»Glaubst du, Ethan ahnt etwas von deiner schwachen Stelle?«, fragte sie.

»Ich weiß nicht«, gab ich zu. »Er hat Kronos nichts gesagt, aber wenn er es herausfindet …«

»Das dürfen wir nicht zulassen.«

»Ich werde ihm nächstes Mal härter auf den Kopf schlagen«, schlug ich vor. »Irgendeine Vorstellung, von was für einer Überraschung Kronos da geredet hat?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe im Schild nichts gesehen, aber ich kann Überraschungen nicht leiden.«

»Ich auch nicht.«

»Also«, sagte sie. »Willst du noch immer mit mir darüber streiten, ob ich mitkomme?«

»Nö. Du würdest mich ja doch nur zusammenschlagen.«

Sie brachte ein Lachen zustande, und es tat gut, das zu hören. Ich packte mein Schwert und wir gingen hinaus, um unsere Streitmacht zusammenzurufen.

Thalia und die Hüttenältesten warteten am See im Park auf uns. Die Lichter der Stadt leuchten in der Dämmerung auf. Ich nahm an, dass viele Lampen eine Zeitschaltung hatten. Straßenlaternen brannten am Seeufer und ließen Wasser und Bäume noch gespenstischer aussehen.

»Sie kommen«, bestätigte Thalia und zeigt mit einem silbernen Pfeil nach Norden. »Eine von meinen Späherinnen hat gerade berichtet, dass sie den Harlem River überquert haben. Es war unmöglich, sie aufzuhalten. Die Armee …« Sie zuckte mit den Schultern. »Sie ist riesig.«

»Wir werden sie am Rand des Parks stellen«, sagte ich. »Grover, seid ihr bereit?«

Er nickte. »So bereit wie überhaupt nur möglich. Wenn meine Naturgeister sie überhaupt irgendwo aufhalten können, dann dort.«

»Ja, das werden wir!«, sagte eine weitere Stimme. Ein sehr alter, fetter Satyr drängte sich durch die Menge und stolperte dabei über seinen eigenen Speer. Er trug eine Rüstung aus Baumrinde, die nur seinen halben Bauch bedeckte.

»Leneus?«, fragte ich.

»Spiel doch nicht den Überraschten«, schnaubte er. »Ich bin schließlich der Vorsitzende des Rates und du hast mich gebeten, Grover zu suchen. Also, ich habe ihn gefunden, aber ich werde doch nicht zulassen, dass ein schnöder Ausgestoßener ohne meine Hilfe die Satyrn anführt!«

Hinter seinem Rücken machte Grover Würgebewegungen, aber der alte Satyr grinste, als sei er der Held des Tages. »Keine Angst! Diesen Titanen werden wir es zeigen!«

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder wütend sein sollte, aber ich schaffte es, keine Miene zu verziehen. »Äh … okay. Na, Grover, dann werdet ihr ja nicht allein sein. Annabeth und die Athene-Hütte werden sich hier postieren. Und ich und … Thalia?«

Sie berührte meine Schulter. »Selbstverständlich. Die Jägerinnen sind bereit.«

Ich sah die anderen Hüttenältesten an. »Dann habt ihr eine ebenso wichtige Aufgabe. Ihr müsst die übrigen Zugänge nach Manhattan bewachen. Ihr wisst, wie gerissen Kronos ist. Er hofft, uns mit seiner großen Armee abzulehnen und irgendwo anders eine weitere Truppe einzuschmuggeln. Ihr müsst dafür sorgen, dass das nicht passiert. Hat sich jede Hütte eine Brücke oder einen Tunnel ausgesucht?«

Die Hüttenältesten nickten düster.

»Dann los«, sagte ich. »Gute Jagd für euch alle!«

Wir hörten die Armee, ehe wir sie sahen.

Der Lärm war wie Kanonendonner, gemischt mit dem Geschrei der Menge in einem Footballstadion – als ob uns alle Patriots-Fans von New England mit Panzerfäusten angriffen.

Am Nordende des Sees brach die Vorhut der Armee aus dem Wald – ein Krieger in goldener Rüstung führte ein Bataillon aus laistrygonischen Riesen mit riesigen Bronzeäxten. Hunderte von weiteren Monstern tauchten hinter ihnen auf.

»Stellung beziehen!«, schrie Annabeth.

Ihre Hüttengenossen schwärmten aus. Wir wollten die feindliche Armee dazu bringen, sich am See aufzuteilen. Um zu uns zu gelangen, würden sie den Wegen folgen müssen, und das bedeutete, dass sie in schmalen Kolonnen beide Ufer entlangmarschieren würden.

Zuerst schien unser Plan zu funktionieren. Sie teilten sich und kamen auf beiden Ufern auf uns zu. Als sie den halben Weg hinter sich gebracht hatten, legten unsere Verteidigungsanlagen los. Auf dem Wanderweg loderte griechisches Feuer auf und äscherte viele Monster sofort ein. Andere schlugen um sich und waren in grüne Flammen gehüllt. Die Athene-Leute warfen Fanghaken nach den größten Riesen und zerrten sie zu Boden.

In den Wäldern auf der rechten Seite gaben die Jägerinnen eine Salve aus Silberpfeilen auf die feindlichen Linien ab und vernichteten zwanzig oder dreißig Dracaenae, aber hinter ihnen kamen noch viele andere. Ein Blitzstrahl zischte vom Himmel und ließ einen laistrygonischen Riesen zu Asche verbrennen, und ich wusste, dass Thalia hier ihre Tochter-des-Zeus-Nummer abzog.

Grover hob seine Flöte und spielte eine lebhafte Melodie. Aus dem Wald erklang ein Brüllen, als jeder Baum, Felsen und Busch einen Geist abzusondern schien. Dryaden und Satyrn hoben ihre Keulen und stürzten los. Die Bäume wickelten sich um die Monster und erwürgten sie. Gras wuchs um die Füße der feindlichen Bogenschützen. Steine wirbelten auf und trafen die Dracaenae im Gesicht.

Der Feind rückte immer weiter vor. Riesen brachen durch die Bäume und Najaden schwanden dahin, sobald ihre Lebensquellen zerstört wurden. Höllenhunde sprangen die Grauwölfe an und schleuderten sie zur Seite. Feindliche Bogenschützen erwiderten das Feuer und eine Jägerin fiel aus einem hohen Baum.

»Percy!« Annabeth packte meinen Arm und zeigte auf den Stausee. Der Titan in der goldenen Rüstung wartete nicht darauf, dass seine Truppen am Ufer vorrückten. Er kam auf uns zu und ging dabei einfach über das Wasser.

Eine griechische Feuerbombe explodierte über seinem Kopf, aber er hob die Hand und zog die Flammen aus der Luft.

»Hyperion«, sagte Annabeth entsetzt. »Der Herr des Lichtes. Der Titan des Ostens.«

»Schlimm?«, vermutete ich.

»Neben Atlas ist er der größte Titanenkrieger. In den alten Zeiten haben vier Titanen die vier Himmelsrichtungen kontrolliert. Hyperion im Osten war der mächtigste. Er war der Vater von Helios, dem ersten Sonnengott.«

»Ich werde ihn aufhalten«, versprach ich.

»Percy, nicht einmal du kannst …«

»Sorg du dafür, dass unsere Truppe zusammenbleibt.«

Wir hatten uns aus gutem Grund am See aufgebaut. Ich konzentrierte mich auf das Wasser und spürte, wie dessen Kraft mich durchspülte.

Ich ging auf Hyperion zu und lief über das Wasser. Genau, Kumpel. Dieses Spiel kann ich auch.

Einige Meter vor mir hob Hyperion sein Schwert. Seine Augen waren genau wie in meinem Traum – golden wie die des Kronos, aber heller, wie Miniatursonnen.

»Das Balg des Meeresgottes«, sagte er nachdenklich. »Du bist doch der, der Atlas wieder unter der Last des Himmels gefangen hat?«

»Das war nicht so schwer«, sagte ich. »Ihr Titanen seid ungefähr so helle wie meine Sportsocken.«

Hyperion fauchte. »Du willst es hell?«

Sein Körper loderte auf und wurde zu einer Säule aus Licht und Hitze. Ich wandte mich ab, wurde aber trotzdem geblendet.

Instinktiv hob ich Springflut – gerade noch rechtzeitig. Hyperions Klinge schlug gegen meine. Die Schockwelle jagte einen meterhohen Ring aus Wasser über die Oberfläche des Sees.

Meine Augen brannten noch immer. Ich musste sein Licht löschen.

Ich konzentrierte mich auf die Flutwelle und zwang sie zum Umdrehen. Unmittelbar ehe sie mich traf, ließ ich mich von einem Wasserstrahl hochschleudern.

»AHHHHH!« Die Wellen schlugen über Hyperion zusammen, er ging unter und sein Licht wurde gelöscht.

Ich landete auf der Seeoberfläche, als Hyperion gerade wieder auf die Füße kam. Seine goldene Rüstung war triefnass und seine Augen loderten nicht mehr, sahen aber weiterhin mörderisch aus.

»Du wirst brennen, Jackson«, brüllte er.

Wieder trafen unsere Schwerter aufeinander, und die Luft lud sich mit Ozon auf.

Überall um uns herum tobte noch immer die Schlacht. An der rechten Flanke führte Annabeth mit ihren Geschwistern einen Angriff an. Auf der linken schlossen Grover und seine Naturgeister sich wieder zusammen und umwickelten die Feinde mit Büschen und Unkraut.

»Genug gespielt«, sagte Hyperion zu mir. »Wir kämpfen an Land.«

Ich wollte schon so etwas Kluges wie »nein« von mir geben, als der Titan einen Schrei ausstieß. Eine Wand aus Kraft stieß mich durch die Luft – genau wie es Kronos auf der Brücke getan hatte. Ich wurde an die dreihundert Meter rückwärtsgeschleudert und knallte auf den Boden. Ohne meine Unverwundbarkeit wäre jeder Knochen in meinem Körper gebrochen.

Stöhnend kam ich auf die Füße. »Ich finde eure Titanentricks einfach zum Kotzen.«

Hyperion kam mit unfassbarer Geschwindigkeit auf mich zu.

Ich konzentrierte mich auf das Wasser und zog daraus Kraft.

Hyperion griff an. Er war stark und schnell, konnte aber keinen Treffer landen. Der Boden um seine Füße loderte immer wieder auf, doch ebenso rasch löschte ich das Feuer.

»Aufhören«, brüllte der Titan. »Hör auf mit dem Wind!«

Ich wusste nicht so recht, was er meinte; ich war zu sehr mit Kämpfen beschäftigt.

Hyperion stolperte, als werde er weggestoßen. Wasser traf ihn im Gesicht und ließ seine Augen brennen. Der Wind wurde stärker und Hyperion taumelte rückwärts.

»Percy«, rief Grover überrascht. »Wie machst du das denn?«

Wie mach ich was?, dachte ich.

Dann schaute ich nach unten und sah, dass ich mitten in meinem eigenen persönlichen Hurrikan stand. Wolken aus Wasserdampf wirbelten um mich herum, Winde, so mächtig, dass sie Hyperion zurückwarfen und in einem Umkreis von zwanzig Metern das Gras platt machten. Feindliche Krieger warfen ihre Speere nach mir, aber der Sturm wirbelte sie zur Seite.

»Super«, murmelte ich. »Aber da geht noch was!«

Blitze flackerten um mich herum. Die Wolken wurden dunkler und der Regen wirbelte immer schneller. Ich erreichte Hyperion und warf ihn zu Boden.

»Percy!«, schrie Grover wieder. »Schmeiß ihn hier rüber!«

Ich ließ mich von meinen Reflexen leiten und schlug und stach. Hyperion konnte sich nur mit Mühe verteidigen. Seine Augen versuchten immer wieder, sich zu entzünden, aber der Hurrikan löschte die Flammen.

Allzu lange würde ich einen solchen Sturm aber nicht in Gang halten können. Ich spürte, wie meine Kräfte nachließen. Mit einer letzten Kraftanstrengung schleuderte ich Hyperion quer über das Schlachtfeld, dorthin, wo Grover schon wartete.

»Ich lasse nicht mit mir spielen!«, brüllte Hyperion.

Er kam wieder auf die Füße, aber Grover hob seine Rohrflöte an die Lippen und begann zu spielen. Leneus schloss sich ihm an. Überall im Wald stimmten die Satyrn in die Weise ein, eine fröhliche Melodie, wie ein Bach, der über Steine fließt. Der Boden vor Hyperions Füßen sprang auf. Knotige Wurzeln wickelten sich um seine Beine.

»Was ist das?«, rief er empört. Er versuchte, die Wurzeln abzuschütteln, aber er war noch immer geschwächt. Die Wurzeln wurden dicker, bis es aussah, als trüge er hölzerne Stiefel.

»Aufhören!«, brüllte er. »Eure Waldmagie ist einem Titanen nicht gewachsen!«

Aber je mehr er zappelte, umso rascher wuchsen die Wurzeln. Sie rankten sich um seinen Leib, wurden dicker und härter. Die goldene Rüstung verschmolz mit dem Holz und wurde zum Teil eines riesigen Stammes.

Die Musik erklang weiter. Hyperions Truppen wichen überrascht zurück, als ihr Anführer vom Wald absorbiert wurde. Er streckte die Arme aus und sie wurden zu Ästen, aus denen Zweige hervorsprangen und Blätter wuchsen. Der Baum wurde größer und dicker, bis nur noch das Gesicht des Titanen mitten im Stamm zu sehen war.

»Ihr könnt mich nicht einsperren!«, brüllte er. »Ich bin Hyperion! Ich bin …«

Die Rinde schloss sich über seinem Gesicht.

Grover ließ die Flöte sinken. »Du bist ein sehr schöner Ahornbaum.«

Einige der anderen Satyrn fielen vor Erschöpfung in Ohnmacht, aber sie hatten gute Arbeit geleistet. Der Obertitan war vollständig von dem riesigen Ahornbaum umschlossen. Der Stamm hatte einen Umfang von fast sieben Metern und seine Äste waren dicker als die aller anderen Bäume im Park. Der Baum sah aus, als stünde er dort seit Jahrhunderten.

Die Armee des Titanen trat den Rückzug an. Die Athene-Hütte brach in Jubel aus, aber unser Sieg war nur von kurzer Dauer.

Denn nun ließ Kronos seine Überraschung von der Leine.

»WIIIIIIIIEK!«

Der Schrei hallte im gesamten Norden Manhattans wider. Halbgötter und Monster erstarrten gleichermaßen vor Entsetzen.

Grover warf mir einen panischen Blick zu. »Wieso klingt das wie … das kann nicht sein!«

Ich wusste, was er dachte. Zwei Jahre zuvor hatte Pan uns ein »Geschenk« gemacht – einen riesigen Wildeber, der uns durch den Südwesten getragen hatte (nachdem er vorher versucht hatte, uns umzubringen). Der Eber hatte ähnlich gequiekt, aber was wir jetzt hörten, wirkte höher, schriller, fast so … fast so, als ob der Eber eine wütende Freundin hätte.

»WIIIIIIIIEK!« Eine riesige rosa Kreatur tauchte über dem Stausee auf – ein albtraumhafter Riesenkarnevalswagen mit Flügeln!

»Eine Sau!«, rief Annabeth. »In Deckung!«

Die Halbgötter sprangen auseinander, als die geflügelte Schweinedame sich fallen ließ. Ihre Flügel waren rosa wie die eines Flamingos und passten wunderbar zu ihrer Haut, aber es war trotzdem schwer, sie niedlich zu finden, als ihre Hufe auf den Boden aufknallten und eins von Annabeths Geschwistern nur um Haaresbreite verpassten. Das Schwein trampelte umher und riss einen halben Hektar Wald um, während es eine Wolke aus giftigen Gasen ausrülpste. Dann hob es wieder ab und kreiste über uns in der Luft.

»Erzähl mir bloß nicht, dass dieses Viech aus der griechischen Mythologie stammt«, beschwerte ich mich.

»Ich fürchte, doch«, sagte Annabeth. »Die krommyonische Sau. Sie hat damals griechische Ortschaften terrorisiert.«

»Lass mich raten«, sagte ich, »Herkules hat sie besiegt.«

»Nix da«, sagte Annabeth. »Soviel ich weiß, hat kein Held sie je besiegt.«

»Na toll«, murmelte ich.

Die Titanenarmee erholte sich von ihrem Schock. Vermutlich war ihnen aufgegangen, dass das Schwein es nicht auf sie abgesehen hatte.

Uns blieben nur Sekunden, ehe sie wieder losschlagen würden, und unsere Truppen waren noch immer in Panik. Jedesmal, wenn die Sau rülpste, wimmerten Grovers Naturgeister auf und zogen sich in ihre Bäume zurück.

»Dieses Schwein muss weg.« Ich entriss einem von Annabeths Geschwistern seinen Fanghaken. »Das übernehme ich. Ihr haltet die übrigen Feinde auf. Schlagt sie zurück!«

»Aber Percy«, sagte Grover. »Was, wenn wir das nicht schaffen?«

Ich sah, wie müde er war. Die Magie hatte ihn wirklich ausgelaugt. Annabeth, die mit einer üblen Schulterverletzung kämpfte, wirkte auch nicht viel fitter. Und ich wusste nicht, was die Jägerinnen machten, denn jetzt befand sich die rechte Flanke des Feindes zwischen ihnen und uns.

Ich wollte meine Freunde in dieser schlechten Form nur ungern alleinlassen, aber die Sau war im Moment die größte Bedrohung. Sie würde alles zerstören: Häuser, Bäume, schlafende Sterbliche. Sie musste aufgehalten werden.

»Zieht euch zurück, wenn es sein muss«, sagte ich. »Aber versucht, sie wenigstens zu verlangsamen. Ich bin, so schnell ich kann, wieder da.«

Ehe ich mir die Sache anders überlegen konnte, schwenkte ich den Fanghaken wie ein Lasso. Als die Sau zum nächsten Angriff herabstieß, warf ich ihn aus. Er verfing sich am Schweineflügel. Das Schwein kreischte vor Wut und flog schlingernd davon, wobei es das Seil mit mir gen Himmel riss.

Wenn ihr vom Central Park in die Stadt wollt, dann rate ich euch, nehmt die U-Bahn. Mit einem fliegenden Schwein geht es schneller, ist aber auch viel gefährlicher.

Die Sau jagte am Plaza Hotel vorbei und dann weiter in die Schluchten der Fifth Avenue. Mein genialer Plan war, am Seil hochzuklettern und mich auf den Rücken des Schweins zu setzen. Leider war ich zu sehr damit beschäftigt, Straßenlaternen und Häusern auszuweichen.

Und ich lernte noch etwas: Im Sportunterricht an einem Seil hochzuklettern, mag ja noch gehen. Es ist aber etwas ganz anderes, ein Seil hochzuklettern, das am Flügel eines mit hundertfünfzig Stundenkilometern davonjagenden Schweins befestigt ist.

Wir flogen im Zickzack mehrere Straßen entlang und rasten dann auf der Park Avenue nach Süden.

Boss! He, Boss! Aus dem Augenwinkel sah ich Blackjack, der neben uns herjagte und hin und her schoss, um den Schweineflügeln auszuweichen.

»Pass auf!«, rief ich ihm zu.

Spring auf!, wieherte Blackjack. Ich kann dich auffangen. Glaube ich zumindest!

Das war nicht gerade beruhigend. Direkt vor uns lag die Grand Central Station. Über dem Haupteingang stand die Riesenstatue des Hermes, die vermutlich deshalb nicht aktiviert war, weil sie sich so hoch oben befand. Ich jagte mit halbgottzerschmetterndem Tempo auf ihn zu.

»Bleib in der Nähe«, sagte ich zu Blackjack. »Ich habe eine Idee.«

Ach, ich hasse deine Ideen.

Ich schwang mit aller Kraft nach außen. Statt gegen die Hermes-Statue zu knallen, sauste ich um sie herum und wickelte das Seil unter ihre Arme. Ich dachte, das könnte das Schwein anpflocken, aber ich hatte den Schwung von dreißig Tonnen fliegender Sau unterschätzt. Als das Schwein die Statue vom Sockel riss, ließ ich los. Hermes hob ab und nahm meinen Platz als Schweinepassagier ein, während ich im freien Fall auf die Straße zuraste.

Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich an damals, als meine Mom in einem Süßigkeitenladen in der Grand Central Station gearbeitet hatte. Ich dachte daran, wie übel es sein würde, als Fettfleck auf dem Straßenpflaster zu enden.

Dann jagte ein Schatten unter mich und wusch – schon saß ich auf Blackjacks Rücken. Es war nicht gerade eine sanfte Landung, und als ich »AU!« schrie, war meine Stimme eine Oktave höher als sonst.

Tut mir leid, Boss, murmelte Blackjack.

»Egal«, quietschte ich. »Folg diesem Schwein!«

Das Schwein war an der East 42nd Street nach rechts abgebogen und hielt jetzt auf die Fifth Avenue zu. Als es über die Dächer stieg, konnte ich hier und da in der Stadt Feuer sehen. Offenbar ging es bei meinen Freunden übel zur Sache. Kronos griff an mehreren Fronten an. Aber für den Moment hatte ich meine eigenen Probleme.

Die Hermes-Statue hing noch immer am Seil. Sie knallte gegen ein Haus nach dem anderen und drehte sich um sich selbst. Als das Schwein über ein Bürohaus hinwegfegte, durchpflügte Hermes einen Wassertank auf dem Dach und ließ Wasser und Holzstücke aufstieben.

»Dichter ran«, sagte ich zu Blackjack.

Er wieherte abwehrend.

»Nur in Rufweite«, sagte ich. »Ich muss mit der Statue reden.«

Jetzt bist du ja wohl endgültig durchgedreht, Boss, sagte Blackjack, gehorchte aber. Als ich dicht genug dran war, um das Gesicht der Statue deutlich zu sehen, schrie ich: »Hallo, Hermes! Befehlsfolge: Dädalus 23. Fliegende Schweine killen. Aktivierung starten.«

Sofort bewegte die Statue ihre Beine. Sie wirkte verwirrt angesichts der Tatsache, dass sie nicht mehr auf der Grand Central Station stand, sondern stattdessen hinter einer geflügelten Sau durch die Luft sauste. Die Statue bretterte durch die Seitenwand eines Klinkergebäudes, was offenbar ihren Zorn erregte. Sie schüttelte den Kopf und fing an, die Leine hochzuklettern.

Ich schaute auf die Straße hinunter. Wir hatten fast die Bibliothek erreicht, deren Treppe von riesigen Marmorlöwen flankiert wurde. Plötzlich kam mir ein bizarrer Gedanke: Konnten wohl auch Steinstatuen Automaten sein? Es kam mir arg weit hergeholt vor, aber …

»Schneller«, sagte ich zu Blackjack. »Du musst das Schwein überholen. Und es anpöbeln.«

Äh, Boss …

»Verlass dich auf mich«, sagte ich. »Ich weiß, was ich tue … glaube ich.«

Aber klar doch. Mit mir kann man’s ja machen.

Blackjack jagte durch die Luft. Er konnte verdammt schnell fliegen, wenn er wollte. Er überholte das Schwein, auf dessen Rücken jetzt ein metallener Hermes saß.

Blackjack wieherte. Du riechst nach Schinken! Er trat dem Schwein mit seinen Hinterhufen gegen die Schnauze und legte einen Sturzflug hin. Das Schwein schrie vor Wut und nahm die Verfolgung auf.

Wir jagten auf die Vordertreppe der Bibliothek zu. Blackjack bremste kurz, um mich abspringen zu lassen, dann flog er weiter zum Haupteingang.

Ich schrie: »Löwen! Befehlsfolge: Dädalus 23. Fliegende Schweine killen. Aktivierung starten!«

Die Löwen standen auf und sahen mich an. Vermutlich dachten sie, das sollte ein Witz sein. Aber dann: »WIIIIIEEK!«

Das riesige rosa Schweinemonster landete mit einem Knall und ließ den Bürgersteig bersten. Die Löwen starrten es an, konnten ihr Glück gar nicht fassen und griffen an. Sie hatten üble Krallen. Im selben Moment sprang ein ziemlich mitgenommener Hermes auf den Kopf der Sau und schlug erbarmungslos mit seinem Caduceus auf sie ein.

