Dritter Band

Das Laboratorium.

Remy führte die Dame in ein anstoßendes Zimmer, drückte an einer unter einem Brette des Bodens verborgenen Feder und ließ eine Falltür spielen, die sich im Zimmer bis an die Wand erhob. Indem sie sich öffnete, ließ diese Falltür eine finstere, steile, schmale Treppe erblicken; Remy trat zuerst darauf und reichte seinen Arm Diana, die sich darauf stützte und hinter ihm hinabstieg.

Zwanzig Stufen dieser Treppe oder, besser gesagt, dieser Leiter führten in ein kreisförmiges, schwarzes, feuchtes Gewölbe, das nichts anderes enthielt, als einen Ofen mit einem ungeheuren Herd, einem viereckigen Tisch, zwei Strohstühle, eine große Menge von Phiolen und blechernen Büchsen und als einzige Bewohner eine Ziege, die nicht meckerte, und Vögel ohne Stimmen, die an diesem dunklen, unterirdischen Orte die Gespenster der Tiere, mit denen sie Ähnlichkeit hatten, und nicht mehr die Tiere selbst zu sein schienen. In dem Ofen erstarb ein Rest von Feuer, während ein dicker, schwarzer Rauch schweigsam durch eine in der Mauer angebrachte Röhre entfloh. Ein auf den Herd gesetzter Destillierkolben ließ langsam und Tropfen für Tropfen eine goldgelbe Flüssigkeit filtrieren. Diese Tropfen fielen in eine zwei Finger dicke, aber zugleich vollkommen durchsichtige Phiole von weißem Glas, die durch die Röhre des Destillierkolbens, die mit ihr in Verbindung stand, geschlossen war. Diana stieg hinab und blieb mitten unter diesen seltsamen Gegenständen und seltsamen Formen ohne Erstaunen und ohne Schrecken stehen; man hätte glauben sollen, die gewöhnlichen Eindrücke des Lebens könnten keinen Einfluß mehr auf die Frau üben, die schon außerhalb des Lebens lebte.

Remy hieß sie durch ein Zeichen am Fuße der Treppe stehenbleiben. Der junge Mann zündete eine Lampe an, die ein bleiches Licht auf alle von uns genannten Gegenstände warf, die bis jetzt in der Finsternis schliefen oder sich bewegten. Dann näherte er sich einem in dem Gewölbe an einer Wand gegrabenen Brunnen, der weder eine Brüstung noch einen Randstein hatte, befestigte einen Eimer an einen langen Strick und ließ diesen Strick in das Wasser hinab, das düster im Grunde dieses Trichters lag und ein dumpfes Platschen hören ließ; endlich zog er den Eimer voll eiskalten und kristallhellen Wassers wieder herauf.

»Nähert Euch, gnädige Frau,« sagte Remy. Diana näherte sich.

In diese ungeheure Menge Wasser ließ er einen einzigen Tropfen von der in der gläsernen Phiole enthaltenen Flüssigkeit fallen, und die ganze Wassermasse erhielt sogleich eine gelbe Farbe; die Farbe verdunstete sodann, und nach Verlauf von zehn Minuten war das Wasser wieder so durchsichtig wie zuvor.

Nur die starren Augen Dianas verrieten die tiefe Aufmerksamkeit, die sie dieser Operation schenkte.

Remy schaute sie an.

»Nun?« fragte sie. – »Taucht nun,« antwortete Remy, »in dieses Wasser, das weder einen Geschmack noch eine Farbe hat, eine Blume, einen Handschuh, ein Taschentuch, knetet mit diesem Wasser wohlriechende Seife, gießt davon in die Wasserkanne, aus der man schöpft, um sich die Zähne, das Gesicht und die Hände zu reinigen, und Ihr werdet, wie man es vor kurzem am Hofe Karls IX. gesehen hat, die Blume durch ihren Wohlgeruch ersticken, den Handschuh durch seine Berührung vergiften, die Seife durch ihr Eindringen in die Poren töten sehen. Gießt einen einzigen Tropfen von diesem reinen Öl auf den Docht einer Kerze oder einer Lampe, und die Baumwolle wird sich bis aus ungefähr einen Zoll damit schwängern, und eine Stunde lang wird die Kerze oder die Lampe den Tod ausströmen, um hernach so unschuldig zu brennen, wie eine andere Lampe oder eine andere Kerze.«

»Ihr seid dessen, was Ihr sagt, sicher, Remy?« – »Ich habe alle diese Experimente gemacht, gnädige Frau; seht diese Vögel, die nicht mehr schlafen können und nicht fressen wollen,, sie haben Wasser, diesem ähnlich, getrunken. Seht diese Ziege, die mit demselben Wasser besprengtes Gras gefressen hat, sie haart sich, und ihre Augen irren in den Höhlen.«

»Kann man diese Phiole sehen, Remy?« – »Ja, Madame, denn die ganze Flüssigkeit hat sich zu dieser Stunde zu Boden gesetzt; doch wartet!«

Remy trennte sie mit unendlicher Vorsicht von dem Destillierkolben; dann verstopfte er sie sogleich mit einem Pfropfen von weichem Wachs, den er auf der Oberfläche ihrer Mündung abplattete, und reichte, nachdem er diese Mündung noch mit einem Stück Wolle umwickelt hatte, das Fläschchen seiner Gefährtin.

Diana nahm es ohne die geringste Bewegung, hob es in die Höhe der Lampe und sagte, nachdem sie die dichte Flüssigkeit eine Zeitlang betrachtet hatte: »Das genügt; wir wählen, wenn es Zeit sein wird, einen Strauß, Handschuhe, eine Lampe, Seife oder eine Wasserkanne. Hält sich die Flüssigkeit im Metall?« – »Sie zernagt es.«

»Aber dann wird dieses Fläschchen vielleicht zerbrechen?« – »Ich glaube nicht; seht, wie dick der Kristall ist; überdies können wir es in ein goldenes Gefäß einschließen oder vielmehr einschachteln.«

»Ihr seid also zufrieden, nicht wahr, Remy?«

Und etwas wie ein bleiches Lächeln schwebte über die Lippen der Dame und gab ihr jenen Lebensschimmer, den ein Mondstrahl erstarrten Gegenständen verleiht.

»Mehr als je, gnädige Frau, die Bösen bestrafen, heißt das heiligste Vorrecht Gottes üben.«

»Hört, Remy, hört! Es ist der Hufschlag von Pferden auf der Straße, wie mir scheint; Remy, unsere Pferde sind angekommen.«

»Das ist wahrscheinlich, gnädige Frau, und es ist ungefähr die Stunde, wo sie kommen sollen. Noch nun will ich sie wegschicken.«

»Warum?« – »Sind sie nicht unnötig?«

»Statt nach Meridor zu gehen, Remy, gehen wir nach Flandern, behalte die Pferde!« – »Ah! ich verstehe.«

Und nun zuckte in den Augen des Dieners ebenfalls ein Blitz der Freude, der sich nur mit dem Lächeln Dianas vergleichen ließ.

»Aber, Grandchamp,« fügte er hinzu, »was machen wir mit ihm?«

»Grandchamp bedarf der Ruhe, sage ich Euch. Er wird in Paris bleiben und dieses Haus verkaufen, das wir nicht mehr brauchen.« – »Noch alle diese Öfen, diese Retorten, diese Destillierkolben?«

»Was liegt daran, wenn sie andere nach uns finden, da sie hier wären, als wir das Haus kauften?« – »Aber diese Pulver, diese Säuren, diese Essenzen?«

»Ins Feuer damit, ins Feuer.« – »So entfernt Euch!«

»Ich!« – »Ja, oder nehmt wenigstens diese gläserne Maske!«

Remy reichte der Dame eine Maske, die sie vor ihr Gesicht band.

Er selbst drückte sich auf seinen Mund und auf seine Nase einen großen wollenen Pfropfen, setzte den Blasebalg in Bewegung, belebte die Flamme der Kohlen und schüttete, als das Feuer gehörig brannte, die Pulver daraus, die ein lustiges Geknister von sich gaben und teils in grünen Feuern aufzuckten, teils sich in schwefelblassen Funken verflüchtigten; dann goß er die Essenzen darauf, und statt die Flammen auszulöschen, stiegen diese wie Feuerschlangen mit einem Geräusch, dem eines entfernten Donners ähnlich, in die Röhre auf.

Als alles verzehrt war, sagte Remy: »Ihr habt recht, Madame, wenn nun einer das Geheimnis dieses Kellers entdeckt, wird er glauben, ein Alchimist habe ihn bewohnt; heute verbrennt man noch die Zauberer, aber man achtet die Alchimisten.«

»Ei! wenn man uns verbrennen würde, so wäre dies, wie mir scheint, nur Gerechtigkeit, sind wir nicht Giftmischer? .... und wenn ich an dem Tage, an dem ich den Scheiterhaufen besteige, nur meine Aufgabe erfüllt habe, so widerstrebt mir diese Todesart nicht mehr, als irgendeine andere; die Mehrzahl der alten Märtyrer ist so gestorben.«

Remy machte eine Gebärde der Zustimmung, nahm sodann seine Phiole aus den Händen seiner Gebieterin und packte sie sorgfältig wieder ein.

In diesem Augenblick klopfte man an die Haustür.

»Es sind Eure Leute, Madame, Ihr habt Euch nicht getäuscht. Steigt rasch wieder hinauf und antwortet, während ich die Falltür schließe.«

Die Dame gehorchte. Ein und derselbe Gedanke lebte so sehr in diesen beiden Körpern, daß es schwer gewesen wäre zu sagen, wer von beiden den andern beherrschte. Remy stieg hinter ihr hinauf, drückte an der Feder, und das Gewölbe schloß sich wieder.

Diana fand Grandchamp an der Tür; durch das Geräusch aufgeweckt, war er hinabgegangen, um zu öffnen. Der Greis war nicht wenig erstaunt, als er die nahe bevorstehende Abreise seiner Gebieterin erfuhr, die sie ihm mitteilte, ohne ihm zu sagen, wohin sie ging.

»Grandchamp, mein Freund,« sagte sie, »Remy und ich gehen, um eine Pilgerfahrt zu vollbringen, die wir längst gelobt; Ihr werdet mit Niemand von dieser Reise sprechen und meinen Namen keinem Menschen offenbaren.«

»Oh! ich schwöre es Euch, gnädige Frau,« sagte der alte Diener; »aber man wird Euch doch wiedersehen?«

»Gewiß, Grandchamp, gewiß; sieht man sich nicht immer wieder, wo nicht in dieser Welt, doch wenigstens in jener? Doch, Grandchamp, dieses Haus wird für uns unnütz.«

Diana zog aus einem Schranke ein Bündel Papiere.

»Hier sind die Urkunden, die das Eigentum begründen. Ihr werdet das Haus vermieten oder verkaufen. Habt Ihr in einem Monat weder einen Mietsmann noch einen Käufer gefunden, so verlaßt Ihr es einfach und lehrt nach Meridor zurück.«

»Und wenn ich einen Käufer finde, gnädige Frau, um wieviel soll ich es verkaufen?« – »Macht den Preis, wie Ihr wollt.«

»Dann bringe ich das Geld nach Meridor.« – »Ihr behaltet es für Euch, mein alter Diener.«

»Wie, gnädige Frau, eine solche Summe!« – »Allerdings. Bin ich Euch das nicht für Eure guten Dienste schuldig, Grandchamp? Und dann, habe ich nicht außer meiner Schuld gegen Euch die meines Vaters zu bezahlen?« – »Doch ohne einen Vertrag, ohne eine Vollmacht kann ich nichts tun, gnädige Frau.«

»Er hat recht,« sagte Remy.

»Findet ein Mittel,« sagte Diana.

»Nichts kann einfacher sein. Dieses Haus ist auf meinen Namen gekauft worden, ich verkaufe es an Grandchamp, der es auf diese Art, an wen er will, wiederverkaufen kann.«

»Tut das!«

Remy nahm eine Feder und schrieb unten an den Kaufvertrag den Wiederverkauf.

»Nun lebt wohl,« sagte die Dame von Monsoreau zu Grandchamp, »laßt die Pferde vorführen, wahrend ich die Vorbereitungen beendige.«

Diana ging wieder in ihr Zimmer hinaus, schnitt mit einem Dolche die Leinwand des Porträts aus, rollte es zusammen, hüllte es in ein Stück Seide und legte die Rolle in die Reiseliste.

Der leere, gähnende Rahmen schien noch beredter als zuvor alle Schmerzen zu erzählen, die er gehört hatte.

Der Herzog von Anjou in Flandern.

Achtzig Meilen nördlich von Paris schwebten der Lärm französischer Stimmen und die Lilienfahne über einem französischen Lager am Ufer der Schelde.

Es war Nacht; in einem ungeheuern Kreis liefen regelmäßige Feuer an der breiten Scheibe um Antwerpen und spiegelten sich in dem tiefen Wasser.

Die gewöhnliche Einsamkeit der Polder mit dem düsteren Grün belebte sich durch das Wiehern der französischen Pferde. Von den Wällen der Stadt herab sahen die Schildwachen im Feuer der Biwaks die Musketen der französischen Schildwachen wie einen flüchtigen, fernen Blitz glänzen, den die Breite des zwischen das Heer und die Stadt geworfenen Flusses ebenso harmlos machte, wie das Wetterleuchten an einem schönen Sommerabend.

Dieses Heer war das des Herzogs von Anjou, der sich nach einigen glücklichen Erfolgen vor Antwerpen gelagert hatte, um diese Stadt zu bezwingen, die der Herzog von Alba, Requesens, Don Juan und der Herzog von Parma nach und nach unter ihr Joch gebeugt, ohne sie je zu erschöpfen, ohne sie einen Augenblick zur Sklavin zu machen.

Antwerpen hatte den Herzog von Anjou gegen Alexander Farnese zu Hilfe gerufen; als der Herzog von Anjou seinerseits in Antwerpen einziehen wollte, drehte Antwerpen seine Kanonen gegen ihn.

Das Lager des Herzogs von Anjou und Brabant war auf beiden Ufern der Scheide; trotz guter Mannszucht herrschte aber in der Armee ein leichtbegreiflicher Geist der Unentschiedenheit.

Es unterstützten in der Tat viele Kalvinisten den Herzog von Anjou, nicht aus Sympathie für ihn, sondern um Spanien und den Katholiken in Frankreich und England so unangenehm wie möglich zu sein; sie schlugen sich also mehr aus Eitelkeit als aus Überzeugung und aus Ergebenheit, und man fühlte wohl, daß sie nach Beendigung des Feldzuges den Chef verlassen oder ihm Bedingungen auferlegen würden.

Was übrigens diese Bedingungen betrifft, so ließ der Herzog glauben, wenn die Stunde gekommen wäre, würde er sie von selbst zugestehen. Sein Lieblingswort war: »Heinrich von Navarra ist wohl Katholik geworden, warum sollte Franz von Frankreich nicht Hugenott werden?«

Auf der andern Seite bestanden dagegen entschiedene und einheitliche Grundsätze. Antwerpen hatte sich anfangs ergeben wollen, doch unter bestimmten Bedingungen und zu bestimmter Stunde; es behielt sich vor zu warten, stark durch seine Lage, durch den Mut und die Kriegserfahrenheit seiner Einwohner. Es wußte überdies, daß es, wenn es den Arm ausstreckte, außer dem Herzog von Guise, der beobachtend in Lothringen lag, Alexander Farnese in Luxemburg fand; warum sollte es nicht im Falle der Not die Hilfe Spaniens gegen Anjou annehmen, wie es die Hilfe Anjous gegen Spanien angenommen hatte... entschlossen, Spanien später wieder zurückzustoßen?

Diese langweiligen Republikaner hatten die eherne Kraft des gefunden Verstandes für sich. Plötzlich sahen sie eine Flotte an der Mündung der Scheide erscheinen und erfuhren, diese Flotte komme mit dem Großadmiral von Frankreich, und dieser Großadmiral bringe ihrem Feinde Hilfe, denn, seitdem er Antwerpen belagerte, war der Herzog von Anjou natürlich der Feind der Antwerpner geworden.

Als die Kalvinisten des Herzogs von Anjou die Flotte erblickten und von Joyeuses Ankunft erfuhren, wurden sie fast so unwillig wie die Flamländer. Die Kalvinisten waren nämlich sehr eifersüchtig; sie gingen leicht über Geldfragen weg, liebten es aber nicht, daß man ihre Lorbeerkränze beschnitt, besonders nicht mit Schwertern, die dazu gedient hatten, in der Bartholomäusnacht so viele Hugenotten bluten zu lassen.

Hieraus entwickelten sich viele Streitigkeiten, die am Abend von Joyeuses Ankunft begannen und am andern und am zweiten Tage fortgesetzt wurden.

Von ihren Wällen herab hatten die Antwerpener jeden Tag das Schauspiel von zehn bis zwölf Duellen zwischen Katholiken und Hugenotten. Die Polder dienten als Schranken, und man warf in den Fluß mehr Tote, als die Franzosen ein Treffen im freien Felde gekostet hätte. Hätte die Belagerung von Antwerpen, wie die von Troja, neun Jahre gedauert, so würden die Belagerten zur Not nichts anderes zu tun gehabt haben, als den Belagerern zuzuschauen, denn diese hätten sich sicher selbst aufgerieben.

Bei all diesen Streitigkeiten versah Franz das Geschäft eines Vermittlers, doch nicht ohne ungeheure Schwierigkeiten; man hätte sich gegen die französischen Hugenotten verbindlich gemacht; diese verletzen, hieß sich die moralische Unterstützung der flämischen Hugenotten entziehen, die in Antwerpen Hilfe leisten konnten.

Den Katholiken schlimm begegnen, die vom König abgesandt waren, um sich in seinem Dienste töten zu lassen, war für den Herzog von Anjou eine nicht nur unpolitische, sondern auch gefährliche Sache. Die Ankunft dieser Verstärkung, auf die er selbst nicht rechnete, stürzte die Hoffnungen der Spanier nieder, und die Lothringer waren darüber außer sich vor Wut.

Joyeuse fühlte sich sehr unbehaglich inmitten dieser Massen von so verschiedenartiger Denkungsart. Er fand auch im Ernste und sprach es laut aus, der Herzog von Anjou habe unrecht gehabt, Antwerpen zu belagern; der Prinz von Oranien, der ihm diesen hinterlistigen Rat gegeben, war seitdem verschwunden, und man wußte nicht, was aus ihm geworden; sein Heer lag in dieser Stadt in Garnison, und er hatte dem Herzog von Anjou die Unterstützung dieses Heeres versprochen: doch man vernahm durchaus nichts davon, daß eine Spaltung zwischen den Soldaten und den Antwerpenern stattfinde, und es hatte von keinem einzigen Duell zwischen den Belagerten verlautet.

Während unter seinen Kapitänen Rat gepflogen wurde, saß oder lag vielmehr der Herzog auf einem langen Lehnstuhle, der zur Not als Ruhebett dienen konnte, und hörte nicht auf die Ansichten des Großadmirals von Frankreich, der von der Belagerung abriet, sondern aus das Geflüster, seines Lautenspielers Aurilly.

Durch seine Gefälligkeiten, seine niedrigen Schmeicheleien und sein beständiges Anschmiegen hatte Aurilly die Gunst des Prinzen gefesselt; nie hatte er ihm gedient, wie es die andern Freunde getan, indem sie sich dem König oder sonstigen mächtigen Personen entgegengestellt, und so war es ihm gelungen, die Klippe zu vermeiden, an der La Mole Coconnas, Bussy und so viele andere zerschellten.

Mit seiner Laute, seinen Liebesbotschaften, der genauen Kenntnis aller Intrigen und Personen des Hofes, seinen geschickten Maßnahmen, um die Beute in hie Netze des Herzogs zu treiben, nach der er begehrte, hatte sich Aurilly unter der Hand ein großes Vermögen ergattert, das geschickt untergebracht war, so daß er immer nur der arme Musiker Aurillri zu sein schien. Sein Einfluß war ungeheuer, weil er geheim war.

Als ihn Joyeuse in seine strategischen Auseinandersetzungen eingreifen und die Aufmerksamkeit des Herzogs ablenken sah, brach er den Faden seiner Rede kurz ab. Franz sah aus, als hörte er nicht; doch er hörte recht gut; es entging ihm auch Joyeuses Ungeduld nicht, und er fragte auf der Stelle: »Was habt Ihr, Herr Admiral?«

»Nichts, Monseigneur; ich warte nur, bis Eure Hoheit Muße hat, mich zu hören.« »Ich höre wohl, Herr von Joyeuse, ich höre,« erwiderte rasch der Herzog. »Ah! Ihr Pariser glaubt, der Krieg in Flandern habe mich stumpf gemacht, da ihr denkt, ich könne nicht zwei Personen zu gleicher Zeit sprechen hören, wahrend Cäsar sieben zugleich Briefe diktierte!«

»Monseigneur!« entgegnete Joyeuse, indem er dem armen Musiker einen Blick« zuwarf, unter dem sich dieser mit seiner gewöhnlichen Demut bückte, »ich bin kein Sänger, daß man mich zu begleiten braucht, wenn ich spreche.«

»Gut, gut, Herzog; schweigt, Aurilly!«

Aurilly verbeugte sich.

»Ihr billigt also meinen Handstreich auf Antwerpen nicht, Herr von Joyeuse?« fuhr Franz fort. – »Nein, Monseigneur.«

»Ich habe diesen Plan im Rate angenommen.«

»Ich ergreife auch nur mit großer Zurückhaltung das Wort nach so erfahrenen Kapitänen,« sagte Joyeuse.

Mehrere Stimmen erhoben sich, um dem Großadmiral zu bestätigen, seine Meinung sei auch, die ihrige. Andere machten, ohne zu sprechen, Zeichen, des Beifalls.

»Wie, Saint-Aignan, Ihr seid nicht der Ansicht Joyeuses, nicht wahr?« sagte der Prinz zu einem seiner ersten Obersten.

»Noch, Monseigneur,« antwortete Herr von Saint-Aignan.

»Ah! deshalb verzogt Ihr das Gesicht.«

Alle lachten. Joyeuse erbleichte, der Graf errötete.

»Wenn der Herr Graf von Saint-Aignan seine Ansicht aus diese Art zu geben pflegt, so ist er kein sehr höflicher Rat,« sagte Joyeuse.

»Herr von Joyeuse,« erwiderte Saint-Aignan lebhaft, »Seine Hoheit hat unrecht gehabt, mir ein Gebrechen vorzuwerfen, das ich in ihrem Dienste bekommen habe; bei der Belagerung von Chateau-Cambrésis erhielt ich einen Lanzenstich in den Kopf, und seit jener Zeit habe ich Nervenzuckungen, die mich das Gesicht verziehen lassen ... Dies ist indessen keine Entschuldigung, Herr von Joyeuse, sondern eine Erklärung,« sagte stolz der Graf, indem er sich umwandte.

»Nein, mein Herr,« sagte Joyeuse, ihm die Hand reichend, »das ist ein Vorwurf, den Ihr macht, und Ihr habt recht.«

Dem Herzog Franz stieg das Blut ins Gesicht.

»Und wem dieser Vorwurf?« fragte er.

»Mir wahrscheinlich, Monseigneur.«

»Warum sollte Saint-Aignan Euch einen Vorwurf machen, Herr von Joyeuse, Euch, den er nicht kennt?«

»Weil ich einen Augenblick glauben konnte, Herr von Saint-Aignan liebe Eure Hoheit so wenig, daß er ihr Antwerpen zu nehmen riete.«

»Aber meine Stellung muß sich doch endlich im Lande hervorheben,« rief der Prinz. »Ich bin Herzog von Brabant und Graf von Flandern dem Namen nach. Ich muß es auch der Sache nach sein. Dieser Schweigsame, der sich, ich weiß nicht wo, verbirgt, hat mir von einem Königreich gesprochen. Wo ist es, dieses Königreich? In Antwerpen. Wo ist er? Auch in Antwerpen wahrscheinlich. Nun wohl, ich muß Antwerpen nehmen, und ist es genommen, so werden wir wissen, woran wir uns zu halten haben.«

Trotz aller triftigen Gegengründe des Admirals, und obwohl dieser ihn, nachdem die andern das Zimmer verlassen hatten, unter vier Augen darauf hinwies, daß Franz bei einer Niederlage nicht nur den Spaniern und Flamländern zum Triumph verhelfen würde, sondern auch seinem Vetter Guise, der sich anschicke, im trüben zu fischen, trotz alledem blieb der Herzog bei seiner Meinung und sagte zu den übrigen Anwesenden, als diese sich wieder eingefunden hatten:

»Meine Herren, es bleibt beim Sturm; der Regen hat aufgehört, das Terrain ist gut, wir greifen diese Nacht an.« Joyeuse verbeugte sich und fragte: »Wird Monseigneur die Gnade haben, uns seine Befehle auseinanderzusetzen? Wir erwarten sie.«

»Ihr habt acht Schiffe, die Admiralsgaleere nicht gerechnet, Herr von Joyeuse?« – »Ja, Hoheit.«

»Ihr brecht die Linie, und das wird leicht sein, da die Antwerpener nur Handelsschiffe im Hafen haben; dann legt Ihr vor dem Kai an. Wird der Kai verteidigt, so beschießt Ihr die Stadt und versucht zugleich eine Landung von fünfzehnhundert Mann.

»Aus dem Rest der Armee mache ich zwei Säulen, die eine kommandiert der Herr Graf von Saint-Aignan, die andere ich selbst. Beide werden mit Sturmleitern vorgehen, sobald die ersten Kanonen donnern.

»Die Kavallerie bleibt in Reserve, um den Rückzug zu decken.

»Von diesen drei Angriffen wird sicher einer gelingen. Das erste Korps, das sich auf dem Walle festgestellt hat, brennt eine Rakete ab, um die anderen an sich zu ziehen.«

»Doch man muß alles vorhersehen, Monseigneur,« sagte Joyeuse. »Nehmen wir an, was Ihr nicht für annehmbar haltet, daß jeder von den drei Angriffen zurückgeschlagen wird.«

»Dann erreichen wir die Schiffe unter dem Feuer unserer Batterien, und wir breiten uns auf den Poldern aus, wo die Antwerpener nicht wagen werden uns aufzusuchen.«

Man verbeugte sich zum Zeichen der Beistimmung.

»Nun, meine Herren, hauptsächlich Stille,« sagte der Herzog. »Man wecke die schlafenden Truppen und schiffe sich in Ordnung ein; nicht ein Feuer, nicht ein Musketenschuß offenbare unsern Platz! Ihr werdet im Hafen sein, Admiral, ehe die Antwerpener Eure Abfahrt vermuten. Wir, die wir hinüberfahren und dem linken Ufer folgen, kommen zugleich mit Euch an.

»Geht, meine Herren, und guten Mut! Das Glück, das uns bis jetzt gefolgt ist, wird uns sicher über die Scheide begleiten.«

Die Kapitäne verließen das Zelt des Prinzen und gaben ihre Befehle. Bald ließ der ganze menschliche Ameisenhaufen ein Gemurmel vernehmen; doch man konnte glauben, es wäre das des Windes, der in den riesigen Rohren und im dichten Grase der Polder spielte. Der Admiral hatte sich an Bord begeben.

Monseigneur.

Die Antwerpener schauten indessen den feindlichen Vorkehrungen des Herzogs von Anjou nicht ruhig zu, und Joyeuse täuschte sich nicht, wenn er ihnen allen möglichen schlimmen Willen zuschrieb. Antwerpen war wie ein Bienenkorb, wenn der Abend kommt: ruhig, und verlassen außen, Gesumm und Bewegung im Innern.

Die bewaffneten Flamländer patrouillierten in den Straßen, verrammelten ihre Häuser, verdoppelten die Ketten und schlossen Brüderschaft mit den Bataillonen des Prinzen von Oranien, von denen schon ein Teil in Antwerpen in Garnison lag, während ein anderer Teil in Gruppen zurückkehrte, die, sobald sie herein waren, sich in der Stadt zerstreuten.

Als alles zu einem kräftigen Widerstand bereit war, kam der Prinz von Oranien an einem finsteren, mondlosen Abend, ohne alles Gepränge, aber mit der Ruhe und Entschiedenheit in die Stadt, die stets bei Ausführung seiner Entschlüsse, wenn diese einmal gefaßt waren, herrschten.

Er stieg im Stadthause ab, wo seine Vertrauten alles zu seiner Aufnahme bereithielten.

Hier empfing er alle Viertelsherren und Hauptleute der Stadt, ließ die besoldeten Truppen die Revue passieren und versammelte sodann die vornehmsten Offiziere um sich, um ihnen seine Pläne mitzuteilen. Unter seinen Plänen stand obenan, das Unternehmen des Herzogs von Anjou gegen die Stadt zu benützen, um mit ihm zu brechen. Der Herzog von Anjou tat, was der Schweigsame gewünscht hatte, und dieser sah zu seiner großen Freude den neuen Bewerber um die souveräne Gewalt im Lande sich wie die anderen zugrunde richten.

An demselben Abend, an dem der Herzog von Anjou sich, wie wir gesehen, zum Angriff anschickte, hielt der Prinz von Oranien, der seit zwei Tagen in der Stadt war, eine Beratung mit dem Kommandanten des Platzes.

Bei jedem Einwurf, den der Gouverneur gegen den Offensivplan des Herzogs von Oranien machte, schüttelte der Prinz den Kopf wie ein Mensch, der über eine solche Unsicherheit erstaunt ist.

Doch bei jedem Kopfschütteln erwiderte der Kommandant des Platzes: »Prinz, Ihr wißt, daß es ausgemacht ist, daß Monseigneur kommen muß; erwarten wir ihn also.«

Dieses magische Wort machte, daß der Schweigsame die Stirn faltete; doch während er die Stirn faltete und vor Ungeduld an den Nägeln kaute, wartete er. Dann heftete jeder seinen Blick auf eine Uhr mit schweren Schlägen und schien das Werk zu bitten, die Ankunft der so ungeduldig erwarteten Person zu beschleunigen.

Es schlug neun Uhr; die Ungewißheit war zu wirklicher Angst geworden; einige Wachen behaupteten, eine Bewegung im französischen Lager bemerkt zu haben.

Eine kleine Barke war auf der Scheide abgeschickt worden; unruhiger über das, was auf der Seeseite, als über das, was auf dem Lande vorging, wünschten die Antwerpener genaue Nachricht über die französische Flotte zu erhalten, aber die kleine Barke war nicht zurückgekehrt.

Der Prinz von Oranien stand auf, biß vor Zorn auf seine büffelledernen Handschuhe und sagte zu den Antwerpenern: »Monseigneur wird euch so lange warten lassen, meine Herren, daß Antwerpen genommen und verbrannt ist, wenn er ankommt; die Stadt wird dann darüber urteilen können, welcher Unterschied in dieser Hinsicht zwischen den Spaniern und den Franzosen stattfindet.«

Diese Worte waren nicht geeignet, die Herren bürgerlichen Offiziere zu beruhigen; sie schauten sich auch mit großer Bewegung an.

In diesem Augenblick kam ein Spion, den man auf die Straße nach Mecheln geschickt hatte, und der bis Saint-Nicolas geritten war, zurück und meldete, er habe weder etwas gesehen noch gehört, was die Ankunft der erwarteten Person verkündigt hätte.

»Meine Herren,« rief der Schweigsame bei dieser Nachricht, »ihr seht, wir würden vergebens warten; gehen wir selbst vorwärts, die Zeit drängt. Es ist gut, Vertrauen auf höhere Talente zu haben, aber ihr seht, daß man sich vor allem auf sich selbst verlassen muß. Beraten wir also.«

Er hatte noch nicht vollendet, als der Türvorhang aufgehoben wurde; ein Diener der Stadt trat ein und sprach das einzige Wort, das in diesem Augenblick tausend andere wert zu sein schien: »Monseigneur!«

In dem Tone dieses Mannes, in der Freude, die er bei Erfüllung seiner Pflicht als Huissier offenbarte, vermochte man die Begeisterung des Volkes und sein ganzes Vertrauen auf den zu lesen, den man mit dem unbestimmten und ehrfurchtsvollen Namen: Monseigneur! nannte.

Kaum war der Ton der bebenden Stimme erloschen, als ein Mann von hoher, gebieterischer Gestalt, der mit der höchsten Anmut den Mantel trug, der ihn ganz umhüllte, in den Saal trat und die Anwesenden höflich grüßte.

Doch mit dem ersten Blick fand sein stolzes, durchdringendes Auge den Prinzen mitten unter den Offizieren heraus. Er ging gerade auf ihn zu und reichte ihm die Hand.

Der Prinz drückte diese Hand herzlich und beinahe ehrfurchtsvoll. Beide nannten einander Monseigneur.

Nach diesem kurzen Austausch von Höflichkeiten legte der Unbekannte seinen Mantel ab. Er trug ein Wams von Büffelleder, tuchene Beinkleider und lange lederne Stiefel. Bewaffnet war er mit einem langen Degen, der einen Teil nicht seines Kostüms, sondern seiner Glieder zu bilden schien, so leicht spielte er an seiner Seite; ein kleiner Dolch stak in seinem Gürtel, neben dem eine mit Papieren gefüllte Ledertasche hing.

In dem Augenblick, als er seinen Mantel abwarf, konnte man seine langen Stiefel ganz von Staub und Kot befleckt und seine Sporen blutgerötet sehen.

Er nahm an der Ratstafel Platz und fragte: »Nun, wie weit sind wir, Monseigneur?« – »Monseigneur,« antwortete der Schweigsame, »Ihr mußtet, als Ihr hierherkamt, sehen, daß die Straßen verrammelt sind.«

»Ich habe das bemerkt.« – »Und die Häuser mit Schießscharten versehen,« sagte ein Offizier.

»Was konnte ich nicht sehen, doch es ist eine gute Vorsichtsmaßregel.« – »Und die Ketten verdoppelt,« sagte ein anderer.

»Vortrefflich,« – »Monseigneur billigt diese Vorkehrungen zur Verteidigung nicht?« fragte eine Stimme, der Unruhe und Verdruß leicht anzumerken waren.

»Doch, doch,« sagte der Unbekannte; »aber ich glaube nicht, daß sie zur Zeit sehr nützlich sind; sie ermüden die Soldaten und beunruhigen die Bürger. Ich denke, Ihr habt einen Angriffs- und Verteidigungsplan?« – »Wir erwarteten Monseigneur, um ihn mitzuteilen,« antwortete der Bürgermeister.

»Sprecht, meine Herren, sprecht!« – »Monseigneur ist ein wenig spät gekommen, und mittlerweile mußte ich handeln lassen,« fügte der Prinz hinzu.

»Und Ihr habt wohlgetan, Monseigneur; man weiß überdies, daß Ihr, wenn Ihr handelt, gut handelt. Glaubt mir, ich habe meine Zeit auf dem Wege auch nicht verloren.«

Dann wandte er sich zu den Bürgern.

»Wir wissen, daß sich eine Bewegung im Lager der Franzosen vorbereitet,« sagte der Bürgermeister; »sie treffen Anstalten zu einem Angriff; doch da wir nicht wissen, von welcher Seite der Angriff stattfinden wird, so haben wir unsere Kanonen so aufgepflanzt, daß sie gleichmäßig auf der ganzen Ausdehnung des Walles verteilt sind.«

»Das ist weise,« erwiderte der Unbekannte mit leichtem Lächeln, wobei er verstohlen den Schweigsamen anschaute, der, obgleich ein Kriegsmann, schwieg und die Bürger reden ließ.

»Dasselbe ist mit unsern bürgerlichen Truppen geschehen,« fuhr der Bürgermeister fort; »sie sind in doppelten Posten auf der ganzen Ausdehnung der Mauern verteilt und haben Befehl, auf der Stelle zum Angriffspunkte zu eilen. Übrigens handelt es sich sicher nur um eine Finte, um uns zu einem Vergleich geneigt zu machen.«

»Ei! meine Herren,« entgegnete der Unbekannte, »ihr seid in einem völligen Irrtum; es ist keine Finte, was bevorsteht, sondern ein regelrechter Angriff, den ihr auszuhalten habt.« – »Wahrhaftig?«

»Eure Pläne sind unvollständig.« – »Aber, Monseigneur...« erwiderten die Bürger.

»Unvollständig, insofern, als ihr einen Angriff erwartet und alle eure Maßregeln dafür genommen habt.« – »Allerdings.«

»Nun! diesen Angriff werdet ihr nach meinem Dafürhalten nicht abwarten, sondern machen.« – »Das gefällt mir,« rief der Prinz von Oranien, »das heiße ich sprechen.«

»In diesem Augenblick,« fuhr der Unbekannte fort, froh, beim Prinzen von Oranien eine Unterstützung zu finden, »in diesem Augenblick machen sich die Schiffe des Herzogs von Joyeuse segelfertig.« – »Woher wißt Ihr das?« riefen gleichzeitig der Bürgermeister und die andern Mitglieder des Rates.

»Ich weiß es,« erwiderte der Unbekannte. – Ein Murmeln des Zweifels durchzog wie ein Hauch die Versammlung; aber so leicht es auch war, streifte es doch die Ohren des geheimnisvollen Kriegsmannes. »Zweifelt ihr daran?« fragte er mit der größten Ruhe. – »Wir zweifeln nicht daran, da Ihr es sagt, Monseigneur. Doch Eure Hoheit erlaube uns, zu bemerken...«

»Nun?« – »Daß, wenn dem so wäre...«

»Nun?« – »Wir Nachricht darüber hätten.«

»Durch wen?« – »Durch unsern Seespion.«

In diesem Augenblick trat ein Mensch, vom Huissier geschoben, schwerfällig in den Saal, machte ehrfurchtsvoll ein paar Schritte auf den geglätteten Platten und ging halb auf den Bürgermeister, halb auf den Prinzen von Oranien zu.

Es war der vom Bürgermeister ausgesandte Späher. Dieser berichtete, er sei mit seinem Boot die Schelde hinabgefahren, dort habe er plötzlich hinter sich rufen hören: »Admiralsbarke!« Gleich darauf habe er einen furchtbaren Stoß erhalten und sei im Strom versunken; aber die Schelde habe ihren alten Freund erkannt und wiedergegeben.

»Nun!« fragte der Unbekannte den Bürgermeister, »was sagt Ihr zu diesem Berichte? Zweifelt Ihr noch, daß sich die Franzosen segelfertig machen, und glaubt Ihr, Herr von Loyeuse begebe sich aus dem Lager auf die Admiralsgaleere, um die Nacht an Bord zuzubringen?« – »Ihr seid also ein Seher, Monseigneur?« riefen die Bürger.

»Nicht mehr als Monseigneur der Prinz von Oranien, der, wie ich fest überzeugt bin, in allen Dingen meiner Ansicht ist. Doch wie Seine Hoheit bin ich gut unterrichtet und kenne auch die Leute dort.«

Und er wies mit der Hand nach den Poldern.

»Ich wäre somit,« fuhr er fort, »sehr erstaunt gewesen, wenn ich sie nicht in dieser Nacht hätte angreifen sehen ... Haltet euch also bereit, meine Herren, denn wenn ihr ihnen die Zeit gönnt, werden sie euch ernstlich angreifen.«

»Diese Herren werden mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß ich vor Eurer Ankunft, Monseigneur, gerade so zu ihnen sprach, wie Ihr nun sprecht.«

»Aber wie glaubt Monseigneur, daß die Franzosen angreifen werden?« fragte der Bürgermeister.

»Folgendes ist wahrscheinlich: Die Infanterie ist katholisch, sie wird sich allein schlagen, das heißt sie wird auf einer Seite angreifen. Die Kavallerie ist kalvinistisch und wird sich auch allein schlagen. Zwei Seiten. Die Marine gehört Herrn von Joyeuse; er wird seinen Anteil am Kampf und am Ruhm haben wollen. Drei Seiten.«

»Machen wir also drei Korps,« sagte der Bürgermeister.

»Macht eins, meine Herren, macht eins mit allem, was ihr an besten Soldaten habt, und laßt die minder Verläßlichen zur Bewachung der Mauern zurück! Mit diesem Korps unternehmt sodann einen kräftigen Ausfall in dem Augenblick, in dem es die Franzosen am wenigsten erwarten. Sie glauben anzugreifen, man muß ihnen zuvorkommen und sie angreifen; wenn ihr sie beim Sturm erwartet, so seid ihr verloren, da die Franzosen beim Sturm nicht ihresgleichen haben, wie ihr, meine Herren, nicht euresgleichen habt, wenn ihr im freien Feld die Zugänge eurer Stadt verteidigt.«

Die Stirn der Flamländer strahlte.

»Was sagte ich, meine Herren?« fragte der Schweigsame.

»Es ist eine große Ehre für mich,« sagt? der Unbekannte, »wenn ich, ohne es zu wissen, derselben Ansicht gewesen bin, wie der erste Feldherr seines Jahrhunderts.«

Beide verbeugten sich höflich.

»Das ist also abgemacht,« fuhr der Unbekannte fort, »ihr macht einen wütenden Ausfall auf die Infanterie und die Kavallerie. Ich hoffe, eure Offiziere werden diesen Ausfall so führen, daß ihr die Belagernden zurückwerft.«

»Aber ihre Schiffe, ihre Schiffe,« sagte der Bürgermeister, »sie werden unsere Sperrung bezwingen und, da der Wind Nordwest ist, in zwei Stunden in der Stadt sein.«

»Ihr habt selbst sechs alte Schiffe und dreißig Barken in Sainte-Marine, eine Stunde von hier, nicht wahr? Das ist Eure Seebarrikade, das ist Eure Kette, die die Schelde schließt.« – »Ja, Monseigneur, so ist es. Woher wißt Ihr dies alles?«

Der Unbekannte lächelte.

»Ich weiß es, wie Ihr seht,« sagte er, »dort ruht das Schicksal der Schlacht.«

»Nanu muß man unsern braven Seeleuten Verstärkung schicken,« sagte der Bürgermeister.

»Im Gegenteil, Ihr könnt noch über vierhundert Mann verfügen, die dort waren; zwanzig verständige, brave, ergebene Leute werden genügen.«

Die Antwerpener rissen die Augen weit auf.

»Wollt ihr die ganze französische Flotte auf Kosten eurer sechs alten Schiffe und eurer dreißig alten Barken zerstören?« fragte der Unbekannte. – »Hm!« machten die Antwerpener, indem sie einander anschauten, »unsere Schiffe und Barken sind nicht so gar alt.«

»Nun, so schätzt sie, man wird euch ihren Wert bezahlen.«

»Seht,« sagte ganz leise der Schweigsame zum Unbekannten, »das sind die Menschen, mit denen ich jeden Tag zu kämpfen habe. Oh! wären es nur die Ereignisse, die hätte ich längst überwunden.«

»Sprecht, meine Herren,« sagte der Unbekannte, indem er seine Hand an seine strotzende lederne Tasche legte, »schätzt rasch! Ihr sollt in Wechseln auf euch selbst bezahlt werden, die ihr hoffentlich gut finden werdet.« – »Monseigneur,« sagte der Bürgermeister, nachdem er sich einen Augenblick mit den hochmögenden Herren beraten hatte, »wir sind Kaufleute und keine Männer vom hohen Adel, Ihr müßt uns also ein gewisses Zögern vergeben, denn seht Ihr, unsere Seele ist nicht in unserem Körper, sondern in unsern Kontoren. Doch es gibt gewisse Umstände, wo wir für das allgemeine Beste Opfer zu bringen wissen. Verfügt also über unsere Schiffe, wie es Euch gut dünkt.«

»Wahrhaftig, Monseigneur,« sagte der Schweigsame, »Ihr wißt das gut zu machen; ich hätte sechs Monate gebraucht, um von ihnen zu erlangen, was Ihr in zehn Minuten erreicht habt.«

»Ich verfüge also über eure Sperrung, doch hört, wie ich darüber verfüge: Die Franzosen werden den Durchgang zu erzwingen suchen. Ich verdopple die Ketten der Sperrung, indem ich ihnen genug Länge lasse, daß die Flotte mitten zwischen eure Barken und eure Schiffe einfährt. Dann schleudern von euren Barken und euren Schiffen die zwanzig Tapfern, die ich zurückgelassen, Schiffshaken, und wenn sie diese Schiffshaken geworfen haben, entfliehen sie, nachdem sie zuvor eure mit entzündbaren Stoffen beladene Sperrung in Brand gesteckt.«

»Und ihr versteht,« rief der Schweigsame, »die ganze französische Flotte verbrennt.«

»Ja, die ganze,« sagte der Unbekannte; »dann kein Rückzug mehr zur See, dann kein Rückzug mehr durch die Polder, denn ihr laßt die Schleusen von Mecheln, von Berchem, von Lier, von Düffel und von Antwerpen los. Zuerst von euch zurückgetrieben, dann von euren durchbrochenen Dämmen verfolgt, von allen Seiten eingeschlossen, von der unerwarteten, stets wachsenden Flut, von dem Meer, das nur eine Strömung und keine Gegenströmung hat, werden die Franzosen ertränkt, vernichtet sein.«

Die Offiziere stießen einen Freudenschrei aus.

»Es ist nur eine Schwierigkeit hierbei,« sagte der Prinz.

»Welche, Monseigneur?« fragte der Unbekannte.

»Man hätte einen ganzen Tag nötig, um die Befehle an die verschiedenen Städte gelangen zu lassen, und wir haben nur eine Stunde.« – »Eine Stunde genügt.« »Aber wer wird die Flotille benachrichtigen?« – »Sie ist benachrichtigt.«

»Durch wen?« – »Durch mich. Hätten sich diese Herren geweigert, mir sie zu geben, so würde ich sie ihnen abgekauft haben.«

»Aber Mecheln, Lier, Düffel?« – »Ich bin durch Mecheln und Lier gekommen und habe einen sichern Agenten nach Düffel geschickt. Um elf Uhr sind die Franzosen geschlagen, um Mitternacht ist die Flotte verbrannt, um ein Uhr sind die Franzosen in vollem Rückzug begriffen, um zwei Uhr durchbricht Mecheln seine Dämme, öffnet Lier seine Schleusen, schleudert Düffel seine Kanäle aus ihrem Bett; dann wird die Ebene ein wütender Ozean werden, der Häuser, Felder, Waldungen, Dörfer ersäuft, zugleich aber auch, ich wiederhole es, die Franzosen ersäufen wird, und zwar so, daß nicht einer von ihnen nach Frankreich zurückkehrt.«

Diese Worte wurden mit Bewunderung, beinahe mit Schrecken aufgenommen; dann brachen die Flamländer in einen Beifallssturm aus.

Der Prinz von Oranien machte zwei Schritte gegen den Unbekannten, reichte ihm die Hand und sagte: »So ist also alles von uns aus bereit, Monseigneur?« – »Alles. Und seht, auf seiten der Franzosen ist, glaube ich, auch alles bereit.«

Dabei deutete der Unbekannte mit dem Finger auf einen Offizier, der eben den Türvorhang aufhob.

»Eure Hoheiten und meine Herren,« sagte der Offizier, »man meldet uns soeben, daß die Franzosen auf dem Marsch sind und gegen die Stadt vorrücken.«

»Zu den Waffen!« rief der Bürgermeister.

»Zu den Waffen!« wiederholten die Anwesenden.

»Wartet einen Augenblick, meine Herren,« unterbrach sie der Unbekannte mit seiner männlichen und gebieterischen Stimme; »Ihr vergeßt, mich euch eine letzte Ermahnung geben zu lassen, die noch wichtiger ist, als alle anderen.«

»Tut das! Tut das!« riefen alle Stimmen.

»Die Franzosen sollen überfallen werden, es wird also kein Kampf, es wird ein Rückzug, eine Flucht werden; um sie zu verfolgen, müßt ihr leicht sein. Die Panzer herab, alle Wetter! Eure Panzer sind es, in denen ihr euch nicht rühren könnt, durch die ihr alle Schlachten, in denen ihr unterlegen seid, verloren habt. Eure Panzer herab, meine Herren!«

Und der Unbekannte zeigte seine breite Brust, die nur durch ein Koller von Büffelleder beschützt war.

»Wir werden uns bei den Streichen wiedersehen, meine Herren Kapitäne,« fuhr der Unbekannte fort; »mittlerweile begebt euch auf den Rathausplatz, wo ihr alle eure Leute aufgestellt findet. Wir folgen euch dahin.«

»Ich danke Euch, Monseigneur,« sagte der Prinz zu dem Unbekannten, »Ihr habt zugleich Belgien und Holland gerettet.«

»Prinz, Ihr seid zu gütig,« erwiderte dieser.

»Wird sich Eure Hoheit herbeilassen, das Schwert gegen die Franzosen zu ziehen?« fragte der Prinz.

»Ich werde es so einrichten, daß ich den Hugenotten gegenüber kämpfe,« erwiderte der Unbekannte, indem er sich mit einem Lächeln verbeugte, um das ihn sein düsterer Gefährte beneidet hätte, und das Gott allein verstand.

Franzosen und Flamländer.

Im Augenblick, als der ganze Rat das Stadthaus verließ, und die Offiziere sich an die Spitze ihrer Mannschaft stellten, um die Befehle des unbekannten Führers zu vollziehen, der von der Vorsehung selbst den Flamländern zugeschickt zu sein schien, erscholl in weitem Kreise ein Geräusch, das die ganze Stadt einzuschließen schien und in einem einzigen gewaltigen Schrei zusammenklang.

Zugleich begann aber die Artillerie zu donnern, die die Franzosen mitten auf ihrem nächtlichen Marsch und während sie selbst zu überrumpeln glaubten, überfiel. Doch statt ihren Marsch zu unterbrechen, beschleunigte sie ihn nur.

Konnte man die Stadt nicht durch Überrumplung und mit Sturmleitern nehmen, so konnte man doch, wie wir es den König von Navarra in Lahors machen sahen, den Graben mit Faschinen füllen und die Tore durch Petarden sprengen.

Die Kanonen auf den Wällen setzten ihr Feuer ununterbrochen fort, doch in der Nacht war ihre Wirkung fast gleich Null. Nachdem sie das Geschrei ihrer Gegner erwidert hatten, rückten die Franzosen in der Stille mit der ihnen beim Angriff eigenen Unerschrockenheit vor.

Doch plötzlich öffneten sich die Tore und Schlupfpforten, und von allen Seiten stürzten Bewaffnete hervor; es waren die Flamländer, die in geschlossenen Bataillonen, in gedrängten Gruppen vorrückten, über denen eine mehr geräuschvolle als furchtbare Artillerie fortwährend donnerte.

Nun entspinnt sich der Kampf Fuß an Fuß, Schwert und Messer schlagen aneinander, Pike und Degenklinge streifen sich, Pistolenschuß und Büchsenfeuer erleuchten die von Blut geröteten Gesichter.

Kein Schrei, kein Murren, keine Klage; der Flamländer schlägt sich mit Grimm, der Franzose mit Trotz. Der Flamländer ist wütend, daß er sich zu schlagen hat, denn er schlägt sich weder, weil es sein Gewerbe ist, noch zu seinem Vergnügen. Der Franzose ist wütend, weil man ihn angegriffen hat, während er angreifen wollte.

In dem Augenblick, als man mit der Erbitterung, die wir vergebens zu schildern versuchen würden, handgemein wird, vernimmt man hastig aufeinanderfolgende Schüsse von Sainte-Marie her, und es erhebt sich über der Stadt ein Schein, wie ein Flammenbusch. Es ist Joyeuse, der, die Scheldensperre erzwingend, mit seiner Flotte bis in das Herz von Antwerpen eindringen wird. So hoffen wenigstens die Franzosen.

Doch dem ist nicht so. Von einem Westwinde, das heißt von dem bei einem solchen Unternehmen günstigsten Wind getrieben, hatte Joyeuse die Anker gelichtet und sich, die Admiralsgaleere an der Spitze, dieser Brise überlassen, die ihn trotz der Strömung fortführte. Alles war zum Kampf bereit; seine mit ihren Entersäbeln bewaffneten Soldaten standen auf dem Hinterteil. Seine Kanoniere waren mit angezündeten Lunten bei ihren Stücken, seine Mastwächter mit Granaten in den Mastkörben; die Elitematrosen endlich hielten sich, mit Äxten bewaffnet, bereit, auf die feindlichen Schiffe und Barken zu springen und Ketten und Seile zu durchhauen, um eine Öffnung für die Flotte zu machen.

