Erster Band

Das Tor Saint-Antoine.

Am 26. Oktober des Jahres 1585 war das Tor Saint-Antoine wider alle Gewohnheit noch um halb elf Uhr morgens geschlossen. Um drei Viertel auf elf Uhr kam eine Wache von zwanzig Schweizern aus der Rue de La Mortellerie hervor und marschierte auf das Tor zu, das sich vor ihnen öffnete und hinter ihnen schloß. Sobald sie vor dem Tore waren, stellten sie sich längs den Hecken davor auf, welche die umfriedeten Plätze einschlossen, und drängten schon durch ihre Erscheinung eine große Anzahl von Bauern und geringen Bürgersleuten zurück, die vergebens durch das Tor wollten. Jeden Augenblick erschienen Mönche aus den Klöstern des Stadtgebietes, Frauen, die seitlings auf dem Saumsattel ihrer Esel saßen, Bauern auf ihren Karren und ballten sich an die schon beträchtliche Masse an, und durch ihre mehr oder minder dringenden Fragen entstand ein Geräusch, das den Grundton bildete, während einzelne Stimmen aus diesem Baß hervortraten und bis zur Oktave der Drohung oder der Klage aufstiegen.

Außer dieser Masse von Zugewanderten, die in die Stadt hineinwollten, konnte man noch einige besondere Gruppen wahrnehmen, die herausgekommen zu sein schienen. Diese schauten gierig nach dem Horizont, der von dem Kloster der Jakobiner, der Priorei von Vincennes und dem Kreuz Faubin begrenzt war, als ob auf einer von diesen drei einen Fächer bildenden Straßen ein Helfer kommen müßte. Diese Gruppen, die unsere ganze Aufmerksamkeit verdienen, wurden meist von Pariser Bürgern gebildet, die sehr hermetisch von ihren Hosen und Wämsern umhüllt waren; denn das Wetter war kalt, der Nordostwind schneidend, und große Wolken, die sich nahe über der Erde fortwälzten, schienen den Bäumen die letzten gelben Blätter, die sich noch traurig darauf schaukelten, entreißen zu wollen.

Drei von diesen Bürgern standen beieinander, zwei unterhielten sich, während der dritte mit größter Aufmerksamkeit gegen Vincennes schaute. Der letztere war ein Mann, der von hoher Gestalt sein mußte, wenn er sich aufrechthielt; aber in diesem Augenblick waren seine Beine, mit denen er, schien es, im Zustand der Ruhe nichts anzufangen wußte, unter ihm gebogen, während seine nicht minder langen Arme sich über seinem Wams kreuzten. An die Hecke gelehnt, hielt er mit dem beharrlichen Streben eines Menschen, der nicht erkannt sein will, sein Gesicht hinter seiner breiten Hand verborgen und wagte nur ein Auge mit durchdringendem Blick zwischen dem Mittelfinger und dem Ringfinger durchschießen zu lassen. Neben ihm plauderte ein kleiner Mann, der auf einen Erdhaufen gestiegen war, mit einem dicken Mann, der am Abhang dieses Haufens schwankte und sich bei jedem Schwanken wieder an den Knöpfen des Wamses seines Gegenredners anhakte.

»Ja, Meister Miton,« sagte der Kleine zu dem Dicken, »ja, ich sage und wiederhole, es werden sich hunderttausend Personen um das Schafott von Salcède drängen, wenigstens hunderttausend Personen. Seht, ohne diejenigen, die sich schon auf der Grève versammelt haben, oder die sich aus den verschiedenen Stadtteilen dorthin begeben, – seht, wieviel Leute hier sind, und das ist nur ein Tor, und wir zählen doch sechzehn Tore.«

»Hunderttausend, das ist viel, Gevatter Friard, glaubt mir, viele werden meinem Beispiel folgen und den unglücklichen Salcède nicht vierteilen sehen, aus Furcht vor einem Tumult, und sie haben recht.« »Meister Miton, Meister Miton, nehmt Euch in acht, Ihr sprecht da wie ein Politiker. Es wird nichts vorfallen, durchaus nichts, ich stehe Euch dafür.«

»Nicht wahr, mein Herr?« fuhr er dann, als er sah, daß der andere den Kopf mit einer Miene des Zweifels schüttelte, fort, indem er sich an den Mann mit den langen Armen und den langen Beinen wandte, der inzwischen, ohne seine Hand von dem Gesichte zu nehmen, eine Viertelschwenkung gemacht hatte und nun das Tor zum Zielpunkte seiner Aufmerksamkeit wählte.

»Wie beliebt?« fragte dieser, als ob er ebensowenig den Anruf, der an ihn gerichtet war, wie die vorhergehenden, an den zweiten Bürger gerichteten Worte gehört hätte.

»Ich sage, es wird heute auf der Grève nichts vorfallen.«

»Ich glaube, daß Ihr Euch täuscht und daß die Vierteilung von Salcède vorfallen wird,« antwortete ruhig der Mann mit den langen Armen.

»Ja, allerdings, aber ich sage, es werde keinen Lärm dabei geben.«

»Es wird den Lärm der Peitschenhiebe geben, die man den Pferden verabreicht.«

»Ihr begreift mich nicht. Unter Lärm verstehe ich Aufruhr, und ich sage, es werde kein Aufruhr losbrechen. Wenn ein Aufruhr zu erwarten wäre, so würde der König nicht eine Loge im Stadthause haben schmücken lassen, um mit den beiden Königinnen und einem Teile des Hofes der Hinrichtung beizuwohnen.«

»Wissen die Könige je vorher, wann es zu Meutereien kommt?« sagte mit einer Miene erhabenen Mitleids der Mann mit den langen Armen und den langen Beinen.

»Oh! oh!« machte Meister Miton, sich an das Ohr des andern Bürgers neigend.» »Das ist ein Mensch, der in einem seltsamen Tone spricht. Kennt Ihr ihn, Gevatter?« – »Nein,« antwortete der Kleine. »Nun, warum redet Ihr dann mit ihm?« – »Ich rede mit ihm, um mit ihm zu reden.«

»Und Ihr habt unrecht; Ihr seht wohl, daß er nicht gesprächiger Natur ist.« – »Mir scheint jedoch,« versetzte der Gevatter Friard laut genug, um von dem Mann mit den langen Armen gehört zu werden, »daß es das größte Glück des Lebens ist, seine Gedanken auszutauschen.«

»Mit denen, die man sehr gut kennt, aber nicht mit denen, die man nicht kennt.« – »Sind nicht alle Menschen Brüder, wie der Pfarrer von Saint-Leu sagt?«

»Was heißt, sie waren es ursprünglich; doch in Zeiten wie die unsrigen hat sich die Verwandtschaft merkwürdig gelockert, Gevatter Friard. Schwatzt also mit mir, wenn Ihr durchaus schwatzen wollt, und überlaßt diesen Fremden seinen Gedanken.«– »Euch kenne ich seit langer Zeit, wie Ihr sagt, und weiß zum voraus, was Ihr mir antworten werdet, während mir dieser Unbekannte dagegen vielleicht etwas Neues zu sagen hätte.«

»St! er horcht auf Euch.« – »Desto besser; wenn er auf uns horcht, so wird er mir vielleicht antworten. Ihr denkt also, es werde auf der Grève Lärm geben?« fuhr er, sich an den Unbekannten wendend, fort. – »Ich habe kein Wort davon gesagt.«

»Ich behaupte nicht, daß Ihr es gesagt habt,« versetzte Friard mit einem Tone, den er fein zu machen suchte, »ich behaupte nur, daß Ihr das denkt.« – »Und worauf gründet Ihr diese Gewißheit? Solltet Ihr ein Zauberer sein, Herr Friard?«

»Halt! er kennt mich,« rief der Bürger, im höchsten Maße erstaunt, »und woher kennt er mich?« – »Habe ich Euch nicht zwei- oder dreimal genannt, Gevatter?« sagte Miton, die Achseln zuckend, wie ein Mensch, der sich vor einem Fremden des geringen Verstandes seines Gefährten schämt.

»Ah! es ist wahr,« sagte Friard, der sich anstrengte, um zu begreifen, und infolge dieser Anstrengung auch wirklich begriff; »bei meinem Wort, es ist wahr. Nun! da er mich kennt, wird er mir wohl antworten. Nun! mein Herr,« fuhr er fort, indem er sich wieder an den Unbekannten wandte, »ich denke, Ihr denkt, es werde auf der Grève Lärm geben, da Ihr, wenn Ihr es nicht dächtet, dort wäret, indes Ihr hier seid ... ha...«

Dieses »ha« bewies, daß der Gevatter Friard in seiner Folgerung die äußersten Grenzen seiner Logik und seines Geistes erreicht hatte.

»Aber Ihr, Herr Friard, der Ihr das Gegenteil von dem denkt, was Ihr denkt, daß ich denke,« erwiderte der Unbekannte, »warum seid Ihr nicht auf der Grève? Mir scheint doch, das Schauspiel ist ergötzlich genug, daß sich die Freunde des Königs dort drängen. Ihr werdet mir vielleicht antworten, Ihr gehörtet nicht zu den Freunden des Königs, sondern zu denen des Herrn von Guise, und Ihr erwartetet hier die Lothringer, die, wie man sagt, in Paris einfallen sollen, um Herrn von Salcède zu befreien.«

»Nein, mein Herr,« antwortete rasch der Dicke, sichtbar erschrocken über die Voraussetzung des Unbekannten; »nein, mein Herr, ich erwarte meine Frau, Nicole Friard, die vierundzwanzig Tischtücher in die Priorei der Jakobiner getragen hat, da sie sich der Ehre erfreut, die Privatwäscherin von Dom Modeste Gorenflot, dem Abte der genannten Priorei der Jakobiner, zu sein...«

»Gevatter, Gevatter,« rief Miton, »schaut doch, was vorgeht.«

Meister Friard folgte der durch den Finger seines Gefährten angegebenen Richtung und sah, daß man außer den Schlagbäumen auch noch das Tor schloß, worauf sich ein Teil der Schweizer vor dem Graben aufstellte.

Beim Anblick dieser neuen Maßregel erhob sich ein langes Gemurmel des Erstaunens und hin und wieder ein Schrei des Schreckens aus der sich drängenden Menge.

»Laßt den Kreis bilden!« rief die gebieterische Stimme eines Offiziers. Dies wurde auf der Stelle ausgeführt, doch nicht ohne Schwierigkeit; genötigt, zurückzuweichen, zerquetschten die Leute zu Pferde und die auf den Karren da und dort einigen die Füße, oder sie drückten rechts und links ein paar Rippen ein. Die Weiber schrien, die Männer fluchten, die fliehen konnten, flohen, einander über den Haufen werfend.

»Die Lothringer! die Lothringer!« rief eine Stimme mitten unter diesem Getümmel, und der furchtbarste Schrei, aus dem Wörterbuch der Angst entlehnt, hätte keine raschere und entschiedenere Wirkung hervorbringen können, als dieser Ruf.

»Nun! seht Ihr? seht Ihr?« rief Miton zitternd, »die Lothringer, die Lothringer, fliehen wir!« – »Fliehen, und wohin?«

»In dieses Gehege,« erwiderte Miton, der sich die Hände zerriß, indem er die Dornen der Hecke faßte, auf der der Unbekannte ganz bequem saß.

»In dieses Gehege,« rief Friard, »das ist leichter gesagt als getan. Ich sehe kein Loch, durch das man hinein gelangen könnte; und Ihr werdet doch wohl nicht über die Hecke setzen wollen, die höher ist, als ich.«

»Ich werde mich bemühen,« erwiderte Miton unter neuen Anstrengungen.

»Ah! nehmt Euch doch in acht, meine gute Frau,« rief Friard in dem schmerzlichen Tone eines Menschen, der den Kopf zu verlieren anfängt, »Euer Esel tritt mir auf die Fersen. Uff! Herr Reiter, paßt doch auf. Euer Pferd schlägt aus. Ho! ho! Kärrner, mein Freund, Ihr rennt mir die Gabel Eures Karrens in die Seite!«

Während sich Meister Miton an die Zweige des Hages anklammerte, um darüber zu kommen, und der Gevatter Friard vergebens ein Loch suchte, um durchzuschlüpfen, stand der Unbekannte auf, öffnete ganz einfach den Zirkel seiner langen Beine und stieg mit einer Bewegung, ähnlich der eines Reiters, der sich in den Sattel setzt, über die Hecke, ohne daß ein Zweig seine Hosen streifte.

Meister Miton ahmte ihm, die seinigen an drei Stellen zerreißend, nach, aber nicht so ging es beim Gevatter Friard, der weder darüber noch unten durchkommen konnte und, immer mehr bedroht, von der Menge erdrückt zu werden, ein herzzerreißendes Geschrei ausstieß. Da streckte der Unbekannte seinen langen Arm aus, packte ihn zugleich bei seiner Halskrause und beim Kragen seines Wamses, hob ihn auf und setzte ihn auf die andere Seite der Hecke mit einer Leichtigkeit, als ob er es mit einem Kinde zu tun gehabt hätte.

»Oh! oh! oh!« rief Meister Miton, ergötzt durch dieses Schauspiel und mit den Augen dem Aufsteigen und Sinken seines Freundes Friard folgend, »Ihr seht aus, wie das Wirtshausschild zum Großen Absalom.«

»Uff!« rief Friard, die Erde berührend, »mag ich aussehen, wie Ihr wollt, ich bin nun auf der andern Seite des Hages, und das habe ich dem Herrn zu verdanken. Ah! mein Herr,« fuhr er zu dem Unbekannten fort, dem er kaum an die Brust reichte, »wieviel Gnade, Ihr seid ein wahrer Herkules, bei meinem Ehrenwort, so wahr ich Jean Friard heiße; Euren Namen, mein Herr, den Namen meines Retters... meines Freundes?« – »Ich heiße Briquet, mein Herr, Robert Briquet, Euch zu dienen.«

»Ich erlaube mir, zu sagen, Ihr habt mir schon bedeutend gedient. Oh! meine Frau wird Euch segnen;... doch meine arme Frau, sie wird in diesem Gedränge erstickt werden. Ah! verfluchte Schweizer, die nur dazu taugen, die Leute zu erdrücken.«

Der Gevatter Friard hatte kaum diesen Ausruf beendigt, als er auf seine Schulter eine Hand so schwer wie die einer eisernen Bildsäule fallen fühlte, es war die eines Schweizers.

»Soll ich Euch niederschlagen, Freundchen?« sagte der kräftige Soldat. »Ah! wir sind eingeschlossen!« rief Friard.

»Rette sich, wer kann!« fügte Miton hinzu.

Und da sie die Hecke hinter sich und Raum vor sich hatten, so entflohen beide, verfolgt von dem stillen Gelächter und dem höhnischen Blicke des Mannes mit den langen Armen, der sich nun einer andern Gruppe näherte, die von einer beträchtlichen Anzahl außerhalb der Stadt durch dieses unerwartete Schließen der Tore überraschter Bürger gebildet wurde. Diese umgaben vier oder fünf Reiter von kriegerischer Haltung, denen das Schließen der Tore, wie es schien, sehr unbequem war, denn sie schrien mit voller Lunge: »Das Tor! das Tor!«

Robert Briquet schritt also auf diese Gruppe zu und rief noch lauter als einer von denen, die sie bildeten: »Das Tor! das Tor!«

Infolgedessen wandte sich einer von den Reitern, entzückt über diese Stimmgewalt, gegen ihn um, grüßte ihn und sagte: »Ist es nicht schändlich, daß man am hellen Tage ein Stadttor schließt, als ob die Engländer oder die Spanier Paris belagerten?«

Vor dem Tore Saint-Antoine.

Robert Briquet schaute den Redenden aufmerksam an. Es war ein Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, und er schien der Anführer der drei oder vier anderen Reiter zu sein, die ihn umgaben.

Da die Prüfung Robert Briquet Vertrauen einzuflößen schien, verbeugte er sich ebenfalls und erwiderte: »Oh! mein Herr, Ihr habt recht, zehnmal recht, zwanzigmal recht; aber dürfte ich Euch, ohne neugierig zu sein, fragen, welchem Beweggrunde Ihr diese Maßregel zuschreibt?«

»Bei Gott!« rief einer von den Umstehenden, »was für eine Furcht sie haben, man könnte ihnen ihren Salcède fressen.«

»Cap de Bious! ein trauriger Fraß!« sagte eine Stimme.

Robert Briquet wandte sich nach der Seite, von der diese Stimme kam, deren Akzent ihm einen Gaskogner andeutete, und er erblickte einen Mann von zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren; er war barhaupt; ohne Zweifel hatte er im Getümmel seinen Hut verloren.

Briquet schien ein Beobachter zu sein, doch in der Regel waren seine Beobachtungen kurz; er wandte auch sogleich seinen Blick wieder von dem Gaskogner zu dem Reiter zurück.

»Aber,« sagte er, »da man meldet, dieser Salcède gehöre Herrn von Guise, so ist es kein schlechtes Ragout.« »Bah!, man sagt das?« versetzte der neugierige Gaskogner, seine Ohren weit aufsperrend.

»Ja, allerdings, man sagt das,« antwortete der Reiter, die Achseln zuckend; »aber in unsern Zeitläuften sagt man viel Närrisches.«

»Ah!« bemerkte Briquet mit seinem forschenden Auge und seinem spöttischen Lächeln, »Ihr glaubt also, mein Herr, Salcède gehöre nicht Herrn von Guise?«

»Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin dessen sicher,« antwortete der Reiter und fügte, als Robert Briquet, sich ihm nähernd, mit einer Bewegung zu sagen schien: »Ah, bah! und worauf gründet Ihr diese Sicherheit?« hinzu: »Ganz gewiß, wenn Salcède dem Herzog gehört hätte, so würde ihn der Herzog nicht haben hängen oder wenigstens nicht, an Händen und Füßen gebunden, haben von Brüssel nach Paris führen lassen, ohne mindestens einen Entführungsversuch zu seinen Gunsten zu machen.«

»Einen Entführungsversuch!« versetzte Briquet, »das wäre sehr gewagt; denn er mag gelingen oder scheitern, sobald er von seiten des Herrn von Guise käme, würde dieser zugestehen, daß er gegen den Herzog von Anjou konspiriert habe.«

»Ich bin überzeugt, Herr von Guise wäre dadurch nicht zurückgehalten worden,« erwiderte trocken der Reiter; »und da er Salcède weder reklamiert noch verteidigt hat, so gehört ihm Salcède nicht an.«

»Entschuldigt meine Beharrlichkeit,« fuhr Briquet fort; »es scheint sicher, daß Salcède gesprochen hat.«

»Wo dies?« – »Vor den Richtern.«

»Nein, nicht vor den Richtern, mein Herr, auf der Folter.« – »Ist dies nicht dasselbe?« fragte Meister Robert Briquet mit einer möglichst naiven Miene.

»Nein, das ist entfernt nicht dasselbe; man behauptet, er habe gesprochen, das mag sein, aber man wiederholt nicht, was er gesagt hat.« – »Ihr werdet mich abermals entschuldigen,« entgegnete Robert Briquet; »man wiederholt es, und zwar sehr ausführlich.«

»Und was hat er gesagt? Laßt hören?« fragte ungeduldig der Reiter, »sprecht, da Ihr so gut unterrichtet seid. Wie lauten seine Worte?« – »Ich kann nicht dafür stehen, daß es seine eigenen Worte sind, man behauptet aber, er habe zugestanden, daß er für Herrn von Guise konspirierte.«

»Gegen den König von Frankreich, ohne Zweifel. Immer dasselbe Lied!« – »Nicht gegen Seine Majestät den König von Frankreich, sondern gegen Seine Hoheit Monseigneur den Herzog von Anjou.«

»Wenn er das zugestanden hat...« – »Nun!«

»Nun! so ist er ein Elender,« sagte der Reiter, die Stirne faltend. – »Ja,« sagte leise Robert Briquet; »doch hat er getan, was er zugestanden, so ist er ein braver Mann. Ah! mein Herr, der spanische Bock, die Daumenschraube und die Wippe haben ehrliche Leute viel sagen lassen.«

»Ach! Ihr sprecht da eine große Wahrheit aus,« versetzte der Reiter, einen Seufzer ausstoßend.

»Bah!« unterbrach ihn der Gaskogner, der beständig den Kopf in der Richtung jedes Redenden ausstreckte und alles gehört hatte, »bah! spanischer Bock, Daumenschraube und Wippe, schöne Erbärmlichkeiten das! Hat Salcède gesprochen, so ist er ein Schuft und sein Patron ebenfalls.«

»Oh! oh!« machte der Reiter, ungeduldig auffahrend, »Ihr singt sehr laut, Herr Gaskogner!«

»Cap de Bious, ich singe aus der Tonart, die mir beliebt; desto schlimmer für die, denen mein Gesang nicht gefällt.«

Der Reiter machte eine Bewegung des Zornes.

»Ruhe!« sagte eine zugleich sanfte und gebieterische Stimme, deren Eigentümer Robert Briquet vergebens zu erkennen suchte.

Der Reiter schien gegen sich selbst zu kämpfen; doch er besaß nicht die Kraft, ganz an sich zu halten.

»Kennt Ihr die, von denen Ihr sprecht?« fragte er den Gaskogner. – »Ob ich Salcède kenne?« – »Ja.« – »Nicht im geringsten.« – »Und den Herzog von Guise?« – »Ebensowenig.« – »Und den Herzog von Anjou?« – »Noch weniger.« – »Wißt Ihr, daß Herr von Salcède ein Tapferer ist?« – »Desto besser, dann wird er tapfer sterben.« – »Und daß Herr von Guise, wenn er konspirieren will, selbst konspiriert?« – »Cap de Bious, was geht das mich an?« – »Und daß der Herzog von Anjou, früher Herr von Alençon, jeden hat töten lassen, der sich für ihn interessierte, La Mole, Coconnas, Bussy und andere?«

»Ich kümmere mich den Teufel darum.« – »Wie, Ihr kümmert Euch den Teufel darum?« – »Mayneville! Mayneville!« murmelte dieselbe Stimme. – »Allerdings kümmere ich mich nicht darum. Gottes Blut! ich weiß nur eins; ich habe heute, noch diesen Morgen, in Paris zu tun, und wegen des wütenden Salcède schließt man mir die Tore vor der Nase zu. Cap de Bious! dieser Salcède ist ein Lumpenkerl, und ebenso alle, die daran schuld sind, daß ich die Tore geschlossen, statt geöffnet finde.« – »Oh! das ist ein rauhborstiger Gaskogner, und wir werden ohne Zweifel etwas Interessantes sehen,« murmelte Briquet.

Doch das Interessante, das der Bürger erwartete, kam nicht. Der Reiter, dem bei dieser letzten Rede das Blut ins Gesicht gestiegen war, senkte die Nase, schwieg und verschluckte seinen Zorn.

»Ihr habt im ganzen recht,« sagte er nach einer Pause, »ein Gewitter über alle, die uns verhindern, nach Paris hineinzukommen.«

»Oh! oh!« sagte Robert Briquet, »ah! ah! es scheint, ich werde etwas sehen, das noch interessanter sein dürfte, als was ich erwartet hatte.«

Eine Trompete erklang, und zugleich trennten die Schweizer die ganze Menge mit ihren Hellebarden, als ob sie eine Lerchenpastete durchschnitten, in zwei zusammenhängende Stücke, so daß die Mitte freiblieb.

In dieser Mitte ritt der Offizier, von dem wir gesprochen, und dessen Bewachung das Tor anvertraut zu sein schien, auf und ab; nach einem Augenblicke prüfender Umschau, die einer Ausforderung glich, befahl er seinen Trompetern zu blasen, worauf nach so viel Aufregung und Getöse ein unheimliches Schweigen eintrat.

Der Ausrufer mit seiner lilienbestickten Tunika, auf der Brust ein Schild mit dem Wappen von Paris, trat sodann, ein Papier in der Hand, vor und las mit näselnder Stimme: »Kund und zu wissen unserem guten Volke von Paris und Umgegend, daß die Tore von jetzt bis ein Uhr nachmittags geschlossen sind, und daß niemand vor dieser Stunde in die Stadt kommen wird, nach dem Willen des Königs und durch die Wachsamkeit des Herrn Stadtvogts von Paris.«

Der Ausrufer hielt inne, um wieder Atem zu schöpfen. Sogleich benutzten die Anwesenden die Pause, um ihr Erstaunen und ihre Unzufriedenheit durch lautes Zischen zu äußern.

Der Offizier machte ein gebieterisches Zeichen mit der Hand, und bald war die Stille wiederhergestellt, worauf der Ausrufer, den sein Gleichmut keinen Augenblick verlassen hatte, fortfuhr: »Von dieser Maßregel sollen ausgenommen sein diejenigen, so sich durch Erkennungszeichen ausweisen oder gehörig mit Mandaten versehen sind. Gegeben im Hotel der Stadtvogtei, Paris, auf ausdrücklichen Befehl Seiner Majestät, am 26. Oktober des Jahres der Gnade 1585. Trompeter, blaset.«

Sogleich ließen die Trompeter ihr heiseres Geschmetter vernehmen. – Dann aber fing die Menge hinter der Linie der Schweizer und der Soldaten an zu wogen wie eine Schlange, deren Ringe anschwellen und sich krümmen.

»Was bedeutet das?« fragten sich die Friedlichsten. »Ohne Zweifel abermals ein Komplott.«

»Oh! oh! ohne Zweifel, um es zu verhindern, daß wir in die Stadt hinein kommen, hat man die Sache so eingerichtet,« sagte leise zu seinen Gefährten der Reiter, der mit so seltener Geduld die Ungezogenheiten des Gaskogners ertragen hatte, »diese Schweizer, dieser Ausrufer, diese Riegel, diese Trompeten, das ist alles unsertwegen; bei meiner Seele, ich bin stolz darauf!«

»Platz! Platz! Ihr Leute,« rief der Offizier. »Tausend Teufel! Ihr seht wohl, daß ihr die, die das Recht haben, sich die Tore öffnen zu lassen, weiterzugehen verhindert.«

»Cap de Bious, ich bin einer, der durchkommen wird, wenn alle Bürger der Erde zwischen ihm und dem Schlagbaum wären,« sagte, mit den Ellenbogen spielend, der grobe Gaskogner. Und er war in der Tat in einem Augenblick in dem leeren Raum, der sich mit Hilfe der Schweizer zwischen den Reihen der Zuschauer gebildet hatte.

Man kann sich denken, wie sich die Augen voll Eifer und Neugierde auf einen Mann richteten, der so sehr begünstigt war, daß er eintreten durfte, während die anderen nach einem strengen Befehle außen bleiben mußten.

Doch der Gaskogner kümmerte sich wenig um die neidischen Blicke; er dehnte sich stolz aus und ließ durch sein dünnes grünes Wams alle Muskeln seines Körpers hervortreten, die ebensoviel durch eine innere Kurbel angespannte Stricke zu sein schienen. Dürr und knochig standen seine Faustgelenke um drei Zoll aus seinen abgeschabten Ärmeln hervor; er hatte einen klaren Blick und gelbe, krause Haare, zu deren Farbe übrigens auch der Staub sein Teil beigetragen haben mochte. Groß und geschmeidig schlossen sich seine Füße an Knöchel, so sehnig, wie die eines Hirsches. An einer Hand trug er einen Handschuh von gesticktem Leder, der ganz erstaunt schien, daß er ein Leder, das noch rauher war als das seinige, schützen sollte; mit der andern Hand schwang er ein Haselstöckchen.

Er sah einen Augenblick umher, dachte dann wohl, der Offizier, von dem wir gesprochen, sei die wichtigste Person dieser Truppe, und ging gerade auf ihn zu. Dieser schaute ihn eine Zeitlang an, ohne mit ihm zu sprechen. Ohne sich im geringsten aus der Fassung bringen zu lassen, tat der Gaskogner dasselbe.

»Ihr habt Euren Hut verloren, wie es scheint?« sagte der Offizier. – »Ja, mein Herr.«

»Geschah es im Gedränge?« – »Nein, ich hatte einen Brief von meiner Geliebten erhalten. Cap de Bious, ich las ihn am Flusse, eine Viertelmeile von hier, als mir plötzlich ein Windstoß den Brief und den Hut entriß. Ich lief dem Brief nach, obgleich der Knopf meines Hutes ein einziger Diamant war. Meinen Brief erwischte ich; als ich aber zum Hut zurückkehrte, hatte ihn der Wind in den Fluß gerissen. ... Er wird das Glück von irgendeinem armen Teufel machen. Desto besser!«

»Somit seid Ihr barhaupt?« – »Findet man keine Hüte in Paris, Cap de Bious! Ich werde einen herrlicheren kaufen und einen Diamanten, zweimal so groß, als der erste war, daran setzen.«

Der Offizier zuckte unmerklich die Achseln und fragte: »Ihr habt eine Karte?« – »Gewiß habe ich eine und eher zwei als eine.«

»Eine einzige wird genügen, wenn sie in Ordnung ist.«

– »Aber täusche ich mich nicht?« fuhr der Gaskogner, die Augen weit aufsperrend, fort; »nein, Cap de Bious, ich täusche mich nicht; ich habe das Vergnügen, mit Herrn von Loignac zu sprechen?«

»Es ist möglich, mein Herr,« antwortete trocken der Offizier, sichtbar wenig erfreut über diese Wiedererkennung.

– »Mit Herrn von Loignac, meinem Landsmann?«

»Ich sage nicht nein.« – »Meinem Vetter?«

»Es ist gut. Eure Karte?« – »Hier ist sie...«

Der Gaskogner zog aus seinem Handschuh eine kunstvoll abgeschnittene Karte.

»Folgt mir,« sagte Loignac, ohne die Karte anzuschauen, »Ihr und Eure Gefährten, wenn Ihr welche habt, wir wollen die Einlaßscheine untersuchen.«

Er nahm seinen Posten beim Tor ein, und der barhäuptige Gaskogner und fünf andere Männer folgten ihm.

Der erste war mit einem herrlichen Panzer von so wunderbarer Arbeit bedeckt, daß man hätte glauben sollen, er komme aus den Händen Benvenuto Cellinis. Da indessen das Muster etwas aus der Mode gekommen war, so erregte dieses Prachtstück eher Gelächter als Bewunderung. Allerdings entsprach auch kein anderer Teil des Mannes der beinahe königlichen Herrlichkeit des Prospekts.

Der zweite, dem ein dicker Lakai mit gräulichen Haaren folgte, schien, mager und gebräunt wie er war, der Vorläufer von Don Quixote zu sein, wie sein Diener für den Vorläufer von Sancho gelten konnte. Der dritte erschien mit einem Kinde auf seinen Armen; ihm folgte eine Frau, die sich an seinen ledernen Gürtel anklammerte, während zwei Kinder, das eine von vier, das andere von fünf Jahren, sich an dem Rock der Frau festhielten. Der vierte erschien hinkend, als wenn er an einem langen Degen befestigt wäre. Um den Zug zu beschließen, rückte ein junger Mann von schönem Aussehen auf einem Rappen heran, der zwar mit Staub bedeckt, aber von edler Rasse war.

Dieser letzte trug die Miene eines Königs. Genötigt, ziemlich sacht zu reiten, um nicht seinen Gefährten voranzukommen, blieb dieser junge Mann einen Augenblick an den Grenzen der vom Volke gebildeten Hecke.

In diesem Augenblicke fühlte er, daß man ihn an der Scheide seines Degens zog, und neigte sich rückwärts. Der ihn so berührte, war ein junger Mensch mit schwarzen Haaren, funkelndem Auge, klein, schmächtig, anmutig und sorgfältig behandschuht.

»Was steht zu Diensten, mein Herr?« fragte unser Reiter. – »Mein Herr, eine Bitte.«

»Sprecht, aber geschwind, ich bitte Euch, man wartet auf mich.« – »Ich muß notwendig in die Stadt hinein, mein Herr, es ist eine gebieterische Notwendigkeit für mich, versteht Ihr? Ihr seid allein und braucht einen Pagen, der Eurem guten Aussehen Ehre macht.«

»Nun?« – »Nun! gebt und es wird gegeben; nehmt mich mit hinein, und ich werde Euer Page sein.« –

»Ich danke, aber ich will von niemand bedient sein.«

– »Nicht einmal' von mir?« fragte der junge Mann mit einem so seltsamen Lächeln, daß der Reiter fühlte, wie die eisige Hülle schmolz, mit der er sein Herz zu umschließen versucht hatte.

»Ich wollte sagen, ich kann keinen Diener brauchen.«

– »Ja, ich weiß. Ihr seid nicht reich, Herr Ernauton von Carmainges.«

Der Reiter bebte, aber unbeirrt fuhr der Jüngling fort: »Auch ist keine Rede von Gehalt, Ihr sollt im Gegenteil hundertfach für die Dienste, die Ihr mir leistet, belohnt werden; ich bitte also, laßt mich Euch bedienen und bedenkt, daß der jetzt bittet, oft befohlen hat.« »Kommt,« sagte der Reiter, der dem Ton und der ihm eigenen Autorität nicht länger widerstehen konnte.

Der Jüngling reichte ihm die Hand, was sehr vertraulich für einen Pagen war; dann wandte er sich zu der uns schon bekannten Gruppe um und sagte:

»Ich komme hinein, das ist das Wichtigste; Ihr, Mayneville, sucht irgendwie dasselbe zu tun.«

»Damit ist noch nicht alles geschehen, daß Ihr hineinkommt,« erwiderte der Edelmann; »er muß Euch sehen.«

»Oh! seid unbesorgt, sobald ich dieses Tor im Rücken habe, wird er mich sehen.« – »Vergeßt nicht das verabredete Zeichen.«

»Zwei Finger auf den Mund, nicht wahr?« – »Ja; Gott helfe Euch!«

»Nun!« rief der Herr des Rappens, » Herr Page, entschließen wir uns?« – »Hier bin ich, Herr,« antwortete der junge Mann, und er sprang leicht auf das Kreuz hinter seinen Gefährten, der den fünf anderen Auserwählten nachfolgte, die eben damit beschäftigt waren, sich auszuweisen.

»Alle Wetter!« sagte Robert Briquet, der ihnen nachschaute, »das ist eine ganze Ladung von Gastognern, oder der Teufel soll mich holen!«

Revüe.

Die Kontrolle am Tore bestand darin, daß man die Hälfte einer Karte aus der Tasche ziehen und sie dem Offizier überreichen mußte, der sie mit einer andern Hälfte verglich, um zu sehen, ob die beiden Hälften ein Ganzes bildeten.

Der barhaupte Gaskogner näherte sich zuerst.

»Euer Name?« – »Mein Name?, Herr Offizier, er steht auf der Karte geschrieben, auf der Ihr noch etwas anderes sehen werdet.« »Gleichviel! Euer Name? Wißt Ihr Euren Namen nicht?« – »Doch wohl, ich weiß ihn, Cap de Bious! Und wenn ich ihn auch vergessen hätte, so könntet Ihr mir ihn sagen, da wir Landsleute und Vettern sind.«

»Euer Name? Tausend Teufel! Glaubt Ihr, ich habe hier Zeit mit Wiedererkennungen zu verlieren?« – »Schon gut. Ich heiße Perducas von Pincorney.«

»Perducas von Pincorney,« versetzte Herr von Loignac und las von der Karte ab: »Perducas von Pincorney, am 26. Oktober 1585, Schlag zwölf Uhr.«

»Porte Saint-Antoine,« fügte der Gaskogner bei, indem er seinen schwarzen, dürren Finger auf die Karte ausstreckte.

»Sehr gut! in Ordnung; tretet ein,« sagte Herr von Loignac, um jedes weitere Gespräch zwischen ihm und seinem Landsmanne kurz abzuschneiden. »Nun ist die Reihe an Euch!« sagte er zu dem Mann mit dem Panzer. »Eure Karte?«

»Wie, Herr von Loignac,« rief dieser, »erkennt Ihr nicht den Sohn Eures Jugendfreundes, den Ihr zwanzigmal auf Euren Knien geschaukelt habt?« – »Nein,«

»Pertinax von Montcrabeau, Ihr erkennt ihn nicht?« – »Wenn ich im Dienste bin, erkenne ich niemand, mein Herr. Eure Karte?«

Der junge Mann mit dem Panzer reichte seine Karte.

»Pertinax von Montcrabeau, am 26. Oktober, Schlag zwölf Uhr, Porte Saint-Antoine. Geht zu.«

Der dritte Gaskogner näherte sich; es war der mit der Frau und den Kindern.

»Eure Karte?«

Seine gehorsame Hand tauchte sogleich in eine kleine Weidtasche von Ziegenfell, die an seiner rechten Seite hing. Aber es war vergeblich. Belästigt durch das Kind, das er auf dem Arme trug, konnte er das Papier nicht finden.

»Was zum Teufel macht Ihr mit dem Kinde, Ihr seht wohl, daß es Euch hindert?« – »Es ist mein Sohn Scipio, Herr von Loignac.« »Nun! so setzt Euren Sohn auf die Erde.«

Der Gaskogner gehorchte, das Kind fing an zu heulen.

»Ah! Ihr seid also verheiratet?« – »Ja, Herr Offizier.«

»Mit zwanzig Jahren?« – »Man heiratet jung bei uns, Ihr wißt es wohl, Herr von Loignac, da Ihr mit achtzehn geheiratet habt.«

»Gut,« sagte Loignac, »das ist abermals einer, der mich kennt.«

Die Frau hatte sich mittlerweile genähert, und die an ihrem Rocke hängenden Kinder waren ihr gefolgt.

»Und warum sollte er nicht verheiratet sein?« fragte sie, indem sie sich aufrichtete und von ihrer sonngebräunten Stirn ihre schwarzen Haare strich, die der Staub des Weges wie einen Teig daran kleben ließ; »ist es in Paris aus der Mode gekommen zu heiraten? Ja, er ist verheiratet, und hier sind noch zwei Kinder, die ihn Vater nennen.«

»Ja, aber es sind nur die Söhne meiner Frau, Herr von Loignac, wie auch dieser große Junge, der hinten steht; tritt vor, Militor, und grüße Herrn von Loignac, unsern Landsmann.«

Ein junger Mensch von sechzehn bis siebzehn Jahren, kräftig, lebhaft und durch sein rundes Auge sowie durch seine Nase einem Falken ähnlich, näherte sich, die Hände in seinem Gürtel von Büffelleder; er war in eine gute Kasake von gestrickter Wolle gekleidet, trug auf seinen muskeligen Beinen eine Hose von Gemsleder, und ein sprossender Schnurrbart beschattete seine zugleich freche und sinnliche Lippe.

»Es ist Militor, mein Stiefsohn, Herr von Loignac, der älteste Sohn meiner Frau, die eine Chavantrade, eine Verwandte der Loignac Militor von Chavantrade, ist, Euch zu dienen. Verbeuge dich, Militor.«

Militor verbeugte sich leicht und ohne seine Hände aus dem Gürtel zu ziehen. »Um Gottes willen, mein Herr, Eure Karte,« rief Loignac ungeduldig.

»Kommt und helft mir, Lardille,« sagte der Gaskogner errötend zu seiner Frau.

Lardille machte nacheinander die an ihrem Rocke angeklammerten Hände los und suchte selbst in dem Weidsack und in den Taschen ihres Mannes.

»Wir müssen sie verloren haben,« sagte sie.

»Dann lasse ich Euch verhaften,« versetzte Loignac.

Der Gaskogner wurde bleich und erwiderte: »Ich heiße Eustache von Miradoux und werde mich durch Herrn von Sainte-Maline, meinen Vetter, empfehlen.«

»Ah! Ihr seid ein Verwandter von Sainte-Maline,« sagte Loignac, ein wenig besänftigt... »Freilich, wenn man sie hört, sind sie mit allen verwandt; so sucht noch einmal und sucht mit Erfolg!«

»Lardille, seht in den Kleidern Eurer Kinder nach,« sprach Eustache, zitternd vor Ärger und Unruhe.

Lardille kniete vor ein kleines Päckchen bescheidener Effekten nieder und drehte es murrend um.

Der junge Scipio fuhr fort, sich heiser zu schreien, zumal seine Stiefbrüder die gute Gelegenheit benutzten, ihm Sand in den Mund zu stopfen.

Militor regte sich nicht; es war, als gingen die Erbärmlichkeiten des Familienlebens unter oder über diesen großen Burschen hin, ohne ihn zu berühren.

»Ei!« rief plötzlich Herr von Loignac, »was sehe ich dort auf dem Ärmel dieses Schöpses?«

»Ja, ja, das ist es,« rief Eustache triumphierend; »das ist ein Gedanke von Lardille; sie hat die Karte Militor angenäht.«

»Damit er doch etwas trage,« sagte Loignac spöttisch. »Oh über das große Kalb, das nicht einmal mit den Armen schlenkert, aus Furcht, ihr Gewicht zu fühlen.«

Militors Lippen erbleichten vor Zorn, während sein Gesicht auf der Nase, auf dem Kinn und auf der Stirn marmorartig rot wurde.

»Ein Kalb hat keine Arme,« brummte er mit boshaften Augen, »es hat Klauen wie gewisse Leute von meiner Bekanntschaft.«

»Friede!« sagte Eustache, »du siehst wohl, Militor, daß Herr von Loignac uns die Ehre erweist, mit uns zu scherzen.«

»Nein, bei Gott! ich scherze nicht,« erwiderte Loignac, »dieser große Bursche soll im Gegenteil meine Worte so nehmen, wie ich sie sage. Wenn er mein Stiefsohn wäre, ließe ich ihn Mutter, Bruder, Gepäck tragen und würde selbst noch darauf steigen und ihm die Ohren verlängern, um ihm zu beweisen, daß er nur ein Esel ist.«

Der Spannung, die diesen Worten folgte, bereitete Lardille dadurch ein Ende, daß sie dem Offizier die Karte überreichte. Herr von Loignac nahm sie und las: »Eustache von Miradoux, am 26. Oktober, Schlag zwölf Uhr, Porte Saint-Antoine.«

»Geht,« sagte er, »und seht, daß Ihr keine von Euern Meerkatzen, schön oder häßlich, verliert.«

Eustache von Miradoux nahm den jungen Scipio wieder auf seine Arme; Lardille hing sich abermals an seinen Gürtel; die zwei Kinder klammerten sich wieder am Rock ihrer Mutter an; und diese Familientraube schloß sich, mit dem schweigsamen Militor, denen an, die nach überstandener Prüfung warteten.

»Die Pest!« murmelte Loignac zwischen den Zähnen, während er Eustache von Miradoux und den Seinigen mit den Augen folgte, »welchen Auswurf von Soldaten wird Herr von Epernon da haben.«

Dann wandte er sich um und rief dem vierten zu: »Nun kommt Ihr dran!«

Dieser und der fünfte, ebenfalls charakteristische Gaskognergestalten, nach ihren Ausweiskarten, die Herren Chalabre und Saint-Capautel, passierten, ohne Schwierigkeit. Es blieb noch der sechste, der zufolge der Aufforderung des improvisierten Pagen vom Pferde gestiegen war und Herrn von Loignac eine Karte überreichte, auf der Ernauton von Carmainges stand.

Während Herr von Loignac die Karte prüfte, war der Page, der ebenfalls abgestiegen, bemüht, seinen Kopf zu verbergen, indem er die Kinnkette am Pferde seines Herrn noch fester anzog.

»Der Page gehört Euch?« fragte Loignac, mit dem Finger auf den jungen Menschen deutend.

»Ihr seht, Herr Kapitän,« erwiderte Ernauton, der weder lügen noch verraten wollte, »daß er mein Pferd zäumt.«

»Geht zu,« sagte Herr von Loignac, der mit großer Aufmerksamkeit Herrn von Carmainges betrachtete, dessen Gesicht und Haltung ihm mehr zu gefallen schien, als die aller anderen.

»Das ist doch wenigstens ein Erträglicher,« murmelte er.

Ernauton stieg wieder zu Pferde, der Page war ihm, gleichsam absichtslos, aber nicht langsam, vorangegangen und hatte sich schon mit der Gruppe der übrigen vermischt.

»Öffnet das Tor,« rief Loignac, »und laßt diese sechs Personen und die Leute ihres Gefolges hinein.«

»Vorwärts, rasch,« sagte der Page, »in den Sattel und marsch!«

Ernauton wich abermals der Gewalt, die dieses seltsame Geschöpf über ihn ausübte, und da das Tor offen war, so gab er seinem Pferd den Sporn und drang, von dem Pagen geleitet, bis in das Herz des Faubourg Saint-Antoine.

Loignac ließ hinter den sechs Auserwählten das Tor wieder schließen zur großen Unzufriedenheit der Menge, die nach Erfüllung der Förmlichkeit ebenfalls passieren zu dürfen glaubte und nun geräuschvoll ihre Mißbilligung äußerte. Meister Miton, der nach einem atemlosen Laufe querfeldein allmählich wieder Mut gefaßt hatte und dann, vorsichtig, schrittweise zurücklaufend, am Ende wieder auf seinen Platz zurückgekommen war, wagte es, einige Klagen über die Willkür der Soldateska laut werden zu lassen.

Gevatter Friard, dem es gelungen war, seine Frau wiederzufinden, und der, von ihr beschützt, nichts mehr zu befürchten schien, erzählte seiner erhabenen Ehehälfte die Neuigkeiten des Tages, bereichert und geschmückt mit Kommentaren seiner Art.

Die Reiter endlich, von denen einer von dem kleinen Pagen Mayneville genannt worden war, beratschlagten, ob sie nicht die Ringmauer umgehen sollten in der Hoffnung, irgendeine Bresche zu finden und durch diese Bresche in die Stadt hineinzukommen, ohne daß sie nötig hätten, sich länger an diesem oder einem andern Tore zu zeigen.

Robert Briquet, der sah, daß er aus den Gesprächen der Reiter, der Bürger und der Bauern nichts mehr erfahren könnte, näherte sich immer mehr einer kleinen Baracke, die dem Torwart als Loge diente und durch zwei Fenster erhellt wurde, von denen eins gegen Paris, das andere gegen das Feld ging.

Kaum hatte er sich auf seinem neuen Posten festgestellt, als ein Mann, der im schnellsten Galopp herbeieilte, von seinem Pferde sprang, in die Loge trat und am Fenster erschien.

»Hier bin ich, Herr von Loignac,« sagte er.

»Gut, woher kommt Ihr?« – »Von der Porte Saint-Victor.«

»Euer Verzeichnis?« – »Fünf.«

»Die Karten?« – »Hier sind sie.«

Loignac nahm die Karten, untersuchte sie und schrieb auf eine Schiefertafel die Ziffer 5.

Ebenso erschienen in rascher Folge noch 7 weitere Boten, und am Ende sah Loignacs Tafel folgendermaßen aus:

Porte Saint-Victor

5

Porte Bourdelle

4

Porte du Temple

6

Porte Saint-Denis

5

Porte Saint-Jacques

3

Porte Saint-Honoré

8

Porte Montmartre

4

Porte Bussy

4

Porte Saint-Antoine

6




45

Gesamtsumme fünfundvierzig.

»Nun öffnet die Tore, und es trete ein, wer will,« rief Loignac mit starker Stimme.

Die Tore öffneten sich, und mit Getümmel und Lärm drängte alles vorwärts.

Robert Briquet ließ die Flut verrauschen, dann ging er phlegmatisch durch das Tor und sagte: »Alle diese Leute wollten etwas sehen und haben nichts gesehen, nicht einmal in ihren Angelegenheiten; ich wollte nichts sehen und bin der einzige, der etwas gesehen hat. Das ist aufmunternd; fahren wir fort; doch wozu fortfahren? Ich weiß bei Gott genug. Wird es für mich von Nutzen sein, Herrn von Salcède in vier Stücke zerreißen zu sehen? Wahrlich! nein. Überdies habe ich auf die Politik Verzicht geleistet. Gehen wir zum Mittagessen; die Sonne würde Mittag bezeichnen, wenn es eine Sonne gäbe; es ist Zeit.«

Er sprach es und kehrte nach Paris zurück mit seinem ruhigen, boshaften Lächeln.

Die Loge des Königs Heinrich III. auf der Grève.

Warf man einen Blick auf den Grèveplatz, so durfte man wohl sagen, daß Meister Friard rocht hatte, wenn er die Zahl der Zuschauer, die sich dort zu dem grausigen Schauspiel einfinden würden, auf hunderttausend berechnete. Ganz Paris hatte sich dort eingestellt. Paris versäumt kein Fest, und Salcèdes Tod war damals ein außerordentliches Fest.

Der Zuschauer, dem es gelang, auf den Platz zu kommen, erblickte zuerst die Bogenschützen des Leutnants vom Stadtgericht Tanchon, und eine große Anzahl von Schweizern und Chevaulegers. Sie umgaben ein kleines, ungefähr vier Fuß hohes Schafott und erwarteten den Missetäter, dessen sich die Mönche seit dem Morgen bemächtigt hatten, und dem nach den Straftaten die Pferde entgegenharrten, um ihn die große Reise machen zu lassen.

Unter dem Wetterdache eines nahen Hauses stampften wirklich vier kräftige Pferde mit prallen Kreuzen, weißen Mähnen, langhaarigen Füßen ungeduldig das Pflaster und bissen einander wiehernd zum großen Schrecken der Frauen, die diesen Platz freiwillig gewählt hatten oder gewaltsam dahin gedrängt wurden.

Nächst den wiehernden Pferden und dem leeren Schafott zog die Blicke der Menge am meisten das mit rotem Samt und Gold ausgeschlagene Hauptfenster des Stadthauses an, über dessen Balkon ein mit dem königlichen Wappenschild verzierter Teppich von Samt herabhing, es war die Loge des Königs.

Es schlug halb ein Uhr, als dieses Fenster, wie der Rahmen eines Gemäldes, sich mit Personen füllte. Zuerst kam Heinrich III., bleich, beinahe kahl, obgleich er zu dieser Zeit erst vierunddreißig Jahre alt war, während das Auge in seine schwarzblaue Höhle eingesunken war, und der Mund von Nervenzuckungen zitterte.

Er erschien düster, mit starrem Blick, zugleich majestätisch und wankend, seltsam in seiner Haltung, seltsam in seinem Gang, mehr ein Schatten als ein Lebender, mehr ein Gespenst als ein König, ein für seine Untertanen stets unbegreifliches und von ihnen nicht begriffenes Geheimnis, denn wenn sie ihn erscheinen sahen, wußten sie nicht, ob sie: »Es lebe der König!« rufen oder für seine Seele beten sollten. Heinrich war in ein schwarzes Wams mit schwarzen Borten gekleidet; er hatte weder Orden noch Edelsteine; ein einziger Diamant, der als Agraffe für drei kurze, krause Federn diente, glänzte an seinem Toquet. Er trug in seiner linken Hand ein schwarzes Hündchen, das ihm seine Schwägerin, Maria Stuart, aus ihrem Gefängnis geschickt hatte, und auf dessen seidenem Fell seine feinen, weißen Finger wie alabastern glänzten.

Hinter ihm kam Katharina von Medici, schon vom Alter gekrümmt, denn die Königinmutter war damals sechsundsechzig Jahre alt; doch den Kopf trug sie noch fest und gerade; unter ihrer gewohnheitsmäßig zusammengezogenen Stirn schleuderte sie einen scharfen Blick, aber trotz dieses Blickes war ihre Erscheinung unter ihren ewigen Trauerkleidern matt und kalt wie ein Wachsbild.

Zugleich zeigte sich das schwermütige und sanfte Antlitz der Königin Luise von Lothringen, der scheinbar bedeutungslosen, in Wirklichkeit aber getreuen Gefährtin seines geräuschvollen und unglücklichen Lebens.

Katharina von Medici ging einem Triumph entgegen, die Königin wohnte einer Hinrichtung bei, König Heinrich behandelte eine Angelegenheit, wie man dies auf der hochmütigen Stirn der ersten, der ergebenen der zweiten und auf der bewölkten und gelangweilten des dritten lesen konnte.

Dahinter kamen zwei hübsche junge Leute: der eine von kaum zwanzig, der andere von höchstens fünfundzwanzig Jahren.

Sie hielten sich am Arm, trotz der Etikette, die verbietet, daß die Menschen vor den Königen aneinander zu hängen scheinen.

Sie lächelten, der jüngere mit unaussprechlicher Traurigkeit, der ältere mit bezaubernder Anmut; sie waren schön und waren Brüder.

