Zweiter Band

Die Herren Bürger von Paris.

Herr von Mayenne, mit dem man sich so viel im Louvre beschäftigte, ohne daß er es vermutete, entfernte sich aus dem Hotel Guise durch eine Hintertür, gestiefelt und zu Pferd, als ob er gerade von der Reise käme, und begab sich mit drei Edelleuten in den Louvre.

Von seiner Ankunft benachrichtigt, ließ Herr von Epernon seinen Besuch dem König melden, während Herr von Loignac den Fünfundvierzig eine zweite Nachricht zukommen ließ, worauf sich fünfzehn verabredetermaßen in den Vorzimmern, fünfzehn im Hof und vierzehn in ihrer Wohnung aufstellten.

Wir sagen vierzehn, weil Ernauton, der, wie der Leser weiß, einen besonderen Auftrag erhalten hatte, nicht unter seinen Gefährten war. Da jedoch das Gefolge des Herrn von Mayenne durchaus keine Furcht einflößen konnte, so erhielt die zweite Abteilung Erlaubnis, in die Kaserne zurückzukehren.

Bei Seiner Majestät eingeführt, machte Herr von Mayenne ehrfurchtsvoll dem König eine Aufwartung, die dieser liebevoll aufnahm.

»Nun, mein Vetter,« fragte der König, »Ihr besucht Paris wieder einmal?« – »Ja, Sire, ich glaubte in meiner Brüder und in meinem Namen kommen zu müssen, um Eure Majestät daran zu erinnern, daß sie, keine treueren Untertanen hat als uns.« Bei Gott, das ist so bekannt, daß Ihr, abgesehen von dem Vergnügen, das Ihr mir, wie Ihr wißt, durch Euren Besuch macht, Euch in der Tat diese kleine Reise ersparen konntet. Ihr müßt sicherlich noch einen andern Grund gehabt haben.« – »Sire, ich befürchtete, Euer Wohlwollen für das Haus Guise könnte durch die seltsamen Gerüchte leiden, die unsere Feinde seit einiger Zeit in Umlauf bringen.«

»Was für Gerüchte?« fragte der König mit jener Gutmütigkeit, die ihn für die Vertrautesten so gefährlich machte. – »Wie,« fragte Mayenne, etwas aus der Fassung gebracht, »Eure Majestät hätte nichts Ungünstiges über uns reden hören?«

»Mein Vetter, wißt einmal für allemal, daß ich es nicht dulden würde, wenn man hier Schlimmes von den Herren von Guise reden wollte; und da man dies hier besser weiß, als Ihr es zu wissen scheint, so tut man es auch nicht.« – »Dann werde ich nicht bedauern, gekommen zu sein, da ich das Glück habe, meinen König zu sehen und ihn in solcher Stimmung zu finden; nur muß ich gestehen, daß meine Eile unnötig war.«

»Oh! Herzog, Paris ist eine gute Stadt, von der man immer irgendeinen Nutzen zu ziehen hat.« – »Ja, Sire, aber unsere Aufgaben fesseln uns doch an Soissons.«

»Meine, Herzog?« – »Die Eurer Majestät, Sire.«

»Es ist wahr, Mayenne; fahrt also fort, sie zu erfüllen, wie Ihr angefangen habt; ich weiß die Haltung meiner Diener nach Gebühr zu schätzen und anzuerkennen.«

Der Herzog entfernte sich lächelnd, und der König kehrte, sich die Hände reibend, in sein Zimmer zurück.

Loignac machte Ernauton ein Zeichen; dieser sagte seinem Diener ein Wort und schickte sich an, den vier Reitern zu folgen. Der Diener lief in den Stall, und Ernauton folgte zunächst zu Fuß.

Es war keine Gefahr, Herrn von Mayenne zu verlieren; durch Perducas' Schwatzhaftigkeit war die Ankunft eines Prinzen vom Hause Guise in Paris bekannt geworden, und die guten Ligisten fingen an, ihre Häuser zu verlassen und seine Spur aufzusuchen.

Man war ihm bis zum Louvre gefolgt, und hier erwarteten ihn dieselben Leute, um ihn wieder bis zu den Pforten seines Hotels zu begleiten.

Vergebens suchte Mayneville die Eifrigsten zu entfernen, indem er zu ihnen sagte: »Nicht so viel Feuer, meine Freunde, beim wahrhaftigen Gott! Ihr gefährdet uns.«

Trotzdem hatte der Herzog ein Geleite von zwei- bis dreihundert Personen, als er zum Hotel Saint-Denis kam, das er zur Wohnung gewählt hatte.

Es war dadurch Ernauton sehr leicht gemacht, dem Herzog zu folgen, ohne bemerkt zu werden. In dem Augenblick, als der Herzog sich umkehrte, um zu grüßen, glaubte er in einem von den Edelleuten, die zu gleicher Zeit ihn grüßten, den Reiter zu erkennen, der den Pagen oder den der Page begleitete, den er durch die Porte Sainte-Antoine hereingebracht hatte.

Beinahe in demselben Moment und während Mayenne verschwand, durchschnitt eine Sänfte die Menge. Mayneville ging ihr voran, ein Vorhang wurde auf die Seite geschoben, und bei einem Lichtstrahl glaubte Ernauton sowohl seinen Pagen als die Dame von der Porte Sainte-Antoine zu erkennen.

Mayneville und die Dame wechselten ein paar Worte, und die Sänfte verschwand ebenfalls unter dem Torweg des Hotels;, Mayneville folgte der Sänfte und das Tor wurde wieder geschlossen. Einen Augenblick nachher erschien Mayneville auf dem Balkon, dankte den Parisern im Namen des Herzogs und forderte sie, da es spät war, auf, nach Hause zurückzukehren, damit Böswillige ihrer Ansammlung keine schlimme Deutung geben könnten. Darauf entfernten sich alle, mit Ausnahme von zehn Männern, die im Gefolge des Herzogs eingetreten waren. Ernauton entfernte sich wie die andern oder gab sich vielmehr den Anschein, als entfernte er sich. Die zehn Auserwählten, die blieben, waren die Abgeordneten der Lige, die bei Herrn von Mayenne erschienen, um ihm für seine Ankunft zu danken, zugleich aber, um ihn zu beschwören, er möge seinen Bruder zum Kommen bestimmen.

Diese würdigen Bürger hatten in ihren vorbereitenden Versammlungen eine Menge von Plänen ersonnen, denen nur noch die Zustimmung und Unterstützung eines Hauptes fehlte, auf das man zahlen konnte.

Bussy-Leclerc meldete, er habe drei Klöster in der Handhabung der Waffen eingeübt und fünfhundert Bürger eingereiht, das heißt eine Truppe von tausend Mann zur Verfügung gestellt. Lachapelle hatte die Beamten, die Schreiber und das ganze Volk von Paris bearbeitet. Er konnte zugleich den Rat und die Tat anbieten, den Rat in Gestalt von zweihundert Schwarzröcken, die Tat mit zweihundert Stadtbogenschützen.

Brigard hatte die Kaufleute der Rue des Lombards, die Pfeiler der Hallen und der Rue Saint-Denis gewonnen. Crucé hatte die Anwälte mit Lachapelle-Marteau bearbeitet und verfügte dabei noch über die Universität von Paris. Debar brachte die Schiffer und Hafenarbeiter, eine gefährliche Gattung, die etwa fünfhundert Mann zählte. Louchard verfügte über fünfhundert Roßtäuscher und Pferdehändler, wütende Katholiken. Ein Kannengießer namens Bollard und ein Speckhändler namens Gilbert machten sich für fünfzehnhundert Schlächter und Speckhändler der Stadt und der Vorstädte verbindlich. Meister Nicolas Poulain, Chicots Freund, bot die ganze Bevölkerung auf.

Als der Herzog in der Sicherheit seines verschlossenen Zimmers diese Mitteilungen und Anerbietungen vernommen hatte, sagte er: »Ich bewundere die Kräfte der Lige, aber ich sehe das Ziel nicht, das sie mir ohne Zweifel vorschlagen will.«

Meister Lachapelle-Marteau schickte sich an, eine Rede mit drei Teilen zu halten; er pflegte bekanntermaßen sehr weitschweifig zu sein; Mayenne sagte schaudernd: »Machen wir rasch!«

Bussy-Leclerc schnitt Marteau das Wort ab und sagte: »Gnädigster Herr, es verlangt uns nach einer Veränderung, wir sind die Stärkeren und wollen folglich diese Veränderung; das ist kurz, klar und bestimmt.«

»Aber wie werdet Ihr zu Werke gehen, um diese Veränderung zu erreichen?« – »Mir scheint,« antwortete Bussy-Leclerc freimütig, »da der Gedanke der Union von unseren Häuptern herrührt, so ist es an diesen und nicht an uns, das Ziel zu bezeichnen.«

»Meine Herren,« sagte Mayenne, »ihr habt vollkommen recht, das Ziel muß von denen bezeichnet werden, die die Ehre haben, eure Führer zu sein; aber der General hat auch zu beurteilen, in welchem Augenblick die Schlacht geliefert werden soll, und mag er seine Truppen in Reihe und Glied aufgestellt, bewaffnet und voll Eifer sehen, das Signal zum Angriff wird er nur dann geben, wenn er dies tun zu müssen glaubt.«

»Aber, gnädigster Herr,« erwiderte Crucé, »die Lige hat Eile, wie wir uns schon einmal zu sagen erlaubten.«

»Eile, was zu tun, Herr Crucé?« – »Anzukommen.«

»Wo?« – »Bei unserem Ziele; wir haben auch unsern Plan.« –

»Dann ist es etwas anderes,« versetzte Mayenne; »wenn ihr euren Plan habt, vermag ich nichts mehr zu sagen.« – »Ja, gnädigster Herr; doch können wir auf Eure Unterstützung rechnen?«

»Ganz gewiß, wenn dieser Plan mir und meinem Bruder genehm ist?« – »Das ist wahrscheinlich, Monseigneur.«

»So laßt euren Plan hören!«

Die Ligisten schauten sich an; zwei oder drei bedeuteten Lachapelle-Marteau durch ein Zeichen, er möge sprechen. Lachapelle-Marteau trat vor und schien den Herzog um Erlaubnis zu bitten, sich erklären zu dürfen.

»Sprecht!« sagte der Herzog.

»Hört!« begann Lachapelle-Marteau. »Der Gedanke ist Leclerc, Crucé und mir gekommen. Wir haben unsern Plan wohl überlegt, und es ist wahrscheinlich, daß sein Erfolg gewiß ist.«

»Zur Sache, Herr Marteau, zur Sache!«

»Es gibt mehrere befestigte Knotenpunkte in der Stadt, das kleine und das große Chatelet, den Palast des Temple, das Stadthaus, das Arsenal und den Louvre.« – »Das ist wahr,« sagte der Herzog. – »Alle diese Punkte werden durch stehende Garnisonen verteidigt, die jedoch zu überwinden sind, da sie nicht auf einen Handstreich gefaßt sein können.« – »Ich gebe auch dies zu.«

»Die Stadt wird jedoch überdies vom Hauptmann von der Scharwache mit seinen Bogenschützen verteidigt. Wir haben nun folgendes ersonnen:

»Wir nehmen den Hauptmann von der Scharwache in seiner Wohnung fest. Der Handstreich läßt sich ohne Lärm ausführen, da der Ort öde und abgelegen ist.«

Mayenne schüttelte den Kopf und erwiderte: »So öde und abgelegen er sein mag, so sprengt man doch nicht ein gutes Tor und tut nicht etliche und zwanzig Büchsenschüsse ohne Lärm.«

»Wir haben diesen Einwurf vorhergesehen, gnädigster Herr; einer von den Bogenschützen des Hauptmanns von der Scharwache ist uns ergeben. Mitten in der Nacht klopfen wir nun an das Tor; der Bogenschütze öffnet uns und meldet dem Hauptmann, Seine Majestät wolle ihn sprechen. Das ist nichts Auffallendes. Ungefähr einmal im Monat wird dieser Offizier zum König berufen, um Meldungen zu machen und Aufträge in Empfang zu nehmen. Ist das Tor offen, so lassen wir zehn Mann von den Schiffsleuten eintreten und den Hauptmann von der Scharwache expedieren.« – »Das heißt erwürgen.« »Ja, gnädigster Herr. So sind die ersten Befehle zur Verteidigung abgeschnitten. Es ist wahr, es können andere Beamte von den zitternden Bürgern oder den Politikern vorgeschoben werden; da ist der Herr Präsident, sodann der Chevalier d'O., Herr von Chiverney, der Herr Staatsanwalt Laguesle; nun wohl! Man wird sich ihrer Häuser zu gleicher Zeit bemächtigen; die Bartholomäusnacht hat uns gelehrt, wie man das macht, und man wird sie behandeln, wie man den Herrn Hauptmann von der Scharwache behandelt hat.«

»Ah! ah!« rief der Herzog, der die Sache ernst fand.

»Das wird eine vortreffliche Gelegenheit sein, gnädigster Herr, über die Politiker herzufallen, die sämtlich in unseren Quartieren bezeichnet sind, um den religiösen wie den politischen Ketzern den Garaus zu machen.«

»Dies alles ist herrlich,« sagte Mayenne, »doch ihr habt mir nicht erklärt, ob ihr auch in einem Augenblick den Louvre, ein wahres befestigtes Schloß, nehmen werdet, wo beständig Garden und Edelleute wachen. Der König, so furchtsam er auch sein mag, wird sich nicht erwürgen lassen, wie der Hauptmann von der Scharwache; er wird das Schwert ergreifen, und, bedenkt Wohl, er ist der König; seine Gegenwart wird eine große Wirkung auf die Bürger hervorbringen, und man wird euch schlagen.«

»Wir haben viertausend Mann zur Expedition nach dem Louvre ausgewählt, und viertausend Mann lieben den Valois nicht hinreichend, daß seine Gegenwart die von Euch bezeichnete Wirkung hervorbringen dürfte.«

»Ihr glaubt, das werde genügen?« – »Gewiß, wir sind zehn gegen einen,« sagte Bussy-Leclerc.

»Und die Schweizer? Es sind ihrer viertausend, meine Herren!« – »Ja, aber sie stehen in Lagny, und Lagny ist acht Meilen von Paris; nehme ich nun an, der König könne ihnen Nachricht senden, so brauchen die Boten zwei Stunden zu dem Ritt, die Schweizer acht Stunden, um den Weg zu Fuß zurückzulegen, das macht zehn Stunden, und sie werden gerade zu rechter Zeit kommen, um an den Barrieren festgenommen zu werden, denn in zehn Stunden sind wir Herren der ganzen Stadt.«

»Wohl! es sei, ich gebe dies alles zu; der Hauptmann von der Scharwache ist erwürgt; die Politiker sind umgebracht, die Behörden der Stadt sind verschwunden; alle diese Hindernisse sind überwunden; ohne Zweifel habt ihr euch entschieden, was ihr dann tun werdet?« – »Wir machen eine Regierung als ehrliche Leute, wie wir sind,« sagte Brigard, »und wenn wir nur in unserem kleinen Gewerbe mit Vorteil arbeiten, wenn uns das Brot für unsere Frauen und Kinder gesichert ist, verlangen wir nicht mehr. Der Ehrgeiz des einen oder des andern von uns wird ihn vielleicht wünschen lassen, Zehner oder Viertelsmeister oder Kommandant einer Kompagnie zu werden; aber höher streben unsere Wünsche nicht; Ihr seht, daß wir nicht anspruchsvoll sind.«

»Herr Brigard, Ihr sprecht goldene Worte,« sagte der Herzog; »ja, ihr seid ehrlich, ich weiß es wohl, und ihr werdet in euren Reihen keine fremde Mischung dulden.«

»Oh! nein, nein,« riefen mehrere Stimmen, »keine Hefe bei dem guten Wein!«

»Vortrefflich!« rief der Herzog, »das heiße ich sprechen. Laßt nun hören, Herr Leutnant von der Prevoté, sagt, gibt es viele Taugenichtse und schlimmes Voll im Bezirk der Hauptstadt?«

Nicolas Poulain, der sich nicht ein einziges Mal vorangestellt hatte, trat nun gleichsam wider seinen Willen vor und antwortete: »Ja, gnädigster Herr; es gibt nur zu viel.«

»Könnt Ihr uns ungefähr die Zahl dieses Pöbels nennen?« – »Ja, ungefähr.«

»Schätzt ihn also, Meister Poulain.«

Poulain rechnete an den Fingern. »Diebe, drei- bis viertausend. Müßiggänger und Bettler, zweitausend bis zweitausendfünfhundert. Gelegentliche Diebe, fünfzehnhundert bis zweitausend. Mörder, vier- bis fünfhundert.« »Gut, gering gerechnet sind dies sechstausend oder sechstausendfünfhundert Galgenvögel. Welcher Religion gehören diese Leute an?« »Wie beliebt, gnädigster Herr?«

»Sind es Hugenotten oder Katholiken?« – Lachend erwiderte Poulain: »Sie sind von allen Religionen, Monseigneur, oder vielmehr von einer einzigen; ihr Gott ist das Geld, und das Blut ist ihr Prophet.«

Gut, und was ist ihr politisches Glaubensbekenntnis? Sind sie Anhänger von Valois, sind sie Ligisten, eifrige Politiker oder Navarresen?« – »Sie sind Räuber und Diebe.«

»Gnädigster Herr,« sagte Crucé, »glaubt nicht, daß wir diese Menschen je zu Verbündeten nehmen werden!«

»Nein, ich denke das nicht, und das ist es gerade, was mich ärgert.«

»Und warum ärgert Euch das?« fragten erstaunt einige Mitglieder der Deputation. – »Ah! begreift Wohl, meine Herren, diese, Leute, die keine Religion, keine Meinung haben, und die also nichts mit euch verbindet, werden, wenn sie sehen, daß es in Paris keine Behörden, keine öffentliche Macht, kein Königtum mehr gibt, eure Buden plündern, während ihr Krieg führt, und eure Häuser ausleeren, indes ihr den Louvre besetzt; bald werden sie sich an die Schweizer gegen euch, bald an euch gegen die Schweizer anschließen, so daß sie stets die Stärkeren sind.«

»Teufel!« riefen die Deputierten, indem sie einander anschauten.

»Ich denke, das ist ernst genug, um es in Erwägung zu ziehen, nicht wahr, meine Herren?« sagte der Herzog. »Ich meinesteils beschäftige mich sehr viel hiermit und werde ein Mittel suchen, diesem Übel zu begegnen; denn vor allem euer Interesse, das ist der Wahlspruch meines Bruders und der meinige.«

Die Deputierten ließen ein Gemurmel des Beifalls vernehmen.

»Meine Herren, erlaubt einem Mann, der vierundzwanzig Meilen Tag und Nacht zu Pferd zurückgelegt hat, einige Stunden zu schlafen; es ist keine Gefahr im Verzug, wenigstens jetzt nicht, während, wenn ihr handeln würdet, Gefahr vorhanden wäre; das ist vielleicht nicht eure Ansicht?« – »Doch, Herr Herzog,« sagte Brigard.

»Sehr gut.« – »Wir nehmen also untertänigst Abschied von Euch, gnädigster Herr,« fuhr Brigard fort, »und wenn Ihr uns eine neue Zusammenkunft bestimmen wolltet ...«

»Seid unbesorgt, so bald als möglich, meine Herren,« sagte Mayenne; »morgen vielleicht, spätestens übermorgen,« Und er entließ sie, während sie noch ganz betäubt über diese weise Vorsicht waren, die eine Gefahr entdeckt hatte, die ihnen nicht entfernt eingefallen war.

Doch kaum war er verschwunden, als sich eine in der Tapete verborgene Tür öffnete und eine Frau hastig in den Saal trat.

»Die Herzogin!« riefen die Abgeordneten.

»Ja, meine Herren, und sie wird euch der Verlegenheit entziehen,« rief die Herzogin.

Die Abgeordneten, die ihre Entschlossenheit kannten, aber auch ihren Enthusiasmus fürchteten, drängten sich um sie.

»Meine Herren,« fuhr die Herzogin lächelnd fort, »was die Hebräer tun konnten, hat Judith allein getan; hofft! Ich habe auch meinen Plan.«

Und sie reichte den Ligisten zwei weiße Hände, die die Artigsten küßten, und entfernte sich sodann durch die Tür, durch die Mayenne weggegangen war.

»Bei Gott!« rief Bussy-Leclerc, der sich den Schnurrbart leckte und der Herzogin folgte, »das ist entschieden der Mann der Familie!«

»Uff!« murmelte Nicolas Poulain, indem er sich den Schweiß abwischte, der ihm auf die Stirn getreten war, »ich wollte, ich wäre aus allem heraus.«

Bruder Borromée.

Es war ungefähr zehn Uhr abends; die Herren Abgeordneten gingen ziemlich zerknirscht fort und bröckelten an jeder Straßenecke ab.

Nicolas Poulain, der am entferntesten wohnte, ging zuletzt allein und dachte über die peinliche Lage nach, in der er sich befand.

Der Tag war in der Tat für alle und besonders für ihn voll furchtbarer Ereignisse gewesen.

Während er in das tiefste Nachdenken versunken war und durch die enge Rue de la Pierre-au-Réal ging, sah Nicolas Poulain in der entgegengesetzten Richtung einen Jakobiner herbeilaufen, der seinen Rock bis an die Knie aufgeschürzt hatte. Einer mußte ausweichen, denn es konnten nicht zwei Christen nebeneinander in dieser Gasse gehen.

Nicolas Poulain dachte, die mönchische Demut würde ihm, dem Manne des Schwertes, die Höhe des Pflasters überlassen, doch dem war nicht so; der Mönch lief wie ein Hirsch, den man aufgetrieben; er lief so, daß er eine Mauer umgeworfen hätte, und Nicolas Poulain trat brummend, um nicht niedergeworfen zu werden, beiseite.

Nun aber begann für sie in diesem Engpaß die peinliche Lage, die zwischen zwei unentschlossenen Menschen stattfindet, die beide gern vorübergehen möchten, sich nicht hindern wollen und stets sich wieder in die Arme geführt sehen.

Poulain schwur, der Mönch fluchte, und der Kuttenmann packte, minder geduldig als der Schwertmann, diesen um den Leib, um ihn an die Wand zu drücken. Dabei und als sie schon auf dem Punkte waren, handgemein zu werden, erkannten sie sich.

»Bruder Borromée!« sagte Poulain.

»Meister Nicolas Poulain!« rief der Mönch.

»Wie geht's Euch?« fragte Poulain mit jener bewundernswürdigen Freundlichkeit und Zahmheit des Pariser Bürgers. »Sehr schlecht,« erwiderte der Mönch, der viel schwerer zu besänftigen war, als der Laie; »denn Ihr haltet mich auf, und ich habe große Eile.«

»Ihr Teufel von einem Menschen!« versetzte Poulain; »stets kriegerisch wie ein Römer! Aber wohin lauft Ihr zu dieser Stunde in solcher Hast? Brennt die Priorei?«

»Nein, aber ich ging zur Frau Herzogin, um mit Mayneville zu sprechen.«

»Zu welcher Herzogin?« – »Es gibt nur eine, wie mir scheint, bei der man mit Mayneville reden kann.«

»Was wolltet Ihr bei Frau von Montpensier machen?« – »Ei! Mein Gott!« erwiderte Borromée auf eine scheinbare Antwort bedacht, »unser ehrwürdiger Prior sollte auf die Bitte der Frau von Montpensier deren Gewissensrat werden; doch es hat ihn ein Skrupel erfaßt, und er weigert sich, dem Gesuch zu entsprechen. Die Zusammenkunft war auf morgen bestimmt, und ich soll nun im Auftrag Dom Modeste Gorenflots der Herzogin sagen, sie könne nicht auf ihn rechnen.«

»Sehr gut, aber, mein lieber Bruder, Ihr seht mir nicht aus, als ginget Ihr nach dem Hotel Guise; ich sage sogar noch mehr, Ihr wendet ihm den Rücken zu.« – »Das ist wahr, denn ich komme davon her.«

»Aber wohin geht Ihr?« – »Man hat mir im Hotel gesagt, die Frau Herzogin mache einen Besuch bei Herrn von Mayenne, der diesen Abend angekommen sei und im Hotel Saint-Denis wohne.«

»Reine Wahrheit... der Herzog ist wirklich im Hotel Saint-Denis, und die Frau Herzogin bei ihm; aber, Gevatter, ich bitte Euch, wozu soll es nützen, daß Ihr den Schlauen gegen mich spielt? Der Säckelmeister ist es gewöhnlich nicht, den man die Kommissionen des Klosters besorgen läßt.« – »Bei einer Prinzessin, warum nicht?«

»Und Ihr, der Vertraute Maynevilles, glaubt nicht an die Beichten der Frau Herzogin von Montpensier?« – »Woran sollte ich denn glauben?« »Was, zum Teufel, mein Lieber, Ihr wißt wohl, wie weit die Mitte der Straße von der Priorei entfernt ist, da Ihr es mich habt ausmessen lassen; nehmt Euch in acht! Ihr sagt mir so wenig, daß ich vielleicht zu viel glauben werde.«

»Und Ihr habt unrecht, lieber Herr Poulain, ich weiß nichts anderes, haltet mich nicht länger zurück, ich bitte Euch, denn ich würde die Frau Herzogin nicht mehr finden.«

Als Borromée den Weg frei sah, warf er Nicolas Poulain leichthin einen guten Abend zu und enteilte durch die geöffnete Gasse.

»Oh! oh! abermals etwas Neues,« sagte Nicolas Poulain zu sich selbst, während er dem allmählich im Schatten verschwindenden Jakobiner nachschaute; doch welches Bedürfnis habe ich, in des Teufels Namen! alles zu erfahren, was vorgeht? Sollte ich etwa Geschmack an dem Handwerk finden, das ich zu treiben verdammt bin? Pfui doch!«

Und er legte sich zu Bette, nicht mit der Ruhe eines guten Gewissens, sondern mit der Ruhe, die uns in allen Lagen dieser Welt die Unterstützung eines Stärkeren, als wir sind, gewährt.

Mittlerweile setzte Borromée seinen Lauf noch eiliger fort und kam, ganz schwitzend und schnaufend, im Hotel Saint-Denis in dem Augenblick an, als der Herzog, nachdem er mit Frau von Montpensier ihre wichtigen Angelegenheiten besprochen, sich von seiner Schwester verabschiedete, um nun jene Dame der Cité besuchen zu können, über die sich Joyeuse, wie wir wissen, zu beklagen hatte.

Nach mehreren Bemerkungen über den Empfang des Königs und über den Plan der Bürger, kamen Bruder und Schwester dahin überein: der König habe keinen Verdacht und sei immer leichter angreifbar.

Das Wichtigste sei, die Lige in den nördlichen Provinzen zu organisieren, während der König seinen Bruder im Stiche lasse und Heinrich von Navarra vergesse.

Von den beiden letzteren Feinden sei der Herzog von Anjou allein mit seinem dumpfen Ehrgeiz zu fürchten; von Heinrich von Navarra wisse man durch gutunterrichtete Spione, daß er sich nur um seine Liebesangelegenheiten mit seinen drei oder vier Mätressen bekümmere.

»Paris ist vorbereitet,« sagte Mayenne laut; »doch ihre Verbindung mit der königlichen Familie gibt den Politikern und den wahren Royalisten Kraft; man muß einen Bruch zwischen dem König und seinen Verbündeten abwarten; bei dem unbeständigen Charakter Heinrichs kann dieser Bruch nicht lange ausbleiben. Da jedoch nichts drängt, so warten wir.«

»Ich,« sagte die Herzogin ganz leise, »hatte zehn Männer nötig, um Paris zu dem Streiche aufzuwiegeln, auf den ich sinne; ich habe diese zehn Männer gefunden und verlange nichts mehr.«

So weit waren sie, als Mayneville plötzlich eintrat und meldete, Bruder Borromée wolle den Herrn Herzog sprechen.

»Borromée?« sagte der Herzog erstaunt, »wer ist das?« – »Gnädigster Herr,« antwortete Mayneville, »es ist der Mann, den Ihr von Nancy schicktet, als ich Eure Hoheit um einen Mann voll Energie und Geist bat.«

»Ich erinnere mich; ich antwortete Euch, ich hätte beides in einem, und schickte Euch den Kapitän Borroville. Hat er seinen Namen verändert und heißt jetzt Borromée?« – »Ja, gnädigster Herr, den Namen und die Uniform. Er nennt sich Borromée und ist Jakobiner.«

»Borroville Jakobiner?« – »Ja, Herr Herzog.«

»Und warum ist er denn Jakobiner? Der Teufel muß sehr gelacht haben, als er ihn unter der Kutte erkannte.« – »Warum er Jakobiner ist, Ihr sollt es später erfahren, es ist nicht unser Geheimnis, Monseigneur, und mittlerweile hören wir ihn an!«

»Ja, um so mehr, als mich sein Besuch beunruhigt,« sagte Frau von Montpensier.

»Und mich auch, ich gestehe es,« fügte Mayneville bei. »So führt ihn also, ohne einen Augenblick zu verlieren, ein,« rief die Herzogin.

Der Herzog schwebte zwischen dem Verlangen, den Boten zu hören, und der Furcht, das Rendezvous bei der Geliebten zu versäumen. Er schaute nach der Tür und auf die Uhr.

»Ei! Borroville,« rief der Herzog, der sich trotz seiner üblen Laune des Lachens nicht enthalten konnte, »wie seid Ihr verkleidet, mein Freund!«

»Gnädigster Herr,« sagte der Kapitän, »es ist mir in der Tat sehr unbehaglich unter dem verteufelten Rock, aber was sein muß, muß sein, wie Herr von Guise, der Vater, sagte.«

»Ich habe Euch nicht in diesen Rock gesteckt,« erwiderte der Herzog; »und Ihr dürft mir deshalb nicht grollen.«

»Nein, die Frau Herzogin hat es getan, doch ich bin ihr darum nicht böse, weil ich in ihrem Dienste darin stecke.«

»Gut, empfangt meinen Dank, Kapitän; und nun laßt hören, was habt Ihr uns noch so spät zu sagen?«

In Eile berichtete Borromée, der König habe Joyeuse mit dreitausend Mann seinem Bruder Anjou zu Hilfe geschickt und sende zugleich einen Boten mit einem Brief an Heinrich von Navarra. Es sei ein gewisser Briquet, den er seinem sonderbaren Aussehen nach beschrieb.

»Gottes Tod! Den Brief müssen wir haben,« rief der Herzog und fügte hinzu: »Ihr sagt, er sei ein Freund des Priors?« – »Ja, von der Zeit her, wo dieser noch einfacher Mönch war.«

»Oh! ich habe einen Verdacht und werde mir Aufklärung verschaffen,« rief Mayenne.

»Tut das geschwinde, denn weit geschlitzt, wie er ist, muß dieser Bursche tüchtig marschieren.«

»Borroville,« sagte Mayenne, »Ihr werdet nach Soissons abreisen, wo mein Bruder ist.«

»Aber die Priorei, gnädigster Herr?« – »Seid Ihr so verlegen, Dom Gorenflot eine Geschichte zu erzählen? Glaubt er nicht, was Ihr ihn glauben machen wollt? Ihr sagt Herrn von Guise alles, was Ihr von der Sendung des Herrn von Joyeuse wißt.« – »Gut, Monseigneur.«

»Und Navarra, vergeßt Ihr Navarra, Mayenne?« sagte die Herzogin. – »Ich vergesse es so wenig, daß ich dies selbst übernehme,« erwiderte Mayenne. »Man sattle mir ein frisches Pferd, Mayneville.«

Dann fügte er leise hinzu: »Sollte er noch leben?... Oh! ja, er muß leben!«

Chicot der Lateiner.

Man erinnert sich, daß Chicot nach der Entfernung der jungen Leute raschen Schrittes marschiert war. Sobald sie aber an einem Abhange verschwanden, blieb Chicot, der wie ein Argus das Vorrecht, von hinten zu sehen, zu haben schien, auf dem Höhepunkte des Hügels stehen, schaute spähend ringsum, und als er sicher war, daß ihn niemand beobachtete, setzte er sich an den Rand eines Grabens, lehnte den Rücken an einen Baum und fing das an, was er seine Gewissensprüfung nannte.

Er hatte zwei Börsen, denn es war ihm nicht entgangen, daß der ihm von Sainte-Maline übergebene Beutel außer dem königlichen Brief gewisse runde, rollende Gegenstände enthielt, die ungemein Gold oder gemünztem Silber glichen. Der Beutel selbst war eine wahre königliche Börse, mit zwei H bezeichnet, von denen das eine unten, das andere oben aufgestickt.

»Das ist hübsch,« sagte Chicot, indem er die Börse betrachtete, »das ist reizend vom König! Sein Name, sein Wappen! Man kann nicht großmütiger und nicht alberner sein. Sehen wir zuerst, wieviel Geld in der Börse ist, den Brief untersuchen wir hernach... hundert Taler, gerade die Summe, die ich von Gorenflot entlehnt habe... Das ist in der Tat königlich. Ah! ich bitte um Verzeihung, wir wollen nicht verleumden. Hier ist ein kleines Päckchen spanisches Gold... fünf Quadrupel... äußerst delikat; sehr hübsch, Henriquet! Diese Börse belästigt mich; es kommt mir vor, als müßten die Vögel, die über meinem Kopfe hinfliegen, mich für einen königlichen Sendboten halten und verspotten oder, was noch schlimmer ist, mich den Vorübergehenden als solchen angeben.«

Chicot leerte seine Börse in seine hohle Hand, zog aus seiner Tasche den einfachen linnenen Sack Gorenflots, schob das Gold und das Silber hinein und sagte zu den Talern: »Ihr könnt ruhig beisammen bleiben, meine Kinder, denn ihr kommt aus demselben Land.«

»Das ist für mich,« sagte Chicot, »nun wollen wir für Heinrich arbeiten.«

Und er nahm den Brief des Königs, den er auf den Boden gelegt hatte, um den Beutel leichter in das Wasser zu schleudern. Doch es kam des Weges ein mit Holz beladener Esel, den zwei Frauen führten, und der so stolz einherschritt, als ob er statt des Holzes Reliquien trüge.

Chicot verbarg den Brief unter seiner breiten Hand, die er auf den Boden gestützt hatte, und ließ sie vorüberziehen. Sobald er wieder allein war, nahm er den Brief, zerriß den Umschlag und zerbrach das Siegel mit der unstörbarsten Ruhe. Dann nahm er den Umschlag wieder, rollte ihn zusammen, zermalmte das Siegel zwischen zwei Steinen und schleuderte alles dem Beutel nach.

»Nun wollen wir uns einmal den Stil betrachten,« sagte Chicot.

Und er entfaltete den Brief und las: »›Teuerster Bruder, die tiefe Liebe, die unser teuerster Bruder, der selige König Karl IX., für Euch hegte, wohnt noch unter den Gewölben des Louvre und hält beharrlich stand in meinem Herzen.‹

Chicot verbeugte sich.

»Es widerstrebt mir auch, daß ich über traurige, ärgerliche Dinge mit Euch sprechen muß; doch Ihr seid stark im Mißgeschick; ich zögere daher nicht, Euch diese Dinge mitzuteilen, die man nur mutigen und erprobten Freunden sagt.«

Chicot unterbrach sich mit einer abermaligen Verbeugung.

»Überdies habe ich ein königliches Interesse, Euch zu überzeugen; dieses Interesse ist die Ehre meines Namens und des Eurigen, mein Bruder.

»Wir gleichen uns in dem Punkt, daß wir alle von Feinden umgeben sind. Chicot wird Euch das erklären.«

»Chicotus explicabit,« sagte Chicot.

»Euer Diener, der Herr Vicomte von Turenne, gibt täglich Anlaß zu Ärgernis an Eurem Hofe; Gott verhüte es, daß ich in Eure Angelegenheiten schaue, wenn nicht für Euer Bestes und für Eure Ehre, aber Eure Frau, die ich zu meinem großen Bedauern meine Schwester nenne, sollte mehr Rücksicht für Euch haben, was sie nicht tut.«

»Oh! oh!« sagte Chicot, in seinen lateinischen Übersetzungen fortfahrend: »Quaeque omittit facere«. Das ist hart.«

»Ich fordere Euch daher auf, mein Bruder, darüber zu wachen, daß das Verhältnis Margots mit dem Vicomte von Turenne, der mit unseren Feinden in Verbindung steht, dem Hause Bourbon nicht Schmach und Schaden bringe. Statuiert ein gutes Beispiel, sobald Ihr der Sache sicher seid, und versichert Euch der Sache, sobald Ihr Chicot meinen Brief habt erklären hören.«

»Statim atque audiveris chicotum litteras explicantem. Fahren wir fort.«

»Es wäre ärgerlich, wenn der geringste Verdacht über der Legitimität Eurer Nachkommenschaft schwebte, mein Bruder, ein kostbarer Punkt, an den zu denken Gott mir verbietet, denn leider bin ich verurteilt, nicht in Nachkommen wiederaufzuleben. ›Die zwei Schuldigen, die ich Euch als Bruder und als König bezeichne, halten ihre Zusammenkünfte meistens in einem kleinen Schloß, das man Loignac nennt; dieses Schloß ist dabei ein Herd von Intrigen, denen die Herren von Guise nicht fremd find; denn Ihr wißt ohne allen Zweifel, mein lieber Heinrich, mit welch seltsamer Liebe meine Schwester Heinrich von Guise und meinen eigenen Bruder Herrn von Anjou zur Zeit verfolgt hat, wo ich selbst noch diesen Namen führte, und er Herzog von Alençon hieß.‹

»Quo et quam irregulari amore sit persecuta et Henricum Guisium et germanum meum etc.«

›Ich umarme Euch und empfehle Euch meinen Rat, bereit, Euch in allem und für alles zu unterstützen. Mittlerweile bedient Euch der Ratschläge Chicots, den ich Euch schicke.‹

» Age auctore Chicoto. Gut, nun bin ich Rat des Königreichs Navarra.«

›Euer wohlgewogener usw. usw.‹«

Nachdem er so gelesen, legte Chicot seinen Kopf in seine Hände und sagte: »Oh! mir scheint, das ist ein böser Auftrag, eine schlimmere Gefahr als Mayenne. In der Tat, Mayenne ist mir lieber.

»Und dennoch ist der Brief, abgesehen von seinem gestickten Beutel, den ich ihm beim Teufel nicht verzeihe, das Werk eines geschickten Mannes. Angenommen, daß Henriot von dem Teig geknetet ist, aus dem man gewöhnlich Ehemänner macht, so entzweit ihn dieser Brief mit einem Schlag mit seiner Frau, mit Turenne, Anjou, Guise und sogar mit Spanien. Um im Louvre so gut von dem unterrichtet zu sein, was bei Heinrich von Navarra in Pau vorgeht, muß Heinrich von Valois einen Spion dort haben, und dieser Spion wird Henriot ungemein ärgern.

»Andererseits wird mir dieser Brief viele Unannehmlichkeiten zuziehen, wenn ich einen Spanier, einen Lothringer, einen Bearner oder einen Flamländer treffe, der neugierig genug ist, wissen zu wollen, warum man mich nach Bearn schickt.

»Oh! ich wäre sehr unvorsichtig, wenn ich mich nicht auf das Begegnen mit einem solchen Neugierigen gefaßt machte. Täusche ich mich nicht sehr, so muß besonders Herr Borromée etwas gegen mich im Schilde führen.

»Zweiter Punkt.

»Was hat Chicot gesucht, als er eine Sendung zu König Heinrich verlangte? Die Ruhe war sein Ziel.

»Nun wird Chicot den König von Navarra mit seiner Frau entzweien.

»Das ist nicht Chicots Sache, da er sich, wenn er so mächtige Personen entzweit, Todfeinde machen muß, die ihn hindern werden, das glückliche Alter von achtzig Jahren zu erreichen.

»Meiner Treu, desto besser, man lebt nur gut, solange man jung ist. Aber es wäre ebensoviel wert, den Messerstich des Herrn von Mayenne zu erwarten.

»Nein, denn es muß Gegenseitigkeit in allen Dingen stattfinden, das ist Chicots Wahlspruch.«

So weiter philosophierend, beschloß er, seine Reise fortzusetzen. Zunächst aber übersetzte er den Brief ins Lateinische und prägte ihn seinem Gedächtnisse ein, sodann zerriß er das Papier in unzählige kleine Fetzen, die er sorglich in alle Winde zerstreute. Inzwischen kam er in die Stadt Corbeil, wo er in aller Eile ein Mahl nahm und sodann dem Wirt einen Klepper abkaufte, mit dem er seine Reise fortsetzte.

Wir wollen das Mahl nicht beschreiben, das er zu sich nahm; wir werden es nicht einmal versuchen, das Pferd zu schildern, das er im Stalle des Gastwirts kaufte; das wäre eine zu harte Aufgabe für uns; wir sagen nur, daß das Mahl lange genug währte, und daß das Pferd mangelhaft genug war, um uns, wenn unser Gewissen minder groß wäre, Stoff zu beinahe einem Bande zu liefern.

Die vier Winde.

Chicot ritt auf seinem kleinen Pferde, das ein sehr starkes Pferd sein mußte, um eine so große Person zu tragen, nach Fontainebleau, wo er über Nacht blieb, und machte am anderen Morgen eine Wendung nach rechts, einem kleinen Dorfe namens Orgeval zu. Er hätte gern an diesem Tage noch einige Meilen zurückgelegt, denn es schien ihn zu drängen, sich von Paris zu entfernen, aber sein Roß fing an, so häufig zu stolpern, daß er glaubte anhalten zu müssen.

Überdies hatten seine sonst so geübten Augen den ganzen Weg entlang nichts bemerkt. Menschen, Wagen, Barrieren waren ihm völlig harmlos vorgekommen.

Doch obgleich scheinbar sicher, lebte Chicot nicht in Sicherheit; niemand, unsere Leser müssen dies wissen, glaubte und traute weniger dem Anschein als Chicot.

Ehe er sich niederlegte und sein Pferd rasten ließ, untersuchte er mit der größten Sorgfalt das ganze Haus. Man zeigte ihm sehr hübsche Zimmer mit drei oder vier Eingängen, doch nach Chicots Ansicht hatten diese Zimmer nicht nur zu viele Türen, sondern die Türen schlossen auch nicht gut genug.

Der Wirt hatte ein großes Kabinett ausbessern lassen, mit einer einzigen Tür, die auf die Treppe ging und im Innern mit furchtbaren Riegeln versehen war.

In diesem Kabinett ließ er sich ein Bett aufschlagen. Er ließ die Riegel in ihren Schließkappen spielen, bestellte das Abendessen in sein Kabinett, speiste, verbot den Tisch wegzunehmen unter dem Vorwand, es befalle ihn oft in der Nacht ein Heißhunger, entkleidete sich sodann, legte seine Kleider auf einen Stuhl und ging zu Bette.

Doch ehe er zu Bette ging, zog er zu größerer Sicherheit seine Börse oder vielmehr den Sack mit Talern aus seinen Kleidern und legte ihn mit seinem guten Schwerte unter sein Kopfkissen. Dann wiederholte er dreimal in seinem Geiste den Brief.

Der Tisch bildete für ihn ein zweites Fort, und dennoch dünkte ihm dieser Wall nicht stark genug; er stand auf, nahm einen Schrank in seine Arme und stellte ihn vor den Ausgang, den er dadurch hermetisch verschloß. Er hatte also zwischen sich und jedem möglichen Angriffe eine Tür, einen Schrank und einen Tisch.

Das Wirtshaus hatte Chicot beinahe unbewohnt geschienen. Der Wirt hatte ein ehrliches Gesicht; es ging an diesem Abend ein Wind, um den Ochsen die Hörner auszureißen, und man hörte in den benachbarten Bäumen das furchtbare Krachen, das ein so süßes, so gastliches Geräusch für den wohlbewahrten, in einem guten Bett ausgestreckten Reisenden ist.

Nachdem Chicot alle seine Verteidigungsanstalten getroffen hatte, versenkte er sich behaglich in sein Lager. Es ist nicht zu leugnen, das Bett war weich und so eingerichtet, daß es einen Mann vor jeder Beunruhigung bewahrte, käme sie von Menschen oder Dingen.

Als Mann von Geist nahm Chicot noch ein neu erschienenes Buch eines Maire von Bordeaux, den man Montagne oder Montaigne, nannte, vor. Es geschah indessen, daß er, während er sein achtes Kapitel las, entschlief. Die Lampe brannte noch; die Tür war, durch den Schrank und den Tisch befestigt, geschlossen; das Schwert lag mit den Talern unter dem Kopfkissen. Der Erzengel Michael würde geschlafen haben wie Chicot, ohne an Satan zu denken, selbst wenn er den brüllenden Löwen jenseits der Tür gehabt hätte...

Während er jedoch schlief, kam es Chicot vor, als ob der Sturm heftiger würde, und besonders, als ob er auf eine ungewöhnliche Weise näherkäme. Plötzlich erschüttert ein Windstoß von unbesiegbarer Kraft die Tür, sprengt Schließkappen und Riegel und schlägt an den Schrank, der sein Gleichgewicht verliert, auf die Lampe fällt, die erlischt, und den Tisch umstürzt.

Es war Chicot gegeben, während er gut schlief, leicht und rasch und mit aller Geistesgegenwart zu erwachen; diese Geistesgegenwart deutete ihm an, lieber in den Gang hinter dem Bett zu schlüpfen, als vorn hinauszusteigen. Während er nun in den Bettgang schlüpfte, fuhren seine raschen, geübten Hände links nach dem Geldsack und rechts nach dem Griffe des Schwertes.

Chicot riß die Augen weit auf. Es war tiefe Nacht. Chicot öffnete die Ohren, und es schien ihm, als ob diese Nacht buchstäblich durch den Kampf der vier Winde zerrissen würde, die sich das ganze Zimmer streitig machten... von dem Schrank, den der Tisch immer mehr zerdrückte, bis zu den Stühlen, die rollten und sich stießen, während sie sich an die anderen Gerätschaften anhingen.

Bei diesem ganzen Lärm kam es Chicot vor, als wären die vier Windgötter in Fleisch und Knochen bei ihm eingetreten, und als hätte er es mit Eurus, Notus, Aquilo und Boreas mit ihren dicken Backen und besonders mit ihren dicken Füßen zu tun.

Chicot fügte sich, weil er begriff, daß er gegen diese Götter nichts zu tun vermochte, und kauerte sich in die Ecke seines Bettganges. Nur hielt er die Spitze seines Schwertes vorgestreckt gegen den Wind oder vielmehr gegen die Winde. Nach einigen Minuten des abscheulichsten Gepolters, das je ein menschliches Ohr zerrissen, benutzte Chicot jedoch einen Augenblick der Rast und schrie: »Zu Hilfe!«

Kurz, Chicot machte ganz allein so viel Lärm, daß die Elemente sich besänftigten, und nach sechs oder acht Minuten, während deren Eurus, Notus, Boreas und Aquilo sich fechtend zurückzugehen schienen, kam der Wirt mit einer Laterne und beleuchtete das Drama.

Die Szene, auf der es gespielt hatte, bot einen kläglichen Anblick und glich sehr einem Schlachtfelde. Der große Schrank entblößte, auf den zermalmten Tisch gestürzt, die angellose Tür, die, nur noch von einem Riegel gehalten, hin und her schwankte wie das Segel eines Schiffes; die drei oder vier Stühle des Kabinetts hatten den Rücken umgedreht und die Füße in der Luft. Das Geschirr, das auf dem Tisch gestanden hatte, lag, in tausend Stücke zerbrochen, auf dem Boden.

»Ist denn hier die Hölle los!« rief Chicot, als er den Wirt beim Scheine der Laterne erkannte.

»Ah! mein Herr,« rief der Wirt, da er den furchtbaren Schaden bemerkte, der angerichtet war; »oh! mein Herr, was ist denn geschehen?«

Und er hob die Hände und folglich auch seine Laterne zum Himmel.

»Sprecht, mein Freund, wieviel Teufel wohnen bei Euch?« brüllte Chicot.

»Oh! Jesus! Welch ein Wetter!« erwiderte der Wirt mit derselben pathetischen Gebärde.

»Eure Riegel halten also nicht?« fuhr Chicot fort, »Euer Haus ist ein Kartenhaus? Ich will lieber von hier weggehen, ich ziehe das freie Feld vor.«

Und Chicot erhob sich aus seinem Bettgange und erschien, das Schwert in der Hand, in dem Raum, der zwischen dem Fuße des Bettes und der Wand freigeblieben war.

»Oh! Meine armen Möbel!« seufzte der Wirt.

»Und meine Kleider!« rief Chicot. »Wo sind sie, meine Kleider, die auf diesem Stuhle lagen?« – »Eure Kleider,« erwiderte der Wirt mit großer Naivität, »wenn sie hier waren, so müssen sie noch hier sein.«

»Wie... wenn sie hier waren, glaubt Ihr denn etwa, ich sei gestern in dem Kostüm gekommen, in dem Ihr mich jetzt seht?« Hierbei suchte sich Chicot vergebens in sein leichtes Hemd zu hüllen. – »Mein Gott!« sagte der Wirt, verlegen, was er auf ein solches Argument antworten sollte, »ich weiß wohl, daß Ihr angekleidet wart.«

»Es ist ein Glück, daß Ihr dies zugesteht.« – »Aber ...«

»Was aber?« – »Der Wind hat alles geöffnet, alles zerstreut.«

»Ah! das ist ein Grund.« – »Ihr seht wohl,« rief der Wirt lebhaft.

»Wenn der Wind irgendwo hereinkommt, so kommt er doch aber von außen.« – »Ganz gewiß.«

»Wohl! der Wind mußte also, da er hier hereinkam, die Kleider von anderen in mein Zimmer bringen, statt die meinigen, ich weiß nicht wohin, fortzutragen.« – »Oh! bei Gott, ja, das scheint mir so. Indessen ist der Beweis vom Gegenteil vorhanden, oder er scheint vorhanden zu sein.«

»Gevatter,« sagte Chicot, der mit seinem forschenden Auge den Boden untersucht hatte, »Gevatter, welchen Weg hat der Wind genommen, um mich hier aufzufinden?« – »Wie beliebt?«

»Ich frage, woher der Wind komme.« – »Von Norden, mein Herr, von Norden.«

»Er ist im Kot marschiert, denn hier sind Eindrücke seiner Schuh« auf dem Boden.« Chicot bezeichnete wirklich auf den Platten die frische Spur einer kotigen Fußbekleidung. – Der Wirt erbleichte.

»Soll ich Euch nun einen guten Rat geben,« sagte Chicot, »so ist es der, daß Ihr solche Winde gut bewacht, die in die Wirtshäuser kommen, die Türen sprengen, in die Zimmer eindringen und, wenn sie sich entfernen, die Kleider der Reisenden stehlen.«

Der Wirt wich zwei Schritte zurück, um sich von all dem umgeworfenen Gerät freizumachen und dem Hausflur nahezukommen. Dann sagte er: »Warum nennt Ihr mich einen Dieb?«

»Ei! was habt Ihr denn mit Eurem ehrlichen, gutmütigen Gesicht gemacht?« fragte Chicot; »ich finde Euch ganz verändert.« – »Ich verändere mich, weil Ihr mich beleidigt.«

»Ich?« – »Allerdings,« versetzte der Wirt mit einem noch stärkeren Tone, der beinahe einer Drohung glich.

»Ich nenne Euch einen Dieb, weil Ihr für meine Sachen verantwortlich seid, wie mir scheint, und weil man mir meine Sachen gestohlen hat; Ihr werdet das nicht leugnen?« Und nun war es Chicot, der eine Gebärde der Drohung machte.

»Holla!« rief der Wirt, »holla! herbei, ihr Leute!«

Auf diesen Ruf erschienen vier mit Stöcken bewaffnete Männer auf der Treppe.