Man rückte in der Stille vor. In Form eines Keils, dessen spitzigsten Winkel die Admiralsgaleere bildete, schienen Joyeuses sieben Schiffe über das Wasser hingleitende riesige Gespenster zu sein. Der junge Mann, dessen Posten die Kommandostelle war, hatte nicht hier bleiben können. Mit einer prächtigen Rüstung angetan, hatte er auf der Galeere den Platz des ersten Leutnants eingenommen; er beugte sich über das Bugspriet, und sein Auge schien die Nebel des Flusses und die Tiefe der Nacht durchdringen zu wollen.

Bald sah er durch diese doppelte Dunkelheit den Damm erscheinen, der sich düster quer durch den Fluß erstreckte. Er schien öde und verlassen, nur lag in diesem Lande der Hinterhalte etwas Furchtbares in dieser Einsamkeit und Verlassenheit. Man rückte indessen immer vor; man war etwa noch zehn Kabellängen von der Sperrung, und in jeder Sekunde kam man ihr näher, ohne daß ein einziges »Wer da!« die Ohren der Franzosen getroffen hätte.

Die Matrosen sahen in dieser Stille nur eine Nachlässigkeit, über die sie sich freuten; vorsichtiger als die andern, vermutete der junge Admiral eine List, über die er erschrak.

Endlich drang die Admiralsgaleere mitten in das Takelwerk der beiden Schiffe, die den Mittelpunkt der Sperrung bildeten, trieb sie vor sich her und schob diesen ganzen biegsamen Damm zurück, dessen Abteilungen durch Ketten miteinander verbunden waren, und der, indem er nachgab, ohne zu brechen, sich an die Flanken der französischen Schiffe anlegend, dieselbe Form annahm, die diese Schiffe selbst boten.

Plötzlich und in dem Augenblick, als die Axtträger, Befehl erhielten, hinabzusteigen, um die Sperrung zu durchbrechen, klammerte sich, von unsichtbaren Händen geworfen, eine Menge von Schiffshaken an dem Takelwerk der französischen Schiffe an.

Die Flamländer kamen den Franzosen zuvor, indem sie das taten, was diese tun wollten. Joyeuse glaubte, seine Feinde böten ihm einen heftigen Kampf, und er nahm ihn an. Die von seiner Seite geworfenen Haken banden die feindlichen Schiffe durch eiserne Knoten an die seinigen. Er riß eine Axt aus den Händen eines Matrosen, sprang zuerst auf das Schiff, das er mit einer sichern Fessel festhielt, und rief: »Entert! entert!«

Seine ganze Mannschaft folgte ihm, und Offiziere und Matrosen stießen denselben Schrei aus; doch kein Schrei erwiderte den seinigen, keine Macht widersetzte sich seinem Angriff. Man sah nur drei mit Menschen beladene Barken schweigsam, wie drei verspätete Seevögel, über den Fluß hingleiten.

Diese Barken entflohen mit kräftigem Ruderschlag, während die Angreifenden unbeweglich auf den Schiffen blieben, die sie ohne Kampf erobert hatten.

So war es auf der ganzen Linie.

Plötzlich hörte Joyeuse unter sich ein dumpfes Knistern, und ein Schwefelgeruch verbreitete sich in der Luft. Ein Gedanke durchzuckte seinen Geist; er hob eine Luke auf; die Eingeweide des Schiffes brannten. Im Augenblick erscholl der Ruf: »Auf die Schiffe! auf die Schiffe!« auf der ganzen Linie. Jeder stieg hastiger hinauf, als er herabgestiegen war; Joyeuse, der zuerst herabgesprungen, stieg zuletzt hinauf. In der Sekunde, als er die Wand seiner Galeere erreichte, sprengte die Flamme das Verdeck des Schiffes, das er verließ.

Dann wirbelten wie aus zwanzig Vulkanen Flammen empor; jede Barke, jede Schaluppe, jedes Boot war ein Krater; die französische Flotte schien von einem Feuerschlund beherrscht.

Es wurde Befehl gegeben, das Takelwerk abzuhauen, die Ketten zu durchbrechen, die Haken zu zerschmettern; die Matrosen stürzten in die Taue mit der Geschwindigkeit von Menschen, die überzeugt sind, daß ihre Rettung von der Eile abhängt.

Aber die Arbeit war ungeheuer; vielleicht hätte man die von den Feinden auf die französische Flotte geworfenen Haken losgemacht; doch es blieben noch die von der französischen Flotte auf die feindlichen Schiffe geworfenen.

Plötzlich hörte man ein zwanzigfaches Donnern; die französischen Schiffe zitterten in ihrem Gebälk, ächzten in ihrer Tiefe. Es waren die Kanonen, die den Damm verteidigten und, bis an die Mündung geladen und von den Antwerpenern verlassen, von selbst losgingen, wie sie das Feuer erreichte, und alles, was sich in ihrer Richtung fand, zertrümmerten. Die Flammen stiegen wie riesige Schlangen an den Masten hinauf, umschlangen die Rahen und leckten dann mit ihren spitzigen Zungen an den kupfernen Flanken der französischen Schiffe.

Joyeuse, mit seiner herrlichen mit Gold damaszierten Rüstung, glich, wie er ruhig und mit gebieterischer Stimme seine Befehle mitten unter diesen Flammen erteilte, einem fabelhaften Seeungeheuer mit Millionen von Schuppen, die bei jeder Bewegung einen Funkenstaub abschüttelten. Doch bald wurde das Gekrach heftiger, niederschmetternder; es donnerten nicht mehr die Kanonen, sondern die Pulverkammern fingen Feuer, die Schiffe selbst flogen in Trümmer.

Solange er die tödlichen Bande, die ihn mit seinen Feinden verknüpften, zu sprengen hoffte, kämpfte Joyeuse, doch er hatte keine Hoffnung mehr, daß es ihm gelingen würde; die Flamme hatte die französischen Schiffe erreicht, und bei jedem Schiffe fiel ein Feuerregen, dem Bukett eines Kunstfeuerwerks ähnlich, auf das Verdeck herab.

Nur war dieses Feuer das griechische, das unversöhnliche Feuer, das von dem, was die andern Feuer auslöscht, noch mehr entfacht wird und seine Beute bis in die Tiefe des Wassers verzehrt. Die Antwerpener Schiffe hatten beim Zerspringen die Dämme durchbrochen; aber die französischen Schiffe fielen, statt ihren Weg fortzusetzen, selbst ganz in Flammen ab und rissen einige Trümmer des zerfressenden Brandes nach, der sie mit seinen Flammenarmen gepackt hatte.

Joyeuse begriff, daß kein Kampf mehr möglich war; er befahl, alle Boote auszusetzen und am linken Ufer zu landen. Der Befehl wurde den andern Schiffen mit Hilfe eines Sprachrohres mitgeteilt; die ihn nicht hörten, hatten instinktartig denselben Gedanken. Die ganze Mannschaft wurde bis auf den letzten Matrosen eingeschifft, ehe Joyeuse das Verdeck seiner Galeere verließ. Seine Kaltblütigkeit schien jedem einzelnen Kaltblütigkeit zu verleihen; jeder von seinen Seeleuten hatte seine Axt oder seinen Entersäbel in der Faust.

Ehe Joyeuse das Ufer des Flusses erreicht hatte, sprang die Admiralsgaleere in die Luft und beleuchtete auf der einen Seite den Umriß der Stadt und aus der andern den ungeheuren Horizont des Flusses, der sich, immer weiter werdend, am Meer verlor.

Die kalvinistische Kavallerie hatte inzwischen, Wunder verrichtend, angegriffen; mit dem Schwerte ihrer Reiter öffnet sie die Haufen, unter den Hufen ihrer Pferde zermalmt sie sie; aber die verwundeten Flamländer schlitzen den Pferden mit ihren breiten Messern den Bauch auf. Trotz dieses glänzenden Kavallerieangriffs geraten die französischen Reihen etwas in Unordnung, und sie behaupten sich nur noch, statt vorzurücken, während aus den Toren der Stadt unablässig frische Bataillone hervorkommen, die sich auf die Armee des Herzogs von Anjou werfen.

Plötzlich vernimmt man ein gewaltiges Geschrei fast unter den Mauern der Stadt; der Ruf: »Anjou! Anjou! Frankreich! Frankreich!« erschallt aus den Flanken der Antwerpener, und ein furchtbarer Stoß erschüttert die ganze enggeschlossene Masse.

Joyeuse ist es, der diese Bewegung verursacht; seine Matrosen sind es, die diese Schreie ausstoßen; fünfzehnhundert mit Äxten und kurzen Säbeln bewaffnete Leute fallen, von Joyeuse angeführt. Plötzlich über die Flamländer her; sie haben ihre in Flammen stehende Flotte und zweihundert verbrannte oder ertränkte Kameraden zu rächen. Sie stellten sich nicht in Schlachtordnung, sondern stürzten auf die erste Gruppe los, die sie an ihrer Sprache und ihrer Tracht als feindlich erkannten, und niemand handhabt besser als Joyeuse sein langes Schlachtschwert; sein Faustgelenk dreht sich wie ein stählernes Rad, und jeder Hieb spaltet einen Schädel, jeder Stoß durchbohrt einen Mann.

Die flämische Gruppe, über die Joyeuse herfiel, wurde verzehrt wie ein Getreidekorn von einer Legion von Ameisen, und trunken durch diesen ersten Sieg, drangen die Matrosen vorwärts.

Während sie aber Boden gewannen, verlor ihn die kalvinistische Kavallerie allmählich; doch die Infanterie kämpfte fortwährend Leib an Leib mit den Flamländern.

Der Herzog von Anjou hatte den Brand der Flotte wie einen entfernten Schein erschaut, er hatte den Donner der Kanonen und das Krachen der zerspringenden Schiffe gehört, ohne etwas anderes zu ahnen als einen erbitterten Kampf, der auf dieser Seite natürlich durch den Sieg Joyeuses enden müsse. Er erwartete daher jeden Augenblick eine Abziehung des Feindes durch Joyeuse, als man ihm plötzlich meldete, die Flotte sei zerstört, und Joyeuse und seine Matrosen griffen mitten unter den Flamländern an.

Nun erfaßte den Prinzen eine große Unruhe; die Flotte bedeutete den Rückzug und folglich die Sicherheit der Armee. Er schickte an die kalvinistische Reiterei den Befehl ab, einen neuen Angriff zu versuchen, und die erschöpften Reiter und Pferde sammelten sich, um sich abermals auf die Antwerpener zu stürzen.

Mitten unter dem Gemenge hörte man die Stimme des Herrn von Joyeuse rufen: »Haltet fest, Herr von Saint-Aignan, Frankreich! Frankreich!«

Und wie ein Mäher, der ein Kornfeld angreift, schwang er sein Schwert in der Luft, ließ es niedersinken und legte seine Menschenernte zu seinen Füßen; der schwache Günstling, der zarte Sybarit schien mit seinem Panzer die fabelhafte Stärke des Herkules angelegt zu haben. Und die Infanterie faßte wieder Mut und kehrte mit neuer Anstrengung, wie die Reiterei, in den Kampf zurück.

Da aber ritt der Mann, den man Monseigneur nannte, auf einem schönen Rappen aus der Stadt. Er trug eine schwarze Rüstung, nämlich Helm, Armschienen, Panzer und Beinschienen von poliertem Stahl, und es folgten ihm fünfhundert Reiter auf vortrefflichen Pferden, die der Prinz von Oranien zu seiner Verfügung gestellt hatte. Er eilte dahin, wo das größte Gedränge stattfand; dahin, wo Joyeuse mit seinen Matrosen kämpfte. Die Flamländer erkannten ihn, traten vor ihm auf die Seite und riefen freudig: »Monseigneur! Monseigneur!« Joyeuse und seine Matrosen fühlten, wie der Feind auf die Seite wich, sie hörten dieses Geschrei und fanden sich plötzlich dieser neuen Truppe gegenüber, die unversehens und wie durch einen Zauber vor ihnen erschien.

Joyeuse trieb sein Pferd gegen den schwarzen Reiter, und beide trafen mit finsterer Erbitterung aufeinander. Bei dem ersten Zusammenschlagen ihrer Schwerter entwickelte sich eine Garbe von Funken. Auf die Festigkeit seiner Rüstung und auf seine Gewandtheit in der Fechtkunst vertrauend, führte Joyeuse mächtige Streiche, die geschickt pariert wurden. Zugleich traf ihn das Schwert seines Gegners auf die volle Brust, glitt auf dem Panzer hin, drang durch den Zwischenraum der Rüstung ein; und es spritzten ein paar Tropfen Blut aus seiner Schulter.

»Ah!« rief der junge Admiral, als er die Spitze des Schwertes fühlte, »dieser Mann ist ein Franzose, mehr noch, er hat das Fechten unter demselben Meister gelernt wie ich.«

Bei diesen Worten sah man, wie der Unbekannte sich abwandte und sich auf einen andern Punkt zu werfen suchte.

»Wenn du ein Franzose bist, so bist du ein Verräter,« rief ihm Joyeuse zu, »denn du kämpfst gegen deinen König, gegen dein Vaterland, gegen deine Fahne.«

Der Unbekannte antwortete nur, indem er sich umwandte und Joyeuse wütend angriff. Aber diesmal war Joyeuse gewarnt und wußte, mit welchem geschickten Degen er es zu tun hatte. Er parierte hintereinander drei bis vier Streiche, die mit ebensoviel Geschicklichkeit wie Wut, mit ebensoviel Kraft wie Nachdruck geführt wurden.

Der Unbekannte machte nun eine Bewegung des Rückzugs.

»Halt!« rief ihm der junge Mann zu, »seht, was man tut, wenn man sich für sein Vaterland schlägt; ein reines Herz und ein redlicher Arm genügen, um einen Kopf ohne Helm, eine Stirn ohne Visier zu beschützen.« Und er riß die Agraffen seines Helmes auf, schleuderte ihn weit von sich und entblößte seinen edlen, schönen Kopf, dessen Augen von Kraft, Stolz und Jugend glänzten.

Statt das gegebene Beispiel zu befolgen, stieß der Reiter mit der schwarzen Rüstung ein dumpfes Gebrüll aus und erhob sein Schwert über diesem entblößten Haupt.

»Ah!« rief Joyeuse, während er parierte, »ich sagte es wohl, du bist ein Verräter und sollst als Verräter sterben.«

Und ihn hart bedrängend, versetzte er ihm hintereinander zwei bis drei Stöße mit der Schwertspitze, von denen einer durch eine Öffnung des Helmvisiers eindrang.

»Oh! ich werde dich töten,« sagte der junge Mann, »und dir den Helm entreißen, der dich beschützt und so gut verbirgt, und dann am ersten Baum aufhängen, den ich an der Straße finde.«

Der Unbekannte wollte einen Gegenstoß tun, als ein Kavalier, der eben zu ihm herangeritten war, sich an sein Ohr neigte und zu ihm sagte: »Monseigneur, kein Scharmützel mehr, Eure Gegenwart ist dort ersprießlicher.«

Der Unbekannte folgte mit den Augen der von der Hand des andern angegebenen Richtung und sah die Flamländer vor der kalvinistischen Kavallerie zögern.

»In der Tat,« sagte er mit düsterem Tone, »dort sind, die ich suchte.«

In diesem Augenblick fiel eine Welle von Reitern über Joyeuses Matrosen her, die, müde, ohne Unterlaß mit ihren Riesenwaffen zu schlagen, den ersten Schritt rückwärts machten. Der schwarze Reiter benutzte diese Bewegung, um im Gemenge und in der Dunkelheit zu verschwinden. ....

Eine Viertelstunde nachher wichen die Franzosen auf allen Punkten und suchten sich zurückzuziehen, ohne zu fliehen. Herr von Saint-Aignan ergriff alle Maßregeln für einen Rückzug in guter Ordnung. Doch eine neue Truppe von fünfhundert Pferden und zweitausend Mann Fußvolk rückte ganz frisch aus der Stadt hervor und fiel über die schon ermattete Armee her. Es waren die alten Banden des Prinzen von Oranien, die nach und nach gegen den Herzog von Alba, gegen Don Juan, gegen Requesens und gegen Alexander Farnese gestritten hatten.

Da mußte man sich entschließen, das Schlachtfeld zu verlassen und seinen Rückzug zu Land zu nehmen, da die Flotte, auf die man eintretendenfalls rechnete, zerstört war. Trotz der Kaltblütigkeit der Führer, trotz der Tapferkeit der Mehrzahl begann eine Flucht in gräßlicher Unordnung.

In diesem Augenblick fiel der Unbekannte mit seiner Reiterei über die Flüchtlinge her und traf abermals bei der Nachhut Joyeuse mit seinen Matrosen, von denen er zwei Drittel auf dem Schlachtfelde zurückgelassen hatte.

Der junge Admiral ritt sein drittes Pferd, da ihm die andern getötet worden waren. Sein Schwert war zerbrochen, und er hatte aus den Händen eines verwundeten Matrosen eine von den gewichtigen Enteräxten genommen, die er mit derselben Leichtigkeit um sein Haupt schwang, mit der ein Schleuderer seine Schleuder schwingt. Von Zeit zu Zeit wandte er sich um und machte Front, wie ein Keiler, der sich nicht zur Flucht entschließen kann und in Verzweiflung gegen den Jäger umkehrt.

Die Flamländer, die gemäß der Ermahnung dessen, den sie Monseigneur nannten, ohne Panzer kämpften, waren leicht und behend in der Verfolgung, und gaben der französischen Armee nicht eine Sekunde Rast. Etwas wie ein Gewissensvorwurf oder wenigstens wie ein Zweifel erfaßte das Herz des Unbekannten diesem großen Unglück gegenüber.

»Genug, meine Herren, genug,« sagte er in französischer Sprache zu seinen Leuten; »sie sind diesen Abend von Antwerpen vertrieben und werden in acht Tagen aus Flandern vertrieben sein; verlangen wir nicht mehr vom Gott der Heere.«

»Ah! es war ein Franzose, es war ein Franzose,« rief Joyeuse, »ah! ich hatte es vermutet, Verräter, ah! sei verflucht, und möchtest du den Tod der Verräter sterben!«

Diese wütende Verwünschung schien den Mann zu entmutigen, den tausend gegen ihn erhobene Schwerter nicht hatten einschüchtern können; er wandte sein Pferd, und der Sieger floh beinahe ebensoschnell, wie die Besiegten. Doch dieser Rückzug eines einzigen änderte nichts an der Lage der Dinge; die Furcht ist ansteckend, sie hatte die ganze Armee ergriffen, und unter dem Gewichte eines wahnsinnigen Schreckens fingen die Soldaten an, in Verzweiflung zu fliehen.

Die Pferde belebten sich trotz der Müdigkeit, denn auch sie schienen unter dem Einfluß der Angst zu stehen; die Mannschaft zerstreute sich, um Zufluchtsorte zu suchen; in einigen Stunden war die Armee als Armee nicht mehr vorhanden.

Dies war der Augenblick, in dem nach dem Befehle Monseigneurs die Dämme sich öffneten, und die Schleusen aufgezogen wurden. Von Lier bis Termond, von Haesdonk bis Mecheln schickte jeder kleine Fluß, vergrößert durch seine Beiflüsse, jeder überströmende Kanal sein Teil an wütendem Wasser auf das Flachland.

Als die flüchtigen Franzosen, nachdem sie ihre Feinde ermüdet, haltzumachen anfingen, als sie endlich die Antwerpener nebst den Soldaten des Prinzen von Oranien nach ihrer Stadt zurückkehren sahen, als die unversehrt dem Blutbade in der Nacht Entgangenen sich gerettet glaubten und einen Augenblick atmeten, diese unter Gebeten, jene unter Gotteslästerungen, da entfesselte sich zur selben Stunde ein neuer, blinder, unbarmherziger Feind gegen sie, mit der Schnelligkeit des Windes, mit dem Ungestüm des Meeres; doch so nahe über ihrem Haupte die Gefahr schwebte, hatten die Flüchtlinge doch noch keine Ahnung von dem neuen Ungewitter, das sie zu umhüllen anfing.

Joyeuse hatte seinen auf achthundert Mann zusammengeschmolzenen Matrosen, den einzigen, die noch eine gewisse Ordnung behaupteten, Halt befohlen. Keuchend, ohne Stimme, nur noch durch drohende Gebärden sprechend, versuchte der Graf von Saint-Aignan, sein zerstreutes Fußvolk wieder zu sammeln.

An der Spitze der Flüchtlinge, auf einem vortrefflichen Pferde reitend und von einem Bedienten begleitet, der ein anderes an der Hand hielt, jagte der Herzog von Anjou fort und fort, ohne an irgend etwas zu denken.

»Der Elende hat kein Herz,« sagten die einen.

»Der Tapfere ist herrlich in seiner Kaltblütigkeit,« sagten die anderen.

Einige Stunden der Ruhe von zwei bis sechs Uhr sollten dem Fußvolk wieder die erforderliche Kraft geben, um die Flucht fortzusetzen. Nun fehlte es aber an Lebensmitteln.

Die Pferde schienen noch mehr abgemattet als die Menschen, sie schleppten sich nur mit Mühe fort, denn sie hatten seit dem vorhergehenden Tage nichts mehr gefressen; sie bewegten sich auch am Schweif der Armee.

Man hoffte Brüssel zu erreichen, das dem Herzog gehörte, und wo man zahlreiche Parteigänger zählte; doch war man nicht ohne Unruhe über den guten Willen der Stadt; auch auf Antwerpen hatte man einen Augenblick rechnen zu können geglaubt. In Brüssel, nämlich kaum acht französische Meilen von dem Orte, wo man sich befand, wollte man die Truppen verproviantieren und ein vorteilhaftes Lager beziehen, um den unterbrochenen Feldzug wiederzubeginnen, sobald man den Augenblick für geeignet hielte. Die Trümmer, die man zurückbrachte, sollten als Kern für eine neue Armee dienen.

Noch zu dieser Stunde sah niemand den furchtbaren Augenblick vorher, in dem der Boden unter den Füßen der unglücklichen Soldaten sinken, Wasserberge niederstürzen und über ihren Häuptern hinrollen, die Überreste so vieler Tapferen, von dem schlammigen Gewässer fortgetragen, bis ins Meer gewälzt oder auf dem Wege niedergeworfen werden sollten, um die Felder Brabants zu düngen ...

Der Herzog von Anjou ließ sich in der Hütte eines Bauern zwischen Heboken und Heckhout Frühstück bringen. Die Hütte war leer, die Bewohner hatten sich schon am vorhergehenden Abend geflüchtet; das von ihnen am Tag zuvor angezündete Feuer brannte noch im Kamin. Die Soldaten und Offiziere wollten ihrem Führer nachahmen und zerstreuten sich in den genannten zwei Flecken; aber sie sahen mit einem Erstaunen, in das sich Schrecken mischte, daß alle Häuser verlassen waren, und daß die Einwohner ihre Mundvorräte fast gänzlich mitgenommen hatten.

Der Graf von Saint-Aignan suchte auf gut Glück wie die andern; die Sorglosigkeit des Herzogs von Anjou in der Stunde, in der so viele Brave für ihn starben, widerstrebte seinem Geiste, und er entfernte sich vom Prinzen. Er gehörte zu denen, die sagten: »Der Elende hat kein Herz.«

Er durchsuchte zwei bis drei Häuser, die er leer fand; er klopfte an die Tür des vierten, als man ihm sagte, aus zwei Meilen in der Runde, das heißt in dem Umkreise des Landes, den man innehatte, seien alle Häuser so. Bei dieser Nachricht runzelte Saint-Aignan die Stirn und machte seine gewöhnliche Grimasse.

»Vorwärts, meine Herren, vorwärts,« sagte er zu den Offizieren.

»Aber wir sind zu müde, wir sterben vor Hunger, General,« entgegneten sie.

»Ja, aber ihr lebt, und wenn ihr eine Stunde länger hier bleibt, seid ihr tot; vielleicht ist es jetzt schon zu spät.«

Herr von Saint-Aignan konnte nichts Sicheres angeben, aber er ahnte eine große, verborgene Gefahr. Man brach auf. Der Herzog stellte sich an die Spitze, Herr von Saint-Aignan behielt das Zentrum, und Joyeuse übernahm die Nachhut.

Doch es trennten sich von der Gruppe noch zwei- bis dreitausend Mann, entweder durch ihre Wunden geschwächt oder durch die Anstrengungen zu sehr ermattet, und legten sich verlassen, trostlos, von finsterer Ahnung ergriffen, im Grase oder am Fuße der Bäume nieder. Bei ihnen blieben auch die demontierten Reiter, deren Pferde sich nicht fortschleppen konnten oder auf dem Marsche verwundet worden waren. Es waren um den Herzog von Anjou kaum noch dreitausend hinreichend kräftige und kampffähige Soldaten versammelt.

Die Reisenden.

Während dieses Unglück, der Vorläufer eines noch viel größeren, in Erfüllung ging, kamen zwei Reisende auf vortrefflichen Pferden in einer kühlen Nacht aus dem Tore Brüssels und ritten in der Richtung von Mecheln vorwärts. Sie bewegten sich nebeneinander; sie hatten ihre Mäntel eingebunden und scheinbar keine Waffen, abgesehen von einem flämischen Messer, dessen messingenen Griff man am Gürtel des einen glänzen sah.

Diese Reisenden ritten ihres Weges, jeder seinem Gedanken folgend, ohne ein Wort auszutauschen.

Wer sie auf der vom Monde beleuchteten Landstraße so friedlich hätte traben sehen, würde sie für gute Leute gehalten haben, die es drängte, nach einer guten Tagereise ein gutes Bett zu finden.

Doch man hätte nur einige durch den Wind von ihrem Gespräche abgelöste Sätze zu hören brauchen, um diese irrige Meinung aufzugeben.

Und das seltsamste von allen Worten, die sie austauschten, war auch ihr erstes, als sie ungefähr eine halbe Meile von Brüssel entfernt sein mochten.

»Madame,« sagte der stärkere zu dem schlankeren Gefährten, »Ihr habt in der Tat recht gehabt, diese Nacht aufzubrechen; wir gewinnen sieben Meilen durch unsern Marsch und kommen nach Mecheln gerade in dem Augenblick, in dem aller Wahrscheinlichkeit nach das Resultat des Handstreichs auf Antwerpen bekannt sein wird. Man wird sie dort in der ganzen Trunkenheit des Triumphes finden. In zwei kurzen Tagemärschen erreichen wir Antwerpen, und zwar ohne Zweifel zur Stunde, wo der Prinz sich von seiner Freude erholt und die Gnade haben wird, auf den Boden zu schauen, nachdem er sich bis in den siebenten Himmel erhoben.«

Der Gefährte, der von dem andern Madame genannt wurde, erwiderte mit einer zugleich ruhigen, ernsten und sanften Stimme: »Mein Freund, glaubt mir, Gott wird müde sein, diesen elenden Prinzen zu beschützen, und ihn grausam schlagen; beeilen wir uns also, unsere Pläne in Ausführung zu bringen, denn ich gehöre nicht zu denen, die an das Schicksal glauben, und ich denke, die Menschen haben frei über ihren Willen und über ihre Handlungen zu gebieten. Wenn wir nicht handeln und Gott handeln lassen, so war es nicht der Mühe wert, so schmerzlich bis auf diesen Tag zu leben.«

In diesem Augenblick pfiff ein eisiger Nordwest vorüber.

»Ihr schauert, Madame,« sagte der ältere von den Reisenden; »nehmt Euren Mantel!«

»Nein, Remy, ich danke; du weißt, ich fühle weder mehr die Schmerzen des Körpers noch die Qualen des Geistes.«

Remy schlug die Augen zum Himmel auf und blieb in ein düsteres Nachdenken versunken. Zuweilen hielt er sein Pferd an und wandte sich auf seinen Steigbügeln um, während ihm seine Gefährtin stumm wie eine Reiterstatue voranritt.

Nach einem von diesen Halten, und als ihr Gefährte sie wieder eingeholt hatte, sagte sie: »Nu siehst niemand mehr hinter uns?« – »Nein, Madame, niemand.«

»Der Reiter, der uns in der Nacht in Valenciennes einholte und sich nach uns erkundigte, nachdem er uns so lange beobachtet hatte?« – »Ich sehe ihn nicht mehr.« »Aber mir scheint, ich habe ihn gesehen, ehe wir Mons erreichten.« – »Und ich, Madame, weiß sicher, daß ich ihn gesehen habe, ehe wir nach Brüssel kamen.«

»Nach Brüssel, sagst du?« – »Ja; doch er wird in dieser Stadt angehalten haben.«

»Remy,« sagte die Dame, indem sie sich ihrem Gefährten näherte, als fürchtete sie, man könnte sie auf dieser öden Straße hören, »kam es dir nicht vor, als gliche er ...« – »Wem?«

»Seiner Haltung nach wenigstens, denn ich habe sein Gesicht nicht gesehen, dem unglücklichen jungen Mann.« – »Oh! nein, nein, Madame,« erwiderte Remy hastig, »nicht im geringsten; wie hätte er überdies vermuten sollen, daß wir Paris verlassen haben und uns auf dieser Straße befinden?«

»Woher wußte er, Remy, daß wir unsere Wohnung in Paris veränderten?« – »Nein, nein, Madame, er ist uns nicht gefolgt und hat uns nicht folgen lassen, und ich habe, wie ich Euch dort sagte, starke Gründe zu glauben, daß er einen verzweifelten Entschluß gefaßt hat.«

»Ach! Remy, jeder trägt seinen Teil Leiden auf dieser Erde; Gott erleichtere die dieses armen Jünglings.«

Remy antwortete mit einem Seufzer auf den Seufzer seiner Gebieterin, und sie setzten ihre Reise fort, ohne ein anderes Geräusch, als das der Tritte ihrer Pferde auf der schallenden Straße.

So vergingen zwei Stunden. In dem Augenblick, als unsere Reisenden in Vilvorde einritten, drehte Remy lebhaft den Kopf um. Er hatte den Galopp eines Pferdes bei der Biegung der Straße gehört. Er hielt an, horchte, sah aber nichts. Seine Augen suchten vergebens die Tiefe der Nacht zu durchdringen, doch da kein anderes Geräusch die feierliche Stille unterbrach, ritt er mit seiner Gefährtin in den Flecken ein.

»Madame,« sagte er, »es wird bald Tag werden; wenn Ihr meinem Rate folgen wollt, halten wir hier an; die Pferde sind müde, und Ihr bedürft der Ruhe.«

»Remy,« entgegnete die Dame, »vergebens wollt Ihr mir verbergen, was Ihr empfindet, Remy, Ihr seid unruhig....« – »Ja, über Eure Gesundheit, Madame; glaubt mir, eine Frau vermag solche Drangsale nicht zu ertragen, und ich bin kaum selbst....«

»Tut, was Euch beliebt, Remy.« – »Nun, so reitet in dieses Gäßchen, an dessen Ende ich die erlöschende Laterne eines Wirtshauses erblicke; es ist das Zeichen, woran man die Wirtshäuser erkennt; ich bitte, beeilt Euch!«

»Ihr habt also etwas gehört?« – »Ja, etwas wie den Hufschlug eines Pferdes. Wohl glaube ich, daß ich mich getäuscht habe; aber jedenfalls bleibe ich einen Augenblick zurück, um mich zu versichern, ob ich richtig oder falsch gehört.«

Remy ließ die Dame an sich vorbeireiten, stieg ab und warf seinem Pferde den Zügel auf den Hals; es folgte natürlich dem seiner Gefährtin. Er selbst wartete gebückt hinter einem riesigen Weichstein.

Während die Dame zum Wirtshaus ritt und dort eintrat, lauerte Remy aus seinem Versteck auf den Reisenden, dessen Pferd er hatte galoppieren hören. Er sah ihn, aufmerksam horchend, in den Flecken reiten; bei dem Gäßchen angelangt, erblickte der Reisende die Laterne, und er schien zu zögern, ob er weiter reiten oder sich nach dieser Seite wenden sollte. Zwei Schritte von Remy, der auf seiner Schulter den Atem des Pferdes fühlte, hielt er an.

Remy legte die Hand an sein Messer. »Er ist es,« brummte er, »er folgt uns abermals... Was will er von uns?«

Der Reisende kreuzte seine Arme über seiner Brust, während sein Roß, den Hals ausgestreckt, angestrengt schnaufte.

»Sie sind weiter geritten, folgen wir ihnen,« sagte er nach einer Weile gespannten Horchens mit halber Stimme. Und er ließ seinem Pferde wieder die Zügel und setzte seinen Weg fort.

»Morgen schlagen wir eine andere Straße ein,« sagte Remy zu sich selbst. Und er eilte seiner Gefährtin nach, die ihn ungeduldig erwartete.

»Nun,« fragte sie ganz leise, »folgt man uns?« – »Niemand; ich täuschte mich; nur wir sind auf der Straße, und Ihr könnt in vollkommener Sicherheit schlafen.«

»Oh! ich habe keinen Schlaf, Remy, – Ihr wißt es wohl.« – »Aber Ihr werdet wenigstens zu Nacht essen, denn Ihr habt schon gestern nichts gegessen.«

»Gern, Remy.«

Man weckte zum zweiten Male die Magd, die ihnen kaltes Fleisch, eingemachte Früchte und Löwener Bier brachte. Die Magd blieb, weiterer Befehle gewärtig, stehen und sah staunend, wie mäßig die Reisenden den Speisen zusprachen, wie sie es bei ihren flämischen Landsleuten noch nie gesehen hatte.

»Sage mir, mein Kind,« fragte sie Remy, »gibt es einen Seitenweg von hier nach Mecheln?« – »Ja, mein Herr, aber er ist sehr schlecht; während es eine vortreffliche Landstraße gibt.«

»Ich weiß es; doch ich muß auf dem andern Wege reisen.« – »Mein Herr, ich muß Euch warnen; da Eure Gefährtin eine Frau ist, so wird für sie besonders der Weg doppelt schlecht sein.«

»Warum?« – »Weil in dieser Nacht viele Landleute durch die Gegend kommen, um nach Brüssel zu ziehen.«

»Nach Brüssel?« – »Ja, sie wandern für den Augenblick aus.«

»Warum wandern sie aus?« – »Ich weiß es nicht, es ist so der Befehl.«

»Der Befehl von wem? vom Prinzen von Oranien?« – Mein, von Monseigneur.«

»Wer ist dieser Monseigneur?« – »Ah! bei Gott! Ihr fragt mich zu viel, mein Herr, ich weiß es nicht; es ist nur so viel gewiß, daß man auswandert.«

»Und wer sind die Auswandernden?« – »Die Bewohner des Landes, der Dörfer, der Flecken, die weder Dämme noch Wälle haben.«

»Das ist seltsam,« sagte Remy. »Doch nicht wahr, wir können weiter reisen, da wir nach Mecheln gehen?«

»Ich glaube wohl, wenn Ihr es nicht lieber wie alle machen und nach Brüssel ziehen wollt.« Remy schaute seine Gefährtin abermals an.

»Nein, nein, wir brechen auf der Stelle nach Mecheln auf,« rief die Dame, indem sie rasch aufstand, »habt die Güte und öffnet den Stall, meine Liebe!«

Remy stand wie seine Gefährtin auf und sagte leise: »Gefahr für Gefahr; ich ziehe die vor, die ich kenne; überdies ist uns der junge Mann voran ... und sollte er etwa auf uns warten, nun so werden wir ja sehen.«

Da die Pferde nicht einmal abgesattelt worden waren, so fand sie der junge Tag an den Ufern der Dyle.

Erklärung.

Die Gefahr, der Remy so trotzte, war eine wirkliche Gefahr, denn der nächtliche Reisende sah bald, nachdem er das Dorf hinter sich hatte und noch eine Viertelmeile weiter geritten war, daß die, denen er folgte, in dem Dorfe angehalten hatten.

Er wollte nicht mehr auf seinem Wege umkehren, ohne Zweifel um seine Verfolgung so wenig wie möglich absichtlich erscheinen zu lassen; doch er legte sich in einen Kleeacker nieder, wobei er zuvor sein Pferd in einen tiefen Graben hinabsteigen ließ, wie sie in Flandern als Gehege für die Grundstücke dienen.

Infolgedessen war der junge Mann, in dem der Leser so gut wie Remy sicher schon du Bouchage erkannt hat, imstande, alles zu sehen, ohne gesehen zu werden.

Nach seiner Unterredung mit Remy auf der Schwelle des geheimnisvollen Hauses, nach dem Verluste aller seiner Hoffnungen, war Henri in das Hotel Joyeuse zurückgekehrt, entschlossen, ein Leben zu verlassen, das sich ihm so elend zeigte, und als Edelmann von Herz wie als guter Sohn, denn er hatte den Namen seines Vaters rein zu erhalten, entschied er sich zu dem glorreichen Tod auf dem Schlachtfeld. Er eilte also nach Flandern, wo sein Bruder die Ehre der französischen Waffen aufrechthielt.

Im Augenblick, als er, ganz in seine Todesträume versunken, den spitzigen Glockenturm von Valenciennes erblickte, und es acht Uhr in der Stadt schlug, gewahrte er, daß man im Begriffe war, die Tore zu schließen; er gab seinem Pferde beide Sporen und hätte, über die Zugbrücke reitend, beinahe einen Reiter niedergeworfen, der den Gurt des seinigen festzog.

Henri war keiner von den unverschämten Adligen, die alles, was kein Wappenschild hat, mit den Füßen niedertraten. Er entschuldigte sich bei dem Mann, der sich bei dem Tone seiner Stimme umkehrte und dann rasch wieder abwandte.

Von seinem eifrigen Pferde, das er vergebens anzuhalten suchte, fortgetragen, bebte Henri, als hätte er gesehen, was er nicht zu sehen erwartet.

»Oh! ich bin wahnsinnig,« dachte er, »Remy in Valenciennes, Remy, den ich vor vier Tagen in der Rue de Bussy gelassen habe; Remy ohne seine Gebieterin, denn er hatte einen jungen Menschen bei sich, wie mir scheint. In der Tat, der Schmerz bringt mein Gehirn in Verwirrung, greift mein Gesicht an, so daß sich alles, was mich umgibt, in die Form meiner starren Gedanken kleidet.« Und er ritt weiter und gelangte in die Stadt, ohne daß der Verdacht, der seinen Geist berührt hatte, darin nur einen einzigen Augenblick Wurzel faßte.

Bei dem ersten Stall, den er auf seinem Wege fand, hielt er an, warf den Zügel den Händen eines Stallknechtes zu und setzte sich auf eine Bank vor der Tür, indes man sein Zimmer und sein Abendessen bereitete. Während er aber nachdenkend auf dieser Bank saß, sah er die zwei Reisenden, die nebeneinander ritten, herbeikommen, und er bemerkte, daß der, den er für Remy gehalten hatte, häufig den Kopf umwandte. Der andere hatte das Gesicht unter dem Schatten eines breitkrempigen Hutes verborgen. Remy erblickte, als er vor dem Wirtshause vorüberkam, Henri auf der Bank und wandte abermals den Kopf ab; aber gerade diese Vorsichtsmaßregel trug dazu bei, daß er erkannt wurde.

»Oh! diesmal täusche ich mich nicht,« murmelte Henri, »mein Blut ist kalt, mein Auge klar, meine Gedanken sind frisch, und ich glaube abermals in einem der Reisenden Remy zu erkennen. Nein, ich kann nicht in solcher Ungewißheit verharren und muß ohne Verzug Aufklärung erhalten,«

Sofort stand Henri auf und ging auf der Straße der Spur der beiden Reisenden nach; aber erst nach langem Suchen fand er ihre Spur; er erfuhr nämlich, man habe zwei Reisende sich nach einem unscheinbaren Wirtshause in der Rue du Beffroi wenden sehen. Dort gelang es ihm, Remy zu sehen, als er eben die Treppe zu seinem Zimmer hinaufstieg. Als er ihn diesmal bestimmt erkannte, gab der Graf einen Ausruf von sich, und beim Tone der Stimme des Grafen wandte sich Remy um. Zu sehr erschüttert, um sogleich einen Entschluß zu fassen, entfernte sich du Bouchage, indem er sich mit furchtbar beklommenem Herzen fragte, warum Remy seine Gebieterin verlassen, und warum er sich auf derselben Straße wie er befinde.

Seine Gedanken rollten von Abgrund zu Abgrund. Am andern Morgen, zur Stunde der Öffnung der Tore, war er sehr erstaunt, als er erfuhr, die zwei Unbekannten hätten in der Nacht vom Gouverneur die Erlaubnis erhalten, die Stadt zu verlassen, und man habe für sie, gegen alle Gewohnheit, die Tore geöffnet.

Auf diese Art und da sie gegen ein Uhr morgens aufgebrochen waren, hatten sie sechs Stunden vor Henri voraus. Diese sechs Stunden mußte er einbringen. Henri setzte sein Pferd in Galopp und erreichte und überholte die Reisenden in Mons.

Er sah abermals Remy, der seinerseits ihn nicht erkennen konnte, Henri hatte eine Soldatenkasacke angezogen und ein anderes Pferd gekauft. Das mißtrauische Auge des guten Dieners hätte aber beinahe auch diese List vereitelt, und jedenfalls hatte Remys Gefährte Zeit, sein Gesicht abzuwenden, so daß es Henri auch diesmal nicht gewahren konnte.

Doch der junge Mann verlor den Mut nicht; er fragte im ersten Wirtshaus, das den Reisenden ein Asyl gab, und da er seine Fragen mit einer unwiderstehlichen Hilfsmacht begleitete, so erfuhr er endlich, Remys Gefährte sei ein schöner, aber sehr trauriger, in sich gekehrter, nüchterner junger Mann, der nie von Müdigkeit spreche.

Henri bebte, ein Blitz erleuchtete seinen Geist.

»Sollte es nicht eine Frau sein?« fragte er.

»Es ist möglich,« erwiderte der Wirt; »gegenwärtig kommen viele junge Frauen so verkleidet hier durch, um sich zu ihren Liebhabern bei der Armee in Flandern zu begeben.«

Diese Erklärung brach Henri das Herz. War es nicht wahrscheinlich, daß Remy seine als Reiter verkleidete Gebieterin begleitete? Verhielt es sich so, so sah Henri nur Ärgerliches in diesem Abenteuer.

Remy log also, wenn er von ihrer ewigen Trauer sprach; die Fabel von einer vergangenen unsterblichen Liebe hatte er also erfunden, um einen überlästigen Wächter zu entfernen.

»Desto besser,« sagte Henri zu sich selbst, mehr niedergebeugt durch diese Hoffnung, als er es je durch seine Verzweiflung gewesen war, »dann wird ein Augenblick kommen, in dem ich mich dieser Frau nähern und ihr alle diese Ausflüchte vorwerfen kann, die sie, die ich in meinem Geiste und in meinem Herzen so hoch gestellt, zur gemeinen Alltäglichkeit erniedrigen; ich werde mich sodann vielleicht selbst von dem Gipfel meiner Illusionen, von der Höhe meiner Liebe herabstürzen.«

Und der junge Mann raufte sich die Haare aus und zerriß sich die Brust bei dem Gedanken, er würde vielleicht eines Tages diese Liebe und diese Illusionen, die ihn töteten, verlieren; so wahr ist es, daß ein totes Herz mehr Wert hat als ein leeres Herz.

In Brüssel zog Henri ernste Erkundigungen über den Feldzugsplan des Herzogs von Anjou ein. Was er hörte, machte ihn ernstlich besorgt um diesen Feldzug, an dem sein Bruder so großen Anteil hatte, und er beschloß demzufolge, seinen Marsch nach Antwerpen zu beschleunigen.

Es war für ihn eine unsägliche Überraschung, als er Remy und seine Gefährtin hartnäckig dieselbe Straße verfolgen sah, der er folgte. Es war ein Beweis, daß beide nach demselben Ziele strebten.

Beim Ausgange des Fleckens war Henri, im Klee verborgen, wo wir ihn gelassen, diesmal gewiß, dem jungen Mann, der Remy begleitete, ins Gesicht schauen zu können. Damit wollte er seiner letzten Ungewißheit ein Ende machen.

Als die Reisenden an dem jungen Mann vorüberritten, den sie nicht entfernt hier verborgen wähnten, war die Dame beschäftigt, ihre Haare zu glätten, die sie nicht gewagt hatte, im Wirtshaus aufzuknüpfen.

Henri sah sie, erkannte sie und fiel beinahe ohnmächtig in den Graben, wo sein Roß friedlich weidete. Die Reisenden ritten vorüber.

Oh! da bemächtigte sich der Zorn des Grafen, der so gut, so geduldig war, solange er bei den Bewohnern des geheimnisvollen Hauses die Rechtschaffenheit zu sehen geglaubt hatte, die er selbst übte. Jetzt aber fühlte er sich verraten. Nachdem er den ersten Schmerz verwunden hatte, schüttelte der junge Mann seine schönen blonden Haare, wischte sich seine mit Schweiß bedeckte Stirn ab und stieg wieder zu Pferde, entschlossen, keine von den Vorsichtsmaßregeln mehr zu nehmen, die ihm ein Überrest von Ehrfurcht geraten hatte, und er begann, den Reisenden sichtbar und mit entblößtem Antlitz zu folgen. Er war entschlossen, weder mit Remy noch mit dessen Gefährtin zu reden, sondern sich nur von ihnen erkennen zu lassen. »Oh! ja, ja!« sagte er zu sich selbst, »wenn ihnen nur noch ein wenig Herz bleibt, so wird meine Gegenwart ein blutiger Vorwurf für diese Leute ohne Treu und Glauben sein, die mir das Herz mutwillig zerreißen.«

Er hatte nicht fünfhundert Schritte hinter den zwei Reisenden gemacht, da gewahrte ihn Remy, und dessen Unruhe machte auch die Dame aufmerksam. Sie wandte sich um und glaubte Henri zu erkennen. Auch sie konnte sich nicht eines Gefühls der Bangigkeit enthalten.

»Wir sind nun in Mecheln,« sagte sie, »wechseln wir die Pferde, wenn es sein muß, um rascher zu marschieren, aber eilen wir, nach Antwerpen zu kommen.«

»Dann sage ich im Gegenteil,« versetzte Remy, »gehen wir nicht nach Mecheln hinein, unsere Pferde sind von guter Rasse, reiten wir bis zu jenem Flecken, den man dort links erblickt; er heißt, glaube ich, Villebrock; so vermeiden wir die Stadt, das Gasthaus, die Fragen, die Neugierigen und sind weniger verlegen, die Pferde und die Kleider zu wechseln, wenn es notwendig sein sollte.«

»Vorwärts, Remy, also gerade auf den Flecken zu!«

Sie wandten sich nach links und kamen auf einen kaum gebahnten Pfad, der jedoch sichtbar nach Villebrock führte. Henri verließ die Landstraße auf derselben Stelle wie sie, schlug denselben Pfad ein wie sie und folgte ihnen stets in gleicher Entfernung.

Sie kamen bald nach Villebrock. Von den zweihundert Häusern, aus denen der Flecken bestand, war nicht eines bewohnt; nur einige vergessene Hunde und Katzen liefen scheu in dieser Einsamkeit umher. Remy klopfte an zwanzig Stellen an; er sah keinen Menschen und wurde von niemand gehört.

Henri, der die Reisenden wie ihr Schatten begleitete, hielt vor dem ersten Hause des Fleckens an, klopfte an die Tür dieses Hauses, aber ebenso fruchtlos wie Remy, und da er nun vermutete, der Krieg sei die Ursache dieser Landflucht, so wartete er, um sich wieder auf den Marsch zu begeben, sobald die Reisenden aufgebrochen wären.

Dies taten sie, nachdem ihre Pferde das Korn gefressen hatten, das Remy in der Kiste eines verlassenen Wirtshauses fand.

»Madame,« sagte Remy, »wir sind weder mehr in einem ruhigen Land noch in einer gewöhnlichen Lage; wir dürfen uns nicht wie Kinder der Gefahr preisgeben. Wir werden sicher auf Franzosen oder Flamländer stoßen, abgesehen von den spanischen Parteigängern, denn in der seltsamen Lage, in der sich Flandern befindet, müssen hier Straßenläufer aller Art, Abenteurer von allen Ländern hausen; wäret Ihr ein Mann, so würde ich anders mit Euch sprechen; doch Ihr seid eine Frau, Ihr seid jung, Ihr seid schön, Ihr lauft eine doppelte Gefahr für Euer Leben und für Eure Ehre.«

»Nun! was schlagt Ihr vor? Denkt und handelt für mich; Remy, Ihr wißt, daß mein Geist nicht auf dieser Erde ist.«

»Dann bleiben wir hier, wenn Ihr mir folgen wollt, ich sehe viele Häuser, die ein sicheres Obdach bieten können; ich habe Waffen, wir werden uns verteidigen oder uns verbergen, je nachdem ich uns für stark genug oder für zu schwach halten muß.«

»Nein, Remy, nein, ich muß weiter gehen, nichts soll mich aufhalten,« erwiderte die Dame, den Kopf schüttelnd; »ich würde nur für Euch Furcht bekommen, wenn ich mich überhaupt fürchten könnte.«

»Vorwärts, also,« sagte Remy.

Und er ritt weiter, ohne ein Wort hinzuzufügen.

Die unbekannte Dame folgte ihm, und Henri du Bouchage, der zugleich angehalten hatte, setzte sich mit ihnen wieder in Marsch.

Das Wasser.

Je weiter die Reisenden kamen, desto seltsamer war der Anblick des Landes. Es sah aus, als wären die Felder und Triften verlassen wie die Flecken und die Dörfer.

In der Tat, nirgends weideten mehr Kühe auf den Wiesen, nirgends sprangen Ziegen an den Seiten des Berges oder erhoben sich an den Hecken, um die grünen Knospen der Brombeerstauden zu erreichen, nirgends waren Herde und Hirt zu sehen, nirgends der Pflug und der Pflüger, kein Handelsmann mehr, mit dem Ballen auf dem Rücken, von einer Gegend in die andere ziehend, kein Kärrner mehr, der rauhe Lieder sang und, eine geräuschvolle Peitsche in der Faust, neben seinem plumpen Karren einherschlenderte.

Soweit sich der Blick über diese herrlichen Ebenen, an den kleinen Abhängen hin, im hohen Grase, am Saume der Wälder erstreckte, keine menschliche Gestalt, keine Stimme. Man hätte glauben sollen, die Natur stehe am Vorabend des Tages, wo Menschen und Tiere geschaffen wurden.

Als die Dämmerung eintrat, suchte Henri überall, in der Luft, in den Bäumen, ja in den Wolken die Erklärung der unheilkündenden Erscheinung.

Die einzigen Personen, die diese düstere Einsamkeit belebten, waren, sich von dem Purpur der untergehenden Sonne abhebend, Remy und seine Gefährtin, die sich neigte, um zu horchen, ob nicht ein Geräusch zu ihnen käme; dann hundert Schritte dahinter Henris Gestalt, der beständig dieselbe Entfernung und dieselbe Haltung behauptete.

Die Nacht senkte sich finster und kalt herab, der Nordostwind pfiff durch die Luft und erfüllte die Öde mit einem Geräusch, das drohender schien als das Stillschweigen.

Remy hielt seine Gefährtin zurück, indem er die Hand an die Zügel ihres Pferdes legte.

»Gnädige Frau,« sagte er, »Ihr wißt, ob ich unzugänglich für die Furcht bin, Ihr wißt, ob ich einen Schritt rückwärts täte, um mein Leben zu retten; diesen Abend aber geht etwas Seltsames in mir vor, eine unbekannte Betäubung fesselt meine Sinne, lähmt mich und verbietet mir weiterzugehen. Nennt es Furcht, Verzagtheit, Schrecken, ich gestehe, zum erstenmal in meinem Leben habe ich ... Angst.«

Die Dame wandte sich um; vielleicht waren ihr alle diese drückenden Vorzeichen entgangen, vielleicht hatte sie nichts gesehen.

