Mylady. Sanft von diesen gewiegt, entschlummerte sie bald.

Sie wurde durch eine weiche Stimme erweckt, die am Fuße ihres Bettes ertönte. Mylady öffnete die Augen und sah die Aebtissin in Begleitung einer jungen Person mit blonden Haaren und zartem Teint, welche einen Blick voll wohlwollender Neugierde auf sie heftete.

Das Gesicht dieser jungen Person war ihr völlig unbekannt. Beide schauten sich prüfend und mit ängstlicher Aufmerksamkeit an, während sie die üblichen Höflichkeiten austauschten. Beide waren sehr schön, aber von verschiedenartiger Schönheit. Mylady lächelte jedoch, als sie erkannte, daß sie selbst in Bezug auf vornehmes Aussehen und aristokratische Manieren bei Weitem den Vorzug hatte.

Die Aebtissin stellte sie einander vor, und nachdem dieser Förmlichkeit Genüge geleistet war, ließ sie die beiden jungen Frauen allein, da ihre Pflichten sie in die Kirche riefen.

Da die Novize sah, daß Mylady im Bette lag, so wollte sie der Superiorin folgen; aber Mylady hielt sie zurück.

«Wie, Madame, «sprach sie,»kaum habe ich Euch erblickt, und Ihr wollt mich bereits wieder Eurer Gegenwart berauben, auf die ich, ich gestehe es, für die Dauer meiner Anwesenheit an diesem Orte ein wenig rechnete.«

«Nein, Madame, «antwortete die Novize,»ich glaubte nur, die Zeit schlecht gewählt zu haben. Ihr schlieft, Ihr seid müde.«

«Wohl, «erwiderte Mylady,»was können schlafende Menschen Besseres erwarten, als ein gutes Erwachen? Dieses Erwachen habt Ihr mir gegeben. Laßt es mich nach meinem Wohlgefallen genießen.«

Und hierauf nahm sie die junge Person bei der Hand und zog sie auf einen Stuhl, der in der Nähe ihres Bettes stand.

Die Novize setzte sich.

«Mein Gott, «sprach sie,»wie unglücklich ich bin! Ich befinde mich nun sechs Monate hier ohne einen Schatten von Zerstreuung; Ihr kommt; Eure Gegenwart sollte für mich eine liebliche Gefährtin sein, und wahrscheinlich habe ich nun in den nächsten Augenblicken das Kloster zu verlassen.«

«Wie?«sprach Mylady,»Ihr geht also bald von hier?«

«Wenigstens hoffe ich es, «erwiderte die Novize mit einem freudigen Ausdruck, den sie nicht im Mindesten zu verbergen bemüht war.

«Ihr habt, wie ich höre, durch den Kardinal gelitten, «fuhr Mylady fort.»Das ist ein weiterer Grund der Sympathie zwischen uns.«

«Also ist das, was mir unsre gute Mutter gesagt hat, eine Wahrheit? Ihr seid ebenfalls ein Opfer des Kardinals?«

«Still, «entgegnete Mylady,»selbst hier dürfen wir nicht so von ihm sprechen. Mein ganzes Unglück kommt davon her, daß ich ungefähr das, was ihr so eben sagtet, in Gegenwart einer Frau äußerte, die ich für meine Freundin hielt und die mich verrieth. Und Ihr, seid Ihr auch ein Opfer des Verraths?«

«Nein, «antwortete die Novize,»sondern meiner Anhänglichkeit an eine Frau, die ich liebte, für die ich das Leben hingegeben hätte, für die ich es noch hingeben würde.«

«Und die Euch verlassen hat, nicht wahr?«

«Ich war so ungerecht, dies zu glauben; aber seit ein paar Tagen habe ich den Beweis vom Gegenteil erlangt und danke Gott dafür. Es würde mich das Leben gekostet haben, wenn ich hätte glauben müssen, ich sei ganz und gar von ihr vergessen worden. Aber Ihr, Madame, «fuhr die Novize fort,»es scheint mir, Ihr seid frei, und wenn ihr fliehen wolltet, so würde es nur von Euch abhängen.«

«Wohin soll ich gehen, ohne Freunde, ohne Geld, in einer Gegend von Frankreich, die ich nicht kenne, wo…«

«Oh! rief die Novize, was die Freunde betrifft, Ihr werdet sie überall finden, wo Ihr wollt, denn ihr scheint so gut zu sein, und seid so schön!«

«Darum bin ich nicht minder allein und verfolgt, «fügte Mylady bei und versüßte ihr Lächeln, so daß es einen wahrhaft englischen Ausdruck annahm.

«Hört, «sprach die Novize,»man muß die Hoffnung auf den Himmel nicht aufgeben. Seht, es kommt immer ein Augenblick, wo das Gute, was wir gethan haben, vor Gott für unsre Sache spricht, und es ist vielleicht ein Glück für Euch, daß Ihr, so niedrig auch meine Stellung ist, so wenig ich Macht besitze, mich getroffen habt, denn wenn ich diesen Ort verlasse, nun, dann werde ich einige mächtige Freunde haben, die, nachdem sie für mich in's Feld gezogen sind, auch für Euch zu Felde ziehen können.«

«Oh! wenn ich sagte, ich sei allein, «erwiderte Mylady, in der Hoffnung, die Novize zum Sprechen zu bringen,»so äußerte ich dies nicht, als ob ich nicht auch einige hohe Bekanntschaften hätte, sondern weil diese Bekanntschaften vor dem Kardinal zittern. Die Königin selber wagt es nicht, mir gegen diesen furchtbaren Minister beizustehen, und ich habe den Beweis, daß Ihre Majestät trotz ihres vortrefflichen Herzens mehr als einmal genöthigt gewesen ist, die Personen, welche ihr Dienste geleistet hatten, dem Zorn seiner Eminenz preiszugeben.«

«Glaubt mir, Madame, es kann bei der Königin den Anschein haben, als hätte sie diese Personen verlassen, aber man muß dem Schein nicht glauben; je mehr sie verfolgt werden, desto mehr denkt Ihre Majestät an sie, und in dem Augenblick, wo sie wähnen, die Königin denke am wenigsten an sie, erhalten sie oft den Beweis einer herzlichen Erinnerung.«

«Ach! ich glaube es wohl, «sprach Mylady.»Die Königin ist so gut!«

«Ihr kennt sie also, diese schöne und edle Königin, da Ihr so von ihr sprecht!«rief die Novize begeistert.

«Das heißt, «versetzte Mylady, in ihren Verschanzungen bedrängt,»ich habe nicht die Ehre, sie persönlich zu kennen, aber ich kenne viele von ihren vertrautesten Freunden. Ich kenne Herrn von Putange; ich habe in England Herrn Dujart kennen gelernt; ich kenne Herrn von Treville.«

«Herrn von Treville!«rief die Novize,»Ihr kennt Herrn von Treville?«

«Ja vollkommen, sehr gut sogar.«

«Den Kapitän der Musketiere des Königs?«

«Den Kapitän der Musketiere des Königs.«

«Oh! nun werdet Ihr sehen, «sprach die Novize,»daß wir sogleich ganz gut mit einander bekannt, ja beinahe Freundinnen sein werden. Wenn Ihr Herrn von Treville kennt, so müßt Ihr in seinem Hause gewesen sein.«

«Oft, «antwortete Mylady, welche die Lüge bis zum Ende führen wollte, als sie bemerkte, daß sie auf diesem Weg zum Ziele kam.

«Ihr müßt bei ihm einige von seinen Musketieren gesehen haben?«

«Alle diejenigen, welche er gewöhnlich empfängt, «erwiderte Mylady, für welche dieses Gespräch ein wirkliches Interesse zu gewinnen anfing.

«Nennt mir einige von denen, die Ihr kennt, und Ihr werdet sehen, daß sie zu meinen Freunden gehören.«

«Ich kenne, «sprach Mylady etwas verlegen,»ich kenne Herrn von Louvigny, Herrn von Courtivon, Herrn von Ferussac.«

Die Novize ließ sie aussprechen; als sie aber sah, daß Mylady inne hielt, so fragte sie:

«Kennt Ihr nicht einen Edelmann Namens Athos?«

Mylady wurde so bleich, wie die Leintücher, in denen sie lag, und konnte sich, so sehr sie sich auch zu beherrschen wußte, eines Schreies nicht enthalten, während sie die Novize bei der Hand faßte und mit dem Blicke verschlang.

«Wie? was habt Ihr? Oh! mein Gott, «fragte die arme junge Frau,»habe ich etwas gesagt, was Euch verletzte?«

«Nein, aber der Name ist mir aufgefallen, weil ich diesen Mann ebenfalls kenne, und weil es mir seltsam vorkommt, daß ich Jemand finde, der so genau mit ihm bekannt ist.«

«O ja, sehr genau bekannt, und zwar nicht allein mit ihm, sondern auch mit seinen Freunden, den Herren Aramis und Porthos.«

«In der That? Auch sie kenne ich, «rief Mylady, welche eine eisige Kälte in ihr Herz dringen fühlte.

«Nun, wenn Ihr sie kennt, so müßt Ihr wissen, daß es gute und brave Kameraden sind. Warum wendet Ihr Euch nicht an sie, wenn Ihr der Hülfe bedürft?«

«Das heißt, «stammelte Mylady,»ich stehe mit keinem von ihnen in einer wirklichen Verbindung. Ich kenne sie, weil ich einen von ihren Freunden, Herrn d'Artagnan, von ihnen sprechen hörte.«

«Ihr kennt also Herrn d'Artagnan!«rief die Novize, die nun ihrerseits Mylady bei der Hand faßte und sie mit ihren Augen verschlang.

Dann sagte sie, als sie den seltsamen Ausdruck in Myladys Blick gewahr wurde:»Um Vergebung, Madame, in welcher Eigenschaft kennt Ihr ihn?«—»Wie meint Ihr?«sprach Mylady verlegen.»In der Eigenschaft eines Freundes.«—»Ihr täuscht mich, Madame, «versetzte die Novize,»Ihr seid seine Geliebte gewesen!«—»Ihr seid es gewesen, Madame, «entgegnete Mylady. — »Ich!«rief die Novize. — »O ja, Ihr; ich kenne Euch jetzt. Ihr seid Madame Bonacieux.«

Die junge Frau wich voll Staunen und Schrecken zurück.

«Oh! leugnet nicht, antwortet, «sprach Mylady.

«Nun ja, Madame, ich liebe ihn. Sind wir Nebenbuhlerinnen?«

Das Gesicht Myladys beleuchtete sich mit einem so wilden Feuer, daß Madame Bonacieux unter allen andern Umständen voll Angst entflohen wäre; aber jetzt wurde sie einzig und allein durch die Eifersucht beherrscht.

«Sprecht, laßt hören, Madame, «fuhr Frau Bonacieux mit einer Energie fort, deren sie gar nicht fähig schien.»Seid Ihr seine Geliebte gewesen?«

«O! nein!«rief Mylady mit einer Betonung, die keinen Zweifel an der Wahrheit dessen, was sie sagte, übrig ließ.»Nie! nie!«

«Ich glaube Euch, «sprach Madame Bonacieux,»aber warum dieser Schrei?«

«Wie, Ihr begreift nicht?«sagte Mylady, welche sich von ihrer Unruhe erholt und ihre ganze Geistesgegenwart wieder gewonnen hatte. — »Wie soll ich begreifen? ich weiß nichts.«—»Ihr begreift nicht, daß d'Artagnan, der mein Freund war, mich zu seiner Vertrauten gewählt hatte?«—»Wirklich?«

«Ihr begreift nicht, daß ich Alles weiß. Eure Entführung aus dem kleinen Hause in St. Germain, seine und seiner Freunde Verzweiflung, ihre Nachforschungen seit jenem Augenblick? Und ich soll nicht staunen, wenn ich mich so unvermuthet in Eurer Nähe befinde, nachdem wir so oft mit einander von Euch gesprochen haben, die er mit der ganzen Macht seiner Seele liebt, so daß auch ich Euch lieben mußte, noch ehe ich Euch gesehen hatte? Ach! theure Constance, endlich, endlich finde ich Euch!«

Und Mylady streckte ihre Arme nach Madame Bonacieux aus, welche nunmehr überzeugt war, und in dieser Frau, die sie einen Augenblick vorher für ihre Nebenbuhlerin gehalten hatte, nur noch eine ergebene und aufrichtige Freundin erblickte.

«Oh! vergebt mir! vergebt mir!«sagte sie und sank auf ihre Schulter,»ich liebe ihn so sehr!«

Die zwei Frauen hielten sich einen Augenblick umarmt. Wenn Myladys Kräfte ihrem Haß gleichgekommen wären, so würde diese Umarmung nur mit dem Tode von Madame Bonacieux geendigt haben. Aber da sie die junge Frau nicht ersticken konnte, so lächelte sie ihr zu.

«Oh! theure, schöne Kleine, «sagte Mylady,»wie glücklich bin ich. Euch zu sehen. Laßt mich Euch anschauen. «Und bei diesen Worten verschlang sie die Novize wirklich mit ihren Blicken.»Ja, Ihr seid es. Nach dem, was er mir von Euch gesagt hat, erkenne ich Euch zu dieser Stunde, ich erkenne Euch vollkommen.«

Die arme junge Frau konnte nicht ahnen, wie schrecklich es hinter dem Wall dieser reinen Stirne, hinter diesen schönen Augen, worin sie nur das Interesse des Mitleids las, zuging.

«Ihr wißt also, was ich gelitten habe, «sprach Madame Bonacieux,»da er Euch sein Leiden mitgetheilt hat. Aber für ihn dulden ist Glück.«

Mylady wiederholte mechanisch:»Ja, das ist Glück.«

Sie dachte an etwas Anderes.

«Und dann, «fuhr Madame Bonacieux fort,»ist mein Unglück seinem Ende nahe: morgen, diesen Abend vielleicht werde ich ihn wiedersehen, und dann besteht die Vergangenheit nicht mehr für mich.«

«Diesen Abend? morgen?«rief Mylady, durch diese Worte aus ihrer Träumerei gerissen.»Was wollt Ihr damit sagen? Erwartet Ihr vielleicht Nachrichten von ihm?«—»Ich erwarte ihn selbst.«—»Ihn selbst! D'Artagnan hier!«—»Ihn selbst.«

«Das ist unmöglich! Er befindet sich mit dem Kardinal bei der Belagerung von La Rochelle und wird erst nach der Einnahme der Stadt nach Paris zurückkehren.«

«Ihr glaubt dies, aber sagt: ist meinem d'Artagnan, diesem trefflichen und loyalen Edelmanns, etwas unmöglich?«

«Ah! ich kann es nicht glauben.«

«Nun, so lest doch, «sprach die unglückliche junge Frau, im Uebermaß ihrer Freude und ihres Stolzes, indem sie Mylady den Brief überreichte.

«Die Handschrift der Frau von Chevreuse!«sagte Mylady zu sich selbst.»Ich war überzeugt, daß mit dieser ein Einverständniß stattfand.«

Und sie las mit gierigen Blicken folgende Zeilen:

«Mein liebes Kind, haltet Euch bereit. Unser Freund wird Euch bald besuchen, und zwar nur, um Euch dem Gefängnisse zu entreißen, wo Ihr Euch Eurer Sicherheit wegen verborgen halten mußtet. Trefft Eure Vorkehrungen zur Reise und verzweifelt nie an uns.

«Unser vortrefflicher Gascogner hat sich so eben wieder brav und getreu gezeigt, wie immer. Sagt ihm, daß man ihm irgendwo für den Rath, den er ertheilt, sehr dankbar sei.«

«Ja, ja, «sprach Mylady,»ja, dieser Brief ist genau. Wißt Ihr vielleicht, worin dieser Rath besteht?«

«Nein; ich vermuthe nur, daß er die Königin von irgend einer Machination des Kardinals benachrichtigt hat.«

«Ja, so ist es ohne Zweifel, «erwiderte Mylady, gab den Brief Madame Bonacieux zurück und ließ ihr nachdenkendes Haupt auf die Brust sinken.

In diesem Augenblick hörte man den Galop eines Pferdes.

«Oh!«rief Madame Bonacieux, an das Fenster stürzend,»sollte er es sein?«

Mylady war vor Erstaunen in Stein verwandelt im Bette geblieben. Es begegneten ihr plötzlich so viele unerwartete Dinge, daß sie zum ersten Male den Kopf verlor.

«Er! er!«murmelte sie,»sollte er es sein?«Und sie verharrte mit starren Augen in ihrem Bette.

«Ach! nein, «sprach Madame Bonacieux,»es ist ein Mann, den ich nicht kenne. Es scheint, er kommt hieher; er reitet langsamer — er hält vor der Thüre — er läutet.«

Mylady sprang aus dem Bette.