»Alle Wetter! Hier kommen Eurus, Notus, Aquilo und Boreas!« rief Chicot. »Da sich die Gelegenheit bietet, so will ich die Erde des Nordwinds berauben; ich leiste der Menschheit dadurch einen Dienst; es wird ein ewiger Frühling sein.«

Und er führte einen so gewaltigen Streich in der Richtung des nächsten Angreifers, daß dieser, hätte er nicht mit der Leichtigkeit eines wahren Windgottes einen Sprung rückwärts gemacht, tot niedergestreckt worden wäre.

Da er jedoch dabei Chicot anschaute und folglich nicht rückwärts sehen könnte, so fiel er auf den Rand der letzten Stufe der Treppe, die er, unfähig, seinen Schwerpunkt zu behaupten, hinunterrollte. Das war ein Signal für die drei anderen, welche durch die vor ihnen oder vielmehr hinter ihnen geöffnete Mündung mit der Geschwindigkeit von Gespenstern verschwanden, die sich in eine Falltür stürzen.

Der letzte, der verschwand, fand indessen, während seine Gefährten hinabeilten, Zeit, dem Wirte einige Worte ins Ohr zu sagen.

»Es ist gut, es ist gut!« brummte dieser, »man wird Eure Kleider wiederfinden.«

»Das ist alles, was ich verlange.« – »Und man wird sie Euch bringen.«

»Gut, gut! nicht nackt zu gehen, ist, wie mir scheint, ein billiger Wunsch.«

Man brachte wirklich die Kleider.

»Oh! oh!« rief Chicot. »Ich muß Euch eine Ehrenklärung geben! Wie konnte ich Euch im Verdacht haben! Ihr seht so ehrlich aus!«

Der Wirt lächelte gar lieblich und erwiderte: »Und nun werdet Ihr wohl wieder schlafen, denke ich?« – »Nein, ich danke, ich habe genug geschlafen.«

»Was wollt Ihr denn tun?« – »Ihr leiht mir Eure Laterne, wenn's beliebt, und ich lese,« antwortete Chicot mit derselben Freundlichkeit.

Der Wirt sagte nichts, er reichte nur Chicot die Laterne und entfernte sich. Chicot richtete den Schrank wieder an der Tür auf und steckte sich in sein Bett.

Die Nacht war ruhig; der Wind hatte sich gelegt, als wäre Chicots Schwert in den Schlauch gedrungen, der ihn enthielt.

Bei Tagesanbruch verlangte der Gesandte sein Pferd, bezahlte seine Rechnung und sagte, als er wegritt: »Wir werden heute abend sehen.«

Wie Chicot seine Reise fortsetzte, und was ihm dabei begegnete.

Chicot brachte den ganzen Morgen damit zu, daß er sich Beifall zu der Kaltblütigkeit und Geduld spendete, die er in der Nacht erprobt hatte.

»Aber,« dachte er, »man fängt einen alten Wolf nicht zweimal in derselben Falle; es ist also beinahe gewiß, daß man heute eine neue Teufelei gegen mich ersinnen wird; wir wollen daher auf unserer Hut sein.«

Die Folge dieses äußerst klugen Schlusses war, daß Chicot diesen ganzen Tag einen Marsch machte, den Xenophon in seinem Rückzug der Zehntausend zu verewigen nicht für unwürdig gehalten haben würde.

Jeder Baum, jede Veränderung des Terrains, jede Mauer, diente ihm als Beobachtungspunkt oder als natürliches Festungswerk. Sogar Bündnisse schloß er unterwegs.

Vier dicke Pariser Krämer, die in Orleans ihre Konfitüren und in Limoges ihre getrockneten Früchte bestellen wollten, ließen sich herbei, Chicot, der sich für einen Strumpfwirker ausgab, in ihre Gesellschaft aufzunehmen. Der Bund bestand also aus fünf Herren und vier Kommis. Wir wollen nicht behaupten, daß Chicot große Achtung vor der Tapferkeit seiner Gefährten hegte, aber jedenfalls ist das Sprichwort wahr, das sagt, drei Feige haben beisammen weniger Furcht, als ein Braver ganz allein. Chicot hielt es nun nicht mehr für nötig, sich umzudrehen.

So erreichte man, viel politisierend und viel prahlend, die zum Abendessen und Nachtlager gewählte Stadt. Man speiste zu Nacht, man trank tüchtig, und jeder ging in sein Zimmer.

Chicot hatte während des Mahles weder seine spöttische Redseligkeit, die seine Gefährten ergötzte, noch den Muskat und den Burgunder geschont, die ihn in der Begeisterung erhielten. Man hatte unter Handelsleuten, das heißt unter freien Männern, wenig Umstände mit Seiner Majestät dem König von Frankreich und allen übrigen Majestäten gemacht, mochten sie nun von Lothringen, von Navarra, von Flandern oder von anderen Ländern sein.

Chicot legte sich nieder, nachdem er sich mit seinen vier Händlern, die ihn gleichsam im Triumph in sein Zimmer geleiteten, für den anderen Morgen verabredet hatte. Er sah sich wie ein Fürst von den vier Reisenden bewacht, deren vier Zimmer vor dem seinigen kamen, das am Ende des Ganges lag und folglich durch die dazwischenliegenden Außenforts uneinnehmbar war.

Chicot konnte also, ohne sich gegen seine gewöhnliche Klugheit zu verfehlen, zu Bette gehen und einschlafen. Er konnte dies um so eher tun, als er zur Verstärkung der Vorsicht ängstlich das Zimmer untersucht, die Riegel seiner Tür vorgeschoben, und die Laden seines Fensters, des einzigen in seiner Stube, geschlossen hatte.

Aber es trat während seines ersten Schlafes ein Ereignis ein, das auch der Weiseste nicht hätte voraussehen können. Um halb zehn Uhr wurde schüchtern an die Tür der vier Kommis geklopft, die alle vier beisammen in einer Dachstube über ihren Herren wohnten. Der eine öffnete in ziemlich übler Laune und stand dem Wirt gegenüber.

»Meine Herren,« sagte dieser, »ich sehe mit Vergnügen, daß ihr euch ganz angekleidet niedergelegt habt; ich will euch einen großen Dienst erweisen. Eure Patrone haben sich bei Tische an politischen Gesprächen sehr erhitzt. Es scheint, ein Beamter hat sie gehört und ihre Reden dem Maire hinterbracht. Unsere Stadt tut sich etwas darauf zu gut, treu zu sein, der Maire schickte die Wache, die eure Herren festgenommen und nach dem Rathause gebracht hat, wo sie sich erklären müssen. Das Gefängnis ist ganz nahe beim Rathaus; macht euch daher auf die Beine, eure Maultiere erwarten euch, eure Patrone werden euch wohl einholen.«

Die vier Kommis sprangen wie junge Ziegen, stürzten nach der Treppe, bestiegen zitternd ihre Maultiere und schlugen wieder den Weg nach Paris ein, nachdem sie den Wirt beauftragt hatten, die Herren von ihrer Abreise und von der Richtung, die sie genommen, in Kenntnis zu setzen, wenn sie etwa in den Gasthof zurückkämen.

Sobald der Wirt die vier Kommis an der Straßenecke verschwinden sah, klopfte er mit derselben Vorsicht an die erste Tür des Korridors, wo der erste Kaufmann schlief, und sagte ihm leise: »Man hat Euch bei Tisch den König schmähen hören, und der Maire ist davon durch einen Spion unterrichtet worden, worauf er sich hierher begeben. Zum Glück hatte ich den Gedanken, ihm das Zimmer Eurer Kommis zu bezeichnen, so daß er eben beschäftigt ist, diese oben zu verhaften, statt Euch hier festzunehmen.«

»Oh! oh! Was sagt Ihr mir da,« versetzte der Kaufmann.

»Die reine Wahrheit. Flüchtet eiligst, solange die Treppe noch frei ist...«

»Aber meine Gefährten?« – »Ihr werdet keine Zeit haben, sie zu benachrichtigen.«

»Arme Leute!« sagte der Kaufmann und kleidete sich in aller Hast an.

Währenddessen klopfte der Wirt, wie von einer plötzlichen Eingebung berührt, mit dem Finger an den Verschlag, der den ersten Kaufmann vom zweiten schied. Auf dieselben Worte und dieselbe Fabel öffnete der zweite sacht die Tür; erweckt wie der zweite, rief der dritte dem vierten, und leicht, wie ein Flug Schwalben, verschwanden alle vier, die Arme zum Himmel erhebend und auf den Fußspitzen marschierend.

»Der arme Strumpfwirker,« sagten sie, »auf ihn wird alles fallen; es ist nicht zu leugnen, er hat am meisten gesprochen. Meiner Treu! er mag sich Hüten, denn der Wirt hat nicht mehr Zeit gehabt, ihn zu warnen wie uns.«

Meister Chicot war in der Tat, wie man begreift, nicht benachrichtigt worden. In dem Augenblick, als die Kaufleute, ihn Gott empfehlend, entflohen, lag er im tiefsten Schlafe.

Der Wirt versicherte sich dessen, indem er an der Tür horchte; dann ging er in die untere Stube, deren sorgfältig verschlossene Tür sich auf ein Zeichen von ihm öffnete. Er nahm seine Mütze ab und trat ein.

Die Stube war von sechs bewaffneten Männern besetzt, von denen einer der Befehlshaber zu sein schien.

»Nun!« sagte der letztere. – »Herr Offizier, ich habe in allen Punkten gehorcht.«

»Ist Euer Wirtshaus verlassen?« – »Durchaus.«

»Die Person, die wir Euch bezeichnet haben, ist weder geweckt noch benachrichtigt worden?« – »Weder geweckt noch benachrichtigt.«

»Herr Wirt, Ihr wißt, in wessen Namen wir handeln; Ihr wißt, welcher Sache wir dienen, denn Ihr seid selbst ein Verteidiger der heiligen Sache.« – »Ja, gewiß, Herr Offizier; Ihr seht auch, daß ich, um meinem Schwure zu gehorchen, das Geld opferte, das meine Gäste bei mir verzehrt hatten; doch es ist in diesem Schwur gesagt: Ich werde meine Habe zur Verteidigung der heiligen katholischen Religion opfern.«

»Und mein Leben!... Ihr vergeßt dieses Wort,« sagte der Offizier mit stolzem Tone. – »Mein Gott!« rief der Wirt, die Hände faltend, »verlangt man mein Leben von mir? Ich habe Weib und Kinder!«

»Man wird es nur von Euch verlangen, wenn Ihr nicht blindlings dem gehorcht, was man Euch befiehlt.« – »Oh! ich werde gehorchen, seid unbesorgt.«

»Dann legt Euch zu Bette; schließt die Türen, und was Ihr auch hören oder sehen möget, geht nicht heraus, und sollte Euer Haus brennen oder über Eurem Haupte zusammenstürzen. Ihr seht, Eure Rolle ist nicht schwierig.« – »Ach, ach! ich bin zugrunde gerichtet,« murmelte der Wirt.

»Man hat mich beauftragt, Euch zu entschädigen, nehmt diese dreißig Taler.« – »Mein Haus für dreißig Taler!« versetzte der Wirt mit kläglichem Tone.

»Ei! bei Gott! Man wird Euch nicht eine einzige Scheibe zerbrechen, Ihr Flenner... Pfui! Welche gemeinen Streiter der heiligen Lige haben wir da...«

Der Wirt entfernte sich und schloß sich ein.

Nun befahl der Offizier den zwei am besten bewaffneten Leuten, sich unter Chicots Fenster zu stellen. Er selbst stieg mit drei anderen zu seinem Zimmer hinauf.

»Ihr wißt den Befehl?« sagte der Offizier. »Wenn er öffnet, wenn er sich durchsuchen läßt, wenn wir bei ihm finden, was wir haben wollen, soll ihm nicht das geringste Leid getan werden; geschieht das Gegenteil, so bekommt er einen guten Dolchstoß, einen Dolchstoß, versteht Ihr? Nichts von Pistole oder Büchse. Überdies ist es unnötig, da wir zu vier gegen einen sind.«

Man kam zur Tür. Der Offizier klopfte.

»Wer ist da?« fragte Chicot, plötzlich erweckt.

»Bei Gott! wir müssen listig sein,« sagte der Offizier.

»Eure Freunde, die Händler, die Euch etwas Wichtiges mitzuteilen haben,« antwortete er.

»Oh! oh!« rief Chicot, »der Wein von gestern hat Eure Stimmen sehr angeschwellt, meine Freunde.«

Der Offizier milderte seine Stimme und sagte im weichsten Tone: »Öffnet doch, lieber Gefährte und Freund!«

»Alle Wetter, wie Euer Gewürz nach Eisen riecht!«

»Ah! Du willst nicht öffnen!« rief ungeduldig der Offizier; »also drauf, stoßt die Tür ein!«

Chicot lief an das Fenster, öffnete es und sah unten die zwei bloßen Schwerter.

»Ich bin gefangen,« rief er.

»Ah! ah! Gevatter,« sagte der Offizier, der gehört hatte, wie er das Fenster öffnete. »Du fürchtest den gefährlichen Sprung und hast recht. Vorwärts, öffne uns, öffne!«

»Wahrhaftig, nein,« erwiderte Chicot, »die Tür ist fest, und man wird mir zu Hilfe kommen, wenn Ihr Lärm macht.«

Der Offizier brach in ein Gelächter aus und befahl den Soldaten, die Angeln loszubrechen.

Chicot brüllte, um die Kaufleute herbeizurufen.

»Dummkopf!« sagte der Offizier. »Glaubst du, wir hätten dir Hilfe gelassen? Du täuschest dich, du bist ganz allein und folglich verloren. Auf, mache gute Miene zum bösen Spiel... Und ihr, Leute, rührt euch!« Chicot hörte drei Musketenkolben mit der Gewalt und der Regelmäßigkeit von drei Widdern gegen die Tür stoßen.

»Es sind da drei Musketen und ein Offizier,« sagte er, »unten sind nur zwei Degen; fünfzehn Fuß zu springen, ist eine Erbärmlichkeit. Ich ziehe die Degen den Musketen vor.«

Und er band seinen Sack an seinen Gürtel und stieg, ohne zu zögern, sein Schwert in der Hand haltend, auf den Rand des Fensters. Die Männer unten hielten ihre Klinge in die Luft. Aber Chicot hatte richtig gerechnet. Nie wird ein Mensch, und wäre er ein Riese, den Sturz eines anderen erwarten, und wäre dieser ein Zweig, wenn der letztere Mensch ihn töten kann, indem er sich tötet. Die Soldaten veränderten ihre Taktik und wichen zurück, entschlossen, auf Chicot einzuhauen, wenn er gefallen wäre.

Darauf machte sich der Gaskogner gefaßt. Er sprang als gewandter Mann auf die Fußspitzen und blieb gekauert; in demselben Augenblick versetzte ihm einer von den Leuten einen Stich, der eine Mauer durchdrungen hätte.

Aber Chicot gab sich nicht einmal die Mühe zu parieren, er empfing den Stoß mitten auf bei Brust; doch auf dem Panzerhemd Gorenflots zerbrach die Klinge seines Feindes wie Glas.

»Er ist gepanzert,« sagte der Soldat.

»Bei Gott!« erwiderte Chicot, der ihm schon mit einem Hieb mit verkehrter Hand den Kopf gespalten hatte.

Wer andere schrie und war nur noch darauf bedacht zu parieren, denn Chicot griff ihn an. Leider besaß er nicht einmal die Stärke von Jacques Clement. Chicot streckte ihn beim zweiten Ausfall neben seinem Kameraden nieder, so daß der Offizier, als er nach Sprengung der Tür aus dem Fenster schaute, nur noch seine in ihrem Blute schwimmenden Soldaten sah. Fünfzig Schritte von den Sterbenden entfloh Chicot in aller Ruhe.

»Das ist ein Teufel,« rief der Offizier, »er hat die Eisenprobe.«

»Ja, aber nicht die, Bleiprobe,« erwiderte ein Soldat, auf ihn anschlagend.

»Unglücklicher!« rief der Offizier, indem er die Muskete aufhob, »kein Geräusch! Du wirst die ganze Stadt aufwecken; wir finden ihn morgen.«

»Oh!« sagte philosophisch einer von den Soldaten, »man hätte unten vier Mann aufstellen sollen und oben nur zwei.«

»Du bist ein Einfaltspinsel!« erwiderte der Offizier.

»Wir wollen sehen, was der Herzog zu ihm sagt,« brummte der Soldat, um sich zu trösten. Und er setzte den Kolben seiner Muskete auf die Erde.

Dritter Reisetag.

Chicot entfloh so gemächlich, weil er sich in Etampes befand, das heißt mitten unter einer Bevölkerung und unter dem Schutz von Behörden, die auf sein erstes Ersuchen Gerechtigkeit geübt und selbst den Herzog von Guise verhaftet hätten.

Seine Gegner begriffen das sehr wohl; der Offizier verbot auch, wie wir sahen, auf die Gefahr, Chicot entfliehen zu lassen, seinen Soldaten, von Schußwaffen Gebrauch zu machen.

Chicot suchte vergebens seine Kaufleute und ihre Kommis. Dann war er so kühn, als er an der Ecke einer benachbarten Straße die Tritte von Pferden sich hatte entfernen hören, in den Gasthof zurückzukehren.

Er fand den Wirt, der sein Gleichgewicht noch nicht wiedererlangt hatte und ihn sein Pferd im Stall satteln ließ, wobei er ihn mit einem Erstaunen ansah, als ob er ein Gespenst wäre.

Chicot benutzte diese wohlwollende Verwunderung, um seine Zeche nicht zu bezahlen, die der Wirt sich seinerseits wohl hütete, von ihm zu fordern. Dann brachte er die Nacht vollends in dem großen Saale eines andern Wirtshauses mitten unter Trinkern zu, die nicht ahnten, daß der lange Unbekannte mit dem lächelnden Gesicht und der freundlichen Miene soeben zwei Männer erschlagen habe.

Der Tagesanbruch fand ihn auf der Landstraße, von einer Unruhe heimgesucht, die sich von Augenblick zu Augenblick vermehrte. Zwei Versuche waren gescheitert, ein dritter konnte unheilvoll für ihn werden.

Zuerst nahm er sich vor, sobald er in Orleans wäre, dem König einen Eilboten zu schicken und ihn zu bitten, ihm von Stadt zu Stadt ein Geleite zu geben.

Da aber die Straße bis Orleans verlassen und vollkommen sicher war, so dachte Chicot, er würde unnötigerweise feige erscheinen, weshalb er den Schritt unterließ. Doch nach Orleans fühlte Chicot seine Angst sich verdoppeln; es war bald vier Uhr und es kam daher der Abend. Die Straße war von Gebüschen begrenzt, als ob man im Walde ginge, und stieg wie eine Leiter aufwärts; der Reisende war daher wie das Schwarze in der Scheibe für jeden, der ein Verlangen gefühlt hätte, ihm eine Büchsenkugel zuzusenden.

Plötzlich hörte Chicot in der Ferne ein Geräusch, ähnlich dem Gepolter, das galoppierende Pferde auf trockenem Boden machen. Er wandte sich um und sah unten am Abhang, den er zur Hälfte hinter sich hatte, Reiter, die mit verhängten Zügeln heraufsprengten; es waren ihrer sieben, von denen vier Musketen auf der Schulter hatten.

Die Pferde dieser Reiter liefen viel schneller als Chicots Pferd. Dieser wollte sich durchaus nicht in einen Kampf der Geschwindigkeit einlassen, der ihm nur schaden konnte. Er ließ nur sein Pferd im Zickzack gehen, damit die Bogenschützen kein festes Ziel hätten.

In der Tat wurde auch Chicot in dem Augenblick, als die Reiter noch fünfzig Schritte von ihm entfernt waren, mit vier Schüssen begrüßt, von denen drei, der Richtung folgend, in der die Reiter schossen, über seinem Kopfe hingingen.

Chicot erwartete also diese vier Büchsenschüsse und hatte auch zum voraus seinen Plan gemacht. Als er die Kugeln pfeifen hörte, ließ er die Zügel los und glitt von seinem Pferde herab. Er war so vorsichtig gewesen, sein Schwert aus der Scheide zu ziehen, und hielt in der linken Hand einen Dolch so schneidend wie ein Rasiermesser und so spitzig wie eine Nadel.

Er fiel also, und dies so, daß seine Beine wie gebogene Federn waren, bereit, sich sofort wieder zu entspannen. Durch die Stellung, die er im Fallen genommen, war sein Kopf zugleich durch die Brust seines Pferdes geschützt.

Ein Freudenschrei erhob sich aus der Gruppe der Reiter, die Chicot für tot hielten.

»Ich sagte es Euch wohl, Dummkopf,« rief, im Galopp herbeisprengend, ein Verlarvter, »Ihr habt alles verfehlt, weil man nicht buchstäblich meinen Befehlen gehorchte. Diesmal liegt er unten. Man durchsuche ihn, mag er tot oder lebendig sein, und wenn er sich rührt, mache man ihm den Garaus.« – »Sehr Wohl, gnädiger Herr,« sagte ehrfurchtsvoll einer von den Leuten.

Sie stiegen alle ab, mit Ausnahme eines Mannes, der die Zügel zusammenfaßte und die Pferde bewachte. Chicot war nicht gerade ein frommer Mann, doch in solchen Augenblicken dachte er daran, daß es einen Gott gibt, und daß der Sünder vielleicht, ehe fünf Minuten vergingen, vor seinem Richter stände. Er murmelte ein finsteres, glühendes Gebet, das sicher oben gehört wurde.

Zwei Männer näherten sich ihm; beide mit dem Schwert in der Hand.

Aus der Art, wie Chicot seufzte, sah man wohl, daß er nicht tot war. Da er sich aber nicht rührte, so beging der eifrigere von beiden die Unklugheit, sich dem Bereiche der linken Hand zu nähern; wie von einer Feder geschleudert, drang ihm sogleich der Dolch in seine Gurgel, wo sich das Stichblatt wie auf weichem Wachs eindrückte. Zugleich verschwand die Hälfte des Schwertes, das Chicot in der rechten Hand hielt, in den Lenden des zweiten Reiters, der entfliehen wollte.

»Bei Gott!« rief der Anführer, »das ist Verrat. Schlagt an, der Bursche ist noch sehr lebendig.« »Gewiß, ich bin noch sehr lebendig,« rief Chicot, dessen Augen Blitze schleuderten, und rasch wie der Gedanke warf er sich auf den Anführer und setzte ihm die Spitze des Dolches auf die Larve.

Doch schon hielten ihn zwei Soldaten umfangen; er wandte sich um, durchschlug einen Schenkel mit einem gewaltigen Schwertstreich und war frei.

»Kinder! Kinder! Mord und Tod, greift zu den Büchsen,« rief der Anführer.

»Ehe die Büchsen fertig sind,« sagte Chicot, »habe ich dir die Eingeweide geöffnet, Schurke, und die Stricke deiner Maske durchschnitten, daß ich weiß wer du bist?«

»Haltet fest, Herr, haltet fest, und ich werde Euch beschützen,« rief eine Stimme, bei deren Klang Chicot glaubte, sie komme vom Himmel.

Es war die Stimme eines schönen jungen Mannes, der auf einem guten Rappen ritt. Er hatte zwei Pistolen in der Hand und rief Chicot zu: »Bückt Euch, bückt Euch, beim Himmel! bückt Euch doch!«

Chicot gehorchte.

Ein Pistolenschuß krachte, und ein Mann, der seinen Degen fallen ließ, wälzte sich zu den Füßen Chicots.

Indessen schlugen sich die Pferde; die drei überlebenden Reiter wollten die Steigbügel wieder erreichen, aber es gelang ihnen nicht; der junge Mann feuerte einen zweiten Pistolenschuß, der abermals einen Soldaten niederwarf. »Zwei gegen zwei,« sagte Chicot; »edler Retter, nehmt Euren Mann, hier ist der meinige.«

Und er drang auf den verlarvten Reiter ein, der ihm indessen, zitternd vor Wut oder vor Furcht, wie ein in der Handhabung der Waffen geübter Mann standhielt.

Wer junge Mann hatte seinerseits seinen Feind um den Leib gefaßt, niedergeworfen, ohne nur das Schwert in die Hand zu nehmen und knebelte ihn mit seiner Degenkuppel wie ein Lamm auf der Schlachtbank.

Als sich Chicot einem einzigen Feinde gegenübersah, gewann er wieder seine Kaltblütigkeit und folglich seine Überlegenheit.

Er griff seinen Gegner, der ziemlich beleibt war, gewaltig an, drängte ihn an den Graben der Straße zurück und brachte ihm auf eine Sekundfinte einen Degenstich mitten in die Rippen bei. Der Mann fiel. Chicot setzte den Fuß auf das Schwert des Besiegten, daß er es nicht mehr fassen konnte, durchschnitt mit seinem Dolche die Schnüre der Larve und rief: »Herr von Mayenne! ... Alle Wetter! ich vermutete es.«

Der Herzog antwortete nicht; er war halb durch den Blutverlust, halb durch das Gewicht des Sturzes, ohnmächtig geworden.

Chicot kratzte sich an seiner Nase, wie er es bei einer schwierigen Überlegung zu tun pflegte. Nachdem er eine halbe Minute nachgedacht, schlug er seinen Ärmel zurück, nahm seinen breiten Dolch und näherte sich dem Herzog, um ihm den Kopf abzuschneiden.

Da fühlte er aber, wie ein eiserner Arm den seinen preßte, und er hörte eine Stimme sagen: »Alles schön und gut, mein Herr, doch man tötet einen am Boden liegenden Feind nicht.«

»Junger Mann,« erwiderte Chicot, »es ist wahr. Ihr habt mir das, Leben gerettet, und ich danke Euch von ganzem Herzen dafür; doch laßt Euch sagen: Wenn ein Mensch in drei Tagen drei Angriffe ausgehalten hat, wenn er dreimal in Lebensgefahr gewesen, wenn er noch ganz warm ist von dem Blute seiner Feinde, die, ohne irgendeine Herausforderung, vier Büchsenschüsse nach ihm abfeuerten, wie nach einem wütenden Wolf, dann, junger Mann, kann dieser Mutige, erlaubt mir, es zu sagen, kühn tun, was ich tun werde.«

Und Chicot nahm seinen Feind wieder beim Hals, um seine Operation zu vollenden. Doch auch diesmal hielt ihn der junge Mann zurück und sagte: »Ihr werdet das nicht tun, wenigstens nicht, solange ich da bin. Man vergießt nicht so Blut wie das, welches der Wunde entströmt, die Ihr schon gemacht habt.«

»Bah!« sagte Chicot erstaunt, »Ihr kennt diesen Elenden?«

»Dieser Elende ist der Herr Herzog von Mayenne, ein Fürst, an Größe vielen Königen gleich.«

»Ein Grund mehr,« sagte Chicot mit düsterem Tone... »Doch Ihr, wer seid Ihr?«

»Ich bin der, der Euch das Leben gerettet,« antwortete kalt der junge Mann.

»Und der mir, wenn ich mich nicht täusche, vor drei Tagen bei Charenton einen Brief vom König übergeben hat.« – »Ganz richtig.«

»Dann seid Ihr im Dienst des Königs?« – »Ich habe die Ehre.«

»Und während Ihr im Dienst des Königs seid, schont Ihr Herrn von Mayenne? Gottes Tod! Erlaubt mir, Euch zu sagen, daß dies nicht das Benehmen eines guten Dieners ist.« – »Ich glaube im Gegenteil, daß ich in diesem Augenblick der gute Diener des Königs bin.«

»Vielleicht,« erwiderte Chicot traurig; »doch es ist hier nicht der Ort und die Zeit zu philosophieren. Wie heißt Ihr?« – »Ernauton von Carmainges.«

»Nun, Herr Ernauton, was machen wir mit diesem dicken Aas, das an Größe allen Königen der Erde gleich ist? Denn ich suche das weite Feld, das sage ich Euch zum voraus.« – »Ich werde über Herrn von Mayenne wachen.«

»Und was macht Ihr mit dem Gesellen, der dort horcht?« – »Der arme Teufel hört nichts, ich habe ihn, wie mir scheint, zu fest zusammengeschnürt, er ist ohnmächtig.«

»Herr von Carmainges, Ihr habt mir das Leben gerettet, doch Ihr gefährdet es furchtbar für später.« – »Ich tue heute meine Pflicht, Gott wird für die Zukunft sorgen.« – »Es geschehe also, wie Ihr wünscht. Überdies widerstrebt es mir, diesen wehrlosen Menschen zu töten, obgleich er mein grausamster Feind ist. Gott befohlen, mein Herr.« Nach diesen Worten drückte Chicot Ernauton die Hand. »Er hat vielleicht recht,« sagte er, während er sich entfernte, um sein Pferd wieder zu besteigen. Dann kehrte er noch einmal um und sagte: »Ihr habt hier im ganzen sieben gute Pferde; ich glaube vier für meinen Anteil gewonnen zu haben; helft mir eins auswählen... Ihr versteht Euch darauf?« – »Nehmt das meinige,« erwiderte Ernauton, »ich weiß, was es zu leisten vermag.«

»Oh! das ist zu viel Großmut, behaltet es für Euch.« – »Nein, ich brauche nicht so schnell zu marschieren.«

Chicot ließ sich nicht bitten. Er schwang sich auf Ernautons Pferd und verschwand.

Ernauton von Carmainges.

Ernauton blieb auf dem Schlachtfeld, ziemlich verlegen darüber, was er mit den zwei Feinden machen sollte, die voraussichtlich bald ihre Augen wieder in seinen Armen öffneten.

Da indes keine Gefahr war, daß sie sich entfernten, ging der junge Mann weg, um Hilfe zu suchen, und fand auch bald, was er suchte.

Ein Wagen, von zwei Ochsen gezogen und von einem Bauern geführt, erschien oben auf dem Berge, kräftig sich von einem durch das Feuer der untergehenden Sonne geröteten Himmel abhebend.

Ernauton redete den Führer an, er erzählte ihm, es habe ein Kampf zwischen Hugenotten und Katholiken stattgefunden, dieser Kampf sei für vier tödlich gewesen, zwei hatten ihn jedoch überlebt. Obwohl zum Tode erschrocken, half der Bauer dem jungen Mann, zuerst Herrn von Mayenne und sodann den Soldaten, der immer noch die Augen geschlossen hielt, auf seinen Wagen tragen.

Im Stalle dieses Bauern, auf einem guten Strohlager, kam Herr von Mayenne wieder zum Bewußtsein. Er öffnete die Augen und schaute sich mit einem leicht begreiflichen Erstaunen um.

Sofort entließ Ernauton den Bauern.

»Wer seid Ihr, mein Herr?« fragte Mayenne. – Lächelnd erwiderte Ernauton: »Erkennt Ihr mich nicht?«

»Doch wohl,« sagte der Herzog, die Stirn faltend, »Ihr seid, der, der meinem Feind zu Hilfe gekommen ist.« –

»Ja, ich bin aber auch der, der Euren Feind verhindert hat, Euch zu töten.«

»Das muß so sein, da ich lebe, wenn er mich nicht etwa tot glaubte.« – »Er entfernte sich, während er Euch lebend wußte.«

»Er hielt wenigstens meine Wunde für tödlich.« – »Ich weiß es nicht; wenn ich mich aber nicht widersetzt hätte, würde er Euch eine beigebracht haben, die es sicher gewesen wäre.«

»Aber warum habt Ihr denn meine Leute töten helfen, um hernach diesen Menschen zu hindern, daß er mich töte?« –

»Das ist ganz einfach, mein Herr, und ich wundere mich, daß ein Edelmann, – Ihr scheint mir einer zu sein, – mein Benehmen nicht begreift. Der Zufall führte mich auf die Straße, der Ihr folgtet, ich sah mehrere Männer einen einzigen angreifen, ich verteidigte den einzelnen Mann; als dieser Tapfere, dem ich zu Hilfe kam – denn wer er auch sein mag, tapfer ist dieser Mann –, mit Euch allein kämpfend, den Sieg hatte, und ich sah, daß er diesen Sieg mißbrauchen wollte, da trat ich mit meinem Schwerte dazwischen.«

»Ihr kennt mich also? – »Ich brauche Euch nicht zu kennen; ich weiß, daß Ihr ein Verwundeter seid, und das genügt mir.«

»Seid offenherzig, Ihr kennt mich.« – »Es ist seltsam, daß Ihr mich nicht begreifen wollt; ich finde es durchaus nicht edler, einen wehrlosen Menschen zu töten, als zu sechs einen Vorübergehenden anzugreifen.«

»Ihr gesteht aber zu, daß es für jedes Ding Gründe geben kann?« – Ernauton verbeugte sich, antwortete aber nicht.

»Habt Ihr nicht gesehen, daß ich allein den Degen mit diesem Menschen kreuzte?« »Es ist wahr, ich habe es gesehen.«

»Dieser Mensch ist mein Todfeind.« – »Ich glaube es, denn er hat mir dasselbe von Euch gesagt.«

»Und wenn ich meine Wunde überlebe...« – »Das geht mich nichts an, Ihr mögt nach Eurem Belieben handeln, mein Herr.«

»Haltet Ihr mich für sehr gefährlich verwundet?« – »Ich habe Eure Wunde untersucht, mein Herr, und ich glaube, daß sie zwar schwer, aber nicht tödlich ist. Das Eisen ist, wie mir scheint, an den Rippen abgeglitten und nicht in die Brust gedrungen. Atmet, und ich hoffe, Ihr werdet keinen Schmerz in der Gegend der Lunge empfinden.«

Mayenne atmete mühsam, aber ohne ein inneres Leiden.

»Es ist wahr,« sagte er; »doch die Menschen, die bei mir waren?« – »Sind tot, mit Ausnahme eines einzigen.«

»Man hat sie also auf der Straße liegen lassen?« –

»Ja.«

»Hat man sie durchsucht?« – »Der Bauer, den Ihr gesehen habt, und der unser Wirt ist, besorgte das.

»Was hat er bei ihnen gefunden?« – »Etwas Geld.« »Und Papiere?« – »Ich weiß nichts davon.« »Ah!« machte Mayenne mit offenbarer Befriedigung. –

»Übrigens könnt Ihr Euch bei dem, der noch lebt, erkundigen.«

»Wo ist er?« – »In der Scheune, zwei Schritte von hier.«

»Schafft mich zu ihm, oder schafft ihn vielmehr zu mir, und wenn Ihr, ein Ehrenmann seid, schwört mir, keine Frage an ihn zu richten.« – »Ich bin nicht neugierig, mein Herr, und will von dieser Suche nichts weiter wissen.«

Der Herzog schaute Ernauton mit einem Überreste von Unruhe an.

»Mein Herr,« sagte Ernauton, »ich wäre glücklich, wenn Ihr einem andern den Auftrag erteiltet, den Ihr mir geben wollt.«

»Ich habe unrecht, mein Herr, und ich erkenne es,« erwiderte Mayenne; »habt die Gefälligkeit, mir den Dienst zu leisten, um den ich Euch bitte.«

Fünf Minuten nachher trat der Soldat in den Stall. Er stieß einen Schrei aus, als er den Herzog erblickte; dieser aber hatte die Kraft, den Finger auf die Lippen zu legen; der Soldat schwieg sogleich.

»Mein Herr,« sagte Mayenne zu Ernauton, »mein Dank wird ewig währen, und eines Tages werden wir uns unter besseren Umständen wiederfinden; darf ich Euch fragen, mit wem ich zu sprechen die Ehre habe?«

»Ich bin der Vicomte Ernauton von Carmainges.«

»Ihr folgtet dem Wege nach Beaugency.« – »Ja.«

»Dann habe ich Euch gehindert, und Ihr könnt vielleicht diese Nacht nicht weiter reisen?« – »Im Gegenteil, ich gedenke sogleich wieder aufzubrechen.«

»Nach Beaugency?« – Ernauton schaute Mayenne wie ein Mensch an, den dieses Drängen unangenehm berührt. »Nach Paris,« sagte er. Der Herzog schien erstaunt. »Verzeiht,« fuhr er fort, »aber es ist seltsam, daß Ihr, nach Beaugency reitend und durch einen unvorhergesehenen Umstand aufgehalten, das Ziel Eurer Reise verfehlt habt.«

»Nichts kann einfacher sein,« entgegnete Ernauton, »ich begab mich zu einem Stelldichein. Da mich unser Abenteuer hier anhielt, so verfehlte ich die verabredete Zeit und kehre nun zurück.«

Mayenne suchte vergeblich auf Ernautons unempfindlichem Gesicht einen andern Gedanken zu lesen, als den seine Worte ausdrückten.

»Oh!« sagte er endlich, »warum bleibt Ihr nicht einige Tage bei mir! Ich würde meinen Soldaten hier nach Paris schicken, um einen Wundarzt holen zu lassen, denn nicht wahr, Ihr begreift, daß ich nicht allein bei den mir völlig unbekannten Bauern verweilen kann.«

»Und warum,« entgegnete Ernauton, »sollte nicht Euer Soldat bei Euch bleiben und ich Euch einen Wundarzt schicken?«

Mayenne zögerte. »Wißt Ihr den Namen meines Feindes?« fragte er. – »Nein,«

»Wie, Ihr habt ihm das Leben gerettet und er hat Euch nicht einmal seinen Namen gesagt?« – »Ich habe ihn nicht danach gefragt.«

»Ihr habt ihn nicht danach gefragt?« – »Ich rettete Euch auch das Leben, habe ich Euch deshalb nach dem Eurigen gefragt? Dafür wißt Ihr beide den meinigen.«

»Ich sehe, daß nichts von Euch zu erfahren ist, und daß Ihr ebenso verschwiegen wie mutig seid.« – »Und ich sehe, daß Ihr diese Worte mit der Absicht eines Vorwurfs aussprecht, und ich bedaure dies; denn in der Tat, was Euch beunruhigt, sollte Euch gerade beruhigen. Man kann nicht verschwiegen gegen einen sein, ohne es gegen den andern zu sein.«

»Ihr habt recht; Eure Hand, Herr von Carmainges.«

Ernauton gab ihm die Hand, doch ohne daß irgend etwas in seiner Gebärde andeutete, er wisse, daß er einem Prinzen die Hand reiche.

»Ihr habt mein Benehmen getadelt,« sagte Mayenne, »ich kann mich nicht rechtfertigen, ohne große Geheimnisse zu enthüllen. Es ist, glaube ich, besser, wenn wir unsere Bekenntnisse nicht weiter treiben.« – »Ihr verteidigt, während ich nicht anklage. Glaubt mir, es steht Euch vollkommen frei, zu sprechen oder zu schweigen.« »Ich danke und schweige. Wißt nur, daß ich ein Edelmann von gutem Hause und in der Lage bin, Euch jedes Vergnügen zu machen.« – »Lassen wir das ruhen, und glaubt mir, daß ich ebenso diskret in Beziehung auf Euren Kredit sein werde, wie ich es hinsichtlich Eures Namens gewesen bin. Bei dem Herrn, dem ich diene, brauche ich niemand.«

»Welchem Herrn?« fragte Mayenne unruhig, »welchem Herrn, wenn es Euch beliebt?« – »Oh! keine Bekenntnisse mehr! Ihr habt es selbst gesagt.«

»Das ist richtig,« – »Und dann fängt Eure Wunde an, sich zu entzünden; glaubt mir, sprecht weniger!«

»Ihr habt recht. Oh! ich sollte notwendig meinen Wundarzt haben.« – »Ich kehre nach Paris zurück, wie ich Euch zu sagen die Ehre hatte; gebt mir seine Adresse!«

Mayenne machte dem Soldaten ein Zeichen, und dieser näherte sich ihm, dann sprachen sie leise miteinander, wobei sich Ernauton entfernte.

Nach einigen Minuten der Beratung wandte sich der Herzog nach Ernauton um und sagte: »Herr von Carmainges, Euer Ehrenwort, daß Ihr, wenn ich Euch einen Brief an jemand einhändigte, diesen Brief an die betreffende Person überliefern würdet?« – »Ich gebe es Euch.«

»Und ich glaube ihm. Ihr seid ein zu wackerer Mann, als daß ich Euch nicht blindlings vertrauen sollte.« Ernauton verbeugte sich. »Ich will Euch einen Teil meines Geheimnisses anvertrauen, ich gehöre, zu den Leibwachen der Frau Herzogin von Montpensier.« – »Ah!« versetzte Ernauton naiv, »die Frau Herzogin von Montpensier hat Leibwachen, das wußte ich nicht.«

»In diesen unruhigen Zeiten hilft sich jeder, so gut er kann, und da das Haus Guise ein souveränes Haus ist...« – »Ich verlange keine Erklärung; Ihr gehört zu den Leibwachen der Herzogin von Montpensier, das genügt mir.«

»Nun also, ich hatte den Auftrag, eine Reise nach Umboise zu machen, als ich auf dem Wege meinem Feinde begegnete. Das übrige wißt Ihr.« – »Ja.«

»Durch diese Wunde aufgehalten, bin ich der Herzogin Rechenschaft über die Ursache meines Zögerns schuldig.« – »Das ist richtig.«

»Ihr habt also wohl die Güte, ihr eigenhändig den Brief zu übergeben, den ich ihr zu schreiben die Ehre haben werde.«

Her Herzog ließ sich von seinem Soldaten das zum Schreiben Nötige geben und übergab den geschlossenen Brief Ernauton. »In drei Tagen,« sagte dieser, »ist das Schreiben übergeben.«

»Zu eigenen Händen?« – »An die Frau Herzogin von Montpensier selbst.«

Der Herzog drückte seinem Gefährten die Hände und sank dann ermattet, Schweiß auf der Stirn, auf das frische Stroh zurück.

»Mein Herr,« sagte der Soldat in einer Sprache, die Ernauton sehr wenig mit der Tracht im Einklang zu stehen schien, »Ihr habt mich gebunden wie ein Kalb, das ist wahr; aber, wollt Ihr oder wollt Ihr nicht, ich sehe dieses Band als eine Kette der Freundschaft an und werde es Euch geeigneten Orts und zu geeigneter Zeit beweisen.«

Und er reichte ihm eine Hand, deren Weiße der junge Mann schon wahrgenommen hatte.

»Es sei,« sagte Carmainges lächelnd, »ich habe also nun zwei Freunde mehr.«

»Spottet nicht,« erwiderte der Soldat, »man hat nie zu viel.«

»Es ist wahr, Kamerad,« sagte Ernauton und entfernte sich.

Der Pferdehof.

Gegen die Mitte des dritten Tages kam Ernauton in Paris an. Um drei Uhr nachmittags erschien er im Louvre bei den Fünfundvierzig.

Als ihn die Gaskogner sahen, stießen sie ein Geschrei des Erstaunens aus. Herr von Loignac trat auf dieses Geschrei ein und nahm, als er Ernauton erblickte, das verdrießlichste Gesicht an, was Ernauton nicht abhielt, gerade auf ihn zuzugehen.

Herr von Loignac hieß den jungen Mann durch ein Zeichen in ein Kabinett kommen, das am Ende des Schlafsaales lag.

»Benimmt man sich so, mein Herr?« sagte er sogleich; »Ihr seid nun, wenn ich richtig zähle, fünf Tage und fünf Nächte abwesend, und Ihr, den ich für einen der Vernünftigsten hielt, gebt das Beispiel einer solchen Übertretung?« – »Mein Herr,« entgegnete Ernauton, sich verbeugend, »ich habe getan, was man mich tun hieß.«

»Und was hat man Euch tun heißen?« – »Man hat mir befohlen, Herrn von Mayenne zu folgen, und ich bin ihm gefolgt.«

»Fünf Tage und fünf Nächte hindurch?« – »Fünf Tage und fünf Nächte hindurch.«

»Der Herzog hat also Paris verlassen?« – »An demselben Abend, und das kam mir verdächtig vor.«

»Ihr hattet recht... sodann?«

Ernauton erzählte gedrängt, aber mit der Wärme und Energie eines Mannes von Herz das Abenteuer auf dem Wege und die Folgen, die dieses Abenteuer gehabt hatte. Je weiter er in seiner Erzählung vorrückte, desto mehr strahlte Loignacs bewegliches Gesicht alle Eindrücke wider, die der Redende in seiner Seele hervorbrachte.

Als aber Ernauton auf den Brief zu sprechen kam, den ihm Herr von Mayenne anvertraut hatte, rief Herr von Loignac: »Ihr habt diesen Brief?« – »Ja.«

»Teufel! das verdient einige Aufmerksamkeit,« sagte der Kapitän; »erwartet mich oder vielmehr kommt mit mir, ich bitte Euch.«

Ernauton ließ sich führen und gelangte hinter Loignac in den Pferdehof des Louvre, wo alles zu einer Ausfahrt des Königs vorbereitet war. Herr von Epernon sah zu, wie man zwei neue Pferde probierte, die als Geschenk Elisabeths an Heinrich III. aus England gekommen waren.

Während Ernauton am Eingang des Hofes blieb, näherte sich Loignac Herrn von Epernon und berührte ihn unten an seinem Mantel.

»Neuigkeiten, Herr Herzog,« sagte er, »große Neuigkeiten.«

Der Herzog verließ die Gruppe, bei der er stand, und ging zu der Treppe, auf der der König herabkommen mußte.

»Sprecht, Herr von Loignac, sprecht!« – »Herr von Carmainges kommt von jenseits Orleans; Herr von Mayenne liegt in einem Dorfe gefährlich verwundet.«

Der Herzog ließ einen Ausruf vernehmen und wiederholte: »Verwundet!« – »Mehr noch,« fuhr Loignac fort, »er hat an Frau von Montpensier einen Brief geschrieben, den Herr von Carmainges in seiner Tasche trägt.«

»Oh! oh!« machte Epernon. »Parfandious! Laßt Herrn von Carmainges kommen, damit ich selbst mit ihm sprechen kann.«

Loignac holte Ernauton herbei, »Herr Herzog,« sagte er, »hier ist unser Reisender.«

»Gut, mein Herr, Ihr habt, wie« es scheint, einen Brief vom Herrn Herzog von Mayenne?« fragte Epernon. – »Ja, gnädigster Herr.«

»Geschrieben in einem kleinen Dorfe bei Orleans?« – »Ja, gnädigster Herr.«

»Und adressiert an Frau von Montpensier?« – »Ja, gnädigster Herr.«

»Habt die Güte, mir diesen Brief zu geben.«

Der Herzog streckte die Hand mit der ruhigen Nachlässigkeit eines Mannes aus, der nur seinen Willen ausdrücken zu dürfen glaubt, wie er auch lauten mag, daß diesem Willen entsprochen werde.

»Verzeiht, Monseigneur,« sagte Carmainges, »habt Ihr mir nicht gesagt, ich soll Euch den Brief von Herrn von Mayenne an seine Schwester geben?« – »Allerdings.«

»Der Herr Herzog weiß nicht, daß dieser Brief mir anvertraut worden ist.« – »Was liegt daran?«

»Es liegt viel daran, gnädigster Herr; ich habe dem Herrn Herzog mein Ehrenwort gegeben, daß dieser Brief der Herzogin selbst zugestellt werde.«

»Seid Ihr im Dienste des Königs oder in dem des Herrn von Mayenne?« – »In dem des Königs, Monseigneur.«

»Nun wohl! Der König will diesen Brief sehen.« – »Gnädigster Herr, Ihr seid nicht der König.«

»Ich glaube in der Tat, Ihr vergeßt, mit wem Ihr sprecht, Herr von Carmainges?« sagte Epernon, vor Zorn erbleichend.

Aber Ernauton blieb bei aller Erregung und Empörung des Herzogs völlig kühl, was seinen Vorgesetzten schließlich so in Wut versetzte, daß er brüllte:

»Ins Gefängnis, und man nehme ihm seinen Brief ab!«

»Niemand soll ihn berühren,« rief Ernauton, indem er einen Sprung rückwärts machte und Mayennes Schreiben aus der Brust zog; »ich zerreiße den Brief in Stücke, da ich ihn nur um diesen Preis retten kann. Und wenn ich dies tue, wird Herr von Mayenne mein Benehmen billigen, und Seine Majestät wird mir verzeihen.«

Schon war der junge Mann im Begriff, den kostbaren Brief in zwei Stücke zu zerreißen, als eine Hand sanft seinen Arm zurückhielt.

Wäre der Druck heftig gewesen, so würde Ernauton ohne Zweifel den Brief sofort vernichtet haben; als er aber sah, daß man schonend zu Werke ging, hielt er inne und wandte den Kopf um.

»Der König!« sagte er.

Der König hatte wirklich, die Treppe des Louvre herabsteigend, einen Augenblick stillgestanden, er hatte das Ende des Streites mit angehört, und sein königlicher Arm hielt Carmainges' Arm zurück.

»Was gibt es denn, meine Herren?« fragte er mit jenem Tone, dem er, wenn er wollte, eine so gebieterische Macht zu verleihen wußte.

»Sire,« rief Epernon, ohne daß er sich die Mühe gab, seinen Zorn zu verbergen, »dieser Mensch, einer von Euren Fünfundvierzig, zu denen er übrigens nicht mehr gehören wird, dieser Mensch, den ich in Eurem Namen beauftragte, Herrn von Mayenne während seines Aufenthalts in Paris zu überwachen, ist diesem bis jenseits Orleans gefolgt und hat dort von ihm einen an Frau von Montpensier adressierten Brief erhalten.«

»Ihr habt von Herrn von Mayenne einen an Frau von Montpensier adressierten Brief erhalten?« fragte der König. – »Ja, Sire,« antwortete Ernauton; »doch der Herzog von Epernon sagt Euch nicht, unter welchen Umständen.«

»Nun, wo ist dieser Brief?« – »Das ist gerade die Ursache des Streites, Sire; Herr von Carmainges weigert sich durchaus, ihn mir zu geben, und will ihn an seine Adresse überbringen. Eine Weigerung ist meiner Ansicht nach die Sache eines schlechten Dieners.«

Der König schaute Carmainges an.

Der junge Mann setzte ein Knie auf die Erde und sagte: »Sire, ich bin ein armer Edelmann, ein Mann von Ehre und nichts anderes. Ich habe Eurem Boten, den Herr von Mayenne und fünf von seinen Anhängern ermorden wollten, das Leben gerettet, denn ich kam gerade zu rechter Zeit an, um dem Kampfe eine Wendung zu seinen Gunsten zu geben.« »Und während dieses Kampfes ist Herrn von Mayenne nichts begegnet?« fragte der König. – »Doch, Sire, er wurde verwundet, und zwar schwer verwundet.«

»Gut,« sagte der König, »hernach?«

»Euer Bote, der besondere Gründe des Hasses gegen Herrn von Mayenne zu haben scheint...,« der König lächelte, »wollte seinem Feind den Garaus machen; vielleicht hatte er das Recht dazu; doch ich dachte, in meiner Gegenwart, in Gegenwart eines Mannes, dessen Schwert Eurer Majestät gehört, würde diese Rache ein politischer Mord, und...« Ernauton zögerte.

»Vollendet!« sagte der König.

»Und ich beschützte Herrn von Mayenne vor Eurem Boten, wie ich Euren Boten vor Herrn von Mayenne beschützt hatte.«

Epernon zuckte die Achseln, Loignac biß sich auf seinen langen Schnurrbart, der König blieb kalt.

»Fahrt fort!« sagte er.

»Auf einen einzigen Gefährten angewiesen – die anderen waren getötet –, hat sich Herr von Mayenne, der sich nicht von diesem Gefährten trennen wollte und nicht wußte, daß ich in Euren Diensten stehe, mir anvertraut und mich ersucht, seiner Schwester einen Brief zu überbringen. Ich habe diesen Brief hier; ich biete ihn Eurer Majestät an, damit sie darüber verfüge, wie sie über mich verfügen würde. Meine Ehre ist mir teuer, Sire, doch sobald ich, um meinem Gewissen zu begegnen, die Gewährschaft des königlichen Willens habe, verleugne ich meine Ehre, denn sie ist in guten Händen.«

Immer noch auf den Knien, reichte Ernauton dem König den Brief.