»Ist er immer noch da?« fragte sie.

»Oh! von ihm ist nicht mehr die Rede,« entgegnete Remy; »ich bitte Euch, denkt nicht mehr an ihn; er ist allein, und ich bin einem einzelnen Menschen gewachsen. Nein, die Gefahr, die ich fürchte, oder die ich vielmehr fühle, die ich ahne, mehr instinktartig als mit Hilfe meiner Vernunft, diese Gefahr, die herannaht, uns bedroht, uns vielleicht umgibt, diese Gefahr ist eine andere; sie ist unbekannt und deshalb um so bedrohlicher.«

Die Dame schüttelte den Kopf.

»Hört,« sagte Remy, »seht Ihr dort die Weidenbäume, die ihre schwarzen Gipfel beugen?« – »Ja.«

»Neben diesen Bäumen erblicke ich ein kleines Haus; ich bitte, laßt uns dahin gehen; ist es bewohnt, so können wir leicht Gastfreundschaft verlangen; ist es nicht bewohnt, so nehmen wir es einfach in Besitz; oh! macht keine Einwendung, ich flehe Euch an!«

Remys Bewegtheit, seine zitternde Stimme, das Überredende seiner Worte bestimmten seine Gefährtin nachzugeben. Sie wandte ihr Pferd in der von Remy angegebenen Richtung.

Einige Minuten nachher klopften die Reisenden an die Tür des unter einer Gruppe von Weidenbäumen erbauten Hauses. Ein Bach zwischen Schilfrohr und grünem Rasen bespülte mit seinem murmelnden Wasser den Fuß der Weiden; hinter dem aus Backstein gebauten und mit Ziegeln bedeckten Haus lag ein kleiner Garten, von einer lebendigen Hecke umfriedet. Dies alles war öde, leer, verlassen. Niemand antwortete auf das verdoppelte Klopfen der Reisenden.

Remy drückte unschwer die schlecht verwahrte Tür auf, führte seine Gefährtin hastig in das Haus, schlug die Tür hinter ihr zu, schob einen schweren Riegel vor und atmete nun, als ob er das Leben gewonnen hätte. Dann quartierte er seine Gebieterin in der einzigen Stube des ersten Stockes ein, wo er tappend und tastend ein Bett, einen Stuhl und einen Tisch fand. Hierauf stieg er wieder in das Erdgeschoß hinab und beobachtete durch einen etwas geöffneten Laden und durch das vergitterte Fenster die Bewegungen des Grafen, der sich dem Hause näherte.

Henris Betrachtungen waren finsterer Natur und standen mit Remys im Einklang.

»Sicher,« sagte er zu sich selbst, »schwebt eine uns unbekannte, aber, den Bewohnern bekannte Gefahr über dem Lande; der Krieg verheert die Gegend, die Franzosen haben Antwerpen genommen oder werden es nehmen; vom Schrecken ergriffen, haben die Bauern eine Zuflucht in den Städten gesucht.«

»Was machen Remy und seine Herrin hier?« fragte er sich weiter. »Welche Notwendigkeit treibt sie dieser Gefahr entgegen? Oh! ich werde es erfahren, denn der Augenblick, zu sprechen und allen meinen Zweifeln ein Ende zu machen, ist nun gekommen. Nirgends hat sich noch eine so schöne Gelegenheit gezeigt.«

Und er ging auf das Haus zu.

Doch plötzlich blieb er stehen, mit jenem Zögern, das die Herzen der Liebenden so häufig ergreift. Nachdem er sich noch einmal in wollüstigem Schmerz in die Pein seiner hoffnungslosen Liebe versenkt hatte, legte er sich endlich unter die Weiden, deren Zweige das Haus bedeckten, und horchte mit unbeschreiblich schwermütigem Gefühl auf das Gemurmel des Wassers, das an seiner Seite hinfloß.

Plötzlich bebte er, der Lärm der Kanonen erscholl auf der Nordseite und zog, vom Winde getragen, vorüber.

»Ah!« sagte er zu sich selbst, »ich werde zu spät kommen, man greift Antwerpen an.«

Der erste Entschluß Henris war, aufzustehen, wieder zu Pferde zu steigen und, vom Lärm geleitet, dahin zu eilen, wo man sich schlug; aber dann mußte er ja die unbekannte Dame verlassen und im Zweifel über sie vom Leben scheiden.

Er blieb also. Zwei Stunden lang lag er auf der Erde, horchte auf das donnerähnliche Krachen, das sein Ohr erreichte, und fragte sich, was für ein unregelmäßiges, stärkeres Krachen es wäre, das von Zeit zu Zeit das andere verstärkte.

Er hatte keine Ahnung, daß dieses Krachen von den in die Luft springenden Schiffen seines Bruders verursacht wurde.

Endlich, gegen zwei Uhr, wurde alles ruhig.

»Zu dieser Stunde,« sagte Henri zu sich selbst, »ist Antwerpen genommen, und mein Bruder ist Sieger; aber nach Antwerpen wird Gent kommen; nach Gent Brügge, und es wird mir nicht an Gelegenheit fehlen, glorreich zu sterben. Doch bevor ich sterbe, will ich wissen, was diese Frau im Lager der Franzosen sucht.«

Und als nach dem Schlachtlärm die Natur zu ihrer Ruhe zurückgekehrt war, kehrte auch Joyeuse, in seinen Mantel gehüllt, zu seiner Unbeweglichkeit zurück.

Er war in jene Art von Schlaftrunkenheit versunken, der gegen Ende der Nacht der Wille des Menschen nicht widerstehen kann, als sein Pferd, das einige Schritte von ihm weidete, die Ohren spitzte und traurig wieherte.

Henri öffnete die Augen. Aufrecht, den Kopf in einer andern Richtung als den Körper haltend, atmete das Tier den Wind ein, der von Südost kam.

»Was gibt es, mein gutes Roß?« sagte der junge Mann, indem er aufstand und seinem Pferde den Hals streichelte, »hast du eine Otter vorüberkommen sehen, die dich erschreckt, oder sehnst du dich nach dem Obdach eines guten Stalles?«

Als hätte es die Frage verstanden und wollte darauf antworten, machte das Tier eine freie, lebhafte Bewegung in der Richtung von Lier und horchte, das Auge starr und die Nüstern weit geöffnet.

»Ah! ah!« murmelte Henri, »es ist ernster, wie es scheint; ein Trupp Wölfe, der dem Heere folgt, um die Leichname zu verzehren.«

Das Pferd wieherte, senkte den Kopf und ergriff dann mit einer Bewegung, rasch wie der Blitz, die Flucht nach Westen. Doch dabei kam es in den Bereich der Hand seines Herrn, der es beim Zaume packte und aufhielt. Ohne die Zügel zusammenzunehmen, faßte es Henri bei der Mähne und schwang sich in den Sattel; hier machte er sich als guter Reiter zum Herrn seines Pferdes und hielt es fest.

Aber was das Pferd gehört hatte, fing Henri nach einem Augenblick auch an zu hören, und der Mensch erschrak, wie vorher das rohe Tier.

Ein langes Murmeln, dem eines scharfen und schweren Windes ähnlich, erhob sich von den verschiedenen Punkten eines Halbkreises, der sich von Süden nach Norden auszudehnen schien; Stöße einer frischen und mit Wasserdunst beladenen Brise unterbrachen von Zeit zu Zeit dieses Gemurmel, das dem Geräusche steigender Fluten auf den mit Kieselsteinen bedeckten, sandigen Ufern ähnlich wurde.

»Was ist denn das?« fragte Henri, »sollte es der Wind sein? Nein, das kann nicht sein. Ist es das Prasseln eines Brandes? Ebenfalls nicht; denn man sieht keinen Schimmer am Horizont, und der Himmel scheint sich sogar zu verdüstern.«

Das Geräusch verdoppelte sich und wurde deutlich; es war das unablässige, dumpfe Rollen, wie es tausend in der Ferne auf tönendem Pflaster polternde Kanonen hervorbringen würden.

Henri glaubte einen Augenblick den Grund dieses Geräusches gefunden zu haben, indem er es der von uns erwähnten Ursache zuschrieb. Bald aber sagte er: »Unmöglich, es gibt keine gepflasterte Chaussee in dieser Gegend, es gibt keine tausend Kanonen bei der Armee.«

Das Tosen kam immer näher. Henri setzte sein Pferd in Galopp und sprengte einer Anhöhe zu.

»Was sehe ich?« rief er, als er den Gipfel erreichte.

Was er sah, hatte sein Pferd vor ihm gesehen, denn er hatte es nicht in dieser Richtung vorwärts bringen können, ohne ihm die Flanken mit seinen Sporen zu zerreißen, und als es den Gipfel des Hügels erreicht hatte, bäumte es sich, daß es seinen Reiter beinahe abwarf.

Was Roß und Reiter sahen, war am Horizont ein blasses, ungeheures, endloses Band, das auf der Ebene vorrückte, einen unermeßlichen Kreis bildete und nach dem Meere zu ging. Und dieses Band erweiterte sich Schritt für Schritt vor Henris Augen.

Der junge Mann schaute unsicher die seltsame Erscheinung an, als er, nach dem Platze, den er verlassen, zurückblickend, bemerkte, daß der Wiesgrund sich mit Wasser schwängerte, und der kleine Fluß überströmte. Das Wasser rückte ganz sacht gegen das Haus heran.

»Ich unselig Wahnsinniger, der ich bin!« rief Henri, »ich erriet es nicht, es ist das Wasser! Es ist das Wasser! Die Flamländer haben ihre Dämme durchbrochen!«

Henri sprengte sogleich nach dem Hause fort, klopfte wütend an die Tür und rief:

»Öffnet, öffnet!«

Niemand antwortete.

»Öffnet, Remy!« schrie der junge Mann, wahnsinnig vor Schrecken, »ich bin es, Henri du Bouchage, öffnet!«

»Oh! Ihr braucht Euch nicht zu nennen, Herr Graf,« erwiderte Remy aus dem Innern des Hauses, »ich habe Euch längst erkannt, doch ich sage Euch nur, wenn Ihr diese Tür sprengt, so findet Ihr mich dahinter, in jeder Hand eine Pistole!«

»Du verstehst mich also nicht, Unglücklicher!« rief Henri im Tone der Verzweiflung, »das Wasser! das Wasser! es ist das Wasser!«

»Keine Fabeln, keine Vorwände, keine schmähliche List, Herr Graf. Ich sage Euch, daß Ihr über meinen Leichnam schreiten müßt, um hereinzukommen.«

»Dann werde ich darüber schreiten, aber hineinkommen,« rief Henri. »Im Namen des Himmels, im Namen Gottes, – im Namen deines Heils und des Heils deiner Gebieterin, willst du öffnen?« – »Nein!«

Der junge Mann schaute umher und erblickte einen mächtigen Stein; er hob ihn in seine Arme, von da auf seinen Kopf, lief gegen das Haus und schleuderte ihn gegen die Tür, die in tausend Stücke zersprang. Zugleich pfiff eine Kugel an Henris Ohr vorüber, jedoch ohne ihn zu berühren.

Henri stürzte auf Remy los. Dieser drückte seine zweite Pistole ab, doch nur das Zündkraut fing Feuer.

»Du siehst wohl, daß ich keine Waffen habe,« rief Henri; »wehre dich nicht mehr gegen einen Mann, der dich nicht angreift; schau' nur, schau'!«

Und er zog ihn nach dem Fenster, das er mit einem Faustschlag zerschmetterte.

»Nun,« sagte er, »siehst du nun?«

Und er deutete auf die ungeheure Wassermasse, die weiß am Horizont erschien und, während sie wie die Front eines riesigen Heeres vorrückte, ein dumpfes Murmeln und Brausen vernehmen ließ.

»Das Wasser!« murmelte Remy.

»Ja, das Wasser! das Wasser!« rief Henri; »es rückt heran; sieh zu unseren Füßen; der Fluß tritt aus, er steigt, in fünf Minuten kann man nicht mehr von hier weg.«

»Madame!« rief Remy, »Madame!«

»Kein Geschrei, keine Angst, Remy, halte die Pferde bereit, rasch, rasch!«

»Er liebt sie,« dachte Remy, »er wird sie retten.«

Remy lief in den Stall. Henri stürzte nach der Treppe.

Bei Remys Ruf hatte die Dame ihre Tür geöffnet. Der junge Mann hob sie in seine Arme, als wäre sie ein Kind. Aber sie glaubte, es sei Verrat, oder man wolle Gewalt brauchen, und sträubte sich aus Leibeskräften und klammerte sich an den Wänden an.

»Sage ihr doch,« rief Henri, »daß ich sie rette!«

Remy hörte den Ruf des jungen Mannes in dem Augenblick, wo er mit den beiden Pferden zurückkehrte.

»Ja! ja!« rief er, »ja, Madame, er rettet Euch, oder vielmehr, er wird Euch retten; kommt! kommt!«

Die Flucht.

Ohne mit Erklärungen Zeit zu verlieren, trug Henri die Dame aus dem Hause und wollte sie mit sich auf sein Pferd setzen. Doch mit einer Bewegung unüberwindlichen Widerstrebens schlüpfte sie aus dem lebendigen Ring und wurde von Remy aufgefangen, der sie auf das Pferd hob, das für sie bereitstand.

»Oh! was macht Ihr, Madame,« sagte Henri, »und wie versteht Ihr mein Herz? Es gilt für mich nicht das Vergnügen, Euch in meine Arme zu schließen, obgleich ich bereit wäre, für diese Gunst mein Leben zu opfern; es handelt sich darum, so schnell wie der Vogel zu fliehen. Seht Ihr, wie die Vögel fliehen?«

In der eben entstehenden Dämmerung sah man wirklich Scharen von Tauben die Luft mit raschem, scheuem Fluge durchschneiden.

Die Dame antwortete nichts; als sie aber im Sattel war, trieb sie ihr Pferd vorwärts, ohne den Kopf umzuwenden. Doch infolge des zweitägigen Gewaltrittes waren ihr Pferd und Remys abgemattet. Jeden Augenblick wandte sich Henri um, und als er sah, daß sie ihm nicht folgen konnte, rief er: »Seht, Madame, wie mein Pferd dem Eurigen voraneilt, und ich halte es doch mit beiden Händen zurück; laßt Euch bitten, Madame, während es noch Zeit ist; ich verlange nicht mehr, Euch in meinen Armen zu halten, aber nehmt mein Pferd und laßt mir das Eurige!«

»Ich danke, mein Herr,« erwiderte die Reisende mit ruhiger Stimme, und ohne daß sich die geringste Gemütsbewegung in ihrem Tone verriet.

»Aber, Madame,« rief Henri, indem er verzweifelte Blicke rückwärts warf, »das Wasser erreicht uns, hört Ihr, hört Ihr?«

Man vernahm in der Tat in diesem Augenblick ein furchtbares Krachen; es war der Damm eines Dorfes, den die Überschwemmung durchbrochen hatte. Bohlen, Stützen, Terrasse hatten nachgegeben, eine doppelte Reihe von Grundpfählen war mit einem donnerähnlichen Lärm zerschmettert worden, und über all diese Trümmer hinrollend, fing das Wasser an, einen Eichenwald zu stürmen, dessen Gipfel man beben sah, dessen Äste man krachen hörte, als ob eine Schar von Dämonen über das Blätterwerk hinzöge.

Die entwurzelten Bäume schlugen an den Pfählen aneinander, die eingestürzten hölzernen Häuser schwammen an der Oberfläche des Wassers; das Gewieher und das entfernte Geschrei von Menschen und Pferden, die von der Überschwemmung fortgerissen wurden, bildeten ein Konzert von so seltsamen, so traurigen Tönen, daß der Schauer, der Henri ergriffen, bis an das unempfindliche, unbezähmbare Herz der Unbekannten stieg. Sie stachelte ihr Pferd, und dieses verdoppelte seine Anstrengungen, als fühlte es selbst die drohende Gefahr.

Doch das Wasser rückte immer weiter und weiter vor, und es mußte offenbar, ehe zehn Minuten vergingen, die Reisenden erreichen. Jeden Augenblick hielt Henri an, um auf seine Gefährtin zu warten, und er rief ihr zu: »Schneller, Madame, schneller, schneller, das Wasser kommt herbei, es läuft, hier ist es!«

Es kam in der Tat, schäumend, wirbelnd, brausend; es trug wie eine Feder das Haus fort, in dem Remy seine Gebieterin untergebracht hatte; es hob wie einen Strohhalm die am Ufer des kleinen Flusses angebundene Barke auf, und majestätisch, ungeheuer, seine Ringe wie die einer Schlange rollend, rückte es, einer Mauer ähnlich, hinter den Pferden Remys und der Unbekannten heran.

Henri stieß einen Schrei des Schreckens aus und kehrte sich gegen das Wasser um, als wollte er es bekämpfen.

»Ihr seht doch, daß Ihr verloren seid,« brüllte er in Verzweiflung. »Vorwärts, Madame, vielleicht ist es noch Zeit; steigt ab, kommt mit mir, kommt!«

»Nein, mein Herr,« sagte sie.

»In einer Minute wird es zu spät sein, schaut, schaut doch!«

Die Dame wandte den Kopf um, das Wasser war ihr bis auf fünfzig Schritte nahe gekommen.

»Mein Schicksal geht in Erfüllung,« sagte sie; »Ihr aber flieht!«

Erschöpft sank das Pferd auf seine Vorderbeine und konnte sich trotz der Anspornung seines Reiters nicht mehr erheben.

»Rettet! rettet sie! und geschehe es wider ihren Willen,« rief Remy.

Und während sich der treue Diener von den Steigbügeln losmachte, stürzte das Wasser auf sein Haupt.

Bei diesem Anblick stieß seine Gebieterin einen gräßlichen Schrei aus und sprang von ihrem Rosse, entschlossen, mit Remy zu sterben. Henri aber sprang, als er ihre Absicht wahrnahm, zugleich zu Boden, umschlang ihren Leib mit seinem rechten Arm, stieg wieder auf sein Pferd und schoß wie ein Pfeil fort.

»Remy! Remy!« rief die Dame, ihre Arme nach diesem ausstreckend, »Remy!«

Ein Schrei antwortete ihr; Remy war wieder an die Oberfläche des Wassers gekommen, und mit der unbezähmbaren Hoffnung, die den Sterbenden bis an das Ende seines Todeskampfes begleitet, schwamm er, sich an einem Balken haltend.

Neben ihm war sein Pferd, das voll Verzweiflung mit seinen Vorderfüßen das Wasser schlug, während die Woge das Roß seiner Gebieterin erreichte, und kaum zwanzig Schritte vor der Woge Henri und seine Gefährtin auf dem dritten vor Angst wahnsinnigen Pferde nicht ritten, sondern flogen.

Remy beklagte nicht mehr den Verlust des Lebens, da er sterbend hoffte, die, die er allein liebte, sei gerettet.

»Gott befohlen, edle Frau, Gott befohlen!« rief er; »ich gehe zuerst und werde dem, der uns erwartet, sagen, daß Ihr lebt, um ....«

Remy vollendete nicht, ein Wasserberg schoß über ihn hin und stürzte unter den Füßen von Henris Pferde nieder.

»Remy, Remy,« rief die Dame; »ich will mit dir sterben. Mein Herr, ich will ihn erwarten. Ich will zu Boden steigen; ich will es, im Namen des lebendigen Gottes!«

Sie sprach diese Worte mit so viel Energie, mit einer solchen Macht, daß der junge Mann seine Arme löste und sie zu Boden gleiten ließ.

»Gut, Madame, dann werden wir alle drei hier sterben, und ich danke Euch, daß Ihr mir diese Freude gewährt, auf die ich nicht gehofft hatte.«

Und während er diese Worte sprach, erreichte ihn das springende Wasser, wie es Remy erreicht hatte; doch durch eine letzte Bewegung der Liebe hielt er am Arm die junge Frau zurück, die den Fuß auf die Erde gesetzt hatte. Das Wasser überwältigte sie, die wütende Woge wälzte sie einige Sekunden lang durcheinander mit anderen Trümmern fort.

Es war ein erhabenes Schauspiel, das die Kaltblütigkeit dieses jungen und ergebenen Mannes bot, der mit seiner Brust aus den Wellen ragte, während er seine Gefährtin mit der Hand unterstützte, und seine Knie, das verscheidende Pferd lenkend, dessen letzte Kräfte zu benutzen suchten.

Die Dame, von Henris rechter Hand gehalten, suchte beständig mit dem Kopf das Wasser zu überragen, während er mit der linken Hand die schwimmenden Balken und die Leichname, deren Stoß sein Pferd unter das Wasser getaucht oder zerschmettert hätte, auf die Seite schob.

Einer von diesen schwimmenden Körpern rief oder seufzte vielmehr, als er an ihnen vorüberkam: »Gott befohlen, edle Frau, Gott befohlen!«

»Beim Himmel!« rief der junge Mann, »es ist Remy! Auch dich werde ich retten.«

Und ohne die erhöhte Gefahr zu achten, ergriff er Remy am Ärmel, zog ihn auf seinen linken Schenkel und ließ ihn frei atmen. Doch durch die dreifache Last erschöpft, sank zugleich das Pferd bis an den Hals, dann bis an die Augen unter, seine gelähmten Knie bogen sich unter ihm, und es verschwand gänzlich.

»Wir müssen sterben!« sagte Henri. »Mein Gott! nimm mein Leben, es war rein.«

»Ihr, edle Frau, empfangt meine Seele, sie gehörte Euch!« fügte er hinzu.

In diesem Augenblick fühlte Henri, daß ihm Remy entschlüpfte; er leistete keinen Widerstand, um ihn zurückzuhalten; jeder Widerstand wurde nun vergeblich.

Es war seine einzige Sorge, die Dame über dem Wasser zu halten, damit sie wenigstens zuletzt stürbe, und er sich in seinem letzten Augenblick sagen könnte, er habe alles getan, was ihm möglich gewesen, um sie dem Tode streitig zu machen. Plötzlich hörte er einen Schrei an seiner Seite. Er wandte sich um und sah Remy, der eine Barke erreicht hatte.

Es war die des kleinen Hauses. Das Wasser hatte sie fortgerissen, und Remy hatte sich, als er sie in seinem Bereiche vorüberkommen sah, keuchend von Henri losgerissen und war schwimmend zur rettenden Barke gelangt.

Zwei Ruder waren an ihrem Bord angebunden, und ein Bootshaken rollte auf dem Boden.

Er reichte den Haken Henri, der ihn ergriff und die Dame nach sich zog, die er sodann über seine Schultern erhob, wo sie Remy aus seinen Händen nahm. Dann packte er selbst die Randleiste der Barke und stieg zu ihnen ein.

Als die ersten Strahlen des Tages am Himmel hervorbrachen, zeigten sie die überschwemmten Ebenen und die Barke, die sich wie ein Atom auf diesem ganz mit Trümmern bedeckten Ozean schaukelte.

Ungefähr zweihundert Schritte von ihnen erhob sich links ein kleiner Hügel, der, ganz von Wasser umgeben, eine Insel inmitten des Meeres zu sein schien. Henri ergriff die Ruder und steuerte auf den Hügel zu, gegen den sie auch die Strömung des Wassers trieb.

Remy faßte den Bootshaken und war, auf dem Vorderteile stehend, bemüht, die Ballen wegzuschieben, an denen sich die Barke stoßen konnte.

So gelang es ihnen, den Hügel zu erreichen. Remy sprang zu Boden und faßte die Kette der Barke, die er nach sich zog. Henri schritt vor, um die Dame in seine Arme zu nehmen, aber sie streckte ihre Hand aus, stand allein auf und sprang ebenfalls zu Boden.

Henri stieß einen Seufzer aus; einen Augenblick hatte er den Gedanken, sich wieder in den Abgrund zu werfen und vor ihren Augen zu sterben; doch ein unwiderstehliches Gefühl fesselte ihn an das Leben, solange er diese Frau sah, nach deren Gegenwart er sich so viele Tage vergebens gesehnt hatte. Er zog die Barke ans Land und setzte sich zehn Schritte von der Dame und von Remy. Sie waren von der dringendsten Gefahr, das heißt vom Wasser, errettet.

Henri sah dieses rasche, brausende Wasser vorüberkommen, das Haufen von französischen Leichnamen, ihre Waffen, ihre Pferde an ihnen vorüberführte. Er fühlte einen heftigen Schmerz an seiner Schulter; ein schwimmender Balken hatte ihn in dem Augenblick, wo sein Pferd unter ihm versank, getroffen. Seine Gefährtin dagegen hatte keine Wunde, sie wurde nur von der Kälte geschüttelt; Henri hatte sie vor allem bewahrt, was er von ihr abzuwenden imstande gewesen war. Henri war sehr erstaunt, als er sah, daß die beiden, so wunderbar dem Tode entgangenen Wesen nur ihm dankten und keinen Ausdruck des Dankes für Gott, den ersten Urheber ihrer Rettung, hatten.

Die junge Frau stand zuerst auf; sie bemerkte, daß man am Hintergrunde des Horizontes im Westen etwas wie Feuer durch den Nebel wahrnahm. Es versteht sich, daß diese Feuer auf einem erhobenen Punkte brannten, den die Überschwemmung nicht hatte erreichen können. Soviel man bei der kalten Morgendämmerung, die der Nacht folgte, beurteilen konnte, waren sie ungefähr eine Meile entfernt.

Remy schritt nach dem Punkte des Hügels vor, der sich in der Richtung der Feuer ausstreckte, kam dann zurück und sagte, er glaube, etwa tausend Schritte von der Stelle, wo man Fuß gefaßt, beginne eine Art Steindamm, der in gerader Linie auf die Feuer zulaufe. Was Remy an einen Damm oder wenigstens an einen Weg glauben ließ, war eine doppelte, gerade und regelmäßige Linie von Bäumen.

Bald kam der Tag, aber wolkig und ganz voll Nebel; bei hellem Wetter, bei einem reinen Himmel hätte man den Glockenturm von Mecheln gesehen, von wo man nur noch zwei Meilen entfernt sein konnte.

Henri meinte, die Feuer seien bedrohlich. Offenbar sei ein großes Unglück über die Franzosen hereingebrochen, da lauter französische und keine flämische Leiche umherschwimme, die Feuer sollten wohl nur Leichtgläubige herbeilocken.

»Doch wir können nicht hier bleiben,« entgegnete Remy; »die Kälte und der Hunger würden meine Gebieterin töten.«

»Ihr habt recht, Remy,« sagte der Graf; »bleibt hier bei ihr, ich werde den Hafendamm zu erreichen suchen und Euch Nachricht bringen.«

»Nein, Herr,« sagte die Dame, »Ihr sollt Euch nicht allein der Gefahr aussetzen; wir haben uns miteinander gerettet und werden miteinander sterben. Remy, Euren Arm, ich bin bereit!«

Henri verbeugte sich ohne Widerspruch und ging voran.

Eine Viertelstunde nachher landeten sie an dem Damm. Sie befestigten die Kette des Fahrzeugs am Fuße eines Baumes, stiegen abermals ans Land, folgten dem Damme ungefähr eine Stunde lang und kamen zu einer Gruppe flämischer Hütten, in deren Mitte, auf einem mit Linden bepflanzten Platz, um ein großes Feuer zwei- bis dreihundert Soldaten versammelt waren, über denen die Falten eines französischen Banners flatterten.

Plötzlich entfachte die Schildwache, die etwa hundert Schritte vom Biwak stand, die Lunte ihrer Muskete und rief: »Wer da?«

»Frankreich,« antwortete du Bouchage.

Dann wandte er sich gegen Diana um und sagte: »Nun, Madame, seid Ihr gerettet; ich erkenne die Standarte der Gendarmen von Aunis, eines Korps von Edelleuten, bei denen ich Freunde habe.«

In der Tat eilten einige Gendarmen den Flüchtlingen entgegen, die als Landsleute und Schicksalsgenossen mit doppelter Herzlichkeit aufgenommen wurden. Man erzählte ihnen von der furchtbaren Katastrophe der französischen Armee, der die Gendarmen nur durch ein Wunder entgangen waren. Als sich du Bouchage mit erstickter Stimme nach dem Schicksal seines Bruders erkundigte, antwortete man ihm:

»Ach! Herr Graf, wir können Euch keine sichere Nachricht von ihm geben; er hat sich geschlagen wie ein Löwe, dreimal haben wir ihn aus dem Feuer gerissen. Es ist gewiß, daß er die Schlacht überlebt hat, doch ob er auch die Überschwemmung überlebte, können wir Euch nicht sagen.«

Henri neigte das Haupt und versank in bittere Betrachtungen.

»Und der Herzog!« fragte er plötzlich.

Der Fähnrich trat näher zu Henri und erwiderte mit leiser Stimme: »Graf, der Herzog war einer der ersten, die sich flüchteten. Er ritt ein weißes Pferd, nur mit einem schwarzen Stern auf der Stirn. Nun haben wir soeben das Pferd unter einem Haufen von Trümmern vorüberkommen sehen; das Bein eines Reiters wurde im Steigbügel festgehalten und schwamm in der Höhe des Sattels.«

»Großer Gott!« rief Henri.

»Großer Gott!« murmelte Remy, der bei den Worten des Grafen »und der Herzog!« aufgestanden war, die Erzählung gehört hatte und rasch nach seiner bleichen Gefährtin blickte.

»Und dann?« fragte der Graf.

»Ja, dann?« stammelte Remy.

»Nun! bei dem Wirbel, den das Wasser an der Ecke dieses Dammes bildete, wagte sich einer von meinen Leuten vor, um die schwimmenden Zügel des Pferdes zu ergreifen; er erreichte es und hob das tote Tier in die Höhe. Wir sahen nun den weißen Stiefel und den goldenen Sporn, den der Herzog trug, erscheinen. Noch in demselben Augenblick schwoll das Wasser an, als wäre es entrüstet, sich seine Beute entreißen zu sehen. Mein Gendarm ließ das Pferd los, um nicht fortgerissen zu werden; alles verschwand. Wir werden nicht einmal den Trost haben, unserem Prinzen ein christliches Begräbnis zu geben.«

»Tot! er ist auch tot! der Erbe der Krone, welch ein Unglück!«

Remy wandte sich gegen seine Gefährtin um und sagte mit einem unbeschreiblichen Ausdruck: »Ihr seht, Madame, er ist tot.«

»Der Herr sei gelobt, daß er mir ein Verbrechen erspart,« erwiderte sie, indem sie zum Zeichen des Dankes die Augen und die Hände zum Himmel erhob.

»Ja, doch er entzieht uns die Rache,« erwiderte Remy.

»Gott hat stets das Recht, sich zu erinnern. Die Rache gehört nur dann dem Menschen, wenn Gott vergißt.«

Der Graf sah mit Schrecken die Aufregung dieser seltsamen Menschen, die er vom Tode errettet hatte; er beobachtete sie und suchte sich vergebens, um sich eine Idee von ihren Wünschen und Befürchtungen zu machen, ihre Gebärden und den Ausdruck ihrer Miene zu erklären.

Die Stimme des Fähnrichs entriß ihn seiner Betrachtung.

»Doch Ihr selbst, Graf,« fragte dieser, »was gedenkt Ihr zu machen?«

Der Graf bebte.

»Ich?« sagte er.

»Ja, Ihr?«

»Ich werde hier warten, bis der Körper meines Bruders an mir vorüberkommt,« erwiderte der junge Mann im Tone düsterer Verzweiflung; »dann werde ich ihn auch an das Land zu ziehen suchen, um ihm ein christliches Begräbnis zu geben, und, glaubt mir, wenn ich ihn einmal habe, verlasse ich ihn nicht mehr.«

Diese finsteren Worte wurden von Remy gehört, und er richtete an den jungen Mann einen Blick voll liebevoller Vorwürfe. Die Dame aber hörte nicht mehr, seitdem der Fähnrich den Tod des Herzogs von Anjou verkündigt hatte, sie betete.

Verklärung.

Nachdem sie gebetet, erhob sich Remys Gefährtin so schön und strahlend, daß dem Grafen ein Ausruf des Erstaunens und der Bewunderung entschlüpfte. Sie schien aus einem langen Schlafe zu erwachen, dessen Träume ihr Gehirn ermüdet und die Heiterkeit ihrer Züge gestört hatten, aus einem bleiernen Schlaf, der der feuchten Stirn des Schläfers die eingebildeten Qualen seines Traumes aufprägt.

Aus dieser Erstarrung sich lösend, ließ die junge Frau einen so sanften, so milden Blick, einen Blick voll so engelhafter Güte erstrahlen, daß sich Henri, leichtgläubig wie alle Liebende, einbildete, er sehe, wie sie endlich von seinen Leiden erweicht werde und einem Gefühle, wenn nicht des Wohlwollens, doch wenigstens der Dankbarkeit und des Mitleids nachgebe. Er trat zu der jungen Frau und sprach mit einer so tiefen und so sanften Stimme, daß es das Gemurmel des Windes zu sein schien: »Edle Frau, Ihr lebt! Oh! laßt mich Euch die Freude aussprechen, die aus meinem Herzen überströmt, da ich Euch hier in Sicherheit sehe, nachdem ich Euch dort auf der Schwelle des Grabes gesehen.«

»Es ist wahr, mein Herr,« erwiderte die Dame, »ich lebe durch Euch; und,« fügte sie mit einem traurigen Lächeln hinzu, »und ich möchte Euch sagen können, ich sei dankbar.«

»Nun, Madame,« sagte Henri mit einer erhabenen Anstrengung der Liebe und der Selbstverleugnung, »wenn es mir nur gelungen wäre, Euch zu retten, um Euch denen zurückzugeben, die Euch lieben.«

»Was sagt Ihr?« fragte die Dame.

»Denen, zu denen Ihr Euch durch so viele Gefahren begeben wolltet.«

»Mein Herr, die Menschen, die ich liebte, sind tot; die, zu denen ich mich begeben wollte, sind es auch.« »Oh! Madame,« flüsterte der junge Mann, indem er sacht auf seine Knie sank, »werft Eure Augen auf mich, der ich so viel gelitten, auf mich, der ich Euch so sehr geliebt. Oh! wendet Euch nicht ab, Ihr seid jung, Ihr seid schön wie ein Engel des Himmels. Lest in meinem Herzen, das ich Euch öffne, und Ihr werdet sehen, daß es nicht ein Atom der Liebe enthält, wie sie die anderen Menschen verstehen. Ihr glaubt mir nicht! Prüft die vergangenen Stunden, wägt sie ab, eine nach der andern: welche hat mir die Freude gegeben? welche die Hoffnung? und dennoch habe ich ausgeharrt. Ihr habt mich weinen lassen, ich habe meine Tränen getrunken; Ihr habt mich leiden lassen, ich habe meine Schmerzen verschlungen; Ihr habt mich zum Tode getrieben, ich ging auf ihn zu, ohne mich zu beklagen. Selbst in diesem Augenblick, wo Ihr den Kopf abwendet, wo jedes meiner Worte, so glühend es auch sein mag, wie ein Tropfen eiskalten Wassers auf Euer Herz zu fallen scheint, ist meine Seele von Euch erfüllt, und ich lebe nur, weil Ihr lebt. War ich nicht soeben nahe daran, neben Euch zu sterben? Was habe ich verlangt? Nichts. Habe ich Eure Hand berührt? Nie anders, als um Euch einer Todesgefahr zu entreißen. Ich hielt Euch in meinen Armen, um Euch den Wellen abzuringen, habt Ihr den Druck meiner Brust gefühlt? Nein. Ich bin nur noch eine Seele, und alles andere ist in dem verzehrenden Feuer meiner Seele geläutert worden.«

»Oh! Herr, habt Mitleid, sprecht nicht so!«

»Auch aus Mitleid verdammt mich nicht. Man hat mir gesagt, Ihr liebtet niemand; oh, wiederholt mir diese Versicherung; es ist eine seltsame Gunst, wenn ein Mensch, der liebt, sagen hören möchte, er werde nicht geliebt; doch ich ziehe das vor, da Ihr mir damit auch sagt, Ihr seid für alle unempfindlich. Oh, antwortet mir, Ihr, die Ihr die einzige Anbetung meines Lebens seid.«

Trotz Henris Drängen war ein Seufzer die einzige Antwort der jungen Frau. »Ihr sagt mir nichts,« fuhr der Graf fort. »Remy hatte wenigstens mehr Mitleid mit mir, als Ihr; er suchte mich wenigstens zu trösten! Ah! ich sehe, Ihr antwortet mir nicht, weil Ihr mir nicht sagen wollt, Ihr habet in Flandern einen aufgesucht, der glücklicher ist als ich.«

»Herr Graf,« erwiderte die junge Frau mit majestätischer Feierlichkeit, »sagt mir nicht dergleichen, wie man es einer Frau sagt; ich bin ein Wesen einer andern Welt und lebe nicht in dieser; hätte ich nicht für Euch im Grunde meines Herzens das zärtliche, süße Lächeln einer Schwester für ihren Bruder, so würde ich zu Euch sprechen: ›Steht auf, Herr Graf, und belästigt nicht mehr Ohren, die einen Abscheu vor jedem Liebeswort haben.‹ Doch ich werde nicht so zu Euch sprechen, denn es schmerzt mich, Euch leiden zu sehen. Mehr noch: nun, da ich Euch kenne, nehme ich Eure Hand, lege sie auf mein Herz und sage Euch freiwillig: ›Seht, mein Herz schlägt nicht mehr; lebt bei mir, wenn Ihr wollt, und wohnt Tag für Tag, wenn es Euch Freude macht, der schmerzlichen Zerstörung eines durch die Martern der Seele getöteten Körpers bei.‹ Doch dieses Opfer, das Ihr als ein Glück hinnehmen würdet, ich bin davon fest überzeugt...«

»Oh! ja,« rief Henri.

»Wohl! dieses Opfer muß ich zurückweisen; es hat sich heute etwas in meinem Leben verändert, und ich habe nicht mehr das Recht, mich auf irgendeinen Arm der Welt zu stützen, nicht einmal auf den dieses edlen Geschöpfes, dieses hochherzigen Freundes, der dort ruht und sich einen Augenblick des Glückes der Vergessenheit erfreut. Ach! armer Remy,« fuhr sie fort, indem sie ihrer Stimme den ersten Anklang von Gefühl gab, den Henri bei ihr wahrgenommen hatte, »armer Remy, dein Erwachen wird auch traurig sein; du folgst nicht den Fortschritten meines Gedankens, du liest nicht in meinen Augen, du weißt nicht, daß du, aus deinem Schlummer erwachend, dich allein auf Erden finden wirst, denn allein muß ich zu Gott aufsteigen.« »Was sagt Ihr?« rief Henri, »denkt Ihr denn auch daran zu sterben?«

Durch den schmerzlichen Schrei des jungen Grafen aufgeweckt, erhob Remy den Kopf und horchte.

»Ihr habt mich beten sehen?« fuhr die junge Frau fort.

Henri machte ein bejahendes Zeichen.

»Dieses Gebet war mein Abschied von der Erde; die Freude, die Ihr auf meinem Antlitz wahrgenommen, die Freude, die mich in diesem Augenblick überströmt, ist dieselbe, die Ihr an mir wahrnehmen würdet, wenn der Engel des Todes zu mir spräche: Erhebe dich, Diana, und folge mir zu den Füßen Gottes!«

»Diana! Diana!« flüsterte Henri, »ich weiß nun, wie Ihr heißt ... Diana, ein teurer, ein angebeteter Name!...«

Und der Unglückliche legte sich zu den Füßen der jungen Frau nieder und wiederholte diesen Namen mit der Trunkenheit eines unsäglichen Glückes.

»Oh! still,« sagte die junge Frau mit ihrem feierlichen Tone, »vergesst diesen Namen, der mir entschlüpft ist; kein Lebendiger hat das Recht, mir, indem er ihn ausspricht, das Herz zu durchbohren.«

»Oh! Madame,« rief Henri? »nun, da ich Euren Namen weiß, sagt mir nicht, daß Ihr sterben wollt.«

»Ich sage das nicht,« erwiderte die junge Frau; »ich sage, daß ich diese Welt der Tränen, des Hasses, finsterer Leidenschaften, gemeiner Interessen und namenloser Begierden verlassen werde, ich sage, daß ich nichts mehr zu tun habe unter den Geschöpfen, die Gott als meinesgleichen geschaffen hatte; ich habe keine Tränen mehr in den Augen, das Blut läßt mein Herz nicht mehr schlagen, mein Kopf erzeugt nicht einen einzigen Gedanken mehr, seitdem der Gedanke, der ihn ganz und gar erfüllte, tot ist; ich bin nur noch ein wertloses Opfer, da ich nichts mehr opfere, weder Wünsche noch Hoffnungen, indem ich auf diese Welt verzichte; doch so, wie ich bin, biete ich mich dem Herrn; er wird mich barmherzig aufnehmen, er, der mich so viel hat leiden lassen, und der nicht wollte, daß ich meinem Leiden unterliege.«

Remy, der diese Worte gehört hatte, stand auf, ging gerade auf seine Gebieterin zu und fragte mit düsterem Tone: »Ihr verlaßt mich?«

»Um zu Gott zu gehen,« erwiderte Diana und hob ihre Hand, so bleich und abgemagert wie die der Magdalena, zum Himmel empor.

»Es ist wahr,« sagte Remy und ließ sein Haupt auf seine Brust fallen, »es ist wahr.«

Und als Diana ihre Hand senkte, nahm er sie in seine Arme und drückte sie an seine Brust, wie er es mit der Reliquie einer Heiligen getan hätte.

»Oh! was bin ich gegen diese beiden Herzen,« seufzte der junge Mann mit dem Schauer der Angst.

»Ihr seid,« erwiderte Diana, »das einzige menschliche Geschöpf, auf das ich zweimal meine Augen geheftet, seitdem sie sich für immer hatten schließen sollen.«

Henri kniete nieder und sagte: »Ich danke, edle Frau, Ihr habt Euch mir ganz und gar geoffenbart; ich danke, ich sehe klar meine Bestimmung; von dieser Stunde an soll kein Wort mehr von meinem Munde, kein Atemzug meines Herzens in mir den verraten, der Euch liebte. Ihr gehört dem Herrn, edle Frau, und auf Gott bin ich nicht eifersüchtig.«

Er sprach es und erhob sich, durchdrungen von dem verklärenden Zauber, der jeden großen und unerschütterlichen Entschluß begleitet, als auf der noch mit Dünsten bedeckten Ebene der Lärm entfernter Trompeten erscholl.

Die Gendarmen sprangen nach ihren Waffen und waren zu Pferde, ehe man den Befehl gegeben.

Henri horchte.

»Meine Herren,« rief er, »es sind die Trompeten des Admirals, mein Gott und Herr! Möchten sie meinen Bruder verkünden.«

»Ihr seht wohl, daß Ihr noch etwas wünscht,« sagte Diana zum Grafen, »und daß Ihr noch einen liebt; warum solltet Ihr denn die Verzweiflung wünschen, wie die, die nichts mehr wünschen und verlangen, wie die, die niemand mehr lieben.«

»Ein Pferd!« rief Henri, »man leihe mir ein Pferd!«

»Aber wo wollt Ihr denn hinaus, da uns das Wasser von allen Seiten umgibt?« fragte der Fähnrich.

»Ihr seht wohl, daß die Ebene zugänglich ist; Ihr seht, daß sie marschieren, da ihre Trompeten erschallen.«

»Steigt oben auf die Chaussee, Herr Graf,« sagte der Fähnrich, »das Wetter hellt sich auf, und Ihr könnt vielleicht sehen.«

»Ich gehe,« sagte der junge Mann.

Henri begab sich wirklich nach der von dem Fähnrich bezeichneten Anhöhe; die Trompeten erschollen immer noch in Zwischenräumen, ohne sich zu nähern oder zu entfernen. Remy hatte wieder seinen Platz bei Diana eingenommen.

Die beiden Brüder.

Nach einer Viertelstunde kam Henri zurück; er hatte auf einem Hügel, den man vorher im Dunkel nicht hatte sehen können, eine beträchtliche Abteilung französischer Truppen verschanzt gesehen.

Mit Ausnahme eines breiten Wassergrabens, der den von den Gendarmen von Aunis besetzten Flecken umgab, fing die Ebene an, sich wie ein Teich, den man leert, freizumachen, da die Gewässer sich wieder zum Meer hinzogen, und mehrere Punkte des Terrains, die höher lagen als die anderen, erschienen allmählich wieder wie nach einer Sintflut.

Kot und Schlamm bedeckten die ganze Landschaft, und es bot ein trauriges Schauspiel, als man etwa fünfzig Reiter sich vergebens abarbeiten sah, durch den Morast den Flecken oder den Hügel zu erreichen. Man hatte von dort aus ihre Notschreie gehört, und deshalb erschollen die Trompeten unablässig.

Sobald der Wind den Nebel vollends vertrieben hatte, erblickte Henri auf dem Hügel die französische Fahne, die sich stolz am Himmel entrollte. Die Gendarmen hoben ihre Standarte in die Höhe, und man hörte von beiden Seiten Musketenschüsse als Freudenzeichen. Gegen elf Uhr schien die Sonne auf diese Szene der Verwüstung; sie trocknete einige Teile der Ebene und machte den Kamm eines Verbindungsweges gangbar.

Henri, der zuerst diesen Pfad versuchte, nahm an dem Klang der Hufeisen seines Pferdes wahr, daß eine gepflasterte Straße von dem Flecken nach dem Hügel führte; er schloß daraus, die Pferde würden bis über die Hufe, bis an das halbe Bein, vielleicht bis an die Brust in den Morast einsinken, aber, durch den soliden Grund des Bodens unterstützt, sich über Wasser halten.

Er forderte auf, den Versuch zu machen, und wagte sich, da niemand sonst den Mut dazu besaß, hinaus auf den gefahrvollen Weg. In demselben Augenblick, wo er den Flecken verließ, sah man einen Reiter vom Hügel herabkommen und es, wie Henri, versuchen, den Weg nach dem Flecken zu gewinnen.

Der ganze Abhang des Hügels war mit zuschauenden Soldaten besetzt, die ihre Arme zum Himmel erhoben und den unvorsichtigen Reiter durch ihr Flehen zurückhalten zu wollen schienen.

Die beiden Trümmer des großen französischen Armeekorps verfolgten mutig ihren Weg und gewahrten bald, daß ihre Aufgabe minder schwierig war, als es den Anschein hatte.

Schon waren die Reiter nur noch zweihundert Schritte voneinander entfernt.

»Frankreich!« rief der Reiter, der vom Hügel herabkam. Und er lupfte sein von einer weißen Feder beschattetes Toquet.

»Ah! Ihr seid es, Monseigneur,« rief Henri mit einem Freudenschrei.

»Du, Henri, du, mein Bruder,« rief der andere Reiter.

Und auf die Gefahr, rechts oder links vom Wege abzukommen, sprengten sie aufeinander zu, und unter dem wütenden Beifallgeschrei der Zuschauer im Flecken und auf dem Hügel umarmten sich bald die beiden Reiter lange und zärtlich.

Sogleich entblößten sich der Flecken und der Hügel; Gendarmen und Cheveaulegers, hugenottische und katholische Edelleute stürzten auf den durch die beiden Brüder geöffneten Weg.

Bald waren die beiden Lager vereinigt; die Arme öffneten sich, und auf dem Wege, wo alle den Tod zu finden geglaubt hatten, hörte man dreitausend Franzosen »Dank dem Himmel!« und »Es lebe Frankreich!« rufen.

»Meine Herren!« rief plötzlich die Stimme eines hugenottischen Offiziers. »Es lebe der Herr Admiral! müssen wir rufen, denn dem Herrn Herzog von Joyeuse und keinem andern verdanken wir das Leben in dieser Nacht und dieses Glück, unsere Landsleute zu umarmen.«

Ein ungeheurer Beifallsruf begleitete diese Worte.

Die Brüder wechselten ein paar von Tränen fast erstickte Worte; dann fragte Joyeuse Henri: »Und der Herzog?«

»Er ist tot,« antwortete dieser.

»Ist die Nachricht sicher?«

»Die Gendarmen von Aunis haben sein ertrunkenes Pferd gesehen und an einem Zeichen erkannt. Dieses Pferd zog an seinem Steigbügel einen Reiter nach, dessen Kopf in das Wasser getaucht war.«

»Das ist ein trauriger Tag für Frankreich,« sagte der Admiral.

Dann fügte er, sich gegen seine Leute umwendend, hinzu: »Auf, meine Herren, verlieren wir keine Zeit. Sind einmal die Wasser abgelaufen, so werden wir aller Wahrscheinlichkeit nach angegriffen; verschanzen wir uns, bis uns Nachrichten und Lebensmittel zugekommen sind.«

»Aber, Monseigneur,« erwiderte eine Stimme, »die Kavallerie wird nicht marschieren können! Die Pferde haben seit gestern um vier Uhr nichts gefressen, die armen Tiere sterben vor Hunger.«

»Es ist Korn auf unserem Lagerungsplatz,« sagte der Fähnrich; »doch wie machen wir es mit der Mannschaft?«

»Ei!« versetzte der Admiral, »wenn es Korn gibt, braucht man nicht mehr; die Menschen werden wie die Pferde leben.«

»Mein Bruder,« sagte Henri, »seht zu, daß ich Euch einen Augenblick sprechen kann.«

»Ich will den Flecken besetzen,« erwiderte Joyeuse, »wähle eine Wohnung für mich und erwarte mich dort!«

Henri suchte seine beiden Gefährten wieder auf.

»Ihr seid inmitten einer Armee,« sagte er zu Remy; »ich rate Euch, verbergt Euch in der Wohnung, die ich nehmen werde; es geziemt sich nicht, daß jeder die edle Frau sieht. Diesen Abend, wenn alles schläft, werde ich darauf bedacht sein, Euch freier zu machen.«

Remy quartierte sich mit Diana in der Wohnung ein, die ihnen der Fähnrich der Gendarmen überließ. Gegen zehn Uhr kam der Herzog von Joyeuse mit schmetternden Trompeten in den Flecken, ließ seine Leute einquartieren und gab strenge Befehle zur Vermeidung jeder Unordnung.

Dann ließ er Gerste an die Mannschaft, Hafer an die Pferde und Wasser an alle austeilen, wies den Verwundeten einige Fässer Bier und Wein an, die man in den Kellern fand, und verzehrte selbst im Angesicht aller ein Stück schwarzes Brot mit einem Glas Wasser. Und als er hierauf die Posten visitierte, wurde er überall wie ein Retter mit Ausrufen der Liebe und Dankbarkeit empfangen. »Nun gut,« sagte er, als er sich mit seinem Bruder allein befand, »nun mögen die Flamländer kommen, und ich werde sie schlagen.«

Dann schlang er seinen Arm um den Hals seines Bruders und sagte: »Laß uns nun plaudern, Freund, und sage mir, wie du nach Flandern kommst, während ich dich in Paris glaubte.«

»Mein Bruder,« erwiderte Henri, »das Leben wurde mir unerträglich, und ich reiste ab, um dich in Flandern aufzusuchen.«

»Immer aus Liebe?« fragte Joyeuse.

»Nein, aus Verzweiflung. Ich schwöre dir jetzt, Anne, ich bin nicht mehr verliebt; meine Leidenschaft ist die Traurigkeit.«

Erschüttert hörte der Admiral, wie verzweifelt der seelische Zustand seines Bruders war, und versuchte vergebens, ihn von seinen Nachtgedanken abzubringen.