Der jüngere hieß Henri von Joyeuse, Graf du Bouchage, der andere Herzog Anne von Joyeuse. Noch vor kurzem war er bei Hofe nur unter dem Namen d'Arques bekannt; aber der König liebte ihn über alles und hatte ihn ein Jahr zuvor, die Vicomté Joyeuse zu einem Herzogtum und zur Pairie erhebend, zum Pair gemacht.

Das Volk hegte gegen diesen Günstling keinen Haß, wie einst gegen Maugiron, Quelus, Schomberg, einen Haß, den Epernon allein geerbt. Es empfing also den Fürsten und die beiden Brüder mit bescheidenem, aber schmeichelhaftem Zurufe.

Heinrich grüßte das Volk ernst und ohne zu lächeln, dann küßte er seinen Hund auf den Kopf, wandte sich gegen die jungen Leute um und sagte zu dem ältern: »Lehnt Euch an die Tapete an, Anne; ermüdet Euch nicht dadurch, daß Ihr stehenbleibt; es wird vielleicht lange dauern.«

»Ich hoffe es,« unterbrach ihn Katharina, »lange und gut, Sire.«

»Ihr glaubt also, Salcède werde sprechen, meine Mutter?«

»Gott wird hoffentlich unseren Feinden diese Verwirrung geben. Ich sage unseren Feinden, denn es sind auch Eure Feinde, meine Tochter,« fügte sie hinzu, indem sie sich an die Königin wandte, die erbleichte und ihr sanftes Auge senkte.

Der König schüttelte den Kopf mit einer Gebärde des Zweifels Dann wandte er sich wieder zu Joyeuse um und sagte, als er sah, daß dieser trotz seiner Aufforderung immer noch stand: »Nun, Anne, tut, was ich gesagt habe, lehnt Euch mit dem Rücken an die Wand oder stützt Euch mit den Ellenbogen auf meinen Stuhl.«

»Eure Majestät ist in der Tat zu gut, und ich werde nur von der Erlaubnis Gebrauch machen, wenn ich wirklich müde bin.«

»Mein Sohn, sehe ich nicht ein Getümmel dort an der Ecke des Kais?« fragte Katharina.

»Welch ein scharfes Gesicht, »meine Mutter! In der Tat, ich glaube, Ihr habt recht. Oh! wie schlimm sind meine Augen, und ich bin doch nicht alt.« »Sire,« sagte Joyeuse, »dieser Tumult rührt vom Zurückdrängen des Volkes durch die Kompagnie der Bogenschützen her. Sicherlich kommt der Verurteilte.«

»Wie schmeichelhaft ist es für Könige, einen Menschen vierteilen zu sehen, der in seinen Adern einen Tropfen königlichen Blutes hat,« sagte Catharina und ließ bei diesen Worten ihren Blick auf Luise ruhen.

»Oh! Madame, verzeiht, schont mich,« versetzte die junge Königin mit einer Verzweiflung, die sie vergebens zu verbergen suchte, »nein, dieses Ungeheuer gehört nicht zu meiner Familie, und Ihr wolltet dies nicht sagen.«

»Gewiß nicht,« sagte der König, »ich bin überzeugt, daß meine Mutter dies nicht sagen wollte.«

»Ei!« erwiderte Katharina mit Bitterkeit, »er hält zu den Lothringern, und die Lothringer sind die Eurigen, Madame; ich denke wenigstens. Dieser Salcède geht Euch also an und zwar ziemlich nahe.«

»Das heißt,« unterbrach sie Joyeuse mit einer ehrenhaften Entrüstung, die der hervorstechende Zug seines Charakters war, »er geht vielleicht Herrn von Guise an, aber keineswegs die Königin von Frankreich.«

»Ah! Ihr seid da, Herr von Joyeuse,« sagte Catharina mit unbeschreiblichem Hochmut. »Ah! Ich hatte Euch nicht gesehen.«

»Ich bin da, nicht nur mit Bewilligung, sondern auf Befehl des Königs, Madame,« antwortete Joyeuse, Heinrich mit dem Blick befragend. »Es ist nicht so ergötzlich, einen Menschen vierteilen zu sehen, daß ich zu einem solchen Schauspiel kommen sollte, wenn ich nicht dazu genötigt wäre.«

»Joyeuse hat recht, Madame,« sagte Heinrich; »es handelt sich hier nicht um Lothringer, nicht um Guise und besonders nicht um die Königin; es handelt sich darum, Herrn von Salcède, einen Mörder, der meinen Bruder töten wollte, in vier Stücke zerreißen zu sehen.«

»Ich habe heute wenig Glück,« sagte Katharina, plötzlich nachgebend, was ihre geschickteste Taktik war, »ich bewirke, daß meine Tochter weint, und Gott verzeihe mir, ich glaube, ich bewirke auch, daß Herr von Joyeuse lacht.«

»Ah! Madame,« rief Luise, Katharinas Hände ergreifend, »ist es möglich, daß sich Eure Majestät so in meinem Schmerze täuscht?«

»Und in meiner tiefen Ehrfurcht?« fügte Anne von Joyeuse bei und verbeugte sich auf den Arm des königlichen Lehnstuhles.

»Es ist wahr,« versetzte Katharina, einen letzten Pfeil in das Herz ihrer Schwiegertochter abdrückend. »Ich sollte wissen, wie peinlich es Euch ist, mein liebes Kind, die Komplotte Eurer Verwandten von Lothringen enthüllt zu sehen, und obgleich Ihr nichts dafür könnt, leidet Ihr doch durch diese Verwandtschaft.«

»Oh!« rief Anne von Joyeuse, »Ihr seht wohl, daß ich mich nicht täuschte, Sire, der Missetäter erscheint auf dem Platz. Teufel! welch ein gemeines Gesicht!«

»Er hat Angst,« sagte Katharina; »er wird sprechen.«

»Wenn er die Kraft dazu hat,« entgegnete der König.

»Seht doch, meine Mutter, sein Kopf wankt wie der eines Leichnams.«

»Ich wiederhole,« versetzte Joyeuse; »er ist abscheulich.«

»Wie soll ein Mensch schön sein, dessen Inneres so häßlich ist? Habe ich Euch nicht die geheimen gegenseitigen Beziehungen des Physischen und Moralischen erklärt, Anne?«

»Ich sage nicht nein, Sire, aber ich habe zuweilen gesehen, daß äußerst häßliche Menschen sehr tapfere Soldaten waren. Nicht wahr, Henri?«

Anne wandte sich nach seinem Bruder um, als wollte er dessen Beifall zu Hilfe rufen; doch Henri schaute ohne zu sehen, horchte, ohne zu hören; er war in tiefe Träumerei versunken, der König antwortete daher für ihn.

»Ei, mein Gott! mein lieber Anne,« rief er, »wer sagt, daß jener dort nicht tapfer sei? Er ist es wie ein Bär, wie ein Wolf, wie eine Schlange. Ihr wißt, er hat in seinem Hause einen normannischen Edelmann, seinen Feind, verbrannt. Er hat sich zehnmal geschlagen und drei von seinen Gegnern getötet; man hat ihn beim Falschmünzen ertappt und deshalb zum Tode verurteilt.«

»Das ist ein wohlerfülltes Dasein, das bald sein Ende erreichen wird,« sagte Joyeuse.

»Herr von Joyeuse, ich hoffe im Gegenteil, es wird so langsam wie möglich endigen,« sagte Katharina.

»Madame,« erwiderte Joyeuse, den Kopf schüttelnd, »die Pferde, die ich dort unter jenem Wetterdache sehe, kommen mir so kräftig und ungeduldig vor, daß ich nicht an einen sehr langen Widerstand der Muskeln, Nerven und Sehnen des Herrn von Salcède glaube.«

»Ja, wenn man nicht für den Fall vorhersehen würde,« versetzte Catharina mit jenem Lächeln, das nur ihr angehörte; »doch, mein Sohn ist barmherzig, er wird den Knechten Befehle geben, daß sie sacht anziehen lassen.«

»Aber, Madame,« warf die Königin schüchtern ein, »ich habe Euch diesen Morgen zu Frau von Mercoeur sagen hören, dieser Unglückliche würde nur zwei Züge auszuhalten haben.«

»Von Herzen gern, wenn er sich gut benimmt,« erwiderte Katharina; »dann wird er so rasch wie möglich abgefertigt werden; doch Ihr versteht, meine Tochter, und ich wollte, Ihr würdet es ihm sagen lassen, da Ihr Euch für ihn interessiert, er halte sich gut, das ist seine Sache.«

Während dieser Zeit hatten die Hellebardiere, die Bogenschützen und die Schweizer den Raum beträchtlich erweitert, und es herrschte nun rings um das Schafott eine Leere, die alle Blicke Salcèdes trotz der geringen Erhöhung des Blutgerüstes unterscheiden ließ.

Salcède mochte ungefähr vierunddreißig Jahre alt sein, er war stark und kräftig; seine bleichen Gesichtszüge, worauf einige Schweiß- und Blutstropfen perlten, belebten sich, wenn er umherschaute, durch einen unbeschreiblichen Ausdruck bald der Hoffnung, bald der Angst. Gleich anfangs warf er seine Blicke nach der königlichen. Loge; aber sein Auge verweilte nicht hier, als hätte er begriffen, daß ihm von dort statt der Rettung der Tod drohte.

Er wandte sich der Menge zu; im Schoße dieses stürmischen Meeres wühlte er mit seinen glühenden Augen und mit seiner am Rande seiner Lippen zitternden Seele.

Die Menge schwieg. Salcède war kein gemeiner Mörder, er war vor allem von guter Geburt; dabei war er ein Kapitän von einigem Rufe gewesen. Nun durch einen schmählichen Strick gebunden, hatte diese Hand einst mutig das Schwert geführt; dieser bleiche Kopf, auf dem sich die Schrecknisse des Todes abmalten, Schrecknisse, die der Missetäter ohne Zweifel in der tiefsten Tiefe seiner Seele verschlossen haben würde, wenn die Hoffnung nicht zuviel Platz eingenommen hätte, dieser bleiche Kopf hatte großartige Pläne beherbergt. So war Salcède für viele Zuschauer ein Held, für viele andere ein Opfer.

Man erzählte sich in der Menge, er sei aus einem Kriegergeschlechte geboren; sein Vater habe heftig den Kardinal von Lothringen bekämpft, was ihm in der Metzelei in der Bartholomäusnacht einen glorreichen Tod eingetragen, der Sohn aber habe, diesen Tod vergessend oder vielmehr seinen Haß einem Ehrgeize opfernd, für den der große Haufe immer eine gewisse Sympathie hegt, einen Vertrag mit Spanien und mit den Guisen eingegangen, um in Flandern die wachsende Souveränität des bei den Franzosen so sehr verhaßten Herzogs von Anjou zu vernichten. – Man sprach ferner von seiner Verbindung mit Baza und Balouin, den angeblichen Urhebern des Komplotts, das den Herzog Franz, den Bruder Heinrichs III., beinahe das Leben gekostet hätte.

Salcède seinerseits hatte beständig auf Befreiung gehofft. Er hatte klüglich halbe Geständnisse gemacht, welche seine Feinde auf mehr Enthüllungen hoffen ließen und sie bewogen, ihn nicht sofort zu töten, sondern nach Paris zu bringen. Salcède hoffte im Gefängnis, Salcède hoffte auf der Folter; er hoffte auf dem Karren; er hoffte noch auf dem Schafott.

Dem König entging so wenig wie dem Volk dieser beständige Gedanke Salcèdes. Catharina studierte ängstlich jede, auch die geringste Bewegung des unglücklichen jungen Mannes; aber sie war zu weit von ihm entfernt, um der Richtung seiner Blicke zu folgen und ihr fortwährendes Spiel zu bemerken.

Der Henker fing indessen an, sich des Opfers zu bemächtigen, und band ihn mitten um den Leib auf die Mitte des Schafotts. Auf ein Zeichen Tranchons waren schon zwei Bogenschützen durch die Menge gedrungen, um die Pferde zu holen, und willig wich die Menge vor ihnen zurück.

In diesem Augenblick entstand ein Geräusch an der Tür der königlichen Loge, und den Vorhang aufhebend, meldete der Huissier Ihren Majestäten, der Präsident Brisson und vier Räte wünschten die Ehre zu haben, mit dem König über den Gegenstand der Hinrichtung eine kurze Unterredung zu pflegen.

»Das ist wunderbar,« sagte der König und fuhr, zu Catharina gewendet, fort: »Meine Mutter, Ihr werdet befriedigt werden.«

Catharina machte ein zustimmendes Zeichen mit dem Kopfe.

»Laßt die Herren eintreten,« sagte der König.

Ehe aber die Gemeldeten erschienen, bat Joyeuse den König leise, sich entfernen zu dürfen. Nach mehreren vergeblichen Einwänden gewährte Heinrich die Bitte und sagte seufzend: »Gehe, halte es nach deiner Phantasie; es ist mein Los, allein zu leben.«

Und er wandte sich mit gefalteter Stirn zu seiner Mutter, denn er fürchtete, sie könnte das Gespräch gehört haben, das zwischen ihm und seinem Günstling stattgefunden.

Joyeuse aber neigte sich an das Ohr seines Bruders und sagte zu ihm: »Geschwind, geschwind, du Bouchage, während die Räte eintreten, schlüpfe hinter ihren großen Roben hinaus und laß uns wegschleichen; der König sagt jetzt ja, in fünf Minuten wird er nein sagen.«

»Ich danke, mein Bruder, ich war wie du, es drängte mich, wegzugehen.« – »Vorwärts, die Raben erscheinen, verschwinde, zarte Nachtigall.«

Man sah in der Tat hinter den Herren Räten wie zwei rasche Schatten die zwei jungen Leute entfliehen. Hinter ihnen fiel der Vorhang mit seinen schweren Flügeln herab. Als der König den Kopf umwandte, waren sie schon verschwunden. Heinrich stieß einen Seufzer aus und küßte einen kleinen Hund.

Die Hinrichtung.

Die Räte blieben schweigsam im Hintergrunde der königlichen Loge stehen und warteten, bis der König das Wort an sie richtete. Dieser ließ einen Augenblick auf sich warten, wandte sich dann um und sagte: »Nun, meine Herren, was gibt es Neues? Guten Morgen, Herr Präsident Brisson.«

»Sire,« antwortete der Präsident mit seiner leichten Würde, die man bei Hofe seine Hugenotten-Höflichkeit nannte, – »wir kommen, um Eure Majestät, wie es Herr von Thou gewünscht hat, anzuflehen, das Leben des Schuldigen zu schonen. Ohne Zweifel hat er einiges zu enthüllen, und wenn man ihm das Leben verspräche, würde man es erfahren.«

»Aber man hat es nicht von ihm erfahren, Herr Präsident?« – »Ja, Sire, – teilweise, – genügt das Eurer Majestät?«

»Ich weiß, was ich weiß, Messire.« – »Eure Majestät weiß also, woran sie sich in Beziehung auf die Teilnahme Spaniens bei dieser Angelegenheit zu halten hat.«

»Spaniens, ja, Herr Präsident, und sogar mehrerer anderer Mächte.« – »Es wäre wichtig, diese Teilnahme festzustellen, Sire.«

»Der König hat auch die Absicht, die Hinrichtung zu verschieben,« sagte Katharina, »wenn der Schuldige ein mit seinen Angaben auf der Folter gleichlautendes Bekenntnis unterzeichnet.«

»Das ist meine Absicht,« bestätigte der König; »Ihr könnt Euch davon überzeugen, Herr Brisson, wenn Ihr Euren Leutnant mit dem Missetäter sprechen laßt.« – »Eure Majestät hat mir nichts mehr zu befehlen?«

»Nichts. Noch keine Veränderung in den Geständnissen, oder ich nehme mein Wort zurück! Sie sind öffentlich, sie müssen vollständig sein.« – »Ja, Sire. Mit dem Namen der beteiligten Personen?«

»Mit dem Namen, mit allen Namen.« – »Selbst wenn diese Personen durch das Geständnis des Verbrechers mit Hochverrat und Empörung gegen das Oberhaupt befleckt würden?«

»Selbst wenn diese Namen die meiner nächsten Verwandten wären.« – »Es soll geschehen, wie Eure Majestät befiehlt.«

»Geht, meine Herren,« sagte der Präsident, seine Räte verabschiedend. Und nachdem er sich ehrfurchtsvoll vor dem König verbeugt hatte, ging er hinter ihnen hinaus.

»Er wird sprechen,« sagte Luise von Lothringen, ganz zitternd, »und Eure Majestät wird ihn begnadigen. Seht wie der Schaum auf seine Lippen tritt.«

»Nein, nein, er sucht nur,« erwiderte Katharina. »Was sucht er denn?« – »Parbleu,« sagte Heinrich III., »das ist nicht schwer zu erraten: er sucht den Herzog von Parma, den Herzog von Guise; er sucht Monsieur meinen Bruder, den allerkatholischsten König. Ja, suche! suche! warte, glaubst du, die Grève sei ein so bequemer Ort für Hinterhalte, wie die Straße von Flandern? Glaubst du, ich hätte hier nicht hundert Bellièvre, um dich zu verhindern, vom Schafott herabzusteigen, wohin dich ein einziger geführt hat?« Salcede hatte die Bogenschützen abgehen sehen, um die Pferde zu holen. Er hatte den Präsidenten und die Räte in der Loge des Königs bemerkt, – dann hatte er sie wieder verschwinden sehen: er begriff, daß der König Befehl zur Hinrichtung gegeben hatte.

Da erschien auf seinem leichenbleichen Munde der blutige Schaum, den die junge Königin wahrgenommen; in der tödlichen Ungeduld, die ihn verzehrte, biß sich der Unglückliche bis auf das Blut in die Lippen.

»Niemand! niemand!« murmelte er. »Nicht einer von denen, die mir Hilfe versprochen hatten! Feige! Feige! Feige!«

Der Leutnant Tranchon näherte sich dem Schafott und sagte zu dem Henker: »Haltet Euch fertig.«

Der Nachrichter machte ein Zeichen gegen das andere Ende des Platzes, und man sah die Pferde, die Menge durchschneidend, eine stürmische Furche zurücklassen, die sich, der des Meeres ähnlich, wieder hinter ihnen schloß.

Jetzt konnte man an der Ecke der Rue de la Vannerie, als die Pferde hier vorüberkamen, einen uns bekannten hübschen, jungen Mann von dem Randsteine, auf dem er stand, herabspringen sehen, angetrieben von einem Jüngling von etwa sechszehn Jahren, der sehr gierig auf dieses furchtbare Schauspiel zu sein schien!

Das war der geheimnisvolle Page und der Vicomte Ernauton von Carmainges.

»Geschwind!« flüsterte der Page seinem Gefährten ins Ohr, »werft Euch in das Loch, es ist kein Augenblick zu verlieren.« – »Aber man wird uns erdrücken, Ihr seid ein Narr, mein kleiner Freund.«

»Ich will sehen, von nahem sehen,« sagte der Page mit so gebieterischem Tone, daß man leicht zu erkennen vermochte, dieser Befehl komme aus einem an Befehle gewöhnten Munde.

Ernauton gehorchte.

»Schließt Euch fest an die Pferde an,« sagte der Page; »verlaßt sie nicht um eine Sohle breit, oder wir kommen nicht an Ort und Stelle.« – »Aber ehe wir ankommen, werdet Ihr in Stücke zerschmettert sein.«

»Kümmert Euch nicht um mich. Vorwärts! vorwärts!« – »Die Pferde werden ausschlagen.«

»Packt das letzte am Schweif; nie schlägt ein Pferd, wenn man es so hält.«

Ernauton gehorchte unwillkürlich und hing sich an den Schweif des Pferdes an, während sich der Page an seinem Gürtel festhielt. Mitten durch diese wie ein Meer wogende Menge gelangten sie, hier einen Flügel ihres Mantels, dort ein Stück ihres Wamses oder ihre Hemdkrause zurücklassend, zugleich mit dem Gespann bis auf drei Schritte vom Schafott, auf dem sich Salcède in den Zuckungen der Verzweiflung krümmte.

»Sind wir an Ort und Stelle?« murmelte atemlos der junge Mann, als er Ernauton anhalten sah. – »Ja, zum Glück, denn meine Kräfte sind erschöpft,« antwortete der Vicomte.

»Ich sehe nicht.« – »Tretet vor mich.«

»Nein, nein, noch nicht ... Was macht man?« – »Schlingen an das Ende der Stricke.«

»Und was macht er?« – »Er verdreht die Augen wie ein Geier auf der Lauer.«

Wie Pferde waren nahe genug am Schafott, daß die Knechte des Henkers an Salcèdes Füße und Fäuste die an ihren Kummeten befestigten Zugriemen binden konnten.

Salcède brüllte, als er an seinen Knöcheln die rauhe Berührung der Stricke fühlte, die eine Schlinge um sein Fleisch zusammenzog. Er richtete einen äußersten, einen unbeschreiblichen Blick auf diesen ungeheuren Platz, dessen hunderttausend Zuschauer er im Kreise seines Gesichtsstrahls umfaßte.

»Mein Herr,« sagte höflich der Leutnant Tranchon, »beliebt Euch, mit dem Volke zu sprechen, ehe wir fortfahren?« Und er näherte sich dem Ohre des Verbrechers, um leise hinzuzufügen: »Ein gutes Geständnis... und Euer Leben ist gerettet.«

Salcède schaute ihm bis in die Tiefe der Seele. Er begriff, daß der Leutnant aufrichtig war und halten würde, was er versprach.

»Ihr seht,« fuhr Tranchon fort, »man verläßt Euch, Ihr habt keine andere Hoffnung mehr auf dieser Welt, als die ich Euch biete.« – »Nun Wohl!« sagte Salcède mit einem heiseren Seufzer, »gebietet Stillschweigen, ich bin bereit, zu sprechen.«

»Der König verlangt ein geschriebenes und unterzeichnetes Geständnis.« – »Dann macht mir die Hände frei und gebt mir eine Feder, ich werde schreiben.«

Euer Geständnis?« – »Mein Geständnis, es sei.«

Entzückt vor Freude hatte Tranchon nur ein Zeichen zu machen, denn es war für den Fall vorgesehen. Ein Bogenschütze hielt das Erforderliche bereit; er gab ihm Schreibzeug, Federn, Papier, und Tranchon legte alles auf das Holz des Schafotts.

Zugleich lockerte man um etwa drei Fuß den Strick, der Salcèdes rechtes Faustgelenk hielt, und hob ihn auf die Estrade, damit er schreiben konnte.

Als Salcède saß, atmete er zunächst mit aller Kraft und bediente sich seiner Hand, um seine Lippen abzuwischen und seine Haare zurückzustreichen, die, feucht von Schweiß, über seine Augenbrauen herabfielen.

»Vorwärts, vorwärts,« sagte Tranchon, »setzt Euch bequem und schreibt alles.«

»Oh! fürchtet nichts,« erwiderte Salcède, seine Hand nach der Feder ausstreckend. »Seid ruhig, ich werde die nicht vergessen, die mich vergessen.«

Bei diesen Worten schaute er zum letzten Male umher. Ohne Zweifel war der Augenblick, sich zu zeigen, für den Pagen gekommen, denn er ergriff Ernauton bei der Hand und sagte zu ihm: »Mein Herr, habt die Güte, nehmt mich in Eure Arme und hebt mich über diese Köpfe empor, die mich zu sehen verhindern.« – »Ah! in der Tat, Ihr seid unersättlich, junger Mensch.«

»Noch diesen Dienst, mein Herr.« – »Ihr mißbraucht mich.«

»Ich muß den Verurteilten sehen, versteht Ihr? Ich muß ihn sehen. Habt Mitleid, Herr, habt Gnade, ich flehe Euch an.«

Ernauton hob widerstandslos den jungen Menschen in seine Arme, doch nicht, ohne über die Zartheit des Körpers, den er in seinen Händen hielt, zu erstaunen.

Der Kopf des Pagen überragte nun die anderen Köpfe, und Salcède erblickte zu seinem großen Erstaunen das Antlitz des jungen Menschen, der zwei Finger auf seine Lippen drückte. Eine unsägliche Freude verbreitete sich auf dem Gesichte des Verbrechers. Es war wie die Trunkenheit des Reichen, da Lazarus einen Tropfen Wasser auf seine vertrocknete Zunge fallen läßt. Er hatte das so ungeduldig erwartete Signal erkannt, das ihm Hilfe verkündigte.

Nach einem kurzen Zaudern bemächtigte sich Salcède des Papiers, das ihm Tranchon, unruhig über sein Zögern, reichte, und fing an, mit fieberhaftem Eifer zu schreiben.

»Er schreibt, er schreibt,« murmelte die Menge.

»Er schreibt,« wiederholte die Königinmutter mit offenbarer Freude.

»Er schreibt,« sagte der König, »bei Gottes Tod! ich werde ihn begnadigen.«

Plötzlich unterbrach sich Salcède, um noch einmal den jungen Menschen anzuschauen, der dasselbe Zeichen wiederholte, und Salcède schrieb weiter.

Das wiederholte sich noch einmal.

»Seid Ihr zu Ende?« fragte Tranchon, der sein Papier nicht aus dem Gesichte verlor.

»Ja,« antwortete Salcède mechanisch.

»So unterzeichnet.«

Salcède unterzeichnete, ohne seine Augen, die an den jungen Menschen genietet blieben, auf das Papier zu richten.

Tranchon streckte seine Hand nach dem Geständnis aus.

»Dem König, dem König allein,« sagte Salcède.

Und er reichte dem Leutnant das Papier, doch zögernd, wie ein besiegter Soldat, der seine letzte Waffe übergibt.

»Wenn Ihr alles gestanden habt, so seid Ihr gerettet, Herr von Salcède,« sagte der Leutnant.

Ein aus Spott und Unruhe gemischtes Lächeln trat auf den Lippen des Verurteilten hervor, der den geheimnisvollen Pagen ungeduldig zu befragen schien.

Ermüdet wollte Ernauton seine Last niedersetzen und öffnete die Arme. Der Page glitt auf den Boden. Mit ihm verschwand die Vision, die den Verurteilten aufrechterhalten hatte. Dieser suchte den Kopf mit den Augen; dann rief er ganz verwirrt: »Nun! nun!«

Niemand antwortete.

»Rasch, rasch, beeilt euch,« sagte er; »der König hat das Papier in der Hand, er wird es sogleich lesen.« Aber niemand rührte sich.

»Oh! tausend Teufel!« rief Salcède, »sollte man mich hintergangen haben? Ich erkannte sie doch wohl! Sie war es, sie war es!«

Kaum hatte der König inzwischen das Papier entfaltet und die ersten Zeilen durchlaufen, als er von Entrüstung ergriffen zu sein schien. Dann erbleichte er und schrie: »Oh! der Elende!... oh! der boshafte Mensch!«

»Was gibt es, mein Sohn?« fragte Catharina.

»Er nimmt alles zurück, meine Mutter; er behauptet, nie etwas gestanden zu haben.«

»Und?« – »Er erklärt die Herren von Guise für unschuldig an allen Komplotten.«

»In der Tat,« stammelte Catharina, »wenn es wahr ist.« – »Er lügt,« rief der König, »er lügt wie ein Heide.«

»Was wißt Ihr davon, mein Sohn? Die Herren von Guise sind vielleicht verleumdet worden. Die Richter haben vielleicht in ihrem zu großen Eifer die Angaben falsch ausgelegt.« – »Ei! Madame,« rief Heinrich, der sich nicht länger bemeistern konnte, »ich habe alles gehört.«

»Ihr, mein Sohn?« – »Ja, ich.«

»Und wann dies?« – »Als der Schuldige die Folter auszuhalten hatte... ich war hinter einem Vorhang; ich habe nicht eines von seinen Worten verloren, und jedes von diesen Worten drang in meinen Kopf wie ein Nagel unter dem Hammer.«

»Nun, so laßt ihn unter der Folter sprechen, da er die Folter braucht; befehlt, daß die Pferde anziehen.«

Vom Zorne hingerissen, erhob Heinrich die Hand. Der Leutnant Tranchon wiederholte das Zeichen. Schon waren die Stricke wieder an die vier Glieder des Missetäters gebunden worden; vier Männer sprangen auf die vier Pferde; vier Peitschenhiebe erschollen, und die vier Rosse stürzten in entgegengesetzten Richtungen fort.

Ein furchtbares Krachen und ein entsetzlicher Schrei wurden zu gleicher Zeit vom Boden des Schafotts hörbar. Man sah, wie die Glieder des unglücklichen Salcède blau wurden, sich verlängerten und mit Blut unterliefen; sein Gesicht war nicht mehr das eines menschlichen Geschöpfes: es war die Maske eines Dämons.

»Ah! Verrat! Verrat!« schrie er. »Nun! ich werde sprechen, ich will sprechen, ich will alles sagen. Ah! verfluchte Herzog . .«

Seine Stimme übertönte das Gewieher der Pferde und den Lärm der Menge; aber plötzlich erlosch sie.

»Haltet ein! haltet ein!« rief Catharina.

Es war zu spät. Kurz zuvor noch starr vor Schmerz und Wut, fiel Salcèdes Kopf plötzlich auf den Boden des Blutgerüstes.

»Laßt ihn sprechen,« rief die Königinmutter. »Haltet ein, haltet doch ein!«

Salcèdes Auge war übermäßig erweitert, es blieb hartnäckig auf die Gruppe geheftet, wo der Page erschienen war. Tranchon folgte geschickt der Richtung. Aber Salcède konnte nicht mehr sprechen, er war tot.

Tranchon gab leise seinen Bogenschützen einige Befehle, und diese durchsuchten die Menge in der durch Salcèdes Blicke bezeichneten Richtung.

»Ich bin entdeckt,« sagte der junge Page Ernauton ins Ohr; »habt Mitleid, helft mir, unterstützt mich, Herr, sie kommen! sie kommen!« – »Aber wer seid Ihr denn?«

»Eine Frau... rettet mich, beschützt mich!«

Ernauton erbleichte, aber der Edelmut trug den Sieg über das Erstaunen und die Furcht davon. Er stellte seine Schutzbefohlene vor sich, brach ihr Bahn durch gewaltige Streiche mit dem Knopfe seines Degens und trieb sie bis zur Ecke der Rue du Mouton, gegen eine offene Tür. Der junge Page stürzte darauf zu und verschwand in dieser Tür, die ihn zu erwarten schien und sich hinter ihm schloß.

Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, ihn nach seinem Namen zu fragen, noch wo er ihn wiederfinden würde. Aber während er verschwand, machte ihm der Page, als hätte er seinen Gedanken erraten, ein verheißungsvolles Zeichen.

Nunmehr frei, wandte sich Ernauton gegen den Mittelpunkt des Platzes um und umfaßte mit einem Blicke das Schafott und die königliche Loge.

Salcède lag starr und bleifarbig auf dem Blutgerüste ausgestreckt. Katharina stand leichenbleich und zitternd in der Loge. »Mein Sohn,« sagte sie endlich, sich den Schweiß von der Stirne wischend, »Ihr würdet wohl daran tun, mit Eurem Scharfrichter zu wechseln. Dieser ist ein Ligist.«

»Woran seht Ihr es?« – »Schaut! schaut!«

»Nun, ich schaue.« – »Salcède hat nur einen Zug erlitten, und er ist tot.«

»Weil er zu empfindlich für den Schmerz ist.« – »Nein, nein!« entgegnete Katharina, mit einem Lächeln der Verachtung, das ihr der geringe Scharfsinn ihres Sohnes entriß, »nein, sondern weil er unter dem Schafott mit einem seinen Strick in dem Augenblick erdrosselt worden ist, wo er die, die ihn sterben ließen, anklagen wollte. Laßt den Leichnam untersuchen, und ich bin sicher, Ihr findet um seinen Hals den Kreis, den der Strick daran zurückgelassen hat.«

»Ihr habt recht,« sagte Heinrich, dessen Augen einen Moment funkelten, »mein Vetter von Guise ist besser bedient als ich.«

»Still! still! mein Sohn, keinen Lärm, man würde unser spotten; denn die Partie ist diesmal wiederum verloren.«

»Joyeuse hat wohlgetan, sich anderswo zu belustigen,« sagte der König, »man kann auf nichts in dieser Welt zählen, nicht einmal auf die Hinrichtungen. Gehen wir, meine Damen, gehen wir.«

Die beiden Joyeuse.

Die Herren von Joyeuse hatten sich, wie wir gesehen, vor der Hinrichtung entfernt; sie ließen bei den Equipagen des Königs ihre Lakaien, die mit ihren Pferden auf sie warteten, und gingen durch die Straßen dieses volkreichen Stadtviertels, die an diesem Tage ganz verlassen waren.

Sobald sie außen waren, wanderten sie Arm in Arm fort, aber ohne miteinander zu reden. Kurz zuvor noch so freudig, war Henri ernst, in Gedanken versunken, beinahe düster.

Anne schien unruhig und war verlegen über das Stillschweigen seines Bruders. »Nun, Henri,« fragte er endlich, »wohin führst du mich?« – »Ich führe dich nicht, ich gehe dir voran, mein Bruder,« erwiderte Henri, als ob er plötzlich erwachte. »Wünschest du irgendwohin zu gehen, mein Bruder?« »Und du?« – Henri lächelte traurig, »Oh! ich,« sagte er, »mir ist es gleichviel, wohin ich gehe.«

»Du gehst doch diesen Abend irgendwohin,« entgegnete Anne, »denn jeden Abend gehst du zu derselben Stunde aus, um erst ziemlich spät in der Nacht nach Hause zu kommen, und zuweilen kommst du gar nicht nach Hause.«

»Willst du mich ausfragen, Bruder?« sagte Henri weich und zugleich ein wenig ehrfurchtsvoll vor dem älteren Bruder.

»Ich dich ausfragen? Gott behüte mich! Die Geheimnisse gehören denen, die sie bewahren.« – »Wenn du es wünschest, habe ich keine Geheimnisse vor dir, du weißt es wohl.«

»Du wirst keine Geheimnisse für mich haben, Henri?« – »Nie, mein Bruder; bist du nicht zugleich mein Herr und mein Freund?«

»Verdammt! ich dachte, du kümmertest dich nicht um mich, der ich nur ein armer Laie bin; ich dachte, du hättest unseren weisen Bruder, diesen Pfeiler der Gottesgelahrtheit, diese Leuchte der Religion, diesen gelehrten Architekten der Gewissensfälle des Hofes, der eines Tages Kardinal sein wird, ich dachte, du vertrautest ihm, und fändest bei ihm zugleich Beichte, Absolution und wer weiß ... Rat; denn in unserer Familie,« fügte Anne lachend hinzu, »ist man zu allem gut, du weißt es, davon zeugt unser vielgeliebter Vater.«

Henri du Bouchage ergriff die Hand seines Bruders und drückte sie liebevoll. »Du bist für mich mehr als Gewissensrat, mehr als Beichtiger, mehr als Vater, mein lieber Anne,« sagte er, »ich wiederhole, du bist mein Freund.«

»So sprich, mein Freund, warum habe ich dich, der du so heiter warst, allmählich traurig werden sehen, und warum gehst du, statt bei Tage auszugehen, jetzt nur noch bei Nacht aus?« – »Mein Bruder, ich bin nicht traurig,« erwiderte Henri lächelnd.

»Was bist du denn?« – »Ich bin verliebt.«

»Gut, Und dieses Versunkensein?« – »Kommt davon her, daß ich unablässig an meine Liebe denke.«

»Und du seufzest, während du mir das sagst?« – »Ja.« »Du seufzest, du, Henri, Graf du Bouchage, du, Joyeuses Bruder, du, den die schlimmen Zungen den dritten König von Frankreich nennen? Du weißt, Herr von Guise ist der zweite, wenn nicht gar der erste! Du, der du reich, der du schön bist, der du Pair von Frankreich sein wirst, wie ich, und Herzog, wie ich, bei der ersten Gelegenheit, die sich findet, du bist verliebt, nachdenkend und seufzend; du, dessen Wahlspruch ›hilariter‹ (heiter) lautet.« – »Mein lieber Anne, all dieses Gute in der Vergangenheit oder der Zukunft zählt für mich nicht unter die Dinge, die mein Glück ausmachen. Ich besitze keinen Ehrgeiz,«

»Das heißt, du besitzest keinen mehr.« – »Oder ich strebe wenigstens nicht nach den Dingen, von denen du sprichst.« –

»In diesem Augenblick vielleicht; doch später wirst du darauf zurückkommen.« – »Nie, Bruder, ich wünsche nichts, ich will nichts.«

»Und du hast unrecht, Bruder. Wenn man den Namen Joyeuse, einen der schönsten Namen Frankreichs, führt, wenn man einen Bruder hat, der der Günstling des Königs ist, so wünscht man alles, so will man alles... und hat man alles.« – Henri schüttelte schwermütig sein blondes Haupt.

»Sprich, da wir nun allein und von aller Welt entfernt sind,« sagte Anne. »Hast du mir etwas Ernstes zu sagen, Henri?« – »Nichts, nichts, wenn nicht, daß ich verliebt bin, und das weißt du schon, da ich es dir soeben gestanden habe.«

»Aber zum Teufel! das ist nichts Ernstes,« erwidert? Anne, mit dem Fuße stampfend. »Beim Papst, ich bin auch verliebt!« – »Nicht wie ich, Bruder.«

»Ich denke auch zuweilen an meine Geliebte.« – »Ja, aber nicht immer.« »Ich habe auch Widerwärtigkeiten, Kummer sogar.« – »Ja, du hast aber auch Freuden, denn man liebt dich.«

»Oh! ich stoße auch auf große Hindernisse; man verlangt von mir großes Geheimhalten.« – »Man verlangt? Du hast gesagt »man verlang?«, Bruder. Wenn deine Geliebte verlangt, so gehört sie dir.«

»Allerdings gehört sie mir... nämlich mir und Herrn von Mayenne; denn ein Vertrauen ist des andern wert, Henri, ich habe gerade die Geliebte dieses Unzüchters von Mayenne, ein in mich vernarrtes Mädchen, das Mayenne auf der Stelle verlassen würde, wenn es nicht fürchtete, von ihm umgebracht zu werden. Du weißt, es ist seine Gewohnheit, die Frauen umzubringen. Dann hasse ich diese Guisen, und es belustigt mich ... mich auf Kosten eines von ihnen zu belustigen. Nun, so sprich, wen liebst du, Henri? Deine Geliebte ist doch wenigstens schön?« – »Ach, mein Bruder, es ist nicht meine Geliebte.«

»Ist sie schön?« – »Zu schön.«

»Ihr Name?« – »Ich weiß ihn nicht.«

»Gehe doch!« – »Bei meinem Ehrenwort.«

»Mein Freund, ich fange an zu glauben, daß die Sache doch gefährlicher ist, als ich dachte ... Das ist beim Papst keine Traurigkeit, sondern Tollheit!« – »Sie hat nur ein einziges Mal mit mir oder vielmehr nur ein einziges Mal in meiner Gegenwart gesprochen, und seit dieser Zeit habe ich nicht einmal mehr den Ton ihrer Stimme gehört.«

»Und du hast dich nicht erkundigt?« – »Bei wem?«

»Wie! bei wem? bei den Nachbarn.« – »Sie bewohnt ein Haus für sich allein, und niemand kennt sie.«

»Das ist wohl ein Schatten?« – »Es ist eine Frau, groß und schön wie eine Nymphe, ernst und erhaben wie der Engel Gabriel.«

»Wie hast du sie kennen lernen? Wo hast du sie getroffen?« – »Eines Tages verfolgte ich ein Mädchen, ich trat in einen kleinen Garten, der an eine Kirche stößt, dort ist eine Bank unter Bäumen. Der Schatten fing an, dichter zu werden; ich verlor das Mädchen aus dem Gesicht, und während ich es suchte, gelangte ich zu der Bank.«

»Immerzu, ich höre.« – »Ich erblickte im Halbdunkel ein Frauenkleid und streckte die Hände aus.

»Verzeiht, mein Herr,« sagte plötzlich die Stimme eines Mannes, den ich nicht bemerkt hatte, »verzeiht«.

»Und die Hand dieses Mannes schob mich sacht, aber mit Festigkeit zurück.«

»Er wagte es, dich zu berühren, Joyeuse?« – »Höre, dieser Mann hatte das Gesicht in einer Art von Kutte verborgen, ich Hielt ihn für einen Mönch, dann machte er Eindruck auf mich durch den liebevollen und höflichen Ton seiner Warnung, denn während er zu mir sprach, bezeichnete er mit dem Finger auf zehn Schritte die Frau, deren weiße Kleidung mich nach dieser Seite gezogen hatte ... Sie kniete vor der steinernen Bank, als ob es ein Altar wäre.

»Ich blieb stehen, mein Bruder; dieses Abenteuer begegnete mir am Anfang des September; die Luft war lau; die Rosen und die Veilchen, die dort stehen, sandten mir ihre zarten Wohlgerüche zu; der Mond zerriß eine weißliche Wolke hinter dem Glockenturm der Kirche, und die Fenster fingen an, sich an ihrem First zu versilbern, während sie sich unten von dem Widerscheine der angezündeten Kerzen vergoldeten. Ach, war es die Majestät des Ortes, war es die persönliche Würde, diese kniende Frau glänzte für mich in der Finsternis wie eine Bildsäule von Marmor, und als ob sie wirklich von Marmor gewesen wäre. Sie flößte mir eine gewisse Ehrfurcht ein, die mich im Heizen erstarren ließ.«

»Ich schaute sie gierig an.

»Sie beugte sich auf die Bank, umfaßte sie mit ihren Armen, drückte ihre Lippen darauf, und bald sah ich ihre Schultern unter der Gewalt ihrer Seufzer und ihres Schluchzens wogen; nie hast du solche Ausbrüche gehört, Bruder; nie hat ein scharfes Eisen so schmerzlich ein Herz zerrissen. »Während sie weinte, küßte sie den Stein mit einer Trunkenheit, die mich von Sinnen brachte; ihre Tränen rührten mich, ihre Küsse machten mich verrückt.«

»Beim Papst! sie war verrückt,« sagte Joyeuse, »küßt man einen Stein so? Schluchzt man so um nichts?« – »Oh! es war ein großer Schmerz, der sie schluchzen ließ, oh! es war eine tiefe Liebe, die sie diesen Stein zu küssen bewog; aber wen liebte sie? Wen beweinte sie? Für wen betete sie? Ich weiß es nicht.«

»Doch dieser Mann, hast du ihn nicht befragt?« – »Gewiß.«

»Und was hat er geantwortet?« – »Sie habe ihren Gatten verloren.«

»Beweint man einen Gatten? Das ist, bei Gott! eine schöne Antwort; und du hast dich damit begnügt?« – »Ich mußte wohl, da er mir keine andere geben wollte.«

»Aber dieser Mann selbst, wer ist er?« – »Eine Art von Diener, der bei ihr wohnt.«

»Sein Name?« – »Er weigerte sich, ihn mir zu sagen.«

»Jung? alt?« – »Er mag achtundzwanzig bis dreißig Jahre alt sein.«

»Und was geschah hernach? ... Sie hat wohl nicht die ganze Nacht fort geweint und gebetet?« – »Nein. Als sie zu weinen aufgehört, stand sie auf, Bruder; es lag in dieser Frau eine so geheimnisvolle Traurigkeit, daß ich, statt auf sie zuzugehen, wie ich es bei jeder andern Frau getan hätte, zurückwich; sie schritt sodann auf mich oder vielmehr auf die Stelle zu, wo ich stand, denn sie sah mich nicht einmal; da traf ein Mondstrahl ihr Antlitz, und dieses erschien mir erleuchtet, schimmernd: sie hatte ihren düsteren Ernst wieder angenommen, kein Zusammenziehen des Gesichtes, kein Beben, keine Tränen mehr, nur noch die feuchte Furche, die sie gezogen. Ihre Augen allein glänzten noch. Ihr Mund öffnete sich sanft, um das Leben einzuatmen, das sie einen Augenblick schien verlassen zu wollen. Sie machte ein paar Schritte mit einer gewissen weichen Mattigkeit und wie im Traume; der Mann lief auf sie zu und führte sie; denn sie schien vergessen zu haben, daß sie auf der Erbe ging. Oh! Bruder, welch eine Schönheit, welche übermenschliche Macht!«

»Hernach, hernach?« fragte Anne, der unwillkürlich ein Interesse an dieser Erzählung nahm, über die er anfangs spotten wollte. – »Oh! nun bin ich bald zu Ende, mein Bruder; ihr Diener sagte leise ein paar Worte zu ihr, und sie ließ ihren Schleier nieder; ohne Zweifel sagte er ihr, ich wäre da; aber sie schaute nicht einmal auf meine Seite, sie senkte nur ihren Schleier, und ich sah sie nicht mehr; es kam mir vor, als hätte sich der Himmel verdüstert, und als wäre es kein lebendiges Geschöpf mehr, sondern ein diesen Gräbern entstiegener Schatten, der durch das hohe Gras schweigend vor mir hinschlüpfte.

»Sie verließ das Gehege; ich folgte ihr.

»Von Zeit zu Zeit wandte sich der Mann um und konnte mich sehen, denn ganz verwirrt und betäubt, wie ich war, verbarg ich mich nicht; was willst du? Ich hatte noch die alten gemeinen Gewohnheiten im Kopfe, den alten rohen Sauerteig im Herzen.«

»Was willst du damit sagen, Henri?« fragte Anke. »Ich verstehe dich nicht.« – Der junge Mann antwortete lächelnd: »Ich will damit sagen, daß meine Jugend geräuschvoll war, daß ich oft zu lieben glaubte, und daß alle Frauen für mich bis zu jenem Augenblick Frauen waren, denen ich meine Liebe anbieten konnte.«

»Oh! oh! was ist das?« rief Joyeuse, der, unwillkürlich etwas beunruhigt durch das Geständnis seines Bruders, seine Heiterkeit wieder zu erlangen suchte. »Nimm dich in acht, Henri, du schweifst aus, es ist also keine Frau von Fleisch und Knochen?« – »Mein Bruder,« sagte der junge Mann, ganz leise Joyeuses Hand mit fieberhaftem Drucke umschließend, »so wahr mich Gott hört, ich weiß nicht, ob es ein Geschöpf dieser Welt ist.«

»Beim Papst!« erwiderte Anne, »du würdest mir angst machen, wenn ein Joyeuse Angst haben könnte. Noch es ist doch gewiß, daß sie geht, daß sie weint, und daß sie Küsse gibt; du hast es mir selbst gesagt und dies ist, wie mir scheint, ein sehr gutes Vorzeichen, teurer Freund; aber das ist nicht alles; sprich, hernach, hernach?« – »Hernach kommt nur noch wenig; ich folgte ihr also, sie suchte sich mir nicht einmal zu entziehen, den Weg zu verändern, einen falschen Weg einzuschlagen; sie schien nicht einmal hieran zu denken.«

»Nun, wo wohnte sie?« – »In der Gegend bei Bastille, in der Rue de Lesdiguières; vor ihrer Tür wandte sich ihr Begleiter um und sah mich.«

»Du machtest ihm sodann ein Zeichen, um ihm zu verstehen zu geben, daß du mit ihm zu sprechen wünschtest.« – »Ich wagte es nicht; was ich dir da sage, ist lächerlich, aber der Diener imponierte mir beinahe ebensosehr wie die Gebieterin.«

»Gleichviel, du tratst in das Haus?« – »Nein, Bruder.«

»In der Tat, Henri, ich habe große Lust, zu leugnen, daß du ein Joyeuse bist; doch du gingst wenigstens am andern Tag wieder dahin?« – »Ja, aber vergebens, vergebens zum Friedhof, vergebens in die Rue de Lesdiguières.«

»Sie war verschwunden?« – »Wie ein Schatten, der entflohen.«

»Du Hast dich jedoch erkundigt?« – »Die Straße hat wenig Bewohner, keiner konnte mich befriedigen; ich lauerte auf den Diener, um ihn zu befragen, er erschien nicht wieder; doch ein Licht, das ich am Abend durch die Jalousien glänzen sah, tröstete mich, indem es mir andeutete, sie wäre immer noch da. Ich wandte hundert Mittel an, in das Haus zu dringen; Briefe, Boten, Blumen, Geschenke, alles scheiterte. Eines Abends verschwand das Licht ebenfalls und erschien nicht wieder; ohne Zweifel hatte die Dame, meiner Verfolgungen müde, die Rue de Lesdiguières verlassen; niemand kannte ihre neue Wohnung.«

»Du hast sie jedoch wiedergefunden, die schöne Spröde?« – »Der Zufall gestattete es; ich bin ungerecht, Bruder, es ist die Vorsehung, die nicht will, daß man das Leben so hinschleppe. Höre, es ist in der Tat seltsam! Ich ging vor vierzehn Tagen um Mitternacht durch die Rue de Bussy... Du weißt, mein Bruder, daß die Feuerverordnungen sehr streng vollzogen werden; nun wohl! ich sah nicht nur Feuer an den Scheiben eines Hauses, sondern einen richtigen Brand, der im zweiten Stocke ausbrach. Ich klopfte kräftig an die Tür, ein Mann erschien am Fenster. »Es brennt bei Euch!« rief ich. – »Still, habt Mitleid,« erwiderte er, »still, ich bin eben beschäftigt, zu löschen.« – »Soll ich die Wache rufen?« – »Nein, nein, um des Himmels willen, ruft niemand.« – »Aber, wenn man Euch helfen kann?«

»Wollt Ihr? so kommt, und Ihr leistet mir einen Dienst, für den ich Euch mein ganzes Leben dankbar sein werde.« – »Und wie soll ich kommen?« – »Hier ist der Schlüssel zur Tür.« – Und er warf mir aus dem Fenster einen Schlüssel zu.

»Ich stieg rasch die Treppe hinauf und trat in das Zimmer, das der Schauplatz des Brandes war. Der Boden brannte; ich befand mich in dem Laboratorium eines Chemikers; als er irgendeinen Versuch machte, hatte sich eine entzündbare Flüssigkeit auf der Erde ausgebreitet, wodurch der Brand entstanden war. Bei meinem Eintritt war er schon Meister des Feuers, so daß ich mir ihn anschauen konnte.

»Es war ein Mann von etwa dreißig Jahren, eine furchtbare Narbe durchfurchte die Hälfte der Wange, eine andere den Schädel; sein buschiger Bart verbarg den Rest des Gesichtes. Er sagte zu mir:

»Ich danke Euch, mein Herr, aber Ihr seht, alles ist vorbei; habt also die Güte, Euch zu entfernen, denn meine Gebieterin kann jeden Augenblick eintreten, und sie dürfte ärgerlich werden, wenn sie zu dieser Stunde einen Fremden bei mir oder vielmehr bei sich sehen würde.«

»Der Ton dieser Stimme lähmte mich, es war der Mann von der unbekannten Dame, denn er war mit einer Kutte bedeckt gewesen, ich hatte sein Gesicht nicht gesehen, nur seine Stimme gehört. Ich war im Begriff, ihm dies zu sagen, ihn zu befragen, als sich plötzlich eine Tür öffnete und eine Frau eintrat.

»Was gibt es denn, Remy?« fragte sie, indem sie majestätisch auf der Türschwelle stehen blieb, »und warum dieser Lärm?«

»Oh! mein Bruder, sie war es, noch schöner im sterbenden Feuer des Brandes, als sie mir in den Strahlen des Mondes geschienen hatte; sie war es, die Frau, deren beständiges Andenken mir das Herz zernagt.

»Bei dem Schrei, den ich ausstieß, schaute mich der Diener ebenfalls aufmerksamer an.

»Ich danke, Herr, ich danke,« sagte er noch einmal; »Ihr seht, das Feuer ist gelöscht. Geht, ich bitte Euch, geht.« – »Mein Freund« erwiderte ich, »Ihr verabschiedet mich so?« – »Madame« sagte der Diener, »er ist es.« – »Wer?« fragte sie. – »Der junge Kavalier, den wir im Garten trafen, und der uns nach der Rue de Lesdiguières folgte.«

»Sie heftete nun ihren Blick auf mich, und aus diesem Blick konnte ich schließen, daß sie mich zum ersten Male sah. »Mein Herr,« sagte sie, »habt die Güte, entfernt Euch.«

»Ich zögerte, ich wollte sprechen, bitten; aber die Worte fehlten meinen Lippen; ich blieb unbeweglich und stumm und schaute sie nur an.