Der König schob ihn sanft mit der Hand zurück und sagte: »Was sagtet Ihr denn, Epernon? Herr von Carmainges ist ein Ehrenmann und ein treuer Diener.«

»Ich, Sire,« versetzte Epernon, »Eure Majestät fragt, was ich sagte?«

»Ja, hörte ich denn nicht, als ich die Treppe herabging, das Wort Gefängnis aussprechen? Gottes Tod! Ganz im Gegenteil. Der Brief gehört immer dem, der ihn trägt, Herzog, oder dem, dem man ihn bringt.«

Epernon verbeugte sich brummend.

»Ihr werdet Euren Brief an die Adresse abgeben, Herr von Carmainges.«

– »Aber, Sire, bedenkt, was er enthalten kann,« sagte Epernon. »Wir wollen nicht den Zarten spielen, wenn es sich um das Leben Eurer Majestät handelt.«

»Ihr werdet Euren Brief abgeben, Herr von Carmainges,« wiederholte der König, ohne seinem Günstling zu antworten.

»Ich danke, Sire,« sagte Carmainges, indem er sich zurückzog.

»Wohin tragt Ihr ihn?«

»Zu der Frau Herzogin von Montpensier. Ich glaubte die Ehre gehabt zu haben, es Eurer Majestät zu sagen.«

»Ich drücke mich schlecht aus. An welche Adresse, wollte ich sagen. In das Hotel Guise, in das Hotel Saint-Denis oder nach Bel...«

Ein Blick Epernons hielt den König zurück.

»Ich habe in dieser Hinsicht keine besondere Instruktion von Herrn von Mayenne, Sire; ich werde den Brief in das Hotel Guise tragen und dort erfahren, wo Frau von Montpensier ist.«

»Ihr sucht also die Herzogin auf?« – »Ja, Sire.«

»Und wenn Ihr sie gefunden habt?« – »Übergebe ich ihr meine Botschaft.«

»Ganz gut. Sagt nun, Herr von Carmainges...« und der König schaute den jungen Mann fest an. – »Sire?«

»Habt Ihr Herrn von Mayenne etwas anderes versprochen, als diesen Brief eigenhändig seiner Schwester zu übergeben?« – »Nein, Sire.«

»Ihr habt nicht etwa Geheimhaltung des Ortes versprochen, wo Ihr die Herzogin treffen könntet?« – »Nein, Sire, ich habe nichts dergleichen versprochen.«

»Ich werde Euch eine einzige Bedingung stellen.« – »Sire, ich bin der Sklave Eurer Majestät.«

»Ihr übergebt diesen Brief an Frau von Montpensier, und sobald er übergeben ist, kommt Ihr zu mir nach Vincennes, wo ich diesen Abend sein werde.« – »Ja, Sire.«

»Und Ihr legt mir sodann getreulich Rechenschaft ab, wo Ihr die Herzogin gefunden habt.« – »Sire, Eure Majestät kann darauf zählen.«

»Ohne eine andere Erklärung oder ein anderes Bekenntnis, versteht Ihr?« – »Sire, ich verspreche es.«

»Welche Unklugheit! oh! Sire!« sagte der Herzog von Epernon.

»Ihr versteht Euch nicht auf die Menschen, Herzog, oder wenigstens nicht auf gewisse Menschen. Dieser ist redlich gegen Mayenne, folglich wird er auch redlich gegen mich sein.«

»Gegen Euch, Sire, werde ich mehr als redlich, ich werde treu ergeben sein,« rief Ernauton.

»Nun, keinen Streit mehr hier, Epernon,« sagte der König, »Ihr werdet auf der Stelle diesem braven Diener vergeben, was Ihr als einen Mangel an Ergebenheit betrachtet, und was ich als, einen Beweis von Rechtschaffenheit ansehe.«

»Sire,« sagte Carmainges, »der Herr Herzog von Epernon ist ein zu erhabener Mann, um nicht bei meinem Ungehorsam gegen seine Befehle, worüber ich ihm mein Bedauern ausdrücke, gesehen zu haben, wie sehr ich ihn achte und liebe; ich habe nur vor allem getan, was ich für eine Pflicht hielt.«

»Parfandious!« rief der Herzog, indem er die Physiognomie mit derselben Schnelligkeit veränderte, wie ein Mensch, der eine Maske aufsetzt oder ablegt, »das ist eine Prüfung, die Euch Ehre macht, und Ihr seid in der Tat ein hübscher Junge, nicht wahr, Loignac? Wir haben ihm schön angst gemacht.« Und der Herzog schlug ein Gelächter auf.

Loignac drehte sich auf den Absätzen, um nicht zu antworten; obgleich Gaskogner, fühlte er sich nicht stark genug, mit derselben Unverschämtheit zu lügen, wie sein erhabener Chef.

»Nun, da alles abgemacht ist, brechen wir auf, meine Herren,« sagte der König.

Epernon verbeugte sich.

»Ihr kommt mit mir, Herzog!«

»Was heißt, ich begleite Eure Majestät zu Pferde; so lautet, glaube ich, der Befehl, den sie gegeben hat?« – »Ja... Wer wird am anderen Kutschenschlag sein?«

»Ein ergebener Diener Eurer Majestät, Herr von Sainte-Maline,« antwortete Epernon und schaute dabei Ernauton an, um zu sehen, welche Wirkung dies bei ihm hervorbrächte.

Ernauton blieb unempfindlich.

»Loignac,« fügte er hinzu, »ruft Herrn von Sainte-Maline!«

»Herr von Carmainges,« sagte der König, der die Absicht des Herzogs von Epernon begriff, »Ihr werdet Euren Auftrag besorgen, nicht wahr, und Ihr kommt dann sogleich nach Vincennes?« – »Ja, Sire.«

Trotz aller Philosophie war Ernauton doch froh, nicht dem Triumphe beizuwohnen, der das ehrgeizige Herz Sainte-Malines so sehr ergötzen mußte.

Magdalenas sieben Sünden.

Wer König warf einen Blick auf seine Pferde, und als er sie so kräftig und so feurig sah, wollte er es nicht wagen, allein im Wagen zu fahren; nachdem er Ernauton, wie wir erzählt, recht gegeben, hieß er den Herzog durch ein Zeichen in der Karosse Platz nehmen. Loignac und Sainte-Maline nahmen ihren Platz am Kutschenschlage; ein einziger Piqueur ritt voraus.

Der Herzog saß allein auf dem Vordersitze des schweren Wagens, und der König setzte sich mit allen seinen Hunden in den Fond.

Unter diesen war ein bevorzugter; er hatte ein besonderes Kissen, auf dem er ganz sanft schlief. Zur Rechten des Königs stand ein Tisch, dessen Füße im Boden der Karosse befestigt waren; dieser Tisch war mit gemalten Zeichnungen bedeckt, die Seine Majestät, trotz der Stöße des Wagens, mit einer wunderbaren Geschicklichkeit ausschnitt.

Es waren meistens heilige Gegenstände, das heißt, nach damaliger Sitte stark mit heidnisch mythologischen Anschauungen versetzt. Stets methodisch, hatte der König im Augenblick eine Auswahl unter diesen Zeichnungen gemacht, und er beschäftigte sich damit, das Leben Magdalenas der Sünderin auszuschneiden. Man sah Magdalena, jung, schön, gefeiert; kostbare Bäder, Bälle, Vergnügungen aller Art reihten sich aneinander. Der Künstler hatte den geistreichen Gedanken gehabt, die Launen seines Grabstichels mit dem gesetzlichen Mantel der kirchlichen Autorität zu bedecken; so war jede Zeichnung, mit dem laufenden Titel der sieben Todsünden, durch eine besondere Legende erklärt. Magdalena unterliegt der Sünde des Zorns, Magdalena unterliegt der Sünde der Schwelgerei, Magdalena unterliegt der Sünde der Hoffart, Magdalena unterliegt der Sünde der Unkeuschheit, und so fort bis zur siebenten und letzten Todsünde.

Das Bild, das der König ausschnitt, als man durch die Porte Sainte-Antoine fuhr, steifte Magdalena dar, wie sie der Sünde des Zornes unterlag.

Halb auf Polstern ruhend und ohne einen anderen Schleier, als ihre prächtigen Haare, mit denen sie später die Füße Christi trocknen sollte, ließ die schöne Sünderin rechts in einen Teich voll Lampreten, deren Köpfe man gierig wie ebensoviele Schlangenmäuler aus dem Wasser hervorstehen sah, einen Sklaven werfen, der ein kostbares Gefäß zerbrochen hatte, während sie links eine Frau, die noch weniger gekleidet war als Madgalena, da sie ihre Haare hinten aufgeflochten trug, peitschen ließ, weil sie ihrer Herrin beim Frisieren einige von jenen herrlichen Haaren ausgerissen hatte, deren Üppigkeit Magdalena hätte nachsichtiger gegen einen Fehler dieser Art machen sollen.

Als man zur Croix-Faubin kam, hatte der König schon alle Figuren dieses Bildes ausgeschnitten und machte sich an das Bild: Magdalena unterliegt der Sünde der Schwelgerei.

Magdalena, die auf purpurnem Pfühl vor einer mit allen denkbaren Leckereien bedeckten Tafel lag, hielt in ihrer Hand, voll von einem topasfarbigen Trunk, ein herrliches Glas von seltener Form.

Ganz mit diesem wichtigen Werk beschäftigt, schlug der König nur die Augen auf, als er an der Priorei der Jakobiner vorüberkam, wo mit allen Glocken Vesper geläutet wurde.

Es waren auch alle Türen und Fenster besagter Priorei so gut geschlossen, daß man sie hätte für unbewohnt halten können, hätte man nicht das Vibrieren der Glocken im Innern des Gebäudes gehört.

Nach diesem Blicke fuhr der König eifrig fort, auszuschneiden. Doch hundert Schritte weiter konnte man ihn einen neugierigen Blick auf ein schönes Haus werfen sehen, das an der Straße links lag und, mitten in einem reizenden Garten gebaut, sein eisernes Gitter mit vergoldeten Spießen gegen die Landstraße öffnete. Dieses Landhaus wurde Bel-Esbat genannt.

Ganz im Gegensatz gegen das Kloster der Jakobiner waren in Bel-Esbat alle Fenster geöffnet, mit Ausnahme eines einzigen, an dem eine Jalousie herabfiel, die in dem Augenblick, wo der König vorüberfuhr, unmerklich zitterte.

Der König wechselte einen Blick und ein Lächeln mit Epernon und griff dann eine neue Todsünde an, die der Unkeuschheit.

Der Künstler hatte sie mit so furchtbaren Farben dargestellt, er hatte diese Sünde mit so viel Mut und Hartnäckigkeit gebrandmarkt, daß wir nur einen Zug anführen können. Der Schutzengel entfloh ganz erschrocken in den Himmel und verbarg dabei seine Augen mit beiden Händen.

Dieses Bild mit seinen vielen kleinen Einzelheiten nahm die Aufmerksamkeit des Königs dergestalt in Anspruch, daß er gar nicht eine gewisse Eitelkeit bemerkte, die sich am linken Schlage seines Wagens brüstete. Das war schade, denn Sainte-Maline saß so glücklich und so stolz auf seinem Pferd.

Er, ein Junker aus der Gaskogne, war Seiner Majestät dem Allerchristlichsten König so nahe, daß er ihn hören konnte, wenn er zu seinem Hunde sagte: »Schön, Master Love, du belagerst mich.«

»Man sieht mich, man schaut mich an,« sagte er, »und man fragt sich: Wer ist der glückliche Edelmann, der den König begleitet?«

Nach der Art, wie man fuhr, eine Art, die keineswegs die Befürchtungen des Königs rechtfertigte, mußte Sainte-Malines Glück lange dauern, denn von schwerem, ganz mit Silber und Posamenten bedecktem Geschirr beladen, rückte der Wagen langsam vor.

Da er sich aber zu sehr aufblähte, trat etwas wie eine Warnung von oben, etwas für ihn überaus Trauriges ein, um seine Freude zu dämpfen, er hörte den König den Namen Ernauton aussprechen. Zwei- oder dreimal sprach er ihn in zwei oder drei Minuten aus.

Er hätte sehen müssen, wie sich Sainte-Maline jedesmal bückte, um im Fluge dieses interessante Rätsel aufzufassen, ohne daß er es doch zu lösen vermochte.

Endlich kam man nach Vincennes. Es blieben dem König noch drei Sünden auszuschneiden. Unter dem Vorwand, sich dieser wichtigen Beschäftigung hinzugeben, schloß sich auch Seine Majestät, als sie kaum aus ihrem Wagen gestiegen, in ihrem Zimmer ein.

Es herrschte der kälteste Nordostwind der Welt; Sainte-Maline fing an, es sich an einem großen Kamin bequem zu machen, wo er sich wieder zu wärmen und zu schlummern hoffte, als Loignac ihm die Hand auf die Schulter legte.

»Ihr habt heute Dienst,« sagte er mit dem kurzem Tone, der nur dem Manne angehört, der viel gehorcht hat und sich nun auch Gehorsam zu verschaffen weiß; »Ihr werdet also an einem anderen Abend schlafen; auf, Herr von Sainte-Maline!«

»Ich wache vierzehn Tage hintereinander, wenn es sein muß,« erwiderte dieser.

»Es ärgert mich, daß ich niemand bei der Hand habe,« sagte Loignac, indem er sich den Anschein gab, als suche er jemand.

»Oh,« unterbrach ihn Sainte-Maline, »es ist unnötig, daß Ihr Euch an einen anderen wendet; wenn es sein muß, schlafe ich einen Monat nicht mehr.«

»Oh! Wir werden nicht so anspruchsvoll sein, beruhigt Euch.«

»Was soll ich tun?« – »Wieder zu Pferde steigen und nach Paris zurückkehren.«

»Ich bin bereit.« – »Es ist gut. Ihr begebt Euch nach der Wohnung der Fünfundvierzig. Ihr weckt dort alle auf, doch so, daß mit Ausnahme der drei Anführer, die ich Euch bezeichne, keiner erfährt, wohin man geht noch was man tun will.«

»Ich werde diese erste Instruktion pünktlich befolgen.«

»Hört weiter! Ihr laßt vierzehn von diesen Herren bei der Porte Saint-Antoine; fünfzehn andere auf halbem Weg und führt die vierzehn übrigen hierher.«

»Betrachtet dies als geschehen, Herr von Loignac; doch zu welcher Stunde soll ich von Paris aufbrechen?« – »Mit Einbruch der Nacht.« »Zu Pferd oder zu Fuß?« – »Zu Pferd.« »Welche Waffen?« – »Alle: Dolch, Degen und Pistolen.«

»Gepanzert?« – »Gepanzert.«

»Sonstige Befehle, gnädiger Herr?« – »Hier sind drei Briefe: einer für Herrn von Chalabre, einer für Herrn von Biran und einer für Euch. Herr von Chalabre befehligt die erste Abteilung, Herr von Biran die zweite, Ihr die dritte.«

»Sehr wohl.« – »Man wird diese Briefe nur an Ort und Stelle öffnen, wenn es sechs Uhr schlägt. Herr von Chalabre öffnet den seinigen bei der Porte Saint-Antoine, Herr von Biran bei der Croix-Faubin, Ihr bei der Porte du Donjon.«

»Sollen wir rasch marschieren?« –

»Mit der ganzen Geschwindigkeit eurer Pferde, jedoch ohne Verdacht zu erregen und ohne euch bemerkbar zu machen. Um Paris zu verlassen, schlägt jeder einen anderen Weg ein; Herr von Chalabre durch die Porte Bourdelle; Herr von Biran durch die Porte du Temple; Ihr, der Ihr den weitesten Weg zu machen habt, wählt die gerade Straße, nämlich durch die Porte Saint-Antoine.«

»Sehr wohl.«

»Nie übrigen Instruktionen sind in diesen drei Briefen enthalten. Geht!«

Sainte-Maline verbeugte sich und machte eine Bewegung, um wegzugehen.

»Hört noch!« sprach Loignac, »von hier bis zur Croix Faubin reitet so schnell Ihr wollt, doch von der Croix-Faubin bis zur Barriere reitet im Schritt. Ihr habt noch zwei Stunden, bevor es Nacht wird, das ist mehr Zeit, als Ihr braucht.«

»Sehr wohl, Herr von Loignac,«

»Habt Ihr gut begriffen, oder soll ich Euch den Befehl wiederholen?«

»Es ist unnötig, gnädiger Herr.«

»Glückliche Reise, Herr von Sainte-Maline!«

Hierauf kehrte Loignac, seine Sporen schleppend, in die Gemächer zurück.

»Vierzehn bei der ersten Truppe, fünfzehn bei der zweiten und fünfzehn bei der dritten, offenbar rechnet man nicht auf Ernauton, und er gehört nicht mehr zu den Fünfundvierzig,« sagte Sainte-Maline.

Ganz aufgeblasen vor Stolz, besorgte er seinen Auftrag.

Eine halbe Stunde nach seinem Abgang von Vincennes ritt er, alle Instruktionen Loignacs buchstäblich befolgend, durch die Barriere; eine Viertelstunde nachher war er in der Wohnung der Fünfundvierzig.

Da es erst halb sechs Uhr war, so fand Sainte-Maline alle seine Leute noch auf und in der gastronomischsten Stimmung der Welt. Doch mit einem Worte warf er alle ihre Näpfe um.

»Zu Pferde, meine Herren!«, sagte er.

Und er überließ die ganze Genossenschaft der Märtyrer der Verwirrung dieser Maßregel und erklärte den Herren von Biran und von Chalabre den Befehl.

Die einen schoben, während sie ihre Wehrgehänge befestigten und ihre Panzer umschnallten, einige große Bissen in den Mund und befeuchteten sie mit einem gewaltigen Schluck Wein; andere, deren Abendessen weniger weit vorgerückt war, waffneten sich mit Ergebung.

Herr von Chalabre allein behauptete, während er seine Regenkoppel zuschnallte, er habe schon vor mehr als einer Stunde zu Abend gegessen.

Man schritt zum Verlesen. Sainte-Maline mit inbegriffen, antworteten nur Vierundvierzig.

»Herr Ernauton von Carmainges fehlt,« sagte Herr von Chalabre.

Eine tiefe Freude erfüllte das Herz Sainte-Malines und strömte bis zu seinen Lippen zurück, die eine Grimasse des Lächelns bildeten ... eine seltene Erscheinung bei diesem Mann mit dem düsteren, neidischen Temperament.

Die Fünfundvierzig oder vielmehr Vierundvierzig marschierten also ab, jeder Zug auf dem ihm vorgeschriebenen Wege, nämlich Herr von Chalabre mit dreizehn Mann durch die Porte Bourdelle, Herr von Biran mit vierzehn durch die Porte du Temple und Sainte-Maline endlich mit den übrigen vierzehn durch die Porte Saint-Antoine.

Bel-Esbat.

Es bedarf keiner Erwähnung, daß Ernauton, den Sainte-Maline so ganz verloren glaubte, im Gegenteil den unerwarteten Lauf seines aufsteigenden Glückes verfolgte.

Anfangs dachte er natürlich, die Herzogin von Montpensier müßte, sobald sie in Paris wäre, im Hotel Guise sein. Er wandte sich also zuerst dorthin.

Als er, nachdem er an die große Pforte geklopft, die ihm mit äußerster Vorsicht geöffnet wurde, die Ehre einer Zusammenkunft mit der Frau Herzogin von Montpensier verlangte, lachte man ihm zuerst ins Gesicht; da er aber auf seinem Begehren bestand, antwortete man ihm, er müsse wissen, daß Ihre Hoheit in Soissons und nicht in Paris wohne.

Ernauton war auf diese Antwort gefaßt, sie beunruhigte ihn nicht im geringsten.

Als er dann erklärte, der Brief sei vom Herzog von Mayenne, und das Schreiben vorwies, sagte der Diener hastig: »Ich weiß nicht, ob Ihr die Frau Herzogin von Montpensier in Paris oder in der Umgegend von Paris finden werdet, doch habt die Güte, Euch ohne Verzug in ein Haus des Faubourg Saint-Antoine zu begeben, das man Bel-Esbat nennt, und das der Frau Herzogin gehört; Ihr könnt es daran erkennen, daß es, wenn Ihr nach Vincennes geht, das erste linker Hand nach dem Kloster der Jakobiner ist; sicher findet Ihr dort irgendeine Person im Dienste der Frau Herzogin, die Euch sagen kann, wo sich die Frau Herzogin in diesem Augenblick befindet.«

Ernauton machte ein Zeichen mit dem Kopf und wandte sich nach dem Faubourg Saint-Antoine. Er hatte keine Mühe, das an die Priorei der Jakobiner stoßende Haus Bel-Esbat zu finden, ohne um Auskunft zu fragen.

Aber auch hier verhielt man sich mißtrauisch und abweisend, bis er Näheres von seiner Sendung mitteilte. Dann entfernte sich der Diener, offenbar um bei seiner Herrin Bescheid zu holen. Bald kam er mit einem anderen Diener zurück.

»Übergebt mir Euer Pferd, mein Herr, und folgt meinem Kameraden!«, sagte er; »Ihr werdet jemand finden, der Euch viel besser als ich antworten kann.«

Ernauton folgte dem Bedienten, wartete einen Augenblick in einem Vorzimmer, bis der Diener seine Meldung gemacht hatte, und wurde in ein kleines, anstoßendes Gemach eingeführt, wo eine ohne Prunk, wenn auch mit einer gewissen Eleganz gekleidete Dame an einer Stickerei arbeitete, die Ernauton den Rücken zuwandte.

»Das ist der Herr, der im Auftrage des Herrn von Mayenne hier erscheint, gnädige Frau,« sagte der Lakai.

Sie machte eine Bewegung. Ernauton stieß einen Schrei aus.

»Ihr, Madame,« rief er, da er zugleich seinen Pagen und seine Unbekannte von der Sänfte in dieser dritten Gestalt erkannte.

»Ihr!« rief ebenfalls die Dame, indem sie ihre Arbeit fallen ließ und Ernauton anschaute.

Dann machte sie dem Lakaien ein Zeichen und hieß ihn weggehen.

»Ihr seid vom Hause der Frau Herzogin von Montpensier?« fragte Ernauton ganz erstaunt. »Ja,« erwiderte die Unbekannte; »doch wie kommt es, daß Ihr eine Botschaft von Herrn von Mayenne hierherbringt?« – »Durch eine Reihenfolge von Umständen, die ich nicht vorhersehen konnte, und deren Erzählung für Euch zu lange währen würde,« erwiderte Ernauton mit großer Vorsicht.

»Oh! Ihr seid diskret,« sagte lächelnd die Dame. – »Sooft es sein muß, ja, Madame.«

»Ich sehe hier keinen Anlaß zu großer Diskretion, denn wenn Ihr wirklich eine Botschaft bringt von der Person, die Ihr nennt...«

Ernauton machte eine Bewegung.

»Oh! keine Aufregung! Wenn Ihr wirklich eine Botschaft von der Person bringt, die Ihr nennt, so ist die Sache interessant genug, daß Ihr in Erinnerung an unsere Bekanntschaft sagt, wie die Botschaft lautet.« – »Madame, Ihr werdet mich nicht veranlassen zu sagen, was ich nicht weiß. Auch habe ich keine mündliche Mitteilung zu machen, Madame, meine ganze Sendung besteht darin, daß ich Ihrer Hoheit einen Brief übergeben soll.«

»Nun also diesen Brief!«, sagte die unbekannte Dame, die Hand ausstreckend. – »Madame, ich glaube die Ehre gehabt zu haben, Euch mitzuteilen, daß dieser Brief an die Frau Herzogin von Montpensier adressiert ist.«

»In Abwesenheit der Frau Herzogin vertrete ich sie hier,« sagte die Dame ungeduldig, »Ihr könnt also...« – »Ich kann nicht.«

»Ihr mißtraut mir, mein Herr!« – »Ich müßte es, Madame,« sagte der junge Mann mit einem Blick, in dessen Ausdruck man sich nicht täuschen konnte; »doch trotz der Heimlichkeit Eures Benehmens habt Ihr mir, ich gestehe es, andere Gefühle eingeflößt, als die, von denen Ihr sprecht.«

»Wahrhaftig!« rief die Dame, unter Ernautons entflammtem Blick ein wenig errötend. – Ernanton verbeugte sich. »Seht an!«, sagte sie lächelnd, »Ihr macht mir eine Liebeserklärung, Herr Bote,« – »Jawohl, Madame,« erwiderte Ernauton, »ich weiß nicht, ob ich Euch wiedersehen werde, und die Gelegenheit ist in der Tat zu kostbar, als daß ich sie entschlüpfen lassen sollte.«

»Dann, mein Herr, begreife ich.« – »Ihr begreift, daß ich Euch liebe, Madame, das ist wahrlich leicht zu begreifen.«

»Nein, ich begreife, warum Ihr hierhergekommen seid.« – »Ah! verzeiht, Madame, nun begreife ich nicht.«

»Ja, ich begreife, daß Ihr, begierig, mich wiederzusehen, einen Vorwand genommen habt, um Euch hier einzuführen.« – »Ich, Madame, einen Vorwand! Ah! Ihr beurteilt mich schlecht; ich wußte nicht, daß ich Euch je wiedersehen sollte, und erwartete alles vom Zufall, der mich schon zweimal auf Euren Weg geworfen hat; doch einen Vorwand nehmen, ich, niemals.«

»Hoho! Ihr seid verliebt, sagt Ihr, und Ihr habt Bedenklichkeiten über die Art und Weise, die Person wiederzusehen, die Ihr liebt? Das ist sehr schön, mein Herr,« sagte die Name mit einem gewissen spöttischen Stolz; »nun, ich vermutete schon, Ihr hättet Bedenklichkeiten.« – »Warum, Madame, bitte?«

»Ihr begegnetet mir neulich; ich saß in einer Sänfte; Ihr erkanntet mich, und dennoch seid Ihr mir nicht gefolgt.« – »Nehmt Euch in acht, Madame, Ihr gesteht, daß Ihr auf mich aufmerksam gewesen seid.«

»Ah! wahrhaftig, ein schönes Geständnis! Haben wir uns nicht unter Umständen gesehen, die mir den Kopf aus dem Schlage zu beugen gestatten, wenn Ihr vorüberreitet. Doch nein; der Herr entfernte sich im Galopp, nachdem er ein Ach! ausgestoßen, das mich im Grunde meiner Sänfte beben ließ.« – »Ich war gezwungen, mich zu entfernen.«

»Durch Eure Bedenklichkeiten?« – »Nein, Madame, durch meine Pflicht.«

»Ah! ah!« sagte lächelnd die Dame, »ich sehe, daß Ihr ein vernünftiger, umsichtiger Verliebter seid, und daß Ihr vor allem fürchtet, Euch zu kompromittieren.« – »Dürfte man sich wundern, wenn Ihr mir einiges Bedenken eingeflößt hättet? Ist es üblich, daß sich eine Frau als Mann kleidet und mit Gewalt durch die Tore dringt, um auf der Grève einen Unglücklichen vierteilen zu sehen, und zwar mit mehr als unbegreiflichen Handbewegungen?«

Die Dame erbleichte leicht und verbarg ihre Betroffenheit unter einem Lächeln.

Ernauton fuhr fort: »Ist es natürlich, daß die Dame, nachdem sie sich dieses Vergnügen gemacht hat, festgenommen zu werden fürchtet und wie eine Diebin entflieht, sie, die im Dienste von Frau von Montpensier steht, dieser mächtigen wenn auch bei Hofe übel gelittenen Fürstin?« – Diesmal lächelte die Dame aufs neue, doch mit stärker hervortretender Ironie.

»Ihr habt wenig Scharfsinn, mein Herr, obgleich Ihr ein Beobachter zu sein glaubt. War es nicht sehr natürlich, daß sich die Herzogin von Montpensier für das Schicksal Salcèdes und seine das Haus Lothringen leicht kompromittierenden Geständnisse interessierte, und daß sie eine Vertraute zur Hinrichtung entsandte? Diese Vertraute war ich. Glaubt Ihr, ich hätte nach Paris hineinkommen können, während alle Tore verschlossen waren. Glaubt Ihr, ich hätte in Frauenkleidern auf die Grève gelangen können? Glaubt Ihr endlich, ich hätte gleichgültig bei den Leiden des Verurteilten und bei den von ihm beabsichtigten Geständnissen bleiben können?« – »Ihr habt vollkommen recht, Madame, und ich schwöre Euch, ich bewundere nun ebensosehr Euren Geist und Eure Logik, wie ich vorher schon Eure Schönheit bewunderte.«

»Großen Dank, mein Herr. Doch da wir einander nun kennen, und die Dinge unter uns erklärt sind, gebt mir nun den Brief.« – »Unmöglich, Madame.«

Die Unbekannte strengte sich an, nicht in Zorn zu geraten. »Unmöglich?« wiederholte sie. – »Ja, unmöglich, denn ich habe dem Herrn Herzog von Mayenne geschworen, diesen Brief nur der Frau Herzogin von Montpensier selbst zu übergeben.«

Als die Dame darauf wieder der Ansicht Ausdruck gab, es handle sich nur um eine Finte Ernautons, und hinzufügte, nun habe er seinen Zweck erreicht, und sie seien beide quitt, reichte er der Dame den Brief, doch ohne ihn loszulassen.

Die Unbekannte schaute das Schreiben an und rief: »Seine Handschrift! Blut!«

Ohne etwas zu erwidern, steckte Ernauton seinen Brief wieder in die Tasche, verbeugte sich zum letztenmal mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit und kehrte, bleich, den Tod im Herzen, zum Eingang des Zimmers zurück. Diesmal lief man ihm nach und faßte ihn, wie Josef, am Mantel.

»Was beliebt, Madame?« sagte er. – »habt Mitleid, mein Herr, verzeiht!«, rief die Dame, »verzeiht, sollte dem Herzog ein Unfall begegnet sein?« – »Ob ich verzeihe oder nicht verzeihe, das ist ganz einerlei,« sagte Ernauton; »was aber diesen Brief betrifft, da Ihr nun um Verzeihung bittet, um ihn zu lesen, und da Frau von Montpensier allein ihn lesen wird...«

»Ei! du Unglücklicher, du Wahnsinniger,« rief die Herzogin mit einer Wut voll Majestät, »erkennst du mich nicht, oder vielmehr errätst du in mir nicht deine Gebieterin, und siehst du hier die Augen einer Magd glänzen? Ich bin die Herzogin von Montpensier, übergib mir den Brief!«– »Ihr seid die Herzogin?« rief Ernauton, erschrocken zurückweichend.

»Allerdings. Vorwärts, gib, gib! Siehst du nicht, daß es mich drängt zu erfahren, was meinem Bruder begegnet ist?« – Doch statt zu gehorchen, wie es die Herzogin erwartete, kreuzte der junge Mann, der sich von seinem Erstaunen erholte, die Arme und sagte: »Wie soll ich Euren Worten glauben, da Euer Mund mir schon zweimal gelogen hat.«

Die Augen der Herzogin schleuderten zwei tödliche Blitze; doch Ernauton hielt die Flamme mutig aus.

»Ihr zweifelt noch, Ihr braucht Beweise, wenn ich versichere,« rief sie gebieterisch, indem sie ihre Spitzenmanschetten mit den Nägeln zerriß.

»Ja, Madame,« antwortete Ernauton kalt.

Die Unbekannte stürzte nach einem Glöckchen, das sie beinahe zerbrach, so heftig war der Schlag, den sie darauf tat.

Der Klang ertönte scharf durch alle Gemächer, und ehe das Schwingen aufgehört hatte, fragte der Diener: »Was will Madame?«.

Die Unbekannte stampfte wütend mit dem Fuß und rief: »Mayneville, ich will Mayneville. Ist er denn nicht hier?« – »Doch, gnädige Frau.«

»Er komme also!«

Der Bediente eilte aus dem Zimmer; eine Minute nachher trat Mayneville hastig ein.

»Zu Euren Befehlen, Madame,« sagte Mayneville.

»Madame, seit wann nennt man mich schlechtweg Madame, Herr von Mayneville?« rief die Herzogin außer sich.

»Eurer Hoheit zu Befehl!« sagte Mayneville und verbeugte sich, im höchsten Maße erstaunt.

»Es ist gut!« sagte Ernauton, »denn ich habe mir gegenüber einen Edelmann, und wenn er mich belügt, so werde ich, beim Himmel! wenigstens wissen, an wen ich mich zu halten habe.«

»Ihr glaubt also endlich?« versetzte die Herzogin.

»Ja, gnädige Frau, ich glaube, und zum Beweis übergebe ich Euch hiermit den Brief.«

Und der junge Mann verbeugte sich und überreichte Frau von Montpensier den so lange streitig gemachten Brief.

Der Brief des Herrn von Mayenne.

Die Herzogin bemächtigte sich des Briefes, öffnete ihn und las gierig, ohne daß sie nur die Eindrücke zu verbergen suchte, die sich auf ihrem Antlitz wie Wolken auf dem Grunde eines stürmischen Himmels folgten.

Als sie geendigt hatte, reichte sie Mayneville, der ebenso unruhig war wie sie, den Brief; und er las folgendes:

»Meine Schwester, ich wollte selbst das Geschäft eines Leutnants oder eines Fechtmeisters besorgen und bin dafür bestraft worden.

»Ich habe einen guten Degenstich von dem bewußten Burschen bekommen, mit dem ich schon so lange in Rechnung stehe. Das schlimmste ist, daß er mir fünf von meinen Leuten getötet hat, worunter Boularon und Desnoises, d. h. zwei von meinen Besten; wonach er entflohen ist.

»Ich muß sagen, daß er bei diesem Siege bedeutend von dem Überbringer des Gegenwärtigen unterstützt worden ist, einem reizenden jungen Mann, wie Ihr sehen könnt; ich empfehle ihn Euch; er ist die Diskretion selbst.

»Ein Verdienst, das er, wie ich annehme, bei Euch, meiner vielgeliebten Schwester, haben wird, besteht darin, daß er den Sieger abgehalten, mir den Kopf abzuschneiden; dieser hatte große Lust dazu, da er mir, während ich in Ohnmacht lag, die Larve abriß und mich erkannte.

»Meine Schwester, ich ersuche Euch, den Namen und die Stellung des so diskreten Kavaliers zu entdecken; er ist mir verdächtig, während er mich zugleich interessiert. Auf alle meine Dienstanerbietungen begnügte er sich zu erwidern, der Herr, dem er diene, lasse es ihm an nichts fehlen.

»Ich kann Euch nicht mehr über ihn sagen, denn ich sage Euch alles, was ich weiß; er behauptet, er kenne mich nicht. Beachtet dies wohl!

»Ich leide sehr, doch ich glaube ohne Lebensgefahr. Schickt mir schnell einen Wundarzt; ich liege wie ein Pferd auf Stroh. Der Überbringer wird Euch den Ort nennen.

Euer wohlgewogener Mayenne.«

Sobald die Herzogin und Mayneville diesen Brief gelesen hatten, schauten sie einander gleich erstaunt an.

Die Herzogin brach zuerst das Schweigen, das am Ende von Ernauton übelgedeutet worden wäre.

»Wem haben wir den ausgezeichneten Dienst zu verdanken, den Ihr uns geleistet, mein Herr?« fragte die Herzogin. – »Einem Manne, der, sooft er kann, dem Schwächeren gegen den Stärkeren beisteht, Madame.«

»Wollt Ihr mir Näheres erzählen?«

Ernauton erzählte alles, was er wußte, und bezeichnete den Ort, wo sich der Herzog aufhielt. Frau von Montpensier und Mayneville hörten ihm mit leicht begreiflichem Interesse zu.

Als er geendigt hatte, fragte die Prinzessin: »Darf ich hoffen, mein Herr, daß Ihr das so gut Begonnene fortsetzen und Euch unserem Hause anschließen werdet?«

Mit dem anmutreichen Tone ausgesprochen, dessen sich die Herzogin bei Gelegenheit so gut zu bedienen wußte, enthielten die Worte nach dem Geständnis, das Ernauton der Ehrendame der Herzogin getan hatte, einen sehr schmeichelhaften Sinn; doch der junge Mann ließ alle Eitelkeit beiseite und führte die Worte auf ihre Bedeutung als den Ausdruck reiner Neugierde zurück.

»Madame,« sagte Ernauton endlich nach einem schweren Kampfe zwischen Liebe und Ehre, »ich habe schon die Ehre gehabt, Herrn von Mayenne zu sagen, mein Herr sei ein guter Herr und überhebe mich durch die Art, wie er mich behandle, der Mühe, einen bessern zu suchen.«

»Mein Bruder sagt mir in seinem Briefe, Ihr hättet ihn nicht zu erkennen geschienen. Warum habt Ihr Euch, da Ihr ihn dort nicht gekannt, hier seines Namens bedient, ihn zu mir zu bringen?« – »Herr von Mayenne schien unerkannt sein zu wollen, Madame, und es wäre auch wirklich nicht angezeigt, daß die Bauern, bei denen er wohnt, wüßten, wem sie Gastfreundschaft gewährten. Hier aber lag dieser Grund nicht mehr vor; der Name des Herrn von Mayenne konnte mir einen Weg zu Euch öffnen, und ich bediente mich seiner; in beiden Fällen glaube ich recht gehandelt zu haben.«

Mayneville schaute die Herzogin an, als wollte er sagen: »Das ist ein kecker Geist, Madame.«

Die Herzogin aber sagte lächelnd zu Ernauton: »Niemand wüßte sich besser mit einer schlimmen Frage abzufinden, und Ihr seid, ich muß es gestehen, ein Mann von Geist.« – »Ich sehe keinen Geist in dem, was ich Euch zu sagen die Ehre gehabt hatte, Madame,« erwiderte Ernauton.

»Nun,« sagte die Herzogin ungeduldig, »was ich am klarsten hierbei sehe, ist, daß Ihr nichts sagen wollt. Ihr überlegt vielleicht nicht genug, daß die Dankbarkeit eine schwere Bürde für jeden ist, der meinen Namen führt, daß ich eine Frau bin, daß Ihr mir zweimal einen Dienst geleistet habt, daß ich, wenn ich Euren Namen oder vielmehr, was Ihr seid, erfahren wollte...« – »Sehr wohl, Madame, ich weiß, daß Ihr dies leicht erfahren werdet, doch Ihr werdet es von einem anderen als von mir erfahren, und ich habe dann nichts gesagt.«

»Er hat immer recht,« sagte die Herzogin, indem sie auf Ernauton einen Blick heftete, der, wenn er in seinem ganzen Ausdruck aufgefaßt wurde, dem jungen Mann mehr Vergnügen machen mußte, als ihm je ein Blick gemacht hatte.

Ernauton verlangte auch nicht mehr und, dem Weinkenner ähnlich, der vom Tische aufsteht, sobald er den besten Wein des Mahles getrunken zu haben glaubt, verbeugte er sich und bat um seine Entlassung.

»Das ist alles, was Ihr mir zu sagen habt?« fragte die Herzogin. – »Ich habe meinen Auftrag erfüllt,« sagte der junge Mann; »es bleibt mir nun nichts mehr zu tun, als Eurer Hoheit meine untertänigste Huldigung darzubringen.«

Die Herzogin folgte ihm mit den Augen, ohne seinen Gruß zu erwidern, dann rief sie, als sich die Tür hinter ihm geschlossen, mit dem Fuße stampfend: »Mayneville, laßt diesem Jungen folgen!« – »Unmöglich, Hoheit, alle unsere Leute sind auf den Beinen; ich selbst erwarte das Ereignis; das ist ein schlimmer Tag, um etwas anderes zu tun, als was wir beschlossen haben.«

»Ihr habt recht, Mayneville, in der Tat, ich bin toll; doch später ...« – »Oh! später, das ist etwas anderes; nach Eurem Gefallen, Madame.«

»Ja, denn er ist mir verdächtig, wie meinem Bruder.« – »Verdächtig oder nicht, es ist ein tapferer Bursche, und die tapferen Leute sind in diesem Augenblick selten. Man muß gestehen, wir haben Glück; ein Unbekannter, ein Fremder, fällt uns vom Himmel zu, um uns einen solchen Dienst zu leisten.«

»Gleichviel, gleichviel, Mayneville, wenn wir ihn auch im Augenblick sich selbst überlassen müssen, so überwacht ihn wenigstens später.« – »Ei, Madame, später werden wir hoffentlich nicht mehr nötig haben, irgend jemand zu bewachen.«

»Dann weiß ich offenbar heute nicht, was ich sage; Ihr habt recht, Mayneville, ich verliere den Kopf.« – »Es ist einem General, wie Ihr seid, Madame, erlaubt, am Vorabend eines entscheidenden Treffens für nichts anderes Sinn zu haben.«

»Das ist wahr. Nun ist es Nacht, Mayneville, und der Valois kehrt in der Nacht von Vincennes zurück.« – »Oh! wir haben noch Zeit vor uns; es ist nicht acht Uhr, Madame, und unsere Leute sind überdies noch nicht eingetroffen.«

»Nicht wahr, sie haben das Losungswort?« – »Alle.« »Es sind sichere Leute?« – »Erprobte, Madame.«

»Wie kommen sie?« – »Einzeln als Spaziergänger.«

»Wieviel erwartet Ihr?« – »Fünfzig; das sind mehr als Ihr braucht; bedenkt auch, daß wir außer diesen Fünfzig zweihundert Mönche haben, die mindestens so viel wert sind, wie eine gleiche Anzahl Soldaten.«

»Sobald unsere Leute angekommen sind, laßt Eure Mönche sich auf der Straße aufstellen!« – »Sie sind schon benachrichtigt, Madame, sie werden den Weg absperren, die Unsrigen treiben den Wagen gegen sie, die Pforte des Klosters wird geöffnet und braucht sich nur noch hinter dem Wagen zu schließen.«

»Wir wollen zu Abend essen, Mayneville, das wird uns die Zeit vertreiben. Ich bin so ungeduldig, daß ich gern den Zeiger der Pendeluhr vorwärts treiben möchte.« – »Seid unbesorgt, die Stunde wird kommen.«

»Doch unsere Leute, unsere Leute?« – »Sie werden zur geeigneten Stunde hier sein; es hat kaum acht Uhr geschlagen und es ist noch keine Zeit verloren.«

»Mayneville, Mayneville, mein armer Bruder verlangt von mir seinen Wundarzt; der beste Wundarzt, das beste Heilmittel für die Wunde Mayennes wäre ein Schopf von den Haaren des römisch geschorenen Valois. Noch ein Wort, Mayneville,« sagte die Herzogin, indem sie auf der Türschwelle stehen blieb: »Sind unsere Freunde in Paris benachrichtigt?« – »Welche Freunde?«

»Unsere Ligisten?« – »Gott behüte mich, Madame, einen Bürger benachrichtigen, heißt die große Glocke von Notre-Dame läuten. Bedenkt, daß wir, wenn der Schlag getan ist, ehe jemand etwas erfährt, fünfzig Eilboten abzufertigen haben, und dann wird der Gefangene im Kloster in Sicherheit sein; hernach können wir uns gegen eine Armee verteidigen. Wir werden nichts mehr wagen und können von den Dächern des Klosters herabschreien: Der Valois ist in unserer Gewalt!«

»Gut, gut, Ihr seid ein geschickter und kluger Mann, Mayneville, und der Bearner hat recht, wenn er Euch den Ligenführer nennt ... Wißt Ihr, daß meine Verantwortlichkeit groß ist, Mayneville, und daß nie und in keiner Zeit eine Frau ein Werk, dem ähnlich, das ich träume, unternommen und vollbracht hat?« – »Ich weiß es wohl, Madame, und rate Euch auch nur zitternd.«

»Laßt zuerst die großen Einfaltspinsel töten,« fuhr die Herzogin fort, »die wir an den Wagenschlägen haben reiten sehen; wir können sodann das Ereignis so erzählen, wie es für unsere Interessen vorteilhafter sein wird.« – »Diese armen Teufel töten,« sagte Mayneville, »Ihr glaubt, es sei nötig, sie zu töten, Madame?«

»Loignac? Das ist ein schöner Verlust!« – »Er ist ein braver Soldat.«

»Ein abscheulicher Glücksritter, gerade wie der andere Gaudieb, der rechts am Wagen ritt, mit seinen Glutaugen und seiner schwarzen Haut.«

»Uh! bei diesem würde es mir nicht widerstreben, ich kenne ihn nicht; überdies bin ich Eurer Meinung, Madame, er besitzt eine abscheuliche Miene.«

»Ihr überlaßt ihn mir also?« sagte die Herzogin lachend. – »Oh! von ganzem Herzen, Madame.«

»In der Tat, großen Dank. Ihr werdet übrigens bei dieser ganzen Angelegenheit keine Schuld haben; sie verteidigten den Valois und sind bei dieser Verteidigung getötet worden. Was ich Euch empfehle, ist der junge Mann, der eben hier war. Seht, ob er wirklich weggegangen, und ob es nicht ein von unseren Feinden abgesandter Spion ist.«

»Madame, ich bin zu Euren Befehlen.« Mayneville ging auf den Balkon, öffnete die Läden, streckte den Kopf hinaus und suchte zu sehen. »Oh! wie finster ist die Nacht!« sagte er.

»Eine gute, vortreffliche Nacht,« versetzte die Herzogin; »je finsterer, desto besser; Mut gefaßt also, mein Kapitän.« – »Ja, aber wir werden nichts sehen, Madame, und es ist für Euch doch wichtig zu sehen.«

»Gott, dessen Interessen wir verteidigen, sieht für uns, Mayneville. Seht Ihr Leute vorübergehen?« fragte die Herzogin sodann, indem sie aus Vorsicht die Lichter auslöschte. – »Nein, aber ich höre Pferdegetrappel.«

»Vorwärts, vorwärts! Sie sind es, Mayneville. Alles geht gut.«

Und die Herzogin schaute, ob sie an ihrem Gürtel die berühmte goldene Scheere noch habe, die eine so große Rolle in der Geschichte spielen sollte.

Wie Dom Modeste Gorenflot den König segnete.

Kaum war Ernauton, mit dem Erfolg seiner Sendung nach jeder Richtung zufrieden, vor der Tür von Bel-Esbat, als er sein Pferd in Galopp setzte; kaum hatte er aber hundert Schritte im Galopp gemacht, als er plötzlich durch ein Hindernis aufgehalten wurde, das seine durch das Licht von Bel-Esbat geblendeten und noch nicht an die Finsternis gewöhnten Augen nicht hatten wahrnehmen können.

Es war eine Truppe von Reitern, die sich von beiden Seiten der Straße gegen die Mitte zusammenzogen, ihn umgaben und ihm ein halbes Dutzend Degen und ebensoviel Pistolen und Dolche auf die Brust setzten.

Das war viel für einen einzigen Menschen.

»Oh! oh!« rief Ernauton, »man raubt auf der Landstraße, eine Stunde von Paris! Pest über dieses Land! Der König hat einen schlechten Profos, ich werde ihm raten, einen andern zu nehmen.«

»Still! wenn's beliebt,« sagte eine Stimme, die Ernauton zu erkennen glaubte, »Euren Degen, Eure Waffen, und zwar geschwind.«

Ein Mann faßte das Pferd beim Zügel, zwei andere nahmen ihm seine Waffen ab.

»Pest! was für geschickte Leute!« murmelte Ernauton.

Dann wandte er sich an die Angreifer mit den Worten: »Meine Herren, ihr werdet wenigstens die Güte haben, mir zu sagen ...«

»Ah! es ist Herr von Carmainges,« sagte der Hauptangreifer, der den Degen des jungen Mannes genommen hatte und noch in der Hand hielt.

»Herr von Pincorney!« lief Ernauton. »Oh! pfui! was für ein gemeines Gewerbe treibt Ihr da?«

»Ich habe ›Still!‹ gesagt,« wiederholte die in einer Entfernung von ein paar Schritten klingende Stimme des Anführers; »man führe diesen Menschen zur Station!«

»Aber Herr von Sainte-Maline,« sagte Perducas von Pincorney, »es ist ja unser Kamerad, Herr Ernauton von Carmainges.«

»Ernauton hier!« rief Sainte-Maline, vor Zorn erbleichend; »er, was macht er hier?«

»Guten Abend, meine Herren,« sagte Carmainges ruhig, »ich gestehe, ich glaubte mich nicht in so guter Gesellschaft zu befinden.«

Sainte-Maline blieb stumm.

»Es scheint, man verhaftet mich,« fuhr Ernauton fort, »denn ich nehme nicht, an, daß Ihr mich plündern wolltet,«

»Teufel! Teufel!« brummte Sainte-Maline, »ein solcher Fall war von mir nicht vorhergesehen.« – »Von meiner Seite auch nicht, dies schwöre ich Euch,« sagte Carmainges lachend.

Trotz seiner Versicherung, er habe im Auftrag des Königs gehandelt, wollte Sainte-Maline seinen Nebenbuhler nicht loslassen und nach Vincennes senden.

»Nach Vincennes, vortrefflich, dahin wollte ich,« versetzte Ernauton. »Ich bin glücklich, mein Herr, daß diese kleine Reise so gut mit Euren Absichten übereinstimmt.«

Zwei Mann bemächtigten sich, die Pistole in der Faust, sogleich des Reisenden, den sie zu zwei anderen führten, die fünfhundert Schritte von den ersten aufgestellt waren. Diese zwei anderen taten dasselbe, und Ernauton hatte somit bis in den Hof des Schlosses die Gesellschaft seiner Kameraden.

In diesem Hof erblickte Carmainges fünfzig entwaffnete Reiter, die mit gesenktem Ohr und bleicher Stirn, umgeben von hundertundfünfzig Chevaulegers, ihr schlimmes Schicksal beklagten.

Es waren unsere Fünfundvierzig, die diese Gefangenen gemacht hatten, die einen durch List, die andern mit Gewalt, bald indem sie sich zu zehn gegen zwei oder drei vereinigten, bald indem sie freundlich auf die Reiter, die sie für furchtbar hielten, zutraten und ihnen die Pistole auf die Brust setzten, während die andern Kameraden zu begegnen glaubten. So kam es, daß nicht ein Kampf stattgefunden, daß nicht ein Schrei ausgestoßen worden war.

Als Ernauton die Gefangenen erkannt hatte, denen man ihn zugesellte, sagte er zu Sainte-Maline: »Mein Herr, ich sehe, daß Ihr von der Wichtigkeit meiner Sendung in Kenntnis gesetzt wart, und daß Ihr als ein artiger Kamerad ein schlimmes Zusammentreffen für mich befürchtetet, was Euch bestimmte, mich eskortieren zu lassen; nun kann ich Euch sagen, daß Ihr recht hattet; der König erwartet mich, und ich habe ihm Wichtiges mitzuteilen. Ich werde mir sogar die Ehre geben, dem König zu melden, was Ihr für seinen Dienst getan habt.«

Sainte-Maline erbleichte, wie er errötet war; doch er begriff, daß Ernauton die Wahrheit sprach, und daß er erwartet wurde. Man trieb keinen Spaß mit den Herren von Loignac und von Epernon; er begnügte sich daher zu erwidern: »Ihr seid frei, Herr Ernauton, es entzückt mich, daß ich Euch angenehm sein konnte.«

Ernauton eilte aus den Reihen und stieg die Stufen hinauf, die zu dem Gemach des Königs führten. Sainte-Maline folgte ihm mit den Augen und konnte sehen, wie Loignac Herrn von Carmainges auf der Treppe empfing und ihn durch ein Zeichen vorwärts gehen hieß.