»Doch, wenn es Euch gefällt, Herr Admiral,« sagte er endlich, »lassen wir meine tolle Liebe und sprechen von Dingen des Kriegs.«

»Auch gut; wenn wir länger von deiner Tollheit sprächen, würdest du mich vielleicht auch toll machen.«

»Ihr seht, daß es uns an Proviant fehlt.«

»Ich weiß es und habe schon an ein Mittel gedacht, ihn uns zu verschaffen.«

»Und habt Ihr eins gefunden?« – »Ich denke ja.«

»Welches?« – »Ich kann mich hier nicht vom Platze rühren, ehe ich Nachrichten von der Armee erhalten habe, da meine Stellung gut ist, und ich sie gegen fünffache Kräfte verteidigen würde; doch ich kann eine Abteilung von meinen Leuten ausschicken, die uns Kunde und Lebensmittel bringen sollen.«

»Gebt mir das Kommando über die Leute, die Ihr abschicken wollt.«

»Nein, das ist zu gefahrvoll, Henri; ich würde Euch dies vor Fremden nicht sagen, doch Ihr sollt nicht eines lichtlosen, unbekannten und häßlichen Todes sterben. Die Leute können auf ein Korps jener gemeinen Flamländer stoßen, die mit Dreschflegeln und Sensen fechten; Ihr tötet tausend, es bleibt einer übrig, dieser schneidet Euch entzwei oder entstellt Euch.«

»Mein Bruder, bewillige mir das, worum ich dich bitte; ich werde alle Vorsichtsmaßregeln nehmen und verspreche dir, hierher zurückzukommen.«

»Ah! ich begreife.«

»Was begreifst du?«

»Du willst den Versuch machen, ob nicht der Ruhm einer glänzenden Tat das Herz der Spröden zu erweichen vermag. Gestehe, das ist es, was dich so hartnäckig macht.«

»Ich gestehe es, wenn du es willst, mein Bruder.«

»Es sei, du hast recht; Frauen, die einer großen Liebe widerstehen, ergeben sich zuweilen einer großen Tat.«

»Ich hoffe das nicht.«

»Dann bist du ein dreifacher Narr, wenn du es ohne Hoffnung tust. Höre, Henri, suche keinen anderen Grund für die Weigerung dieser Frau, als den, daß sie launenhaft ist und weder Herz noch Augen hat.«

»Du gibst mir das Kommando, nicht wahr, Bruder?« – »Es muß sein, da du es willst.«

»Ich kann noch diesen Abend aufbrechen?« – »Das ist notwendig; du begreifst, daß wir nicht länger warten können.«

»Wieviel Mann stellst du zu meiner Verfügung?« – »Hundert, nicht mehr. Ich kann meine Stellung nicht zu sehr schwächen, das begreifst du wohl, Henri.«

»Weniger, wenn du willst, Bruder.« – »Nein, denn ich möchte dir gern das Doppelte geben können. Nur verpfände mir dein Ehrenwort, daß du, wenn du es mit mehr als dreihundert Mann zu tun hast, deinen Rückzug nimmst, statt dich töten zu lassen.«

»Bruder,« erwiderte Henri lächelnd, »du verkaufst sehr teuer einen Ruhm, den du mir nicht überlässest.« – »Oh! Henri, ich verkaufe ihn dir weder, noch werde ich ihn dir schenken; ein anderer Offizier wird die Rekognoszierung kommandieren.«

»Gib deine Befehle, und ich werde sie vollziehen!« – »Du wirst dich also nur mit gleichen, doppelten oder dreifachen Kräften in einen Kampf einlassen, nicht aber mit noch stärkeren.«

»Ich schwöre es dir.« – »Sehr gut; welches Korps willst du nun haben?«

»Laß mich hundert Mann von den Gendarmen von Aunis nehmen; ich habe viele Freunde in diesem Regiment, und wenn ich mir meine Leute auswähle, kann ich tun, was ich will.« – »Es sei, Gendarmen von Aunis.«

»Wann soll ich aufbrechen?« – »Auf der Stelle. Nur läßt du der Mannschaft eine Ration, den Pferden zwei Tagesrationen geben. Erinnere dich, daß ich schnelle und sichere Nachrichten zu haben wünsche.«

»Ich gehe, mein Bruder, hast du noch einen geheimen Befehl?«

»Laß nichts vom Tod des Herzogs verlauten. Übertreibe meine Streitkräfte, und wenn du den Körper des Prinzen findest, laß ihn, obgleich er ein böser Mensch und schlechter General war, da er zum Hause Frankreich gehörte, in eine eichene Kiste legen und durch deine Gendarmen zurücktragen, damit man ihn in Saint-Denis beerdigen kann.«

Henri nahm die Hand seines älteren Bruders, um sie zu küssen, doch dieser schloß ihn in seine Arme.

»Du versprichst mir noch einmal,« sagte Joyeuse, »daß dies keine List ist, die du anwendest, um dich im Kampfe töten zu lassen?« – »Mein Bruder, ich hatte diesen Gedanken, als ich zu dir kam; doch ich schwöre dir, dieser Gedanke ist nicht mehr in mir.«

»Und seit wann hat er dich verlassen?« – »Seit zwei Stunden.«

»Bei welcher Gelegenheit?« – »Mein Bruder, entschuldige mich.« »Gehe, Henri, gehe, deine Geheimnisse gehören dir.« – »Oh! wie gut bist du, mein Bruder.«

Und die jungen Leute umarmten sich zum zweiten Male und trennten sich dann – nicht ohne noch den Kopf umzudrehen und sich mit einem Lächeln und mit der Hand zu grüßen.

Die Expedition.

Ganz entzückt vor Freude, kehrte Henri eiligst zu Diana und Remy zurück.

»Haltet euch in einer Viertelstunde bereit, wir brechen auf,« sagte er zu ihnen. »Ihr werdet zwei gesattelte Pferde vor der Tür der kleinen hölzernen Treppe finden, die auf diesen Gang zuführt; mischt euch unter unser Gefolge und sprecht kein Wort.«

Dann auf den Balkon tretend, der um das ganze Haus lief, rief er: »Trompeter der Gendarmen, blase zum Aufsitzen.«

Sogleich erscholl der Appell im Flecken, und der Fähnrich und seine Mannschaft stellten sich vor dem Hause auf.

Ihre Leute kamen hinter ihnen mit einigen Maultieren und zwei Wagen. Remy und seine Gefährtin mischten sich unter die Leute.

Da auf Henris Aufforderung sich alle dreihundert Gendarmen zur Teilnahme drängten, mußte das Los entscheiden. Indes gab Joyeuse seinem Bruder seine letzten Instruktionen:

»Die Felder trocknen auf; es muß, wie die Leute aus der Gegend versichern, eine Verbindung zwischen Conticq und Rupelmonde bestehen; du marschierst zwischen einem Bach und einem Fluß, dem Rupel und der Schelde; für die Schelde findest du vor Rupelmonde von Antwerpen dahingeführte Schiffe; es ist nicht unerläßlich, daß du den Rupel passierst. Ich hoffe, du wirst nicht einmal nötig haben, bis Rupelmonde zu marschieren, um Proviantmagazine oder Mühlen zu finden. Warte doch,« fügte er hinzu, »du vergißt die Hauptsache, meine Leute haben drei Bauern genommen, ich gebe dir einen, der dir als Führer dienen soll. Kein falsches Mitleid; bei dem ersten Anschein von Verrat einen Pistolenschuß oder einen Dolchstoß.«

Hierauf setzten sich die durch das Los vom Fähnrich gezogenen hundert Mann, mit du Bouchage an der Spitze, sogleich in Marsch.

Henri stellte den Führer zwischen zwei Gendarmen, die beständig die Pistole in der Hand hielten.

Der Marsch der Truppe, in deren Mitte sich unbemerkt Remy und seine Gefährtin befanden, war langsam, der Weg fehlte zuweilen unter den Füßen der Pferde, und die ganze Abteilung sah sich in den Kot versunken.

Henri zeigte sich bei den mannigfachen Fährlichkeiten des Marsches als würdiger Kapitän und als wahrer Freund seiner Leute; er marschierte voran, nötigte seine ganze Truppe, seiner Spur zu folgen, und vertraute weniger auf seinen eigenen Scharfsinn als auf den Instinkt des Pferdes, das ihm sein Bruder gegeben hatte, so daß er auf diese Art jeden zum Heile führte, während er allein den Tod wagte.

Endlich kam man an das Ufer der Schelde; die Nacht war finster; die Gendarmen fanden hier zwei Männer, die in schlechtem Flämisch den Bootsmann zu bewegen suchten, sie auf das andere Ufer überzusetzen.

Dieser weigerte sich unter Drohungen. Der Fähnrich sprach Holländisch. Er rückte leise an der Spitze der Truppe vor, und während diese haltmachte, hörte er die Worte: »Ihr seid Franzosen, ihr müßt hier sterben; ihr kommt nicht hinüber.«

Der eine von den beiden Männern setzte dem Bootsmann einen Dolch an die Kehle und sagte, ohne daß er sich Mühe gab, in seiner Sprache zu reden, in vortrefflichem Französisch zu ihm: »Du wirst hier sterben, obgleich du ein Flamländer bist, wenn du uns nicht auf der Stelle hinüberfährst.«

»Haltet fest, meine Herren, haltet fest,« rief der Fähnrich, »in fünf Minuten sind wir bei euch.«

Aber während sich die Franzosen auf den Zuruf umwandten, band der Schiffer den Knoten los, der seine Barke am Ufer festhielt, stieß rasch ab und ließ sie auf dem Ufer. Doch einer von den Gendarmen ritt mit seinem Pferde in den Fluß und streckte den Bootsmann mit einem Pistolenschuß nieder. Ohne Führer drehte sich das Schiff um sich selbst, und der Wirbel trieb es zum Ufer zurück.

Die Männer bemächtigten sich des Bootes, sobald es am Rande war, und setzten sich sogleich darin fest. Der Fähnrich wunderte sich über den Eifer, mit dem sie sich abzusondern suchten, und fragte: »Ei! meine Herren, wer seid ihr denn, bitte?« – »Mein Herr, wir sind Offiziere vom Regiment der Marine und ihr Gendarmen von Aunis, wie es scheint.«

»Ja, meine Herren, und wir fühlen uns sehr glücklich, euch nützlich sein zu können; werdet ihr uns nicht begleiten?« – »Gern, meine Herren.«

»So steigt auf die Wagen, wenn ihr zu müde seid, uns zu Fuß zu folgen.«

»Darf ich euch fragen, wohin ihr geht?« sagte der von den Marineoffizieren, der noch nicht gesprochen hatte.

»Mein Herr, wir haben Befehl, bis Rupelmonde vorzurücken.«

Hierauf teilte der Offizier mit, sie seien auf einen Trupp von etwa fünfzig Spaniern gestoßen, die noch nicht weit sein könnten. Henri stellte fest, daß sich an der Mündung der Rupel in die Schelde ein Dorf befinde, wo sich wahrscheinlich die Spanier aufhielten. Er beschloß sofort, sich dorthin zu wenden.

Eine Stunde nachher fand man das Dorf, das in der Tat von den Spaniern besetzt war, von denen der Offizier gesprochen hatte; im Augenblick, wo sie es am wenigsten erwarteten, überfallen, leisteten sie kaum Widerstand.

Henri ließ die Gefangenen entwaffnen, schloß sie in das stärkste Haus des Dorfes ein und stellte einen Posten von zehn Mann davor, um sie bewachen zu lassen. Ein anderer Posten von zehn Mann wurde zur Bewachung des Bootes abgeschickt. Zehn weitere Leute wurden als Schildwachen auf verschiedenen Posten zerstreut, mit dem Versprechen, nach Verlauf einer Stunde abgelöst zu werden.

Henri bestimmte nun, man könnte je zu zwanzig Mann zu Abend essen, in dem Hause dem gegenüber, wo die spanischen Gefangenen eingeschlossen waren. Für Diana und Remy, die er nicht mit den andern wollte zu Nacht speisen lassen, wählte Henri ein Zimmer im ersten Stock.

Er ließ den Fähnrich und siebzehn Mann Platz nehmen, die beiden Marineoffiziere dazu holen und machte sich dann selbst auf, alle Posten genau zu kontrollieren. Als Henri zurückkehrte, sah er, daß man mit dem Mahl trotz des größten Hungers auf ihn gewartet hatte.

Man bezeichnete Henri den Ehrenplatz. Er setzte sich und sagte: »Esset, meine Herren!«

Sobald diese Erlaubnis gegeben war, bewies der Lärm der Messer und Gabeln, daß sie mit einer gewissen Ungeduld erwartet und mit äußerster Zufriedenheit aufgenommen wurde.

»Ah!« fragte Henri den Fähnrich, »hat man unsere beiden Marineoffiziere wiedergefunden?« – »Ja, Herr.«

»Wo sind sie?« – »Dort am Ende der Tafel.«

Sie saßen nicht nur am Ende der Tafel, sondern am dunkelsten Orte des Zimmers.

»Meine Herren,« rief Henri, »ihr habt einen schlechten Platz und eßt nicht, wie mir scheint.«

»Wir danken, Herr Graf,« erwiderte einer von ihnen, »wir sind sehr müde und bedürfen mehr des Schlafes als der Speise; wir sagten das schon Euren Herren Offizieren, aber sie entgegneten beharrlich, es sei Euer Befehl, daß wir mit Euch zu Nacht speisten. Das ist eine große Ehre für uns, wofür wir Euch sehr dankbar sind. Doch wenn Ihr nichtsdestoweniger, statt uns länger zu behalten, die Güte haben wolltet, uns ein Zimmer zu geben ....«

Henri hatte mit tiefer Aufmerksamkeit zugehört, doch offenbar mehr auf die Stimme als auf die Worte.

»Und das ist auch die Ansicht Eures Gefährten?« sagte Henri, als der Marineoffizier nicht mehr sprach. Und er schaute diesen Gefährten, der seinen Hut über die Augen niedergeschlagen hielt und hartnäckig kein Wort sprach, mit so tiefer Aufmerksamkeit an, daß mehrere Tischgenossen seinen Blicken zu folgen anfingen.

Genötigt, die Frage des Grafen zu beantworten, quetschte der Unbekannte die fast unverständlichen Worte hervor: »Ja, Graf.«

Bei diesen zwei Worten bebte der junge Mann. Er stand auf und ging auf das untere Ende des Tisches zu, während alle Anwesenden seinen Bewegungen folgten.

Henri blieb bei den beiden Offizieren stehen und sagte zu dem, der zuerst gesprochen hatte: »Mein Herr, gewährt mir eine Bitte.«

»Welche, Herr Graf?« – »Versichert mir, daß Ihr nicht der Bruder des Herrn Aurilly oder Herr Aurilly selbst seid.«

»Aurilly!« riefen alle Anwesenden.

»Und,« fuhr Henri fort, »und Euer Gefährte wolle seinen Hut, der sein Gesicht bedeckt, ein wenig lupfen, sonst werde ich ihn Monseigneur nennen und mich vor ihm verbeugen.«

Und den Hut in der Hand, verbeugte sich Henri zugleich ehrfurchtsvoll vor dem Unbekannten.

Dieser erhob das Haupt.

»Monseigneur, der Herzog von Anjou!« riefen die Offiziere.

»Der Herzog am Leben!«

»Wahrhaftig, meine Herren,« sagte der Offizier, »da ihr euren besiegten und flüchtigen Prinzen anerkennen wollt, so werde ich nicht länger dieser Kundgebung widerstehen, für die ich euch dankbar bin; ihr täuschtet euch nicht, meine Herren, ich bin der Herzog von Anjou.«

»Es lebe Monseigneur!« riefen die Offiziere.

Der Herzog von Anjou.

Obgleich aufrichtig, ärgerten doch all diese Ausrufungen den Prinzen.

»Oh! still, still, meine Herren,« sagte er, »ich bitte, seid nicht zufriedener als ich mit dem Glück, das mir widerfährt. Glaubt mir, es freut mich, daß ich nicht tot bin, und dennoch, wenn ihr mich nicht erkannt hättet, würde ich mich nicht zuerst gerühmt haben, daß ich lebe. Wieviel Mann habt Ihr unter Euren Befehlen, du Bouchage?«

»Hundert, Monseigneur.«

»Ah! ah! hundert von zwölftausend, welch ein Verhältnis! Und dein Bruder ist doch auch tot, nicht wahr, du Bouchage?«

Henri fühlte, wie ihm diese kalte Frage das Herz zerriß.

»Nein, Monseigneur, er lebt,« erwiderte er.

»Ah! desto besser,« sagte der Herzog mit seinem eisigen Lächeln; »wie! unser braver Joyeuse ist am Leben geblieben! Wo ist er, daß ich ihn umarme?« – »Er ist nicht hier, Monseigneur.«

»Ah! ja, verwundet?« – »Nein, gesund und wohlbehalten.«

»Doch flüchtig, wie ich, umherirrend, ausgehungert, ein armer, sich schämender Krieger; ah! das Sprichwort hat recht; für den Ruhm das Schwert, nach dem Schwert das Blut, nach dem Blut die Tränen.« »Monseigneur, ich kannte das Sprichwort nicht und bin trotz des Sprichworts erfreut, Eurer Hoheit mitzuteilen, daß mein Bruder das Glück gehabt hat, dreitausend Mann zu retten, mit denen er einen großen Flecken, sieben Meilen von hier, besetzt hält, und ich selbst bin nur Kundschafter seiner Armee.«

Der Herzog erbleichte.

»Dreitausend Mann,« sagte er, »und Joyeuse hat diese dreitausend Mann gerettet. Weißt du, daß dein Bruder ein Xenophon ist; es ist bei Gott ein großes Glück, daß mein Bruder mir den deinigen geschickt hat, sonst käme ich allein nach Frankreich zurück. Es lebe Joyeuse! pfui, über das Haus Valois!«

»Monseigneur, oh, Monseigneur!« sagte du Bouchage, vom Schmerz zusammengeschnürt, als er sah, welche düstere Eifersucht sich unter den Worten des Prinzen verbarg.

»Nein, bei meiner Seele, ich spreche die Wahrheit, nicht wahr, Aurilly? Wir kehren nach Frankreich zurück, wie Franz I. nach der Schlacht von Pavia. Alles ist verloren, nur nicht die Ehre! Ah! ah! ah! ich habe den Wahlspruch des Hauses Frankreich wiedergefunden.«

Ein düsteres Stillschweigen empfing sein Gelächter, das so schmerzlich klang, als wäre es ein Schluchzen gewesen.

»Monseigneur,« sagte Henri, »erzählt uns, wie der Schutzgott Frankreichs Eure Hoheit gerettet hat.«

»Ei, lieber Graf, das ist ganz einfach; der Schutzgott Frankreichs war in diesem Augenblick mit etwas anderem, mit etwas Wichtigerem ohne Zweifel beschäftigt, so daß ich mich ganz allein geflüchtet habe.«

»Und wie dies, Monseigneur?«

»Über Hals und Bein.«

Nicht ein Lächeln wurde diesem Scherze zuteil, den der Herzog sicher mit dem Tode bestraft hätte, wenn ihn ein anderer als er gemacht haben würde. »Ja, ja, das ist das richtige Wort,« fuhr er fort, »wie wir liefen, nicht wahr, mein braver Aurilly?«

»Jeder kennt den kalten Mut und das militärische Genie Eurer Hoheit,« sagte Henri; »wir bitten sie also, uns nicht das Herz dadurch zu zerreißen, daß sie sich Fehler zuschreibt, die ihr nicht zur Last fallen. Der beste General ist nicht unüberwindlich, und selbst Hannibal ist bei Zama besiegt worden.«

»Ja,« erwiderte der Herzog, »aber Hannibal hatte vorher vier Schlachten gewonnen, und ich nur eine.«

»Aber Monseigneur scherzt, wenn er sagt, er sei geflohen.«

»Nein, bei Gott! ich scherze nicht; findest du übrigens, daß dies ein Stoff zum Scherzen ist, du Bouchage?«

»Konnte man etwas anderes tun, Herr Graf?« sagte Aurilly, der glaubte, es sei nötig, daß er seinem Herrn zu Hilfe komme.

»Schweige, Aurilly,« sagte der Herzog; »frage den Schatten Saint-Aignans, ob man nicht fliehen konnte?«

Aurilly neigte den Kopf. »Ah! Ihr kennt Saint-Aignans Geschichte nicht; es ist wahr; ich will sie euch erzählen; sie läßt sich in drei Grimassen teilen.«

Bei diesem gehässigen Scherze falteten die Offiziere die Stirn, ohne sich darum zu kümmern, ob sie ihrem Herrn mißfielen oder nicht.

»Denkt euch also, meine Herren,« sagte der Prinz, der dieses Zeichen der Mißbilligung gar nicht bemerkt zu haben schien, »denkt euch, daß er, als ich die Schlacht für verloren erklärte, fünfhundert Pferde sammelte und, statt wie alle zu fliehen, auf mich zukam und zu mir sagte: ›Man muß angreifen, Monseigneur.‹

›Wie angreifen?‹ erwiderte ich; ›Ihr seid ein Narr, Saint-Aignan, sie sind hundert gegen einen.‹

›Und wären es tausend,‹ entgegnete er mit einer abscheulichen Grimasse, ›ich werde angreifen.‹

›Greift an, mein Lieber, greift an,‹ rief ich, ›ich greife nicht an; im Gegenteil.‹

›Ihr werdet mir aber Euer Pferd geben, das nicht mehr laufen kann, und das meinige nehmen, das noch frisch ist; da ich nicht fliehen will, so ist jedes Pferd gut für mich.‹ »Und er nahm in der Tat meinen Schimmel, gab mir seinen Rappen und sagte zu mir:

›Prinz, das ist ein Läufer, der zwanzig Meilen in vier Stunden zurücklegt, wenn Ihr wollt.‹

»Dann wandte er sich gegen seine Leute um und rief: ›Auf, meine Herren, folgt mir; vorwärts, wer nicht Fersengeld geben will!‹

»Und er jagte mit einer zweiten Grimasse, die noch abscheulicher war als die erste, auf den Feind zu.

»Er glaubte, Menschen zu finden, und fand Wasser; ich hatte dies vorhergesehen: Saint-Aignan und seine Paladine sind dort geblieben.

»Hätte er auf mich gehört, statt die unnütze Heldentat zu unternehmen, so säße er mit uns an diesem Tische und würde zu dieser Stunde nicht eine dritte Grimasse machen, die wahrscheinlich noch häßlicher ist als die beiden ersten.«

Ein Schauer des Abscheus durchlief den Kreis der Anwesenden.

»Dieser Elende hat kein Herz,« dachte Henri. »Oh! warum beschützen ihn sein Unglück, seine Schmach und besonders seine Geburt gegen die Herausforderung, die man so gern an ihn richten würde?«

»Meine Herren,« sagte mit leiser Stimme Aurilly, da er fühlte, welche Wirkung in dieser Versammlung von Leuten von Herz die Worte des Prinzen hervorgebracht hatten, »Ihr seht, wie Monseigneur angegriffen ist, merkt nicht auf das, was er spricht; seitdem ihm das große Unglück widerfahren ist, glaube ich, daß er wirklich in gewissen Augenblicken irreredet.«

»So also,« sagte der Prinz, sein Glas leerend, »ist Saint-Aignan gestorben, und so lebe ich; übrigens hat er mir sterbend einen Dienst geleistet, indem er dadurch, daß er mein Pferd ritt, glauben ließ, ich wäre tot; und dieses Gerücht hat sich nicht nur bei der französischen Armee, sondern auch bei der flämischen verbreitet, die infolgedessen langsamer bei meiner Verfolgung zu Werke ging; doch seid unbesorgt, meine Herren, unsere guten Flamländer sollen das nicht ins Paradies mitnehmen; wir werden eine Genugtuung bekommen, und zwar eine blutige, und ich bilde mir seit gestern, im Geiste wenigstens, die furchtbarste Armee, die je bestanden hat.«

»Mittlerweile, Monseigneur,« sagte Henri, »wird Eure Hoheit das Kommando über meine Leute übernehmen; es geziemt sich für mich, einen einfachen Edelmann, nicht, da, wo ein Sohn von Frankreich ist, auch nur einen einzigen Befehl zu geben.«

»Es sei,« sagte der Prinz, »und ich fange damit an, daß ich allen befehle, zu Nacht zu speisen, Euch besonders, Herr du Bouchage, denn Ihr habt Euren Teller nicht einmal berührt.«

»Monseigneur, ich habe keinen Hunger.«

»Dann, mein Freund du Bouchage, kehrt zur Kontrolle der Posten zurück. Sagt den Führern, daß ich lebe, doch bittet sie, sich nicht zu laut darüber zu freuen, ehe wir eine bessere Zitadelle erreicht oder mit dem Armeekorps unseres unbesiegbaren Joyeuse zusammengetroffen sind, denn ich gestehe Euch, ich möchte weniger als je gefangen werden, nun, da ich dem Feuer und dem Wasser entgangen bin.«

»Monseigneur, man wird Eurer Hoheit streng gehorchen, und niemand, mit Ausnahme dieser Herren, soll erfahren, daß sie uns die Ehre erweist, unter uns zu verweilen.«

Während du Bouchage den Befehl der Postenkontrolle mit um so größerer Pünktlichkeit vollzog, als er nicht den Anschein haben wollte, es ärgere ihn, gehorchen zu müssen, suchten Franz und Aurilly ihre Neugierde zu befriedigen.

Der Herzog fand es sonderbar, daß ein Mann von dem Namen und Rang von du Bouchage das Kommando über eine Handvoll Leute und eine so gefahrvolle Expedition übernommen hatte. Er war aber stets voll Verdacht, und jeder Verdacht bedurfte der Aufklärung. Er horchte also und erfuhr, daß der Großadmiral, als er seinen Bruder an die Spitze des Unternehmens gestellt, nur dessen dringenden Bitten nachgegeben habe. Es wurde dem Herzog dies von dem Fähnrich der Gendarmen von Aunis mitgeteilt, der du Bouchage aufgenommen hatte. Der Prinz hatte eine leichte Regung des Ärgers im Herzen des Fähnrichs gegen du Bouchage wahrzunehmen geglaubt, und deshalb befragte er ihn.

»Was war denn aber die Absicht des Grafen,« sagte der Prinz, »als er so dringend um ein so armseliges Kommando bat?«

»Einmal wollte er der Armee einen Dienst leisten,« erwiderte der Fähnrich, »und an diesem Gefühle zweifle ich nicht.«

»Einmal? habt Ihr gesagt, und was ist das sodann

»Ah! Monseigneur, ich weiß es nicht.«

Erst auf wiederholtes Drängen des Herzogs bemerkte der Fähnrich, du Bouchage wolle vielleicht einen Verwandten zugleich geleiten. Da fuhr auch schon Aurilly, der sich anderwärts Auskunft geholt hatte, mit der Bemerkung dazwischen:

»Die Sache ist um so interessanter, als sich unter dem Verwandten eine Verwandtin in Männerkleidern birgt.«

»Oh! Monseigneur,« sagte der Fähnrich, »ich bitte Euch; Herr Henri schien große Achtung vor dieser Dame zu haben und würde aller Wahrscheinlichkeit nach dem Indiskreten schwer grollen.«

»Ohne Zweifel, Herr Fähnrich; wir werden stumm sein wie die Gräber, seid unbesorgt, stumm wie der arme Saint-Aignan. Ah! Henri hat eine Verwandtin bei sich, mitten unter Gendarmen? Und wo ist sie, Aurilly, diese Verwandtin?« – »Dort oben.«

»Wie, dort oben, in jenem Hause?« – »Ja, Monseigneur; doch still! hier kommt Herr du Bouchage.«

»Still!« wiederholte der Prinz mit einem schallenden Gelächter.

Eine Erinnerung des Herzogs von Anjou.

Der junge Mann konnte bei seiner Rücklehr das unheimliche Gelächter des Herzogs von Anjou hören, doch er hatte nicht genug bei seiner Hoheit gelebt, um zu wissen, welche Drohung in solcher Kundgebung des Prinzen lag.

Er hätte auch an der Unruhe einiger Gesichter wahrnehmen können, daß man über ihn gesprochen hatte.

Doch Henri war nicht mißtrauisch genug, um dergleichen zu erraten. Überdies wachte Aurilly gut, und der Herzog, der seinen Plan ohne allen Zweifel schon gemacht hatte, hielt Henri bei sich zurück, bis sich alle bei dem Gespräch gegenwärtigen Offiziere entfernt hatten.

Der Herzog hatte einige Abänderungen bei der Verteilung der Posten getroffen. Er nahm selbst das Hauptquartier in Dianas Hause ein und schickte den Fähnrich an den nächstwichtigen Posten am Flusse.

Henri wunderte sich nicht darüber. Der Prinz hatte bemerkt, daß dieser Punkt der wichtigste war, und er überließ ihm diesen; das war ganz natürlich, so natürlich, daß jeder und Henri zuerst sich in seiner Absicht täuschte.

Nur glaubte er, dem Fähnrich der Gendarmen die beiden Personen, über die er wachte und die er für den Augenblick wenigstens verlassen mußte, empfehlen zu sollen. Doch bei den ersten Worten, die Henri mit dem Fähnrich zu reden versuchte, trat der Herzog dazwischen.

»Geheimnisse!« sagte er mit seinem Lächeln.

Der Gendarm hatte begriffen, welche Indiskretion er begangen, aber es war zu spät. Er bereute es, wollte dem Grafen zu Hilfe kommen und erwiderte: »Nein, Monseigneur, der Herr Graf fragt mich nur, wieviel Pfund trockenes Pulver mir bleiben.«

»Ah! das ist etwas anderes,« rief der Herzog.

Während sich dann aber der Herzog gegen die Tür umwandte, die man gerade öffnete, flüsterte der Fähnrich Henri zu: »Seine Hoheit weiß, daß Ihr jemand begleitet.«

Du Bouchage bebte; doch es war zu spät. Nicht einmal dieses Beben war dem Herzog entgangen, und, als wollte er sich selbst versichern, daß man überall seine Befehle vollzogen, schlug er dem Grafen vor, ihn bis zu seinem Posten zu führen, ein Vorschlag, den Henri wohl annehmen mußte.

Henri hätte Remy gern wissen lassen, er möge auf seiner Hut sein und zum voraus eine Antwort bereithalten, doch dies war nicht möglich; alles, was er tun konnte, war, daß er den Fähnrich mit den Worten verabschiedete: »Wacht wohl über dem Pulver, nicht wahr? Wacht darüber, als ob ich selbst es täte.«

»Ja, Herr Graf,« erwiderte der junge Mann.

Auf dem Wege fragte der Herzog den Grafen du Bouchage: »Wo ist das Pulver, das Ihr unserem jungen Offizier empfehlt, Graf?«

»In dem Hause, das ich zum Hauptquartier gewählt hatte, Hoheit.«

»Seid unbesorgt,« erwiderte der Herzog, »ich kenne zu gut die Wichtigkeit eines solchen Vorrats in der Lage, in der wir uns befinden, um nicht jede Aufmerksamkeit darauf zu richten. Nicht unser junger Fähnrich wird darüber wachen, sondern ich.«

Man kam, ohne weiter zu reden, zu dem Zusammenlauf des Flusses und des Baches; der Herzog empfahl du Bouchage auf das strengste, seinen Posten nicht zu verlassen, und kehrte zurück.

Aurilly war aus dem Speisezimmer nicht weggegangen und schlief, auf einer Bank liegend, in dem Mantel eines Offiziers. Der Herzog klopfte ihm auf die Schulter und weckte ihn auf. Aurilly rieb sich die Augen und schaute den Prinzen an.

»Hast du gehört?« fragte ihn dieser. – »Ja, gnädigster Herr.« »Weißt du denn auch, wovon ich spreche?« – »Bei Gott! von der unbekannten Dame, von der Verwandtin des Grafen du Bouchage.«

»Gut, ich sehe, daß das Brüsseler Faro und das Löwener Bier dein Gehirn noch nicht ganz abgestumpft haben,« – »Immerzu, Monseigneur, sprecht oder macht nur ein Zeichen, und Eure Hoheit wird sehen, daß ich erfindungsreicher bin als je.«

»Wir wollen sehen? Rufe deine ganze Einbildungskraft zu Hilfe und errate« – »Wohl, gnädigster Herr, ich errate, daß Eure Hoheit neugierig ist.«

»Ah! bei Gott! das ist Temperamentssache, du brauchst mir nur zu sagen, was meine Neugierde zu dieser Stunde reizt.« – »Ihr wollt wissen, wer das brave Geschöpf ist, das den beiden Herren von Joyeuse durch Wasser und Feuer folgt?«

»Übrigens hast du schon den aufgetragenen Brief an meine Schwester Margot geschrieben?«

»Womit soll ich schreiben, Hoheit? Ich habe hier weder Tinte noch Feder noch Papier.«

»Wohl! so suche!« – »Wie soll ich das in der Hütte eines Bauern finden, der, es ist tausend gegen eines zu wetten, gar nicht schreiben kann?«

»Suche immerhin, Dummkopf, und wenn du das nicht findest, nun wohl, so wirst du etwas anderes finden.«

– »Oh! ich Einfaltspinsel, der ich bin,« rief Aurilly, sich vor die Stirn schlagend; »wahrhaftig, ja, Eure Hoheit hat recht, mein Kopf wird schwerfällig, aber ich bin gar so schläfrig.«

»Gut, gut, ich will dir wohl glauben, und da du nicht geschrieben hast, so werde ich schreiben, suche mir nur alles, was ich zum Schreiben brauche; suche, Aurilly, suche und kehre nicht eher zurück, als bis du gefunden hast; ich bleibe hier.« – »Ich gehe, Monseigneur.«

»Und wenn du bei deinem Nachsuchen bemerkst, daß das Haus malerisch ist ... Du weißt, wie ich den flämischen Stil liebe, Aurilly!« – »Ja, Monseigneur.« »Nun, so rufst du mich.« – »Auf der Stelle, Monseigneur, Ihr könnt ruhig sein ...«

Aurilly stand auf und wandte sich leicht wie ein Vogel nach der anstoßenden Stube, wo sich der Fuß der Treppe fand.

Nach fünf Minuten kam er zu seinem Herrn zurück, der es sich in dem großen Saal bequem gemacht hatte.

»Nun?« fragte dieser. – »Gnädigster Herr, wenn ich dem Anschein glauben darf, muß das Haus teufelsmäßig malerisch sein.«

»Warum?« – »Weil man nicht hinein kann, wie man will.«

»Was sagst du?« – »Ich sage, daß es von einem Drachen bewacht wird.«

»Was soll dieser alberne Scherz!« – »Ei! Monseigneur, es ist leider kein alberner Scherz, sondern eine traurige Wahrheit. Der Schatz ist im ersten Stock in einer Stube, hinter deren Tür man ein Licht glänzen sieht, und vor dieser Tür findet man einen Menschen, der in einem großen grauen Mantel auf der Schwelle liegt.«

»Ho! ho! sollte es sich Herr du Bouchage erlauben, einen Gendarmen vor die Tür seiner Geliebten zu legen?«

– »Es ist kein Gendarm, sondern ein Diener der Dame und des Grafen selbst.«

»Und was für eine Art von Diener?« – »Gnädigster Herr, es ist nicht möglich, sein Gesicht zu sehen, doch was man sieht, ist ein breites flämisches Messer, das in seinem Gürtel steckt, und worauf er eine kräftige Hand stützt.«

»Das ist anziehend, wecke mir diesen Burschen ein wenig.« – »Ah! nein, Hoheit.«

»Was sagst du?« – »Ich sage, daß ich mir, abgesehen von dem flämischen Messer, nicht aus den Herren von Joyeuse, die bei Hofe sehr wohlgelitten sind, Todfeinde machen will. Wären wir Könige der Niederlande gewesen, dann ginge es wohl an; doch wir haben nur die Freundlichen zu spielen, Monseigneur, besonders gegen die, die uns gerettet; denn die Joyeuse haben uns gerettet. Nehmt Euch in acht, Hoheit, wenn Ihr es nicht sagt, werden sie es sagen.«

»Du hast recht, Aurilly,« sagte der Herzog, mit dem Fuße stampfend, »du hast recht, und dennoch ...« –

»Ja, ich begreife; und dennoch hat Eure Hoheit nicht ein einziges Frauengesicht seit vierzehn tödlichen Tagen gesehen. Ich spreche nicht von jenen Tieren, die die Polder bewohnen.«

»Ich will diese Geliebte von du Bouchage sehen, Aurilly, ich will sie sehen, hörst du?« – »Ja, Monseigneur, ich höre.«

»Nun, so antworte.« – »Wohl, Hoheit, ich antworte, daß Ihr sie vielleicht sehen werdet, aber nicht durch die Tür.«

»Es sei; wenn ich sie aber nicht durch die Tür sehen kann, so werde ich sie wenigstens durch das Fenster sehen.«

– »Ah! das ist ein Gedanke, Monseigneur, und zum Beweis, daß ich ihn vortrefflich finde, will ich Euch eine Leiter holen ...«

Aurilly schlüpfte in den Hof des Hauses und fand nach einigem Suchen eine Leiter.

Er trug sie vorsichtig auf die Straße und legte sie dort an die äußere Mauer an.

Aurilly machte aber den Prinzen auf eine Schildwache aufmerksam, die, da sie nicht wußte, wer die beiden Männer waren, eben »Wer da!« rufen wollte.

Franz zuckte die Achseln und ging gerade auf den Soldaten zu. Aurilly folgte ihm.

»Mein Freund,« sagte der Prinz, »nicht wahr, dieser Punkt ist der höchste Punkt des Fleckens?«

»Ja, Monseigneur,« antwortete die Schildwache, die, Franz erkennend, grüßte, »und wären nicht diese Linden, so könnte man beim Mondschein einen Teil der Landschaft überschauen.«

»Ich vermutete es,« sagte der Prinz; »ich habe auch diese Leiter bringen lassen, um darüber hinaus zu schauen. Steige also hinauf, Aurilly, oder nein, laß mich hinaufsteigen, ein Fürst muß alles selbst sehen.«

»Wo soll ich die Leiter anlegen, gnädigster Herr?« fragte der gleisnerische Diener.

»Irgendwohin, meinetwegen an diese Wand.«

Sobald die Leiter angelegt war, stieg der Prinz hinauf. Mochte er nun das Vorhaben des Prinzen vermuten, oder war es natürliche Diskretion, der Soldat wandte den Kopf auf die entgegengesetzte Seite.

Der Prinz erreichte die Höhe der Leiter; Aurilly blieb am Fuß.

Das Zimmer, in dem Henri Diana eingeschlossen hatte, war mit Matten belegt, und die Ausstattung bestand aus einem großen Bett von Eichenholz mit Vorhängen von Sarsche, einem Tisch und einigen Stühlen.

Die junge Frau, deren Herz seit der falschen Nachricht vom Tode des Prinzen, die sie im Lager der Gendarmen von Aunis erfahren, von einer ungeheuren Last erleichtert zu sein schien, hatte von Remy etwas Speise verlangt, was ihr dieser mit dem Eifer einer unsäglichen Freude herbeigeschafft.

Zum ersten Male hatte Diana nun seit der Stunde, wo sie den Tod ihres Vaters erfahren, ein etwas kräftigeres Gericht als Brot gekostet, zum ersten Male hatte sie ein paar Tropfen von einem Rheinwein getrunken, der von den Gendarmen in einem Keller gefunden und du Bouchage überbracht worden war.

Nach diesem Mahl, so leicht es auch war, floß Dianas Blut, von so vielen heftigen Gemütsbewegungen und unerhörten Strapazen gepeitscht, stürmischer ihrem Herzen zu, zu dem es den Weg vergessen zu haben schien; Remy sah, wie ihr die Augen schwer wurden, und wie ihr Kopf sich auf ihre Schulter neigte.

Er zog sich bescheiden zurück und legte sich auf die Türschwelle. Diana schlief ihrerseits, den Ellenbogen auf den Tisch, ihren Kopf auf ihre Hand gestützt. Ihr geschmeidiger, zarter Leib war auf ihrem Stuhle mit der langen Lehne seitwärts geneigt; eine kleine, eiserne Lampe, die neben einem halb geleerten Teller auf dem Tische stand, beleuchtete ihr Antlitz, das beim ersten Anblick so ruhig zu sein schien, während soeben ein Sturm darin erloschen war, der sich bald wieder entzünden sollte.

Die Augen geschlossen, diese Augen mit den azurgeaderten Lidern, den Mund sanft und leicht geöffnet, die Haare über den Capuchon der groben Männerkleidung, die sie trug, zurückgeworfen, musste Diana wie eine erhabene Vision den Blicken erscheinen, die das Heiligtum ihres Asyls verletzen wollten.

Als sie der Herzog erblickte, konnte er sich einer Bewegung der Bewunderung nicht erwehren; er stützte sich auf den Rand des Fensters und verschlang mit den Augen diese ideale Schönheit bis auf die kleinsten Einzelheiten.

Doch plötzlich, mitten unter dieser Betrachtung, faltete sich seine Stirn; er stieg wieder zwei Sprossen mit einer Art nervöser Hast herab, lehnte sich an die Wand, kreuzte seine Arme über seiner Brust und träumte.

Aurilly, der ihn nicht aus den Augen verlor, konnte sehen, wie seine Blicke unbestimmt im Raume umherschweiften, wie die eines Menschen, der seine ältesten Erinnerungen zurückruft.

Nachdem er so zehn Minuten unbeweglich verharrt war, stieg der Herzog wieder zum Fenster hinauf, schaute abermals, behielt aber dieselbe Ungewißheit in seinem Blicke. Na näherte sich Aurilly plötzlich der Leiter und flüsterte ihm zu: »Rasch, rasch, Hoheit, steigt herab, ich höre Tritte am Ende der nächsten Straße.«

Doch der Herzog stieg, immer noch in Gedanken versunken, sacht herab.

»Es war Zeit,« sagte Aurilly.

»Von welcher Seite kommt das Geräusch?« fragte der Herzog. – »Von dieser Seite,« antwortete Auritly; und er streckte die Hand in der Richtung eines düsteren Gäßchens aus.

Der Prinz horchte.

»Ich höre nichts,« sagte er.

»Die Person wird stillstehen; man belauscht uns.«

»Nimm die Leiter weg!« sagte der Prinz.

Aurilly gehorchte; der Prinz setzte sich mittlerweile auf die steinerne Bank, die auf jeder Seite die Tür des Hauses begrenzte. Das Geräusch hatte sich nicht wiederholt, und niemand schien am Ende des Gäßchens zu sein. Aurilly kam zurück.

»Nun! Monseigneur,« fragte er, »ist sie schön?« – »Sehr schön,« antwortete der Prinz mit düsterer Miene.

»Was macht Euch denn so traurig, gnädigster Herr? sollte sie Euch gesehen haben?« – »Sie schläft.«

»Was beunruhigt Euch dann?« – Wer Prinz antwortete nicht.

»Braun? ... blond?« – »Es ist seltsam, Aurilly,« murmelte der Prinz, »ich habe diese Frau irgendwo gesehen.«

»Ihr habt sie also erkannt?« – »Nein, denn ich vermag den Namen nicht zu finden; nur hat mir ihr Anblick einen heftigen Schlag im Herzen versetzt. Ja, in der Tat,« fuhr der Prinz auf einen spöttischen Blick Aurillys fort, »ich weiß nicht, was ich empfinde; doch,« fügte er mit düsterer Miene hinzu, »ich glaube, ich habe unrecht gehabt, zu schauen.«

»Doch gerade wegen der Wirkung, die ihr Anblick auf Euch hervorgebracht hat, muß man wissen, wer diese Frau ist, Monseigneur.« – »Allerdings.«

»Sucht wohl in Euren Erinnerungen, gnädigster Herr; habt Ihr sie bei Hofe gesehen?« – »Nein, ich glaube nicht.«

»In Frankreich, in Navarra, in Flandern?« – »Nein.«

»Ist es vielleicht eine Spanierin?« – »Ich glaube nicht.«

»Eine Engländerin? Eine Dame der Königin Elisabeth? – »Nein, nein; sie muß mit meinem Leben auf eine engere Weise verknüpft sein; ich glaube, daß sie mir unter furchtbaren Umständen erschienen ist.«

»Dann werdet Ihr sie leicht erkennen, denn, Gott sei Dank! im Leben Monseigneurs hat es nicht viele furchtbare Umstände gegeben.«

»Findest du?« sagte Franz mit düsterem Lächeln.

Aurilly verbeugte sich und sagte: »Wenn Eure Hoheit erlaubt, so schaue ich auch und grabe in meinen Erinnerungen nach.«

»Meiner Treu, du hast recht, Aurilly, hole die Leiter, lege sie an und steige hinauf. Was liegt dir an dem Späher? Schau! Aurilly, schau!«

Aurilly hatte schon einige Schritte gemacht, um seinem Herrn zu gehorchen, als man plötzlich jemand hastig herbeieilen hörte, und Henri dem Herzog zurief: »Zu den Waffen! Monseigneur! Zu den Waffen!«

Mit einem einzigen Sprung war Aurilly wieder beim Herzog.

»Ihr,« sagte der Prinz, »Ihr hier, Graf? Unter welchem Vorwand habt Ihr Euren Posten verlassen?«

»Monseigneur,« antwortete Henri voll Festigkeit, »wenn mich Eure Hoheit bestrafen zu müssen glaubt, so wird sie dies tun. Aber es war meine Pflicht, hierher zu gehen, und ich bin gegangen.«

Der Herzog warf mit einem bezeichnenden Lächeln einen Blick nach dem Fenster und erwiderte: »Eure Pflicht, Graf? Erklärt mir das.«

»Monseigneur, es sind Reiter bei der Schelde erschienen; man weiß nicht, ob es Freunde oder Feinde sind.«

»In großer Anzahl?« fragte der Herzog unruhig.

»Sehr zahlreich.«

»Nun wohl! Graf, keinen falschen Mut, Ihr habt wohl daran getan, daß Ihr zurückgekommen seid. Laßt Eure Gendarmen wecken. Ziehen wir an dem Flusse hin, der minder breit ist, und verlassen wir unser Lager hier, das wird das Klügste sein.« »Allerdings, allerdings, Monseigneur; doch ich glaube, es ist dringend, meinen Bruder zu benachrichtigen.«

»Zwei Männer werden hierzu genügen,«

»Wenn zwei Männer genügen, Monseigneur, so werde ich mit einem Gendarmen gehen.«

»Nein, bei Gott! du Bouchage,« rief Franz lebhaft, »nein, Ihr werdet mit uns gehen. In solchen Augenblicken trennt man sich nicht von einem Verteidiger, wie Ihr seid.«

»Eure Hoheit nimmt die ganze Eskorte mit?« »Die ganze.«

»Es ist gut, Monseigneur,« sagte Henri, sich verbeugend; »wann bricht Eure Hoheit auf?« – »Sogleich!«

»Holla! wer in der Nähe ist, herbei!« rief Henri.

Der junge Fähnrich kam aus dem Gäßchen hervor, als ob er nur diesen Ruf erwartet hatte.

Henri gab ihm seine Befehle, und beinahe in demselben Augenblick sah man die Gendarmen von allen Teilen und Enden des Fleckens auf den Platz eilen und Vorkehrungen zum Abmarsch treffen.

In ihrer Mitte sprach der Herzog mit seinen Offizieren und teilte ihnen mit, er wolle in ihrer sicheren Begleitung nach Brüssel zurückweichen.

Zu Aurilly gewendet, trug er diesem auf, bei der schönen Unbekannten zu bleiben und sie nach Chateau-Thierre, dem Schlosse des Prinzen, wohin dieser sich wenden wolle, zu führen.

»Aber, Monseigneur, sie wird sich vielleicht nicht mitnehmen lassen.« – »Bist du ein Narr? ... Da du Bouchage mich nach Chateau-Thierry begleitet, und sie du Bouchage folgt, wird es sich im Gegenteil von selbst machen.«

»Aber sie kann anderswohin gehen wollen, wenn sie sieht, daß ich willens bin, sie zu Euch zu führen.« – »Nicht zu mir wirst du sie führen, sondern, ich wiederhole es dir, zum Grafen. Auf also! Doch bei meinem Ehrenwort, man sollte glauben, du helfest mir zum ersten Male bei einer solchen Veranlassung. Hast du Geld?«

»Ich habe die zwei Rollen Gold, die mir Eure Hoheit gegeben hat, als wir aus dem Lager auf den Poldern auszogen.« – »Vorwärts also! Und durch alle nur immer möglichen Mittel, hörst du? Durch alle, bringe mir meine schöne Unbekannte nach Chateau-Thierry; wenn ich sie näher anschaue, werde ich sie vielleicht erkennen.«

»Und den Diener auch?« – »Ja, wenn er dir nicht lästig ist.«

»Doch, wenn er mir lästig ist?« – »Mache mit ihm, was du mit einem Stein machst, den du auf deinem Wege triffst; wirf ihn in einen Graben.«

»Gut, Monseigneur.«

Während die lichtscheuen Verschwörer ihre Pläne in der Finsternis entwarfen, stieg Henri in den ersten Stock hinauf und weckte Remy.

Von dem, was vorging, in Kenntnis gesetzt, klopfte Remy auf eine gewisse Weise an die Tür, und sogleich öffnete die junge Frau.

Hinter Remy erschien du Bouchage.

»Guten Abend, mein Herr,« sagte sie mit einem Lächeln, das ihr Gesicht verlernt hatte.

»Oh! verzeiht, Madame, ich komme nicht, um Euch zu belästigen, ich komme, um von Euch Abschied zu nehmen.«

»Abschied! Ihr reist, Herr Graf?« – »Nach Frankreich, ja, Madame.«

»Und Ihr verlaßt uns?« – »Ich bin dazu genötigt, Madame; es ist meine erste Pflicht, dem Prinzen zu gehorchen.«

»Dem Prinzen, es ist ein Prinz hier?« sagte Remy.

»Welcher Prinz?« fragte Diana erbleichend. – »Der Herzog von Anjou, den man für tot hielt, ist, auf eine wunderbare Weise gerettet, zu uns gekommen.«

Diana stieß einen furchtbaren Schrei aus, und Remy wurde so bleich, als hätte ihn plötzlich der Tod getroffen. »Wiederholt mir, daß der Herzog von Anjou lebt, daß der Herzog von Anjou hier ist,« stammelte Diana.

»Wenn er nicht hier wäre, und wenn er mir nicht befehlen würde, ihm zu folgen, Madame, so hätte ich Euch bis in das Kloster begleitet, in das Ihr Euch, wie Ihr mir gesagt, zurückzuziehen gedenkt.«

»Ja, ja,« sagte Remy, »das Kloster, Madame, das Kloster.«

Und er legte einen Finger auf seine Lippen.

Durch ein Zeichen mit dem Kopfe zeigte ihm Diana, daß sie ihn verstanden hatte.

»Ich hätte Euch um so lieber begleitet, Madame,« fuhr Henri fort, »als Ihr durch die Leute des Herzogs beunruhigt werden könntet.«

»Wieso?« – »Ja, alles läßt mich glauben, er wisse, daß eine Frau in diesem Hause wohnt.«

»Und woher kommt dieser Glauben?« – »Unser junger Fähnrich hat ihn eine Leiter an die Mauer legen und durch das Fenster schauen sehen.«

»Oh! mein Gott! mein Gott!« rief Diana.

»Beruhigt Euch, Madame, er hat ihn auch zu seinem Gefährten sagen hören, er kenne Euch nicht.«

»Gleichviel, gleichviel!« sagte die junge Frau, Remy anschauend.

»Alles, was Ihr wollt, Madame, alles!« sagte Remy, seine Züge mit erhabener Entschlossenheit bewaffnend.

»Seid unbesorgt, Madame,« sagte Henri, »der Herzog wird auf der Stelle aufbrechen; noch eine Viertelstunde, und Ihr seid allein und frei. Erlaubt mir also, daß ich mich ehrerbietig von Euch verabschiede und Euch noch einmal sage, daß bis zu meinem Todesseufzer mein Herz für Euch und durch Euch schlagen wird. Gott befohlen, Madame, Gott befohlen!«

Und der Graf verbeugte sich mit einer Ehrfurcht wie vor einem Altar und machte zwei Schritte rückwärts.