Ich zog Springflut, aber es gab für mich nichts mehr zu tun; die Sau löste sich vor meinen Augen auf. Fast tat sie mir leid. Ich hoffte, sie würde unten im Tartarus den Eber ihrer Träume treffen.

Als das Monster vollkommen zu Staub zerfallen war, schauten die Löwen und die Hermes-Statue sich verwirrt um.

»Jetzt könnt ihr Manhattan verteidigen«, sagte ich zu ihnen, aber das schienen sie nicht gehört zu haben. Sie rannten die Park Avenue hinab, und ich befürchtete, sie würden weiter nach fliegenden Schweinen Ausschau halten, bis irgendwer sie deaktivierte.

He, Boss, sagte Blackjack. Können wir eine Donut-Pause einlegen?

Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. »Zu gern, Großer, aber der Kampf läuft noch.«

Ich konnte sogar hören, dass er näher kam. Meine Freunde brauchten Hilfe. Ich sprang auf Blackjacks Rücken und wir flogen nach Norden, dem Lärm der Explosionen entgegen.


Chiron schmeißt eine Party

Die Stadt war ein einziges Kriegsgebiet. Überall überflogen wir kleinere Scharmützel. Ein Riese riss im Bryant Park Bäume aus, während Dryaden ihn mit Nüssen bewarfen. Vor dem Waldorf-Astoria verprügelte eine Bronzestatue von Benjamin Franklin einen Höllenhund mit einer aufgerollten Zeitung. Drei Hephaistos-Kinder bekämpften mitten im Rockefeller Center ein Dracaenae-Geschwader.

Ich wäre gern gelandet um ihnen zu helfen, aber Rauch und Lärm sagten mir, dass die Hauptkämpfe weiter südlich stattfanden. Unsere Verteidigungslinien brachen zusammen. Der Feind näherte sich dem Empire State Building.

Wir drehten eine rasche Runde über der Umgebung. Die Jägerinnen hatten eine Verteidigungslinie auf der 37th Street aufgebaut, nur drei Blocks nördlich vom Olymp. Im Osten auf der Park Avenue führten Jake Mason und einige andere Hephaistos-Kinder eine Armee aus Statuen gegen den Feind. Im Westen hatten die Demeter-Hütte und Grovers Naturgeister die Sixth Avenue in einen Dschungel verwandelt, der eine Schwadron von Kronos’ Halbgöttern aufhielt. Der Süden war für den Moment gesichert, aber die Flanken der feindlichen Armee beschrieben einen Bogen. Noch einige Minuten, und wir würden gänzlich umzingelt sein.

»Wir müssen da landen, wo sie uns am meisten brauchen«, murmelte ich.

Das ist überall, Boss.

Ich entdeckte ein vertrautes silbernes Eulenbanner am Südwestende der Kampfzone, an der 33rd Street beim Park Avenue Tunnel. Annabeth und zwei ihrer Geschwister wehrten einen hyperboreischen Riesen ab.

»Dorthin!«, rief ich Blackjack zu. Er ließ sich auf die Schlacht zufallen.

Ich sprang von seinem Rücken und landete auf dem Kopf des Riesen. Als der Riese aufschaute, rutschte ich an seinem Gesicht herunter und schlug dabei mit dem Schild auf seine Nase ein.

»RAARRRR!« Der Riese taumelte rückwärts und blaues Blut tröpfelte aus seinen Nasenlöchern.

Ich kam auf dem Boden auf und raste in Deckung. Der Hyperboreer stieß eine Wolke aus weißem Nebel aus und die Temperatur sank. Die Stelle, auf der ich gelandet war, war jetzt mit Eis überzogen, und ich war wie ein gezuckerter Donut mit Reif belegt.

»He, du Miststück!«, rief Annabeth. Ich hoffte, dass sie den Riesen meinte und nicht mich.

Der blaue Knabe brüllte und drehte sich zu ihr um, wobei er mir die ungeschützte Rückseite seiner Beine zuwandte. Ich stach zu und traf ihn in der Kniekehle.

»WAAAHHH!« Der Hyperboreer krümmte sich. Ich rechnete damit, dass er herumfahren würde, aber er gefror. Wirklich, er verwandelte sich buchstäblich in festes Eis. Dort, wo ich ihn getroffen hatte, öffnete sich ein Riss in seinem Körper. Er wurde größer und verzweigte sich, bis der Riese zu einem Berg aus blauen Scherben zerfiel.

»Danke.« Annabeth krümmte sich und versuchte, zu Atem zu kommen. »Und das Schwein?«

»Kotelett«, sagte ich.

»Gut.« Sie bewegte die Schulter. Offenbar machte die Wunde ihr noch immer zu schaffen, aber sie sah mein besorgtes Gesicht und verdrehte die Augen. »Mir geht’s gut, Percy. Los, weiter. Es sind noch jede Menge Feinde übrig.«

Sie hatte Recht. An die nächste Stunde erinnere ich mich nur vage. Ich kämpfte wie noch nie zuvor – ich watete durch Legionen von Dracaenae, forderte bei jedem Hieb Dutzende von Telchinen heraus, zerstörte Empusen und schaltete feindliche Halbgötter aus. Aber egal, wie viele ich auch besiegte, immer neue nahmen ihre Plätze ein.

Annabeth und ich rannten von einem Block zum anderen und versuchten, unsere Verteidigung zu verstärken. Zu viele unserer Freunde lagen verwundet in den Straßen. Zu viele waren verschollen.

Als die Nacht kam und der Mond höher stieg, waren wir Schritt für Schritt zurückgewichen und in allen Richtungen nur noch einen Block vom Empire State Building entfernt. Einmal kämpfte Grover neben mir und schlug Schlangenfrauen mit seiner Keule auf den Kopf. Dann verschwand er im Gewühl und ich hatte Thalia an meiner Seite, die die Monster durch die Kraft ihres magischen Schildes vertrieb. Mrs O’Leary sprang aus dem Nirgendwo hervor, packte mit den Zähnen einen laistrygonischen Riesen und warf ihn wie eine Frisbee-Scheibe in die Luft. Annabeth schlich sich mit Hilfe ihrer Tarnkappe hinter die feindlichen Linien. Wo immer ein Monster ohne erkennbaren Grund mit überraschtem Gesicht zu Staub zerfiel, wusste ich, dass Annabeth dahintersteckte.

Aber es reichte einfach nicht.

»Haltet die Stellung«, rief Katie Gardner irgendwo zu meiner Linken.

Das Problem war nur, dass viel zu wenige von uns übrig waren, um irgendetwas zu halten. Der Eingang zum Olymp war keine sieben Meter hinter mir. Ein Ring aus tapferen Halbgöttern, Jägerinnen und Naturgeistern bewachte die Türen. Ich schlug und hackte und zerstörte alles, was mir vor die Nase kam, aber auch ich wurde langsam müde und konnte nicht überall zugleich sein.

Hinter den feindlichen Truppen, einige Blocks weiter nach Osten, leuchtete ein helles Licht auf. Ich hielt es für den Sonnenaufgang, aber dann sah ich, dass Kronos in einem goldenen Wagen auf uns zukam. Ein Dutzend laistrygonischer Riesen schritt mit Fackeln vor ihm her. Zwei Hyperboreer trugen seine schwarz-lila Banner. Der Titanenherrscher sah munter und ausgeruht aus, er befand sich auf dem Höhepunkt seiner Kräfte. Er ließ sich Zeit bei seinem Vormarsch, damit ich mich müde kämpfen konnte.

Neben mir tauchte Annabeth auf. »Wir müssen zurück zur Tür. Und sie um jeden Preis halten.«

Sie hatte Recht. Ich wollte gerade den Rückzug befehlen, als ich das Jagdhorn hörte.

Es durchschnitt den Schlachtenlärm wie ein Feueralarm. Ein Chor von Hörnern antwortete überall um uns herum und hallte von den Häusern in Manhattan wider.

Ich schaute Thalia an, aber die runzelte nur die Stirn.

»Das sind keine Jägerinnen«, versicherte sie mir. »Wir sind alle hier.«

»Wer ist es?«

Die Hörner wurden lauter. Ich wusste wegen des Echos nicht, woher sie genau kamen, aber es klang, als sei eine ganze Armee im Anmarsch.

Ich hatte Angst, es könnten weitere Feinde sein, aber Kronos’ Truppen sahen ebenso verwirrt aus wie wir. Riesen ließen ihre Keulen sinken, Dracaenae zischten. Sogar Kronos’ Ehrengarde sah besorgt aus.

Dann schrien auf unserer Linken hundert Monster wie aus einem Munde auf. Kronos’ gesamte Nordflanke preschte vor. Ich gab uns schon verloren, aber sie griffen gar nicht an. Sie rannten an uns vorbei und stießen mit ihren südlichen Verbündeten zusammen.

Ein neuer Hornstoß zerriss die Nacht. Die Luft schimmerte. Von einer Sekunde zur anderen erschien eine vollständige Kavallerie, wie mit Lichtgeschwindigkeit vorgerückt.

»Yeah, Baby«, schrie eine Stimme. »PARTY!«

Ein Pfeilregen schoss über unsere Köpfe und Hunderte von Dämonen zerfielen zu Staub. Aber es waren keine normalen Pfeile. Sie pfiffen im Vorüberfliegen. Einige waren mit Windrädchen besetzt. Andere hatten Boxhandschuhe anstelle von Pfeilspitzen.

»Zentauren!«, rief Annabeth.

Die Partypony-Armee explodierte in einem Wirbel aus Farben mitten unter uns: Batikhemden, Afroperücken in allen Regenbogenfarben, überdimensionale Sonnenbrillen und Gesichter mit Kriegsbemalung. Einige hatten sich Sprüche auf die Flanken geschrieben, wie ROSSPOWER oder KRONOS GO HOME.

Hunderte von ihnen füllten die Straße. Mein Gehirn konnte nicht alles verarbeiten, was ich da sah, aber ich wusste, wenn ich der Feind wäre, dann würde ich abhauen.

»Percy!«, brüllte Chiron durch das Meer aus wilden Zentauren. Sein Oberkörper steckte in einer Rüstung, er hatte seinen Bogen in der Hand und grinste zufrieden. »Tut mir leid, dass wir so spät kommen!«

»MANN!«, brüllte ein weiterer Zentaur. »Quatscht später. JETZT WERDEN MONSTER GEKLATSCHT!«

Er lud eine doppelläufige Paintball-Pistole und bemalte einen feindlichen Höllenhund knallrosa. Die Farbe war offenbar mit dem Staub von himmlischer Bronze oder etwas Ähnlichem vermischt, denn sowie sie den Höllenhund traf, fiepte das Monster jämmerlich und löste sich zu einer rosa-schwarzen Pfütze auf.

»PARTYPONYS!«, brüllte ein Zentaur. »SÜDFLORIDA!«

Irgendwo auf der anderen Seite des Schlachtfeldes antwortete eine schnarrende Stimme: »ORTSGRUPPE HERZ VON TEXAS!«

»HAWAII MACHT EUCH PLATT«, brüllte ein Dritter.

Ich hatte noch nie etwas so Wunderbares gesehen. Die Titanenarmee machte kehrt und floh, vertrieben von einer Flut aus Paintballs, Pfeilen, Schwertern und Baseballschlägern.

»Stehen bleiben, ihr Idioten«, schrie Kronos. »Bleibt stehen und … argh!«

Er kam nicht weiter, denn ein Hyperboreer war in panischer Angst rückwärtsgestolpert und hatte sich auf Kronos gesetzt. Der Herr der Zeit verschwand unter einem riesigen blauen Hintern.

Wir trieben sie noch einige Blocks weiter, dann brüllte Chiron: »ANHALTEN! Ihr habt’s versprochen, ANHALTEN!«

Das war nicht leicht, aber schließlich wurde der Befehl doch überall unter den Zentauren weitergegeben, und sie traten den Rückzug an und ließen den Feind entkommen.

»Chiron ist clever«, sagte Annabeth und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. »Wenn wir sie verfolgen, werden wir zu sehr ausgedünnt. Wir müssen uns neu zusammenschließen.«

»Aber der Feind …«

»Sie sind noch nicht geschlagen«, meinte sie. »Aber die Dämmerung zieht herauf. Zumindest haben wir Zeit gewonnen.«

Ich zog mich nicht gern zurück, wusste aber, dass sie Recht hatte. Ich sah zu, wie die letzten Telchinen den East River ansteuerten. Widerstrebend drehte ich mich um und lief zum Empire State Building zurück.

Wir grenzten unseren Operationsbereich auf zwei Blocks ein und stellten das Kommandozelt am Empire State Building auf. Chiron erzählte, dass die Partyponys aus fast allen Staaten der USA Abordnungen geschickt hatten. Vierzig aus Kalifornien, zwei aus Rhode Island, dreißig aus Illinois … an die fünfhundert waren seinem Aufruf insgesamt gefolgt, aber auch bei dieser Menge konnten wir nur wenige Blocks verteidigen.

»Meine Fresse«, sagte ein Zentaur namens Larry. Sein T-Shirt identifizierte ihn als GROSSER HÄUPTLING SUPERTYP, ORTSGRUPPE NEW MEXICO. »Das war noch witziger als unser letztes Treffen in Vegas!«

»Auf jeden Fall«, sagte Owen aus South Dakota. Er trug eine schwarze Lederjacke und einen Helm aus dem Zweiten Weltkrieg. »Die haben wir ja wohl plattgemacht.«

Chiron klopfte Owen auf die Schulter. »Das habt ihr gut gemacht, Freunde, aber wir dürfen jetzt nicht übermütig werden. Man sollte Kronos niemals unterschätzen. Warum geht ihr nicht erst mal zum Frühstücken in dieses Lokal an der 33rd Street? Ich habe gehört, dass die Ortsgruppe Delaware dort einen Vorrat an Malzbier gefunden hat.«

»Malzbier!« Sie rannten sich fast gegenseitig über den Haufen, als sie davongaloppierten.

Chiron lächelte. Annabeth umarmte ihn und Mrs O’Leary leckte sein Gesicht.

»Uäääh«, murmelte er. »Das reicht, Töle. Ja, ich freue mich auch, dich zu sehen.«

»Chiron, danke«, sagte ich. »Ihr habt wirklich die Situation gerettet!«

Er zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Zentauren reisen schnell, wie du weißt. Wir können unterwegs den Raum krümmen. Aber dennoch, es war nicht leicht, alle zusammenzubringen. Die Partyponys sind nicht gerade gut organisiert.«

»Wie seid ihr denn durch die magischen Verteidigungslinien um die Stadt gekommen?«, fragte Annabeth.

»Die haben uns ein wenig aufgehalten«, gab Chiron zu. »Aber ich glaube, sie sollten vor allem Sterbliche aussperren. Kronos will nicht, dass schnöde Sterbliche seinen großen Sieg beschmutzen.«

»Dann können vielleicht auch andere Verstärkungstruppen durchkommen«, sagte ich hoffnungsvoll.

Chiron strich sich über den Bart. »Vielleicht, aber wir haben nicht viel Zeit. Sowie Kronos seine Truppen wieder gesammelt hat, wird er erneut angreifen. Ohne das Überraschungselement auf unserer Seite …«

Ich wusste, was er meinte. Kronos war nicht besiegt. Noch längst nicht. Ich hatte gehofft, Kronos sei unter dem Arsch dieses hyperboreischen Riesen zerquetscht worden, aber ich wusste es besser. Er würde zurückkommen, spätestens in der kommenden Nacht.

»Und Typhon?«, fragte ich.

Chirons Gesicht verdunkelte sich. »Die Götter werden müde. Dionysos ist gestern ausgeschaltet worden. Typhon hat seinen Wagen zerschlagen und der Weingott ist irgendwo über den Appalachen abgestürzt. Seither hat ihn niemand gesehen. Auch Hephaistos ist erledigt. Er wurde so hart getroffen, dass er in West Virginia einen neuen See geschaffen hat. Er wird wieder gesund werden, aber nicht schnell genug, um zu helfen. Die anderen kämpfen noch. Sie haben Typhons Vormarsch aufhalten können, aber sie können ihn nicht stoppen. Er wird morgen um diese Zeit in New York eintreffen. Und wenn Typhon und Kronos ihre Truppen erst zusammenschließen …«

»Aber dann haben wir keine Chance«, sagte ich. »Noch einen Tag halten wir nicht durch.«

»Das müssen wir aber«, sagte Thalia. »Ich werde um uns herum ein paar neue Fallen aufstellen.«

Sie sah erschöpft aus. Ihre Jacke war mit Schlamm und Monsterstaub bedeckt, aber irgendwie kam sie auf die Füße und taumelte davon.

»Ich helfe ihr«, entschied Chiron. »Und ich sollte dafür sorgen, dass meine Brüder es mit dem Malzbier nicht übertreiben.«

Ich fand, »übertreiben« fasste das Wesen der Partyponys gut zusammen, aber Chiron trabte davon und Annabeth und ich waren allein.

Sie wischte den Monsterschleim von ihrem Messer. Ich hatte ihr Hunderte von Malen dabei zugesehen, aber ich hatte nie darüber nachgedacht, warum ihr dieses Messer so wichtig war.

»Immerhin geht es deiner Mom gut«, sagte ich vorsichtig.

»Soweit es einem im Kampf gegen Typhon gut gehen kann.« Sie schaute mir in die Augen. »Percy, sogar jetzt, wo die Zentauren da sind, glaube ich langsam …«

»Ich weiß.« Ich hatte das unangenehme Gefühl, dass das hier vielleicht unsere letzte Gelegenheit zum Reden sein könnte, und es kam mir vor, als müsste ich ihr noch eine Million Dinge sagen. »Hör mal, ich hatte da ein paar … ein paar Visionen, die Hestia mir gezeigt hat.«

»Du meinst, von Luke?«

Vielleicht war das einfach geraten, aber ich hatte das Gefühl, dass Annabeth wusste, was ich ihr verschwiegen hatte. Vielleicht hatte ja auch sie Träume gehabt.

»Ja«, sagte ich. »Von dir und Thalia und Luke. Von eurer ersten Begegnung. Und der Begegnung mit Hermes.«

Annabeth schob das Messer zurück in die Scheide. »Luke hat versprochen, dafür zu sorgen, dass mir niemand je wehtut. Er sagte … er sagte, wir würden eine neue Familie sein und die würde besser sein als seine alte.«

Ihre Augen erinnerten mich an die der Siebenjährigen in der Gasse – wütend, verängstigt und voller verzweifelter Sehnsucht nach einem Freund.

»Thalia hat vorhin mit mir gesprochen«, sagte ich. »Sie hat Angst …«

»Dass ich Luke nicht gegenübertreten kann«, sagte Annabeth unglücklich.

Ich nickte. »Aber es gibt noch etwas, das du wissen solltest. Ethan Nakamura glaubt, dass Luke in seinem Körper noch lebt und Kronos vielleicht sogar bekämpft.«

Annabeth versuchte, es zu verbergen, aber ich konnte fast sehen, wie sie in Gedanken die Möglichkeiten durchging und vielleicht neue Hoffnung schöpfte.

»Ich wollte dir das eigentlich nicht sagen«, gab ich zu.

Sie schaute am Empire State Building hoch. »Percy, mein ganzes Leben hatte ich das Gefühl, dass sich alles ändert, dauernd. Ich hatte nie jemanden, auf den ich mich verlassen konnte.«

Ich nickte. Das war etwas, womit die meisten Halbgötter sich identifizieren konnten.

»Ich bin mit sieben weggelaufen«, sagte sie. »Dann glaubte ich, in Luke und Thalia eine Familie gefunden zu haben. Aber die brach fast sofort wieder auseinander. Was ich sagen will, ist … ich finde es schrecklich, wenn ich im Stich gelassen werde, wenn alles immer nur vorübergehend ist. Ich glaube, deshalb möchte ich auch Architektin werden.«

»Um etwas Dauerhaftes zu schaffen«, sagte ich. »Ein Monument, das tausend Jahre überlebt.«

Sie hielt meinem Blick stand. »Ich schätze mal, das klingt wieder nach meiner tödlichen Schwäche.«

Vor Jahren hatte Annabeth mir im Meer der Ungeheuer erzählt, dass ihr größter Fehler die Hybris sei – die Einbildung, alles schaffen zu können. Ich hatte sogar ein wenig von ihrem tiefsten Verlangen gesehen, das ihr durch den Zauber der Sirenen gezeigt worden war. Annabeth hatte sich ihre Eltern zusammen vorgestellt, wie sie vor einem neu aufgebauten und von Annabeth entworfenen Manhattan standen. Luke war auch dort gewesen – auf der Seite der Guten, um sie zu Hause willkommen zu heißen.

»Ich glaube, ich weiß, wie dir zumute ist«, sagte ich. »Aber Thalia hat Recht. Luke hat dich schon so oft verraten. Er war schon vor Kronos schlecht. Ich will nicht, dass er dich noch mal verletzt.«

Annabeth schob die Lippen vor. Ich wusste, sie versuchte, nicht wütend zu werden. »Und du wirst sicher verstehen, dass ich hoffe, du irrst dich vielleicht doch.«

Ich wandte mich ab. Ich hatte das Gefühl, mein Bestes getan zu haben, aber deshalb fühlte ich mich auch nicht besser.

Auf der anderen Seite der Straße hatten die Apollo-Leute ein Feldlazarett eingerichtet, um die Verwundeten zu behandeln – Dutzende von Campern und fast ebenso viele Jägerinnen. Ich sah den Sanitätern bei der Arbeit zu und dachte an unsere geringen Chancen, den Olymp zu halten …

Und plötzlich war ich nicht mehr da.

Ich stand in einer langen dunklen Bar mit schwarzen Wänden, Neonreklame und feiernden Erwachsenen. Ein Banner über dem Tresen verkündete ALLES GUTE ZUM GEBURTSTAG, BOBBY EARL. Countrymusik strömte aus den Lautsprechern. Muskulöse Typen in Jeans und Flanellhemden drängten sich am Tresen. Kellnerinnen trugen Tabletts voller Gläser und riefen einander irgendetwas zu. Es war so ziemlich genau das Lokal, in das meine Mom mich niemals hineinlassen würde.

Ich steckte ganz hinten im Gewühl fest, bei den Toiletten (die nicht sonderlich gut rochen) und einigen uralten Spielautomaten.

»Ah, gut, da bist du ja«, sagte der Mann am Pac-Man-Automaten. »Ich nehme eine Cola light.«

Er war ein dicklicher Typ in einem Hawaiihemd mit Leopardenmuster, lila Shorts, roten Turnschuhen und schwarzen Socken, was schon irgendwie auffällig wirkte. Seine Nase war knallrot. Um seine schwarzen Locken war ein Verband gewickelt, als ob er sich gerade von einer Gehirnerschütterung erholte.

Ich blinzelte. »Mr D?«

Er seufzte, ohne die Augen vom Spiel zu lassen. »Wirklich, Peter Johanson, wie lange wirst du noch brauchen, um mich auf Anhieb wiederzuerkennen?«

»Ungefähr so lange, wie Sie brauchen werden, um sich meinen Namen zu merken«, murmelte ich. »Wo sind wir?«

»Auf Bobby Earls Geburtstagsparty natürlich«, sagte Dionysos. »Irgendwo im wunderschönen ländlichen Amerika.«

»Ich dachte, Typhon hätte Sie vom Himmel gefegt. Angeblich haben Sie eine Bruchlandung hingelegt.«

»Deine Besorgnis ist rührend. Es war tatsächlich eine Bruchlandung. Hat echt wehgetan. Ein Teil von mir ist übrigens noch immer dreißig Meter tief in einem verlassenen Kohlenbergwerk verschüttet. Es wird noch Stunden dauern, bis ich genug Kraft habe, mich erneut zu erheben. So lange ist ein Teil meines Bewusstseins hier.«

»In einer Kneipe am Pac-Man-Automaten.«

»Partytime«, sagte Dionysos. »Das musst du doch wissen. Wann immer es irgendwo eine Party gibt, ist meine Anwesenheit vonnöten. Deshalb kann ich an vielen Orten gleichzeitig sein. Das einzige Problem war, eine Party zu finden. Ich weiß nicht, ob dir klar ist, wie ernst die Lage außerhalb deiner Kuschelidylle in New York ist …«

»Kuschelidylle?«

»Aber glaub mir, die Sterblichen hier im Landesinneren sind vollkommen in Panik. Typhon hat sie fertiggemacht. Nur sehr wenige geben noch Partys. Offenbar sind Bobby Earl und seine Freunde, die Götter mögen ihnen gnädig sein, ein wenig langsam. Sie haben noch nicht kapiert, dass das Ende der Welt näher rückt.«

»Ich … ich bin also gar nicht hier?«

»Nein. Ich werde dich gleich in dein normales belangloses Leben zurückschicken und es wird so sein, als wäre nichts passiert.«

»Aber warum haben Sie mich hergeholt?«

Dionysos schnaubte. »Ach, ich wollte eigentlich nicht dich im Besonderen. Ich wollte einfach irgendwen von euch blöden Heroen. Diese Annie …«

»Annabeth.«

»Es geht um Folgendes«, sagte er. »Ich habe dich auf diese Party geholt, um eine Warnung zu überbringen. Wir schweben in Gefahr.«

»Ach wirklich«, sagte ich. »Auf die Idee wäre ich nun echt nicht gekommen. Danke.«

Er funkelte mich an und vergaß für einen Moment sein Spiel. Pac-Man wurde von dem roten Gespenstertypen gefressen.