Als Loignac seinem Chef meldete, die Wege seien frei, erwiderte ihm Epernon: »Es ist gut. Der König befiehlt, daß die Fünfundvierzig drei Züge bilden, einen voraus und einen auf jeder Seite der Schläge; jeder Zug muß hinreichend geschlossen sein, daß das Feuer der Feinde die Karosse nicht erreicht.«

»Sehr wohl,« antwortete Loignac mit der Unempfindlichkeit des Soldaten; »doch was das Feuer betrifft, da ich keine Musketen sehe, so kann ich mir nicht denken, wie ein Musketenfeuer stattfinden soll.«

»Bei den Jakobinern werdet Ihr die Reihen schließen lassen,« sagte Epernon.

Dieses Gespräch wurde durch eine Bewegung unterbrochen, die auf der Treppe entstand.

Es war der König, der, zum Aufbruch bereit, herabkam, es folgten ihm einige Edelleute, unter denen Sainte-Maline mit einem leicht begreiflichen Zusammenschnüren des Herzens Ernauton erblickte.

»Meine Herren,« fragte der König, »sind meine braven Fünfundvierzig versammelt?« – »Ja, Sire,« antwortete Epernon, indem er auf eine Gruppe von Reitern deutete, die unter den Gewölben sichtbar war.

»Sind die Befehle gegeben?« – »Man wird sie befolgen, Sire.«

»Vorwärts also,« sagte Seine Majestät.

Epernon ließ zum Aufsitzen blasen. Als es am Schloßturm elf schlug, brach man auf.

Eine Stunde nach Ernautons Entfernung war Mayneville immer noch an dem Fenster, von wo aus er, wie wir gesehen, vergebens dem jungen Mann auf der Straße zu folgen versuchte; als diese Stunde abgelaufen, war er viel weniger ruhig. Nicht einer von den Soldaten war erschienen; schweigsam und schwarz, erscholl die Straße nur in entfernten Zwischenräumen von dem Hufschlag einiger Pferde, deren Reiter mit verhängten Zügeln nach Vincennes jagten. Dieses fortwährende Hin- und Herreiten flößte Mayneville endlich eine solche Unruhe ein, daß er einen von den Leuten der Herzogin zu Pferde steigen ließ, mit dem Befehl, sich bei dem ersten Reiterzuge, dem er begegnen würde, zu erkundigen. Der Bote kehrte nicht zurück.

Als die ungeduldige Herzogin dies sah, schickte sie einen andern ab, der ebensowenig zurückkam wie der erste.

»Unser Offizier,« sagte nun die stets optimistische Herzogin, »befürchtete wohl, zu schwach an Leuten zu sein, und so wird er unsere Boten als Verstärkung behalten haben; das ist klug, aber beunruhigend.« – »Beunruhigend, ja, sehr beunruhigend,« erwiderte Mayneville, dessen Augen den tiefen, düsteren Horizont nicht verließen.

»Mayneville, was kann denn geschehen sein?« – »Ich will selbst zu Pferde steigen, und wir werden es erfahren.« Hierbei machte er eine Bewegung, um wegzugehen, doch die Herzogin hielt ihn zurück.

»Ich verbiete es Euch,« rief die Herzogin, »wer würde denn bei mir bleiben? Wer würde alle unsere Offiziere, unsere Freunde erkennen? Nein, nein, bleibt, Mayneville, man macht sich ganz natürlich Befürchtungen, wenn es sich um ein so wichtiges Geheimnis handelt; aber in der Tat, der Plan war zu gut kombiniert und besonders zu sehr geheim gehalten als daß er uns nicht gelingen sollte.«

»Neun Uhr,« sagte Mayneville, mehr auf seine eigene Ungeduld, als die Worte der Herzogin erwidernd; »ah! nun verlassen die Jakobiner ihr Kloster und stellen sich längs den Mauern des Hofes auf.«

»Still!« rief die Herzogin, die Hand gegen den Horizont ausstreckend. – »Was?« »Still! horcht!« Man fing an in der Ferne ein Rollen, ähnlich dem des Donners, zu haben. »Das ist die Kavallerie,« rief die Herzogin, »sie bringen ihn uns, sie bringen ihn.«

Und, ihrem brausenden Charakter gemäß, von der grausamsten Angst zu der tollsten Freude übergehend, klatschte sie in die Hände und rief: »Ich habe ihn! Ich habe ihn!«

Mayneville horchte immer noch.

»Ja,« sagte er, »es ist ein rollender Wagen, begleitet von galoppierenden Pferden.«

Und er befahl mit voller Stimme: »Aus den Mauern, meine Väter, aus den Mauern!«

Sogleich öffnete sich das große Gitter der Priorei, und in schöner Ordnung kamen die zweihundert bewaffneten Mönche heraus, an deren Spitze Borromée marschierte.

Sie nahmen ihre Stellung quer über die Straße.

Man hörte Gorenflot rufen: »Wartet auf mich, wartet doch auf mich! Es ist wichtig, daß ich an der Spitze des Kapitels stehe, um Seine Majestät würdig zu empfangen.«

»Auf den Balkon, Sire Prior, auf den Balkon!« rief Borromée; »Ihr wißt wohl, daß Ihr uns alle beherrschen müßt; die Schrift sagt: Du wirst sie beherrschen, wie die Zeder den Ysop!«

»Das ist wahr,« sagte Gorenflot, »das ist wahr; ich vergaß, daß ich diesen Posten gewählt hatte, zum Glück seid Ihr da, um mich daran zu erinnern, Bruder Borromée.«

Borromée gab leise einen Befehl, und vier Brüder stellten sich auf den Balkon neben den würdigen Prior.

Bald fand sich die Straße, die in einiger Entfernung von der Priorei eine Biegung bildete, von einer Anzahl von Fackeln beleuchtet, mit deren Hilfe die Herzogin und Mayneville Panzer schimmern und Schwerter glänzen sehen konnten.

Unfähig, sich zu beherrschen, rief sie: »Geht hinab, Mayneville, und bringt ihn mir ganz gebunden, ganz von Wachen eskortiert.« – »Ja, ja,« sagte Mayneville zerstreut; »doch eines beunruhigt mich.«

»Was?« – »Ich höre das verabredete Zeichen nicht.«

»Wozu das Zeichen, da man ihn hat?« – »Aber man hätte ihn, wie mir scheint, erst hier der Priorei gegenüber festnehmen sollen.«

»Sie werden früher eine bessere Gelegenheit gefunden haben.« – »Ich sehe unsern Offizier nicht.«

»Ich sehe ihn.« – »Wo?«

»Jene rote Feder.« – »Alle Teufel, Madame!«

»Was?« – »Jene rote Feder ist Herr von Epernon! Herr von Epernon, den Degen in der Hand!«

»Man hat ihm seinen Degen gelassen.« – »Beim Tod! er befiehlt.«

»Unseren Leuten. Es ist also Verrat?« – »Ei! Madame, es sind nicht unsere Leute.«

»Ihr seid verrückt, Mayneville.«

In diesem Augenblick schwang Loignac an der Spitze des ersten Zuges ein großes Schwert und rief: »Es lebe der König!«

»Es lebe der König!« wiederholten in voller Begeisterung mit ihrem gaskognischen Akzent die Fünfundvierzig.

Die Herzogin erbleichte und sank wie ohnmächtig auf das Fenstersims.

Düster und entschlossen nahm Mayneville das Schwert in die Hand; er wußte nicht, ob man das Haus stürmen würde. Der Zug rückte immer weiter, wie ein Lärm- und Lichtwirbel. Er hatte Bel-Esbat erreicht und war der Priorei nahegekommen.

Borromée machte drei Schritte vorwärts. Loignac trieb sein Pferd gerade gegen den Mönch an, der ihm unter seiner wollenen Robe den Kampf anzubieten schien. Doch als Mann von Kopf sah Borromée, daß alles verloren war, und faßte sogleich seinen Entschluß.

»Platz! Platz!« rief Loignac mit gewaltiger Stimme, »Platz dem König!«

Borromée, der seinen Degen unter der Robe gezogen hatte, steckte ihn auch unter der Robe wieder in die Scheide.

Von dem Geschrei und dem Geräusch der Waffen elektrisiert, von den Flammen der Fackeln geblendet, streckte Gorenflot seine mächtige Rechte aus und segnete den König mit dem Zeigefinger und dem Mittelfinger vom Balkon herab. Heinrich, der sich aus dem Schlage neigte, sah ihn und begrüßte ihn lächelnd.

Dieses Lächeln, ein authentischer Beweis für die Gunst, in der der würdige Prior der Jakobiner bei Hofe stand, begeisterte Gorenflot dergestalt, daß er ebenfalls: Es lebe der König! mit einer Lunge anstimmte, welche die Gewölbbogen einer Kathedrale zu heben imstande gewesen wäre. Borromée rief fast ebenso laut: »Es lebe der König!«, und dann brüllte das ganze Kloster: »Es lebe der König!« und schwang seine Waffen.

»Ich danke, meine ehrwürdigen Väter, ich danke!« rief Heinrichs III. scharfe Stimme.

Heinrich zog an dem Kloster, welches das Ziel seiner Fahrt sein sollte, wie ein Wirbel von Feuer, Lärm und Glorie vorüber und ließ Bel-Esbat in der Finsternis.

Von dem Balkon herab, durch den vergoldeten Wappenschild verborgen, hinter dem sie auf die Knie gesunken war, verschlang die Herzogin jedes Gesicht, auf das die Fackeln ihr flammendes Licht warfen.

»Ah!« machte sie einen Schrei, indem sie auf einen Reiter der Eskorte hinwies. »Seht! seht, Mayneville!« – »Der junge Mann, der Bote des Herrn Herzogs von Mayenne, im Dienste des Königs!«

»Wir sind verloren!« murmelte die Herzogin. – »Wir müssen fliehen, und zwar rasch, Madame,« sagte Mayneville; »heute Sieger, wird der Valois morgen seinen Sieg mißbrauchen.«

»Wir sind verraten worden!« rief die Herzogin. »Dieser junge Mann hat uns verraten! Er wußte alles!«

Der König war schon fern; er war mit seinem ganzen Gefolge unter der Porte Saint-Antoine verschwunden, die sich vor ihm geöffnet und hinter ihm geschlossen hatte.

Chicot segnet Ludwig XI. für die Erfindung der Post.

Chicot, zu dem wir zurückkehren, war nach der Erkennung des Herrn von Mayenne so schnell als möglich geflüchtet. Zwischen dem Herzog und ihm bestand nun wieder ein Kampf auf Leben und Tod.

»Auf! auf!« rief der brave Gaskogner, seinen Ritt in der Richtung nach Beaugency beschleunigend, »hier oder nie ist die Gelegenheit, durch Postpferde das vereinigte Geld von drei erhabenen Personen, die man Heinrich von Valois, Tom Modeste Gorenflot und Sebastian Chicot nennt, laufen zu lassen.«

Gewandt, nicht nur alle Gefühle, sondern auch alle Lebenslagen nachzuahmen, nahm Chicot sogleich die Miene eines vornehmen Herrn an. Nie war ein Fürst mit größerem Eifer bedient worden, als Chicot, nachdem er sein Pferd verkauft und eine Viertelstunde mit dem Postmeister gesprochen hatte.

Sobald er im Sattel saß, beschloß er, nicht eher anzuhalten, als bis er sich an sicherem Orte befände; er galoppierte daher so rasch, als es ihm die Pferde bei dreißigmaligem Wechsel gestatteten. Er selbst war wie aus Stahl gemacht und schien nach sechzig Meilen, die er in zwanzig Stunden zurückgelegt, nicht im geringsten ermüdet. Erst nachdem er in drei Tagen Bordeaux erreicht hatte, erlaubte er sich, ein wenig Atem zu schöpfen.

Er dachte nunmehr mit Ernst an die schwierige Mission, die er übernommen. Chicot wußte, daß Heinrich von Navarra das nicht war, was er zu sein schien, und daß es gelte, ihm mit großer Vorsicht und Verstellung entgegenzutreten.

Sobald er sich innerhalb der Grenze des kleinen Fürstentums Navarra, eines Landes, dessen Armut in Frankreich sprichwörtlich geworden, befand, sah Chicot zu seinem großen Erstaunen nicht mehr auf jedem Gesicht, an jedem Hause, an jedem Stein den Zahn des gräßlichen Elends eingedrückt, der die schönsten Provinzen des herrlichen Frankreich, die er verlassen, zernagte.

Der Holzhauer, der, den Arm auf das Joch seines Lieblingsochsen stützend, vorüberzog, das Mädchen mit dem kurzen Rock und dem behenden Gang, das Wasser auf dem Kopfe trug; der Greis, der, sein, weißes Haupt wiegend, ein Lied aus seiner Jugendzeit trällerte; das gebräunte Kind, mit den mageren, aber nervigen Gliedern, das auf Haufen von Maisblättern spielte; alles redete zu Chicot eine lebendige, klare, verständliche Sprache; alles rief ihm auf jedem Schritt, den er vorwärts tat, zu: »Sieh, hier ist man glücklich!«

Von einem Bauern erfuhr er unterwegs, daß der König in Nerac war. Auf der Straße dorthin fand er viele Leute, die vom Markte von Condom kamen.

Man teilte ihm mit, daß der König von Navarra ein sehr lustiges Leben führe, und daß er ohne Ruh und Rast von einer Liebschaft zur anderen übergehe.

Chicot war so glücklich gewesen, auf dem Wege mit einem jungen katholischen Priester, einem Schafhändler und einem Offizier zusammenzutreffen, die sich von Mont-de-Marsan an Gesellschaft leisteten und, wo man anhielt, bei schwelgerischen Mahlen vertrauliche Gespräche pflogen.

Diese Leute schienen ihm vortrefflich das gelehrte, das handeltreibende und das kriegführende Navarra zu vertreten. Der Geistliche erzählte ihm von den Sonetten, die man auf die Liebschaft des Königs mit der schönen Fosseuse, einer Tochter René Montmorencys, Barons von Fosseur, machte.

»Sprecht!« sagte Chicot, »man glaubt in Paris, Seine Majestät der König von Navarra sei wahnsinnig in Fräulein Le Rebours verliebt.«

»Oh!« erwiderte der Offizier, »das war in Pau.«

»Ja, ja,« bestätigte der Geistliche, »das war in Pau.«

»Ah! das war in Pau,« versetzte der Handelsmann, der als einfacher Bürger am wenigsten gut von den dreien unterrichtet zu sein schien.

»Wie!« fragte Chicot, »der König hat also in jeder Stadt eine Geliebte?«

»Das könnte wohl sein,« antwortete der Offizier, »denn soviel mir bewußt ist, war er der Liebhaber von Fräulein Dayelle, während ich in Castelnaudary in Garnison lag.«

»Wartet!« sagte Chicot, »Fräulein Dayelle, eine Griechin?«

»So ist es,« sagte der Geistliche, »eine Cypriotin.«

»Verzeiht!« sagte der Handelsmann, höchlich erfreut, sein Wort anbringen zu können, »ich bin von Agen.«

»Nun?«

»Ich kann dafür stehen, daß der König Fräulein Tignonville in Agen gekannt hat.«

»Alle Wetter!« rief Chicot, »was für ein rüstiger Liebhaber! Doch um auf Fräulein Dayelle zurückzukommen, deren Familie ich kannte ...«

»Fräulein Dayelle war eifersüchtig und drohte unablässig; sie hatte einen hübschen, kleinen, gebogenen Dolch, den sie auf den Arbeitstisch legte, und eines Tages reiste der König ab, nahm den Dolch mit und sagte, er wolle nicht, daß seinem Nachfolger Unglück widerfahre.«

»So daß zu dieser Stunde Seine Majestät ganz Fräulein Le Rebours gehört?« fragte Chicot.

»Im Gegenteil,« erwiderte der Priester, »sie sind entzweit; sie war eines Präsidenten Tochter und als solche ein wenig zu stark im Prozessieren. Sie hat infolge der Eingebungen der Königin-Mutter so viel gegen die Königin plädiert, daß die Arme darüber krank wurde. Die Königin Margot, die nicht dumm ist, benutzte das zu ihrem Vorteil und bestimmte den König, Pau mit Nerac zu vertauschen, wodurch eine Liebschaft abgeschnitten wurde.«

»Also ist die neue Leidenschaft des Königs für die Fosseuse?« fragte Chicot.

»Oh! mein Gott, ja, um so mehr, als sie in anderen Umständen ist... ein wahrer Wahnsinn!«

»Die Königin legt ihre Schmerzen zu den Füßen des Kruzifixes nieder,« sagte der Geistliche.

»Überdies weiß die Königin dies alles nicht,« bemerkte der Offizier.

»Bah!« entgegnete Chicot, »das ist nicht möglich.«

»Warum?« fragte der Offizier.

»Weil Nerac keine so große Stadt ist, daß nicht alles darin durchsichtig sein muß.«

»Ah! was das betrifft,« sagte der Geistliche, »es ist dort ein Park, und in dem Part sind Alleen von mehr als dreitausend Schritten, ganz mit Zypressen, Platanen und herrlichen Sykomoren bepflanzt; das gibt einen Schatten, daß man am hellen Tag keine zehn Schritte weit sieht. Bedenkt ein wenig, ob man da bei Nacht etwas sehen kann.«

»Und dann ist die Königin beschäftigt!«

»Und womit, wenn ich fragen darf?«

»Mit Gott, mein Herr,« antwortete der Priester voll Stolz.

»Mit Gott!« rief Chicot. »Die Königin ist fromm?«

»Sehr fromm.«

»Doch ich denke, es gibt keine Messe im Palast,« sagte Chicot.

»Da habt Ihr ganz unrecht. Keine Messe! haltet Ihr uns denn für Heiden? Erfahrt, mein Herr, daß, wenn der König mit seinen Edelleuten in die Predigt geht, die Königin sich in einer Privatkapelle Messe lesen läßt.«

»Die Königin Margarete?«

»Die Königin Margarete, so daß ich, ein unwürdiger Priester, zwei Taler erhalten habe, weil ich zweimal in dieser Kapelle amtete.«

Chicot hatte mehr Auskunft erhalten, als er brauchte, um einen ganzen Plan zu bauen. Er kannte Margarete, denn er hatte sie in Paris Hof halten sehen, und er wußte, daß sie, wenn sie in Liebesangelegenheiten wenig hellsehend war, irgendeinen Grund haben mußte, sich eine Binde um die Augen zu befestigen.

Gegen Abend kam Chicot nach Nerac, gerade zur Stunde der Promenaden, die den König von Frankreich und seinen Botschafter so sehr beschäftigten.

Chicot konnte sich übrigens von, der Leichtigkeit der königlichen Sitten durch die Art und Weise überzeugen, wie er zur Audienz zugelassen wurde. Ein einfacher Bedienter öffnete ihm die Tür des Salons, dessen Zugänge mit Blumen besetzt waren; über diesem Salon lagen das Vorzimmer des Königs und das Zimmer, das er bei Tag bewohnte, um die Audienzen zu erteilen, mit denen er so verschwenderisch war.

Ein Offizier, sogar nur ein Page, meldete ihm, wenn ein Besuch kam. Dieser Offizier oder dieser Page lief dem König nach, bis er ihn an irgendeinem Orte, wo er gerade war, fand. Der König kam auf die einfache Aufforderung und empfing den Bittsteller.

Chicot war ganz gerührt über diese anmutige Leichtigkeit. Er hielt den König für gut, lauter und sehr verliebt.

Dies war noch viel mehr seine Ansicht, als er am Ende einer langen, von blühenden Oleandern besetzten Allee den König von Navarra mit einem schlechten Filzhut, braungelben Wams und grauen Stiefeln ganz heiter, ein Bilboquet in der Hand, kommen sah.

Heinrich hatte eine glatte Stirn, als ob ihn keine Sorge mit ihrem Flügel zu berühren wagte, einen lachenden Mund, ein von Sorglosigkeit und Gesundheit glänzendes Auge. Während er sich näherte, riß er mit der linken Hand Blumen von der Einfassung ab.

»Wer will mich sprechen?« fragte er seinen Pagen.

»Sire, ein Mann, der halb das Aussehen eines vornehmen Herrn, halb das eines Kriegers hat.«

Chicot hörte diese Worte, ging freundlich auf ihn zu und sagte: »Ich, Sire.«

»Ah!« rief der König, seine Arme zum Himmel erhebend, »Herr Chicot in Navarra, Herr Chicot bei uns, Ventre-saint-gris! seid willkommen, mein lieber Herr Chicot.« – »Tausend Dank, Sire.«

»Gott sei Dank, ganz lebendig?« – »Ich hoffe es wenigstens, teurer Sire,« sagte Chicot, entzückt über diesen Empfang.

»Ah! parbleu, wir trinken miteinander ein Gläschen Limourwein, über den Ihr mir Euer Urteil sagen möget. Ihr gewährt mir in der Tat eine große Freude, Herr Chicot, setzt Euch hierher.« Und er deutete auf eine Rasenbank. – »Nie, Sire,« erwiderte Chicot, sich sträubend.

»Habt Ihr denn zweihundert Meilen gemacht, um mich zu besuchen, damit ich Euch stehen lasse? Nein, Herr Chicot, setzt Euch, setzt Euch, man plaudert nur sitzend gut.« – »Aber, Sire, die Ehrfurcht ...«

»Ehrfurcht bei uns, in Navarra? Du bist ein Narr, mein armer Chicot, wer denkt denn daran?« – »Nein, Sire,« entgegnete Chicot, »ich bin kein Narr, ich bin Botschafter.«

Eine leichte Falte bildete sich auf der Stirn des Königs; doch sie verschwand so rasch, daß Chicot keine Spur davon erkannte.

»Botschafter,« sagte Heinrich mit einem Erstaunen, das er naiv zu machen suchte, »Botschafter, von wem?« – »Botschafter von König Heinrich III. Ich komme von Paris und vom Louvre, Sire.«

»Ah! das ist etwas anderes,« versetzte der König, indem er mit einem Seufzer von der Rasenbank aufstand. »Geht, Page, laßt uns allein. Bringt Wein in den ersten Stock in mein Zimmer, nein, in mein Kabinett. Kommt mit mir, Chicot, daß ich Euch führe.«

Chicot folgte dem König von Navarra. Heinrich ging rascher, als da er durch seine Oleanderallee zurückkam.

»Welch ein Elend!« dachte Chicot. »Ich soll diesen ehrlichen Mann in seinem Frieden und in seiner Unwissenheit stören. Basta! er wird Philosoph sein.«

Wie der König von Navarra lateinisch versteht.

Das Kabinett des Königs von Navarra war, wie man sich denken kann, nicht sehr kostbar. Seine Bearnsche Majestät war nicht reich und hielt mit dem wenigen, was sie besaß, Haus. Dieses Kabinett nahm mit dem Prunkschlafgemach den ganzen rechten Flügel des Schlosses ein, ein Korridor lief an dem Vorzimmer oder dem Zimmer der Wachen und am Schlafzimmer hin und führte zu dem Kabinett, aus dem sich eine herrliche Aussicht bot.

Es ist nicht zu leugnen, diese natürlichen Schönheiten nahmen Chicot weniger in Anspruch, als die Einrichtung des Kabinetts, Heinrichs gewöhnlicher Wohnung. In jedem Gerät schien der verständige Gesandte einen Buchstaben zu suchen und aus ihnen allen den Schlüssel zu dem Rätsel zu gewinnen, nach dessen Lösung er schon so lange und auf seinem ganzen Wege geforscht hatte.

Der König setzte sich mit seiner gewöhnlichen Leutseligkeit und mit seinem ewigen Lächeln in einen großen Lehnstuhl von Hirschleder mit vergoldeten Nägeln, aber wollenen Fransen; ihm gegenüber stellte Chicot ein Taburett, das ebenso überzogen und mit ähnlicher Zier versehen war.

»Ihr werdet mich für sehr neugierig halten, mein lieber Herr Chicot,« begann der König, »daß ich Euch so anschaue, aber ich kann nicht anders; ich glaubte so lange, Ihr wäret tot, daß ich mich trotz der großen Freude, die mir Eure Auferstehung bereitet, nicht in den Gedanken, Ihr lebt, finden kann. Warum seid Ihr denn plötzlich aus dieser Welt verschwunden?« – »Ei! Sire,« erwiderte Chicot mit seiner gewöhnlichen Freimütigkeit, »Ihr seid wohl auch aus Vincennes verschwunden. Jeder macht sich nach Maßgabe seiner Mittel und besonders seines Bedürfnisses unsichtbar.« – »Ihr habt immer mehr Witz als jeder andere, mein lieber Herr Chicot,« sagte Heinrich, »und daran erkenne ich hauptsächlich, daß ich nicht mit Eurem Schatten spreche.«

Dann nahm er eine ernste Miene an und fügte hinzu: »Noch wollen wir nicht den Witz beiseite lassen und von unseren Angelegenheiten sprechen?« – »Wenn es Eure Majestät nicht zu sehr ermüdet, so bin ich zu Befehl.«

Das Auge des Königs funkelte. »Ich müde? Es ist wahr, ich roste hier ein, doch ich bin nicht müde, solange ich nichts getan habe.«

»Sire, das ist mir sehr erfreulich; Botschafter eines Königs, Eures Verwandten und Freundes, habe ich Aufträge von sehr zarter Natur bei Eurer Majestät zu vollziehen.« – »Sprecht geschwind, denn Ihr reizt meine Neugierde.«

»Sire...«

»Zuerst Euer Beglaubigungsschreiben; ich weiß, dies ist eine unnötige Förmlichkeit; da Ihr bei mir erscheint; doch ich will Euch beweisen, daß wir, obgleich ein Bearner Bauer, unsere Pflichten als König kennen.«

Chicot teilte hierauf dem König kurz mit, daß und warum er das Beglaubigungsschreiben vernichtet, vorher aber auswendig gelernt habe. Das Schreiben sei Lateinisch abgefaßt gewesen. Heinrich erklärte, er verstehe diese Sprache nicht, während Chicot mit gleicher Ehrlichkeit seine Unkenntnis dieser Sprache behauptete. Chicot begann:

»Frater carissime«,

»Sincerus amor, quo te prosecquebatur germanus noster Carolus nonus, functus nuper, colet usque regiam nostram et pectori meo pertinaciter adheret.«

Heinrich verzog keine Miene, doch bei dem letzten Worte unterbrach er Chicot mit einer Gebärde und sagte:

»Wenn ich mich nicht sehr täusche, ist in diesem Satz von Liebe, von Hartnäckigkeit und von meinem Schwager Karl IX. die Rede?« – »Ich möchte nicht nein sagen, das Lateinische ist eine so schöne Sprache, daß dies alles in einem einzigen Satze enthalten sein könnte.«

»Fahrt fort!« sagte der König.

Chicot fuhr fort.

Der Bearner hörte mit demselben Phlegma alle Stellen an, wo von seiner Frau und von dem Vicomte von Turenne die Rede war; bei dem letzten Worte aber fragte er: » Turennius, bedeutet das nicht Turenne?« – »Ich denke wohl, Sire.«

»Und Margota, wäre das nicht der freundschaftliche Name, den meine Schwäger Karl IX. und Heinrich III. ihrer Schwester, meiner vielgeliebten Gemahlin Margarete, gaben?« – »Ich kann das nicht als unmöglich ansehen,« erwiderte Chicot. Und er fuhr in seiner Übertragung bis zum letzten Ende des Satzes fort, ohne daß ein einziges Mal das Gesicht des Königs seinen Ausdruck veränderte.

Endlich hielt er an, nachdem er die Schlußworte mit einem ganz sonderbaren Schnarren gesprochen hatte.

»Seid Ihr zu Ende?« fragte Heinrich. – »Ja, Sire.«

»Das muß herrlich sein.« – »Nicht wahr, Sire?«

»Welch ein Unglück, daß ich nur die beiden Worte: Turennius und Margota, verstanden habe.« – »Ein unwiederbringliches Unglück, Sire, wenn sich Eure Majestät nicht entschließt, den Brief durch irgendeinen Geistlichen übersetzen zu lassen.«

»Oh! nein,« rief Heinrich lebhaft. »Und Ihr selbst, Herr Chicot, der Ihr bei Eurer Botschaft mit so viel Diskretion zu Werke gegangen seid, daß Ihr das Original der Schrift habt verschwinden lassen, werdet mir nicht raten, diesen Brief irgendwie der Öffentlichkeit zu übergeben?« – »Ich sage das nicht, Sire.«

»Aber Ihr denkt es?« – »Ich denke, da Eure Majestät mich fragt, daß der Brief des Königs, Eures Schwagers, der mir so sehr empfohlen und an Eure Majestät durch einen besonderen Abgesandten übergeben ist, vielleicht da und dort etwas Gutes enthält, wovon Eure Majestät Gebrauch machen könnte.«

»Ja, doch um das Gute jemand anzuvertrauen, müßte ich zu irgend jemand volles Zutrauen haben.« – »Gewiß.«

»Nun, so tut eines,« sagte Heinrich, wie von einem Gedanken erleuchtet. – »Was?« »Sucht meine Frau Margota auf; sie ist gelehrt; tragt ihr den Brief vor, und sie wird ihn verstehen... Und dann wird sie mir ihn ganz natürlich erklären.« – »Ah! das ist bewunderungswürdig!« rief Chicot. »Eure Majestät spricht goldene Worte.«

»Nicht wahr? Geht also!« – »Ich eile, Sire.«

»Verändert nicht ein Wort an dem Briefe.« – »Das wäre mir unmöglich. Ich müßte das Lateinische verstehen, und ich verstehe davon höchstens hier und da einen barbarischen Ausdruck.«

»Geht, mein Freund, geht!«

Chicot erbat sich die nötige Auskunft, wie er die Königin finden könne, und verließ Heinrich, mehr als je überzeugt, Heinrich sei ein Rätsel.

Die Allee von dreitausend Schritten.

Die Königin bewohnte den anderen Flügel des Schlosses, wo man fast immer Musik hörte und einen Federbusch umherschweifen sah.

Die berühmte Allee von dreitausend Schritten fing unter den Fenstern Margarethes an, und ihr Blick verweilte nur auf angenehmen Gegenständen, wie blühenden Gesträuchen und grünenden Lauben. Es war, als wollte die arme Fürstin durch den Anblick anmutiger Dinge die düsteren Gedanken verjagen, die im Grunde ihres Geistes wohnten.

Am Fuße des Throns geboren, Tochter, Schwester, Frau eines Königs, hatte Margarethe viel gelitten, und obwohl sie Philosophin war oder vielmehr sein wollte, hatte doch schon die Zeit und der Kummer ihre ausdrucksvollen Furchen auf ihrem Antlitz ziehen dürfen. Nichtsdestoweniger war sie noch von einer merkwürdigen, feinen Schönheit, die gerade den Erhabensten gefällt, und der man stets den Vorrang vor der physischen Schönheit einzuräumen geneigt ist. Margarethe hatte das freundliche, gute Lächeln, das feuchte, glänzende Auge, die geschmeidige, liebkosende Gebärde, sie war, wie gesagt, immer ein anbetungswürdiges Geschöpf.

Sie wurde auch in Nerac, wohin sie Eleganz, Freude und Leben brachte, vergöttert. Ihr Hof war nicht allein ein Hof von Edelleuten und Damen, alles Volk liebte sie zugleich als Königin und als Frau, die Harmonie ihrer Flöten und Geigen und auch ihre Mahlzeiten waren für jedermann. Sie wußte auch von der Zeit einen nützlichen Gebrauch zu machen, daß jeder ihrer Tage ihr etwas brachte, und daß keiner für ihre Umgebung verloren war.

Klug wußte sie ihren Kummer über Heinrichs Entgleisungen zu verbergen und hatte sich daran gewöhnt, mit der Liebe oder wenigstens mit dem Anschein der Liebe zu leben und durch Poesie und Wohlleben Familie, Gatten, Freunde und alles übrige zu ersetzen.

Niemand außer Katharina von Medici, Chicot und einigen wenigen hatte sagen können, warum Margarethes Wangen so bleich waren. Margarethe hatte keine Vertraute, sie wollte keine mehr, seitdem die Leute ihre Ehre und ihr Vertrauen für Geld verkauft hatten.

Der Bearner schonte übrigens in ihr eine Tochter Frankreichs; er sprach mit ihr nur mit botmäßiger Höflichkeit oder freundlichem Sichgehenlassen; er beobachtete gegen sie bei jeder Gelegenheit und bei allen Dingen das Benehmen eines Gatten und eines Freundes.

Von Heinrich belehrt, begab Chicot sich in die Gemächer der Königin, doch er fand niemand. Margarethe war, wie man ihm sagte, am Ende der schönen Allee am Fluß, und er ging in diese berühmte Oleanderallee von dreitausend Schlitten.

Als er zwei Drittel durchwandert hatte, erblickte er unter einem Boskett von spanischem Jasmin und Reben eine buntscheckige Gruppe von Federn, Bändern und Samtdegen. Es ging Chicot ein Page voran; die Königin, deren Augen mit der ewigen Unruhe schwermütiger Herzen umherschweiften, erkannte die Farben von Navarra und rief dem Pagen.

»Was willst du, d'Aubiac?« fragte sie.

Der junge Mensch oder vielmehr das Kind, denn er war kaum zwölf Jahre alt, errötete und beugte ein Knie vor Margarethe.

»Madame,« sagte er französisch, denn die Königin verbot die Anwendung des Dialekts bei allen dienstlichen Meldungen und allen Geschäftssachen, »ein Herr aus Paris, vom Louvre an Seine Majestät den König von Navarra abgesandt und von Seiner Majestät dem König von Navarra an Euch geschickt, wünscht Eure Majestät zu sprechen.«

Ein plötzliches Feuer färbte das schöne Antlitz Margarethes. Sie wandte sich rasch und mit dem peinlichen Gefühle um, das bei jeder Veranlassung lange Zeit bedrückte Herzen durchdringt. Chicot stand unbeweglich zwanzig Schritte von ihr.

Ihre scharfen Augen erkannten an der Haltung und dem Profil bekannte Formen; sie verließ den Kreis, statt den Ankömmling nähertreten zu lassen.

Während sie sich indessen umwandte, um die Gesellschaft zu verabschieden, machte sie mit der Spitze der Finger einem der reichstgekleideten und schönsten Edelleute ein Zeichen. Der Abschied für alle war in Wirklichkeit nur ein Abschied für einen einzigen.

Da jedoch der bevorzugte Kavalier trotz des Grußes nicht ohne Unruhe zu sein schien, und da ein Frauenauge alles sieht, so sagte Margarethe: »Herr von Turenne, wollt diesen Damen sagen, daß ich im Augenblick zurückkomme.«

Der hübsche Edelmann mit dem weißblauen Wams verbeugte sich mit mehr Leichtigkeit, als es ein gleichgültiger Höfling getan hätte.

Die Königin trat rasch auf Chicot zu, der die Szene, die so sehr mit den Ausdrücken des Briefes, den er brachte, im Einklang stand, mit prüfendem Auge betrachtet hatte, ohne sich einen Zoll von der Stelle zu rühren.

»Herr Chicot!« rief Margarethe erstaunt. – »Zu den Füßen Eurer Majestät,« sagte Chicot, »die stets gut und stets schön und immer Königin ist, wie im Louvre so in Nerac.«

»Es ist ein Wunder, Euch so fern von Paris zu sehen.« – »Verzeiht, Madame, nicht der arme Chicot hat den Gedanken gehabt, dieses Wunder zu tun.«

»Ich glaube das wohl, Ihr waret tot, wie man sagte.« – »Ich spielte den Toten.«

»Was wollt Ihr von uns, Herr Chicot, sollte ich so glücklich sein, daß man sich in Frankreich der Königin von Navarra erinnerte?« – »Oh! Madame,« erwiderte Chicot lächelnd, »seid unbesorgt, man vergißt die Königinnen bei uns nicht, wenn sie Euer Alter und besonders Eure Schönheit haben.«

»Man ist also immer noch artig in Paris?« – »Der König von Frankreich,« sagte Chicot, ohne die letzte Frage zu beantworten, »schreibt sogar an den König von Navarra über diesen Gegenstand.«

Margarethe errötete. »Er schreibt?« fragte sie. – »Ja, Madame.«

»Habt Ihr den Brief gebracht?« – »Gebracht, nein, aus Gründen, die Euch der König von Navarra erklären wird, aber auswendig gelernt und aus dem Gedächtnis wiederholt.«

»Ich begreife; der Brief war wichtig, und Ihr befürchtetet, er könnte, verloren gehen oder Euch gestohlen werden.« – »So ist es, Madame; Eure Majestät entschuldige mich; aber der Brief war lateinisch geschrieben.«

»Oh! sehr gut! Ihr wißt, daß ich das Lateinische verstehe.« – »Und der König von Navarra versteht es auch?«

»Mein lieber Herr Chicot, es ist sehr schwer zu wissen, was der König von Navarra weiß oder nicht weiß.« – »Ah! ah!« machte Chicot, glücklich, zu sehen, daß er nicht allein den Schlüssel des Rätsels suchte.

»Wenn man dem Anschein glauben darf, versteht er es sehr schlecht, denn nie begreift er oder scheint wenigstens nie zu begreifen, wenn ich mit einem vom Hofe in dieser Sprache rede.« – »Ah! Teufel!« macht Chicot und biß sich auf die Lippen.

»Habt Ihr ihm den Brief vorgesagt?« – »Er war an ihn gerichtet.«

»Und er schien ihn zu verstehen?« – »Nur zwei Worte.«

»Welche?« – »Turennius und Margota.«

»Was hat er sodann getan?« – »Er hat mich zu Euch geschickt.«

»Zu mir?« – »Ja, indem er sagte, dieser Brief scheine zu wichtige Dinge zu enthalten, als daß man ihn durch einen Fremden übersetzen lassen könnte, und es wäre besser, wenn Ihr es tätet, Ihr die Schönste der Gelehrtinnen und die Gelehrteste unter den Schönen.«

»Ich werde Euch anhören, Herr Chicot, da es der Befehl des Königs ist, daß ich Euch höre.« – .»Ich danke, Madame; wo beliebt es Eurer Majestät, daß ich spreche?«

»Hier; nein, nein, bei mir vielmehr; ich bitte, kommt in mein Kabinett!«

Margarethe schaute mit einem tief forschenden Blicke Chicot an, der sie, wohl aus Mitleid mit ihr, eine Ecke der Wahrheit hatte erschauen lassen.

Die arme Frau fühlte das Bedürfnis einer Unterstützung, einer Rückkehr zur Liebe vielleicht, um die Prüfung auszuhalten, die sie bedrohte.

»Vicomte,« sagte sie zu Herrn von Turenne, »Euren Arm bis zum Schloß! Habt die Güte, uns voranzugehen, Herr Chicot.«

Das Kabinett Margarethes.

Im Kabinett der Königin wurde Chicot eingeladen, sich in einen schönen, guten Lehnstuhl zu setzen, dessen Stickerei einen Amor darstellte, der eine Wolke von Blumen ausstreute; ein Page, der nicht d'Aubiac, aber viel schöner und viel reicher gekleidet war als dieser, bot dem Gesandten neue Erfrischungen an.

Chicot nahm nichts an und begann, sobald der Vicomte von Turenne den Platz verlassen hatte, mit treuem Gedächtnis den Brief des Königs von Frankreich und Polen herzusagen.

Chicot sprach, um sich möglichst die Verlegenheit zu sparen, das Lateinische so verkehrt wie möglich aus und hielt den Kopf gesenkt. Margarethe aber verstand sofort alles Boshafte und Stechende des Briefes.

Man darf auch nicht glauben, daß Chicot seine Nase ewig gesenkt hielt, er schlug bald ein Auge, bald das andere auf und beruhigte sich dann, als er sah, daß die Königin unter ihren bald zusammengezogenen Brauen einen Entschluß faßte. Er vollendete also mit ziemlicher Ruhe die Grüße des königlichen Briefes.

»Beim heiligen Abendmahl,« sagte die Königin, als Chicot geendigt hatte, »mein Bruder schreibt hübsch Lateinisch; welche Lebhaftigkeit, welcher Stil! Ich hätte nie geglaubt, daß er so stark darin sei.«

Chicot machte eine Bewegung mit dem Auge und öffnete die Hände wie ein Mensch, der sich das Ansehen gibt, als billige er aus Höflichkeit, während er nichts versteht.

»Ihr versteht es nicht?« sagte die Königin, die mit allen Sprachen und auch mit der Mimik vertraut war. »Ich glaubte, Ihr wäret ein starker Lateiner.«

»Madame, ich habe es vergessen; alles, was ich heute weiß, alles, was ich von meiner alten Wissenschaft noch übrig habe, ist, daß das Lateinische keinen Artikel, daß es einen Vokativ hat, und daß der Kopf in dieser Sprache sächlichen Geschlechtes ist.«

»Ah! wahrhaftig!« rief eintretend eine heitere und laute Stimme.

Chicot und die Königin wandten sich rasch um.

»Wie?« sagte Heinrich hinzutretend, »der Kopf ist im Lateinischen sächlichen Geschlechts, Herr Chicot ... und warum ist er denn nicht männlichen Geschlechts?« – »Ah! Sire, ich weiß es nicht und wundere mich darüber wie Eure Majestät.«

»Ich wundere mich auch darüber,« sagte Margarethe träumerisch.

»Das muß so sein,« sagte der König, »weil bald der Mann, bald die Frau die Herren sind, und zwar je nach dem Temperament des Mannes oder der Frau.«

Sich verbeugend, sagte Chicot: »Das ist offenbar der beste Grund, den ich kenne.«

»Desto besser, es freut mich unendlich, daß ich ein tieferer Philosoph bin, als ich glaubte. Doch kommen wir nun auf den Brief zurück; wißt, Madame, daß ich vor Verlangen brenne, die Neuigkeiten vom französischen Hofe zu erfahren, und nun bringt sie mir dieser brave Herr Chicot gerade in lateinischer Sprache; sonst ...«

»Sonst?« wiederholte Margarethe.

»Sonst würde ich mich daran ergötzen, Ventre-saint-gris! Ihr wißt, wie sehr ich die Neuigkeiten liebe, und besonders die skandalösen Neuigkeiten, – wie sie mein Schwager Heinrich von Valois so gut zu erzählen weiß,«

Bei diesen Worten setzte sich Heinrich von Navarra und rieb sich die Hände.

»Sprecht, Herr Chicot,« fuhr der König mit der Miene eines Mannes fort, der sich recht zu werden anschickt; »Ihr habt den Brief meiner Frau vorgesagt, nicht wahr?« – »Ja, Sire.«

»Nun, mein Herzchen, erzählt mir ein wenig, was dieser Brief enthält.«

»Es ist ein hinterlistiger Brief, Sire.«

»Bah!«

»Oh, ja! er enthält mehr Verleumdungen, als nötig sind, um nicht nur einen Mann mit seiner Frau, sondern auch einen Freund mit allen seinen Freunden zu entzweien.«

»Hoho!« machte Heinrich, indem er sich aufrichtete und sein von Natur so offenes, so treuherziges Gesicht mit einem geheuchelten Mißtrauen bewaffnete, »einen Mann und eine Frau entzweien, Euch und mich also?« – »Euch und mich, Sire.«

»Und worin, mein Herzchen?«

Chicot fühlte sich auf Dornen und würde, obgleich er hungrig war, viel gegeben haben, wenn er hätte ohne Abendessen schlafen gehen können.

»Die Wolke wird platzen,« murmelte er in sich, »die Wolke wird platzen.«

»Sire,« sagte die Königin, »ich bedaure, daß Eure Majestät das Lateinische vergessen hat, das man sie doch hat lehren müssen.«

»Madame, ich erinnere mich nur noch eines Satzes von all dem Lateinischen, das ich gelernt habe, dies ist der Satz: Deus et virtus aeterna.« (Gott und die Tugend sind ewig).«

»Sire,« fuhr die Königin fort, »wenn Ihr es verstündet, würdet Ihr in dem Briefe viele Komplimente von allerlei Art für mich sehen.«

»Oh! sehr gut!« sagte der König.

» Optime!« murmelte Chicot.

»Aber inwiefern,« fragte Heinrich, »können uns Komplimente entzweien, Madame, denn solange Euch mein Schwager Heinrich Komplimente machte bin ich seiner Ansicht; würde man Schlimmes von Euch in diesem Briefe sagen, ah! das wäre etwas anderes, Madame, und ich würde die Politik meines Schwagers begreifen.«

»Ah! wenn man Schlimmes von mir sagte, würdet Ihr Heinrichs Politik begreifen?«

»Ja, er hat Beweggründe, uns zu entzweien, die ich kenne.«

»Geduld, Sire, denn die Komplimente sind nur ein höflicher Eingang, um zu Verleumdungen gegen Eure Freunde und die meinigen zu kommen.«

Und nach diesen kühn hingeworfenen Worten wartete Margarethe, ob man sie widerlegen würde.

Chicot senkte die Nase, Heinrich zuckte die Achseln.

»Seht, mein Herzchen,« sagte er, »ob Ihr nicht doch das Lateinische nicht wohl verstanden habt, und ob wirklich diese schlimme Absicht in dem Briefe meines Schwagers enthalten ist.«

So sanft und salbungsreich Heinrich diese Worte sprach, schleuderte ihm die Königin von Navarra doch einen Blick voll Mißtrauen zu.

»Versteht mich ganz und gar, Sire,« sagte sie.

»Gott ist mein Zeuge, ich wünsche nichts anderes, Madame.«

»Sprecht, bedürft Ihr Eurer Diener oder nicht?«

»Ob ich ihrer bedarf, mein Herzchen? Eine schöne Frage! Mein Gott! was sollte ich ohne sie tun?«

»Nun Wohl, Sire! Der König will Euch Eure besten Diener abspenstig machen.«

»Ich fordere ihn auf, das zu tun.«

»Bravo, Sire,« murmelte Chicot.

»Ei! allerdings!« sagte Heinrich mit jener erstaunlichen Gutmütigkeit, die ihm so eigentümlich war, daß sich bis an seines Lebens Ende jeder dadurch hintergehen ließ, »denn meine Diener sind mir durch Zuneigung und nicht durch Interesse zugetan. Ich habe ihnen nichts zu geben.«

»Ihr gebt ihnen Euer Herz, Eure Treue, Sire, und das ist die beste Wiedervergeltung eines Königs für seine Freunde.«

»Nun! Sire, traut ihnen nicht mehr!«

»Ventre-saint-gris! das wird nur geschehen, wenn sie mich dazu zwingen, nämlich wenn sie es verschulden.«

»Gut, Sire, dann wird man Euch beweisen, daß sie es verschulden.«

»Ah! ah!« machte der König, »aber wodurch?«

Chicot senkte abermals den Kopf, wie er es immer in peinlichen Augenblicken tat.

»Ohne zu kompromittieren, kann ich Euch das nicht erzählen, Sire...« erwiderte Margarethe.

Und sie schaute umher.

Chicot begriff, daß er überflüssig war, und wich zurück.

»Lieber Bote,« sagte der König, »wollt mich in meinem Kabinett erwarten; die Königin hat mir etwas Besonderes, etwas für meinen Dienst Nützliches, wie ich sehe, zu sagen.«

Margarethe blieb unbeweglich, abgesehen von einem kleinen Zeichen mit dem Kopf, das Chicot allein aufgefaßt zu haben glaubte.

Als Heinrich mit seiner Frau unter vier Äugen war, teilte er ihr zunächst mit, daß er am nächsten Tage auf eine große Jagd gehe. Sodann bat er sie, der Fosseuse, deren »Krankheit« ihn mit Unruhe erfülle, durch einen Besuch ihre Teilnahme zu beweisen. Die Königin wies die Zumutung zunächst weit von sich. Heinrich ließ aber durchblicken oder wenigstens ahnen, daß er von dem Inhalt des Pariser Briefes mehr wisse, als ihr lieb sein konnte. So brachte er sie dahin, daß sie, halb von Besorgnis, halb vom Bewußtsein eigenen Fehls getrieben, in den schweren Gang zum Krankenbett ihrer Nebenbuhlerin willigte. Erfreut umarmte sie Heinrich fast liebevoll und ließ sie verwirrt und erstaunt über alles, was sie gehört hatte, in ihrem Kabinett zurück.

Der spanische Botschafter.

Der König suchte hierauf Chicot in seinem Zimmer wieder auf.

»Nun! Chicot?« fragte Heinrich. – »Nun! Sire.«

»Du weißt nicht, was die Königin behauptet?« – »Nein.«

»Sie behauptet, dein verfluchtes Lateinisch werde unsere ganze Ehe in Verwirrung bringen.« – »Ei! Sire, vergessen wir um Gotteswillen dieses Lateinische, und alles ist gut.«

»Der Teufel soll mich holen, ich denke nicht mehr daran.« – »Das ist recht.«

»Wahrhaftig, ich habe etwas ganz anderes zu tun, als hieran zu denken.« – »Eure Majestät zieht es vor, sich zu vergnügen?«

»Ja, mein Sohn,« erwiderte Heinrich, ziemlich unzufrieden mit dem Tone, in dem Chicot diese wenigen Worte ausgesprochen hatte, »ja, meine Majestät liebt es mehr, sich zu Vergnügen.« – »Verzeiht, ich belästige vielleicht Eure Majestät?«

»Ei! mein Sohn,« sagte Heinrich, die Achseln zuckend, »ich habe dir schon gesagt, es sei hier nicht wie im Louvre. Hier treibt man am hellen Tage jede Liebe, jeden Krieg, jede Politik.«

Der Blick des Königs war so sanft, sein Lächeln so wohlwollend, daß Chicot dadurch ganz kühn gemacht wurde.

»Krieg und Politik weniger als Liebe, nicht wahr, Sire?«

»Wahrhaftig, ja, mein lieber Freund, ich gestehe es; dieses Land ist so schön, die Weine des Languedoc sind so schmackhaft, die Frauen von Navaria sind so hübsch!« – »Ah! Sire,« entgegnete Chicot, »mir scheint, Ihr vergeßt die Königin; sind die Navarresinnen etwa schöner und gefälliger? Dann mache ich ihnen mein Kompliment.«

»Ventre-saint-gris! Nu hast recht, Chicot, ich vergaß, daß du Botschafter bist, daß du Heinrich III. vertrittst, daß König Heinrich III. der Bruder von Margarethe ist, und daß ich folglich in deiner Gegenwart Frau Margarethe über alle Frauen stellen muß! Noch du wirst meine Unvorsichtigkeit entschuldigen, ich bin nicht mehr an Gesandte gewöhnt, mein Sohn.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und d'Aubiac meldete mit lauter Stimme: »Der Herr Botschafter von Spanien.«

Chicot machte von seinem Lehnstuhl einen Sprung, der dem König ein Lächeln entriß.

»Wahrhaftig,« sagte Heinrich, »ich werde hier auf eine Weise Lügen gestraft, wie ich es nicht erwartet hatte. Der Botschafter von Spanien! Was will er hier?« – »Ja,« wiederholte Chicot, »was will er hier?«

»Wir werden es erfahren, vielleicht hat unser Nachbar, der Spanier, eine Grenzstreitigkeit mit uns zu verhandeln.«

»Ich entferne mich,« sagte Chicot demütig. »Es ist ohne Zweifel ein wahrer Botschafter, den Euch Seine Majestät König Philipp II. schickt, während ich...«

»Der Botschafter von Frankreich dem Spanier das Terrain abtreten, und zwar in Navarra, Ventre-saint-gris! Das wird nicht geschehen; öffne dieses Bücherzimmer, Chicot, und gehe hinein!« – »Aber ich werde dort alles hören, Sire.«

»Ah! Du wirst alles hören, alle Teufel! Was liegt mir daran? Ich habe nichts zu verbergen.«

Dann fügte er hinzu: »Sage meinem Kapitän der Leibwachen, er möge den Herrn Botschafter von Spanien einführen.« Als Chicot diesen Befehl hörte, trat er eiligst in das Bücherzimmer, dessen Türvorhang er sorgfältig schloß.

Ein langsamer und abgemessener Schritt erscholl, es war der des Botschafters Seiner Majestät König Philipps II.