«Seid Ihr gewiß, daß er es nicht ist?«sagte sie. — »O ja, ganz gewiß.«—»Ihr habt vielleicht schlecht gesehen?«—»Oh! ich würde ihn erkennen, wenn ich nur die Feder seines Hutes, das Ende seines Mantels erblickte.«

Mylady kleidete sich fortwährend an.

«Gleich viel, Ihr sagt, dieser Mann komme hieher?«—»Ja, er ist bereits in das Kloster eingetreten.«—»Das geschieht entweder Euret- oder meinetwegen.«—»O mein Gott! wie aufgeregt seht Ihr aus!«—»Ja, ich gestehe, ich hege nicht Euer Vertrauen, ich fürchte Alles von dem Kardinal!«—»Stille!«sagte Madame Bonacieux,»man kommt.«

Die Thüre öffnete sich wirklich und die Aebtissin trat ein.

«Kommt ihr von Boulogne?«fragte sie Mylady.

«Allerdings, «antwortete diese, indem sie ihre Kaltblütigkeit wieder zu erlangen suchte.»Wer fragt nach mir?«

«Ein Mann, der seinen Namen nicht nennen will, aber von dem Kardinal kommt.«

«Und mich sprechen will?«sagte Mylady.

«Der eine Dame sprechen will, welche von Boulogne eingetroffen sein soll.«

«Dann laßt ihn eintreten, Madame!«

«Oh! mein Gott, mein Gott!«rief Madame Bonacieux,»sollte es eine schlimme Kunde sein?«—»Ich befürchte es.«—»Ich lasse Euch mit diesem Fremden allein; aber sobald er sich entfernt hat, kehre ich mit Eurer Erlaubniß wieder zurück.«

«Ich bitte Euch darum.«

Die Aebtissin und Madame Bonacieux verließen das Zimmer.

Mylady blieb, die Augen auf die Thüre geheftet, allein. Bald hörte man Sporengeklirr auf der Treppe. Dann näherten sich Tritte: die Thüre wurde geöffnet und ein Mann erschien.

Mylady stieß einen Freudenschrei aus. Dieser Mann war der Graf von Rochefort, die ergebenste Seele Seiner Eminenz.


XXXIV. Zwei Abarten von Teufeln

«Ah!«riefen Rochefort und Mylady zugleich,»Ihr seid is?«—»Ja, ich bin es.«—»Und Ihr kommt?«fragte Mylady. — »Von La Rochelle. Und Ihr?«—»Von England.«

«Buckingham?«—»Todt oder gefährlich verwundet. Als ich abreiste, ohne etwas von ihm erlangen zu können, ermordete ihn ein Fanatiker.«—»Ah, «sprach Rochefort lächelnd,»das ist ein äußerst glücklicher Zufall, worüber sich Seine Eminenz ungemein freuen wird. Habt Ihr ihn davon in Kenntniß gesetzt?«—»Ich habe ihm von Boulogne aus geschrieben. Aber wie kommt Ihr hieher?«—»Seine Eminenz war in Unruhe, und schickte mich aus, um Euch zu suchen.«—»Ich bin erst gestern hier angekommen.«—»Und was habt Ihr seit gestern gemacht?«—»Ich habe meine Zeit nicht verloren.«—»Oh! das kann ich mir wohl denken.«—»Wißt Ihr, wen ich hier getroffen habe?«—»Nein.«—»Rathet!«—»Wie soll ich?«—»Die junge Frau, welche die Königin dem Gefängniß entrissen hat.«—»Die Geliebte des kleinen d'Artagnan?«—»Ja, Madame Bonacieux, deren Zufluchtsstätte der Kardinal nicht kannte.«—»Nun, «sprach Rochefort,»das ist abermals ein Zufall, der dem andern die Stange halten kann. Der Herr Kardinal ist in der That ein vom Glücke begünstigter Mann.«—»Könnt Ihr Euch mein Erstaunen denken, «fuhr Mylady fort,»als ich mich dieser Frau gegenüber fand?«—»Kennt sie Euch?«—»Nein.«—»Dann hält sie Euch für eine Fremde?«— Mylady lächelte.»Ich bin ihre beste Freundin.«—»Bei meiner Ehre!«sprach Rochefort,»nur Ihr, meine liebe Gräfin, könnt solche Wunder bewirken.«—»Es geschah zur rechten Zeit, Chevalier, «sagte Mylady;»denn wißt Ihr, was vorgeht?«—»Nein.«—»Man will sie morgen oder übermorgen mit einem Befehl der Königin holen.«—»Wirklich? und wer dies?«—»D'Artagnan und seine Freunde.«—»In der That? Sie treiben es so arg, daß wir sie in die Bastille schicken müssen.«—»Warum ist dies nicht bereits geschehen?«—»Was wollt Ihr? Der Herr Kardinal hat für diese Menschen eine mir ganz unbegreifliche Vorliebe.«—»Wirklich? nun so sagt ihm Folgendes, Rochefort: sagt ihm, daß unsere Unterredung in der Herberge zum Rothen Taubenschlag von diesen vier Menschen gehört worden ist; sagt ihm, daß einer von ihnen nach seinem Abgang heraufkam und mir mit Gewalt den Geleitsbrief entriß, den er mir gegeben hatte; sagt ihm, daß sie Lord Winter von meiner Fahrt nach England benachrichtigen ließen; daß sie auch diesmal beinahe meine Sendung vereitelt hätten, wie sie die mit den Nestelstiften vereitelten. Sagt ihm, daß von diesen vier Menschen nur zwei, d'Artagnan und Athos, zu fürchten sind; sagt ihm, daß der dritte der Liebhaber der Frau von Chevreuse ist; man muß diesen leben lassen; man weiß sein Geheimniß, er kann von Nutzen sein; der vierte, Porthos, ist ein Einfaltspinsel, ein alberner Geck, mit dem man sich nicht zu beschäftigen braucht.«—»Aber diese vier Menschen müssen in dieser Stunde bei der Belagerung von La Rochelle sein.«—»Ich glaubte dies, wie Ihr, aber ein Brief, den Madame Bonacieux von Frau von Chevreuse erhalten und mir unkluger Weise mitgetheilt hat, gibt mir die Ueberzeugung, daß diese vier Menschen vielmehr in das Feld gezogen sind, um sie zu entführen.«—»Teufel, was ist da zu machen?«—»Was hat Euch der Kardinal in Beziehung auf mich aufgetragen?«—»Eure geschriebenen oder mündlichen Depeschen in Empfang zu nehmen und mit Postpferden zurückzukehren. Sobald er weiß, was Ihr gethan habt, wird er Befehl geben, was Ihr thun sollt.«—»Ich muß also hier bleiben?«—»Hier oder in der Umgegend.«—»Ihr könnt mich nicht mitnehmen?«—»Nein, der Befehl ist streng. In der Gegend des Lagers könntet Ihr erkannt werden, und Eure Gegenwart würde, wie Ihr wohl begreift. Seine Eminenz besonders nach dem, was da drüben vorgefallen ist, compromittiren. Doch sagt mir jetzt schon, wo Ihr Nachrichten vom Kardinal erwarten wollt, damit ich stets weiß, wo ich Euch treffen kann.«—»Wahrscheinlich bin ich nicht im Stande hier zu bleiben.«—»Warum?«—»Ihr vergeßt, daß meine Feinde jeden Augenblick ankommen können.«—»Das ist wahr, aber dann wird diese kleine Frau Seiner Eminenz entschlüpfen.«

«Bah!«sprach Mylady mit einem Lächeln, das nur ihr eigenthümlich war,»Ihr vergeht, daß ich ihre beste Freundin bin.«—»Ah! das ist wahr; ich darf also dem Kardinal sagen, in Beziehung auf diese Frau…«—»Könne er ruhig sein.«—»Nicht mehr? Weiß er, was dies zu bedeuten hat?«—»Er wird es errathen.«»Was soll ich nun thun?«—»Sogleich abreisen. Es scheint mir, die Nachrichten, welche Ihr bringt, sind wohl werth, daß man sich beeilt.«—»Mein Wagen ist in Lilliers gebrochen.«—»Vortrefflich!«—»Wie vortrefflich?«—»Ja, ich brauche Euern Wagen.«—»Und wie soll ich dann reisen?«»Zu Pferde.«—»Ihr habt gut sprechen, hundertundachtzig Meilen!«—»Was ist das?«—»Sie sollen gemacht werden. Und hernach?«—»Wenn Ihr durch Lilliers kommt, schickt Ihr mir den Wagen und gebt Eurem Bedienten Befehl, sich mir zur Verfügung zu stellen.«—»Gut.«—»Ihr habt ohne Zweifel einen Befehl des Kardinals bei Euch?«—»Ich habe eine Vollmacht bei mir.«— Ihr zeigt sie der Aebtissin, und sagt ihr, man werde mich heute oder morgen abholen, und ich habe der Person zu folgen, die sich in Eurem Namen einfinde.«—»Sehr gut!«—»Vergeht nicht, über mich loszuziehen, wenn ihr mit der Aebtissin von mir sprecht.«—»Wozu soll das nützen?«—»Ich bin ein Opfer des Kardinals und muß wohl dieser armen kleinen Madame Bonacieux Vertrauen einflößen.«—»Das ist richtig. Wollt Ihr mir nun einen Bericht von Allem dem machen, was vorgefallen ist?«—»Ich habe Euch die Ereignisse erzählt, Ihr besitzt ein gutes Gedächtniß. Wiederholt die Dinge, wie ich sie Euch mittheilte; ein Papier geht verloren.«—»Ihr habt Recht. Nur damit ich weiß, wo ich Euch finden kann und nicht unnütz in der Gegend umherlaufe.«—»Das ist richtig; wartet!«—»Wollt Ihr eine Karte?«—»Oh! ich kenne diese Gegend vortrefflich.«—»Ihr? wann seid Ihr hier gewesen?«— Ich bin hier erzogen worden.«—»Wirklich!«—»Seht, irgendwo erzogen worden zu sein, nützt doch zu etwas.«—»Ihr werdet mich also erwarten?…«—»Laßt mich einen Augenblick nachdenken… halt, ja in Armentières?«—»Was ist das, Armentières?«—»Eine kleine Stadt an der Lys. Ich habe nur über den Fluß zu setzen, und bin in einem fremden Lande.«—»Vortrefflich! aber wohlverstanden, Ihr geht nur im Fall einer großen Gefahr über den Fluß.«—»Natürlich.«—»Wie soll ich aber dann erfahren, wo Ihr seid?«—»Ihr bedürft Eures Bedienten nicht?«—»Nein.«—»Es ist ein sicherer Mann?«—»Unter jeder Bedingung.«—»Gebt ihn mir; niemand kennt ihn, ich lasse ihn an dem Orte zurück, von dem ich mich entferne, und er führt Euch dahin, wo ich bin.«—»Und Ihr sagt, Ihr werdet mich in Armentières erwarten?«—»In Armentières.«—»Schreibt mir diesen Namen auf ein Stückchen Papier, damit ich ihn nicht vergesse. Der Name einer Stadt kann unmöglich kompromittiren, nicht wahr?«—»Wer weiß? doch gleich viel, «sagte Mylady und schrieb den Namen auf ein Blättchen Papier;»ich gefährde mich dadurch.«

«Gut, «sprach Rochefort, nahm das Papier Mylady aus den Händen, faltete es zusammen, und steckte es in das Futter seines Hutes.»Seid übrigens unbesorgt, ich mache es wie die Kinder und wiederhole den Namen den ganzen Weg entlang, wenn ich das Papier verliere. Nun, ist das Alles?«

«Ich glaube.«

«Wir wollen einmal untersuchen: Buckingham todt oder schwer verwundet: Eure Unterredung mit dem Kardinal von den vier Musketieren gehört; Lord Winter von Eurer Ankunft in Portsmouth benachrichtigt: d'Artagnan und Athos in die Bastille: Aramis der Liebhaber der Frau von Chevreuse; Porthos ein Gimpel; Madame Bonacieux wieder gefunden; Euch den Wagen so bald als möglich schicken; Euch meinen Bedienten zur Verfügung stellen; ein Opfer des Kardinals aus Euch machen, damit die Aebtissin keinen Verdacht schöpft; Armantières an den Ufern der Lys; ist es so?«

«In der That mein lieber Chevalier, Ihr seid ein wahres Wunder von Gedächtniß. Doch fügt noch bei…«—»Was?«

«Ich habe ein sehr hübsches Wäldchen gesehen, das an den Klostergarten stoßen muß. Sagt, es sei mir erlaubt, in diesem Wäldchen spazieren zu gehen. Wer weiß, ich muß vielleicht durch eine Hinterpforte von hier fort.«

«Ihr denkt an Alles.«—»Und Ihr, Ihr vergeßt etwas.«— Was denn?«—»Zu fragen, ob ich Geld brauche.«—»Das ist richtig. Wie viel wollt Ihr?«—»Alles, was Ihr an Gold bei Euch habt.«—»Ich habe ungefähr fünfhundert Pistolen bei mir.«—»Ich etwa eben so viel. Mit tausend Pistolen kann man Allem Trotz bieten. Leert Eure Taschen.«—»Hier.«—»Gut. Und Ihr reist?«—»In einer Stunde. Ich bleibe nur so lange, um einen Bissen zu essen, und schicke mittlerweile nach einem Postpferd.«—»Vortrefflich. Adieu, Graf!«—»Adieu, Gräfin.«—»Empfehlt mich dem Kardinal.«—»Empfehlt mich dem Satan.«

Mylady und Rochefort tauschten ein Lächeln und trennten sich.

Eine Stunde nachher sprengte Rochefort im stärksten Galopp aus Bethune. Nach fünf Stunden kam er durch Arras.

Unsre Leser wissen bereits, wie er von d'Artagnan wiedererkannt wurde, wie dieses Wiedererkennen den vier Musketieren Furcht einflößte und sie zur größten Eile trieb.


XXXV. Ein Tropfen Wasser

Kaum war Rochefort weggegangen, als Madame Bonacieux zurückkehrte; sie fand Mylady mit lachendem Gesichte.

«Nun, «sprach die junge Frau,»was Ihr befürchtet habt, ist eingetroffen. Diesen Abend oder Morgen läßt Euch der Kardinal holen.«—»Woher wißt Ihr es?«—»Ich habe es aus dem Munde des Boten vernommen.«—»Setzt Euch zu mir, «sprach Mylady. — »Hier bin ich.«—»Wartet, ich will mich überzeugen, ob uns Niemand belauscht.«—»Warum diese Vorsicht?«—»Ihr sollt es erfahren.«

Mylady stand auf, ging an die Thüre, öffnete sie, schaute in die Flur, kehrte zurück und setzte sich wieder neben Madame Bonacieux.

«Er hat also seine Rolle gut gespielt, «sprach sie. — »Wer?«—»Derjenige, welcher sich bei der Aebtissin als ein Abgesandter des Kardinals angestellt hat.«—»Er spielte also eine Rolle?«—»Ja, mein Kind.«—»Dieser Mensch ist kein«—…»Dieser Mensch, «erwiderte Mylady, ihre Stimme dämpfend,»dieser Mensch ist mein Bruder.«—»Euer Bruder!«rief Madame Bonacieux.

«Nur Ihr wißt dieses Geheimniß, mein Kind, und wenn Ihr es irgend Jemand in der Welt anvertraut, so bin ich verloren und Ihr vielleicht ebenfalls.«—»O mein Gott!«

«Hört, was vorgefallen ist: mein Bruder, der mir zu Hülfe eilte und mich im Falle der Noth mit Gewalt von hier wegbringen wollte, traf den Emissär des Kardinals, der mich abholen sollte. Er folgte ihm, und als sie auf einen einsamen, verborgenen Weg gelangt waren, zog er den Degen und forderte den Boten auf, ihm die Papiere zu übergeben, die er bei sich trug. Der Bote wollte sich vertheidigen, mein Bruder tödtete ihn.«

«O!«rief Madame Bonacieux schaudernd.

«Bedenkt wohl, es war das einzige Mittel. Mein Bruder beschloß nun, List an die Stelle der Gewalt zu setzen. Er nahm die Papiere, erschien hier als Abgeordneter des Kardinals, und in ein paar Stunden wird mich ein Wagen im Auftrag Seiner Eminenz abholen.«

«Ich begreife. Euer Bruder schickt Euch den Wagen.«

«Richtig, aber das ist noch nicht Alles. Der Brief, den Ihr empfangen habt, und von dem Ihr glaubt, er komme von Frau von Chevreuse…«—»Nun?«—»Er ist falsch.«—»Wie dies?«—»Ja falsch: es ist eine Falle, damit Ihr keinen Widerstand leistet, wenn man Euch holen will.«—»Aber d'Artagnan wird kommen und mich holen.«

«Ihr täuscht Euch, d'Artagnan und seine Freunde sind bei der Belagerung von La Rochelle.«

«Woher wißt Ihr dies?«

«Mein Bruder begegnete Emissären des Kardinals in Musketiertracht. Man würde Euch vor die Thür gerufen haben. Ihr würdet geglaubt haben, Eure Freunde seien erschienen, man hätte Euch ergriffen und nach Paris zurückgeführt.«

«O mein Gott! mein Kopf wird ganz irr in diesem Chaos von Niederträchtigkeiten. Ich fühle, daß ich wahnsinnig würde, wenn dies lange so fortdauerte, «sprach Madame Bonacieux und legte die Hände an ihre Stirne. — »Hört.«—»Was?«

«Ich höre den Tritt eines Pferdes. Mein Bruder reist wieder ab. Ich will ihm ein letztes Lebewohl sagen; kommt.«

Mylady öffnete das Fenster und bedeutete Madame Bonacieux durch ein Zeichen, sie möge zu ihr heran treten.