»Erre es korakas, Blinky!«, fluchte Dionysos. »Ich hol mir deine Seele!«

»Äh, das ist ein Typ aus einem Videospiel«, sagte ich.

»Das ist keine Entschuldigung. Und du ruinierst mir das Spiel, Jorgenson.«

»Jackson.«

»Egal! Und jetzt hör zu. Die Lage ist ernster, als du dir vorstellen kannst. Wenn der Olymp fällt, werden nicht nur die Götter verschwinden, sondern alles, was mit unserem Erbe zusammenhängt, wird ebenfalls untergehen. Das ganze Gewebe, das eurer albernen kleinen Zivilisation zugrunde liegt …«

Der Spielautomat klimperte ein Lied und Mr D rückte auf Level 254 vor.

»Ha!«, rief er. »Nehmt euch in Acht, ihr gepixelten Schurken!«

»Äh, das Gewebe der Zivilisation«, erinnerte ich ihn.

»Jaja. Eure gesamte Gesellschaft wird zerfallen. Vielleicht nicht sofort, aber du kannst mir glauben, das Chaos der Titanen wird den Untergang des Abendlandes einläuten. Kunst, Gesetze, Weinproben, Musik, Videospiele, Seidenhemden, Samtmalerei – alles, was das Leben lebenswert macht, wird verschwinden!«

»Und warum kommen die Götter uns dann nicht zu Hilfe?«, fragte ich. »Wir sollten uns am Olymp zusammenschließen. Vergesst Typhon.«

Er schnippte ungeduldig mit den Fingern. »Du hast meine Cola light vergessen.«

»Bei den Göttern, Sie können nerven.« Ich winkte der Kellnerin und bat um seine blöde Cola. Ich ließ sie auf Bobby Earls Rechnung setzen.

Mr D trank einen großen Schluck. Seine Augen klebten weiterhin an seinem Videospiel. »Die Wahrheit ist, Pierre …«

»Percy.«

»… die anderen Götter würden das niemals zugeben, aber wir brauchen euch Sterbliche, um den Olymp zu retten. Verstehst du, wir sind Manifestationen eurer Kultur. Wenn wir euch nicht wichtig genug sind, um den Olymp selbst zu retten …«

»Das ist wie mit Pan«, sagte ich. »Der davon abhängig ist, dass die Satyrn die Wildnis retten.«

»Ja, genau. Ich werde natürlich abstreiten, das jemals gesagt zu haben, aber die Götter brauchen die Heroen. Das war immer schon so. Sonst würden wir euch nervige kleine Gören doch gar nicht in unserer Nähe dulden.«

»Ich fühle mich so willkommen. Danke.«

»Nutze das Training, das du im Camp von mir bekommen hast.«

»Was denn für ein Training?«

»Du weißt schon. Dieser ganze Heldenkram und … Nein!« Mr D schlug auf die Spielkonsole. »Na pari i eychi! Das letzte Level!«

Er sah mich an und lila Feuer loderte in seinen Augen. »Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, habe ich einmal geweissagt, dass du dich als ebenso selbstsüchtig erweisen würdest wie alle anderen menschlichen Heroen auch. Jetzt hast du die Chance, mich Lügen zu strafen.«

»Ja, Sie stolz zu machen, steht wirklich ganz hoch oben auf meiner Liste.«

»Du musst den Olymp retten, Pedro! Überlass Typhon den Olympiern und rette unser Machtzentrum. Es muss sein!«

»Klar. War schön, mit Ihnen zu plaudern. Aber wenn es Ihnen nichts ausmacht, meine Freunde fragen sich sicher schon …«

»Das ist noch nicht alles«, sagte Mr D warnend. »Kronos hat seine volle Kraft noch nicht wiedererlangt. Der Körper dieses Sterblichen war nur eine vorübergehende Maßnahme.«

»Das haben wir uns auch schon gedacht.«

»Und habt ihr euch auch schon gedacht, dass Kronos innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden diesen sterblichen Körper verbrennen und die wahre Gestalt eines Titanenherrschers annehmen wird?«

»Und das würde bedeuten …«

Dionysos warf eine weitere Münze in den Automaten. »Du weißt doch, wie es sich mit der wahren Gestalt der Götter verhält.«

»Klar. Man kann sie nicht ansehen, ohne zu verbrennen.«

»Kronos wäre dann zehnmal so mächtig wie jetzt. Seine pure Anwesenheit würde dich zu Asche zerfallen lassen. Und sobald er so weit ist, wird er auch den anderen Titanen Macht verleihen. Sie sind jetzt noch schwach im Vergleich dazu, was passiert, wenn ihr sie nicht stoppen könnt. Die Welt wird vergehen, die Götter werden sterben und ich werde an diesem blöden Automaten nie auf ein richtig gutes Ergebnis kommen.«

Wahrscheinlich hätte ich entsetzt sein sollen, aber ehrlich, größer konnte meine Angst eigentlich gar nicht werden.

»Kann ich jetzt gehen?«, fragte ich.

»Eins noch. Mein Sohn Pollux – lebt er noch?«

Ich blinzelte. »Ja, als ich ihn zuletzt gesehen habe, schon.«

»Ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn du dafür sorgen könntest, dass das so bleibt. Ich habe im vergangenen Jahr schon seinen Bruder Castor verloren …«

»Das weiß ich noch.« Ich starrte ihn an und versuchte, mir vorzustellen, dass Dionysos ein liebender Vater sein könnte. Ich fragte mich, wie viele andere Olympier jetzt gerade an ihre Halbgottkinder dachten. »Ich werde mein Bestes tun.«

»Dein Bestes«, murmelte Dionysos. »Na, wenn das kein Trost ist. Geh jetzt. Dir stehen einige böse Überraschungen bevor und ich muss Blinky schlagen!«

»Böse Überraschungen?«

Er machte eine Handbewegung und die Kneipe war verschwunden.

Ich war wieder in der Fifth Avenue. Annabeth hatte sich nicht bewegt. Sie wirkte auch nicht so, als ob sie sich über meine Abwesenheit wunderte oder so.

Sie merkte, dass ich sie anstarrte, und runzelte die Stirn. »Was ist los?«

»Äh … nichts, glaube ich.«

Ich sah mich auf der Straße um und fragte mich, was Mr D wohl mit der bösen Überraschung gemeint haben könnte. Wie viel schlimmer könnte es denn noch werden? Mein Blick blieb an einem ramponierten blauen Auto hängen. Die Motorhaube war übel verbeult, als ob jemand versucht hätte, mit einem Hammer tiefe Krater hineinzuschlagen. Meine Haut prickelte. Warum kam dieser Wagen mir so bekannt vor? Dann ging mir auf, dass es ein Prius war.

Pauls Prius!

Ich jagte die Straße entlang.

»Percy!«, rief Annabeth. »Wo willst du hin?«

Paul saß bewusstlos auf dem Fahrersitz. Meine Mom schnarchte neben ihm. Mein Gehirn kam mir vor wie Brei. Wieso sah ich sie erst jetzt? Sie saßen hier seit über einem Tag im Verkehr fest, um sie herum tobte die Schlacht, und ich hatte sie nicht einmal bemerkt.

»Sie … sie haben sicher dieses blaue Licht am Himmel gesehen.« Ich rüttelte an den Türen, aber die waren verschlossen. »Ich muss sie rausholen.«

»Percy«, sagte Annabeth sanft.

»Ich kann sie nicht hier sitzen lassen!« Ich hörte mich leicht wahnsinnig an. Ich hämmerte auf die Windschutzscheibe. »Ich muss sie rausholen. Ich muss …«

»Percy, warte … warte doch einen Moment.« Annabeth winkte Chiron zu, der eine Ecke weiter mit anderen Zentauren redete. »Wir können den Wagen in eine Seitenstraße schieben, okay? Es passiert ihnen schon nichts.«

Meine Hände zitterten. Nach allem, was ich in den vergangenen Tagen durchgemacht hatte, kam es mir schwach und dumm vor, aber beim Anblick meiner Eltern wäre ich fast zusammengebrochen.

Chiron kam angaloppiert. »Was ist … Ach je. Ich verstehe.«

»Sie haben mich gesucht«, sagte ich. »Meine Mom muss gespürt haben, dass etwas nicht stimmte.«

»Wahrscheinlich«, sagte Chiron. »Aber Percy, es passiert ihnen schon nichts. Und das Beste, was wir für sie tun können, ist, uns auf unsere Aufgabe zu konzentrieren.«

Dann sah ich auf der Rückbank des Prius etwas und mein Herz setzte einen Schlag aus. Hinter meiner Mutter stand, mit einem Sicherheitsgurt befestigt, ein schwarz-weißer griechischer Krug, der fast einen Meter hoch war. Sein Deckel war mit einem Lederriemen gesichert. »Das kann nicht sein«, murmelte ich.

Annabeth presste ihre Hand ans Fenster. »Das ist unmöglich. Den hattest du doch im Plaza gelassen.«

»In einen Safe eingeschlossen«, sagte ich zustimmend.

Chiron entdeckte das Gefäß und machte große Augen. »Das ist doch nicht …«

»Der Krug der Pandora.« Ich erzählte ihm von meinem Gespräch mit Prometheus.

»Dann gehört der Krug dir«, sagte Chiron düster. »Er wird dich verfolgen und alles tun, damit du ihn öffnest, egal, wo du ihn stehen lässt. Er wird immer dann auftauchen, wenn du gerade besonders schwach bist.«

So wie jetzt, dachte ich. Während ich meine hilflosen Eltern ansah.

Ich erinnerte mich, wie Prometheus gelächelt hatte, weil er uns armen Sterblichen doch so gern helfen wollte. Gib die Hoffnung auf, und ich weiß, dass du dich ergibst. Ich verspreche, Kronos wird gnädig sein.

Wut wallte in mir auf. Ich zog Springflut und durchbohrte das Fenster auf der Fahrerseite wie Plastikfolie.

»Wir nehmen den Gang raus«, sagte ich. »Dann schieben wir sie aus der Gefahrenzone. Und schaffen diesen blöden Krug zum Olymp.«

Chiron nickte. »Ein guter Plan. Aber Percy …«

Was immer er sagen wollte – er kam nicht mehr dazu. Ein mechanischer Trommelwirbel wurde in der Ferne immer lauter – das Schrappschrappschrapp eines Hubschraubers.

An einem normalen Montagmorgen in New York wäre das kein Grund zur Aufregung gewesen, aber nach zwei Tagen des Schweigens schien mir ein sterblicher Hubschrauber das Seltsamste, was ich je gehört hatte. Ein paar Ecken weiter brüllte und johlte die Monsterarmee, als der Hubschrauber in Sichtweite kam. Es war ein dunkelrotes ziviles Modell, und auf die Seite war ein hellgrünes Logo gemalt: DE. Die Wörter unter dem Logo waren zu klein, um noch lesbar zu sein, aber ich wusste, was dort stand: DARE ENTERPRISES.

Ich spürte einen Kloß im Hals. Ich schaute zu Annabeth hinüber und konnte ihr ansehen, dass auch sie das Logo erkannt hatte. Ihr Gesicht war so rot wie der Hubschrauber.

»Was will die denn hier?«, fragte Annabeth. »Wie ist sie durch die Sperre gekommen?«

»Wer?« Chiron sah verwirrt aus. »Welche Sterbliche wäre denn töricht genug …?«

Plötzlich kippte der Hubschrauber nach vorn.

»Der Morpheuszauber!«, sagte Chiron. »Der idiotische sterbliche Pilot ist eingeschlafen.«

Ich sah voller Entsetzen zu, wie der Hubschrauber zur Seite abdrehte und auf eine Reihe von Bürobauten zuhielt. Selbst wenn er nicht hineinraste, würden die Götter der Luft ihn vermutlich plattmachen, weil er dem Empire State Building zu nahe gekommen war.

Ich war wie gelähmt, aber Annabeth stieß einen Pfiff aus und Guido der Pegasus kam aus dem Nirgendwo herbeigefegt.

Hier wird ein stattlicher Hengst gewünscht?, fragte er.

»Los, Percy«, knurrte Annabeth. »Wir müssen deine Freundin retten.«


Ein Dieb kommt uns zu Hilfe

Folgendes ist meine Definition von »gar nicht lustig«: mit einem Pegasus auf einen führerlosen Hubschrauber zufliegen. Wenn Guido nicht so ein genialer Flieger gewesen wäre, wären wir zu Konfetti zerhackt worden. Ich hörte Rachel schreien. Aus irgendeinem Grund war sie nicht eingeschlafen, aber ich konnte den Piloten über seinen Geräten hängen sehen, er wurde hin und her geworfen, als der Hubschrauber auf einen Büroblock zuschaukelte.

»Vorschlag?«, fragte ich Annabeth.

»Ihr nehmt Guido und haut ab«, sagte sie.

»Und was hast du vor?«

Als Antwort sagte sie »Hü!« und Guido setzte zum Sturzflug an.

»Runter!«, schrie Annabeth.

Wir streiften fast die Rotoren und ich spürte, wie sie an meine Haaren rissen. Als wir an der Seite des Hubschraubers vorbeijagten, packte Annabeth die Tür.

Und dann ging alles schief.

Guido knallte mit dem Flügel gegen den Hubschrauber. Er sackte ab, mit mir auf dem Rücken, während Annabeth am Hubschrauber baumelte.

Ich hatte solche Angst, dass ich kaum denken konnte, aber als Guido sich um sich selbst drehte, sah ich, wie Rachel Annabeth in den Hubschrauber zog.

»Hoch mit dir«, schrie ich Guido an.

Mein Flügel, stöhnte er. Er ist gebrochen.

»Du kannst es schaffen!« Verzweifelt versuchte ich mich zu erinnern, was Silena uns im Pegasusreitunterricht beigebracht hatte. »Entspann ihn einfach. Breite die Flügel aus und gleite.«

Wir fielen wie ein Stein – voll auf das Straßenpflaster hundert Meter unter uns zu. Im letzten Moment breitete Guido die Flügel aus. Ich sah die Gesichter mehrerer Zentauren, die uns anstarrten. Dann stoppte Guido unseren Sturz, segelte etwa fünfzehn Meter und ließ sich auf das Pflaster fallen, Pegasus über Halbgott.

Au!, stöhnte Guido. Meine Beine. Mein Kopf. Meine Flügel.

Chiron galoppierte mit einem Arztkoffer heran und machte sich an dem Pegasus zu schaffen.

Ich kam auf die Füße. Als ich hochschaute, kroch mein Herz in meine Kehle. Der Hubschrauber würde in wenigen Sekunden mit dem Gebäude zusammenstoßen.

Doch dann richtete er sich auf wundersame Weise auf. Er drehte ab und schwebte einen Moment auf der Stelle. Dann begann er langsam den Sinkflug.

Es schien ewig zu dauern, aber endlich setzte er mitten auf der Fifth Avenue auf den Boden auf. Ich schaute durch die Windschutzscheibe und konnte meinen Augen nicht trauen. Annabeth saß am Steuer.

Als die Rotoren zum Stillstand kamen, stürzte ich los. Rachel öffnete die Seitentür und zog den Piloten heraus.

Sie war noch immer so gekleidet wie am Strand, mit Shorts, T-Shirt und Sandalen. Ihre Haare waren verfilzt und ihr Gesicht war nach dem Flug im Hubschrauber ganz grün.

Annabeth stieg ebenfalls aus.

Ich starrte sie voller Bewunderung an. »Ich wusste gar nicht, dass du einen Hubschrauber fliegen kannst.«

»Ich auch nicht«, sagte sie. »Aber mein Dad ist verrückt nach dem Fliegen. Und Dädalus hat einige Notizen über Flugmaschinen gemacht. Ich habe einfach versucht, zu erraten, wie das alles funktioniert.«

»Du hast mir das Leben gerettet«, sagte Rachel.

Annabeth bewegte ihre verletzte Schulter. »Na ja … wir wollen da keine Gewohnheit draus machen. Was willst du eigentlich hier, Dare? Bist du wirklich so blöd, in ein Kriegsgebiet zu fliegen?«

»Ich …« Rachel sah mich an. »Ich musste einfach kommen. Ich wusste, dass Percy in Schwierigkeiten ist.«

»Toll erkannt«, knurrte Annabeth. »Na, wenn ihr mich jetzt entschuldigt, ich muss mich um meine verletzten Freunde kümmern. Nett, dass du vorbeischauen konntest, Rachel.«

»Annabeth!«, rief ich.

Sie stürzte davon.

Rachel ließ sich auf den Bordstein fallen und schlug die Hände vors Gesicht. »Tut mir leid, Percy. Ich wollte nicht … immer richte ich so ein Chaos an.«

Da konnte ich ihr nicht widersprechen, aber ich war froh, dass ihr nichts passiert war. Ich schaute in die Richtung, in die Annabeth gerannt war, aber sie war in der Menge verschwunden. Ich konnte nicht fassen, was sie eben getan hatte – sie hatte Rachel das Leben gerettet, hatte einen Hubschrauber gelandet und war weggegangen, als sei das alles nicht der Rede wert.

»Ist schon gut«, sagte ich zu Rachel, obwohl es nicht überzeugend klang. »Was sollst du mir denn nun ausrichten?«

Sie runzelte die Stirn. »Woher weißt du das?«

»Ein Traum.«

Rachel sah nicht überrascht aus. Sie zupfte an ihren Shorts. Die waren von Zeichnungen bedeckt, was bei ihr nicht ungewöhnlich war, aber diese Symbole erkannte ich: griechische Buchstaben, Bilder von Perlen der Camp-Halsbänder, Skizzen von Monstern und Göttergesichtern. Ich begriff nicht, woher Rachel das alles hatte. Sie war nie auf dem Olymp oder im Camp Half-Blood gewesen.

»Ich habe auch Dinge gesehen«, murmelte sie. »Ich meine, nicht nur durch den Nebel. Das hier ist was anderes. Ich habe Bilder gemalt, Sätze geschrieben …«

»Auf Altgriechisch«, sagte ich. »Weißt du, was sie bedeuten?«

»Darüber wollte ich ja mit dir sprechen. Ich hatte gehofft … na ja, ich hatte gehofft, du würdest mit uns in den Urlaub fahren und mir helfen, zu begreifen, was mit mir los ist.«

Sie sah mich bittend an. Ihr Gesicht war von der Sonne verbrannt und ihre Nase pellte sich. Ich kam nicht über den Schock hinweg, sie hier vor mir zu sehen. Sie hatte ihre Familie gezwungen, ihren Urlaub abzubrechen, hatte sich bereit erklärt, eine schreckliche Schule zu besuchen und war dann mit einem Hubschrauber mitten in eine Schlacht von Monstern geflogen, nur um mich zu sprechen. Auf ihre Weise war sie ebenso tapfer wie Annabeth.

Aber diese Visionen machten mich fertig. Vielleicht passierte das ja allen Sterblichen, die durch den Nebel schauen konnten. Aber meine Mom hatte so etwas nie erwähnt, und ich musste immer wieder daran denken, was Hestia über Lukes Mom gesagt hatte: May Castellan ist zu weit gegangen. Sie sah zu viel.

»Rachel«, sagte ich. »Ich wünschte, ich wüsste es. Vielleicht sollten wir Chiron fragen.«

Sie zuckte zusammen wie bei einem Elektroschock. »Percy, irgendwas wird passieren. Eine List, die mit dem Tod endet.«

»Wie meinst du das? Wessen Tod?«

»Ich weiß nicht.« Sie sah sich besorgt um. »Spürst du das nicht?«

»Solltest du mir das ausrichten?«

»Nein.« Sie zögerte. »Tut mir leid. Ich rede Unsinn, aber dieser Gedanke ist mir eben gerade erst gekommen. Das, was ich am Strand geschrieben habe, war etwas anderes. Dein Name kam darin vor.«

»Perseus«, erinnerte ich mich. »Auf Altgriechisch.« Rachel nickte. »Ich weiß nicht, was das bedeutet. Aber ich weiß, dass es wichtig ist. Du musst es hören. Dort stand: Perseus, du bist nicht der Heros.«

Ich starrte sie an, als hätte sie mich geschlagen. »Du bist Tausende von Kilometern gereist, um mir zu sagen, dass ich nicht der Heros bin?«

»Das ist wichtig«, sagte sie. »Es wird deine Taten beeinflussen.«

»Nicht der Heros aus der Weissagung?«, fragte ich. »Nicht der Heros, der Kronos besiegt? Was meinst du damit?«

»Ich … tut mir leid, Percy. Mehr weiß ich nicht. Ich musste es dir sagen, weil …«

»Wie schön!« Chiron kam angetrabt. »Das muss Miss Dare sein.«

Ich hätte ihn gern angeschrien, er solle verschwinden, aber das ging natürlich nicht. Ich musste meine Gefühle unter Kontrolle bringen. Ich hatte das Gefühl, dass mich wieder ein persönlicher Hurrikan umwirbelte.

»Chiron, Rachel Dare«, sagte ich. »Rachel, das ist mein Lehrer Chiron.«

»Hallo«, sagte Rachel düster. Es schien sie überhaupt nicht zu überraschen, dass Chiron ein Zentaur war.

»Sie schlafen nicht, Miss Dare«, sagte er. »Aber Sie sind doch sterblich?«

»Ich bin sterblich«, stimmte sie zu, als sei das eine deprimierende Vorstellung. »Der Pilot ist eingeschlafen, sowie wir den Fluss hinter uns gebracht hatten. Ich weiß nicht, warum ich wach geblieben bin. Ich wusste nur, dass ich herkommen musste, um Percy zu warnen.«

»Um Percy zu warnen?«

»Sie hatte Visionen«, sagte ich. »Sie hat Dinge aufgeschrieben und Zeichnungen gemacht.«

Chiron hob eine Augenbraue. »Ach ja? Erzählen Sie.«

Sie sagte ihm, was sie auch mir schon erzählt hatte.

Chiron strich sich den Bart. »Miss Dare … Vielleicht sollten wir miteinander reden.«

»Chiron«, platzte es aus mir heraus. Ich sah plötzlich ein entsetzliches Bild vom Camp Half-Bood um 1990 vor mir, und May Castellans Schrei erklang vom Dachboden. »Sie … Sie werden Rachel doch helfen? Ich meine, Sie werden ihr doch klarmachen, dass sie ganz vorsichtig sein muss? Sie darf nicht zu weit gehen.«

Sein Schwanz schlug hin und her wie immer, wenn er sich Sorgen machte. »Ja, Percy. Ich werde mir alle Mühe geben, zu begreifen, was hier vor sich geht, und Miss Dare zu beraten, aber das kann dauern. So lange solltest du dich ausruhen. Wir haben deine Eltern mit ihrem Wagen in Sicherheit gebracht, und unsere Feinde bewegen sich im Moment offenbar nicht. Wir haben im Empire State Building Feldbetten aufgestellt. Also schlaf ein wenig.«

»Alle sagen, ich soll schlafen«, meinte ich. »Ich brauche keinen Schlaf.«

Chiron rang sich ein Lächeln ab. »Hast du in letzter Zeit mal in den Spiegel geschaut, Percy?« Ich blickte meine Kleider an, die versengt, verkohlt, zerfetzt und zerrissen waren nach meiner Nacht voller Kämpfe. »Ich sehe aus wie der Tod«, gab ich zu. »Aber meinen Sie, ich kann schlafen nach allem, was gerade passiert ist?«

»In der Schlacht bist du vielleicht unverwundbar«, sagte Chiron tadelnd, »aber dein Körper ermüdet dadurch auch schneller. Ich weiß das noch von Achilles. Wann immer der Junge nicht kämpfte, schlief er. Er hat jeden Tag mindestens zwanzig Nickerchen gemacht. Du brauchst deine Ruhe, Percy. Du bist vielleicht unsere einzige Hoffnung.«

Ich wollte einwenden, dass ich durchaus nicht ihre einzige Hoffnung war. Und wenn Rachel Recht hatte, war ich nicht einmal der Heros. Aber Chirons Blick machte deutlich, dass er kein Nein akzeptieren würde.