Nach den feierlichen Einleitungen gemäß den Vorschriften der Etikette, wobei sich Chicot aus seinem Versteck überzeugt hatte, daß Heinrich sehr gut Audienz zu geben wußte, fragte der Gesandte in spanischer Sprache, die jeder Gaskogner oder Bearner so gut wie die seiner Heimat versteht: »Kann ich frei zu Eurer Majestät sprechen?«

»Ihr könnt es.«

Chicot öffnete zwei weite Ohren. Das Interesse war groß für ihn.

»Sire,« sagte der Botschafter, »ich bringe die Antwort Seiner katholischen Majestät.«

»Gut!« dachte Chicot, »wenn er die Antwort bringt, so ist eine Frage erfolgt.«

»Worauf?« fragte Heinrich. – »Auf Eure Eröffnungen vom vorigen Monat.«

»Ah! ich bin sehr vergeßlich,« sagte Heinrich. »Wollt mir ins Gedächtnis rufen, was für Eröffnungen das waren, Herr Botschafter.« – »Die Einfälle der lothringischen Prinzen in Frankreich.«

»Ja, und besonders die meines Vetters von Guise. Sehr gut, ich erinnere mich nun; fahrt fort, mein Herr, fahrt fort!« – »Sire, der König, mein Herr, hat, obgleich man ihm anliegt, einen Allianzvertrag mit Lothringen zu unterzeichnen, ein Bündnis mit Navarra für loyaler und, sagen wir es gerade heraus, für vorteilhafter gehalten.«

»Ja, sagen wir es gerade heraus.« – »Ich werde offenherzig gegen Eure Majestät sein, Sire, denn ich kenne die Gesinnung des Königs meines Herrn gegen Eure Majestät.«

»Und ich, darf ich sie auch erfahren?« – »Sire, der König, mein Herr, hat Navarra nichts zu verweigern.«

Chicot drückte sein Ohr an den Türvorhang, während er sich in den Finger biß, um sich zu versichern, daß er nicht schlief.

»Wenn man mir nichts zu verweigern hat, so wollen wir einmal sehen, was ich verlangen kann.« – »Alles, was Eurer Majestät beliebt, Sire.«

»Teufel!« – »Eure Majestät spreche also offenherzig und unumwunden.«

»Ventre-saint-gris! das setzt mich in Verlegenheit!« – »Seine Majestät, der König von Spanien will es seinem neuen Verbündeten bequem machen, der Vorschlag, den ich Eurer Majestät tun werde, soll dies beweisen.«

»Ich höre.« – »Der König von Frankreich behandelt die Königin von Navarra als geschworene Feindin; er verstößt sie, denn er überhäuft sie mit Schmach, das unterliegt keinem Zweifel ... Die Beleidigungen des Königs von Frankreich... ich bitte Eure Majestät um Verzeihung, daß ich diesen so zarten Gegenstand berühre...«

»Berührt ihn immerhin!« – »Die Beleidigungen des Königs von Frankreich sind öffentlich.«

Heinrich machte eine Bewegung des Leugnens.

»Sind öffentlich und bekannt; wir sind davon unterrichtet,« fuhr der Spanier fort; »ich wiederhole also, Sire; der König von Frankreich verstößt Frau Margarethe als seine Schwester, da er sie zu entbehren trachtet, indem er öffentlich ihre Sänfte anhalten und sie durch einen Kapitän seiner Garden durchsuchen läßt.«

»Nun wohl! mein Herr Botschafter, worauf zielt Ihr damit ab?« – »Es gibt also nichts Leichteres für Eure Majestät, als die als Frau zu verstoßen, die ihr Bruder als Schwester verstößt.«

Heinrich schaute nach dem Türvorhang, hinter dem Chicot mit bestürztem Auge den Erfolg dieses hochtrabenden Eingangs erwartete.

»Ist die Königin verstoßen,« fuhr der Botschafter fort, »so ist das Bündnis zwischen dem König von Navarra und dem König von Spanien ...«

Heinrich verbeugte sich.

»Ist dieses Bündnis völlig abgeschlossen, und zwar folgendermaßen: Der König von Spanien gibt die Infantin, seine Tochter, dem König von Navarra, und Seine Majestät selbst heiratet Frau Catharine von Navarra, Eurer Majestät Schwester.«

Ein Schauer des Stolzes durchlief den Bearner, ein Schauer des Schreckens Chicot. Der eine sah am Horizont sein Glück strahlend wie eine aufgehende Sonne sich erheben, der andere sah das Zepter und das Glück Frankreichs hinabsinken und sterben.

Unempfindlich und eiskalt sah der Spanier nichts als die Weisungen seines Herrn.

Einen Augenblick herrschte tiefe Stille; danach erwiderte der Bearner: »Der Vorschlag ist herrlich und ehrt mich im höchsten Grade.« – »Seine Majestät,« sagte hastig der stolze Unterhändler, der auf eine Einwilligung im Augenblick des Enthusiasmus zählte, »Seine Majestät der König von Spanien gedenkt Eurer Majestät nur eine Bedingung zu stellen.«

»Ah! eine Bedingung! Das ist nur zu billig; lasst die Bedingung hören!« – »Indem mein Gebieter Eure Majestät gegen die lothringischen Prinzen unterstützt, das heißt, Euch den Weg zum Tore öffnet, wünschte er sich durch ein Bündnis mit Euch den Erwerb von Flandern zu sichern, wonach Monseigneur der Herzog von Anjou zu dieser Stunde mit allen seinen Zähnen schnappt. Eure Majestät begreift, daß mein Herr ihr hierdurch jeden Vorzug vor den lothringischen Prinzen gibt, da die Herren von Guise, seine natürlichen Verbündeten als katholische Fürsten, für sich allein eine Partei gegen den Herzog von Anjou in Flandern bilden. Folgendes ist nun die einzige Bedingung; sie ist vernünftig und mild: Seine Majestät der König von Spanien wird sich mit Euch durch eine doppelte Heirat verbinden, er wird Euch dem König von Frankreich ...« der Botschafter suchte einen Augenblick das geeignete Wort »... sukzedieren helfen, und Ihr garantiert ihm Flandern. Ich kann nun, da ich die Weisheit Eurer Majestät kenne, meine Unterhandlung als glücklich zum Abschluß gebracht betrachten.«

Ein Stillschweigen, noch tiefer als das erste, folgte auf diese Worte, ohne Zweifel, um die Antwort, die der Würgengel erwartete, um auf Frankreich oder Spanien zu schlagen, noch eindrucksvoller zu machen.

Heinrich von Navarra machte drei oder vier Schritte in seinem Kabinett und sagte: »Das ist also die Antwort, die Ihr mir zu überbringen beauftragt seid?« – »Ja, Sire.«

»Nichts anderes dabei?« – »Nichts anderes.«

»Nun wohl! Ich schlage das Anerbieten Seiner Majestät des Königs von Spanien aus.« – »Ihr schlagt die Hand der Infantin aus!« rief der Spanier mit einer Bestürzung, der ähnlich, die der Schmerz einer Wunde verursacht, auf den man nicht gefaßt ist.

»Die Ehre ist sehr groß, mein Herr,« sagte Heinrich, das Haupt erhebend, »doch kann ich sie nicht für höher erachten, als die Ehre, eine Tochter Frankreichs geheiratet zu haben.« – »Ja, doch diese erste Verbindung brachte Euch dem Grabe nahe, die zweite bringt Euch dem Throne nahe, Sire.«

»Ein kostbares, unvergleichliches Glück, mein Herr, ich weiß es wohl, das ich jedoch nie mit dem Blute und der Ehre meiner zukünftigen Untertanen erkaufen würde. Wie! mein Herr, ich sollte den Degen ziehen gegen den König von Frankreich, meinen Schwager, für den Spanier, einen Fremden; wie! ich sollte die Fahne Frankreichs auf dem Wege des Ruhmes aufhalten, um das begonnene Werk durch die Türme von Kastilien und den Löwen von Leon vollenden zu lassen; wie! ich sollte Brüder durch Brüder töten lassen; ich sollte den Fremden in mein Vaterland führen! Hört mich wohl, mein Herr: Ich habe meinen Nachbar, den König von Spanien, um Hilfe gegen die Herren von Guise, die nach meinem Erbe gierigen Meuterer, gebeten, aber nicht gegen den Herzog von Anjou, meinen Schwager; nicht gegen Heinrich III., meinen Freund, nicht gegen meine Frau, die Schwester meines Königs. Ihr werdet die Guisen unterstützen, sagt Ihr, Ihr werdet ihnen Hilfe leisten. Tut es; ich schleudere alle Protestanten Deutschlands und Frankreichs auf sie und Euch. Der König von Spanien will Flandern wiedererobern, er tue, was sein Vater Karl V. getan hat. Ich wolle den Thron von Frankreich, sagt Seine katholische Majestät, das ist möglich; doch sie braucht ihn mir nicht erobern zu helfen; ich werde ihn wohl allein nehmen, wenn er erledigt ist; und dies – trotz aller Majestäten der Welt ... Gott befohlen also, mein Herr. Sagt meinem Bruder Philipp, ich sei ihm sehr dankbar für seine Anerbietungen. Doch ich würde ihn auf den Tod hassen, wenn er mich auch nur einen Augenblick für fähig hielte, sie anzunehmen, Gott befohlen, mein Herr!«

Ganz erstaunt und bestürzt stammelte der Botschafter: »Nehmt Euch in acht, Sire, das gute Einverständnis zweier Nachbarn hängt von einem schlimmen Worte ab.«

»Mein Herr Botschafter,« sagte Heinrich, »wißt wohl: König von Navarra oder König von nichts, das ist mir einerlei. Meine Krone ist so leicht, daß ich ihren Fall nicht einmal fühlen würde, wenn sie mir von der Stirn glitte; übrigens seid unbesorgt, ich würde sie in diesem Augenblick zu halten wissen. Noch einmal, Gott befohlen, mein Herr; sagt dem König, Eurem Gebieter, mein Ehrgeiz strebe nach einem höheren Ziele als nach dem, das er mich in der Ferne habe erblicken lassen. Lebt wohl!«

Und der Bearner, der – man kann nicht sagen – nicht wieder er selbst, sondern der Mann wurde, als den man ihn kannte, geleitete lächelnd und voll Höflichkeit den spanischen Botschafter bis zur Schwelle seines Kabinetts zurück.

Die Armen des Königs von Navarra.

Chicot war in so tiefes Erstaunen versunken, daß er, als Heinrich allein war, nicht daran dachte, sein Kabinett zu verlassen. Der Bearner hob den Türvorhang auf und klopfte ihm auf die Schulter.

»Nun, Meister Chicot,« sagte er, »wie habe ich mich Eurer Ansicht nach aus der Sache gezogen?« – »Vortrefflich, Sire,« antwortete Chicot, noch ganz betäubt. »In der Tat, für einen König, der nicht oft Botschafter empfängt, empfangt Ihr sie, wie es scheint, gut.«

»Meinem Schwager Heinrich habe ich diesen Botschafter zu verdanken.« – »Wieso, Sire?«

»Wenn er nicht unablässig seine arme Schwester verfolgte, so würden die anderen nicht daran denken, sie zu verfolgen. Glaubst du, wenn der König von Spanien nicht die öffentliche Beleidigung erfahren hätte, die man der Königin von Navarra dadurch zufügte, daß ein Kapitän der Garden ihre Sänfte durchsuchte, man würde mir den Vorschlag machen, sie zu verstoßen?« – »Ich fühle mich glücklich zu glauben, daß alles vergeblich sein wird, und nichts die zwischen Euch und der Königin bestehende Eintracht stören kann.«

»Ei! mein Freund, das Interesse, das man hat, uns zu entzweien, ist zu klar.« – »Ich gestehe Euch, Sire, daß ich nicht so scharfsichtig bin, als Ihr glaubt.«

»Gewiß, mein Schwager Heinrich wünscht nichts anderes, als daß ich seine Schwester verstoße.« – »Wieso? Ich bitte, erklärt mir die Sache. Pest! ich glaubte nicht, in eine so gute Schule zu kommen.«

»Du weißt, daß man mir die Mitgift meiner Frau zu bezahlen vergessen hat?« – »Nein, Sire, ich wußte es nicht, ich vermutete es nur.«

»Daß diese Mitgift aus dreimalhunderttausend Goldtalern bestand.« – »Ein hübscher Pfennig.«

»Und aus mehreren Städten, worunter Cahors.« – »Alle Wetter! Eine hübsche Stadt.«

»Und diese, nicht die Taler, reklamierte ich.« – »Ah! Ihr habt Cahors gefordert. Daran habt Ihr, bei Gott, wohl getan, und an Eurer Stelle hätte ich es gemacht wie Ihr.«

»Und deshalb,« sagte der Bearner mit seinem feinen Lächeln, »und deshalb... Verstehst du nun?« – »Der Teufel soll mich holen, nein!«

»Deshalb möchte man mich gern mit meiner Frau dergestalt entzweien, daß ich sie verstoße. Keine Frau mehr, verstehst du, Chicot, keine Mitgift mehr, folglich keine Goldtaler mehr, keine Städte und besonders kein Cahors mehr. Aber ohne diese Stadt ist Navarra ein armes, kleines Fürstentum; und Cahors wäre mein Bollwerk, die Schutzwache der Anhänger meiner Religion.« – »Nun wohl! mein teurer Sire, betrauert Cahors, denn ob Ihr mit Frau Margarethe entzweit seid oder nicht, der König von Frankreich wird es Euch nie herausgeben, und wenn Ihr es nicht erobert...«

»Oh! ich würde es wohl erobern, wenn es nicht so stark befestigt wäre, und besonders wenn ich den Krieg nicht haßte.« – »Cahors ist uneinnehmbar, Sire.«

Heinrich bewaffnete sein Gesicht mit einer undurchdringlichen Naivität und erwiderte: »Oh! uneinnehmbar, uneinnehmbar; wenn ich auch eine Armee hätte, die ich nicht habe.« – »Hört, Sire,« sagte Chicot, »wir sind nicht hier, um uns Süßigkeiten zu sagen. Ihr wißt, unter Gaskognern geht man offenherzig zu Werk. Um Cahors zu nehmen, wo Herr von Vesin ist, müßte man ein Hannibal, ein Cäsar oder Eure Majestät sein.«

»Nun! Meine Majestät?« fragte Heinrich mit seinem spöttischen Lächeln.

»Eure Majestät hat gesagt, sie liebe den Krieg nicht.«

Heinrich seufzte, eine jähe Flamme erleuchtete sein schwermutvolles Auge; doch rasch diese unwillkürliche Bewegung unterdrückend, glättete er mit seiner von der Sommerhitze verbrannten Hand seinen rauhen, braunen Bart und sagte: »Es ist wahr, ich habe nie den Degen gezogen, ich werde ihn nie ziehen; ich bin ein Strohkönig und ein Friedensmann. Ich habe Cahors nicht; nun, ich werde es entbehren können.« – »Das ist hart, mein König.«

»Was willst du? Du glaubst selbst, Heinrich werde mir diese Stadt nie herausgeben.« – »Ich glaube es, Sire, ich bin dessen sicher, und zwar aus drei Gründen.«

»Nenne sie mir!« – »Erstens ist Cahors eine Stadt von gutem Ertrag, und der König wird sie lieber behalten, als irgend jemand geben wollen.«

»Das ist nicht ganz redlich, Chicot.« – »Es ist königlich, Sire.«

»Ah! es ist königlich zu nehmen, was einem gefällt?« – »Ja, das heißt, wie ein Löwe teilen, und der Löwe ist der König der Tiere.« – »Ich werde mich dessen erinnern, wenn ich mich je zum König mache. Dein zweiter Grund, mein Sohn?« – »Frau Catharina würde lieber ihre Tochter in Paris, als in Nerac, lieber bei sich, als bei Euch sehen.«

»Du glaubst? Sie liebt aber doch ihre Tochter nicht so wahnsinnig.« – »Nein; aber Frau Margarethe dient Euch als Geisel.«

»Du bist von einer vollendeten Feinheit. Der Teufel soll mich holen, wenn ich je daran gedacht hätte: doch du kannst recht haben; ja, eine Tochter Frankreichs ist am Ende eine Geisel. Nun?« – »Nun! Sire, wenn man die Mittel vermindert, vermindert man das Vergnügen des Aufenthalts. Nerac ist eine sehr angenehme Stadt, die einen reizenden Park und Alleen, wie es nirgends gibt, besitzt; doch der Mittel beraubt, wird sich Frau Margarethe in Nerac langweilen und sich nach dem Louvre sehnen,«

»Dein erster Grund gefällt mir besser, Chicot,« sagte Heinrich, den Kopf schüttelnd. – »Dann will ich Euch den dritten sagen. »Zwischen dem Herzog von Anjou, der sich einen Thron zu machen sucht und Flandern aufwiegelt, zwischen den Herren von Guise, die sich gern eine Krone schmieden möchten und Frankreich aufwiegeln, zwischen dem König von Spanien, der nach einer Universalmonarchie trachtet und die Welt aufwiegelt, haltet Ihr, der Fürst von Navarra, die Wage und behauptet ein gewisses Gleichgewicht.«

»In der Tat, ich, ohne Gewicht!« – »Ganz richtig. Seht die Schweizer Republik an! Werdet mächtig, das heißt gewichtig, und Ihr zieht die Schale hinab. Ihr seid nicht mehr ein Gegengewicht, sondern ein Gewicht.«

»Oh! dieser Grund gefällt mir ungemein, Chicot, und er ist vollkommen nachgewiesen. Du bist ein wahrer Rechtsgelehrter.« – »Wahrhaftig, Sire, ich bin, was ich sein kann,« erwiderte Chicot, der sich, geschmeichelt durch das Kompliment, von der ungewohnten königlichen Treuherzigkeit verführen ließ.

»Das ist also die Erklärung meiner Lage?« – »Vollständig, Sire.«

»Und ich sah nichts von dem allem, Chicot, ich hoffte stets, begreifst du das?« – »Sire, darf ich Euch einen Rat geben, so ist es der: Hört auf zu hoffen.«

»Ich will also mit dieser Schuldforderung an den König von Frankreich verfahren, wie mit denen meiner Meier, die mir den Pachtschilling nicht bezahlen können; ich setze ein B. neben ihren Namen.« – »Was Bezahlt heißen soll?«

»Ganz richtig.« – »Setzt zwei B. und stoßt einen Seufzer aus!«

Heinrich seufzte. »So werde ich es machen,« sagte er. »Du siehst übrigens, mein Freund, daß man in Bearn leben kann, und daß ich Cahors nicht durchaus notwendig habe.« – »Ich sehe das, und Ihr seid, wie ich vermutete, ein weiser Fürst, ein philosophischer Fürst ... Doch was für ein Lärm ist das?«

»Ein Lärm? Wo dies?« – »Im Hofe, wie mir scheint.«

»Schau aus dem Fenster, mein Freund, schau!« – Chicot näherte sich dem Fenster und sagte: »Sire, es ist unten ein Dutzend ziemlich schlecht gekleideter Leute.«

»Ah! das sind meine Armen,« versetzte der König aufstehend. – »Eure Majestät hat ihre Armen?«

»Ganz gewiß, empfiehlt Gott nicht die Mildtätigkeit? Wenn ich auch nicht Katholik bin, so bin ich darum doch nicht minder Christ.« – »Bravo, Sire.«

»Komm, Chicot, laß uns hinabgehen; wir geben miteinander das Almosen und speisen dann zu Nacht.« – »Sire, ich folge Euch,«

»Nimm die Börse, die dort auf dem Tischchen neben meinem Degen liegt, siehst du?« – »Ich habe sie.«

»Vortrefflich.«

Sie gingen hinab. Es war Nacht geworden. Der König schien, während er vorwärts schritt, von Sorgen und innerer Unruhe heimgesucht zu sein. Chicot schaute ihn an und betrübte sich über diesen Kummer.

»Wie zum Teufel kam mir der Gedanke, mit diesem Fürsten über Politik zu sprechen?« sagte er zu sich selbst. »Ich habe ihm den Tod ins Herz gebracht! Ich einfältiger Tölpel!«

Im Hofe näherte er sich der Gruppe von Bettlern, auf die Chicot hingewiesen hatte.

Es war in der Tat ein Dutzend Männer von verschiedener Statur, Physiognomie und Tracht, Leute, die ein ungeschickter Beobachter nach ihrem Gang, nach ihrer Stimme, nach ihren Gebärden für Zigeuner gehalten hätte, in denen aber ein geschickter Beobachter verkleidete Edelleute erkannt haben würde.

Heinrich nahm die Börse aus den Händen Chicots und machte ein Zeichen. Alle Bettler schienen das Zeichen zu verstehen. Sie begrüßten ihn jeder einzeln mit einer demütigen Miene, zugleich aber mit einem Blick voll des Einverständnisses und der Kühnheit, der zu sagen schien: »Unter der Hülle brennt das Herz.«

Heinrich antwortete durch ein Zeichen mit dem Kopf, steckte dann den Zeigefinger und den Daumen in die Börse, die Chicot offen hielt, und nahm ein Stück heraus.

»Ei! wißt Ihr, daß das Gold ist?« fragte Chicot.

»Ja, mein Freund, ich weiß es.« – »Teufel, Ihr seid reich?«

»Bemerkst du nicht, mein Freund,« entgegnete Heinrich mit einem Lächeln, »daß alle diese Goldstücke mir, zu je zwei Almosen dienen? Ich bin im Gegenteil arm, Chicot, und sehe mich genötigt, meine Pistolen entzwei zu schneiden, um nicht alles auf einmal zu vertun.« – »Es ist wahr,« sagte Chicot mit wachsendem Erstaunen, »die Stücke sind Hälften von Stücken, die man in willkürlichen Formen ausgeschnitten hat.«

»Oh! ich bin wie mein Bruder in Frankreich, der zu seiner Belustigung Bilder ausschneidet, ich habe auch meine eigentümliche Unterhaltung; es belustigt mich in meinen verlorenen Augenblicken, Dukaten zu beschneiden. Ein armer, ehrlicher Bearner ist findig wie ein Jude.« – »Gleichviel, Sire,« sagte Chicot, den Kopf schüttelnd, denn er erriet ein verborgenes Geheimnis, »das ist eine seltsame Art, Almosen zu geben.«

»Du würdest es anders machen?« – »Ja; statt mir die Mühe zu nehmen, jedes Stück zu trennen, würde ich es ganz geben und sagen: Das ist für zwei!«

»Sie würden sich schlagen, mein Lieber, und ich würde ein Ärgernis herbeiführen, während ich Gutes tun wollte.« – »Nun wohl!« murmelte Chicot, da er nichts weiter zu sagen wußte.

Heinrich nahm also ein halbes Goldstück aus der Börse, stellte sich vor den ersten Bettler mit jener ruhigen, sanften Miene, die sein gewöhnliches Wesen bildete, und schaute diesen Mann an, ohne zu sprechen, doch nicht, ohne ihn mit dem Blick zu befragen. »Agen,« sagte dieser, sich verbeugend.

»Wieviel?« fragte der König. – »Fünfhundert.«

»Cahors –,« und er gab ihm das Stück und nahm ein anderes aus der Börse.

Der Bettler verbeugte sich noch tiefer als das erstemal und entfernte sich.

Es folgte ihm ein anderer, der ebenfalls ehrfurchtsvoll grüßte.

»Auch,« sagte er sich verbeugend.

»Wieviel?«

»Dreihundertundfünfzig.«

»Cahors –,« und er übergab ihm das zweite Stück und nahm ein anderes aus der Börse. »Montauban,« sagte ein dritter.

»Wieviel?«

»Sechshundert.«

»Cahors.«

So näherten sich endlich alle, verbeugten sich , sprachen ein Wort aus, erhielten das seltsame Almosen und nannten eine Zahl, wobei sich der Gesamtbetrag auf, achttausend belief.

Jedem antwortete Heinrich: Cahors, ohne daß ein einziges Mal der Ton seiner Stimme bei der Aussprache des Wortes wechselte.

Als die Verteilung geschehen war, fand sich kein Halbstück mehr in der Börse, kein Bettler mehr im Hof.

»Gut,« sagte Heinrich.

»Ist das alles, Sire?« – »Ja, ich bin fertig.«. Chicot zog den König am Ärmel.

»Sire?« sagte er. – »Nun!«

»Ist es mir erlaubt, neugierig zu sein?« – »Warum nicht? Die Neugierde ist etwas Natürliches.«

»Was sagten Euch diese Bettler, und was zum Teufel antwortetet Ihr?« – Heinrich lächelte.

»Es ist wahrhaftig hier alles geheimnisvoll.« – »Findest du?«

»Ja; ich habe nie auf diese Art Almosen geben sehen.«

– »Das ist Gewohnheit in Nerac, mein lieber Chicot. Du kennst das Sprichwort: Jede Stadt hat ihren Gebrauch.«

»Ein seltsamer Gebrauch, Sire.« – »Der Teufel soll mich holen, nein, nichts kann einfacher sein. Alle diese Leute, die du gesehen hast, laufen im Lande umher, um Almosen zu sammeln; doch jeder ist aus einer andern Stadt. Damit ich nun nicht immer demselben gebe, sagen Sie mir den Namen ihrer Stadt; du begreifst, mein lieber Chicot, auf diese Art kann ich meine Wohltaten gleichmäßig austeilen und allen unglücklichen Städten meines Staates nützlich sein.«

»Das ist gut, Sire, soweit es den Namen der Stadt betrifft, den sie Euch nennen; doch warum antwortet Ihr allen Cahors?« – »Ah!« versetzte Heinrich mit vortrefflich gespieltem Erstaunen, »ich habe ihnen Cahors geantwortet?«

»Ich bin dessen sicher.« – »Siehst du, seitdem wir von Cahors gesprochen, habe ich dieses Wort immer im Munde. Es geht hierbei wie bei allen Dingen, die man nicht hat und nach denen man ein sehnsüchtiges Verlangen hegt; man träumt davon und nennt sie, wahrend man träumt.«

»Hm!« machte Chicot, indem er mißtrauisch nach der Seite schaute, wo die Bettler verschwunden waren; »das ist viel weniger klar, als ich es wünschte; Sire, es ist außer diesem noch ...« – »Wie! es ist noch etwas?«

»Es ist die Zahl, die jeder aussprach, und die eine Gesamtsumme von achttausend bildet,« – »Ah! was die Zahl betrifft, Chicot, da geht es mir wie dir, ich habe es auch nicht verstanden, wenn sie nicht etwa, da die Bettler, wie du weißt, in Körperschaften abgeteilt sind, wenn sie nicht etwa die Zahl der Mitglieder ihrer Körperschaften angegeben haben, was mir sehr wahrscheinlich vorkommt.«

»Sire! Sire!« – »Komm zum Abendessen, mein Freund; nichts öffnet meiner Ansicht nach den Geist so sehr wie Essen und Trinken. Wir suchen bei Tische, und du wirst sehen, daß, wenn meine Pistolen beschnitten, meine Flaschen wenigstens voll sind.«

Der König pfiff einem Pagen und verlangte sein Abendessen. Dann schlang er vertraulich seinen Arm um Chicots und stieg wieder in sein Kabinett hinauf, wo das Abendessen aufgetragen war.

Als er an den Gemächern der Königin vorüberkam, schaute er nach den Fenstern und sah kein Licht.

»Page,« sagte er, »ist Ihre Majestät die Königin nicht zu Hause?« – »Ihre Majestät besucht das Fräulein von Montmorency, das sehr krank sein soll.«

»Ah! arme Fosseuse,« sagte Heinrich; »es ist wahr, die Königin ist ein gutes Herz. Komm' zum Abendessen, Chicot, komm'!«

Die wahre Geliebte des Königs von Navarra.

Das Mahl war äußerst heiter. Heinrich schien nichts mehr im Kopfe und auf dem Herzen zu haben, und in dieser Stimmung des Geistes war der Bearner ein vortrefflicher Tischgenosse. Chicot verbarg, so gut er konnte, die leichte Unruhe, die ihn beim Anblick des spanischen Botschafters erfaßt, die ihn in den Hof verfolgt, die sich bei der Verteilung des Goldes an die Bettler vermehrt, und die ihn seitdem nicht mehr verlassen hatte.

Heinrich wollte, daß sein Freund Chicot mit ihm allein speise. Am Hofe König Heinrichs hatte er stets eine große Zuneigung zu Chicot gefühlt, und Chicot seinerseits hegte eine große Sympathie für den König von Navarra. Er beschloß, da sein Argwohn erregt war, auf Heinrichs Worte, wenn ihm der Wein die Zunge gelöst habe, zu achten. Heinrich trank in der Tat tüchtig, und er hatte eine Art, seine Gäste mit sich fortzureißen, die Chicot kaum gestattete, bei drei Gläsern um eines zurückzubleiben. Doch Chicots Kopf war, wie man weiß, ein eiserner Kopf.

Für Heinrich von Navarra waren alle diese Weine, wie er sagte, Landweine, und er trank sie wie Molken. Dabei tauschten sie viele Artigkeiten untereinander.

»Wie beneide ich Euch,« sagte Chicot zum König, »wie ist Euer Hof so liebenswürdig und Euer Dasein so blütenreich; wie viele gute Gesichter sehe ich in diesem guten Hause, und wie viele Reichtümer in dem schönen Lande Gaskogne.«

»Wenn meine Frau hier wäre, mein lieber Chicot, so würde ich dir nicht sagen, was ich dir nun sagen will; doch in ihrer Abwesenheit kann ich dir wohl gestehen, daß der schönste Teil meines Lebens der ist, den du nicht siehst.«

»Ah! Sire, man sagt in der Tat schöne Dinge über Eure Majestät.«

Heinrich warf sich in seinem Lehnstuhl zurück und streichelte sich lachend den Bart.

»Ja, ja, nicht wahr?« erwiderte er, »man behauptet, ich regiere viel mehr über meine Untertaninnen, als über meine Untertanen.«

»Es ist wahr, Sire, und dennoch setzt es mich in Erstaunen.«

»Wieso, Gevatter?«

»Sire, Ihr habt viel von dem bewegsamen Geist, der die großen Könige macht.«

»Ah! Chicot, du täuschst dich, ich bin viel mehr träge als regsam, und der Beweis davon ist mein ganzes Leben; soll ich eine Liebschaft anfangen, so ist es stets die, die mir am nächsten liegt; soll ich Wein wählen, so wähle ich immer den der Flasche, die am nächsten bei mir steht. Auf deine Gesundheit, Chicot!«

»Sire, Ihr erweist mir große Ehre,« erwiderte Chicot, indem er sein Glas bis auf den letzten Tropfen leerte, denn der König schaute ihn mit dem feinen Blicke an, der bis in die tiefsten Tiefen seiner Gedanken zu dringen schien.

»Wieviel Streit gibt es auch in meinem Hause, Gevatter!« fuhr der König, die Augen zum Himmel aufschlagend, fort.

»Ja, ich begreife; alle die Ehrenfräulein der Königin beten Euch an, Sire!«

»Sie sind meine Nachbarinnen, Chicot.«

»Ei! ei! aus diesem Grundsatz ergibt sich, daß, wenn Ihr in Saint-Denis wohntet, statt in Nerac zu wohnen, der König nicht so ruhig leben könnte, wie er es tut.«

Heinrich wurde finster. »Der König! was sagt Ihr mir da, Chicot!« versetzte Heinrich von Navarra, »der König! bildet Ihr Euch ein, ich sei ein Guise? Es ist wahr, ich wünsche Cahors zu haben, weil Cahors vor meiner Tür liegt; ich habe Ehrgeiz, Chicot, doch nur, wenn ich sitze; bin ich einmal aufgestanden, so habe ich keinen Wunsch mehr nach irgend etwas.« – »Alle Wetter, Sire, dieses Verlangen nach den nächstliegenden Dingen gleicht sehr dem Cesare Borgias, der sein Reich Stadt für Stadt zusammenpflückte und dabei sagte, Italien gleiche einer Artischocke, die man Blatt für Blatt essen müsse.«

»Dieser Cesare Borgia war kein so schlechter Politiker, wie mir scheint, Gevatter Chicot.« – »Nein, aber es war ein sehr gefährlicher Nachbar und ein sehr bösartiger Bruder.«

»Ah! Ihr vergleicht mich doch nicht mit einem Sohne des Papstes, mich, das Haupt der Hugenotten? Da muß ich bitten, Herr Botschafter.« – »Sire, ich vergleiche Euch mit niemand.«

»Aus welchem Grunde?« – »Weil ich glaube, daß sich jeder täuscht, der Euch mit einem andern vergleicht, als mit Euch selbst. Ihr seid ehrgeizig, Sire.« »Wie seltsam!« rief der Bearner; »dieser Mensch will mich mit aller Gewalt zwingen, etwas zu wünschen.« – »Gott behüte mich, Sire; ich wünsche ganz im Gegenteil, daß Eure Majestät nichts wünschen möge.«

»Hört, Chicot,« sagte der König, »nicht wahr, es ruft Euch nichts nach Paris zurück?« – »Nichts, Sire.«

»Ihr werdet also einige Tage bei mir zubringen?« – »Wenn Eure Majestät mir die Ehre erweist, meine Gesellschaft zu wünschen, so gewährt es mir große Freude, acht Tage zu bleiben.«

»Acht Tage ... gut, es sei, Gevatter; in acht Tagen werdet Ihr mich kennen wie einen Bruder. Trinken wir, Chicot.« – »Sire, ich habe keinen Durst mehr,« erwiderte Chicot, der auf seinen Versuch, den König berauscht zu machen, allmählich Verzicht leistete.

Dann verlasse ich Euch, Gevatter,« sagte Heinrich; »der Mensch muß nicht bei Tische bleiben, wenn er nichts mehr dabei tut. Trinken wir, sage ich Euch.« – »Warum?«

»Um besser zu schlafen. Dieser leichte Landwein verleiht einen äußerst sanften Schlaf. Liebt Ihr die Jagd, Chicot?« – »Nicht sehr, Sire; und Ihr?«

»Ich bin ein leidenschaftlicher Jäger, seit meinem Aufenthalt am Hofe König Karls IX.« – »Warum erwies mir Eure Majestät die Ehre, sich zu erkundigen, ob ich die Jagd liebe?«

»Weil ich morgen jage und Euch mitzunehmen gedenke.« – »Sire, es wird eine große Ehre für mich sein, doch ....«

»Oh! Gevatter, seid unbesorgt, diese Jagd ist ganz gemacht, um die Augen und das Herz jedes Kriegers zu ergötzen. Ich bin ein guter Jäger, Chicot, und es ist mir daran gelegen, daß ich mich Euch vorteilhaft zeige. Ihr wollt mich kennen lernen, sagt Ihr?« – »Alle Wetter, Sire, es gehört zu meinen größten Wünschen, ich muß es gestehen.«

»Nun, das ist eine Seite, unter der Ihr mich noch nicht studiert habt.« – »Sire, ich werde alles tun, was Eurer Majestät beliebt.«

»Gut! abgemacht also! Ah! da kommt ein Page; man stört uns.« – »Irgendeine wichtige Angelegenheit, Sire.«

»Eine Angelegenheit! bei mir! wenn ich bei Tische bin! Es ist erstaunlich, daß dieser liebe Chicot immer glaubt, er sei am französischen Hofe. Chicot, mein Freund, laß dir eins sagen: in Nerac legt man sich zu Bette, wenn man gut zu Nacht gespeist hat.« – »Doch dieser Page?«

»Kann dieser Page nicht aus einem andern Grunde als in Geschäften eine Meldung zu machen haben?« – »Ah! ich begreife, Sire, und will mich zu Bette legen.«

Chicot stand auf, der König tat dasselbe und nahm seinen Gast beim Arm.

Die Hast, mit der er ihn wegzuschicken schien, kam Chicot verdächtig vor, dem übrigens seit der Ankündigung des spanischen Botschafters alles verdächtig vorzukommen anfing. Er beschloß, das Kabinett nur so spät wie möglich zu verlassen. – »Oh! oh!« machte er wankend, »es ist erstaunlich, Sire.«

Der Bearner lächelte.

»Was ist erstaunlich?« – »Alle Wetter! mein Kopf dreht sich. Solange ich saß, ging das vortrefflich; doch nun, da ich aufgestanden bin, brrr!«

»Bah!« versetzte Heinrich, »wir haben den Wein kaum gekostet.« – »Gekostet, Sire! Ihr nennt das kosten? Bravo, Sire. Ah! Ihr seid ein tüchtiger Trinker, und ich bringe Euch meine Huldigung dar als meinem Souverän und Herrn. Gut! Ihr nennt das kosten?«

»Chicot, mein Freund,« sagte der Bearner, der durch einen der scharfen Blicke, die nur ihm gehörten, sich zu versichern suchte, ob Chicot wirklich betrunken war, oder ob er sich nur stellte, als wäre er es; »Chicot, mein Freund, ich glaube, das beste, was du tun kannst, ist, daß du dich zu Bette legst.« – »Ja, Sire, gute Nacht, Sire.«

»Gute Nacht, Chicot, und morgen?« – »Ja, Sire, morgen, und Eure Majestät hat recht, das beste, was Chicot tun kann, ist, sich zu Bette zu legen. Gute Nacht, Sire!«

Damit legte sich Chicot auf den Boden.

Als Heinrich dies sah, warf er einen raschen Blick nach der Tür. Aber so rasch dieser Blick auch gewesen war, so hatte ihn doch Chicot im Fluge aufgefangen.

Heinrich näherte sich Chicot.

»Du bist dergestalt trunken, mein armer Chicot, daß du eines nicht bemerkst.« – »Was?«

»Daß du die Matten meines Kabinetts für dein Bett hältst.« – »Chicot ist ein Kriegsmann! Chicot kümmert sich nicht um eine solche Kleinigkeit.«

»Dann bemerkst du ein Zweites nicht.« – »Ah! ah! .... Und was ist das?«

»Daß ich jemand erwarte.« – »Zum Abendessen? Gut, laß uns speisen!« Hier strengte er sich vergeblich an aufzustehen.

»Ventre-saint-gris! rief Heinrich, »wie schnell wirst du betrunken, Gevatter. Alle Teufel! Du siehst wohl, daß sie ungeduldig wird.« – »Sie,« machte Chicot, »welche sie?«

»Ei! beim Teufel! die Frau, die ich erwarte ... sie steht dort vor der Tür Schildwache.« – »Eine Frau! ... Ei! warum sagst du das nicht, Henriquet ... Ah! verzeiht mir, ich glaubte ... ich glaubte mit dem König von Frankreich zu sprechen. Seht Ihr, er hat mich verdorben, dieser gute Henriquet. Warum sagtet Ihr das nicht, Sire? Ich gehe schon.«

»So gefällst du mir, du bist ein wahrer Edelmann. Schön, stehe auf und gehe ... denn ich habe eine gute Nacht zuzubringen, hörst du? eine ganze Nacht.« – Chicot stand auf und erreichte stolpernd die Tür. »Gott befohlen, Sire, und gute Nacht ... gute Nacht.«

»Gute Nacht, teurer Freund, schlafe wohl!« Er öffnete die Tür. »Du wirst den Pagen in der Galerie finden, und er wird dir den Weg zeigen, gehe!«

Chicot ging hinaus, nachdem er sich so tief verbeugt hatte, wie es ein trunkener Mann tun kann.

Doch sobald er die Tür hinter sich geschlossen, verschwand jede Spur von Trunkenheit; er machte drei Schritte vorwärts, kehrte aber sogleich wieder zurück und drückte ein Auge an das breite Schloß.

Heinrich öffnete schon der Unbekannten die Tür, die Chicot, neugierig wie ein Gesandter, mit aller Gewalt kennen lernen wollte. Statt einer Frau trat aber ein Mann ein. Und als dieser Mann seinen Hut abgenommen hatte, erkannte Chicot das edle und ernste Gesicht Duplessis-Mornays, des strengen und wachsamen Rats.

»Ah! Teufel!« sagte Chicot, »der überfällt unseren Verliebten und wird ihn noch viel mehr belästigen, als ich ihn belästigte.«

Doch Heinrichs Antlitz drückte bei dieser Erscheinung nur Freude aus. Er reichte dem Eintretenden die Hand, stieß verächtlich die Tafel zurück und ließ Mornay mit dem Eifer neben sich setzen, mit dem sich ein Liebender seiner Geliebten nähert. Er schien begierig, die ersten Worte zu hören, die der Rat aussprechen würde; doch plötzlich, und ehe Mornay gesprochen hatte, stand er auf, hieß ihn durch ein Zeichen warten, ging zur Tür und schob die Riegel mit einer Behutsamkeit vor, die Chicot viel zu denken gab.

Dann heftete er seinen glühenden Blick auf Karten, Pläne, Briefe, die ihm sein Minister nach und nach vorlegte.

In diesem Augenblick hörte Chicot hinter sich gehen; es war der Page, der in der Galerie wachte und auf Befehl des Königs wartete. Aus Furcht, ertappt zu werden, wenn er länger horchen würde, richtete Chicot seine lange Gestalt hoch auf und verlangte von dem Knaben, in sein Zimmer geführt zu werden.

Für Chicot gab es jetzt keinen Zweifel mehr; er kannte die Hälfte der Buchstaben, die das Rätsel bildeten, das man den König von Navarra nannte. Statt einzuschlafen, setzte er sich nachdenkend auf sein Bett, während der Mond, an den spitzen Ecken des Daches niedersteigend, wie aus einer silbernen Gießkanne herab sein Licht auf den Fluß und auf die Wiesengründe ausströmte.

»Oh! oh!« sagte Chicot trübe, »Heinrich ist ein wahrer König, Heinrich konspiriert; dieser ganze Palast, sein Park, die Stadt, die ihn umgibt, die Provinz, die ihn umgibt, alles ist ein Herd der Verschwörung.

»Heinrich ist schlau, sein Verstand kommt dem Genie nahe; er hat Verbindungen mit Spanien – dem Lande der Betrügereien. Wer weiß, ob seine edle Antwort an den Botschafter nicht das Gegenteil von dem ist, was er denkt, und ob er nicht den Gesandten durch ein Blinzeln mit den Augen oder durch ein anderes verabredetes Zeichen, das ich nicht bemerken konnte, aufmerksam gemacht hat?

»Heinrich unterhält Spione, er besoldet sie oder läßt sie durch irgendeinen Agenten besolden. Diese Bettler waren nicht mehr, nicht weniger als verkleidete Edelleute. Ihre so kunstreich beschnittenen Goldstücke sind Erkennungszeichen, materielle und greifbare Losungsworte. Heinrich stellt sich, als wäre er wahnsinnig verliebt, und während man ihn mit Liebesgeschichten beschäftigt glaubt, bringt er seine Nächte damit hin, daß er mit Mornay arbeitet, der nie schläft und die Liebe nicht kennt. Dies hatte ich zu sehen, dies habe ich gesehen. Die Königin Margarethe hat Liebhaber, der König weiß es; er kennt sie und duldet sie, weil er dieser Liebhaber oder seiner Frau oder vielleicht aller zugleich bedarf. Da er kein Kriegsmann ist, so muß er sich wohl Kapitäne unterhalten, und da er nicht viel Geld hat, so muß er sie die Münze wählen lassen, die ihnen am besten zusteht.«

»Ich allein habe den schlauen Bearner durchschaut.«

Chicot rieb sich die Hände und fuhr dann fort: »Nun, da ich ihn durchschaut, habe ich nichts mehr hier zu tun. Während er arbeitet oder schläft, werde ich sogleich ruhig und sacht die Stadt verlassen. Es gibt, glaube ich, wenige Botschafter, die sich, wie ich rühmen können, an einem einzigen Tage ihre ganze Sendung vollbracht zu haben.

»Ich werde also Nerac verlassen, und sobald ich außerhalb Nerac bin, bis Frankreich galoppieren.«

Er sprach es und fing an, seine Sporen wieder anzuschnallen, die er in dem Augenblick, wo er vor dem König erschien, abgelegt hatte.

Wie Chicot sich darüber wunderte, daß er in der Stadt Nerac so bekannt war.

Als Chicot seinen Entschluß, inkognito den Hof von Navarra zu verlassen, gefaßt hatte, machte er sich sofort auf.

Er überlegte sich, daß er in zwei Tagen Cahors erreichen könnte. Dann könnte er sich mehr Zeit nehmen und doch seinem König noch zu rechter Zeit von dem gefährlichen Stand der Dinge Mitteilung machen.

Darauf löschte Chicot sein Licht aus, öffnete sacht die Tür und ging tappend hinaus.

Doch kaum hatte er vier Schritte im Vorzimmer gemacht, als er auf etwas stieß, was sich sogleich aufrichtete. Es war ein Page, der auf der Matte vor dem Zimmer lag; sobald er erwacht war, sagte er: »Ei! guten Abend, Herr Chicot, guten Abend!«

Chicot erkannte d'Aubiac und erwiderte: »Ei! guten Abend, Herr d'Aubiac; wollt ein wenig auf die Seite treten, ich habe Lust, spazierenzugehen.«

»Ah! es ist verboten, in der Nacht im Schloß spazierenzugehen, Herr Chicot.«

»Warum, bitte, Herr d'Aubiac?«

»Weil der König die Diebe und die Königin die Verliebten fürchtet.« »Mein lieber Herr d'Aubiac,« erwiderte Chicot mit seinem freundlichsten Lächeln, »ich bin weder das eine noch das andere, ich bin Botschafter, und zwar ein sehr müder Botschafter, weil ich mit der Königin lateinisch gesprochen und mit dem König zu Nacht gespeist habe, denn die Königin ist eine tüchtige Lateinerin und der König ein tüchtiger Trinker; laßt mich also hinaus, mein Freund, denn ich habe ein großes Verlangen, spazierenzugehen.«

»In der Stadt, Herr Chicot?«

»Oh! nein, in den Gärten.«

»Pest, in den Gärten ist es noch viel mehr verboten, als in der Stadt.«

»Mein kleiner Freund,« versetzte Chicot, »ich muß Euch das Kompliment machen, Ihr seid für Euer Alter außerordentlich wachsam.«

Dabei drückte er dem Pagen zehn Pistolen in die Hand, die nicht beschnitten waren wie die des Bearners.

»Ah! Herr Chicot,« sagte der Page, »man sieht wohl, daß Ihr vom französischen Hofe kommt, Ihr habt Manieren, denen man nicht zu widerstehen vermöchte; geht also aus Eurem Zimmer; macht aber ja kein Geräusch!«

Chicot ließ sich das nicht zweimal sagen; er schlüpfte wie ein Schatten in den Korridor und vom Korridor auf die Treppe; doch als er unter an den Säulengang kam, fand er einen Palastbeamten, der auf einem Stuhle schlief.

Dieser Mensch schloß die Tür schon mit seinem Körper; ein Versuch vorüberzugehen, wäre Wahnsinn gewesen.

»Ah! kleiner Schuft von einem Pagen,« murmelte Chicot, »du wußtest das und sagtest es mir nicht.«

Um das Maß des Unglücks vollzumachen, schien der Beamte einen sehr leichten Schlaf zu haben; er regte bald einen Arm, bald ein Bein; einmal streckte er sogar die Arme aus wie ein Mensch, der aufzuwachen droht.

Chicot suchte um sich her, ob nicht irgendwo ein Ausgang wäre, durch den er mit Hilfe seiner langen Beine schlüpfen könnte, ohne durch die Tür zu gehen. Er erblickte endlich, was er wünschte; es war eins von den Bogenfenstern, das offen geblieben war.

Chicot betastete die Mauer mit seinen Fingern; er berechnete tastend jeden Raum zwischen den Vorsprüngen, und bediente sich dieser, um den Fuß darauf zu setzen wie auf Leitersprossen. Endlich hißte er sich mit seiner bekannten Geschicklichkeit und Leichtigkeit, ohne mehr Geräusch, als ein dürres Blatt, das unter dem Herbstwinde an der Wand hinstreift.

Aber das Fenster war von so eigentümlicher Wölbung, daß Chicot trotz seiner Geschmeidigkeit, als er den Kopf und die Schultern durchgestreckt und den Fuß vom Mauervorsprung gehoben hatte, zwischen Himmel und Erde hing, ohne rückwärts oder vorwärts zu können.

Er strengte sich krampfhaft an, mit dem Erfolge, daß er sein Wams zerriß und sich die Haut aufritzte. Was seine Lage noch schwieriger machte, war der Degen, dessen Griff nicht durch wollte und Chicot an der Einfassung festhielt. Endlich gelang es ihm, mit Aufbietung aller Kräfte sich hindurchzuzwängen; er fiel auf den Boden, wobei er die Heftigkeit des Falles durch Aufstützen mit den Händen milderte. Dieses Ringen war jedoch nicht geräuschlos vorübergegangen, Chicot sah sich auch, als er wieder aufstand, einem Soldaten gegenüber.«

»Ah! mein Gott! solltet Ihr Euch weh getan haben?« fragte ihn dieser.

»Abermals!« murmelte Chicot.

Dann gedachte er der Teilnahme, die dieser brave Mann gegen ihn an den Tag legte, und erwiderte: »Nein, nein, mein Freund, durchaus nicht.«

»Das ist ein Glück,« sagte der Soldat, »ich fordere jeden heraus, ein solches Stück auszuführen, ohne den Hals zu brechen; in der Tat, nur Herr Chicot konnte dies tun.«

»Woher, zum Teufel, weißt du meinen Namen?« fragte Chicot erstaunt, während er vorbeizugehen suchte.

»Ich weiß ihn, weil ich Euch heute im Palast gesehen und gefragt habe: »Wer ist dieser Edelmann mit der vornehmen Miene, der mit dem König plaudert?« »Es ist Herr Ehicot« antwortete man mir.«

»Was ist äußerst artig,« sagte Chicot; »doch da ich große Eile habe, mein Freund, so wirst du mir erlauben, daß ich jetzt meinen Geschäften nachgehe.«

Aber der Soldat widersetzte sich mit derselben Hartnäckigkeit Chicots Entfernung wie der Page, indem er sich auf einen Befehl berief, bis Chicot auch bei ihm zu demselben Mittel griff; er holte aus seiner Tasche zehn Pistolen und drückte sie dem Soldaten in die Hand.

»Geht schnell, Herr Chicot, geht schnell, sagte hierauf der Soldat und steckte das Geld ein.

Chicot war auf der Straße; er orientierte sich; er hatte die Stadt durchlaufen, um nach dem Palast zu kommen, und mußte dem entgegengesetzten Wege folgen, um durch das Tor, dem entgegengesetzt, durch das er eingeritten war, hinauszugelangen.

Die helle, wolkenlose Nacht war nicht günstig für eine Entweichung; Chicot ersehnte die nebeligen Nächte Frankreichs, mit deren Hilfe man in Paris zu dieser Stunde auf vier Schritte,, ohne sich zu sehen, aneinander vorübergehen konnte; auf dem spitzigen Pflaster der Stadt schollen überdies seine beschlagenen Schuhe wie Hufeisen. Der unglückliche Botschafter hatte sich auch kaum um die Straßenecke gewendet, als er auf eine Patrouille stieß.

Er blieb stehen, indem er sich sagte, daß es verdächtig aussehen würde, wenn er versuchen wollte, sich zu verbergen oder den Durchgang zu erzwingen.

»Ei! guten Abend, Herr Chicot,« sagte der Anführer der Patrouille, indem er ihn mit dem Degen grüßte, »soll ich Euch zum Palast zurückführen? Ihr seht mir ganz aus, als hättet Ihr Euch verirrt und als suchtet Ihr Euren Weg.«

»Ah! es kennt mich also die ganze Welt hier?« murmelte Chicot. »Bei Gott! das ist seltsam!«

Dann sagte er laut und mit der unbefangenen Miene, die er annehmen konnte: »Nein, Kornett, Ihr täuscht Euch, ich gehe nicht in den Palast.«

»Ihr habt unrecht, Herr Chicot,« erwiderte der Offizier mit ernstem Tone.