»Nehmt Euch in acht, mein Herr,« sagte der Diener mehr traurig als streng, »nehmt Euch in acht, Ihr würdet Madame zwingen, zum zweiten Male zu fliehen.«

»Oh! Gott verhüte es,« erwiderte ich, mich verbeugend, »aber Madame, ich beleidige Euch doch nicht.« »Sie antwortete mir nicht. So unempfindlich, so stumm, so eisig, als ob sie mich nicht gehört hätte, wandte sie sich um, und ich sah sie allmählich im Schatten verschwinden und die Stufen einer Treppe hinabgehen, auf der ihr Tritt nicht mehr tönte, als wenn es der eines Gespenstes wäre.«

»Und das ist alles?« – »Das ist alles. Der Diener geleitete mich zur Tür zurück und sagte: ›Mein Herr, vergeßt im Namen Jesu und der Jungfrau Maria, ich flehe Euch an, vergeßt!‹

»Ich entfloh, betrübt, verwirrt, albern, preßte meinen Kopf zwischen meine beiden Hände und fragte mich, ob ich nicht ein Narr würde.

»Seitdem gehe ich jeden Abend in diese Straße, und deshalb wandten sich meine Schritte, als wir das Stadthaus verließen, ganz natürlich nach dieser Seite; jeden Tag, sagte ich, gehe ich in diese Straße, ich verberge mich an der Ecke eines Hauses, dem ihrigen gegenüber, unter einem Balkon, dessen Schatten mich gänzlich umhüllt; einmal unter zehnmal sehe ich Licht in dem Zimmer, das sie bewohnt; dort ist mein Leben, dort ist mein Glück!«

»Welch ein Glück!« – »Ach, ich verliere es, wenn ich ein anderes zu erlangen wünsche.«

»Aber wenn du dich mit dieser Resignation zugrunde richtest?« – »Bruder,« sagte Henri mit einem traurigen Lächeln, »was willst du? Ich fühle mich so glücklich.«

»Das ist unmöglich.«

»Das Glück ist immer beziehungsweise; ich weiß, daß sie dort ist, daß sie dort lebt, daß sie dort atmet; ich sehe sie durch die Mauer, oder es kommt mir vielmehr vor, als erblickte ich sie; wenn sie dieses Haus verließe, wenn ich abermals vierzehn Tage zubrächte, wie die, welche ich zubrachte, als ich sie verloren hatte, so würde ich ein Narr, mein Bruder, oder ich ginge in ein Kloster, um Mönch zu werden.«

»Nein, bei Gott! es ist schon genug mit einem Narren und einem Mönch in der Familie; wir brauchen keinen mehr, teurer Freund. Ich verspreche dir, Bruder, in spätestens vierzehn Tagen sollst du deine Geliebte haben. Laß mich nur machen.«

Trotz alles Zweifels und Kleinmuts des verliebten Bruders beharrte der Ältere darauf, daß er sein Ziel erreichen werde. Er ließ sich von Henri mitteilen, daß dem kleinen Hause gegenüber ein ähnliches von einem einsamen Bürger bewohntes stehe. Joyeuse sagte schließlich:

»Du wirst sie diesen Abend sehen, Bruder.« – »Ich?«

»Stelle dich um acht Uhr unter ihren Balkon.« – »Ich werde dort sein, wie ich es alle Tage bin, aber ohne mehr Hoffnung, als an den anderen Tagen.«

»Doch sage mir die Adresse ganz genau.« – »Zwischen der Porte Bussy und dem Hotel Saint-Deny, beinahe an der Ecke der Rue des Augustins, zwanzig Schritte von einem großen Gasthofe mit dem Schilde: Zum Schwerte des kühnen Ritters.«

»Sehr gut, um acht Uhr heute abend.« – »Aber was willst du machen?«

»Du wirst es sehen, du wirst es hören. Mittlerweile kehre nach Hause zurück, lege deine schönsten Kleider an, nimm deine reichsten Juwelen, gieße auf deine Haare deine feinsten Essenzen; heute abend kommst du in die Festung.« – »Gott höre dich, mein Bruder.«

»Henri, wenn Gott taub ist, so ist es der Teufel nicht.... Ich verlasse dich, meine Geliebte erwartet mich, nein, ich will sagen, die Geliebte des Herrn von Mayenne.... Beim Papst! diese ist kein Zieraffe.«

»Mein Bruder.« – »Verzeih, schöner Liebesritter; also heute abend, Henri.«

Die Brüder drückten einander die Hand und trennten sich. Nach zweihundert Schritten hob der eine den Klopfer eines schönen beim Parvis Notre-Dame liegenden gotischen Hauses mutig auf und ließ ihn geräuschvoll wieder fallen. Der andere vertiefte sich schweigsam in einer von den krummen Straßen, die nach dem Palaste ausmünden.

Das Schwert des kühnen Ritters behält recht gegen Amors Rosenstock.

Inzwischen war die Nacht gekommen und hatte mit ihrem feuchten Nebelmantel die zwei Stunden zuvor noch so geräuschvolle Stadt umhüllt. Sobald Salcède tot war, kehrten die Zuschauer zu ihrem Herd zurück, und man sah auf den Straßen nur noch zerstreute Gruppen, statt der ununterbrochenen Kette der Neugierigen, die am Tage einem Punkte zugeströmt waren.

Bei der Porte Bussy, wohin wir uns zu dieser Stunde versetzen müssen, hörte man, wie einen Bienenstock bei Sonnenuntergang, ein gewisses rosenfarbig angestrichenes und mit blauen und weißen Malereien verziertes Haus summen, das Zum Schwerte des kühnen Ritters genannt wurde und nichts anderes war, als ein sehr geräumiger Gasthof, den man jüngst in diesem neuen Stadtviertel eingerichtet hatte.

Obwohl nun das Schild nicht nur den Kampf eines Erzengels mit einem ungeheuren Drachen darstellte, der von einem gewaltigen Kreuz in blutende Stücke zerhauen wurde, sondern der Schildermaler, um auch anderem Geschmack zuzusagen, Kürbisse, Trauben, Käfer, Eidechsen, eine Schnecke auf einer Rose und ein paar Kaninchen angebracht hatte, so schien doch die Anziehungskraft auf das Publikum gering, und der geräumige Gasthof blieb meist leer und gemieden.

Das Haus war jedoch groß und bequem; viereckig gebaut, mit breiten Unterlagen auf dem Boden ruhend, streckte es stolz über seinem Schilde vier Türmchen empor, von denen jedes ein achteckiges Zimmer enthielt, das Ganze allerdings von Holz gebaut, aber zierlich und vielversprechend, wie jedes Haus sein muß, das den Männern und besonders den Frauen gefallen will; doch hierin lag das Übel. Man kann nicht jedermann gefallen. Es kamen wohl viele kriegerische Gäste, aber die friedlichen verliebten Paare blieben fort.

Frau Fournichon, die Wirtin, behauptete auch, das Schild habe dem Hause Unglück gebracht, und sie versicherte, wenn man sich hätte auf ihre Erfahrung verlassen und statt des kühnen Ritters und des häßlichen Drachens etwas Galantes malen wollen, wie zum Beispiel Amors Rosenstock mit entflammten Herzen statt der Rosen, so hätten alle zarten Seelen ihr Haus zum Wohnsitz gewählt.

Dagegen meinte Meister Fournichon, ein Reiter, der nur an das Trinken zu denken habe, trinke wie sechs Verliebte, und wenn er auch nur die Hälfte der Zeche bezahle, so gewinne man doch noch dabei, da die verschwenderischsten Liebesleute nie bezahlten wie drei Reiter.

»Überdies,« schloß er, »ist der Wein moralischer als die Liebe.«

Bei diesen Worten zuckte Frau Fournichon ihre fetten Schultern, und es blieb alles beim alten, bis einen Monat vor Salcèdes Hinrichtung. Da saßen nach ihrer Gewohnheit Frau Fournichon und ihr Gatte, jedes in einem Türmchen ihrer Anstalt, beide müßig, träumerisch und kalt, weil alle Tische und alle Zimmer des Wirtshauses zum kühnen Ritter völlig leer waren.

Amors Rosenstock hatte an diesem Tage keine Rosen gebracht, und das Schwert des kühnen Ritters hatte ins Wasser geschlagen.

Die beiden Gatten schauten also traurig nach dem nahen Exerzierplatz, dem Pré aux Clercs, von wo eben die Soldaten verschwanden, und während sie schauten und über den militärischen Despotismus seufzten, der die Soldaten, die natürlich sehr durstig sein mußten, zwang, nach ihrer Wachtstube zurückzukehren, sahen sie den Kapitän, der das Manöver geleitet hatte, sein Pferd in Trab setzen und allein mit einem Mann nach der Porte Bussy reiten.

In zehn Minuten war er vor dem Gasthaus. Da er sich aber nicht in das Haus begeben wollte, war er im Begriff, vorüberzureiten, ohne nur das Schild bewundert zu haben, denn er schien sehr sorgenvoll und in Gedanken vertieft, als Meister Fournichon, dem das Herz beinahe bei dem Gedanken brach, daß er den ganzen Tag kein Geld lösen sollte, sich aus seinem Türmchen neigte und ausrief: »Das ist ein schönes Pferd, Frau!«

Frau Fournichon fügte als einsichtige Wirtin hinzu: »Und wie schön ist der Reiter!«

Der Kapitän, der für Lob nicht unempfindlich zu sein schien, schaute empor, als ob er plötzlich erwachte. Er sah den Wirt, die Wirtin und das Wirtshaus, hielt sein Pferd an und rief seiner Ordonnanz.

Dann betrachtete er, immer noch im Sattel, sehr aufmerksam das Haus. Fournichon rollte zu vier und vier Stufen seine Treppe hinab und stellte sich, seine Mütze in den Händen zusammengerollt, vor die Tür.

Der Kapitän dachte einen Augenblick nach und stieg dann ab.

»Ist niemand hier?« fragte er.

»Für den Augenblick nicht,« antwortete demütig der Wirt. Er wollte eben hinzufügen: »Es ist dies jedoch nicht gewöhnlich so in meinem Hause.«

Aber Frau Fournichon war, wie beinahe alle Frauen, scharfsichtiger als ihr Mann; sie rief daher eiligst von ihrem Fenster aus: »Sucht der Herr die Einsamkeit, so wird er sich bei uns vortrefflich finden.«

Der Kapitän richtete seine Augen in die Höhe, und als er das gute Gesicht sah, nachdem er die gute Antwort gehört hatte, erwiderte er: »Für den Augenblick, ja, das ist es gerade, was ich suche, meine gute Frau.«

Frau Fournichon eilte sogleich dem Fremden entgegen, indem sie zu sich sagte: »Diesmal gibt Amors Rosenstock Geld zu lösen und nicht das Schwert des kühnen Ritters.«

Der Kapitän war ein Mann von dreißig bis fünfunddreißig Jahren, während er erst achtundzwanzig alt zu sein schien, so viel Sorge verwandte er auf seine Person. Er war groß, gut gewachsen, von ausdrucksvoller und feiner Physiognomie; bei näherer Prüfung hätte man vielleicht etwas Geziertes in seinem großartigen Wesen gefunden, doch geziert oder nicht, sein Wesen blieb immerhin großartig.

Er warf seinem Begleiter den Zaum eines herrlichen Pferdes zu und sagte zu ihm: »Führe das Pferd auf und ab und erwarte mich hier!«

Sobald er sich sodann im großen Saale des Wirtshauses befand, blieb er stehen und sagte, einen Blick der Zufriedenheit umherwerfend: »Oh! oh! ein so großer Saal und kein einziger Zecher! Sehr gut!«

Meister Fournichon schaute ihn mit Erstaunen an, während ihm Frau Fournichon verständnisvoll zulächelte. Der Kapitän fuhr fort: »Es ist also etwas in Eurem Benehmen oder in Eurem Hause, was die Gäste fernhält.«

»Gott sei Dank, weder das eine noch das andere, mein Herr,« erwiderte Frau Fournichon. »Das Quartier ist nur neu, und was die Kunden betrifft, so sind wir wählerisch.«

»Ah! sehr gut,« sagte der Kapitän.

Meister Fournichon billigte mit dem Kopfe die Antworten seiner Frau.

»Zum Beispiel,« fügte sie mit einem gewissen Augenblinzeln hinzu, das den Urheber des Planes von Amors Rosenstock offenbarte, »für einen Kunden wie Eure Herrlichkeit ließe man gern zwölf gehen.«

»Das ist artig, meine hübsche Wirtin, und ich danke.«

»Will der gnädige Herr Wein kosten?« fragte Fournichon mit seiner am mindesten heiseren Stimme.

»Will der gnädige Herr die Wohnungen besichtigen?« flötete Frau Fournichon mit ihrer süßesten Stimme.

»Beides mit Eurer Erlaubnis,« erwiderte der Kapitän.

Fournichon stieg in den Keller hinab, während seine Frau ihrem Gaste die nach dem Türmchen führende Treppe zeigte, auf der sie ihm voranging, wobei sie ihren Rock zierlich etwas aufhob.

»Wieviel Personen könnt Ihr quartieren?« fragte der Kapitän, als er im ersten Stock angelangt war. – »Dreißig Personen, worunter zehn Herren.«

»Das ist nicht genug, schöne Wirtin.« – »Warum, mein Herr?«

»Ich hatte einen Plan, sprechen wir nicht mehr davon.« – »Ah! mein Herr, Ihr werdet sicherlich nichts Besseres finden, als Amors Rosenstock

»Warum Amors Rosenstock?« – »Den kühnen Ritter, wollte ich sagen, und wenn man nicht den Louvre hat ...«

Der Fremde heftete einen seltsamen Blick auf sie.

»Ihr habt recht,« sagte er, »wenn man nicht den Louvre hat.«

Dann fuhr er beiseite fort: »Warum nicht, das wäre bequemer und minder teuer.«

»Ihr sagt also, meine gute Dame,« sagte er laut, »Ihr könnet hier dreißig Personen zum Wohnen aufnehmen?« – »Ja, gewiß.«

»Aber für einen Tag?« – »Oh! für einen Tag vierzig und sogar fünfundvierzig.«

»Fünfundvierzig, Parfandious! Das ist gerade meine Zahl.« – »Wirklich! seht, wie glücklich sich das trifft.«

»Und ohne daß es auswärts Lärm macht?« – »Sonntags haben wir oft achtzig Soldaten hier.«

»Und keine Zusammenrottung vor dem Hause, kein Spion unter den Nachbarn?« – »Oh! mein Gott, nein; wir haben keinen andern Nachbarn, als einen würdigen Bürger, der sich nie in eines Dritten Angelegenheiten mischt, und keine andere Nachbarin, als eine Dame, die so zurückgezogen lebt, daß ich sie in den drei Wochen, die sie hier wohnt, noch gar nicht zu Gesicht bekommen habe; alle übrigen sind unbedeutende Leute.«

»Das sagt mir vortrefflich zu.« – »Ah! desto besser.« »Und von heute in einem Monat,« fuhr der Kapitän fort; »behaltet das wohl, Madame, von heute in einem Monat, am 26. Oktober, miete ich Euer ganzes Gasthaus.« – »Das ganze?«

»Das ganze. Ich will einigen Landsleuten eine Überraschung bereiten ... Offizieren oder wenigstens Kriegsmännern der Mehrzahl nach, die in Paris ihr Glück suchen; bis dahin erhalten sie Nachricht, daß sie bei Euch absteigen sollen.« – »Und wie erhalten sie diese Nachricht, da Ihr ihnen eine Überraschung bereiten wollt?« fragte unklugerweise Frau Fournichon.

»Ah!« erwiderte der Kapitän, durch diese Frage sichtbar in Verlegenheit gebracht, »ah! wenn Ihr neugierig oder indiskret seid ... Parfandious!« – »Nein, nein, mein Herr,« rief sie hastig und erschrocken.

Fournichon hatte teilweise gehört, bei den Worten: Offiziere oder Kriegsmänner schlug sein Herz vor Wohlbehagen. Er lief herbei.

»Mein Herr,« rief er, »Ihr werdet hier Meister, Despot des Hauses sein, und zwar ohne Frage; mein Gott! alle Eure Freunde sind willkommen.«

»Mein Braver, ich sagte nicht meine Freunde,« erwiderte hochmütig der Kapitän; »ich sagte meine Landsleute.«

»Ja, ja, die Landsleute Eurer Herrlichkeit; ich täuschte mich.«

Frau Fournichon drehte ärgerlich den Rücken; die Liebesrosen hatten sich in Hellebardenbündel verwandelt.

»Ihr werdet ihnen Abendessen geben,« fuhr der Kapitän fort. – »Sehr wohl.«

»Hier sind dreißig Livres Angeld.« – »Der Handel ist abgeschlossen; Eure Landsleute sollen als Könige behandelt werden, und wenn Ihr Euch, den Wein kostend, versichern wollt ...«

»Ich danke, ich trinke nie.«

Der Kapitän näherte sich dem Fenster und rief den Hüter der Pferde. Meister Fournichon stellte mittlerweile eine Betrachtung an.

»Gnädigster Herr,« sagte er (seit dem Empfang der so großmütig im voraus bezahlten drei Pistolen nannte er den Fremden gnädigster Herr), »gnädigster Herr, wie soll ich die Herren erkennen?«

»Parfandious! das ist wahr, das habe ich vergessen, gebt mir Wachs, Papier und Licht!«

Der Kapitän drückte auf das siedende Wachs das Siegel eines Ringes, den er an der linken Hand trug.

»Ihr seht dieses Bild?« – »Meiner Treu, eine schöne Frau.«

»Ja, es ist eine Kleopatra; nun wohl! jeder von meinen Landsleuten wird Euch einen ähnlichen Abdruck bringen, und Ihr beherbergt den Inhaber eines solchen Abdrucks, das ist abgemacht, nicht wahr?« – »Wie lange?«

»Ich weiß noch nicht; Ihr werdet meine Befehle hierüber erhalten.« – »Wir werden sie erwarten.«

Der schöne Kapitän stieg wieder die Treppe hinab, schwang sich in den Sattel und ritt in scharfem Trabe fort. In Erwartung seiner Rückkehr sackten die Gatten Fournichon die dreißig Livres Angeld ein ... zur großen Freude des Wirtes, der unablässig wiederholte: »Kriegsleute! ah! das Schild hat entschieden nicht unrecht, durch das Schwert werden wir unser Glück machen.«

Und er fing an, dem 26. Oktober entgegenharrend, alle seine Kasserollen zu scheuern.

Gaskognersilhouetten.

Trotz der Diskretion, die ihr auferlegt war, und die sie versprochen hatte, konnte es Frau Fournichon nicht unterlassen, einen Soldaten, den sie vorübergehen sah, nach dem Namen des Kapitäns zu fragen, der die Übung abgehalten. »Ei,« antwortete der Gefragte, »es ist niemand anders als der Herzog Nogaret de la Valette d'Epernon, Pair von Frankreich, General-Oberster der Infanterie des Königs, und etwas mehr König, als seine Majestät selbst.«

Man kann sich nun denken, mit welcher Ungeduld der 26. Oktober erwartet wurde. Am 25. abends trat ein Mann mit einem ziemlich schweren Sack ein, den er auf den Schenktisch legte. »Das ist der Preis für das auf morgen bestellte Mahl,« sagte er.

»Zu wieviel den Kopf?« fragten gleichzeitig die beiden Ehegatten.– »Zu sechs Livres.«

»Die Landsleute des Kapitäns werden also nur ein einziges Mahl hier einnehmen?« – »Ein einziges.«

»Der Kapitän hat also eine Wohnung für sie gefunden?« – »Es scheint.«

Trotz der Fragen des Rosenstocks und des Schwertes entfernte sich der Bote ohne weitere Auskunft.

Endlich ging die Sonne über den Küchen des kühnen Ritters auf. Es hatte halb ein Uhr bei den Augustinern geschlagen, als vier Reiter vor der Tür des Gasthauses hielten, vom Pferde stiegen und eintraten. Sie waren von der Porte Bussy gekommen und trafen natürlich zuerst ein, einmal, weil sie Pferde hatten, und sodann, weil das Gasthaus zum Schwerte nur hundert Schritte von der Porte Bussy entfernt lag.

Einer von ihnen, der nach seinem guten Aussehen wie nach seinem Luxus ihr Anführer zu sein schien, kam mit zwei wohlberittenen Lakaien.

Jeder zeigte sein Siegel mit dem Bilde der Kleopatra und wurde von dem Ehepaar mit jeglicher Zuvorkommenheit empfangen, besonders der junge Mann mit den zwei Lakaien.

Mit Ausnahme des letzteren traten die Ankömmlinge indessen nur schüchtern und mit einer gewissen Befangenheit auf; man sah, daß sie etwas Ernstes beunruhigte, besonders, wenn sie unwillkürlich die Hand in ihre Tasche steckten. Die einen verlangten, sich zur Ruhe zu legen, die anderen, vor dem Abendbrot die Stadt zu besichtigen; der junge Mann mit den zwei Lakaien fragte, ob es nichts Neues in Paris zu sehen gebe.

Sehr empfänglich für die gute Miene des Kavaliers, antwortete Frau Fournichon:

»Ei, wenn Euch die Menge nicht bange macht, und wenn Ihr nicht davor erschreckt, vier Stunden hintereinander auf Euren Beinen zu bleiben, so könnt Ihr Euch dadurch eine Zerstreuung verschaffen, daß Ihr Herrn von Salcède, einen Spanier, der konspiriert hat, vierteilen seht.«

»Ah!« sagte der junge Mann, »es ist wahr, ich habe davon sprechen hören, Pardicor! ich gehe dahin.« Und er entfernte sich mit seinen beiden Lakaien.

Gegen zwei Uhr kamen in Gruppen zu vier und fünf etwa fünfzehn neue Reisende.

Einer kam sogar ohne Hut, ein Stöckchen in der Hand; er fluchte über Paris, wo die Diebe so verwegen seien, daß sie ihm bei der Grève, als er eine Gruppe durchschritten, den Hut gestohlen, und so gewandt, daß er nicht einmal habe sehen können, wer ihn genommen. Übrigens sei das sein Fehler, er hätte nicht mit einem Hute, der mit einer so prachtvollen Agraffe geschmückt gewesen, nach Paris kommen sollen.

Gegen vier Uhr hatten sich schon vierzig Landsleute des Kapitäns in dem Gasthause Fournichons eingefunden. Gegen fünf Uhr kamen endlich die letzten fünf Gaskogner auch, und die Gäste des Schwertes waren vollzählig.

Nie hatten die Gaskognergesichter vor Erstaunen und Überraschung eine solche Verklärung gezeigt, eine Stunde lang hörte man nur Sandioux, Mordioux, Cap de Bious, kurz, so geräuschvolle Freudenausbrüche, daß es den Fournichons vorkam, als ob ganz Saintonge, Poitou, Aunis und Languedoc in ihrem großen Saal Platz genommen hätten.

Einige kannten sich; so umarmte Eustache von Miradoux den Kavalier mit den beiden Lakaien und stellte ihm Lardille, Militor und Scipio vor.

»Durch welchen Zufall bist du in Paris?« fragte dieser. – »Und du, mein lieber Sainte-Maline?«

»Ich habe eine Stelle bei der Armee, und du?« – »Ich komme in Erbschaftsangelegenheiten.«

»Ah! ah! Du schleppst also die alte Lardille immer noch nach?« –»Sie wollte mir folgen.«

»Konntest du nicht insgeheim abreisen, statt dich mit diesem Volke zu beschweren, das an ihrem Rocke hängt?« – »Unmöglich, sie hat den Brief des Anwaltes geöffnet.«

»Ah! Du hast die Nachricht von der Erbschaft durch einen Brief erhalten?« – »Ja,« antwortete Miradoux. Dann rief er, hastig das Gespräch wechselnd: »Ist es nicht seltsam, daß dieses Gasthaus voll, und zwar von Landsleuten voll ist?«

»Nein, das ist nicht seltsam, das Schild macht Leuten von Ehre Appetit,« unterbrach ihn unser alter Bekannter Perducas von Pincorney, sich in das Gespräch mischend.

»Oh! Ihr seid es, Kamerad,« versetzte Sainte-Maline, »Ihr habt mir noch immer nicht erklärt, was Ihr mir bei der Grève erzählen wolltet, als uns die Menge trennte.«

»Und was wollte ich Euch erklären?« fragte Pincorney, ein wenig errötend.

»Wie es kommt, daß ich Euch zwischen Angoulême und Angers begegnet bin, und daß ich Euch heute zu Fuß, ein Stöckchen in der Hand und ohne Hut sehe?« – »Das ist ganz einfach.«

»Ich finde das nicht.« – »Doch wohl, und Ihr werdet es begreifen. Mein Vater hat zwei prächtige Pferde, auf die er so große Stücke hält, daß er imstande ist, mich zu enterben nach dem Unglück, das mir begegnete.«

»Welches Unglück ist Euch begegnet?« – »Ich ritt auf dem schönsten spazieren, als plötzlich zehn Schritte von mir ein Büchsenschuß losgeht, mein Pferd scheu wird und auf der Straße nach der Dordogne fortrennt.« »Wo es hineinstürzt?« – »Ja.«

»Mit Euch?« – »Nein, zum Glück hatte ich noch Zeit gehabt, zu Boden zu gleiten, sonst wäre ich mit ihm ertrunken.«

»Ah! ah! das arme Tier ist ertrunken!« –»Pardioux! Ihr kennt die Dordogne, eine halbe Meile breit.«

»Und dann?« – »Dann beschloß ich, nicht nach Hause zurückzukehren und mich soweit als möglich dem väterlichen Zorne zu entziehen.«

»Aber Euer Hut?« – »Wartet doch beim Teufel! Mein Hut war herabgefallen.«

»Wie Ihr?« – »Ich war nicht herabgefallen, ich hatte mich zu Boden gleiten lassen; ein Pincorney fällt nicht vom Pferde, die Pincorney sind Stallmeister in der Wiege.«

»Das ist bekannt,« sagte Sainte-Maline, »aber Euer Hut?« – »Mein Hut war also herabgefallen, ich suchte ihn, denn es war meine einzige Hilfsquelle, da ich mich ohne Geld von Hause wegbegeben hatte.«

»Wie konnte Euer Hut eine Hilfsquelle für Euch sein?« fragte Sainte-Maline, entschlossen, Pincorney durch seine Beharrlichkeit in die Enge zu treiben. – »Sandioux! und zwar eine große! Ich muß Euch sagen, daß die Feder dieses Hutes von einer Diamantenagraffe gehalten wurde, die Seine Majestät Kaiser Karl V. meinem Großvater schenkte, als er auf seiner Reise von Spanien nach Flandern in unserem Schlosse anhielt.«

»Ah! Ihr habt die Agraffe verkauft und den Hut damit. Dann, mein Freund, müßt Ihr der Reichste von uns allen sein.« – »Wartet doch! in dem Augenblick, wo ich mich umdrehe, um meinen Hut zu suchen, sehe ich einen ungeheuren Raben, der darüber herfällt.«

»Über Euren Hut?« –, »Oder vielmehr über meinen Diamanten; Ihr wißt, daß dieses Tier alles stiehlt, was glänzt; es fällt also über meinen Diamanten her und stiehlt Ihn.« »Euern Diamanten?« – »Ja, mein Herr. Ich folge ihm zuerst mit den Augen, dann laufe ich ihm nach und rufe: ›haltet den Dieb!‹ Die Pest! nach fünf Minuten war er verschwunden, und ich habe nie mehr von ihm sprechen hören.«

»Und durch diesen doppelten Verlust niedergebeugt ...« – »Wagte ich es nicht mehr, in das elterliche Haus zurückzukehren und entschloß mich, mein Glück in Paris zu suchen.«

»Schön!« sagte ein dritter, »der Wind hat sich also in einen Raben verwandelt? Ich habe Euch, glaube ich, Herrn von Loignac erzählen hören, beschäftigt, einen Brief Eurer Geliebten zu lesen, habe Euch der Wind Brief und Hut fortgenommen, als wahrer Amadis wäret Ihr dem Brief nachgelaufen und hättet den Hut Hut sein lassen.«

Halb unterdrücktes Gelächter machte sich hörbar.

»Ei! ei! meine Herren,« sagte der reizbare Gaskogner, »sollte man etwa über mich lachen?«

Jeder wandte sich ab, um bequemer lachen zu können.

Perducas schaute forschend umher und erblickte am Kamin einen jungen Mann, der seinen Kopf in seinen Händen verbarg.

Er ging auf ihn zu und sagte: »Ei! mein Herr, wenn Ihr lacht, lacht mir wenigstens ins Gesicht, damit man Euer Antlitz sieht.«

Und er klopfte dem jungen Mann auf die Schulter, der ganz ernst und nachdenkend seine Stirn erhob, es war kein anderer als unser Freund Ernauton von Carmainges, der sich von dem Abenteuer auf der Grève noch ganz betäubt fühlte.

»Ich bitte Euch, mich in Ruhe zu lassen,« erwiderte er, »und besonders, wenn Ihr mich noch einmal berührt, mich mit der Hand zu berühren, an der Ihr einen Handschuh habt; Ihr seht wohl, daß ich mich nicht mit Euch beschäftige.«

»Wenn Ihr Euch nicht mit mir beschäftigt,« brummte Pincorney, »so habe ich nichts zu sagen.« »Ah! mein Herr,« sagte Eustache von Miradoux zu Carmainges, »bei den versöhnlichsten Absichten seid Ihr nicht höflich gegen unsern Landsmann.«

»Worein, zum Teufel, mischt Ihr Euch?« entgegnete Ernauton immer ärgerlicher.

»Ihr habt recht, mein Herr,« sagte Miradoux, sich verbeugend, »das geht mich nichts an.«

Und er wandte sich auf den Absätzen um und wollte zu Lardille zurückkehren, die in einer Ecke am großen Kamin saß, aber es versperrte ihm jemand den Weg.

Es war Militor, mit seinen beiden Händen im Gürtel und mit seinem höhnischen Lächeln auf den Lippen.

»Sagt doch, Stiefvater,« machte der Taugenichts. »Was sagt Ihr zu der Art und Weise, wie dieser Edelmann Euch abgeführt hat? Er hat Euch gehörig gebeutelt.«

»Ah! Du hast das bemerkt?« erwiderte Eustache, indem er Militor auf die Seite zu schieben suchte.

»Nicht nur ich,« sagte Militor ihm wieder entgegen, »sondern jeder, seht nur, wie alle um uns her lachen.«

Man lachte wirklich, doch nicht mehr hierüber, sondern über andere Dinge.

Eustache wurde rot wie eine glühende Kohle.

»Auf, auf, Stiefvater, laßt die Sache nicht kalt werden,« sagte Militor.

Eustache warf sich in die Brust, ging auf Carmainges zu und sagte zu ihm: »Mein Herr, man behauptet, Ihr hättet besonders unangenehm gegen mich sein wollen?«

»Wann dies?« – »Soeben.«

»Gegen Euch?« – »Gegen mich.«

»Wer behauptet dies?« – »Dieser Herr,« antwortete Eustache, auf Militor deutend.

»Dann ist dieser Herr,« entgegnete Carmainges mit einem besonderen Nachdruck auf die Betitelung, »dann ist dieser Herr ein Starmatz.« – »Oh! oh!« machte Militor wütend. »Und ich fordere ihn auf,« fuhr Carmainges fort, »mit dem Schnabel fern von mir zu bleiben, oder ich werde mich an Loignacs Rat erinnern.«

»Herr von Loignac hat nicht gesagt, ich wäre ein Starmatz.«

»Nein, er hat gesagt, Ihr wäret ein Esel, zieht Ihr das etwa vor? Mir ist wenig daran gelegen; seid Ihr ein Esel, so gebe ich Euch die Peitsche, seid Ihr ein Starmatz, so rupfe ich Euch.«

»Mein Herr,« sagte Eustache, »es ist mein Stiefsohn; ich bitte Euch, behandelt ihn besser aus Rücksicht für mich.«

»Ah! so verteidigt Ihr mich, Stiefvater,« rief Militor außer sich; »da werde ich mich besser allein verteidigen.«

»In die Schule mit diesen Kindern, in die Schule!« sagte Ernauton.

»In die Schule?« rief Militor, mit aufgehobener Faust gegen Herrn von Carmainges vorrückend, »ich bin siebzehn Jahre alt, versteht Ihr wohl, mein Herr?«

»Und ich bin fünfundzwanzig,« entgegnete Ernauton, »und deshalb will ich Euch, wie Ihr es verdient, zurechtweisen.«

Und er packte ihn beim Kragen und am Gürtel, hob ihn von der Erde auf und warf ihn wie einen Ballen zum Fenster des Erdgeschosses hinaus auf die Straße, während Lardille ein Geschrei ausstieß, daß die Wände hätten einfallen sollen.

»Nun mache ich aus Stiefvater, Stiefmutter, Stiefsohn und allen Stieffamilien der Welt Fleisch zu Pasteten, wenn man mich noch einmal stört,« fügte Ernauton ruhig bei.

»Wahrhaftig, ich finde, er hat recht,« sagte Miradoux, »warum diesen Edelmann reizen?«

»Ah! Feiger, der seinen Sohn schlagen läßt,« rief Lardille, auf Eustache zurückend und ihre zerstreuten Haare schüttelnd. »Nun, nun, nun,« sagte Eustache, »das bildet seinen Charakter.«

»Ah! ah! sagt doch, man wirft also hier die Leute aus dem Fenster?« rief ein Offizier, der eben eintrat; »was Teufels, wenn man solche Späße treibt, sollte man wenigstens ›Aufgepaßt da unten!‹ rufen.«

»Herr von Loignac!« riefen zwanzig Stimmen.

»Herr von Loignac!« wiederholten die Fünfundvierzig.

Und bei diesem in der ganzen Gaskogne bekannten Namen standen alle auf und schwiegen.

Herr von Loignac.

Hinter Herrn von Loignac trat Militor, wie gemahlen durch seinen Sturz und purpurrot vor Zorn, ein.

»Ich grüße Euch, meine Herren,« sagte Loignac; »mir scheint, es geht etwas stürmisch zu. Ah! ah! Meister Militor hat wieder den Zänker gemacht, und darunter muß seine Nase leiden.«

»Man wird mir meine Schläge bezahlen,« brummte Militor, Carmainges die Faust weisend.

»Tragt auf, Meister Fournichon,« rief Loignac, »und jeder sei freundlich gegen seinen Nachbarn. Von diesem Augenblick an sollt Ihr Euch lieben wie Brüder.«

»Hm!« machte Sainte-Maline.

»Die Nächstenliebe ist selten,« sagte Chalabre, während er über seinem eisengrauen Wams seine Serviette so ausbreitete, daß ihm kein Unfall begegnen konnte, wie groß auch der Überfluß an Brühen sein mochte.

»Und sich so von nahem lieben ist schwierig,« fügte Ernauton hinzu, »allerdings sind wir nicht auf lange Zeit beisammen.«

»Seht,« rief Pincorney, der Malines Spöttereien noch auf dem Herzen hatte, »man verhöhnt mich, weil mir mein Hut abhanden gekommen ist, und man sagt nichts über Herrn von Montcrabeau, der mit einem Panzer aus der Zeit des Kaisers Pertinax, von dem er aller Wahrscheinlichkeit nach abstammt, zu Mittag speisen will.... Das ist Defensive.«

Montcrabeau erhob sich gereizt und sagte mit einer Falsettstimme: »Meine Herren, ich nehme ihn ab, dies zur Kunde für die, die mich lieber mit Angriffswaffen als mit Verteidigungswaffen sehen.«

Und er band majestätisch seinen Panzer los und befahl seinem Lakaien, einem Graukopf von fünfzig Jahren, zu ihm zu kommen.

»Friede, Friede!« rief Herr von Loignac, »setzen wir uns zu Tische!«

»Befreit mich von diesem Panzer, ich bitte Euch,« sagte Pertinax zu seinem Lakaien.

Der Graukopf nahm ihn aus seinen Händen und fragte leise: »Und ich, werde ich nicht auch zu Mittag essen? Laß mir doch etwas geben, Pertinax, ich sterbe vor Hunger.«

Diese Aufforderung, so seltsam vertraulich sie auch sein mochte, erregte durchaus nicht das Erstaunen dessen, an den sie gerichtet war.

»Ich werde tun, was mir möglich ist,« antwortete er, »doch zu größerer Sicherheit seht Euch selbst danach um!«

»Hm!« machte der Lakai mit verdrießlichem Ton, »das ist durchaus nicht beruhigend.«

»Habt Ihr denn gar nichts mehr?« fragte Pertinax.

»Wir haben unsern letzten Taler in Sens verzehrt.«

»Nun, so sucht irgend etwas zu Geld zu machen.«

Kaum hatte er dies gesprochen, als man auf der Straße und dann auf der Schwelle des Wirtshauses rufen hörte: »Alteisenhändler! wer verkauft Eisen?«

Bei diesem Rufe lief Frau Fournichon nach der Tür, während Fournichon majestätisch die ersten Platten auftrug. Nach dem Empfang, der ihm zuteil wurde, war Fournichons Küche ausgezeichnet.

Fournichon wollte seine Frau an den Komplimenten teilnehmen lassen. Diese war aber dem Rufe des Alteisenhändlers gefolgt und hatte ihm, wie sie selbst, bald zurückkehrend, sehr zum Ärger ihres kriegerischen Gatten erzählte, einen alten Panzer und eine Sturmhaube für zehn Taler verkauft. Diese Nachricht regte die Anwesenden nicht wenig auf. Loignac rief:

»Angenommen, diese alten Waffen haben zusammen zwanzig Pfund gewogen, so ist das ein halber Taler für das Pfund. Parfandious! wie einer von meinen Bekannten sagt, darunter steckt ein Geheimnis.«

»Oh! daß ich diesen braven Handelsmann in meinem Schlosse hätte,« sagte Chalabre, dessen Augen sich entzündeten, »ich würde dreißig Zentner Armschienen, Beinschienen und Panzer an ihn verkaufen.«

»Wie? Ihr würdet die Rüstungen Eurer Ahnen verkaufen?« sagte Sainte-Maline mit spöttischem Tone.

»Ah! mein Herr, Ihr hättet unrecht,« rief Eustache von Miradoux; »das sind heilige Reliquien.«

»Bah!« versetzte Chalabre, »zu dieser Stunde sind meine Ahnen selbst Reliquien und bedürfen nur noch der Messen.«

Man erhitzte sich immer mehr beim Mittagessen durch den Burgunderwein; dessen Verbrauch Fournichons Gewürze beschleunigten.

Die Stimmen wurden lauter, die Teller klangen, die Gehirne füllten sich mit Dünsten, durch die jeder Gaskogner alles rosenfarbig sah, ... mit Ausnahme von Militor, der an seinen Sturz, und von Carmainges, der an seinen Pagen dachte.

»Das sind viele lustige Leute,« sagte Loignac zu seinem Nachbarn, der gerade Ernauton war, »und sie wissen nicht warum.«

»Ich weiß es auch nicht,« erwiderte Carmainges; »allerdings mache ich meinesteils eine Ausnahme, denn ich bin nicht im mindesten freudig gestimmt.«

»Ihr habt Eurerseits unrecht,« sagte Loignac, »denn Ihr seid einer von denen, für die Paris eine Goldmine, ein Ehrenparadies, eine Welt der Glückseligkeit ist.«

Ernauton schüttelte den Kopf.

»Nun, was sagt Ihr?« – »Spottet meiner nicht, Herr von Loignac, Ihr, der Ihr alle Fäden in der Hand zu haben scheint, welche die Mehrzahl von uns in Bewegung setzen, habt wenigstens die Gnade, den Vicomte Ernauton von Carmainges nicht wie einen hölzernen Komödianten zu behandeln.«

»Ich werde Euch noch ganz andere Gnaden erweisen, Herr Vicomte,« erwiderte Loignac, sich höflich verbeugend; »ich habe Euch mit dem ersten Blick unter allen bemerkt, Euch, dessen Auge sanft und stolz, und jenen andern jungen Mann dort, dessen Auge verdrießlich und düster ist.« – »Ihr nennt ihn?«

»Von Sainte-Maline.« – »Und was ist die Ursache dieser Unterscheidung, wenn Ihr meine Frage nicht für eine zu große Neugier von meiner Seite anseht?«

»Weil ich Euch kenne.« – »Mich? Mich kennt Ihr?«

»Euch und ihn, ... ihn und alle, die hier sind.« – »Das ist seltsam.«

»Ja; aber es ist notwendig.« – »Warum ist es notwendig?«

»Weil ein Anführer seine Soldaten kennen muß.« – »Und alle diese Leute?«

»Werden morgen meine Soldaten sein.« – »Aber ich glaubte, Herr von Epernon ....«

»St! sprecht diesen Namen nicht aus oder sprecht vielmehr gar keinen Namen aus; öffnet die Ohren und schließt den Mund, und da ich Euch jegliche Gnade verhießen habe, so nehmt vorläufig diesen Rat auf Abschlag.«

»Ich danke, mein Herr,« sagte Ernauton.

Loignac wischte sich den Schnurrbart ab, stand auf und sagte: »Meine Herren, der Zufall führt hier fünfundvierzig Landsleute zusammen, leeren wir ein Glas von diesem spanischen Wein, auf die Wohlfahrt aller Anwesenden.«

Dieser Vorschlag wurde mit wütendem Beifall aufgenommen.

»Sie sind meistens trunken,« sagte Loignac zu Ernauton, »es wäre ein guter Augenblick, jeden seine Geschichte erzählen zu lassen, aber es fehlt uns an Zeit.«

Dann rief er, die Stimme erhebend: »Holla, Meister Fournichon, laßt alle Frauen, Kinder und Lakaien weggehen.«

Lardille erhob sich fluchend; sie hatte ihren Nachtisch noch nicht völlig verzehrt. Militor rührte sich nicht.

Nach einem Augenblick waren nur noch die fünfundvierzig Gäste und Herr von Loignac im Saal.

»Meine Herren,« sagte der letztere, »jeder von euch weiß oder vermutet wenigstens, wer ihn nach Paris hat kommen lassen ... Gut, ruft nicht seinen Namen aus ... Ihr wißt, das genügt ... Ihr wißt auch, daß ihr gekommen seid, um ihm zu gehorchen.«

Ein Gemurmel der Beistimmung erhob sich aus allen Teilen des Saales; nur, da jeder einzig und allein das wußte, was ihn betraf, und nicht wußte, daß sein Nachbar durch dieselbe Macht wie er bewogen, gekommen war, schauten sich alle erstaunt an.

»Es ist gut,« sagte Loignac, »ihr werdet euch später anschauen, meine Herren. Seid unbesorgt, ihr habt Zeit, Bekanntschaft zu machen. Ihr seid also gekommen, um diesem Mann zu gehorchen; erkennt ihr das an?« – »Ja,« riefen die Fünfundvierzig, »wir erkennen das an.«

»Nun wohl! um anzufangen,« fuhr Loignac fort, »ihr werdet euch geräuschlos aus diesem Gasthofe fortbegeben, um die Wohnung zu beziehen, die man euch angewiesen hat.«

»Allen?« fragte Sainte-Maline. – »Allen.«

»Wir sind alle berufen, wir sind hier alle gleich,« sagte Perducas, dessen Beine so unsicher waren, daß er, um seinen Schwerpunkt zu behaupten, einen Arm um den Hals Chalabres schlingen mußte.

»Nehmt Euch doch in acht,« sagte dieser, »Ihr zerknittert mir mein Wams.«

»Ja, alle gleich vor dem Willen des Gebieters,« rief Loignac.

»Oh! oh! mein Herr,« entgegnete Carmainges errötend, »verzeiht, man sagte mir nicht, daß sich Herr von Epernon mein Gebieter nenne.« – »Wartet doch.« – »So hatte ich die Sache nicht verstanden.« – »Aber wartet doch, verdammter Kopf.«

Es herrschte bei der Mehrzahl ein neugieriges und bei einigen anderen ein ungeduldiges Schweigen.

»Ich habe euch noch nicht gesagt, wer euer Gebieter sein würde, meine Herren ....«

»Ja,« versetzte Sainte-Maline, »aber Ihr sagtet, daß wir einen haben würden.«

»Die ganze Welt hat einen Gebieter,« rief Loignac; »aber wenn euer Wesen zu stolz ist, um da stehen zu bleiben, wo ihr gesagt habt, so sucht höher; ich verbiete es euch nicht, sondern ich bevollmächtige euch dazu.«

»Der König,« murmelte Carmainges.

»Still!« rief Herr von Loignac, »ihr seid hierher gekommen, um zu gehorchen, gehorcht also; mittlerweile ist hier ein Brief, den Ihr mit lauter Stimme zu lesen mir das Vergnügen machen werdet, Herr Ernauton.«

»Befehl an Herrn von Loignac, das Kommando der fünfundvierzig Edelleute, die ich mit Bewilligung Seiner Majestät nach Paris berufen habe, zu übernehmen.«

Nogaret de la Valette, Herzog von Epernon

Alle verbeugten sich mehr oder minder wankend.

»Ihr habt mich also verstanden,« sagte Herr von Loignac. »Auf der Stelle müßt ihr mir folgen, eure Equipagen und eure Leute bleiben hier bei Meister Fournichon, der für sie sorgen wird, und wo ich sie später holen lasse; jetzt aber sputet euch, die Boote warten.«

»Die Boote?« wiederholten alle Gaskogner; »wir werden uns also einschiffen?« – »Allerdings werdet ihr euch einschiffen,« erwiderte Loignac. »Muß man nicht über das Wasser, um nach dem Louvre zu gehen?« – »In den Louvre, in den Louvre,« murmelten freudig die Gaskogner, »Cap de Bious! wir gehen in den Louvre.«

Loignac erhob sich von der Tafel, ließ die Fünfundvierzig an sich vorübergehen, zählte sie wie die Schafe und führte sie durch die Straßen bis zur Tour de Nesle, Hier fanden sich drei große Barken, von denen jede fünfzehn Passagiere an Bord nahm, und sogleich entfernten sie sich vom Ufer.

»Was zum Teufel werden wir im Louvre machen?« fragten sich die Unerschrockensten, die, durch die Kälte des Wassers vom Rausche befreit, der Mehrzahl nach sehr schlecht gekleidet waren.

»Wenn ich nur wenigstens meinen Panzer hätte,« murmelte Pertinax von Montcrabeau.

Der Panzermann.

Pertinax hatte sehr recht, die Abwesenheit seines Panzers zu beklagen, denn gerade zu dieser Stunde entäußerte er sich seiner auf immer durch die Vermittlung des Lakaien, den wir so vertraulich mit seinem Herrn haben sprechen sehen.

Auf die von Frau Fournichon ausgesprochenen magischen Worte: zehn Taler, lief Pertinax' Diener dem Händler in der Tat nach.

Da es schon Nacht war, und der Alteisenhändler ohne Zweifel Eile hatte, so war dieser schon etwa dreißig Schritte entfernt, als Samuel aus dem Gasthaus trat, und dieser mußte den Händler rufen, der furchtsam stehenblieb und einen durchdringenden Blick auf den Mann, der zu ihm kam, warf.

»Was wollt Ihr, mein Freund?« fragte er. – »Ei, bei Gott!« erwiderte der Lakai mit schlauer Miene, »ich will ein Geschäft mit Euch machen.«

»Nun, so machen wir geschwind.« – »Oh! Ihr werdet mir, beim Teufel! doch Zeit lassen, zu schnaufen.«

»Allerdings, doch schnauft geschwind, man erwartet mich.« – »Wenn Ihr gesehen habt, was ich Euch bringe, so werdet Ihr Euch Zeit nehmen, da Ihr mir ein Liebhaber zu sein scheint.«

»Und was bringt Ihr mir?« – »Ein herrliches Stück, ein Werk, womit... doch Ihr hört mich nicht.«

»Ihr wißt also nicht, mein Freund,« sagte der Panzermann, »daß der Waffenhandel durch ein Edikt des Königs verboten ist?« – »Ich weiß nichts, ich komme von Mont-de-Marsan.«

»Ah! das ist etwas anderes,« sagte der Panzermann, den diese Antwort etwas zu beruhigen schien; »aber obgleich Ihr von Mont-de-Marsan kommt, wißt Ihr doch schon, daß ich mit Waffen handle, und wer hat Euch das gesagt?«

»Sangdioux! das brauchte mir niemand zu sagen, Ihr habt es soeben laut genug ausgerufen.«

Nachdem der Lakai dem aufhorchenden Händler mitgeteilt hatte, daß er mit vielen Gaskognern im Schwert des kühnen Ritters gewesen sei, und ihm versichert hatte, daß diese Fremden weder dem König von Navarra ergeben noch Hugenotten seien, sagte der Händler: »Nähern wir uns ein wenig der Mauer, wir stehen hier gar zu auffallend auf der offenen Straße.«

Sie gingen miteinander einige Schritte aufwärts bis zu einem Hause von bürgerlichem Aussehen, an dessen Fensterscheiben man kein Licht erblickte. Die Tür befand sich unter einem Wetterdach, das einen Balkon bildete. Eine Steinbank war als einziger Zierat an seiner Fassade angebracht.

»Laßt einmal den Panzer anschauen,« sagte der Handelsmann, als sie unter dem Wetterdach standen. – »Hier ist er.«

»Wartet, man bewegt sich, glaube ich, in diesem Hause.« – »Nein, es ist gegenüber.«

Der Händler drehte sich um.

Gegenüber lag wirklich ein Haus von zwei Stockwerken, dessen zweites sich zuweilen flüchtig erleuchtete.

»Machen wir geschwind,« sagte der Handelsmann, den Panzer betastend. – »Nicht wahr, der ist schwer?« – »Alt, Plump, aus der Mode.« – »Ein Kunstgegenstand.« – »Sechs Taler, wollt Ihr?« – »Wie, sechs Taler, und Ihr habt dort zehn für ein altes schadhaftes Bruststück gegeben?«– »Sechs Taler, ja oder nein.« – »Aber betrachtet doch diese getriebene Arbeit.« – »Was ist an der getriebenen Arbeit gelegen, wenn man nach Gewicht wieder verkauft?« – »Oh! oh! Ihr handelt hier, und dort habt Ihr alles gegeben, was man wollte.« – »Ich gebe noch einen Taler mehr,« sagte der Händler voll Ungeduld.

»Gut,« erwiderte Samuel, »Ihr seid ein drolliger Bursche von einem Kaufmann. Ihr verbergt Euch, um Euren Handel zu treiben; Ihr verletzt die Edikte des Königs und feilscht mit ehrlichen Leuten.« – »Ruhig, ruhig, schreit nicht so.« – »Oh! ich fürchte mich nicht,« erwiderte Samuel, die Stimme erhebend, »Ich treibe keinen unerlaubten Handel und werde durch nichts veranlaßt, mich zu verbergen.« – »Still, still, und nehmt zehn Taler.« – »Zehn Taler? Ich sage Euch, daß das Gold allein so viel wert ist; ah! Ihr wollt Euch flüchtig machen?« – »Nein, nein! das ist ein wütender Mensch.« – »Ah! wenn Ihr Euch flüchtig macht, rufe ich nach der Wache!«

Während er diese» Worte sprach, erhob Samuel die Stimme so, als ob er seine Drohung verwirkliche.

Bei diesem Lärm wurde ein kleines Fenster auf dem Balkon des Hauses geöffnet, dem gegenüber der Handel stattfand, und das Knarren dieses Fensters erfüllte den Handelsmann mit Schrecken.

»Schon gut,« sagte er, »ich sehe, daß man alles tun muß, was, Ihr wollt, hier sind fünfzehn Taler, nun geht Eures Weges.« – »Das lasse ich mir gefallen,« sagte Samuel, die fünfzehn Taler einsackend. – »Das ist ein Glück.« – »Doch diese fünfzehn Taler sind für meinen Herrn, und ich muß doch auch etwas für mich haben.«

Der Handelsmann schaute umher und zog seinen Dolch halb aus der Scheide, aber Samuel hatte ein Auge, so wachsam wie das eines Sperlings, der sich an den Trauben erlabt, und er sagte zurückweichend: »Ja, ja, guter Kaufmann; ja, ich sehe deinen Dolch, aber ich sehe auch etwas anderes; jenes Gesicht auf dem Balkon, das dich auch sieht.«

Bleich vor Schrecken, schaute der Händler in der von Samuel bezeichneten Richtung und sah in der Tat auf dem Balkon ein langes phantastisches Geschöpf, in einen Schlafrock von Katzenpelz gehüllt; dieser Argus hatte keine Silbe, keine Gebärde von der letzten Szene verloren.