»Alles klar«, knurrte ich. »Dann redet mal schön.«

Ich trottete auf das Empire State Building zu. Als ich mich umschaute, waren Rachel und Chiron in ein ernstes Gespräch vertieft, als ob sie eine Beerdigung planten.

Im Foyer fand ich ein leeres Bett und ließ mich hineinfallen, überzeugt, dass ich nie im Leben schlafen würde. Gleich darauf fielen mir die Augen zu.

In meinem Traum befand ich mich wieder im Garten des Hades. Der Herr der Toten rannte hin und her und hielt sich die Ohren zu, während Nico hinter ihm herlief und mit den Händen fuchtelte.

»Du musst!«, forderte Nico.

Hinter den beiden am Frühstückstisch saßen Demeter und Persephone. Beide Göttinnen wirkten gelangweilt. Demeter schüttete Getreideflocken in vier große Schalen. Persephone veränderte durch Zauberkraft das Blumenarrangement auf dem Tisch und ließ die roten Blüten zuerst gelb und dann bunt getupft werden.

»Ich muss gar nichts!« Hades’ Augen loderten. »Ich bin ein Gott!«

»Vater«, sagte Nico. »Wenn der Olymp fällt, dann spielt die Sicherheit deines Palasts keine Rolle mehr. Auch du wirst dann verschwinden.«

»Ich bin kein Olympier«, knurrte Hades. »Meine Familie hat das sehr deutlich gemacht.«

»Bist du wohl«, sagte Nico. »Ob dir das nun passt oder nicht.«

»Du hast doch gesehen, was sie deiner Mutter angetan haben«, sagte Hades. »Zeus hat sie umgebracht. Und ich soll denen helfen? Die haben doch nichts Besseres verdient!«

Persephone seufzte. Sie ließ die Finger über den Tisch wandern und verwandelte zerstreut das Besteck in Rosen. »Könnten wir bitte nicht über diese Frau sprechen?«

»Weißt du, was diesem Knaben helfen würde?«, fragte Demeter nachdenklich. »Ein Aufenthalt auf einem Bauernhof.«

Persephone verdrehte die Augen. »Mutter …«

»Sechs Monate hinter dem Pflug. Sehr gut für die charakterliche Entwicklung.«

Nico trat vor seinen Vater und zwang Hades, ihm ins Gesicht zu blicken. »Meine Mutter wusste, wie wichtig Familie ist. Deshalb wollte sie uns nicht verlassen. Du kannst deine Verwandten nicht einfach im Stich lassen, bloß weil sie etwas Schreckliches getan haben. Du hast ihnen auch schreckliche Dinge angetan.«

»Maria ist tot!«, erinnerte Hades ihn.

»Du kannst dich nicht einfach von den anderen Göttern lossagen!«

»Das habe ich schon vor Tausenden von Jahren getan.«

»Und geht es dir deshalb besser?«, fragte Nico. »Hat es dir geholfen, dass du das Orakel verflucht hast? Groll zu hegen, ist ein großer Fehler. Bianca hat mich davor gewarnt, und sie hatte Recht.«

»Das gilt für Halbgötter! Ich bin unsterblich, allmächtig! Ich würde den anderen Göttern nicht einmal helfen, wenn sie mich anflehten, wenn Percy Jackson mich anflehte …«

»Du bist ebenso ein Ausgestoßener wie ich!«, schrie Nico. »Hör auf, deshalb sauer zu sein, und mach dich ein einziges Mal nützlich. Nur dann werden sie dich respektieren!«

Hades’ Handfläche füllte sich mit schwarzem Feuer.

»Mach schon!«, sagte Nico. »Lass mich in Rauch aufgehen. Das erwarten die anderen Götter doch ohnehin von dir. Zeig ihnen, dass sie Recht haben.«

»Ja, bitte«, sagte Demeter klagend. »Mach, dass er den Mund hält.«

Persephone seufzte. »Ach, ich weiß nicht. Ich würde lieber in diesem Krieg kämpfen, als noch eine Schale Müsli zu essen. Das ist langweilig.«

Hades brüllte vor Wut auf. Sein Feuerball traf einen silbernen Baum gleich neben Nico und ließ ihn zu einer Pfütze aus flüssigem Metall zerschmelzen.

Und mein Traum änderte sich.

Ich stand vor dem Gebäude der Vereinten Nationen, etwa anderthalb Kilometer nordöstlich des Empire State Building. Die Titanenarmee hatte ihr Lager um den UN-Komplex aufgeschlagen. An ihren Fahnenstangen hingen entsetzliche Trophäen – Helme und Rüstungsteile der geschlagenen Camper. Überall auf der First Avenue wetzten Riesen ihre Äxte. Telchinen reparierten in behelfsmäßigen Schmieden ihre Rüstungen.

Kronos selbst schritt am anderen Ende der Plaza hin und her und schwenkte so ausladend seine Sense, dass seine Dracaenae-Wache ein Stück hinter ihm blieb. Ethan Nakamura und Prometheus standen in der Nähe, aber außer Reichweite. Ethan machte sich an seinen Schildriemen zu schaffen, Prometheus dagegen sah in seinem Smoking so ruhig und gelassen aus wie immer.

»Ich hasse diese Gegend«, knurrte Kronos. »Die Vereinten Nationen. Als ob die Menschheit sich je vereinen könnte. Erinnert mich daran, dass ich dieses Gebäude abreißen lasse, sowie wir den Olymp zerstört haben.«

»Ja, Majestät.« Prometheus lächelte, als ob er sich über den Zorn seines Herrn amüsierte. »Sollen wir auch die Ställe im Central Park einreißen? Ich weiß doch, wie sehr Ihr Euch über Pferde ärgern könnt.«

»Mach dich nicht lustig über mich, Prometheus. Diese verdammten Zentauren werden noch bereuen, dass sie sich eingemischt haben. Ich werde sie an Höllenhunde verfüttern, und ich fange mit meinem Sohn an – diesem Schwächling Chiron.«

Prometheus zuckte mit den Schultern. »Dieser Schwächling hat mit seinen Pfeilen eine ganze Legion Telchinen vernichtet.«

Kronos schwenkte seine Sense und fällte damit eine Fahnenstange. Die brasilianische Flagge fiel auf die Armee und zerfetzte eine Dracaena.

»Wir werden sie vernichten«, brüllte Kronos. »Es ist Zeit, den Drakon loszulassen. Nakamura, das übernimmst du.«

»J-ja, Majestät. Bei Sonnenuntergang?«

»Nein«, sagte Kronos. »Sofort. Die Verteidiger des Olymps sind böse verwundet. Sie rechnen nicht mit einem baldigen Angriff. Und wir wissen, dass sie diesen Drakon nicht besiegen können.«

Ethan wirkte verwirrt. »Majestät?«

»Schon gut, Nakamura. Tu einfach, was ich dir sage. Wenn Typhon New York erreicht, will ich den Olymp in Trümmern liegen sehen. Wir werden die Götter endgültig vernichten!«

»Aber Majestät«, sagte Ethan. »Euer Regenerationsprozess.«

Kronos richtete den Zeigefinger auf Ethan und der Halbgott erstarrte.

»Hast du den Eindruck«, zischte Kronos, »dass ich Regeneration brauche?«

Ethan gab keine Antwort. Was auch nicht so ganz einfach ist, wenn man in der Zeit feststeckt.

Kronos schnippte mit den Fingern und Ethan brach zusammen.

»Bald«, knurrte der Titan, »wird diese Gestalt unnötig sein. Ich werde mich so kurz vor dem Sieg nicht mehr ausruhen. Und jetzt los mit dir!«

Ethan rannte davon.

»Das ist gefährlich, Majestät«, warnte Prometheus. »Ihr solltet nichts übereilen.«

»Übereilen? Nachdem ich dreitausend Jahre in den Tiefen des Tartarus geschmachtet habe, nennst du das übereilen? Ich werde Percy Jackson in tausend Stücke zerhacken.«

»Dreimal seid Ihr gegen ihn angetreten«, sagte Prometheus. »Dabei habt Ihr immer behauptet, es sei unter der Würde eines Titanen, gegen einen schnöden Sterblichen zu kämpfen. Ich frage mich, ob Euer sterblicher Wirt Euch beeinflusst und Eure Urteilskraft schwächt.«

Kronos richtete seine goldenen Augen auf den anderen Titanen. »Willst du mich als schwach bezeichnen?«

»Nein, Majestät. Ich wollte nur …«

»Ist deine Loyalität vielleicht geteilt?«, fragte Kronos. »Vielleicht hast du Sehnsucht nach deinen alten Freunden, den Göttern? Würdest du dich ihnen gern anschließen?«

Prometheus erbleichte. »Ich habe unbedacht gesprochen, Majestät. Eure Befehle werden sofort ausgeführt.« Er drehte sich zu den Armeen um und brüllte: »MACHT EUCH BEREIT ZUR SCHLACHT!«

Nun kam Bewegung in die Kämpfer.

Irgendwo hinter dem UN-Komplex ließ ein wütendes Gebrüll die Stadt erbeben – der Schrei eines erwachenden Drachen. Der Lärm war so entsetzlich, dass er mich aufweckte, und mir wurde klar, dass ich ihn über einen Kilometer weit hören konnte.

Grover trat neben mich und machte ein nervöses Gesicht. »Was war das?«

»Sie kommen«, antwortete ich. »Jetzt haben wir ein Problem.«

Der Hephaistos-Hütte war das griechische Feuer ausgegangen. Die Apollo-Hütte und die Jägerinnen hatten fast keine Pfeile mehr. Die meisten von uns hatten schon so viel Nektar und Ambrosia konsumiert, dass wir nicht wagten, noch mehr zu nehmen.

Es waren nur noch sechzehn Leute aus dem Camp überhaupt kampfbereit, fünfzehn Jägerinnen und ein halbes Dutzend Satyrn. Der Rest hatte sich auf den Olymp geflüchtet. Die Partyponys versuchten, ihre Reihen zu schließen, aber sie taumelten und kicherten und stanken allesamt nach Malzbier. Die Texaner stießen mit denen aus Colorado zusammen. Die Gruppe aus Missouri stritt mit Illinois. Die Gefahr, dass sie am Ende alle gegeneinander antreten würden statt gegen den Feind, war ziemlich groß.

Chiron kam mit Rachel auf dem Rücken angetrabt. Ich war für einen Moment eifersüchtig, weil Chiron nur ganz selten irgendwen auf sich reiten ließ und Sterbliche schon gar nicht.

»Deine Freundin hier verfügt über einige brauchbare Erkenntnisse, Percy«, sagte er.

Rachel errötete. »Nur ein paar Dinge, die ich vor meinem inneren Auge gesehen habe.«

»Einen Drakon«, sagte Chiron. »Einen lydischen Drakon, um genau zu sein. Die älteste und gefährlichste Art.«

Ich starrte sie an. »Woher weißt du das?«

»Da bin ich nicht sicher«, gab Rachel zu. »Aber dieser Drakon hat ein besonderes Schicksal. Er wird von einem Kind des Ares getötet werden.«

Annabeth schlug die Arme übereinander. »Woher willst du das denn wissen?«

»Ich habe es eben gesehen. Ich kann es nicht erklären.«

»Na, hoffen wir, dass du dich irrst«, sagte ich. »Uns sind die Kinder des Ares nämlich gerade ausgegangen …« Mir kam ein entsetzlicher Gedanke und ich stieß auf Altgriechisch einen Fluch aus.

»Was ist los?«, fragte Annabeth.

»Der Spion«, sagte ich zu ihr. »Kronos hat gesagt, wir wissen, dass sie diesen Drakon nicht besiegen können. Der Spion hält ihn auf dem Laufenden, Kronos weiß, dass die Ares-Hütte nicht bei uns ist. Also hat er sich ein Monster ausgesucht, das wir nicht töten können.«

Thalia runzelte die Stirn. »Wenn mir dein Spion je über den Weg läuft, dann wird ihm das sehr leidtun. Vielleicht könnten wir noch einen Boten ins Camp schicken …«

»Das habe ich schon«, sagte Chiron. »Blackjack ist unterwegs. Aber wenn nicht mal Silena Clarisse überreden konnte, dann wird Blackjack wohl kaum …«

Ein Gebrüll ließ den Boden beben. Es schien aus nächster Nähe zu kommen.

»Rachel«, sagte ich. »Geh rein.«

»Ich will hier bleiben.«

Ein Schatten schob sich vor die Sonne. Auf der anderen Straßenseite rutschte der Drakon an einem Wolkenkratzer herunter. Er brüllte und tausend Fenster zersprangen.

»Wenn ich es mir genauer überlege«, sagte Rachel kleinlaut, »dann gehe ich doch lieber rein.«

Ich sollte das vielleicht erklären: Es gibt Drachen, und es gibt Drakonen.

Drakonen sind etliche Jahrtausende älter als Drachen und sehr viel größer. Sie sehen aus wie riesige Schlangen. Die meisten haben keine Flügel und speien kein Feuer (einige tun es aber doch). Alle sind giftig und wahnsinnig stark und ihre Schuppen sind härter als Titan. Ihre Augen können dich lähmen: nicht die Du-wirst-zu-Stein-Lähmung der Medusa, sondern die Hilfe-diese-Riesenschlange-will-mich-verschlingen-Lähmung, die genauso übel ist.

Wir hatten im Camp Unterricht im Kampf gegen Drakonen, aber natürlich kann man sich schlecht darauf vorbereiten, wie eine siebzig Meter lange Schlange, die so dick ist wie ein Schulbus, an einem Haus herunterrutscht, ihre gelben Augen wie Suchscheinwerfer leuchten und ihr Maul voller rasierklingenscharfer Zähne ist, mit denen sie einen Elefanten zerkauen könnte.

Fast hatte ich Sehnsucht nach dem fliegenden Schwein.

Inzwischen rückte die feindliche Armee über die Fifth Avenue vor. Wir hatten uns alle Mühe gegeben, zur Sicherheit der Sterblichen die Autos beiseitezuschieben, aber das machte den Vormarsch für unsere Feinde nur noch leichter. Die Partyponys peitschten nervös mit den Schwänzen. Chiron galoppierte vor ihnen hin und her und rief ihnen zu, sie sollten standhalten und an Sieg und Malzbier denken, aber ich fürchtete, dass sie jeden Moment in Panik geraten und die Flucht ergreifen würden.

»Ich übernehme den Drakon.« Meine Stimme schlug zu ängstlichem Quietschen um. Ich rief lauter: »ICH ÜBERNEHME DEN DRAKON! Alle anderen, haltet die Front gegen den Feind!«

Annabeth stand neben mir. Sie hatte ihren Eulenhelm tief ins Gesicht gezogen, aber ich konnte sehen, dass ihre Augen rot waren.

»Hilfst du mir?«, fragte ich.

»Das tu ich doch immer«, sagte sie unglücklich. »Meinen Freunden helfen.«

Ich kam mir vor wie ein Vollidiot. Ich hätte sie gern beiseitegenommen und ihr klargemacht, dass ich Rachel nicht hergebeten hatte, dass es nicht meine Idee gewesen war, aber wir hatten keine Zeit.

»Mach dich unsichtbar«, sagte ich. »Such nach den schwachen Stellen in seiner Rüstung, während ich ihn ablenke. Aber sei vorsichtig.«

Ich stieß einen Pfiff aus. »Mrs O’Leary, bei Fuß!«

»WUUUFFFF!« Mein Höllenhund sprang über eine Reihe von Zentauren und verpasste mir einen Kuss, der verdächtig nach Peperoni-Pizza schmeckte.

Ich zog mein Schwert und wir gingen auf das Monster los.

Der Drakon war drei Stock über uns und schlängelte sich seitwärts am Gebäude entlang, während er unsere Truppen musterte. Wo immer er hinschaute, erstarrten die Zentauren vor Angst.

Vom Norden her traf die feindliche Armee auf die Partyponys und unsere Front brach auf. Der Drakon griff an und verschlang drei kalifornische Zentauren auf einmal, ehe ich auch nur in seine Nähe gelangen konnte.

Mrs O’Leary schoss durch die Luft – ein tödlicher schwarzer Pfeil mit Zähnen und Klauen. Normalerweise ist ein Höllenhund im Sprung ein grauenhafter Anblick, aber neben dem Drakon sah Mrs O’Leary aus wie ein Kuscheltier.

Ihre Krallen rutschten wirkungslos an den Schuppen des Drakons ab. Sie biss dem Monster in die Kehle, kam aber nicht durch den Panzer. Immerhin riss ihr Gewicht den Drakon vom Gebäude. Er fuchtelte verwirrt mit den Krallen und knallte auf den Boden, wo Höllenhund und Drache miteinander rangen. Der Drakon versuchte, Mrs O’Leary zu beißen, aber sie war zu dicht vor seinem Schlund. Gift spritzte in alle Richtungen und ließ Zentauren und gar nicht wenige Monster zu Staub zerschmelzen, aber Mrs O’Leary wickelte sich um den Kopf des Drachen und kratzte und biss.

»JAAAH!« Ich rammte Springflut tief ins linke Auge des Monsters. Der Scheinwerfer erlosch. Der Drakon zischte und machte sich bereit zum Sprung, aber ich rollte zur Seite.

Der Drakon biss ein swimmingpoolgroßes Stück aus dem Straßenpflaster. Er wandte mir sein heiles Auge zu und ich starrte seine Zähne an, um nicht gelähmt zu werden. Mrs O’Leary gab sich alle Mühe, ihn abzulenken. Sie sprang auf den Kopf des Drachen und kratzte und knurrte wie eine sehr wütende schwarze Perücke.

Ansonsten lief die Schlacht nicht gut. Die Zentauren waren unter dem Angriff der Riesen und Dämonen in Panik ausgebrochen. Hier und dort tauchte im Kampfgewühl ein orangefarbenes Camp-T-Shirt auf, verschwand aber rasch wieder. Pfeile zischten. Feuer explodierte in Wellen über beiden Armeen, aber der Kampf verlegte sich immer weiter über die Straße auf den Eingang des Empire State Building zu. Wir verloren an Boden.

Plötzlich tauchte Annabeth auf dem Rücken des Drakon auf. Ihre Tarnkappe war ihr vom Kopf gerutscht, als sie ihr Bronzemesser in einen Spalt zwischen den Schuppen des Lindwurms bohrte.

Der Drakon brüllte auf. Er drehte sich um sich selbst und warf Annabeth ab.

Ich erreichte sie, als sie gerade auf den Boden auftraf, und zerrte sie weg, während der Drache ausholte und einen Laternenpfahl zerbrach, wo eben noch Annabeth gewesen war.

»Danke«, sagte sie.

»Ich habe doch gesagt, du sollst vorsichtig sein.«

»RUNTER!«

Jetzt konnte sie zur Abwechslung mich retten. Sie warf mich zu Boden, als die Monsterzähne sich über meinem Kopf schlossen. Mrs O’Leary sprang ins Gesicht des Drakon, um ihn abzulenken, und wir rollten uns beiseite.

Unsere Verbündeten waren inzwischen bis zu den Türen des Empire State Building zurückgewichen. Die gesamte feindliche Armee hatte sie umstellt.

Uns blieb keine Wahl. Wir konnten mit keiner weiteren Hilfe rechnen. Annabeth und ich würden den Rückzug antreten müssen, um nicht vom Olymp abgeschnitten zu werden.

Dann hörte ich im Süden ein Dröhnen. Es war nicht gerade ein Geräusch, das man in New York oft hört, aber ich erkannte es sofort: die Räder eines Streitwagens.

Eine Mädchenstimme schrie: »ARES!«

Und ein Dutzend Streitwagen warf sich in die Schlacht. Über jedem wehte ein Banner mit dem Symbol des Eberkopfes. Jeder Wagen wurde von einem Gespann aus Skelettpferden mit Feuermähnen gezogen. Insgesamt dreißig frische Kämpfer, mit funkelnder Rüstung und vor Hass lodernden Augen, senkten im selben Moment ihre Lanzen – und bildeten eine spitze Mauer des Todes.

»Die Kinder des Ares!«, sagte Annabeth verblüfft. »Woher wusste Rachel das?«

Ich hatte keine Antwort für sie. Der Angriff wurde angeführt von einem Mädchen in einer mir bekannten roten Rüstung, ihr Gesicht war von einem Eberkopfhelm verdeckt. Sie hob einen Speer, der vor Elektrizität Funken sprühte. Clarisse war persönlich zu unserer Rettung erschienen. Während die Hälfte ihrer Streitwagen die Monsterarmee angriff, führte Clarisse die anderen sechs geradewegs auf den Drakon zu.

Der Drache bäumte sich auf und warf Mrs O’Leary ab. Mein armer Hund knallte wimmernd gegen eine Mauer. Ich stürzte hin, um ihm zu helfen, aber der Drache wandte sich bereits der neuen Bedrohung zu. Sogar mit nur einem Auge konnte er zwei Wagenlenker lähmen. Sie knallten in eine Reihe von Autos. Die anderen vier Wagen griffen ihn weiter an. Das Monster bleckte die Hauzähne und bekam einen Mundvoll von Speeren aus himmlischer Bronze hineingepfeffert.

»EEEESSSSS!!!!«, kreischte der Drache, was vermutlich drakonisch für »AAAWUUU!!!!« war.

»Ares, zu mir!«, kreischte Clarisse. Ihre Stimme klang schriller als sonst, aber ich nahm an, das lag daran, dass sie kämpfte.

Auf der anderen Straßenseite gaben die sechs Streitwagen den Partyponys neue Hoffnung. Sie galoppierten zum Eingang des Empire State Building und die feindliche Armee war für einen Moment verwirrt.

Inzwischen umzingelten Clarisse’ Wagen den Drakon. Lanzen zersplitterten an den Schuppen des Monsters. Skelettpferde spien Feuer und wieherten. Zwei weitere Wagen kippten um, aber die Kämpfer sprangen einfach wieder auf, zogen die Schwerter und kämpften weiter. Sie hackten Löcher in die Schuppen des Monsters und wichen dem Gift aus, als ob sie das ihr Leben lang trainiert hätten, was natürlich auch der Fall war.

Niemand hätte behaupten können, die Ares-Leute wären nicht mutig. Clarisse war die ganze Zeit an vorderster Front, zielte mit dem Speer auf den Kopf des Drakon und versuchte, ihm das andere Auge auszustechen. Aber jetzt ging die Sache vor meinen Augen schief. Der Drakon verschlang einen Ares-Kämpfer, stieß einen anderen zur Seite und spritzte Gift auf einen dritten, der mit schmelzender Rüstung voller Panik floh.

»Wir müssen ihnen helfen«, sagte Annabeth.

Sie hatte Recht. Ich war vor Staunen erstarrt gewesen. Mrs O’Leary versuchte, sich aufzurappeln, aber dann wimmerte sie wieder. Eine ihrer Pfoten blutete.

»Halt dich zurück, Mädchen«, sagte ich zu ihr. »Du hast schon genug geleistet.«

Annabeth und ich sprangen auf den Rücken des Monsters und rannten in Richtung Kopf, um seine Aufmerksamkeit von Clarisse abzulenken.

Ihre Hüttengenossen warfen Speere und die meisten zerbrachen, aber einige blieben im Maul des Monsters stecken. Der Drakon biss die Zähne zusammen, bis sein Maul ein Brei aus grünem Blut, gelbem schaumigem Gift und zersplitterten Waffen war.