Rochefort ritt im Galopp vorüber.

«Adieu, Bruder!«rief Mylady.

Der Graf schaute empor, sah die zwei jungen Frauen und winkte Mylady freundschaftlich zu.

«Dieser gute George!«sagte sie, indem sie mit einem Ausdruck voll Zärtlichkeit und Schwermuth im Gesichte das Fenster schloß.

Und dann setzte sie sich wieder auf ihren Platz, als ob sie in rein persönliche Betrachtungen versunken wäre.

«Liebe Dame, «sprach Frau Bonacieux,»entschuldigt, daß ich Euch unterbreche, aber mein Gott! was rathet Ihr mir denn zu thun? Ihr habt mehr Erfahrung, als ich, sprecht, ich höre.«

«Vor allem kann ich mich täuschen, «erwiderte Mylady, und es ist wohl möglich, daß Euch d'Artagnan und seine Freunde wirklich zu Hülfe kommen.«

«Oh! das wäre zu schön, «rief Madame Bonacieux,»aber so viel Glück gibt es nicht für mich auf der Welt.«

«Ihr begreift, daß es nur eine Zeitfrage, eine Art von Wettlauf wäre, wer zuerst ankäme; tragen Eure Freunde den Sieg in der Geschwindigkeit davon, so seid Ihr gerettet; gewinnen die Schergen des Kardinals einen Vorsprung, so seid Ihr verloren.«

«Ja! ja! ohne Barmherzigkeit verloren. Aber was soll ich thun? was soll ich beginnen?«

«Es gäbe ein einfaches, ganz natürliches Mittel.«

«Oh! nennt es, nennt es mir.«

«Es bestünde darin, daß Ihr in der Gegend verborgen warten und Euch überzeugen würdet, was für Menschen nach Euch fragen.«—»Aber wo warten?«

«Oh! das unterliegt keiner Schwierigkeit: ich selbst verweile und verberge mich einige Meilen von hier, bis mich mein Bruder abholt; wenn Ihr wollt, nehme ich Euch mit mir, wir verbergen uns miteinander und warten gemeinschaftlich auf Erlösung.«

«Man wird mich nicht ziehen lassen, ich bin gleichsam als Gefangene hier.«

«Da man meint, ich reise auf einen Befehl des Kardinals, so wird man nicht annehmen, daß Ihr große Lust habet, mir zu folgen.«—»Und dann?«

«Der Wagen ist vor der Thüre, Ihr sagt mir Lebewohl, Ihr steigt auf den Fußtritt, um mich zum letzten Mal in Eure Arme zu schließen, der Bediente meines Bruders, der mich fortführt, wird unterrichtet, er gibt dem Postillon ein Zeichen und wir eilen im Galopp davon.

«Aber d'Artagnan, wenn d'Artagnan kommt?«

«Werden wir es nicht erfahren?«—»Wie dies?«

«Nichts leichter, — wir schicken diesen Bedienten meines Bruders, auf den wir uns verlassen können, zurück; er nimmt unter einer Verkleidung sein Quartier dem Kloster gegenüber; kommen Emmissäre des Kardinals, so rührt er sich nicht, erscheinen aber Herr d'Artagnan und seine Freunde, so führt er sie an den Ort, wo wir uns aufhalten.«

«Er kennt sie also?«

«Allerdings; hat er nicht Herrn d'Artagnan bei mir gesehen?«

«Oh! ja, ja, Ihr habt Recht. So wird Alles gut gehen, so macht sich die Sache vortrefflich; aber brechen wir nicht bald auf?«

Um sieben Uhr oder spätestens um acht Uhr sind wir an der Grenze, und bei dem ersten Lärmen verlassen wir Frankreich.«

«Und was soll ich bis dahin machen?«

«Warten.«

«Aber wenn sie kommen?«

«Der Wagen meines Bruders wird vor ihnen hier sein.«

«Wenn ich im Augenblicke, wo man Euch abholt, von Euch entfernt bin, beim Mittags- oder Abendessen zum Beispiel?«

«So hört, was Ihr thun könnt.«

«Was?«

«Sagt unserer guten Aebtissin, Ihr bittet sie, mein Mahl mit mir theilen zu dürfen, damit Ihr mich so wenig als möglich zu verlassen habt.«

«Wird sie es erlauben?«

«Was kann hiebei als ungeeignet erscheinen?«

«Oh! schön, schön! auf diese Art verlassen wir uns nicht einen Augenblick.«

«Nun so geht zu ihr hinab und tragt ihr Eure Bitte vor, mein Kopf ist mir so schwer und ich will einen Gang durch den Garten thun.«

«Geht, und wo treffe ich Euch wieder?«

«Hier, in einer Stunde!«

«Oh! ich danke Euch; wie gut seid Ihr doch!«

«Wie sollte ich nicht innige Theilnahme für Euch hegen, da Ihr so schön und liebenswürdig seid, und seid Ihr denn nicht auch die Freundin eines meiner besten Freunde?«

«Der theure d'Artagnan! oh! wie wird er Euch danken!«

«Ich hoffe es. Aber nun vorwärts; Alles ist verabredet; laßt uns hinabgehen.«

«Ihr geht in den Garten?«

«Ja.«

«Folgt der Flur; geht eine kleine Treppe hinab.«

«Gut; ich danke Euch.«

Und mit dem holdseligsten Lächeln verließen sich die zwei Frauen.

Mylady hatte die Wahrheit gesprochen: der Kopf war ihr schwer, denn ihre noch ungeordneten Pläne trieben sich wie in einem Chaos durcheinander. Sie bedurfte der Einsamkeit, um etwas Ordnung in ihre Gedanken zu bringen; ihr Blick in die Zukunft war nicht klar und sie brauchte Ruhe und Stille, um allen ihren Ideen eine bestimmte Form, feste Anhaltspunkte zu geben.

Das Dringendste war, Madame Bonacieux zu entführen und an einen sichern Ort zu bringen, um sie erforderlichen Falls als Geißel zu gebrauchen. Mylady fing an, den Ausgang des furchtbaren Zweikampfes zu fürchten, bei welchem ihre Feinde eben so viel Hartnäckigkeit zeigten, als sie selbst Erbitterung bewies.

Ueberdies fühlte sie, wie man den Sturm kommen fühlt, daß dieser Ausgang nahe war und nothwendig furchtbar werden mußte.

Die Hauptsache schien ihr also zu sein, daß sie Madame Bonacieux in ihren Händen hielt. Mit Madame Bonacieux hatte sie das Leben d'Artagnans, ja noch mehr das Leben der Frau, die er liebte, in ihrer Gewalt. Im allerschlimmsten Fall besaß sie dadurch ein Mittel zu unterhandeln und auf sichere Weise gute Bedingungen zu erzielen.

Dieser Punkt war nun festgestellt. Madame Bonacieux folgte ihr ohne Mißtrauen; einmal mit ihr in Armentivres verborgen, konnte man sie leicht glauben machen, d'Artagnan sei nicht nach Bethune gekommen. In spätestens vierzehn Tagen mußte Rochefort zurückkehren. Während dieser vierzehn Tage würde sie wohl einen Plan ersinnen, um sich an den vier Freunden zu rächen. Langweile könnte sie, Gott sei Dank! keine bekommen, denn sie hätte den süßesten Zeitvertreib zu erwarten, den die Ereignisse einer Frau ihres Charakters zu gewähren im Stande sind: sie hätte ein schönes Rachewerk zu vollführen.

Unter diesen Träumen schaute sie umher und ordnete in ihrem Kopfe die Topographie des Gartens; Mylady war ein guter Feldherr, der zugleich den Sieg und die Niederlage vorher berechnet und sich bereit hält, je nach den Chancen der Schlacht vorwärts zu marschiren oder sich fechtend zurückzuziehen.

Nach Verlauf einer Stunde hörte sie eine sanfte Stimme, welche sie rief: es war Madame Bonacieux. Die gute Aebtissin hatte natürlich zu allem ihre Einwilligung ertheilt, und um den Anfang zu machen, sollten sie mit einander ein Abendbrod nehmen.

Als sie in den Hof kamen, vernahmen sie das Geräusch eines Wagens, der vor dem Thore anhielt. Mylady horchte.

«Hört Ihr?«sprach sie. — »Ja, das Rollen eines Wagens.«—»Es ist der, welchen uns mein Bruder schickt.«—»Oh! mein Gott!«—»Auf! Muth gefaßt!«

Man läutete an der Klosterpforte, Mylady hatte sich nicht getäuscht.

«Geht in Euer Zimmer hinauf, «sagte sie zu Madame Bonacieux.»Ihr habt wohl einige Juwelen, die ihr mitzunehmen wünschen werdet.«

«Ich habe seine Briefe, «erwiderte sie.

«Nun wohl! so geht und holt sie! kommt dann sogleich zu mir, wir nehmen geschwind einige Nahrung zu uns; vielleicht reisen wir einen Theil der Nacht, wir bedürfen unserer Kräfte.«

«Großer Gott!«sprach Madame Bonacieux;»mein Herz droht zu zerspringen, ich kann nicht von der Stelle.«

«Muth gefaßt! meine Theure, Muth gefaßt! Bedenkt, daß Ihr in einer Viertelstunde gerettet seid, und daß Ihr das, was Ihr thut, für ihn thut.«

«Ja, ja! Alles, Alles für ihn. Ihr habt mir durch ein einziges Wort meinen Muth wieder gegeben.«

Mylady eilte in ihr Zimmer, sie fand hier den Bedienten Rocheforts und gab ihm seine Instruktionen.

Er sollte vor dem Thor warten; würden zufällig die Musketiere erscheinen, so sollte der Wagen im Galopp um das Kloster fahren und Mylady in einem Dörfchen erwarten, das auf der andern Seite des Gehölzes lag.

In diesem Fall würde Mylady durch den Garten gehen und das Dörfchen zu Fuß zu erreichen suchen; Mylady kannte diesen Theil Frankreichs erwähnter Maßen ganz vortrefflich.

Würden die Musketiere nicht erscheinen, so sollten die Dinge vor sich gehen, wie es verabredet war. Madame Bonacieux stieg in den Wagen, unter dem Vorwand, ihr Lebewohl zu sagen, und sie entführte Madame Bonacieux.

Madame Bonacieux trat ein, und um ihr jeden Argwohn zu benehmen, wenn sie einen solchen hätte, wiederholte sie dem Bedienten in ihrer Gegenwart den letzten Theil seiner Instruktion.

Mylady machte einige Fragen in Beziehung auf den Wagen; es war eine mit drei Pferden bespannte Chaise, geführt von einem Postillon. Der Lakai Rocheforts sollte als Courier vorausreiten.

Mylady hatte Unrecht, wenn sie einen Argwohn bei Madame Bonacieux befürchtete. Die arme junge Frau war zu rein, um bei einem andern weiblichen Wesen eine solche Treulosigkeit zu ahnen. Ueberdieß war ihr der Name der Gräfin Winter, den sie von der Aebtissin gehört hatte, völlig unbekannt, und sie wußte nicht einmal, daß eine Frau einen so großen und unseligen Antheil an den Unglücksfällen ihres Lebens gehabt hatte.

«Ihr seht, «sprach Mylady, nachdem der Lakai weggegangen war,»Alles ist bereit. Die Aebtissin hatte keine Ahnung und glaubt, man hole mich auf Befehl des Kardinals. Dieser Mensch ertheilt die letzten Befehle; nehmt ein wenig Speise, trinkt einen Tropfen Wein und dann vorwärts.«

«Ja, «sprach Madame Bonacieux mechanisch,»ja vorwärts!«

Mylady gab ihr ein Zeichen, sich ihr gegenüber zu setzen, schenkte ihr ein Glas spanischen Wein ein und legte ihr ein Stückchen Huhn vor.

«Seht, «sprach sie,»wie uns Alles begünstigt, es wird bereits Nacht. Mit Tagesanbruch sind wir an Ort und Stelle, und Niemand wird ahnen können, wo wir uns befinden. Muth gefaßt, nehmt etwas zu Euch!«

Madame Bonacieux aß mechanisch einige Bissen und benetzte ihre Lippen mit dem Weine.

«Auf, muthig!«sprach Mylady, indem sie ihr Glas an die Lippen setzte,»macht es, wie ich.«

Aber in dem Augenblick, wo sie zu trinken im Begriffe war, blieb ihre Hand schwebend. Sie hatte in der Ferne das Geräusch eines näher kommenden Galopps gehört, und beinahe zu gleicher Zeit kam es ihr vor, als vernähme sie das Gewieher von Pferden.

Dieses Geräusch entriß sie ihrer Freude, wie uns das Brausen des Sturmes mitten in einem schönen Traume erweckt; sie erbleichte und lief nach dem Fenster, während Madame Bonacieux, am ganzen Leibe zitternd, aufstand und sich, um nicht zu fallen, auf ihren Stuhl stützte.

Man sah noch nichts, man hörte nur den Galopp immer deutlicher.

«O mein Gott!«rief Madame Bonacieux,»was bedeutet dieses Geräusch?«

«Es rührt von unsern Freunden oder von unsern Feinden her, «antwortete Mylady mit furchtbarer Kaltblütigkeit.»Bleibt, wo Ihr seid, ich werde es Euch sagen.«

Madame Bonacieux blieb an ihrem Platze stehen, stumm, unbeweglich und bleich, wie eine Bildsäule.

Das Geräusch wurde indessen immer stärker. Die Pferde konnten nicht mehr über fünfhundert Schritte entfernt sein. Wenn man sie noch nicht sah, so kam dies davon her, daß die Straße eine Krümmung bildete. Aber das Getöse war so deutlich, daß man die Zahl der Pferde an ihrem Hufschlag hätte unterscheiden können.

Mylady schaute mit aller Macht der gespanntesten Aufmerksamkeit. Es war gerade noch hell genug, daß man die Ankommenden zu erkennen vermochte.

Plötzlich sah sie an der Wendung des Weges betreßt Hüte glänzen und Federn wogen. Sie zählte zwei, dann fünfe dann acht Reiter. Der eine von ihnen ritt den übrigen um zwei Pferdelängen voraus.

Mylady brüllte. In demjenigen, welcher sich an der Spitze befand, erkannte sie d'Artagnan.

«O mein Gott!«rief Madame Bonacieux,»was gibt es denn?«

«Es ist die Uniform der Leibwachen des Herrn Kardinals — kein Augenblick zu verlieren!«schrie Mylady,»laßt uns fliehen, eiligst fliehen.«

«Ja, ja, fliehen, «wiederholte Madame Bonacieux, aber ohne, durch den Schrecken auf den Platz gebannt, einen Schritt machen zu können.

Man hörte die Reiter unter dem Fenster vorüber ziehen.

«Kommt doch, kommt doch!«rief Mylady und suchte die junge Frau am Arme fortzuschleppen,»durch den Garten können wir noch entfliehen; ich habe den Schlüssel; aber eilen wir, in fünf Minuten ist es zu spät!«

Madame Bonacieux versuchte zu gehen, machte zwei Schritte und sank in die Kniee.

In diesem Moment hörte man das Rollen des Wagens, der bei dem Anblick der Musketiere im Galopp davon eilte. Dann erschollen drei oder vier Schüsse.

«Zum letzten Male, wollt Ihr kommen!«rief Mylady.

«O! mein Gott! mein Gott! Ihr seht wohl, daß es mir an Kraft gebricht, Ihr seht wohl, daß ich nicht gehen kann, flieht allein.«

«Allein fliehen? Euch hier lassen? Nein, nie, nie!«rief Mylady.

Plötzlich zuckte ein bleicher Blitz aus ihren Augen hervor. Sie lief nach dem Tische und goß in das Glas von Madame Bonacieux den Inhalt eines Ringkastens, den sie mit seltsamer Geschwindigkeit öffnete.

Es war ein röthliches Kügelchen, das sogleich schmolz.

Dann nahm sie das Glas mit fester Hand und sagte zu Madame Bonacieux:

«Trinkt, trinkt, dieser Wein wird Euch Kräfte geben, trinkt!«

Und sie näherte das Glas den Lippen der jungen Frau, die es mechanisch trank.