»Warum?«

»Weil ein sehr strenges Edikt den Einwohnern von Nerac, außer in Fällen dringender Notwendigkeit verbietet, bei Nacht ohne Erlaubnis und ohne Laterne auszugehen.«

»Entschuldigt mich, mein Herr,« entgegnete Chicot, »das Edikt geht mich nichts an.«

»Warum?«

»Ich bin nicht von Nerac,«

»Ja, aber Ihr seid in Nerac ... Einwohner heißt nicht, wer von einem Orte, sondern wer an einem Orte ist ... Ihr werdet aber nicht leugnen, daß Ihr Euch in Nerak aufhaltet, da ich Euch in den Straßen von Nerac begegne.«

»Ihr seid ein Logiker, mein Herr, leider habe ich aber große Eile; geht also von Eurem Befehle, ab und laßt mich vorüber, ich bitte Euch.«

»Ihr könntet ein Unglück haben, Herr Chicot; Nerac ist eine Stadt mit vielen Krümmungen; Ihr werdet in ein Loch fallen, und müßt Führer haben; erlaubt, daß drei von meinen Leuten Euch in den Palast zurückgeleiten.«

»Ich gehe nicht in den Palast, sage ich Euch.«

»Wohin geht Ihr dann?«

»Ich kann bei Nacht nicht schlafen und gehe dann spazieren. Nerac ist eine reizende, wechselreiche Stadt, wie mir scheint; ich will sie sehen, kennen lernen.«

»Man wird Euch überallhin führen, wohin Ihr zu gehen wünscht, Herr Chicot. Holla! drei Mann!«

»Ich flehe Euch an, mein Herr, nehmt mir nicht das Romantische meines Spazierganges; ich liebe es, allein zu gehen.«

»Ihr werdet von Räubern ermordet werden.

»Ich habe meinen Degen.« »Ah! es ist wahr, ich hatte das nicht gesehen; dann wird Euch der Profoß als bewaffnet festnehmen.«

Chicot sah, daß er sich so nicht herauswinden konnte, nahm den Offizier beiseite und sagte, die Liebe treibe ihn, eine gewisse Dame zu besuchen. Dahin könne er doch nicht in Begleitung gehen. Dies schien den Offizier zu erweichen, und er sagte: »Nun, dann geht, Herr Chicot, geht!«

»Ihr seid ein galanter Mann, Kornett.«

»Mein Herr!«

»Nein, so wahr ich lebe! Das ist ein schöner Zug. Doch sprecht, woher kennt Ihr mich?«

»Ich habe Euch im Palast beim König gesehen.«

»So sind die kleinen Städte!« dachte Chicot; »wie oft hätte man mir, wenn ich in Paris auf diese Weise bekannt wäre, die Haut statt des Wamses durchlöchert!«

Und er drückte dem jungen Offizier die Hand.

Nachdem er dem Offizier auf seine Frage noch geantwortet hatte, er gehe in der Richtung der Porte d'Agen, entfernte sich Chicot leichter und freudiger als je. Doch er hatte nicht hundert Schritte gemacht, als er gleichsam mit der Nase auf die Scharwache stieß.

»Alle Teufel! diese Stadt ist gut bewacht!« dachte Chicot.

»Man geht nicht vorbei!« rief der Profoß mit Donnerstimme.

»Aber, mein Herr,« entgegnete Chicot, »ich wünsche ....«

»Ah! Herr Chicot! Ihr seid es; wie kommt es, daß Ihr bei so kaltem Wetter in den Straßen umhergeht?«

»Oh! hier ist offenbar sehr schwer durchzukommen,« dachte Chicot voll Unruhe.

Und er grüßte und machte eine Bewegung, um seinen Weg fortzusetzen.

»Herr Chicot, habt acht,« sagte der Profoß.

»Worauf, mein Herr?«

»Ihr irrt Euch im Wege; Ihr geht den Toren zu.«

»Ganz richtig.« »Dann werde ich Euch verhaften, Herr Chicot.«

»Nein, nein, Herr Profoß, alle Wetter! Ihr würdet da einen schönen Streich machen.«

»Aber...«

»Nähert Euch, Herr Profoß, und macht, daß Eure Soldaten nicht hören, was wir sprechen.«

Der Profoß näherte sich.

»Ich höre,« sagte er.

»Der König hat mir einen Auftrag für den Leutnant der Porte d'Agen gegeben.« – »Ah! ah!«

»Ihr wundert Euch darüber?« – »Ja.«

»Ihr müßt Euch nicht wundern, da Ihr mich kennt.« – »Ich kenne Euch, weil ich Euch im Palaste beim König gesehen habe.«

Chicot stampfte mit dem Fuß; er fing an, ungeduldig zu werden. »Das muß genügen, um Euch zu beweisen, daß ich das Vertrauen Seiner Majestät besitze.« – »Allerdings; geht also und besorgt den Auftrag des Königs, Herr Chicot, ich halte Euch nicht mehr auf.«

»Das ist drollig, aber es ist reizend,« dachte Chicot; »ich bleibe überall auf der Straße hängen, rolle aber immer wieder fort. Ah! ah! dort ist ein Tor, es muß das nach Agen sein... in fünf Minuten bin ich draußen.«

Er kam wirklich an dieses Tor, wo eine Schildwache, die Muskete auf der Schulter, auf und ab ging.

»Verzeiht, mein Freund,« sagte Chicot, »wollt Ihr befehlen, daß man mir das Tor öffnet?« – »Ich befehle nicht, Herr Chicot,« erwiderte freundlich die Schildwache, »ich bin ein einfacher Soldat.«

»Du kennst mich auch?« rief Chicot außer sich. – »Ich habe die Ehre, Herr Chicot, ich war diesen Morgen im Palast auf der Wache und sah Euch mit dem König sprechen.«

»Nun wohl, mein Freund, wenn du mich kennst, so laß dir sagen, der König hat mich mit einer sehr dringenden Sendung nach Agen beauftragt, öffne mir also nur die Seitenpforte!« »Dies würde ich mit dem größten Vergnügen tun, Herr Chicot, doch ich habe die Schlüssel nicht.«

»Wer hat sie denn?«

»Der Offizier vom Dienste.«

Seufzend fragte Chicot: »Und wo ist der Offizier vom Dienst?«

»Oh! bemüht Euch deshalb nicht.«

Der Soldat zog an einer Klingel, die den in der Wachtstube eingeschlafenen Offizier aufweckte.

»Was gibt es?« fragte der letztere, den Kopf herausstreckend.

»Herr Leutnant, es ist ein Herr hier; er verlangt, daß man ihm das Tor öffne, um hinauszukönnen.«

»Ah! Herr Chicot,« rief der Offizier, »verzeiht, daß ich Euch warten lasse; ich bin trostlos, entschuldigt mich, ich komme sogleich hinab und gehöre ganz Euch.«

Chicot nagte sich mit einem Anfang von Wut an den Nägeln. »Sollte ich denn niemand finden, der mich nicht kennt; dieses Nerac ist also eine Laterne, und ich bin das Licht!«.

Der Offizier erschien auf der Schwelle. »Entschuldigt, Herr Chicot,« sagte er, mit großer Hast heraustretend, »ich schlief.«

»Wie, mein Herr,« versetzte Chicot, »die Nacht ist hierzu gemacht; wäret Ihr wohl so gut, mir das Tor öffnen zu lassen? Ich schlafe leider nicht, der König, Ihr wißt es ohne Zweifel auch, der König kennt mich.« – »Ich habe Euch heute mit Seiner Majestät im Palast sprechen sehen.«

»So ist es,« brummte Chicot. »Nun wohl, es mag sein, habt Ihr mich mit dem König sprechen sehen, so habt Ihr mich wenigstens nicht mit ihm sprechen hören.« – »Nein, Herr Chicot, ich sage nur, wie es sich verhält.«

»Ich auch; der König bat mich, als er mit mir sprach, ihm heute nacht einen Auftrag in Agen zu besorgen, dieses Tor ist aber das von Agen, nicht wahr?« – »Ja, Herr Chicot.«

»Es ist geschlossen?« – »Wie Ihr seht.«

»Ich bitte, laßt es mir öffnen!« – »Sehr wohl, Herr Chicot; Anthenas, Anthenas, öffnet Herrn Chicot das Tor!«

Chicot machte große Augen und atmete wie ein Taucher, der fünf Minuten unter den Wellen gewesen ist und wieder auf die Oberfläche kommt.

Das Tor ächzte in seinen Angeln, ein Tor des Paradieses für Chicot, der dahinter die ganze Wonne der Freiheit erblickte.

Er grüßte herzlich den Offizier und ging auf das Gewölbe zu.

»Gott befohlen,« sagte er, »ich danke.« – »Gott befohlen,« Herr Chicot, »glückliche Reise!«

Chicot machte noch ein paar Schritte nach dem Tor.

»Halt! halt!« rief der Offizier, indem er Chicot nachlief und ihn am Ärmel zurückhielt, »ich Unbesonnener! mein lieber Herr Chicot, ich vergaß, Eure Auslaßkarte von Euch zu verlangen.«

»Wie! meine Auslaßkarte?« – »Gewiß, Ihr seid ein Kriegsmann, Herr Chicot, und wißt, was eine Auslaßkarte ist, nicht wahr? Ihr begreift Wohl, man geht aus einer Stadt wie Nerac nicht hinaus, ohne eine Auslaßkarte des Königs, besonders wenn der König dort wohnt.«

»Und von wem muß diese Karte unterzeichnet sein?« – »Vom König selbst. Da Euch nun der König hinausschickt, so wird er nicht vergessen haben, Euch eine Auslaßkarte zu geben.«

»Ah! ah! bezweifelt Ihr, daß mich der König schickt?« sagte Chicot, das Auge in Flammen, denn er sah sich auf dem Punkt zu scheitern, und der Zorn gab ihm den schlimmen Gedanken ein, den Offizier und den Torwart zu töten und durch das offene Tor zu entfliehen, als er, sich umwendend, bemerkte, daß das Tor durch eine äußere Runde versperrt war, die sich gerade hier fand, um Chicot die Flucht abzuschneiden, wenn er auch den Leutnant, die Schildwache und den Torwart getötet hätte.

»Ah!« sagte Chicot seufzend zu sich selbst, »das ist gut gespielt; ich bin ein Dummkopf, ich bin verloren.«

Und er drehte sich auf den Absätzen um.

»Soll man Euch zurückgeleiten?« fragte der Offizier.

»Es ist unnötig, ich danke,« erwiderte Chicot.

Chicot kehrte auf dem Wege zurück, auf dem er gekommen war, doch er hatte das Ende seines Märtyrertums noch nicht erreicht. Unterwegs begegnete er nacheinander dem Profosen, dem Kornett und der Schildwache, jeder hatte eine hänselnde Frage für ihn, und beschämt und gedemütigt kehrte Chicot in den Palast zurück.

Seine verlegene Miene rührte den Pagen, der immer noch auf seinem Posten war.

»Lieber Herr Chicot,« sagte er, »soll ich Euch den Schlüssel zu dem allem geben?«

»Gib, Schlange, gib,« murmelte Chicot.

»Nun wohl! der König liebt Euch so sehr, daß ihm viel daran gelegen ist, Euch zu behalten.«

»Und du hast das gewußt, kleiner Schurke, und mich nicht davon in Kenntnis gesetzt!«

»Oh! Herr Chicot, unmöglich, es war ein Staatsgeheimnis.«

»Aber ich habe dich bezahlt, Verruchter!«

»Oh! das Geheimnis war mehr wert als zehn Pistolen; Ihr werdet das zugeben, lieber Herr Chicot.«

Chicot kehrte in sein Zimmer zurück und entschlief vor Zorn.

Der Oberjägermeister des Königs von Navarra.

Als Margarethe den König verließ, begab sie sich sogleich in das Gemach der Ehrenfräulein. Im Vorübergehen nahm sie ihren Arzt Chirac mit, der im Schlosse wohnte, und sie trat bei der armen Fosseuse ein, die, bleich und von neugierigen Blicken umgeben, sich über Magenschmerzen beklagte, ohne, so groß war ihr Leiden, irgendeine Frage beantworten oder eine Erleichterung annehmen zu wollen.

Fosseuse war damals zwanzig bis einundzwanzig Jahre alt; es war eine schöne, große Person, mit blauen Augen, blonden Haaren und einem geschmeidigen Körper voll Weichheit und Anmut. Nur ging sie seit beinahe drei Monaten nicht mehr aus und beklagte sich über Mattigkeit, die sie hinderte aufzustehen; anfangs lag sie auf einer Chaiselongue und dann in ihrem Bett.

Chirac fing damit an, daß er die Anwesenden entfernte; dann setzte er sich zu den Häupten der Kranken und blieb mit ihr und der Königin allein.

Erschrocken über diese Vorbereitungen, denen die empfindliche und die eisige Miene Chiracs und der Königin eine gewisse Feierlichkeit verliehen, erhob sich Fosseuse von ihrem Kopfkissen und stammelte einen Dank für die Ehre, die ihr die Königin, ihre Gebieterin, erweise.

Margarethe war bleicher als Fosseuse; der verwundete Stolz ist schmerzlicher als die Grausamkeit oder die Krankheit.

Chirac fühlte der Fosseuse den Puls, doch dies geschah beinahe gegen ihren Willen.

»Was empfindet Ihr?« fragte er nach einer kurzen Prüfung.

»Magenschmerzen, mein Herr,« antwortete das arme Kind; »doch das wird nichts sein, ich versichere Euch, und wenn ich nur Ruhe hätte ....«

»Welche Ruhe, mein Fräulein?« fragte die Königin.

Fosseuse zerfloß in Tränen.

»Betrübt Euch nicht, mein Fräulein,« fuhr Margarethe fort, »Seine Majestät hat mich gebeten, Euch zu besuchen, um Euch wieder zu ermutigen.«

»Oh! wieviel Güte, Madame!«

Chirac ließ die Hand der Fosseuse los. »Und ich,« sagte er, »ich weiß nun, worin Euer Übel besteht.«

»Ihr wißt es?« murmelte Fosseuse zitternd.

»Ja, wir wissen, daß Ihr viel leiden müßt,« fügte Margarethe hinzu.

Fosseuse erschrak immer mehr, als sie sich der unempfindlichen Wissenschaft und der unempfindlichen Eifersucht preisgegeben sah.

Margarethe machte Chirac ein Zeichen, und dieser verließ das Zimmer. Fosseuse bebte aus Angst und war einer Ohnmacht nahe.

»Mein Fräulein,« sagte Margarethe, »obgleich Ihr seit einiger Zeit gegen mich wie gegen eine Fremde handeltet, obgleich man mich jeden Tag von den schlechten Diensten unterrichtete, die Ihr mir bei meinem Gemahl leistet...«

»Ich, Madame?«

»Unterbrecht mich nicht, ich bitte Euch. Obgleich Ihr endlich nach einem Gute trachtet, das hoch über Eurem Ehrgeize steht, bewegt mich doch die Freundschaft, die ich für Euch hegte und die, die ich ehrenhaften Personen gewidmet habe, denen Ihr angehört, Euch in dem Unglück beizustehen, worin man Euch in diesem Augenblick sieht.«

»Madame, ich schwöre Euch. . .«

»Leugnet nicht, ich habe schon zu viel Ärger; bringt Euch nicht um die Ehre, Euch zuerst und mich hernach, mich, die ich bei Eurer Ehre beinahe ebensoviel beteiligt bin, wie Ihr selbst, da Ihr mir angehört. Mein Fräulein, sagt mir alles, und ich werde Euch unterstützen wie eine Mutter.«

»Oh! Madame, Madame, glaubt Ihr denn? was man spricht?«

»Hütet Euch, mich zu unterbrechen, mein Fräulein, denn die Zeit drängt, scheint mir. Ich wollte Euch sagen, daß in diesem Augenblick Herr Chirac im Vorzimmer allen verkündigt, die ansteckende Krankheit, von der im Lande die Rede ist, sei im Palast, und Ihr seiet davon bedroht. Doch ich führe Euch, wenn es noch Zeit ist, nach dem Mas-d'Agenois, einem weit von dem König, meinem Gemahl, entfernten Hause; wir werden dort allein oder beinahe allein sein; der König geht seinerseits mit seinem Gefolge zu einer Jagd, die ihn, wie er sagt, mehrere Tage auswärts halten wird; wir verlassen den Mas-d'Agenois erst nach Eurer Entbindung.«

»Madame! Madame! wenn Ihr allem, was man über mich spricht, Glauben schenkt, so laßt mich elendiglich sterben!« rief die Fosseuse, purpurrot zugleich vor Scham und vor Schmerz.

»Ihr erwidert meine Großmut schlecht, mein Fräulein, und Ihr rechnet auch zu viel auf die Freundschaft des Königs, der mich gebeten hat, Euch nicht zu verlassen.«

»Der König? ... Der König hätte gesagt ....«

»Zweifelt Ihr, da ich spreche, mein Fräulein? Wenn ich nicht die Symptome Eures wahren Übels sähe, wenn ich nicht aus Eurem Leiden erriete, daß die Krise naht, so würde ich vielleicht Eurem Leugnen Glauben schenken.«

Als wollte sie der Königin völlig recht geben, fiel die arme Fosseuse, von wütenden Schmerzen niedergeworfen, leichenbleich und zuckend auf ihr Bett zurück.

Margarethe schaute sie einige Zeit ohne Zorn, aber auch ohne Mitleid an.

»Muß ich immer noch an Euer Leugnen glauben, mein Fräulein?« sagte sie zu der Armen, als diese sich wieder erhob und dabei ein so verstörtes und in Tränen gebadetes Gesicht zeigte, daß es selbst Katharina gerührt haben müßte.

Doch als wollte der Himmel der Unglücklichen Hilfe senden, öffnete sich in dieser Sekunde die Türe, und Heinrich von Navarra trat hastig ein.

Heinrich hatte nicht geschlafen. Nachdem er eine Stunde mit Mornay gearbeitet und alle Maßregeln für die Chicot angekündigte Jagd getroffen hatte, lief er eiligst in den Pavillon der Ehrenfräulein.

»Nun! was sagt man?« bemerkte er eintretend, »meine Tochter Fosseuse soll immer noch leidend sein!«

»Seht Ihr, Madame,« rief das Mädchen, gestärkt durch den Anblick seines Geliebten und durch die Hilfe, die ihm zukam, »seht Ihr, der König hat nichts gesagt, und ich tue wohl daran zu leugnen?«

»Mein Herr,« sagte die Königin, sich gegen Heinrich umwendend, »macht, daß dieser demütigende Streit aufhört; ich glaube Euch begriffen zu haben, als Ihr mich vorhin mit Eurem Vertrauen beehrtet und mir den Zustand des Fräuleins aufdecktet. Sagt ihr also, daß ich mit allem auf dem laufenden bin, damit sie sich nicht mehr zu zweifeln erlaubt, wenn ich versichere.«

»Meine Tochter,« fragte Heinrich mit einer Zärtlichkeit, die er nicht einmal zu verschleiern suchte, »Ihr leugnet also beharrlich?«

»Das Geheimnis gehört nicht mir, Sire,« antwortete das mutige Kind, »und solange ich nicht von Eurem Munde die Erlaubnis erhalten habe, alles zu sagen ....«

»Meine Tochter Fosseuse ist ein tapferes Herz, Madame,« sagte Heinrich; »verzeiht Ihr, ich beschwöre Euch; und Ihr, meine Tochter, habt Vertrauen zu der Güte Eurer Königin; die Dankbarkeit ist meine Sache, und ich übernehme sie.«

Und er faßte Margarethes Hand und drückte sie herzlich.

In diesem Augenblicke strömte abermals eine bittere Woge des Schmerzes über die arme Fosseuse; sie wich zum zweiten Male unter dem Sturm, und gebogen wie eine Lilie neigte sie das Haupt mit einem dumpfen Seufzer.

Heinrich war gerührt bis in die Tiefen seines Herzens, als er diese bleiche Stirn, diese in Tränen gebadeten Augen, diese feuchten, zerstreuten Haare erblickte, als er endlich an den Schläfen und auf den Lippen der Armen den Angstschweiß perlen sah.

Er stürzte ganz verwirrt auf sie zu, öffnete die Arme, fiel vor ihrem Bett auf die Knie und flüsterte: »Fosseuse! teure Fosseuse!«

Düster und schweigsam lehnte Margarethe ihre glühende Stirn an die Fensterscheiben.

Fosseuse hatte die Kraft, ihre Arme zu erheben und um den Hals ihres Geliebten zu schlingen; sie drückte ihre Lippen auf die seinigen, im Glauben, sie würde sterben, und in diesem letzten, in diesem äußersten Kuß warf sie Heinrich ihre Seele und ihr Lebewohl zu.

Dann sank sie ohne Bewußtsein zurück.

Ebenso bleich als sie, träge und ohne Stimme wie sie, ließ Heinrich sein Haupt auf ihr Bettuch sinken, das bald ihr Leichentuch zu werden schien.

Margarethe näherte sich dieser Gruppe, in der körperlicher und moralischer Schmerz vereinigt waren, und sagte mit einer energischen Majestät: »Steht auf, mein Herr, und laßt mich die Pflicht erfüllen, die Ihr mir auferlegt habt.«

Und als Heinrich über diese Kundgebung unruhig zu sein schien und sich halb auf ein Knie aufrichtete, fügte sie hinzu: »Oh! fürchtet nichts, mein Herr, sobald mein Stolz allein verwundet ist, bin ich stark; gegen mein Herz hätte ich nicht für mich gestanden, doch zum Glück hat mein Herz nichts mit dieser ganzen Sache zu schaffen.«

Heinrich erhob das Haupt.

»Madame?« sagte er.

»Sprecht kein Wort mehr, mein Herr,« versetzte Margarethe, die Hand ausstreckend, »oder ich würde glauben, Eure Nachsicht sei Berechnung gewesen. Wir sind Bruder und Schwester und werden uns verstehen.«

Heinrich führte sie zur Fosseuse, deren eisige Hand er in Margarethes fieberhafte Hand legte.

»Geht, Sire, geht,« sagte die Königin, »brecht zur Jagd auf. Je mehr Ihr zu dieser Stunde Leute mit Euch nehmt, desto mehr werdet Ihr neugierige Blicke von ihrem Bette entfernen.«

»Aber ich habe niemand in den Vorzimmern gesehen,« entgegnete Heinrich.

»Nein, Sire,« versetzte Margarethe lächelnd, »man glaubt, die Pest sei hier; beeilt Euch also, Euer Vergnügen anderswo zu suchen.«

»Madame,«sagte Heinrich, »ich gehe und werde für uns beide jagen.«

Und er heftete einen letzten zärtlichen Blick auf die noch ohnmächtige Fosseuse und eilte aus dem Zimmer.

Sobald er in den Vorzimmern war, schüttelte er den Kopf, als wollte er von seiner Stirn einen Rest von Unruhe abwerfen; dann ging er mit dem ihm eigentümlich spöttisch lächelnden Gesicht zu Chicot hinauf, der mit geschlossenen Fäusten schlief.

Der König ließ sich die Tür öffnen, rüttelte an dem Schläfer und sagte: »He! he! Gevatter, munter, munter, es ist zwei Uhr morgens,«

»Ah! Teufel,« versetzt Chicot, »Ihr nennt mich Gevatter, Sire. Solltet Ihr mich etwa für den Herzog von Guise halten?«

Heinrich hatte wirklich, wenn er vom Herzog von Guise sprach, die Gewohnheit, ihn seinen Gevatter zu nennen.

»Ich halte Euch für meinen Freund,« erwiderte er.

»Und Ihr nehmt mich gefangen, mich, einen Botschafter! Sire, Ihr verletzt das Völkerrecht.«

Heinrich lachte. Chicot, vor allem ein Mensch von Geist, konnte nicht umhin, ihm Gesellschaft zu leisten.

»Das ist närrisch. Warum, zum Teufel, wolltest du denn von hier weggehen, wirst du nicht gut behandelt?«

»Zu gut, alle Wetter, zu gut; ich komme mir hier vor wie eine Gans die man in einem Geflügelhofe mästet. Alle Welt sagt zu mir: ›Kleiner, kleiner Chicot, wie niedlich er ist!‹ Doch man rupft mir die Flügel aus und verschließt mir die Tür.«

»Chicot, mein Freund,« entgegnete Heinrich, den Kopf schüttelnd, »beruhige dich, du bist nicht fett genug für meine Tafel.«

»Aber, Sire,« sagte Chicot, während er sich erhob, »Ihr seid diesen Morgen ganz munter; was für Nachrichten habt Ihr?«

»Ah! ich will es dir sagen; siehst du, ich gehe auf die Jagd, und ich bin immer sehr heiter, wenn ich auf die Jagd gehe. Vorwärts, aus dem Bett, Gevatter, aus dem Bett!«

»Wie, Ihr nehmt mich mit, Sire?«

»Du sollst mein Geschichtschreiber sein, Chicot.«

»Soll ich die Schüsse aufschreiben?«

»Ganz richtig.«

Chicot schüttelte den Kopf.

»Nun, was hast du?« fragte der König.

»Ich habe nie ohne Unruhe eine solche Heiterkeit gesehen,« antwortete Chicot.

»Bah!«

»Ja, es ist wie die Sonne, wenn sie...«

»Nun?«

»Nun! Sire, Regen, Blitz und Donner sind nicht fern.«

Heinrich strich sich lächelnd den Bart und erwiderte: »Wenn ein Sturm kommt, Chicot, so ist mein Mantel groß, und du sollst bedeckt sein.«

Während sich Chicot beständig murrend ankleidete, ging der König zum Vorzimmer und rief: »Mein Pferd! und man sage Herrn von Mornay, ich sei bereit.«

»Ah! Herr von Mornay ist Oberjägermeister bei dieser Jagd?« fragte Chicot.

»Herr von Mornay ist alles hier,« antwortete Heinrich, »der König von Navarra ist so arm, daß er keine Mittel hat, seine Ämter zu verteilen. Ich habe nur einen Mann.«

»Ja, doch er ist gut,« seufzte Chicot.

Wie man den Wolf in Navarra jagte.

Als Chicot die Vorbereitungen zum Aufbruch sah, konnte er sich nicht erwehren, mit halber Stimme zu bemerken, die Jagden des Königs von Navarra seien minder kostbar, als die des Königs Heinrich von Frankreich. Nur zwölf bis fünfzehn Edelleute, darunter der Vicomte von Turenne, bildeten das Gefolge Seiner Majestät. Dabei trugen beinahe alle, statt der damals üblichen Jagdanzüge, Helm und Panzer, was Chicot zu der Frage veranlaßte, ob die Gaskogner Wölfe Musketen und schweres Geschütz hätten.

Heinrich hörte die Frage, obgleich sie nicht unmittelbar an ihn gerichtet war; er näherte sich Chicot, berührte seine Schulter und sagte zu ihm: »Nein, mein Sohn, Gaskogner Wölfe haben weder Musketen noch schweres Geschütz; aber es sind wilde Bestien mit Klauen und Zähnen, und sie locken die Jäger in das Gestrüpp, wo man Gefahr läuft, seine Kleider an den Dornen zu zerreißen; einen Panzer zerreißt man aber nicht.« – »Das ist ein Grund,« brummte Chicot, »doch er ist nicht vortrefflich.«

»Ah, du machst Glossen?« – »Ist das verboten?«

»Nein, mein Freund, nein, das Glossenmachen ist in Gaskogne gangbare Münze.« – »Alle Wetter! Ihr begreift, Sire, ich bin kein Jäger und muß mich mit etwas beschäftigen, während ihr die Schnurrbärte nach dem Geruche der guten Wölfe leckt, die ihr, zwölf oder fünfzehn Mann stark, wie ihr seid, schon zur Strecke bringen werdet.«

»Ah! ja,« sagte der König, über den Spötter lächelnd; »zuerst die Kleidung, dann die Zahl; spotte, mein lieber Chicot, spotte!« – »Oh! Sire.«

»Doch, wenn ich auch nicht mit zweihundert Jägern ausziehe, sondern nur mit zwölf, so kommt es doch zuweilen vor, daß Landedelleute, die erfahren, ich jage, ihre Schlösser verlassen und sich mir anschließen, wodurch ich manchmal ein ziemlich hübsches Gefolge bekomme.« – »Ihr werdet sehen, Sire, daß ich nicht das Glück habe, einer solchen Jagd beizuwohnen,« sagte Chicot; »in der Tat, Sire, ich habe Unglück.«

»Wer weiß?« erwiderte Heinrich mit seinem spöttischen Lachen.

Als sie dann eine halbe Stunde auf dem freien Felde marschierten, sagte Heinrich zu Chicot, indem er seine Hand über die Augen hielt: »Halt, sieh doch, ich glaube, ich täusche mich nicht.« – »Was gibt es?«

»Schau doch, dort bei den Toren des Fleckens Moiras; sind das nicht Reiter, was ich erblicke?« – Chicot erhob sich auf den Steigbügeln und erwiderte: »Reiter, ja, Sire, doch Jäger, nein.«

»Warum keine Jäger?« – »Weil sie bewaffnet sind wie Roland.«

»Ei! was liegt am Kleide, du hast das schon an uns erfahren, das Kleid macht den Jäger nicht.« – »Aber ich sehe wenigstens zweihundert Mann dort.«

»Nun wohl! was beweist das, mein Sohn? Daß Moiras ein guter Flecken ist.«

Chicot fühlte seine Neugierde immer mehr gestachelt.

Die Truppe, die aus zweihundertundfünfzig Reitern bestand, schloß sich in der Stille an die Eskorte an; jeder von den Männern war gut beritten, gut equipiert, und an der Spitze stand ein Mann von stattlichem Aussehen, der Heinrich höflich und untertänig die Hand küßte.

Man ritt durch den Gers; zwischen dem Gers und der Garonne, auf einer Erhöhung des Terrains, fand man eine zweite Truppe von etwa hundert Mann; der Anführer näherte sich Heinrich und schien sich zu entschuldigen, daß er keine größere Anzahl von Jägern bringe. Heinrich empfing seine Entschuldigungen, indem er ihm die Hand reichte.

Man marschierte weiter bis zur Garonne, durch die man zog, wie durch den Gers; nur, da die Garonne viel tiefer ist als der Gers, verlor man nach einiger Zeit den Boden und war genötigt, dreißig bis vierzig Schritte zu schwimmen; doch gegen alles Erwarten erreichte man das andere Ufer ohne Unfall.

»Alle Wetter!« sagte Chicot, »welche Übungen nehmt Ihr da vor, Sire? Wahrend Ihr oberhalb und unterhalb Agen Brücken habt, taucht Ihr so Eure Panzer ins Wasser?«

»Mein lieber Chicot,« erwiderte Heinrich, »wir sind Wilde, und du mußt uns verzeihen; du weißt wohl, daß mein seliger Schwager Karl mich seinen Eber nannte, der Eber aber kümmert sich um nichts, er geht stets gerade aus, und ich als Eber mache es ebenso. Zeigt sich ein Fluß auf meinem Weg, so durchschneide ich ihn; erhebt sich eine Stadt vor mir, Ventre-saint-gris! ich verspeise sie wie eine Pastete.«

Dieser Scherz des Bearners rief ein gewaltiges Gelächter in seiner Umgebung hervor.

Herr von Mornay allein, der stets an der Seite des Königs blieb, lachte nicht laut; er kniff sich nur die Lippen, was bei ihm ein Merkmal außerordentlicher Heiterkeit war.

»Mornay ist heute sehr guter Laune,« sagte der Bearner ganz freudig Chicot ins Ohr; »er hat über meinen Scherz gelacht.«

Chicot fragte sich, über welchen von beiden er lachen sollte, über den Herrn, der so glücklich war, daß er seinen Wiener zum Lachen gebracht, oder über den Wiener, der so schwer zu erheitern war.

Jenseits der Garonne, ungefähr eine halbe Meile vom Fluß, erschienen dreihundert in einem Tannenwalde verborgene Reiter vor Chicots Augen.

»Oh! oh! gnädigster Herr,« sagte er leise zu Heinrich, »sollten das nicht Eifersüchtige sein, die von Eurer Jagd gehört haben und sich ihr zu widersetzen beabsichtigen?«

»Nein,« sagte Heinrich, »du täuschst dich abermals, mein Sohn, diese Leute sind Freunde, die von Puymirol zu mir kommen, wahre Freunde.« – »Ei! ei! Sire, Ihr werdet mehr Menschen in Eurem Gefolge haben, als Ihr Bäume im Walde findet.«

»Chicot, mein Sohn, Gott vergebe mir, ich glaube, das Gerücht von deiner Ankunft hat sich schon in der Gegend verbreitet, und diese Leute eilen von allen vier Ecken der Provinz herbei, um dem König von Frankreich, dessen Botschafter du bist, die Ehre zu erweisen.«

Chicot hatte zu viel Geist, um nicht zu bemerken, daß man schon seit einiger Zeit seiner spotte. Das machte ihn mißtrauisch, ohne ihn in üble Laune zu versetzen.

Der Tag endigte in Monroy, wo die Edelleute der Gegend, die sich versammelt hatten, als wären sie zum voraus benachrichtigt gewesen, der König von Navarra müsse durchkommen, diesem ein schönes Abendessen boten.

»Wann werden wir denn unsere Jagd beginnen?« fragte Chicot Heinrich, als dieser sich zur Ruhe begeben wollte.

»Wir sind noch nicht im Gebiete der Wölfe, mein lieber Chicot.« – »Und wann werden wir dort sein, Sire?«

»Neugieriger!« – »Nein, Sire; doch Ihr begreift, man möchte wissen, wohin man geht.«

»Du wirst es morgen erfahren, mein Sohn, mittlerweile lege dich nieder auf die Kissen zu meiner Linken; sieh, Mornay schnarcht schon zu meiner Rechten.« – »Pest! er macht im Schlafe mehr Geräusch als im Wachen.«

»Ja, es ist wahr, er ist kein Schwätzer; doch du mußt ihn bei der Jagd sehen, und du wirst ihn sehen.«

Der Tag fing kaum an zu grauen, als ein gewaltiges Getrappel von Pferden den König von Navarra und Chicot erweckte. Sobald man den Imbiß genommen hatte, wurde zum Aufsitzen geblasen.

»Auf, auf,« sagte Heinrich, »wir haben heute einen guten Tagesmarsch zu machen; zu Pferde, meine Herren, zu Pferde!«

Chicot sah mit Erstaunen, daß fünfhundert Reiter, die während der Nacht eingetroffen waren, die Eskorte verstärkt hatten.

»Ah! ah!« sagte er, »das ist kein Gefolge mehr, was Ihr da habt, Sire, es ist eine Armee.«

Heinrich antwortete nur die drei Worte: »Warte noch, warte!«

In Lauzerte schlossen sich sechshundert Mann zu Fuß der Reitertruppe hinten an.

»Infanteristen!« rief Chicot, »Fußvolk!«

»Treiber,« erwiderte der König, »nichts anderes als Treiber.«

Chicot faltete die Stirn und sprach von diesem Augenblick an nichts mehr. Zwanzigmal wandten sich seine Augen dem Felde zu, zwanzigmal durchzuckte seinen Geist der Gedanke zu entfliehen. Doch er hatte seine Ehrenwache, ohne Zweifel als Vertreter des Königs von Frankreich.

Jetzt zog man durch die Stadt Montcuq, und vier kleine Feldstücke reihten sich dem Heere an.

»Ich komme auf meinen ersten Gedanken zurück, Sire,« sagte Chicot, »die Wölfe in diesem Lande sind Hauptwölfe, und man behandelt sie mit mehr Rücksichten als andere Wölfe, schweres Geschütz für sie, Sire!«

»Ah! du hast es bemerkt,« versetzte Heinrich; »das liegt an den Leuten von Montcuq; seitdem ich ihnen für ihre Übungen diese vier Feldstücke geschenkt habe, schleppen sie sie überallhin.«

»Werden wir heute ankommen, Sire?« – »Nein, morgen.«

»Morgen früh oder morgen abend?« – »Morgen früh.«

»Dann jagen wir in Cahors, nicht wahr, Sire?« – »In dieser Gegend.«

»Doch wie kommt es, Sire, daß Ihr nicht auch die königliche Standarte mitgenommen habt? Die Ehre wäre für die Wölfe dann vollständig gewesen.«

»Man hat es nicht vergessen, Chicot, Ventre-saintgris! Man läßt sie nur im Überzug, um sie nicht zu beschmutzen. Doch da du eine Standarte haben willst, mein Kind, um zu wissen, unter welchem Banner du marschierst, so wird man dir eine schöne zeigen. Zieht die Standarte aus ihrem Futteral! Herr Chicot wünscht zu wissen, wie das Wappen von Navarra aussieht.«

»Nein, nein, es ist unnötig,« rief Chicot, »laßt sie, wo sie ist.«

Man brachte die zweite Nacht in Catus ungefähr ebenso zu wie die erste; seitdem Chicot sein Ehrenwort gegeben, daß er nicht entfliehen werde, achtete man nicht mehr auf ihn.

Er machte einen Gang durch die Stadt und bis zu den Vorposten. Von allen Seiten trafen Truppen von hundert, hundertundfünfzig, zweihundert Mann beim Heer ein. In dieser Nacht versammelten sich die Infanteristen.

»Es ist ein Glück, daß wir nicht bis Paris marschieren,« sagte Chicot, »wir würden dort mit hunderttausend Mann ankommen.«

Am andern Morgen um acht Uhr war man vor Cahors, mit tausend Mann zu Fuß und zweitausend Pferden.

Man fand die Stadt im Belagerungszustand; die äußersten Posten hatten Alarmzeichen gegeben, und Herr von Vesins hatte seine Vorsichtsmaßregeln getroffen.

»Ah! ah!« sagte der König, dem Mornay diese Kunde mitteilte, »man ist uns zuvorgekommen, das ist ärgerlich.«

»Wir werden eine regelmäßige Belagerung vornehmen müssen, Sire,« sagte Mornay; »wir erwarten noch ungefähr zweitausend Mann, und so viel brauchen wir wenigstens, um die Chancen ins Gleichgewicht zu stellen.«

»Versammeln wir den Rat und beginnen wir die Laufgräben,« sagte Herr von Turenne.

Chicot hörte dies alles mit erstaunter Miene.

Das nachdenkliche und beinahe klägliche Aussehen des Königs von Navarra bestärkte ihn in dem Verdacht, Heinrich sei ein armseliger Kriegsmann, und diese Überzeugung allein vermochte ihn ein wenig zu beruhigen.

Heinrich hatte alle stumm angehört; plötzlich erwachte er aus seiner Träumerei, hob den Kopf empor und sagte im Tone des Befehls: »Meine Herren; hört, was zu tun ist. Wir haben dreitausend Mann und zwei erwartet Ihr, Mornay? Das macht fünftausend Mann. Bei einer regelmäßigen Belagerung wird man uns in zwei Monaten an fünfzehnhundert töten; dies wird die anderen entmutigen, und wir werden die Belagerung aufheben und uns fechtend zurückziehen müssen; auf unserem Rückzug werden wir abermals tausend Mann verlieren, was die Hälfte unserer Streitkräfte ist. Opfern wir sogleich fünfhundert Mann und nehmen Cahors.«

»Wie ist das zu verstehen?« fragte Mornay.

»Mein lieber Freund, wir marschieren gerade auf das Tor zu, das uns am nächsten liegt. Wir werden einen Graben auf unserem Wege finden; wir füllen ihn mit Faschinen; wir lassen zweihundert Mann auf dem Platz, – doch wir erreichen das Tor.«

»Dann, Sire?«

»Dann sprengen wir das Tor mit Petarden und stellen uns fest... das ist nicht sehr schwierig.«

Chicot schaute Heinrich ganz erschrocken an.

»Ja,« brummte er, »Prahler und Großsprecher, so ist mein Gaskogner; wirst du die Petarde unter das Tor legen?«

In diesem Augenblick fügte der König hinzu, als ob er Chicots leise Bemerkung gehört hätte: »Verlieren wir keine Zeit, meine Herren, das Mahl würde kalt werden, vorwärts, und wer mich liebt, folgt mir!«

König Heinrich von Navarra im Feuer.

Die kleine Armee rückte bis auf zwei Büchsenschüsse zur Stadt vor; hier frühstückte man. Dann wurden den Offizieren und Soldaten zwei Stunden Rast bewilligt. Es war bereits drei Uhr nachmittags, als der König die Offiziere unter sein Zelt rufen ließ.

Heinrich war sehr bleich, und während er eine Ansprache hielt, zitterten seine Hände sichtbar.

»Meine Herren,« sagte er, »wir sind gekommen, um Cahors zu nehmen; wir müssen also Cahors nehmen, da wir zu diesem Behufe gekommen sind; doch wir müssen es mit Gewalt nehmen, mit Gewalt, versteht ihr wohl, indem wir mit Fleisch durch Eisen und Holz brechen. Der Herr Marschall von Biron, der geschworen hat, alle Hugenotten bis auf den letzten henken zu lassen, liegt fünfundvierzig Meilen von hier im Feld. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist zu dieser Stunde schon ein Bote von Herrn von Besins an ihn abgeschickt worden; in vier bis fünf Tagen wird er uns auf dem Rücken sein; er hat zehntausend Mann bei sich, und wir sind dann zwischen der Stadt und ihm eingeschlossen. Nehmen wir also Cahors, ehe er ankommt, und wir werden ihn sodann empfangen, wie Herr von Besins sich anschickt, uns zu empfangen, doch hoffentlich mit besserem Glück; andernfalls wird er wenigstens gute katholische Balken haben, um die Hugenotten daran zu hängen, und wir sind ihm diese Genugtuung schuldig; vorwärts, drauf, drauf, meine Herren; ich will mich an eure Spitze stellen, und Streiche, Ventre-saint-gris, als ob es hagelte!«

Dies war die ganze königliche Anrede; doch sie genügte, wie es scheint, denn die Soldaten antworteten darauf mit enthusiastischem Gemurmel und die Offiziere mit wütenden Bravos.

Die kleine Armee brach unter Mornays Kommando auf, um ihre Stellung zu nehmen. In dem Augenblick, als sie sich in Marsch setzte, kam der König auf Chicot zu und sagte zu ihm: »Verzeih', Freund Chicot, ich habe dich getäuscht, als ich von der Jagd, von Wölfen und von anderen Possen sprach; aber ich mußte dies tun, und es ist auch deine Ansicht, da du es mir rundheraus sagtest; König Heinrich will mir offenbar die Mitgift seiner Schwester Margot nicht bezahlen, und Margot heult, Margot weint, um ihr liebes Cahors zu bekommen; man muß tun, was die Frau will, um den Frieden in der Ehe zu haben.«

»Warum hat sie nicht den Mond von Euch verlangt, da Ihr ein so guter Gatte seid?« versetzte Chicot, durch die königlichen Scherze gereizt.

»Ich hätte es auch versucht, Chicot,« erwiderte der Bearner, »ich liebe sie so sehr, die teure Margot.« – »Oh! Ihr habt schon genug mit Cahors, und wir werden sehen, wie Ihr das angreift.«

»Ah! das ist es gerade, worauf ich kommen wollte; höre mich, Freund Chicot, der Augenblick ist entscheidend und besonders unangenehm. Ja, ich bilde mir nicht viel auf mein Schwert ein; ich bin nicht tapfer, und die Natur empört sich in mir bei jedem Büchsenschuß; Chicot, mein Freund, spotte nicht zu sehr über den armen Bearner, deinen Landsmann und deinen Freund; wenn ich Furcht habe, und du bemerkst es, sage es nicht!«

Heinrich bestieg sein Pferd, doch zweimal war es, als ob er wieder absteigen wollte.

»Auf, Chicot,« sagte er, »steige auch zu Pferde; nicht wahr, du bist auch kein Kriegsmann?« – »Nein, Sire.«

»Nun so komm', Chicot, wir werden miteinander Angst haben, komm' und laß uns das Feuern sehen; ein gutes Pferd für Herrn Chicot!«

Chicot zuckte die Achseln und bestieg, ohne eine Miene zu verziehen, ein schönes spanisches Roß, das man ihm auf Befehl des Königs brachte.

Heinrich setzte sein Pferd in Galopp, Chicot folgte ihm.

Als Heinrich vor die Front seiner kleinen Armee kam, schlug er sein Helmvisier auf.

»Heraus die Fahne! die neue Fahne heraus!« rief er mit einer meckernden Stimme.

Man nahm den Überzug von der Fahne ab, und diese entrollte das doppelte Wappenschild von Navarra und Bourbon majestätisch in der Luft; sie war weiß und trug auf der einen Seite auf Azur die goldenen Ketten und auf der andern Seite die goldenen Lilien mit dem Turnierkranze in Herzform.

»Ich fürchte,« sagte Chicot beiseite, »das ist eine Fahne, die ein schlechtes Handgeld bekommen wird.«

»In diesem Augenblick, und als wollten sie Chicots Gedanken entsprechen, donnerten die Kanonen der Festung und rissen die Infanterie, zehn Schritte vom König, nieder.

»Ventre-saint-gris! hast du gesehen, Chicot, das kommt mir hübsch vor!«

Und seine Zähne klapperten.

»Es wird ihm übel werden,« sagte Chicot.

»Ah!« murmelte Heinrich, »ah! du hast Furcht, verfluchtes Gerippe, du zitterst und bebst; warte, ich will dir etwas zu zittern geben.«

Und er drückte die Sporen seinem Schimmel in den Leib, ritt allen voran und kam auf hundert Schritte zu dem Platz, der von dem Feuer der Batterien so rot war, daß sich die Blitze auf seiner Rüstung wie die Strahlen einer untergehenden Sonne widerspiegelten.

Hier hielt er sein Pferd zehn Minuten lang unbeweglich, das Gesicht dem Tore der Stadt zugewendet, und schrie: »Die Faschinen! Ventre-saint-gris! die Faschinen!«

Mornay war ihm mit aufgeschlagenem Visier und das Schwert in der Faust gefolgt. Chicot machte es wie Mornay, er hatte sich panzern lassen, aber nicht den Degen gezogen.

Hinter diesen drei Männern sprengten begeistert durch ihr Beispiel die jungen hugenottischen Edelleute und schrien: »Es lebe Navarra!«

Der Vicomte von Turenne marschierte, eine Faschine auf dem Halse seines Pferdes, an ihrer Spitze.

Jeder kam und warf seine Faschine hinab; in einem Augenblick war der Graben unter der Zugbrücke ausgefüllt.

Die Artilleristen rückten vor, und mit einem Verlust von dreißig Mann bei vierzig gelang es ihnen, ihre Petarden unter das Tor zu bringen.

Die Kartätschen und Musketenkugeln pfiffen um Heinrich wie ein Feuerorkan; zwanzig Mann fielen ganz in seiner Nähe.

»Vorwärts! vorwärts!« sagte er und sprengte mitten unter die Artilleristen.

Er kam an den Rand des Grabens gerade in dem Augenblick, als die erste Petarde spielte. Das Tor spaltete sich an zwei Stellen. Die Artilleristen zündeten die zweite Petarde an; sogleich kamen durch die dreifache Öffnung zwanzig Büchsen hervor und spien ihre Kugeln auf Offiziere und Soldaten.

Die Leute fielen um den König her, als ob man Ähren mähte.

»Sire,« sagte Chicot, ohne an sich selbst zu denken, »in des Himmels Namen, zieht Euch zurück!«

Mornay sagte nichts, aber er war stolz auf seinen Zögling und suchte sich von Zeit zu Zeit vor ihn zu stellen; Heinrich aber schob ihn mit der Hand auf die Seite.

Plötzliche fühlte Heinrich, daß ihm der Schweiß auf der Stirn perlte, und daß ein Nebel vor seinen Augen hinzog.

»Ah! verfluchte Natur,« rief er, »man soll nicht sagen, du habest mich besiegt.«

Dann sprang er von seinem Pferde und schrie: »Eine Axt! eine Axt!«

Und mit kräftigem Arm schlug er Büchsenläufe, Stücke Eichenholz und eherne Nägel ab.

Endlich fiel ein Balken, ein Türflügel, ein Mauerflügel, und hundert Mann stürzten durch die Bresche und riefen: »Navarra! Navarra! Cahors gehört uns. Es lebe Navarra!«

Chicot hatte den König nicht verlassen; er befand sich mit ihm unter dem Torgewölbe, wo Heinrich einer der ersten eingedrungen war; doch bei jedem Büchsenschuß sah er ihn beben und den Kopf bücken.

»Ventre-saint-gris!« sagte Heinrich wütend, »hast du je eine solche Feigherzigkeit gesehen, Chicot?« – »Nein, Sire,« erwiderte dieser, »ich habe nie einen Feigling gesehen wie Ihr; das ist furchtbar.«

In diesem Augenblick suchten die Soldaten des Herrn von Besins Heinrich und seine Vorhut aus der Stellung zu vertreiben, die sie unter dem Tor und in den benachbarten Häusern eingenommen hatten.

Heinrich empfing sie mit dem Schwerte in der Hand.

Doch die Belagerten waren die Stärkeren; es gelang ihnen, Heinrich und die Seinigen bis jenseits des Grabens zurückzutreiben.

»Ventre-saint-gris!« rief der König; »ich glaube, meine Fahne weicht zurück; wenn es so ist, werde ich sie selbst tragen.«

Und mit großartiger Anstrengung entriß er seine Standarte dem Träger, hob sie hoch in die Luft und drang zuerst wieder, halb umwickelt von ihren flatternden Falten, in den Platz ein.

»Habe doch Angst,« sagte er, »zittre doch nun, Feigling!«

Die Kugeln pfiffen und platteten sich mit scharfem Klatschen auf seiner Rüstung ab und durchlöcherten die Fahne mit dumpfem Ton. Herr von Turenne, Mornay und tausend andere stürzten dem König nach durch das offene Tor. Die Kanonen schwiegen außen, es galt nun, Leib gegen Leib zu kämpfen. Trotz des Klirrens der Waffen, trotz des Musketenfeuers, trotz des Zusammenschlagens der Schwerter hörte man Herrn von Besins rufen: »Verrammelt die Straßen, macht Gräben, feuert von den Zinnen der Häuser!«

»Oh!« sagte Herr von Turenne, der nahe genug war, um ihn zu hören, »die Belagerung der Stadt ist aus, mein armer Besins.«

Und gleichsam, um diese Worte zu begleiten, feuerte er eine Pistole auf ihn ab und verwundete ihn am Arm.

»Du täuschest dich, Turenne, du täuschest dich,« erwiderte Herr von Vesins; »es gilt zwanzig Belagerungen in Cahors; ist eine abgetan, so bleiben noch neunzehn.«

Herr von Vesins verteidigte sich fünf Tage und fünf Nächte, von Straße zu Straße, von Haus zu Haus. Fünf Tage und fünf Nächte hindurch befehligte Heinrich wie ein Feldherr, schlug sich wie ein Soldat, fünf Tage und fünf Nächte schlief er, den Kopf auf einem Stein, erwachte er, die Axt in der Faust.

Endlich in der Nacht des fünften Tages schien der entkräftete Feind der protestantischen Armee einige Ruhe geben zu müssen. Nun war Heinrich der Angreifende; man überwältigte einen verschanzten Posten, der siebenhundert Mann kostete; beinahe alle guten Offiziere wurden hierbei verwundet; Herr von Turenne wurde von einer Büchsenkugel in die Schulter getroffen, Mornay bekam einen Stein auf den Kopf und wäre beinahe getötet worden.

Der König allein ward nicht verwundet; auf die Furcht, die er anfangs empfunden und so heldenmütig besiegt hatte, war eine fieberhafte Aufregung, eine beinahe wahnsinnige Kühnheit gefolgt; alle Riemen und Haken seiner Rüstung waren sowohl durch seine eigene Anstrengung als durch die Streiche der Feinde zerbrochen; er schlug so mächtig, daß jeder Streich seinen Mann tötete.