»Du schaffst das«, schrie ich Clarisse zu. »Ein Kind des Ares wird ihn vernichten!«

Durch ihren Helm konnte ich nur ihre Augen sehen – aber ich wusste, dass irgendetwas nicht stimmte. Ihre blauen Augen leuchteten vor Angst. Clarisse sah nie so aus. Und blaue Augen hatte sie auch nicht.

»ARES!«, brüllte sie mit dieser seltsam schrillen Stimme. Sie hob den Speer und griff den Drakon an.

»Nein«, murmelte ich. »WARTE!«

Aber das Monster schaute sie an – fast verachtungsvoll – und spuckte ihr sein Gift direkt ins Gesicht.

Sie schrie auf und stürzte.

»Clarisse!« Annabeth sprang vom Rücken des Monsters und stürzte zu ihr, während die anderen Ares-Camper versuchten, ihre gefallene Hüttenälteste zu beschützen. Ich bohrte Springflut zwischen zwei Schuppen des Ungeheuers und konnte seine Aufmerksamkeit auf mich lenken.

Ich wurde abgeworfen, landete aber auf den Füßen. »NA LOS, du blöder Wurm! Schau mich an!«

In den nächsten Minuten sah ich nur Zähne. Ich zog mich zurück und wich dem Gift aus, aber ich konnte dem Vieh nichts tun.

Aus dem Augenwinkel sah ich einen Streitwagen in der Fifth Avenue landen.

Dann rannte jemand auf uns zu. Eine Mädchenstimme, die vor Kummer zitterte, rief: »NEIN! Ein Fluch auf dich! WARUM?«

Ich wagte einen Blick, aber was ich sah, ergab keinen Sinn. Clarisse lag auf dem Boden, dort, wo sie gelandet war. Ihre Rüstung dampfte vom Gift. Annabeth und die Ares-Camper versuchten, ihr den Helm abzunehmen. Neben ihnen kniete mit vom Weinen geschwollenem Gesicht ein Mädchen in Campkleidung. Und zwar … Clarisse!

Die Gedanken wirbelten nur so durch meinen Kopf. Warum hatte ich das nicht schon längst gesehen? Das Mädchen in Clarisse’ Rüstung war viel dünner und nicht so groß. Aber warum sollte sich irgendwer als Clarisse ausgeben?

Ich war so verblüfft, dass der Drakon mich fast in zwei Teile zerbissen hätte. Ich wich aus und das Vieh bohrte seinen Kopf in eine Klinkerwand.

»WARUM?«, wollte die echte Clarisse wissen und legte die Arme um das andere Mädchen, während die Camper noch immer versuchten, den vom Gift zerfressenen Helm zu entfernen.

Chris Rodriguez sprang aus dem fliegenden Streitwagen und kam angerannt. Er und Clarisse waren offenbar damit aus dem Camp gekommen, auf den Fersen der Ares-Camper, die dem anderen Mädchen gefolgt waren, im Glauben, es sei Clarisse. Aber einen Sinn ergab das noch immer nicht.

Der Drakon zog seinen Kopf aus der Klinkerwand und schrie vor Wut.

»Achtung!«, warnte Chris.

Statt sich zu mir umzudrehen, wirbelte der Drakon herum in die Richtung, aus der Chris’ Stimme gekommen war. Er bleckte vor der Gruppe aus Halbgöttern seine Hauzähne.

Die echte Clarisse sah zum Drakon hoch und ihr Gesicht füllte sich mit purem Hass. Ich hatte diesen Ausdruck erst einmal gesehen: Ihr Vater, Ares, hatte mich so angeblickt, als ich ihm Mann zu Mann im Kampf gegenübergetreten war.

»DU WILLST DEN TOD?«, schrie Clarisse den Drakon an. »NA, DANN KOMM HER!«

Sie entriss einer Gefallenen den Speer. Ohne Rüstung oder Schild ging sie auf den Drakon los.

Ich versuchte, ihr zu Hilfe zu kommen, aber Clarisse war schneller. Sie sprang zur Seite, als das Monster zuschlug und den Boden vor ihr zu Staub zermahlte. Dann sprang sie auf den Kopf des Ungeheuers. Als der hochschnellte, bohrte sie ihm mit solcher Gewalt ihren elektrischen Speer in das heile Auge, dass der Schaft zersplitterte und die gesamte magische Kraft der Waffe entfesselte.

Lichtbögen zischten über dem Kopf des Ungeheuers und die elektrische Ladung ließ es am ganzen Leib erbeben. Clarisse sprang herunter und rollte sich auf dem Bürgersteig in Sicherheit, während Rauch aus dem Schlund des Drakons quoll. Das Fleisch des Drakons löste sich auf und er zerfiel zu einem hohlen Tunnel aus Schuppen.

Wir anderen starrten Clarisse voller Bewunderung an. Ich hatte noch nie gesehen, wie jemand ganz allein ein dermaßen riesiges Monster angriff. Aber Clarisse achtete nicht auf uns. Sie rannte zu der Verwundeten, die ihr die Rüstung gestohlen hatte.

Endlich konnte Annabeth ihr den Helm abnehmen. Wir drängten uns um sie herum: die Ares-Leute, Chris, Clarisse, Annabeth und ich. Die Schlacht auf der Fifth Avenue tobte noch immer, aber für einen Moment gab es nur unseren kleinen Kreis und die Gefallene.

Ihre ehemals schönen Züge waren vom Gift übel verbrannt. Ich wusste, dass Nektar oder Ambrosia, egal in welchen Mengen, sie nicht retten könnten.

Etwas wird passieren. Rachels Worte hallten in meinen Ohren wider. Eine List, die mit dem Tod endet.

Jetzt wusste ich, was sie meinte, und ich wusste, wer die Ares-Hütte in die Schlacht geführt hatte.

Ich schaute in das Gesicht der sterbenden Silena Beauregard.


Ich sitze auf dem Schleudersitz

»Was hast du dir nur dabei gedacht?« Clarisse wiegte Silenas Kopf auf ihrem Schoß.

Silena versuchte zu schlucken, aber ihre Lippen waren trocken und rissig. »Wollten nicht … hören. Hütte folgt … nur dir.«

»Und dann hast du meine Rüstung gestohlen«, sagte Clarisse ungläubig. »Du hast gewartet, bis Chris und ich auf Streife waren, hast meine Rüstung gestohlen und dich als Clarisse ausgegeben.« Sie starrte ihre Geschwister wütend an. »Und ihr habt das ALLESAMT nicht bemerkt?«

Die Ares-Camper entwickelten ein plötzliches Interesse an ihren Kampfstiefeln.

»Mach ihnen keine Vorwürfe«, sagte Silena. »Sie wollten … wollten glaubten, dass ich du war.«

»Du blöde Aphroditegöre«, schluchzte Clarisse. »Du hast einen Drakon angegriffen? Warum?«

»Das ist alles meine Schuld«, sagte Silena und eine Träne lief ihr das Gesicht hinab. »Der Drakon, Charlies Tod … das Camp in Gefahr …«

»Hör auf!«, sagte Clarisse. »Das stimmt ja gar nicht.«

Silena öffnete die Hand. Auf ihrer Handfläche lag ein silbernes Armband mit einem Anhänger in Form einer Sense, dem Zeichen des Kronos.

Eine kalte Faust schloss sich um mein Herz. »Du warst die Spionin.«

Silena versuchte zu nicken. »Ehe … ehe ich mich in Charlie verliebt habe, war Luke immer nett zu mir. Er war so … charmant. Sah gut aus. Später wollte ich ihm nicht mehr helfen, aber er drohte, mich zu verraten. Er versprach … er versprach, dass ich Leben retten könnte. Es würden nicht so viele verletzt werden. Er hat gesagt, er würde … Charlie nichts tun. Er hat mich belogen.«

Ich begegnete Annabeths Blick. Ihr Gesicht war kreideweiß. Sie sah aus, als sei ihr soeben der Boden unter den Füßen weggezogen worden.

Hinter uns tobte die Schlacht weiter.

Clarisse starrte ihre Hüttengenossen wütend an. »Jetzt helft endlich den Zentauren. Und verteidigt die Eingänge. LOS!«

Die anderen stürzten sich in die Schlacht.

Silena holte schmerzhaft Atem. »Verzeiht mir.«

»Du stirbst nicht«, beharrte Clarisse.

»Charlie …« Silenas Blick war unendlich weit weg. »Charlie sehen …«

Das waren ihre allerletzten Worte.

Clarisse schmiegte sich an sie und weinte. Chris legte ihr die Hand auf die Schulter.

Endlich drückte Annabeth Silena die Augen zu.

»Wir müssen weiterkämpfen.« Annabeths Stimme war brüchig. »Sie hat ihr Leben gegeben, um uns zu helfen. Wir sind ihr das schuldig.«

Clarisse schniefte und wischte sich die Nase ab. »Sie war eine Heldin, ist das klar? Eine Heldin.«

Ich nickte. »Komm, Clarisse.«

Sie hob das Schwert eines ihrer gefallenen Geschwister auf. »Dafür wird Kronos bezahlen.«

Ich würde gern behaupten, dass ich den Feind vom Empire State Building vertrieben hätte. Aber in Wirklichkeit hat Clarisse die ganze Arbeit gemacht. Sogar ohne Rüstung oder Speer war sie eine Dämonin. Sie lenkte ihren Wagen mitten in die Titanenarmee und zerschmetterte alles, was ihr in den Weg kam.

Sie war so mitreißend, dass sogar die in Panik geratenen Zentauren wieder loslegten. Die Jägerinnen entrissen den Gefallenen ihre Pfeile und gaben eine Salve nach der anderen auf den Feind ab. Die Ares-Hütte schlug und hackte, das machten sie schließlich am liebsten. Die Monster zogen sich zur 35th Street zurück.

Clarisse fuhr zum Kadaver des Drakons und schlang eine Fangleine durch seine Augenhöhlen. Sie trieb ihre Pferde an und fuhr los, wobei der Drakon wie ein chinesischer Neujahrsdrache hinter ihrem Wagen hergeschleift wurde. Sie setzte den Feinden hinterher, brüllte Verwünschungen und forderte sie zum Kampf heraus. Ich sah, dass sie buchstäblich glühte. Rotes Feuer flackerte um sie herum.

»Der Segen des Ares«, sagte Thalia. »Das habe ich noch nie mit eigenen Augen gesehen.«

Für den Moment war Clarisse so unverwundbar wie ich. Unsere Feinde schleuderten Speere und schossen Pfeile ab, aber nichts konnte sie treffen.

»ICH BIN CLARISSE, DIE DRACHENTÖTERIN!«, schrie sie. »Ich bringe euch ALLE um! Wo steckt Kronos? Schafft ihn her. Ist er zu feige?«

»Clarisse«, schrie ich. »Komm zurück!«

»Was ist los, Titanenherrscher?«, schrie sie. »JETZT MACH SCHON!«

Von den Feinden kam keine Antwort. Langsam zogen sie sich hinter die Schildmauer aus Dracaenae zurück, während Clarisse Kreise auf der Fifth Avenue drehte und jeden herausforderte, sich ihr in den Weg zu stellen. Der fast siebzig Meter lange Drakonkadaver kratzte hohl über das Straßenpflaster wie tausend Messer.

Währenddessen kümmerten wir uns um unsere Verwundeten und trugen sie ins Foyer. Clarisse fuhr noch immer mit ihrer entsetzlichen Trophäe auf der Straße hin und her und verlangte, dass Kronos ihr im Kampf gegenübertrat.

»Ich passe auf sie auf«, sagte Chris. »Irgendwann wird sie müde. Und dann sorge ich dafür, dass sie reinkommt.«

»Was ist mit dem Camp?«, fragte ich. »Ist da noch irgendwer?«

Chris schüttelte den Kopf. »Nur Argus und die Naturgeister. Und Peleus der Drache hütet noch immer den Baum.«

»Die halten nicht lange durch«, sagte ich. »Aber ich bin froh, dass ihr gekommen seid.«

Chris nickte traurig. »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Ich habe versucht, Clarisse zur Vernunft zu bringen. Ich habe gesagt, es hat keinen Sinn, das Camp zu verteidigen, wenn ihr alle umkommt. Alle unsere Freunde sind hier. Es tut mir leid, dass Silena deshalb …«

»Meine Jägerinnen helfen dir bei der Verteidigung«, sagte Thalia. »Annabeth und Percy, ihr solltet zum Olymp hochfahren. Ich habe das Gefühl, dass sie euch dort oben brauchen – um das letzte Gefecht vorzubereiten.«

Der Portier war aus dem Foyer verschwunden. Sein Buch lag umgedreht auf seinem Tresen und sein Stuhl war leer. Ansonsten wimmelte es aber von verwundeten Campinsassen, Jägerinnen und Satyrn.

Connor und Travis Stoll warteten bei den Fahrstühlen auf uns.

»Stimmt das?«, fragte Connor. »Das mit Silena?«

Ich nickte. »Sie ist als Heldin gestorben.«

Travis trat von einem Fuß auf den anderen. »Äh, ich habe außerdem gehört …«

»Das reicht«, erklärte ich. »Genug davon.«

»Na gut«, murmelte Travis. »Hör mal – wir nehmen an, dass die Titanenarmee nicht so leicht in den Fahrstuhl passt. Sie werden in kleinen Gruppen hochfahren müssen. Und die Riesen schaffen es überhaupt nicht.«

»Das ist unser größter Vorteil«, sagte ich. »Kann man den Fahrstuhl irgendwie ausschalten?«

»Der funktioniert mit Magie«, sagte Travis. »Eigentlich braucht man eine Schlüsselkarte, aber der Portier ist verschwunden. Das bedeutet, dass die Verteidigung bröckelt. Jetzt kann jeder in den Fahrstuhl gehen und einfach nach oben düsen.«

»Dann müssen wir sie von den Türen weghalten«, sagte ich. »Wir fangen sie im Foyer ab.«

»Wir brauchen Verstärkung«, sagte Travis. »Sie werden einfach hereinströmen. Und irgendwann sind es einfach zu viele.«

»Es gibt keine Verstärkung«, klagte Connor.

Ich schaute zu Mrs O’Leary hinaus, die auf die Glastüren atmete und sie mit Höllenhundspeichel verschmierte.

»Vielleicht stimmt das ja gar nicht«, sagte ich.

Ich ging hinaus und legte Mrs O’Leary eine Hand auf die Schnauze. Chiron hatte ihre Pfote verbunden, aber sie humpelte noch immer. Ihr Fell war mit Lehm, Blättern, Pizzastücken und getrocknetem Monsterblut verklebt.

»He, altes Mädchen«, sagte ich und versuchte, fröhlich zu klingen. »Ich weiß, du bist müde, aber du musst mir noch einen letzten großen Gefallen tun.«

Ich beugte mich vor und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

Nachdem Mrs O’Leary per Schattenreise verschwunden war, ging ich zu Annabeth ins Foyer. Auf dem Weg zum Fahrstuhl sahen wir Grover, der neben einem fetten verwundeten Satyrn kniete.

»Leneus!«, sagte ich.

Der alte Satyr sah schrecklich aus. Seine Lippen waren blau. Ein zerbrochener Speer steckte in seinem Bauch und seine bepelzten Ziegenbeine waren in einem schmerzhaften Winkel abgeknickt.

Er versuchte, uns anzusehen, aber ich glaube nicht, dass er uns erkennen konnte.

»Grover?«, murmelte er.

»Ich bin hier, Leneus.« Grover kämpfte trotz der schrecklichen Dinge, die Leneus über ihn gesagt hatte, mit den Tränen.

»Haben wir … gesiegt?«

»Äh … ja«, log Grover. »Das haben wir dir zu verdanken, Leneus. Du hast den Feind in die Flucht geschlagen.«

»Hab ich dir ja gesagt«, murmelte der alte Satyr. »Geborener Anführer. Geborener …«

Er schloss zum letzten Mal die Augen.

Grover schluckte. Er legte Leneus die Hand auf die Stirn und sprach einen uralten Segen. Der Körper des alten Satyrn löste sich auf, bis nur noch ein winziger Setzling in einem Häuflein frischer Erde übrig war.

»Ein Lorbeerbusch«, sagte Grover voller Bewunderung. »Was hat der alte Bock für ein Glück.«

Er hob den Setzling auf. »Ich … ich sollte ihn einpflanzen. Auf dem Olymp, im Garten.«

»Da wollten wir auch gerade hin«, sagte ich. »Komm doch einfach mit.«

Unterhaltungsmusik ertönte, während der Fahrstuhl nach oben fuhr. Ich dachte an meinen ersten Besuch auf dem Olymp, damals, mit zwölf Jahren. Annabeth und Grover waren nicht dabei gewesen. Ich war froh, dass sie jetzt mit mir zusammen waren. Ich hatte das Gefühl, dass das hier unser letztes gemeinsames Abenteuer sein könnte.

»Percy«, sagte Annabeth leise. »Du hast Recht gehabt, was Luke angeht.« Das waren ihre ersten Worte seit Silena Beauregards Tod. Sie starrte die Fahrstuhlanzeige an, auf der die magischen Nummern aufleuchteten: 400, 450, 500.

Grover und ich wechselten einen Blick.

»Annabeth«, sagte ich. »Es tut mir leid …«

»Du hast ja versucht, es mir zu sagen.« Ihre Stimme zitterte. »Luke taugt nichts. Ich wollte es nicht glauben, bis … bis ich gehört habe, wie er Silena ausgenutzt hat. Jetzt weiß ich es. Ich hoffe, du bist zufrieden.«

»Wieso sollte ich deshalb zufrieden sein?«

Sie legte den Kopf an die Fahrstuhlwand und wich meinem Blick aus.

Grover wiegte den Lorbeersetzling in seinen Händen. »Egal wie … es ist jedenfalls gut, wieder zusammen zu sein. Zu streiten. Fast zu sterben. Die Angst zu besiegen. Ach, sieh an. Da wären wir.«

Die Türen öffneten sich und wir betraten die Luftbrücke.

»Deprimierend« ist sonst keine passende Beschreibung für den Olymp, aber genau so sah er jetzt aus. In den Kohlenpfannen brannten keine Feuer. Die Fenster waren dunkel, die Straßen verlassen und die Türen mit Brettern vernagelt. Die einzige Bewegung war in den zu Lazaretten umgewandelten Parks zu sehen.

Will Solace und die andere Apollo-Leute liefen umher und kümmerten sich um die Verletzten. Najaden und Dryaden versuchten zu helfen, indem sie Zauberlieder sangen, um Wunden zu heilen und Gift auszutreiben.

Während Grover den Lorbeersetzling einpflanzte, gingen Annabeth und ich umher, um die Verwundeten aufzumuntern. Ich kam an einem Satyrn mit einem gebrochenen Bein, einem von Kopf bis Fuß verbundenen Halbgott und einem Leichnam unter dem goldenen Leichentuch der Apollo-Hütte vorbei. Ich wusste nicht, wer darunter lag. Ich wollte es auch nicht wissen.

Mein Herz war bleischwer, aber wir versuchten, aufmunternde Dinge zu sagen.

»Du wirst in null Komma nichts wieder gegen Titanen kämpfen«, sagte ich einem Camper.

»Du siehst großartig aus«, sagte Annabeth zu einem anderen.

»Leneus hat sich in einen Busch verwandelt«, erzählte Grover einem stöhnenden Satyrn.

Ich fand Pollux, den Sohn des Dionysos. Er lehnte an einem Baum und hatte den Arm gebrochen, ansonsten war er unversehrt.

»Aber mit der anderen Hand kann ich noch immer kämpfen«, sagte er und knirschte mit den Zähnen.

»Nein«, sagte ich. »Du hast genug getan. Du bleibst jetzt hier und hilfst den Verwundeten.«

»Aber …«

»Versprich mir, dass dir nichts passiert«, sagte ich. »Okay? Mir zuliebe.«

Er runzelte verwirrt die Stirn, wir waren schließlich nicht gerade dicke Kumpel oder so. Aber ich wollte ihm auch nicht sagen, dass das eine Bitte seines Dads war, das würde ihn nur in Verlegenheit stürzen. Endlich versprach er es, und als er sich hinsetzte, konnte ich sehen, dass er doch irgendwie erleichtert war.

Annabeth, Grover und ich gingen weiter auf den Palast zu. Den würde auch Kronos ansteuern. Sowie er das Fahrstuhlproblem gelöst hätte – und das würde er zweifellos irgendwie schaffen –, würde er den Thronsaal zerstören, das Zentrum der Göttermacht.

Ächzend öffneten sich die Bronzetüren. Unsere Schritte hallten auf dem Marmorboden wider. Die Sternbilder blinkten kühl an der Decke der riesigen Halle und das Herdfeuer war nur noch ein trübes rotes Schwelen. Hestia, als kleines Mädchen in braunem Gewand, hockte zitternd daneben. Der Ophiotaurus schwamm traurig in seinem Wasserbecken und stieß ein halbherziges Muhen aus, als er mich entdeckte.

Im Licht der Glut warfen die Thronsessel boshaft aussehende Schatten, wie zupackende Hände.

Am Fuße von Zeus’ Thron, den Blick nach oben zu den Sternen gerichtet, stand Rachel Elizabeth Dare. Sie hielt ein griechisches Tongefäß in der Hand.

»Rachel?«, fragte ich. »Äh, was willst du denn damit?«

Sie schaute mich an, als ob sie soeben aus einem Traum auftauchte. »Das habe ich gefunden. Das ist der Krug der Pandora, oder?«

Ihre Augen leuchteten mehr als sonst und mir drängte sich eine furchtbare Erinnerung an schimmelige Sandwiches und verkokelte Plätzchen auf.

»Bitte, stell den Krug weg«, sagte ich.

»Ich kann die Hoffnung darin sehen.« Rachel fuhr mit den Fingern über das Keramikmuster. »So zerbrechlich.«

»Rachel!«

Meine Stimme schien sie in die Wirklichkeit zurückzureißen. Sie hielt mir den Krug hin und ich nahm ihn an mich. Der Ton fühlte sich eiskalt an.

»Grover«, murmelte Annabeth. »Wir sehen uns mal im Palast um. Vielleicht finden wir noch irgendwo griechisches Feuer oder ein paar Hephaistos-Fallen.«

»Aber …«

Annabeth versetzte ihm einen Rippenstoß.

»Alles klar«, wimmerte er. »Ich schwärme für Fallen!«

Sie zog ihn aus dem Thronsaal.

Am Feuer kauerte Hestia sich in ihren Gewändern zusammen und wiegte sich hin und her.

»Komm«, sagte ich zu Rachel. »Ich möchte dir jemanden vorstellen.«

Wir setzten uns neben die Göttin.

»Göttin Hestia«, sagte ich.

»Hallo, Percy Jackson«, murmelte die Göttin. »Es wird kälter. Schwerer, das Feuer am Leben zu erhalten.«

»Ich weiß«, sagte ich. »Die Titanen rücken näher.«

Hestia schaute Rachel an. »Hallo, meine Liebe. Endlich bist du an unseren Herd gekommen.«

Rachel blinzelte. »Du hast mich erwartet?«

Hestia streckte die Hände aus und die Kohlen glühten. Ich sah Bilder im Feuer: meine Mutter, Paul und ich zu Thanksgiving an unserem Küchentisch; meine Freunde und ich am Lagerfeuer im Camp Half-Blood, wie wir sangen und Marshmallows rösteten. Rachel und ich, die in Pauls Prius den Strand entlangfuhren.

Ich wusste nicht, ob Rachel dieselben Bilder sah, aber ihre Schultern entspannten sich. Die Wärme des Feuers schien auf sie überzugreifen.

»Um deinen Platz am Herd einnehmen zu können«, sagte Hestia zu ihr, »darfst du dich nicht ablenken lassen. Nur dann kannst du überleben.«

Rachel nickte. »Ich … ich verstehe.«

»Warte«, sagte ich. »Wovon redet sie da?«

Rachel holte zitternd Atem. »Percy, als ich hergekommen bin … ich dachte, es wäre deinetwegen. Aber das stimmte nicht. Du und ich …« Sie schüttelte den Kopf.