«Ah! ich wollte mich nicht auf diese Art rächen, «sprach Mylady, indem sie mit einem höllischen Lächeln das Glas auf den Tisch setzte;»aber meiner Treu, man thut nur, was man kann.«

Und sie stürzte aus dem Zimmer.

Madame Bonacieux sah sie fliehen, ohne ihr folgen zu können. Sie war, wie jene Menschen, welche träumen, man verfolge sie, und vergebens zu gehen versuchen. Einige Minuten gingen vorüber. Ein furchtbares Getöse erhob sich vor der Thüre. Jeden Augenblick erwartete Madame Bonacieux das Wiedererscheinen Myladys, welche jedoch nicht zurückkehrte. Mehrere Male drang, ohne Zweifel aus Schrecken, ein kalter Schweiß auf ihre glühende Stirne.

Endlich vernahm sie das Aechzen der Gitter, welche man öffnete. Der Lärm von Stiefeln und Sporen ertönte auf der Treppe; in einem gewaltigen Gemurmel von Stimmen, die sich näherten, glaubte sie ihren Namen aussprechen zu hören.

Plötzlich stieß sie ein mächtiges Freudengeschrei aus und stürzte nach der Thüre: sie hatte die Stimme d'Artagnans erkannt.

«D'Artagnan! d'Artagnan!«rief sie,»seid Ihr es? hieher!«

«Constance! Constance!«antwortete der junge Mann,»mein Gott, wo seid Ihr?«

In demselben Augenblicke wich die Thüre der Zelle vor einem kräftigen Stoße. Mehrere Männer traten in das Zimmer; Madame Bonacieux war in einen Lehnstuhl gesunken, ohne sich von der Stelle bewegen zu können.

D'Artagnan warf eine noch rauchende Pistole, die er in der Hand hielt, von sich und fiel vor seiner Geliebten auf die Kniee, Athos steckte die seinige in den Gürtel, Porthos und Aramis, welche ihre entblößten Degen in der Hand hielten, stießen sie in die Scheide.

«Oh! d'Artagnan, mein geliebter d'Artagnan, Du kommst endlich! Du hattest mich nicht getäuscht! Du bist es!«

«Ja, ja, Constance! endlich vereinigt!«

«Oh sie mochte immerhin sagen. Du würdest nicht kommen, ich hoffte dennoch und wollte nicht fliehen. Oh! wie wohl habe ich daran gethan! Wie glücklich bin ich!«

Bei dem Worte sie stand Athos, der sich ruhig niedergesetzt hatte, plötzlich auf.

«Sie? welche sie?«fragte d'Artagnan.

«Meine Gefährtin, diejenige, welche mich aus Freundschaft meinen Verfolgern entziehen wollte, diejenige, welche so eben entflohen ist, weil sie Euch für Leibwachen des Kardinals hielt.«

«Eure Gefährtin?«rief d'Artagnan und wurde so bleich, wie der weiße Schleier seiner Geliebten.»Von welcher Gefährtin sprecht Ihr?«

«Von derjenigen, deren Wagen vor der Thüre stand; von einer Frau, die sich Eure Freundin nennt, d'Artagnan; von einer Frau, der Ihr Alles erzählt habt.«

«Ihr Name?«rief d'Artagnan.»Mein Gott, wißt Ihr ihren Namen nicht?«

«Allerdings, man hat ihn in meiner Gegenwart ausgesprochen. Wartet, aber das ist seltsam… Ah! mein Gott! meine Sinne verwirren sich… ich sehe nicht mehr…«

«Hierher, meine Freunde, hierher, ihre Hände sind kalt, wie Eis!«rief d'Artagnan.»Großer Gott, sie verliert das Bewußtsein!«

Während Porthos mit aller Gewalt seiner Stimme um Hülfe rief, lief Aramis, um ein Glas Wasser zu holen, nach dem Tische. Aber er blieb plötzlich stehen, als er die furchtbare Verstörung in den Gesichtszügen von Athos wahrnahm, der an dem Tische stehend, die Haare starr, das Antlitz vor Bestürzung in Stein verwandelt, eines von den Gläsern betrachtete und der gräßlichsten Vermuthung preisgegeben zu sein schien.

«Oh!«sagte Athos,»oh! nein, das ist unmöglich! Gott würde ein solches Verbrechen nicht zugeben.«

«Wasser! Wasser!«rief d'Artagnan,»Wasser!«

«O! arme Frau, arme Frau, «murmelte Athos mit gebrochener Stimme.

Madame Bonacieux öffnete die Augen wieder unter d'Artagnans Küssen.

«Sie kommt zu sich!«rief der junge Mann.»Oh! mein Gott, mein Gott, ich danke Dir!«

«Madame, «sprach Athos,»Madame, im Namen des Himmels! wem gehört dieses leere Glas?«

«Mir, Herr, «antwortete die junge Frau mit sterbender Stimme.

«Doch wer hat den Wein eingeschenkt, der in diesem Glase war?«

«Sie

«Aber welche sie denn?«

«Ah, ich erinnere mich, «erwiderte Madame Bonacieux,»die Gräfin Winter.«

Die vier Freunde stießen einen einzigen, gleichzeitigen Schrei aus; aber die Stimme von Athos beherrschte die andern.

In diesem Augenblick wurde das Antlitz von Madame Bonacieux leichenblaß. Ein dumpfer Schmerz warf sie nieder. Sie fiel keuchend in die Arme von Porthos und Aramis.

D'Artagnan ergriff die Hände von Athos mit einer unbegreiflichen Seelenangst.

«Wie!«sagte er,»Du glaubst?«

Seine Stimme erlosch unter gewaltigem Schluchzen.

«Ich glaube Alles, «antwortete Athos, und biß sich in die Lippen, daß das Blut hervorquoll.

«D'Artagnan! d'Artagnan!«rief Madame Bonacieux,»wo bist Du? Verlaß mich nicht, Du siehst, daß ich sterbe.«

D'Artagnan ließ die Hände von Athos los, die er in seinen krampfhaft zusammengepreßten Fäusten hielt.

Ihr so schönes Gesicht war völlig verstört, ihre glasigen Augen hatten bereits keinen Blick mehr, ein krampfhaftes Zittern schüttelte ihren ganzen Leib und der Schweiß floß in Strömen von der Stirne herab.

«Ums Himmels willen lauft, ruft. Porthos, Aramis, fordert Hülfe!«

«Vergeblich, «sprach Athos,»vergeblich! Für ein Gift, das sie einflößt, gibt es kein Gegengift!«

«Ja, ja. Hülfe! Hülfe!«murmelte Madame Bonacieux,»zu Hülfe!«

Dann raffte sie alle ihre Kräfte zusammen, nahm den Kopf des jungen Mannes zwischen ihre zwei Hände, schaute ihn eine Sekunde an, als ob ihre ganze Seele in ihren Blick übergegangen wäre, und drückte mit einem jammervollen Schrei ihre Lippen auf die seinigen.

«Constance! Constance!«rief d'Artagnan.

Ein Seufzer drang aus dem Munde von Madame Bonacieux hervor, der d'Artagnans Lippen berührte. Dieser Seufzer war die so keusche, so liebevolle Seele, welche zum Himmel aufstieg.

D'Artagnan hielt nur noch eine Leiche in seinen Armen.

Der junge Mann stieß einen Schrei aus und stürzte neben seine Geliebte, so bleich, so starr wie sie, nieder.

Porthos weinte. Athos streckte die Faust zum Himmel empor. Aramis machte das Zeichen des Kreuzes.

In diesem Augenblick erschien ein Mann an der Thüre, beinahe so bleich wie diejenigen, welche sich im Zimmer befanden. Er schaute um sich her, sah Madame Bonacieux tot und d'Artagnan in Ohnmacht.

Er erschien gerade in jenem Augenblick der Erstarrung, welche stets auf große Katastrophen folgt.

«Ich hatte mich nicht getäuscht, «sagte er,»hier ist Herr d'Artagnan und Ihr seid seine drei Freunde, die Herren Athos, Porthos und Aramis.«

Die Männer, deren Namen genannt worden waren, schauten den Fremden mit Erstaunen an. Es kam ihnen Allen vor, als müßten sie ihn kennen.

«Meine Herren, «versetzte der Fremde,»Ihr sucht Alle, wie ich, eine Frau auf, die, «fügte er mit einem furchtbaren Lächeln bei,»hier durchgekommen sein muß, denn ich sehe dort eine Leiche.«

Die drei Freunde blieben stumm: nun erinnerte sie die Stimme, wie zuvor das Gesicht an einen Mann, den sie bereits gesehen hatten; aber sie konnten sich nicht entsinnen, unter welchen Umständen.

«Meine Herren, «fuhr der Fremde fort,»da Ihr mich nicht als einen Mann wiedererkennen wollt, der Euch ohne Zweifel das Leben zu verdanken hat, so muß ich mich wohl nennen: ich bin Lord Winter, der Schwager jener Frau.«

Die drei Freunde gaben einen Schrei des Staunens von sich.

Athos stand auf, reichte ihm die Hand und sprach:

«Seid willkommen, Mylord, Ihr gehört zu uns.«

«Ich reiste fünf Stunden nach ihr von Portsmouth ab, «sprach Lord Winter;»ich kam drei Stunden nach ihr in Boulogne an, ich verfehlte sie um zwanzig Minuten in Saint-Omer; endlich verlor ich in Lilliers ihre Spur. Ich überließ mich dem Zufalle, erkundigte mich nach Euch, als ich Euch im Galopp vorüberreiten sah. Ich erkannte Herrn d'Artagnan, rief Euch, aber Ihr antwortetet mir nicht. Ich wollte Euch folgen, doch mein Pferd war zu müde, um mit den Eurigen gleichen Schritt halten zu können, und dennoch scheint es, Ihr seid bei allein Eurem Eifer zu spät gekommen.«

«Ihr seht es, «sprach Athos und zeigte Lord Winter die tote Madame Bonacieux und d'Artagnan, den Porthos und Aramis in das Leben zurückzurufen suchten.

«Sind alle Beide tot?«fragte Lord Winter kalt.

«Zum Glücke, nein, «antwortete Athos,»d'Artagnan ist nur ohnmächtig.«

«Desto besser!«sprach Lord Winter.

D'Artagnan öffnete in diesem Momente die Augen wieder. Er entriß sich den Armen von Porthos und Aramis und warf sich wie ein Wahnsinniger auf die Leiche seiner Geliebten.

Athos stand auf, ging mit langsamem, feierlichem Schritt auf seinen Freund zu und sagte, als dieser in ein Schluchzen ausbrach, mit seiner so edlen, so überzeugenden Stimme:

«Freund! sei ein Mann, die Weiber beweinen die Toten, die Männer rächen sie!«

«Oh! ja, «sprach d'Artagnan,»ja, wenn es geschehen soll, um sie zu rächen, so bin ich bereit, Dir zu folgen.«

Athos genützte diesen Augenblick der Kraft, welche die Hoffnung auf Rache seinem unglücklichen Freunde wieder verlieh, und machte Porthos und Aramis ein Zeichen, die Aebtissin zu holen.

Die Freunde trafen sie in der Flur völlig verwirrt von so vielen Ereignissen. Sie rief einige Nonnen, welche gegen alle klösterliche Gebräuche vor den fünf Männern erschienen.

«Madame, «sagte Athos, indem er d'Artagnan beim Arme nahm,»wir überlassen Eurer frommen Sorge den Leib dieser unglücklichen Frau. Sie war ein Engel auf Erden, ehe sie ein Engel im Himmel wurde. Behandelt sie wie eine von Euern Schwestern, wir werden eines Tages wiederkehren, um auf ihrem Grabe zu beten.«

D'Artagnan verbarg sein Antlitz an der Brust seines Freundes und brach abermals in ein Schluchzen aus.

«Weine, «sagte Athos,»weine, Herz voll Liebe, Jugend und Leben! Ach, ich wünschte wohl auch wie Du weinen zu können.«

Und er zog seinen Freund fort, zärtlich wie ein Vater, tröstend wie ein Priester, groß wie der Mann, der viel gelitten hat.

Alle fünf begaben sich nun, von ihren Bedienten gefolgt, die ihre Pferde am Zügel führten, nach der Stadt Bethune, und hielten vor der ersten Herberge an, die sie erblickten.

«Aber verfolgen wir denn diese Frau nicht?«fragte d'Artagnan.

«Später, «antwortete Athos,»ich habe Maßregeln zu nehmen.«

«Sie wird uns entkommen, «entgegnete der junge Mann,»sie wird uns entkommen, Athos, und das ist Deine Schuld.«

«Ich stehe für sie, «sprach Athos.

D'Artagnan hatte ein solches Zutrauen zu dem Worte seines Freundes, daß er das Haupt neigte und ohne eine weitere Silbe in die Herberge eintrat.

Porthos und Aramis schauten sich an und konnten die Sicherheit von Athos nicht begreifen.

Lord Winter glaubte, er spreche so, um d'Artagnans Schmerz zu betäuben.

«Nun, meine Herren, «sagte Athos, nachdem er sich überzeugt hatte, daß fünf Zimmer im Hause frei waren,»nun wollen wir uns jeder in sein Zimmer zurückziehen. Für d'Artagnan ist es Bedürfniß, allein zu weinen, und für Euch, zu schlafen. Ich übernehme Alles, seid unbesorgt.«

«Es scheint mir jedoch, «erwiderte Lord Winter,»daß es mich angeht, wenn Maßregeln gegen die Gräfin zu nehmen sind, denn es ist meine Schwägerin.«

«Und es ist meine Frau, «sprach Athos.

D'Artagnan bebte, denn er begriff, daß Athos seiner Rache sicher war, da er ein solches Geheimniß enthüllte; Porthos und Aramis schauten sich erbleichend an; Lord Winter glaubte, Athos sei verrückt.

«Zieht Euch nun zurück, «sagte Athos,»und laßt mich machen. Ihr seht wohl, daß die Sache mich als den Gatten betrifft. Nur gebt mir das Papier, d'Artagnan, wenn Ihr es nicht verloren habt, das aus dem Hute jenes Mannes gefallen ist, und worauf der Name der Stadt geschrieben steht.«

«Ah!«rief d'Artagnan,»ich begreife, der von ihrer Hand geschriebene Name…«

«Du siehst wohl, «sprach Athos,»daß es einen Gott im Himmel gibt!«


XXXVI Der Rothmantel

Die Verzweiflung von Athos hatte einem tiefen innern Schmerz Platz gemacht, der die glänzenden Eigenschaften dieses Mannes noch leuchtender hervortreten ließ.

Nur mit einem Gedanken beschäftigt, nämlich an das Versprechen, das er geleistet, und an die Verantwortlichkeit, die er übernommen hatte, zog er sich zuletzt in sein Zimmer zurück, bat den Wirth, ihm eine Karte von der Gegend zu verschaffen, beugte sich über diese, betrachtete die auf derselben gezogenen Linien, fand, daß vier verschiedene Wege von Bethune nach Armentières führten, und ließ die Bedienten rufen.

Planchet, Grimaud, Mousqueton und Bazin erschienen und erhielten klare, pünktliche und ernste Befehle von Athos. Sie sollten mit Tagesanbruch abgehen und sich jeder auf einem andern Wege nach Armentières begeben. Planchet, der Gescheiteste von allen, sollte denselben einschlagen, wie der Wagen, auf welchen die drei Freunde geschossen hatten, und der, wie man sich erinnert, von dem Bedienten Rocheforts begleitet war.

Athos ließ die Bedienten zuerst ins Feld rücken, einmal weil er, seitdem diese Leute in seinem und seiner Freunde Dienst standen, bei jedem von ihnen verschiedenartige und wesentliche Eigenschaften erkannt hatte, und dann, weil Bedienten, wenn sie sich nach etwas erkundigen, den Bauern weniger Mißtrauen einflößen, als ihre Herren, und mehr Sympathie bei denjenigen finden, an welche sie sich wenden. Endlich kannte auch Mylady die Herren, während ihr die Knechte fremd waren.

Alle vier sollten sich am andern Tag um elf Uhr an einem bezeichneten Orte einfinden. Wenn sie den Aufenthalt Myladys entdeckt hätten, sollten drei zu ihrer Bewachung zurückbleiben, der vierte aber sollte wieder nach Bethune kommen, um Athos Kunde zu geben und den drei Freunden als Führer zu dienen.

Als diese Anordnungen getroffen waren, gingen auch die Bedienten schlafen.

Athos erhob sich nun von seinem Stuhl, gürtete sein Schwert um, hüllte sich in seinen Mantel und verließ die Herberge; es war zehn Uhr, um zehn Uhr finden sich bekanntlich in der Provinz nur selten Menschen auf den Straßen. Athos aber suchte offenbar irgend Jemand, an den er eine Frage richten könnte. Endlich ging ein Verspäteter vorüber, er näherte sich ihm und sagte einige Worte. Der Mann, an den er sich wandte, wich erschrocken zurück; er beantwortete jedoch die Frage des Musketiers durch ein Deuten. Athos bot diesem Menschen eine halbe Pistole, wenn er ihn begleiten würde, aber er schlug es aus.