»Vorwärts, Ihr macht aus mir, was Ihr wollt,« sagte der Handelsmann mit einem Gelächter, dem des Schakals ähnlich, der seine Zähne zeigt, »hier ist noch ein Taler mehr ... Und der Teufel erdroßle Euch,« fügte er ganz leise hinzu.

»Ich danke Euch,« sagte Samuel, »ein gutes Geschäft.« Und er grüßte den Panzermann und verschwand mit einem Hohngelächter.

Der Handelsmann, der allein auf der Straße geblieben war, hob den Panzer auf und bemühte sich, ihn in Fournichons zu schieben. Der Bürger schaute immer noch; als er den Handelsmann sehr ängstlich beschäftigt sah, sagte er: »Mein Herr, es scheint, Ihr kauft Rüstungen.«

»Nein, mein Herr,« erwiderte der unglückliche Händler, »das geschieht nur so zufällig, und weil sich mir eine Gelegenheit geboten hat.« »Dann bedient mich der Zufall wunderbar. Denkt Euch, daß ich gerade hier im Bereiche meiner Hand einen Haufen von altem Eisen habe, der mir lästig ist.«

»Ich sage nicht nein; aber für den Augenblick habe ich, wie Ihr seht, alles, was ich tragen kann.«

»Ich will es Euch immerhin zeigen. Es ist seltsam, aber mir scheint, ich kenne Euch!« versetzte der Bürger.

»Mich?« erwiderte der Handelsmann, der vergebens einen Schauer zurückzudrängen suchte.

»Schaut doch diese Sturmhaube an,« sagte der Bürger, indem er mit seinem langen Fuß den bezeichneten Gegenstand vorschob, denn er wollte das Fenster nicht verlassen, aus Furcht, der andere könnte sich wegstehlen. Und er hob die Sturmhaube über den Balkon und in die Hand des Kaufmanns.

»Seid Ihr nicht,« fragte er dabei, »Nicolas?«

Das Gesicht des Handelsmanns zersetzte sich gleichsam, und man sah den Helm in seiner Hand zittern. – »Nicolas?« wiederholte er.

»Nicolas Truchou, Kunsthändler, in der Rue de la Cossonnerie.«

»Nein, nein,« erwiderte der Handelsmann, der nun wieder lächelte und wie ein viermal glücklicher Mensch atmete.

»Gleichviel, Ihr habt ein gutes Gesicht, und es handelt sich darum, mir eine vollständige Rüstung abzukaufen, Panzer, Armschienen und Schwert.«

Trotz seines Drängens kam der Händler von dem verdächtigen Bürger nicht los, der mit ihm spielte, wie die Katze mit der Maus, und nach längerem Verhandeln sagte:

»Doch in der Tat, je mehr ich Euch anschaue, desto sicherer bin ich, daß ich Euch kenne; nein, Ihr seid nicht Nicolas Truchou, aber ich kenne Euch dennoch.« – »Stille!« – »Und wenn Ihr Panzer kauft ....« – »Nun?« – »So geschieht es wahrhaftig, um ein gottgefälliges Werk zu verrichten.« – »Schweigt.« »Ihr entzückt mich,« sagte der Bürger und streckte über den Balkon einen ungeheuren Arm herab, dessen Hand in die Hand des Kaufmanns griff. – »Aber wer zum Teufel seid Ihr denn?« fragte dieser, der seine Hand wie in einem Schraubstock gepackt fühlte. – »Ich bin Robert Briquet, genannt der Schrecken des Schisma, Freund der Union und wütender Katholik; jetzt erkenne ich Euch ganz genau.«

Der Handelsmann wurde wieder bleich.

»Ihr seid Nicolas... Grimbelot, Gerber zur Kuh ohne Knochen.« – »Nein, nein, Ihr täuscht Euch, Gott befohlen, Meister Robert Briquet; es hat mich ungemein gefreut, Eure Bekanntschaft zu machen.«

Hierauf drehte der Handelsmann dem Balkon den Rücken zu und wollte sich lieber darein ergeben, seine Panzer im Stiche zu lassen und alles zu verlieren, als erkannt zu werden, indem er über Hals und Bein entfloh.

Aber Robert Briquet war nicht der Mann, der sich auf diese Art schlagen ließ; er schwang sich auf das Geländer des Balkons, stieg auf die Straße hinab, beinahe, ohne daß er zu springen brauchte, und erreichte den Kaufmann in vier bis fünf Sätzen.

»Seid Ihr ein Narr, mein Freund,« sagte er, seine breite Hand auf die Schulter des armen Teufels legend; »wenn ich Euer Feind wäre, wenn ich Euch festnehmen lassen wollte, so brauchte ich nur zu schreien; die Wache kommt zu dieser Stunde durch die Rue des Augustins; aber nein, der Teufel soll mich holen, Ihr seid mein Freund, und nun erinnere ich mich ganz bestimmt Eures Namens.«

Diesmal brach der Handelsmann in ein Gelächter aus. Robert Briquet stellte sich ihm gegenüber und sagte: »Ihr heißt Nicolaus Poulain und seid Leutnant der Prevoté (Stadtvogtei) von Paris; ich erinnere mich, daß ein Nicolas dabei war.«

»Ich bin verloren,« stammelte der Händler. »Im Gegenteil, Ihr seid gerettet! Alle Teufel! Ihr werdet nie für die gute Sache tun, was ich zu tun beabsichtige.«

Nicolaus Poulain entschlüpfte ein Seufzer.

»Auf, auf, Mut,« sagte Robert Briquet; »faßt Euch; Ihr habt einen Bruder gefunden, den Bruder Briquet, nehmt einen Panzer, ich nehme die zwei andern, ich mache Euch ein Geschenk mit meinen Armschienen, mit meinen Beinschienen und gebe Euch meine Handschuhe in den Kauf; vorwärts, und es lebe die Union!«

»Ihr begleitet mich?« – »Ich helfe Euch diese Sachen tragen, welche die Philister besiegen müssen; zeigt mir den Weg, ich folge Euch.«

Die Seele des unglücklichen Leutnants der Prevoté durchzuckte ein sehr natürlicher Blitz des Argwohns, aber er verschwand auf der Stelle wieder.

»Hätte er gestanden, daß er mich kenne, wenn er mich verderben wollte?« sagte er leise zu sich selbst. Laut aber sagte er: »Vorwärts also, da Ihr es durchaus so wollt, kommt mit mir.«

»Zum Leben und in den Tod,« rief Robert Briquet und drückte mit einer Hand die Hand seines Verbündeten, während er mit der andern triumphierend seine Eisenlast in die Luft hob.

Nachdem sie zwanzig Minuten gegangen waren, kamen sie in den Marais, wo Poulain nächst dem Hotel Guise stehen blieb.

»Ich vermutete, meine Rüstung würde in diese Gegend kommen,« dachte Briquet.

»Freund,« sagte Nicolas Poulain, sich mit einer tragischen Miene gegen Briquet wendend, »ehe wir in des Löwen Höhle eintreten, lasse ich Euch eine letzte Minute der Überlegung; es ist noch Zeit, zurückzukehren, wenn Ihr nicht stark in Eurem Gewissen seid.«

»Bah!« erwiderte Briquet, »ich habe andere Dinge gesehen.«

»Vorwärts,« sagte Poulain, »so laßt uns eintreten.« Und er führte ihn zu der riesigen Pforte des Hotels Guise, die sich bei dem dritten Schlage des bronzenen Klopfers öffnete.

Der Hof war voll von Wachen und Männern, die, in Mäntel gewickelt, wie Gespenster hin und her liefen. Es war kein einziges Licht im Hotel. Acht gesattelte und gezäumte Pferde warteten in einem Winkel.

Bei dem Lärm des Hammers wandte sich die Mehrzahl dieser Leute um, die eine Art von Spalier bildeten, um die Ankömmlinge zu empfangen.

Nicolas Poulain neigte sich an das Ohr eines Portiers, der die kleine Tür halb geöffnet hielt, und nannte ihm seinen Namen.

»Und ich bringe einen guten Kameraden,« fügte er hinzu.

»Geht vorbei, meine Herren,« sagte der Portier.

»Bringt dies in die Magazine,« sagte Poulain und übergab einer Wache die drei Panzer nebst dem Eisenwerk Briquets. »Doch kommt,« fügte er zu seinem Begleiter hinzu, »daß ich Euch vorstelle.«

»Nehmt Euch in acht,« sagte der Bürger, »ich bin außerordentlich schüchtern. Man dulde mich, mehr will ich nicht; wenn ich meine Proben abgelegt habe, werde ich mich allein durch meine Taten vorstellen.«

»Wie es Euch beliebt,« antwortete der Leutnant, »erwartet mich also hier.« Und er ging und drückte der Mehrzahl der Spaziergänger die Hand.

»Worauf warten wir noch?« fragte eine Stimme. »Auf den Herrn,« antwortete eine andere Stimme.

In diesem Augenblicke trat ein Mann von hoher Gestalt in das Hotel; er hatte die letzten von den geheimnisvollen Spaziergängern ausgetauschten Worte gehört.

»Meine Herren,« sagte er, »ich komme in seinem Namen.«

»Ah! das ist Herr von Mayneville,« rief Poulain. »Ich bin bei Bekannten,« sagte Briquet zu sich selbst, indem er eine Grimasse studierte, die ihn völlig entstellte.

»Meine Herren, wir sind nun vollzählig, beraten wir uns,« sagte die Stimme, die sich zuerst hatte hören lassen.

»Ah! gut!« sagte Briquet zu sich selbst, »nun sind es zwei: dies ist mein Anwalt, Meister Marteau.«

Und er veränderte seine Grimasse mit einer Leichtigkeit, durch die er bewies, wie sehr er mit physiognomischen Studien vertraut war.

»Gehen wir hinauf!« sagte Poulain.

Herr von Mayneville ging voran, Nicolas Poulain folgte; die Männer in den Mänteln kamen nach Nicolas Poulain und Robert Briquet nach den Männern in den Mänteln. Alle stiegen die Stufen einer äußeren, nach einem Gewölbe ausmündenden Treppe hinauf. Robert Briquet folgte den andern und murmelte dabei: »Doch der Page, wo zum Teufel ist der Page?«

Abermals die Lige.

In dem Augenblick, wo Robert Briquet hinter den andern die Treppe hinaufstieg, wobei er sich eine ziemlich gefährliche Verschwörermiene gab, bemerkte er, daß Nicolas Poulain, nachdem er mit mehreren seiner geheimnisvollen Gefährten gesprochen hatte, an der Tür des Gewölbes wartete.

»Das geschieht meinetwegen,« sagte Briquet zu sich selbst.

Der Leutnant der Stadtvogtei hielt wirklich seinen Freund an, als er eben die furchtbare Schwelle zu überschreiten im Begriff war.

»Ihr werdet es mir nicht verargen,« sagte er zu ihm, »aber die meisten von unseren Freunden kennen Euch nicht und wünschen Auskunft über Euch zu haben, ehe sie Euch zum Rat zulassen.« – »Das ist nur billig, und Ihr wißt, daß meine natürliche Bescheidenheit diese Einwendung schon vorhergesehen hatte!«

»Ich lasse Euch Gerechtigkeit widerfahren, Ihr seid ein ganzer Mann.« – »Ich entferne mich also, sehr glücklich, an einem Abend so viele brave Verteidiger der katholischen Union gesehen zu haben.«

»Soll ich Euch zurückführen?« – »Nein, ich danke, es bedarf dessen nicht.«

»Man könnte Euch Schwierigkeiten machen; doch man erwartet mich anderswo.« – »Habt Ihr nicht ein Losungswort, um hinauszukommen. Gebt es mir.«

»Nun, da Ihr einmal hereingekommen seid ....« – »Und da wir Freunde sind ....«

»Es sei! Ihr braucht nur Parma und Lothringen zu sagen.« – »Sehr gut, ich danke. Geht zu Euren Geschäften, ich kehre zu den meinigen zurück.«

Nicolas Poulain trennte sich von seinem Gefährten und begab sich wieder zu seinen Kollegen. Briquet machte ein paar Schritte, als ob er in den Hof hinabgehen wollte, blieb aber, sobald er die erste Stufe der Treppe erreicht hatte, stehen, um die Örtlichkeit zu erforschen. Das Resultat seiner Beobachtungen war, daß sich das Gewölbe parallel mit der äußeren Mauer hinzog, die es durch ein großes Wetterdach beschirmte. Offenbar mündete dieses Gewölbe gegen einen unteren Saal, in dem die geheimnisvolle Versammlung stattfinden sollte.

Was ihn in dieser Annahme bestärkte, war der Umstand, daß er ein Licht an einem vergitterten Fenster erscheinen sah, das in dieser Mauer angebracht und durch eine Art von hölzernem Trichter beschützt war, wie man sie an den Fenstern der Gefängnisse oder der Klöster anwendet, um die Aussicht abzuschneiden und nur das Einströmen der Luft und den Anblick des Himmels zu gewähren.

Briquet dachte, dieses Fenster wäre das des Versammlungssaales, und wenn man bis dahin gelangen könnte, so wäre der Ort günstig zur Beobachtung.

Es handelte sich darum, von den Pagen und Wachen im Hofe nicht gesehen zu werden.

Entschlossen, seinen Trichter zu erreichen, schlüpfte Briquet längs dem Karnies hin, der von der Freitreppe, die er als Ornament fortzusetzen schien, nach diesem Fenster zulief, und folgte der Mauer, wie eine Katze oder ein Affe, indem er sich mit den Händen und den Füßen an dem aus der Mauer selbst ausgehauenen Zierat festhielt.

Hätten die Pagen und die Soldaten in der Dunkelheit die phantastische Silhouette sehen können, wie sie mitten an der Mauer ohne einen scheinbaren Stützpunkt hinglitt, so würden sie sicher über Zauberei geschrien haben, und mehr als einer unter den Bravsten hätte seine Haare sich sträuben gefühlt.

Briquet hatte sich nicht getäuscht; er wurde reichlich für seine Bemühungen und für seine Kühnheit belohnt, als er das Gitter erreicht hatte. Sein Blick umfaßte wirklich einen großen Saal, der durch eine eiserne Lampe mit vier Schnäbeln beleuchtet und mit Rüstungen aller Art gefüllt war. Was da an Piken, Stoßdegen, Hellebarden und Musketen, teils aufgehäuft, teils in Bündeln zusammengestellt, vorhanden war, hätte genügt, um vier starke Regimenter zu bewaffnen.

Briquet schenkte jedoch seine ganze Aufmerksamkeit der Versammlung.

Seine glühenden Augen durchdrangen das dicke und mit einer fetten Lage von Rauch und Staub überzogene Glas, um unter den Visieren oder Kapuzen die Gesichter von Bekannten zu erkennen.

»Oh! oh!« sagte er, »das ist Meister Crucé, unser Empörer ... Hier sehe ich unsern kleinen Brigard, den Gewürzkrämer an der Ecke der Rue des Lombards; dort steht Meister Leclerc, der sich Bussy nennen läßt, es jedoch sicherlich nicht gewagt hätte, zur Zeit, wo der wahre Bussy noch lebte, eine solche Ruchlosigkeit zu begehen. Ich muß ihn einmal fragen, ob er den geheimen Stoß kenne, an dem einer von meinen Bekannten, ein gewisser David, in Lyon, gestorben ist. Pest, das Bürgertum ist großartig vertreten, aber der Adel ... Ah! Herr von Mayneville, Gott verzeihe mir! er drückt Nicolas Poulain die Hand, das ist rührend, man schließt Brüderschaft. Ah! ah! Herr von Mayneville ist also ein Redner. Er nimmt die erforderliche Stellung, um eine Rede zu halten. Seine Gebärde ist angenehm, und er verdreht die Augen sehr überzeugend.«

Briquet sah, doch er konnte, wie gesagt, nicht hören; aber wir, die wir im Geiste den Verhandlungen der stürmischen Versammlung beiwohnen, wollen dem Leser kurz den Gang und Geist der Verhandlungen angeben.

Zuerst beklagten sich Crucé, Marteau und Bussy über die Untätigkeit des Herzogs von Guise, insbesondere wies Marteau als Anwalt der Partei darauf hin, daß die Verschworenen Vermögen und Leben in die höchste Gefahr gebracht hätten und nicht länger warten wollten.

Herr von Mayneville suchte sie vergeblich damit zu beruhigen, daß der Herzog seinen Bruder, den Herrn von Mayenne, nach Paris sende. Erfolgreicher war er in seinem Bemühen, als er erzählte, daß Frau von Montpensier in Paris weile und mit Einsetzung ihres Lebens Salcède abgehalten habe, das Komplott der Ligisten zu enthüllen. Damit gewann Herr von Mayneville das Spiel gegenüber den erbitterten und ungeduldigen Anhängern.

Briquet erriet ihre Freude aus ihren Bewegungen, und diese Freude beunruhigte den würdigen Bürger ungemein, der plötzlich einen Entschluß zu fassen schien.

Er ließ sich oben von seinem Trichter auf das Pflaster des Hofes hinabgleiten und wandte sich nach dem Tore, wo ihm der Pförtner auf die zwei Worte: Lothringen und Parma, den Ausgang freigab.

Sobald Meister Robert Briquet auf der Straße war, atmete er so geräuschvoll, daß man merkte, er habe seit langer Zeit den Atem zurückgehalten.

Die Beratung dauerte aber immer noch fort. Herr von Mayneville überbrachte namens der Guisen den künftigen Insurgenten von Paris den ganzen Plan des Aufstandes.

Es handelte sich um nichts Geringeres, als alle wichtige Personen, von denen man wußte, daß sie beim König in Gunst standen, zu ermorden, mit dem Ausruf: »Es lebe die Messe! Tod den Politikern!« die Straße zu durchziehen und so eine neue Bartholomäusnacht mit den Trümmern der alten zu entflammen; nur sollten diesmal die schlimm denkenden Katholiken mit den Hugenotten aller Art daran glauben.

Indem man so handelte, diente man zwei Göttern: dem, der im Himmel herrscht, und dem, der in Frankreich herrschen sollte. Dem Ewigen und Herrn von Guise.

Das Gemach seiner Majestät Heinrichs III. im Louvre.

In seinem großen Gemach im Louvre, in das wir schon so oft mit unseren Lesern eingetreten sind, finden wir den armen König Heinrich III. nicht mehr als König und Herrn, sondern niedergeschlagen, bleich, unruhig und ganz und gar der Verfolgung aller Schatten preisgegeben, die bei ihm die Erinnerung unablässig unter diesen erhabenen Gewölben hervorruft.

Heinrich III. war grausam heimgesucht worden. Alles, was er liebte, war nach und nach um ihn her gefallen. Nachdem, wie wir in der »Dame v. Monsoreau« erzählt haben, Schomberg, Quelus und Maugiron im Duelle durch Livarot und Antraguet getötet worden, wurde Saint-Megrin durch Herrn von Mayenne ermordet, die Wunden waren offen und blutig geblieben .... Seine Zuneigung für die neuen Günstlinge, Epernon und Joyeuse, glich der, die ein Vater, nachdem er seine besten Kinder verloren, auf die überträgt, die ihm noch bleiben; während er ihre Fehler vollkommen kennt, liebt er, schont er, behütet er sie, um dem Tod keine Gewalt über sie zu geben.

Er hatte Epernon mit Gütern überhäuft, trotzdem hatte er fortwährend unter dessen Habsucht zu leiden, da er beständig die Schwäche des Königs ausbeutete und aus dem Günstlingstum ein Gewerbe machte. Dabei zwang ihn die Notwendigkeit, auf Füllung des königlichen Schatzes bedacht zu sein, damit er selbst daraus schöpfen könne, und so statt eines trägen Höflings ein tätiger Höfling zu sein.

Viel reiner war das Verhältnis Joyeuses zum König. Aber Joyeuse war jung, feurig, verliebt, und wenn er verliebt war, selbstsüchtig; durch den König glücklich zu sein, hatte für ihn wenig Reiz, sonst glücklich zu sein, war alles für ihn.

Brav, schön, reich, glänzte er in diesem dreifachen Schein, der für junge Stirnen eine Liebesglorie bildet; die Natur hatte zu viel für Joyeuse getan, und Heinrich verfluchte zuweilen die Natur, die ihm, dem König, so wenig für seinen Freund zu tun übrig gelassen.

Heinrich kannte die beiden Männer genau und liebte sie vielleicht des Kontrastes willen. Unter seiner skeptischen und abergläubischen Hülle verbarg Heinrich einen Gehalt von Philosophie, der sich, ohne Katharina, sicher stark in einer nützlichen Richtung entwickelt hätte. Oft verraten, wurde Heinrich nie getäuscht.

Mit dem vollkommenen Verständnis des Charakters seiner Freunde, mit der tiefen Kenntnis ihrer Fehler und ihrer guten Eigenschaften, dachte er nun, von ihnen entfernt, einsam, traurig, in diesem düsteren Gemache an sie, an sich, an sein freudenleeres Leben.

Salcèdes Vierteilung hatte ihn eher trübe gestimmt. Allein zwischen den beiden Frauen in einem solchen Augenblick hatte Heinrich seine einsame Lage gefühlt; Luisens Schwäche machte ihn traurig; Katharinas Stärke erschreckte ihn. Heinrich empfand endlich in seinem Innern jene unbestimmte, ewige Angst, die die Könige erfaßt, wenn sie vom Mißgeschick dazu bestimmt sind, daß ein Geschlecht in ihnen und mit ihnen erlösche.

Und dennoch raffte er sich von Zeit zu Zeit zu der Energie seiner lange vor dem Ende seiner Jugend in ihm erloschenen Jugend auf.

»Warum soll ich mich berunruhigen?« sagte er zu sich selbst. »Ich habe keine Kriege mehr durchzukämpfen; Guise ist in Nancy; Heinrich in Pau; der eine muß seinen Ehrgeiz in sich selbst verschließen, der andere hat nie Ehrgeiz gehabt. Die Geister besänftigen sich, kein Franzose hat im Ernste das unmögliche Unternehmen, den König zu entthronen, im Auge behalten; die durch die goldene Schere der Frau von Montpensier versprochene dritte Krone ist nicht mehr als das Wort eines in seiner Eitelkeit verletzten Weibes; meine Mutter allein träumt immer von ihrem Usurpationsgespenst, ohne mir im Ernst den Usurpator zeigen zu können; doch ich, der ich ein Mann bin, der ich trotz meines Kummers ein noch junges Gehirn besitze, ich weiß, woran ich mich hinsichtlich der Prätendenten, die sie fürchtet, zu halten habe.

»Ich werde Heinrich von Navarra lächerlich, Guise verhaßt machen, und mit dem Schwerte in der Hand die fremden Bündnisse sprengen. Bei Gottes Tod! ich war bei Jarnac und Moncontour nicht mehr wert, als ich heute wert bin.

»Ja,« fuhr Heinrich fort, »die Langeweile ist mein einziger, mein wahrer Verschwörer. Ich will doch sehen, ob heute einer zu mir kommt! Joyeuse versprach mir, früh zu erscheinen: er belustigt sich, aber wie macht er das nur? Epernon? oh! der belustigt sich nicht; er schmollt, er hat seine Klauensteuer von fünfundzwanzigtausend Talern noch nicht erhalten; meiner Treue! er mag nach seinem Belieben schmollen.« »Sire,« sagte die Stimme des Huissiers, »der Herr Herzog von Epernon!«

»Ah! guten Abend, Herzog,« sagte der König, als er eintrat, »ich bin entzückt, Euch zu sehen.«

Epernon verbeugte sich ehrfurchtsvoll.

»Warum habt Ihr diesen Schurken von einem Spanier nicht vierteilen sehen? Ihr wußtet wohl, daß Ihr einen Platz in meiner Loge hattet, da ich es Euch sagen ließ.« – »Sire, ich konnte nicht.«

»Ihr konntet nicht?« – »Nein, Sire, ich hatte Geschäfte.«

»Sollte man nicht in der Tat glauben, es wäre mein Minister mit seinem ellenlangen Gesichte und käme, um mir zu melden, eine Steuer sei nicht bezahlt worden,« sagte Heinrich, die Achseln zuckend. – »Wahrhaftig,« sagte Epernon, die Kugel im Sprunge auffassend, »Eure Majestät hat recht, die Steuer ist nicht bezahlt, und ich habe keinen Taler mehr.«

»Gut,« machte Heinrich ärgerlich. – »Doch,« fuhr Epernon fort, »es handelt sich nicht darum, und ich beeile mich, es Eurer Majestät zu sagen, denn sie könnte glauben, dies seien die Angelegenheiten, mit denen ich mich beschäftige.«

»Laßt Eure Angelegenheiten hören, Herzog!« – »Eure Majestät weiß, was bei der Hinrichtung Salcèdes vorgefallen ist?«

»Bei Gott, da ich dabei gewesen bin.« – »Man hat den Verurteilten zu entführen versucht.«

Aber Heinrich wollte nichts von Politik hören, er wollte unterhalten sein und seufzte: »O, hätte ich doch noch jenen anderen demütigen Freund, mit dem ich nie einen einzigen Augenblick der Langeweile durchzumachen hatte.« – »Von wem spricht Eure Majestät?« –

»Du müßtest ihm gleichen, Epernon.« – »Aber ich müßte doch wissen, wen Eure Majestät beklagt?« »Oh! armer Chicot, wo bist du?« – Epernon stand ganz gereizt auf.

»Nun, was machst du?« fragte der König. – »Es scheint, Sire, Eure Majestät ist heute bei Gedächtnis; doch in der Tat, das bringt nicht jedem Glück.«

»Und warum dies?« – »Weil mich Eure Majestät, vielleicht, ohne es zu überlegen, mit Herrn Chicot vergleicht, und weil ich mich durch diesen Vergleich sehr wenig geschmeichelt fühle.«

»Du hast unrecht, Epernon. Ich kann mit Chicot nur einen Menschen vergleichen, den ich liebe, und der mich liebt. Er war ein gediegener und geistreicher Diener.« – »Ich denke, nicht damit ich Meister Chicot gleiche, hat mich Eure Majestät zum Pair und Herzog gemacht.«

»Still, erheben wir keine Gegenbeschuldigung,« sagte der König mit einem so boshaften Lächeln, daß der Gaskogner, so fein und unverschämt er zugleich war, sich unbehaglicher vor diesem schweigenden Sarkasmus fühlte, als er es bei offenem Vorwurf gewesen wäre. »Chicot liebte mich, und er fehlt mir, das ist alles, was ich sagen kann,« fuhr Heinrich fort. »Oh! wenn ich bedenke, daß an demselben Platz, wo du bist, alle diese jungen, schönen, braven und treuen Leute vorübergegangen sind, daß auf dem Lehnstuhl, auf den du deinen Hut gelegt hast, Chicot mehr als hundertmal eingeschlafen ist.« – »Das war vielleicht sehr geistreich, jedenfalls aber sehr wenig ehrfurchtsvoll.«

»Ach! dieser teure Freund hat heute nicht mehr Geist als Körper.« Und der König schüttelte traurig seinen Rosenkranz von Totenköpfen, der ein so düsteres Geklapper hören ließ, als ob er von wirklichen Gebeinen gemacht wäre. – »Was ist denn aus Eurem Chicot geworden?«

»Er ist tot, tot wie alles, was mich geliebt hat.« – »Nun, Sire,« sagte der Herzog, »ich glaube in der Tat, er hat wohl daran getan, daß er gestorben ist; er alterte, viel weniger indessen, als seine Späße, und man hat mir gesagt, die Nüchternheit sei nicht seine Lieblingstugend gewesen. An was ist denn der arme Teufel gestorben, Sire, an der Unverdaulichkeit?«

»Chicot ist vor Kummer gestorben, schlechtes Herz,« erwiderte bitter der König, – »Er hätte Euch zum letzten Male lachen machen sollen.«

»Du täuschest dich; er wollte mich nicht einmal durch die Ankündigung seiner Krankheit betrüben; weil er wußte, wie sehr ich meine Freunde betraure, er, der mich so oft weinen sah.« – »Dann ist sein Schatten zurückgekehrt.«

»Gefiele es Gott, daß ich ihn wiedersehen würde, selbst im Schatten. Nein, sein bester Freund, der würdige Prior Gorenflot, hat mir diese Kunde mitgeteilt.« – »Gorenflot, wer ist dies?«

»Ein frommer Mann, den ich zum Prior der Jakobiner gemacht habe; er bewohnt das schöne Kloster vor der Porte Saint-Antoine, bei Bel-Esbat.« – »Sehr gut! irgendein schlechter Prediger, dem Eure Majestät eine Priorei von dreißigtausend Livres gegeben haben wird, ohne daß sie es wagt, ihm das Empfangene vorzurücken.«

»Willst du nun gottlos werden?« – »Wenn dies Eurer Majestät die Langeweile vertreiben könnte, würde ich es versuchen.«

»Willst du wohl schweigen, Herzog; du beleidigst Gott.« – »Chicot war sehr gottlos, und mir scheint, ihm verzieh man.«

»Chicot kam in einer Zeit, wo ich noch über etwas lachen konnte.« – »Dann hat Eure Majestät unrecht, seinen Verlust zu beklagen.«

»Warum?« – »Wenn sie über nichts mehr lachen kann, so würde ihr Chicot, so heiter er auch war, keine große Unterstützung gewähren.«

»Dieser Mann war zu allem gut, und ich beklage seinen Verlust nicht allein wegen seines Witzes.« – »Und warum sonst? Ich denke, nicht seines Gesichtes wegen, denn er war sehr häßlich, dieser Herr Chicot.« »Er erteilte weise Ratschläge.« – »Ah! ich sehe wohl, wenn er noch lebte, würde Eure Majestät einen Siegelbewahrer aus ihm machen, wie sie aus diesem Kuttenmann einen Prior gemacht hat.«

»Still, Herzog, ich bitte Euch, spottet nicht über die, die mir Zuneigung bewiesen haben, und denen ich zugetan war. Seitdem Chicot gestorben, ist er mir heilig, wie ein ernster Freund, und wenn ich nicht Lust habe zu lachen, soll niemand lachen.« – »Es sei, Sire, ich habe so wenig Lust, zu lachen, als Eure Majestät. Noch soeben beklagtet Ihr den Verlust Chicots wegen seiner guten Laune; soeben verlangtet Ihr von mir, daß ich Euch aufheitere, während Ihr nun wünscht, daß ich Euch traurig mache.... Parfandious! ... Oh! verzeiht, Sire, dieser verdammte Fluch entschlüpft mir immer.«

»Gut, gut, nun bin ich abgekühlt; nun bin ich auf dem Punkte, wo du mich haben wolltest, als du das Gespräch mit so düsteren Redensarten begannst. Sage mir nun deine schlimmen Nachrichten, Epernon; bei dem König findet sich immer die Kraft eines Mannes.« – »Ich bezweifle es nicht, Sire.«

»Und das ist ein Glück, denn schlecht bewacht, wie ich bin, wäre ich, wenn ich mich selbst nicht bewachte, zehnmal des Tages gestorben.« – »Was gewissen Leuten, die ich kenne, nicht mißfallen würde.«

»Gegen diese habe ich die Hellebarden meiner Schweizer, Herzog.« – »Das nützt nicht viel, wenn es gilt, aus der Ferne zu treffen.«

»Gegen die, die man aus der Ferne treffen muß, habe ich die Musketen meiner Schützen.« – »Das ist unbequem, will man von nahem treffen; um eine königliche Brust zu beschützen, taugen mehr als Hellebarden und Musketen gute Brüste.«

»Ach, das hatte ich einst, und in diesen Brüsten edle Herzen; nie hätte man mich erreicht zur Zeit der lebendigen Wälle, wie man Quelus, Schomberg, Saint-Luc, Maugiron und Saint-Megrin nannte.« – »Das ist es also, was Eure Majestät beklagt?«

»Ich beklage die Herzen, die vor allem in der Brust dieser Männer schlugen.« – »Sire, wenn ich es wagte, würde ich Eurer Majestät bemerken, daß ich Gaskogner, das heißt vorsichtig und gewandt bin; daß ich durch den Geist die Eigenschaften zu ersetzen suche, die mir die Natur versagt hat, mit einem Wort, daß ich alles tue, was ich kann, das heißt alles, was ich soll, und daß ich folglich mit Recht sagen kann: Komme, was da will.«

»Ah! so ziehst du dich heraus; du trittst ein und nimmst den Mund sehr voll mit wahren oder falschen Gefahren, denen ich preisgegeben sein soll, und wenn es dir gelungen ist, mich zu erschrecken, so faßt du dich in den Worten zusammen: Komme, was da will. Sehr verbunden, Herzog.« – »Eure Majestät will also ein wenig an diese Gefahren glauben?«

»Es sei. Ich werde daran glauben, wenn du mir beweist, daß du sie bekämpfen kannst.« – »Ich glaube, daß ich es kann.«

»Du kannst es?« – »Ja, Sire.«

»Ich weiß wohl, du hast Mittel – deine kleinen Mittel, – du Fuchs.« – »Nicht so klein.«

»Laß hören.« – »Will Eure Majestät die Gnade haben, aufzustehen?«

»Wozu?« – »Um mit mir zu den alten Gebäuden des Louvre zu kommen.«

»Zu dieser Stunde?« – »Es schlägt soeben zehn Uhr im Glockenturme des Louvre; mir scheint, das ist nicht so spät.«

»Was werde ich in diesen Gebäuden sehen?« – »Ah! bei Gott! wenn ich es Euch sage, so ist dies das Mittel, das Ihr nicht kennt.«

»Das ist sehr fern von hier, Herzog.« – »Durch die Galerien geht man in fünf Minuten dahin, Sire.«

»Epernon, Epernon!« – »Nun, Sire?«

»Wenn das, was du mich sehen lassen willst, nicht sehr interessant ist, so nimm dich in acht.« – »Sire, ich stehe Euch dafür, daß es interessant sein wird.«

»Vorwärts,« sagte der König, indem er sich mit einer gewissen Anstrengung erhob.

Der Herzog nahm seinen Mantel und reichte dem König seinen Degen; dann ergriff er eine Wachsfackel und schritt in der Galerie Seiner Allerchristlichsten Majestät voran, die ihm mit schleppendem Gange folgte.

Das Schlafgemach.

Obgleich es erst zehn Uhr war, herrschte doch schon eine Todesstille im Louvre; kaum hörte man, so wütend wehte der Wind, den schweren Tritt der Schildwachen und das Knarren der Zugbrücken.

Die nächtlichen Wanderer gelangten wirklich in weniger als fünf Minuten zu den gesuchten Räumen. Der Herzog zog einen Schlüssel aus seiner Tasche, stieg einige Stufen hinab, durchschritt einen kleinen Hof und öffnete eine gewölbte Tür, die halb von Brombeerstauden und langem Gras versperrt war. Er folgte ungefähr zehn Schritte einem dunkeln Weg, an dessen Ende er sich in einem inneren Hof befand; hier war in einer Ecke eine steinerne Treppe bemerkbar, die in ein weites Zimmer oder vielmehr in einen ungeheuern Korridor führte. Epernon hatte auch den Schlüssel zu diesem Korridor.

Er öffnete sacht die Tür und machte Heinrich auf die seltsame Einrichtung aufmerksam, die, sobald diese Tür geöffnet war, sogleich ins Auge fiel. Es waren fünfundvierzig Betten aufgereiht. In jedem Bett lag ein Schläfer.

Der König schaute alle diese Betten, alle diese Schläfer an, wandte sich dann mit einer unruhigen Neugierde zum Herzog und fragte: »Nun, wer sind alle diese Leute, welche hier schlafen?« – »Leute, die noch diesen Abend schlafen, morgen aber nicht mehr schlafen werden, als es ihr Dienst erlaubt.«

»Und warum werden sie nicht mehr schlafen?«

»Damit Majestät schlafen kann.«

»Erkläre dich; diese Leute sind also insgesamt Freunde?«

Epernon legte dem König mit aller Weitschweifigkeit und sein Verdienst auf jede Weise hervorhebend dar, daß er aus diesen gaskognischen Edelleuten eine treffliche Leibwache für Heinrich schaffen wolle. Auch dem Einwand, daß die königliche Kasse leer sei und die hohen Kosten nicht erschwingen könne, wußte der schlaue Herzog wohl zu begegnen. Er verlangte für jeden von den Fünfundvierzig für das erste Semester eine Börse mit tausend Talern, hatte aber bei dem Staatsschatzmeister die eben eingelaufene erste Rate der neuen Abgabe von Wildbret und Fischen im Betrage von 65000 Talern für den König mit Beschlag belegt; den überbleibenden Teil erbitte er sich als Abschlagszahlung für seine eigene Steuer.

»Aha. ich wußte das,« sagte der König. »Du gibst mir eine Leibwache, um zu deinem Gelde zu kommen.« – »Sire!«

»Aber warum gerade die Zahl fünfundvierzig?« fragte der König, zu einem andern Gedanken übergehend. – »Hört, Sire. Die Zahl drei ist eine Urzahl und göttlich, mehr noch, sie ist bequem. Wenn z.B. ein Reiter drei Pferde hat, ist er nie zu Fuß; das zweite ersetzt das erste, wenn dieses müde ist, und dann bleibt noch ein drittes, um im Falle einer Verwundung oder Krankheit für das erste einzutreten. Ihr werdet also immer dreimal fünfzehn Edelleute haben. Fünfzehn im Dienst, dreißig, die ausruhen. Jeder Dienst wird zwölf Stunden dauern. Und während dieser zwölf Stunden habt Ihr immer fünf rechts, fünf links, zwei vorn und drei hinten. Bei einer solchen Wache komme man und wage es einmal, Euch anzugreifen.« »Bei Gottes Tod! das ist geschickt kombiniert, Herzog, und ich mache dir mein Kompliment.« – »Schaut sie an, Sire, sie werden wahrhaftig eine gute Wirkung hervorbringen.«

»Ja, gekleidet werden sie nicht übel sein.« – »Glaubt Ihr nun, daß ich das Recht habe, von den Gefahren zu sprechen, die Euch bedrohen?«

»Ich sage nicht nein.« – »Ich hatte also recht.«

»Es mag sein.« – »Herr von Joyeuse hätte diesen Gedanken nicht gehabt!«

»Epernon! Epernon! es ist nicht liebreich, Schlimmes von Abwesenden zu sagen.« – »Parfandious! Ihr sagt viel Schlimmes von den Anwesenden, Sire.«

»Ah! Joyeuse begleitet mich immer. Er war mit mir heute auf der Grève.« – »Nun, ich war hier, Sire, und Eure Majestät sieht, daß ich meine Zeit nicht verloren habe.«

»Ich danke, Lavalette.« – »Ah! Sire,« sagte Epernon, nachdem er einen Augenblick geschwiegen hatte, »ich wollte Eure Majestät um etwas bitten.«

»Es wundert mich in der Tat sehr, Herzog, daß du mich um nichts batst.« – »Eure Majestät ist heute bitter, Sire.«

»Ei! nein, du begreifst nicht, mein Freund,« sagte der König, bei dem der Spott die Rache befriedigt hatte, »oder du begreifst vielmehr schlecht; ich sagte, da du mir einen Dienst geleistet, so habest du das Recht, dir etwas von mir zu erbitten; bitte also.« – »Das ist etwas anderes, Sire. Übrigens ist das, was ich von Eurer Majestät erbitte, eine Stelle.«

»Eine Stelle? Du, der General-Oberst der Infanterie, willst noch eine Stelle? Sie wird dich erdrücken.« – »Ich bin stark wie Simson für den Dienst Eurer Majestät; für Eurer Majestät Dienst würde ich den Himmel und die Erde tragen.«

»Bitte also,« seufzte der König. – »Ich wünsche, daß Eure Majestät mir das Kommando dieser fünfundvierzig Edelleute übertrage.«

»Wie?« erwiderte der König erstaunt, »du willst vor mir, hinter mir marschieren? Du willst dich in diesem Maße aufopfern, du willst Kapitän der Garden sein?« – »Nein, nein, Sire!«

»Nun, was willst du denn?« – Ich will, daß diese Garden, meine Landsleute, mein Kommando besser verstehen, als das jedes andern; will ihnen aber weder voranmarschieren noch folgen. Ich werde einen Adjutanten haben.«

»Darunter steckt wieder etwas,« dachte Heinrich, den Kopf schüttelnd; »dieser verteufelte Mensch gibt immer, um zu erhalten.« Dann sprach er laut: »Gut, du sollst das Kommando haben.« – »Geheim?«

»Ja. Doch wer wird sichtlich der Anführer meiner Fünfundvierzig sein?« – »Der kleine Loignac.«

»Ah! desto besser.« – »Er ist Eurer Majestät genehm?«

»Vollkommen.« – »Ist das nun abgemacht, Sire?«

»Ja, aber...« – »Aber?«

»Welche Rolle spielt er bei dir, dieser Loignac?« – »Er ist mein Epernon, Sire.«

»Er kostet dich also viel?« brummte der König. – »Was sagt Eure Majestät?«

»Ich sage, ich willige ein.« – »Ich gehe zum Staatszahlmeister, um die fünfundvierzig Börsen zu holen.«

»Diesen Abend?« – »Müssen sie nicht unsere Leute morgen auf ihren Stühlen finden?«

»Das ist richtig. Geh'; ich kehre in meine Wohnung zurück.« – »Zufrieden, Sire?«

»Ziemlich.« – »In jedem Fall gut bewacht.«

»Ja, durch Leute, die mit geschlossenen Fäusten schlafen, wie du dort siehst.« – »Sie werden morgen wachen, Sire.«

Epernon führte Heinrich bis zur Tür der Galerie zurück und verließ ihn, indem er zu sich selbst sagte: »Wenn ich nicht König bin, so habe ich wenigstens Leibwachen wie ein König, und diese kosten mich nichts ... Parfandious!«

Chicots Schatten.

Der König täuschte sich, wie gesagt, nie über seine Freunde. Er kannte ihre Fehler und ihre guten Eigenschaften und las scharf in der tiefsten Tiefe ihres Herzens. Er hatte sogleich begriffen, worauf Epernon abzielte, doch da er als Gegengabe nichts erwartet hatte und nun fünfundvierzig Trabanten für fünfundsechzigtausend Taler erhielt, so erschien ihm der Gedanke des Gaskogners als ein Fund.

Allmählich und je mehr er sich dem Zimmer näherte, wo ihn der Huissier erwartete, den dieser nächtliche und ungewöhnliche Ausgang nicht wenig neugierig machte, entwickelte er sich selbst die Vorteile der Einrichtung der Fünfundvierzig. »Diese Leute,« dachte er, »werden ohne Zweifel tapfer und sehr ergeben sein. Einige haben einnehmende Gesichter, andere widerwärtige Physiognomien; es werden, Gott sei Dank! Leute für jeden Geschmack darunter sein... und dann ist es etwas Schönes um ein Gefolge von fünfundvierzig Schwertern, die stets bereit sind, aus der Scheide zu fahren!«

Dieses letzte Kettenglied seines Gedankens, das sich der Erinnerung an die anderen ihm so ergebenen Schwerter anfügte, deren Verlust er so bitter beklagte, brachte Heinrich zu der tiefen Traurigkeit, in die er damals so oft verfiel. Die harten Zeiten, die boshaften Menschen, die auf der Stirn der Könige wankenden Kronen ließen ihn nach dem Tod verlangen oder nach Erheiterung, um sich einen Augenblick der Krankheit zu entziehen, die die Engländer, unsere Meister in der Schwermut, schon damals Spleen getauft hatten. Er fragte daher nach Joyeuse.

»Der Herr Herzog ist noch nicht zurückgekehrt,« sagte der Huissier.

»Es ist gut .... Ruft meinen Kammerdiener und entfernt Euch.«

»Sire, das Gemach Eurer Majestät ist bereit und Ihre Majestät die Königin hat nach den Befehlen des Königs fragen lassen.«

Heinrich spielte den Tauben.

»Soll man Ihrer Majestät melden, sie möge das Kopfkissen legen?« fragte schüchtern der Huissier.

»Nein, nein,« erwiderte Heinrich. »Ich habe meine Andachten, ich habe meine Arbeiten, und dann bin ich leidend und werde allein schlafen.«

Der Huissier verbeugte sich.

»Hört,« sagte Heinrich, ihn zurückrufend, »bringt der Königin dieses orientalische Konfekt, es bereitet Schlaf.« Und er übergab dem Huissier seine Konfektbüchse.

Der König trat in sein Gemach; hier warf er einen gleichgültigen, ja empörten Blick aus all die ausgesuchten Toilettengegenstände, die ihn früher gereizt hatten, und gegen die er jetzt beinahe einen Abscheu fühlte. Parfümierte und gesalbte Handschuhe, Masken von feiner Leinwand, mit Teig überstrichen, chemische Kombinationen, um die Haare zu kräuseln, den Bart zu schwärzen, die Ohren rot und die Augen glänzend zu machen, dies alles vernachlässigte er schon seit längerer Zeit.

»Mein Bett,« sagte er mit einem Seufzer.

Zwei Diener entkleideten ihn, zogen ihm Unterhosen von schöner, friesischer Leinwand an, hoben ihn vorsichtig auf und schoben ihn zwischen seine Laken.

»Den Vorleser Seiner Majestät!« rief eine Stimme.

»Nein, niemand,« sagte Heinrich, »keinen Vorleser, oder er mag in seinem Zimmer für mich Gebete lesen; nur Herrn von Joyeuse, wenn er zurückkommt, führt zu mir.« »Aber, wenn er spät kommt, Sire?«

»Ach! er kommt immer spät nach Hause, doch zu welcher Stunde er auch kommen mag, führt ihn zu mir, hört ihr?«

Die Diener löschten die Kerzen aus und zündeten beim Feuer eine Lampe mit Essenzen an, die blasse und bläuliche Flammen gaben ... eine Art von phantasmagorischer Unterhaltung, die der König seit der Rückkehr seiner Grabgedanken besonders liebte, dann verließen sie auf den Fußspitzen das schweigsame Gemach.

Während Heinrich, der in der Einsamkeit leicht von abergläubischer Furcht heimgesucht wurde, den Reflexen seiner Lampe auf der Wand folgte, während er seinen Blick in die dunkelsten Winkel tauchte, während er das geringste Geräusch aufzufassen suchte, das den geheimnisvollen Eintritt eines Schattens hätte verkündigen können, verschleierten sich seine Augen, und bald entschlummerte der König in dieser Stille und Einsamkeit.

Doch seine Ruhe dauerte nicht lange; von aufgeregten Gedanken im Wachen wie im Schlafe verfolgt, glaubte er Geräusch in seinem Zimmer zu hören und erwachte.

»Joyeuse, bist du es?« fragte er.

Niemand antwortete. Die Flammen der blauen Lampe waren schwächer geworden, sie sandten nach dem Plafond von geschnitztem Eichenholz nur noch einen bleichen Kreis, der die goldenen Zierate grün färbte.

»Allein, abermals allein,« murmelte der König. »Ah! der Prophet hat recht: ›Die Majestät müßte immer seufzen.‹« Dann sagte er nach einer augenblicklichen Pause: »Mein Gott, gib mir die Kraft, stets in meinem Leben allein zu sein, wie ich nach meinem Tode allein sein werde.«

»Ei! ei! allein nach deinem Tode, das ist nicht sicher,« erwiderte eine scharfe Stimme, die mit metallischem Klange einige Schritte vom Bett ertönte, »und für was hältst du die Würmer?«

Erschrocken setzte sich Heinrich auf und schaute ängstlich fragend jedes Gerät des Zimmers an. »Oh! ich kenne diese Stimme,« murmelte er.

»Das ist ein Glück!« versetzte die Stimme.

Ein kalter Schweiß floß über die Stirn des Königs, und er seufzte: »Man sollte glauben, es wäre Chicots Stimme.«

»Du brennst, Heinrich, du brennst,« antwortete die Stimme.

Nun erblickte Heinrich, der mit einem Beine aus dem Bette fuhr, in einiger Entfernung vom Kamin in demselben Lehnstuhl, den er eine Stunde vorher Epernon bezeichnet hatte, einen Kopf, auf den das Feuer jenen rotgelben Schein warf, wie wir ihn auf Rembrandts Bildern sehen.

Dieser Schein stieg auf den Arm des Lehnstuhles herab, worauf der Arm der Person gestützt war, dann auf ihr knochiges, hervorspringendes Knie und endlich auf den Fuß, der einen rechten Winkel mit einem nervigen, magern und übermäßig langen Bein bildete.

»Gott beschütze mich,« rief Heinrich, »es ist Chicots Schatten.« – »Ah! mein armer Henriquet,« sagte die Stimme, »du bist also immer noch so einfältig?«

»Was soll das bedeuten?« – »Die Schatten sprechen nicht, Schwachkopf, denn sie haben keinen Körper und folglich keine Zungen.«

»Dann bist du wirklich Chicot?« – »Ich will in dieser Hinsicht nichts entscheiden; wir werden später sehen, was ich bin, wir werden sehen.«

»Wie, du bist also nicht tot, mein armer Chicot?« – »Gut! nun schreist du wie ein Adler; doch, im Gegenteil, ich bin tot, hundertmal tot.«

»Chicot, mein einziger Freund!« – »Du hast wenigstens den Vorteil vor mir, daß du immer dasselbe sagst. Pest! Du hast dich nicht verändert!«

»Aber du, du,« entgegnete der König traurig, »hast du dich verändert?« – »Ich hoffe wohl.«

»Chicot, mein Freund,« sagte der König, indem er seine beiden Füße auf den Boden setzte, »sprich, warum hast du mich verlassen?« – »Weil ich tot bin.« »Aber du sagtest soeben, du wärest es nicht,« – »Und ich wiederhole es.«

»Was soll dieser Widerspruch heißen?« – »Dieser Widerspruch soll heißen, daß ich für die einen tot und für die andern lebendig bin.«

»Und was bist du für mich?« – »Für dich bin ich tot.«

»Warum für mich tot?« – »Das ist leicht zu begreifen. Höre wohl. Du vermagst nichts für die, die dir dienen.«

»Herr Chicot!« – »Ärgere dich nicht, oder ich ärgere mich.«

»Ja, du hast recht,« sagte der König, zitternd vor Angst, der Schatten könnte verschwinden, »sprich, mein Freund, sprich.« – »Nun wohl! ich hatte ein kleines Geschäft mit Herrn von Mayenne abzumachen, erinnerst du dich?«

»Vollkommen.« – »Ich mache es ab. Gut! Ich prügle diesen Kapitän ohnegleichen, sehr gut. Er läßt mich suchen, um mich zu hängen, und du, auf den ich rechne, um mich gegen diesen Helden zu verteidigen, verläßt mich, statt mich zu beschützen; statt ihm den Garaus zu machen, versöhnst du dich mit ihm. Was habe ich sodann getan? Ich habe mich für tot erklärt und durch die Vermittlung meines Freundes Gorenflot beerdigt, so daß mich seit jener Zeit Herr von Mayenne nicht mehr sucht.«

»Du hast einen greulichen Mut gehabt, Chicot; sprich, wußtest du nicht, welchen Schmerz mir dein Tod verursachen würde?« – »Ja, das ist richtig, aber durchaus nicht greulich. Ich habe noch nie so ruhig gelebt, als seitdem die ganze Welt überzeugt ist, ich lebe nicht mehr.«

»Chicot, Chicot, mein Freund!« rief der König, »du erschreckst mich, mein Kopf gerät in Verwirrung.« – »Ah, bah! das merkst du erst heute?«

»Ich weiß nicht, was ich glauben soll.« – »An etwas mußt du dich, bei Gott! doch halten, was glaubst du, laß hören?« »Nun, ich glaube, daß du gestorben bist und zurückkehrst.« – »Dann lüge ich; du bist artig.«

»Tu verbirgst mir wenigstens einen Teil der Wahrheit; doch sogleich wirst du nur, wie die Gespenster so oft, furchtbare Dinge sagen.«

»Ah! da sage ich nicht nein. Halte dich bereit, armer König.«

»Ja, ja,« sagte Heinrich, »gestehe, daß du ein durch den Herrn auferweckter Schatten bist? Wie wärest du sonst durch diese bewachten Gänge hierher gekommen?«

Und sich ganz dem schwindelartigen Schrecken überlassend, der ihn ergriffen hatte, warf Heinrich sich in sein Bett zurück und wollte sich mit seinen Laken bedecken.