Als dieser letzte Posten erobert war, drang der König vollends durch die Ringmauer ein, hinter sich Chicot, der, schweigsam und düster, seit fünf Tagen an seiner Seite das furchtbare Gespenst einer Monarchie emporwachsen sah, die bestimmt war, die Monarchie der Valois zu ersticken.

»Nun, was denkst du, Chicot?« sagte der König, sein Helmvisier aufschlagend, und als ob er in der Seele des armen Botschafters lesen könnte.

»Sire,« brummte Chicot voll Traurigkeit, »ich denke, daß Ihr ein wahrer König seid.«

»Und ich, Sire,« rief Mornay, »ich denke, Ihr seid ein Unvorsichtiger; wie! Ihr habt die Panzerhandschuhe herab und das Visier hoch, während man von allen Seiten auf Euch schießt; seht, seht, abermals eine Kugel!«

In diesem Augenblick schnitt in der Tat eine Kugel pfeifend eine Feder von Heinrichs Helmstutz ab.

In demselben Moment und als sollte Mornay vollkommen recht gegeben werden, ward der König von einem Dutzend feindlicher Büchsenschützen umzingelt, die Herr von Besins hier in Hinterhalt gelegt hatte; sie schossen tief und richtig.

Das Pferd des Königs wurde getötet, Mornays Bein zerschmettert. Der König fiel; zehn Schwerter erhoben sich über ihm. Chicot allein war aufrecht geblieben, er sprang vom Pferde und schlug mit seinem Raufdegen ein so schnelles Rad, daß er die Vordersten zurücktrieb.

Dann hob er den König auf, der im Zeug seines Pferdes verwickelt war, führte ihm sein eigenes Pferd zu und sagte: »Sire, Ihr werdet dem König von Frankreich bezeugen, daß ich, wenn auch den Degen gegen ihn gezogen, doch niemand berührt habe.«

Heinrich zog Chicot an sich, umarmte ihn, Tränen in den Augen und sagte: »Ventre-saint-gris! du sollst mir gehören, Chicot; du sollst mit mir leben, mit mir sterben, mein Sohn. Mein Dienst ist gut wie mein Herz.«

»Sire,« erwiderte Chicot, »ich habe nur einen Dienst in dieser Welt, den meines Fürsten. Ach! sein Glanz ist im Abnehmen, doch ich werde dem Mißgeschick treu sein, nachdem ich das Glück geringgeschätzt habe. Laßt mich also meinem König dienen und ihn lieben, solange er lebt; ich werde bald allein mit ihm sein, beneidet ihn nicht um seinen letzten Diener!«

»Chicot,« sagte Heinrich, »ich nehme Euch das Versprechen ab, hört Ihr! Ihr seid mir teuer und heilig, und nach Heinrich von Frankreich werdet Ihr Heinrich von Navarra zum Freund haben.«

»Ja, Sire,« antwortete Chicot ganz einfach, indem er dem König ehrerbietig die Hand küßte.

»Ihr seht nun, mein Freund,« sagte der König, »Cahors gehört uns. Herr von Besins wird alle seine Leute hier töten lassen, doch ich werde alle meine Leute eher töten lassen, als daß ich zurückweiche.«

Die Drohung war unnötig, und Heinrich brauchte nicht länger auszuharren; seine Truppen hatten unter Turenne die Garnison überwältigt, Herr von Besins war gefangengenommen. Die Stadt ergab sich.

Heinrich nahm Chicot bei der Hand und führte ihn in ein völlig brennendes und von Kugeln durchlöchertes Haus, das ihm als Hauptquartier diente, und hier diktierte er Herrn von Mornay einen Brief, den Chicot dem König von Frankreich überbringen sollte.

Dieser Brief war in schlechtem Lateinisch abgefaßt und endigte mit Worten, die etwa besagten: »Was Ihr mir gesagt habt, ist mir sehr nützlich gewesen. Ich kenne meine Getreuen, lernt die Eurigen kennen. Chicot wird Euch das übrige sagen.«

»Und nun, Freund Chicot,« fuhr Heinrich fort, »umarmt mich, beschmutzt Euch aber nicht, denn, Gott verzeihe mir, ich bin blutig wie ein Schlächter. Ich würde Euch einen Teil von meinem Wildbret bieten, wenn ich wüßte, daß Ihr es annähmet, aber ich sehe in Euren Augen eine Weigerung. Doch hier ist mein Ring, nehmt ihn, ich will es; und dann Gott befohlen, ich halte Euch nicht mehr zurück; reitet eilig gen Frankreich, Ihr werdet bei Hofe Glück machen, wenn Ihr erzählt, was Ihr gesehen habt.«

Chicot nahm den Ring an sich und brach auf. Er brauchte drei Tage, um sich zu überzeugen, daß er nicht geträumt habe und nicht in Paris vor den Fenstern seines Hauses erwachen werde, wo Herr von Joyeuse Serenaden gebe.

Im Louvre.

Nachdem König Heinrich bei Vincennes so mutig der Gefahr getrotzt hatte, kehrte er in den Louvre zurück, ohne ein Wort zu sagen, betete ein wenig länger als gewöhnlich und vergaß, einmal Gott hingegeben, so groß war seine Inbrunst, den wachsamen Offizieren und den ergebenen Garden, mit deren Hilfe er der Gefahr entgangen war, zu danken. Dann legte er sich zu Bette, wobei er seine Kammerdiener durch die Schnelligkeit, mit der er seine Toilette machte, in Erstaunen setzte; es war, als hätte er Eile, einzuschlafen, um am andern Morgen seine Gedanken frischer und klarer wiederzufinden.

Epernon, der letzte von allen im Zimmer des Königs, ging in sehr übler Laune weg, da er sah, daß kein Dank kam.

Und Loignac, der vor dem Samtvorhang der Tür stand, wandte sich, als Herr von Epernon, ohne ein Wörtchen zu sprechen, vorüberging, ungestüm gegen die Fünfundvierzig um und sagte: »Der König bedarf euer nicht mehr, meine Herren, geht zu Bette!«

Um zwei Uhr morgens schliefen alle im Louvre.

Das Geheimnis des Abenteuers war getreulich bewahrt und nirgends ruchbar geworden. Die guten Bürger von Paris schnarchten also gewissenhaft, ohne zu vermuten, Wie nahe sie der Thronbesteigung einer neuen Dynastie gewesen waren.

Heinrich, dessen Erwachen viele Leute ungeduldig erwarteten, um zu wissen, was sie hoffen durften, nahm am andern Morgen vier Tassen Bouillon in seinem Bett, statt der zwei, die er gewöhnlich trank, und ließ die Herren von O und von Villequier wissen, sie hätten in seinem Zimmer an der Abfassung eines neuen Finanzediktes zu arbeiten.

Der König hatte zu unterzeichnen, er unterzeichnete; er hatte Vorträge zu hören, er hörte, wobei er die Augen auf eine so natürliche Weise schloß, daß man unmöglich wissen konnte, ob er hörte oder schlief. Endlich schlug es drei Uhr nachmittags.

Der König ließ Herrn von Epernon rufen. Man antwortete ihm, der Herzog lasse die Chevaulegers Revue passieren.

Er verlangte nach Loignac. Man antwortete ihm, Loignac probiere limousinische Pferde.

Man erwartete, den König infolgedessen ärgerlich zu sehen; keineswegs, gegen die allgemeine Erwartung fing er an, mit der allerungezwungensten Miene eine Jagdfanfare zu pfeifen, eine Zerstreuung, der er sich nur überließ, wenn er vollkommen mit sich selbst zufrieden war.

Offenbar verwandelte sich die Lust zu schweigen, die der König vom Morgen an hatte, in eine wachsende Begierde zu sprechen.

Diese Begierde wurde am Ende ein unwiderstehliches Bedürfnis; doch da der König niemand hatte, so mußte er allein sprechen.

Er verlangte zu essen, und während er aß, ließ er sich ein erbauliches Buch vorlesen.

Dann legte er große Toilette an und ging in sein Kabinett, wo ihn sein Hof erwartete.

Besonders bei Hofe fühlt man, wenn Stürme herannahen und wann sie enden; ohne daß irgend jemand gesprochen, ohne daß irgendjemand den König erblickt hatte, war jedermann gefaßt, sich nach dem zu richten, was kommen würde.

Die beiden Königinnen waren sichtbar beunruhigt.

Bleich und ängstlich grüßte Katharina und redete in kurzen, abgestoßenen Worten.

Luise von Vaudemont schaute niemand an und hörte nichts. Es gab Augenblicke, wo die arme junge Frau nahe daran war, den Verstand zu verlieren.

Der König trat ein. Er hatte ein lebhaftes Auge und eine rosenfarbige Haut; man konnte aus seinem Gesichte einen Ausdruck guter Laune lesen, der auf allen diesen düstern Gesichtern die Wirkung hervorbrachte, die ein Sonnenstrahl auf die vergilbten Gebüsche hervorbringt. Auf der Stelle war alles mit Gold, mit Purpur übergossen, in einer Sekunde erstrahlte alles.

Heinrich küßte seiner Mutter und seiner Frau mit derselben Galanterie die Hand, wie wenn er noch Herzog von Anjou gewesen wäre. Er richtete tausend Schmeicheleien an die Damen, die nicht mehr an diese Art gewohnt waren, und ging sogar so weit, daß er ihnen Zuckerwerk anbot.

»Man war unruhig über Eure Gesundheit, mein Sohn,« sagte Catharina, indem sie den König mit einer besonderen Aufmerksamkeit anschaute, als wollte sie sich versichern, daß diese Gesichtsfarbe nicht Schminke, diese schöne Laune keine Maske sei.

»Man hatte unrecht, Madame,« erwiderte der König, »ich habe mich nie besser befunden.« Und er begleitete diese Worte mit einem Lächeln, das über den Mund aller Anwesenden hinschwebte.

»Welchem glücklichen Einfluß habt Ihr diese Besserung Eurer Gesundheit zu danken, mein Sohn?« fragte Catharina mit einer schlecht verhehlten Unruhe.

»Dem, daß ich viel gelacht habe,« antwortete der König.

Alle schauten sich mit so tiefem Erstaunen an, daß es schien, als hätte der König etwas Ungeheuerliches gejagt.

»Viel gelacht? Ihr könnt viel lachen?« versetzte Katharina mit ihrer herben Miene, »dann seid Ihr glücklich.«

»So ist es, Madame.«

»Und was hat bei Euch eine solche Heiterkeit hervorgerufen?« – »Ich muß Euch sagen, Madame, daß ich gestern in Vincennes gewesen bin.«

»Ich habe es erfahren.« – »Ah! Ihr habt es erfahren?«

»Ja, mein Sohn, alles, was Euch berührt, ist mir wichtig; damit lehre ich Euch nichts Neues.« – »Nein, gewiß nicht; ich war also in Vincennes, als mir mein Vortrab bei der Rücklehr eine feindliche Armee signalisierte, deren Musketen auf der Straße glänzten.«

»Eine feindliche Armee auf der Straße von Vincennes?« – »Ja, meine Mutter.«

»Und wo dies?« – »Dem Fischteiche der Jakobiner gegenüber, bei dem Hause unserer guten Base.«

»Bei dem Hause der Frau von Montpensier?« rief Luise von Vaudemont. – »Ganz richtig, Madame, bei Bel-Esbat; ich näherte mich mutig, um die Schlacht zu liefern, und bemerkte...«

»Mein Gott! fahrt fort, Sire,« sagte die Königin wirklich unruhig. – »Oh! beruhigt Euch, Madame!«

Katharina wartete voll Angst, doch weder ein Wort noch eine Gebärde verriet ihre Unruhe.

»Ich bemerkte,« fuhr der König fort, »eine ganze Priorei von Mönchen, die unter Kriegsgeschrei die Gewehre vor mir präsentierten.«

Der Kardinal von Joyeuse lachte, der ganze Hof stimmte ein.

»Oh!« sagte der König, »lacht, lacht, Ihr habt recht, man wird lange Zeit davon sprechen.«

Während dieses Gesprächs standen nach der Etikette der Zeit alle Damen auf und entfernten sich, eine nach der andern, nachdem sie sich vor dem König verbeugt hatten; die Königin folgte ihnen mit ihren Ehrendamen.

Die Königinmutter allein blieb; es lag in der ungewöhnlichen Heiterkeit des Königs ein Geheimnis, das sie ergründen wollte.

»Ah! Kardinal,« sagte plötzlich der König zu dem Prälaten, der weggehen wollte, denn er sah, daß die Königinmutter blieb und mit ihrem Sohne zu reden wünschte, »sagt, wie geht es Eurem Bruder du Bouchage?«

»Sire, ich weiß es nicht.«

»Wie, Ihr wißt es nicht?«

»Nein, ich sehe ihn selten, oder vielmehr gar nicht,« erwiderte der Kardinal.

Eine ernste, traurige Stimme erscholl im Hintergrunde des Gemachs.

»Hier bin ich, Sire,« sagte diese Stimme.

»Ah! er ist es,« rief Heinrich; »nähert Euch, Graf, nähert Euch!«

Der junge Mann gehorchte.

»Ei, bei Gott!« sagte der König, indem er ihn voll Erstaunen anschaute, »bei meinem adligen Wort, das ist kein Körper mehr, sondern ein wandernder Schatten.«

»Sire,« erwiderte der Kardinal, selbst erstaunt über die Veränderung, die in der Haltung und dem Gesichte seines Bruders vorgegangen war, »Sire, er arbeitet viel.«

Der Kardinal erriet aus der Haltung des Königs, daß er mit du Bouchage allein zu sein wünschte, und schlich sich sacht weg.

Der König sah ihn aus einem Augenwinkel weggehen und blickte dann nach seiner Mutter, die unbeweglich blieb. Es waren im Salon nur noch die Königinmutter, Herr von Epernon, der ihr tausend Artigkeiten sagte, und du Bouchage. An der Tür stand Loignac, der, halb Höfling, halb Soldat, mehr seinen Dienst als irgend etwas anderes tat.

Der König setzte sich und hieß du Bouchage durch ein Zeichen näher hinzutreten.

»Graf,« sagte er, »warum verbergt Ihr Euch so hinter den Namen, wißt Ihr nicht, daß es mir Vergnügen macht, Euch zu sehen?«

»Dieses Wort ist eine große Ehre für mich, Sire,« erwiderte der junge Mann, indem er sich achtungsvoll verbeugte. »Woher kommt es denn, daß man Euch nicht mehr im Louvre sieht?«

»Man sieht mich nicht mehr?«

»In der Tat, nein, und ich beklagte mich darüber bei Eurem Bruder, dem Kardinal, der noch gelehrter ist, als ich glaubte. Henri, dein Bruder hat dich bei seiner Abreise mir wie einen Freund empfohlen; ich will für dich ein älterer Bruder sein; sei offenherzig, unterrichte mich; ich versichere dir, du Bouchage, daß für alles, mit Ausnahme des Todes, meine Macht und meine Zuneigung für dich ein Mittel finden werden.«

»Sire,« erwiderte der junge Mann, indem er dem König zu Füßen sank, »macht mich nicht verwirrt durch den Ausdruck einer Güte, die ich nicht zu erwidern weiß; für mein Unglück gibt es kein Mittel, denn mein Unglück ist meine einzige Freude.«

»Du Bouchage, du bist ein Narr und tötest dich durch Einbildungen, das sage ich dir.«

»Ich weiß es wohl,« antwortete der junge Mann.

»Aber sprich doch,« rief der König etwas ungeduldig, »wünschest du eine Heirat zu machen, willst du einen Einfluß ausüben?«

»Sire, es handelt sich darum, Liebe einzuflößen, und Ihr seht, daß die ganze Welt nicht die Macht besitzt, mir diese Gunst zu verschaffen. Ich allein kann sie erlangen und für mich allein erlangen.«

»Warum dann verzweifeln?«

»Weil ich fühle, daß ich sie nie erreichen werde.«

»Versuche es, mein Kind; du bist reich, du bist jung, du bist schön; wer ist die Frau, die dem dreifachen Einfluß der Schönheit, der Jugend und der Liebe zu widerstehen vermag? Es gibt keine, du Bouchage, es gibt keine.«

»Wie viele Menschen würden Eure Majestät an meiner Stelle für ihre übermäßige Nachsicht und Gnade segnen! Von einem König, wie Eure Majestät, geliebt zu sein, ist beinahe so viel, wie von Gott geliebt zu sein.«

»Du nimmst also an; gut! Sage nichts, wenn du verschwiegen sein willst; ich werde Erkundigungen einziehen; ich werde Schritte tun lassen; du weißt, was ich für deinen Bruder getan habe, ebensoviel werde ich für dich tun. Hunderttausend Taler sollen mich nicht aufhalten.«

Du Bouchage ergriff die Hand des Königs, drückte sie an seine Lippen und sagte: »Eure Majestät verlange eines Tages mein Blut, und ich werde es bis zum letzten Tropfen vergießen, um ihr zu beweisen, wie dankbar ich für die Gunst bin, die ich ausschlage.«

Heinrich III. wandte sich ärgerlich auf den Absätzen um.

»In der Tat,« sagte er, »diese Joyeuse sind halsstarriger als die Valois; da ist einer, der mir alle Tage sein langes Gesicht und seine schwarz umkreisten Augen bringen wird; das wird erfreulich sein; es sind ohnehin schon so viele heitere Gesichter bei Hofe!«

»Oh! Sire, dem soll nicht so sein,« rief der junge Mann, »ich werde das Fieber meiner Wangen wie eine lästige Schminke abwischen, und jeder soll, wenn er mich lächeln sieht, glauben, ich sei der glücklichste Mensch.«

»Ja, aber ich, ich werde das Gegenteil wissen, du Starrkopf; und diese Gewißheit wird mich traurig machen.«

»Erlaubt mir Eure Majestät, daß ich mich entferne?« – »Ja, ja, mein Sohn, gehe und suche ein Mann zu sein!«

Der junge Mann küßte dem König die Hand, verbeugte sich vor der Königinmutter, ging stolz an Epernon vorüber, der ihn nicht grüßte, und verließ das Zimmer.

Sobald er die Türschwelle überschritten hatte, rief der König: »Schließt, Nambu!«

Der Huissier, an den dieser Befehl gerichtet war, verkündigte sogleich im Vorzimmer, der König empfange niemand mehr.

Heinrich näherte sich nun Epernon, klopfte ihm auf die Schulter und sagte zu ihm: »Lavalette, du wirst heute abend unter deine Fünfundvierzig Geld austeilen und ihnen Urlaub für eine Nacht und einen Tag geben. Sie sollen sich vergnügen. Bei der Messe! sie haben mich gerettet, gerettet wie das weiße Roß Sullas.«

»Gerettet?« rief Catharina erstaunt.

»Ja, meine Mutter.«

»Gerettet, wovor?«

»Ah! da fragt Epernon!«

»Ich frage Euch, das ist noch besser, wie mir scheint.«

»Nun wohl! Madame, unsere vielgeliebte Base, die Schwester Eures Freundes, des Herrn von Guise... Ah! verteidigt Euch nicht, es ist Euer guter Freund.«

Catharina lächelte wie eine Frau, die sagen will: »Er wird nie begreifen.«

Der König sah dieses Lächeln, preßte die Lippen zusammen und fuhr dann fort: »Die Schwester Eures guten Freundes von Guise hat mir gestern einen Hinterhalt legen lassen.«

»Einen Hinterhalt?«

»Ja, Madame, gestern wäre ich beinahe festgenommen. vielleicht ermordet worden.«

»Durch Herrn von Guise?« rief Katharina.

»Ihr glaubt es nicht?«

»Nein, ich muß es gestehen.«

»Epernon, mein Freund, um der Liebe Gottes willen, erzählt der Frau Königinmutter das Erlebnis: wenn ich selbst spräche, und sie fortwährend so die Achseln zuckte, so würde ich in Zorn geraten, und ich habe wahrhaftig nichts zuzusetzen.«

Dann fuhr Heinrich, sich an Katharina wendend, fort: »Gott befohlen, Madame, Gott befohlen, liebt Herrn von Guise, solange Ihr wollt; ich habe schon Herrn von Salcède vierteilen lassen, wie Ihr Euch erinnern werdet?«

»Gewiß.«

»Nun! die Herren von Guise mögen es machen wie Ihr, sie mögen es nicht vergessen.«

Nachdem er so gesprochen, zuckte er die Achseln noch höher, als seine Mutter sie gezuckt hatte, und kehrte in seine Gemächer zurück.

Rote Feder und weiße Feder.

Es war acht Uhr abends, und traurig hob Briquets Haus seinen dreieckigen Umriß an einem von Lämmerwolken bedeckten Himmel hervor, der offenbar mehr zum Regen als zum Mondschein geneigt war.

Dieses arme Haus, von dem man fühlte, daß seine Seele abwesend war, bildete ein würdiges Gegenstück zu jenem geheimnisvollen Hause, das unsere Leser schon kennen. Es war, als ständen sich die Häuser gähnend gegenüber.

Unfern davon hörte man ein gewaltiges Geräusch von klirrendem Eisen, vermischt mit verworrenen Stimmen, unbestimmtes Gemurmel und Gequieke, als feierten Korybanten in einer Höhle die Mysterien der guten Göttin. Es war ohne Zweifel dieses Geräusch, was einen jungen Mann, der ein veilchenblaues Toquet mit roter Feder und einen grauen Mantel trug, einen hübschen Kavalier, anzog und bewog, einige Minuten stehenzubleiben, wonach er langsam, nachdenkend, den Kopf gesenkt, zu Robert Briquets Hause zurückkehrte.

Diese Symphonie von zusammengestoßenem Eisen rührte von Kasserollen her; das unbestimmte Gemurmel kam von Fleischtöpfen, die auf dem Feuer kochten, und von sich drehenden Spießen; das Geschrei rührte von Meister Fournichon, dem Wirt »Zum kühnen Ritter«, her, der mit der Sorge für seine Öfen beschäftigt war, und das Gequieke von Frau Fournichon, die die Boudoirs der Türmchen zurichten ließ.

Als der junge Mann mit dem veilchenblauen Toquet das Feuer beschaut, den Geruch des Geflügels eingeatmet und die Vorhänge der Fenster geprüft hatte, kehrte er zurück und fing sodann seinen Gang wieder an, der ihn bis zu dem Bach brachte, der die Straße vor Robert Briquets Hause durchschnitt und nach dem geheimnisvollen Gegenüber lief.

Doch, es ist zu bemerken, daß der Spaziergänger, sooft er dahin kam, immer, wie eine pünktliche Schildwache, einen andern jungen Mann ungefähr von demselben Alter fand, der ein schwarzes Toquet mit weißer Feder und einen veilchenblauen Mantel trug und, die Stirn gefaltet, das Auge starr, die Hand am Degen, zu sagen schien: »Du wirst nicht weiter gehen, ohne auf Sturm zu stoßen.«

Der Spaziergänger mit der roten Feder machte zwanzig Gänge, ohne etwas von all dem zu bemerken, so sehr war er mit sich selbst beschäftigt.

Der andere aber wurde durch das Erscheinen seines Gegenübers so schwer gereizt, daß dieser es beim Aufblicken endlich bemerken mußte. Er las auf dessen Gesicht den größten Unwillen.

Dies brachte ihn natürlich auf den Gedanken, er sei dem jungen Mann lästig; diesem Gedanken entsprang sodann das Verlangen, sich zu erkundigen, in welcher Hinsicht er ihm lästig sei. Er schaute demzufolge Robert Briquets Haus aufmerksam an. Dann ging er von diesem Hause zu dem über, das dessen Gegenstück bildete.

Als er endlich beide angeschaut hatte, wandte er seinem Gegenüber den Rücken und kehrte zu den blitzenden Öfen Meister Fournichons zurück.

Glücklich, seinen Gegner in die Flucht geschlagen zu haben, denn er hielt die Umkehr, die er ihn machen sah, für eine Flucht, schritt der Mann mit der weißen Feder in seiner Richtung, nämlich von Osten nach Westen, fort, während der andere von Westen nach Osten ging. Bald aber standen sie sich, da beide umkehrten, gegenüber wie zuvor.

Der Mann mit der weißen Feder zerrte mit einer Bewegung sichtbarer Ungeduld an seinem kleinen Schnurrbart. Der mit der roten Feder nahm eine erstaunte Miene an und warf dann einen Blick auf das geheimnisvolle Haus.

Das nächstemal aber schritt der Ungeduldige mit der weißen Feder, statt jenseits des Baches zu bleiben, über diesen und ließ seinen Gegner zurückweichen, so daß dieser, der einen solchen Angriff nicht vermutete und seine beiden Arme unter den Mantel gewickelt hatte, beinahe das Gleichgewicht verlor.

»Ah! mein Herr,« sagte der letztere, »seid Ihr ein Narr oder habt Ihr die Absicht, mich zu beleidigen?« – »Mein Herr, ich habe die Absicht, Euch begreiflich zu machen, daß Ihr mich sehr belästigt; es schien mir sogar, als hättet Ihr es bemerkt, ohne daß ich es Euch zu sagen brauchte.«

»Durchaus nicht, denn es ist mein System, nie etwas zu sehen, was ich nicht sehen will.« – »Es gibt jedoch, wie ich hoffe, gewisse Dinge, die Eure Blicke auf sich ziehen würden, wenn man sie vor Euren Augen glänzen ließe.«

Dabei schlug die weiße Feder den Mantel zurück und zog den Degen.

Der Mann mit der roten Feder blieb unbeweglich. »Mein Herr,« sagte er, die Achseln zuckend, »man sollte glauben, Ihr hättet nie eine Klinge aus der Scheide gezogen, mit solcher Eile zieht Ihr sie gegen einen, der sich nicht verteidigt.«

»Nein, aber der sich hoffentlich verteidigen wird.«

Die rote Feder lächelte mit einer Ruhe, die den Zorn ihres Gegners verdoppelte.

»Warum dies? und welches Recht habt Ihr, mich zu hindern, auf der Straße spazierenzugehen?« – »Warum geht Ihr in dieser Straße spazieren?«

»Bei Gott! eine schöne Frage! weil es mir beliebt.« – »Ah! es beliebt Euch!«

»Allerdings, Ihr geht wohl auch hier! Habt Ihr eine Erlaubnis vom König, allein das Pflaster der Rue de Bussy zu treten?« – »Was ist daran gelegen, ob ich Erlaubnis habe oder nicht habe!«

»Ihr täuscht Euch, es ist viel daran gelegen; ich bin ein getreuer Untertan Seiner Majestät und möchte ihren Befehlen nicht gern ungehorsam sein.« – »Ah! Ihr spottet, glaube ich!«

»Wenn dem so wäre? Ihr droht wohl!« – »Himmel und Erde! Ich sage Euch, daß Ihr mir lästig seid, mein Herr, und daß ich Euch, wenn Ihr nicht freiwillig vom Platze geht, wohl zu entfernen wissen werde.«

»Oh! oh! mein Herr, das müßte man sehen.« – »Ei! beim Teufel, ich sage Euch schon seit einer Stunde: sehen wir!«

»Mein Herr, ich habe hier ein besonderes Geschäft, das wißt Ihr nun. Ist es durchaus Euer Wunsch, so will ich wohl einen Gang mit Euch machen, doch ich entferne mich nicht.« – »Mein Herr,« sagte der Mann mit der weißen Feder, indem er seinen Degen pfeifen ließ und seine beiden Füße zusammenzog, wie ein Mensch, der sich auszulegen im Begriff ist, »ich heiße Graf Henri du Bouchage und bin der Bruder des Herzogs von Joyeuse; ich frage Euch zum letzten Male, beliebt es Euch, mir den Platz abzutreten und Euch zu entfernen?«

»Mein Herr,« erwiderte die rote Feder, »ich bin der Vicomte Ernauton von Carmainges; Ihr seid mir keineswegs lästig, und ich finde es durchaus nicht schlimm, wenn Ihr bleibt.« – Du Bouchage dachte einen Augenblick nach und steckte seinen Degen wieder in die Scheide.

»Entschuldigt mich, ich bin halb verrückt, denn ich bin verliebt.« – »Und ich auch, ich bin auch verliebt, doch ich halte mich deshalb nicht für verrückt.«

Henri erbleichte.

»Ihr seid verliebt?« – »Ja.«

»Und Ihr gesteht es?« – »Seit wann ist das ein Verbrechen?«

»Aber verliebt in dieser Straße?« – »Für den Augenblick, ja.«

»In des Himmels Namen, sagt mir, wen Ihr liebt.« – »Ah! Herr du Bouchage, Ihr habt nicht bedacht, was Ihr sagt. Ihr wißt wohl, daß ein Edelmann ein Geheimnis nicht enthüllen darf, das ihm nur zur Hälfte gehört.«

»Es ist wahr, es ist wahr, verzeiht, Herr von Carmainges; doch in der Tat, es ist niemand unter dem Himmel so unglücklich wie ich.«

In den wenigen Worten lag so viel wahrer Schmerz, so viel beredte Verzweiflung, daß Ernauton tief gerührt war. »Oh! mein Gott,« sagte er, »ich verstehe, Ihr befürchtet, wir seien Nebenbuhler.«

»Ich befürchte es.« – »Hm! Nun, ich will offenherzig sein.«

Joyeuse erbleichte und fuhr mit der Hand über die Stirn.

»Ich habe eine Einladung zum Rendezvous,« fuhr Ernauton fort.

»Ihr habt ein Rendezvous?« – »Ja, in der besten Form.«

»In dieser Straße?« – »In dieser Straße.«

»Geschrieben?« – »Ja, mit einer sehr hübschen Handschrift.«

»Von einer Frau?« – »Nein, von einem Mann.«

»Von einem Mann? Was wollt Ihr damit sagen?« – »Nichts anderes, als was ich sage. Ich habe ein Rendezvous mit einer Frau von einer sehr hübschen Männerhandschrift; das ist nicht so geheimnisvoll, doch es ist eleganter; man hat einen Sekretär, wie es scheint.«

»Ah!« sagte Henri, »vollendet, mein Herr, in des Himmels Namen, vollendet!« – »Ihr fragt mich auf eine Weise, daß ich die Antwort nicht zu verweigern wüßte. Ich will also den Inhalt sagen.«

»Ich höre.« – »Ihr werdet sehen, ob es dasselbe ist, wie bei Euch.«

»Genug, mein Herr, ich bitte; mir hat man kein Rendezvous gegeben, und ich habe kein Billett erhalten.« – Ernauton zog ein kleines Papier aus seiner Börse. »Hier ist das Billett, es wäre schwierig für mich, es Euch bei dieser finsteren Nacht vorzulesen; doch es ist kurz, und ich weiß es auswendig; Ihr werdet Euch darauf verlassen, daß ich Euch nicht täusche.«

»Oh! ganz und gar.« – »Vernehmt also die Ausdrücke, in denen es abgefaßt ist: »Herr Ernauton, mein Sekretär ist von mir beauftragt, Euch zu sagen, daß ich ein großes Verlangen habe, eine Stunde mit Euch zu plaudern; Euer Verdienst hat mich gerührt.«

»Das steht darin?« – »Meiner Treu, ja, der Satz ist sogar unterstrichen. Ich übergehe einen andern Satz, der etwas zu schmeichelhaft für mich ist.«

»Und man erwartet Euch?« – »Das heißt, ich erwarte, wie Ihr seht.«

»Dann muß man Euch die Türen öffnen?« – »Nein, man muß dreimal aus dem Fenster pfeifen.«

Ganz bebend legte Henri eine Hand auf Ernautons Arm, deutete mit der andern auf das geheimnisvolle Haus und fragte: »Von dort?« – »Keineswegs,« antwortete Ernauton, den Zeigefinger nach den Türmchen des » Kühnen Ritters« ausstreckend, »von dort.«

Heinrich stieß einen Freudenschrei aus.

»Ihr geht also nicht hierher?« – »Nein, das Billett sagt ganz genau. ›Gasthof zum Kühnen Ritter‹.«

»Ah! seid gesegnet,« sagte der junge Mann, indem er ihm die Hand drückte; »oh! verzeiht mir meine Unhöflichkeit, meine Torheit! Ach! Ihr wißt, für den Mann, der wahrhaft liebt, gibt es nur eine Frau, und als ich Euch immer wieder auf dieses Haus zukommen sah, glaubte ich, Ihr würdet von dieser Frau erwartet.«

»Ihr irrt Euch, doch wartet!«

»Was?« – »Hat man nicht gepfiffen?«

»In der Tat, mir scheint, ich habe pfeifen hören.«

Die jungen Männer horchten; ein zweiter Pfiff machte sich in der Richtung des » Kühnen Ritters« hörbar.

»Herr Graf!« sagte Ernauton, »Ihr werdet mich entschuldigen, wenn ich Euch nicht länger Gesellschaft leiste, doch ich glaube, das ist mein Signal.« – Ein dritter Pfiff wurde vernommen.

»Geht, mein Herr, geht,« sagte Henri, »und viel Glück!«

Ernauton entfernte sich raschen Schrittes, und der andere sah ihn im Schatten der Straße verschwinden, um im Lichte wieder zu erscheinen, das aus den Fenstern des » Kühnen Ritters« herabfiel, und dann abermals zu verschwinden.

Noch düsterer als zuvor sagte Henri zu sich selbst: »Auf! machen wir's wie gewöhnlich, klopfen wir an die verfluchte Tür, die sich nie öffnet.«

Als er dies gesprochen, schritt er wankend auf die Tür des geheimnisvollen Hauses zu.

Die Tür öffnet sich.

Als aber der arme Henri an die Tür des geheimnisvollen Hauses kam, erfaßte ihn wieder sein gewöhnliches Zögern. Und er machte noch einen Schritt.

Dann klopfte er zögernd in langen Pausen dreimal hintereinander; als alles still war, murmelte er: »Gott befohlen, grausames Haus; Gott befohlen bis morgen!«

Und er bückte sich, bis seine Stirn die steinerne Treppe berührte, und drückte darauf aus der Tiefe seiner Seele einen Kuß, daß der harte Granit erbebte, der aber noch minder hart war, als das Herz der Bewohner dieses Hauses.

Dann zog er sich zurück. Doch kaum hatte er zwei Schritte gemacht, als zu seinem tiefen Erstaunen der Riegel klirrte. Die Tür öffnete sich, und der Diener verbeugte sich tief.

Es war derselbe, dessen Porträt wir bei seinem Zusammentreffen mit Robert Briquet entworfen haben.

»Guten Abend, mein Herr,« sagte er mit heiserer Stimme, deren Ton jedoch du Bouchage süßer vorkam, als die süßesten Konzerte der Cherubim.

Henri näherte sich zitternd, verwirrt, faltete die Hände und wankte so sichtbar, daß ihn der Diener hielt, damit er nicht auf die Schwelle fiel, was übrigens mit dem offenbaren Ausdruck eines ehrfurchtsvollen Mitleids geschah.

»Hier bin ich, ich bitte Euch, erklärt mir, was Ihr wünscht.«

»Ich habe so sehr geliebt,« erwiderte der junge Mann, »daß ich nicht weiß, ob ich noch liebe. Mein Herz hat so gewaltig geschlagen, daß ich nicht sagen kann, ob es noch schlägt.«

»Wäre es Euch nicht gefällig, mein Herr, hier sich neben mich zu setzen und mit mir zu plaudern?« fragte der Diener achtungsvoll.

»Oh! ja.«

»Sprecht,« fügte der Diener, als sie nebeneinandersaßen, »nennt mir Euer Verlangen!«

»Mein Freund,« erwiderte du Bouchage, »es ist heute nicht das erstemal, daß wir einander sprechen. Oft habe ich Euch, wie Ihr wißt, an einer Straßenecke erwartet und Euch Gold angeboten; zuweilen versuchte ich auch, Euch einzuschüchtern, doch nie hörtet Ihr mich, stets saht Ihr mich leiden, ohne ein sichtbares Mitgefühl mit meinen Schmerzen. Heute heißt Ihr mich sprechen, Ihr fordert mich auf, Euch meinen Wunsch auszudrücken; mein Gott, was ist denn vorgefallen, welches neue Unglück verbirgt mir diese Fügsamkeit von Eurer Seite?«

Nachdem du Bouchage seinem Schmerze Ausdruck verliehen und auch erwähnt hatte, daß der König ihm seine Beihilfe zugesagt, er sie aber abgewiesen habe, erwiderte der Diener, nachdem er mit ängstlicher Aufmerksamkeit alles, was der junge Mann sprach, angehört hatte: »Herr Graf, glaubt mir, die Dame, die Ihr anklagt, hat kein so unempfindliches und besonders kein so grausames Herz, wie Ihr meint, denn sie hat Euch zuweilen gesehen, sie hat begriffen, was Ihr leidet, und fühlt eine lebhafte Sympathie für Euch.«

»Oh! Mitleid, Mitleid,« rief der junge Mann, indem er sich den kalten Schweiß abwischte, der von seinen Schläfen lief; »oh! es komme der Tag, wo ihr Herz, das Ihr rühmt, die Liebe fühlt, so wie ich sie fühle!«

»Herr Graf, diese Frau hat vielleicht eine stärkere Leidenschaft gekannt, als Ihr sie je kennen werdet; diese Frau hat vielleicht geliebt, wie Ihr nie lieben werdet.«

Henri hob die Hände zum Himmel empor und rief: »Wenn man so liebt, liebt man immer.«

»Habe ich Euch etwa gesagt, sie liebe nicht mehr?«

Henri stieß einen Seufzer aus und sank zusammen, als ob er vom Tode getroffen worden wäre. »Sie liebt!« rief er, »sie liebt! oh! mein Gott! mein Gott!«

»Ja, sie liebt; doch seid nicht eifersüchtig auf den Mann, den sie liebt, Herr Graf; dieser Mann gehört nicht mehr der Erde an; meine Gebieterin ist Witwe,« fügte der mitleidige Wiener in der Hoffnung hinzu, durch diese Worte den Schmerz des jungen Mannes zu beschwichtigen.

Und in der Tat, wie durch einen Zauber gaben ihm diese Worte wieder Atem, Leben, Hoffnung.

»Im Namen des Himmels,« sagte er, »verlaßt mich nicht; sie ist Witwe, sagt Ihr; dann ist sie es seit kurzem, sie wird die Quelle ihrer Tränen vertrocknen sehen, sie ist Witwe, ah! mein Freund, dann liebt sie niemand, da sie einen Leichnam, einen Schatten, einen Namen liebt; der Tod ist weniger als die Abwesenheit; mir sagen, sie liebe einen Toten, heißt mir sagen, sie werde mich lieben.«

Der Diener schüttelte den Kopf und erwiderte: »Diese Dame, Herr Graf, hat dem Toten ewige Treue geschworen; und ich kenne sie, sie wird ihr Wort halten.«

»Ich werde warten, ich werde zehn Jahre warten, wenn es sein muß,« rief Henri;,»Gott gestattete nicht, daß sie vor Kummer starb oder mit Gewalt ihre Tage abkürzte, wie Ihr seht; da sie nicht tot ist, kann sie leben, und da sie lebt, darf ich hoffen«

»Oh! junger Mann!« sagte der Diener mit düsterem Tone, »rechnet nicht so mit den Forderungen der Toten; sie hat gelebt! sagt Ihr; ja, sie hat gelebt! nicht einen Tag, nicht einen Monat, nicht ein Jahr; sie hat sieben Jahre gelebt! (Joyeuse bebte.) Noch wißt Ihr warum, in welcher Absicht, mit welchem Entschluß sie gelebt hat? Sie werde sich trösten, hofft Ihr? Nie, nie, Herr Graf! das sage ich Euch, das schwöre ich Euch, ich, der ich nur der untertänige Diener des Toten war, ich, der ich, solange er lebte, ein frommes, glühendes, hoffnungsvolles Gemüt war und, seitdem er tot ist, ein verhärtetes Herz geworden bin; ich, der ich nur ihr Diener bin, wiederhole Euch, sie wird sich nie trösten.«

»Dieser so sehr beklagte Mann,« unterbrach ihn Henri, »dieser glückliche Tote, dieser Gatte ...«

»Es war nicht der Gatte; es war der Geliebte, Herr Graf, und eine Frau wie die, die Ihr unglücklicherweise liebt, hat nur einen Geliebten in ihrem ganzen Leben.«

»Mein Freund!« rief der junge Mann, erschrocken über die majestätische Art dieses einfachen Menschen, »ich beschwöre Euch, vermittelt für mich!«

»Ich!« rief er, »ich! Hört, Herr Graf, wenn ich Euch für fähig gehalten hätte, gegen meine Gebieterin Gewalt zu gebrauchen, so hätte ich Euch mit dieser Hand getötet.«

Und er zog unter seinem Mantel einen nervigen Arm hervor, der einem Mann von kaum fünfundzwanzig Jahren zu gehören schien, während ihm seine weißen Haare und seine gebückte Gestalt das Ansehen eines Sechzigers gaben.

»Und hätte ich glauben können, meine Gebieterin liebe Euch,« fuhr er fort, »so wäre sie gestorben ... Nun, Herr Graf, habe ich Euch gesagt, was ich Euch zu sagen hatte, versucht es nicht, mich zu einem weiteren Geständnis zu bewegen; denn bei meiner Ehre, und, obgleich ich kein Edelmann bin, glaubt mir, meine Ehre ist etwas wert ..., denn bei meiner Ehre, ich habe alles gesagt, was ich sagen konnte.«

Henri stand, den Tod im Herzen, auf und sagte: »Ich danke Euch, daß Ihr dieses Mitleid mit meinem Unglück gehabt habt; nun bin ich entschieden.«

»Ihr werdet also in Zukunft ruhiger sein, Herr Graf, Ihr werdet Euch von uns entfernen, Ihr werdet uns einem Geschick überlassen, das, glaubt mir, schlimmer ist, als das Eurige.«

»Ja, ich werde mich in der Tat entfernen, seid unbesorgt, und zwar für immer,« sagte der junge Mann.

»Ich verstehe Euch, Ihr wollt sterben.«

»Warum sollte ich es verbergen? Ich kann ohne sie nicht leben und so muß ich wohl sterben, wenn ich sie nicht besitze.«

»Herr Graf, ich habe sehr oft mit meiner Gebieterin über den Tod gesprochen; glaubt mir, es ist ein schlimmer Tod, der Tod, den man sich mit eigener Hand gibt.«

»Ich werde auch diesen nicht, wählen; es gibt für einen jungen Mann von meinem Namen, meinem Alter und meinem Vermögen einen Tod, der jederzeit ein schöner Tod gewesen ist, es ist dies der, den man in Verteidigung seines Königs und seines Vaterlandes empfangt.«

»Wenn Ihr über Eure Kräfte leidet, wenn Ihr denen, die Euch überleben, nichts schuldig seid, wenn Euch der Tod aus dem Schlachtfelde geboten ist, sterbt, Herr Graf, sterbt; ich wäre längst tot, wenn ich nicht zum Leben verurteilt wäre.«

»Gott befohlen und Dank,« sagte Joyeuse, indem er dem unbekannten Diener die Hand reichte. »Auf Wiedersehen in einer andern Welt!«

Und er warf zu den Füßen des durch diesen tiefen Schmerz gerührten Dieners eine schwere Goldbörse und entfernte sich rasch.

Es schlug Mitternacht im Glockenturm von Saint-Germain des Pres.

Wie eine vornehme Dame im Jahre der Gnade 1586 liebte.

Das dreimalige Pfeifen, das in gleichmäßigen Zwischenräumen die Luft durchdrungen hatte, sollte wohl dem glückseligen Ernauton als Signal dienen.

Als der junge Mann dem Hause nahekam, fand er Frau Fournichon unter der Tür, wo sie die Kunden mit einem Lächeln erwartete, das sie einer flämischen Göttin ähnlich machte.

Sie hielt noch in ihren fetten, weißen Händen einen Goldtaler, den eine andere Hand ebenso weiß, aber zarter als die ihrige im Vorübergehen dareingelegt hatte. Sie schaute Ernauton an, füllte, ihre Hände auf die Hüften legend, den Raum der Tür so aus, daß jeder Durchgang unmöglich war, und ließ ihn erst durch, nachdem der Gaskogner sein Ehrenwort gegeben hatte, das Pfeifen habe ihm gegolten.

Freudig erregt, endlich eine Kundschaft zu haben, wie sie sie sich schon lange glühend für den unglücklichen Rosenstock Amors wünschte, der durch den » Kühnen Ritter« entthront worden war, ließ die Wirtin Ernauton auf der Schneckentreppe hinaufsteigen, die zu dem geschmücktesten und diskretesten der Türmchen führte.

Frau Fournichon folgte dem jungen Manne Schritt für Schritt, sie trieb ihn von der Treppe ins Vorzimmer und vom Vorzimmer in das Türmchen, mit Augen, die durch verliebtes Blinzeln ganz klein wurden; dann zog sie sich zurück.

Ernauton blieb, die rechte Hand am Türvorhang, die linke auf der Klinke und zum Gruß halb gebückt, stehen.

Er hatte in dem wollüstigen Dämmerlicht des nur durch eine einzige Kerze von rosenfarbenem Wachs erleuchteten Türmchens eine zierliche, weibliche Gestalt erblickt, die stets, wenn nicht Liebe, doch wenigstens Aufmerksamkeit oder gar Verlangen heischt. Auf Kissen zurückgelehnt, ganz in Samt und Seide gehüllt, war diese Dame, deren kleiner Fuß über das Ende des Ruhebettes heranging, beschäftigt, an der Kerze den Rest eines kleinen Aloezweiges zu verbrennen, dessen Rauch sie zuweilen, um ihn einzuatmen, ihrem Gesichte näher brachte, wobei sie auch mit diesem Rauch die Falten ihres Kapuchon und ihre Haare füllte, als wollte sie sich ganz von dem berauschendem Dampfe durchdringen lassen.

An der Art und Weise, wie sie den Rest des Zweiges ins Feuer warf, wie sie ihr Kleid auf ihren Fuß hinabzog und ihre Kopfbedeckung auf ihr verlarvtes Gesicht fallen ließ, erkannte Ernauton, daß sie ihn hatte eintreten hören und in ihrer Nähe wußte. Sie hatte sich jedoch nicht umgewendet.

Ernauton wartete einen Augenblick; sie wandte sich nicht um.

»Madame,« sagte der junge Mann mit weicher Stimme. »Madame, Ihr habt Euren untertänigen Diener rufen lassen, hier ist er.«

»Ah! sehr gut, ich bitte, setzt Euch, Herr Ernauton!« – »Verzeiht, Madame, ich muß Euch vor allem für die Ehre danken, die Ihr mir erweist.«

»Ah! das ist artig, Ihr habt recht, Herr von Carmainges, und ich denke, Ihr wißt doch noch nicht, wem Ihr dankt?« – »Madame, Ihr habt das Gesicht unter einer Larve, die Hand unter Handschuhen verborgen und mir im Moment meines Eintritts den Anblick eines Fußes entzogen, der mich sicher wahnsinnig verliebt in Euch gemacht hätte,« sagte Ernauton, allmählich näherkommend, »ich sehe nichts, was mir eine Erkennung gestattet, und ich kann nur erraten.«

»Und Ihr erratet, wer ich bin?« – »Die, nach der sich mein Herz sehnt, die meine Einbildungskraft jung, schön, mächtig und reich macht, zu reich und zu mächtig sogar, als daß ich glauben könnte, was mir begegnet, sei eine Wirklichkeit, und ich träumte nicht in diesem Augenblick.«

»Habt Ihr viel Mühe gehabt, hier hereinzukommen?« – »Nein, Madame, der Zugang ist mir sogar viel leichter geworden, als ich gedacht hätte.«

»Es ist wahr, für einen Mann ist alles leicht, nur für eine Frau ist das anders.« – »Ich bedaure sehr,« Madame, daß Ihr Euch so viele Mühe gemacht habt, und kann Euch nur meinen untertänigsten Dank dafür darbringen.«

Doch die Dame schien schon zu einem andern Gedanken übergegangen zu sein.

»Was sagtet Ihr, mein Herr?« versetzte sie nachlässig, während sie einen Handschuh auszog, um eine bewunderungswürdige runde Hand mit zart zugespitzten Fingern zu zeigen. – »Ich sagte, Madame, ohne Eure Züge gesehen zu haben, wisse ich, wer Ihr seid, und ohne eine Täuschung zu befürchten, könnte ich Euch sagen, daß ich Euch liebe.«

»Ihr glaubt also dafür stehen zu können, daß ich wirklich die bin, die Ihr hier zu finden erwartetet?« – »In Ermangelung des Augenscheins sagt es mir mein Herz.«

»Ihr kennt mich also?« – »Ich kenne Euch, ja.«

»In der Tat, Ihr, ein Mann, der kaum aus der Provinz hier gelandet ist, Ihr kennt schon die Frauen von Paris?« – »Von allen Frauen von Paris, Madame, kenne ich bis jetzt nur eine einzige.«

»Und diese bin ich?« – »Ich glaube es.«

»Und woran erkennt Ihr mich?« – »An Eurer Stimme, an Eurer Anmut, an Eurer Schönheit.«

»An meiner Stimme, ich begreife das, denn ich kann sie nicht verstellen; an meiner Anmut, ich will dieses Wort als Kompliment nehmen; doch an meiner Schönheit, diese Antwort kann ich nur als Hypothese zulassen.« – »Warum dies, Madame?«

»Ganz gewiß: Ihr kennt mich an meiner Schönheit, die ist aber verschleiert.« – »Sie war es weniger, Madame, an dem Tag, als ich Euch, um Euch nach Paris zu bringen. so nahe bei mir hielt, daß Eure Brust meine Schultern streifte, und Euer Atem an meinem Halse brannte.«

»Bei Empfang meines Briefes habt Ihr auch erraten, es handle sich um mich?« – »Oh! nein, nein, Madame, glaubt das nicht! Ich hatte nicht einen Augenblick einen solchen Gedanken, ich dachte im Gegenteil, ich wäre das Spielzeug, irgendeines Scherzes, das Opfer eines Irrtums; ich glaubte, ich wäre mit einer Katastrophe bedroht, die man Glück bei Frauen nennt, und erst seit einigen Minuten, da ich Euch sehe, Euch berühre...«

Hier machte Ernauton eine Gebärde, um eine Hand zu nehmen, die sich vor der seinigen zurückzog.