»Moment mal, bin ich neuerdings eine Ablenkung? Liegt das daran, dass ich nicht der Heros oder sowas bin?«

»Ich bin nicht sicher, ob ich das in Worte fassen kann«, sagte sie. »Ich habe mich zu dir hingezogen gefühlt, weil du … weil du mir die Tür zu alldem hier geöffnet hast.« Sie zeigte auf den Thronsaal. »Ich musste meine wahre Gabe erkennen. Aber du und ich, wir gehören nicht zusammen. Unsere Schicksale sind nicht miteinander verwoben. Ich glaube, im tiefsten Herzen hast du das immer gewusst.«

Ich starrte sie an. Ich war vielleicht nicht gerade der Blitzmerker, wenn es um Mädchen ging, aber ich war ziemlich sicher, dass Rachel gerade mit mir Schluss gemacht hatte, was ganz schön mies war, wo wir doch noch nicht mal zusammen gewesen waren.

»Also …«, sagte ich. »›Danke dafür, dass du mich auf den Olymp gebracht hast. Bis demnächst mal.‹ Wolltest du mir das sagen?«

Rachel starrte ins Feuer.

»Percy Jackson«, sagte Hestia. »Rachel hat dir alles gesagt, was sie weiß. Ihr Augenblick wird kommen, aber deine Entscheidung muss erst gefällt werden. Bist du bereit?«

Ich hätte gern geschrien, nein, ich sei alles andere als bereit.

Ich sah hinüber zum Krug der Pandora und verspürte zum ersten Mal das Bedürfnis, ihn zu öffnen. Hoffnung kam mir im Moment ziemlich unnütz vor. So viele von meinen Freunden waren tot. Rachel hatte mich fallen lassen. Annabeth war sauer auf mich. Meine Eltern schliefen irgendwo unten auf der Straße, während eine Monsterarmee das Gebäude umstellte. Dem Olymp drohte der Untergang und ich hatte so viele grausame Taten der Götter gesehen: Zeus hatte Maria di Angelo vernichtet, Hades das letzte Orakel verflucht, Hermes Luke den Rücken gekehrt, obwohl er gewusst hatte, dass sich sein Sohn dann auf die Seite des Bösen schlagen würde.

Ergib dich, flüsterte Prometheus’ Stimme in mein Ohr. Sonst wird dein Zuhause zerstört. Dein kostbares Camp wird brennen.

Dann sah ich Hestia an. Ihre Augen leuchteten warm. Ich dachte an die Bilder, die ich in ihrem Feuer gesehen hatte – meine Freunde, meine Familie, alle, die mir wichtig waren.

Und mir fiel etwas ein, das Chris Rodriguez gesagt hatte: Es hat keinen Sinn, das Camp zu verteidigen, wenn ihr alle umkommt. Alle unsere Freunde sind hier. Und Nico, der sich seinem Vater Hades widersetzt hatte: Wenn der Olymp fällt, hatte er gesagt, dann spielt die Sicherheit deines Palasts keine Rolle mehr.

Ich hörte Schritte. Annabeth und Grover kehrten in den Thronsaal zurück und blieben stehen, als sie uns sahen. Ich machte vermutlich gerade ein ziemlich seltsames Gesicht.

»Percy?« Annabeth hörte sich nicht mehr wütend an – nur besorgt. »Sollen wir, äh, wieder gehen?«

Plötzlich hatte ich ein Gefühl, als ob mir jemand eine Stahlinjektion gegeben hätte. Ich wusste plötzlich, was ich zu tun hatte.

Ich sah Rachel an. »Du machst doch keine Dummheiten, oder? Ich meine … du hast doch mit Chiron gesprochen?«

Sie brachte ein müdes Lächeln zustande. »Du hast Angst, ich könnte eine Dummheit begehen?«

»Ich meine nur … kommst du zurecht?«

»Weiß ich nicht«, gab sie zu. »Das kommt wohl darauf an, ob du es schaffst, die Welt zu retten, du Held.«

Ich griff zum Krug der Pandora. Der Geist der Hoffnung flatterte darin umher und versuchte, das kalte Gefäß anzuwärmen.

»Hestia«, sagte ich. »Ich bringe dir dies als Opfer dar.«

Die Göttin legte den Kopf schief. »Ich bin die Geringste unter den Göttern. Warum willst du mir das hier anvertrauen?«

»Du bist die letzte olympische Göttin«, sagte ich. »Und die wichtigste.«

»Und warum ist das so, Percy Jackson?«

»Weil Hoffnung am besten am heimischen Herd überlebt«, sagte ich. »Pass für mich auf sie auf, dann gerate ich nicht in Versuchung, noch einmal aufzugeben.«

Die Göttin lächelte. Sie nahm den Krug in ihre Hände und er glühte auf. Das Feuer im Herd wurde ein wenig heller.

»Gut gemacht, Percy Jackson«, sagte sie. »Mögen die Götter mit dir sein.«

»Das werden wir gleich feststellen.« Ich sah Annabeth und Grover an. »Dann los, Leute.«

Ich marschierte auf den Thron meines Vaters zu.

Der Sitz des Poseidon war rechts neben dem von Zeus, aber bei weitem nicht so prachtvoll. Der vorgeformte schwarze Ledersitz war auf einem Drehgestell angebracht, mit zwei Eisenringen an der Seite, um eine Angelrute hineinzustellen (oder einen Dreizack). Eigentlich sah er aus wie ein Stuhl auf einem Hochseeboot, auf dem man sitzt, wenn man Haie oder Marline oder Seemonster jagen will.

Götter sind in ihrer natürlichen Gestalt an die sieben Meter hoch, deshalb konnte ich die Kante des Sitzes gerade noch erreichen, wenn ich die Arme ausstreckte.

»Helft mir hoch«, sagte ich zu Annabeth und Grover.

»Spinnst du?«, fragte Annabeth.

»Wahrscheinlich«, gab ich zu.

»Percy«, sagte Grover. »Die Götter finden es wirklich nicht so toll, wenn Leute sich auf ihren Thron setzen. Ich meine, nicht toll im Sinne von Du-bist-gleich-ein-Häuflein-Asche-wenn-du-nicht-runtergehst

»Ich muss seine Aufmerksamkeit erregen«, sagte ich. »Und das geht nur so.«

Sie wechselten besorgte Blicke.

»Okay«, sagte Annabeth. »Das hier wird seine Aufmerksamkeit erregen.«

Sie falteten die Hände zu einer Räuberleiter zusammen und schoben mich dann auf den Thron. Ich kam mir vor wie ein Baby, als meine Füße so hoch über dem Boden baumelten. Ich sah mir die restlichen düsteren, leeren Throne an und konnte mir vorstellen, was es wohl für ein Gefühl wäre, im Olympischen Rat zu sitzen – so viel Macht und so viel Streit; immer elf weitere Götter, die sich durchsetzen wollten. Da würde ich auch Paranoia kriegen und nur noch auf meine Interessen achten, vor allem, wenn ich Poseidon wäre. Sobald ich auf seinem Thron saß, hatte ich das Gefühl, alle Ozeane unter meinem Befehl zu haben – unermessliche Kubikmeter Meer, die vor Kraft und Geheimnissen nur so kochten. Warum sollte Poseidon auf irgendwen hören? Warum sollte er nicht der Größte der zwölf sein?

Dann schüttelte ich den Kopf. Konzentrier dich.

Der Thron dröhnte. Eine Welle aus sturmstarkem Zorn brach in meine Gedanken:

WER WAGT ES …?

Die Stimme verstummte plötzlich. Der Zorn schwand etwas, was gut war, denn schon diese drei Wörter hätten mein Gehirn fast in Fetzen gerissen.

Percy! Die Stimme meines Vaters war noch immer wütend, aber jetzt hatte er sich unter Kontrolle. Was – genau – hast du auf meinem Thron zu suchen?

»Tut mir leid, Vater«, sagte ich. »Ich musste mit dir reden.«

Das war sehr riskant, sogar für dich. Wenn ich vor dem Zuschlagen nicht hingeschaut hätte, wärst du jetzt eine Pfütze aus Seewasser.

»Tut mir leid«, sagte ich noch einmal. »Hör mal, die Lage hier oben ist ganz schön übel.«

Ich erzählte ihm, wie es stand. Dann schilderte ich ihm meinen Plan.

Er schwieg sehr lange.

Percy, was du da verlangst, ist unmöglich. Mein Palast …

»Dad, Kronos hat die Armee ganz bewusst gegen dich ausgesandt. Er will dich von den anderen Göttern abspalten, weil er weiß, dass du die Waagschale zum Kippen bringen könntest.«

Das mag wohl so sein, aber er greift mein Zuhause an.

»Ich bin in deinem Zuhause«, sagte ich. »Auf dem Olymp.«

Der Boden bebte. Eine Welle aus Zorn spülte durch mein Bewusstsein. Ich glaubte schon, zu weit gegangen zu sein, aber dann hörte das Beben auf. Im Hintergrund meiner geistigen Verbindung hörte ich unterseeische Explosionen und Schlachtrufe: Zyklopen brüllten, Meermänner schrien.

»Geht es Tyson gut?«, fragte ich.

Diese Frage schien meinen Dad zu überraschen. Ja. Er macht seine Sache viel besser, als ich erwartet hatte, obwohl ›Auf die Nuss‹ ein eher seltsamer Schlachtruf ist.

»Du lässt ihn kämpfen?«

Wechsel nicht dauernd das Thema! Ist dir überhaupt klar, was du da von mir verlangst? Dann wird mein Palast zerstört werden.

»Und der Olymp vielleicht gerettet!«

Weißt du überhaupt, wie lange ich gebraucht habe, um diesen Palast wiederherzustellen? Allein der Hobbyraum hat sechshundert Jahre gedauert.

»Dad!«

Na gut. Wie du willst. Aber, mein Sohn, bete, dass es klappt.

»Ich bete ja. Ich spreche schließlich mit dir, oder?«

Äh … ja. Stimmt. Achtung, Amphitrite!

Eine gewaltige Explosion ließ die Verbindung abreißen.

Ich glitt vom Thron hinab.

Grover musterte mich nervös. »Alles in Ordnung? Du bist ganz blass geworden … und dann hast du gedampft!«

»Hab ich nicht!« Dann sah ich meine Arme an. Dampf kräuselte sich aus meinen Hemdsärmeln. Die Haare auf meinen Armen waren versengt.

»Wenn du noch länger sitzen geblieben wärst«, sagte Annabeth, »wärst du in die Luft geflogen. Ich hoffe, das Gespräch war das wert?«

Muh, sagte der Ophiotaurus in seinem Wasserbecken.

»Das werden wir bald erfahren«, sagte ich.

In diesem Moment wurden die Türen des Thronsaals aufgerissen. Thalia kam hereinmarschiert. Ihr Bogen war zerbrochen und ihr Köcher war leer.

»Ihr müsst runterkommen«, sagte sie zu uns. »Unsere Feinde rücken vor. Und Kronos führt sie an.«


Meine Eltern schlagen zu

Als wir die Straße erreichten, war es zu spät.

Camper und Jägerinnen lagen verletzt auf dem Boden. Clarisse hatte offenbar einen Kampf gegen einen hyperboreischen Riesen verloren, denn sie und ihr Wagen waren in einem Eisblock erstarrt. Die Zentauren waren nicht zu sehen. Entweder waren sie in Panik geraten und geflohen, oder sie waren vernichtet worden.

Die Titanenarmee hatte das Gebäude umstellt und war noch etwa sieben Meter von den Türen entfernt. Kronos’ Leibgarde führte sie an: Ethan Nakamura, die Dracaena-Königin in ihrer grünen Rüstung und zwei Hyperboreer. Prometheus konnte ich nicht sehen. Dieser Schleimer versteckte sich vermutlich im Hauptquartier. Kronos dagegen stand ganz vorn und hob seine Sense.

Das Einzige, was ihm noch den Weg versperrte, war …

»Chiron«, sagte Annabeth mit zitternder Stimme.

Wenn Chiron uns gehört hatte, gab er jedenfalls keine Antwort. Er hatte einen Pfeil auf die Bogensehne gelegt und zielte auf Kronos’ Gesicht.

Sowie Kronos mich erblickte, loderten seine goldenen Augen auf. Jeder Muskel in meinem Körper verkrampfte sich. Dann wandte der Titanenherrscher seine Aufmerksamkeit wieder Chiron zu. »Aus dem Weg, mein Sohn.«

Zu hören, wie Luke Chiron mit »mein Sohn« anredete, war schon seltsam genug, aber Kronos legte solche Verachtung in seine Stimme, als sei »mein Sohn« die schlimmste Bezeichnung, die er sich überhaupt ausdenken könnte.

»Ich fürchte, nein.« Chirons Stimme war von stählerner Ruhe, wie immer, wenn er wirklich wütend ist.

Ich versuchte, mich zu bewegen, aber meine Füße fühlten sich an wie Beton. Auch Annabeth, Grover und Thalia schienen festzustecken.

»Chiron!«, sagte Annabeth. »Achtung!«

Die Dracaena-Königin verlor die Geduld und stürzte los. Chirons Pfeil traf sie genau zwischen den Augen und sie löste sich auf der Stelle in Dampf auf, während ihre leere Rüstung klappernd auf den Asphalt fiel.

Chiron wollte nach einem neuen Pfeil greifen, aber sein Köcher war leer. Er ließ den Bogen fallen und griff zum Schwert. Ich wusste, dass er nur sehr ungern mit dem Schwert kämpfte, es war noch nie seine Lieblingswaffe gewesen.

Kronos schmunzelte. Er trat einen Schritt vor und Chirons Pferdehälfte zitterte nervös. Sein Schwanz peitschte hin und her.

»Du bist Lehrer«, höhnte Kronos. »Und kein Held.«

»Luke war ein Held«, sagte Chiron. »Er war gut, bis du ihn verdorben hast.«

»NARR!« Kronos’ Stimme ließ die Stadt erbeben. »Du hast ihm den Kopf mit leeren Versprechungen gefüllt. Du hast gesagt, ich sei den Göttern wichtig!«

»Ich«, sagte Chiron. »Du hast ich gesagt.«

Kronos wirkte verwirrt und in diesem Moment schlug Chiron zu. Es war ein gutes Manöver – eine Finte, gefolgt von einem Hieb ins Gesicht. Ich hätte es nicht besser machen können, aber Kronos war schnell. Er besaß Lukes gesamtes Kampfgeschick, und das war beachtlich. Er schlug Chirons Klinge zur Seite und schrie: »ZURÜCK!«

Ein blendend weißes Licht explodierte zwischen Titan und Zentaur. Chiron wurde mit solcher Wucht gegen das Gebäude geschleudert, dass die Mauer über ihm zusammenbrach.

»Nein!«, schrie Annabeth. Der lähmende Zauber löste sich. Wir stürzten zu unserem Lehrer, konnten aber keine Spur von ihm finden. Thalia und ich zerrten hilflos an den Steinen, während ein böses Lachen wie eine Welle durch die Titanenarmee lief.

»DU!« Annabeth drehte sich zu Luke um. »Unvorstellbar, dass ich mal … Wie konnte ich nur …?«

Sie zog ihr Messer.

»Annabeth, nicht!« Ich versuchte, sie am Arm festzuhalten, aber sie schüttelte mich ab.

Sie griff Kronos an und sein selbstzufriedenes Grinsen verschwand. Vielleicht erinnerte irgendein Teil von Luke sich daran, dass er dieses Mädchen einmal gerngehabt hatte; dass er sich um sie gekümmert hatte, als sie noch ein Kind gewesen war. Sie rammte ihr Messer zwischen die Riemen seiner Rüstung, direkt neben seinem Schlüsselbein. Die Klinge hätte in seiner Brust versinken müssen, aber sie prallte ab. Annabeth krümmte sich und presste sich den Arm auf den Bauch. Der Rückstoß hatte wahrscheinlich ausgereicht, um ihre verletzte Schulter auszurenken.

Ich riss sie zurück, als Kronos seine Sense schwenkte und die Luft an der Stelle zerschnitt, wo sie gestanden hatte.

Sie wehrte sich und schrie: »Ich HASSE dich!«, und ich war nicht sicher, wen sie meinte – mich oder Luke oder Kronos. Tränen liefen durch den Staub auf ihrem Gesicht.

»Ich muss mit ihm kämpfen«, sagte ich zu ihr.

»Das ist auch mein Kampf, Percy!«

Kronos lachte. »So viel Kampfgeist. Ich kann schon verstehen, warum Luke euch verschonen wollte. Leider wird das nicht möglich sein.«

Er hob die Sense. Ich machte mich zur Abwehr bereit, aber ehe Kronos zuschlagen konnte, zerfetzte irgendwo hinter der Titanenarmee Hundegeheul die Luft: »ARRRRUUUUUU!«

Ich wagte es kaum zu hoffen, aber ich rief: »Mrs O’Leary?«

Die feindlichen Truppen bewegten sich unruhig. Und dann passierte etwas Seltsames. Sie teilten sich, öffneten eine Schneise auf der Straße, als ob etwas hinter ihnen sie dazu zwang.

Bald gab es entlang der Fifth Avenue eine freie Gasse. Und ganz hinten standen mein Riesenhund und eine kleine Gestalt in schwarzer Rüstung.

»Nico?«, rief ich.

»RUFF!« Mrs O’Leary sprang auf mich zu und achtete nicht auf die knurrenden Monster zu beiden Seiten. Nico schritt vorwärts. Die feindliche Armee wich zurück, als ob er den Tod ausstrahlte, was er natürlich auch tat.

Hinter dem Visier seines Totenkopfhelms lächelte er. »Hab deine Mitteilung erhalten. Kann man bei der Party noch einsteigen?«

»Sohn des Hades.« Kronos spuckte auf den Boden. »Liebst du den Tod so sehr, dass du ihn erleben möchtest?«

»Dein Tod«, sagte Nico, »wäre mir ein Vergnügen.«

»Ich bin unsterblich, du Idiot! Ich bin dem Tartarus entkommen. Du hast hier nichts zu suchen und keine Chance zu überleben.«

Nico zog sein Schwert – neunzig Zentimeter tückisch scharfes stygisches Eisen, schwarz wie ein Albtraum. »Das sehe ich anders.«

Der Boden dröhnte. Risse zeigten sich auf der Straße, den Bürgersteigen und an den Seiten der Gebäude. Skeletthände griffen in die Luft, als die Toten sich einen Weg in die Welt der Lebenden suchten. Sie kamen zu Tausenden, und sobald sie aus dem Boden auftauchten, wurden die Monster des Titanen nervös und wichen zurück.

»Stehen bleiben!«, befahl Kronos. »Die Toten können es mit uns nicht aufnehmen.«

Der Himmel wurde dunkel und kalt und die Schatten verdichteten sich. Ein raues Kriegshorn erscholl, und als die toten Soldaten mit Gewehren und Schwertern und Speeren in Stellung gingen, brauste ein riesiger Streitwagen durch die Fifth Avenue und hielt direkt neben Nico an. Die Pferde waren lebende Schatten, aus Dunkelheit geformt; der Wagen war mit Obsidian und Gold verziert und mit schmerzhaften Todesszenen dekoriert. Die Zügel hielt Hades, der Herr der Toten, persönlich, und hinter ihm standen Demeter und Persephone.

Hades trug eine schwarze Rüstung und einen Umhang von der Farbe frischen Blutes. Auf seinem bleichen Haupt saß der Helm der Finsternis: eine Krone, die puren Schrecken ausstrahlte. Vor meinen Augen änderte sie ihre Form – vom Drachenkopf über einen Kreis aus schwarzen Flammen zu einem Kranz aus Menschenknochen. Aber das eigentlich Unheimliche war etwas anderes: Der Helm griff in meine Gedanken und weckte meine ärgsten Albträume, meine geheimsten Ängste. Ich hätte mich gern in einem Loch verkrochen, und ich wusste, dass es der feindlichen Armee genauso ging. Nur Kronos’ Macht und Autorität verhinderten, dass seine Truppen davonstürzten.

Hades lächelte kalt. »Hallo, Vater. Du siehst … jung aus.«

»Hades«, knurrte Kronos. »Ich hoffe, du bist mit deinen Damen gekommen, um mir den Treueid zu schwören.«

»Ich fürchte, nein«, sagte Hades seufzend. »Mein Sohn hier hat mich davon überzeugt, dass ich bei meinen Feinden Prioritäten setzen sollte.«

Er sah mich voller Abscheu an. »Sosehr ich einige Emporkömmlinge unter den Halbgöttern verachte, es wäre nicht so gut, wenn der Olymp fiele. Die Streitereien mit meinen Geschwistern würden mir fehlen. Und wenn wir uns in einem Punkt einig sind – dann, dass du als Vater die pure KATASTROPHE warst.«

»Stimmt«, murmelte Demeter. »Kein Sinn für Landwirtschaft.«

»Mutter!«, tadelte Persephone. Hades zog sein Schwert, eine doppelte Klinge aus stygischem Eisen mit Silberanteilen. »Und jetzt kämpf mit mir! Denn heute wird das Haus des Hades zum Retter des Olymps ausgerufen.«

»Das hier hält mich nur unnötig auf«, fauchte Kronos.

Er schlug mit seiner Sense auf den Boden. Ein Riss öffnete sich zu beiden Seiten und zog einen Kreis um das Empire State Building. Eine Mauer aus Kraft stieg schimmernd aus dem Riss auf und trennte Kronos’ Vorhut, meine Freunde und mich von den beiden Armeen.

»Was macht er da?«, murmelte ich.

»Er siegelt uns ein«, sagte Thalia. »Er reißt die magischen Schranken um Manhattan nieder – und schneidet nur das Empire State Building ab. Mit uns.«

Und wirklich, hinter der neuen Schranke sprangen die Motoren der Autos wieder an. Fußgänger öffneten die Augen und starrten verdutzt die vielen Monster und Zombies um sie herum an. Ich hatte keine Ahnung, was sie durch den Nebel sahen, aber ich bin sicher, es war ziemlich unheimlich. Autotüren wurden geöffnet. Und an der Ecke stiegen Paul Blofis und meine Mom aus ihrem Prius.

»Nein«, sagte ich. »Nicht …«

Meine Mutter konnte durch den Nebel sehen. Ich konnte ihrem Gesicht ansehen, dass sie begriff, wie ernst die Lage war. Ich hoffte, sie würde klug genug sein, um wegzulaufen. Aber sie fing meinen Blick auf, sagte etwas zu Paul und sie rannten geradewegs auf uns zu.

Ich konnte nicht rufen. Das Letzte, was ich wollte, war, Kronos’ Aufmerksamkeit auf sie zu lenken.

Zum Glück lenkte Hades ihn ab. Er griff die Wand aus Kraft an, aber sein Wagen knallte dagegen und kippte um. Hades kam fluchend auf die Füße und schleuderte schwarze Energie gegen die Wand, doch die Schranke hielt stand.

»ANGRIFF!«, brüllte er.

Die Armeen der Toten trafen auf die Monster des Titanen und die Fifth Avenue versank im absoluten Chaos. Sterbliche schrien und versuchten, sich in Sicherheit zu bringen; Demeter winkte mit der Hand und eine ganze Kolonne von Riesen wurde zum Weizenfeld; Persephone verwandelte die Speere der Dracaenae in Sonnenblumen. Nico hackte und schnitt sich den Weg durch die Feinde und versuchte, nach besten Kräften die Fußgänger zu verschonen. Meine Eltern rannten auf mich zu und wichen Monstern und Zombies aus, aber ich hatte keine Möglichkeit, ihnen zu helfen.

»Nakamura zu mir«, sagte Kronos. »Riesen – ihr erledigt die da!«

Er zeigte auf meine Freunde und mich. Dann verschwand er im Foyer.

Eine Sekunde lang war ich wie gelähmt. Ich hatte mit einem Kampf gerechnet, aber Kronos ignorierte mich einfach, als wäre ich der Mühe nicht wert. Das machte mich ziemlich wütend.

Der erste hyperboreische Riese schlug mit seiner Keule nach mir. Ich rollte mich zwischen seinen Beinen durch und bohrte ihm Springflut in den Hintern, worauf er zu einem Haufen aus Eisscherben zerfiel. Der zweite Riese hauchte Annabeth, die sich kaum auf den Füßen halten konnte, mit Frost an, aber Grover zog sie beiseite, während Thalia sich ans Werk machte. Sie sprang wie eine Gazelle den Rücken des Riesen hoch, zog ihr Jagdmesser über seinen riesigen blauen Nacken und schuf damit die größte kopflose Eisskulptur auf der ganzen Welt.