»La! la! la!« sagte Chicot mit einem Tone, der einiges Mitleid und viel Sympathie verbarg, »erhitze dich nicht, du brauchst mich nur zu berühren, um dich zu überzeugen.«

»Du bist also kein Bote der Rache?« – »Alle Wetter! habe ich Hörner, wie Satan, oder ein flammendes Schwert, wie der Erzengel Michael?«

»Wie bist du denn hereingekommen?« – »Du kamst auch soeben zurück.«

»Allerdings.« – »Nun, begreifst du, daß ich immer noch meinen Schlüssel habe, den du mir gegeben hast, und den ich an meinen Hals hing, um deine Kammerherren wütend zu machen, die nur das Recht hatten, sich ihn hinten anzuhängen. Mit diesem Schlüssel kommt man herein, und ich bin hereingekommen.«

»Durch die geheime Tür?« – »Ganz gewiß.«

»Doch warum bist du nicht eher als heute gekommen?« – »Ah! Du sollst es erfahren.«

Heinrich streifte seine Laken zurück und sagte mit dem naiven Tone eines Kindes: »Chicot, ich bitte dich, sage mir nichts Unangenehmes, oh! wenn du wüßtest, welches Vergnügen es mir machte deine Stimme zu hören!« – »Ich werde dir ganz einfach die Wahrheit sagen. Schlimm genug, wenn dir die Wahrheit unangenehm ist.«

»Nicht wahr, deine Furcht vor Herrn von Mayenne ist nicht so ernst?« – »Im Gegenteil, sehr ernst. Du verstehst, Herr von Mayenne hat mir fünfzig Stockprügel geben lassen; ich habe mir Genugtuung genommen und ihm hundert Hiebe mit der Degenscheide aufgemessen, und er glaubt nun, er stehe noch in meiner Schuld. Ich fürchte aber nichts so sehr, wie Schulden dieser Art, und ich wäre auch nicht hierher gekommen, hätte ich nicht gewußt, daß Herr von Mayenne sich in Soissons befindet.«

»Nun wohl! Chicot, da sich die Sache so verhält, so nehme ich dich unter meinen Schutz, und ich will...«– »Was, willst du? Nimm dich in acht, Henriquet, sooft du die Worte: ›Ich will‹, aussprichst, bist du bereit, eine Albernheit zu sagen.«

»Ich will, daß du auferstehst, daß du an den hellen Tag trittst.« – »Ich sagte es wohl.«

»Ich werde dich verteidigen.« – »Gut.«

»Chicot, ich verpfände dir mein königliches Wort.«

– »Basta! ich habe etwas Besseres.«

»Was hast du?« – »Ich habe mein Loch und bleibe darin.«

»Ich werde es dir verbieten,« rief energisch der König, indem er sich auf die Stufe seines Bettes stellte. – »Heinrich, du wirst den Schnupfen bekomme«; ich bitte dich, lege dich wieder nieder.«

»Du hast recht, du bringst mich aber auch in Verzweiflung,« versetzte der König, während er sich wieder in seine Tücher steckte. »Wie! wenn ich, Heinrich von Valois, König von Frankreich, finde, daß ich genug Schweizer, Schotten, französische Leibwachen, Edelleute und meine Fünfundvierzig zu meiner Verteidigung habe, fühlt sich Herr Chicot nicht sicher.« – »Höre ... Was ist das mit den Fünfundvierzig?«

»Ja, fünfundvierzig Edelleute.« – »Wie hast du sie gefunden? Jedenfalls nicht in Paris.« »Nein, doch sie sind heute in Paris angekommen.« – »Alle Wetter!« rief Chicot, von einem raschen Gedanken erleuchtet. »Ich kenne sie, deine Edelleute. Es sind fünfundvierzig, denen nur der Bettelsack fehlte.«

»Ich leugne es nicht.« – »Gesichter, daß man darüber vor Lachen sterben könnte.«

»Chicot, es sind herrliche Männer unter ihnen.« – »Gaskogner, wie der Generaloberst deiner Infanterie.«

»Und wie du, Chicot.« – »Ah! ich, Heinrich, das ist ein großer Unterschied. Ich bin kein Gaskogner mehr, seitdem ich die Gaskogne verlassen habe.«

»Gleichviel. Ich habe fünfundvierzig furchtbare Schwerter.« – »Befehligt von dem sechsundvierzigsten furchtbaren, das man Epernon nennt.«

»Ganz richtig.« – »Und von wem?«

»Von Loignac,« – »Puh! und mit diesen gedenkst du dich zu beschützen?«

»Ja, bei Gottes Tod! ja,« rief Heinrich aufgebracht.

Chicot schlüpfte in seinen Lehnstuhl, wobei er seine Absätze auf die Randleiste des Stuhles stützte, so daß seine Knie die Spitze eines Winkels bildeten, der höher war, als sein Kopf.

»Nun!« sagte er, »ich habe mehr Truppen, als du.«

»Truppen, du hast Truppen?« – »Warum nicht?«

»Und was für Truppen?« – »Du wirst es sehen. Ich habe zuerst die ganze Armee, die sich die Herren von Guise in Lothringen bilden.«

»Bist du ein Narr?« – »Nein, eine wahre Armee, wenigstens sechstausend Mann.«

»Noch aus welchem Grunde willst du, der du vor Herrn von Mayenne Angst hast, dich gerade durch die Soldaten des Herrn von Guise beschützen lassen?« – »Weil ich tot bin.«

»Abermals dieser Scherz.« – »Chicot war es, dem Herr von Mayenne grollte. Ich habe also diesen Tod benützt, um meinen Körper, meinen Namen und meine gesellschaftliche Stellung zu verändern.«

»Du bist also nicht mehr Chicot?« – »Nein.«

»Wer bist du denn?« – »Ich bin Robert Briquet, ehemaliger Handelsmann und Ligist.«

»Du Ligist, Chicot?«

Mit kläglichen, leicht spöttischen Worten gelang es hierauf Chicot, dem König die Gefahren der politischen Lage klarzumachen, wozu ihn vor allem die Kenntnis von der Anwesenheit der Herzogin von Montpensier und der baldigen geheimen Ankunft des Herzogs von Guise befähigte. Er enthüllte dem König die Anschläge seiner Gegner und gab ihm den Rat, seinem Bruder, dem Herzog von Anjou, die versprochene Hilfe zu senden und auch einen Botschafter an seinen Vetter Heinrich von Navarra zu schicken, der sich eben die vorenthaltene Mitgift von Heinrichs Schwester, die Stadt Cahors, selbst nehmen wolle.

Chicot lehnte es aber entschieden ab, selbst für den König nach Flandern zu gehen. Ärgerlich rief der König: »Du weigerst dich?« – »Bei Gott!«

»Du bist ungehorsam gegen mich?« – »Ich dir ungehorsam? Bin ich dir Gehorsam schuldig?«

»Du bist mir keinen Gehorsam schuldig, Unglücklicher?« – »Hast du mir je etwas gegeben, was mich dir verbindet? Das wenige, was ich besitze, ist mir durch Erbschaft zugefallen. Ich bin bettelarm und niederen Standes. Mache mich zum Herzog und Pair, erhebe mein Landgut zum Marquisat. Statte mich mit fünfmalhunderttausend Talern aus, dann wollen wir vom Botschafterdienst sprechen.«

Heinrich wollte antworten und einen von den guten Gründen finden, wie sie die Könige immer finden, wenn man ihnen solche Vorwürfe macht, als man den schweren samtnen Türvorhang rauschen hörte.

»Der Herr Herzog von Joyeuse,« sagte die Stimme des Huissiers. »Ei, alle Wetter! hier hast du, was du brauchst. Ich fordere dich auf, mir einen Botschafter zu finden, der dich besser vertreten würde, als dieser.«

»In der Tat,« murmelte Heinrich, »dieser verteufelte Mensch ist offenbar ein besserer Ratgeber, als es je einer meiner Minister war!«

»Ah! Du gibst es also zu?« sagte Chicot.

Und er versenkte sich in seinen Stuhl und nahm die Form einer Kugel an, so daß ihn der geschickteste Seemann des Königreichs nicht hätte entdecken können. Herr von Joyeuse mochte immerhin Großadmiral von Frankreich sein, er sah nicht mehr als ein anderer.

Der König stieß einen Freudenschrei aus, als er seinen jungen Günstling erblickte, und drückte ihm die Hand.

»Setz dich, Joyeuse, mein Kind,« sagte er zu ihm. »Mein Gott, wie spät kommst du!« – »Sire, Eure Majestät ist sehr gnädig, daß sie es bemerkt.«

Und der Herzog näherte sich der Estrade des Bettes und setzte sich auf die mit Lilien besäten Kissen, die zu diesem Behufe zerstreut auf den Stufen der Estrade umherlagen.

Wie schwierig es für einen König ist, gute Botschafter zu finden.

Chicot blieb unsichtbar in seinem Lehnstuhl; Joyeuse lag bald auf den Kissen, der König hatte sich bequem in sein Bett gewickelt, und das Gespräch begann.

»Nun, Joyeuse,« fragte der König, »seid Ihr viel in der Stadt umhergestrichen?« – »Ja, Sire, sehr viel, ich danke,« antwortete gleichgültig Joyeuse.

»Wie schnell seid Ihr auf der Grève verschwunden!« – »Hört, Sire, offenherzig gestanden, ist es wenig erquicklich, und dann liebe ich es nicht, die Menschen leiden zu sehen.« »Mitleidiges Herz!« – »Nein, selbstsüchtiges Herz. .. die Leiden anderer greifen mir die Nerven an.«

»Nu weißt, was vorgefallen ist?« – »Wo, Sire?«

»Auf der Grève.« – »Wahrhaftig, nein.«

»Salcède hat geleugnet.« – »Ah!«

»Ihr nehmt das sehr gleichgültig auf.« – »Ich gestehe, Sire, daß ich kein großes Gewicht auf das legte, was er sagen konnte; überdies war ich sicher, daß er leugnen würde.«

»Aber, da er gestanden hatte?« – »Ein Grund mehr. Die ersten Geständnisse haben die Guisen behutsam gemacht, sie arbeiteten, während Eure Majestät ruhig blieb.«

»Wie, du siehst solche Dinge vorher und sagst sie mir nicht?« – »Bin ich Minister, um über Politik zu sprechen?«

»Lassen wir das, Joyeuse. Ich bedarf deines Bruders.«

– »Mein Bruder gehört wie ich ganz dem Dienste Eurer Majestät.«

»Ich kann also auf ihn zählen?« – »Ganz gewiß.« »Ich will ihn mit einer kleinen Sendung beauftragen.«

– »Außerhalb Paris?«

»Ja.« – »Dann ist es unmöglich, Sire.«

»Warum?« – »Du Bouchage kann in diesem Augenblick nicht von hier fort.«

Heinrich erhob sich auf seinen Ellenbogen und schaute Joyeuse mit großen Augen an.

»Was soll das bedeuten?« fragte er.

Joyeuse berichtete dem König von dem Liebesleid seines Bruders, das ihn zur Zeit an Paris fessele, und das er, Joyeuse, durch sein Eingreifen in Liebesfreude zu wandeln hoffe.

Er habe seine Operationen damit begonnen, daß er an diesem Abend dreißig Musiker vor dem Hause der Dame spielen lasse.

»Nun,« sagte Heinrich, »ich wünsche deinem Bruder allen Erfolg, aber lassen wir ihn jetzt, da es für ihn in diesem Augenblick zu lästig wäre, sich von Paris zu entfernen; es ist für mich nicht unumgänglich notwendig, daß er diese Sendung erfüllt; doch ich hoffe, daß du, der du so gute Ratschläge gibst, dich nicht, wie er, zum Sklaven irgendeiner Leidenschaft gemacht hast?« – »Ich bin nie in meinem Leben so vollkommen frei gewesen.«

»Das ist vortrefflich; also hast du nichts zu tun?« – »Durchaus nichts, Sire.«

»Ich glaubte, du hättest eine Liebschaft mit einer hübschen Dame.« – »Ja, ja, mit der Geliebten des Herrn von Mayenne, einer Frau, die mich anbetete.«

»Nun?« – »Denkt Euch, heute abend, nachdem ich Du Bouchage eine Lektion gegeben, verlasse ich ihn, um zu ihr zu gehen. Ich komme an, den Kopf erhitzt durch die Theorien, die ich entwickelt hatte; ich schwöre Euch, Sire, ich hielt mich für beinahe ebenso verliebt, wie Henri. Nun finde ich die Frau ganz zitternd und erschrocken; mein erster Gedanke ist, ich störe jemand; ich schaue umher, niemand; ich suche sie zu beruhigen, vergebens; ich frage sie, sie antwortet nicht; ich will sie küssen, sie wendet den Kopf ab, und da ich die Stirn falte, wird sie ärgerlich, steht auf, wir zanken uns, und sie kündigt mir an, sie werde nie mehr zu Hause sein, wenn ich mich bei ihr einfinde.«

»Armer Joyeuse,« versetzte der König lachend, »und was hast du getan?« – »Bei Gott! Sire, ich nahm meinen Degen und meinen Mantel, verbeugte mich artig und ging weg, ohne rückwärts zu schauen.«

»Joyeuse, das ist mutig.« – »Um so mutiger, da es mir vorkam, als hörte ich das arme Mädchen seufzen.«

»Wirst du deinen Stoizismus nicht bereuen?« – »Nein, Sire, wenn ich ihn einen Augenblick bereute, würde ich sogleich hinlaufen .... Ihr begreift, nichts wird mir den Gedanken rauben, das arme Mädchen verlasse mich wider seinen Willen.«

»Und dennoch bist du weggegangen?« – »Wie Ihr seht.«

»Und du wirst nicht zurückkehren?« – »Nie ... wenn ich den Bauch des Herrn von Mayenne hätte, doch ich bin schmächtig und habe das Recht, stolz zu sein.«

»Mein Freund,« sagte der König ernsthaft, »dieser Bruch ist ein Glück für dich.« – »Ich leugne es nicht, Sire; doch einstweilen werde ich mich acht Tage lang grausam langweilen, da ich nichts zu tun habe und nicht weiß, was ich anfangen soll.«

»Das trifft sich gut; ich habe etwas für dich zu tun.« – »Was wollt Ihr mich tun lassen, Sire? Sprecht doch!«

»Du sollst dich stiefeln.« – Joyeuse machte eine Bewegung des Schreckens. »Oh! nein, verlangt das nicht von mir, Sire, das ist wider alle meine Gedanken.«

»Du wirst zu Pferd steigen.« – Joyeuse machte einen Sprung. »Zu Pferde! nein, eine Sänfte ist mir lieber.«

»Joyeuse, genug des Scherzes; verstehst du mich, du wirst dich stiefeln und zu Pferde steigen.« – »Nein, Sire,« erwiderte der Herzog mit dem größten Ernst, »das ist unmöglich.«

»Und warum unmöglich,« fragte zornig der König. – »Weil ... weil ... ich Admiral bin.«

»Wohl! es sei! Herr Admiral von Frankreich, Ihr werdet nicht zu Pferde steigen, Ihr habt recht, es ist nicht die Sache eines Seemanns, zu reiten; aber es ist die Sache eines Seemanns, zu Schiffe zu gehen; Ihr werdet Euch also auf der Stelle zu Schiff nach Rouen begeben; in Rouen findet Ihr Eure Admiralsgalere; Ihr besteigt sie sogleich und laßt nach Antwerpen segeln.«

»Nach Antwerpen,« rief Joyeuse so verzweiflungsvoll, als ob er den Befehl erhalten hätte, nach Kanton oder Valparaiso zu reisen.

»Ich glaube, es gesagt zu haben,« sagte der König mit eisigem Tone, der keine Widerrede zuließ; »ich glaube es gesagt zu haben und will es nicht wiederholen.«

Ohne den geringsten Widerstand zu äußern, häkelte Joyeuse seinen Mantel zu, legte seinen Degen auf seine Schulter und nahm von einem Stuhle sein samtenes Toquet. »Heiliger Gott! wieviel Mühe hat man, um sich Gehorsam zu verschaffen,« brummte Heinrich; »wenn ich selbst zuweilen vergesse, daß ich Gebieter bin, sollten sich wenigstens andere daran erinnern.«

Joyeuse verbeugte sich stumm und eisig und legte der Ordnung gemäß eine Hand an das Stichblatt seines Degens.

»Eure Befehle, Sire,« sagte er mit einer Stimme, die durch den Ton der Unterwürfigkeit sogleich den Willen des Monarchen in schmelzendes Wachs verwandelte.

»Nu wirst dich nach Rouen begeben, wo du dich einschiffen sollst, wenn du es nicht vorziehst, zu Land nach Brüssel zu gehen.«

Heinrich erwartete ein Wort von Joyeuse, doch dieser beschränkte sich auf eine Verbeugung.

»Ziehst du die Reise zu Land vor?« – »Ich kenne leinen Vorzug, wenn es sich darum handelt, einen Befehl zu vollstrecken, Sire.«

»Schmolle, schmolle, abscheulicher Charakter,« rief Heinrich. »Ah! die Könige haben keine Freunde.« – »Wer Befehle gibt, kann nur erwarten, daß er Diener findet,« erwiderte Joyeuse feierlich.

»Mein Herr,« sagte der König verletzt, »Ihr werdet also nach Rouen gehen; Ihr besteigt Eure Galere und sammelt die Garnisonen von Caudebec, Harfleur und Dieppe, die ich ersetzen lassen werde; Ihr beladet damit sechs Schiffe, die Ihr in den Dienst meines Bruders zu bringen habt, der die ihm versprochene Hilfe erwartet.« – »Meinen Auftrag, wenn es Euch beliebt, Sire.«

»Und seit wann handelt Ihr nicht mehr kraft Eurer Admiralsgewalt?« – »Ich habe nur das Recht, zu gehorchen, und vermeide, soviel ich kann, jede Verantwortlichkeit.«

»Es ist gut, Herr Herzog, Ihr werdet den Auftrag in Eurem Hotel im Augenblick der Abreise erhalten.« – »Und wann wird dieser Augenblick sein, Sire?«

»In einer Stunde.« Joyeuse verbeugte sich ehrfurchtsvoll und wandte sich nach der Tür. Dem König brach das Herz beinahe.

»Wie,« sagte er, »nicht einmal die Höflichkeit eines Abschiedes! Herr Admiral, Ihr seid nicht sehr artig, das ist ein Vorwurf, den man gewöhnlich den Seeleuten macht. Vielleicht werde ich mit meinem Generalobersten der Infanterie mehr zufrieden sein.«

»Wollt Ihr mir verzeihen, Sire,« stammelte Joyeuse, »aber ich bin noch ein ebenso schlechter Höfling wie Seemann, und ich begreife, daß Eure Majestät bedauert, was sie für mich getan hat.«

Und er ging, die Tür heftig zumachend, hinaus, während sich der Vorhang vom Winde getrieben schwellte.

»So lieben mich also die, für die ich so viel getan habe!« rief der König, »ah! Joyeuse, undankbarer Joyeuse!« – »Nun, willst du ihn nicht etwa zurückrufen?« sagte Chicot, zum Bett vorschreitend. »Wie! weil du zufällig ein wenig Willen gehabt hast, bereust du es?«

»Höre doch,« erwiderte der König, »du bist herrlich; glaubst du, es sei angenehm, im Monat Oktober Regen und Wind auf der See zu genießen? Ich möchte dich dabei sehen, Selbstsüchtiger.« – »Es steht dir frei, großer König, es steht dir frei.«

»Dich zu Wasser und zu Land zu sehen?« – »Zu Wasser und zu Land, es ist in diesem Augenblick mein lebhaftestes Verlangen, zu reisen.«

»Wenn ich dich also irgendwohin schicken wollte, wie ich Joyeuse abgeschickt habe, so würdest du es annehmen?« – »Ich würde es nicht nur annehmen, sondern ich bitte, ich bewerbe mich darum.«

»Eine Sendung?« – »Eine Sendung.«

»Du gingest nach Navarra?« – »Ich ginge zum Teufel, großer König.«

»Spottest du, Narr?« – »Sire, ich war schon zu meinen Lebzeiten nicht sehr heiter und bin noch viel trauriger seit meinem Tode.« – »Aber du weigertest dich soeben, Paris zu verlassen.« – »Mein huldreicher Fürst, ich hatte unrecht, großes Unrecht, und ich bereue es.«.

»Und du wünschest Paris nun zu verlassen?« – »Sogleich, erhabener König, auf der Stelle, großer Monarch.«

»Das begreife ich nicht.« – »Du hast also die Worte des Großadmirals von Frankreich nicht gehört?«

»Welche?« – »Die, in denen er dir seinen Bruch mit der Geliebten des Herrn von Mayenne mitteilte?«

»Ja, und?« – »Wenn diese Frau, verliebt in einen reizenden Burschen wie der Herzog, ihn seufzend verabschiedet, so hat sie einen Beweggrund.«

»Ohne Zweifel, sonst würde sie ihn nicht verabschieden.« – »Kennst du nun diesen Beweggrund? Nicht? Nun, weil Herr von Mayenne zurückkommen wird.«

»Oh! oh!« machte der König. –»Du begreifst endlich, ich wünsche dir Glück.« – »Ja, ich begreife und fange an zu glauben, daß Mayenne zurückkehren wird; aber du, du, Chicot, du bist keine furchtsame oder verliebte Frau?« – »Ich, Heinrich, bin ein kluger Mann, ein Mann, der eine offene Rechnung, eine eingegangene Partie mit Herrn von Mayenne hat; findet er mich, so wird er wieder anfangen wollen; er ist ein Spieler, der einen zum Schauern bringt, dieser gute Herr von Mayenne.«

»Nun?« – »Nun, er wird so gut spielen, daß ich einige Messerstiche bekomme.«

»Bah! ich kenne meinen Chicot, er empfängt nicht, ohne zurückzugeben.« – »Ich werde ihm zehn zurückgeben, an denen er krepiert.«

»Desto besser, dann ist die Partie zu Ende.« – »Desto schlimmer, alle Wetter! im Gegenteil, desto schlimmer, die Familie wird ein furchtbares Geschrei erheben, du wirst die ganze Lige auf dem Halse haben, und an einem schönen Morgen wirst du mir sagen: ,Chicot, mein Freund, entschuldige mich, aber ich bin genötigt, dich rädern zu lassen'.«

»Ich werde dies sagen?« – »Du wirst dies sagen und sogar tun, was noch schlimmer ist, großer König, Es ist mir also lieber, wenn die Sache eine andere Wendung nimmt, verstehst du? Ich befinde mich so ganz gut und möchte noch eine Weile so bleiben. Ich werde also nach Navarra gehen, wenn du mich dahin schicken willst,«

»Gewiß will ich es.« – »Ich erwarte deine Befehle, huldreicher Fürst.«

Hierbei nahm Chicot dieselbe Stellung ein, die Joyeuse angenommen hatte, und wartete.

»Aber« du weißt nicht, ob die Sendung dir zusagen wird.« – »Sobald ich dich darum bitte...«

»Siehst du, Chicot, ich habe gewisse Pläne wegen einer Entzweiung zwischen Margot und ihrem Gemahl.« – »Trennen, um zu herrschen, das war schon vor hundert Jahren das Abc der Politik.«

»Es widerstrebt dir also nicht?« – »Geht das mich etwas an?« erwiderte Chicot; »du wirst tun, was dir beliebt, großer Fürst. Ich bin nur Botschafter; du hast mir keine Rechenschaft abzulegen, und vorausgesetzt, daß ich unverletzlich bin... Ah! darauf halte ich allerdings.«

»Aber du mußt auch wissen, was du meinem Schwager zu sagen hast.« – »Ich etwas sagen! nein, nein, nein! Wer das Wort führt, hat immer eine Verantwortlichkeit; wer ein Schreiben überreicht, wird stets erst von zweiter Hand angepackt.«

»Gut, es sei, ich werde dir einen Brief geben; aber du sollst doch wenigstens meine Absichten inbetreff Margots und ihres Gemahls wissen,« rief Heinrich. »Tu bist ein Gaskogner, mein Brief wird Lärm am Hof von Navarra machen. Man wird dich befragen, du mußt antworten können. Zum Teufel! Du vertrittst mich. Du sollst nicht aussehen wie ein Dummkopf.« – »Mein Gott!« erwiderte Chicot, die Achseln zuckend, »wie stumpf ist dein Geist, großer König. Wie, du Meinst, ich werde einen Brief in eine Entfernung von zweihundertfünfzig Meilen tragen, ohne zu wissen, was darin steht! Alle Wetter! Sei unbesorgt, an der nächsten Straßenecke, unter dem nächsten Baume, wo ich anhalte, öffne ich deinen Brief. Wie, du schickst seit zehn Jahren Botschafter nach allen Enden der Welt und weißt das nicht besser! Auf, lege deinen Körper und deinen Geist zur Ruhe, ich kehre in meine Einsamkeit zurück.«

»Wo ist sie, deine Einsamkeit?« – »Auf dem Friedhof des Innocens, großer Fürst.«

Heinrich schaute Chicot mit jenem Erstaunen an, das er seit den zwei Stunden, die er ihn wiedergesehen, noch nicht ganz aus seinem Blicke hatte verbannen können.

»Nicht wahr, das hast du nicht alles erwartet?« fragte Chicot, indem er seinen Hut und seinen Mantel nahm. »So ist es aber, wenn man in Verbindung mit Leuten aus der andern Welt steht. Es ist abgemacht, morgen, ich oder mein Bote.«

»Es sei, doch dein Bote muß auch ein Losungswort haben, damit man weiß, daß er von dir kommt und damit man ihm die Türen öffnet.« – »Vortrefflich! Bin ich es, so komme ich von mir; ist es mein Bote, so kommt er vom Schatten.«

Nach diesen Worten verschwand er so leicht, daß der abergläubische Geist Heinrichs im Zweifel war, ob ein Körper oder ein Schatten durch die Tür gegangen sei, ohne daß man sie hörte, und unter dem Vorhang durch, ohne ihn sich bewegen zu sehen.

Was Chicots Verschwinden und vermeintlichen Tod betrifft, so sei zum Verständnis des Lesers berichtet, daß Chicot es in der Tat aus dem angegebenen Beweggrunde für besser gehalten hatte, sich eine Zeitlang völlig den Blicken der Welt, d.h. des Herzogs von Mayenne, zu entziehen. Er flüchtete sich in das Kloster seines Freundes Gorenflot, dem er einen Brief an den König mit der Mitteilung von seinem, Chicots, Tode in die schwere Hand diktierte.

In Antwort auf diesen Brief Gorenflots schrieb der König eigenhändig:

»Mein Herr Prior, Ihr werdet unserem armen Chicot ein frommes und poetisches Begräbnis geben; ich beklage ihn von ganzer Seele, denn er war nicht nur ein treu ergebener Freund, sondern auch ein ziemlich guter Edelmann. Ihr werdet ihn mit Blumen umgeben und es so einrichten, daß er in der Sonne ruht, die er als Sohn des Südens sehr liebte. Was Euch betrifft, dessen Traurigkeit ich in gleichem Maße ehre und teile, so werdet Ihr nach dem Wunsche, den Ihr gegen mich aussprecht, die Priorei Beaune verlassen. Ich bedarf in Paris zu sehr ergebener Männer und guter Geistlicher, um Euch entfernt zu halten. Demzufolge ernenne ich Euch zum Prior der Jakobiner, wonach Ihr vor der Porte Saint-Antoine wohnen werdet, eine Gegend, der unser armer Freund ganz besonders zugetan war.

Euer wohlgewogener Heinrich, der Euch bittet, ihn in Euren Gebeten nicht zu vergessen.«

Man kann sich denken, wie der Prior bei diesem ganz eigenhändig vom König geschriebenen Briefe große Augen machte, die Größe von Chicots Genie bewunderte und sich beeilte, der ehrenvollen Stellung, die ihn erwartete, entgegenzueilen. Denn der Ehrgeiz hatte, wie man sich erinnert, schon früher ein Reis in Gorenflots Herzen getrieben.

Alles ging nach den Wünschen des Königs und Chicots. Ein Bündel Dornen, physisch und allegorisch den Leichnam darstellend, wurde in der Sonne, inmitten von Blumen, unter einer schönen Weinrebe begraben; und sobald Chicot tot und in effigie beerdigt war, half er Gorenflot bei seinem Umzuge.

Dom Modeste Gorenflot nahm mit großem Gepränge Besitz von seiner Priorei der Jakobiner. Ehicot wählte die Nacht, um in Paris einzuschlüpfen. Er kaufte bei der Porte Bussy ein kleines Haus, das ihn dreihundert Taler kostete, und wenn er Gorenflot besuchen wollte, so hatte er drei Wege, den durch die Stadt, der der kürzeste, den am Rande des Wassers, der der poetischste, und den längs der Mauern, der der sicherste war.

Aber Chicot, ein Träumer, wählte fast immer den an der Seine, und da der Fluß in jener Zeit noch nicht zwischen steinerne Mauern eingeschachtet war, so leckte das Wasser, wie der Dichter sagt, seine breiten Ufer, an denen die Bewohner der Cité mehr als einmal die lange Silhouette Chicots bei schönem Mondschein sich hervorheben sehen konnten.

Nachdem Chicot eingezogen war und seinen Namen verändert hatte, war er bemüht, auch sein Gesicht zu verändern; er nannte sich Robert Briquet und ging leicht vorwärts gebeugt; dann hatte ihn die beständige Unruhe und der Verlauf der letzten sechs Jahre beinahe kahl gemacht, so daß sein sonst krauses schwarzes Haar sich, wie das Meer bei der Ebbe, von seiner Stirn gegen sein Genick zurückgezogen. Überdies trieb er mimische Studien, indem er durch geschicktes Zusammenziehen das natürliche Spiel der Muskeln und das gewöhnliche Spiel der Physiognomie zu verändern suchte.

Die Folge war, daß Chicot, am hellen Tage gesehen, wenn er sich Mühe geben wollte, als ein wahrhafter Robert Briquet, das heißt, als ein Mensch erschien, dessen Mund von einem Ohr zum andern ging, dessen Kinn die Nase berührte und dessen Augen schielten, daß einem bange werden konnte.

Nur seine langen Arme und seine ungeheuren Beine konnte Chicot nicht verkürzen; da er aber sehr erfindungsreich war, so bog er, wie gesagt, seinen Rücken, so daß die Arme beinahe so lang waren wie seine Beine.

Mit diesen Übungen verband er die Vorsicht, daß er mit niemand eine Bekanntschaft anknüpfte. So ausgerenkt Chicot auch war, so konnte er doch nicht immer die gleiche Stellung behalten. Er führte also ein Klausnerleben, was übrigens seinem Geschmacke entsprach; seine ganze Zerstreuung bestand darin, daß er Gorenflot besuchte, mit dem er vollends den ausgezeichneten 1550er trank, den der würdige Prior gewissenhaft aus den Kellern von Beaune mitgenommen hatte.

Doch die gemeinen Geister sind Veränderungen unterworfen, wie die großen Geister; Gorenflot veränderte sich, Gott sei Dank! nicht physisch, aber moralisch. Er sah den, der bisher sein Geschick in seinen Händen hatte, in seine Macht und Diskretion gegeben. Chicot, der zum Mittagessen in die Priorei, kam, erschien ihm als ein Chicot-Sklave, und Gorenflot hielt von diesem Augenblick an zu viel von sich und nicht genug von Chicot.

Chicot sah die Veränderung seines Freundes, ohne sich dadurch beleidigt zu fühlen. Er hatte sich durch ähnliche Erfahrungen bei König Heinrich zu einer solchen Philosophie aufgeschwungen. Er hielt sich mehr zurück, das war alles. Statt alle zwei Tage in die Priorei zu gehen, ging er nur noch einmal in der Woche, dann alle vierzehn Tage, dann alle Monate dahin, Gorenflot war so aufgeblasen, daß er es gar nicht bemerkte.

Chicot war zu sehr Philosoph, um empfindlich zu sein; er lachte im Stillen über die Undankbarkeit Gorenflots und kratzte sich nach seiner Gewohnheit an der Nase und am Kinn.

»Das Wasser und die Zeit,« sagte er, »sind die zwei mächtigsten auflösenden Mittel, die ich kenne. Das eine löst den Stein auf und die andere die Eitelkeit. Warten wir.« Und er wartete.

Er war in diesem Warten begriffen, als die von uns erzählten Ereignisse eintraten. Da nun sein König, den er immer noch liebte, obwohl er gestorben war, ihm unter den neuen Verhältnissen einigen Gefahren preisgegeben zu sein schien, so entschloß er sich, ihm als Gespenst zu erscheinen und ihm in dieser Absicht allein die Zukunft vorherzusagen. Wir haben gesehen, wie geschickt sich Chicot dieser Aufgabe entledigte, und wollen ihm nun bei seinem Ausgang aus dem Louvre bis zu seinem kleinen Hause folgen. Die Serenade.

Um vom Louvre nach Hause zu kommen, hatte Chicot keinen weiten Weg zu gehen. Er stieg an dem steilen Ufer hinab und fuhr über den Fluß mit einem kleinen Schiffe, das er selbst lenkte und von der Rive de Nesle an den verlassenen Kai des Louvre gebracht hatte.

Unterwegs dachte er darüber nach, daß der König noch immer derselbe schwache und erhabene, phantastische und poetische Geist sei, ewig die selbstsüchtige Seele, die stets mehr verlange, als man ihr geben könne, ein unglücklicher König, ein armer König, mehr zu bedauern als irgendein Mensch seines Reiches. »Ich glaube,« sagte er bei sich, »nur ich habe diese seltsame Mischung von Üppigkeit und von Reue, von Gottlosigkeit und Aberglauben ergründet, wie nur ich allein den Louvre kenne, durch dessen Gemächer so viele Günstlinge gezogen sind, um in das Grab, in die Verbannung oder in die Vergessenheit zu wandern; wie ich auch nur allein ohne Gefahr mit dieser Krone spiele, die einstweilen den Geist von so vielen Leuten verbrennt, bis sie ihnen auch die Finger verbrennen wird.«

Als Chicot gelandet war und in die nahe Rue des Augustins kam, war er, sehr erstaunt, Stimmen und Instrumente zu hören, die das in so vorgerückter Stunde sonst so friedliche Viertel mit Harmonie erfüllten.

»Es ist also eine Hochzeit hier,« dachte er anfangs; »alle Wetter! Ich habe nur fünf Stunden geschlafen und werde nun wachen müssen, ich, der ich keine Hochzeit halte.«

Während er sich näherte, sah er einen großen Schein auf den Fensterscheiben der wenigen Häuser tanzen, die sich in dieser Straße fanden; der Schein wurde durch ein Dutzend Fackeln hervorgebracht, die Pagen und Lakaien trugen, indes vierundzwanzig Musiker unter den Befehlen eines besessenen Italieners aus Leibeskräften mit ihren Violen, Psaltern, Geigen, Zithern, Trompeten und Trommeln aufspielten.

Dieses Heer von Lärmmachern war in schöner Ordnung zu Chicots Verwunderung vor seinem eigenen Hause aufgestellt. Der unsichtbare General, der das Manöver leitete, hatte Musiker und Pagen so aufgestellt, daß alle gegen die Wohnung Robert Briquets gewendet waren.

Chicot schaute diese Erscheinung einen Augenblick erstaunt an und horchte auf das sonderbare Getöse. Dann schlug er mit seinen knochigen Händen auf seine Schenkel und sagte: »Das ist ein Irrtum, es ist nicht möglich, daß man für mich einen solchen Lärm macht.«

Hierauf trat er näher, mengte sich unter die Neugierigen, die die Serenade herbeigezogen hatte, und versicherte sich, aufmerksam umherschauend, daß alles Licht der Fackeln sich an seinem Hause abspielte, und daß niemand in der Menge sich im geringsten um das Haus gegenüber oder um die benachbarten Häuser kümmerte.

»In der Tat,« sagte Chicot zu sich selbst, »es ist für mich; sollte sich etwa eine unbekannte Prinzessin in mich verliebt haben?«

Diese Annahme, so schmeichelhaft sie auch war, schien indessen Chicot keineswegs zu überzeugen. Er wandte sich nach dem Hause um, das dem seinigen gegenüber stand.

Nur zwei Fenster dieses Hauses, die einzigen, die keine Läden hatten, fingen zuweilen Lichtblitze auf, während das arme Haus selbst alles Lebens beraubt zu sein schien.

»Man muß einen sehr harten Schlaf in diesem Hause haben,« sagte Chicot, »alle Teufel! ein solches Bacchanal müßte Tote erwecken.«

Währenddessen setzte das Orchester seine Symphonie fort, als ob es vor einer Versammlung von Königen und Kaisern gespielt hätte.

»Verzeiht, Freund,« fragte Chicot, sich an einen Fackelträger wendend, »könnt Ihr mir nicht sagen, für wen diese ganze Musik?«

»Für den Bürger, der hier wohnt,« antwortete der Diener, indem er Chicot Robert Briquets Haus bezeichnete.

»Es ist für mich, entschieden für mich,« dachte Chicot.

Chicot drang durch die Menge, um die Erklärung des Rätsels auf dem Ärmel und der Brust des Pagen zu lesen, aber jedes Wappen war sorgfältig unter einer Art von mauerfarbigem Überwurf verborgen.

»Wem gehört Ihr an, mein Freund?« fragte Chicot einen Tamburinschläger, der seine Finger mit dem Atem erwärmte, weil er in diesem Augenblicke gerade nichts zu trommeln hatte.

»Dem Bürger, der hier wohnt,« antwortete der Musiker, indem er mit seinem Stäbchen die Wohnung Robert Briquets bezeichnete.

»Ah! ah!« sagte Chicot, »sie sind nicht nur meinetwegen hier, sondern sie gehören mir sogar. Es kommt immer besser; wir werden ja am Ende sehen.«

Er bewaffnete sein Gesicht mit der schwierigsten Grimasse, die er finden konnte, stieß rechts und links Pagen, Lakaien, Musiker beiseite, um die Tür nicht ohne Schwierigkeit zu erreichen, zog hier, sichtbar und glänzend in dem von den Fackelträgern gebildeten Kreise, den Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Tür, trat ein, stieß die Tür wieder zu und schob den Riegel vor. Dann stieg er auf seinen Balkon, stellte auf den Vorsprung einen ledernen Stuhl, setzte sich bequem darauf, stützte das Kinn auf das Geländer und sagte, ohne daß er das Gelächter zu bemerken schien, das seine Person empfing: »Meine Herren, täuscht ihr euch nicht, sind eure Triller, Kadenzen und Rouladen wirklich an mich gerichtet?«

»Ihr seid Meister Robert Briquet?« fragte der Direktor des ganzen Orchesters.

»In Person.«

»Wohl, wir sind ganz zu Euren Diensten, mein Herr,« erwiderte der Italiener mit einer Bewegung seines Stabes, die einen neuen Melodiensturm hervorrief.

»Das ist wahrhaftig nicht zu verstehen,« sagte Chicot zu sich selbst, indem er seine scharfen Augen auf der ganzen Menge und an allen Häusern der Nachbarschaft umherlaufen ließ. Da erblickte er plötzlich unter dem Wetterdach seines Hauses, durch die Spalten des Balkonbodens, einen ganz in einen dunkelfarbigen Mantel gehüllten Mann, der einen schwarzen Hut mit roter Feder und einen langen Degen trug und, da er sich unbeobachtet glaubte, mit seiner ganzen Seele nach dem gegenüberliegenden öden, stummen, toten Haus schaute. Von Zeit zu Zeit verließ der Direktor des Orchesters seinen Posten, um leise mit diesem Mann zu sprechen. Chicot erriet bald, daß das ganze Interesse der Szene hier war, und daß dieser schwarze Hut das Gesicht eines Edelmannes verbarg.

Von diesem Augenblick an war seine ganze Aufmerksamkeit dem Unbekannten zugewendet.

Bald sah er, wie ein Kavalier, dem zwei Stallmeister folgten, an der Ecke der Straße erschien und energisch mit Gertenhieben die Neugierigen Vertrieb.

»Herr Joyeuse,« murmelte Chicot, der in dem Kavalier den auf Befehl des Königs gestiefelten und gespornten Großadmiral von Frankreich erkannte.

Sobald die Neugierigen zerstreut waren, schwieg das Orchester, dem offenbar ein Wink des Gebieters Stillschweigen auferlegte.

Der Kavalier näherte sich dem unter dem Wetterdache verborgenen Edelmann und fragte: »Nun, Henri, was gibt es Neues?« – »Nichts, mein Bruder, nichts.«

»Nichts?« – »Nein, sie ist nicht einmal erschienen.«

»Diese Burschen haben also keinen Lärm gemacht?« – »Sie haben das ganze Quartier betäubt.«

»Sie haben also nicht gerufen, wie es ihnen empfohlen war, sie spielten zu Ehren dieses Bürgers?« – »Sie haben es so laut gerufen, daß er in Person auf seinem Balkon sitzt und der Serenade zuhört.« »Sie ist nicht erschienen?« – »Weder sie noch sonst jemand.«

»Der Gedanke war doch geistreich,« sagte Joyeuse gereizt, »denn sie könnte es am Ende, ohne sich zu kompromittieren, machen wie alle diese guten Bürger und die ihrem Nachbar gegebene Musik benützen.«

Henri schüttelte den Kopf und sagte: »Ah! man sieht wohl, daß du sie nicht kennst, Bruder.«

»Doch, doch, ich kenne sie; das heißt, ich kenne alle Frauen, und da sie in der Zahl inbegriffen ist, so wollen wir den Mut nicht sinken lassen.« – »Oh! mein Gott! Bruder, du sagst mir das mit einem ganz entmutigten Tone.«

»Durchaus nicht; nur muß der Bürger von heute an jedem Abend seine Serenade bekommen.« – »Sie wird ausziehen.«

»Warum, wenn du nichts sagst, wenn du sie nicht bezeichnest, wenn du stets verborgen bleibst? Hat der Bürger etwas geredet, als man ihm diese Artigkeit erwies?« – »Ja, er hat eine Rede an das Orchester gehalten .... Ah! sieh, Bruder, er will in der Tat noch einmal sprechen.«

Entschlossen, in der Sache ins klare zu kommen, stand Briquet wirklich auf, um zum zweiten Male den Direktor des Orchesters zu befragen.

»Schweigt da oben und geht hinein,« rief Anne in seiner üblen Laune, »zum Teufel, da Euch die Serenade zuteil geworden ist, so habt Ihr nichts zu sagen, haltet Euch also ruhig.« – »Meine Serenade, meine Serenade,« erwiderte Chicot mit der freundlichsten Miene; »ich will wenigstens wissen, an wen meine Serenade gerichtet ist.«

»An Eure Tochter, Dummkopf.« – »Verzeiht, Herr, ich habe keine Tochter.«

»An Eure Frau also.« – »Ich bin, Gott sei Dank, nicht verheiratet.«

»An Euch persönlich, und wenn du nicht hineingehst ....«

Joyeuse verband die Tat mit der Drohung und sprengte sein Pferd gegen den Balkon, und zwar mitten durch die Musiker.

»Alle Wetter!« rief Chicot, »wer wirft hier die Musiker nieder, wenn die Musik für mich ist?«

»Alter Narr,« brummte Joyeuse, das Haupt erhebend, »wenn du dein häßliches Gesicht nicht in deinem Rabennest verbirgst, so werden dir die Musiker alle ihre Instrumente auf dem Genick zerbrechen.«

»Laß diesen armen Menschen,« sagte du Bouchage, »er muß sich in der Tat sehr wundern!«

»Und warum wundert er sich, beim Teufel! ... übrigens siehst du wohl, daß wir, wenn wir einen Streit anfangen, jemand an das Fenster ziehen werden; prügeln wir also den Bürger, stecken wir sein Haus in Brand, wenn es sein muß, aber rühren wir uns, rühren wir uns.«

»Ich bitte, mein Bruder,« entgegnete Henri, »erpressen wir nicht die Aufmerksamkeit dieser Frau; wir sind besiegt, ergeben wir uns!«

Briquet verlor kein Wort von diesem Zwiegespräch, das helles Licht in seine noch verworrenen Ideen brachte; er traf im Geiste seine Anstalten zur Verteidigung, denn er kannte die Laune dessen, der ihn angriff.

Doch Joyeuse ergab sich den Vernunftgründen seines Bruders, ging nicht weiter und entließ Pagen, Diener, Musiker und Maestro.

Er zog sodann seinen Bruder beiseite und teilte ihm mit, daß er auf Befehl des Königs sofort nach Flandern gehen müsse; er bat den Bruder herzlich mitzukommen. Du Bouchage erklärte aber, sich von dem Orte seiner Geliebten nicht trennen zu können, worauf Joyeuse von seiner Bitte abstand und tröstend hinzufügte, er sei überzeugt, er werde bei der Rückkehr den Bruder für seine beharrliche Liebe belohnt finden. Joyeuse hieß darauf die Musiker heimgehen und ritt dem Bruder, der ihn bis zum Tor geleiten wollte, voran zur harrenden Eskorte.

Henri warf einen letzten Blick nach dem öden Hause, sandte ein letztes Gebet nach dessen Fenstern und folgte dann, langsam und beständig sich umwendend, dem Bruder.

Als Robert Briquet die jungen Leute mit den Musikanten sich entfernen sah, dachte er, die Entwicklung dieser Szene werde nun wohl erfolgen. Er zog sich daher geräuschvoll vom Balkon zurück und schloß das Fenster, ging aber innen zum Dach hinauf, das ausgezackt war, wie das der flämischen Häuser; er verbarg sich hinter einer dieser Auszackungen und beobachtete die Fenster gegenüber.

Sobald der Lärm auf der Straße aufgehört hatte und alles in die gewöhnliche Ordnung zurückgekehrt war, öffnete sich leise eines von den oberen Fenstern dieses seltsamen Hauses, und ein Kopf kam vorsichtig hervor.

»Nichts mehr,« murmelte eine Männerstimme, »folglich keine Gefahr mehr; es war eine Mystifikation, die sich an unsern Nachbar richtet; Ihr könnt Euer Versteck verlassen, gnädige Frau, und in Euer Zimmer hinabgehen.«

Bei diesen Worten schloß der Mann das Fenster wieder, ließ das Feuer aus einem Stein springen, zündete eine Lampe an und reichte sie einem Arm, der sich ausstreckte, um sie zu empfangen.

Chicot schaute angespannt. Doch kaum hatte er das bleiche und erhabene Antlitz der Frau erschaut, die die Lampe in Empfang nahm, und den sanften, traurigen Blick aufgefaßt, der zwischen dem Diener und der Gebieterin ausgetauscht wurde, als er selbst erbleichte und fühlte, wie ein eisiger Schauer seine Adern durchlief.

Die junge Frau war kaum vierundzwanzig Jahre alt. Sie stieg nun die Treppe hinab; ihr Diener folgte ihr.

»Ah!« murmelte Chicot, der mit der Hand über die Stirn fuhr, um sich den Schweiß abzuwischen, und als ob er zugleich eine furchtbare Erscheinung hätte verjagen wollen, »ah! Graf du Bouchage, tapferer, schöner junger Mann, wahnsinniger Verliebter, laß alle Hoffnung fahren!«

Dann stieg er ebenfalls in sein Zimmer hinab ... mit düsterer Stirn, wie wenn er in eine furchtbare Vergangenheit, in einen blutigen Abgrund hinabgestiegen wäre, und setzte sich, nun auch selbst von der Schwermut, die von dem düstern Hause ausging, bezwungen, gedankenvoll in den Schatten.

Chicots Börse.

Chicot brachte die ganze Nacht träumend in seinem Lehnstuhl zu. Träumend ist das richtige Wort, denn in der Tat, es waren weniger Gedanken, als Träume, was ihn beschäftigte.

Zur Vergangenheit zurückkehren, mit einem Blicke eine ganze, beinahe im Gedächtnis verwischte Epoche am Feuer eines einzigen Blickes sich erhellen sehen, heißt nicht denken. Chicot wohnte die ganze Nacht in einer Welt, die längst von ihm verlassen und mit erhabenen oder anmutigen Schatten bevölkert war, die der Blick der bleichen Frau, einer treuen Lampe ähnlich, einen nach dem andern mit seinem Gefolge von glücklichen und schrecklichen Erinnerungen an ihm vorüberziehen ließ.

Als die Morgendämmerung die Scheiben seines Fensters versilberte, sagte er: »Die Stunde der Gespenster ist vorüber, wir müssen nun auch an die Lebendigen denken.«

Er stand auf, gürtete sein langes Schwert um, warf über seine Schultern einen Oberrock von weinhefenfarbiger Wolle und einem auch für den stärksten Regen undurchdringlichen Gewebe und prüfte mit der stoischen Festigkeit des Weisen den Grund seiner Börse und die Sohle seiner Schuhe.

Diese erschienen Chicot würdig, einen Feldzug zu beginnen, und jene verdiente eine besondere Aufmerksamkeit.

Chicot, der, wie man weiß, ein Mensch von erfindungsreicher Einbildungskraft war, hatte nämlich den Hauptbalken ausgehöhlt, der sein Haus von einem Ende zum andern durchzog und zugleich zur Zierat und zur Festigkeit diente, denn er war bunt bemalt und hatte wenigstens achtzehn Zoll im Durchmesser.

Aus diesem Balken hatte er sich durch eine Aushöhlung von anderthalb Fuß Länge und sechs Zoll Breite eine Kasse gemacht, in der tausend Goldtaler enthalten waren.

Chicot hatte folgende Berechnung angestellt: »Ich gebe jeden Tag den zwanzigsten Teil eines solchen Talers aus; ich habe also Mittel, zwanzigtausend Tage zu leben. Ich werde sie nie leben, aber ich kann die Hälfte erreichen, und dann vermehren sich, je älter ich werde, meine Bedürfnisse und folglich meine Ausgaben, denn die Gemächlichkeit muß mit der Abnahme des Lebens zunehmen. Somit habe ich zwanzig bis fünfundzwanzig schöne Jahre zu leben. Das ist, Gott sei Dank, genug.«

Als er diesen Morgen seine Kasse öffnete, um sich seine Rechnung zu machen, sagte er zu sich selbst: »Bei Gott! das Jahrhundert ist hart, und die Zeiten sind nicht für die Großmut geeignet. Ich habe kein Zartgefühl gegen Heinrich zu beobachten. Diese tausend Goldtaler kommen nicht einmal von ihm, sondern von einem Oheim, der mir sechsmal mehr versprochen hatte. Dieser Oheim war allerdings Junggeselle. Wenn es noch Nacht wäre, würde ich hundert Taler aus der Tasche des Königs nehmen, aber es ist Tag und ich habe keine andere Quelle mehr, als bei mir selbst und ... bei Gorenflot:«

Der Gedanke, von Gorenflot Geld zu beziehen, ließ seinen würdigen Freund lächeln.

»Es wäre ja schön,« fuhr er fort, »wenn Meister Gorenflot, der mir sein Glück verdankt, hundert Taler seinem Freunde für den Dienst des Königs abschlüge, der ihn zum Prior der Jakobiner ernannt hat.«

»Ah!« sagte er, »er ist nicht mehr Gorenflot.

»Ja, aber Robert Briquet ist immer noch Chicot. Doch der Brief des Königs, der Brief, der Navarra in Flammen setzen soll, ich sollte ihn vor Tag holen, und der Tag ist gekommen. Ah! dieses Mittel werde ich haben, und es wird sogar einen furchtbaren Schlag auf den Schädel Gorenflots tun, wenn mir sein Gehirn zu schwer zu überzeugen ist. Vorwärts also!«

Chicot fügte das Brett wieder ein, das sein Versteck schloß, befestigte es mit vier Nägeln und bedeckte es mit der Platte, auf die er gehörig Staub streute, um die Fugen zu verstopfen; dann schaute er, zum Aufbruch bereit, zum letzten Male dieses kleine Zimmer an, wo er seit vielen glücklichen Tagen undurchdringlich und bewacht war, wie es das Herz in der Brust ist.

So beruhigt schloß Chicot seine Tür, deren Schlüssel er mit sich nahm; als er sodann hinausging, um das Ufer zu erreichen, sagte er: »Ei! ei! dieser Nicolas Poulin könnte wohl hierher kommen, meine Abwesenheit verdächtig finden und... Ah! diesen Morgen habe ich nur Hasengedanken. Vorwärts.«

Indes Chicot seine Haustür nicht minder sorgfältig schloß, als er seine Zimmertür geschlossen hatte, bemerkte er an einem Fenster den Diener der unbekannten Dame, der, ohne Zweifel in der Hoffnung, so früh am Morgen nicht bemerkt zu werden, Luft schöpfte.