»Nein, nein,« rief Diana, wie im Fieberwahn, »nein, Gott hat es nicht gewollt; nein, Gott hat diesen Menschen getötet, und er kann ihn nicht wiedererweckt haben; nein, nein, mein Herr, Ihr täuscht Euch, er ist tot.«

In diesem Augenblick erscholl die Stimme des Prinzen auf der Straße: »Graf, Ihr laßt uns warten!«

»Ihr hört ihn, Madame,« sagte Henri. »Zum letzten Male, Gott befohlen.«

Und er drückte Remy die Hand und eilte nach der Treppe.

Diana näherte sich dem Fenster, zitternd und krampfhaft wie der Vogel, den das Auge der Schlange bannt.

Sie erblickte den Herzog zu Pferd; sein Gesicht war gerötet vom Schimmer der Fackeln, die zwei Gendarmen trugen.

»Oh! er lebt, der Dämon, er lebt!« flüsterte Diana Remy mit einem so furchtbaren Ausdruck zu, daß der würdige Diener selbst darüber erschrak; »er lebt, leben wir auch; er reist nach Frankreich ab. Es sei, Remy, wir gehen auch nach Frankreich!«

Die Reise.

Mit seiner gewöhnlichen Gewissenlosigkeit des gleisnerischen Unterhändlers suchte Aurilly Remy zum Verrat an seiner Herrin zu bewegen, bald durch Gold und bald durch Drohung. Er ahnte nicht, daß hier seiner Arglist mit noch größerer List entgegengetreten wurde. Als Remy sicher war, daß Aurilly ihn selbst nicht wiedererkannt habe, beschloß seine Herrin, selbst mit einer Maske versehen, mit ihm die Reise nach dem Schloß des Herzogs zu wagen, in der Hoffnung, so am besten ihr einziges Lebensziel zu erreichen. Als Diana und Remy zum Aufbruch aus ihrem Zimmer herunterkamen, wartete Aurilly unten an der Treppe mit einer Laterne in der Hand und murmelte, gierig, wie er war, das Gesicht der Unbekannten zu sehen: »Teufel, sie hat eine Maske. Oh! doch von hier bis Chateau-Thierry werden die seidenen Schnüre abgenutzt ... oder abgeschnitten sein.«

Man brach auf. Aurilly nahm gegen Remy den Ton völliger Gleichheit an und gegen Diana den Ausdruck der tiefsten Ehrfurcht. Doch vermochte Remy leicht zu erkennen, daß dieses ehrfurchtsvolle Wesen berechnet war. In der Tat, einer Frau den Steigbügel halten, wenn sie ein Pferd besteigt oder absteigt, über jeder ihrer Bewegungen voll Fürsorge wachen und nie eine Gelegenheit vorübergehen lassen, um ihr den Handschuh aufzuheben oder den Mantel einzuhakeln, ist die Tätigkeit eines Liebhabers, eines Dieners oder eines Neugierigen.

Wenn er den Handschuh berührte, sah Aurilly die Hand; wenn er den Mantel einhakelte, schaute er unter die Maske, wenn er den Steigbügel hielt, suchte er einen Zufall herbeizuführen, um das Gesicht zu erblicken, das der Prinz in seinen verworrenen Erinnerungen nicht erkannt hatte, das er, Aurilly, aber mit seinem guten Gedächtnis wohl zu erkennen hoffte.

Doch er hatte es mit einem starken Gegner zu tun, Remy forderte seinen Dienst bei seiner Gefährtin und zeigte sich eifersüchtig auf Aurillys Zuvorkommenheit und wurde dabei von Diana selbst unterstützt.

Aurilly war darauf angewiesen, während langer Märsche auf Schatten und Regen zu hoffen und während des Haltens die Mahlzeit herbeizuwünschen. Doch er wurde in seiner Erwartung getäuscht. Regen oder Sonne, das war ganz gleichgültig, die Maske blieb auf dem Gesicht, und die Mahlzeiten wurden von der jungen Frau in einem abgesonderten Zimmer eingenommen.

Aurilly sah ein, daß, wenn er nicht erkannte, man dagegen ihn erkannt hatte; er suchte durch die Schlösser zu sehen, doch die Dame wandte beständig der Tür den Rücken zu; er suchte durch die Fenster zu schauen, doch er fand an den Fenstern dichte Vorhänge oder doch die Mäntel der Reisenden. Weder Fragen noch Bestechungsversuche hatten bei Remy Erfolg; der Diener erwiderte beständig, dies sei der Wille der Gebieterin und folglich auch sein Wille.

»Aber werden diese Vorsichtsmaßregeln nur meinetwegen allein genommen?« fragte Aurilly.

»Nein, gegen jeden.«

»Aber der Herzog von Anjou hat sie gesehen; damals verbarg sie sich also nicht,«

»Zufall, reiner Zufall,« sagte Remy, »und gerade weil meine Gebieterin gegen ihren Willen vom Herrn Herzog von Anjou gesehen worden ist, trifft sie ihre Maßregeln, um von niemand mehr gesehen zu werden.«

Die Tage vergingen indessen, man näherte sich dem Ziele, und durch Remys und seiner Gebieterin Vorsicht waren die Bemühungen des neugierigen Aurilly vereitelt worden.

Schon war das Ende der Reise nicht ferne. Aurilly, der seit drei bis vier Tagen alles versuchte, Freundlichkeit, Schmollen, kleine Aufmerksamkeiten und beinahe Gewalt, fing an, die Geduld zu verlieren, und die schlimmen Instinkte seiner Natur gewannen allmählich die Oberhand. Es war, als erkenne er, unter dem Schleier dieser Frau sei ein tödliches Geheimnis verborgen.

Eines Tages blieb er mit Remy ein wenig zurück und erneuerte bei diesem seine Bestechungsversuche, die Remy wie gewöhnlich zurückwies.

»Früher oder später muß ich doch deine Gebieterin einmal sehen,« sagte Aurilly. – »Ohne Zweifel, doch das wird geschehen, wann sie will, und nicht, wann Ihr wollt.«

»Wenn ich aber Gewalt anwendete?« – »Versucht es,« versetzte Remy, und ein Blitz, den er nicht zu unterdrücken vermochte, sprang aus seinen Augen hervor.

Aurilly sah diesen Blitz; er begriff, welche Energie in dem lebte, den er für einen Greis hielt.

»Welch ein Narr bin ich!« sagte er lachend, »was liegt mir daran, wer sie ist? Nicht wahr, es ist dieselbe, die der Herr Herzog von Anjou gesehen hat?« – »Gewiß.«

»Und die er mir befahl, nach Chateau-Thierry zu bringen?« – »Ja.«

»Wohl! mehr brauche ich nicht; ich bin nicht in sie verliebt, sondern der Herr Herzog, und wenn Ihr nicht versucht zu fliehen, mir zu entkommen ...« – »Sehen wir danach aus?«

»Nein.« – »Wir sehen so wenig danach aus, und es ist so wenig unsere Absicht, daß wir, wenn Ihr auch nicht dabei wäret, unsere Reise nach Chateau-Thierry fortsetzen würden; wünscht der Herzog uns zu sehen, so wünschen wir ihn auch zu sehen.«

»Das trifft vortrefflich zusammen.« Dann fragte er, als wollte er sich versichern, daß Remy und seine Gefährtin wirklich nicht einen andern Weg einzuschlagen wünschten, auf ein Wirtshaus an der Landstraße deutend: »Will Eure Gebieterin hier einen Augenblick anhalten?« – »Ihr wißt, daß meine Gebieterin nur in Städten anhält.«

»Ich habe nicht darauf achtgegeben.« – »Es ist so.«

»Ich will aber einen Augenblick anhalten; reitet weiter, ich hole Euch ein.«

Aurilly deutete Remy den Weg an, stieg ab und näherte sich dem Wirt, der ihm mit großer Ehrerbietung und als ob er ihn kennte, entgegenkam. Remy ritt Diana nach.

»Was sagte er Euch?« fragte die junge Frau. – »Er drückte seinen gewöhnlichen Wunsch aus.«

»Den, mich zu sehen?« – »Ja.«

Diana lächelte unter ihrer Maske.

»Nehmt Euch in acht,« sagte Remy, »er ist wütend.«

»Er wird mich nicht sehen. Ich will es nicht, und damit sage ich dir, daß er nichts in dieser Hinsicht zu tun imstande sein wird.«

»Muß er Euch aber nicht, wenn Ihr einmal in Chateau-Thierry seid, mit entblößtem Gesicht sehen?« »Was ist daran gelegen, wenn die Entdeckung zu spät kommt? Übrigens hat mich der Herr nicht erkannt.«

In diesem Augenblick wurden sie von Aurilly unterbrochen, der, nachdem er einen Seitenweg eingeschlagen hatte und ihnen gefolgt war, ohne sie aus dem Gesicht zu verlieren, plötzlich in der Hoffnung erschien, einige Worte ihres Gesprächs zu erlauern.

Das rasche Schweigen bei seiner Ankunft bewies ihm, daß er lästig war; er begnügte sich daher, ihnen im Abstand zu folgen, wie er dies zuweilen tat.

Von diesem Augenblick stand Aurillys Plan fest. Er mißtraute, er wußte selbst nicht, warum, er mißtraute instinktartig; denn von Vermutungen zu Vermutungen hin und her schwankend, war sein Geist nicht einen Augenblick bei der Wirklichkeit stehengeblieben.

Er konnte sich nicht erklären, warum man ihm so hartnäckig dieses Gesicht verbarg, das er früher oder später sehen mußte. Um seinen Plan besser zum Ziele zu führen, gab er sich von diesem Augenblick den Anschein, als hätte er auf ihn verzichtet, und zeigte sich den ganzen Tag als der bequemste und lustigste Geselle.

Remy bemerkte diese Veränderung nicht ohne eine gewisse Unruhe. Man kam in eine Stadt und übernachtete hier wie gewöhnlich. Am anderen Morgen reiste man unter dem Vorwand, der Weg, den man zurückzulegen habe, sei lang, bei Tagesanbruch ab. Um die Mittagsstunde mußte man anhalten, um die Pferde ausruhen zu lassen.

Um zwei Uhr brach man wieder auf und reiste noch bis vier Uhr. Ein großer Wald zeigte sich in der Ferne, es war der von La Fère. Er bot den düsteren, geheimnisvollen Anblick der Wälder im nördlichen Frankreich.

Remy und Diana wechselten einen Blick, als hätten beide begriffen, daß sie hier das Ereignis erwarte, das von der Stunde der Abreise über ihren Häuptern schwebte.

Man kam etwa sechs Uhr abends in den Wald. Nachdem man noch eine halbe Stunde gereist war, neigte sich der Tag. Ein heftiger Wind ließ die Blätter wirbeln und trieb sie nach einem ungeheuren Teiche fort, der, in der Tiefe der Bäume verloren, sich an dem Wege hinzog, der sich vor den Reisenden ausdehnte.

Seit zwei Stunden hatte strömender Regen den lehmigen Boden durchnäßt. Sorglos für ihre Person und ihres Pferdes ziemlich gewiß, ließ Diana dieses gehen, ohne es zu halten; Aurilly ritt rechts, Remy links. Aurilly war am Rande des Teiches, Remy mitten auf dem Weg.

Kein menschliches Geschöpf ließ sich unter den düsteren, grünen Bogen der Bäume auf der langen Krümmung des Wegs sehen.

Plötzlich fühlte Diana, daß der Sattel ihres Pferdes, das wie gewöhnlich Aurilly gesattelt hatte, wankte und sich drehte; sie rief Remy, der von dem seinigen herabsprang und sich bückte, um den Riemen festzuziehen. In diesem Augenblick näherte sich Aurilly der Dame, die nur mit ihrem Pferde beschäftigt war, und durchschnitt mit dem Ende seines Dolches die seidene Rundschnur ihrer Maske.

Ehe sie diese Bewegung bemerkt oder mit der Hand nach ihrem Gesichte gegriffen hatte, nahm ihr Aurilly die Maske ab und neigte sich gegen Diana, die sich ihrerseits gegen ihn neigte. Die Augen beider trafen in einem furchtbaren Blick zusammen; niemand hätte sagen können, wer von ihnen bleicher und drohender aussah.

Aurilly fühlte, wie ein kalter Schweiß seine Stirn überströmte, er ließ die Maske und den Dolch fallen und rief voll Angst, die Hände zusammenschlagend: »Himmel und Erde! ... Die Dame von Monsoreau!!!«

»Das ist ein Name, den du nicht wiederholen wirst!« schrie Remy, indem er Aurilly am Gürtel packte und von seinem Pferde aufhob. Beide rollten auf den Boden. Aurilly streckte seine Hand aus, um seinen Dolch wieder zu ergreifen. Remy aber bückte sich über ihn, setzte ihm das Knie auf die Brust und sagte: »Nein, Aurilly, nein, du sollst hier bleiben.« Der letzte Schleier, der über Aurillys Erinnerung ausgebreitet zu sein schien, zerriß.

»Der Haudoin!« rief er, »ich bin tot!«

»Es ist noch nicht wahr, doch es wird sogleich wahr werden,« sagte Remy.

Und er drückte seine linke Hand dem Elenden, der, sich unter ihm sträubte, auf den Mund, während er mit seiner rechten sein Messer aus der Scheide zog.

»Nun hast du recht,« sagte er, »nun bist du tot, Aurilly.«

Und der Stahl verschwand in der Kehle des Lautenspielers, der ein unverständliches Röcheln ausstieß.

Die Augen starr, auf ihren Sattelknopf gestützt, bebend, aber unbarmherzig, hatte Diana den Kopf nicht von diesem furchtbaren Schauspiel abgewendet. Als sie über das Blut an der Klinge hinspringen sah, warf sie sich zurück und fiel, steif, als ob sie tot wäre, von ihrem Pferd.

Remy hatte in diesem Augenblick keine Gedanken für sie; er durchsuchte Aurilly, nahm ihm die beiden Rollen Gold, band einen Stein an den Hals des Leichnams und stürzte ihn in den Teich. Wer Regen fiel fortwährend in Strömen vom Himmel herab.

»O, mein Gott!« sagte er, »vertilge die Spur deiner Gerechtigkeit, denn sie hat noch andere Schuldige zu treffen.«

Wann wusch er sich die Hände in dem düsteren, stehenden Wasser, nahm die immer noch ohnmächtige Diana in seine Arme, hob sie auf ihr Pferd und stieg, seine Gefährtin haltend, auf das seinige. Erschreckt durch das Geheul der Wölfe, die herbeikamen, als ob sie diese Szene gerufen hatte, verschwand das Pferd Aurillys im Wald.

Als Diana wieder zu sich gekommen war, setzten die Reisenden, ohne ein Wort auszutauschen, ihren Weg nach Chateau-Thierry fort.

König Heinrich III. ladet Crillon nicht zum Frühstück, und Chicot ladet sich selbst ein.

Am Morgen nach dem Tage, wo die von uns erzählten Ereignisse im Walde von La Fère vorgefallen waren, stieg der König von Frankreich ungefähr gegen neun Uhr aus dem Bad. Der Kammerdiener, der ihn in eine Decke von feiner Wolle gewickelt und mit zwei Tüchern von dichter persischer Watte abgerieben, hatte den Coiffeuren Platz gemacht, die wiederum den Parfümeuren und den Höflingen Platz machten.

Als die letzteren weggegangen waren, ließ der König seinen Haushofmeister kommen und sagte ihm, er würde etwas anderes als seine gewöhnliche Kraftbrühe zu sich nehmen, da er diesen Morgen Appetit verspüre.

Diese Kunde brachte im ganzen Louvre eine sehr legitime Freude hervor, und der Dampf der Fleischspeisen fing an, aus den Küchen auszuströmen, als Crillon, der Oberst der französischen Leibwachen, bei Seiner Majestät eintrat, um ihre Befehle einzuholen.

»Wahrhaftig, mein guter Crillon,« sagte der König, »wache diesen Morgen, wie du willst, über dem Heile meiner Person, zwinge mich aber, um Gottes willen, nicht, den König zu machen; ich bin heute ganz heiter und selig; mir scheint, ich wiege nicht eine Unze und fliege in die Luft. Ich habe Hunger, begreifst du das, mein Freund?«

»Ich begreife es um so mehr, Sire, als ich selbst starken Hunger habe.« erwiderte der Oberst.

»Ah! du, Crillon, du hast immer Hunger.« versetzte der König lachend.

»Nicht immer, Sire, oh! nein. Eure Majestät übertreibt, aber dreimal des Tags, – und Eure Majestät?« – »Oh! ich, einmal im Jahr, und dann nur, wenn ich gute Nachrichten erhalten habe.«

»Harnibieu! es scheint, Ihr habt gute Nachrichten erhalten, Sire? Desto besser, desto besser, denn sie werden, scheint mir, immer seltener.« – »Ganz und gar nicht, Crillon; doch du kennst das Sprichwort.«

»Ah! ja, keine Nachrichten, gute Nachrichten. Ich mißtraue den Sprichwörtern, Sire, und besonders diesem; es ist Euch keine Kunde von Navarra zugekommen?« – »Nichts.«

»Nichts?« – »Allerdings, ein Beweis, daß man dort schläft.«

»Und von Flandern?« – »Nichts.«

»Nichts? ein Beweis, daß man sich dort schlägt. Und von Paris?« – »Nichts.«

»Ein Beweis, daß man dort Komplotte macht.« – »Oder Kinder, Crillon; ah! bei Gelegenheit der Kinder, Crillon, ich glaube, daß ich eines haben werde.«

»Ihr, Sire!« rief Crillon im höchsten Maße erstaunt.

– »Ja, die Königin hat in dieser Nacht geträumt, sie wäre in andern Umständen.«

»Endlich, Sire!« – »Nun, was?« – »Es macht mich äußerst freudig zu wissen, daß Eure Majestät so frühzeitig am Morgen Hunger hat. Gott befohlen, Sire.«

– »Gehe, mein guter Crillon, gehe.«

»Harnibieu! Sire,« versetzte Crillon, »da Eure Majestät so gewaltigen Hunger hat, so müßte sie mich zum Frühstück einladen.« – »Warum dies, Crillon?«

»Weil man sagt, Eure Majestät lebe von der Luft, weshalb sie abmagere, da die Luft schlecht ist, und so wäre ich entzückt gewesen, sagen zu können: ›Harnibieu, das sind reine Verleumdungen, der König ißt wie alle.‹«

– »Nein, Crillon, nein, im Gegenteil; laß glauben was man glaubt; es läßt mich erröten, wenn, ich wie ein einfacher Sterblicher vor meinen Untertanen esse. Begreife also wohl; ein König muß immer poetisch bleiben und sich stets nur erhaben zeigen. Höre ein Beispiel.«

»Ich höre, Sire.« – »Erinnere dich an den König Alexander.«

»An welchen König Alexander?« – »An Alexander Magnus'. Ah! es ist wahr, du verstehst das Lateinische nicht. Nun wohl, Alexander liebte es, sich vor seinen Soldaten zu baden, weil Alexander schön, wohlgebaut und hübsch rund war, weshalb man ihn mit Apollo und sogar mit Antinous verglich.«

»Oh! oh! Sire, Ihr hättet teufelmäßig unrecht, wenn Ihr es machtet wie er und Euch vor den Eurigen badetet, denn Ihr seid sehr mager, mein armer Sire.« – »Braver Crillon, geh,« sagte Heinrich, indem er ihm auf die Schulter klopfte, »du bist ein vortrefflicher Grobian, du schmeichelst mir nicht; du bist kein Höfling, mein alter Freund.«

»Ihr ladet mich auch nicht zum Frühstück ein,« erwiderte Crillon, gutmütig lachend, und nahm dann vom König, eher zufrieden, als unzufrieden, Abschied, denn der Schlag auf die Schulter hatte das fehlende Frühstück aufgewogen.

Sobald Crillon weggegangen war, wurde die Tafel bestellt. Der königliche Haushofmeister hatte sich selbst übertroffen: eine Art Frikassee von jungen Rebhühnern mit Trüffeln und Kastanien erregte sogleich die Aufmerksamkeit des Königs, den schöne Austern schon in Versuchung geführt hatten. Die gewöhnliche Kraftbrühe, das treue Stärkungsmittel des Monarchen, wurde vernachlässigt; vergebens öffnete sie ihre großen Augen in ihrer goldenen Schale, ihre bettelnden Augen erlangten durchaus nichts von Seiner Majestät.

der König begann mit den jungen Rebhühnern. Er war bei seinem vierten Mundvoll, als ein leichter Tritt hinter ihm den Boden streifte, ein Stuhl auf seinen Röllchen krachte, und eine wohlbekannte Stimme mit scharfem Tone ein Gedeck forderte.

Der König wandte sich um und rief: »Chicot!«

»In Person.«

Und seinen alten Gewohnheiten getreu, streckte sich Chicot in seinem Stuhle aus, nahm einen Teller, eine Gabel und fing an, von der Platte mit Austern, sie mit Zitronensaft besprengend, ohne ein Wort hinzuzufügen, die größten und fettesten abzuheben.«

»Du hier, du zurückgekehrt!«, – »Still!« winkte Chicot, der den Mund voll hatte, mit der Hand. Und er benutzte den Ausruf des Königs, um die Rebhühner an sich zu ziehen.

»Halt, Chicot, das ist meine Platte!« rief Heinrich und streckte die Hand aus.

Chicot teilte brüderlich mit seinem Fürsten und gab ihm die Hälfte zurück.

Dann goß er sich Wein ein, ging von den Rebhühnern zu einer Platte Thunfisch über, von dem Thunfisch zu farcierten Krebsen, verzehrte als Quittung und am Schlüsse die königliche Kraftbrühe, stieß einen Seufzer aus und sagte: »Ich habe keinen Hunger mehr.«

»Bei Gottes Tod! ich hoffe wohl, Chicot.« – »Ah! guten Morgen, mein Könige wie geht es dir? Ich finde, du siehst diesen Morgen ganz munter aus.«

»Nicht wahr, Chicot?« – »Ein reizendes Färbchen. Ist es von dir?«

»Bei Gott!« –»Dann mache ich dir mein Kompliment.«

»Es ist wahr, ich fühle mich diesen Morgen äußerst heiter gestimmt.« – »Desto besser, mein König, desto besser. Ah! doch dein Frühstück ist damit nicht zu Ende, es bleiben dir wohl noch einige kleine Leckerbissen.«

»Hier sind Kirschen von den Namen von Montmartre eingemacht.« – »Sie sind zu sehr gezuckert.«

»Nüsse mit Korinthen gefüllt.« – »Pfui! man hat die Kerne in den Weinbeeren gelassen.«

»Tu bist mit nichts zufrieden.« – »Bei meinem Ehrenwort, es artet auch alles aus, selbst die Küche, und man lebt immer schlechter an deinem Hof.«

»Sollte man an dem des Königs von Navarra besser leben?« fragte Heinrich lachend. – »Ei, ei! ich sage nicht »Dann gehen dort große Veränderungen vor.« – »Ah! was das betrifft, du kannst es gar nicht glauben, Henriquet.«

»Erzähle mir etwas von deiner Reise, das wird mich zerstreuen.« – »Sehr gern, ich bin nur zu diesem Behufe gekommen. Wo soll ich anfangen? Soll ich von meiner Abreise ausgehen?«

»Nein, deine Reise war vortrefflich, nicht wahr?« – »Du siehst wohl, daß ich ganz zurückkehre, wie mir scheint.«

»Ja, erzähle mir also, von deiner Ankunft in Navarra.« – »Gut.«

»Was trieb Heinrich als du ankamst?« – »Liebe.«

»Mit Margot?« – »Oh! nein.«

»Das hätte mich gewundert; er ist also seiner Frau immer noch untreu, der Ruchlose, untreu einer Tochter Frankreichs; zum Glück gibt sie es ihm zurück. Und wer war die Nebenbuhlerin Margots bei deiner Ankunft?« – »Fosseuse.«

»Eine Montmorency. Ah! das ist nicht schlecht für diesen Bearner Bären. Man sprach hier von einer Bauerndirne, von einem Gärtnermädchen, von einer Bürgerstochter.« – »Oh! das ist alles alt.«

»Margot ist also betrogen?« – »Soviel es eine Frau sein kann.«

»Und sie ist wütend darüber?« – »Ganz toll.«

»Und sie rächt sich?« – »Ich glaube wohl.«

Heinrich rieb sich die Hände mit unsäglicher Freude. »Was wird sie machen?« rief er lachend, »wird sie Himmel und Erde in Bewegung setzen, Spanien auf Navarra, Artois und Flandern auf Spanien werfen? Wird sie ihren kleinen Bruder Henriquet gegen ihren kleinen Gatten Henriot zu Hilfe rufen?« – »Es ist wohl möglich.«

»Du hast sie gesehen?« – »Ja.«

»Und was tat sie in dem Augenblick, wo du sie verließest?« – »Oh! das würdest du nicht erraten.« »Sie schickte sich an, einen andern Liebhaber zu nehmen?« – »Sie schickte sich an, Wehefrau zu werden.«

»Wie! Wehefrau? Was soll das heißen?« – Oh! rolle deine Augen, solange du willst; ich sage, daß deine Schwester, als ich abreiste, im Begriff war, eine Entbindung vorzunehmen.«

»Für eigene Rechnung?« rief Heinrich erbleichend; »sollte Margot Kinder haben?« – »Nein, für Rechnung ihres Gemahls; du weißt wohl, daß die letzten Valois die Tugend der Fruchtbarkeit nicht besitzen. Pest! das ist nicht wie bei den Bourbonen.«

»Margot alkouchiert also tatsächlich?« – »Ganz vollständig.«

»Wen denn?« – »Fräulein Fosseuse.«

»Wahrhaftig, das begreife ich nicht.« – »Ich auch nicht, doch ich habe mich nicht vermessen, dir Licht in der Sache zu geben, ich wollte dir nur sagen, wie die Dinge stehen.«

»Vielleicht hat sie nur, um ihre Person zu verteidigen, in diese Demütigung eingewilligt.« – »Sicher hat ein Kampf stattgefunden; doch sobald ein Kampf stattfand, war der eine oder der andere Teil der unterliegende; deine Schwester war minder stark als Heinrich, das ist es nur.«

»In der Tat, das freut mich.« – »Schlechter Bruder.«

»Sie müssen sich gegenseitig verwünschen?« – »Ich glaube, daß sie sich im Grunde nicht anbeten.«

»Aber scheinbar?« – »Sind sie die besten Freunde der Welt.«

»Ja; doch an einem schönen Morgen wird sie eine neue Liebe völlig entzweien.« – »Diese neue Liebe ist gekommen, Heinrich.«

»Bah!« – »Bei meiner Ehre; doch soll ich dir sagen, was ich fürchte?«

»Sprich!« – »Ich befürchte, diese neue Liebe wird sie versöhnen, statt sie zu entzweien.«

Und löffelweise, halb im Scherz und halb im Ernst sprechend, flößte Chicot seinem König die bittere Wahrheit ein, daß sein Schwager Heinrich die vorenthaltene Mitgift in Gestalt der Stadt Cahors durch siegreichen Sturm sich selbst geholt habe.

»Gottes Tod!« rief Heinrich wütend, »meine Stadt! er hat meine Stadt genommen!«

»Verdammt! Du begreifst, Henriquet, du wolltest sie ihm nicht geben, nachdem du sie ihm versprochen, und er mußte sich entschließen, sie zu nehmen. Doch halt, hier ist ein Brief, den er mich beauftragt hat, dir eigenhändig zu übergeben.«

Hierbei zog Chicot einen Brief aus seiner Tasche und übergab ihn dem König. Es war der von Heinrich nach der Einnahme von Cahors geschriebene Brief.

Heinrich erhält Kunde aus dem Norden.

Ganz außer sich, vermochte der König kaum den Brief zu lesen, den ihm Chicot gegeben hatte.

Während er das Lateinische des Bearners mit Zuckungen der Ungeduld, die den Boden zittern ließen, entzifferte, bewunderte Chicot vor einem großen, venezianischen Spiegel seine Haltung und den unendlichen Liebreiz, den seine Person unter dem militärischen Kleide angenommen hatte.

Unendlich war das rechte Wort, denn Chicot hatte nie so großartig ausgesehen; auf seinem etwas kahlen Haupte saß eine kegelförmige Pickelhaube nach der Art der deutschen Sturmhauben; und er war im Augenblick damit beschäftigt, daß er seinen, durch die Reibung der Waffen befleckten, büffelledernen Koller, den er, um zu frühstücken, abgelegt hatte, wieder befestigte; während er darauf seinen Panzer zuschnallte, ließ er überdies auf dem Boden Sporen klirren, die mehr geeignet waren, einem Pferde den Bauch aufzuschlitzen, als es anzutreiben. »Oh! ich bin verraten!« rief Heinrich, als er zu Ende gelesen hatte, »der Bearner hatte einen Plan, und ich ahnte nichts davon.«

»Mein Sohn,« erwiderte Chicot, »du kennst das Sprichwort: Stille Wasser sind tief.«

»Geh zum Teufel mit deinen Sprichwörtern!«

Chicot ging auf die Tür zu, als wollte er gehorchen.

»Nein, bleibe!«

Chicot blieb stehen.

»Cahors genommen!« fuhr Heinrich fort. – »Und zwar auf eine ganz artige Weise.«

»Er hat also Generäle, Ingenieure?« – »Keineswegs, der Bearner ist zu arm hierzu; wie sollte er sie bezahlen? Nein, er tut alles selbst.«

»Und ... er schlägt sich?« sagte Heinrich mit einer gewissen Verachtung. – »Ich wage nicht zu behaupten, daß er es von vornherein mit großer Begeisterung getan hat, aber dann stürzte er sich köpflings in das Treffen und schwamm im geschmolzenen Blei und im Feuer wie ein Salamander.«

»Teufel, Teufel!« machte Heinrich. – »Und ich versichere dir, Heinrich, es wurde dort warm gestritten.«

Der König stand hastig auf und ging mit großen Schritten im Saal auf und ab.

»Das ist eine Niederlage für mich!« rief er; »man wird über mich lachen, man wird Verse über mich machen. Diese Spitzbuben von Gaskognern sind Spottvögel, und ich höre schon, wie sie ihre Zähne wetzen, und sehe sie zu den furchtbaren Melodien ihrer Sackpfeifen lächeln. Gottes Tod! zum Glück habe ich den Gedanken gehabt, Franz die so dringend verlangte Hilfe zu schicken; Antwerpen wird mich für Cahors entschädigen, der Norden wird die Fehler des Südens tilgen.«

»Amen,« sagte Chicot, indem er zart, um seinen Nachtisch zu vollenden, die Finger in die Konfektbüchsen und Kompottschalen des Königs tauchte. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und der Huissier meldete: »Der Herr Graf du Bouchage!«

»Oh!« rief Heinrich, »ich sagte es dir, Chicot, hier erhalte ich Nachricht. Tretet ein, Graf, tretet ein.«

Der Huissier hob den Vorhang auf, und man sah im Rahmen der Tür den jungen Mann, einem Porträt von Holbein oder Titian ähnlich, erscheinen. Er schritt langsam vor und beugte das Knie mitten auf dem Teppich des Zimmers.

»Immer bleich,« rief der König, »immer traurig. Höre, mein Freund, nimm für einen Augenblick dein Festgesicht an und sage mir nicht Gutes mit einer schlimmen Miene; sprich geschwind, du Bouchage, denn mich dürstet nach deiner Erzählung. Du kommst von Flandern?« – »Ja, Sire.«

»Und rasch, wie ich sehe.« – »Sire, so schnell, wie es ein Mensch auf Erden zu tun vermag.«

»Sei willkommen. Antwerpen, wie steht es mit Antwerpen?« – »Antwerpen gehört dem Prinzen von Oranien, Sire.«

»Dem Prinzen von Oranien, was soll das heißen? Marschierte mein Bruder nicht nach Antwerpen?« – »Ja, Sire, doch nun marschiert er nicht mehr nach Antwerpen, sondern nach Chateau-Thierry.«

»Er hat das Heer verlassen?« »Er hat kein Heer mehr, Sire.«

»Oh!« machte der König, auf seinen Knien wankend und in seinen Lehnstuhl zurückfallend; »aber Joyeuse?« – »Sire, mein Bruder hat, nachdem er mit seinen Seeleuten Wunder der Tapferkeit verrichtet, nachdem er den ganzen Rückzug gehalten, die wenigen Leute, die dem Unglück entkamen, gesammelt und mit ihnen ein Geleit für den Herrn Herzog von Anjou gebildet.«

»Eine Niederlage,« murmelte der König. Doch plötzlich rief er, mit einem seltsamen Blitz im Auge: »Die Flamländer sind also für meinen Bruder verloren?« – »Durchaus, Sire.«

»Ohne Wiederkehr?« – »Ich fürchte es.«

Die Stirn des Fürsten klärte sich allmählich wie unter dem Lichte eines inneren Gedankens auf.

»Der arme Franz,« sagte er lachend, »er hat Unglück mit den Kronen. Er hat die von Navarra verfehlt; er hat die Hand nach der von England ausgestreckt; er hat die von Flandern berührt; wetten wir, du Bouchage, daß er nie regieren wird, der arme Bruder, er, der doch so große Lust danach trägt.«

»Ei, mein Gott! es ist immer so, wenn man nach etwas Lust hat!« sagte Chicot mit feierlichem Tone.

»Und wieviel Gefangene?« – »Ungefähr zweitausend.«

»Wieviel Tote?« – »Wenigstens ebensoviel. Herr von Saint-Aignan ist darunter.«

»Wie! er ist tot, der arme Saint-Aignan?« – »Ertrunken.«

»Ertrunken! Ihr habt euch also in die Schelde gestürzt?« – »Nein, die Schelde hat sich auf uns gestürzt.«

Der Graf gab nun dem König eine genaue Erzählung von der Schlacht und der Überschwemmung. Heinrich hörte ihn von Anfang bis Ende mit einer Haltung, einem Stillschweigen und einer Miene an, denen es nicht an Majestät gebrach.

Dann kniete er vor seinem Betpult im Nebenzimmer nieder, verrichtete sein Gebet und kehrte einen Augenblick nachher mit einem vollkommen erheiterten Gesicht zurück.

»Ich hoffe, ich nehme die Dinge wie ein König hin,« sagte er. »Ein vom Herrn unterstützter König ist wirklich kein Mensch mehr. Auf, Graf, ahme mir nach, und da dein Bruder gerettet ist, wie, Gott sei Dank, der meinige, nun, so wollen wir uns fassen!« – »Ich bin zu Euren Befehlen, Sire.«

»Was verlangst du als Lohn für deine Dienste, du Bouchage?« – »Sire,« erwiderte der junge Mann, den Kopf schüttelnd, »ich habe keinen Dienst geleistet.«

»Ich bezweifle es; aber jedenfalls hat dein Bruder Dienste geleistet.« – »Ungeheure, Sire.«

»Er hat die Armee gerettet, sagst du, oder vielmehr die Trümmer der Armee?« – »Bei dem, was davon übrig ist, findet sich kein Mann, der nicht sagen wird, er verdanke meinem Bruder das Leben.«

»Nun, du Bouchage, es ist mein Wille, meine Wohltat auf euch beide auszudehnen, und ich ahme hierin dem Allmächtigen nach, der euch so sichtbar begünstigt, indem er euch beide gleich, das heißt, reich, tapfer und schön gemacht hat. Sprich, du Bouchage, was willst du, was verlangst du?« – »Da Eure Majestät mir die Ehre erweist, so liebevoll zu mir zu reden, so wage ich es, ihr Wohlwollen zu benutzen. Ich bin des Lebens müde, Sire, und dennoch widerstrebt es mir, mein Leben abzukürzen, da es Gott verbietet; alle Ausflüchte, die ein Mann von Ehre in einem solchen Falle anwendet, sind Todsünden; ich verzichte also darauf, vor dem Ziele zu sterben, das Gott meinem Leben gesteckt hat; doch die Welt stößt mich ab, und ich werde sie verlassen.«

»Mein Freund!« rief der König.

Chicot schlug die Augen auf und schaute voll Teilnahme den schönen, mutigen, reichen, jungen Mann an, der so verzweifelt redete.

»Sire,« fuhr der Graf mit dem Ausdruck der Entschlossenheit fort; »alles, was mir seit einiger Zeit begegnet, bestärkt mich in diesem meinen Verlangen; ich will mich in die Arme Gottes werfen, der der höchste Tröster der Betrübten ist, wie er zugleich der unumschränkte Herr der Glücklichen dieser Erde ist; habt also die Gnade, Sire, mir die Mittel zu erleichtern, alsbald in einen geistlichen Orden einzutreten, denn mein Herz ist, wie der Prophet sagt, traurig wie der Tod.«

Chicot, der Spötter, unterbrach einen Augenblick die stete Gymnastik seiner Arme und seiner Gesichtsmuskeln, um auf diesen majestätischen Schmerz zu horchen, der so edel, so aufrichtig aus der sanftesten, überzeugendsten Stimme sprach, die Gott je der Jugend und der Schönheit gegeben.

Sein glänzendes Auge erlosch im Schein des trostlosen Blickes des Jünglings, sein ganzer Körper sank voll Mitgefühl mit dieser Entmutigung zusammen, die jede Fiber im Körper des Grafen nicht abgespannt, sondern durchschnitten zu haben schien.

Auch der König fühlte, wie sein Herz beim Anhören dieses schmerzlichen Gesuches schmolz, und er sagte: »Ah! ich verstehe, Freund, du willst in einen geistlichen Orden eintreten, doch du fühlst dich noch Mensch und fürchtest dich vor den Prüfungen?« – »Ich fürchte nicht die strengen Proben, Sire, sondern die Zeit, die sie der Unentschlossenheit lassen; nein, nein, nicht um die Prüfungen zu mildern, die man mir auferlegen wird, denn ich gedenke meinem Körper nichts von den physischen Leiden, meinem Geist nichts von den moralischen Entbehrungen zu schenken, sondern um dem einen oder dem andern jeden Vorwand, zur Vergangenheit zurückzukehren, zu benehmen» mit einem Wort, um aus der Erde jenes Gitter hervorspringen zu lassen, das mich für immer von der Welt trennen soll, und das nach den gewöhnlichen kirchlichen Regeln langsam wächst wie eine Dornhecke.«

»Armer Junge,« sagte der König, »ich glaube, er wird ein guter Prediger werden, nicht wahr, Chicot?«

Chicot antwortete nicht. Du Bouchage fuhr fort: »Ihr begreift, Sire, daß sich in meiner Familie selbst der Kampf entspinnen wird; daß ich bei meinen nächsten Verwandten den heftigsten Widerstand finden werde; mein Bruder, der Kardinal, der zugleich so gut und so weltlich ist, wird tausend Gründe suchen, um mich von meinem Willen abzubringen, und wenn es ihm nicht gelingt, mich zu überreden, wie ich dessen sicher bin, so wird er mit Rom kommen, das Fristen zwischen jeden Grad der Orden stellt, und hier ist Eure Majestät allmächtig, hier werde ich die Kraft des Armes erkennen, den Eure Majestät über meinem Haupte auszustrecken die Gnade hat. Ihr habt mich gefragt, was ich wünsche, Sire; Ihr habt mir versprochen, meinem Wunsche zu entsprechen; mein Wunsch, wie Ihr seht, ist ganz in Gott; erlangt von Rom, daß ich vom Noviziat entbunden werde.«

Der König erhob sich lächelnd aus seiner Träumerei, nahm den Grafen bei der Hand und sagte: »Ich werde tun, was du von mir verlangst, mein Sohn, du willst Gott gehören, und du hast recht, er ist ein besserer Herr als ich. Du sollst nach deinen Wünschen ordiniert werden, lieber Graf, ich verspreche es dir.« – »Eure Majestät erfüllt mich mit Freude!« rief der junge Mann und küßte Heinrich die Hand mit einem Entzücken, als ob er zum Herzog, zum Pair oder zum Marschall von Frankreich ernannt worden wäre. »Es ist also abgemacht.«

»Bei meinem Königswort, bei meiner adligen Ehre.«

Du Bouchages Antlitz verklärte sich; etwas wie ein Lächeln der Verzückung zog über seine Lippen hin; er verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor dem König und verschwand.

»Das ist ein glücklicher, ein sehr glücklicher junger Mann!« rief Heinrich.

»Gut!« versetzte Chicot, »mir scheint, du hast ihn um nichts zu beneiden, er ist nicht kläglicher als du, Sire.«

»Aber, begreifst du denn, Chicot, er wird Mönch werden, er wird sich dem Himmel ergeben.«

»Ei! wer zum Teufel hindert dich denn, dasselbe zu tun? Er verlangt vergeblich Dispense von seinem Bruder, dem Kardinal; doch ich kenne einen Kardinal, der dir alle notwendigen Dispense gibt; dieser steht noch besser mit Rom als du; du kennst ihn nicht? Es ist der Kardinal von Guise.«

»Chicot!«

»Und wenn dich die Tonsur beunruhigt, nun, die schönste Schere der Rue de la Coutellerie, eine goldene Schere, meiner Treu, und die schönsten Hände der Welt werden dir dieses kostbare Symbol geben, das dann die Zahl der Kronen, die du getragen hast, auf drei bringen wird.«

»Schöne Hände, sagst du?« – »Nun! willst du etwa Übles von den Händen der Frau Herzogin von Montpensier sagen, nachdem du so von ihren Schultern gesprochen hast? Welch ein König bist du, und wie streng zeigst du dich in Beziehung auf deine Untertaninnen.«

Der König faltete die Stirn und fuhr über seine Schläfe mit einer Hand hin, die so weiß war, wie die, von denen man sprach, aber sicher mehr zitterte.

»Gut, gut,« sagte Chicot, »lassen wir dies, denn ich sehe, daß dich dieses Gespräch langweilt, und kehren wir zu den Dingen zurück, die mich persönlich interessieren.«

Chicot vollendete eben diese Worte, als der Huissier Nambu von der Türschwelle aus rief: »Ein Bote des Herrn Herzogs von Guise für Seine Majestät.«

»Ist es ein Kurier oder ein Edelmann?« fragte der König. – »Es ist ein Kapitän, Sire.«

»Laßt ihn eintreten, er sei willkommen.«

Zu gleicher Zeit trat ein Gendarmenkapitän in der Felduniform ein und machte die gewöhnliche Verbeugung.

Die zwei Gevattern.

Chicot hatte sich bei dieser Ankündigung wieder gesetzt; er wandte seiner Gewohnheit gemäß unverschämterweise den Rücken der Tür zu, und sein halb verschleierter Blick versenkte sich in eine innere Betrachtung, die bei ihm so häufig stattfand, als die ersten Worte, die der Bote der Herren von Guise sprach, ihn beben ließen.

Demzufolge öffnete er die Augen wieder. Zum Glück oder zum Unglück schenkte der König, nur mit dem Ankömmling beschäftigt, dieser bei Chicot stets vielsagenden Gebärde keine Aufmerksamkeit. Der Bote stand zehn Schritte von dem Lehnstuhle, in den Chicot sich duckte, und da das Profil kaum über den Stuhl hervorragte, so sah Chicots Auge den Boten gänzlich, während der Bote nur Chicots Auge sehen konnte.

»Ihr kommt von Lothringen?« fragte der König den Boten, dessen Wuchs ziemlich edel, und dessen Miene ziemlich kriegerisch war.

»Nein, Sire, von Soissons, wo mir der Herr Herzog, der diese Stadt seit einem Monat nicht verlassen hat, den Brief übergab, den ich zu den Füßen Eurer Majestät niederzulegen die Ehre habe.«

Chicots Auge funkelte und verlor keine Gebärde des Ankömmlings, wie seinen Ohren keines seiner Worte entging.

Der Bote öffnete seinen mit silbernen Spangen geschlossenen Koller und zog aus einer mit Seide gefütterten ledernen Tasche, die an seinem Herzen ruhte, nicht einen, sondern zwei Briefe hervor, denn der eine zog den andern nach, an den er sich durch das Wachs seines Siegels angehängt hatte; als daher der Kapitän nur einen ziehen wollte, fiel der zweite auf den Boden.

Chicots Auge folgte diesem Briefe im Flug, wie das Auge der Katze dem Vogel. Er sah auch, wie sich bei dem unerwarteten Fall dieses Briefes eine Röte auf den Wangen des Boten verbreitete, und wie er in Verlegenheit geriet, um den ersten dem König zu geben und den andern aufzuheben.

Doch Heinrich sah nichts. Heinrich, ein Muster des Vertrauens, merkte nichts. Er öffnete nur den Brief, den man ihm bot, und las ihn.

Als der Bote den König in das Lesen vertieft sah, vertiefte er sich in die Betrachtung des Königs, auf dessen Gesicht er den Wiederschein aller Gedanken, die der interessante Inhalt in seinem Geiste hervorrufen konnte, zu suchen schien.

»Ah! Meister Borromée! Meister Borromée!« murmelte Chicot, während er mit den Augen jeder Bewegung des Getreuen des Herrn von Guise folgte. »Ah! du bist Kapitän und gibst dem König nur einen Brief, während du zwei in deiner Tasche hast; warte, mein Kind, warte.«

»Es ist gut! es ist gut!« sagte der König, indem er jede Zeile des Briefes des Herrn von Guise mit sichtbarer Zufriedenheit zum zweiten Male las, »geht, Kapitän, geht und sagt dem Herzog, ich sei ihm dankbar für sein Anerbieten.«

»Eure Majestät beehrt mich nicht mit einer geschriebenen Antwort?« fragte der Bote.

»Nein, ich werde ihn in einem Monat oder in sechs Wochen sehen und ihm folglich selbst danken, geht.«

Der Kapitän verbeugte sich und verließ das Gemach.

»Nu siehst wohl, Chicot,« sagte nun der König zu seinem Gefährten, den er immer noch in seinem Lehnstuhle glaubte, »du siehst wohl, Herr von Guise ist rein von jeder Machenschaft. Dieser brave Herzog, er hat die Sache von Navarra erfahren; er befürchtet, die Hugenotten könnten keck werden und das Haupt erheben, denn es ist ihm zu Ohren gekommen, die Deutschen wollten schon dem König von Navarra Verstärkung schicken. Was tut er nun? Errate, was er tut!«

Chicot antwortete nicht; Heinrich glaubte, er erwarte seine Erklärung, und fuhr fort: »Er bietet mir die Armee an, die er in Lothringen angeworben hat, und meldet mir, in sechs Wochen werde diese Armee mit ihrem General ganz und gar zu meiner Verfügung stehen. Was sagst du dazu, Chirot?«

Völliges Stillschweigen von selten des Gaskogners.

»In der Tat, mein lieber Chicot,« sagte der König, »du hast das Alberne, daß du halsstarrig bist wie ein spanisches Maultier, und daß du, wenn man das Unglück hat, dich von einem Irrtum zu überzeugen, was häufig vorkommt, schmollst, ah! ja, du schmollst wie ein Dummkopf.«

Nicht ein Hauch widersprach Heinrich in seiner Meinung, die er so offenherzig über seinen Freund geäußert hatte. Es gab etwas, was Heinrich noch mehr mißfiel als der Widerspruch, dies war das Schweigen.

»Ich glaube, dieser Bursche hat die Frechheit gehabt, einzuschlafen,« sagte er. »Chicot,« fuhr er fort, indem er auf den Lehnstuhl zuschritt, »dein König spricht mit dir, willst du antworten?«

Doch Chicot konnte nicht antworten, denn er war gar nicht da. Heinrich fand den Stuhl leer. Seine Augen durchliefen das ganze Zimmer; der Gaskogner war ebensowenig im Zimmer wie im Stuhl.

Der König wurde von einem abergläubischen Schauer ergriffen; es kam ihm zuweilen der Gedanke, Chicot sei ein übermenschliches Wesen, eine teuflische Verkörperung, allerdings guter Art, aber dennoch teuflisch.

Er rief Nambu. Dieser versicherte Seiner Majestät auf das bestimmteste, er habe Chicot fünf Minuten vor der Entfernung des Gesandten hinausgehen sehen. Nur sei er mit der Vorsicht eines Menschen hinausgegangen, der nicht wolle, daß man ihn weggehen sehe.

»Offenbar,« sagte Heinrich, während er in sein Betzimmer ging, »offenbar ärgerte sich Chicot, weil er unrecht hatte. Mein Gott! wie erbärmlich sind doch die Menschen! Ich sage das in Beziehung auf alle, selbst auf die geistreichsten.«

Nambu hatte recht; seine Sturmhaube auf dem Kopf und sein langes Schwert an der Seite, durchschritt Chicot geräuschlos die Vorzimmer; aber so vorsichtig er auch war, mußte er doch die Sporen auf den Stufen klirren lassen, die von den Gemächern nach der Pforte des Louvre führten, und dieses Geräusch veranlaßte viele Leute, sich umzudrehen, und trug Chicot viele Verbeugungen ein, denn man kannte Chicots Stellung beim König, und viele verbeugten sich tiefer vor ihm, als sie es vor dem Herzog von Anjou getan hätten.

In einer Ecke der Pforte blieb Chicot stehen, als wollte er einen Sporn befestigen.

Der Kapitän des Herrn von Guise ging, wie gesagt, kaum fünf Minuten nach Chicot weg, dem er keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Er stieg die Stufen hinab und durchschritt die Höfe. In dem Augenblick, wo er aus der Pforte des Louvre trat und über die Zugbrücke schritt, wurde er durch ein Klirren von Sporen erweckt, die das Echo der seinigen zu sein schienen.

Er wandte sich um, weil er dachte, der König schicke ihm jemand nach, und war nicht wenig erstaunt, als er unter der Sturmhaube das leutselige Gesicht und die gleisnerisch freundliche Miene des Bürgers Robert Briquet erkannte.

»Ah! mein Gott!« sagte Borromée. – »Alle Wetter!« rief Chicot.

»Mein lieber Bürgersmann!« – »Mein ehrwürdiger Vater!«

»Mit dieser Sturmhaube!« – »Unter diesem Koller!«

»Es ist mir sehr lieb, daß ich Euch sehe.« – »Es gereicht mir zur Zufriedenheit, daß ich Euch treffe.«

Und die beiden Eisenfresser schauten sich ein paar Sekunden mit dem Zögern zweier Hähne an, die kämpfen wollen und, um einander einzuschüchtern, sich auf ihren Sporen erheben.

Borromée ging zuerst vom Ernsten zum Sanften über. Die Muskeln seines Gesichts spannten sich ab, und er sagte mit einer Miene kriegerischer Offenherzigkeit und liebenswürdiger Freundlichkeit: »Gottes Leben! Ihr seid ein schlauer Gevatter, Meister Robert Briquet.«

»Ich, mein Ehrwürdiger?« erwiderte Chicot, »ich bitte, aus welcher Veranlassung sagt Ihr mir das?« – »Aus Anlaß des im Kloster der Jakobiner Erlebten, wo Ihr mich glauben ließet, Ihr wärt nur ein einfacher Bürger. Ihr müßt in der Tat zehnmal verschlagener und mutiger sein als ein Anwalt und ein Kapitän zusammen.«

Chicot fühlte, daß das Kompliment mit den Lippen und nicht mit dem Herzen gemacht war.

»Ah! ah!« erwiderte er mit gutmütigem Tone, »was sollen wir von Euch sagen, Seigneur Borromée?« – »Von mir?«

»Ja, von Euch.«– »Und warum?«

»Daß Ihr mich glauben ließt, Ihr wärt nur ein Mönch. Ihr müßt in der Tat zehnmal schlauer als der Papst selbst sein; und wenn ich dies sage, setze ich Euch nicht herab, Gevatter, denn der gegenwärtige Papst ist ein tüchtiger Luntenriecher, wie Ihr zugestehen müßt.« – »Denkt Ihr, was Ihr sagt?«

»Alle Wetter! lüge ich je?« – »Nun wohl, so nehmt meine Hand.« Und er reichte Chicot die Hand.