Ich starrte durch die magische Schranke. Nico kämpfte sich auf meine Mom und Paul zu, aber die warteten nicht gerade auf Hilfe. Paul entriss einem gefallenen Helden ein Schwert und war verdammt gut darin, eine Dracaena zu beschäftigen. Er stach sie in den Bauch und sie löste sich auf.

»Paul?«, rief ich überrascht.

Er drehte sich zu mir um und grinste. »Ich hoffe, das war gerade ein Monster. Auf dem College hab ich bei Shakespearestücken mitgemacht, da hab ich ein bisschen den Umgang mit Schwertern gelernt.«

Ich mochte ihn jetzt gleich noch viel lieber, aber nun ging ein laistrygonischer Riese auf meine Mom los. Sie wühlte in einem verlassenen Streifenwagen herum – vielleicht suchte sie den Notruf – und kehrte dem Riesen den Rücken.

»Mom!«, schrie ich.

Sie wirbelte herum, als das Monster sie fast erreicht hatte. Ich hielt das Gerät in ihrer Hand für einen Regenschirm, aber dann riss sie den Abzug zurück und ihr Schuss schleuderte den Riesen an die sieben Meter rückwärts, voll in Nicos Schwert.

»Gut gemacht«, sagte Paul.

»Wann hast du denn schießen gelernt?«, fragte ich.

Meine Mom blies sich die Haare aus dem Gesicht. »Vor ungefähr zwei Sekunden. Percy, wir kommen hier zurecht. Geh!«

»Ja«, sagte Nico zustimmend. »Die Armee übernehmen wir. Du musst Kronos erledigen.«

»Na los, Algenhirn«, sagte Annabeth. Ich nickte. Dann sah ich den Schutthaufen am Straßenrand an. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich hatte Chiron vergessen. Wie hatte mir das nur passieren können?

»Mrs O’Leary«, sagte ich. »Bitte, Chiron liegt da drunter. Wenn irgendwer ihn ausbuddeln kann, dann du. Such ihn! Hilf ihm!«

Ich weiß nicht, wie viel sie verstanden hatte, aber sie sprang auf den Schutthaufen und fing an zu scharren. Annabeth, Thalia, Grover und ich rannten auf die Fahrstühle zu.


Wir schlagen die Ewige Stadt zu Klump

Die Brücke zum Olymp löste sich gerade in ihre Bestandteile auf. Als wir aus dem Fahrstuhl auf den weißen Marmorübergang traten, öffneten sich vor unseren Füßen sofort Risse.

»Springt!«, sagte Grover, aber er hatte gut reden, schließlich ist er zum Teil eine Bergziege.

Er hüpfte auf den nächsten Steinquader, während der erste sich unter unseren Füßen schräg legte.

»Bei den Göttern, ich habe Höhenangst!«, schrie Thalia, als sie und ich lossprangen, aber Annabeth schaffte es nicht mehr. Sie stolperte und schrie: »Percy!«

Ich packte ihre Hand, als die Steinplatte unter uns abstürzte und zu Staub zerfiel. Eine Sekunde lang dachte ich, Annabeth würde uns beide nach unten reißen; ihre Füße baumelten in der Luft und ihre Hand rutschte ab, bis ich nur noch ihre Finger hielt. Dann packten Grover und Thalia meine Beine und ich fand irgendwie neue Kraft. Annabeth würde nicht abstürzen.

Ich zog sie hoch und wir lagen zitternd auf den Steinen. Ich merkte erst, dass wir die Arme umeinander geschlungen hatten, als Annabeth plötzlich erstarrte.

»Äh, danke«, murmelte sie.

Ich wollte sagen, »nicht der Rede wert«, aber es klang eher wie »äh, ja«.

»Los, weiter!« Grover zog an meiner Schulter. Annabeth und ich lösten uns voneinander und rannten über die Himmelsbrücke, während sich mehr und mehr Steine auflösten und im leeren Raum verschwanden. Wir hatten gerade den Fuß des Berges erreicht, als der letzte Teil einstürzte.

Annabeth schaute zum Fahrstuhl zurück, der jetzt nicht mehr zu erreichen war – polierte Metalltüren, die allein in der Luft hingen, sechshundert Stock oberhalb von Manhattan.

»Wir sitzen fest«, sagte sie. »Ganz allein.«

»Mäh-hä-hä«, sagte Grover. »Die Verbindung zwischen dem Olymp und Amerika löst sich auf. Wenn sie verschwindet …«

»Diesmal werden die Götter in kein anderes Land weiterziehen«, sagte Thalia. »Das wird das Ende des Olymps sein. Das endgültige Ende.«

Wir rannten durch die Straßen. Häuser brannten, Statuen waren umgestürzt, Bäume in den Parks waren zu Splittern zerlegt. Es sah aus, als hätte irgendwer die Stadt mit einer riesigen Hacke angegriffen.

»Kronos’ Sense«, sagte ich.

Wir folgten dem verschlungenen Weg zum Palast der Götter. In meiner Erinnerung war es nicht so weit gewesen – vielleicht ließ Kronos die Zeit langsamer vergehen, vielleicht hielt mich aber auch nur die Angst zurück. Der gesamte Berggipfel war eine Trümmerlandschaft – so viele prachtvolle Gebäude und Gärten waren verschwunden.

Ein paar zweitrangige Götter und Naturgeister hatten versucht, Kronos aufzuhalten. Ihre Überreste lagen überall auf der Straße herum: Rüstungen, Kleiderfetzen, zerbrochene Schwerter und Speere.

Irgendwo vor uns brüllte Kronos’ Stimme: »Stein um Stein! Das war mein Versprechen! STEIN UM STEIN EINREISSEN!«

Ein weiter Marmortempel mit goldener Kuppel explodierte. Die Kuppel flog in die Luft wie der Deckel einer Teekanne und zersprang in eine Milliarde Stücke, dann regneten Scherben auf die Stadt hinab.

»Das war ein Schrein der Artemis«, knurrte Thalia. »Dafür wird er bezahlen.«

Wir rannten unter dem Marmorbogen mit den riesigen Statuen von Zeus und Hera hindurch, als der gesamte Berg stöhnte und hin und her schaukelte wie ein Schiff im Sturm.

»Achtung!«, schrie Grover. Der Bogen stürzte ein und ich schaute gerade rechtzeitig hoch, um zu sehen, wie eine zwanzig Tonnen schwere verärgerte Hera über uns zusammenbrach. Annabeth und ich wären fast plattgemacht worden, aber Thalia versetzte uns von hinten einen Stoß und wir landeten gerade so eben außerhalb der Gefahrenzone.

»Thalia!«, schrie Grover.

Als der Staub sich verzogen hatte und der Berg sich nicht mehr bewegte, war sie zwar noch am Leben, aber ihre Beine waren unter der Statue eingeklemmt.

Wir versuchten verzweifelt, die Statue anzuheben, doch dafür wären mehrere Zyklopen nötig gewesen. Als wir Thalia herausziehen wollten, schrie sie vor Schmerz auf.

»Da hab ich all diese Schlachten überlebt«, knurrte sie. »Und dann wirft ein blödes Stück Stein mich um!«

»Das war Hera«, sagte Annabeth wütend. »Die hat es schon das ganze Jahr auf mich abgesehen. Ihre Statue hätte mich umgebracht, wenn du mich nicht weggestoßen hättest.«

Thalia schnitt eine Grimasse. »Was soll’s, steht hier nicht rum. Ich komm schon zurecht. Los!«

Wir wollten sie nicht verlassen, aber ich konnte Kronos lachen hören, während er sich der Halle der Götter näherte. Weitere Gebäude gingen in die Luft.

»Wir kommen zurück«, versprach ich.

»Ich warte so lange hier«, stöhnte Thalia.

Ein Feuerball explodierte am Berghang, gleich in der Nähe der Palasttore.

»Wir müssen rennen«, sagte ich.

»Ich nehme an, du meinst nicht, wegrennen«, murmelte Grover hoffnungsvoll.

Ich lief auf den Palast zu, dicht gefolgt von Annabeth.

»Das hab ich befürchtet«, seufzte Grover und klapperte hinter uns her.

Die Palasttüren waren groß genug, um ein Kreuzfahrtschiff durchzulassen, aber sie waren aus den Angeln gerissen und zerschlagen worden, als wögen sie nichts. Kronos stand mitten im Thronsaal, er hatte die Arme ausgebreitet und starrte die Sternendecke an. Sein Lachen hallte noch lauter wider als in den Tiefen des Tartarus.

»Endlich!«, brüllte er. »Der Olympische Rat – so stolz und mächtig. Welchen Sitz der Macht soll ich als Erstes zerstören?«

Ethan Nakamura stand neben ihm und versuchte, der Sense seines Herrn auszuweichen. Das Herdfeuer war fast verloschen, nur wenige Kohlen glühten noch tief unten in der Asche. Hestia und Rachel waren nirgendwo zu sehen. Ich hoffte, dass Rachel unversehrt war, aber ich hatte so viel Zerstörung gesehen, dass ich nicht weiter daran denken wollte. Der Ophiotaurus schwamm in der Ecke des Saals in seinem Wasserbecken und blieb klugerweise ganz stumm, aber es würde nicht lange dauern, bis Kronos ihn entdeckte.

Annabeth, Grover und ich traten ins Fackellicht. Ethan sah uns als Erster.

»Majestät«, warnte er.

Kronos fuhr herum und lächelte durch Lukes Gesicht. Abgesehen von den goldenen Augen sah er aus wie vor vier Jahren, als er mich in der Hermes-Hütte willkommen geheißen hatte. Annabeth stieß eine Art Schluchzen aus, als ob jemand ihr einen Stoß versetzt hätte.

»Soll ich dich als Ersten vernichten, Jackson?«, fragte Kronos. »Ist das deine Entscheidung – mit mir zu kämpfen und zu sterben, statt dich zu unterwerfen? Weissagungen enden niemals gut, weißt du?«

»Luke würde mit dem Schwert kämpfen«, sagte ich. »Aber ich vermute, Ihr seid nicht so gut wie er.«

Kronos lachte höhnisch. Seine Sense nahm eine andere Gestalt an und plötzlich hielt er Lukes alte Waffe in der Hand, Rückenbeißer, mit einer Schneide, die halb aus Stahl und halb aus himmlischer Bronze geschmiedet war.

Neben mir hellte sich Annabeths Gesicht auf, als ob ihr plötzlich eine Idee gekommen wäre. »Percy, die Klinge!« Sie zog ihr Messer. »Seine Seele wird von verfluchter Klinge gefällt.«

Ich begriff nicht, warum sie mich gerade jetzt an diese Zeile aus der Weissagung erinnerte. Es war nicht gerade toll für meine Kampfmoral, aber ehe ich etwas sagen konnte, hob Kronos sein Schwert.

»Warte!«, schrie Annabeth.

Kronos jagte wie ein Wirbelwind auf mich zu.

Meine Instinkte übernahmen das Kommando. Ich wich aus, schlug zu und rollte zur Seite, aber ich hatte das Gefühl, gegen hundert Schwertkämpfer antreten zu müssen. Ethan stahl sich beiseite und versuchte, hinter mich zu gelangen, aber Annabeth fing ihn ab. Sie begannen zu kämpfen, aber ich konnte mich nicht darum kümmern. Ich registrierte vage, dass Grover auf seiner Rohrflöte spielte. Der Klang erfüllte mich mit Wärme und Mut – mit Gedanken an Sonnenschein und einen blauen Himmel und eine friedliche Welt irgendwo weit entfernt vom Krieg.

Kronos trieb mich zum Thron des Hephaistos – eine Art riesiger bronzener Fernsehsessel mit silbernen Scharnieren. Kronos schlug zu und ich schaffte es, auf den Sitz zu springen. Der Thron zitterte und die geheimen Mechanismen brummten. Verteidigungsmodus, warnten sie. Verteidigungsmodus.

Das konnte nicht gut sein. Ich sprang über Kronos’ Kopf hinweg, als der Thron in alle Richtungen elektrische Strahlen abgab. Einer traf Kronos im Gesicht und Strom jagte durch seinen Körper nach unten und durch sein Schwert wieder hoch.

»ARG!« Er fiel auf die Knie und ließ Rückenbeißer fallen.

Annabeth sah ihre Chance. Sie trat Ethan beiseite und griff Kronos an. »Luke, hör zu!«

Ich wollte sie anbrüllen, ihr sagen, es sei Wahnsinn, Kronos zur Vernunft bringen zu wollen, aber mir blieb keine Zeit. Kronos winkte kurz mit der Hand und Annabeth flog rückwärts, knallte gegen den Thron ihrer Mutter und stürzte zu Boden.

»Annabeth!«, schrie ich.

Ethan Nakamura kam auf die Füße. Er stand jetzt zwischen Annabeth und mir und ich konnte ihn nicht angreifen, ohne Kronos den Rücken zu kehren.

Grovers Musik nahm eine dringlichere Färbung an. Er ging auf Annabeth zu, konnte aber nicht schneller laufen, während er spielte. Gras wuchs aus dem Boden des Thronsaals und winzige Wurzeln stahlen sich aus den Rissen in den Marmorplatten.

Kronos erhob sich auf ein Knie; seine Haare schwelten und sein Gesicht war von Stromverbrennungen übersät. Er griff nach seinem Schwert, aber diesmal flog es nicht in seine Hände zurück.

»Nakamura«, stöhnte er. »Zeit, dich zu beweisen. Du kennst Jacksons geheime Schwäche. Bring ihn um und ich werde dich über alle Maßen belohnen!«

Ethans Augen wanderten zu meiner Mitte und ich war sicher, dass er es wusste. Selbst wenn er mich nicht selbst töten könnte, brauchte er es Kronos nur zu sagen. Ich würde mich nicht für immer verteidigen können.

»Sieh dich um, Ethan«, sagte ich. »Das Ende der Welt. Ist das die Belohnung, die du dir wünschst? Willst du wirklich, dass alles zerstört wird – das Gute zusammen mit dem Bösen? Einfach alles?«

Grover hatte Annabeth jetzt fast erreicht. Das Gras auf dem Boden wurde dichter und die Wurzeln waren fast dreißig Zentimeter lang, wie ein struppiger Ziegenbart.

»Es gibt keinen Thron für Nemesis«, murmelte Ethan. »Keinen Thron für meine Mutter!«

»Stimmt!« Kronos versuchte aufzustehen, brach aber wieder zusammen. »Mach sie nieder! Sie haben es nicht besser verdient!«

»Du hast gesagt, deine Mom sei die Göttin des Gleichgewichts«, erinnerte ich ihn. »Die zweitrangigen Götter haben sicher etwas Besseres verdient, Ethan, aber totale Zerstörung ist kein Gleichgewicht. Kronos baut nicht auf. Er zerstört nur.«

Ethan schaute den zischenden Thron des Hephaistos an. Grovers Musik erklang noch immer und Ethan bewegte sich im Takt, als fülle die Melodie ihn mit Nostalgie – mit dem Wunsch, einen schönen Tag zu erleben, irgendwo anders zu sein, nur nicht hier. Sein einziges Auge blinzelte.

Dann griff er an … aber nicht mich.

Während Kronos noch immer auf den Knien lag, traf Ethans Schwert den Hals des Titanenherrschers. Der Schlag hätte Kronos sofort töten müssen, aber die Klinge zerbrach. Ethan wurde zurückgeschleudert und griff sich an den Bauch: Ein Stück seiner eigenen Klinge war zurückgeprallt und hatte seine Rüstung durchbohrt.

Kronos kam schwankend auf die Beine und ragte über seinem Diener auf. »Verrat«, fauchte er.

Grover spielte noch immer und Gras wuchs um Ethans Körper. Ethan starrte mich mit schmerzverzerrtem Gesicht an.

»Besseres verdient«, keuchte er. »Wenn sie nur … Throne hätten …«

Kronos stampfte mit dem Fuß auf und der Boden um Ethan Nakamura brach auseinander. Der Sohn der Nemesis fiel in einen Spalt und durch das Herz des Berges ins Nichts.

»Der wäre erledigt.« Kronos hob sein Schwert auf. »Und jetzt zu euch.«

Mein einziger Gedanke war, ihn von Annabeth wegzuhalten.

Grover stand neben ihr. Er spielte nicht mehr, sondern flößte ihr Ambrosia ein. Wo immer Kronos stehen blieb, wickelten die Wurzeln sich um seine Füße, aber Grover hatte zu früh mit seiner Magie aufgehört. Die Wurzeln waren nicht stark genug, um mehr auszurichten, als den Titanen zu verärgern.

Wir kämpften mitten in der Feuerstelle und wirbelten Kohlenstücke und Funken auf. Kronos schlug eine Armlehne vom Thron des Ares, was ich in Ordnung fand, aber dann drängte er mich zum Thron meines Dads zurück.

»Das ist gut«, sagte Kronos. »Das wird schönes Brennholz für meine neue Feuerstelle.«

Unsere Klingen trafen in einem Funkenschauer aufeinander. Kronos war stärker als ich, aber für einen Moment spürte ich die Macht des Ozeans in meinen Armen. Ich stieß Kronos zurück, schlug wieder zu und zog Springflut so hart über seinen Brustpanzer, dass ich ein Loch in die himmlische Bronze riss.

Er stampfte wieder mit dem Fuß auf und die Zeit wurde langsamer. Ich versuchte anzugreifen, aber ich bewegte mich mit der Geschwindigkeit eines Gletschers. Kronos zog sich in aller Ruhe zurück, um wieder zu Atem zu kommen. Er untersuchte den Riss in seiner Rüstung, während ich mich vorwärtskämpfte und ihn in Gedanken verfluchte. Er konnte sich so viele Pausen gönnen, wie er brauchte. Er konnte mich nach Lust und Laune mitten in der Bewegung erstarren lassen. Meine einzige Hoffnung war, dass diese Anstrengung ihm alle Kraft aussaugte. Wenn ich ihn ermüden könnte …

»Es ist zu spät, Percy Jackson«, sagte er. »Schau her.«

Er zeigte auf die Feuerstelle und die Kohlen glühten auf. Eine weiße Rauchfahne erhob sich aus dem Feuer und formte Bilder wie bei einer Irisbotschaft. Ich sah Nico und meine Eltern unten auf der Fifth Avenue, wo sie von Feinden umzingelt waren und einen hoffnungslosen Kampf ausfochten. Im Hintergrund kämpfte Hades auf seinem schwarzen Streitwagen, er rief eine Welle von Zombies nach der anderen aus dem Boden, aber die Armee des Titanen schien ebenso unendlich groß zu sein. Manhattan wurde inzwischen dem Erdboden gleichgemacht. Sterbliche, jetzt bei vollem Bewusstsein, rannten voller Angst hin und her. Autos schlingerten umher und stießen zusammen.

Die Szene veränderte sich und ich sah etwas noch Entsetzlicheres.

Eine Sturmsäule bewegte sich rasch die Küste von Jersey entlang und näherte sich dem Hudson. Streitwagen umkreisten sie, verstrickt in einen Kampf mit dem Wesen in der Wolke.

Die Götter griffen an. Blitze loderten auf. Goldene und silberne Pfeile jagten in die Wolke wie Leuchtraketen und explodierten. Langsam wurde die Wolke auseinandergerissen und zum ersten Mal konnte ich Typhon deutlich erkennen.

Ich wusste, diesen Anblick würde ich den Rest meines Lebens (was möglicherweise nicht mehr lange dauern würde) nicht vergessen können. Typhons Kopf änderte sich ununterbrochen; jeden Moment verwandelte er sich in ein anderes Monster, jedes noch grauenhafter als das letzte. In sein Gesicht zu schauen, hätte mich in den Wahnsinn getrieben, also konzentrierte ich mich auf seinen Rumpf, was aber nicht viel besser war. Er hatte eine menschliche Gestalt, aber seine Haut erinnerte mich an einen Fleischklops, der ein ganzes Jahr bei jemandem im Schrank herumgelegen hat. Sie war grün gesprenkelt, mit Blasen, so groß wie Häuser, und verkohlten Stellen, weil er für Äonen unter einem Vulkan festgesteckt hatte. Er hatte Menschenhände, doch sie waren mit Adlerklauen besetzt. Seine Beine waren schuppig wie die eines Reptils.

»Die Olympier bieten ihre letzten Kräfte auf.« Kronos lachte. »Wie jämmerlich.«

Zeus schleuderte aus seinem Wagen einen Blitzstrahl. Der Blitz erhellte die ganze Welt und ich konnte seine Kraft sogar hier auf dem Olymp spüren, doch als der Staub sich verzogen hatte, stand Typhon noch immer aufrecht. Er taumelte ein wenig und hatte einen rauchenden Krater in seinem missgestalteten Schädel, aber er brüllte vor Wut und rückte weiter vor.

Meine Glieder entspannten sich. Kronos schien das nicht zu bemerken. Er konzentrierte sich auf den Kampf und seinen letzten Sieg. Wenn ich noch einige Sekunden durchhalten könnte und wenn mein Dad sein Wort hielt …

Typhon trat in den Hudson und das Wasser reichte ihm kaum bis zur Mitte der Wade.

Jetzt, dachte ich und flehte das Bild im Rauch an. Bitte, lass es jetzt passieren.

Wie durch ein Wunder erscholl aus dem rauchigen Bild ein Muschelhorn. Der Ruf des Ozeans. Der Ruf des Poseidon.

Überall um Typhon herum explodierte der Hudson, er kochte und schlug Wellen von fünfzehn Meter Höhe. Aus dem Wasser brach ein weiterer Streitwagen – und dieser wurde gezogen von riesigen Hippocampi, die in der Luft ebenso mühelos schwammen wie im Wasser. Mein Vater, umgeben von einer blauen Aura der Kraft, zog einen Kreis um die Beine des Riesen. Poseidon war kein alter Mann mehr. Er sah wieder aus wie er selbst – sonnengebräunt und stark und mit einem schwarzen Bart. Als er seinen Dreizack schwang, antwortete der Fluss und bildete um das Monster eine Windhose.

»Nein!«, brüllte Kronos nach einem Moment verblüfften Schweigens. »NEIN!«

»JETZT, MEINE BRÜDER!« Poseidons Stimme war so laut, dass ich nicht sicher war, ob ich das Rauchbild hörte oder ihn selbst quer durch die ganze Stadt. »KÄMPFT FÜR DEN OLYMP!«

Krieger brachen aus dem Fluss und ritten auf riesigen Haien und Drachen und Seepferden über die Wellen. Es war eine Legion aus Zyklopen, und sie wurde in die Schlacht geführt von …

»Tyson!«, schrie ich.

Ich wusste, dass er mich nicht hören konnte, aber ich starrte ihn voller Staunen an. Er war auf wundersame Weise gewachsen; er musste an die zehn Meter groß sein, so groß wie seine älteren Vettern, und zum ersten Mal trug er volle Kampfrüstung. Hinter ihm kam Briareos, der Hunderthändige.

Alle Zyklopen hielten lange schwarze Eisenketten in der Hand – groß genug, um ein Schlachtschiff zu verankern, und mit Enterhaken an den Enden. Sie schwenkten sie wie Lassos und fingen an, Typhon einzuwickeln; sie warfen die Ketten um seine Beine und Arme und nutzten die Flut, um ihn zu umkreisen und langsam zu fesseln. Typhon schüttelte sich und brüllte und riss an den Ketten, wobei er einige Zyklopen von ihren Reittieren riss; aber es waren zu viele Ketten. Dann zog das pure Gewicht des Zyklopenbataillons Typhon nach unten. Poseidon warf seinen Dreizack und traf das Monster in die Kehle. Goldenes Blut, unsterbliches Ichor, schoss aus der Wunde und bildete einen Wasserfall, der größer war als ein Wolkenkratzer. Der Dreizack flog zurück in Poseidons Hand.