Dieser Mann war erwähntermaßen ganz entstellt durch eine Wunde an der linken Schläfe, die sich über einen Teil der Wange erstreckte. Durch die Heftigkeit des Schlages von der Stelle gerückt, verbarg eine von seinen Augenbrauen beinahe völlig das linke, in seine Höhle eingesunkene Auge. Dabei hatte er trotz seiner kahlen Stirn und seinem gräulichen Barte einen lebhaften Blick und eine auffallende Jugendfrische auf der Wange, die verschont worden war.

Beim Anblick Robert Briquets, der seine Türschwelle hinabstieg, bedeckte er sich den Kopf mit seiner Kapuze. Er machte eine Bewegung, um zurückzutreten, doch Chicot bedeutete ihm durch eine Bewegung, er möge bleiben.

»Nachbar,« rief ihm Chicot zu, »das Gelärm gestern hat mir mein Haus verleidet; ich will einige Wochen auf meine Meierei gehen; wäret Ihr wohl so gefällig, von Zeit zu Zeit einen Blick nach dieser Seite zu werfen?« – »Ja, gern,« antwortete der Unbekannte.

»Und solltet Ihr Diebe bemerken...« – »Seid unbesorgt, ich habe eine gute Büchse.«

»Ich danke. Indessen hätte ich Euch noch um einen Dienst zu bitten. Doch es ist zu zarter Natur, um es Euch von ferne zuzurufen, Nachbar.« – »Dann werde ich hinabkommen.«

Chicot sah den Unbekannten in der Tat verschwinden, und als er sich während dieses Verschwindens dem Hause näherte, hörte er seine Tritte im Hausflur schallen, dann öffnete sich die Tür, und sie standen einander gegenüber.

Diesmal hatte der Diener sein Gesicht völlig in seine Kapuze gehüllt.

»Es ist heute sehr kalt,« sagte er, um seine geheimnisvolle Vorsicht zu verbergen oder zu entschuldigen.

»Ein eisiger Nordwind, Nachbar,« erwiderte Chicot, der sich stellte, als schaute er den andern nicht an, um es ihm bequemer zu machen.

»Nun?« sagte der Unbekannte. – »Ich verreise.«

»Ihr habt mir schon die Ehre erwiesen, mir dies mitzuteilen.« – »Ich erinnere mich dessen vollkommen; aber indem ich abreise, lasse ich Geld zurück.«

»Desto schlimmer, mein Herr, desto schlimmer, nehmt es mit.« – »Nein, der Mensch ist schwerfälliger und minder entschlossen, wenn er seine Börse zugleich mit seinem Leben zu retten sucht. Ich lasse all mein Geld wohl verborgen hier, so wohl verborgen, daß ich nur das Unglück eines Brandes zu befürchten habe. Wenn mir das begegnete, wollt das Verbrennen eines gewissen dicken Balkens beobachten, von dem Ihr dort rechts das in Gestalt eines Drachenkopfes geschnitzte Ende erblickt... beobachtet, sage ich, und sucht in der Asche.«

»In der Tat,« entgegnete der Unbekannte, sichtbar ärgerlich, »Ihr belästigt mich ungemein. Diese vertrauliche Mitteilung wäre besser bei einem Freunde angebracht, als bei einem Mann, den Ihr gar nicht kennt, den Ihr nicht kennen könnt. Bedenkt, welche Verantwortlichkeit Ihr mir aufbürdet. Kann nicht diese lärmvolle Musik meiner Gebieterin ebenso ärgerlich sein wie Euch, und können wir nicht deshalb die Wohnung verändern?« – »Nun wohl! dann ist alles abgetan, und ich werde mich nicht an Euch halten, Nachbar.«

»Ich danke für das Vertrauen, das Ihr einem armen Unbekannten beweist,« sagte der Diener, sich verbeugend; »ich werde mich seiner würdig zu zeigen suchen.« Und er grüßte Chicot und ging wieder hinein.

Chicot grüßte ihn seinerseits liebevoll und sagte, als er sah, daß die Tür wieder hinter ihm geschlossen war: »Armer, junger Mann, diesmal ist es ein wahres Gespenst, und ich habe ihn doch so heiter, so lebendig, so schön gesehen!«

Die Priorei der Jakobiner.

Die Priorei, die der König Gorenflot geschenkt hatte, um ihn für seine redlichen Dienste und besonders für seine glänzende Beredsamkeit zu belohnen, lag ungefähr zwei Büchsenschüsse jenseits der Porte Saint-Antoine. Es war dies damals ein sehr vornehmer Stadtteil; der König kam häufig nach dem Schlosse von Vincennes, das, man in jener Zeit Bois de Vincennes nannte, und infolge der Hin- und Herfahrten des Hofes hatte diese Straße etwa die Wichtigkeit, wie heutzutage die Champs-Elysses.

Die Priorei selbst bestand aus einem Viereck von Gebäuden, das einen ungeheuren, mit Bäumen bepflanzten Hof enthielt, und es gehörten dazu außer dem Gemüsegarten, der hinter dem Viereck lag, eine Menge von Baulichkeiten und Gartenstücken, die der Priorei die Ausdehnung eines Dorfes gaben.

Zweihundert Jakobinermönche bewohnten die Schlafsäle, die im Hintergrunde des Hofes parallel mit der Straße lagen. Auf der Vorderseite verliehen vier Fenster mit einem einzigen eisernen, an diesen Fenstern hinlaufenden Balkon den Gemächern der Priorei Luft, Licht und Leben.

Im Schoße dieser Priorei, einem wahren Paradies der Müßiggänger und der Wohlschmecker, wo Schlachtochsen, Schafe und Schweine und nicht minder ein besonders mit Burgunder reich besetzter Keller für des Leibes Notdurft sorgten, in der kostbaren Wohnung, deren Balkon auf die Straße geht, finden wir Gorenflot wieder, geschmückt mit einem Kinn mehr und mit jenem ehrwürdigen Ernste, den die beständige Gewohnheit der Ruhe und des Wohlbehagens auch den gemeinsten Gesichtern verleiht.

In seinem schneeweißen Gewande, mit dem schwarzen Kragen, der seine breiten Schultern warm hält, hat Gorenflot nicht mehr so viel Freiheit der Bewegung, wie in seinem einfachen grauen Mönchskleide, aber er hat mehr Majestät. Breit wie eine Hammelkeule, stützt sich seine Hand auf einen Quartanten, den sie völlig bedeckt; seine dicken Füße drücken einen Wärmer nieder, und seine Arme sind nicht mehr lang genug, um einen Gürtel für seinen Bauch zu bilden.

Es hat soeben halb acht Uhr geschlagen. Der Prior ist zuletzt aufgestanden; er pflegt die Regel zu benutzen, die dem Obersten eine Stunde Schlaf mehr gestattet, als den Mönchen, doch er setzt seine Nacht ruhig und gemütlich in einem Lehnstuhle mit Eiderdaunenkissen fort.

Die Ausstattung des Zimmers, worin der würdige Abt schläft, ist mehr weltlich als religiös; ein Tisch mit gedrehten Füßen und mit einem reichen Teppich bedeckt, religiöse Gemälde galanter Art, eine seltsame Mischung von Liebe und Devotion, die man nur in jener Zeit in der Kunst findet, kostbare Gefäße für die Kirche oder die Tafel auf Schenktischen, an den Fenstern große Vorhänge von venetianischem Brokat, trotz ihres Alters glänzender, als die teuersten neuen Stoffe, dies find die Reichtümer, deren Besitzer Dom Gorenflot durch die Gnade Gottes, des Königs und besonders Chicots geworden war.

Der Prior schlief also in seinem Lehnstuhl, während ihm der Tag seinen gewöhnlichen Besuch machte und mit seinen silbernen Lichtern die purpurnen und Perlmutterartigen Töne auf dem Gesichte des Schläfers liebkoste.

Die Stubentür öffnet sich sacht, und zwei Mönche treten ein, ohne den Prior aufzuwecken.

Der erste war ein Mann von dreißig bis fünfunddreißig Jahren, mager, bleich und nervös gekrümmt in seinem Jakobinergewand; er trug den Kopf hoch; wie ein Pfeil aus seinem Falkenauge schießend, befahl sein Blick, ehe er gesprochen hatte, und dennoch milderte sich dieser Blick durch das Spiel zweier weißer Augenlider, die beim Lenken den breiten blauen Kreis hervortreten ließen, von dem seine Augen begrenzt waren. Glänzte aber im Gegenteil dieser schwarze Augenstern zwischen diesen Brauen und der falben Umrahmung der Augenhöhle, so hätte man glauben sollen, es springe ein Blitz aus den Falten zweier kupferner Wolken hervor. Dieser Mönch hieß Bruder Borromée; er war seit drei Wochen Säckelmeister des Klosters.

Der andere war ein jünger Mensch von siebzehn bis achtzehn Jahren, mit lebhaften schwarzen Augen, kühner Miene, hervorspringendem Kinn, klein, aber gut gewachsen, der, wenn er seine weiten Ärmel zurückschlug, mit einem gewissen Stolz zwei nervige, behende Arme sehen ließ.

»Der Prior schläft noch, Bruder Borromée,« sagte der jüngere von den beiden Mönchen zu dem anderen, »wecken wir ihn auf?«

»Hüten wir uns wohl, Bruder Jacques,« erwiderte der Säckelmeister.

»Es ist in der Tat schade, daß wir einen Prior haben, der so lange schläft,« versetzte der junge Bruder, »denn man hätte diesen Morgen die Waffen probieren können: habt Ihr gesehen, was für schöne Panzer und Büchsen darunter sind?«

»Still, mein Bruder, man könnte Euch hören.«

»Welch ein Unglück,« sagte der kleine Mönch, indem er mit dem Fuße auf den Boden stampfte, was jedoch durch den dicken Teppich gedämpft wurde; »welch ein Unglück, das Wetter ist heute so schön, der Hof ist so trocken, welch eine schöne Übung hätte man heute vornehmen können, Bruder Borromée!«

»Man muß warten, mein Kind,« entgegnete Bruder Borromée mit einer geheuchelten Unterwürfigkeit, die durch das Feuer seiner Blicke Lügen gestraft wurde.

»Aber warum befehlt Ihr nicht, daß die Waffen ausgeteilt werden?« sagte ungestüm Jacques, während er seine herabgefallenen Ärmel wieder zurückschlug.

»Ich befehle nicht, Ihr wißt es wohl, mein Bruder,« erwiderte Borromée mit Salbung, »ist nicht der Herr da?«

»In diesem Lehnstuhl, ... eingeschlafen, ... während alles wacht,« sagte Jacques mit einem weniger ehrfurchtsvollen, als ungeduldigen Tone, »der Herr?«

Und ein Blick stolzen Verständnisses schien bis in die Tiefe des Herzens von Bruder Borromée dringen zu wollen.

»Achten wir seinen Rang und seinen Schlummer,« sagte dieser, indem er mitten in das Zimmer trat, doch so unglücklich, daß er einen Schemel zu Boden warf.

Obgleich der Teppich das Geräusch dämpfte, fuhr Dom Gorenflot doch bei diesem Lärm auf und erwachte.

»Wer ist da?« rief er mit der bebenden Stimme einer eingeschlafenen Schildwache.

»Ehrwürdiger Herr Prior,« sagte der Bruder Borromée, »verzeiht, wenn wir Eure fromme Meditation stören, aber ich komme, um Eure Befehle einzuholen.«

»Ah! guten Morgen, Bruder Borromée,« sagte Gorenflot mit einem leichten Zeichen des Kopfes und fuhr nach einem Augenblick des Nachdenkens, in dem er offenbar alle Saiten seines Gedächtnisses angestrengt hatte, fort: »Welche Befehle?« – »In Beziehung auf die Waffen und Rüstungen.«

»In Beziehung auf die Waffen und Rüstungen?« – »Allerdings, Eure Herrlichkeit hat befohlen, Waffen und Rüstungen herbeizuschaffen.«

»Wem?« – »Mir.«

»Bei Euch habe ich Waffen bestellt?« – »Ganz gewiß, ehrwürdiger Herr Prior,« antwortete Borromée mit gleichem, festem Tone.

»Ich!« wiederholte Dom Modeste, im höchsten Maße erstaunt, »ich! und wann dies?« – »Vor acht Tagen.«

»Ah! vor acht Tagen... Noch wozu Waffen?« – »Ihr sagtet mir, ehrwürdiger Herr, und ich will Eure eigenen Worte wiederholen. Ihr sagtet mir: .Bruder Borromée, es wäre gut, wenn man sich Waffen verschaffen würde, um unsere Mönche und Brüder zu bewaffnen; die gymnastischen Übungen entwickeln die Kräfte des Körpers, wie die frommen Ermahnungen die des Geistes entwickeln'.«

»Ich habe das gesagt?« – »Ja, ehrwürdiger Herr Prior, und ich, ein unwürdiger, gehorsamer Bruder, beeilte mich, Eure Befehle zu vollziehen, und verschaffte mir Kriegswaffen.«

»Das ist seltsam,« murmelte Gorenflot, »ich erinnere mich an nichts von dem allen.« – »Ehrwürdiger Herr Prior, Ihr fügtet sogar den lateinischen Text bei: Militat spiritu, militat gladio.«

»Ah!« rief Dom Gorenflot, die Augen übermäßig aufreißend, »ich habe den Text beigefügt?« – »Ich besitze ein treues Gedächtnis, ehrwürdiger Herr Prior« erwiderte Borromée, die Augen niederschlagend.

»Wenn ich es gesagt habe,« versetzte Gorenflot, indem er sacht den Kopf von oben nach unten schüttelte, »so hatte ich meine Gründe, es zu sagen, Bruder Borromée. In der Tat, es war stets meine Ansicht, man müsse den Körper üben, und als ich noch einfacher Mönch war, kämpfte ich mit dem Wort und sogar mit dem Schwert... Militat... Spiritus... Sehr gut, Bruder Borromée, das war eine Eingebung des Herrn.« – »Ich will also Eure Befehle vollends ausführen,« sagte Borromée, indem sich mit Jacques zurückzog, der ihn, ganz bebend vor Freude, unten an seinem Rocke zupfte.

»Geht,« sagte Gorenflot majestätisch. – »Ah! ehrwürdiger Herr Prior,« sagte Borromée, der einige Sekunden nach seinem Verschwinden wieder eintrat, »ich vergaß...«

»Was?« – »Im Sprechzimmer ist ein Freund Eurer Herrlichkeit, der mit Euch zu reden wünscht.«

»Wie nennt er sich?« – »Meister Robert Briquet.«

»Meister Robert Briquet,« versetzte Gorenflot, »das ist kein Freund von mir, Bruder Borromée, sondern ein einfacher Bekannter.« – »Eure Ehrwürden wird ihn also nicht empfangen?«

»Doch, doch,« sagte mit gleichgültigem Tone Gorenflot, »dieser Mensch zerstreut mich; laß ihn heraufkommen.«

Bruder Borromée verbeugte sich zum zweiten Male und ging hinaus. Bruder Jacques aber hatte nur einen Sprung von dem Zimmer des Priors bis in die Kammer gemacht, wo die Waffen aufbewahrt wurden.

Fünf Minuten nachher öffnete sich die Tür wieder, und Chicot erschien.

Die beiden Freunde.

Dom Modeste behielt die andächtig vorgebeugte Stellung bei, die er angenommen hatte. Chicot durchschritt das Zimmer und ging auf ihn zu. Der Prior war nur so gnädig, den Kopf ein wenig zu senken, um dem Eintretenden anzudeuten, daß er ihn bemerke.

Chicot schien sich nicht einen Augenblick über die Gleichgültigkeit des Priors zu wundern; er schritt immer weiter vor, grüßte, als er eine ehrfurchtsvoll abgemessene Entfernung erreicht hatte, und sagte: »Guten Morgen, Herr Prior.« – »Ah! Ihr seid hier,« sagte Gorenflot, »Ihr seid wieder auferstanden, wie es scheint?«

»Habt Ihr mich tot geglaubt, Herr Prior?« – »Bei Gott! man sah Euch nicht mehr.«

»Ich hatte Geschäfte.« – »Ah!«

Chicot wußte, daß Gorenflot, wenn er sich nicht durch zwei bis drei Flaschen alten Burgunders erwärmt hatte, wortkarg blieb. Da er aber bei der wenig vorgerückten Stunde aller Wahrscheinlichkeit nach nüchtern war, so nahm er einen guten Lehnstuhl und setzte sich schweigsam an die Ecke des Kamins, wobei er seine Füße auf die Feuerböcke ausstreckte und seine Lenden auf die weiche Lehne stützte.

»Werdet Ihr mit mir frühstücken, Herr Briquet?« fragte Dom Modeste. – »Vielleicht, ehrwürdiger Herr Prior.«

»Ihr dürft mir nicht grollen, Herr Briquet, wenn es mir unmöglich würde, Euch jede Zeit zu schenken, die ich Euch gern schenken möchte.« – »Ei! wer zum Teufel! fordert Eure Zeit von Euch, Herr Prior? Alle Wetter! Ich verlangte nicht einmal Frühstück von Euch, Ihr habt es mir angeboten.«

»Sicher, Herr Briquet,« versetzte Dom Gorenflot mit einer Unruhe, die der feste Ton Chicots rechtfertigte, »ja, allerdings, ich habe es Euch angeboten, doch ...« – »Doch Ihr glaubtet, ich würde es nicht annehmen?«

»Oh! nein. Ist es meine Gewohnheit, politisch zu sein, sprecht, Herr Briquet?« – »Man nimmt alle Gewohnheiten an, die man annehmen will, wenn man ein Mann von Eurer Erhabenheit ist, ehrwürdiger Herr Prior,« erwiderte Chicot mit jenem Lächeln, das nur ihm gehörte.

Dom Gorenflot schaute Chicot mit den Augen blinzelnd an. Es war ihm unmöglich, zu erraten, ob Chicot spottete oder im Ernst sprach.

Chicot war aufgestanden.

»Warum steht Ihr auf, Herr Briquet?« – »Weil, ich gehe.«

»Und warum geht Ihr, da Ihr sagtet, Ihr würdet mit mir frühstücken?« – »Ich habe nicht gesagt, ich würde mit Euch frühstücken.«

»Verzeiht, ich habe es Euch angeboten.« – »Und ich erwiderte: vielleicht; vielleicht bedeutet nicht: ja.«

»Ihr ärgert Euch?« – Chicot lachte. »Ich mich ärgern,« sagte er, »und worüber sollte ich mich ärgern? Darüber, daß Ihr unverschämt, unwissend und grob seid? Oh! lieber Herr Prior, ich kenne Euch zu lange, um mich über solche Unvollkommenheiten zu ärgern.«

Durch diesen naiven Ausfall seines Gastes niedergeschmettert, blieb Gorenflot mit offenem Munde und ausgestreckten Armen.

»Gott befohlen, Herr Prior,« fuhr Chicot fort.

»Oh! geht nicht.« – »Meine Reise läßt sich nicht verzögern.«

»Ihr reist?« – »Ich habe eine Sendung.«

»Von wem?« – »Vom König.«

Gorenflot stürzte von Abgrund zu Abgrund. »Eine Sendung,« sagte er, »eine Sendung vom König, Ihr habt ihn also wiedergesehen?« – »Gewiß.«

»Und er hat Euch aufgenommen?« – »Mit Begeisterung; er hat Gedächtnis, obschon er ein König ist,«

»Eine Sendung vom König,« murmelte Gorenflot, »und ich unverschämt, unwissend und grob! Was habt Ihr, Herr Briquet? In der Tat, Ihr verkennt mich.« – »Nichts habe ich, außer daß ich eine Reise mache und zu Euch gekommen bin, um von Euch Abschied zu nehmen. Lebt also wohl, Seigneur Dom Modeste.«

»Ihr verlaßt mich so?« – »Ganz gewiß, bei Gott!«

»Ihr? Ein Freund?« – »In der Größe hat man keine Freunde mehr.«

»Ihr, Chicot?« Und der Prior neigte seinen dicken Kopf, dessen drei Kinne sich in einem einzigen an seinem Stierhals abplatteten.

Chicot beobachtete ihn aus einem Augenwinkel, er sah den Prior leicht erbleichen. Dann sagte er:

»Gott befohlen und ohne Groll wegen der Wahrheiten, die ich Euch gesagt habe.«

Und er machte eine Bewegung, um wegzugehen.

»Sagt mir alles, was Ihr wollt,« sagte Dom Gorenflot; »doch habt keine solchen Blicke mehr für mich.« – »Ah! ah! es ist ein wenig spät.«

»Nie zu spät. Hört doch, man geht nicht so weg, ohne zu essen, das ist nicht gesund; Ihr habt es mir selbst zwanzigmal gesagt. Nun, laßt uns frühstücken.«

Chicot war entschlossen, auf einmal alle seine Vorteile wieder zu gewinnen. Erst nachdem Gorenflot sich in tausend Versicherungen ergangen hatte, er wolle seinem lieben Freunde kein Unrecht tun und die Dame, der er Audienz versprochen, und die ihm Flaschen sizilianischen Weins zu Hunderten schicke, in alle Ewigkeit warten lassen, sagte Chicot:

»Dies alles werdet Ihr tun?« – »Um mit Euch zu frühstücken, teurer Herr Chicot, um mein Unrecht gegen Euch wieder gutzumachen.«

»Euer Unrecht rührt von Eurem unbändigen Stolze her.« – »Ich werde mich demütigen, mein Freund.«

»Von Eurer unverschämten Trägheit.« – »Chicot, Chicot, von morgen an kasteie ich mich, indem ich meine Mönche alle Tage Übungen vornehmen lasse.«

»Eure Mönche Übungen?« versetzte Chicot, die Augen weit aufreißend; »und was für Übungen, mit der Gabel?« – »Nein, mit den Waffen.«

»Waffenübungen?« – »Ja, und das Kommandieren ist ermüdend.«

»Ihr kommandiert die Übungen der Jakobiner?« – »Ich gedenke wenigstens zu kommandieren.«

»Von morgen an?« – »Von heute an, wenn Ihr es verlangt.«

»Und wer hat den Gedanken gehabt, Kuttenträger exerzieren zu lassen?« – »Ich, wie es scheint.«

»Ihr, unmöglich.« – »Noch, ich habe dem Bruder Borromée Befehl gegeben.«

»Wer ist der Bruder Borromée?« – »Ah! es ist wahr, Ihr kennt ihn nicht.«

»Wer ist es?« – »Wer Säckelmeister.«

»Warum, hast du einen Säckelmeister, den ich nicht kenne, Einfaltspinsel?« – »Er ist hier seit Eurem letzten Besuche.«

»Und woher hast du diesen Säckelmeister bekommen?« – »Wer Herr Kardinal von Guise hat ihn mir empfohlen.«

»Sollte es das Hühnergeiergesicht sein, das ich unten gesehen habe?« – »So ist es.«

»Der Mönch, der mich meldete?« – »Ja.«

»Oh! oh!« machte Chicot unwillkürlich; »und welche Eigenschaft hat der vom Herrn Kardinal so warm unterstützte Säckelmeister?« – »Er rechnet wie Pythagoras.«

»Und mit ihm habt Ihr diese Waffenübungen beschlossen?« – »Ja, mein Freund.«

»Nämlich, er hat Euch vorgeschlagen, Eure Mönche zu bewaffnen, nicht wahr?« – »Nein, lieber Herr Ehicot, der Gedanke ist von mir, ganz von mir.«

»Und in welcher Absicht?« – »In der Absicht, sie zu bewaffnen.«

»Keinen Stolz, verhärteter Sünder, der Stolz ist eine Todsünde; dieser Gedanke ist Euch nicht gekommen.« – »Mir oder ihm, ich weiß nicht mehr, ob mir oder ihm der Gedanke gekommen ist. Nein, nein, entschieden mir, es scheint sogar, daß ich bei dieser Gelegenheit ein sehr geistreiches und glänzendes lateinisches Wort gesprochen habe.«

Chicot näherte sich dem Prior.

»Ein lateinisches Wort, Ihr, mein lieber Prior?« sagte er; »und Ihr erinnert Euch dieses lateinischen Worts?« – » Militat spiritu ...«

» Militat spiritu, militat gladio.« – »So ist es, so ist es!« rief Dom Modeste ganz begeistert.

»Gut, gut, man kann sich unmöglich freundlicher entschuldigen, als Ihr es tut, Dom Modeste; ich verzeihe Euch.« – »Oh!« machte Gorenflot voll Rührung.

»Ihr seid stets mein Freund, mein wahrer Freund,« Gorenflot wischte eine Träne ab. »Aber wir wollen frühstücken, und ich will nachsichtig gegen das Frühstück sein,« – »Hört,« sagte Gorenflot begeistert, »ich werde dem Bruder Küchenmeister sagen, wenn das Essen nicht königlich sei, so lasse ich ihn einstecken.«

»Tut das, Ihr seid der Herr.« – »Und wir wollen einige von den Flaschen der erwarteten Dame entpfropfen.«

»Ich werde Euch mit meiner Erleuchtung unterstützen, mein Freund.« – »Erlaubt, daß ich Euch umarme, Chicot.«

»Erstickt mich nicht, und laßt uns plaudern.«

Die Tischgenossen.

Dom Modeste ließ den Bruder Eusèbe rufen, der nicht vor seinem Oberen, sondern vor seinem Richter erschien. Aus der Art und Weise, wie man ihn vorgefordert, hatte er erraten können, daß etwas Außerordentliches bei dem ehrwürdigen Prior vorging.

»Bruder Eusèbe,« sagte Gorenflot mit strengem Tone, »hört, was Robert Briquet, mein Freund, Euch sagen wird. Ihr werdet nachlässig, wie es scheint. Ich habe über schwere Unpünktlichkeiten bei Eurer letzten Kraftsuppe und über eine unselige Unachtsamkeit in betreff der farcierten Ohren klagen hören. Nehmt Euch in acht, Bruder Eusèbe, ein einziger Schritt auf dem schlimmen Weg zieht den ganzen Körper nach sich.«

Der Mönch errötete und erbleichte abwechselnd und stammelte eine Entschuldigung, die nicht angenommen wurde.

»Genug,« sagte Gorenflot, und Bruder Eusèbe schwieg.

»Was habt Ihr heute zu frühstücken?« fragte der ehrwürdige Prior.

Unter scharfer Kritik des gestrengen und wählerischen Abtes wurde sodann als Frühstücksprogramm aufgestellt: Rühreier mit Hahnenkämmen – gefüllte Champignons – Krebse in Madeira – in Sekt gekochter Schinken mit Pistazien – Aal – Thymiancreme.

Eusèbe verbeugte sich und ging hinaus.

Der Bruder Kellermeister folgte auf den Bruder Eusèbe und erhielt nicht minder pünktliche und nicht minder ins einzelne gehende Befehle.

Zehn Minuten nachher saßen die Freunde vor einem mit einem feinen Tuche bedeckten Tisch, in großen, ganz mit Kissen ausgelegten Lehnstühlen begraben, Messer und Gabel in der Hand, wie zwei Duellanten einander gegenüber.

Obgleich groß genug für sechs Personen, war die Tafel doch vollgestellt; dergestalt hatte der Kellermeister Flaschen von verschiedenen Formen und Etiketten aufgehäuft.

Dem Programm getreu, schickte Eusèbe Rühreier, Krebse und Champignons, die die Luft mit einem milden Dampf von Trüffeln und von Butter durchdufteten, wozu sodann der Geruch des Thymiancreme und des Maduraweins kam.

Chicot griff wie ein Hungriger an, der Prior dagegen wie ein Mensch, der sich selbst, seinem Koch und seinem Tischgenossen mißtraut. Doch nach einigen Minuten fing Gorenflot an zu schlingen, während Chicot beobachtete.

Man begann mit dem Rheinwein, dann ging man zu dem Burgunder von 1550 über, man machte einen Ausflug zu einem Eremitage, dessen Alter man nicht kannte, man nippte am Saint-Peray; endlich kam man zum sizilianischen Wein der Dame, eines Beichtkindes.

»Was sagt Ihr dazu?« fragte Gorenflot, nachdem er dreimal gekostet hatte, ohne daß er sich auszusprechen wagte.

»Mild, aber leicht,« erwiderte Chicot; »und wie heißt die Bußfertige?« – »Ich kenne sie nicht.«

»Alle Wetter, Ihr wißt ihren Namen nicht?« – »Wahrhaftig, nein, wir verhandeln durch Botschafter.«

Chicot machte eine Pause, während deren er sanft die Augen schloß, als wollte er den Geschmack eines Schlucks Wein untersuchen, den er im Mund hielt, ehe er ihn durch die Gurgel laufen ließ, in der Wirklichkeit aber, um nachzudenken.

»Ich habe also die Ehre, einem Armee-General gegegenüber zu speisen?« sagte er nach fünf Minuten. – »Oh! mein Gott, ja!«

»Wie, Ihr seufzt, während Ihr dies sagt?« – »Ah! es ist sehr anstrengend.«

»Allerdings; aber es ist ehrenvoll, es ist schön.« – »Herrlich! nur habe ich keine Stille mehr im Haus... und vorgestern bin ich beinahe genötigt gewesen, einen Gang beim Abendessen zu streichen.«

»Einen Gang streichen... und warum?« – »Weil mehrere von meinen besten Soldaten, ich muß es gestehen, die Vermessenheit hatten, das Weinbeermus von Burgund, das man am Freitag als drittes Gericht gab, ungenügend zu finden.«

»Ah! ungenügend... und welchen Grund gaben sie an?« – »Sie behaupteten, sie hätten noch Hunger, und verlangten noch eine Fastenspeise, wie Kriechente, Hummer oder einen schmackhaften Fisch. Begreift Ihr diese Freßgierigen?«

»Verdammt, wenn sie übermäßige Übungen vornehmen müssen, so darf man nicht staunen, daß sie Hunger haben, diese Mönche.« – »Wo wäre denn das Verdienst?« entgegnete der Prior, »gut essen und gut arbeiten kann jedermann. Was zum Teufel! man muß seine Entbehrungen dem Herrn anzubieten wissen,« fügte der würdige Abt bei, indem er eine riesige Portion in den Mund schob.

»Trinkt, Modeste, trinkt,« sagte Chicot, »Ihr werdet ersticken, Ihr seht schon karmesinrot aus.« – »Vor Entrüstung,« erwiderte der Prior und leerte sein Glas, das eine halbe Pinte enthielt.

Chicot ließ ihn machen, als jedoch Gorenflot sein Glas wieder aus den Tisch gesetzt hatte, sagte er: »Laßt hören, vollendet Eure Geschichte, sie interessiert mich sehr lebhaft, bei meinem Ehrenwort. Ihr habt ihnen also einen Gang entzogen, weil sie fanden, sie hätten nicht genug zu essen?« – »Ganz richtig.«

»Das ist geistreich.« – »Die Strafe hat auch eine gehörige Wirkung hervorgebracht; ich glaubte, man würde sich empören, die Augen glänzten, die Zähne klapperten.«

»Was ist ganz natürlich, sie hatten Hunger.« – »Sie hatten Hunger, nicht wahr?«

»Ganz gewiß« – »Ihr sagt es, Ihr glaubt es?«

»Ich bin dessen sicher.« – »Nun, ich habe an jenem Abend eine seltsame Erscheinung wahrgenommen, die ich der Analyse der Wissenschaft empfehlen werde; ich berief den Bruder Borromée und gab ihm meine Instruktionen in betreff dieser Entziehung einer Platte, zu der ich, als ich die Meuterei sah, noch die Entziehung des Weins fügte.«

»Nun?« – »Um mein Wort zu krönen, befahl ich eine neue Übung, da ich die Hydra des Aufruhrs zu Boden treten wollte; ich glaubte, ich würde meine Burschen geschwächt, bleich und schwitzend sehen, und hatte eine ziemlich hübsche Rede über den Text ›Wer mein Brot ißt‹ vorbereitet.«

»Trockenes Brot?« – »Ganz richtig, trockenes Brot,« rief Gorenflot und riß mit einem zyklopischen Gelächter seine mächtigen Kinnladen auseinander. »Ich lachte zum voraus eine Stunde lang ganz allein, als ich mitten im Hofe eine Truppe belebter, nerviger, wie Heuschrecken hüpfender Kerle fand, und dies ist die Illusion, über die ich die Gelehrten befragen will,«

»Eine Illusion!« – »Und nach Wein rochen sie auf eine Meile.«

»Nach Wein? Bruder Borromée hatte Euch also hintergangen?« – »Oh! des Borromée bin ich sicher, das ist der leidende Gehorsam in Person; sagte, ich dem Bruder Borromée, er solle sich am kleinen Feuer rösten, er würde selbst den Rost holen und ein Reisbüschel anzünden.«

»Das heißt ein schlechter Physiognomiker sein,« erwiderte Chicot, indem er sich an der Nase kratzte; »auf mich macht er nicht diesen Eindruck.« – »Es ist möglich, doch ich kenne meinen Borromée, siehst du, wie ich dich kenne, mein lieber Chicot,« sagte Gorenflot, der trunken und. dabei zärtlich wurde.

»Und du sagst, sie haben nach Wein gerochen?« – »Wie die Fässer, abgesehen davon, daß sie rot waren wie gesottene Krebse; ich machte diese Bemerkung gegen Borromée.«

»Bravo!« – »Er antwortete, das sehr lebhafte, natürliche Verlangen bringe dieselben Wirkungen hervor, wie die Befriedigung.«

»Oh! oh!« machte Chicot; »alle Wetter! das ist in der Tat äußerst subtil, wie du sagst. Dein Borromée ist sehr stark, ich wundere mich, daß er eine so schmale Nase und so dünne Lippen hat. Und das überzeugte dich?« – »Ganz und gar, und du wirst selbst überzeugt werden, nähere dich ein wenig, denn ich kann mich nicht mehr ohne einen Schwindel rühren.«

Chicot rückte näher. Gorenflot machte aus seiner Hand einen akustischen Trichter, den er an Chicots Ohr hielt.

»Nun?« fragte Chicot. – »Warte doch, ich will mich kurz fassen. Erinnerst du dich noch der Zeit, wo wir jung waren, Chicot?«

»Ich erinnere mich.« – »Der Zeit, wo das Blut brannte... wo unehrbare Gelüste?...«

»Prior! Prior!« rief der keusche Chicot. – »Borromée spricht, und ich behaupte, er hat recht; brachte ein sehr lebhaftes Verlangen nicht zuweilen die Illusionen der Wirklichkeit hervor?«

Chicot lachte so heftig, daß der Tisch mit den Flaschen zitterte, wie der Boden eines Schiffes.

»Gut, gut,« sagte er, »ich werde in Bruder Borromées Schule gehen, und wenn mich seine Theorien gehörig durchdrungen haben, werde ich Euch um eine Gnade bitten, mein Ehrwürdiger.« – »Und sie soll Euch bewilligt werden, wie alles, was Ihr von Eurem Freunde verlangt. Sprecht nun, was für eine Gnade?«

»Beauftragt mich nur acht Tage lang mit der Ökonomieverwaltung der Priorei.« – »Und was wollt Ihr Während dieser acht Tage tun?«

»Ich werde den Bruder Borromée mit seinen Theorien füttern, ihm eine Schüssel und ein leeres Glas vorsetzen und ihm sagen: verlangt mit der ganzen Macht Eures Hungers und Eures Durstes ein welsches Huhn mit Champignons und eine Flasche Chambertin, aber nehmt Euch in acht, daß Ihr Euch nicht mit diesem Chambertin berauscht, nehmt Euch in acht vor einer Indigestion durch dieses welsche Huhn, lieber Bruder Philosoph.« – »Du glaubst also nicht an das natürliche Verlangen, Heide?«

»Es ist gut! es ist gut! ich glaube, was ich glaube, doch lassen wir die Theorien.«– »Es sei, lassen wir sie und sprechen wir ein wenig von der Wirklichkeit.« versetzte Gorenflot. Und er füllte sich ein Glas. »Auf die gute Zeit, von der du vorhin sprachst, Chicot,« sagte er, »auf unsere Abendmahlzeiten im Füllhorn!«

»Bravo, ich glaubte, du hättest dies alles vergessen, Ehrwürdiger.«

»Profaner, dies alles schläft unter der Majestät meiner Stellung; aber ich bin, bei Gott! immer derselbe.«

Und Gorenflot stimmte, obgleich ihn Chicot wiederholt zum Schweigen ermahnte, sein Lieblingslied an:



»Riecht der Esel nur die Weid',


Spitzt er stracks das lange Ohr;


Ist die Flasch' vom Kork befreit,


Spritzet wilder Wein empor.


Doch nichts ist so ausgelassen.


Als der Mönch vom Wein erhitzt,


Der sich tollt in Schenk' und Gassen,


Wenn die Freiheit ihm geblitzt.«

»Still doch, Unglücklicher,« sagte Chicot, »wenn Bruder Borromée einträte, würde er glauben, Ihr hättet acht Tage lang nichts gegessen und nichts getrunken.« – »Wenn Bruder Borromée einträte, würde er mit uns singen.« »Ich glaube es nicht.« – »Und ich sage es dir.« »Schweige und antworte auf meine Fragen.« – »Sprich also.«

»Du lässest mir keine Zeit, Trunkenbold.« – »Oh! ich ein Trunkenbold.«

»Sage, aus den Waffenübungen geht hervor, daß dein Kloster in eine wahre Kaserne verwandelt ist?« – »Ja, mein Freund, das ist das richtige Wort, eine wahre Kaserne, eine wahre Kaserne; letzten Donnerstag, war es am Donnerstag? ja, am Donnerstag; warte doch, ich weiß nicht mehr, ob es am Donnerstag war.«

»Donnerstag oder Freitag, der Tag tut nichts zur Sache.« – »Das ist richtig, die Sache, nicht wahr? Nun wohl, Donnerstag oder Freitag fand ich im Hausflur zwei Novizen, die sich mit dem Säbel schlugen, nebst zwei Sekundanten, die ebenfalls vom Leder zu ziehen bereit waren.«

»Und was hast du getan?« – »Ich ließ mir eine Peitsche bringen, um die Novizen durchzuwalken, aber sie flüchteten sich; Bruder Borromée...«

»Nun, Borromée?« – »Bruder Borromée holte sie jedoch ein und peitschte sie dergestalt, daß sie noch im Bette liegen, die Unglücklichen!«

»Ich wünschte ihre Schultern zu sehen, um die Kraft des Bruderarmes schätzen zu können.« – »Wir sollten uns stören lassen, um andere Schultern zu sehen, als die von Hammeln? Nie! Eßt doch von diesem Aprikosenteig.«

»Nein, bei Gott! ich würde ersticken.« – »Trinkt also.«

»Nein, ich habe zu marschieren.« – »Glaubst du etwa, ich habe nicht zu marschieren? und dennoch trinke ich.«

»Ah! Ihr, das ist etwas anderes; auch braucht Ihr Eure Lunge, um beim Kommandieren zu schreien.« – »Also ein Glas, nur ein Glas von diesem Verdauungslikör, dessen Bereitung Eusèbes Geheimnis ist.«

»Einverstanden.« – »Er ist so wirksam, daß man, hätte man auch ganz unmäßig gegessen, doch notwendig zwei Stunden nach dem Mittagessen Hunger spüren würde.«

»Welch ein Rezept für die Armen! Wißt Ihr, daß ich, wenn ich König wäre, dem Pater Eusèbe den Kopf abschlagen ließe; sein Likör ist imstande, ein Königreich auszuhungern. Oh! oh! was ist das?« – »Die Übung beginnt.«

Man hörte in der Tat einen gewaltigen Lärm von Stimmen und Waffen, der aus dem Hofe kam.

»Ohne den Anführer? Oh! oh! mir scheint, das sind sehr schlecht disziplinierte Soldaten.« – »Ohne mich, nie, das kann nicht sein, verstehst du? Ich kommandiere, ich bin der Instruktor; halt, da hast du den Beweis, ich höre Bruder Borromée kommen, der meine Befehle einholen will.«

In diesem Augenblick trat in der Tat Borromée ein; er warf auf Chicot einen Blick, schief, und rasch wie der verräterische Pfeil des Parthers.

»Oh! oh!« dachte Chicot, »du hast unrecht gehabt, diesen Blick auf mich zu werfen, er hat dich verraten.«

»Ehrwürdiger Herr Prior,« sagte Borromée, »man wartet nur auf Euch, um mit dem Visitieren der Gewehre und Panzer zu beginnen.«

»Panzer! oh! oh!« sagte leise Chicot zu sich selbst; »ich habe es, ich habe es.« Und er stand hastig auf.

»Ihr werdet meinen Übungen beiwohnen,« sagte Gorenflot, der nun ebenfalls aufstand, wie es ein Marmorblock tun würde, wenn er sich Beine nähme; »Euren Arm, Freund; Ihr sollt eine schöne Instruktion sehen.«

»Es ist wahr, der ehrwürdige Herr Prior ist ein tiefer Taktiker,« sagte Borromée, der fortwährend Chicots unstörbare Physiognomie prüfend anschaute.

»Dom Modeste ist in allen Dingen ein erhabener Mann,« erwiderte Chicot, sich verbeugend. Dann murmelte er ganz leise: »Oh! oh! spielen wir ein geschlossenes Spiel, mein kleiner Adler, oder es ist hier ein Hühnergeier, der dir die Federn ausrupfen würde.«

Bruder Borromée.

Als Chicot, den ehrwürdigen Prior unterstützend, in den Hof der Priorei kam, war der Anblick genau der einer ungeheuren Kaserne in voller Tätigkeit. In zwei Haufen, jede von hundert Mann, geteilt, warteten die Mönche, die Hellebarde, die Pike oder die Muskete bei Fuß, wie Soldaten auf das Erscheinen ihres Kommandanten. Fünfzig ungefähr hatten ihre Köpfe mit Helmen oder Pickelhauben bedeckt; ein Gürtel befestigte an ihren Hüften ein langes Schwert. Andere brüsteten sich stolz in gewölbten Panzern, worauf sie mit Vergnügen einen eisernen Handschuh klirren ließen. Wieder andere übten sich, in Armschienen und Beinschienen eingeschlossen, ihre durch diese teilweise Umschalung der Elastizität beraubten Gelenke zu biegen.

Bruder Borromée nahm einen Helm aus den Händen eines Novizen und setzte ihn sich auf den Kopf, mit einer Bewegung, so rasch und so regelmäßig, als es nur ein Reiter oder ein Lanzknecht hätte tun können.

Während er das Sturmband befestigte, konnte Chicot nicht umhin, den Helm anzuschauen, und während er ihn anschaute, lächelte sein Mund, und während er lächelte, drehte er sich rings um Borromée, als wollte er ihn von allen Seiten bewundern.

Er tat noch mehr, er näherte sich dem Säckelmeister und fuhr mit der Hand über eine von den Ungleichheiten des Helmes.

»Ihr habt da eine schöne Sturmhaube, Bruder Borromée,« sagte er; »wo habt Ihr sie gekauft, mein lieber Prior?«

Gorenflot konnte nicht antworten, weil man ihm in diesem Augenblick einen Panzer umband, der, obwohl geräumig genug, um einen Farnesischen Herkules aufzunehmen, doch die üppigen Wogungen des Priorlichen Fleisches schmerzlich drückte.

»Gottes Tod! bindet nicht so fest,« rief Gorenflot; »preßt nicht so gewaltig, ich würde ersticken, ich hätte keine Stimme mehr. Genug! genug!«

»Ihr fragtet, glaube ich, den ehrwürdigen Prior, wo er meinen Helm gekauft habe?« sagte Borromée.

»Ich fragte den ehrwürdigen Prior danach und nicht Euch,« erwiderte Chicot, »denn ich nehme an, daß in diesem Kloster, wie in den anderen, alles nur auf den Befehl des Superiors geschieht.«

»Allerdings geschieht hier nichts ohne meinen Befehl,« sagte Gorenflot; »was fragt Ihr, lieber Herr Briquet?«

»Ich frage den Bruder Borromée, ob er wisse, woher dieser Helm komme.«

»Er gehörte zu einer Anzahl Rüstungen, die der ehrwürdige Prior gestern kaufte, um das Kloster zu bewaffnen.«

»Ich?« versetzte Gorenflot.

»Eure Herrlichkeit hat befohlen, sie erinnert sich dessen, daß man mehrere Helme und verschiedene Panzer hierher bringe, und man hat die Befehle Eurer Herrlichkeit vollzogen.«

»Es ist wahr, es ist wahr,« rief Gorenflot.

»Alle Wetter!« sagte Chicot, »mein Helm war also sehr anhänglich an seinen Herrn, daß er mich, nachdem er mich in das Hotel Guise geführt, nun wie ein verlorener Hund in der Priorei der Jakobiner aufsucht.«

In diesem Augenblick bildeten sich auf ein Zeichen Bruder Borromées regelmäßige Linien, und es trat Stille in den Reihen ein.

Chicot setzte sich auf seine Bank, um nach seiner Bequemlichkeit den Übungen beizuwohnen.

Gorenflot blieb stehen und hielt das Gleichgewicht auf seinen zwei Beinen wie auf zwei Pfosten.

»Habt acht!« sagte ganz leise Bruder Borromée.

Dom Modeste zog einen riesigen Säbel aus seiner eisernen Scheide, schwang ihn in der Luft und schrie mit seiner Stentorstimme: »Habt acht!«

»Eure Ehrwürden würde sich vielleicht mit dem Kommandieren ermüden,« sagte nun Bruder Borromée mit sanfter Zuvorkommenheit; »Eure Ehrwürden war diesen Morgen leidend; wenn es ihr gefiele, ihre kostbare Gesundheit zu schonen, so würde ich heute bei der Übung kommandieren.«

»Ich will es,« erwiderte Dom Modeste; »in der Tat, ich bin leidend, ich ersticke, geht.«

Borromée verbeugte sich und stellte sich wie ein Mensch, der daran gewöhnt ist, vor die Front der Truppe.

»Welch ein gefälliger Diener,« sagte Chicot; »dieser Bursche ist eine wahre Perle.« – »Er ist entzückend, ich sagte es dir wohl.«

»Ich bin überzeugt, daß er dir alle Tage dasselbe tut.« – »Oh! alle Tage... er ist unterwürfig wie ein Sklave; ich mache ihm nur seine Zuvorkommenheit zum Vorwurf. Die Demut besteht nicht in der Knechterei.«

»So daß du wahrhaftig nichts hier zu tun hast und auf beiden Ohren schlafen kannst; Bruder Borromée wacht für dich!« – »Oh! mein Gott, ja.«

»Das wollte ich wissen,« sagte Chicot, der seine Aufmerksamkeit Borromée allein zuwandte.

Es war, wunderbar anzuschauen, wie der Säckelmeister, einem Schlachtroß ähnlich, sich unter dem Harnisch aufrichtete.

Sein erweitertes Auge schleuderte Flammen, sein kräftiger Arm verlieh dem Schwerte so geschickte Bewegungen, daß man hätte glauben sollen, ein Meister in den Waffen fechte vor einem Zug Soldaten. Sooft Bruder Borromée eine Erläuterung machte, wiederholte sie Gorenflot und fügte hinzu: »Borromée hat recht; aber ich habe es Euch schon gesagt; erinnert Euch doch meiner gestrigen Lektion. Nehmt das Gewehr von einer Hand in die andere... haltet die Pike aufrecht, haltet sie aufrecht, das Eisen in der Höhe des Auges ... Haltung, beim heiligen Georg! mit den Knien nicht gewankt; halb links um ist gerade dasselbe wie halb rechts um, nur ganz das Gegenteil.«

»Alle Wetter!« sagte Chicot, »du bist ein geschickter Demonstrator.«

»Ja, ja,« machte Gorenflot, sein dreifaches Kinn streichelnd, »ich verstehe die Übung ziemlich gut.«

»Und du hast an Borromée einen vortrefflichen Zögling« – »Er begreift mich, er ist äußerst einsichtsvoll.«

Die Mönche führten den militärischen Lauf, eine damals sehr beliebte Übung, die Angriffe mit dem Schwert, mit der Pike und die Übungen im Feuer aus. Als man bei den letzteren war, sagte der Prior zu Chicot: »Du wirst meinen kleinen Jacques sehen.«

»Wer ist dein kleiner Jacques?« – »Ein artiger Junge, den ich mir beigesellen wollte, weil er ein ruhiges Äußeres und eine kräftige Hand besitzt und bei dem allen die Lebhaftigkeit des Salpeters hat.«

»Ah! wahrhaftig? Und wo ist er denn, der reizende Junge?« – »Warte, warte, ich will ihn dir zeigen, dort, siehst du, der eine Muskete in der Hand hält und zuerst zu feuern sich anschickt.«

»Und er schießt gut?« – »Auf hundert Schritte fehlt er einen Rosenobel nicht.«

»Das ist ein Bursche, der vortrefflich bei der Messe dienen muß; doch warte auch du!« – »Was denn?«

»Ja, ja, nein, nein.« – »Du kennst meinen kleinen Jacques?«

»Nicht im geringsten.« – »Aber du glaubtest ihn anfangs zu kennen?«

»Ja, es kam mir vor, als hätte ich ihn in einer gewissen Kirche gesehen, an einem Tage oder vielmehr in einer Nacht, wo ich in einem Beichtstuhl eingeschlossen war... Doch nein, ich täuschte mich, er ist es nicht.«

Diesmal, wir müssen es gestehen, standen die Worte Chicots nicht ganz mit der Wahrheit im Einklang. Chicot war ein zu guter Physiognomiker, als daß er ein Gesicht, das er einmal gesehen, je wieder vergessen hätte.

Während er, ohne es zu vermuten, der Gegenstand der Aufmerksamkeit des Priors und seines Freundes war, lud der kleine Jacques, wie ihn Gorenflot nannte, eine schwere Muskete, die so lang war, als er; nachdem er sie geladen, stellte er sich stolz hundert Schritte vom Ziel auf und schlug an. Der Schuß ging los, und die Kugel traf zum großen Beifall der Mönche mitten ins Ziel.

»Alle Wetter! das ist gut gezielt,« sagte Chicot, »und bei meinem Wort, es ist ein hübscher Junge.«

»Ich danke, mein Herr,« erwiderte Jacques, dessen bleiche Wangen sich mit der Röte des Vergnügens färbten.

»Du handhabst die Waffen geschickt, mein Kind,« versetzte Chicot.

»Ich will's lernen,« sagte Jacques.

Bei diesen Worten legte er seine Muskete beiseite, nahm eine Pike aus den Händen seines Nachbars und machte damit eine Radschwingung, die Chicot vortrefflich ausgeführt fand. Chicot erneuerte seine Komplimente.

»Mit dem Degen zeichnet er sich besonders aus,« sagte Dom Modeste. »Die Kenner halten ihn für sehr stark; es ist wahr, der Junge hat eiserne Kniebeugen, stählerne Faustgelenke und spielt vom Morgen bis zum Abend mit dem Schwerte.«

»Ah! laßt das sehen,« versetzte Chicot.

»Wollt Ihr seine Stärke versuchen?« fragte Borromée.

»Ich möchte Wohl einen Beweis davon haben,« erwiderte Chicot.

»Oh!« sagte Borromée, »außer mir ist vielleicht niemand hier, der mit ihm zu fechten imstande wäre; wie steht's, mit Euch, mein Herr?«

»Ich bin nur ein armer Bürger,« entgegnete Chicot, den Kopf schüttelnd; »früher habe ich meinen Raufdegen geführt, aber heute zittern meine Beine, wackelt mein Arm, und mein Kopf ist nicht mehr sehr gegenwärtig,«

»Doch Ihr übt es immer noch?« sagte Borromée.

»Ein wenig,« antwortete Chicot, indem er Gorenflot, der lächelte, einen Blick zuwarf, der diesem den Namen Nicolas David entriß.

Doch Borromée sah das Lächeln und hörte den Namen nicht und befahl mit einer Miene voll Ruhe, Rapiere und Fechtmasken zu bringen. Funkelnd vor Freude unter seiner kalten, düsteren Hülle hob Jacques seinen Rock bis zum Knie auf und stellte seine Sandalen mit einem Appell auf dem Sande fest. Chicot aber sagte: »Da ich weder Mönch noch Soldat bin, so habe ich mich seit langer Zeit nicht mehr in den Waffen geübt; wollt Ihr, ich bitte Euch, Ihr, Bruder Borromée, der Ihr nichts als Muskeln und Sehnen seid, dem Bruder Jacques die Sektion geben? Willigt Ihr ein, lieber Prior?«

»Ich befehle es!« deklamierte der Prior, stets entzückt, dies Wort anzubringen.