Athos wandte sich nach einer Straße, die ihm der Befragte mit dem Finger bezeichnet hatte, aber als er auf einen Kreuzweg gelangte, gerieth er abermals in eine sichtbare Verlegenheit. Da er jedoch auf diesem Kreuzweg mehr als irgendwo einem Menschen zu begegnen hoffen durfte, so blieb er stille stehen. Bald kam auch wirklich ein Nachtwächter. Athos wiederholte die Frage, die er bereits an die erste Person, die er getroffen, gerichtet hatte. Der Nachtwächter gab denselben Schrecken kund, weigerte sich ebenfalls, Athos zu begleiten, und zeigte ihm mit der Hand den Weg, den er einzuschlagen hatte.

Athos ging in der ihm angegebenen Richtung vorwärts und erreichte die am entgegengesetzten Ende liegende Vorstadt. Hier schien er abermals unruhig und verlegen und stand zum dritten Male still.

Zum Glück kam ein Bettler vorüber, der sich Athos näherte und ihn um ein Almosen bat. Athos bot ihm einen Thaler an, wenn er ihn begleiten würde. Der Bettler zögerte einen Moment, aber beim Anblick des in der Dunkelheit schimmernden Geldstückes entschloß er sich und marschirte Athos voraus.

Als sie die Ecke einer Straße erreicht hatten, zeigte er ihm von ferne ein kleines, einsam gelegenes düsteres Haus. Athos eilte auf dasselbe zu, während der Bettler, nachdem er seine Belohnung erhalten hatte, aus Leibeskräften davonlief.

Athos ging rings um das Haus, ehe er die Thüre unter der rothen Farbe unterscheiden konnte, mit der es angemalt war. Kein Licht schien durch die Spalten der Fensterläden, kein Geräusch ließ vermuthen, daß es bewohnt wurde; es war stumm und traurig wie ein Grab.

Athos klopfte dreimal, ohne daß man antwortete; bei dem dritten Schlag näherten sich im Innern Tritte, die Thüre öffnete sich halb, und ein Mann von hohem Wuchse, bleicher Gesichtsfarbe, schwarzen Haaren und schwarzem Barte erschien.

Athos und er wechselten einige Worte mit leiser Stimme, dann machte der Mann von hohem Wuchse dem Musketiere ein Zeichen, daß er eintreten könne. Athos benützte sogleich diese Erlaubniß und die Thüre schloß sich hinter ihm.

Der Mann, den Athos in so großer Entfernung aufgesucht und nur mit Mühe gefunden hatte, ließ ihn in ein Laboratorium eintreten, wo er eben daran arbeitete, die klappernden Knochen eines Skelets mit Eisendraht an einander zu befestigen. Der ganze Körper war bereits zusammengefügt, nur der Kopf allein lag noch auf dem Tische.

Alles übrige Geräthe deutete an, daß der Mann, bei dem man sich befand, sich mit den Naturwissenschaften beschäftigte; es waren hier gläserne Gefäße voll von Schlangen mit Aufschriften nach den Gattungen, getrocknete Eidechsen glänzend wie Smaragde in großen Rahmen von Holz; Bündel von wildwachsenden, wohlriechenden Kräutern, ohne Zweifel mit Eigenschaften und Kräften ausgerüstet, die dem großen Haufen unbekannt waren, hingen an der Decke und in den Ecken der Stube.

Keine Familie, kein Gesinde war zu bemerken; der Mann von hohem Wuchse bewohnte das Haus allein.

Athos warf einen kalten, gleichgültigen Blick auf alle diese Gegenstände und setzte sich auf die Einladung des Mannes, den er aufgesucht hatte, zu diesem.

Er erklärte ihm die Ursache seiner Erscheinung und den Dienst, den er von ihm forderte; aber kaum hatte er ihm sein Verlangen auseinandergesetzt, als der Unbekannte, der vor dem Musketier stehen geblieben war, voll Schrecken zurückwich und Gehorsam verweigerte. Athos zog aus seiner Tasche ein kleines Papier, auf welches zwei mit einer Unterschrift uns einem Siegel versehene Zeilen geschrieben waren, und bot es demjenigen dar, welcher zu frühzeitig Zeichen des Widerstrebens kundgab. Der Mann von hohem Wuchse hatte kaum diese zwei Zeilen gelesen, die Unterschrift gesehen und das Siegel erkannt, als er sich verbeugte, zum Beweise, daß er keine Einwendung mehr zu machen habe und zu gehorchen bereit sei.

Athos verlangte nicht mehr, stand auf, verließ das Haus, ging auf demselben Wege, auf dem er gekommen war, wieder durch die Straßen, kehrte in das Hotel zurück und schloß sich in seinem Zimmer ein.

Mit Tagesanbruch trat d'Artagnan bei ihm ein und fragte, was zu thun sei.

«Warten, «antwortete Athos.

Einige Augenblicke nachher ließ die Aebtissin des Klosters die Musketiere benachrichtigen, daß die Beerdigung des Opfers von Mylady um die Mittagsstunde stattfinden solle. Von der Giftmischerin hatte man keine Kunde. Nur wußte man, daß sie durch den Garten entflohen war, man hatte auf dem Boden die Spur ihrer Tritte erkannt und die Thüre wieder geschlossen gefunden; der Schlüssel war verschwunden.

Zur bezeichneten Stunde begaben sich Lord Winter und die vier Freunde in das Kloster, alle Glocken wurden geläutet, die Kapelle war geöffnet, nur das Gitter des Chors war geschlossen. Mitten im Chor war der Leichnam des Opfers in seinen Novizenkleidern ausgestellt. Auf jeder Seite des Chors und hinter dem Gitter war die ganze Gemeinde der Karmeliterinnen versammelt, welche von hier aus den Gottesdienst hörte und ihren Gesang mit dem Gesänge des Priesters vermischte, ohne die Laien zu sehen und von ihnen gesehen zu werden.

An der Thüre der Kapelle fühlte d'Artagnan, daß ihn der Muth abermals verließ; er wandte sich, um Athos zu suchen; aber Athos war verschwunden.

Seiner Rachesendung getreu, hatte sich Athos in den Garten führen lassen, folgte auf dem Sande den leichten Tritten der Frau, von der überall, wo sie erschien, eine blutige Spur zurückblieb, gelangte bis zu der Thüre, öffnete diese und drang in den Wald.

Alle seine Zweifel wurden nun beseitigt: der Weg auf welchem der Wagen verschwunden war, lief um den Wald. Athos folgte diesem Wege eine Zeit lang, die Augen auf den Boden geheftet: leichte Blutspuren, welche entweder von einer Verwundung des Mannes, der den Wagen als Curier begleitete, oder von einem verwundeten Pferd herrührten, besprenkelten den Weg. Nach ungefähr einer Dreiviertelsmeile, fünfzig Schritte von Festubert entfernt, erschien ein größerer Blutfleck; der Boden war von den Pferden vertreten. Zwischen dem Walde und dieser verrätherischen Stelle, etwas hinter der vertretenen Erde, fand man dieselbe Spur von kleinen Tritten: der Wagen hatte stille gehalten.

Hier hatte Mylady den Wald verlassen und war in den Wagen gestiegen.

Befriedigt durch diese Entdeckung, welche alle seine Vermuthungen bestätigte, kehrte Athos in das Gasthaus zurück, wo er Planchet fand, der ungeduldig seiner harrte.

Alles war, wie es Athos vorhergesehen hatte.

Planchet hatte seinen Weg verfolgt und wie Athos die Blutspuren bemerkt, wie Athos hatte er die Stelle erkannt, wo die Pferde anhielten; aber er war weiter gegangen, als Athos, und hatte im Dorfe Festubert, im Wirthshause trinkend, ohne viel fragen zu müssen, erfahren, daß um halb neun Uhr am Abend vorher ein verwundeter Mann, der eine in einer Postchaise reisende Dame begleitete, habe einkehren müssen, weil ihm seine Schmerzen das Weiterreisen nicht gestatteten. Der Unfall war auf Rechnung von Räubern gesetzt worden, welche den Wagen im Walde angehalten haben sollten. Der Mann war im Dorfe zurückgeblieben, die Frau hatte frische Pferde genommen und ihre Reise fortgesetzt.

Planchet suchte den Postillon auf und fand ihn auch. Er hatte die Dame bis Fromelles geführt und von Fromelles war sie nach Armentières gereist. Planchet schlug einen Seitenweg ein, und erreichte Armentières um 8 Uhr Morgens. Es war hier nur ein Wirthshaus, das zur Post. Planchet gab sich für einen Lakai ohne Stelle aus, der einen Herrn suche. Er hatte noch keine zehn Minuten mit den Leuten vom Hause gesprochen, als er bereits wußte, daß um elf Uhr Abends eine Frau ganz allein angekommen war, ein Zimmer genommen, den Wirth gerufen und diesem gesagt hatte, sie wünsche einige Zeit in der Gegend zu bleiben.

Planchet brauchte nicht mehr zu wissen. Er lief nach dem zum Zusammentreffen bestimmten Ort, fand die drei Lakaien pünktlich auf ihrem Posten, stellte sie als Schildwachen vor alle Ausgänge des Gasthauses und kehrte zu Athos zurück, der gerade die letzte Meldung von Planchet angehört hatte, als seine Freunde wieder erschienen.

Auf allen Gesichtern waren finstere Wolken gelagert, selbst auf dem sanften Antlitz von Aramis.

«Was soll geschehen?«fragte d'Artagnan.

«Warten, «antwortete Athos.

Jeder zog sich in sein Zimmer zurück.

Abends um acht Uhr gab Athos Befehl, die Pferde zu satteln und Lord Winter und seine Freunde zu benachrichtigen, sie möchten sich zu dem Zuge bereit halten.

In einem Augenblick waren alle fünf fertig. Jeder untersuchte seine Waffen und setzte sie in gehörigen Stand. Athos ging zuletzt hinab und fand d'Artagnan bereits ungeduldig zu Pferde.

«Geduld, d'Artagnan, «sprach Athos,»es fehlt noch Einer.«

Die vier Freunde schauten erstaunt um sich her, denn sie besannen sich vergeblich, wer der Eine sein möge, der noch fehlen sollte.

In diesem Augenblick führte Planchet das Pferd von Athos herbei. Der Musketier sprang leicht in den Sattel.

«Wartet auf mich, «sagte er,»ich komme sogleich.«

Und er sprengte im Galopp davon.

Eine Viertelstunde nachher kam er wirklich in Begleitung eines maskierten und in einen großen rothen Mantel gehüllten Mannes zurück.

Lord Winter und die drei Musketiere fragten sich gegenseitig mit den Blicken. Keiner von ihnen konnte die Andern belehren, denn sie wußten insgesammt nicht, wer dieser Mann war. Sie dachten jedoch, es müsse so sein, da es auf Befehl von Athos geschah.

Um neun Uhr setzte sich die kleine Reitertruppe, von Planchet geführt, in Marsch und schlug den Weg ein, den der Wagen verfolgt hatte.

Sie boten einen traurigen Anblick, die sechs Männer, welche in der Stille hinritten, jeder in seine Gedanken vertieft, düster wie die Verzweiflung, ernst wie die Strafe.


XXXVII. Das Gericht

Es war eine stürmische, finstere Nacht. Schwere Wolken jagten am Himmel hin und verschleierten den Glanz der Gestirne; der Mond sollte erst um Mittemacht aufgehen. Zuweilen gewahrte man beim Schimmer eines Blitzes, der am Horizont zuckte, die Straße, wie sie sich weiß und einsam entrollte. Erlosch der Blitz, so trat wieder dieselbe Finsterniß ein.

Jeden Augenblick rief Athos d'Artagnan zu, der stets an der Spitze der kleinen Truppe ritt, und nöthigte ihn, in sein Glied zurückzukehren, das er nach einem Augenblick abermals verließ. Er hatte nur einen Gedanken, nämlich vorwärts zu kommen, und es drängte ihn. Man zog in der Stille durch das Dorf Festubert, wo der verwundete Bediente zurückgeblieben war, und dann längs dem Dorfe Richebourg. In Herlier angelangt, wandte sich Planchet, der den Zug stets anführte, nach links.

Wiederholt hatten es Lord Winter, Porthos oder Aramis versucht, den Mann mit dem rothen Mantel anzureden, aber auf jede Frage, die man an ihn richtete, verneigte er sich, ohne zu antworten. Die Reisenden begriffen sodann, daß der Unbekannte sein Stillschweigen aus triftigen Gründen beobachtete, und hörten auf, ihn auszuforschen.

Ueberdies nahm das Gewitter immer mehr zu, die Blitze folgten sich rascher, der Donner fing an zu rollen, und der Wind der Vorläufer des Orkans, pfiff durch die Federn und Haare der Reiter.

Die Reitertruppe schlug einen Trab an.

Jenseits Fromelles kam der Sturm zum Ausbruch. Man zog die Mäntel an. Es waren noch drei Meilen zurückzulegen, man machte sie unter Strömen von Regen. D'Artagnan hatte seinen Hut abgenommen und den Mantel nicht angezogen. Es war ihm eine Erquickung, das Wasser über seine glühende Stirne und seinen von Fieberschauern geschüttelten Körper rinnen zu lassen.

Im Augenblick, nachdem die kleine Truppe durch Goscal geritten war und sich vor der Post befand, machte sich ein an einen Baum gelehnter Mann von dem Stamme los, wo man ihn in der Dunkelheit nicht erkannt hatte, und trat, seinen Finger auf die Lippen legend, bis an die Mitte der Straße vor.

Athos erkannte Grimaud.

«Was gibt es?«rief d'Artagnan.»Sollte sie Armentières verlassen haben?«

Grimaud machte mit dem Kopfe ein bejahendes Zeichen. D'Artagnan knirschte mit den Zähnen.

«Stille, d'Artagnan!«sprach Athos,»ich habe Alles übernommen, und es ist folglich meine Sache, Grimaud zu befragen.«

«Wo ist sie?«fragte Athos.

Grimaud streckte die Hand in der Richtung der Lys aus.

«Fern von hier?«

Grimaud zeigte seinem Herrn einen gebogenen Finger.

«Allein?«

Grimaud bejahte durch ein Zeichen.

«Meine Herren, «sagte Athos,»sie ist eine halbe Meile von hier, in der Richtung des Flusses.«

«Gut, «sprach d'Artagnan;»führe uns, Grimaud.«

Grimaud ging querfeldein und diente der Cavalcade als Führer. Nach ungefähr fünfhundert Schritten fand man einen Bach, den man durchwatete. Beim Schimmer eines Blitzes gewahrte man ein Dorf.

«Ist es hier?«fragte d'Artagnan.

Grimaud schüttelte verneinend den Kopf.

«Stille also, «sprach Athos.

Und die Truppe setzte ihren Weg fort.

Ein anderer Blitz leuchtete. Grimaud streckte den Arm aus, und bei dem bläulichen Schein unterschied man ein kleines, einzeln stehendes Haus am Rande des Flusses, hundert Schritte von einer Fähre. Ein Fenster war erhellt.

«Wir sind an Ort und Stelle, «sprach Athos.

In diesem Augenblick erhob sich ein in einem Graben liegender Mann: es war Mousqueton. Er deutete mit dem Finger nach dem erleuchteten Fenster.

«Sie ist hier, «sagte er.

«Und Bazin?«fragte Athos.

«Während ich das Fenster bewachte, bewachte er die Thüre.«

«Gut, «sagte Athos,»Ihr seid Alle getreue Diener.«

Athos sprang von seinem Pferde, dessen Zügel er Grimaud überließ, und ging auf das Fenster zu, nachdem er den übrigen Mitgliedern seiner Truppe durch ein Zeichen angedeutet hatte, sie möchten sich nach der Thüre wenden.

Das kleine Haus war von einer lebendigen, zwei bis drei Fuß hohen Hecke umgeben. Athos sprang über die Hecke und gelangte bis zu dem Fenster, das der Läden entbehrte, dessen Halbvorhänge aber sorgfältig zugezogen waren.

Er stieg auf die steinerne Randleiste, damit sein Auge über die Höhe der Vorhänge reichen möchte. Beim Schimmer einer Lampe sah er eine in einen dunkelfarbigen Mantel gehüllte Frau auf einem Schemel in der Nähe eines erlöschenden Feuers sitzen. Sie stützte ihren Ellenbogen auf einen schlechten Tisch und hatte ihren Kopf in ihre elfenbeinweiße Hände gelegt.

Man konnte ihr Gesicht nicht unterscheiden, aber ein finsteres Lächeln zog über die Lippen von Athos. Es war keine Täuschung möglich. Er sah diejenige, welche er suchte.