»Ah! Ihr habt mich im Kloster schlecht behandelt, Bruder Kapitän.« – »Ich hielt Euch für einen Bürgersmann, Meister, und Ihr wißt wohl, was wir Kriegsleute von den Bürgern halten.«

»Es ist wahr,« versetzte Chicot lachend, »es ist gerade wie mit den Mönchen, und dennoch habt Ihr mich in der Falle gefangen.« – »In der Falle?«

»Allerdings; denn unter dieser Verkleidung stelltet Ihr eine Falle. Ein braver Kapitän, wie Ihr, vertauscht nicht ohne eine wichtige Ursache seinen Panzer gegen eine Kutte.« – »Gegen einen Kriegsmann werde ich keine Geheimnisse haben. Ja, ich habe gewisse persönliche Interessen im Kloster der Jakobiner; doch Ihr?«

»Ich auch, doch still!«

»Wollen wir nicht ein wenig in aller Gemütlichkeit beim Glase Wein uns miteinander unterhalten?«

Mit diesen Worten kam Borromée Chicots innerstem Wunsche entgegen, und diese Zufriedenheit steigerte sich noch, als Borromée das wohlbekannte Füllhorn als Schenke vorschlug; von dessen Vorhandensein Chicot sich den Anschein gab, nichts zu wissen.

Das Füllhorn.

Der Weg, den Borromée Chicot machen ließ, ohne zu vermuten, daß Chicot ihn so gut wie er kannte, erinnerte unsern Gaskogner an seine schönen Jugendtage.

Bald erschien die Rue Saint-Jacques vor seinen Augen, dann das Kloster Saint-Benoit, und beinahe dem Kloster gegenüber das Wirtshaus zum Füllhorn, etwas älter aussehend, etwas schmierig, etwas verfallen, aber immer noch außen von Platanen und Kastanienbäumen beschattet und innen mit seinen blanken, zinnernen Kannen und seinen glänzenden Kasserollen ausgestattet.

Nachdem Chicot von der Türschwelle einen Blick auf das Äußere und in das Innere geworfen hatte, machte er sich einen hohen Rücken, verlor noch sechs Zoll von seiner Gestalt, die er schon in Gegenwart des Kapitäns verkleinert hatte, fügte seine Satyrgrimasse dazu, die seinem offenen Wesen und seinen ehrlichen Augen sehr unähnlich war, und wollte so den Versuch machen, von seinem alten Wirte Bonhomet unerkannt zu bleiben.

Chicot schritt hinter Borromée her und wurde in der Tat von dem Wirt zum Füllhorn gar nicht gesehen oder vielmehr nicht erkannt.

Er kannte die dunkelste Ecke der gemeinschaftlichen Stube und wollte sich darin niederlassen, als ihn Borromée zurückhielt und zu ihm sagte: »Alles schön und gut, Freund, doch hinter diesem Verschlag ist ein kleiner Winkel, wo zwei Menschen ganz ungestört miteinander plaudern und trinken können.«

»Gehen wir dahin,« sagte Chicot.

Borromée machte dem Wirt ein Zeichen, durch das er fragen wollte: »Gevatter, ist das Kabinett frei?«

Bonhomet antwortete durch ein anderes Zeichen: »Es ist frei!«

»Kommt,« sagte Borromée. Und er führte Chicot, der sich den Anschein gab, als stoße er sich an allen Ecken des Hausflurs, in den kleinen Winkel, der unsern Lesern, welche die Dame von Monsoreau gelesen haben, so wohl bekannt ist.

»Erwartet mich hier,« sagte Borromée, »ich will von einem Vorrecht Gebrauch machen, das die Stammgäste hier haben.«

»Welches Vorrecht meint Ihr?« – »Ich will selbst in den Keller gehen und den Wein auswählen, den wir trinken werden.«

»Oh! oh!« machte Chicot, »ein schönes Vorrecht; geht.«

Borromée ging hinaus.

Chicot folgte ihm mit dem Auge; sobald die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, nahm er von der Wand ein Bild ab, hinter dem sich ein Loch befand, und durch dieses Loch konnte man in die große Stube sehen, ohne gesehen zu werden.

»Ah! ah!« sagte Chicot, »du führst mich in eine Schenke, deren Stammgast du bist; ah, du treibst mich in einen Winkel, wo du glaubst, ich könne nicht gesehen werden, und wo du denkst, ich könne nicht sehen, und in diesem Winkel ist ein Loch, und infolge dieses Loches machst du nicht eine Gebärde, die ich nicht sehe. Oh! mein Kapitän, du bist mir nicht gewachsen.«

Und während er diese Worte mit einer Miene der Verachtung sprach, die nur ihm eigentümlich war, hielt er sein Auge an den künstlich durchbohrten Verschlag. Er erblickte Borromée, der zuerst vorsichtig seinen Finger auf die Lippen legte und sodann mit Bonhomet sprach, der in seine Wünsche durch ein olympisches Kopfnicken willigte.

Aus der Bewegung der Lippen des Kapitäns erriet Chicot, der in solchen Dingen sehr bewandert war, daß die von ihm ausgesprochenen Worte sagen wollten:

»Bedient uns in jenem Winkel und kommt nicht herein, welches Geräusch Ihr auch hören möget.«

Sodann nahm Borromée eine Lampe, die ewig auf einem Schranke brannte, hob eine Falltür auf und stieg selbst in den Keller hinab.

Sogleich klopfte Chicot auf eine eigentümliche Weise an den Verschlag. Sofort wurde Bonhomet aufmerksam, schaute in die Luft und horchte. Chicot klopfte zum zweiten Male und wie ein Mensch, der sich wundert, daß man einem ersten Rufe nicht gefolgt ist. Da eilte Bonhomet in den Winkel und sah Chicot aufrecht und mit drohendem Gesicht.

Bei diesem Anblick stieß der Wirt einen Schrei aus; er hielt Chicot für tot und dachte, er stehe einem Gespenst gegenüber.

»Was soll das heißen, Meister,« sagte Chicot, »seit wann laßt Ihr Leute wie mich zweimal rufen?«

»Oh! teurer Herr Chicot,« erwiderte Bonhomet, »seid Ihr es, oder ist es Euer Schatten?«

»Ob ich es bin, oder ob es mein Schatten ist, ich hoffe, daß Ihr mir, sobald Ihr mich erkennt, Punkt für Punkt gehorchen werdet.«

»Ah! gewiss, mein lieber Herr, befehlt nur.«

»Was Ihr auch in diesem Kabinett hören möget, und was auch vorgeht, Ihr werdet hoffentlich warten, bis ich Euch herbeirufe.«

»Dies wird mir um so leichter sein, Herr Chicot, als mir Euer Gefährte das gleiche befohlen hat.«

»Ja, aber er wird nicht rufen, versteht Ihr mich wohl, Herr Bonhomet, sondern ich werde rufen; und wenn er ruft, hört Ihr, so soll es sein, als ob er nicht riefe.«

»Abgemacht, Herr Chicot.«

»Gut; und nun entfernt alle Eure anderen Kunden unter irgendeinem Vorwand, und in zehn Minuten müssen wir frei und ebenso einsam sein, als ob wir gekommen wären, um am Karfreitag hier zu fasten.«

»In zehn Minuten, edler Herr Chicot, wird mit Ausnahme Eures ergebensten Dieners keine Katze mehr im ganzen Wirtshause sein.«

»Geht, Bonhomet, geht, Ihr habt Euch meine ganze Achtung erhalten,« sagte Chicot mit majestätischer Gebärde.

»Oh! mein Gott! mein Gott! was wird in meinem armen Hause vorfallen?« sagte Bonhomet, während er sich entfernte, und da er rückwärts ging, stieß er auf Borromée, der mit zwölf Flaschen aus dem Keller zurückkam.

»Du hast gehört,« sagte dieser, »in zehn Minuten keine Seele mehr im ganzen Wirtshaus.«

Bonhomet machte mit seinem sonst so hochmütigen Kopfe ein Zeichen des Gehorsams und begab sich in seine Küche. Borromée kehrte in seinen Winkel zurück und fand Chicot, der ihn, das Bein vorwärts gestreckt und ein Lächeln auf den Lippen, erwartete.

Wir wissen nicht, wie Bonhomet die Sache anfing, als aber die zehnte Minute abgelaufen war, trat der letzte Student über die Schwelle seines Hauses und sagte zum letzten Schreiber, dem er den Arm reichte: »Ho! ho! das Wetter steht heute auf Sturm bei Meister Bonhomet; machen wir uns aus dem Staub, oder es trifft uns der Hagel.«

Was in dem Winkel des Füllhorns vorfiel.

Als der Kapitän mit einem Korb von zwölf Flaschen in der Hand in den Winkel zurückkehrte, empfing ihn Chicot mit so offener und lächelnder Miene, daß Borromée versucht war, ihn für einen Einfaltspinsel zu halten.

Die Vorbereitungen dauerten nicht lange. Als erfahrene Trinker forderten die beiden Genossen einige eingesalzene Eßwaren in der lobenswerten Absicht, den Durst nicht erlöschen zu lassen. Bonhomet brachte ihnen die verlangten Speisen, wobei ihm jeder einen letzten mahnenden Blick zuwarf.

Bonhomet antwortete beiden, aber der aufmerksame Beobachter würde einen großen Unterschied zwischen dem an Borromée und dem an Chicot gerichteten Blicke gefunden haben. Dann ging der Wirt hinaus, und die zwei Gefährten fingen an zu trinken.

Anfangs leerten sie eine Anzahl volle Gläser, ohne ein Wort zu sprechen. Chicot besonders war herrlich; ohne etwas anderes gesagt zu haben, als: »Bei meiner Seele, das ist ein schöner Burgunder!« und: »Bei meiner Seele, das ist ein vortrefflicher Schinken!« hatte er zwei Flaschen geleert, das heißt eine Flasche auf jede Bemerkung. »Bei Gott!« murmelte Borromée beiseit, »es ist ein seltenes Glück, daß ich es mit einem solchen Trunkenbold zu tun habe.«

Bei der dritten Flasche schlug Chicot die Augen zum Himmel auf und sagte: »In der Tat, wir trinken auf eine Weise, daß wir uns betrinken werden.«

»Ja, die Wurst ist so gesalzen,« sagte Borromée.

»Ah! das ist Euch genehm; wohl, so fahren wir fort; ich habe einen starken Kopf.«

Und jeder von ihnen leerte abermals seine Flasche.

Der Wein brachte auf die beiden Gefährten eine ganz entgegengesetzte Wirkung hervor: er löste Chicots und band Borromées Zunge.

»Ah!« murmelte Chicot, »du schweigst, Freund; du zweifelst an dir.«

»Ah!« sagte Borromée leise zu sich selbst, »du schwatzest, du betrinkst dich also.«

»Wieviel Flaschen braucht Ihr, Gevatter?« fragte Borromée. – »Wozu?«

»Um heiter zu werden?« – »Vier; ich habe meine Rechnung.«

»Und um angestochen zu werden?« – »Sagen wir sechs.«

»Und um berauscht zu sein?« – »Nehmen wir das Doppelte.«

»Gaskogner,« dachte Borromée, »er stammelt und ist erst bei der vierten.«

»Dann haben wir Muße,« sagte Borromée und zog aus dem Korbe eine fünfte Flasche für sich und eine fünfte für Chicot.

Chicot bemerkte nun, daß von den fünf zu Borromées Rechten stehenden Flaschen die eine zur Hälfte, die anderen zu zwei Dritteln leer waren, keine aber ganz leer. Dies bestätigte ihn in dem Gedanken, daß der Kapitän Übles gegen ihn im Schilde führe. Er erhob sich, um die fünfte Flasche entgegenzunehmen, die ihm der Kapitän reichte, und schwankte auf den Beinen. »Gut,« sagte er, »habt Ihr es gefühlt?« – »Was?«

»Ein Erdstoß.« – »Bah!«

»Ja, bei allen Teufeln! zum Glück ist das Wirtshaus zum Füllhorn solid, obgleich es auf einem Zapfen ruht.« – »Wieso ruht es auf einem Zapfen?«

»Allerdings, da es sich dreht.«

»Es ist richtig,« sagte Borromée, sein Glas bis auf den letzten Tropfen leerend; »ich fühlte wohl die Wirkung, erriet aber die Ursache nicht. Nun Wohl, mein lieber Mitbruder,« fuhr Borromée fort, »denn nicht wahr, Ihr seid Kapitän wie ich?«

»Kapitän von der Fußsohle bis zu den Haarspitzen.«

»Ei! mein lieber Kapitän, so sagt mir doch, was war eigentlich die Ursache Eurer Verkleidung?«

»Welcher Verkleidung?« – »Der, die Ihr trugt, als Ihr zu Dom Modeste kamt.«

»Wie war ich denn verkleidet?« – »Als Bürger.«

»Ah! es ist wahr.« – »Sagt mir das.«

»Gern; doch nicht wahr, Ihr werdet mir dann Eurerseits sagen, warum Ihr als Mönch verkleidet waret; Vertrauen für Vertrauen.« – »Topp.«

»Schlagt ein,« sagte Chicot und reichte dem Kapitän die Hand.

Dieser schlug senkrecht in Chicots Hand.

»Nun ist es an mir,«, sagte dieser.

Und er schlug neben Borromées Hand. »Ihr wollt also wissen, warum ich als Bürger verkleidet war?« fragte, Chicot mit einer Zunge, die immer schwerer wurde. – »Ja, da bin ich neugierig.«

»Und Ihr werdet mir Eurerseits alles sagen?« – »Bei meinem Ehrenwort, so wahr ich Kapitän bin.«

»Mit zwei Worten seid Ihr auf dem laufenden.«

»Ich höre.« – »Ich spionierte für den König.«

»Wie, Ihr spioniertet?« – »Ja.«

»Ihr spioniert also gewerbsmäßig.« – »Nein, als Liebhaber.«

»Was habt Ihr bei Dom Modeste bespäht?« – »Alles. Ich bespähte zuerst Dom Modeste, sodann Bruder Borromée, ferner den kleinen Jacques und endlich das ganze Kloster.«

»Und was habt Ihr entdeckt, mein würdiger Freund?« – »Zuerst habe ich entdeckt, daß Dom Modeste ein großer Dummkopf ist.«

»Dazu braucht man nicht sehr geschickt zu sein.« – »Verzeiht, verzeiht, Seine Majestät Heinrich III., der kein Einfaltspinsel ist, betrachtet ihn als ein Licht der Kirche und gedenkt einen Bischof aus ihm zu machen.«

»Gut, ich habe nichts gegen diese Beförderung zu sagen, im Gegenteil; ich werde an diesem Tage lachen; was habt Ihr weiter entdeckt?« – »Ich entdeckte, daß ein gewisser Bruder Borromée kein Mönch war, sondern ein Kapitän.«

»Ah! wahrhaftig, Ihr habt das entdeckt!« – »Mit dem ersten Blick.«

»Sodann?« – »Ich entdeckte, daß sich der kleine Jacques mit dem Rapier einübte, um mit dem Degen zu fechten, und auf eine Scheibe, um nach einem Menschen zu schießen.«

»Ah! du hast das entdeckt,« sagte Borromée, die Stirn faltend; »und was hast du noch entdeckt?« – »Oh! gib mir zu trinken, oder ich erinnere mich nicht mehr.«

»Du wirst bemerken, daß du die sechste Flasche angreifst, « sagte Borromée lachend. – »Ich bekomme auch einen Stich und behaupte nicht das Gegenteil; sind wir hierher gekommen, um Philosophie zu treiben?«

»Nein, nein, wir sind gekommen, um zu trinken.« – »Trinken wir also,« sagte Chicot und füllte sein Glas.

»Nun!« fragte Borromée, als er Chicot Bescheid getan hatte, »erinnerst du dich?« – »An was?«

»An das, was du noch im Kloster gesehen hast?« – »Bei Gott!«

»Nun! was hast du gesehen?« – »Ich habe gesehen, daß die Mönche, statt Pfaffen zu sein, Kriegsknechte waren und, statt Dom Modeste zu gehorchen, dir gehorchten. Das habe ich gesehen.«

»Ah! wahrhaftig! Aber das ist ohne Zweifel noch nicht alles?« – »Nein; doch ich muß trinken, trinken, trinken, oder das Gedächtnis kommt mir abhanden.«

Und als Chicots Flasche leer war, reichte er sein Glas Borromée, der ihm aus der seinigen einschenkte.

Chicot leerte sein Glas, ohne Atem zu holen.

»Nun? erinnern wir uns?« fragte Borromée. – »Ob wir uns erinnern? Ich glaube wohl.«

»Was hast du noch gesehen?« – »Ich habe gesehen, daß ein Komplott stattfand.«

»Ein Komplott!« versetzte Borromée erbleichend. – »Ja, ein Komplott.«

»Gegen wen?« – »Gegen den König.«

»In welcher Absicht?« – In der Absicht, ihn zu entführen.«

»Und wann dies?« – »Wenn er von Vincennes zurückkehren würde.«

»Donner!« – »Wie beliebt?«

»Nichts. Ah! Ihr habt das gesehen?« – »Ich habe es gesehen.«

»Und Ihr habt den König davon in Kenntnis gesetzt?« – »Bei Gott! ich war zu diesem Behufe gekommen.« »Ihr seid also die Ursache, daß der Streich mißlungen ist?« – »Ich bin es.«

»Sturm und Wetter!« murmelte Borromée zwischen den Zähnen. – »Was sagt Ihr?«

»Ich sage, Ihr habt gute Augen, Freund.« – »Bah!« erwiderte Chicot stammelnd; »ich habe noch ganz andere Dinge gesehen. Gebt mir eine von Euren Flaschen, und Ihr sollt Euch wundern, wenn ich Euch sage, was ich gesehen habe.«

Borromée beeilte sich, Chicots Wunsch zu entsprechen.

»Sprecht!« sagte er. – »Einmal habe ich Herrn von Mayenne verwundet gesehen.«

»Bah!« – »Ein schönes Wunder, er war auf meiner Straße. Und dann habe ich die Einnahme von Cahors gesehen.«

»Wie, die Einnahme von Cahors! Ihr kommt also von Cahors?« – »Gewiß. Ah! Kapitän, das war in der Tat schön anzusehen, und ein Tapferer, wie Ihr, hätte ein Vergnügen an diesem Schauspiel gefunden.«

»Ich zweifle nicht daran; Ihr wart also beim König von Navarra?« – »An seiner Seite, wie wir sind.«

»Und Ihr habt ihn verlassen?« – »Um diese Kunde dem König von Frankreich zu überbringen.«

»Und Ihr kommt vom Louvre?« – »Eine Viertelstunde vor Euch.«

»Da wir uns seit dieser Zeit nicht trennten, so frage ich Euch nicht, was Ihr seit unserem Zusammentreffen im Louvre gesehen habt.« – »Fragt, fragt im Gegenteil, denn bei meinem Wort, das ist das Seltsamste.«

»Sprecht also.« – »Sprecht, sprecht,« machte Chicot, »es ist leicht zu sagen, sprecht.«

»Macht einen Versuch.« – »Noch ein Glas Wein, um mir die Zunge zu lösen ... ganz voll, gut. Nun wohl, Kamerad, ich habe gesehen, daß du, als du den Brief Seiner Hoheit des Herzogs von Guise aus der Tasche zogst, einen andern fallen ließest.«

»Einen andern?« rief Borromée aufspringend. – »Ja, der hier ist,« sagte Chicot. Und nachdem er drei- oder viermal das Ziel verfehlt hatte, drückte er seine Fingerspitze auf Borromées büffelledernes Wams, gerade an der Stelle, wo der Brief war.

Borromée bebte, als ob Chicots Finger glühendes Eisen gewesen wären, und als ob dieses glühende Eisen seine Brust berührt hätte, statt sein Wams zu berühren.

»Oho!« sagte er, »es würde nur noch eins fehlen.«

– »Woran?«

»An alldem, was Ihr gesehen habt.« – »Was?«

»Daß Ihr wüßtet, an wen der Brief adressiert ist.«

– »Ein schönes Wunder!« sagte Chicot und ließ seine Arme auf den Tisch fallen; »er ist an die Frau Herzogin von Montpensier adressiert.«

»Heiliges Blut Christi!« rief Borromée; »doch Ihr habt hoffentlich dem König nichts davon gesagt?« – »Nicht ein Wort, aber ich werde es ihm sagen.«

»Und wann dies?« – »Wenn ich einen Schlaf gemacht habe,« sagte Chicot. Und er ließ seinen Kopf auf seine Arme fallen, die schon auf dem Tisch lagen.

»Ah! Ihr wißt, daß ich einen Brief für die Herzogin habe?« fragte der Kapitän mit gepreßter Stimme. – »Ich weiß es ganz genau,« ruckste Chicot.

»Und wenn Ihr Euch auf Euren Beinen halten könnt, werdet Ihr in den Louvre gehen?« – »Ich werde in den Louvre gehen.«

»Und mich angeben?« – »Und Euch anzeigen.«

»Es ist also kein Scherz?« – »Was?«

»Daß, sobald Euer Schlaf beendigt ist ...« – »Nun?«

»Der König alles erfährt?« – »Aber, mein lieber Freund,« sagte Chicot, indem er den Kopf in die Höhe hob und Borromée mit matten Augen anschaute; »begreift doch; Ihr seid Verschwörer, ich bin Spion; ich habe so und so viel für jedes Komplott, das ich anzeige; Ihr habt ein Komplott angezettelt, ich zeige Euch an. Wir treiben jeder sein Gewerbe. Gute Nacht, Kapitän.«

»Ah!« sagte Borromée, ein Flammenauge auf seinen Gefährten heftend, »ah, du willst mich anzeigen, lieber Freund?« – »Sobald ich wach sein werde, teurer Freund, das ist abgemacht.«

»Noch du mußt wissen, ob du auch erwachst,« rief Borromée und führte dabei einen so wütenden Degenstoß gegen den Rücken seines Zechgenossen, daß er ihn völlig zu durchbohren und auf den Tisch zu nageln glaubte. Er hatte aber ohne das von Chicot aus Dom Modestes Waffenlager entlehnte Panzerhemd gerechnet. Der Degen zerbrach wie Glas auf diesem starken Panzerhemd, dem Chicot zum zweiten Male das Leben zu verdanken hatte. Und ehe sich der Mörder von seinem Staunen erholte, spannte sich Chicots rechter Arm wie eine Feder ab, beschrieb einen Halbkreis und gab Borromée einen fünfhundert Pfund schweren Faustschlag ins Gesicht, daß er ganz blutig und zerquetscht an die Wand rollte.

In einer Sekunde stand Borromée wieder, in einer zweiten hatte er seinen Degen in der Hand. Diese zwei Sekunden waren aber für Chicot hinreichend gewesen, sich ebenfalls wieder aufzurichten und vom Leder zu ziehen. Alle Weindünste waren wie durch einen Zauber verschwunden; Chicot hielt sich halb auf sein linkes Bein zurückgeworfen, das Auge starr, das Faustgelenk fest und bereit, seinen Feind zu empfangen.

Der Tisch streckte sich wie ein Schlachtfeld, worauf die leeren Flaschen lagen, zwischen den Gegnern aus und diente jedem als Verschanzung. Doch der Anblick des Blutes, das von seiner Nase auf sein Gesicht und von seinem Gesicht auf die Erde floß, berauschte Borromée, und er stürzte, jeder Klugheit bar, so nahe auf seinen Feind zu, als es der Tisch erlaubte.

»Doppelter Dummkopf,« sagte Chicot, »du siehst wohl, daß du trunken bist, denn von der einen Seite des Tisches zur andern kannst du mich nicht erreichen, während mein Arm sechs Zoll länger als deiner, und mein Degen ebenfalls sechs Zoll länger als deiner ist. Nimm dies zum Beweis.« Und ohne auszufallen, streckte Chicot seinen Arm mit der Geschwindigkeit des Blitzes vor und stieß Borromée mitten auf die Stirn. Borromée schrie laut auf, mehr jedoch aus Zorn als aus Schmerz, und da er trotz allem ungemein mutig war, so griff er mit verdoppelter Erbitterung an.

Chicot nahm, immer auf der andern Seite des Tisches, einen Stuhl, setzte sich ganz ruhig und sagte, die Achseln zuckend: »Mein Gott! wie albern doch die Soldaten sind! Sie behaupten, sie verstehen den Degen zu handhaben, und der geringste Bürger könnte sie wie Mücken töten. Gut, gut! nun will er mir ein Auge ausstoßen. Ah! du steigst auf den Tisch; das fehlte nur noch. Doch nimm dich in acht, du erzdummer Esel, die Stöße von unten nach oben sind furchtbar, und wenn ich wollte, würde ich dich spießen wie eine Lerche.«

Und er stieß ihn in den Bauch, wie er ihn auf die Stirn gestoßen hatte.

Borromé wurde rot vor Wut und sprang vom Tische herab.

»So ist es gut,« sagte Chicot, »wir sind nun auf gleicher Höhe und können plaudern, während wir fechten. Ah! Kapitän, Kapitän, wir morden also hin und wieder, zwischen zwei Komplotten?«

»Ich tue für meine Sache, was Ihr für die Eurige tut,« erwiderte Borromée, zu ernsten Gedanken zurückgeführt und unwillkürlich erschrocken über das düstere Feuer, das aus Chicots Augen sprang.

»Das heiße ich sprechen,« versetzte Chicot, »und dennoch, Freund, sehe ich mit Vergnügen, daß ich's besser verstehe als Ihr.«

Borromée hatte einen Stoß nach Chicot geführt, der dessen Brust gestreift.

»Nicht schlecht, doch ich kenne den Stoß; es ist der, den Ihr dem kleinen Jacques gezeigt habt. Ich sagte also, ich tauge mehr als Ihr, Freund, denn ich habe den Streit nicht angefangen, so große Lust ich auch dazu hatte; mehr noch, ich ließ Euch Euer Vorhaben ausführen, indem ich Euch jeden Raum dazu gönnte, und selbst in diesem Augenblick pariere ich nur; dies geschieht, weil ich Euch einen Vorschlag zu machen habe.«

»Nichts!« rief Borromée, außer sich über Chicots Ruhe, »nichts!«

Und er führte einen Stoß der den Gaskogner durchbohrt haben müßte, hätte dieser nicht mit seinen langen Beinen einen Schritt gemacht, der ihn aus dem Bereich seines Gegners brachte.

»Ich will dir trotzdem diesen Vorschlag nennen, damit ich mir nichts vorzuwerfen habe.«

»Schweige,« rief Borromée, »unnötig, schweige.«

»Höre,« erwiderte Chioct, »es geschieht zur Beruhigung meines Gewissens; begreifst du? Ich habe keinen Durst nach deinem Blut und will dich nur in der höchsten Not töten.«

»Aber töte mich doch, töte, wenn du kannst,« schrie Borromée wütend.

»Nein, ich habe schon einmal in meinem Leben einen Eisenfresser, wie du bist, getötet, einen Eisenfresser, der sogar stärker war als du. Bei Gott! Du kennst ihn wohl, er gehörte auch zum Hause Guise und war ein Advokat.«

»Ah! Nicolas David,« murmelte Borromée, indem er sich erschrocken in Verteidigungsstand setzte. – »Ganz richtig.«

»Ah! du hast ihn getötet?« – »Oh! mein Gott, ja, mit einem hübschen kleinen Stoß, den ich dir zeigen werde, wenn du meinen Vorschlag nicht annimmst.«

»Nun, worin besteht dein Vorschlag? Laß hören.« – »Du gehst vom Dienst des Herzogs von Guise in den des Königs über, jedoch ohne den des Herzogs von Guise zu verlassen.« »Das heißt, ich soll Spion werden wie du?« – »Nein, es wird ein Unterschied stattfinden; mich bezahlt man nicht, aber dich wird man bezahlen; du fängst damit an, daß du mir den Brief des Herrn Herzog von Guise an die Herzogin von Montpensier zeigst; du läßt mich eine Abschrift nehmen, und ich lasse dich in Ruhe bis zu einer neuen Gelegenheit. Nun! bin ich nicht artig?« – »Halt, hier hast du meine Antwort.«

Borromées Antwort war ein Stoß über den Arm seines Gegners, den er so rasch ausführte, daß die Spitze des Degens Chicots Schulter streifte.

»Ah! ah!« sagte Chicot, »ich sehe wohl, daß ich dir durchaus den Stoß von Nicolas David zeigen muß; es ist ein einfacher, schöner Stoß.«

Nun machte Chicot, der sich bis jetzt nur verteidigend gehalten hatte, einen Schritt vorwärts und griff ebenfalls an.

»Sieh den Stoß,« sagte Chicot, »ich mache eine Finte in Tiefquart.«

Und er machte seine Finte; Borromée parierte zurückweichend, doch nachdem er einen ersten Schritt rückwärts getan hatte, mußte er stehenbleiben, denn der Verschlag fand sich hinter ihm.

»Gut! so ist es, du parierst den Zirkelstoß, und darin hast du unrecht, denn mein Faustgelenk ist besser als deines; ich binde also den Degen, ich komme in einer Hochterz zurück, ich falle weit aus, und du bist getroffen, oder vielmehr du bist tot.«

Der Stoß war in der Tat blitzartig auf die Auseinandersetzung gefolgt, und der feine Degen war, in Borromées Brust eindringend, wie eine Nadel zwischen zwei Rippen durchgeschlüpft und hatte sich tief und mit einem matten Ton in den tannenen Verschlag eingearbeitet.

Borromée streckte die Arme aus und ließ seinen Degen fallen, seine Augen erweiterten sich blutig, sein Mund öffnete sich, ein roter Schaum erschien auf seinen Lippen, sein Kopf neigte sich auf seine Schulter mit einem Seufzer, der einem Röcheln glich; dann hörten seine Beine auf, ihn zu unterstützen, und zusammensinkend erweiterte sein Körper den Einschnitt des Degens, vermochte ihn aber nicht vom Verschlag loszumachen, an dem er von Chicots höllischem Faustgelenk festgehalten wurde, so daß der Unglückliche, einem riesigen Nachtfalter ähnlich, an die Wand angenagelt blieb, an die seine Füße in geräuschvollen Stößen anschlugen.

Kalt und unempfindlich, wie er es unter solchen Umständen war, besonders wenn er in seinem Herzen die Überzeugung hegte, er habe alles getan, was ihm sein Gewissen zu tun vorgeschrieben, ließ Chicot den Degen los, der horizontal steckenblieb, öffnete den Gürtel des Kapitäns, durchsuchte sein Wams, nahm den Brief und las die Aufschrift: »Herzogin von Montpensier.«

Das Blut floß indessen in schäumenden Fäden aus der Wunde, und der Schmerz des Todeskampfes prägte sich in den Zügen des Verwundeten aus.

»Ich sterbe, ich verscheide,« murmelte er; »mein Gott und Herr, erbarme dich meiner!«

Diese letzte Anrufung der göttlichen Barmherzigkeit von einem Menschen, der hieran ohne Zweifel nur im letzten Augenblick gedacht hatte, rührte Chicot.

»Wir wollen mildherzig sein,« sagte er, »und da dieser Mensch sterben muß, so sterbe er wenigstens so sanft wie möglich.«

Und er näherte sich dem Verschlag, zog seinen Degen mit Anstrengung aus der Wand, unterstützte den Körper und verhinderte dadurch, daß er schwer auf die Erde fiel.

Doch diese letztere Vorsicht war unnötig, der Tod war rasch und eisig herbeigeeilt; er hatte schon die Glieder des Besiegten gelähmt, seine Beine bogen sich, er schlüpfte in Chicots Arme und rollte schwerfällig auf den Boden.

Diese Erschütterung ließ aus der Wunde eine Welle schwarzen Blutes hervorspringen, mit der vollends der Rest des Lebens aus Borromée entfloh.

Chicot öffnete die Verbindungstür und rief Bonhomet.

Er brauchte nicht zweimal zu rufen; der Schenkwirt hatte an der Tür gehorcht und wußte nur nicht, welcher von den beiden Gegnern unterlegen war.

Zum Lobe Meister Bonhomets müssen wir sagen, sein Gesicht nahm einen Ausdruck wahrer Freude an, als er Chicots Stimme hörte und sah, daß es der Gaskogner war, der unversehrt die Tür öffnete. Chicot, dem nichts entging, bemerkte diesen Ausdruck und wußte ihm in seinem Innern Dank dafür.

Bonhomet trat zitternd in das kleine Kabinett ein.

»Ah! guter Jesus!« rief er, als er den Leib des Kapitäns in seinem Blute gebadet sah. Chicot beruhigte den entsetzten Wirt und ließ sich von ihm seine Wunde mit Öl reiben, während 'er selbst den Brief des Herzogs von Lothringen abschrieb.

Dieser Brief lautete:

»Liebe Schwester, die Expedition nach Antwerpen ist sonst gelungen, für uns aber gescheitert; man wird Euch sagen, der Herzog von Anjou sei tot, glaubt es nicht, er lebt. Er lebt. Versteht Ihr? das ist die ganze Frage. Es liegt eine ganze Dynastie in diesen zwei Worten; diese zwei Worte trennen das Haus Lothringen von Frankreichs Thron mehr, als es der tiefste Abgrund tun würde.

Beunruhigt Euch Indessen nicht zu sehr hierüber. Ich habe entdeckt, daß zwei Personen, die ich gestorben glaubte, noch vorhanden sind, und es liegt für den Prinzen in dem Leben dieser beiden Personen eine starke Aussicht auf den Tod. Denkt also nur an Paris; in sechs Wochen wird es Zeit sein, daß die Lige handelt; die Ligisten müssen also erfahren, daß der Augenblick naht, und sich bereithalten.

Die Armee ist auf den Beinen; wir zählen zwölftausend sichere und wohlausgestattete Leute; ich werde mit dieser Armee nach Frankreich ziehen unter dem Vorwand, die deutschen Hugenotten zu bekämpfen, die Heinrich von Navarra Unterstützung bringen; ich werde die Hugenotten schlagen und, unter der Maske eines Freundes in Frankreich einziehend, als Herr und Gebieter handeln.

»N.S. Ich billige vollkommen Euren Plan in Beziehung auf die Fünfundvierzig; nur erlaubt mir, Euch zu sagen, teure Schwester, daß Ihr diesen Burschen mehr Ehre erweist, als sie verdienen.

»Euer wohlgewogener

H. von Lothringen.«

»Nun,« sagte Chicot, »das ist alles klar, mit Ausnahme der Nachschrift. Gut, die Nachschrift werden wir im Auge behalten.«

»Lieber Herr Chicot,« wagte Bonhomet zu fragen, als er sah, daß Chicot aufgehört hatte zu schreiben, »lieber Herr Chicot, Ihr habt mir noch nicht gesagt, was ich mit dem Leichnam tun soll.« – »Das ist ganz einfach.«

»Ja, für Euch, der Ihr voll Einbildungskraft seid, aber nicht für mich.« – »Nun, stelle dir zum Beispiel vor, dieser unglückliche Kapitän sei auf der Straße mit Schweizern in Streit geraten, und man habe ihn verwundet hierher gebracht, hättest du dich geweigert, ihn aufzunehmen?«

»Gewiß nicht, wenn Ihr es mir nicht etwa verboten hättet, lieber Herr Chicot.« – »Nimm an, in diesen Winkel niedergelegt, sei er trotz der Sorge, die du auf ihn verwendet, in deinen Händen vom Leben zum Tode übergegangen. Das wäre ein Unglück, nicht wahr?«

»Gewiß ...« – »Und statt dir Vorwürfe zuzuziehen, würdest du Lobeserhebungen für deine Menschenfreundlichkeit verdienen. Denke, sterbend hat dieser arme Kapitän den dir wohlbekannten Namen des Priors der Jakobiner von Saint-Antoine ausgesprochen.«

»Den Namen Dom Modeste Gorenflots?« rief Bonhomet voll Erstaunen. – »Ja, Dom Modeste Gorenflots. Nun wohl, du wirst Dom Modeste benachrichtigen; Dom Modeste wird herbeieilen, und da man in einer von den Taschen des Toten seine Börse wiederfindet, du begreifst, es ist wichtig, daß man diese Börse findet, ich sage dir das nur zur Nachachtung, und da man in einer von den Taschen des Toten seine Börse und in der andern diesen Brief findet, so faßt man keinen Verdacht.«

»Ich verstehe, lieber Herr Chicot,« – »Mehr noch, du erhältst eine Belohnung, statt bestraft zu werden.«

»Ihr seid ein großer Mann, lieber Herr Chicot; ich laufe in die Priorei von Saint-Antoine.« – »Warte doch, zum Teufel! Ich habe gesagt, die Börse und den Brief.«

»Ah! ja, und den Brief, Ihr habt ihn?« – »Ganz richtig.«

»Ich soll nicht sagen, daß er gelesen und abgeschrieben worden ist?« – »Bei Gott, gerade dafür, daß dieser Brief unberührt geblieben, wirst du eine Belohnung erhalten.«

»Es ist also ein Geheimnis in diesem Brief?« – »In diesen Zeitläuften finden sich in allem Geheimnisse, mein lieber Bonhomet.«

Nach dieser weisen Antwort befestigte Chicot äußerst geschickt die Seide wieder unter dem Siegelwachs, dann verband er das Wachs so künstlich, daß das geübteste Auge nicht den geringsten Sprung, hätte sehen können.

Sobald dies geschehen war, steckte er den Brief in die Tasche des Toten, ließ sich auf seine Wunde mit Öl und Weinhefe getränkte Leinwand auflegen, zog den schützenden Panzer über seine Haut, das Hemd über seinen Panzer, sein Wams über sein Hemd, hob seinen Degen auf, trocknete ihn ab, stieß ihn wieder in die Scheide und entfernte sich.

Doch er kehrte noch einmal um und sagte: »Wenn dir aber die Fabel, die ich erfunden habe, nicht gut vorkommt, so kannst du den Kapitän anklagen, er habe sich selbst den Degen durch den Leib gerannt.«

»Ein Selbstmord?« – »Bei Gott, du begreifst, das gefährdet niemand.«

»Doch man wird den Unglücklichen nicht in geweihter Erde begraben.« – »Puh!« versetzte Chicot, »macht man ihm damit ein großes Vergnügen?« »Ich glaube wohl.« – »So tue, was du willst, mein lieber Bonhomet, Gott befohlen.«

Dann sagte er, zum zweiten Male zurückkehrend: »Ah! ich will bezahlen, da er tot ist.«

Chicot warf hierauf drei Goldtaler auf den Tisch, legte zum Zeichen des Stillschweigens seinen Finger auf seine Lippen und ging hinaus.

Der Gatte und der Liebhaber.

Nicht ohne mächtige Gemütsbewegung sah Chicot wieder die ruhige und öde Rue des Augustins, die Ecke, welche die Häuser, die vor dem seinigen standen, bildeten, und endlich sein Haus selbst mit seinem dreieckigen Dach, seinem wurmstichigen Balkon und den mit Drachenköpfen verzierten Dachrinnen.

Er hatte so sehr gefürchtet, nur eine Lücke an Stelle dieses Hauses zu finden, daß ihm das Haus als Wunder der Reinlichkeit, der Freundlichkeit und des Glanzes erschien.

Auch seinen Goldtalerschatz fand er unversehrt in dem Stützbalken, in dem er ihn, wie wir wissen, versteckt hatte.

»Alle Wetter,« murmelte Chicot, als er, seinen Schatz vor seinen Augen, mitten im Zimmer kauerte, »alle Wetter, ich habe da einen vortrefflichen Nachbar, einen würdigen Mann, der mein Geld in Achtung erhalten und selbst geachtet hat; das ist wahrhaftig eine unschätzbare Handlung in diesen Zeitläuften. Bei Gott! ich bin diesem artigen Mann einen Dank schuldig, und er soll ihn noch diesen Abend haben.«

Hierauf setzte Chicot das zudeckende Brettchen wieder auf den Balken, trat an das Fenster und schaute nach dem Hause gegenüber. Es hatte immer noch die graue, düstere Farbe, welche die Einbildungskraft unwillkürlich den Gebäuden leiht, deren Charakter sie kennt.

»Es muß ihre Stunde zum Schlafengehen noch nicht gekommen sein.« sagte Chicot, »und überdies sind diese Leute, dessen bin ich sicher, keine argen Schläfer; wir wollen also sehen.«

Er stieg hinab und klopfte, nachdem er seiner lachenden Miene allen Liebreiz zu geben bemüht gewesen, an die Tür des Nachbars.

Er hörte auf der Treppe gehen, und zwar mit behendem Schritte, und wartete dennoch ziemlich lange, ehe er zum zweiten Male klopfte.

Bei dieser neuen Aufforderung öffnete sich die Tür, und ein Mann erschien im Schatten.

»Meinen Dank und guten Abend,« sagte Chicot, indem er die Hand ausstreckte; »ich bin nun zurückgekehrt und komme, um Euch meine Erkenntlichkeit auszudrücken, lieber Nachbar.«

»Was beliebt?« machte eine Stimme, deren Ton Chicot sehr in Erstaunen setzte.

Zugleich tat der Mann, der die Tür geöffnet hatte, einen Schritt rückwärts.

»Ah! ich täusche mich,« sagte Chicot, »Ihr wart nicht mein Nachbar, als ich abreiste, und, Gott vergebe mir, dennoch kenne ich Euch.«

»Und ich kenne Euch auch,« erwiderte der junge Mann.

»Ihr seid der Herr Vicomte Ernauton von Carmainges.«

»Und Ihr, Ihr seid der Schatten.«

»In der Tat,« rief Chicot, »ich falle aus den Wolken.« »Was wünscht Ihr, mein Herr?« fragte der junge Mann etwas ärgerlich.

»Verzeiht, ich störe Euch wohl, mein lieber Herr.« – »Nein, doch Ihr werdet mir wohl erlauben, Euch zu fragen, was zu Euren Diensten steht?«

»Nichts, wenn nicht, daß ich mit dem Herrn des Hauses sprechen wollte.« – »Sprecht also!«

»Wieso?« – »Der Herr des Hauses bin ich.«

»Ihr? Ich bitte, seit wann?« – »Seit drei Tagen.«

»Gut! das Haus war also zu verkaufen?« – »Es scheint, da ich es gekauft habe.«

»Aber der ehemalige Eigentümer?« – »Bewohnt es nicht mehr, wie Ihr seht.«

»Wo ist er?« – »Ich weiß es nicht.«

»Verständigen wir uns, mein Herr.« – »Das ist mir ganz lieb,« erwiderte Ernauton mit sichtbarer Ungeduld; »nur wollen wir uns rasch verständigen.«

»Der ehemalige Eigentümer war ein Mann von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren, der aber vierzig zu sein schien.« – »Nein; es war ein Mann von fünfundsechzig bis sechsundsechzig Jahren, was sein Alter zu sein schien.«

»Kahl.« – »Nein, im Gegenteil, mit einem Wald weißer Haare.«

»Nicht wahr, er hatte eine ungeheure Narbe an der linken Seite seines Kopfes?« –. »Die Narbe habe ich nicht gesehen, aber eine große Anzahl von Runzeln.«

»Das begreife ich nicht.« – »Nun, so sprecht,« sagte Ernauton, nachdem er einen Augenblick geschwiegen, »was wolltet Ihr von diesem Mann, mein lieber Herr Schatten?«

Chicot wollte sagen, was seine Absicht war; doch plötzlich schien es ihm besser, an sich zu halten, und er erwiderte: »Ich wollte ihm einen kleinen Besuch machen, wie man dies unter Nachbarn zu tun pflegt.«

Auf diese Art log Chicot nicht und verriet nichts.

»Mein lieber Herr,« sagte Ernauton höflich, zugleich aber die Öffnung der Tür beträchtlich vermindernd, die er mit der Hand hielt, »mein lieber Herr, ich bedaure, Euch keine genaue Auskunft geben zu können.«

»Ich danke, mein Herr,« sagte Chicot, »ich werde anderswo suchen.«

»Aber,« fuhr Ernauton fort, während er die Tür immer mehr zumachte, »aber das hält mich nicht ab, mir zu dem Zufall, der mich mit Euch wieder in Berührung setzt, Glück zu wünschen.«

»Du möchtest mich gern beim Teufel sehen, nicht wahr?« dachte Chicot, während er den Gruß erwiderte.

Doch da Chicot sich immer noch nicht zurückzog, sagte Ernauton, von dem nur noch das Gesicht zwischen der Tür und dem Pfosten sichtbar war: »Auf baldiges Wiedersehen, mein Herr.«

»Nur noch einen Augenblick, Herr, von Carmainges.«

»Mein Herr,« entgegnete Ernauton, »zu meinem großen Bedauern kann ich nicht länger verweilen; ich erwarte jemand, der gerade an diese Tür klopfen soll, und dieser jemand würde es mir sehr verargen, wenn ich bei seinem Empfang nicht mit aller möglichen Diskretion zu Werke ginge.«

»Das genügt, mein Herr, ich begreife,« sagte Chicot; »verzeiht, daß ich Euch belästigt habe, ich entferne mich.«

»Gott befohlen, lieber Herr Schatten.«

»Gott befohlen, würdiger Herr Ernauton.«

Hierauf machte Chicot einen Schritt rückwärts und sah, wie man ihm die Tür vor der Nase schloß.

Chicot bedachte, daß es sehr seltsam sei, Ernauton sich so als Herrn in dem geheimnisvollen Hause einnisten zu sehen, dessen Bewohner so plötzlich verschwunden waren. Um so mehr, als sich auf diese früheren Bewohner ein Satz im Briefe des Herzogs von Guise, der den Herzog von Anjou betraf, beziehen konnte.

Es kam ihm seltsam vor, daß er Ernauton in diesem Hause sah, wo er Remy gesehen hatte, einmal, weil sich diese beiden gar nicht kannten; es mußte also noch ein Chicot unbekannter Vermittler im Spiele sein.

Zweitens wunderte er sich, weil dieses Haus an Ernauton verkauft worden war, der kein Geld besaß, um es zu kaufen.

»Es ist wahr,« sagte Chicot zu sich selbst, indem er sich so bequem als möglich auf seiner Dachrinne, seinem gewöhnlichen Beobachtungsposten, einrichtete, »der junge Mann behauptet, er werde einen Besuch bekommen, und dieser Besuch sei der einer Frau; heutzutage sind die Frauen reich und erlauben sich manches. Ernauton ist schön, jung, zierlich, Ernauton hat gefallen, Man hat ihm Rendezvous gegeben, man hat ihn dieses Haus zu kaufen beauftragt; er hat das Haus gekauft und das Rendezvous angenommen.«

Als Chicot so weit in seinen Betrachtungen gekommen war, wurde er seinem Nachsinnen durch die Ankunft einer Sänfte entzogen, die von der Seite des Gasthofes zum Kühnen Ritter kam.

Diese Sänfte hielt vor der Schwelle des geheimnisvollen Hauses. Eine verschleierte Dame stieg aus und verschwand alsbald durch die Tür, die Ernauton halb geöffnet hielt.

»Armer Junge,« murmelte Chicot, »ich täuschte mich nicht, er erwartete eine Frau, und nun will ich mich schlafen legen.«

Chicot erhob sich; doch er blieb unbeweglich stehen.

»Ich' täusche mich,« sagte er, »ich werde nicht schlafen. Doch, wenn ich nicht schlafe, so sind es nicht Gewissensbisse, die mich am Schlafen hindern, es wird die Neugierde sein, und was ich da sage, ist so wahr, daß ich, wenn ich an meinem Beobachtungsposten bleibe, nur mit einem beschäftigt sein werde, nämlich damit, zu erfahren, welche von den edlen Damen vom Hofe den schönen Ernauton mit ihrer Liebe beehrt. Es ist also besser, wenn ich auf meinem Posten bleibe, da ich doch sicher wieder aufstehen würde, um dahin zurückzukehren.«

Damit setzte sich Chicot wieder.

Es war ungefähr eine Stunde abgelaufen, ohne daß wir sagen könnten, ob Chicot an die unbekannte Dame oder an Borromée dachte, ob er von der Neugierde in Anspruch genommen oder von Reue erfüllt war, als er am Ende der Straße den Galopp eines Pferdes zu hören glaubte. Es erschien in der Tat bald ein in seinen Mantel gehüllter Reiter.

Dieser hielt mitten in der Straße an und suchte sich, wie es schien, auszukennen. Da erblickte er die Gruppe, welche die Sänfte und ihre Träger bildeten. Er ritt gerade auf sie zu, man hörte seinen Degen an seine Sporen schlagen, er war also bewaffnet. Die Träger wollten sich ihm widersetzen; doch er sprach leise ein paar Worte zu ihnen, und sie traten nicht nur ehrfurchtsvoll auf die Seite, sondern es nahm sogar, als er abgestiegen war, einer aus seinen Händen die Zügel seines Pferdes.

Der Unbekannte ging auf die Tür zu und klopfte heftig an.

»Bei Gott!« sagte Chicot zu sich selbst, »es war vernünftig von mir, daß ich geblieben bin! Meine Ahnungen, die mir verkündigten, es würde etwas Seltsames vorgehen, betrogen mich nicht. Das ist der Mann, armer Ernauton! Es wird sogleich eine Ermordung geben. Doch wenn es der Mann ist, so ist er sehr gut, daß er seine Ankunft durch ein so heftiges Klopfen verkündigt.«

Aber trotz des heftigen Klopfens zögerte man, ihm zu öffnen.

»Öffnet!« rief der Klopfende.

»Öffnet! öffnet.!« wiederholten die Träger.

»Unleugbar,« sagte Chicot, »ist es der Mann; er hat gedroht, die Träger peitschen oder hängen zu lassen, und die Träger sind für ihn. Der arme Ernauton wird bei lebendigem Leibe geschunden werden. Aber nur, wenn ich es dulde,« fügte Chicot hinzu. »Denn er hat mir beigestanden, und folglich muß ich ihm eintretendenfalls auch beistehen. Der Fall ist aber eingetreten, wie mir scheint, oder er wird nie mehr eintreten.«

Chicot war entschlossen und edelmütig; überdies neugierig; er nahm seinen langen Degen von der Wand, schob ihn unter seinen Arm und stieg eiligst seine Treppe hinab. Chicot wußte seine Tür zu öffnen, ohne daß das geringste Geräusch entstand, was eine unerläßliche Wissenschaft für jeden ist, der mit Nutzen horchen will. Er schlüpfte unter dem Balkon hinter einen Pfeiler und wartete.

Kaum stand er hier, als sich die Tür gegenüber auf ein Wort öffnete, das der Unbekannte durch das Schloß flüsterte; doch er blieb auf der Schwelle. Einen Augenblick nachher erschien die Dame im Türrahmen. Sie nahm den Arm des Kavaliers, der sie zur Sänfte zurückführte, die Tür schloß und wieder zu Pferde stieg.

»Es unterliegt keinem Zweifel, es war der Mann,« sagte Chicot; »im ganzen ein guter Kerl, daß er nicht ein wenig in dem Hause suchte, um meinem Freund Carmainges den Bauch aufschlitzen zu lassen.«

Die Sänfte setzte sich in Bewegung, der Kavalier ritt am Schlag.

»Bei Gott!« sagte Chicot zu sich selbst, »ich muß diesen Leuten folgen, damit ich weiß, wer sie sind und wohin sie gehen; sicher werde ich aus meiner Entdeckung einen guten Rat für meinen Freund Carmainges ziehen.«

Chicot folgte ihnen in der Tat, wobei er die Vorsicht beobachtete, im Schatten der Mauern zu bleiben und seinen Tritt vom Geräusch der Menschen- und Pferdetritte übertönen zu lassen.

Das Erstaunen Chicots war nicht gering, als er die Sänfte vor dem Gasthaus zum Kühnen Ritter anhalten sah. Beinahe in demselben Augenblick öffnete sich die Tür, wie wenn jemand gewacht hätte.

Immer noch verschleiert, stieg die Dame aus, trat ein und ging in das Türmchen hinauf, dessen Fenster im ersten Stock beleuchtet waren. Der Mann ging hinter ihr hinauf.

Beiden voran schritt Frau Fournichon, eine Kerze in der Hand haltend.