Borromée nahm seinen Helm ab; Chicot streckte eiligst feine Hände aus, und der in seine Hände gelegte Helm erlaubte seinem ehemaligen Herrn abermals, seine Identität zu erkennen; während unser Bürger diese Prüfung vornahm, befestigte der Säckelmeister seinen Rock an seinem Gürtel und machte sich bereit.

Sämtliche Mönche bildeten einen Kreis um den Zögling und den Lehrer.

Gorenflot neigte sich an das Ohr seines Freundes und sagte naiv: »Nicht wahr, es ist auch belustigend, Vesper zu singen?«

»Das sagen die Chevaulegers,« antwortete Chicot mit derselben Naivität.

Die Kämpfenden legten sich aus; spröde und nervig, hatte Borromée den Vorteil des Wuchses, er hatte auch den, den Aplomb und Erfahrung verleihen. Das Feuer stieg in lebendigen Lichtern in Jacques' Augen und färbte seine Wangen mit einer fieberhaften Röte.

Man sah, wie Borromée die religiöse Maske fallen ließ und sich in einen Fechtmeister verwandelte; er fügte zu jedem Stoß eine Ermahnung, einen Rat, einen Vorwurf; aber oft siegten die Kraft, die Behendigkeit, das Ungetüm des Zöglings über die guten Eigenschaften seines Lehrers, und Bruder Borromée empfing einen tüchtigen Stoß auf die volle Brust. Chicot verschlang dieses Schauspiel mit den Augen und zählte die treffenden Stöße.

Als der Kampf beendigt war, oder vielmehr als die Fechtenden eine erste Pause machten, hatte Jacques sechsmal, Borromée neunmal getroffen, das ist hübsch für den Schüler, aber nicht genug für den Lehrer.

Ein Blitz, der, mit Ausnahme Chicots für alle unbemerkt blieb, zuckte in Borromées Augen und enthüllte einen neuen Zug seines Charakters.

»Gut,« dachte Chicot, »er ist stolz.«

»Mein Herr,« sagte Borromée mit einer Stimme, die er nur mit großer Mühe süßlich zu machen imstande war, »die Waffenübung ist hart für jeden und besonders für arme Mönche, wie wir sind.« »Gleichviel,« erwiderte Chicot, entschlossen, Bruder Borromée bis in seine letzten Verschanzungen zu treiben, »der Lehrer darf nicht weniger als die Hälfte Vorteil über seinen Zögling haben.«

»Ah! Herr Briquet,« versetzte Borromée, der ganz bleich wurde und sich auf die Lippen biß, »Ihr seid sehr absolut, wie mir scheint.«

»Gut, er ist zornmütig,« dachte Chicot, »zwei Todsünden; man sagt, eine genüge, um einen Menschen ins Verderben zu stürzen; ich habe ein schönes Spiel!«

Dann fuhr er laut fort: »Und hätte Jacques mehr Ruhe, so bin ich sicher, daß die Partie gleichstände.«

»Ich glaube nicht,« entgegnete Borromée.

»Nun, ich bin dessen sicher.«

»Herr Briquet, der das Fechten kennt,« sagte Borromée mit bitterem Tone, »sollte selbst Jacques' Stärke versuchen; er könnte sich dann besser Rechenschaft darüber geben.«

»Oh! ich bin alt,« sagte Chicot.

»Ja, aber Kenner,« entgegnete Borromée.

»Ah! du spottest,« dachte Briquet; »warte, warte. Aber,« fuhr er fort, »es gibt einen Umstand, der meiner Bemerkung ihren Wert benimmt.«

»Welchen Umstand?«

»Daß Bruder Borromée als würdiger Lehrer, davon bin ich überzeugt, Jacques aus Gefälligkeit hat treffen lassen.«

»Ah! ah!« machte Jacques, ebenfalls die Stirn faltend.

»Nein, gewiß nicht,« erwiderte Borromée, an sich haltend, im .Grunde aber im höchsten Maße erbost; »ich liebe Jacques sicherlich, aber ich verderbe ihn nicht durch solche Gefälligkeiten.«

»Das ist zum Erstaunen,« versetzte Chicot, »entschuldigt mich, ich hatte es geglaubt.« »Aber Ihr, der Ihr sprecht versucht es doch einmal,« sagte Borromée. »Oh! schüchtert mich nicht ein!«

»Seid unbesorgt, man wird Nachsicht mit Euch haben. Man kennt die Gesetze der Kirche.«

»Heide!« murmelte Chicot.

»Nun, Herr Briquet, nur einen Gang.«

»Versuche es,« sagte Gorenflot, »versuche es.«

»Ich werde Euch nicht wehe tun,« sagte Jacques, der nun ebenfalls die Partie seines Lehrmeisters nahm und seinerseits ein wenig zu beißen wünschte; »ich habe eine sehr sanfte Hand.«

»Ein liebes Kind,« murmelte Chicot, indem er auf den jungen Mönch einen unbeschreiblichen Blick heftete, der in einem stillen Lächeln endigte.

»Nun denn,« sagte er, »da es alle wollen...«

»Ah! bravo!« riefen die Beteiligten, den Triumph vorwegnehmend.

»Nur sage ich Euch zum voraus, daß ich nicht mehr als drei Gänge annehme,« sagte Chicot.

»Wie es Euch beliebt,« erwiderte Jacques.

Langsam erhob sich Chicot von der Bank, auf die er sich wieder niedergesetzt hatte, schloß sein Wams, zog seinen Fechthandschuh an und befestigte seine Maske mit der Schnelligkeit einer Schildkröte, die nach Fliegen schnappt.

»Wenn dieser auf deine geraden Stöße zur Parade kommt,« flüsterte Borromée Jacques zu, »so tue ich keinen Gang mehr mit dir, das sage ich dir.«

Jacques machte ein Zeichen mit dem Kopf, begleitet von einem Lächeln, das bedeutete: »Seid unbesorgt, Meister.«

Chicot nahm stets mit derselben Langsamkeit und Umsicht seine Stellung und streckte seine langen Arme und Beine aus, die er durch ein Wunder von Genauigkeit so richtete, daß er ihre ungeheure Federkraft und unberechenbare Entwicklung verbarg.

Die Lektion.

Chicot stellte sich gerade und fest auf die Beine, mit einem schneidigen und zugleich nervigen Faustgelenke, mit einem Degen, der von der Spitze bis zur Hälfte der Klinge biegsames Rohr zu sein schien und vom Stichblatt bis zur Mitte ein unbiegsamer Stahl war.

Als er diesen ehernen Mann vor sich sah, dessen Faustgelenk allein lebendig zu sein schien, trat bei Jacques eine Ungeduld ein, die auf Chicot keine andere Wirkung hervorbrachte, als daß sie seinen Arm und sein Bein bei der geringsten Blöße abspannte, die er in dem Spiel seines Gegners wahrnahm, und man begreift, daß bei der großen Lebhaftigkeit des Gegners diese Blößen häufig vorkamen. Bei jeder verlängerte sich dieser große Arm um drei Fuß und traf die Mitte der Brust des Bruders mit einem so methodischen Knopfstoße, als ob ein Mechanismus ihn geleitet hätte und nicht ein ungleiches und Ungewisses Organ von Fleisch, und bei jedem von diesen Stößen machte Jacques, rot vor Zorn und Wetteifer, einen Sprung rückwärts.

Zehn Minuten lang entwickelte der junge Mensch alle Mittel seiner wunderbaren Behendigkeit; er stürzte vor wie eine Tigerkatze, er bog sich zurück wie eine Schlange, er schlüpfte unter Chicots Brust, sprang rechts und links; aber dieser erfaßte mit seiner ruhigen Miene und seinem langen Arm die geeignete Zeit, drückte das Rapier seines Gegners auf die Seite und sandte stets den furchtbaren Knopf an seine Adresse.

Bruder Borromée erbleichte beim Zurückströmen aller Leidenschaften, die ihn kurz zuvor übermäßig aufgereizt hatten.

Endlich drang Jacques zum letzten Male auf Chicot ein, der, da er ihn durchaus nicht lotrecht auf seinen Beinen sah, ihm eine Blöße bot, damit er gänzlich ausfiele. Jacques verfehlte nicht, dies zu tun, und Chicot, der steif parierte, brachte den armen Zögling dergestalt von der Linie des Gleichgewichts ab, daß er die Haltung verlor und hinfiel.

Unbeweglich, wie ein Fels, war Chicot auf derselben Stelle geblieben.

Bruder Borromée zernagte sich die Finger bis aufs Blut. »Ihr habt uns nicht gesagt, daß Ihr eine Säule des Fechtsaales wäret,« murrte er.

»Er,« rief Gorenflot verwundert, aber aus einem leicht begreiflichen Gefühle der Freundschaft triumphierend, »er, was denkt Ihr?«

»Ich, ein armer Bürger,« sagte Chicot; »ich, Robert Briquet, eine Säule des Fechtsaals, oh! Herr Säckelmeister!«

»Aber,« rief Bruder Borromée, »um einen Wegen zu handhaben, wie Ihr es tut, muß man ungeheuer geübt sein.«

»Ei! mein Gott, ja,« erwiderte Chicot treuherzig, »ich habe in der Tat hier und da den Degen geführt; doch wenn ich ihn führte, sah ich immer ein Ding.«

»Was?«

»Daß für den, der ihn führt, der Stolz ein schlechter Ratgeber und der Zorn ein schlechter Helfer ist. Nun hört, mein kleiner Jacques,« fügte er hinzu, »Ihr habt ein hübsches Faustgelenk, doch Ihr habt weder Beine noch Kopf; zum Fechten gehören drei wesentliche Dinge: der Kopf zuerst, dann die Hand und endlich die Beine; mit dem ersten kann man sich verteidigen, mit dem ersten und der zweiten kann man siegen, vereinigt man aber alle drei, so siegt man immer.«

»Oh!« sagte Jacques, »fechtet einmal mit Bruder Borromée, das ist gewiß hübsch anzuschauen.«

Chicot wollte den Vorschlag verächtlich zurückweisen, doch er bedachte, daß der stolze Säckelmeister vielleicht einen Vorteil daraus ziehen würde.

»Es sei,« sagte er, »wenn Bruder Borromée einwilligt, bin ich zu Befehl!«

»Nein, mein Herr,« erwiderte der Säckelmeister; »ich würde geschlagen, ich will es lieber anerkennen, als die Probe machen.«

»Oh! wie bescheiden, wie liebenswürdig ist er!« sagte Gorenflot.

»Du täuschest dich,« entgegnete ihm der unbarmherzige Chicot ins Ohr, »er ist verrückt vor Eitelkeit; hätte ich in seinem Alter eine solche Gelegenheit gefunden, ich würde auf den Knien um die Lektion gebeten haben, die Jacques soeben zuteil geworden ist.«

Hiernach nahm Chicot wieder seinen gekrümmten Rücken, seine Zirkumflexbeine und seine ständige Grimasse an und setzte sich auf seine Bank.

Jacques folgte ihm; die Bewunderung trug bei dem jungen Mann den Sieg über die Schmach der Niederlage davon.

»Gebt mir doch Lektionen, Herr Robert,« sagte er, »der ehrwürdige Herr Prior wird es erlauben, nicht wahr?«

»Ja, mein Kind, mit Vergnügen,« antwortete Gorenflot.

»Ich will Eurem Lehrer keinen Vorzug abzugewinnen suchen,« sagte Chicot, – und er verbeugte sich vor Borromée.

»Ich bin nicht Jacques' einziger Lehrer,« entgegnete Borromée; »ich unterrichte nicht allein im Fechten hier, und da ich nicht allein die Ehre habe, so erlaubt mir, auch nicht allein die Niederlage auf mich zu nehmen.«

»Wer ist denn sein anderer Professor?« fragte hastig Chicot, als er bei Borromée die Röte wahrnahm, welche die Furcht, eine Unklugheit begangen zu haben, verriet.

»Niemand, niemand,« erwiderte Borromée.

»Doch, doch,« sagte Chicot, »ich habe vollkommen gut gehört. Wer ist denn Euer anderer Lehrer, Jacques?«

»Ja, ja, ein kurzer, dicker Mann,« rief Gorenflot. »Ihr habt ihn mir vorgestellt, und er kommt zuweilen hierher; ein gutes Gesicht... trinkt auch ganz angenehm.«

»Ich erinnere mich seines Namens nicht mehr,« sagte Borromé.

Bruder Eusèbe, mit seiner glückseligen Miene und seinem Messer im Gürtel, trat einfältig vor und sagte: »Ich weiß es.«

Borromée machte ihm vielfache Zeichen, die er nicht bemerkte.

»Es ist Meister Bussy-Leclerc, der Professor der Fechtkunst in Brüssel war,« fuhr er fort.

»Alle Wetter!« sagte Chicot, »Meister Bussy-Leclerc, wahrhaftig, eine gute Klinge.«

Und während er dies mit aller Naivität, deren er fähig war, sagte, fing er den wütenden Blick auf, den Borromé auf den zur Unzeit Gefälligen schoß.

»Ah! es war mir nicht bekannt, daß er Bussy-Leclerc hieß. Man vergaß, mich davon zu unterrichten,« versetzte Gorenflot.

»Ich wußte nicht, daß der Name Eure Herrlichkeit im geringsten interessierte,« sagte Borromé.

»In der Tat!« rief Chicot, »mag dieser oder jener der Fechtmeister sein, gleichviel, wenn er nur gut ist.«

»In der Tat, gleichviel, wenn er nur gut ist,« wiederholte Gorenflot und schlug, von allgemeiner Bewunderung geleitet, den Weg nach der Treppe seiner Wohnung ein. Die Übung war beendigt.

Um Fuße der Treppe wiederholte Jacques zum größten Mißvergnügen Borromées seine Bitte Chicot gegenüber, dieser aber antwortete: »Ich verstehe nicht zu unterrichten; ich habe mich ganz allein durch Nachdenken und Übung gebildet; macht es wie ich; jedem gesunden Geiste nützt das Gute.«

»Ich hoffe, das ist ein dem Dienste Gottes geweihtes und zu etwas taugliches Haus!« sagte Gorenflot stolz, als er, sich auf Chicot stützend, die Treppe hinaufging. »Pest! ich glaube es wohl,« erwiderte Chicot. »Man sieht schöne Dinge, ehrwürdiger Prior, wenn man zu Euch kommt.« – »Dies alles in einem Monat, in weniger als einem Monat sogar.«

»Und durch Euch?« – »Durch mich, durch mich allein, wie Ihr seht,« antwortete Gorenflot, sich aufrichtend.

»Das ist mehr, als ich erwartete, und wenn ich von meiner Sendung zurückkomme, Freund ...« – »Ah! es ist wahr, lieber Freund; sprechen wir von Eurer Sendung ...«

»Um so lieber, als ich vor meiner Abreise eine Botschaft oder vielmehr einen Boten an den König zu schicken habe.« – »An den König, lieber, Freund? einen Boten? Ihr korrespondiert also mit dem König.? Wollt Ihr einen von unseren Brüdern? Es wäre eine Ehre für das Kloster, wenn einer von unsern Brüdern den König sehen würde.«

»Gewiß!« – »Ich will zwei unserer besten Beine zu Eurer Verfügung stellen; doch erzählt mir, Chicot, wie der König, der Euch für tot hielt ...«

»Ich habe ihm gesagt, es war nur eine Lethargie, und im gegebenen Augenblick bin ich aufgestanden.« – »Um wieder in Gunst zu kommen?«

»Mehr als je.« – »Dann könnt Ihr dem König wohl alles sagen, was wir in seinem Interesse tun?«

»Ich werde es nicht unterlassen, mein Freund, seid unbesorgt.« – »Ah! teurer Chicot,« rief Gorenflot, der sich schon als Bischof sah.

»Zuvor habe ich Euch jedoch um zwei Dinge zu bitten.« – »Sprecht.«

»Zuerst um Geld, das Euch der König zurückgeben wird.« – »Geld?« rief Gorenflot, höflich aufstehend, »meine Kassen sind voll.«

»Ihr seid, meiner Treu! glücklich.« – »Wollt Ihr tausend Taler?«

»Nein, das ist viel zu viel; ich bin bescheiden in meinen Ansprüchen, demütig in meinen Wünschen; mein Titel als Botschafter macht mich nicht stolz, und ich verberge ihn eher, als daß ich mich damit brüste. Hundert Taler genügen mir.« – »Hier sind sie. Und das Zweite?«

»Ein Stallmeister.« – »Ein Stallmeister?«

»Ja, um mich zu begleiten; ich liebe die Gesellschaft.« – »Ah! mein Freund, wenn ich noch frei wäre, wie einst ...« sagte Gorenflot, einen Seufzer ausstoßend.

»Ja, aber Ihr seid es nicht mehr.« – »Die Größe fesselt,«, murmelte Gorenflot.

»Ach! man kann nicht alles zugleich haben,« erwiderte Chicot; »da ich mich nicht Euerer ehrenwerten Gesellschaft erfreuen kann, teuerster Prior, so werde ich mich mit dem kleinen Bruder Jacques begnügen.« – »Mit dem kleinen Bruder Jacques?«

»Ja, er gefällt mir.« – »Und du hast recht, Chicot; es ist ein seltener Mensch, der es weit bringen wird.«

»Ich will ihn zuerst zwei hundert Meilen weit führen, wenn du es erlaubst?« – »Er gehört dir, mein Freund.«

Der Prior schlug auf eine Glocke, bei deren Klang ein Laienbruder herbeilief.

»Man lasse den Bruder Jacques und den mit den Gängen in der Stadt beauftragten Bruder heraufkommen.«

Zehn Minuten nachher erschienen beide auf der Schwelle.

»Jacques,« sagte Gorenflot, »ich gebe Euch eine außerordentliche Sendung.«

»Mir, Herr Prior?« fragte der junge Mensch erstaunt.

»Ja, Ihr werdet Herrn Robert Briquet auf einer großen Reise begleiten.«

»Oh!« rief mit maßloser Begeisterung der junge Bruder, »ich auf die Reise mit Herrn Robert Briquet, ich in frischer Luft, ich in Freiheit! Ah! Herr Robert Briquet, nicht wahr, wir werden jeden Tag fechten?« – »Ja, mein Kind.«

»Und ich darf meine Büchse mitnehmen?« – »Du wirst sie mitnehmen.«

Jacques sprang und stürzte mit einem Freudengeschrei aus dem Zimmer.

»Was den Auftrag betrifft,« sagte Gorenflot, »so bitte ich Euch, Eure Befehle zu geben. Tretet vor, Bruder Panurgos.«

Das Beichtkind.

Der vom Prior unter dem Namen Panurgos angekündigte Mönch erschien bald; er glich mit seinem vorstehenden Kiefer einem Fuchse.

Chicot schaute ihn einen Augenblick an und schien während dieses Augenblicks, so kurz er auch war, den Boten des Klosters zu seinem wahren Werte geschätzt zu haben.

Panurgos blieb demütig bei der Tür stehen.

»Kommt hierher, Herr Eilbote!« sagte Chicot; »kennt Ihr den Louvre?« – »Ja, mein Herr.«

»Und im Louvre kennt Ihr einen gewissen Heinrich von Valois?« – »Den König?«

»Ich weiß in der Tat nicht, ob es der König ist, aber man nennt ihn gewöhnlich so.« – »Mit dem König werde ich zu tun haben?«

»Ganz richtig, kennt Ihr ihn?« – »Genau, Herr Briquet.«

»Wohl! Ihr verlangt mit ihm zu sprechen.« – »Wird man mich zu ihm lassen?«

»Bis zu seinem Kammerdiener, ja; Euer Kleid ist ein Paß; Seine Majestät ist sehr religiös, wie Ihr wißt.« – »Und was soll ich dem Kammerdiener Seiner Majestät sagen?«

»Ihr sagt ihm, Ihr werdet vom Schatten geschickt.« – »Ja.«

»Und Ihr erwartet den Brief.« – »Das ist alles, was ich zu tun habe?«

»Ihr fügt hinzu, der Schatten warte, indem er ganz langsam auf der Straße nach Charenton fortwandere.« – »Auf dieser Straße habe ich Euch nachzufolgen?«

»Allerdings.«

Panurgos schritt auf die Tür zu und hob den Vorhang auf, um hinauszugehen; es kam Chicot vor, als hätte der Bruder Panurgos bei dieser Bewegung einen Horcher sichtbar werden lassen.

Übrigens fiel der Vorhang wieder so rasch, daß Chicot nicht hätte dafür stehen können, ob das, was er für Wirklichkeit nahm, nicht eine Vision gewesen sei.

Aber Chicots Scharfsinn machte es diesem bald zur Gewißheit, daß Bruder Borromée horchte.

»Oh! du horchst,« dachte er; »desto besser, ich werde in diesem Fall für dich sprechen.«

»Ihr seid also mit einer Sendung vom König beehrt, lieber Freund?« sagte Gorenflot. – »Mit einer vertraulichen, ja.«

»Ich denke, sie bezieht sich auf die Politik?« – »Ich denke es auch.«

»Wie, Ihr wißt nicht, mit welcher Sendung Ihr beauftragt seid?« – »Ich weiß nur, daß ich der Träger eines Briefes bin.«

»Ein Staatsgeheimnis ohne Zweifel?« – »Ich glaube es.«

»Und Ihr vermutet nichts?« – »Nicht wahr, wir sind allein, so daß ich Euch meine Gedanken sagen kann?«

»Sprecht; ich bin ein Grab für Geheimnisse.« – »Nun Wohl! der König ist endlich entschlossen, dem Herzog von Anjou beizustehen.«

»In der Tat?« – »Ja, Herr von Joyeuse mußte zu diesem Behuf in der vergangenen Nacht abreisen.«

»Aber Ihr, mein Freund?« – »Ich gehe nach Spanien.«

»Wie reist Ihr?« – »Bei Gott! wie wir es früher machten, zu Fuß, zu Pferd, im Wagen, wie es sich gerade trifft.«

»Jacques wird ein guter Gesellschafter auf der Reise für Euch sein, und Ihr habt wohlgetan, ihn zu wählen.« – »Ich gestehe, mir gefällt er ungemein.«

»Dies wäre ein hinreichender Grund, ihn Euch zu geben; aber ich glaube überdies, er wäre doch für Euch im Falle eines Zusammentreffens eine tüchtige Unterstützung.« – »Ich danke, mein Freund. Und nun habe ich Euch nur noch Lebewohl zu sagen.«

»Gott befohlen!« – »Was macht Ihr?«

»Ich will Euch meinen Segen geben.« – »Bah! unter uns ist das unnötig.«

»Ihr habt recht,« versetzte Gorenflot, »das ist gut für die Fremden.«

Und die Freunde umarmten sich zärtlich.

»Jacques!« rief der Prior, »Jacques!«

Panurgos zeigte sein Mardergesicht zwischen den Türvorhängen.

»Wie! Ihr seid noch nicht abgegangen?« rief Chicot.

»Verzeiht, Herr.«

»Geht geschwinde, Herr Briquet hat Eile,« sagte Gorenflot; »wo ist Jacques?«

Bruder Borromée erschien ebenfalls mit süßlicher Miene und lachendem Mund.

»Bruder Jacques?« wiederholte der Prior.

»Bruder Jacques ist weggegangen,« sagte der Säckelmeister.

»Wie weggegangen!« rief Chicot.

»Habt Ihr nicht verlangt, daß jemand nach dem Louvre gehe, mein Herr?«

»Ja, Bruder Panurgos,« erwiderte Gorenflot.

»Oh! ich Dummkopf, der ich bin! Ich hatte verstanden Jacques,« sagte Borromée, sich vor die Stirn schlagend.

Chicots Gesicht verfinsterte sich, doch Borromées Bedauern war scheinbar so aufrichtig, daß ein Vorwurf grausam gewesen wäre.

»Ich werde also warten, bis Jacques zurückgekommen ist,« sagte Chicot.

Borromée verbeugte sich, die Stirn faltend.

»Ah!« rief er, »obgleich ich deshalb heraufgekommen bin, vergaß ich, dem ehrwürdigen Prior zu melden, daß die unbekannte Dame angekommen ist und sich eine Audienz von Eurer Ehrwürden erbittet.«

Chicot sperrte die Ohren weit auf.

»Allein?« fragte Gorenflot.

»Mit einem Stallmeister.«

»Ist sie jung?«

Borromée schlug schamhaft die Augen nieder.

»Gut, er ist scheinheilig,« dachte Chicot.

»Mein Freund,« sagte Gorenflot, indem er sich an den falschen Robert Briquet wandte, »du begreifst.«

»Ich begreife und lasse Euch allein,« erwiderte Chicot; »ich werde in einem Nebenzimmer oder im Hof warten.«

»Gut, mein lieber Freund.«

»Es ist weit von hier in den Louvre,« bemerkte Borromée, »und Bruder Jacques kann lange ausbleiben, umso mehr, als die Person, an die Ihr schreibt, vielleicht zögern wird, einen so wichtigen Brief einem Kind anzuvertrauen.«

»Ihr bedenkt das etwas spät, Bruder Borromée.«

»Ich wußte es nicht; wenn man mir vertraut hätte ...«

»Gut, gut, ich werde mich mit kurzen Schritten nach Charenton zu begeben; der Bote, wer es auch sein mag, wird mich auf dem Wege einholen.«

Und er wandte sich nach der Treppe.

»Nicht nach dieser Seite, wenn es Euch beliebt, mein Herr,« sagte Borromée rasch, »die unbekannte Dame kommt hier herauf, und sie wünscht niemand zu begegnen!« »Ihr habt recht,« erwiderte Chicot lächelnd, »ich gehe die kleine Treppe hinab.«

Und er ging auf eine Nebentür zu, die in ein kleines Kabinett führte.

»Und ich,« sagte Borromée, »ich werde die Ehre haben, das Beichtkind bei dem ehrwürdigen Herrn Prior einzuführen.«

»Gut,« sagte Gorenflot.

»Ihr wißt den Weg?« fragte Borromée unruhig.

»Sehr genau,« erwiderte Chicot und ging durch das Kabinett.

Nach diesem Kabinett kam ein Zimmer; die Geheimtreppe ging auf den Ruheplatz dieses Zimmers. Chicot hatte wahr gesprochen, er kannte den Weg, aber er kannte das Zimmer nicht mehr.

Es hatte sich in der Tat seit seinem letzten Besuch gewaltig verändert; das friedliche Gemach war in ein kriegerisches verwandelt worden; die Wände waren mit Waffen geziert, der Tisch mit Säbeln, Degen und Pistolen beladen; alle Winkel enthielten Haufen von Musketen und Büchsen.

Chicot verweilte einen Augenblick in diesem Zimmer; er fühlte das Bedürfnis, nachzudenken.

»Man verbirgt Jacques vor mir, man verbirgt die Dame vor mir, man treibt mich die kleinen Stufen hinab, um die große Treppe frei zu lassen; das heißt, man will mich von dem Mönchlein entfernen und die Dame vor mir verbergen, so viel ist klar. Ich muß also eine gute Kriegslist anwenden und gerade das Gegenteil von dem tun, was man will, daß ich tun soll.

»Ich werde Jacques' Rückkehr abwarten und es so einrichten, daß ich die geheimnisvolle Dame sehe. Ho ho! da liegt ein schönes Panzerhemd in der Ecke ... fein, geschmeidig und fest gearbeitet!«

Er hob es auf, um es zu bewundern.

»Ich suche gerade eines, so leicht wie Linnen,« sagte er; »für den Prior ist es zu eng; man sollte in der Tat glauben, es wäre für mich gemacht worden; entlehnen wir dieses Stück von Dom Modeste, bei unserer Rückkehr geben wir es ihm wieder.«

Rasch bog Chicot das Panzerhemd und schob es unter sein Wams.

Er befestigte die letzte Nestel, als Bruder Borromée auf der Schwelle erschien.

»Oh! oh!« murmelte Chicot, »du abermals, doch du kommst zu spät, Freund.«

Und er kreuzte seine langen Arme hinter dem Rücken, legte sich zurück und stellte sich, als bewunderte er die Trophäen.

»Herr Robert Briquet sucht eine Waffe, die ihm taugen würde?« fragte Borromée. – »Ich, lieber Freund? Mein Gott! wozu eine Waffe?«

»Ah! wenn man so gut damit umzugehen weiß!« – »Theorie, lieber Bruder, Theorie, nichts anderes; ein armer Bürger meiner Art kann mit seinen Armen und Beinen geschickt sein; aber was ihm fehlt und immer fehlen wird, ist das Herz eines Soldaten. Das Rapier glänzt ziemlich hübsch in meiner Hand; doch glaubt mir, Jacques würde mich mit der Spitze eines Degens von hier nach Charenton zurücktreiben.«

»Wahrhaftig?« versetzte Borromée, halb überzeugt durch Chicots einfache und gutmütige Miene. – »Und dann fehlt es mir an Atem,« fuhr Chicot fort; »Ihr habt gesehen, daß ich nicht ausfallen kann, die Beine sind abscheulich, da mangelt es mir.«

»Erlaubt mir, Euch zu bemerken, mein Herr, daß dieser Mangel beim Reisen noch größer ist, als beim Fechten.« – »Ah! Ihr wißt, daß ich reise,« versetzte Chicot mit gleichgültigem Tone.

»Panurgos hat es mir gesagt,« erwiderte Borromée errötend. – »Das ist drollig, ich glaubte mit Panurgos hiervon nicht gesprochen zu haben; doch gleichviel, ich habe keinen Grund, es zu verbergen. Ja, mein Freund, ich mache eine kleine Reise, ich gehe in meine Heimat, wo ich etwas Grund und Boden habe.«

»Wißt Ihr, Herr Briquet, daß Ihr dem Bruder Jacques eine große Ehre verschafft?« – »Die, mich zu begleiten?«

»Einmal, sodann die, den König zu sehen.« – »Oder seinen Kammerdiener, denn es ist möglich und sogar wahrscheinlich, daß Bruder Jacques nichts anderes sehen wird.«

»Ihr seid also ein Vertrauter des Louvre?« – »Oh! einer der Vertrautesten, mein Herr; ich liefere dem König und den jungen Herren vom Hofe gewalkte wollene Strümpfe.«

»Dem König?« – »Ich hatte schon seine Kundschaft, als er noch Herzog von Anjou war ... Bei seiner Rückkehr aus Polen erinnerte er sich meiner und machte mich zum Hoflieferanten. Ihr wißt, daß der König eine Pilgerfahrt zu Unserer Lieben Frau von Chartres gemacht hat.«

»Ja, um einen Erben zu bekommen.« – »Ganz richtig, Ihr wißt, daß es ein sicheres Mittel gibt, um das Resultat zu erreichen, das der König verfolgt?«

»Es scheint jedenfalls, daß der König dieses Mittel nicht anwendet.« – »Bruder Borromée!«

»Was?« – »Ihr wißt genau, daß es sich darum handelt, einen Thronerben durch ein Wunder und nicht auf eine andere Weise zu erhalten.«

»Und dieses Wunder verlangt man?« – »Von Unserer Lieben Frau von Chartres.«

»Ah! ja, das Hemd?« – »So ist es. Der König hat dieser guten Lieben Frau ihr Hemd genommen und es der Königin gegeben, so daß er ihr im Austausch für dieses Hemd einen Rock ähnlich dem Unserer Lieben Frau von Toledo schenken will, der, wie man sagt, der schönste und reichste Jungfrauenrock ist, den es auf der Welt gibt.«

»Somit geht Ihr?« – »Nach Toledo, lieber, Bruder Borromée, nach Toledo, um das Maß von dem Rocke zu nehmen und einen ähnlichen machen zu lassen.«

Borromée schien zu zögern, ob er Chicot auf sein Wort glauben oder nicht glauben sollte.

»Ihr könnt Euch also vorstellen,« fuhr Chicot fort, als ob er durchaus nicht wüßte, was im Geiste des Bruder Säckelmeister vorging, »Ihr könnt Euch also vorstellen, daß mir die Gesellschaft von Geistlichen unter solchen Umständen sehr angenehm gewesen wäre. Doch die Zeit geht vorbei, und Bruder Jacques kann nun nicht mehr lange ausbleiben. Übrigens will ich außen warten, etwa bei der Croix-Faubin.«

»Ich glaube, daß dies besser ist.« – »Ihr werdet also die Güte haben, ihn zu benachrichtigen, sobald er zurückkommt.«

»Ja.« – »Und Ihr schickt ihn mir zu?«

»Ich werde es nicht versäumen.« – »Ich danke, lieber Bruder Borromée ... Ich bin entzückt, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben.«

Beide verbeugten sich, und Chicot ging die kleine Treppe hinab, hinter ihm schloß Bruder Borromée die Tür mit dem Riegel.

»Oh! oh!« sagte Chicot, »es scheint wichtig zu sein, daß ich die Dame nicht sehe, folglich muß ich sie sehen.«

Und um dieses Vorhaben in Ausführung zu bringen, ging Chicot so auffallend als möglich aus der Priorei der Jakobiner weg, plauderte einen Augenblick mit dem Bruder Pförtner und wanderte, die Mitte der Straße haltend, nach der Croix-Faubin.

Doch als er dahin gekommen war, verschwand er an der Mauerecke eines Pachthofes, und hier, wo er fühlte, daß er allen Argussen des Priors, und hätten sie die Falkenaugen des Bruders Borromée gehabt, Trotz bieten konnte, schlüpfte er längs der Gebäude hin, folgte in einem Graben einer Hecke und erreichte, ohne bemerkt worden zu sein, eine Reihe ziemlich dichter, junger Hagebuchen, die sich dem Kloster gegenüber ausdehnte.

An dieser Stelle, die ihm einen Beobachtungsmittelpunkt bot, wie er sich ihn nur immer wünschen konnte, setzte oder legte er sich vielmehr nieder und wartete, bis Bruder Jacques in das Kloster zurückkam und die Dame herausging.

Der Hinterhalt.

Chicot brauchte, wie man weiß, nicht lange, um einen Entschluß zu fassen. Er faßte den zu warten, und zwar so bequem als möglich. Er machte sich durch das Dickicht der Hagebuchen ein Fenster, um die Kommenden und Gehenden, die ihn interessieren konnten, nicht unbemerkt vorüber zu lassen.

Die Straße war öde. Soweit Chicots Blick reichte, erschienen weder Reiter noch Neugierige noch Bauern. Die ganze Menge vom vorhergehenden Tag war mit dem Schauspiel verschwunden, das sie versammelt hatte. Chicot sah also nichts, als einen ziemlich elend gekleideten Mann, der quer über die Straße ging und mit einem spitzigen Stabe Messungen auf dem Pflaster Seiner Majestät des Königs von Frankreich vornahm. Chicot hatte durchaus nichts zu tun. Er war entzückt, daß er diesen guten Mann fand, der ihm als Betrachtungspunkt dienen sollte.

»Was messen? warum messen?« dies waren zwei Minuten lang die ernsten Fragen, die Robert Briquet an sich richtete.

Er beschloß also, ihn nicht aus dem Gesicht zu verlieren. Im Augenblick aber, wo dieser Mann seine Messung beendigt hatte und den Kopf wieder erheben sollte, nahm leider eine wichtigere Entdeckung seine Aufmerksamkeit in Anspruch und nötigte ihn, die Augen nach einem anderen Punkte zu richten. Es öffneten sich die beiden Flügel des Fensters von Gorenflots Balkon, und man sah die ehrwürdige Rundung des Priors erscheinen, der mit seinen großen, weit aufgesperrten Augen, mit seinem Festtagslächeln und seinen höflichsten Manieren eine Dame führte, die beinahe ganz unter einem mit Pelz verbrämten Samtmantel begraben war.

»Oh! oh!« sagte Chicot zu sich selbst, »das ist das Beichtkind. Der Gang ist jugendlich; sehen wir uns den Kopf an; nun, dreht Euch noch ein wenig auf diese Seite, vortrefflich! Es ist in der Tat sonderbar, daß ich beinahe bei allen Gesichtern, die ich sehe, Ähnlichkeiten finde. Eine ärgerliche Manier von mir! Gut! nun kommt der Stallmeister. Oh! oh! in ihm täusche ich mich nicht, es ist Mayneville. Ja, ja, der aufwärts gedrehte Schnurrbart, der Degen mit dem muschelförmigen Stichblatt, ja, er ist es; doch überlegen und schließen wir ein wenig: wenn ich mich bei Herrn von Mayneville nicht täusche, alle Wetter! warum sollte ich mich in Frau von Montpensier irren? denn diese Frau ist beim Teufel die Herzogin.«

Man wird es glauben, daß Chicot von diesem Augenblick die beiden erhabenen Personen nicht mehr aus dem Gesichte verlor. Nach Verlauf einer Minute sah er hinter ihnen das bleiche Gesicht Borromées erscheinen, den Mayneville wiederholt befragte.

»So ist es,« sagte er, »alles ist dabei; bravo! Konspirieren wir, das ist so Mode; aber warum will die Herzogin bei Dom Modeste Pension nehmen, sie, die schon das Haus von Bel-Esbat hundert Schritte von hier hat?«

In diesem Augenblick erhielt Chicots Aufmerksamkeit eine neue Richtung. Während die Herzogin mit Gorenflot plauderte oder ihn vielmehr zum Plaudern veranlaßte, machte Herr von Mayneville irgend jemand außen ein Zeichen.

Chicot hatte aber niemand gesehen, als den Mann, der die Messungen machte, und an ihn war in der Tat die Gebärde gerichtet; daraus ging hervor, daß der Mann nicht mit Messungen beschäftigt war. Er war vor dem Balkon im Profil und das Gesicht gegen Paris gekehrt stehengeblieben.

Gorenflot setzte seine Liebenswürdigkeiten gegen das Beichtkind fort. Herr von Mayneville sagte Borromée ein paar Worte ins Ohr, und dieser fing auf der Stelle an, sich hinter dem Prior auf eine Weise zu bewegen, die für Chicot unverständlich, aber für den Mann mit den Messungen klar war, denn er entfernte sich und wählte seinen Standpunkt auf einer andern Stelle, wo ihn eine neue Gebärde Borromées wie eine Bildsäule festnagelte.

Nachdem er einige Sekunden unbeweglich geblieben war, nahm er auf ein neues Zeichen von Bruder Borromée eine Übung vor, die Chicot um so mehr beschäftigte, als er unmöglich ihren Zweck erraten konnte. Von dem Orte, wo er stand, lief der Mann bis zur Pforte der Priorei, während Herr von Mayneville seine Uhr in der Hand hielt.

In diesem Augenblick wandte sich der Mann um, und Chicot erkannte in ihm Nicolas Poulain, den Leutnant der Prevoté oder Stadtvogtei, denselben, der ihm am Tage zuvor seine alten Panzer abgekauft hatte.

»Oho! es lebe die Lige!« sagte er. »Ich habe nun genug gesehen, um das übrige mit ein wenig Anstrengung zu erraten.«

Nach einigen Gesprächen zwischen der Herzogin, Gorenflot und Mayneville schloß Borromée das Fenster wieder, und der Balkon blieb öde und leer.

Die Herzogin und ihr Stallmeister verließen die Priorei, um in die Sänfte zu steigen, die ihrer harrte. Dom Modeste, der sie bis zur Pforte begleitet hatte, erschöpfte sich in Bücklingen.

Die Herzogin hielt die Vorhänge ihrer Sänfte noch offen, um die Komplimente des Priors zu erwidern, als ein Jakobinermönch, der durch die Pforte Saint-Antoine aus Paris herauskam, sich zuerst vor die Pferde, die er neugierig anschaute und dann neben die Sänfte stellte, in die er einen Blick tauchte.

Chicot erkannte in diesem Mönch den kleinen Jacques, der mit großen Schritten vom Louvre zurückkehrte und in Entzückung vor Frau von Montpensier stehenblieb.

»Oh! oh!« sagte er, »ich habe Glück. Wäre Jacques früher gekommen, so hätte ich die Herzogin nicht sehen können. Nun, da Frau von Montpensier, nachdem sie ihre kleine Verschwörung gemacht hat, abgegangen ist, kommt die Reihe an Nicolas Poulain. Mit ihm bin ich in zehn Minuten fertig.«

Nachdem die Herzogin an Chicot, ohne ihn zu sehen, vorübergekommen war, fuhr sie in der Tat nach Paris, und Nicolas Poulain schickte sich an, ihr zu folgen. Er mußte wie die Herzogin an Chicots Versteck vorüber.

Chicot sah ihn kommen, wie der Jäger das Wild kommen sieht, indem er sich bereithält, danach zu schießen, sobald es in seinem Bereiche ist.

»He! ehrlicher Mann,« rief er aus seinem Loch, »deinen Blick hierher, bitte.«

Poulain bebte und wandte den Kopf dem Graben zu.

»Ihr habt mich gesehen, sehr gut!« fuhr Chicot fort. »Nehmt nun nicht die Miene an, als ob Ihr nichts bemerktet, Meister Nicolas ... Poulain.«

Der Leutnant der Prevoté sprang wie ein Hirsch beim Schuß.

Indem Chicot dem Geängstigten bewies, daß er die Personen auf dem Balkon der Priorei kenne und wisse, daß der Leutnant an einer Verschwörung gegen den König teilnehme, und indem er ihm als unumgängliche Strafe den Tod am Galgen zeigte, machte er den Armen zum Wachs in seiner Hand. Als einziges Mittel, sein Leben zu retten, zeigte er ihm die Enthüllung des Komplotts gegenüber dem Herzog von Epernon. Willenlos versprach Poulain, diesen Verrat an seinen Genossen auszuführen.

Kaum hatte sich der Profoßleutnant entfernt, so sah Robert Briquet den vom Prior versprochenen Reisegenossen am verabredeten Platz sich einstellen. Er bemerkte aber beim Näherkommen bald, daß es nicht der kleine Mönch war, sondern ein wahrer Philister mit riesigen Armen und Beinen und einer höchst verdächtigen Physiognomie. Dieser überreichte einen Brief von Gorenflot, worin der Würdige erklärte, er könne Jacques, das junge unschuldige Lamm, nicht unter die Wölfe gehen lassen.

Kurz entschlossen schickte Briquet den unwillkommenen und gefährlichen Burschen, der sich nur knurrend abweisen ließ, dem Prior zurück, um lieber allein die Reise anzutreten.

Als unser Reisender den Goliath in der großen Pforte des Klosters verschwinden sah, verbarg er sich hinter einer Hecke, streifte sein Wams ab und zog das uns bekannte feine Panzerhemd unter seinem Linnenhemde an.

Sobald seine Toilette beendigt war, schritt er querfeldein, um wieder auf die Straße nach Charenton zu gelangen.

Die Guisen.

An demselben Abend, an dem Chicot nach Navarra abreiste, finden wir in dem großen Gemache des Hotels Guise den kleinen jungen Mann mit dem lebhaften Auge, den wir auf dem Pferderücken hinter Herrn von Carmainges haben in Paris einreiten sehen, und der, wie wir bereits wissen, niemand anders war, als das schöne Beichtkind Dom Gorenflots.

Jetzt, mit einem zierlichen Kleide angetan, das am Halse weit ausgeschnitten war, die Haare mit Edelsteinen besternt, wie es damals Mode, erwartete Frau von Montpensier, in einer Fenstervertiefung stehend, ungeduldig irgend jemand, der auf sich warten ließ.

Der Schatten fing an sich zu verdichten, die Herzogin unterschied nur mit Mühe die Pforte des Hotels, worauf ihre Augen beständig gerichtet waren. Endlich vernahm man den Hufschlag eines Pferdes, und zehn Minuten nachher meldete die Stimme des Pförtners geheimnisvoll der Herzogin den Herzog von Mayenne.

Frau von Montpensier erhob sich und lief ihrem Bruder mit solcher Hast entgegen, daß sie auf der Spitze des rechten Fußes zu gehen vergaß, wie es ihre Gewohnheit war, wenn sie nicht hinken wollte.

»Allein, mein Bruder,« sagte sie, »seid Ihr allein?« – »Ja, meine Schwester,« antwortete der Herzog, der sich setzte, nachdem er der Herzogin die Hand geküßt hatte.

»Aber Heinrich ... wo ist denn Heinrich? Wißt Ihr, daß ihn alle hier erwarten?« – »Heinrich, meine Schwester, hat hier in Paris noch nichts zu tun, während er dort in Flandern und der Picardie viel zu tun hat. Unser Werk ist langsamer und unterirdischer Natur, doch wir haben dort Arbeit; warum sollten wir diese Arbeit verlassen, um nach Paris zu kommen, wo alles getan ist?«

»Ja, wo jedoch alles wieder rückgängig werden wird, wenn Ihr Euch nicht sputet. Ich sage Euch, daß sich die Bürger nicht mehr mit solchen Gründen begnügen, daß sie ihren Herzog Heinrich sehen wollen, daß dies ihr Hunger, ihre Heißgier ist.« – »Sie werden ihn im geeigneten Augenblicke sehen. Hat ihnen Mayneville nicht alles erklärt?«

»Ganz gewiß; doch Ihr wißt, seine Stimme hat nicht die Macht der Eurigen.« – »Das Dringendste, meine Schwester – und Salcède?«

»Tot!« – »Ohne zu sprechen?«

»Ohne eine Silbe von sich zu geben.« – »Gut. Und die Bewaffnung?« »Vollendet.« – »Und Paris?«

»In sechzehn Viertel abgeteilt. – »Und jedes Viertel hat den von uns bezeichneten Chef?«

»Ja.« – »Gottes Ostern! leben wir also in Ruhe, dies will ich unsern guten Bürgern sagen.«

»Sie werden Euch nicht hören. Ich sage Euch, daß sie vom Teufel besessen sind.« – »Meine Schwester, Ihr habt ein wenig die Gewohnheit, die Hast der andern nach Eurer eigenen Ungeduld zu beurteilen.«

»Werdet Ihr mir das zum Vorwurf machen?« – »Gott behüte mich; aber was mein Bruder Heinrich sagt, muß geschehen. Mein Bruder Heinrich will aber, daß man sich durchaus nicht beeile.«

»Was ist also zu tun?« fragte die Herzogin voll Ungeduld. – »Drängt irgend etwas, meine Schwester?« »Alles, wenn man will.« – »Womit soll man Eurer Ansicht nach anfangen?«

»Damit, daß man den König festnimmt.« – »Das ist Eure fixe Idee. Ich sage nicht, daß sie schlecht wäre, wenn man sie in Ausführung bringen könnte; aber entwerfen und tun ist zweierlei; erinnert Euch, wie oft wir schon gescheitert sind.«

»Die Zeiten haben sich geändert. Der König hat niemand mehr zu seiner Verteidigung.« – »Nein, außer den Schweizern, den Schotten und den französischen Leibwachen.«

»Mein Bruder, wollt Ihr, so zeige ich, die ich mit Euch spreche, Euch den König nur von zwei Lakaien begleitet auf der Landstraße.« – »Man hat mir dies hundertmal gesagt und ich habe ihn nicht ein einziges Mal gesehen.«

»Ihr werdet ihn sehen, wenn Ihr nur drei Tage in Paris bleibt.« – »Abermals ein Entwurf.«

In diesem Augenblick hob der Huissier den Türvorhang und fragte: »Gefällt es Euren Hoheiten, Herrn von Mayneville zu empfangen?«

»Mein Genosse,« erwiderte die Herzogin, »er trete ein.«

Herr von Mayneville trat ein und küßte dem Herzog von Mayenne die Hand.

»Ein einziges Wort, gnädigster Herr,« sagte er, »ich komme vom Louvre.«

»Nun!« riefen gleichzeitig Mayenne und die Herzogin. – »Man vermutet Eure Ankunft.«

»Wie dies?« – »Ich plauderte mit dem Führer des Postens von Saint-Germain-l'Auxerrois, zwei Gaskogner gingen vorüber.«

»Kennt Ihr sie?« – »Nein – sie funkelten ganz in ihren neuen Kleidern. ›Cap de Bious,‹ sagte der eine, ›wir haben da ein herrliches Wams, doch es würde Euch bei Gelegenheit nicht denselben Dienst leisten, wie Euer Panzer von gestern.‹

›Bah! bah!‹ erwiderte der andere, ›so solid auch das Schwert des Herrn Mayenne sein mag, so wetten wir doch, daß es ebensowenig diesen Atlas aufritzen wird, wie es meinen Panzer aufgeritzt hätte.‹

»Und hierauf verbreitete sich der Gaskogner in Prahlereien, die andeuteten, daß man Euch in der Nähe wußte.«

»Und wem gehören diese Gaskogner?« – »Ich weiß es nicht.«

»Und sie entfernten sich?« – »Nicht so rasch; sie schrien laut; der Name Eurer Hoheit wurde gehört, einige Vorübergehende blieben stehen und fragten, ob Ihr wirklich ankämet. Sie wollten eben diese Frage beantworten, als sich plötzlich Herr von Loignac dem Gaskogner näherte und ihm auf die Schulter klopfte. Auf ein paar Worte, die er leise sprach, antwortete der Gaskogner nur mit einer Gebärde der Unterwürfigkeit und folgte seinem Unterbrecher. Sie verschwanden dann in der Richtung des Louvre.

»Ich habe ein äußerst einfaches Gegenmittel,« sagte Mayenne. »Ich gehe diesen Abend zum König, um ihn zu begrüßen.«

»Den König begrüßen?« – »Ganz gewiß; ich komme nach Paris, ich gebe ihm Kunde von seinen guten Städten in der Picardie, dagegen kann er nichts sagen.«

»Das Mittel ist gut,« sagte Mayneville.

»Es ist unklug,« versetzte die Herzogin.

»Schwester, es ist unerläßlich, wenn man wirklich meine Ankunft in Paris vermutet. Es war übrigens die Ansicht meines Bruders, daß ich völlig gestiefelt vor dem Louvre absteige, um dem König die Huldigung der ganzen Familie darzubringen. Ist einmal diese Pflicht erfüllt, so bin ich frei und kann empfangen, wen ich will.«

»Die Mitglieder des Komitees, zum Beispiel, sie erwarten Euch.«

»Ich werde sie im Hotel Saint-Denis bei meiner Rückkehr aus dem Louvre empfangen,« sagte Mayenne. »Mayneville, man gebe mir wieder mein Pferd, so wie es ist, ohne es abzureiben. Ihr kommt mit mir in den Louvre. Ihr, meine Schwester, erwartet mich, wenn es Euch gefällig ist.«

»Hier, mein Bruder?«

»Nein, im Hotel Saint-Denis, wo ich meine Equipagen gelassen. Wir werden in zwei Stunden dort sein.«

Im Louvre. Die Enthüllung.

An demselben an Abenteuern reichen Tag trat der König etwa um Mittag aus seinem Kabinett und ließ Epernon rufen. – Der Herzog beeilte sich zu gehorchen und beim König zu erscheinen. Er fand Seine Majestät in einem ersten Zimmer, wo sie aufmerksam einen Jakobinermönch betrachtete, der errötete und die Augen unter dem durchdringenden Blick des Königs niederschlug.

Der König nahm Epernon beiseite und sagte zu ihm, auf den jungen Mann deutend: »Sieh doch dieses drollige Mönchsgesicht an.«

»Worüber erstaunt Euer Majestät?« versetzte Epernon; »ich finde das Gesicht sehr gewöhnlich.«

»Wirklich?« – Und der König versank wieder in Träume. Nach einer Pause sagte er: »Wie heißest du?« – »Bruder Jacques, Sire.«

»Du hast keinen andern Namen?« – »Mein Familienname? Clement.«

»Bruder Jacques Clement,« wiederholte der König. »Du hast deinen Auftrag gut besorgt,« sagte er zu dem Mönch, den er unablässsig anschaute.

»Welchen Auftrag?« fragte der Herzog mit jener Keckheit, die man ihm zum Vorwurf machte, während sie ihn in der täglichen Vertraulichkeit erhielt.

»Nichts,« sagte der König, »ein kleines Geheimnis zwischen mir und einem, den du nicht kennst oder vielmehr nicht mehr kennst.«

»In der Tat, Sire,« sagte Epernon, »Ihr schaut das Kind sonderbar an und bringt es in Verlegenheit.«

»Ja, es ist wahr .... Ich weiß nicht, warum sich meine Blicke nicht von ihm trennen können, es kommt mir vor, als hätte ich diesen jungen Menschen schon einmal gesehen, oder ich würde ihn sehen. Er ist mir, glaube ich, im Traume erschienen. Oh! ich rede unvernünftiges Zeug ... Gehe, kleiner Mönch, deine Sendung ist beendigt. Man wird den verlangten Brief dem schicken, der ihn fordert. Höre, Epernon.«

»Sire.«

»Man gebe ihm zehn Taler.«

»Ich danke,« sagte der Mönch.