»Genug, es unterliegt keinem Zweifel, daß ich eine ausnehmende Torheit begangen habe.« – »Und worin, Madame, wenn ich bitten darf?«

»Worin! Ihr sagt, Ihr kennt mich und fragt mich, wieso ich eine Torheit begangen habe?« – »Oh! es ist wahr, Madame, ich bin sehr klein, sehr niedrig gegen Eure Hoheit.«

»Aber, um Gottes willen! Macht mir doch das Vergnügen zu schweigen, mein Herr; habt Ihr denn gar keinen Verstand?« – »In des Himmels Namen, was habe ich denn getan, Madame?«

»Wie! Ihr seht mich in einer Maske.« – »Nun!«

»Wenn ich eine Maske trage, so geschieht es ohne Zweifel, um mich zu verkleiden, und Ihr nennt mich Hoheit? Warum öffnet Ihr nicht das Fenster und ruft meinen Namen aus die Straße!« – »Oh! verzeiht, verzeiht,« sagte Ernauton, auf die Knie fallend, »ich glaubte an die Verschwiegenheit dieser Wände.«

»Mir scheint, Ihr seid leichtgläubig.« – »Ach! Madame, ich bin verliebt.«

»Und Ihr seid überzeugt, ich werde sofort diese Liebe erwidern?« – Ernauton stand gereizt auf. »Nein, Madame.«

»Und was glaubt Ihr?« – »Ich glaube, daß Ihr mir etwas Wichtiges zu sagen habt; daß Ihr mich nicht im Hotel Guise oder in Eurem Hause in Bel-Esbat empfangen wolltet, und daß Ihr eine geheime Unterredung an einem einsamen Orte vorzöget.«

»Ihr glaubt dies?« – »Ja.«

»Und was denkt Ihr, daß ich Euch zu sagen gehabt habe, sprecht; es wäre mir nicht unangenehm, Euren Scharfsinn schätzen zu können.« Und unter einer scheinbaren Sorglosigkeit ließ die Dame unwillkürlich eine gewisse Unruhe durchdringen. – »Was weiß ich? Etwas zum Beispiel, was auf Herrn von Mayenne Bezug hätte.«

»Habe ich nicht meine Eilboten, die mir morgen abend mehr sagen werden, als Ihr mir sagen könnt, da Ihr mir gestern alles gesagt habt, was Ihr wußtet.« – »Vielleicht habt Ihr auch eine Frage über das Ereignis der vergangenen Nacht an mich zu richten.«

»Ah! welches Ereignis, wovon sprecht Ihr?« fragte die Dame, deren Busen sichtbar bebte, – »Ich meine den panischen Schrecken des Herrn von Epernon, die Verhaftung der lothringischen Edelleute...«

»Man hat lothringische Edelleute verhaftet?« – »Ungefähr zwanzig, die sich zur unrechten Zeit auf der Straße nach Vincennes befanden.«

»Was auch die Straße nach Soissons ist, wo Herr von Guise, wie mir scheint, Garnison hält. Ah! es ist wahr, Herr Ernauton, Ihr, der Ihr vom Hofe seid, könntet mir sagen, warum man diese Edelleute verhaftet hat.« – »Ich vom Hofe?«

»Allerdings.« – »Ihr wißt das, Madame?«

»Bei Gott! um Eure Adresse zu bekommen, mußte ich Erkundigungen einziehen. Noch ich bitte Euch um alles in der Welt, macht ein Ende mit Euren Redensarten, Ihr habt die bedauerliche Gewohnheit, das Gespräch zu durchkreuzen; ...nun, was war das Resultat dieser Unbesonnenheit?« – »«Durchaus nichts, Madame, wenigstens soweit ich weiß.« »Warum dachtet Ihr dann, ich würde von einer Sache sprechen, die kein Resultat gehabt hat?« – »Ich hatte diesmal wie die anderen Male unrecht, Madame, und ich gestehe mein Unrecht.«

»Wie, mein Herr! aus welcher Gegend seid Ihr denn?« – »Aus Agen.«

»Ah! mein Herr, Ihr seid Gaskogner, denn Agen liegt, wie ich glaube, in der Gaskogne,« – »Ungefähr.«

»Ihr seid Gaskogner und wart nicht eitel genug, anzunehmen, ich hätte, als ich Euch bei der Hinrichtung Salcèdes an der Porte Saint-Antoine sah, gefunden, Ihr seiet ein artiger Mann.«

Ernauton errötete und fing an unruhig zu werden. Die Dame fuhr fort: »Ich wäre Euch auf der Straße begegnet und hätte Euch schön gefunden.« – Ernauton wurde purpurrot. »Madame, Madame, Gott behüte mich, ich denke das nicht.«

»Und Ihr habt unrecht,« versetzte die Dame, indem sie sich zum erstenmal gegen Ernauton umwandte und auf seine Augen ihre unter der Maske flammenden Augen heftete und dabei vor dem entzündeten Blicke des jungen Mannes eine wunderbar verführerische Taille entwickelte, die sich in runden, wollüstigen Linien auf dem Samt des Ruhebettes hervorhob. – Ernauton faltete die Hände und rief: »Madame! Madame! Ihr spottet meiner.«

»Wahrhaftig, nein,« erwiderte sie mit demselben freien, ungebundenen Ton, »ich sage, daß Ihr mir gefallen habt, und das ist die Wahrheit.« – »Mein Gott!«

»Habt Ihr denn nicht selbst gewagt, mir zu erklären, daß Ihr mich liebt?« –'»Als ich Euch dies erklärte, wußte ich nicht, wer Ihr wart, Madame, und nun, da ich es weiß, bitte ich Euch demütig um Verzeihung.«

»Ah! nun fängt er an zu faseln,« murmelte die Name voll Ungeduld. »Bleibt doch, was Ihr seid, sagt doch, was Ihr denkt, oder Ihr werdet machen, daß ich bedaure, hierher gekommen zu sein.« – Ernauton fiel aus die Knie. »Sprecht, Madame, damit ich mich überzeuge, daß dies alles nicht ein Spiel ist, und vielleicht werde ich dann wagen, zu antworten.«

»Es sei; vernehmt, welche Pläne ich mit Euch habe,« erwiderte die Dame, indem sie mit der einen Hand Ernauton zurückschob, während sie mit der andern die Falten ihres Kleides symmetrisch ordnete. »Ich finde Geschmack an Euch, doch ich kenne Euch noch nicht. Ich habe nicht die Gewohnheit, meinen Neigungen zu widerstehen, bin aber auch nicht so albern, Irrtümer zu begehen. Wären wir von gleichem Stande gewesen, so hätte ich Euch bei mir empfangen und nach meiner Bequemlichkeit studiert, ehe Ihr meine Absichten geahnt haben würdet. Bei Euch war dies unmöglich; man mußte das anders einrichten und aufs Geratewohl diese Zusammenkunft herbeiführen. Ihr wißt nun, woran Ihr Euch in Beziehung aus mich zu halten habt. Werdet meiner würdig, das ist alles, was ich Euch empfehle.« – Ernauton verwickelte sich in Beteuerungen. »Oh! ich bitte, weniger Hitze, Herr von Carmainges,« sagte die Dame mit nachlässigem Tone, »es ist nicht der Mühe wert; vielleicht ist es nur Euer Name, was mir, als wir uns zum ersten Male trafen, aufgefallen ist und mich angesprochen hat. Im ganzen glaube ich entschieden, daß ich nur eine Laune für Euch habe, und daß dies vorübergehen wird. Glaubt indessen nicht, zu fern von der Vollendung zu sein, und verzweifelt nicht! Ich kann die vollkommenen Menschen nicht leiden, Oh! ich bete dagegen die ergebenen Leute an. Beachtet dies wohl, schöner Kavalier.«

Ernauton war außer sich; diese hochmütige Sprache, diese Gebärden voll Wollust und Weichheit, diese stolze Überlegenheit, dieses Hingeben ihm gegenüber von einer so vornehmen Person bereiteten ihm zugleich die höchste Wonne und den tiefsten Schrecken.

Er setzte sich zu der schönen, stolzen Gebieterin seines Herzens, die ihn gewähren ließ, und suchte seinen Arm hinter die Kissen zu schieben, auf die sie sich lehnte.

»Mein Herr,« sagte sie, »es scheint, Ihr habt mich gehört, aber Ihr habt mich nicht verstanden. Ich bitte, keine Vertraulichkeiten, bleiben wir jeder an seinem Platz. Es ist sicher, daß ich Euch eines Tages das Recht verleihen werde, mich die Eurige zu nennen, doch Ihr habt dieses Recht noch nicht.«

Ernauton stand bleich und unwillig aus und erwiderte: »Entschuldigt mich, Madame, ich mache nichts als Albernheiten, denn die Gewohnheiten von Paris sind mir noch fremd. Wenn bei uns in der Provinz eine Frau sagt: ›Ich liebe, so liebt sie und sträubt sich nicht. Sie nimmt ihre Worte nicht zum Vorwand, um einen Mann zu ihren Füßen zu demütigen. Das ist Pariser Sitte, das ist Euer Recht als Prinzessin. Ich füge mich in dies alles. Es fehlte mir nur die Gewohnheit, doch die Gewohnheit wird kommen.«

Die Dame hörte ihn stillschweigend an; es war sichtbar, daß sie Ernauton aufmerksam beobachtete, um zu wissen, ob sein Unwille am Ende in wirklichen Zorn überginge.

»Ah! ah! Ihr ärgert Euch, glaube ich,« sagte sie mit stolzer Miene.

»Ich ärgere mich in der Tat, Madame, doch über mich selbst; denn ich empfinde für Euch, Madame, keine vorübergehende Laune, sondern Liebe, eine sehr wahre und sehr reine Liebe. Ich suche nicht Eure Person, denn ich würde sie begehren, wenn dem so wäre, sondern ich suche Euer Herz zu gewinnen. Ich werde mir auch nie verzeihen, Madame, daß ich heute durch Freiheiten die Ehrfurcht verletzt habe, die ich Euch schuldig bin, eine Ehrfurcht, die ich nur in Liebe verwandeln werde, wenn Ihr es mir befehlt. Billigt also, daß ich von diesem Augenblick Eure Befehle erwarte.«

»Still, still, übertreiben wir nicht, Herr von Carmainges, Ihr seid nun eiskalt, nachdem Ihr zuvor ganz Flamme gewesen.« – »Es scheint mir jedoch, Madame ...«

»Ei! mein Herr, sagt nie einer Dame, Ihr würdet sie lieben, wie Ihr wollt; das ist ungeschickt, zeigt ihr, daß Ihr sie lieben werdet, wie sie will, das ist vernünftiger.« – »Das habe ich gesagt, Madame.«

»Ja, aber das denkt Ihr nicht.« – »Ich beuge mich vor Eurer Überlegenheit.«

»Laßt die Artigkeiten, es würde mir widerstreben, hier die Königin zu spielen. Hier ist meine Hand, nehmt sie, es ist die einer einfachen Frau; nur ist sie etwas brennender und belebter als die Eurige.« – Ernauton nahm ehrfurchtvoll diese schöne Hand.

»Nun!« sagte die Herzogin. – »Nun?«

»Ihr küßt sie nicht? Seid Ihr verrückt? Habt Ihr geschworen, mich in Wut zu bringen?« – »Aber soeben ...«

»Soeben entzog ich sie Euch, während ich sie Euch nun gebe.« – Ernauton küßte die Hand mit so viel Gehorsam, daß man sie ihm sogleich entzog.

»Ihr seht wohl,« sagte der junge Mann, »abermals eine Lektion.«

»Ich habe also unrecht gehabt?« – »Sicher, Ihr laßt mich von einem Gefühl zum andern springen, die Furcht wird am Ende die Leidenschaft töten. Wohl werde ich fortfahren, Euch auf den Knien anzubeten, doch ich werde weder Liebe noch Vertrauen zu Euch haben.«

»Oh! ich will das nicht, denn Ihr wärt ein trauriger Liebhaber, und so mag ich sie nicht, das sage ich Euch zum voraus. Nein, bleibt natürlich, bleibt Ihr selbst, seid Herr Ernauton von Carmainges und nichts anderes! Ich habe meine Eigenheiten. Ei! mein Gott, habt Ihr nicht gesagt, ich sei schön? Jede schöne Frau hat ihre Eigenheiten; achtet manche, widersetzt Euch einigen, fürchtet mich vor allem nicht, und wenn ich zu dem stürmischen Ernauton sage: ›Seid ruhig!‹ so befrage er meine Augen und nie meine Stimme.«

Nach diesen Worten stand sie auf.

Es war Zeit; wieder von seinem Delirium ergriffen, hatte sie der junge Mann in seine Arme genommen, und die Maske der Herzogin streifte einen Augenblick die Lippen Ernautons; da aber fühlte er die tiefe Wahrheit dessen, was sie gesagt; denn durch ihre Maske schleuderten ihre Augen einen Blitz, kalt und weiß wie der finstere Vorläufer der Stürme.

Dieser Blick machte einen solchen Eindruck auf Carmainges, daß er seine Arme sinken ließ, und daß sein ganzes Feuer erlosch.

»Es ist gut,« sagte die Herzogin, »wir werden uns wiedersehen. Ihr gefallt mir entschieden, Herr von Carmainges.« – Ernauton verbeugte sich.

»Wann seid Ihr frei?« – »Leider ziemlich selten.«

»Ah! ja, ich begreife, nicht wahr, dieser Dienst ist anstrengend?« – »Welcher Dienst?«

»Der Dienst, den Ihr beim König tut. Seid Ihr nicht bei irgendeiner Garde Seiner Majestät?« – »Das heißt, Madame, ich gehöre zu einem Korps von Edelleuten.«

»Das wollte ich sagen, und diese Edelleute sind, glaube ich, Gaskogner.« – »Ja, alle, Madame.«

»Wieviel sind es? Man hat es mir gesagt, doch ich habe es vergessen.« – »Fünfundvierzig.«

»Was für eine sonderbare Zahl.« – »Es hat sich so gefunden.«

»Und diese fünfundvierzig Edelleute verlassen den König nicht, sagt Ihr?« – »Ich habe nicht gesagt, wir verlassen Seine Majestät nicht, Madame.«

»Ah! verzeiht, ich glaubte, ich hätte Euch dies sagen hören. Ihr sagtet wenigstens, Ihr hättet wenig Freiheit.« – »Es ist wahr, ich habe wenig Freiheit, Madame, weil wir am Tage für die Ausfahrten des Königs oder für die Jagden im Dienste sind, und weil wir am Abend im Louvre weilen müssen.«

»Jeden Abend?« – »Beinahe.«

»Seht, was geschehen wäre, wenn Euch z. B. diesen Abend der Befehl im Louvre zurückgehalten hätte! Hätte ich nicht glauben müssen, mein Entgegenkommen treffe auf Verachtung?« – »Ah! Madame, um Euch zu sehen, werde ich nun alles wagen, das schwöre ich Euch.«

»Es ist dies unnötig, und es wäre albern, ... ich will es nicht.« – »Aber dann ...?«

»Tut Euren Dienst; es ist an mir, mich danach zu richten, an mir, die ich stets frei und Herrin meines Lebens bin.« – »Ah! wieviel Güte, Madame!«

»Doch dies alles erklärt mir nicht,« fuhr die Herzogin mit ihrem einschmeichelnden Lächeln fort, »warum Ihr diesen Abend frei gewesen seid und wie Ihr habt kommen können.«–»Ich hatte diesen Abend schon die Absicht, Herrn von Loignac, unsern Kapitän, der mir wohlwill, um einen Urlaub zu bitten, als der Befehl kam, allen Fünfundvierzig die Nacht freizugeben.«

»Aus welchem Anlaß wurde Euch diese Annehmlichkeit zuteil?« – »Ich glaube als Belohnung, für einen ziemlich anstrengenden Dienst, den wir gestern in Vincennes getan haben.«

»Ah! sehr gut.« – »Diesem Umstand habe ich also das Glück zu danken, Euch heute abend ohne Schwierigkeit sehen zu können.«

»Wohl! so hört, Carmainges,« sagte die Herzogin mit einer süßen Vertraulichkeit, die das Herz des jungen Mannes mit Freude erfüllt, »sooft Ihr frei zu sein glaubt, benachrichtigt die Wirtin durch ein Billett; jeden Tag wird einer von meinen Leuten zu ihr kommen.« – »Oh! mein Gott! das ist zu viel Güte, Madame.«

»Wartet doch,« sagte die Herzogin und legte ihre Hand auf Ernautons Arm. – »Was ist das für ein Geräusch?«

Es drang in der Tat ein Geräusch von Sporen, von Stimmen, von zugeworfenen Türen, von Freudenrufen aus dem untern Saal herauf.

Ernauton streckte seinen Kopf durch die Tür, die ins Vorzimmer ging, und antwortete: »Es sind meine Kameraden, die hier den Urlaub feiern, den ihnen Herr von Loignac gegeben hat.«

»Aus welchem Zufall gerade in dem Wirtshaus, wo wir uns befinden?« – »Weil wir bei unserer Ankunft in Paris gerade in den ›Kühnen Ritter‹ beschieden worden waren, weil meine Kameraden seit dem glückseligen Tage ihres Eintritts in die Hauptstadt eine Vorliebe für den Wein und die Pasteten des Meisters Fournichon und zum Teil auch für seine Türmchen gefaßt haben.«

»Oh!« versetzte die Name mit einem boshaften Lächeln, »Ihr sprecht sehr erfahren von diesen Türmchen, mein Herr.« – »Bei meiner. Ehre, es ist das erstemal, daß ich in eines komme, Madame.«

»Aber mein Gott, wie geräuschvoll sind Eure Kameraden?«

Der Lärm unten wurde inzwischen zu einem höllischen Orkan; die Prahlereien über die Taten am vorhergehenden Tage, das Klingen der Goldtaler und das Klirren der Gläser weissagten einen vollständigen Sturm. Plötzlich hörte man ein Geräusch von Tritten auf der kleinen Treppe, die nach dem Türmchen führte, und Frau Fournichons Stimme rief von unten: »Herr von Sainte-Maline! Herr von Sainte-Maline!«

»Nun, was soll's,« erwiderte die Stimme des jungen Mannes.

»Geht nicht da hinauf, Herr von Sainte-Maline, ich bitte Euch.«

»Gut! und warum nicht, liebe Frau Fournichon, gehört nicht das ganze Haus diesen Abend uns?«

»Das ganze Haus, ja; aber nicht die Türmchen.«

»Bah! die Türmchen gehören zum Haus,« riefen fünf bis sechs andere Stimmen, unter denen Ernauton die von Perducas von Pincorney und von Eustache von Miradoux erkannte.

»Nein, die Türmchen machen eine Ausnahme, die Türmchen gehören mir, belästigt also meine Mietsleute nicht!«

»Madame Fournichon,« erwiderte Sainte-Maline, »ich bin auch Euer Mietsmann, belästigt mich also nicht!«

»Sainte-Maline!« murmelte Ernauton unruhig, denn er kannte die schlimmen Neigungen und die Keckheit dieses Menschen.

»Aber ich bitte Euch!« wiederholte Madame Fournichon.

»Madame Fournichon,« sagte Sainte-Maline, »es ist Mitternacht; um neun Uhr müssen alle Feuer ausgelöscht sein, und ich sehe ein Feuer in Eurem Türmchen; nur die schlechten Diener des Königs überschreiten seine Verfügungen; ich will wissen, wer diese schlechten Diener sind.«

Sainte-Maline ging mit mehreren Gaskognern weiter.

»Mein Gott!« rief die Herzogin, »mein Gott! sollten diese Leute wagen, hier hereinzukommen?«

»In jedem Fall, Madame, bin ich hier, wenn sie es wagen, und ich kann Euch zum voraus sagen, habt keine Furcht!«

»Oh! sie sprengen die Türen.«

Sainte-Maline, der zu weit vorgerückt war, um zurückzuweichen, stieß wirklich so heftig an die Tür, daß sie entzweibrach.

Sainte-Malines Eindringen und dessen Folgen.

Es war Ernautons erste Sorge, als er die Tür des Vorzimmers unter Streichen Sainte-Malines sich spalten sah, daß er die Kerze ausblies, die das Türmchen erhellte.

Diese Vorsicht diente jedoch nur für den Augenblick und beruhigte keineswegs die Herzogin, als plötzlich die Wirtin, die alle Quellen ihres Geistes erschöpft hatte, zu einem letzten Mittel Zuflucht nahm und dem Gaskogner zurief: »Herr von Sainte-Maline, ich sage Euch, daß die Personen, die Ihr beunruhigt, zu Euren Freunden gehören; die Notwendigkeit zwingt mich, es Euch zu gestehen.«

»Das ist ein Grund mehr, daß wir ihnen unser Kompliment machen,« sagte Perducas von Pincorney mit einer weingrünen Stimme und hinter Sainte-Maline auf der letzten Stufe der Treppe stolpernd.

»Und wer sind diese Freunde, sprecht?«

»Ja, wir wollen sie sehen,« rief Eustache von Miradoux.

In der Hoffnung, einem Streite zuvorzukommen, trat die gute Wirtin mitten unter die gedrängten Reihen der Edelleute und flüsterte dem Angreifer ganz leise den Namen Ernauton ins Ohr.

»Ernauton!« wiederholte mit lauter Stimme Sainte-Maline, bei dem diese Offenbarung Öl statt Wasser ins Feuer goß; »Ernauton! das ist nicht möglich.«

»Und warum?«

»Ja, warum?« wiederholten mehrere Stimmen.

»Ei! bei Gott, weil Ernauton ein Muster der Keuschheit, ein Beispiel der Enthaltsamkeit, eine Sammlung aller Tugenden ist. Nein, nein, Ihr täuscht Euch, Frau Fournichon, Herr von Carmainges ist nicht hier drin.«

Und er näherte sich der zweiten Tür, um hier dasselbe zu tun, was er bei der ersten getan hatte; da öffnete sich plötzlich diese Tür, und Ernauton erschien auf der Schwelle mit einem Gesicht, das keineswegs verkündigte, die Geduld sei eine von seinen Tugenden.

»Mit welchem Rechte hat Herr von Sainte-Maline diese erste Tür zerschmettert?« fragte er, »und mit welchem Rechte will er nun auch die zweite zerschmettern?«

»Ei! er ist es wirklich, es ist Herr Ernauton!« rief Sainte-Maline; »ich erkenne seine Stimme, denn was seine Person betrifft, so soll mich der Teufel holen, wenn ich in der Dunkelheit zu sagen vermöchte, von welcher Farbe sie ist.« »Ihr antwortet nicht auf meine Frage,« sagte Ernauton.

Sainte-Maline brach in ein geräuschvolles Gelächter aus, was die von den Fünfundvierzig tröstete, die bei Ernautons drohender Stimme es für klug erachtet hatten, auf jeden Fall zwei Stufen hinabzusteigen.

»Mit Euch spreche ich, Herr von Sainte-Maline, hört Ihr mich?« rief Ernauton. – »Ja, mein Herr, vollkommen.«

»Was habt Ihr dann zu sagen?« – »Ich habe zu sagen, mein teurer Kamerad, daß wir wissen wollten, ob Ihr diesen Gasthof der Liebschaften aufsucht?«

»Wohl, mein Herr; doch nun, da Ihr Euch versichern konntet, daß ich es bin, da ich mit Euch spreche und Euch zur Not berühren könnte, laßt mich in Ruhe!« – »Cap de Biou, Ihr seid doch nicht Eremit geworden und seid hier nicht allein?«

»Was das betrifft, mein Herr, erlaubt mir, Euch im Zweifel zu lassen.« – »Ah! bah!« fuhr Sainte-Maline fort, während er in das Türmchen zu dringen trachtete, »solltet Ihr wirklich allein sein? Ah! Ihr seid ohne Licht, bravo!«

»Hört, meine Herren,« sagte Ernauton stolz, »ich will glauben, daß Ihr trunken seid, und ich verzeihe Euch; doch es gibt auch ein Ziel für die Geduld, die man Menschen schuldig ist, die ihrer Sinne beraubt sind; es war Spaßes genug, nicht wahr? Macht mir also das Vergnügen, Euch zu entfernen.«

Zum Unglück hatte Sainte-Maline gerade einen von seinen Anfällen neidischer Bosheit.

»Oh! oh! uns entfernen,« rief er, »wie Ihr uns das sagt, Herr Ernauton!«

»Ich sage Euch das so, daß Ihr Euch nicht in meinem Wunsche täuscht, Herr von Sainte-Maline, und ich wiederhole, wenn es sein muß: Entfernt Euch, meine Herren, ich bitte Euch.« – »Oh! nicht eher, als bis Ihr uns die Ehre gegönnt habt, die Person zu begrüßen, der zu Liebe Ihr unsere Gesellschaft flieht.« Bei dieser Beharrlichkeit Sainte-Malines bildete sich der Kreis wieder um ihn, der sich eben zu lösen im Begriffe war.

»Herr von Montcrabeau,« sagte Sainte-Maline, »geht hinab und kommt mit einer Kerze herauf!«

»Herr von Montcrabeau,« rief Ernauton, »wenn Ihr das tut, so erinnert Euch, daß Ihr mich persönlich beleidigt.«

Montcrabeau zögerte, so viel Drohung lag in der Stimme des jungen Mannes.

»Gut,« versetzte Sainte-Maline, »wir haben unsern Schwur, und Herr von Carmainges ist so gewissenhaft in der Mannszucht, daß er ihn nicht wird verletzen wollen; wir dürfen den Degen nicht gegeneinander ziehen; leuchtet, Montcrabeau, leuchtet!«

Montcrabeau ging hinab und kam fünf Minuten nachher mit einer Kerze zurück, die er Sainte-Maline übergeben wollte.

»Nein, nein,« sagte dieser, »behaltet sie, ich werde vielleicht meine Hände nötig haben.«

Und er machte einen Schritt vorwärts, um in das Türmchen zu dringen.

»Ich nehme Euch alle zum Zeugen,« sagte Ernauton, »daß man mich unwürdig beleidigt und mir ohne Grund Gewalt antut, und daß ich folglich (er zog rasch seinen Degen) diesen Degen dem ersten in die Brust stoße, der noch einen Schritt vorwärts tut.«

Wütend wollte Sainte-Maline auch den Degen in die Hand nehmen, doch er hatte noch nicht zur Hälfte vom Leder gezogen, als er auf seiner Brust die Degenspitze Ernautons glänzen sah.

Da nun Sainte-Maline in diesem Augenblick einen Schritt vorwärts machte, so fühlte er, ohne daß Herr von Carmainges ausgefallen war oder mit dem Arm zu stoßen nötig gehabt hätte, die Kälte des Eisens aus der Brust und wich wahnsinnig wie ein verwundeter Stier zurück. Ernauton machte denselben Schritt vorwärts, den Sainte-Maline rückwärts gemacht hatte, und der Degen fand sich abermals drohend auf der Brust des letzteren. Sainte-Maline erbleichte; wenn Ernauton ausgefallen wäre, hätte er ihn an die Wand gespießt. Er schob langsam seinen Degen in die Scheide.

»Ihr verdientet tausend Tode für Eure Unverschämtheit,« sagte Ernauton; »doch der Schwur, von dem Ihr spracht, bindet mich, und ich werde Euch nicht mehr berühren; laßt mir den Weg frei!«

Er machte einen Schritt rückwärts, um zu sehen, ob man ihm gehorchte, und sagte dann mit majestätischer Gebärde: »Gebt Raum, meine Herren; kommt, Madame, ich stehe für alles.«

Man sah sodann auf der Schwelle des Türmchens eine Frau erscheinen, deren Kopf mit einem Kapuchon bedeckt, deren Gesicht mit einem Schleier verhüllt war, und die ganz zitternd Ernautons Arm nahm. Dann steckte der junge Mann seinen Degen in die Scheide, und als wäre er sicher, daß er nichts mehr zu fürchten habe, durchschritt er stolz das von seinen unruhigen und doch neugierigen Kameraden erfüllte Vorzimmer.

Sainte-Maline, dessen Brust das Eisen leicht gestreift hatte, war, beinahe erstickend an der Schmach, die er vor seinen Kameraden und vor der unbekannten Dame erlitten hatte, bis auf den Ruheplatz der Treppe zurückgewichen. Er begriff, daß er alles gegen sich hatte, Lacher und ernsthafte Menschen, wenn die Dinge blieben, wie sie waren, und diese Überzeugung trieb ihn zum Äußersten an.

Er zog seinen Dolch in dem Augenblick, als Carmainges an ihm vorüberging. Hatte er die Absicht, ihm einen Stoß zu versetzen, oder beabsichtigte er nur zu tun, was er tat? Das ließe sich unmöglich aufklären, ohne in dem finstern Geiste dieses Menschen gelesen zu haben, worin er selbst vielleicht in seinen Augenblicken des Zornes nicht lesen konnte.

So viel ist gewiß, daß sein Arm auf das Paar niedersank und, statt Ernautons Brust zu verletzen, die seidene Haube der Herzogin schlitzte und eine von den Schnüren der Maske durchschnitt, so daß diese zu Boden fiel.

Die Bewegung Sainte-Malines war so rasch gewesen, daß im Schatten niemand sich davon hatte Rechenschaft geben oder widersetzen können. Die Herzogin stieß einen Schrei aus. Ihre Maske fiel, und sie hatte ihren Hals entlang den runden Rücken der Klinge gleiten gefühlt, doch ohne daß sie verwundet worden war.

Sainte-Maline hatte also, während sich Ernauton über den von der Herzogin ausgestoßenen Schrei beunruhigte, Zeit, die Maske aufzuheben und sie ihr zurückzugeben, so daß er bei dem Scheine der Kerze Montcrabeaus das unbedeckte Gesicht der jungen Frau sehen konnte.

»Ah! ah!« sagte er mit seinem höhnischen, frechen Tone, »es ist die schöne Dame der Sänfte; ich mache Euch mein Kompliment, Ernauton, Ihr seid rasch vorwärts gekommen.«

Ernauton blieb stehen und hatte schon seinen Degen wieder halb aus seiner Scheide gezogen, als die Herzogin ihn die Stufen hinabzog und ihm zuflüsterte: »Kommt, kommt, ich bitte Euch, Herr von Carmainges.«

»Ich werde Euch wiedersehen, Herr von Sainte-Maline,« sagte Ernauton, sich entfernend, »und seid unbesorgt, Ihr sollt mir diese Feigheit mit anderen bezahlen.«

»Gut, gut!« erwiderte Sainte-Maline, »haltet Eure Rechnung, ich halte die meinige; wir werden sie eines Tages ordnen.«

Carmainges hörte, wandte sich aber nicht um, denn er konnte die Herzogin nicht im Stich lassen. Als er unten an die Treppe kam, stellte sich ihm niemand in den Weg; die von den Fünfundvierzig, die nicht mit die Treppe hinaufgestiegen waren, tadelten ohne Zweifel im Innern die Gewalttat ihrer Kameraden.

Ernauton führte die Herzogin an ihre von zwei Dienern bewachte Sänfte. Sobald sie sich hier befand und sich in Sicherheit fühlte, drückte sie Carmainges die Hand und sagte: »Herr Ernauton, nach dem, was vorgefallen ist, nach der Beleidigung, vor der Ihr mich trotz Eures Mutes nicht beschützen konntet, und die sich unfehlbar erneuern würde, können wir nicht mehr hierherkommen; ich bitte Euch, sucht in der Umgegend ein Haus, das zu verkaufen oder ganz zu mieten ist; seid unbesorgt, binnen kurzem werdet Ihr Nachricht von mir erhalten.«

»Muß ich von Euch Abschied nehmen, Madame?« sagte Ernauton, indem er sich zum Zeichen des Gehorsams gegen die für seine Eitelkeit so schmeichelhaften Befehle verbeugte.

Die Herzogin reichte Ernauton ihre Hand zum Kuß und entfernte sich sodann.

»Das ist in der Tat seltsam,« sagte der junge Mann, als er wieder zurückkehrte, »diese Frau findet Geschmack an mir, daran kann ich nicht zweifeln, und sie fragt nicht im geringsten danach, ob ich von diesem Strauchdieb Sainte-Maline getötet werde.«

Eine leichte Bewegung seiner Schultern bewies, daß der junge Mann diese Gleichgültigkeit zu ihrem wahren Werte anschlug. Dann kam er auf jenes erste Gefühl zurück, das für seine Eitelkeit durchaus nichts Schmeichelhaftes hatte, und fuhr fort: »Oh! sie war sehr beunruhigt, die arme Frau, und die Furcht kompromittiert zu werden, ist bei Prinzessinnen das stärkste von allen Gefühlen.«

»Denn,« fügte er, sich selbst zulächelnd, hinzu, »sie ist Prinzessin.«

Und da dieses letzte Gefühl für ihn das schmeichelhafteste war, so trug es auch den Sieg davon.

Noch es konnte die Erinnerung an die Beleidigung nicht verwischen, die ihm angetan worden war; er kehrte daher geradenwegs in das Wirtshaus zurück, damit niemand das Recht hätte zu vermuten, er habe Furcht vor den Folgen, gehabt, die diese Sache nach sich ziehen könnte.

Er war natürlich entschlossen, alle Befehle und alle Eide zu übertreten und mit Sainte-Maline bei dem ersten Worte, das er sagen, oder bei der ersten Gebärde, die er sich erlauben würde, zu Ende zu kommen.

Durch einen Schlag verletzt, verliehen ihm die Liebe und die Eitelkeit wütenden Mut, der ihm sicher in dem Zustande der Erregung, in dem er sich befand, mit zehn Männern zu kämpfen erlaubt hätte. Dieser Entschluß funkelte in seinen Augen, als er die Schwelle des Gasthofes »Zum kühnen Ritter« berührte.

Frau Fournichon stand ganz zitternd auf der Schwelle.

Bei Ernautons Anblick trocknete sie sich die Tränen ab, als ob sie reichlich geweint hätte, schlang ihre Arme um den Hals des jungen Mannes und bat ihn um Verzeihung, trotz aller Einwendungen ihres Gatten, der behauptete, da sie kein Unrecht getan, so brauche seine Frau auch nicht um Verzeihung zu bitten.

Währenddessen saßen alle wieder bei Tische, und man sprach sehr warm von dem Ereignis, das ohne Widerspruch den Höhepunkt des Abends bildete.

Bei Ernautons Anblick, der wie eine Erscheinung wirkte, fühlte jeder einen Schauer durch seinen ganzen Körper laufen, Ernauton ging gerade auf Sainte-Maline zu, ohne eine, wirkliche Herausforderung, aber mit einer Festigkeit, die mehr als ein Herz zittern ließ.

Als man dies sah, rief man von allen Seiten Herrn von Carmainges zu: »Kommt hierher, Carmainges; kommt daher, Ernauton, es ist ein Platz bei mir.«

»Ich danke,« antwortete der junge Mann, »ich will mich zu Herrn von Sainte-Maline setzen.«

Sainte-Maline stand auf; aller Augen waren auf ihn gerichtet. Noch während er aufstand, veränderte sich der Ausdruck seines Gesichtes völlig, und er sagte ohne Zorn: »Ich will Euch den Platz einräumen, den Ihr zu haben wünscht, und indem ich Euch Platz mache, spreche ich meine offenherzige und aufrichtige Entschuldigung wegen des albernen Angriffs aus, den ich mir vorhin gegen Euch habe zuschulden kommen lassen; ich war trunken, Ihr habt es selbst gesagt, verzeiht mir!«

Diese unter dem tiefsten Stillschweigen vorgebrachte Erklärung befriedigte Ernauton durchaus nicht, obgleich offenbar nicht eine Silbe für die dreiundvierzig Gäste verloren gegangen war, die voll Angst warteten, wie diese Szene endigen wurde.

Doch bei Sainte-Malines letzten Worten zeigten Ernauton die Freudenrufe seiner Kameraden, daß er befriedigt sein müsse, und daß er vollkommen gerächt sei. Sein gesunder Verstand nötigte ihn also zu schweigen. Zugleich zeigte ihm aber ein Blick, den er auf Sainte-Maline warf, daß er ihm mehr als je mißtrauen müsse.

»Der Elende hat doch Mut,« sagte Ernauton zu sich selbst, »und wenn er in diesem Augenblick nachgibt, so geschieht es infolge einer abscheulichen Absicht, die ihm mehr einleuchtet.«

Sainte-Malines Glas war voll, er füllte Ernautons.

»Ruhe, Friede, Friede!« riefen alle Stimmen, »auf die Versöhnung von Carmainges und Sainte-Maline!«

Carmainges benutzte das Zusammenstoßen der Gläser, und den Lärm aller Stimmen, neigte sich gegen Sainte-Maline und sagte zu ihm, ein Lächeln auf den Lippen, damit niemand den Sinn der Worte, die er an ihn richtete, erraten könnte: »Herr von Sainte-Maline, das ist das zweitemal, daß Ihr mich beleidigt, ohne mir Genugtuung zu geben, nehmt Euch in acht, bei der dritten Beleidigung schlage ich Euch tot wie einen Hund.«

»Tut das, wenn Ihr es recht findet,« erwiderte Sainte-Maline, »denn so wahr ich ein Edelmann bin, ich würde dasselbe tun.«

Und die beiden Todfeinde stießen die Gläser zusammen, wie es nur die besten Freunde hätten tun können.

Was in dem geheimnisvollen Haufe vorfiel.

Während dieser Ereignisse im » Kühnen Ritter« fand eine ungewöhnliche Bewegung in dem geheimnisvollen Hause statt, das unsern Lesern bisher nur von außen bekannt ist.

Der Diener mit der kahlen Stirn ging von einem Zimmer in das andere und holte gepackte Gegenstände, die er in eine Reisekiste verschloß. Sodann lud er eine Pistole und ließ einen breiten Dolch in seiner Scheide spielen, worauf er ihn mittels eines Ringes an die Kette, die ihm als Gürtel diente, hing, und an der er noch seine Pistole, einen Bund Schlüssel und ein Gebetbuch in schwarzem Thagrin befestigte.

Während er hiermit beschäftigt war, streifte ein Tritt, so leicht wie der eines Schatten, den Boden des zweiten Stockes und glitt die Treppe hinab. Plötzlich erschien eine Frau, bleich und einem Gespenste ähnlich unter den Falten ihres weißen Schleiers, auf der Türschwelle, und eine Stimme, so sanft und traurig wie der Gesang eines Vogels in der Tiefe des Waldes, machte sich hörbar.

»Remy,« sagte diese Stimme, »seid Ihr bereit?« – »Ja, gnädige Frau, und ich erwarte zu dieser Stunde nur noch Eure Kassette.«

»Glaubt Ihr, diese Kassetten werden sich leicht unseren Pferden aufladen lassen?« – »Ich stehe dafür, gnädige Frau. Wenn Euch dies übrigens nur im geringsten beunruhigt, so können wir die meinige hier lassen; habe ich denn dort nicht alles, was ich brauche?«

»Nein, Remy, nein, unter keiner Bedingung darf Euch das Nötigste auf der Reise fehlen, und dann, wenn wir auch dort sind, werden alle Bedienten, da der arme Greis krank ist, um diesen beschäftigt sein. Oh! Remy, es drängt mich, zu meinem Vater zu kommen; ich habe traurige Ahnungen, und es ist mir, als hätte ich ihn seit einem Jahrhundert nicht gesehen.« – »Ihr habt ihn doch erst vor drei Monaten verlassen, und der Zwischenraum zwischen dieser Reise und der letzten ist nicht größer als der zwischen den andern.«

»Remy, habt Ihr, der Ihr Arzt seid, nicht selbst zugestanden, als wir ihn das letzte Mal verließen, mein Vater habe nicht mehr lange zu leben?« – »Ja, allerdings, doch dies war keine Weissagung, sondern ich drückte damit nur eine Furcht aus; Gott vergißt zuweilen die Greise, und sie leben – es klingt seltsam – durch die Gewohnheit zu leben; mehr noch, zuweilen ist der Greis wie ein Kind heute krank, morgen wieder völlig munter.«

»Ach! Remy, und wie das Kind ist auch der Greis heute munter und morgen tot.« –

Remy erwiderte nichts, denn es konnte keine beruhigende Antwort aus seinem Munde kommen, und ein düsteres Schweigen folgte einige Minuten lang auf das mitgeteilte Gespräch.

»Auf welche Stunde habt Ihr die Pferde bestellt, Remy?« fragte nach einer Weile die geheimnisvolle Dame. – »Auf zwei Uhr nach Mitternacht.«

»Ein Uhr hat geschlagen?« – »Ja, gnädige Frau.«

»Niemand lauert draußen, Remy?« – »Niemand.«

»Nicht einmal der unglückliche junge Mann?« – »Nicht einmal er.«

»Ihr sagt mir das so seltsam, Remy?« – »Weil er auch einen Entschluß gefaßt hat.«

»Welchen?« fragte die Name bebend. – »Den, Euch nicht mehr zu sehen oder es wenigstens nicht mehr zu versuchen, Euch zu sehen.«

»Und wohin geht er?« – »Wohin wir alle gehen, zur Ruhe.«

»Gott verleihe ihm die ewige Ruhe,« erwiderte die Name mit einer Stimme, so ernst und kalt wie eine Totenglocke, »und dennoch ...« sie hielt inne. – »Dennoch?« versetzte Remy. »hat er nichts auf dieser Welt zu tun?« – »Er hätte zu lieben, wenn man ihn geliebt hätte.«

»Ein Mann von seinem Namen, von seinem Rang und seinem Alter müßte auf die Zukunft rechnen.«–»Zählt Ihr darauf, die Ihr ihn Eurem Alter, Eurem Rang und Eurem Namen nach um nichts zu beneiden habt?«

Die Augen der Dame gaben einen düstern Schimmer von sich. »Ja, Remy, ich zähle darauf, da ich lebe; doch wartet ...«

Sie horchte.

»Ist es nicht der Trab eines Pferdes, was ich höre?« – »Es scheint mir.«

»Sollte es unser Führer sein?« – »Es ist möglich; doch in diesem Fall käme er beinahe eine Stunde früher, als verabredet ist.«

»Man hält vor der Tür, Remy.« – »In der Tat.«

Remy ging rasch hinab und kam unten an die Treppe in dem Augenblick, als sich drei hastige Schläge hörbar machten.

»Wer ist da?« – »Ich,« antwortete eine schwache, gebrochene Stimme; »ich, Grandchamp, der Kammerdiener des Barons.«

»Ah! mein Gott! Ihr, Grandchamp, in Paris; wartet, ich will Euch öffnen; doch sprecht leise!«

Und er öffnete die Tür.

»Woher kommt Ihr denn?« fragte Remy mit leiser Stimme. – »Von Meridor. Ach!«

»Tretet rasch ein! Oh! mein Gott!«

»Nun, Remy?« rief die Stimme der Dame oben von der Treppe herab; »sind es unsere Pferde?« – »Nein, nein, gnädige Frau, sie sind es nicht.«

»Remy, Remy,« rief die Stimme, »Ihr sprecht mit jemand, wie mir scheint.« – »Ja, gnädige Frau, ja.«

Da erschien auch schon die Dame am Ende des Ganges.

»Wer ist da?« fragte sie, »es scheint fast, als wäre es Grandchamp.« »Ja, gnädige Frau, ich bin es,« erwiderte ehrfurchtsvoll und traurig der Greis, indem er sein weißes Haupt entblößte.

»Grandchamp, du, oh! mein Gott! meine Ahnungen haben mich nicht getäuscht, mein Vater ist tot.« – »In der Tat, gnädige Frau, Meridor hat keinen Herrn mehr.«

Bleich, in Eis verwandelt, aber unbeweglich und fest, ertrug die Dame den Schlag, ohne sich zu beugen. Als Remy sie so ergeben und so düster sah, ging er auf sie zu und nahm sacht ihre Hand.

»Wie ist er gestorben?« fragte die Name; »sprecht, mein Freund!« – »Gnädige Frau, der Herr Baron, der seinen Lehnstuhl nicht mehr verließ, ist vor acht Tagen von einem dritten Schlage getroffen worden. Er konnte ein letztes Mal Euren Namen stammeln, dann hörte er auf zu sprechen und starb in der Nacht.«

Die Name machte dem alten Diener eine Gebärde des Dankes und ging dann, ohne ein einziges Wort zu äußern, wieder in ihr Zimmer hinauf.

»Endlich ist sie frei,« murmelte Remy, der bleicher und düsterer war als sie; »kommt, Grandchamp, kommt!«

Das Zimmer der Dame lag im ersten Stock, hinter einem Kabinett, das die Aussicht auf die Straße hatte, wahrend dieses Zimmer selbst sein Licht nur von einem kleinen Fenster erhielt, das nach einem Hofe ging. Die Ausstattung dieses Zimmers war düster, aber reich; Tapeten aus den Webereien von Arras stellten die verschiedenen Augenblicke der Leidensgeschichte dar. Ein Betpult von geschnitztem Eichenholz, ein Lehnstuhl von demselben Stoff und derselben Arbeit, ein Bett mit gewundenen Säulen und Vorhängen, den Tapeten der Wände ähnlich, ein Teppich von Brügge, dies war die ganze Ausschmückung des Zimmers.

Keine Blume, kein Juwel, keine Vergoldung; Holz und poliertes Eisen ersetzten überall das Silber und Gold; ein Rahmen von schwarzem Holz umschloß das Porträt eines Mannes, worauf das Licht des Fensters fiel, das man offenbar zur Beleuchtung ausgebrochen hatte.

Vor diesem Porträt kniete die Dame mit wundem Herzen, aber trockenen Augen nieder.

Sie heftete auf dieses leblose Antlitz einen langen, unbeschreiblichen Liebesblick, als ob das edle Bild sich beleben sollte, um ihr zu antworten.

Die Dame streckte den Arm nach dem Bilde aus und sprach zu ihm wie zu Gott: »Ich hatte dich gebeten zu warten, obgleich deine gereizte Seele nach Rache dürsten mußte,« sagte sie; »und da die Toten alles sehen, mein Geliebter, so hast du gesehen, daß ich das Leben nur ertrug, um nicht eine Vatermörderin zu werden; als du tot warst, hätte ich sterben müssen, doch indem ich starb, tötete ich meinen Vater.

»Und dann hatte ich, wie du weißt, auf deinen blutigen Leichnam ein Gelübde getan, ich hatte geschworen, den Tod durch Tod, das Blut durch Blut zu sühnen; doch dann lud ich ein Verbrechen auf das weiße Haupt des ehrwürdigen Greises, der mich sein unschuldiges Kind nannte.

»Du hast gewartet, ich danke dir, mein Vielgeliebter, du hast gewartet, und nun bin ich frei, das letzte Band, das mich an die Erde fesselte, ist durch den Herrn zerrissen worden, – Dank sei dem Herrn ... Ich gehöre dir; kein Schleier, kein Verstecken mehr, ich kann am hellen Tage handeln, denn nun werde ich niemand mehr auf der Erde zurücklassen, und ich habe das Recht, von ihr zu scheiden.«

Sie erhob sich auf ein Knie und küßte die Hand, die aus dem Rahmen herabzuhängen schien.

»Du verzeihst mir, Freund, daß ich trockene Augen habe,« sagte sie; »indem ich auf deinem Grabe weinte, sind meine Augen vertrocknet, diese Augen, die du so sehr liebtest. In wenigen Monaten werde ich zu dir kommen, und du wirst mir endlich antworten, teurer Schatten, mit dem ich so viel gesprochen, ohne je eine Antwort zu erhalten.« Hierauf erhob sich Diana ehrfurchtsvoll und setzte sich auf ihren eichenen Stuhl.

»Armer Vater,« flüsterte sie mit einem kalten Tone und mit einem Ausdruck, der keinem menschlichen Geschöpf anzugehören schien. Dann versank sie in eine tiefe Träumerei, die sie scheinbar das gegenwärtige Unglück und die vergangenen Leiden vergessen ließ.

Plötzlich richtete sie sich auf, stützte die Hand auf einen Arm des Lehnstuhls und sagte: »Das ist es, und so wird alles besser gehen, Remy!«

Der treue Diener horchte ohne Zweifel an der Tür, denn er erschien sogleich und erwiderte: »Hier bin ich, gnädige Frau.«

»Mein würdiger Freund, mein Bruder, Ihr, das einzige Geschöpf, das mich auf dieser Welt kennt, nehmt von mir Abschied!« – »Warum dies, gnädige Frau?«

»Weil die Stunde, uns zu trennen, gekommen ist, Remy.«–»Uns trennen!« rief der junge Mann mit einem Ausdruck, der seine Gefährtin beben ließ; »was sagt Ihr, gnädige Frau?«

»Ja, Remy. Dieser Racheplan schien mir edel und rein, solange noch ein Hindernis zwischen ihm und mir lag, solange ich ihn nur am Horizont erblickte. Nun, da ich der Ausführung nahestehe, nun da das Hindernis verschwunden ist, weiche ich nicht zurück, Remy, aber ich will nicht eine edle, fleckenlose Seele hinter mir auf den Weg des Verbrechens ziehen; somit werdet Ihr mich verlassen, mein Freund.«

Remy hatte die Worte der Frau von Monforeau mit einer finsteren, beinahe stolzen Miene angehört.

»Gnädige Frau,« erwiderte er, »glaubt Ihr denn mit einem zitternden, durch den Gebrauch des Lebens abgenutzten Greis zu sprechen? Gnädige Frau, ich bin sechsundzwanzig Jahre alt und stehe im vollen Saft der Jugend, der in mir vertrocknet zu sein scheint, in mir, einem dem Grabe entrissenen Leichnam; wenn ich noch lebe, so ist es, um eine furchtbare Handlung zu vollbringen, um eine tätige Rolle in dem Werke der Vorsehung zu spielen; trennt also meinen Geist nicht von dem Eurigen, da diese beiden finsteren Geister so lange unter demselben Dache gewohnt haben; wohin Ihr geht, werde ich auch gehen; was Ihr tun möget, ich werde Euch dabei unterstützen, und wenn Ihr trotz meiner Bitten auf Eurem Entschluß, mich fortzujagen, beharrt...«

»Oh! Euch fortjagen! Welches Wort habt Ihr da gesagt, Remy?« – »Wenn Ihr auf Eurem Entschluß beharrt,« fuhr der junge Mann fort, als ob sie nicht gesprochen hätte, »so weiß ich, was ich zu tun habe, und alle unsere unnütz gewordenen Studien werden für mich auf zwei Dolchstiche auslaufen; der eine trifft das Herz dessen, den Ihr kennt, der andere das meinige.«

»Remy! Remy!« rief Diana, indem sie einen Schritt gegen den jungen Mann tat und gebieterisch ihre Hand über seinem Haupte ausstreckte, »Remy, sagt das nicht; das Leben dessen, den Ihr bedroht, gehört mir, mir, die ich es teuer genug bezahlt habe, um es ihm selbst zu nehmen, sobald der Augenblick, wo er es verlieren soll, gekommen sein wird; Ihr wißt, was geschehen ist, Remy, und das ist kein Traum, ich schwöre es Euch; an dem Tage, an dem ich zu dem kalten Leibe von diesem niederkniete...«

Und sie deutete auf das Porträt.

»An diesem Tage, sage ich, näherte ich meine Lippen dieser Wunde, die Ihr offen seht, und diese Wunde zitterte und sprach zu mir: 'Räche mich, Diana, räche mich!'« – »Gnädige Frau.«

»Remy, ich wiederhole dir, es war keine Einbildung, es war kein Lallen meines Fieberwahnsinns: die Wunde hat gesprochen, sie hat gesprochen, sage ich dir, und ich höre sie noch murmeln: 'Räche mich, Diana, räche mich!'«

Der Diener neigte das Haupt.

»Mir also und nicht Euch kommt die Rache zu,« fuhr Diana fort; »überdies für wen und durch wen ist er gestorben? Für mich und durch mich.« – »Ich muß Euch gehorchen, gnädige Frau, denn ich war auch tot wie er. Wer hat mich aus der Mitte dieser Toten, mit denen der Boden bedeckt war, wegbringen lassen? Ihr. Wer hat meine Wunden geheilt? Ihr. Wer hat mich verborgen? Ihr, Ihr, die Hälfte der Seele dessen, für den ich so freudig gestorben war; befehlt also, und ich werde gehorchen, wenn Ihr mir nur nicht befehlt, daß ich Euch verlassen soll.«

»Es sei, Remy, folgt also meinem Schicksal, Ihr habt recht, nichts soll uns mehr trennen.« – Remy deutete auf das Porträt und sagte voll Tatkraft: »Wohl, er ist durch Verrat getötet worden, durch Verrat muß er auch gerächt werden. Ah! Ihr wißt eines nicht, Ihr habt recht,, die Hand Gottes ist mit uns; Ihr wißt nicht, daß ich in dieser Nacht das Geheimnis der Aqua tolana, dieses Giftes der Medici, dieses Giftes von René, dem Florentiner, gefunden habe.«

»Oh! sprichst du wahr?« – »Kommt und seht, edle Frau!«

»Aber Grandchamp, der wartet, was wird er sagen, wenn er uns nicht zurückkommen sieht, wenn er uns nicht mehr hört, denn nicht wahr, du willst mich hinunterführen?« – »Der arme Greis hat sechzig Meilen zu Pferd zurückgelegt; er ist ganz gelähmt durch die Müdigkeit und schon auf meinem Bette entschlummert. Kommt!«

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