»Das ist mir offenbar durchaus unbegreiflich,« sagte Chicot, indem er seine Arme über der Brust kreuzte.

Wie Chicot in dem Briefe des Herzogs von Guise klarzusehen anfing.

Chicot glaubte wohl irgendwo die Gestalt dieses so gefälligen Kavaliers gesehen zu haben, vermochte sich aber der Persönlichkeit nicht genau zu erinnern. Während er aber noch, im Schatten verborgen, die Augen auf das beleuchtete Fenster geheftet, sich fragte, was dieser Mann und diese Frau jetzt unter vier Augen im Kühnen Ritter machten, sah unser würdiger Gaskogner, wie sich die Tür des Wirtshauses öffnete, und in dem Lichtstreifen, der aus der Öffnung hervordrang, etwas wie der schwarze Umriß eines Mönchleins erschien.

Dieser Umriß hielt einen Augenblick an, um nach demselben Fenster zu schauen, nach dem Chicot schaute.

»Oho!« murmelte er, »das scheint mir ein Jakobinerrock zu sein; läßt Meister Gorenflot in der Zucht nach, daß er seine Schafe zu einer solchen Stunde der Nacht und in einer solchen Entfernung von der Priorei umherschweifen läßt?«

Chicot folgte mit den Augen dem Jakobiner, während er die Rue des Augustins hinabging, und ein besonderer Instinkt sagte ihm, er würde in dem Mönch den Schlüssel zu dem Rätsel finden, den er bis jetzt vergebens gesucht hatte.

Wie Chicot die Gestalt des Kavaliers bekannt vorkam, so auch die des Mönchleins.

»Ich will verdammt sein,« sagte er, »wenn dieses Mönchsgewand nicht dem kleinen Ungläubigen angehört, den man mir als Reisegefährten geben wollte, und der mit der Büchse und dem Rapier so gut umzugehen weiß.«

Um seiner Sache gewiß zu werden, verlängerte Chicot seine an sich schon langen Schritte. Bald hatte er auch den sich beständig sehnsüchtig nach den erhellten Fenstern umschauenden Mönch eingeholt und sah nun, daß er sich nicht getäuscht hatte.

»Holla! kleiner Bursche,« sagte er; »holla, mein kleiner Jacques; holla, mein kleiner Clement. Halt!«

Dieses letzte Wort sprach er so militärisch scharf, daß der Mönch bebte.

»Wer ruft mich?« fragte er mit einem heftigen und mehr herausfordernden als wohlwollenden Ton.

»Ich!« erwiderte Chicot, indem er sich vor dem Jakobiner hoch aufrichtete; »ich, erkennst du mich nicht, mein Sohn?« – »Ah! Herr Robert Briquet,« rief das Mönchlein.

»Ich selbst. Kleiner. Und wohin gehst du so spät, liebes Kind?« – »In die Priorei, Herr Briquet.«

»Gut; doch woher kommst du?« – »Ich?«

»Allerdings, kleiner Nachtschwärmer.« – Zitternd erwiderte der junge Mensch: »Ich weiß nicht, was Ihr da sagt, Herr Briquet; ich bin im Gegenteil in einem wichtigen Auftrag von Dom Modeste abgeschickt, und er selbst wird Euch dies bezeugen, wenn es nötig ist ...«

»Ruhig, ruhig, mein kleiner Heiliger; wir fangen Feuer wie eine Lunte, wie es scheint.« – »Ist kein Grund dazu vorhanden, wenn man sich nennen hört, wie Ihr mich nennt?«

»Ah! siehst du, wenn ein Gewand wie das deinige zu einer solchen Stunde aus einer Schenke herauskommt ...« – »Ich, aus einer Schenke!«

»Ei! gewiß, ist das Haus, aus dem du kommst, nicht das zum Kühnen Ritter? Ah! du siehst wohl, daß ich dich ertappe.« – »Ihr habt recht,« erwiderte Clement; »doch ich kam nicht aus einer Schenke.«

»Wie, ist das Wirtshaus zum Kühnen Ritter keine Schenke?« – »Eine Schenke ist ein Haus, wo man trinkt, und da ich in diesem Hause nichts getrunken habe, so ist dieses Haus für mich keine Schenke.«

»Teufel! die Unterscheidung ist fein, und wenn mich nicht alles täuscht, wirst du eines Tages ein gewaltiger Theologe; doch wenn du nicht in dieses Haus gingst, um zu trinken, warum gingst du denn dahin?« – Clement antwortete nicht, und Chicot konnte auf seinem Gesichte trotz der Dunkelheit den festen Willen lesen, nicht ein einziges Wort mehr zu sagen.

Nachdem Chicot vergeblich auf verschiedene Weise versucht hatte, den Kleinen zum Sprechen zu bringen, beschloß er, es mit der Ungerechtigkeit zu versuchen, die bei Frauen, Kindern und abhängigen Naturen manchmal Wunder wirkt.

»Gleichviel, Kleiner,« sagte er, als ob er auf seinen ersten Gedanken zurückkäme, »gleichviel, du bist ein ganz artiges Mönchlein; doch du gehst in Wirtshäuser und gar in Wirtshäuser, wo man schöne Frauen findet, und du bleibst entzückt vor dem Fenster stehen, wo man ihren Schatten sehen kann; Kleiner, Kleiner, ich werde es Dom Modeste sagen.«

Der Schlag traf scharf, schärfer sogar, als es Chicot gedacht hatte, denn er vermutete anfangs nicht, die Wunde würde so tief werden, Jacques wandte sich um, einer Schlange ähnlich, die man mit den Füßen tritt.

»Das ist nicht wahr,« rief er, rot vor Scham und Zorn, »ich schaue nicht nach den Frauen.«

»Doch, doch!« fuhr Chicot fort, »es war im Gegenteil eine sehr schöne Frau im Kühnen Ritter, als du herauskamst, und du hast dich umgewandt, um sie noch zu sehen, und ich weiß, daß du im Türmchen auf sie wartetest, und ich weiß, daß du sie gesprochen hast.«

Da konnte Jacques nicht mehr an sich halten.

»Allerdings habe ich sie gesprochen,« rief er, »ist es eine Sünde, mit Frauen zu sprechen?«

»Nein, wenn man mit ihnen nicht aus eigenem Antrieb und durch eine Versuchung Satans bewogen spricht.«

»Satan hat mit alldem nichts zu tun, und ich mußte wohl mit dieser Dame sprechen, da ich beauftragt war, ihr einen Brief zu übergeben.«

»Beauftragt von Dom Modeste?« – »Ja, klagt nun bei ihm.«

Einen Augenblick betäubt und in der Finsternis tappend, fühlte Chicot bei diesen Worten einen Blitz die Dunkelheit seines Gehirnes durchzucken.

»Ah!« sagte er, »ich wußte das wohl.« – »Was wußtet Ihr?«

»Das, was du mir nicht sagen wolltest.« – »Ich sage meine Geheimnisse nicht einmal und noch viel weniger die von andern

»Ja; aber mir.« – »Warum Euch?«

»Mir, der ich ein Freund von Dom Modeste bin, und dann mir ...« – »Nun?«

»Mir, der ich zum voraus alles weiß, was du mir sagen könntest.« – Der kleine Jacques schaute Chicot, den Kopf schüttelnd und mit einem ungläubigen Lächeln an.

»Soll ich dir erzählen, was du mir nicht erzählen willst?« fragte Chicot. – »Erzählt es mir.«

»Vor allem,« sagte Chicot, »ist der arme Borromée ...«

Jacques' Gesicht verdüsterte sich.

»Oh!« sagte der Knabe, »wenn ich dabei gewesen wäre ...«

»Wenn du dabei gewesen wärest?« – »So würde die Sache nicht so gegangen sein.«

»Du hättest ihn gegen die Schweizer verteidigt, mit denen er Streit bekommen?« – »Ich hätte ihn gegen jeden verteidigt.«

»Somit wäre er nicht getötet worden?« – »Oder ich wäre mit ihm getötet worden.«

»Nun, du warst nicht dabei, und der arme Teufel ist in einem abscheulichen Wirtshause gestorben und hat sterbend den Namen von Dom Modeste ausgesprochen?« – »Ja.«

»Man hat Dom Modeste davon benachrichtigt?« – »Ein Mann erschien ganz bestürzt und machte Lärm im Kloster.«

»Und Dom Modeste ließ seine Sänfte kommen und eilte nach dem Füllhorn?« – »Woher wißt Ihr das?« »Oh! du kennst mich noch nicht, Kleiner; ich bin ein Stück von einem Hexenmeister.«

Jacques wich zwei Schritte zurück.

»Das ist noch nicht alles,« fuhr Chicot fort, der sich, während er sprach, durch das eigene Licht seiner Worte erleuchtete, »man fand einen Brief in der Tasche des Toten.« – »Einen Brief, so ist es.«

»Und Dom Modeste beauftragte seinen kleinen Jacques, diesen Brief an seine Adresse zu überbringen.« – »Ja.«

»Und der kleine Jacques lief auf der Stelle nach dem Hotel Guise.« – »Oh!«

»Wo er niemand fand ...« – »Guter Gott!«

»Als Herrn von Mayneville.« – »Barmherzigkeit.«

»Der Jacques in das Wirtshaus zum Kühnen Ritter führte.« – »Herr Briquet! Herr Briquet, wenn Ihr das wißt!«

»Alle Wetter, du siehst wohl, daß ich es weiß,« rief Chicot triumphierend. – »Ihr seht also wohl, Herr Briquet, daß ich nicht schuldig bin.«

»Nein,« erwiderte Chicot, »du bist weder durch Handlung noch durch Unterlassung schuldig, wohl aber in Gedanken.« – »Ich?«

»Gewiß, du findest die Herzogin sehr schön.« – »Ich!!«

»Und du wendest dich um, damit du sie noch einmal durch die Scheiben siehst.« – »Ich!!!«

Das Mönchlein errötete und stammelte: »Es ist richtig, sie gleicht einer Jungfrau Maria, die zu den Häupten meiner Mutter war.«

»Oh!« murmelte Chicot, »wieviel geht für die Leute verloren, die nicht neugierig sind.«

Dann ließ er sich von dem kleinen Clement alles erzählen, was er selbst erzählt hatte, nur diesmal mit Einzelheiten, die er nicht wissen konnte.

Dann, als er nichts mehr von ihm erfahren konnte, rief er: »Vorwärts, vorwärts, Kleiner, denn man erwartet dich voll Ungeduld in der Priorei.« – »Es ist wahr: ich danke, Herr Briquet, daß Ihr mich daran erinnert.«

Und das Mönchlein verschwand, eiligst davonlaufend.

Mit großen Schritten kehrte Chicot nach seinem Hause zurück. Die Sänfte, die Träger und das Pferd waren immer noch vor der Tür des Kühnen Ritters. Geräuschlos erreichte er seine Rinne. Er sah das dem seinigen gegenüberliegende Haus noch beleuchtet. Denn von nun an hatte er nur noch Blicke für dieses Haus.

Er sah anfangs durch den Spalt eines Vorhangs Ernauton hin und her gehen, der voll Ungeduld zu warten schien. Dann sah er die Sänfte zurückkehren, Mayneville wegreiten und endlich die Herzogin in das Zimmer treten, wo Ernauton mehr zitterte als atmete.

Ernauton kniete vor der Herzogin nieder, die ihm ihre weiße Hand zu küssen gab. Dann hob die Herzogin den jungen Mann auf und ließ ihn sich gegenüber an eine zierlich bestellte Tafel sitzen.

»Das ist sonderbar,« sagte Chicot, »das fing wie eine Verschwörung an und endigt wie eine Liebesgeschichte.«

»Ja,« fuhr Chicot fort, »doch wer betreibt diese Liebesgeschichte? Frau von Montpensier.«

Dann sich durch ein neues Licht erleuchtend, murmelte er: »Hoho! Liebe Schwester, ich billige Euren Plan in Beziehung auf die Fünfundvierzig, nur erlaubt mir, Euch zu sagen, daß Ihr diesen Burschen viel Ehre erweist.«

»Alle Wetter!« rief Chicot, »ich komme auf meinen ersten Gedanken zurück; es ist keine Liebe, es ist eine Verschwörung. Die Herzogin von Montpensier liebt Herrn Ernauton von Carmainges; überwachen wir die Liebschaft der Frau Herzogin.«

Chicot wachte bis um halb acht Uhr; zu welcher Stunde Ernauton, den Mantel auf der Nase; weglief, während die Herzogin von Montpensier wieder in ihre Sänfte stieg.

»Was ist nun,« murmelte Chicot, indem er seine Treppe hinabging, »was ist nun die Chance eines Todes, welcher den Herzog von Guise von dem mutmaßlichen Thronerben befreien soll? Wer sind die Leute, die man für tot hielt, und die noch leben?

»Alle Wetter! ich könnte wohl auf der Spur sein.«

Nachricht von Aurilly.

Am andern Tage arbeitete der König im Louvre mit dem Oberintendanten der Finanzen, als man ihm meldete, Herr von Joyeuse der Ältere sei von Chateau-Thierry angekommen und erwarte ihn mit einer Botschaft vom Herzog von Anjou im großen Audienzzimmer.

Der König verließ hastig den Intendanten und lief zu seinem teuren Freunde.

Viele Offiziere und Höflinge waren im Kabinett versammelt; die Königinmutter war in Begleitung ihrer Ehrenfräulein eingetroffen, und diese munteren Fräulein erschienen stets als Sonnen, von Trabanten umgeben.

Der König reichte Joyeuse seine Hand zum Kusse und ließ einen zufriedenen Blick über die Versammlung schweifen. In der Ecke der Eingangstür, an seinem gewöhnlichen Platz, stand Henri du Bouchage, der seinen Dienst und seine Pflichten aufs strengste erfüllte.

Der König dankte ihm und grüßte ihn durch ein freundliches Nicken mit dem Kopf, das Henri durch eine tiefe Verbeugung erwiderte. Dies veranlaßte Joyouse den Kopf zu wenden und seinem Bruder von ferne zuzulächeln, ohne jedoch sichtbar zu grüßen, aus Furcht er könnte die Etikette verletzen.

»Sire,« sagte Joyeuse, »ich bin zu Eurer Majestät vom Herrn Herzog von Anjou abgesandt, der vor kurzem von seinem Zuge nach Flandern zurückgekehrt ist.«

»Mein Bruder befindet sich wohl, Herr Admiral?« – »So wohl, Sire, als es der Zustand seines Geistes erlaubt; ich kann jedoch Eurer Majestät nicht verbergen, daß Monseigneur leidend zu sein scheint.«

»Er wird der Zerstreuung bedürfen nach seinem Unstern,« sagte der König, glücklich, auf die seinem Bruder widerfahrene Niederlage laut Bezug zu nehmen, während er ihn zu beklagen schien. – »Ich glaube, ja, Sire.«

»Man hat uns gesagt, Herr Admiral, das Unglück sei entsetzlich gewesen.« – »Sire ...«

»Aber durch Euch sei ein großer Teil der Armee gerettet worden; empfangt meinen Dank, Herr Admiral. Wünscht der arme Herr von Anjou uns nicht zu sehen?« – »Sehnsüchtig, Sire ...«

»Wir werden ihn auch besuchen. Seid Ihr nicht auch dieser Ansicht, Madame?« fragte Heinrich, indem et sich an Katharina wandte, deren Herz alles litt, was ihr Gesicht hartnäckig verbarg.

»Sire,« antwortete sie, »ich wäre meinem Sohn allein entgegengegangen, doch da Eure Majestät sich mit diesem Vorhaben guter Gesinnung zu verbinden die Gnade hat, so wird diese Reise ein Vergnügen sein.«

»Ihr kommt mit uns, meine Herren,« sagte der König zu den Höflingen; »wir reisen morgen ab, und ich halte in Meaux Nachtlager.«

»Sire, ich werde also Monseigneur diese gute Kunde überbringen?«

»Nein! Ihr sollt mich nicht so bald verlassen, Herr Admiral, nein! Ich begreife, daß ein Joyeuse von meinem Bruder geliebt und zurückgewünscht wird, aber wir haben zwei, Gott sei Dank! ... du Vouchage, Ihr werdet nach Chateau-Thierry abreisen, wenn es Euch beliebt.«

»Sire,« fragte Henri, »wird es mir gestattet sein, nach Paris zurückzukehren, nachdem ich die Ankunft Eurer Majestät Monseigneur dem Herzog von Anjou gemeldet habe?«

»Das könnt Ihr halten, wie Ihr wollt,« antwortete der König.

Henri verbeugte sich und wandte sich der Tür zu. Zum Glück folgte ihm Joyeuse mit den Augen.

»Ihr erlaubt, Sire, daß ich ein Wort zu meinem Bruder sage?« fragte er.

»Tut es. Doch was gibt es?« fragte der König leise.

»Er wird eilen, was die Pferde laufen können, um den Auftrag zu befolgen, und ebenso eilen, um zurückzukehren, was wider meine Pläne, Sire, und wider die des Herrn Kardinals, unseres Bruders, ist.«

»Geh also, geh und besänftige mir diesen wütenden Verliebten.«

Anne lief seinem Bruder nach und holte ihn in den Vorzimmern ein.

»Nun,« sagte Joyeuse, »Ihr reist mit großer Eile ab, Henri?« – »Ja wohl, mein Bruder.«

»Weil Ihr schnell zurückkommen wollt?« – »Das ist wahr.«

»Ihr gedenkt also nicht, eine Zeitlang in Chateau-Thierry zu verweilen?« – »So kurz wie möglich.«

»Warum?« – »Wo man sich vergnügt, mein Bruder, ist nicht mein Platz.«

»Im Gegenteil, Henri, weil der Herr Herzog von Anjou dem Hofe Feste geben wird, solltet Ihr in Chateau-Thierry bleiben.« – »Es ist mir unmöglich, mein Bruder.«

»Wegen Eures Wunsches, Euch zurückzuziehen, wegen Eurer Klosterpläne?« – »Ja, mein Bruder.«

»Ihr habt vom König eine Dispensation verlangt.« – »Wer hat Euch das gesagt?«

»Ich weiß es.« – »Es ist wahr, ich habe dies getan.«

»Ihr werdet sie nicht erhalten.« – »Warum, mein Bruder?« »Weil es nicht im Interesse des Königs liegt, sich eines Dieners, wie Ihr seid, zu berauben.« – »Dann wird mein Bruder, der Kardinal, tun, was Seine Majestät nicht tun will.«

»Dies alles um einer Frau willen?« – »Anne, ich bitte Euch, dringt nicht weiter in mich.«

»Ah! seid unbesorgt, ich werde nicht wieder anfangen; doch kommen wir zum Ziele ... Ihr reist nach Chateau-Thierry ab; wohl! doch statt so hastig zurückzukehren, wie Ihr wolltet, wünschte ich, daß Ihr mich in meiner Wohnung erwartetet; wir haben einander seit langer Zeit nicht mehr gesehen, und Ihr begreift, daß es für mich ein Bedürfnis ist, mit Euch zusammen zu sein.« – »Bruder, Ihr geht nach Chateau-Thierry, um Euch zu belustigen. Wenn ich aber in Chateau-Thierry bleibe, werde ich all Euer Vergnügen vergiften.«

»Oh! nein, nein, ich widerstehe, denn ich habe ein glückliches Temperament, das imstande ist, in Eure Melancholie Breschen zu schießen.« – »Mein Bruder ...«

»Erlaubt mir, Graf,« sagte der Admiral mit gebietendem Tone, »ich vertrete hier unsern Vater und schärfe Euch ein, mich in Chateau-Thierry zu erwarten; Ihr findet dort meine Wohnung, die auch die Eurige sein wird. Sie ist im Erdgeschosse und geht auf den Park.« – »Wenn Ihr befehlt, Bruder,« sagte Henri ergeben.

»Nennt es, wie Ihr wollt, Wunsch oder Befehl, doch erwartet mich.« – »Ich werde gehorchen, Bruder.«

»Und ich bin überzeugt, daß Ihr mir deshalb nicht grollen werdet,« fügte Joyeuse hinzu und schloß seinen Bruder in seine Arme.

Dieser entwand sich etwas erbittert der brüderlichen Umarmung, verlangte seine Pferde und reiste sogleich nach Chateau-Thierry ab. Er eilte mit dem Zorne eines aufgebrachten Menschen, das heißt, er verschlang gleichsam den Raum.

An demselben Abend ritt er vor Einbruch der Nacht den Hügel hinan, auf dem Chateau-Thierry, die Marne zu seinen Füßen, liegt. Sein Name öffnete ihm die, Pforten des Schlosses, das der Prinz bewohnte. Doch er brauchte mehr als eine Stunde, um eine Audienz zu erhalten. Der Prinz, sagten die einen, sei in seinen Gemächern; er schlafe, sagten die andern; er mache Musik, vermutete der Kammerdiener. Noch keiner von den Bedienten konnte eine bestimmte Antwort geben.

Henri beharrte auf seinem Verlangen, den Prinzen zu sehen, um nicht mehr an den Dienst des Königs denken zu müssen und sich wieder ganz seiner Traurigkeit überlassen zu können. Auf sein Drängen und da man wußte, daß er und sein Bruder mit dem Herzog sehr vertraut waren, führte man ihn in einen der Salons des ersten Stockes, wo der Prinz endlich geruhte, ihn zu empfangen. Es herging eine halbe Stunde, die Nacht fiel unmerklich vom Himmel herab. Der schleppende, schwere Gang des Herzogs von Anjou erscholl in der Galerie; Henri erkannte ihn und wollte ihm mit dem gewöhnlichen Zeremoniell nahen. Doch der Prinz, der große Eile zu haben schien, überhob seinen Botschafter rasch dieser Förmlichkeit, indem er ihn bei der Hand nahm und umarmte.

»Guten Tag, Graf,« sagte er, »warum plagt man Euch damit, daß man Euch zu einem armen Besiegten schickt?«

»Der König schickt mich, Monseigneur, um Euch zu melden, er hege großes Verlangen, Eure Hoheit zu sehen, und um sie nach ihren großen Anstrengungen in keiner Weise zu bemühen, wird sich Seine Majestät zu ihr begeben und spätestens morgen in Chateau-Thierry eintreffen.«

»Der König wird morgen kommen!« rief Franz mit einer Bewegung der Ungeduld.

Doch er faßte sich rasch und fügte hinzu: »Morgen, morgen ... es wird wahrhaftig nichts im Schloß, nichts in der Stadt bereit sein, um Seine Majestät zu empfangen.« Henri verbeugte sich wie ein Mensch, der einen Befehl überbringt, aber nicht den Auftrag hat, ihn zu erläutern, und sagte: »Ihre Majestäten wünschen so sehnlich, Euch zu sehen, daß sie nicht an etwaige Schwierigkeiten gedacht haben.«

»Nun, nun,« sagte rasch der Prinz, »es ist meine Sache, die Zeit auszunutzen, und ich verlasse Euch daher auch, Henri; ich danke Euch für Eure Geschwindigkeit, denn Ihr seid schnell geritten, wie ich sehe, Henri; ruht aus.«

»Eure Hoheit hat mir keine anderen Befehle zu erteilen?« fragte Henri ehrfurchtsvoll..

»Keine! Legt Euch nieder! Man wird Euch in Eurer Wohnung bedienen, Graf. Ich habe diesen Abend keinen Dienst, ich bin leidend, unruhig, ich habe den Appetit und den Schlaf verloren, wodurch mein Leben, wie Ihr Euch denken könnt, sehr traurig wird. Ah! habt Ihr das Neueste gehört?«

»Nein, Monseigneur; welche Neuigkeit?«

»Aurilly ist von den Wölfen gefressen worden.«

»Aurilly!« rief Henri ganz erstaunt.

»Jawohl, – gefressen! – Das ist seltsam; alles, was mir näher steht, endet übel! Guten Abend, Graf, schlaft wohl!«

Und der Prinz entfernte sich mit raschem Schritt.

Zweifel.

Henri ging hinab und fand, als er die Vorzimmer durchschritt, viele ihm bekannte Offiziere, die herbeiliefen und sich unter allerlei Freundschaftsbeweisen anboten, ihn in die Wohnung seines Bruders, zu führen, die an einer Ecke des Schlosses lag. Es war die Bibliothek, die der Herzog Joyeuse während seines Aufenthalts in Chateau-Thierry angewiesen hatte. Zwei möblierte Salons aus der Zeit von Franz I. standen miteinander in Verbindung und mündeten nach der Bibliothek aus, die nach den Gärten schaute. In der Bibliothek hatte Joyeuse sein Bett aufschlagen lassen; streckte er den Arm aus, so berührte er die Wissenschaft, öffnete er die Fenster, so genoß er die Natur; höher organisierte Menschen bedürfen vollständigerer Genüsse, und die Morgenluft, der Gesang der Vögel oder der Wohlgeruch der Blumen fügten zu den Liedern und Schilderungen französischer Meister einen neuen Reiz.

Henri beschloß, alles so zu lassen, wie es war, weil es ihm gleichgültig war, ob er sich hier oder sonstwo befand.

Doch da der Graf dazu erzogen worden war, unter keinen Umständen seine Pflicht gegen den König oder gegen die Prinzen des Hauses Frankreich zu vernachlässigen, so erkundigte er sich genau nach dem Teil des Schlosses, den der Prinz seit seiner Rückkehr bewohnte.

Der Zufall schickte Henri in dieser Hinsicht einen vortrefflichen Helfer; es war der junge Fähnrich, dessen Indiskretion in dem kleinen Dorfe in Flandern, wo wir unsere Personen einen Augenblick haltmachen ließen, dem Prinzen das Geheimnis des Grafen verriet; dieser Fähnrich hatte den Prinzen seit seiner Rückkehr nicht verlassen und konnte Henri daher vortrefflich unterrichten.

Als der Prinz in Chateau-Thierry ankam, suchte er vor allem Zerstreuung; er bewohnte die großen Gemächer, hielt morgens und abends Empfänge ab, jagte bei Tag im Walde Hirsche oder ging im Park auf die Beize; doch seit der Kunde von dem Tode Aurillys, die dem Prinzen zugekommen war, man wußte nicht wie, hatte sich der Prinz in einen mitten im Parke liegenden Pavillon zurückgezogen. Dieser Pavillon, ein für jedermann, mit Ausnahme der Vertrauten des Prinzen, unzugänglicher Aufenthaltsort, war unter dem Blätterwerke wie verloren und wurde kaum über den riesigen Hagebuchen und durch dir dichten Hecken sichtbar. In diesen Pavillon hatte sich der Prinz seit zwei Tagen zurückgezogen; die ihn nicht kannten, sagten, der Kummer, den ihm Aurillys Tod verursache, habe ihn bewogen, sich in solche Einsamkeit zu versenken; die ihn kannten, behaupteten, in diesem Pavillon gehe ein schändliches, höllisches Werk vor, das eines Morgens an den Tag kommen werde.

Beide Annahmen waren um so wahrscheinlicher, als der Prinz in Verzweiflung zu sein schien, wenn ihn ein Geschäft oder ein Besuch nach dem Schlosse rief. Sobald dieser Besuch empfangen, oder dieses Geschäft abgemacht war, kehrte er in seine Einsamkeit zurück, wo er nur von zwei Kammerdienern bedient wurde, die seit seiner Geburt bei ihm waren.

»Wenn der Prinz in dieser Laune ist,« sagte Henri, »so werden die Feste nicht sehr heiter sein.«

»Sicher nicht,« erwiderte der Fähnrich, »jeder wird Mitleid mit dem Schmerz des Prinzen zu haben wissen, der in seinem Stolze und in seiner Zuneigung getroffen worden ist.«

Henri fuhr fort zu fragen, ohne es zu wollen, und nahm ein seltsames Interesse an diesen Fragen; der Tod Aurillys, den er bei Hofe gekannt und in Flandern wiedergesehen hatte; die Gleichgültigkeit, mit der ihm der Prinz den Verlust, den er erlitten, mitgeteilt; die Abgeschlossenheit, in der der Prinz, wie man sagte, seit diesem Tode lebte, dies alles stand für ihn, ohne daß er wußte wie, mit dem geheimnisvollen, düsteren Gewebe in Verbindung, mit dem seit einiger Zeit die Ereignisse seines Lebens verflochten waren.

»Und man weiß nicht,« fragte er den Fähnrich, »man weiß nicht, wie dem Prinzen die Nachricht von dem Tode Aurillys zugekommen ist?«

»Nein.«

»Aber erzählt man sich denn nichts hierüber?« »Oh! gewiß, Ihr wißt, wahr oder falsch, man erzählt sich immer etwas.«

»Nun, so laßt hören.«

»Der Prinz soll unter den Weiden beim Flusse gejagt und sich von den andern Jägern entfernt haben – denn er tut alles sprungweise, er erhitzt sich, läßt sich fortreißen bei der Jagd wie beim Spiel, wie im Feuer, wie im Schmerz –, als man ihn plötzlich mit bestürztem Gesichte zurückkommen sah.

»Die Höflinge fragten ihn, in der Meinung, es handle sich nur um ein Jagdabenteuer.

»Er hielt zwei Rollen Gold in der Hand.

»,Begreift ihr das, meine Herren?' fragte er mit bebender Stimme, ,Aurilly ist tot, Aurilly ist von den Wölfen gefressen worden'.

»Alles schrie laut auf.

»,Nein' sagte der Prinz, ,es ist so, oder der Teufel soll mich holen; der arme Lautenspieler war immer mehr ein großer Musiker als ein guter Reiter; es scheint, sein Pferd ist mit ihm durchgegangen, und er ist so in eine Schlucht gestürzt, daß es ihm den Tod brachte; am andern Tage fanden zwei Reisende, die an dieser Schlucht vorüberkamen, seinen Leichnam halb von den Wölfen gefressen, und zum Beweise, daß die Sache sich wirklich so zugetragen hat, und daß nicht Räuber die Schuld tragen, dient, daß hier die zwei Rollen Gold sind, die er bei sich trug, und die man gewissenhaft zurückgebracht hat.'

»Da man nun niemand diese Rollen hatte bringen sehen,« fuhr der Fähnrich fort, »so vermutete man, sie seien dem Prinzen von den beiden Reisenden zugestellt worden, die ihm, als sie ihm am Ufer des Flusses begegneten und ihn erkannten, die Kunde von dem Tode Aurillys mitgeteilt haben sollen.«

»Das ist seltsam,« murmelte Henri.

»Um so seltsamer,« sagte der Fähnrich, »als man sagt – ist es wahr? ist es eine Erfindung? –, man habe den Prinzen die kleine Pforte des Parkes auf der Seite der Kastanienbäume öffnen und durch diese Pforte etwas wie zwei Schatten hereinkommen sehen. Der Prinz hat also zwei Personen, zwei Reisende wahrscheinlich, in den Park eingelassen; seit dieser Zeit ist der Prinz in seinen Pavillon ausgewandert, und wir haben ihn nur flüchtig erblickt.«

»Und niemand hat die beiden Reisenden gesehen?« fragte Henri.

»Ich,« erwiderte der Fähnrich. »Als ich nämlich beim Prinzen die Abendparole für hie Schloßwache holte, begegnete ich einem Mann, der mir nicht dem Hause Seiner Hoheit anzugehören schien; doch ich konnte sein Gesicht nicht sehen, da sich dieser Mann, als er mich erblickte, abwandle und die Regenkappe seines Leibrocks auf seine Augen niedergeschlagen hatte.«

»Die Regenkappe seines Leibrocks, sagt Ihr?«

»Ja, er schien ein flämischer Bauer zu sein, und er erinnerte mich, ich weiß nicht warum, an den, der Euch begleitete, als wir uns dort begegneten.«

Henri bebte; diese Bemerkung knüpfte sich für ihn an das unbestimmte, aber hartnäckige Interesse an, das ihm diese Geschichte einflößte; auch ihm, der wußte, daß Diana und ihr Gefährte Aurilly anvertraut waren, war der Gedanke gekommen, die Reisenden, die dem Prinzen den Tod des unglücklichen Flötenspielers verkündigt hatten, seien die beiden ihm Bekannten.

Henri schaute den Fähnrich aufmerksam an und fragte dann: »Und welcher Gedanke kam Euch, als Ihr diesen Mann erkannt zu haben glaubtet?«

»Hört, was ich denke, doch will ich damit nichts bestimmt behaupten. Der Prinz hat ohne Zweifel seinen Absichten auf Flandern nicht entsagt; er unterhält demzufolge Spione; der Mann mit dem wollenen Leibrock ist ein Spion, der auf seiner Reise den Unfall des Musikers erfahren und zwei Nachrichten zu gleicher Zeit überbracht haben wird.«

»Das ist wahrscheinlich,« sagte Henri nachsinnend; »was machte aber dieser Mensch, als Ihr ihn saht?«

»Er ging an der Hecke hin, die das Blumenbeet begrenzt, und schritt auf die Treibhäuser zu.«

»Doch Ihr spracht von zwei Reisenden?«

»Man sagt, man habe zwei Personen hereinkommen sehen; doch mir ist nur eine vor Augen gekommen, der Mann mit dem wollenen Rocke.«

»Demnach würde der Mann mit dem wollenen Rock in den Treibhäusern wohnen?«

»Das ist wahrscheinlich.«

»Und diese Treibhäuser haben einen Ausgang?«

»Gegen die Stadt, ja, Graf.«

Henri blieb einige Zeit schweigsam; sein Herz schlug gewaltig; die für ihn, der bei dieser ganzen geheimnisvollen Geschichte ein doppeltes Gesicht zu haben schien, scheinbar gleichgültigen Umstände hatten ein ungeheures Interesse.

Es war mittlerweile Nacht geworden, und die jungen Leute sprachen miteinander ohne Licht in Joyeuses Wohnung.

Von der Reise ermüdet, durch die seltsamen Ereignisse, die man ihm erzählt hatte, bedrückt, ohne Widerstandskraft gegen die Gemütsbewegungen, die in ihm entstanden waren, hatte sich der Graf auf das Bett seines Bruders zurückgelegt und tauchte seine Blicke mechanisch in den Azur des Himmels, der mit Diamanten bestirnt zu sein schien.

Der junge Fähnrich saß auf dem Rande des Fensters und überließ sich dem Schwunge des Geistes, der Poesie der Jugend, dem alles durchdringenden Wohlbehagen, das die balsamische Frische des Abends verleiht.

Ein großes Stillschweigen lagerte sich über dem Park und der Stadt; nach und nach wurden die Lichter angezündet, die Hunde kläfften in der Ferne in ihren Häusern gegen die Knechte, die am Abend die Ställe zu schließen hatten.

Plötzlich stand der Fähnrich auf, machte mit der Hand ein Zeichen, um die Aufmerksamkeit des Grafen zu erregen, neigte sich zum Fenster hinaus und rief mit leiser Stimme Henri, der auf dem Bette lag, zu: »Kommt, kommt!«

»Was denn?« fragte Henri, plötzlich aus seinem Traume erwachend.

»Der Mann, der Mann!«

»Welcher Mann?«

»Der Mann mit dem wollenen Rock, der Spion!«

»Oh! oh!« machte Henri, indem er vom Bette zum Fenster sprang und sich auf die Schulter des Fähnrichs stützte.

»Seht,« fuhr der Fähnrich fort, »seht Ihr ihn dort? Er geht an der Hecke hin; wartet, er wird wieder erscheinen; schaut in den vom Monde beleuchteten Raum; dort ist er, dort ist er.«

»Sieht er nicht finster aus?«

»Finster, das ist das rechte Wort,« erwiderte du Bouchage, selbst finster werdend.

»Glaubt Ihr, es sei ein Spion?«

»Ich glaube nichts und glaube alles.«

»Seht, er geht vom Pavillon des Prinzen nach den Treibhäusern.«

»Der Pavillon des Prinzen ist also dort?« fragte du Bouchage, indem er mit dem Finger den Punkt bezeichnete, woher der Fremde zu kommen schien.

»Seht jenes Licht, das unter dem Blätterwerk zittert.«

»Nun?« »Das ist der Speisesaal.«

»Ah!« rief Henri, »hier erscheint er wieder.«

»Ja, er kehrt offenbar zu seinem Gefährten in die Treibhäuser zurück; hört Ihr?« »Was!«

»Das Geräusch eines Schlüssels, der im Schlosse gedreht wird.«

»Das ist seltsam,« sagte du Bouchage, »dies alles kann nur etwas sehr Gewöhnliches sein, und dennoch ...«

»Und dennoch schauert Ihr, nicht wahr?«

»Ja,« sagte der Graf; »doch was ist das wieder?« Man hörte den Klang einer Glocke.

»Es ist das Signal zum Abendessen für das Haus des Prinzen; werdet Ihr mit uns zu Nacht speisen, Graf?«

»Nein, ich danke, ich fühle kein Bedürfnis, und wenn der Hunger kommt, so werde ich rufen.«

»Wartet nicht hierauf, Herr Graf, kommt und ergötzt Euch in unserer Gesellschaft.«

»Nein, das ist mir unmöglich.«

»Warum?«

»Seine Hoheit hat mir eingeschärft, daß ich mich in meinem Zimmer bedienen lasse; doch ich halte Euch nicht länger auf.«

»Ich danke, Graf, guten Abend; bewacht unser Gespenst gut.«

»Oh! ja, dafür stehe ich Euch, wenn sich nicht,« fügte Henri aus Furcht, zuviel gesagt zu haben, hinzu, »wenn sich nicht der Schlaf meiner bemächtigt, was mir wahrscheinlicher und gesünder vorkommt als das Bewachen von Spionen und Gespenstern.«

»Gewiß,« sagte der Fähnrich lachend. Und er verabschiedete sich von du Bouchage.

Kaum war er aus der Bibliothek weggegangen, als Henri in den Garten eilte.

»Oh!« murmelte er, »es ist Remy, es ist Remy! Ich würde ihn in der Finsternis der Hölle erkennen.«

Und der junge Mann, der seine Knie unter sich zittern fühlte, drückte seine feuchten Hände auf seine glühende Stirn.

»Mein Gott!« sagte er, »ist es nicht vielmehr eine Ausgeburt meines armen kranken Gehirns, und steht es nicht geschrieben, daß ich schlafend oder wachend, bei Tag oder bei Nacht, unablässig die beiden Gestalten wiedersehen werde, die eine so tiefe Furche in mein Leben eingegraben haben?«

»In der Tat,« fuhr er fort, wie ein Mensch, der ein Bedürfnis fühlt, sich selbst zu überreden, »warum sollte Remy hier in diesem Schlosse beim Herzog von Anjou sein? Was sollte er hier machen? Welche Verbindung könnte der Herzog von Anjou mit Remy haben? Wie sollte er Diana verlassen haben, er, ihr ewiger Gefährte? Nein, er ist es nicht.«

Nach einem Augenblick gewann aber eine innige, tiefe, instinktartige Überzeugung wieder die Oberhand, und er murmelte voll Verzweiflung, während er sich an die Wand anlehnte, um nicht zu fallen: »Er ist es, er ist es!«

Als er diesen alle anderen beherrschenden Gedanken vollendete, vernahm, er abermals das scharfe Geräusch des Schließens, und obgleich dieses Geräusch beinahe unmerklich war, faßten es doch seine überreizten Sinne auf.

Ein unbeschreiblicher Schauer durchlief den ganzen Leib des jungen Mannes. Er horchte abermals.

Rings um ihn herrschte ein solches Stillschweigen, daß er sein eigenes Herz schlagen hörte.

Es vergingen einige Minuten, ohne daß er etwas von dem, was er erwartete, erscheinen sah. In Ermangelung der Augen, sagten ihm indessen seine Ohren, daß sich jemand nahte. Er hörte den Sand unter Tritten krachen. Plötzlich kam es ihm vor, als sähe er an dem düsteren Grunde der Hagebuchen eine noch düsterere Gruppe sich hinbewegen.

»Hier kommt er zurück,« flüsterte Henri; »ist er allein, ist jemand bei ihm?«

Die Gruppe rückte nach der Gegend vor, wo der Mond einen schattenlosen Raum versilberte. In dem Augenblick, wo der Mann mit dem wollenen Rocke in entgegengesetzter Richtung diesen Raum durchschritt, hatte Henri Remy zu erkennen geglaubt. Diesmal sah Henri zwei Schatten, die sich so deutlich unterschieden, daß man sich nicht täuschen konnte. Eine tödliche Kälte stieg bis in sein Herz hinab und schien ihn in Marmor verwandelt zu haben.

Die Schatten gingen rasch, obgleich festen Schrittes; der erste war in einen wollenen Leibrock gekleidet, und der Graf glaubte wieder, wie das erstemal, Remy zu erkennen.

Ganz in einen großen Männermantel gehüllt, entzog sich der zweite jeder näheren Bestimmung. Und dennoch glaubte Henri unter diesem Mantel zu erraten, was niemand hätte sehen können.

Der junge Mann stieß eine Art schmerzlichen Stöhnens aus, und sobald die beiden geheimnisvollen Personen hinter den Hagebuchen verschwunden wären, eilte er, von Gebüsch zu Gebüsch schlüpfend, denen nach, die er erkennen wollte.

»Oh!« murmelte er, während er ihnen folgte, »mein Gott, täusche ich mich nicht, ist es möglich?«

Gewißheit.

Henri schlüpfte auf der dunkeln Seite der Hecke hin, wobei er die Vorsicht gebrauchte, weder auf dem Sande noch am Blätterwerk Geräusch zu machen.

Aber wegen der gebotenen beständigen Vorsicht konnte er nicht gut sehen. Doch an der Haltung, an den Kleidern, am Gang erkannte er in dem Mann mit dem wollenen Rock immer wieder Remy. Einfache Vermutungen, für ihn gräßlicher als Wirklichkeiten, erhoben sich in ihm in Beziehung auf den Gefährten dieses Mannes.

Der Weg, an dem die Hagebuchen hinliefen, mündete gegen die große Dornhecke und in eine Wand von Pappelbäumen aus, die vom übrigen Teil des Parks den Pavillon des Herrn Herzogs von Anjou trennte und ihn mit einem grünen Vorhang umhüllte, in dessen Mitte er, wie gesagt, völlig verschwand. Es fanden sich hier schöne Bassins, düstere Gebüsche, von gewundenen Alleen durchschnitten, und hundertjährige Bäume, auf deren Dom der Mond Kaskaden silbernen Lichtes ergoß, während darunter der Schatten schwarz, undurchsichtig, undurchdringlich war.

Als sich Henri dieser Hecke nahte, fühlte er, daß ihm der Mut beinahe entschwand.

So dreist die Befehle des Prinzen überschreiten und sich einer so vermessenen Indiskretion überlassen, war nicht eines loyalen, redlichen Edelmannes würdig, sondern eines feigen oder eifersüchtigen Spions, der sich zu den ungebührlichsten, äußersten Schritten entschlossen hat.

Doch da der Mann beim Öffnen der Schranke, die den großen Park vom kleinen trennte, eine Bewegung machte, wobei sich sein Gesicht entblößte, und da dieses Gesicht wirklich Remys war, so hatte der Graf keine Bedenklichkeiten mehr, und er schritt entschlossen weiter.

Man hatte die Tür wieder zugemacht; Henri sprang über die Querbalken und folgte den beiden fremden Besuchern des Prinzen.

Diese beeilten sich. Unter einer Allee von dichtbelaubten Kastanienbäumen, an deren Ende man den sanft beleuchteten Pavillon erblickte, konnte Henri nicht so leicht mehr den Leuten folgen, die ihn, wenn sie sich umgekehrt hätten, sogleich bemerkt haben müßten. Überdies erfaßte ihn ein neuer Schrecken.

Bei dem Geräusch, das auf dem Sand die Tritte Remys und seines Gefährten machten, kam der Herzog aus dem Pavillon heraus. Henri warf sich hinter den dicksten Baum und wartete. Er konnte nichts sehen, außer, daß sich Remy sehr tief bückte, daß Remys Gefährte eine Verneigung nach Frauenart und keinen männlichen Bückling machte, und daß der Herzog entzückt dem letzteren den Arm bot, wie er es bei einer Frau getan haben würde. Dann wandten sich alle drei nach dem Pavillon und verschwanden unter dem Vorhause, dessen Tür sich hinter ihnen schloß.

»Ich muß ein Ende machen,« sagte Henri, »und einen bequemeren Standpunkt wählen, von wo aus ich alles sehen kann, ohne selbst gesehen zu werden.«

Er bemerkte ein Gebüsch, das zwischen dem Pavillon und den Spalieren lag, ein Gebüsch, in dessen Mittelpunkt ein Springbrunnen spielte, einen ganz sicheren Beobachtungsposten.

Hinter der Statue verborgen, die den Springbrunnen überragte, um die ganze Höhe des Piedestals emporgehoben, konnte Henri alles sehen, was in dem Pavillon vorging, dessen Hauptfenster sich gerade vor ihm öffnete. Da niemand bis dahin dringen konnte oder vielmehr dringen durfte, so hatte man keine weitere Vorsicht angewendet.

Eine Tafel war gedeckt, üppig bestellt und mit kostbaren, in venezianischen Gläsern eingeschlossenen Weinen beladen. Nur zwei Sitze an dieser Tafel erwarteten zwei Gäste. Der Herzog wandte sich dem einen zu, ließ den Arm von Remys Gefährten los, bezeichnete ihm den andern Sitz und schien ihn aufzufordern, seinen Mantel abzulegen, der, sehr bequem für einen nächtlichen Gang, sehr unbequem wurde, wenn man das Ziel dieses Ganges erreicht hatte, und dieses Ziel ein Abendessen war.

Die Person, an welche die Einladung gerichtet war, warf nun ihren Mantel auf einen Stuhl, und das Licht der Kerzen beleuchtete ohne irgendeinen Schatten das bleiche, majestätisch schöne Antlitz einer Frau, die Henris erschrockene Augen sogleich erkannten. Es war die Dame des geheimnisvollen Hauses der Rue des Augustins, die Reisende aus Flandern, es war jene Diana endlich, deren Blicke tödlich wirkten wie Dolchstöße. Diesmal trug sie die Kleider ihres Geschlechts; sie war angetan mit einem Gewände von Brokat; Diamanten glänzten an ihrem Hals, in ihren Haaren, an ihren Handgelenken. Unter diesem Schmucke trat die Blässe ihres Gesichtes noch mehr hervor, und ohne die Flamme, die aus ihren Augen sprang, hätte man glauben können, der Herzog habe durch Anwendung eines Zaubermittels den Schatten dieser Frau, nicht die Frau selbst, heraufbeschworen.

Hätte er sich nicht an der Statue halten können, über der er seine Arme, kälter als der Marmor selbst, kreuzte, so wäre Henri rücklings in das Bassin gefallen.

Der Herzog schien trunken vor Freude; er umschloß gleichsam mit den Augen dieses wunderbare Geschöpf, das sich ihm gegenüber gesetzt hatte und die Gegenstände, die man vor ihm aufgestellt, kaum berührte. Von Zeit zu Zeit streckte sich Franz über der Tafel aus, um eine von den Händen seiner stummen, bleichen Tischgenossin zu küssen, die ebenso unempfindlich für diese Küsse zu sein schien, als wäre ihre Hand aus dem Alabaster gemeißelt, dessen Durchsichtigkeit und Weiße sie hatte.

Immer wieder bebte Henri, fuhr mit der Hand an seine Stirn, wischte mit dieser Hand den eisigen Schweiß ab, der in Tropfen darauf stand, und fragte sich: »Lebt sie? Ist sie tot?«

Der Herzog strengte alle seine Kräfte an und entwickelte seine ganze Beredsamkeit, um die ernste Stirn der Dame zu entrunzeln.

Remy, der allein die beiden bediente, da der Herzog alle Diener entfernt hatte, schien von Zeit zu Zeit, mit dem Ellenbogen seine Gebieterin streifend, wenn er hinter ihr vorbeiging, sie durch diese Berührung wieder zu ermutigen und zum Leben oder vielmehr zu der Lage der Dinge zurückzurufen.

Dann stieg eine dunkelrote Woge auf die Stirn der jungen Frau, ihre Augen schleuderten einen Blitz, sie lächelte, als hätte ein Zauberer eine unbekannte Feder dieses sinnvollen Automaten berührt, und der Mechanismus der Augen den Blitz, der der Wangen die Färbung, der der Lippen das Lächeln bewirkt. Dann versank sie wieder in ihre Unbeweglichkeit.

Der Prinz näherte sich indessen und fing an, durch seine leidenschaftlichen Reden seine schöne Eroberung zu erwärmen. Diana, die von Zeit zu Zeit nach der Prachtvollen, über dem Kopfe des Prinzen an der Wand hängenden Uhr schaute, schien sich sodann gegen sich selbst anzustrengen und nahm, das Lächeln auf ihren Lippen bewahrend, einen tätigeren Anteil am Gespräch.

Unter dem Obdache des Blätterwerks zerriß sich Henri die Fäuste und verfluchte die ganze Schöpfung von den Frauen an, die Gott geschaffen, bis auf Gott, der ihn selbst geschaffen hatte. Es kam ihm ungeheuerlich, greuelhaft vor, daß diese reine und strenge Frau sich auf eine so gemeine Weise dem Prinzen hingab, weil er ein Prinz war, und der Liebe, weil sie in diesem Palast vergoldet erschien. Sein Abscheu gegen Remy war so groß, daß er ihm ohne Mitleid die Eingeweide geöffnet hätte, um zu, sehen, ob ein solche» Ungeheuer Blut und Herz eines Menschen habe. In diesem Taumel der Wut und Verachtung verging für Henri die Zeit dieses für den Herzog von Anjou so köstlichen Abendessens.

Diana läutete. Erhitzt durch den Wein und die galanten Redensarten, stand der Prinz vom Tische auf, um Diana zu umarmen. Alles Blut stockte in Henris Adern. Er suchte an seiner Seite, ob er einen Degen, in seiner Brust, ob er einen Dolch hätte.

Mit seltsamem Lächeln, das sicher noch nie seinesgleichen auf irgendeinem Gesichte gehabt hatte, hielt Diana den Prinzen zurück und sagte: »Monseigneur, erlaubt, daß ich, ehe ich vom Tische aufstehe, mit Euch diese Frucht teile, nach der mich gelüstet.« Bei diesen Worten streckte sie die Hand nach einem Körbchen von Goldfiligran aus, das zwanzig herrliche Pfirsiche enthielt, und nahm eine davon. Dann machte sie von ihrem Gürtel ein Messerchen los, dessen Klinge von Silber, dessen Heft von Malachit war, zerschnitt die Pfirsich in zwei Teile und bot einen davon dem Prinzen, der ihn ergriff und gierig damit nach seinen Lippen fuhr, als ob er Dianas Lippen küßte. Diese leidenschaftliche Handlung brachte einen solchen Eindruck auf ihn selbst hervor, daß eine Wolke sein Gesicht in dem Augenblick verdunkelte, wo er in die Frucht biß.

Diana schaute ihm mit ihrem klaren Auge und ihrem unveränderlichen Lächeln zu. Remy, der sich mit dem Rücken an einen Pfeiler von geschnitztem Holz gelehnt hatte, schaute ebenfalls mit düsterer Miene.

Der Prinz fuhr mit einer Hand über seine Stirn, wischte einige Schweißtropfen ab, die darauf peilten, und verschlang das Stück, in das er gebissen hatte. Dieser Schweiß war ohne Zweifel das Symptom einer plötzlichen Unpäßlichkeit; denn während Diana die andere Hälfte der Pfirsich aß, ließ der Prinz das, was ihm von der seinigen übrigblieb, auf seinen Teller fallen, stand mit einer gewissen Anstrengung auf und schien seine schöne Tischgenossin einzuladen, mit ihm im Garten freie Luft zu schöpfen.

Diana erhob sich und nahm, ohne ein Wort zu sprechen, den Arm, den ihr der Prinz bot. Remy folgte ihnen mit den Augen, besonders dem Prinzen, den die Luft völlig wiederbelebte. Während des Gehens trocknete Diana die kleine Klinge ihres Messers an einem goldgestickten Taschentuch ab und steckte es wieder in seine saffianlederne Scheide. So kamen sie ganz nahe zu dem Gebüsch, wo Henri verborgen war.