In diesem Augenblick wieherte ein Pferd. Mylady schaute empor, erblickte dicht vor dem Fenster das bleiche Antlitz von Athos und stieß einen Schrei aus.

Athos begriff, daß sie ihn erkannt hatte, stieß mit dem Knie und der Hand an das Fenster, dieses gab nach, die Scheiben zerbrachen und Athos sprang, dem Gespenst der Rache ähnlich, in das Zimmer.

Mylady lief nach der Thür und öffnete sie. Noch bleicher, noch drohender als Athos, stand d'Artagnan auf der Schwelle.

Mylady wich kreischend zurück. D'Artagnan glaubte, sie habe ein Mittel zu entfliehen, und zog, ihr Entkommen befürchtend, eine Pistole aus seinem Gürtel. Aber Athos hob die Hand und sprach:

«Stecke die Waffe wieder an ihren Ort, d'Artagnan. Diese Frau soll gerichtet und nicht ermordet werden. Warte noch einen Augenblick, d'Artagnan, und Du sollst befriedigt sein. Tretet ein, meine Herren.«

D'Artagnan gehorchte, denn Athos hatte die feierliche Stimme und die mächtige Geberde eines vom Herrn im Himmel abgesandten Richters. Hinter d'Artagnan traten Porthos, Aramis, Lord Winter und der Rothmantel ein.

Die vier Lakaien bewachten die Thüre und das Fenster.

Mylady war auf ihren Sitz zurückgesunken und streckte die Hände aus, als wollte sie diese furchtbare Erscheinung beschwören. Als sie ihren Schwager erblickte, stieß sie einen gräßlichen Schrei aus.

«Was verlangt Ihr?«rief Mylady.

«Wir verlangen, «antwortete Athos,»Anna von Breuil, die sich Anfangs Gräfin de la Fère und sodann Lady Winter, Baronin von Sheffield genannt hat.«

«Ich bin es, «murmelte sie in höchster Bestürzung.»Was wollt Ihr von mir?«

«Wir wollen Euch richten nach Euren Verbrechen, «sagte Athos.»Es steht Euch frei, Euch zu vertheidigen; rechtfertigt Euch, wenn Ihr könnt. Herr d'Artagnan, Euch kommt die erste Anklage zu.«

D'Artagnan schritt vor und sprach:

«Vor Gott und den Menschen klage ich diese Frau an, Constance Bonacieux, welche gestern Abend verschieden ist, vergiftet zu haben.«

Er wandte sich gegen Porthos und Aramis um.

«Wir bezeugen es, «sagten mit einer Bewegung die zwei Musketiere. D'Artagnan fuhr fort:

«Vor Gott und den Menschen klage ich diese Frau darüber an, daß sie mich mit dem Weine vergiften wollte, den sie mir von Villeroi mit einem falschen Briefe zuschickte, als ob der Wein von meinen Freunden käme. Gott hat mich gerettet, aber ein Mann, Namens Baisemout, ist statt meiner gestorben.«

«Wir bezeugen es, «sagten einstimmig Porthos und Aramis.

«Vor Gott und den Menschen, «sprach d'Artagnan weiter,»klage ich diese Frau an, mich zur Ermordung des Grafen von Wardes angereizt zu haben, und da Niemand hier ist, um die Wahrheit dieser Beschuldigung zu bezeugen, so bezeuge ich sie. Ich habe es gesagt.«

Nach diesen Worten trat d'Artagnan mit Porthos und Aramis auf die andere Seite des Zimmers.

«An Euch, Mylord, «sagte Athos.

Der Baron trat ebenfalls vor und sprach:

«Vor Gott und den Menschen klage ich diese Frau darüber an, daß sie den Herzog von Buckingham ermorden ließ.«

«Der Herzog von Buckingham ermordet!«riefen alle Anwesenden wie aus einem Munde.

«Ja, «erwiderte der Baron,»ermordet! Auf Euer warnendes Schreiben hin ließ ich diese Frau verhaften und übergab sie einem redlichen Diener zur Bewachung. Sie verführte diesen Menschen, drückte ihm den Dolch in die Hand, hieß ihn den Herzog ermorden, und in diesem Augenblick bezahlt Felton vielleicht mit seinem Kopfe das Verbrechen dieser Furie.«

Ein Schauer durchlief die Richter bei der Enthüllung dieser noch unbekannten Verbrechen.

«Das ist noch nicht Alles, «versetzte Lord Winter.»Mein Bruder, der Euch zu seiner Erbin eingesetzt hatte, ist in drei Stunden an einer seltsamen Krankheit gestorben, welche auf dem ganzen Körper schwarzblaue Flecken zurückläßt. Meine Schwester, wie ist Euer Gatte gestorben?«

«Gräulich!«riefen Porthos und Aramis.

«Mörderin Buckinghams! Mörderin Feltons! Mörderin meines Bruders! ich verlange Gerechtigkeit von Euch, und wenn sie mir nicht gegeben wird, so werde ich sie mir selbst nehmen!«

Und Lord Winter stellte sich neben d'Artagnan und ließ den Platz für einen andern Ankläger frei.

Myladys Stirne sank in ihre beiden Hände, sie suchte ihre durch einen tödtlichen Schwindel verwirrten Gedanken zu klären.

«Nun ist es an mir, «sprach Athos selbst, indem er zitterte, wie ein Löwe beim Anblick einer Schlange zittert,»nun ist es an mir. Ich heirathete diese Frau, als sie noch ein junges Mädchen war; ich heirathete sie wider den Willen meiner Familie; ich übergab ihr mein Vermögen, ich gab ihr meine Hand, und eines Tages bemerkte ich, daß diese Frau gebrandmarkt war. Diese Frau trug das Brandmal einer Lilie auf der linken Schulter.«

«Oh!«rief Mylady, sich erhebend,»ich fordere Euch auf, das Tribunal, welches diesen schändlichen Spruch über mich verhängt hat, aufzufinden. Ich fordere Euch auf, denjenigen, welcher ihn vollstreckte, zu finden.«

«Stille!«ließ sich eine Stimme vernehmen,»dies zu beantworten kommt mir zu!«

Und der Rothmantel trat ebenfalls näher.

«Wer ist dieser Mann? wer ist dieser Mann?«rief durch den Schrecken niedergeschmettert Mylady, deren Haare sich lösten und auf dem leichenblassen Haupte empor starrten, als ob sie lebendig gewesen wären.

Aller Augen wandten sich nach diesem Manne, denn mit Ausnahme von Athos war er allen unbekannt. Doch auch Athos schaute ihn mit eben so großer Verwunderung an, wie die Andern; er wußte nicht, wie derselbe im Zusammenhang mit dem furchtbaren Drama stehen konnte, das sich in diesem Augenblicke entwickelte.

Nachdem der Unbekannte sich langsam und feierlich Mylady genähert hatte, so daß ihn nur noch der Tisch von ihr trennte, nahm er seine Maske ab.

Mylady schaute einige Zeit mit allen Zeichen wachsenden Schreckens das bleiche, mit schwarzen Haaren und schwarzem Bart umgebene Gesicht an, dessen einziger Ausdruck eine eisige Unempfindlichkeit war. Dann rief sie plötzlich aufstehend und bis an die Wand zurückweichend:

«Oh! nein, nein, nein! Das ist eine höllische Erscheinung! Er ist es nicht! Zu Hülfe, zu Hülfe!«schrie sie mit rauher Stimme, und wandte sich nach der Wand um, als ob sie sich mit ihren Händen einen freien Durchgang hätte öffnen können.

«Aber wer seid Ihr denn?«riefen alle Zeugen dieser Scene.»Fragt diese Frau, «antwortete der Rothmantel;»denn Ihr seht wohl, daß sie mich wieder erkannt hat.«

«Der Henker von Lille! der Henker von Lille!«rief Mylady, von wahnsinnigem Schrecken erfaßt und sich mit den Händen an die Wand klammernd, um nicht zu fallen.

Alle Anwesenden wichen zurück und der Rothmantel stand allein mitten in der Stube.

«Oh! Gnade! Barmherzigkeit!«rief die Elende, auf die Kniee stürzend.

Der Unbekannte wartete, bis es wieder stille geworden war, und sprach sodann:

«Ich sagte Euch, daß sie mich wiedererkannt hat. Ja, ich bin der Henker der Stadt Lille. Hört meine Geschichte.«

Aller Augen waren auf den Mann geheftet, dessen Worten man mit ängstlicher Neugier entgegenharrte.

«Diese Frau war einst ein junges Mädchen, so schön, wie sie heute ist. Sie war eine Nonne im Kloster der Benedictinerinnen von Templemar. Ein junger Priester von schlichtem, gläubigem Herzen versah den Gottesdienst in der Kirche dieses Klosters. Sie unternahm es, ihn zu verführen, und es gelang ihr. Sie hätte auch einen Heiligen verführt.

«Ihre Gelübde, die Gelübde Beider, waren heilig, unwiderruflich: ihre Liebschaft konnte nicht lange dauern, ohne Beide in das Verderben zu stürzen. Sie bewog ihn, mit ihr die Gegend zu verlassen; aber um gemeinschaftlich nach einem andern Theil Frankreichs zu entfliehen, wo sie als Unbekannte ruhig leben könnten, brauchten sie Geld, und keines von Beiden besaß Geld. Der Priester stahl die heiligen Gefäße und verkaufte sie; aber als sie eben abreisen wollten, wurden Beide verhaftet.

«Acht Tage nachher hatte sie den Sohn des Kerkermeisters verführt und sich geflüchtet. Der junge Priester wurde zu zehn Jahren Kettenstrafe und zur Brandmarkung verurtheilt. Ich war der Henker der Stadt Lille, wie diese Frau sagt. Ich mußte den Schuldigen brandmarken, und der Schuldige, meine Herren, war mein Bruder.

«Ich schwor, daß diese Frau, welche ihn zu Grunde gerichtet hatte und mehr als seine Mitschuldige war, weil sie ihn zum Verbrechen antrieb, wenigstens seine Strafe theilen sollte. Ich vermuthete, an welchem Orte sie verborgen war, verfolgte, erreichte, knebelte sie, und drückte ihr dasselbe Mal auf, das ich meinem Bruder aufgedrückt hatte.

«Am Tage nach meiner Rückkehr nach Lille gelang es meinem Bruder, ebenfalls zu entweichen. Man klagte mich der Mitschuld an und verurtheilte mich, so lange im Gefängniß zu bleiben, bis er sich wieder gestellt hätte. Mein armer Bruder wußte nichts von diesem Urtheil. Er war mit der ehemaligen Nonne wieder zusammengetroffen und mit ihr nach Berri gezogen, wo er eine kleine Pfarre erhielt. Diese Frau galt für seine Schwester.

«Der Herr des Gutes, auf welchem die Kirche des Pfarrers lag, sah die angebliche Schwester und verliebte sich in sie, so daß er ihr die Ehe antrug. Da verließ sie denjenigen, welchen sie ins Verderben gestürzt hatte, um dem Manne zu folgen, den sie ins Verderben stürzen sollte, und wurde Gräfin de la Fère.«

Aller Augen wandten sie gegen Athos, dessen wirklicher Name dies war. Athos aber bestätigte mit einem Zeichen seines Kopfes, daß Alles, was der Henker gesagt hatte, der Wahrheit entsprach. Dieser fuhr fort:»In Verzweiflung, entschlossen sich eines Daseins zu entledigen, dem sie Ehre, Glück, Alles geraubt hatte, kam mein armer Bruder nun nach Lille zurück, und als er von dem Spruche hörte, der mich statt seiner verurtheilt hatte, gab er sich freiwillig in Haft und erhing sich an demselben Abend am Luftloche seines Kerkers.

«Um denjenigen, welche mich verurtheilt hatten, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß ich bemerken, daß sie Wort hielten. Kaum war die Identität des Leichnams nachgewiesen, als man mich wieder in Freiheit setzte. Dies ist das Verbrechen, dessen ich sie anklage, dies die Ursache, warum ich sie gebrandmarkt habe.«

«Herr d'Artagnan, «sprach Athos,»welche Strafe verlangt Ihr gegen diese Frau?«

«Die Todesstrafe!«antwortete d'Artagnan.

«Mylord von Winter. «fuhr Athos fort,»welche Strafe verlangt Ihr gegen diese Frau?«

«Die Todesstrafe!«antwortete Lord Winter.

«Meine Herren Porthos und Aramis, «sagte Athos,»Ihr, die Ihr ihre Richter seid, welche Strafe verhängt Ihr gegen diese Frau?«

«Die Todesstrafe!«antworteten mit dumpfer Stimme die zwei Musketiere.

Mylady stieß ein furchtbares Geheul aus und schleppte sich auf den Knieen einige Schritte gegen ihre Richter.

Athos streckte die Hand gegen sie aus.

«Anna von Breuil, Gräfin de la Fère, Mylady Winter, «sagte er,»Eure Verbrechen haben die Menschen auf Erden und Gott im Himmel ermüdet. Wenn Ihr ein Gebet wißt, so sprecht es, denn Ihr seid verurtheilt und müßt sterben.«

Bei diesen Worten, die ihr keine Hoffnung mehr übrig ließen, richtete sich Mylady in ihrer ganzen Höhe auf und wollte reden. Aber es fehlten ihr die Laute. Sie fühlte, daß eine mächtige, unwiderstehliche, unversöhnliche Hand sie an den Haaren faßte und unwiderruflich fortzog, wie das Verhängniß den Menschen fortzieht. Sie versuchte daher nicht einmal Widerstand zu leisten, und verließ die Hütte.

Lord Winter, d'Artagnan, Athos, Porthos und Aramis gingen nach ihr hinaus; die Bedienten folgten ihren Herren, und die Stube blieb verlassen mit ihren zerbrochenen Fenstern, ihrer offenen Thüre und ihrer rauchigen Lampe, welche düster auf dem Tische fortbrannte.


XXXVIII. Die Hinrichtung

Es war um die Mitternachtsstunde. Der in seiner Abnahme sichelförmige und durch die letzten Spuren des Gewitters blutig gefärbte Mond ging hinter dem Dorfe Armentières auf, das in seinem bleichen Schimmer die düstere Silhouette seiner Häuser und das Skelett seines hohen, durchbrochenen Glockenthurms hervorhob. Vorn wälzte die Lys, einem Flusse von geschmolzenem Zinn ähnlich, ihre Wasser, während man auf dem andern Ufer das Profil einer schwarzen Masse von Bäumen auf einem stürmischen Himmel erblickte, dessen dicke, kupferrothe Wolken mitten in der Nacht eine Art von Dämmerung hervorriefen. Zur Linken erhob sich eine alte verlassene Mühle mit unbeweglichen Flügeln, in deren Trümmern von Zeit zu Zeit eine Nachteule ihr monotones, schrilles Geschrei hören ließ. Da und dort erschienen in der Ebene rechts und links vom Wege, auf dem sich der traurige Zug bewegte, niedrige, untersetzte Bäume, welche wie mißgestaltete Zwerge aussahen, die sich niedergekauert hätten, um in dieser finsteren Stunde Menschen aufzulauern.

Zuweilen öffnete ein mächtiger Blitz den Horizont in seiner ganzen Breite, schlängelte sich über die schwarze Masse der Bäume hin und trennte, wie ein furchtbarer Säbel, den Himmel und das Wasser in zwei Theile. Nicht der leiseste Wind bewegte die schwerfällige Atmosphäre. Eine Todtenstille lastete auf der ganzen Natur, der Boden war feucht und schlüpfrig von dem gefallenen Regen und die wiederbelebten Gräser und Kräuter ergossen ihre Wohlgerüche mit neuer Kraft.

Zwei Bediente schleppten Mylady, welche jeder von ihnen an einem Arme hielt. Der Henker ging hinter ihr. Lord Winter, d'Artagnan, Athos, Porthos und Aramis gingen hinter dem Henker. Planchet und Bazin kamen zuletzt.

Die zwei Diener führten Mylady nach dem Flusse. Ihr Mund war stumm, aber ihre Augen sprachen mit jener unaussprechlichen Beredsamkeit und flehten abwechselnd zu Jedem, den sie anschaute.

Als sie sich einige Schritte voraus sah, sagte sie zu den Bedienten:

«Tausend Pistolen für jeden von Euch, wenn ihr meine Flucht begünstigt; wenn Ihr mich aber Euren Herren ausliefert, so habe ich hier in meiner Nähe Rächer, die Euch meinen Tod theuer bezahlen lassen.«

Grimaud zögerte, Mousqueton zitterte an allen Gliedern.

Athos, der die Stimme Myladys gehört hatte, näherte sich rasch, Lord Winter that dasselbe.

«Schickt diese Bedienten weg, «sagte er,»sie hat mit ihnen gesprochen, sie sind nicht mehr sicher.«

Man rief Planchet und Bazin, welche die Stelle von Grimaud und Mousqueton einnahmen.