»Es ist, als müßtest du dich zwingen zu danken,« versetzte Epernon, der nicht begriff, daß ein Mönch zehn Taler verachten konnte.

»Ich sage gezwungen Dank,« erwiderte der kleine Jacques, »weil mir eines von den schönen spanischen Messern, die dort an der Wand hängen, viel lieber wäre.«

»Gib ihm doch eine von den spanischen Klingen und laß ihn gehen, Lavalette,« sagte der König.

Als sparsamer Mann wählte der Herzog unter den Messern dasjenige, das ihm am wenigsten reich vorkam, und gab es dem Mönch. Es war ein katalonisches Messer mit breiter, scharfer Klinge und einem soliden Hefte von schönem ziseliertem Horn.

Jacques nahm es, ganz freudig, eine so schöne Waffe zu besitzen, und entfernte sich.

»Herzog,« sagte der König, »hast du unter deinen Fünfundvierzig zwei oder drei Männer, die zu reiten verstehen?« – »Wenigstens zwölf, und in einem Monat werden alle Reiter sein.«

»Wähle zwei aus und schicke sie sogleich zu mir, ich will sie sprechen.«

Der Herzog verbeugte sich, ging hinaus und rief Loignac in das Vorzimmer, der seinerseits den Herrn von Carmainges und Herrn von Sainte-Maline auswählte.

Der Herzog führte in ein Paar Minuten die jungen Leute zum König. Auf eine Gebärde Seiner Majestät entfernte sich der Herzog und die zwei jungen Leute blieben. Es war das erste Mal, daß sie sich vor dem König befanden, der ein sehr imposantes Aussehen hatte.

Die Aufregung der Gaskogner prägte sich auf verschiedene Weise aus. Sainte-Maline stand mit glänzendem Auge, gespannter Kniebeuge und emporstehendem Schnurrbart da.

Bleich, doch ebenfalls entschlossen, obgleich minder stolz, wagte es Carmainges nicht, seinen Blick auf dem König ruhen zu lassen.

»Ihr gehört zu meinen Fünfundvierzig?« fragte der König. – »Ich habe diese Ehre, Sire,« erwiderte Sainte-Maline.

»Und Ihr, mein Herr?« – »Ich glaubte, dieser Herr antworte für uns beide, Sire; deshalb hat meine Antwort auf sich warten lassen; doch, wenn es sich darum handelt, im Dienste Eurer Majestät zu sein, so bin ich es so sehr, wie irgend jemand auf der Welt.«

»Gut, ihr werdet zu Pferde steigen uns den Weg nach Tours einschlagen. Kennt ihr ihn?« – »Ich werde danach fragen,« erwiderte Sainte-Maline. – »Ich werde mich orientieren,« antwortete Carmainges.

»Zu größerer Sicherheit reitet ihr zuerst durch Charenton.« – »Sehr wohl, Sire.«

»Ihr reitet fort, bis ihr einen allein reisenden Mann trefft.« – »Will Eure Majestät die Gnade haben, uns sein Signalement zu geben?« fragte Sainte-Maline.

»Ein großes Schwert an der Seite oder auf dem Rücken, lange Arme, lange Beine.«

»Dürfen wir seinen Namen wissen?« fragte Ernauton von Carmainges, den das Beispiel seines Gefährten verlockte, den König, trotz der Etikette, zu befragen.

»Er heißt der Schatten,« sagte Heinrich.

»Wir werden alle Reisende, die wir treffen, nach ihrem Namen fragen, Sire.«

»Und wir durchsuchen alle Gasthöfe.«

»Sobald ihr den Mann getroffen und erkannt habt, übergebt ihr ihm diesen Brief.«

Die jungen Leute streckten zugleich die Hand darnach aus. – Der König blieb einen Augenblick verlegen.

»Wie heißt Ihr?« fragte er den einen. – »Ernauton von Carmainges« – »Und Ihr?« – »René von Sainte-Maline.«

»Herr von Carmainges, Ihr werdet den Brief tragen, und Herr von Sainte-Maline wird ihn übergeben.«

Ernauton nahm das kostbare anvertraute Gut und schickte sich an, es in sein Wams zu schließen.

Sainte-Maline hielt seinen Arm im Augenblick zurück, als der Brief verschwinden sollte, und küßte ehrfurchtsvoll das Siegel. Dann gab er den Brief Ernauton zurück. Der König lächelte üb« diese Schmeichelei.

»Ah! ich sehe, daß ich gut bedient sein werde,« sagte er.

»Ist das alles, Sire?« fragte Ernauton.

»Ja, meine Herren... nur noch eine letzte Ermahnung.«

Die jungen Leute verbeugten sich und warteten.

»Dieser Brief,« sagte Heinrich, »ist kostbarer als das Leben eines Menschen. Bei eurem Kopfe, verliert ihn nicht, übergebt ihn insgeheim dem Schatten, der euch einen Empfangsschein dafür ausstellen wird, den ihr mir einhändigt... und reist als Leute, die ihre eigenen Angelegenheiten besorgen. Geht.«

Die jungen Leute verließen das Kabinett des Königs, Ernauton von Freude erfüllt, Sainte-Maline von Eifersucht geschwollen, der eine die Flamme im Auge, der andere mit einem gierigen Blick, der das Wams seines Gefährten versengte.

Herr von Epernon wartete auf sie. Er wollte sie befragen.

»Herr Herzog,« antwortete Ernauton, »der König hat uns nicht zum Sprechen bevollmächtigt.«

Sie gingen sogleich in die Ställe, wo ihnen der Piqueur des Königs zwei kräftige und gut ausgestattete Reisepferde übergab.

Herr von Epernon wäre ihnen sicher gefolgt, um mehr zu erfahren, hätte man ihm nicht in dem Augenblick, als ihn Carmainges und Sainte-Maline verließen, gemeldet, es wolle ihn ein Mann auf der Stelle und unter jeder Bedingung sprechen.

»Wer ist der Mann?« fragte der Herzog ungeduldig.

»Der Leutnant der Prevoté.«

»Ei! Parfandious!« rief er, »bin ich Schöppe, Prevot oder Hauptmann von der Scharwache?«

»Nein, gnädigster Herr, aber Ihr seid der Freund des Königs,« antwortete demütig eine Stimme zu seiner Linken. »Unter diesem Titel flehe ich Euch an, hört mich.«

Der Herzog wandte sich um.

In seiner Nähe stand, den Hut in der Hand und die Ohren gesenkt, ein armer Bittsteller, der in jeder Sekunde von einer Färbung des Regenbogens zur andern überging.

»Wer seid Ihr?« fragte der Herzog mit barschem Tone. – »Nicolas Poulain, Euch zu dienen, gnädigster Herr.«

»Und Ihr wollt mich sprechen?« – »Ich bitte um diese Gunst.«

»Ich habe keine Zeit.« – »Selbst nicht einmal, um ein Geheimnis zu hören, gnädigster Herr?«

»Ich höre hundert jeden Tag, das Eurige würde hundertundeines machen, das wäre um eins zu viel.« – »Selbst wenn dabei das Leben Seiner Majestät beteiligt wäre?« sagte Nicolas Poulain, sich an Epernons Ohr neigend.

»Oh! oh! ich will Euch anhören. Kommt in mein Zimmer.«

Nicolas Poulain wischte seine von Schweiß triefende Stirn ab und folgte dem Herzog.

Durch sein Vorzimmer schreitend, wandte sich Herr von Epernon an einen von den Edelleuten, die beständig hier verweilten.

»Wie heißt Ihr,« fragte er das ihm unbekannte Gesicht.

»Pertinax von Monterabeau, Monseigneur,« antwortete der Edelmann.

»Wohl! Herr von Monterabeau, stellt Euch an meine Tür und laßt niemand herein.«

Herr Pertinax, der kostbar gekleidet war und in orangefarbigen Strümpfen, mit einem Wams von blauem Atlas, den Schönen spielte, gehorchte dem Befehl Epernons, Er lehnte sich an die Wand und faßte mit gekreuzten Armen am Türvorhang Posto.

Nicolaus Poulain folgte dem Herzog, der in sein Kabinett ging, und fing ernstlich an zu zittern.

»Laßt Eure Verschwörung hören,« sagte der Herzog, »aber wenn ich meine Zeit damit verliere, nehmt Euch in acht.« – »Herr Herzog, es handelt sich ganz einfach um das schrecklichste der Verbrechen, man will den König entführen, Herr Herzog.«

»Oh! abermals diese alte Entführungsgeschichte!« versetzte Epernon verächtlich. – »Diesmal ist die Sache ziemlich ernst, Herr Herzog, wenn ich dem Anschein glauben darf.«

»An welchem Tage will man Seine Majestät entführen?« – »Gnädigster Herr, das erste Mal, wo sich Seine Majestät in der Sänfte nach Vincennes begeben wird.«

»Wie wird man sie entführen?« – »Indem man ihre beiden Piqueurs tötet.«

»Wer wird den Schlag tun?« – »Frau von Montpensier.«

»Die arme Herzogin,« versetzte Epernon lachend, »wie viele Dinge schreibt man ihr zu.« – »Weniger, als sie ihren Plänen nach zu tun beabsichtigt, gnädigster Herr.«

»Und damit beschäftigt sie sich in Soissons?« – »Die Frau Herzogin ist in Paris.«

»In Paris?« – »Dafür stehe ich.«

»Ihr habt sie gesehen?« – »Ja.«

»Das heißt, Ihr habt sie zu sehen geglaubt?« – »Ich habe die Ehre gehabt, mit ihr zu sprechen.«

»Und wo wird sie sich aufstellen, um diese Entführung zu befehligen?« – »An einem Fenster der Priorei der Jakobiner, die, wie Ihr wißt, an der Straße nach Vincennes liegt.«

»Was zum Teufel erzählt Ihr mir da?« – »Die Wahrheit, Herr Herzog. Es sind alle Maßregeln getroffen, daß die Sänfte in dem Augenblick anhält, wo sie die Fassade des Klosters erreicht.«

»Und wer hat diese Maßregel getroffen?« – »Ach!« »Alle Teufel! vollendet.« – »Ich gnädigster Herr.«

Herr von Epernon machte einen Sprung rückwärts. »Ihr?« sagte er. – Poulain seufzte.

»Ihr, der Ihr die Anzeige macht?« – »Gnädigster Herr, ein guter Diener des Königs muß alles für seinen Dienst wagen.«

»Gottes Tod! Ihr lauft in der Tat Gefahr, gehängt zu werden.« – »Ich ziehe meinen Tod der Erniedrigung oder dem Tod des Königs vor; deshalb bin ich gekommen.«

»Das sind schöne Gefühle, mein Herr, und Ihr müßt gute Ursache haben, sie zu hegen.« – »Gnädigster Herr, ich dachte, Ihr wäret der Freund des Königs, Ihr würdet mich nicht verraten und zum Nutzen aller von meiner Offenbarung Gebrauch machen.«

Der Herzog schaute lange Poulain an und forschte tief in den Linien dieses bleichen Gesichtes.

»Es muß hier noch etwas anderes im Spiele sein,« sagte er; »so entschlossen auch die Herzogin ist, würde sie es doch nicht wagen, ein solches Unternehmen zu versuchen.« – »Sie erwartet als Helfer ihren Bruder, den Herzog von Mayenne.«

»Man muß auf diese schönen Pläne Bedacht haben.« – »Ganz gewiß, gnädigster Herr, und deshalb habe ich mich beeilt.«

»Habt Ihr die Wahrheit gesprochen, Herr Leutnant, so sollt Ihr belohnt werden.« – »Warum sollte ich lügen, gnädigster Herr? Ich sage Euch, ich werde bis zum König gehen, wenn Ihr mir nicht glaubt, und ich will sterben, um zu beweisen, was ich behaupte.«

»Parfandious! nein, Ihr werdet nicht zum König gehen, hört Ihr, Meister Nicolas; mit mir allein habt Ihr zu tun.« – »Wohl, gnädigster Herr; ich sage dies nur, weil Ihr zu zögern scheint.«

»Nein, ich zögere nicht, und ich bin Euch vor allem tausend Taler schuldig.« – »Der gnädigste Herr wünscht also, daß ich ihm allein...?«

»Ja, ich habe Feuereifer und behalte das Geheimnis für mich. Ihr tretet es mir ab, nicht wahr?« – »Ja, gnädigster Herr.«

»Mit der Gewährschaft, daß es ein wirkliches Geheimnis ist?« – »Oh! mit jeder Gewährschaft.«

»Tausend Taler gehören also Euch, ohne die Zukunft zu rechnen.« – »Ich habe eine Familie, gnädigster Herr.«

»Nun wohl! aber tausend Taler! Parfandious!« – »Und wenn man in Lothringen erführe, daß ich eine solche Offenbarung gemacht habe, würde mich jedes Wort, das ich gesprochen, eine Pinte Blut kosten. Deshalb nehme ich die tausend Taler an.«

»Zum Teufel mit dieser Erklärung! Was kümmere ich mich darum, aus welchem Grunde Ihr sie annehmt, sobald Ihr sie nicht ausschlagt. Die tausend Taler gehören also Euch.« – »Ich danke, Herr Herzog.«

Und als er sah, daß sich der Herzog einer Kiste näherte und in diese seine Hand tauchte, ging er ihm nach.

Doch der Herzog begnügte sich, aus der Kiste ein kleines Buch zu ziehen, in das er mit einer riesigen und furchtbaren Handschrift schrieb: »Dreitausend Livres an Herrn Nicolas Poulain,« so daß man nicht wissen konnte, ob er diese dreitausend Livres gegeben hatte, oder ob er sie schuldig war. »Es ist, als ob Ihr sie hättet,« sagte er.

Nicolas Poulain, der die Hand und das Bein vorgestreckt hatte, zog seine Hand und sein Bein zurück, wodurch er eine Verbeugung machte.

»Wir sind also übereingekommen?« sagte der Herzog. – »Worüber?«

»Daß Ihr mich noch fortwährend unterrichtet.« – Nicolas Poulain zögerte; es war das Handwerk eines Spions, was man ihm auferlegte.

»Nun!« fragte der Herzog, »ist die so unendliche Ergebenheit schon verschwunden?« – »Nein, gnädigster Herr.«

»Ich kann also auf Euch zählen?« – »Ihr könnt auf mich zählen,« erwiderte Poulain mit einer gewissen Anstrengung.

»Und ich allein weiß dies alles?« – »Ihr allein, ja, gnädigster Herr.«

»Geht, mein Freund, geht; Parfandious! Herr von Mayenne sehe sich vor!«

Sofort kehrte nun der Herzog zum König zurück, den er beim Bilboquetspiel fand, und fing bei der ersten Gelegenheit an, von den Gefahren, die den König umlauerten, zu sprechen.

»Abermals Gefahren!« rief Heinrich. »Der schwarze Teufel hole dich, Herzog!«

»Ihr wißt also nicht, Sire, was vorgeht?« – »Nein.«

»Eure grausamsten Feinde umgeben Euch in diesem Augenblick.« – »Bah! wer denn?«

»Einmal die Herzogin von Montpensier.« – »Ah! ja, es ist wahr, sie hat gestern Salcède rädern sehen.«

»Ihr wußtet das also?« – »Du siehst wohl, daß ich es wußte, da ich es dir sage.«

»Und daß Herr von Mayenne kommt, wußtet Ihr auch?« – »Seit gestern abend.«

»Wie, dieses Geheimnis! ...« rief der Herzog, in ein unangenehmes Erstaunen versetzt. – »Gibt es Geheimnisse für den König, mein Teurer?«

»Aber wer konnte es Euch mitteilen?« – »Weißt du nicht, daß wir Fürsten Offenbarungen haben?«

»Oder eine Polizei.« – »Wenn du eifrig bist, Lavalette, was eine große Tugend ist, so bist du langsam, was man einen großen Fehler nennen muß. Deine Nachricht wäre gestern um vier Uhr sehr gut gewesen, aber heute ...«

»Nun wohl, Sire, heute?« – »Kommt sie zu spät, das mußt du gestehen.«

»Es ist noch zu früh, Sire, da ich Euch nicht geneigt finde, mich anzuhören.« – »Ich höre dich schon seit einer Stunde.«

»Wie, Ihr werdet bedroht, angegriffen, man legt Euch Hinterhalte und Ihr rührt Euch nicht!« – »Warum dies, da du mir eine Wache gegeben und gestern behauptet hast, meine Unsterblichkeit wäre gesichert? Du runzelst die Stirn. Sprich, sind deine Fünfundvierzig nach Gaskogne zurückgekehrt, oder sind sie etwa nichts wert? Ist es mit diesen Herren wie mit den Maultieren? Am Tage, wo man sie probiert, ist alles Feuer, hat man sie gekauft, so weichen sie zurück.«

»Es ist gut, Eure Majestät wird sehen, was sie sind.« – »Das soll mir nicht unangenehm sein; werde ich es bald sehen, Herzog?«

»Eher, als Ihr denkt, Sire.« – »Du machst mir bange.«

»Ihr werdet sehen, Ihr werdet sehen, Sire. Doch sagt, wann geht Ihr auf das Land, nach Vincennes?« – »Am Sonnabend.«

»In drei Tagen also?« – »In drei Tagen.«

»Das genügt, Sire.«

Epernon verbeugte sich vor dem König und ging hinaus.

Im Vorzimmer bemerkte er, daß er Herrn Pertinax von seiner Wache abzulösen vergessen, doch Herr Pertinax hatte sich selbst abgelöst.

Zwei Freunde.

Wenn es dem Leser gefällt, wollen wir nun den beiden jungen Leuten folgen, die der König, entzückt, seine eigenen kleinen Geheimnisse zu haben, seinem Boten Chicot zusandte.

Kaum zu Pferde, hätten sich Ernauton und Sainte-Maline, als sie durch die Pforte ritten, beinahe erdrückt, damit nicht einer dem andern zuvorkomme. Die beiden Pferde, die nebeneinander gingen, preßten in der Tat die Knie ihrer Reiter zusammen. Das Gesicht Sainte-Malines wurde purpurrot, Ernautons wurde blaß.

»Ihr tut mir wehe, mein Herr,« rief der erstere, als sie außerhalb des Tores waren, »wollt Ihr mich denn zermalmen?« – »Ihr tut mir auch wehe, nur beklage ich mich nicht.«

»Ihr wollt mir, glaube ich, eine Lektion geben.« – »Ich will Euch gar nichts geben.«

»Ho! ho!« versetzte Sainte-Maline, der sein Pferd antrieb, um mehr in der Nähe mit seinem Gefährten sprechen zu können, »wiederholt mir noch einmal dieses Wort!« – »Ihr sucht Streit mit mir, nicht wahr?« sagte Ernauton phlegmatisch. »Schlimm für Euch!«

»Aus welchem Grunde sollte ich Streit mit Euch suchen? Kenne ich Euch?« entgegnete Sainte-Maline verächtlich. – »Ihr kennt mich ganz gut. Einmal, weil dort, woher wir kommen, mein Haus zwei Meilen von dem Eurigen liegt, und ich im Land als Edelmann bekannt bin; sodann, weil Ihr wütend seid, daß Ihr mich in Paris seht, während Ihr allein berufen zu sein glaubtet; und endlich, weil mir der König seinen Brief zu tragen gegeben hat.«

»Wohl! es mag sein,« rief Sainte-Maline, bleich vor Wut, »ich nehme dies alles für wahr an. Doch es geht eines daraus hervor ...« – »Was?«

»Daß ich bei Euch schlimm daran bin.« – »Geht, wenn Ihr wollt, ich halte Euch, bei Gott! nicht zurück.«

»Ihr stellt Euch, als verstündet Ihr nicht.« – »Im Gegenteil, ich verstehe Euch vortrefflich. Es wäre Euch lieb, wenn Ihr mir den Brief nehmen könntet, um ihn selbst zu tragen? Leider müßtet Ihr mich zu diesem Behufe töten.«

»Wer sagt Euch, daß ich nicht Lust dazu habe?« – »Wünschen und tun ist zweierlei.« »Steigt mit mir nur bis zum Rande des Wassers hinab, und Ihr werdet sehen, ob für mich wünschen und tun nicht eines ist.« – »Mein lieber Herr, wenn mir der König einen Brief zu tragen gibt ... so trage ich ihn.«

»Ich werde ihn Euch mit Gewalt entreißen, Ihr Geck.« – »Ihr wollt mich hoffentlich nicht in die Notwendigkeit versetzen, Euch wie einem tollen Hund den Schädel zu zerschmettern?«

»Ihr?« – »Allerdings; ich habe eine große Pistole, und Ihr habt keine.«

»Ah! das wirst du mir bezahlen,« rief Sainte-Maline, der sein Pferd einen Seitensprung machen ließ. – »Ich hoffe es wohl, nachdem ich meinen Auftrag besorgt habe.«

»Schelm.« – »Für den Augenblick nehmt Euch in acht, ich bitte Euch, Herr von Sainte-Maline, denn wir haben die Ehre, dem König zu gehören. Bedenkt, welch ein Triumph für die Feinde Seiner Majestät, wenn sie Uneinigkeit zwischen den Verteidigern des Thrones wahrnähmen.«

Sainte-Maline biß in seine Handschuhe, daß das Blut unter seinem wütenden Zahn hinablief.

»Oh! oh! mein Herr,« sagte Ernauton, »bewahrt Eure Hände, um den Degen zu halten, wenn wir so weit sind.«

»Oh! ich zerberste!« rief Sainte-Maline. – »Dann besorgt Ihr mein Geschäft.«

Man kann nicht wissen, wie weit die wachsende Wut Sainte-Malines gegangen wäre, als plötzlich Ernauton eine Sänfte erblickte, einen Schrei des Erstaunens ausstieß und anhielt, um eine halb verschleierte Dame zu betrachten.

»Mein Page von gestern!« murmelte er.

Die Dame sah nicht aus, als erkennte sie ihn; sie fuhr vorüber, ohne eine Miene zu verziehen, warf sich jedoch in den Hintergrund der Sänfte.

»Cordieu! ich glaube, Ihr laßt mich warten,« sagte Sainte-Maline, »und zwar, um Frauen anzuschauen.« – »Ich bitte Euch um Verzeihung, mein Herr,« versetzte Ernauton und ritt weiter.

Von diesem Augenblick an ritten die jungen Leute in starkem Trab und sprachen nicht einmal mehr, um zu streiten. Sainte-Maline schien äußerlich ziemlich ruhig; in Wirklichkeit bebten aber noch alle Muskeln seines Körpers vor Zorn. Überdies hatte er erkannt, daß er, obgleich ein guter Reiter, im gegebenen Fall Ernauton nicht zu folgen vermöchte, indem sein Pferd weit geringer war, als das seines Gefährten, und schwitzte, ohne nur gelaufen zu sein.

Dies beunruhigte ihn ungemein; um sich zu versichern, was sein Roß zu tun imstande wäre, plagte er es mit der Gerte und mit dem Sporn; das Tier nahm, anders wie Ernauton, den Streit auf, machte einen Seitensprung, bäumte sich sodann, bockte und entledigte sich seines Reiters, nachdem es in das Flüßchen Bièvre gesprungen war.

Man hätte auf eine Stunde die Verwünschungen Sainte-Malines hören können, obgleich sie halb durch das Wasser erstickt wurden. Als es ihm gelungen war, sich wieder auf seine Beine zu stellen, traten ihm die Augen aus den Höhlen, und einige Blutstropfen, die aus seiner geschundenen Stirne flossen, durchfurchten sein Gesicht.

Sainte-Maline schaute umher; sein Pferd war schon wieder die Böschung hinaufgestiegen, und man erblickte nur noch sein Kreuz, woraus hervorging, daß der Kopf dem Louvre zugewendet sein mußte.

Gerädert, mit Kot bedeckt, bis auf die Knochen naß, blutend und gequetscht, begriff Sainte-Maline die Unmöglichkeit, sein Roß wieder einzufangen; nur einen Versuch in dieser Hinsicht zu machen, wäre lächerlich gewesen.

Da erinnerte er sich der Worte, die er zu Ernauton gesagt hatte; als er in der Rue Saint-Antoine nicht eine Minute auf seinen Gefährten warten wollte, warum sollte sein Gefährte die Gefälligkeit haben, ein paar Stunden auf der Straße auf ihn zu warten? Jetzt noch mehr von Verzweiflung, als vorher von Zorn zermartert, zog Sainte-Maline seinen Dolch; einen Augenblick hatte er den Gedanken, sich ihn bis an das Heft in die Brust zu bohren. Was er in diesem Augenblick litt, vermöchte niemand zu sagen, nicht einmal er selbst... Man stirbt an einer solchen Krise, oder wenn man sie aushält, wird man darüber um zehn Jahre älter.

Während Sainte-Maline, die Böschung hinaufsteigend, in seinem trostlosen Geiste tausend finstere Gedanken gegen die anderen und gegen sich selbst hin und her wälzte, erscholl der Galopp eines Pferdes an sein Ohr, und er sah auf der Straße rechts ein Pferd und einen Reiter herbeikommen. Es war von Carmainges mit dem entlaufenen Renner.

Bei diesem Anblick strömte das Herz Sainte-Malines vor Freude über; er fühlte eine Bewegung der Dankbarkeit, die seinem Blick einen milden Ausdruck verlieh. Doch plötzlich verdüsterte sich sein Gesicht; er begriff, in welchem Grade Ernauton über ihm erhaben war, denn er gestand sich, daß er an der Stelle seines Gefährten nicht einmal den Gedanken gehabt hätte, so zu handeln.

Er stammelte einen Dank, ohne daß Ernauton darauf achtete, ergriff wütend den Zaum seines Pferdes und schwang sich, trotz des Schmerzes, in den Sattel.

»Ich danke,« sagte Sainte-Maline zum zweiten Male zu Ernauton, nachdem er sich hundertmal mit seinem Stolz und dem Wohlanstand beraten hatte. Ernauton verbeugte sich nur und berührte seinen Hut mit der Hand. Der Weg kam Sainte-Maline jetzt sehr lang vor.

Ungefähr gegen halb drei Uhr erblickten sie einen Mann, der mit einem Hunde dahinging; er war groß und hatte einen Degen an seiner Seite, doch war es nicht Chicot, obgleich er dieselben würdigen Arme und Beine hatte.

Noch ganz kotig, konnte Sainte-Maline nicht an sich halten; er sah, daß Ernauton weiter ritt und gar nicht auf diesen Mann achtgab. Der Gedanke, seinen Gefährten auf einem Fehler zu ertappen, durchzuckte wie ein boshafter Blitz den Geist des Gaskogners; er ritt auf den Unbekannten zu und redete ihn an.

»Reisender,« fragte er, »erwartet Ihr etwas?« –

Der Reisende schaute Sainte-Maline an, dessen Aussehen, es ist nicht zu leugnen, in diesem Augenblick nicht sehr lieblich war. Das zornverstörte Gesicht, die kotbedeckten Kleider, die blutigen Wangen, seine dicken zusammengezogenen Augenbrauen, eine fieberhafte, mehr drohend als fragend gegen ihn ausgestreckte Hand, dies alles kam dem Fußgänger Unheil weissagend vor.

»Erwarte ich etwas, so erwarte ich keinen Menschen,« antwortete er, »und erwarte ich einen Menschen, so seid Ihr dieser Mensch sicher nicht.«

»Ihr seid sehr unhöflich,« sagte Sainte-Maline, entzückt, endlich eine Gelegenheit zu finden, seinem Zorn die Zügel schießen lassen zu können, und zugleich wütend, daß er durch seinen Irrtum seinem Gegner einen neuen Triumph verschaffte. Und während er sprach, hob er seine mit einer Gerte bewaffnete Hand auf, um den Reisenden zu schlagen; dieser aber schwang seinen Stock, versetzte Sainte-Maline einen Schlag auf die Schulter und pfiff sodann seinem Hund, der dem Pferde an die Beine und dem Reiter an den Schenkel sprang und hier einen Fetzen Fleisch und da ein Stück Stoff abriß.

Durch den Schmerz gestachelt, lief das Pferd abermals davon, ohne daß es Sainte-Maline, der im Sattel blieb, anhalten konnte. So schoß er an Ernauton vorüber, der ihn vorbeireiten sah, ohne nur über sein Mißgeschick zu lächeln.

Als es ihm gelungen war, sein Pferd wieder zu beruhigen, und als ihn Ernauton wieder eingeholt hatte, fing sein Stolz an, nicht abzunehmen, sondern ganz zu schwinden.

»Nun, nun!« sagte er, indem er zu lächeln suchte, »ich habe heute meinen unglücklichen Tag, wie es scheint. Dieser Mensch glich doch sehr dem Porträt, das uns Seine Majestät von dem entworfen hat, den wir aufsuchen sollen.«

»Der, den uns Seine Majestät bezeichnete, hatte keinen Stock und keinen Hund.«

»Es ist wahr, wenn ich es überlegt hätte, so hätte ich eine Quetschung weniger an den Schultern und einen Biß weniger am Schenkel. Wie ich sehe, ist es besser, weise und ruhig zu sein.«

Ernauton antwortete nicht; doch er erhob sich auf den Steigbügeln, hielt die Hand über die Augen und rief: »Dort ist der, den wir suchen; er wartet auf uns.«

»Pest! mein Herr, Ihr habt ein gutes Gesicht,« sagte mit dumpfem Tone Sainte-Maline, eifersüchtig auf diesen neuen Vorzug seines Gefährten. »Ich unterscheide nur einen Punkt und dies mit Mühe.«

Ernauton ritt, ohne etwas zu erwidern, weiter; bald konnte Sainte-Maline ebenfalls den vom König bezeichneten Mann sehen und erkennen. Es ergriff ihn eine schlimme Bewegung. Er trieb sein Pferd vorwärts, um zuerst anzukommen.

Ernauton war darauf gefaßt; er schaute ihn ohne eine Drohung und ohne eine scheinbare Absicht an. Dieser Blick machte, daß Sainte-Maline in sich ging und sein Pferd wieder in Schritt setzte.

Sainte-Maline.

Ernauton hatte sich nicht getäuscht, der bezeichnete Mann war wirklich Chicot. Chicot besaß seinerseits ein gutes Gesicht und ein gutes Gehör; er hatte die Reiter von fern gesehen und gehört. Er vermutete, sie wollten etwas von ihm, und erwartete sie deshalb.

Als ihm in dieser Hinsicht kein Zweifel mehr blieb und er gesehen hatte, daß die Reiter ihre Richtung gegen ihn nahmen, legte er seine Hand an den Griff seines Degens, um eine edle Haltung anzunehmen. Ernauton und Sainte-Maline schauten sich eine Minute lang, beide stumm, an.

»An Euch ist es,« sagte Ernauton, sich vor seinem Gegner verbeugend.

Sainte-Maline erstickte beinahe; die Überraschung durch diese Höflichkeit schnürte ihm die Gurgel zusammen; er antwortete nur, indem er den Kopf neigte.

Als Ernauton sah, daß er schwieg, nahm er das Wort und sagte zu Chicot: »Mein Herr, wir, dieser Herr und ich, sind Eure Diener.«

Chicot verbeugte sich mit seinem anmutigsten Lächeln.

»Wäre es unbescheiden, Euch um Euren Namen zu fragen?« fuhr der junge Mann fort. – »Ich heiße der Schatten, mein Herr.« »Ihr erwartet etwas?« – »Ja.«

»Nicht wahr, Ihr werdet so gut sein, uns zu sagen, was Ihr erwartet?« – »Ich erwarte einen Brief.«

»Ihr begreift unsere Neugierde, mein Herr, sie hat nichts Beleidigendes für Euch.«

Chicot verbeugte sich beständig und zwar mit einem immer freundlicheren Lächeln.

»Woher erwartet Ihr diesen Brief?« – »Vom Louvre.«

»Mit welchem Siegel?« – »Mit dem königlichen Siegel.«

Ernauton legte die Hand an die Brust und fragte: »Ihr würdet diesen Brief erkennen?« – »Ja, wenn ich ihn sehen würde.«

Ernauton zog den Brief aus der Brust.

»Das ist er,« sagte Chicot, »und nicht wahr, Ihr wißt, daß ich Euch etwas dafür geben muß?« – »Einen Empfangschein.«

»Mein Herr,« sagte Ernauton, »ich war vom König bestellt, Euch diesen Brief zu tragen, doch dieser Herr ist beauftragt, ihn Euch zu übergeben.« Und er reichte den Brief Sainte-Maline, der ihn nahm und Chicot in die Hände legte.

Um jede Eifersucht zu ersticken, schrieb Chicot auf Ernautons Rat für jeden der beiden Boten folgenden Empfangschein:

»Aus den Händen des Herrn René von Sainte-Maline den von Herrn Ernauton von Carmainges getragenen Brief empfangen zu haben, bescheinigt

»Der Schatten.«

»Gott befohlen, mein Herr,« sagte Sainte-Maline, der sich seines Scheins bemächtigte.

»Gott befohlen und glückliche Reise,« fügte Ernauton hinzu; »habt Ihr noch etwas anderes im Louvre zu bestellen?« – »Durchaus nichts, meine Herren, großen Dank.«

Ernauton und Sainte-Maline wandten ihre Pferde Paris zu, und Chicot entfernte sich mit einem Schritt, um den ihn das beste Maultier beneidet hätte.

Als Chicot verschwunden war, hielt Ernauton, der kaum hundert Schritte zurückgelegt hatte, sein Pferd kurz an und sagte zu Sainte-Maline: »Nun, mein Herr, steigt ab, wenn Ihr wollt!«

»Und warum?« fragte Sainte-Maline erstaunt.

»Unsere Aufgabe ist vollbracht, und wir können nun ein Wort miteinander reden. Der Ort scheint mir vortrefflich dafür geeignet.«

»Nach Eurem Belieben,« erwiderte Sainte-Maline, indem er vom Pferde stieg, wie es sein Gefährte schon getan hatte.

Als er auf der Erde war, näherte sich ihm Ernauton und sagte: »Ihr wißt, mein Herr, daß Ihr mich ohne Veranlassung und ohne allen Grund auf dem ganzen Wege schwer beleidigt habt. Mehr noch: Ihr wolltet mich bewegen, in einem ungeeigneten Augenblick den Degen in die Hand zu nehmen, und ich weigerte mich. Doch jetzt ist der Augenblick da, und ich bin Euer Mann.«

Sainte-Maline hörte diese Worte mit düsterer Miene und gefalteter Stirn; aber da er nicht mehr in dem Strome des Zornes war, der ihn über alle Grenzen fortgerissen hatte, wollte er sich seltsamerweise nicht mehr schlagen. Die Überlegung hatte ihm seinen gesunden Verstand wiedergegeben.

»Mein Herr,« antwortete er, nachdem er einen Augenblick geschwiegen hatte, »Ihr habt mir meine Beleidigungen durch Dienste erwidert; ich vermöchte daher nicht mehr die Sprache gegen Euch zu führen, die ich vorhin führte.«

Ernauton faltete die Stirn und entgegnete: »Nein, doch Ihr denkt noch, was Ihr vorhin ausspracht.«

»Wer sagt Euch das? Warum?«

»Weil alle Eure Worte vom Haß und Neid diktiert waren, und weil dieser Haß und dieser Neid in den zwei Stunden nicht in Eurem Herzen erloschen sein können.«

Sainte-Maline errötete, antwortete aber nicht.

Ernauton wartete einen Augenblick und fuhr dann fort: »Hat mich der König Euch vorgezogen, so geschah dies, weil ihm mein Gesicht besser gefällt, als das Eurige; bin ich nicht in die Bièvre geraten, so geschah dies, weil ich besser reite, als Ihr; habe ich Eure Herausforderung damals nicht angenommen, so war dies der Fall, weil ich mehr Weisheit besitze, als Ihr; ließ ich mich nicht von dem Hund des Mannes beißen, so war dies die Folge davon, daß ich vorsichtiger bin, als Ihr; fordere ich Euch endlich zu dieser Stunde auf, mir Genugtuung zu geben und den Degen zu ziehen, so ist dies der Fall, weil ich mehr wahre Ehre und, nehmt Euch in acht... wenn Ihr zögert, sage ich, mehr Mut besitze.«

Sainte-Maline bebte, und seine Augen schleuderten Blitze; alle schlimme Leidenschaften hatten nach und nach ihre Brandmale auf sein bleiches Gesicht gedrückt. Bei dem letzten Worte des jungen Mannes zog er seinen Degen wie ein Wütender. Ernauton hatte den seinigen schon in der Hand.

»Hört,« rief Sainte-Maline, »nehmt das letzte Wort, das Ihr gesprochen, zurück, es ist zu viel, Ihr müßt es gestehen, Ihr, der Ihr mich genau kennt, da wir, wie Ihr gesagt, nur zwei Meilen voneinander wohnen; nehmt es zurück, Ihr müßt Euch mit meiner Demütigung begnügen; entehrt mich nicht.«

»Mein Herr, da ich nie in Zorn gerate, so sage ich immer nur, was ich sagen will, folglich werde ich gar nichts zurücknehmen. Ich bin auch empfindlich und neu bei Hofe und will nicht zu erröten haben, sooft ich Euch begegne. Einen Degenstich, wenn's beliebt, das ist ebensowohl zur Genugtuung für mich als für Euch.«

»Oh! mein Herr,« sagte Sainte-Maline, mit düsterm Lächeln, »ich habe mich elfmal geschlagen, und von meinen elf Gegnern sind zwei gestorben. Ich denke. Ihr wißt das noch?«

»Und ich habe mich nie geschlagen, weil sich mir nie eine Gelegenheit geboten hat; ich finde sie nach meinem Wohlgefallen, sie kommt auf mich zu, da ich sie nicht suchte, und ich ergreife sie bei den Haaren. Ich erwarte Euch.«

»Hört,« sagte Sainte-Maline, den Kopf schüttelnd, »wir sind Landsleute, wir sind im Dienste des Königs, zanken wir uns nicht mehr, ich halte Euch für einen wackern Mann; ich würde Euch sogar die Hand bieten, wenn dies nicht beinahe unmöglich wäre. Was wollt Ihr? Ich zeige mich Euch, wie ich bin. Ich bin neidisch, was soll ich machen? Die Natur hat mich an einem schlimmen Tag geschaffen. Herr von Chalabre oder Herr von Montcrabeau oder Herr von Pincorney hätten mich nicht in Zorn gebracht; Euer Verdienst ist es, was meinen Ärger verursacht; tröstet Euch also, da mein Neid nichts gegen Euch vermag und Euch Euer Verdienst zu meinem großen Bedauern bleibt. Wir werden nicht weiter gehen, nicht wahr, ich würde zu sehr leiden, wenn Ihr den Beweggrund unseres Streites sagtet.«

»Niemand wird unseren Streit erfahren, mein Herr.« – »Niemand?« »Nein, denn wenn wir uns schlagen, so werde ich entweder Euch töten oder mich töten lassen. Ich bin keiner von denen, denen wenig am Leben gelegen ist, im Gegenteil, es liegt mir sehr viel daran. Ich zähle dreiundzwanzig Jahre, habe einen schönen Namen, bin nicht ganz arm; ich hoffe auf mich und auf die Zukunft und werde mich, seid unbesorgt, wie ein Löwe verteidigen.« – »Ich zähle schon dreißig Jahre und bin des Lebens ziemlich überdrüssig, denn ich glaube weder an die Zukunft noch an mich; doch obgleich des Lebens überdrüssig, will ich mich lieber nicht mit Euch schlagen.«

»Dann werdet Ihr Euch bei mir entschuldigen?« – »Nein, ich habe genug getan und genug gesagt. Seid Ihr nicht zufrieden, desto besser, dann hört Ihr auf, mir überlegen zu sein.«

»Ich muß Euch daran erinnern, mein Herr, daß man einen Streit nicht so endigt, ohne sich dem Gelächter auszusetzen, wenn beide Gaskogner sind.« – »Das ist es gerade, worauf ich warte.«

»Ihr wartet?« – »Auf einen Lacher!... Oh! das wird ein herrlicher Augenblick für mich sein.«

»Ihr verweigert also den Zweikampf?« – »Ich wünsche mich nicht zu schlagen, versteht sich, mit Euch.«

»Nachdem Ihr mich herausgefordert?« – »Ich gestehe es.«

»Aber wenn mir die Geduld ausgeht, und ich Euch mit dem Degen angreife?« – Sainte-Maline ballte krampfhaft die Fäuste und erwiderte: »Dann desto besser, ich werfe meinen Degen zehn Schritte von mir.«

»Nehmt Euch in acht, mein Herr, denn in diesem Falle bediene ich mich nicht der Spitze.« – »Gut, dann habe ich einen Grund, Euch zu hassen. Und eines Tages, an einem Tage der Schwäche von Eurer Seite, werde ich Euch erwischen, wie Ihr es mit mir getan habt, und Euch in der Verzweiflung töten.«

Ernauton steckte seinen Degen wieder in die Scheide und sagte: »Ihr seid ein seltsamer Mann, und ich beklage Euch aus tiefstem Herzen.« – »Ihr beklagt mich?«

»Ja, denn Ihr müßt furchtbar leiden.« – »Furchtbar.«

»Ihr müßt nie lieben?« – »Nie.«

»Doch Ihr habt wenigstens Leidenschaften?« – »Eine einzige.«

»Die Eifersucht, wie Ihr mir gesagt habt.« – »Ja, und Folge davon ist, daß ich sie alle in einem unsäglichen Grade der Schande und des Unglücks habe, – ich bete eine Frau an, sobald sie einen andern als mich liebt, – ich liebe das Gold, wenn es von einer andern Hand berührt wird, – ich trinke, um den Zorn in mir zu erhitzen, das heißt, um ihn scharf zu machen, wenn er nicht chronisch ist, um ihn ausbrechen und brennen zu lassen, wie Blitz und Donner; – oh! ja, ja, Ihr habt es gesagt, Herr von Ernauton, ich bin unglücklich.«

»Habt Ihr es nie versucht, gut zu werden?« – »Es ist mir nicht gelungen.«

»Was hofft Ihr denn? Was gedenkt Ihr zu tun?« – »Was tut die Giftpflanze? Sie hat Blüten, wie die anderen Pflanzen, und einige Leute wissen Nutzen daraus zu ziehen. Was machen der Bär und der Raubvogel? Sie beißen; doch die Bändiger wissen sie für die Jagd zu dressieren; so bin ich, und so bleibe ich wahrscheinlich in den Händen des Herrn von Epernon und Herrn von Loignac, bis zu dem Tage, wo man sagen wird: diese Pflanze ist schädlich, reißen wir sie aus, dieses Tier ist wütend, töten wir es.«

Ernauton hatte sich allmählich besänftigt. Sainte-Maline war für ihn nicht mehr ein Gegenstand des Zorns, sondern des Studiums; er fühlte beinahe Mitleid mit ihm nach seinem seltsamen Geständnis.

Vergebens suchte Ernauton seinen verzweifelten Partner mit tröstenden Worten aufzurichten.

Dann schlugen beide, stumm und düster, wieder den Weg nach Paris ein. Plötzlich reichte Ernauton Sainte-Maline die Hand und sagte: »Soll ich Euch heilen?« »Kein Wort mehr,« erwiderte Sainte-Maline; »versucht das nicht, Ihr würdet scheitern. Haßt mich im Gegenteil, dies wird das Mittel sein, Euch zu bewundern.«

»Noch einmal, ich beklage Euch,« sagte Ernauton.

Eine Stunde nachher kamen die Reiter in den Louvre zurück und wandten sich nach der Wohnung der Fünfündvierzig. Der König war ausgefahren und sollte erst am Abend zurückkehren.

Zurück in Paris.

Beide jungen Leute stellten sich an das Fenster ihrer kleinen Wohnung, um die Rückkehr des Königs zu erwarten.

Jeder stand hier mit sehr verschiedenen Gedanken. Sainte-Maline ganz von seinem Haß, ganz von seiner Scham, ganz von seinem Ehrgeiz erfüllt, die Stirn gerunzelt, das Herz glühend, Ernauton, das, was vorgefallen, schon wieder vergessend und nur mit einem beschäftigt, nämlich, wer die Frau sein könnte, die er in der Kleidung eines Pagen in Paris eingeführt und nun in einer so reichen Sänfte wiedergefunden hatte.

Hierin lag Stoff genug zum Nachdenken für ein Herz, das mehr zu Liebesabenteuern, als zu ehrgeizigen Plänen geneigt war. Ernauton versenkte sich allmählich in seine Betrachtungen, und zwar so tief, daß er erst, als er den Kopf wieder erhob, bemerkte, daß Sainte-Maline nicht mehr da war.

Ein Blitz durchzuckte seinen Geist. Minder in Anspruch genommen als er, hatte Sainte-Maline auf die Rückkehr des Königs gelauert, der König war zurückgekehrt, und Sainte-Maline befand sich bei ihm.

Er erhob sich rasch, durchschritt die Galerie und kam zu der Tür des Königs gerade in dem Augenblick, wo Sainte-Maline heraustrat. »Seht,« sagte dieser strahlend, »das hat mir der König gegeben.«

Und er zeigte ihm eine goldene Kette.

»Ich mache Euch mein Kompliment,« erwiderte Ernauton, ohne daß seine Stimme die geringste Aufregung verriet. Und er trat ebenfalls beim König ein.

Sainte-Maline hatte sich auf eine Kundgebung der Eifersucht gefaßt gemacht. Er war daher ganz erstaunt über diese Ruhe und wartete, bis Ernauton wieder herauskam. Die zehn Minuten waren Jahrhunderte für ihn.

Endlich trat Ernauton heraus. Sainte-Maline war noch an derselben Stelle; mit einem raschen Blicke überschaute er seinen Gefährten; dann erweiterte sich sein Herz; Ernauton brachte nichts zurück, wenigstens nichts Sichtbares.

»Und Euch?« fragte Sainte-Maline, seinen Gedanken verfolgend, »was hat Euch der König gegeben?« – »Seine Hand zu küssen,« antwortete Ernauton lächelnd.

Sainte-Maline quetschte seine Kette dergestalt in seinen Händen, daß er einen Ring zerbrach.

Beide gingen schweigend nach der Wohnung der Fünfundvierzig zurück.

In dem Augenblick, wo sie in den Saal eintraten, erscholl die Trompete; bei diesem Signal kamen die Fünfundvierzig, jeder aus seiner Abteilung, hervor, wie die Bienen aus ihren Zellen.

Herr von Loignac versammelte sie, um ein Strafgericht zu halten. Er wies die jetzt stattlich herausgeputzten Gaskogner, die bang seinen scharfen Worten lauschten, auf die Ehre und den Nutzen des königlichen Dienstes hin, aber dieser Dienst erfordere treue Ausführung und Geheimhaltung der erhaltenen Befehle. Nun hatten aber zwei der Fünfundvierzig auf offener Straße den von ihnen insgeheim erfahrenen Namen eines eben angekommenen Feindes Seiner Majestät offen ausgesprochen und bekanntgegeben und damit die Pläne des Königs vereitelt.

Die beiden Schuldigen, Pertinax von Montcrabeau und Perdicas von Pincorney, wurden kreidebleich. Auf ihre gestammelten Entschuldigungen erließ ihnen Herr von Loignac die angekündigte härteste Strafe und legte ihnen nur je eine Buße von hundert Livres auf, die Pincorney in Ermangelung baren Geldes durch Verkauf seiner Kette herbeischaffen sollte. Im übrigen kündigte er für Verrat die Todesstrafe, für geringere Vergehen schwere Gefängnisstrafe an. Schließlich gab Loignac den Fünfundvierzig für den Abend den Befehl, ein Drittel von ihnen sollte am Fuße der Treppe zu den Gemächern Sr. Majestät sich aufstellen, ein Drittel sich draußen unauffällig unter das Gefolge der erscheinenden Personen mengen, der Rest endlich in der Wohnung bleiben. Alle gingen hierauf hinaus, nur Ernauton von Carmainges blieb zurück.

»Ihr wünscht etwas, mein Herr?« fragte Loignac. – »Ja,« antwortete Ernauton, sich verbeugend; »mir scheint, Ihr habt vergessen, genau anzugeben, was wir zu tun haben werden. Im Dienste des Königs sein, ist allerdings ein glorreiches Wort; aber ich hätte zu erfahren gewünscht, wie weit dieser Dienst führt.«

»Mein Herr,« erwiderte Loignac, »das ist eine Frage zarter Natur, auf die ich nicht ohne weiteres zu antworten wüßte.« – »Dürfte ich wohl von Euch hören, warum?«

Dies alles wurde mit so ausnehmender Höflichkeit gesprochen, daß Herr von Loignac, gegen seine Gewohnheit, vergebens eine strenge Antwort suchte.

»Weil ich selbst zuweilen am Morgen nicht weiß, was ich am Abend zu tun haben werde.« – »Mein Herr, Ihr seid im Verhältnis zu uns so hoch gestellt, daß Ihr viele Dinge wissen müßt, die wir nicht wissen.«

»Macht es wie ich, Herr von Carmainges; lernt diese Dinge, ohne daß man sie Euch sagt; ich hindere Euch nicht.« – »Ich wende mich an Eure Erleuchtung, weil ich, der ich ohne Haß und ohne Freundschaft an den Hof gekommen bin und von keiner Leidenschaft geleitet werde, Euch, ohne mehr wert zu sein, doch nützlicher werden kann, als ein anderer.«

»Ihr habt weder Haß noch Freundschaft?« – »Nein.«

»Ihr liebt aber doch den König, setze ich voraus?« –.

»Ich muß es und will es, Herr von Loignac, als Diener, wie als Untertan und als Edelmann.«

»Nun wohl! Das ist ein Hauptpunkt, nach dem Ihr Euch richten müßt; seid Ihr ein geschickter Mann, so werdet Ihr damit leicht den entgegengesetzten Gesichtspunkt finden.« – »Sehr gut, mein Herr,« sagte Ernauton, sich verbeugend, »ich habe nun meine Richtung. Es bleibt indessen noch ein Punkt, der mich ungemein beunruhigt.«

»Welcher, mein Herr?« – »Der leidende Gehorsam.«

»Das ist die erste Bedingung.« – »Ich habe dies wohl verstanden, Herr von Loignac, doch der leidende Gehorsam ist zuweilen schwierig für Männer, die im Punkte der Ehre zart fühlen.«

»Das geht mich nichts an, Herr von Carmainges.«

»Wenn Euch jedoch ein Befehl mißfällt?« – »Ich lese die Unterschrift des Herrn von Epernon, und das tröstet mich.«

»Und Herr von Epernon?« – »Herr von Epernon liest die Unterschrift Seiner Majestät und tröstet sich wie ich.«

»Ihr habt recht, und ich bin Euer ergebenster Diener,« sagte Ernauton.

Hierauf machte er einen Schritt, um sich zu entfernen; Loignac hielt ihn zurück.

»Ihr habt gewisse Gedanken in mir erweckt,« sagte er, »und ich werde Euch Dinge sagen, die ich anderen nicht sagen würde, weil diese anderen weder den Mut noch den Anstand hatten, mit mir zu reden, wie Ihr es getan.«

Ernauton verbeugte sich.

»Mein Herr,« fuhr Loignac fort, indem er sich dem jungen Mann näherte, »vielleicht wird diesen Abend irgendein Großer kommen. Verliert ihn nicht aus dem Blick und folgt ihm überallhin, wohin er gehen wird, wenn er den Louvre verläßt.«

»Herr von Loignac, erlaubt mir, Euch zu bemerken, mir scheint, das heißt spionieren?«

»Spionieren! Glaubt Ihr?« versetzte Loignac mit kaltem Tone, »es ist möglich, doch seht ...«

Er zog ein Papier aus seiner Brust und reichte es Carmainges; dieser entfaltete es und las: »Laßt diesen Abend Herrn von Mayenne, wenn er es wagt, sich im Louvre einzufinden, jemand folgen.«

»Unterzeichnet?« fragte Loignac. – »Unterzeichnet von Epernon,« las Carmainges.

»Nun, mein Herr?« – »Es ist richtig,« erwiderte Ernauton, sich tief verbeugend, »ich werde Herrn von Mayenne folgen.« Und er entfernte sich.


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