Der Prinz drückte verliebt den Arm der jungen Frau an sein Herz und sagte: »Ich fühle mich wieder besser, und dennoch weiß ich nicht, weicht Schwere mein Gehirn bedrückt; ich sehe, Madame, ich liebe zu sehr.«

Diana riß einige Blumen von einem Jasmin, einen Zweig von einer Rebwinde und zwei schöne Rosen ab. die eine ganze Seite des Sockels der Statue bedeckten, hinter der sich Henri erschrocken kleiner zu machen suchte.

»Was macht Ihr, Madame?« fragte der Prinz.

»Gnädigster Herr,« antwortete sie, »man hat mir stets versichert, der Wohlgeruch der Blumen sei das beste Mittel gegen Betäubung. Ich pflücke einen Strauß in der Hoffnung, von mir gegeben, werde dieser Strauß den magischen Einfluß haben, den ich ihm wünsche.«

Doch während sie die Blumen des Straußes zusammenfaßte, ließ sie eine Rose fallen, die der Prinz galanterweise aufzuheben sich beeilte.

Franz' Bewegung war rasch, doch nicht so rasch, daß Diana nicht Zeit gehabt hätte, auf die andere Rose einige Tropfen von einer Flüssigkeit fallen zu lassen, die in einem goldenen Fläschchen enthalten war, das sie aus ihrem Busen zog. Dann nahm sie die Rose, die der Prinz aufgehoben hatte, steckte sie an ihren Gürtel und sagte: »Diese ist für mich, tauschen wir.«

Und für die Rose, die sie aus den Händen des Prinzen empfing, reichte sie ihm den Strauß. Der Prinz nahm ihn gierig, roch voll Entzücken daran und schlang seinen Arm um Dianas Leib. Doch dieser wollüstige Druck brachte ohne Zweifel die Sinne des Prinzen vollends in Verwirrung, denn er wankte auf seinen Knien und war genötigt, sich auf eine Rasenbank zu setzen, die sich in seiner Nähe befand.

Henri verlor die beiden Personen nicht aus dem Gesicht, und dennoch hatte er auch einen Blick für Remy, der im Pavillon das Ende dieser Szene abwartete oder vielmehr jeden Umstand zu verschlingen schien. Als er sah, wie der Prinz wankte, trat er bis auf die Schwelle des Pavillons vor. Diana aber setzte sich, als sie Franz wanken fühlte, zu ihm auf die Bank.

Die Betäubung währte diesmal länger als das erstemal, der Prinz hatte den Kopf auf die Brust gesenkt, er schien den Faden seiner Gedanken und fast des Gefühl seines Daseins verloren zu haben, und dennoch deutete die krampfhafte Bewegung seiner Finger auf Dianas Hand an, daß er aus Instinkt seinen Liebeswahn verfolgte.

Endlich erhob er langsam den Kopf, und als sich seine Lippen in der Höhe von Dianas Gesicht fanden, machte er eine Anstrengung, um die seiner schönen Tischgenossin zu berühren, doch die junge Frau stand auf, als hätte sie diese Bewegung nicht gesehen.

»Ihr leidet, Monseigneur?« sagte sie, »es wäre besser, wir kehrten zurück.«

»Oh! ja, kehren wir zurück!« rief der Prinz, entzückt vor Freude; »ja, kommt, ich danke.«

Und er stand ganz schwankend auf; statt daß sich Diana auf seinen Arm stützte, war er es nun, der sich auf ihren Arm stützte; so vermochte er bequemer zu gehen, und er schien Fieber und Betäubung zu vergessen; Plötzlich sich aufrichtend, drückte er wie im plötzlichen Überfall einen Kuß auf den Hals der jungen Frau.

Diese bebte, als ob sie, statt des Eindrucks eines Kusses, die Verwundung eines glühenden Eisens gefühlt hätte.

»Remy, ein Licht! ein Licht!« rief sie.

Sogleich kehrte Remy in den Speisesaal zurück, zündete an den Kerzen auf dem Tische ein einzeln stehendes Licht an, das er von einem Leuchter nahm, näherte sich rasch, dieses Licht in der Hand, dem Eingang des Pavillons und rief: »Hier, Madame.«

»Wohin geht Eure Hoheit?« fragte Diana, indem sie das Licht ergriff und den Kopf abwandte.

»Oh! zu mir! zu mir! ... und nicht wahr, Ihr werdet mich führen, Madame?« erwiderte der Prinz voll Trunkenheit.

»Gern, Monseigneur,« antwortete Diana; und sie hob das Licht in die Höhe und schritt dem Prinzen voran.

Remy öffnete im Hintergrunde des Pavillons ein Fenster, durch das die Luft so gewaltig eindrang, daß die Kerze, die Diana trug, wie wütend ihre ganze Flamme, und ihren ganzen Rauch Franz, der gerade im Luftzug stand, in das Gesicht trieb.

Die Liebenden, Henri hielt sie für solche, kamen so, eine Galerie durchschreitend, bis zum Zimmer des Herzogs und verschwanden hinter der Tapete mit den Lilien, die ihm als Türvorhang diente.

Henri hatte alles, was vorgefallen war, mit wachsender Wut gesehen, und dennoch war diese Wut so, daß sie an Vernichtung grenzte. Es war, als bliebe ihm nur Kraft genug, das Schicksal zu verfluchen, das ihm eine so grausame Prüfung auferlegt hatte. Er hatte sein Versteck verlassen und schickte sich, gelähmt, mit herabhängenden Armen und blicklosen Augen an, halb tot nach seiner Wohnung im Schloß zurückzukehren, als sich plötzlich der Türvorhang, hinter dem er Diana und den Prinzen hatte verschwinden sehen, wieder öffnete, die junge Frau in den Speisesaal stürzte und Remy, der unbeweglich dastand und nur ihre Rückkehr abzuwarten schien, mit den Worten: »Komm, komm, alles ist vorbei!« mit sich fortriß.

Und beide eilten wie trunken oder wahnsinnig in den Garten. Doch bei ihrem Anblick hatte Henri seine ganze Kraft wiedererlangt; er stürzte ihnen entgegen, und sie fanden ihn plötzlich mitten in der Allee, aufrecht, die Arme kreuzend und schrecklicher in seinem Schweigen, als es die furchtbarsten Drohworte hätten sein können. Henri war in der Tat zu jenem Grad von Verzweiflung gelangt, daß er jeden getötet hätte, dem es eingefallen wäre zu behaupten, die Frauen seien nicht Ungeheuer, von der Hölle abgesandt, um die Welt zu beschmutzen.

Er faßte Diana beim Arm und hielt sie so fest, trotz des Angstschreis, den sie ausstieß, trotz des Messers, das ihm Remy so scharf auf die Brust setzte, daß es sein Fleisch verletzte.

»Oh! Ihr erkennt mich ohne Zweifel nicht,« sagte er mit furchbarem Zähneknirschen, »ich bin jener Neuling, der Euch liebte, und dem Ihr nicht Liebe schenken wolltet, weil es für Euch keine Zukunft mehr, sondern nur eine Vergangenheit gab. Ah! schöne Heuchlerin, und du, feiger Lügner, ich kenne euch nun, ich kenne euch und verfluche euch; der einen sage ich: Ich verachte dich; dem andern: ich verabscheue dich.«

»Gebt Raum!« rief Remy mit erstickter Stimme, »gebt Raum, junger Narr ... oder ...«

»Es sei,« erwiderte Henri, »töte meinen elenden Leib, da du meine Seele getötet hast.«

»Still!« murmelte Remy wütend, während er seine Klinge immer mehr eindrückte, so daß man schon das Eisen in der Brust des jungen Mannes hörte.

Doch Diana stieß Remys Arm heftig zurück, faßte du Bouchage am Arm und stellte sich ihm starr gegenüber. Sie war leichenbleich; ihre schönen Haare hingen steif auf ihre Schultern herab; als sie mit ihrer Hand Henris Handgelenk berührte, durchdrang diesen eine Kälte, der einer Leiche ähnlich.

»Mein Herr,« sagte sie, »urteilt nicht vermessen über Gottes Dinge! ... ich bin Diana von Meridor, die Geliebte des Herrn von Bussy, den der Herzog von Anjou auf eine elende Weise töten ließ, als er ihn retten konnte. Vor acht Tagen hat Remy Aurilly, den Schuldgenossen des Prinzen, erdolcht, und den Prinzen habe ich soeben mit einer Frucht, mit einem Strauß und mit einem Lichte vergiftet. Platz! mein Herr, Platz für Diana von Meridor, die auf der Stelle in das Kloster der Hospitaliterinnen geht.«

Sie sprach es, ließ Henris Arm los und nahm wieder Remys, der auf sie wartete. Henri fiel auf die Knie und folgte mit den Augen der furchtbaren Gruppe der Mörder, die wie eine höllische Erscheinung in der Tiefe des Gebüsches verschwanden.

Erst eine Stunde nachher gelang es dem jungen Mann, den die Aufregung gelähmt, der Schrecken niedergeworfen hatte, während sein Kopf in Flammen stand, wieder so viel Kräfte zusammenzuraffen, daß er sich bis zu seiner Wohnung schleppen konnte; auch dabei mußte er wohl zehnmal von neuem ansetzen, bis er das Fenster erklettern konnte. Er machte ein paar Schritte im Zimmer, schwankte und fiel auf sein Bett. Im Schloß schlief alles.

Verhängnis.

Am andern Tag gegen neun Uhr streute eine schöne Sonne Gold über die sandigen Alleen von Chateau-Thierry, Zahlreiche, am Tage vorher bestellte Arbeiter hatten mit Tagesanbruch die Ausschmückung des Parkes und der für den Empfang des Königs bestimmten Gemächer begonnen. Nichts rührte sich noch in dem Pavillon, wo der Herzog ruhte, denn er hatte am Abend seinen zwei alten Dienern verboten ihn zu wecken. Sie sollten warten, bis er riefe.

Gegen neun Uhr sprengten zwei Kuriere mit verhängten Zügeln in die Stadt und verkündeten die nahe bevorstehende Ankunft Seiner Majestät. Die Schöppen, der Gouverneur und die Garnison stellten sich auf, um auf dem Weg, auf dem der Zug kommen sollte, Spalier zu machen.

Um zehn erschien der König unten am Hügel. Er ritt seit dem letzten Pferdewechsel. Es war dies eine Gelegenheit, die er stets und hauptsächlich bei seinem Einzug in die Städte ergriff, da er sich mit Recht für einen schönen Reiter halten durfte. Die Königin Mutter folgte ihm in einer Sänfte; fünfzig Edelleute bildeten, gut beritten und reich gekleidet, ihr Geleit.

Eine Kompanie Leibwachen, befehligt von Crillon selbst, hundertundzwanzig Schweizer, ebensoviel Schotten, unter der Anführung Larchants, Maultiere und Bedientenvolk aller Art bildeten ein Heer, dessen Reihen den Krümmungen der Landstraße folgten, die vom Fuß zum Gipfel des Hügels aufsteigt. Endlich kam der Zug in die Stadt unter dem Läuten der Glocken, dem Donner der Kanonen und dem Klange von Musik aller Art.

Der Jubel der Einwohner war groß; der König war in jener Zeit so selten, daß er, von nahem gesehen, noch einen Schimmer von Gottheit zu haben schien.

Vergebens suchte der König, während er durch die Menge ritt, seinen Bruder. Er fand nur Henri du Bouchage am Gitter des Schlosses.

Sobald Heinrich III. im Innern war, erkundigte er sich nach der Gesundheit des Herzogs von Anjou bei dem Offizier, der es übernommen hatte, Seine Majestät zu empfangen.

»Sire,« antwortete dieser, »Seine Hoheit bewohnt seit einiger Zeit den Pavillon im Park, und wir haben sie diesen Morgen noch nicht gesehen. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß sie sich wohl befindet, da sie sich gestern wohl befunden hat.«

»Das ist ein sehr abgelegener Ort, dieser Pavillon im Park, wie es scheint, da man dort nicht einmal die Kanonenschüsse hört?« fragte Heinrich unzufrieden.

»Sire,« wagte einer von den Dienern des Herzogs zu bemerken, »Seine Hoheit erwartete vielleicht Eure Majestät nicht so bald.«

»Alter Narr,« brummte Heinrich, »glaubst du denn, ein König komme nur so zu den Leuten, ohne sie zuvor zu benachrichtigen? Der Herr Herzog von Anjou weiß meine Ankunft seit gestern.«

Um aber dann nicht alle durch eine sorgliche Miene traurig zu machen, rief Heinrich, der auf Kosten seines Bruders sanft und gut erscheinen wollte: »Da er uns nicht entgegenkommt, gehen wir ihm entgegen.«

»Zeigt uns den Weg,« sagte Catharina aus ihrer Sänfte heraus. Die ganze Eskorte schlug den Weg nach dem alten Parke ein.

In dem Augenblick, wo die ersten Leibwachen zu den Hagebuchen gelangten, durchdrang ein düsterer, herzzerreißender Schrei die Lüfte.

»Was ist das?« fragte, der König, sich gegen seine Mutter umwendend.

»Mein Gott!« flüsterte Catharina, die auf allen Gesichtern zu lesen suchte, »das ist ein Schrei der Angst oder der Verzweiflung.«

»Mein Prinz! mein armer Herzog!« rief der andere alte Diener des Herzogs von Anjou, der mit allen Zeichen des heftigsten Schmerzes an einem Fenster erschien.

Alle eilten nach dem Pavillon, der König von den anderen fortgerissen. Er kam in dem Augenblick dahin, wo man den Körper des Herzogs von Anjou aufhob, den sein Kammerdiener auf dem Boden seines Schlafzimmers gefunden hatte, als er ohne Befehl eingetreten war, um die Ankunft des Königs zu melden. Der Prinz war kalt, steif und gab kein anderes Lebenszeichen von sich, als eine seltsame Bewegung der Augenlider und ein verzerrendes Zusammenziehen der Lippen.

Der König blieb auf der Schwelle stehen und alle hinter ihm.

»Das ist ein abscheuliches Vorzeichen!« murmelte er.

»Ich bitte, entfernt Euch, mein Sohn,« sagte Catharina zu ihm.

»Der arme Franz!« sagte Heinrich, glücklich, entlassen zu sein und auf diese Art das Schauspiel des Todeskampfes zu vermeiden.

Alles Volk strömte dem König nach.

»Seltsam! seltsam!« murmelte Catharina, die allein mit den beiden Dienern bei dem Prinzen oder vielmehr bei dem Leichnam kniete; und während man in der ganzen Stadt umherlief, um den Arzt des Prinzen zu finden, und ein Kurier nach Paris eilte, um die Ankunft der Ärzte des Königs zu beschleunigen, die in Meaux bei der Königin geblieben waren, untersuchte sie, allerdings mit weniger Wissenschaft, aber nicht mit weniger Scharfsinn, als es Miron selbst hätte tun können, die Anzeichen dieser seltsamen Krankheit, der ihr Sohn unterlag.

Sie hatte Erfahrung, die Florentinerin; sie befragte auch vor allem, kalt und ohne sie in Verwirrung zu bringen, die Diener, die sich in ihrer Verzweiflung die Haare ausrauften und das Gesicht zerschlugen. Beide antworteten, der Prinz sei in der Nacht nach Hause gekommen, nachdem ihn zu sehr ungelegener Zeit Herr Henri du Bouchage, der im Auftrag des Königs erschienen, gestört habe. Dann fügten sie hinzu, nach dieser im großen Schlosse erteilten Audienz habe der Prinz ein kostbares Abendessen bestellt, befohlen, daß sich niemand, ohne gerufen zu werden, im Pavillon einfinden solle, und endlich auf das bestimmteste eingeschärft, daß ihn am Morgen niemand wecken, und daß niemand bei ihm eintreten dürfe, ehe er ein Zeichen dazu gegeben habe.

»Er erwartete ohne Zweifel irgendeine Geliebte?« – »Wir glauben das, Madame,« antworteten demütig die Diener, »doch die Diskretion hat uns abgehalten, uns Gewißheit hierüber zu verschaffen.«

»Beim Abtragen mußtet Ihr doch bemerken, ob mein Sohn allein zu Nacht gespeist hat?« – »Wir haben noch nicht abgetragen, Madame, da Monseigneur ausdrücklich befahl, daß niemand in den Pavillon eintreten dürfe.«

»Gut,« sagte Katharina, »es ist also niemand hierher gekommen?« – »Niemand, Madame.«

»Entfernt euch!«

Diesmal blieb Catharina allein.

Sie ließ den Prinzen auf dem Bett, wie man ihn gelegt hatte, und begann eine ängstliche Untersuchung jedes der Symptome oder jeder der Spuren, die sich ihren Augen als Ergebnis ihres Argwohns oder ihrer Befürchtungen zeigten.

Sie sah die Stirn von einer schwarzbraunen Farbe überzogen, seine Augen blutig und blau umkreist und erblickte auf seinen Lippen eine Furche, der ähnlich, die brennender Schwefel auf lebendigem Fleisch hervorbringt. Sie beobachtete dasselbe Zeichen an den Nasenlöchern und auf den Nasenflügeln.

»Wir wollen doch sehen,« sagte sie, rings umherschauend.

Und das erste, was sie erblickte, war der Leuchter, in dem sich die ganze, am Abend vorher von Remy angezündete Kerze verzehrt hatte.

»Diese Kerze hat lange gebrannt,« sagte sie, »Franz war also lange in diesem Zimmer. Ah! hier ist ein Strauß auf dem Boden.«

Catharina griff hastig danach und murmelte, als sie bemerkte, daß alle diese Blumen, mit Ausnahme einer einzigen, die geschwärzt und vertrocknet, noch frisch waren: »Was ist das? Was hat man auf die Blätter dieser Blume gegossen! ... Mir scheint, ich kenne eine Flüssigkeit, welche die Rosen so vertrocknen läßt.«

Schauernd warf sie den Strauß von sich.

»Das würde mir das Aussehen der Nasenlöcher und die Auflösung des Fleisches auf der Stirn erklären; doch die Lippen?«

Catharina lief in den Speisesaal, die Bedienten hatten nicht gelogen, nichts war seit dem Ende des Mahles berührt worden.

Die am Rande der Tafel liegende Hälfte einer Pfirsich, der ein Halbkreis von Zähnen eingedrückt war, fesselte besonders Catharinas Aufmerksamkeit.

Diese Frucht, so frischrot im Herzen, war geschwärzt wie die Rose und hatte im Innern marmorartig violette und braune Flecken. Die zerfressende Tätigkeit zeichnete sich besonders an dem Schnitte an der Stelle aus, wo das Messer hatte durchkommen müssen.

»Das ist für die Lippen,« sagte sie; »doch Franz hat nur einen Biß in diese Frucht getan. Er hatte diesen Strauß, dessen Blumen noch frisch sind, nicht lange in seiner Hand gehalten, das Übel ist nicht ohne Gegenmittel, das Gift kann nicht tief eingedrungen sein.

»Doch wenn es nur oberflächlich gewirkt hat, warum diese völlige Lähmung und diese vorgeschrittene Zersetzung? Ich muß nicht alles gesehen haben.«

Während Katharina diese Worte sprach, ließ sie ihre Augen abermals umherlaufen und sah an seinem Stabe von Rosenholz, durch seine goldene Kette gehalten, den rot und blau gefärbten Lieblingspapagei des Prinzen hängen. Der Vogel war tot, steif, seine Flügel waren gesträubt.

Katharina schaute ängstlich nach dem Licht zurück, mit dem sie sich schon einmal beschäftigt hatte, um aus dessen gänzlichem Verbrennen zu erkennen, daß der Prinz früh in sein Gemach zurückgekehrt war.

»Der Rauch!« sagte Katharina zu sich selbst, »der Rauch! Der Docht der Kerze war vergiftet, mein Sohn ist tot.«

Sogleich rief sie. Das Zimmer füllte sich mit Dienern und Offizieren.

»Miron! Miron!« sagten die einen.

»Einen Priester!« sagten die andern.

Doch während dieser Zeit hielt die Königinmutter an die Lippen des Toten ein Fläschchen, das sie beständig in ihrer Tasche trug, und beobachtete die Züge, um die Wirkung des Gegengiftes zu beurteilen. Der Herzog öffnete noch einmal die Augen und den Mund, doch in seinen Augen glänzte kein Blick mehr, in seine Kehle stieg die Stimme nicht mehr empor.

Düster und stumm entfernte sich Catharina aus dem Zimmer, wobei sie den beiden Dienern ein Zeichen machte, daß sie ihr folgten, ehe sie mit irgend jemand gesprochen hätten. Sie führte sie sodann in einen andern Pavillon, wo sie sich, beide unter ihrem Blicke haltend, niedersetzte.

»Der Herr Herzog von Anjou,« sagte sie, »ist beim Abendessen vergiftet worden; Ihr habt ihm dieses Abendessen gereicht.« Bei diesen Worten sah man das Gesicht der Männer Todesblässe überziehen.

»Man foltere uns,« sagten sie, »man töte uns, aber man beschuldige uns nicht.«

»Ihr seid Dummköpfe; glaubt ihr, wenn ich einen Verdacht gegen euch hätte, die Sache wäre nicht schon abgemacht? Ich weiß wohl, Ihr habt euren Herrn nicht ermordet, doch andere haben es getan, und ich muß die Mörder kennen. Wer ist in den Pavillon gekommen?«

»Ein elend gekleideter alter Mann, den der Herzog seit zwei Tagen empfing.«

»Aber ... die Frau?«

»Wir haben sie nicht gesehen ... Welche Frau meint Eure Majestät?«

»Es ist eine Frau dagewesen, die einen Strauß gemacht hat.«

Die Diener schauten sich mit solcher Einfalt an, daß Catharina mit einem einzigen Blicke ihre Unschuld erkannte.

»Man hole mir den Gouverneur der Stadt und den Gouverneur des Schlosses,« sagte sie.

Die Diener stürzten nach der Tür.

»Wartet einen Augenblick!« rief Catharina, die sie mit diesem einzigen Wort wie auf die Schwelle nagelte. »Nur ihr allein und ich, nur wir wissen, was ich euch gesagt habe; ich werde es niemand weiter sagen; wenn es jemand erfährt, so erfährt er es durch einen von euch; an diesem Tage sterbt ihr beide. Geht!«

Catharina befragte die Gouverneure weniger offen. Sie sagte ihnen nur, der Herzog habe von einer gewissen Person eine schlimme Kunde erhalten, die ihn tief ergriffen, dies sei die Ursache seines Übels, wenn man die Personen abermals befragte, würde sich der Herzog vielleicht von seiner Erschütterung erholen. Die Gouverneure ließen die Stadt, den Park, die Umgegend durchforschen, niemand wußte, was aus Remy und Diana geworden. Henri allein kannte das Geheimnis, doch es war keine Gefahr, daß er es enthüllte.

Gedeutet, übertrieben, verstümmelt, durchlief die gräßliche Nachricht den ganzen Tag Chateau-Thierry und die Provinz; jeder erklärte nach seinem Charakter und seinem Verständnis den Unfall, der dem Herzog widerfahren war. Doch niemand, mit Ausnahme Catharinas und du Bouchages, glaubte, daß der Herzog ein toter Mann sei.

Der unglückliche Prinz erlangte weder die Stimme noch das Gefühl wieder; er gab vielmehr kein Zeichen des Bewußtseins mehr von sich.

Von finsteren Eindrücken heimgesucht, was er am meisten in der Welt fürchtete, wäre der König gern nach Paris zurückgekehrt; doch die Königin-Mutter widersetzte sich seiner Abreise, und der Hof war genötigt, im Schloß zu bleiben.

Die Ärzte kamen in Menge herbei; Miron allein erriet die Ursache des Übels und erkannte seine verhängnisvolle Bedeutung; doch er war zu sehr Höfling, um nicht die Wahrheit zu verschweigen, besonders nachdem er sich mit Catharinas Blicken beraten hatte. Man befragte ihn von allen Seiten, und er antwortete, sicher habe der Herzog großen Kummer und heftige Schläge erlitten. Er kompromittierte sich also nicht, was sehr schwierig in solchen Fällen ist. Als ihn Heinrich III. ersuchte, er möge bejahend oder verneinend die Frage: »Wird der Herzog leben?« beantworten; da antwortete er: »In drei Tagen werde ich es Eurer Majestät sagen.«

»Und was werdet Ihr mir sagen?« fragte Catharina mit leiser Stimme. – »Euch, Madame, das ist etwas anderes; ich werde ohne Zögern antworten.«

»Was?« – »Eure Majestät befrage mich.«

»An welchem Tage wird mein Sohn tot sein, Miron?« – »Morgen abend, Madame.«

»So bald!« – »Ah! Madame,« flüsterte der Arzt, »die Dosis war auch gar zu stark.«

Katharina legte einen Finger auf ihre Lippen, schaute den Sterbenden an und wiederholte ganz leise ihr unheilvolles Wort: »Verhängnis!«

Die Hospitaliterinnen.

Der Graf hatte eine furchtbare Nacht zugebracht, eine Nacht, die an Delirium und Tod grenzte. Aber seinen Pflichten getreu, erhob er sich, sobald er die Ankunft des Königs verkündigen hörte, und empfing, wie wir gesehen, den König am Gitter; doch nachdem er Seiner Majestät seine Huldigung dargebracht, die Königin-Mutter begrüßt und dem Admiral die Hand gedrückt hatte, schloß er sich wieder in seinem Zimmer ein, nicht mehr, um zu sterben, sondern um seinen Plan, den nichts erschüttern konnte, entschieden in Ausführung zu bringen.

Gegen elf Uhr morgens, als sich nämlich infolge der gräßlichen Nachricht, die sich verbreitet, der Herzog von Anjou sei auf den Tod getroffen, alles zerstreut hatte, während der König von diesem neuen Ereignis ganz betäubt blieb, klopfte Henri an die Tür seines Bruders, der sich, da er einen Teil der Nacht auf der Landstraße zugebracht, in sein Zimmer zurückgezogen hatte.

»Ah! du bist es,« fragte Joyeuse, halb eingeschlafen, »was gibt es?« – »Ich komme, um Abschied von Euch zu nehmen, mein Bruder,« erwiderte Henri.

»Wie, Abschied ... du willst fort von hier?« – »Ja, ich gehe, mein Bruder, denn ich denke, nichts hält mich hier zurück.«

»Wie, nichts?« – »Allerdings; da die Feste, denen ich Eurem Wunsche nach beiwohnen sollte, nicht stattfinden, so bin ich nun von meinem Versprechen entbunden.«

»Ihr täuscht Euch, Henri,« entgegnete der Großadmiral; »ich erlaube Euch ebensowenig heute abzureisen, wie ich es Euch gestern erlaubt hätte.« – »Es sei, mein Bruder, doch dann werde ich mich zum erstenmal in meinem Leben in die schmerzliche Notwendigkeit versetzt sehen, Euren Befehlen ungehorsam zu sein und es an der schuldigen Ehrerbietung gegen Euch mangeln zu lassen; denn von diesem Augenblick an erkläre ich Euch, Anne, daß mich nichts mehr zurückhalten wird, in einen geistlichen Orden einzutreten.«

»Aber die Dispensation, die von Rom kommen soll?« – »Ich werde sie in einem Kloster erwarten.«

»Wahrhaftig, Ihr seid entschieden ein Narr!« rief Joyeuse, indem er mit einem in seinem Gesichte sich scharf ausprägenden Erstaunen aufstand. – »Im Gegenteil, mein teurer und geehrter Bruder, ich bin der Weiseste von allen, denn ich allein weiß, was ich tue.«

»Henri, Ihr hattet uns einen Monat versprochen.« – »Unmöglich, mein Bruder.«

»Noch acht Tage.« – »Nicht eine Stunde.«

»Aber du leidest sehr, armes Kind!« – »Im Gegenteil, ich leide nicht mehr, und deshalb sehe ich, daß es für mein Übel kein Mittel gibt.«

»Aber, mein Freund, jene Frau ist doch nicht von Erz; man kann sie erweichen; ich will sie geschmeidig machen.« – »Ihr werdet das Unmögliche nicht tun, Anne; aber ließe sie sich auch erweichen, so würde ich doch nicht mehr willens sein, sie zu lieben.«

»Wie soll ich das verstehen?« – »Es ist so, mein Bruder.«

»Wie! wenn sie dich haben wollte, würdest du sie nicht mehr wollen? Das ist, bei Gott! Wahnsinn!« – »Oh! nein, gewiß nicht,« rief Henri mit einer Bewegung des Abscheus, »zwischen dieser Frau und mir kann keinerlei Gemeinschaft mehr bestehen.«

»Was soll das heißen?« fragte Joyeuse erstaunt, »und wer ist denn diese Frau? Laß hören, sprich, Henri, du weißt, daß wir nie Geheimnisse füreinander gehabt haben.«

Henri fürchtete, zuviel gesagt und vom Gefühl hingerissen, eine Tür geöffnet zu haben, durch die das Auge seines Bruders bis zu dem furchtbaren Geheimnis dringen konnte, das er in seinem Herzen verschloß. Er verfiel daher in ein entgegengesetztes Extrem und sprach, wie es in solchen Fällen oft geschieht, um das unkluge Wort, das ihm entschlüpft war, wieder zurückzunehmen, ein noch unklugeres aus.

»Mein Bruder,« sagte er, »dringt nicht weiter in mich, diese Frau wird mir nicht gehören, da sie nun Gott gehört.« – »Torheiten, Märchen; diese Frau eine Nonne, sie hat dich belogen.«

»Nein, Bruder, diese Frau hat mich nicht belogen, sie ist Hospitaliterin; sprechen wir also nicht mehr von ihr, und ehren wir alles, was sich in die Arme des Herrn wirft.«

Anne hatte genug Gewalt über sich, um Henri die Freude nicht merken zu, lassen, die ihm diese Mitteilung verursachte.

Er fuhr fort: »Das ist etwas Neues, denn du sprachst nie hiervon.«

»Das ist in der Tat neu, denn sie hat erst kürzlich den Schleier genommen; doch ich bin dessen gewiß; wie der meinige, so ist auch ihr Entschluß unwiderruflich, haltet mich nicht zurück, Bruder, umarmt mich, da Ihr mich liebt, laßt mich Euch für alle Eure Güte, für alle Eure Geduld, für alle Eure unendliche Liebe für einen armen Wahnsinnigen danken, und Gott befohlen!«

Joyeuse schaute seinem Bruder ins Gesicht; er schaute ihn an wie einer, der tief gerührt ist und darauf rechnet, seine Rührung werde bei dem andern die Kraft der Überredung unterstützen. Doch Henri blieb unerschütterlich gegen diese Rührung und antwortete mit seinem traurigen, ewigen Lächeln. Joyeuse umarmte seinen Bruder und ließ ihn gehen.

»Geh,« sagte er zu sich selbst; »es ist noch nicht alles vorbei, und so große Eile du auch haben magst, so werde ich dich doch bald einholen.« Er suchte den König auf, der, mit Chicot an seiner Seite, in seinem Bett frühstückte.

»Guten Morgen! guten Morgen!« sagte Heinrich zu Joyeuse, »es freut mich sehr, dich zu sehen, Anne, denn ich fürchtete, du würdest den ganzen Tag liegenbleiben, Träger. Wie geht es meinem Bruder?« – »Ich weiß es nicht, ich komme, um mit Euch von dem meinigen zu sprechen.«

»Von welchem?« – »Von Henri.«

»Will er immer noch Mönch werden?« – »Mehr als je.«

»Er nimmt das Ordensgewand?« – »Ja, Sire.«

»Er hat recht, mein Sohn.«– »Warum, Sire?«

»Ja, man kommt auf diesem Weg schnell in den Himmel.«

»Oh! Sire,« sagte Chicot zum König, »man kommt noch viel schneller dahin auf dem Weg, den dein Bruder nimmt.«

»Sire, will mir Eure Majestät eine Frage erlauben?« – »Zwanzig, Joyeuse, ich langweile mich sehr in Chateau-Thierry, und deine Fragen werden mich ein wenig zerstreuen.«

»Sire, Ihr kennt alle geistliche Orden des Königreichs?« – »Wie die Wappen, mein Lieber.«

»Wie ist es mit den Hospitaliterinnen?« – »Das ist eine ganz kleine, sehr ausgezeichnete, sehr strenge Gemeinde, bestehend aus zwanzig Stiftsdamen von St. Joseph.«

»Legt man bei ihnen das Gelübde ab?« – »Ja, durch Begünstigung und auf Fürsprache der Königin.«

»Ist es eine Unbescheidenheit, wenn ich Euch nach der Stätte dieser Gemeinschaft frage?« – »Nein; sie ist in der Rue du Chevet-Saint-Landry in der Cité hinter dem Notre-Dame-Kloster.«

»In Paris?« – »In Paris.«

»Ich danke, Sire.« – »Doch warum, zum Teufel, fragst du danach? Sollte dein Bruder seinen Willen verändert haben und, statt sich zum Kapuziner zu machen, nunmehr Hospitaliterin werden wollen?« »Nein, Sire, ich würde ihn dann nach dem, was mir Eure Majestät zu sagen die Gnade hatte, nicht so verrückt finden, sondern ich habe den Verdacht, daß ihm von einem Mitglied dieser Gemeinde der Kopf verrückt worden ist, und ich möchte folglich diese eine entdecken und mit ihr sprechen.«

»Bei Gott!« sagte der König, »ich habe dort vor bald sieben Jahren eine Superiorin gekannt, die sehr schön war.«

»Nun! Sire, es ist vielleicht noch dieselbe.«

»Ich weiß es nicht; auch ich, Joyeuse, bin seit jener Zeit gleichsam in den geistlichen Stand eingetreten.«

»Sire,« sagte Joyeuse, »ich bitte Euch, gebt mir auf jeden Fall einen Brief an diese Superiorin und einen Urlaub auf zwei Tage.« – »Du verläßt mich!« rief der König, »du läßt mich ganz allein hier!«

»Undankbarer,« sagte Chicot, die Achseln zuckend, »bin ich nicht da?« – »Meinen Brief, Sire, bitte!« sagte Joyeuse.

Der König seufzte, schrieb aber trotzdem.

»Doch du hast nur in Paris zu tun?« sagte Heinrich, indem er Joyeuse den Brief zustellte. – »Verzeiht, Sire, ich muß meinen Bruder geleiten oder wenigstens bewachen.«

»Das ist richtig; geh also, und komm bald zurück.«

Joyeuse ließ sich diese Erlaubnis nicht wiederholen; er bestellte schnell seine Pferde und ritt, als er sich versichert hatte, daß Henri schon fort war, im Galopp bis an den Ort seiner Bestimmung.

Ohne die Stiefel zu wechseln, ließ sich der junge Mann unmittelbar nach der Rue du Chevet-Saint-Landry führen. Diese Straße mündete nach der Rue d'Enfer und der damit parallel laufenden Rue des Marmouzets aus.

Ein schwarzes, ehrwürdiges Haus, hinter dessen Mauern man die Gipfel einiger hohen Bäume erblickte, spärliche, vergitterte Fenster, eine kleine Pforte, dies war das Äußere des Klosters der Hospitaliterinnen. Auf den Schlußstein des Bogens über der Pforte hatte ein plumper Handwerksmann mit dem Meißel die lateinischen Worte:

MATRONAE HOSPITES

eingegraben. Die Zeit hatte die Inschrift und den Stein ganz zernagt.

Joyeuse ließ seine Pferde in die Rue des Marmouzets führen, aus Furcht, ihre Anwesenheit in der Straße könnte ein zu großes Aufsehen erregen. Dann klopfte er an das Gitter des Turmes und sagte, als sich jemand zeigte: »Wollt der Frau Superiorin melden, der Herzog von Joyeuse, Großadmiral von Frankreich, wünsche sie im Auftrag des Königs zu sprechen.«

Das Gesicht der Nonnen die hinter dem Gitter erschienen war, errötete unter ihrem Schleier, und der Turm schloß sich wieder. Fünf Minuten nachher öffnete sich eine Tür, und Joyeuse trat in das Sprechzimmer. Eine schöne Frau von hoher Gestalt machte Joyeuse eine tiefe Verbeugung, die der Admiral gebührend erwiderte.

»Madame,« sagte er, »der König weiß, daß Ihr unter die Zahl Eurer Kostgängerinnen eine Person, die ich sprechen muß, aufgenommen habt. Wollt mir eine Unterredung mit dieser Person verschaffen.«

»Mein Herr, wäre es Euch gefällig, mir den Namen dieser Dame zu sagen?« – »Ich weiß ihn nicht, Madame.«

»Wie soll ich dann Eurem Wunsche entsprechen?« – »Nichts kann leichter sein. Wen habt Ihr seit einem Monat aufgenommen?« – »Ihr bezeichnet mir diese Person zu bestimmt oder zu wenig,« sagte die Superiorin, »und ich vermöchte Eurem Verlangen nicht Genüge zu leisten.

»Warum nicht?« – »Weil ich seit einem Monat niemand aufgenommen habe, außer diesen Morgen.«

Diesen Morgen?« – »Ja, Herr Herzog, und Ihr begreift Eure Ankunft zwei Stunden nach der ihrigen gleicht zu sehr einer Verfolgung, als daß ich Euch die Erlaubnis, mit ihr zu sprechen, gewähren könnte.«

»Madame, ich bitte Euch.« – »Unmöglich, mein Herr.«

»Zeigt mir nur diese Dame.« – »Unmöglich, sage ich Euch; Euer Name hat genügt, um Euch die Pforten meines Hauses zu öffnen, doch um mit irgend jemand, außer mir, hier zu sprechen, bedürft Ihr eines Befehls des Königs.«

»Hier ist dieser Befehl, Madame,« erwiderte Joyeuse und überreichte den vom König unterzeichneten Brief.

Die Superiorin las ihn und verneigte sich.

»Der Wille Seiner Majestät soll geschehen, selbst wenn er dem Willen Gottes entgegensteht,« sagte sie und wandte sich nach dem Hof des Klosters.

»Ihr seht nun, Madame,« sagte Joyeuse, der sie mit aller Höflichkeit zurückhielt, »Ihr seht, daß ich das Recht habe; doch ich befürchte einen Mißbrauch oder einen Irrtum, vielleicht ist diese Dame nicht die, welche ich suche, habt also die Güte, mir zu sagen, wie sie gekommen ist, warum sie gekommen ist, und wer sie begleitet hat.«

»Dies alles ist unnötig, Herr Herzog,« entgegnete die Superiorin, »Ihr irrt Euch nicht, die Dame, die erst diesen Morgen angekommen ist, nachdem sie vierzehn Tage auf sich warten ließ, diese Dame, die mir von einer Person empfohlen worden ist, die alles Ansehen bei mir hat, ist sicher die, welche der Herr Herzog von Joyeuse sprechen muß.«

Bei diesen Worten machte die Superiorin dem Herzog eine neue Verbeugung und verschwand. Nach zehn Minuten kam sie zurück mit einer Hospitaliterin, deren Schleier ganz über ihr Gesicht herabgeschlagen war. Es war Diana, die schon das Ordenskleid genommen hatte. Der Herzog dankte der Superiorin, bot der fremden Dame einen Stuhl, setzte sich selbst, und die Superiorin ging hinaus, indem sie mit ihrer Hand die Türen des öden, düsteren Sprechzimmers schloß.

»Madame,« sagte Joyeuse, »Ihr seid die Dame der Rue des Augustins, die geheimnisvolle Frau, die mein Bruder, der Herr Graf du Bouchage, wahnsinnig liebt.«

Die Hospitaliterin neigte den Kopf, um zu antworten, sprach aber nicht. Dieses Benehmen erschien Joyeuse als eine Unhöflichkeit; zuvor schon nicht sehr gut gegen die Fremde gestimmt, fuhr er fort: »Ihr konntet unmöglich glauben, Madame, es genüge, schön zu sein oder schön zu scheinen, kein Herz unter dieser Schönheit verborgen zu haben, eine beklagenswerte Leidenschaft in dem Gemüte eines jungen Mannes meines Namens entstehen zu machen und eines Tages zu diesem jungen Mann zu sagen: ›Schlimm für Euch, wenn Ihr ein Herz habt, ich habe keines und will keines haben.‹«

»Das habe ich nicht geantwortet, mein Herr, und Ihr seid schlecht unterrichtet,« sagte die Hospitaliterin mit einem so edlen und so rührenden Ton ihrer Stimme, daß sich Joyeuses Zorn einen Augenblick milderte.

»Die Worte tun nichts zum Sinn, Madame; Ihr habt meinen Bruder zurückgestoßen und in Verzweiflung gebracht.«

»Ohne meine Schuld, mein Herr, denn ich habe stets Herrn du Bouchage von mir zu entfernen gesucht.«

»Das nennt man den Kunstgriff der Koketterie.«

»Niemand hat das Recht, mich anzuklagen; ich habe keine Schuld; geratet Ihr gegen mich in Zorn, so werde ich Euch nicht antworten.«

»Oho!« rief Joyeuse, der sich immer mehr erhitzte, »Ihr habt meinen Bruder ins Verderben gestürzt und glaubt, Euch mit dieser herausfordernden Majestät rechtfertigen zu können. Nein, nein, der Schritt, den ich tue, muß Euch Licht über meine Absichten geben; ich spreche im Ernste, das schwöre ich Euch, und an dem Zittern meiner Hände und meiner Lippen seht Ihr, daß Ihr guter Beweisgründe bedürfen werdet, um mich zu besänftigen.«

Die Hospitaliterin stand auf und sagte mit derselben Kaltblütigkeit: »Wenn Ihr gekommen seid, um eine Frau zu beleidigen, so beleidigt mich, mein Herr; wenn Ihr gekommen seid, um mich von meinem Willen abzubringen, so verliert Ihr Eure Zeit. Entfernt Euch.«

»Ah! Ihr seid kein menschliches Geschöpf,« rief Joyeuse außer sich, »Ihr seid ein Dämon.«

»Ich habe gesagt, ich würde nicht mehr antworten; doch das ist nicht genug, und ich gehe.«

Und die Hospitaliterin machte einen Schritt nach der Tür.

Joyeuse hielt sie zurück.

»Ah! wartet einen Augenblick, ich suche Euch schon zu lange, um Euch so entfliehen zu lassen, und da es mir endlich gelungen ist, Euch zu finden, da mich endlich Eure Unempfindlichkeit in dem Gedanken bestätigt hat, Ihr seid ein höllisches Geschöpf, abgesandt von dem Feinde der Menschen, um meinen Bruder zu verderben, so will ich dieses Gesicht sehen, auf das der Abgrund seine schwärzesten Drohungen geschrieben hat; ich will das Feuer dieses unseligen Blickes sehen, der die Geister verwirrt. Es ist nun an uns, Satan!«

Und während Joyeuse mit einer Hand das Zeichen des Kreuzes in Form einer Teufelsbeschwörung machte, riß er mit der andern den Schleier ab, der das Gesicht der Hospitaliterin bedeckte; doch stumm, unempfindlich, ohne Zorn, ohne Vorwurf, heftete diese ihren sanften, reinen Blick auf den, der sie so grausam verletzte, und sagte: »Oh! Herr Herzog, was Ihr da macht, ist eines Edelmanns unwürdig,«

Joyeuse war im Herzen getroffen, so viel Sanftmut beschwichtigte seinen Zorn, so viel Schönheit brachte seine Vernunft in Verwirrung.

»Es ist wahr,« sagte er nach langem Stillschweigen, »Ihr seid schön, und Henri mußte Euch lieben; doch Gott hat Euch die Schönheit nur gegeben, um sie wie einen Wohlgeruch über ein an das Eure gefesseltes Dasein auszubreiten.«

»Mein Herr, habt Ihr nicht mit Eurem Bruder gesprochen? Oder wenn Ihr mit ihm gesprochen habt, so hielt er es nicht für geeignet, Euch zu seinem Vertrauten zu machen, denn sonst hätte er Euch erzählt, daß ich getan habe, was Ihr sagt; ich habe geliebt, ich werde nicht mehr lieben; ich habe gelebt, ich muß sterben.«

Joyeuse hatte Diana unablässig angeschaut. Die Flamme dieser allmächtigen Blicke war bis in die Tiefe seiner Seele eingedrungen, jenen vulkanischen Feuerausbrüchen ähnlich, die das Erz der Bildsäulen schmelzen, wenn sie nur an ihnen vorüberkommen.

Dieser Strahl hatte alles Üble im Herzen des Admirals verzehrt, das reine Gold verblieb darin, und dieses Herz brach aus wie der Tigel unter dem Flusse des Metalls.

»Oh! ja,« sagte er noch einmal mit leiserer Stimme, indes er fortwährend seinen Blick auf sie heftete, in dem das Feuer des Zornes immer mehr erlosch; »oh! ja, Henri mußte Euch lieben ... Oh! Madame, habt Mitleid, auf den Knien flehe ich Euch an, liebt meinen Bruder.«

Diana blieb kalt und schweigsam.

»Treibt nicht eine Familie bis zum Todeskampf, richtet die Zukunft unseres Geschlechtes nicht zugrunde, laßt nicht den einen aus Verzweiflung, die anderen aus Kummer sterben.«

Diana antwortete nicht und schaute nur fortwährend den vor ihr gebeugten Flehenden traurig an.

»Oh!« rief Joyeuse endlich, indem er wütend seine krampfhaft geballte Faust an sein Herz preßte, »oh! habt Mitleid mit meinem Bruder, habt Mitleid mit mir, ich brenne, dieser Blick versengt mich ... Gott befohlen, Madame, Gott befohlen!«

Er erhob sich wie ein Wahnsinniger, riß die Riegel der Tür des Sprechzimmers auf und entfloh ganz verwirrt bis zu seinen Leuten, die ihn an der Ecke der Rue d'Enfer erwarteten. Seine Hoheit Monseigneur der Herzog von Guise

Am Sonntag, den 10. Juni, ungefähr um elf Uhr, war der ganze Hof in dem Zimmer vor dem Kabinett versammelt, wo seit seinem Zusammentreffen mit Diana von Meridor der Herzog von Anjou langsam und unglücklich hinstarb. Weder die Wissenschaft der Ärzte noch die Verzweiflung seiner Mutter noch die vom König befohlenen Gebete hatten das unselige Ereignis zu beschwören vermocht. Am Morgen des 10. Juni erklärte Miron dem König, es gebe kein Mittel für die Krankheit, und Franz von Anjou würde den Tag nicht überleben.

Der König legte einen großen Schmerz zur Schau und sagte, indem er sich an die Anwesenden wandte:

»Das gibt unsern Feinden viel Hoffnung.«

Worauf die Königin-Mutter erwiderte: »Unser Schicksal liegt in den Händen Gottes, mein Sohn.«

Chicot, der ganz demütig und zerknirscht in der Nähe des Königs stand, sagte ganz leise zu diesem: »Helfen wir Gott, wenn wir können, Sire.«

Nichtsdestoweniger verlor der Kranke gegen halb zwölf Uhr die Farbe und das Gesicht; sein bis dahin offener Mund schloß sich; der Blutfluß, der seit einigen Tagen alle Anwesenden erschreckt hatte, wie einst der Blutschweiß Karls IX., hörte plötzlich auf, und alle Glieder wurden kalt.

Heinrich saß zu den Häupten seines Bruders. Catharina hielt, neben dem Bett sitzend, eine eisige Hand des Sterbenden. Der Bischof von Chateau-Thierry und der Kardinal von Joyeuse sprachen Sterbegebete, die die Anwesenden kniend und mit gefalteten Händen wiederholten.

Gegen Mittag öffnete der Kranke die Augen; die Sonne befreite sich von einer Wolke und übergoß das Bett mit einer goldenen Glorie. Franz, der bis dahin nicht einen Finger hatte rühren können, und dessen Geist wie die Sonne, die wieder erschien, verschleiert gewesen war, Franz hob einen Arm mit der Gebärde eines erschrockenen Menschen zum Himmel empor.

Er schaute umher, hörte die Gebete, fühlte sein Übel und seine Schwäche und erriet seine Lage, vielleicht, weil er schon halb jene finstere, unselige Welt erblickte, wohin gewisse Seelen gehen, nachdem sie die Erde verlassen haben. Dann stieß er einen Schrei aus und schlug sich mit solcher Gewalt vor die Stirn, daß die ganze Versammlung erbebte. Die Stirn faltend, als ob er in seinem Innern eines von den Geheimnissen seines Lebens gelesen hätte, murmelte er: »Bussy ... Diana!«

Dieses letzte Wort hörte niemand als Catharina, mit so schwacher Stimme sprach es der Sterbende. Mit der letzten Silbe dieses Namens gab Franz seinen Geist auf.

Durch ein seltsames Zusammentreffen verschwand in demselben Augenblick die Sonne, die das Wappenschild von Frankreich und die goldenen Lilien bestrahlte; so daß diese Lilien, einen Augenblick zuvor noch glänzend, ebenso düster wurden wie der Azur, den sie vorher mit einem Gestirn schmückten, das nicht minder schimmerte als das, welches das träumerische Auge am Himmel sucht.

Catharina ließ die Hand ihres Sohnes fallen. Heinrich III. schauerte und stützte sich zitternd auf die Schulter Chicots, der ebenfalls schauerte, doch nur wegen der Ehrfurcht die jeder Christ den Toten schuldig ist. Miron hielt einen goldenen Kelchdeckel an Franz' Lippen und sagte, nachdem er ihn einige Sekunden aufmerksam betrachtet hatte: »Monseigneur ist tot.«

Worauf sich ein langer Seufzer in den Vorzimmern als Begleitung des Klagepsalms erhob, den der Kardinal murmelte.

»Tot!« wiederholte der König, der sich in seinem Lehnstuhl bekreuzte. »Der einzige Erbe des Thrones von Frankreich,« murmelte Catharina, die, ihren Platz neben dem Toten verlassend, schon zu dem einzigen Sohn, der ihr blieb, zurückgekehrt war.

»Oh!« sagte Heinrich, »dieser Thron von Frankreich ist sehr weit für einen König ohne Nachkommenschaft; die Krone ist sehr weit für ein einziges Haupt ... Keine Kinder, keine Erben, wer wird mir in der Regierung folgen?«

Als er diese Worte vollendete, erscholl ein gewaltiger Lärm auf der Treppe und in den Sälen.

Nambu stürzte in das Sterbezimmer und meldete: »Seine Hoheit Monseigneur der Herzog von Guise.«

Bestürzt über diese Antwort auf die Frage, die er an sich selbst gerichtet, erbleichte der König, stand auf und schaute seine Mutter an.

Catharina war noch bleicher als ihr Sohn. Bei der Ankündigung dieses furchtbaren Unglücks, das ein Zufall seinem Geschlechte weissagte, ergriff sie die Hand des Königs und drückte sie, als wollte sie ihm sagen: »Hier ist die Gefahr ... doch fürchtet nichts, denn ich bin bei Euch!«

Der Sohn und die Mutter hatten sich in demselben Schrecken und in derselben Drohung begriffen.

Der Herzog trat mit seinen Kapitänen ein. Er erschien mit erhobener Stirn, wenn auch seine Augen den König und das Sterbebett seines Bruders mit einer gewissen Verlegenheit suchten.

Mit jener erhabenen Majestät, die er allein vielleicht in gewissen Augenblicken in seiner so seltsam gemischten Natur fand, hielt Heinrich III. den Herzog durch eine fürstliche Gebärde auf, durch die er ihm den königlichen Leichnam auf dem durch den Todeskampf zerkrümpelten Bett zeigte. Der Herzog beugte sich und fiel langsam auf die Knie. Alles um ihn her neigte das Haupt und bog das Knie. Heinrich III. allein blieb aufrecht bei seiner Mutter stehen, und sein Blick glänzte zum letzten Male vor Stolz.

Chicot erschaute diesen Blick und murmelte ganz leise den andern Vers aus den Psalmen: »Er wird die Mächtigen vom Throne stürzen und die Demütigen erheben.«

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