An den Rand des Wassers gelangt, trat der Henker zu Mylady und band ihre Hände und Füße.

Da brach sie das Schweigen und rief:»Ihr seid feige, elende Mörder, Ihr erhebt Euch zu zehn, um eine Frau umzubringen. Nehmt Euch in Acht, wenn man mir auch keine Hülfe bringt, so wird man mich doch rächen!..«

«Ihr seid kein Weib, «sprach Athos kalt,»Ihr gehört nicht dem Menschengeschlechts an, Ihr seid ein der Hölle entsprungener Teufel, den wir wieder dahin zurückschicken werden.«

«Oh! meine tugendhaften Herren, «sprach Mylady, gebt wohl Acht, daß derjenige von Euch, welcher ein Haar von meinem Haupte berührt, nicht auch ein Mörder ist.«

«Der Henker kann tödten, ohne darum ein Mörder zu sein, Madame, «sprach der Rothmantel und klopfte dabei an sein breites Schwert.»Er ist der Nachrichter, der letzte Richter und nichts Anderes.«

Während er sie band und diese Worte sprach, stieß Mylady wiederholt ein Geschrei aus, das gar düster und seltsam klang, ais es durch die Nacht hinflog und sich in der Tiefe des Waldes verlor.

«Wenn ich schuldig bin, wenn ich die Verbrechen begangen habe, deren Ihr mich bezichtigt, «heulte Mylady,»so führt mich vor ein Tribunal. Ihr seid nicht die Richter, die mich verdammen können.«

«Ich habe Euch Tyburn vorgeschlagen, «entgegnete Lord Winter,»warum habt Ihr es nicht angenommen?«

«Weil ich nicht sterben will, «rief Mylady, gegen den Henker sich sträubend,»weil ich zu jung bin, um zu sterben.«

«Die Frau, welche Ihr in Bethune vergiftet habt, war noch jünger, als Ihr, und ist dennoch gestorben, «sagte d'Artagnan.

«Ich werde in ein Kloster eintreten, ich werde den Schleier nehmen, «rief Mylady.

«Ihr waret in einem Kloster, «sprach der Henker,»und Ihr habt es verlassen, um meinen Bruder zu verderben.«

Mylady stieß abermals ein Angstgeschrei aus und fiel auf die Kniee.

Der Henker hob sie bei den Armen auf und wollte sie nach dem Nachen tragen.

«Oh! mein Gott, mein Gott!«rief sie.»Wollt Ihr mich denn ertränken?«

Dieses Geschrei hatte etwas so Herzzerreißendes, daß d'Artagnan, der Anfangs der erbittertste Verfolger Myladys war, sich auf einen Baumstumpf niederließ, das Haupt neigte und die Ohren mit seinen flachen Händen verstopfte; aber dennoch hörte er sie schreien und drohen.

D'Artagnan war der jüngste von allen diesen Männern; sein Herz erweichte sich.

«Oh! ich kann dieses furchtbare Schauspiel nicht ansehen, «sagte er;»ich kann nicht zugeben, daß diese Frau so stirbt.«

Mylady hatte die letzten Worte gehört und gab sich wieder einem Strahle der Hoffnung hin.

«D'Artagnan! d'Artagnan!«rief sie,»erinnerst Du Dich, daß ich Dich geliebt habe?«

Der junge Mann stand auf und machte einen Schritt gegen sie.

Athos stand ebenfalls auf, zog seinen Degen und stellte sich ihm in den Weg.

«Wenn Ihr noch einen Schritt macht, d'Artagnan, «sprach er,»so mögen sich unsere Schwerter kreuzen.«

D'Artagnan fiel auf die Kniee und betete.

«Auf!«fuhr Athos fort,»Henker, thue Deine Pflicht.«

«Gern, gnädiger Herr, «antwortete der Henker;»denn so wahr ich ein guter Katholik bin, glaube ich, daß ich gerecht handle, wenn ich mein Geschäft an dieser Frau vollziehe.«

Athos trat näher zu Mylady und sprach:

«Ich vergebe Euch das Böse, was Ihr mir zugefügt habt, ich vergebe Euch meine zertrümmerte Zukunft, meine verlorene Ehre, meine befleckte Liebe und mein für immer durch die Verzweiflung, in die Ihr mich gestürzt habt, zu Grunde gerichtetes Glück. Sterbt im Frieden!«

Lord Winter kam ebenfalls heran und sagte:

«Ich vergebe Euch die Vergiftung meines Bruders, die Ermordung Seiner Herrlichkeit, des Lord Buckingham, ich vergebe Euch den Tod des armen Felton, ich vergebe Euch, was Ihr gegen meine Person versucht habt. Sterbt im Frieden!«

«Was mich betrifft, «sprach d'Artagnan,»so vergebt mir, Madame, daß ich durch einen eines Edelmannes unwürdigen Betrug Euren Zorn hervorgerufen habe, und dagegen vergebe ich Euch die Ermordung meiner armen Freundin und die grausame Rache, die Ihr an mir verübt habt. Sterbt im Frieden!«

«I am lost!«murmelte Mylady englisch,»I must die!«[Fußnote]

Dann erhob sie sich und warf einen jener leuchtenden Blicke um sich, die aus einem Flammenauge hervorzuspringen schienen.

Sie sah nichts. Sie horchte, sie hörte nichts.

Sie hatte nur Feinde um sich her.

«Wo soll ich sterben?«fragte sie.

«Auf dem andern Ufer, «antwortete der Henker.

Dann ließ er sie in seine Barke eintreten, und als er den Fuß auf diese setzte, um ihr zu folgen, überreichte ihm Athos eine Summe Geldes.

«Nehmt, «sprach er,»hier ist der Lohn der Hinrichtung, damit man sehe, daß wir als Richter handeln.«

«Gut, «versetzte der Henker,»diese Frau soll nun erfahren, daß ich nicht mein Gewerbe treibe, sondern meine Pflicht erfülle.«

Und er warf das Geld in den Fluß.

«Seht, «sagte Athos,»diese Frau hat ein Kind, und dennoch hat sie kein Wort von ihrem Kinde gesprochen.«

Der Nachen entfernte sich nach dem linken Ufer der Lys, die Schuldige und den Nachrichter mit sich tragend. Die Anderen blieben auf dem rechten Ufer, und waren niedergekniet.

Der Nachen glitt langsam den Strick der Fähre entlang unter dem Widerschein einer bleichen Wolke, welche in diesem Augenblick über dem Wasser schwebte.

Man sah ihn am andern Ufer landen. Die Personen zeichneten sich schwarz an dem röthlichen Horizont ab. Mylady hatte während der Ueberfahrt den Strick an ihren Füßen loszumachen gewußt. Als sie sich nahe am Ufer befand, sprang sie leicht zu Boden und ergriff die Flucht.

Aber der Boden war feucht: oben auf der Böschung angelangt, glitt sie aus und fiel auf ihre Kniee nieder.

Ein abergläubischer Gedanke berührte sie ohne Zweifel. Sie sah ein, daß der Himmel ihr seinen Beistand versagte, und verharrte gebeugten Hauptes und mit gefalteten Händen in der Stellung, worin sie sich befand.

Da sah man vom andern Ufer den Henker langsam seine Arme erheben, ein Strahl des Mondes spiegelte sich auf der Klinge seines breiten Schwertes. Die beiden Arme fielen nieder, man hörte das Zischen des Schwertes, und eine verstümmelte Masse wälzte sich unter dem Streiche.

Dann nahm der Henker seinen rothen Mantel ab, legte den Körper darauf, warf den Kopf dazu, knüpfte den Mantel an seinen vier Enden zusammen, lud ihn auf seine Schulter, und stieg wieder in den Nachen.

Als er die Mitte der Lys erreicht hatte, hielt er die Barke an, hob seine Last über den Fluß und rief:

«Gottes Gerechtigkeit mag walten!«

Und er schleuderte den Leichnam in die Tiefe des Wassers, das sich über demselben schloß.


XXXIX. Eine Botschaft des Kardinals

Drei Tage nachher kamen die vier Musketiere nach Paris zurück. Sie hatten sich innerhalb der Grenzen ihres Urlaubs gehalten und statteten noch an demselben Abend Herrn von Treville ihren gewöhnlichen Besuch ab.

«Nun, meine Herren, «fragte sie der brave Kapitän,»habt Ihr Euch bei Eurem Ausfluge gut unterhalten?«

«Außerordentlich, «antwortete Athos in seinem und seiner Freunde Namen.

Am 6. des darauf folgenden Monats verließ der König, dem Versprechen getreu, das er dem Kardinal in Bezug auf seine Rückkehr nach La Rochelle geleistet hatte, die Stadt Paris, noch ganz betäubt von der Nachricht, die sich über die Ermordung Buckinghams verbreitete.

Obgleich davon unterrichtet, daß der Mann, den sie so sehr geliebt hatte, von einer Gefahr bedroht war, wollte die Königin, als man ihr diesen Tod ankündigte, nicht daran glauben. Sie rief sogar unkluger Weise aus:»Das ist falsch, er hat mir kürzlich erst geschrieben!«

Aber am andern Tage mußte sie wohl der unseligen Kunde Glauben schenken. La Porte, wie alle Menschen in England durch den Befehl des Königs Karl I. zurückgehalten, kam als Ueberbringer des letzten traurigen Geschenkes an, das Buckingham der Königin überschickte.

Der König war voll Freude, als er die Nachricht erhielt. Er gab sich nicht einmal die Mühe, diese Freude zu verbergen, sondern ließ sie sogar geflissentlich in Gegenwart der Königin hervorbrechen. Ludwig XIII. fehlte es, wie allen schwachen Geistern, an allem Edelmuth.

Bald aber wurde der König wieder düster und übler Laune. Seine Stirne war keine von denen, welche sich auf lange Zeit erheitern. Er fühlte, daß er sich, in das Lager zurückkehrend, wieder in seine Sklaverei begab, und dennoch kehrte er zurück.

Der Kardinal war für ihn die bezaubernde Schlange, und er war der Vogel, der von Zweig zu Zweig hüpft, ohne ihr entweichen zu können.

Die Rückkehr nach La Rochelle war auch äußerst traurig. Unsere Freunde besonders setzten ihre Kameraden in Erstaunen. Sie ritten dicht neben einander mit düsteren Augen und gesenkten Häuptern. Nur Athos allein hob seine breite Stirne von Zeit zu Zeit empor, ein Blitz leuchtete in seinen Augen, ein bitteres Lächeln zog über seine Lippen hin, und dann überließ er sich wieder, wie seine Kameraden, seinen finstern Träumereien.

Gleich nach der Ankunft der Eskorte in einer Stadt zogen sich die vier Freunde, sobald sie den König nach seiner Wohnung geleitet hatten, entweder nach ihren Quartieren oder in eine abgelegene Schenke zurück, wo sie weder spielten noch tranken, sondern nur unter sorgfältigem Umherschauen, ob Niemand sie hören könne, leise mit einander sprachen.

Als der König eines Tages auf dem Wege Halt gemacht hatte, um die Elster zu beizen, und die vier Freunde ihrer Gewohnheit gemäß, statt der Jagd zu folgen, in einem Wirthshaus an der Landstraße saßen, sprengte ein Mann, der von La Rochelle kam, mit verhängtem Zügel heran, hielt vor der Thüre, um ein Glas Wein zu trinken, und schaute ins Innere der Stube, wo sich die vier Musketiere befanden.

«Holla! Herr d'Artagnan, «sprach er,»seid Ihr es nicht, den ich da innen sehe?«

D'Artagnan schaute auf und stieß ein Freudengeschrei aus. Der Unbekannte, der ihn rief, war sein Gespenst, sein Unbekannter von Meung, von der Rue des Fossoyeurs und von Arras.

D'Artagnan zog den Degen und stürzte nach der Thüre. Aber statt zu fliehen, sprang der Unbekannte vom Pferde und lief d'Artagnan entgegen.

«Ah! mein Herr, «sprach der junge Mann,»endlich treffe ich Euch. Diesmal sollt Ihr mir nicht entgehen!«

«Das ist auch diesmal gar nicht meine Absicht, denn ich suchte Euch. Ich verhafte Euch im Namen des Königs!«

«Wie, was sagt Ihr?«rief d'Artagnan.

«Ihr habt mir Euren Degen zu geben, mein Herr, und zwar ohne Widerstand. Es geht um Euren Kopf, das sage ich Euch.«

«Wer seid Ihr denn?«fragte d'Artagnan den Degen senkend, aber ohne ihn abzugeben.

«Ich bin der Chevalier von Rochefort, der Stallmeister des Herrn Kardinals von Richelieu, und habe Befehl, Euch vor Se. Eminenz zu führen.«

«Wir kehren zu Seiner Eminenz zurück, Herr Chevalier, «sagte Athos vortretend,»und Ihr werdet wohl Herrn d'Artagnan auf sein Wort glauben, daß er sich in gerader Richtung nach La Rochelle begibt.«

«Ich muß ihn den Wachen überliefern, die ihn nach dem Lager führen werden.«

«Wir werden ihm als solche dienen, mein Herr, bei unserem adeligen Ehrenwort! Aber ich sage Euch auch, «fügte Athos die Stirne faltend bei,»ich sage Euch bei unserem adeligen Ehrenwort, daß uns Herr d'Artagnan nicht verläßt.«

Der Chevalier von Rochefort warf einen Blick zurück und sah, daß sich Porthos und Aramis zwischen ihn und die Thüre gestellt hatten. Er begriff, daß er ganz der Willkür dieser vier Männer bloßgestellt war.

«Meine Herren, «sagte er,»wenn mir Herr d'Artagnan seinen Degen übergeben und sein Wort dem Eurigen beifügen will, so begnüge ich mich mit Eurem Versprechen, Herrn d'Artagnan in das Quartier des Herrn Kardinals zu führen.«

«Ihr habt mein Wort, «sprach d'Artagnan,»und hier meinen Degen.«

«Das ist mir um so lieber, «fügte Rochefort bei,»als ich meine Reise fortsetzen muß.«

«Geschieht dies, um Mylady aufzusuchen, «sprach Athos kalt,»so bemüht Euch nicht, Ihr werdet sie nicht finden.«

«Was ist denn aus ihr geworden?«fragte Rochefort heftig.

«Kommt in das Lager zurück, und Ihr sollt es erfahren.«

Rochefort blieb einen Augenblick in Gedanken versunken. Da man aber nur noch eine Tagereise von Surgères entfernt war, bis wohin der Kardinal dem König entgegenkommen wollte, so beschloß er, den Rath von Athos zu befolgen und mit ihm zurückzukehren.

Ueberdies bot ihm diese Rückkehr einen weiteren Vortheil: er konnte seinen Gefangenen selbst überwachen.

Man setzte sich in Marsch.

Am andern Tag um drei Uhr Nachmittags erreichte man Surgères: der Kardinal erwartete hier Ludwig XIII. Der Minister und der König tauschten hier viele Schmeicheleien und Liebkosungen aus und beglückwünschten sich über den glücklichen Zufall, der Frankreich von dem erbitterten Feinde befreite, welcher ganz Europa gegen dasselbe aufwiegelte.

Sobald dies geschehen war, verabschiedete sich der Kardinal, welcher von Rochefort die Ankunft d'Artagnan's erfahren hatte und diesen sogleich vernehmen wollte, von dem König, indem er ihn einlud, am andern Tag die vollendeten Dammarbeiten zu besichtigen.

Als der Kardinal am Abend nach seinem Quartier am Pont de Pierre zurückkam, fand er d'Artagnan ohne Degen und die drei Musketiere bewaffnet vor dem Hause, das er bewohnte.

Da er ihnen diesmal an Kräften überlegen war, so schaute er sie streng an und gab d'Artagnan mit den Augen und mit der Hand ein Zeichen, ihm zu folgen.

«Wir erwarten Dich, d'Artagnan, «sprach Athos laut genug, daß es der Kardinal hören konnte.

Seine Eminenz faltete die Stirne, stand einen Augenblick still und setzte sodann seinen Weg fort, ohne eine Silbe zu sprechen.

D'Artagnan trat hinter dem Kardinal, Rochefort hinter d'Artagnan ein. Die Thüre wurde bewacht.

Seine Eminenz begab sich in das Zimmer, das ihm als Arbeitskabinet diente, und befahl Rochefort durch ein Zeichen, d'Artagnan einzuführen.

Rochefort gehorchte und zog sich zurück.

D'Artagnan blieb allein bei dem Kardinal. Es war seine zweite Zusammenkunft mit Richelieu, und er gestand später, er sei überzeugt gewesen, daß es seine letzte sein würde.

Richelieu blieb an dem Kamin stehen. Ein Tisch war zwischen ihm und d'Artagnan.

«Mein Herr, «sprach der Kardinal,»Ihr seid auf meinen Befehl verhaftet worden.«—»Man hat es mir gesagt, Monseigneur.«—»Wißt Ihr, warum?«—»Nein, Monseigneur, denn die einzige Sache, wegen deren ich verhaftet werden könnte, ist Seiner Eminenz noch unbekannt.«

Richelieu schaute den jungen Mann fest an und rief:

«Holla! was wollt Ihr damit sagen?«

«Wenn mich Monseigneur zuerst über die Verbrechen belehren will, die man mir aufbürdet, so werde ich ihm sodann die Handlungen nennen, die ich begangen habe.«

«Man bürdet Euch Verbrechen auf, welche noch höhere Häupter, als das Eurige, fallen gemacht haben, «sagte der Kardinal.

«Welche, Monseigneur?«fragte d'Artagnan mit einer Ruhe, die den Kardinal in Erstaunen setzte.

«Man klagt Euch an, Ihr habet mit den Feinden des Königreichs korrespondirt; man klagt Euch an, Ihr habet Staatsgeheimnisse erlauscht; man klagt Euch an, Ihr habet die Pläne Eures Generals zu vereiteln gesucht.«

«Und wer beschuldigt mich dessen, Monseigneur?«sprach d'Artagnan, welcher sich dachte, daß die Anklage von Mylady komme.»Ein von den Gerichten gebrandmarktes Weib, ein Weib, das einen Mann in Frankreich und einen andern in England geheirathet, ein Weib, das seinen zweiten Gatten vergiftet und mich selbst zu vergiften gesucht hat.«

«Was sagt Ihr da, Herr!«rief der Kardinal voll Erstaunen,»von welchem Weibe sprecht Ihr so?«

«Von Mylady Winter, «antwortete d'Artagnan,»ja, von Mylady Winter, deren Verbrechen Eure Eminenz ohne Zweifel nicht kannte, als sie dieselbe mit ihrem Vertrauen beehrte.«

«Mein Herr, «sprach der Kardinal,»wenn Mylady Winter die Verbrechen begangen hat, deren Ihr sie bezichtigt, so soll sie bestraft werden.«—»Sie ist bestraft.«—»Und wer hat sie bestraft?«—»Wir.«—»Sie ist im Gefängniß?«—»Sie ist todt.«

«Todt!«wiederholte der Kardinal, der nicht an das glauben konnte, was er hörte.»Habt Ihr nicht gesagt, sie sei todt?«

«Dreimal versuchte sie es, mich zu tödten, und ich verzieh ihr; aber sie mordete eine Frau, die ich liebte; dann nahmen meine Freunde und ich sie gefangen, hielten Gericht und verurtheilten sie.«

D'Artagnan erzählte nun die Vergiftung von Madame Bonacieux im Kloster der Karmeliterinnen in Bethune, das Gericht in dem einsamen Hause und die Hinrichtung am Ufer der Lys. Ein Schauer lief dem Kardinal durch den ganzen Leib, und doch schauerte der Kardinal nicht so leicht.

Aber als ob sich plötzlich ein stummer Gedanke seiner bemeisterte, erhellte sich allmälig das bisher so düstere Antlitz des Kardinals und erlangte die vollkommenste Ruhe.

«Ihr habt Euch also, «sprach er mit einer Stimme, deren Weichheit in seltsamem Widerspruch mit der Strenge der Worte stand,»Ihr habt Euch also zu Richtern aufgeworfen, ohne zu bedenken, daß diejenigen, welche strafen und nicht den Auftrag dazu haben, Mörder sind?«

«Monseigneur, ich schwöre, daß ich nicht einen Augenblick die Absicht gehabt habe, meinen Kopf gegen Euch zu vertheidigen; ich werde mich der Strafe unterziehen, die Eure Eminenz über mich ausspricht. Ich hänge nicht so sehr am Leben, daß ich den Tod fürchten sollte.«

«Ja, ich weiß es, Ihr seid ein beherzter Mann, «sprach der Kardinal mit beinahe zärtlichem Tone;»ich kann Euch also zum Voraus sagen, daß man Gericht über Euch halten, ja sogar Euch verurtheilen wird.«

«Ein Anderer könnte Seiner Eminenz entgegnen, er habe seine Begnadigung in der Tasche; ich aber begnüge mich zu antworten: befehlt, Monseigneur, ich bin bereit.«—»Eure Begnadigung?«fragte Richelieu erstaunt. — »Ja, Monseigneur, «erwiderte d'Artagnan. — »Und von wem unterzeichnet? Vom König?«

Der Kardinal sprach diese Worte mit einem eigenthümlichen Ausdruck der Verachtung.

«Nein, von Eurer Eminenz.«—»Von mir? Ihr seid ein Narr, mein Herr.«—»Monseigneur wird ohne Zweifel seine Handschrift erkennen.«

Bei diesen Worten überreichte d'Artagnan dem Kardinal das kostbare Papier, das Athos Mylady entrissen und d'Artagnan übergeben hatte, dem es als Schutzwache dienen sollte.

Seine Eminenz nahm es und las es langsam und mit starker Betonung jeder einzelnen Silbe.

«Auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates hat der Träger des Gegenwärtigen gethan, was er gethan hat.

«Im Lager von Rochelle, den 3. Aug. 1628.

«Richelieu

Der Kardinal versank in tiefes Nachsinnen, nachdem er das Papier gelesen hatte, gab es aber d'Artagnan nicht zurück.

«Er überlegt, durch welche Strafe er mich zum Tode befördern soll, «sagte der Gascogner ganz leise zu sich selbst.»Gut, er soll sehen, wie ein Edelmann stirbt.«

Der junge Musketier war in der besten Fassung, um heldenmütig zu scheiden.

Richelieu dachte immer noch nach, rollte das Papier in seiner Hand zusammen und rollte es wieder aus einander. Dann schaute er auf und heftete seinen Adlerblick auf diese redlichen, offenen, gescheiten Züge, auf dieses in Folge der Leiden, die er seit einem Monat ausgestanden, von Thränen durchfurchte Antlitz, und dachte zum dritten und vierten Male, wie viel dieser Junge von zwanzig Jahren Zukunft vor sich hatte, und welche Mittel seine Thätigkeit, sein Muth und sein Geist einem guten Herrn bieten konnten.

Andererseits hatten ihn die Verbrechen, die Macht, das höllische Genie Myladys mehr als einmal erschreckt. Er fühlte etwas wie eine geheime Freude darüber, daß er für immer von dieser gefährlichen Schuldgenossin befreit war.

Langsam zerriß er das Papier, welches ihm d'Artagnan so edelmüthig übergeben hatte.

«Ich bin verloren, «sprach d'Artagnan zu sich selbst.

Und er verbeugte sich tief vor dem Kardinal, wie ein Mensch, der da sagt:»Gnädiger Herr, Euer Wille soll geschehen.«

Der Kardinal trat an den Tisch, schrieb, ohne sich zu setzen, ein paar Zeilen auf ein Pergament, das zu zwei Dritteln bereits voll geschrieben war, und druckte sein Siegel darunter.

«Das ist meine Verurtheilung, «dachte d'Artagnan,»er erspart mir die Unannehmlichkeiten der Bastille und den langsamen Gang eines Gerichts. Ich finde das noch sehr liebenswürdig von ihm.«

«Nehmt, «sprach der Kardinal zu dem jungen Manne,»ich habe Euch ein Blanket genommen und gebe Euch ein anderes. Der Name fehlt auf diesem Patent, Ihr werdet ihn selbst eintragen.«

D'Artagnan ergriff das Papier zögernd und warf einen Blick darauf.

Es war eine Lieutenants-Stelle bei den Musketieren.

D'Artagnan fiel dem Kardinal zu Füßen.

«Monseigneur, «rief er,»mein Leben gehört von nun an Euch, verfügt darüber: aber ich verdiene die Gunst nicht, die Ihr mir bewilligt; ich habe drei Freunde, welche würdiger…«

«Ihr seid ein braver Junge, d'Artagnan, «unterbrach ihn der Kardinal und klopfte ihn, entzückt, diese widerspenstige Natur besiegt zu haben, vertraulich auf die Schulter;»macht mit diesem Patent, was Ihr wollt, da der Name weiß ist; nur erinnert Euch, daß ich es Euch gebe.«

«Ich werde es nie vergessen, «antwortete d'Artagnan,»Eure Eminenz darf dessen versichert sein.«

Der Kardinal wandte sich um und rief:»Rochefort«.

Der Chevalier hatte sich ohne Zweifel vor der Thüre aufgehalten, und trat sogleich ein.

«Rochefort, «sagte der Kardinal,»Ihr seht hier Herrn d'Artagnan, ich nehme ihn unter die Zahl meiner Freunde auf. Man umarme sich also und sei vernünftig, wenn man sein Leben lieb hat.«

Rochefort und d'Artagnan küßten sich mit dem Rande ihrer Lippen; aber der Kardinal war da und beobachtete sie mit wachsamem Auge. Sie verließen zu gleicher Zeit das Zimmer.

«Wir treffen uns wieder, nicht wahr, mein Herr?«sprachen sie. — »Wann es Euch gefällig ist, «sagte d'Artagnan.

«Die Gelegenheit wird sich finden, «erwiderte Rochefort.

«Was da?«brummte der Kardinal die Thüre öffnend.

Die Männer lächelten sich zu, drückten sich die Hand und verbeugten sich vor Seiner Eminenz.

«Wir fingen an unruhig zu werden, «sprach Athos, als der Musketier zurückkam.

«Hier bin ich, meine Freunde, «antwortete d'Artagnan. — »Frei?«—»Nicht allein frei, sondern in Gunsten.«—»Ihr werdet uns das erzählen.«—»Noch diesen Abend. Doch für diesen Augenblick trennen wir uns.«

D'Artagnan begab sich wirklich noch denselben Abend in die Wohnung von Athos, den er im besten Zuge fand, seine Flasche spanischen Wein zu leeren, ein Geschäft, dem er gewissenhaft jeden Abend oblag.

Er erzählte seinem Freunde, was zwischen ihm und dem Kardinal vorgefallen war, zog sein Patent aus der Tasche und sprach:

«Nehmt, mein lieber Athos, was Euch ganz natürlich zukommt.«

Athos lächelte in seiner sanften, liebenswürdigen Art und erwiderte:»Freund, für Athos ist es zu viel, für den Grafen de la Fère ist es zu wenig. Behaltet dieses Patent, es gehört Euch: ach! Ihr habt es theuer genug bezahlen müssen.«

D'Artagnan entfernte sich aus dem Zimmer von Athos und trat bei Porthos ein.

Er traf ihn in einem prächtigen, mit glänzenden Stickereien bedeckten Rock, wie er sich eben im Spiegel beschaute.

«Ah! ah!«rief Porthos,»Ihr seid es, lieber Freund; wie findet Ihr, daß mir dieser Rock steht?«

«Vortrefflich, «sprach d'Artagnan;»doch ich komme, um Euch ein Kleid anzutragen, das Euch noch viel besser stehen wird.«

«Welches?«—»Die Uniform eines Musketierlieutenants.«

D'Artagnan erzählte Porthos seine Unterredung mit dem Kardinal, zog das Patent aus seiner Tasche und sagte:

«Nehmt, mein Lieber, schreibt Euern Namen darauf und seid ein guter Chef für mich.«

Porthos warf einen Blick auf das Patent und gab es zum großen Erstaunen des jungen Mannes zurück.

«Ja, «sprach er,»das würde mir sehr schmeicheln, aber ich könnte diese Gunst nicht lange genug genießen; während unseres Zuges nach Bethune ist der Gatte meiner Herzogin gestorben, und da mir die Kasse des Seligen die Hand reicht, so heirathe ich die Wittwe. Seht, ich habe so eben meinen Hochzeitsanzug probirt. Behaltet das Lieutenantspatent, mein Lieber, behaltet es.«

Und er legte es d'Artagnan wieder in die Hände.

Der junge Mann begab sich zu Aramis.

Er fand ihn vor einem Betpult knieend, seine Stirne auf ein Andachtsbuch gestützt.

D'Artagnan erzählte ihm seine Zusammenkunft mit dem Kardinal, zog sein Patent zum dritten Mal aus der Tasche und sprach:

«Ihr, unser Freund, unser Licht, unser unsichtbarer Beschützer, empfangt dieses Patent; Ihr habt es mehr als jeder Andere durch Eure Weisheit und Eure stets von gutem Erfolge begleiteten Rathschläge verdient.«

«Ach! theurer Freund, «erwiderte Aramis,»unsere letzten Abenteuer haben mir einen gänzlichen Widerwillen gegen das Soldatenleben eingeflößt. Diesmal steht mein Entschluß unwiderruflich fest: nach der Belagerung trete ich bei den Lazaristen ein. Behaltet dieses Patent, d'Artagnan. Das Waffenhandwerk sagt Euch zu; Ihr werdet ein kühner und verwegener Kapitän sein.«

Das Auge feucht von Dankbarkeit, strahlend vor Freude kehrte d'Artagnan zu Athos zurück, den er immer noch am Tisch fand, wo er sein letztes Glas Malaga beim Schein einer Lampe beäugelte.

«Auch sie haben mich zurückgewiesen, «sagte er.

«Ganz einfach, lieber Freund, keiner war dieses Vorzugs würdiger, als Ihr.«

Er nahm eine Feder, schrieb in das Patent den Namen d'Artagnan und gab es ihm zurück.

«Ich werde also keine Freunde mehr haben, «sprach der junge Mann.»Ach! nichts mehr, als bittere Erinnerungen.«

Und er ließ sein Haupt zwischen seine beiden Hände fallen, während zwei Thränen an seinen Wangen herabrollten.

«Ihr seid noch jung, «erwiderte Athos, und Euere bittern Erinnerungen haben Zeit, sich in süße Erinnerungen zu verwandeln.«

Epilog

Der Hülfe der englischen Flotte und der von Buckingham versprochenen Diversion beraubt, ergab sich La Rochelle nach einer einjährigen Belagerung; am 25. Oktober 1628 unterzeichnete man seine Kapitulation.

Der König hielt am 23. Dezember desselben Jahres seinen Einzug in Paris. Man feierte ihm einen Triumph, als ob er den Feind und nicht Franzosen besiegt hätte. Er zog unter Bogen von grünem Laubwerk durch das Faubourg Saint-Jacques ein.

D'Artagnan nahm Besitz von seinem Grade. Porthos verließ den Dienst und heirathete im Verlauf des darauf folgenden Jahres Madame Coquenard. Die so schmerzlich ersehnte Kiste enthielt achtmalhunderttausend Livres.

Mousqueton trug eine prächtige Livree und genoß die Befriedigung, nach der er sein ganzes Leben getrachtet hatte, nämlich hinter einer vergoldeten Carrosse stehen zu dürfen.

Aramis verschwand plötzlich nach einer Reise ins Lothringische und schrieb seinen Freunden nicht mehr. Man erfuhr später durch Frau von Chevreuse, daß er in ein Kloster in Nancy eingetreten war. Bazin wurde Laienbruder.

Athos blieb unter d'Artagnans Befehl Musketier bis zum Jahr 1633, wo er, in Folge einer Reise in Roussillon, unter dem Vorwand eine kleine Erbschaft gemacht zu haben, ebenfalls quittirte.

Grimaud folgte Athos.

D'Artagnan schlug sich dreimal mit Rochefort und verwundete ihn dreimal.

«Ich werde Euch wahrscheinlich das vierte Mal tödten, «sagte er zu ihm und reichte ihm die Hand, um ihn aufzuheben.

«Es ist also besser für Euch und für mich, wir lassen es hiebei bewenden, «antwortete der Verwundete.»Zum Henker, ich meine es besser mit Euch, als Ihr vielleicht glaubt, denn bei unserem ersten Zusammentreffen durfte ich nur ein Wort zu dem Kardinal sagen, und man hätte Euch den Hals abgeschnitten.«

Sie umarmten sich, aber diesmal mit vollem Herzen und ohne einen Hintergedanken.

Planchet erhielt von Rochefort den Grad eines Sergenten im Regiment Piemont.

Herr Bonacieux lebte in vollkommener Ruhe, wußte durchaus nicht, was aus seiner Frau geworden war, und kümmerte sich auch nicht darum. Eines Tags hatte er die Unklugheit, sich dem Kardinal ins Gedächtniß zurückzurufen. Der Kardinal ließ ihm antworten, er werde dafür sorgen, daß es ihm in Zukunft an nichts mangle.

Am andern Tage ging Herr Bonacieux wirklich Abends um sieben Uhr aus, um sich nach dem Louvre zu begeben, und erschien nie mehr in der Rue des Fossoyeurs. Die Meinung derjenigen, welche sich für sehr gut unterrichtet hielten, ging dahin, daß er in irgend einem königlichen Schlosse auf Kosten Seiner freigebigen Eminenz freie Kost und Wohnung genieße.

Ende

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