Die übrigen Götter schlugen mit frischer Kraft zu. Ares stach Typhon in die Nase. Artemis traf das Monster mit einem Dutzend Silberpfeilen ins Auge. Apollo gab eine Salve aus brennenden Pfeilen ab und ließ Typhons Lendenschurz auflodern. Und Zeus warf immer neue Blitze auf den Riesen, bis endlich, langsam, das Wasser stieg und Typhon wie ein Kokon umhüllte und er durch das Gewicht der Ketten nach unten gezogen wurde. Typhon brüllte und schlug so heftig um sich, dass die Wellen die Küste von Jersey trafen und fünfstöckige Gebäude sowie die George Washington Bridge überfluteten. Aber Typhon versank in einen Tunnel, den mein Dad auf dem Grund des Flusses für ihn öffnete – eine endlose Wasserrutsche, die ihn geradewegs in den Tartarus bringen würde. Der Riese ging in einem kochenden Whirlpool unter und war verschwunden.

»BAH!«, schrie Kronos. Er zerfetzte den Rauch mit seinem Schwert und schnitt damit das Bild in Stücke.

»Sie sind auf dem Weg«, sagte ich. »Ihr habt verloren.«

»Ich habe noch nicht einmal richtig angefangen.«

Er kam mit übermenschlicher Geschwindigkeit näher. Grover – ganz der brave, blöde Satyr – versuchte, mich zu beschützen, aber Kronos schleuderte ihn aus dem Weg wie eine Stoffpuppe.

Ich trat zur Seite und fuhr Kronos mit dem Schwert in die Parade. Es war ein guter Trick, aber leider kannte Luke den auch. Er wehrte meinen Schlag ab und entwaffnete mich mit einer der ersten Bewegungen, die er mich je gelehrt hatte. Mein Schwert klapperte über den Boden und verschwand in einem Riss.

»AUFHÖREN!« Aus dem Nirgendwo tauchte Annabeth auf.

Kronos fuhr herum und schlug mit Rückenbeißer zu, aber irgendwie konnte Annabeth den Schlag mit ihrem Messergriff abfangen – das schaffte nur die schnellste und geschickteste Messerkämpferin der Welt. Fragt mich nicht, woher sie die Kraft nahm, aber sie trat dichter an Kronos heran, ihre Klingen kreuzten sich und für einen Moment stand sie dem Titanenherrscher von Angesicht zu Angesicht gegenüber und hielt ihn auf.

»Luke«, sagte sie und knirschte mit den Zähnen. »Ich verstehe es jetzt. Du musst mir vertrauen.«

Kronos brüllte vor Empörung auf. »Luke Castellan ist tot! Sein Körper wird verbrennen, sobald ich meine wahre Gestalt annehme!«

Ich wollte mich bewegen, aber mein Körper war wieder erstarrt. Woher nahm Annabeth, verletzt und halb tot vor Erschöpfung, noch die Kraft, mit einem Titanen wie Kronos zu kämpfen?

Kronos drängte sich gegen sie und versuchte, seine Klinge zu befreien, aber sie hielt ihn in Schach. Ihre Arme zitterten, als er sein Schwert ihrem Hals näherte.

»Deine Mutter«, würgte Annabeth hervor. »Sie hat dein Schicksal vorausgesehen.«

»Dienst an Kronos!«, brüllte der Titan. »Das ist mein Schicksal!«

»Nein!«, beharrte Annabeth. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, aber ich wusste nicht, ob vor Kummer oder Schmerz. »Das ist nicht das Ende, Luke. Die Weissagung. Sie hat gesehen, was du tun wirst. Die Weissagung bezieht sich auf dich.«

»Ich werde dich zermalmen!«, brüllte Kronos.

»Wirst du nicht«, sagte Annabeth. »Das hast du versprochen. Du hältst Kronos ja sogar jetzt noch zurück.«

»GELOGEN!« Kronos drängte sich wieder vor und diesmal verlor Annabeth das Gleichgewicht. Mit seiner freien Hand schlug Kronos ihr ins Gesicht und sie stolperte rückwärts.

Ich nahm all meine Willenskraft zusammen. Irgendwie schaffte ich es aufzustehen, aber es fühlte sich wieder so an, wie das Gewicht des Himmels zu tragen.

Kronos ragte mit erhobenem Schwert über Annabeth auf.

Aus ihrem Mundwinkel rann Blut. Sie würgte hervor: »Wir sind eine Familie, Luke. Das hast du versprochen.«

Ich schleppte mich unter Schmerzen einen Schritt weiter. Grover war wieder auf den Beinen, drüben beim Thron der Hera, aber auch er schien sich kaum bewegen zu können. Ehe wir auch nur in die Nähe von Annabeth gekommen waren, geriet Kronos ins Taumeln.

Er starrte das Messer in Annabeths Hand an, das Blut in ihrem Gesicht. »Versprochen.«

Dann keuchte er, als bekäme er keine Luft. »Annabeth …« Aber es war nicht die Stimme des Titanen, sondern Lukes. Er taumelte vorwärts, als ob er seinen eigenen Körper nicht unter Kontrolle hätte. »Du blutest …«

»Mein Messer.« Annabeth versuchte, ihren Dolch zu heben, aber er fiel ihr klirrend aus der Hand. Ihr Arm war in einem seltsamen Winkel abgeknickt. Sie sah mich flehend an. »Percy, bitte …«

Ich konnte mich wieder bewegen.

Ich sprang vor und hob ihr Messer auf, schlug Luke Rückenbeißer aus der Hand und das Schwert wirbelte in die Feuerstelle. Luke achtete kaum auf mich. Er trat auf Annabeth zu, aber ich schob mich dazwischen.

»Fass sie nicht an«, sagte ich.

Auf seinem Gesicht spiegelte sich Zorn. Kronos’ Stimme knurrte: »Jackson …« Bildete ich mir das ein, oder glühte jetzt sein ganzer Körper, wurde golden?

Er schnappte wieder nach Luft. Dann Lukes Stimme: »Er verändert sich. Hilfe. Er … er ist fast so weit. Er wird meinen Körper nicht mehr brauchen. Bitte …«

»NEIN!«, dröhnte Kronos. Er hielt Ausschau nach seinem Schwert, aber das lag in der Feuerstelle und glühte zwischen den Kohlen.

Er stolperte darauf zu und ich versuchte, ihn aufzuhalten, aber er stieß mich beiseite. Ich landete neben Annabeth und knallte mit dem Kopf gegen den Sockel von Athenes Thron.

»Das Messer, Percy«, murmelte Annabeth. Ihr Atem war flach und schnell. »Seine Seele … verfluchte Klinge …«

Als ich wieder klar sehen konnte, packte Kronos gerade sein Schwert. Dann brüllte er vor Schmerz auf und ließ es fallen. Seine Hände waren verbrannt und rauchten, und das Herdfeuer war jetzt glühend rot, als ob die Waffe sich nicht damit vertrüge. Ich sah in der Asche das Bild der Hestia, die Kronos voller Missbilligung musterte.

Luke drehte sich zu mir um und brach zusammen, seine zerstörten Hände presste er schützend an sich. »Bitte, Percy …«

Ich kam mühsam auf die Beine und ging mit dem Messer auf ihn zu. Ich musste ihn töten. Das sah der Plan vor.

Luke schien meine Gedanken zu erraten. Er befeuchtete sich die Lippen. »Du kannst … kannst es nicht selbst. Er würde meine Kontrolle brechen und sich verteidigen. Nur meine eigene Hand. Ich weiß, wo. Ich kann … kann ihn unter Kontrolle halten.«

Er glühte jetzt am ganzen Leib und seine Haut fing an zu rauchen.

Ich hob das Messer, um zuzustechen. Dann sah ich zu Annabeth hinüber, zu Grover, der sie in den Armen hielt und versuchte, sie zu beschützen. Und endlich begriff ich, was sie mir zu sagen versucht hatte.

Du bist nicht der Heros, hatte Rachel gesagt. Das wird deine Taten beeinflussen.

»Bitte«, stöhnte Luke. »Schnell.«

Wenn Kronos seine wahre Gestalt annähme, würden wir ihn nicht mehr aufhalten können. Neben ihm würde Typhon aussehen wie ein Spielplatzheld.

Eine Zeile aus der Großen Weissagung hallte in meinem Kopf wider: Seine Seele wird von verfluchter Klinge gefällt. Meine Welt stellte sich auf den Kopf und ich reichte Luke das Messer.

Grover quietschte auf. »Percy? Bist du … äh …?«

Wahnsinnig. Verrückt. Durchgeknallt. Wahrscheinlich.

Aber ich sah zu, wie Luke das Messer packte.

Ich stand vor ihm – wehrlos.

Er öffnete die Seitenriemen seiner Rüstung und entblößte ein kleines Stück Haut gleich unter seinem linken Arm, eine Stelle, die sehr schwer zu treffen war. Mit großer Mühe stach er hinein.

Es war keine tiefe Wunde, aber Luke heulte auf und seine Augen glühten wie Lava. Der Thronsaal bebte und ich stürzte zu Boden. Eine Aura aus Energie umgab Luke, wurde heller und heller. Ich schloss die Augen und spürte, wie die Explosion meine Lippen platzen ließ und meine Haut mit Blasen überzog.

Dann war es sehr lange still.

Als ich die Augen öffnete, lag Luke neben der Feuerstelle. Der Boden um ihn herum war mit schwarzer Asche bedeckt. Kronos’ Sense war geschmolzen und tropfte in die Kohlen des Herdes, die jetzt glühten wie in der Esse eines Schmiedes.

Lukes linke Seite war blutverschmiert. Seine Augen waren offen – blaue Augen, so wie früher. Er röchelte beim Atmen. »Gute … Klinge«, krächzte er.

Ich kniete neben ihm nieder. Annabeth humpelte mit Grovers Hilfe zu ihm hinüber. Beide hatten Tränen in den Augen.

Luke starrte Annabeth an. »Du hast es gewusst. Ich hätte dich fast umgebracht, aber du hast gewusst …«

»Psst.« Ihre Stimme zitterte. »Am Ende warst du doch ein Held, Luke. Du wirst ins Elysium eingehen.«

Er schüttelte müde den Kopf. »Versuche … Wiedergeburt. Dreimal. Insel der Seligen.«

Annabeth schniefte. »Du hast dir immer schon zu viel vorgenommen.«

Er hob seine verkohlte Hand. Annabeth berührte seine Fingerspitzen.

»Hast du …?« Luke hustete und seine Lippen leuchteten rot. »Hast du mich geliebt?«

Annabeth wischte sich die Tränen ab. »Eine Zeit lang dachte ich … na ja, ich dachte …« Sie sah mich an und schien einfach glücklich darüber, dass da ich war. Und ich merkte, dass es mir genauso ging. Die Welt brach zusammen, aber für mich war nur wichtig, dass sie am Leben war.

»Du warst wie ein Bruder für mich, Luke«, sagte sie leise. »Aber ich habe dich nicht geliebt.«

Er nickte, als ob er das erwartet hätte, und krümmte sich vor Schmerz zusammen.

»Wir können Ambrosia holen«, sagte Grover. »Wir können …«

»Grover.« Luke würgte. »Du bist der mutigste Satyr, der mir je begegnet ist. Aber es gibt keine Hilfe …« Noch ein Husten.

Er packte meinen Ärmel und ich konnte seine glühende Haut spüren. »Ethan. Ich. Alle, die ihr göttliches Elternteil noch nicht kennen. Lass es nicht … lass es nicht noch einmal passieren.«

Seine Augen waren wütend und flehten mich gleichzeitig an.

»Werd ich nicht«, sagte ich. »Versprochen.«

Luke nickte und seine Hand wurde schlaff.

Einige Minuten später trafen die Götter ein, in voller Schlachtausrüstung, sie stürmten in den Thronsaal und rechneten mit einer Schlacht.

Was sie vorfanden, waren Annabeth, Grover und ich, neben dem Leichnam eines Halbblutes, im warmen Licht des Herdfeuers.

»Percy«, rief mein Vater mit Verwunderung in der Stimme. »Was … was ist hier los?«

Ich drehte mich um und schaute die Olympier an.

»Wir brauchen ein Leichentuch«, sagte ich und meine Stimme brach. »Ein Leichentuch für den Sohn des Hermes.«


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Die drei Moiren kümmerten sich persönlich um Lukes Leichnam.

Ich war den Damen nicht mehr begegnet, seit ich mit zwölf Jahren gesehen hatte, wie sie an einem Obststand am Straßenrand einen Lebensfaden gekappt hatten. Sie hatten mir damals schon Angst gemacht, und jetzt machten sie mir noch immer Angst – drei gespenstische Großmütter mit Taschen voller Stricknadeln und Garn.

Eine sah mich an, und obwohl sie nichts sagte, lief mein Leben einfach vor meinen Augen ab. Plötzlich war ich zwanzig. Dann war ich ein Mann in mittlerem Alter. Dann wurde ich alt und runzlig. Alle Kraft verließ meinen Körper und ich sah meinen eigenen Grabstein und ein offenes Grab, in das gerade ein Sarg hinabgelassen wurde. Das alles geschah in weniger als einer Sekunde.

Es ist vollbracht, sagte sie.

Sie hielt den Rest blauen Garns hoch – und ich wusste, es war dasselbe, das ich vier Jahre zuvor gesehen hatte, der Lebensfaden, den sie damals durchgeschnitten hatten. Ich hatte gedacht, es sei mein Leben. Jetzt begriff ich, dass es Lukes gewesen war. Sie hatten mir das Leben gezeigt, das geopfert werden musste, um die Welt wieder in Ordnung zu bringen.

Sie hoben Lukes Leichnam hoch, der jetzt in ein weißgrünes Leichentuch gehüllt war, und wollten ihn aus dem Thronsaal tragen.

»Wartet«, sagte Hermes.

Der Götterbote trug seine klassische Tracht: ein weißes griechisches Gewand, Sandalen und Helm. Die Flügel seines Helms flatterten beim Gehen. Um seinen Caduceus ringelten sich die Schlangen George und Martha und murmelten: Luke, armer Luke.

Ich dachte an May Castellan, einsam in ihrer Küche, wo sie Plätzchen buk und Brote schmierte für einen Sohn, der nie wieder nach Hause kommen würde.

Hermes legte Lukes Gesicht frei und küsste ihn auf die Stirn. Er murmelte einige Worte auf Altgriechisch – einen letzten Segen.

»Gute Reise«, flüsterte er. Dann nickte er und die Moiren durften den Leichnam seines Sohnes forttragen.

Als sie den Saal verließen, dachte ich an die Große Weissagung. Jetzt ergaben die Zeilen für mich einen Sinn. Seine Seele wird von verfluchter Klinge gefällt. Gemeint war Luke, und die verfluchte Klinge war das Messer, das er vor langer Zeit Annabeth gegeben hatte – es war verflucht, weil Luke ein Versprechen gebrochen und seine Freunde verraten hatte. Eine einzige Entscheidung wird sein Leben beenden. Das war meine Entscheidung, ihm das Messer zu geben und wie Annabeth zu glauben, dass er die Sache noch immer in Ordnung bringen konnte. Den Olymp zu kassieren oder das Schicksal zu wenden. Indem er sich selbst geopfert hatte, hatte er den Olymp gerettet. Rachel hatte Recht gehabt. Nicht ich war der Heros. Luke war es.

Und ich verstand noch etwas anderes. Als Luke in den Styx gestiegen war, hatte er sich auf etwas konzentrieren müssen, das ihn an sein sterbliches Leben binden würde. Sonst hätte er sich aufgelöst. Ich hatte Annabeth vor mir gesehen, und ich hatte das Gefühl, dass das auch bei ihm so gewesen war. Er hatte die Szene gesehen, die Hestia mir gezeigt hatte – Luke selbst, in den guten alten Zeiten, zusammen mit Thalia und Annabeth, wie er versprach, dass sie eine Familie sein würden. Als er Annabeth im Kampf verletzt hatte, hatte der Schock ihn dazu gebracht, sich an dieses Versprechen zu erinnern. Das hatte es seinem sterblichen Bewusstsein ermöglicht, stark zu werden und Kronos zu besiegen. Seine schwache Stelle – seine Achillesferse – hatte uns alle gerettet.

Annabeths Knie gaben nach. Ich fing sie auf, aber sie stieß einen Schmerzensschrei aus und ich begriff, dass ich ihren gebrochenen Arm erwischt hatte.

»Oh Götter«, sagte ich. »Annabeth, tut mir leid.«

»Schon gut«, sagte sie, als sie in meinen Armen ohnmächtig wurde.

»Sie braucht Hilfe!«, schrie ich.

»Schon zur Stelle.« Apollo trat vor. Seine feurige Rüstung war so leuchtend, dass ich sie kaum anschauen konnte, und seine dazu passende Ray-Ban und sein perfektes Lächeln ließen ihn aussehen wie ein Model für Schlachtausrüstungen. »Gott der Heilkunst, zu euren Diensten.«

Er ließ eine Hand über Annabeths Gesicht gleiten und sprach eine Beschwörungsformel. Sofort verblichen die Schrammen und die Wunden und Narben verschwanden. Ihr Arm wurde gerade und sie seufzte im Schlaf.

Apollo grinste. »In fünf Minuten wird es ihr wieder gut gehen. Gerade Zeit genug, um ein Gedicht über unseren Sieg zu verfassen. ›Apollo und seine Freunde retten den Olymp‹. Gut, was?«

»Danke, Apollo«, sagte ich. »Äh, das mit der Poesie überlasse ich Euch.«

Die nächsten Stunden verschwimmen in meiner Erinnerung. Ich dachte an das Versprechen, das ich meiner Mutter gegeben hatte. Zeus zuckte nicht einmal mit der Wimper, als ich ihm meine seltsame Bitte vortrug. Er schnippte mit den Fingern und teilte mir mit, dass die Spitze des Empire State Building jetzt blau erleuchtet sei. Die meisten Sterblichen würden sich wohl wundern, was das bedeuten sollte, aber meine Mom würde es wissen. Ich hatte überlebt. Der Olymp war gerettet.

Die Götter machten sich daran, den Thronsaal zu reparieren, was überraschend schnell ging, da ja zwölf übernatürliche Wesen am Werk waren. Grover und ich kümmerten uns um die Verwundeten, und als die Himmelsbrücke sich wieder zusammengefügt hatte, begrüßten wir unsere überlebenden Freunde. Die Zyklopen hatten Thalia von der umgekippten Statue befreit. Sie ging an Krücken, aber ansonsten war sie unversehrt. Connor und Travis Stoll hatten nur leichte Verletzungen davongetragen. Sie beteuerten, in der Stadt nicht übermäßig viel geplündert zu haben, und sagten, meinen Eltern gehe es gut, auch wenn sie keinen Zutritt zum Olymp hätten. Mrs O’Leary hatte Chiron aus dem Schutt gegraben und ins Camp gebracht. Die Stolls schienen sich Sorgen um den alten Zentauren zu machen, aber immerhin war er am Leben. Katie Gardner berichtete, sie habe gesehen, wie Rachel Elizabeth Dare am Ende der Schlacht aus dem Empire State Building gerannt war. Rachel hatte unverletzt ausgesehen, aber niemand wusste, wo sie jetzt war, was mir ebenfalls Sorgen machte.

Nico di Angelo wurde wie ein Held empfangen, und sein Vater folgte ihm auf dem Fuße, obwohl Hades den Olymp eigentlich nur zur Wintersonnenwende besuchen durfte. Der Gott der Toten wirkte total verdutzt, als seine Verwandten ihm auf die Schulter klopften. Ich glaube nicht, dass er jemals irgendwo so begeistert empfangen worden war.

Clarisse kam hereinmarschiert, noch immer zitternd nach ihrem Aufenthalt im Eisblock, und Ares brüllte: »Da ist ja meine Kleine!«

Der Gott des Krieges zauste ihr die Haare und schlug ihr auf den Rücken und nannte sie die beste Kriegerin, die er je gesehen hatte. »Den Drakon zu erschlagen? Das ist doch mal was!«

Sie sah ganz schön überwältigt aus. Sie konnte nur nicken und blinzeln, als fürchte sie, er werde sie gleich schlagen, aber irgendwann lächelte sie dann doch.

Hera und Hephaistos gingen an mir vorbei, und obwohl Hephaistos immer noch ein wenig sauer war, weil ich auf seinen Thron gehüpft war, fand er doch, ich hätte »denen mal gezeigt, wo der Hammer hängt«.

Hera schnaubte verächtlich. »Ich denke mal, ich werde dich und diese Kleine doch nicht vernichten.«

»Annabeth hat den Olymp gerettet«, sagte ich ihr. »Sie hat Luke überredet, Kronos aufzuhalten.«

»Hmmm.« Hera rauschte schnaubend davon, aber ich ging davon aus, dass unsere Leben für den Moment nicht in Gefahr waren.

Dionysos’ Kopf war noch immer in einen Verband gewickelt. Er musterte mich von Kopf bis Fuß und sagte: »Na, Percy Jackson. Ich sehe, Pollux hat überlebt, also bist du wohl doch nicht vollständig unfähig. Das kommt alles von meiner Ausbildung.«

»Äh, sehr wohl, Sir«, sagte ich.

Mr D nickte. »Zum Dank für meine Tapferkeit hat Zeus meine Bewährungszeit in diesem Elendscamp halbiert. Jetzt bleiben mir nur noch fünfzig Jahre anstelle von hundert.«

»Fünfzig Jahre, echt?« Ich versuchte, mir vorzustellen, wie ich es mit Dionysos aushalten sollte, bis ich ein alter Mann wäre – falls ich überhaupt so lange lebte.

»Freu dich nicht zu früh, Jackson«, sagte er und mir fiel auf, dass er mich bei meinem richtigen Namen nannte. »Ich habe noch immer vor, dir das Leben zur Hölle zu machen.«

Ich musste lächeln. »Natürlich.«

»Nur, damit wir uns richtig verstehen.« Er machte kehrt und fing an, seinen vom Feuer versengten Thron aus Rebstöcken zu reparieren.

Grover blieb die ganze Zeit an meiner Seite. Ab und zu brach er in Tränen aus. »So viele tote Naturgeister, Percy. So viele!«

Ich legte ihm den Arm um die Schultern und gab ihm einen Stofffetzen, damit er sich die Nase putzen konnte. »Du hast großartige Arbeit geleistet, Mann. Wir werden das hier überleben, und wir werden neue Bäume pflanzen. Wir werden die Parks säubern. Deine Freunde werden in eine bessere Welt wiedergeboren werden.«

Er schniefte verzweifelt. »Ja … sicher. Aber es war so schon schwer genug, sie zum Kampf zu rufen. Ich bin doch noch immer ausgestoßen. Und kaum jemand wollte mir wegen Pan zuhören. Werden sie mir überhaupt je wieder ein Wort glauben? Ich habe sie doch in dieses Gemetzel geführt.«

»Sie werden dir zuhören«, versprach ich. »Weil sie dir wichtig sind. Niemandem ist die Wildnis wichtiger als dir.«

Er versuchte zu lächeln. »Danke, Percy. Ich hoffe … ich hoffe, du weißt, dass ich wirklich stolz darauf bin, dein Freund zu sein.«

Ich streichelte seinen Arm. »In einer Sache hatte Luke Recht. Du bist der tapferste Satyr, der mir je über den Weg gelaufen ist.«

Grover errötete, doch ehe er etwas sagen konnte, ertönten Muschelhörner. Die Armee des Poseidon marschierte in den Thronsaal.

»Percy!«, schrie Tyson. Er kam mit offenen Armen auf mich zugerannt. Zum Glück war er wieder auf normale Größe geschrumpft, deshalb war seine Umarmung wie ein Zusammenstoß mit einem Traktor und nicht wie mit einer ganzen Farm.

»Du bist nicht tot!«, sagte er.

»Stimmt«, sagte ich. »Überraschend, was?«

Er klatschte in die Hände und lachte glücklich. »Ich bin auch nicht tot. Juhu. Wir haben Typhon gefesselt. Das war witzig!«

Hinter ihm lachten und nickten fünfzig weitere Zyklopen in Rüstung und klatschten sich gegenseitig ab.

»Tyson hat uns angeführt«, dröhnte der eine. »Er ist tapfer!«

»Der Tapferste aller Zyklopen«, brüllte ein anderer.

Tyson wurde rot. »Nicht der Rede wert.«

»Ich hab dich gesehen«, sagte ich. »Du warst unglaublich!«

Ich dachte, der arme Grover würde in Ohnmacht fallen. Er hat furchtbare Angst vor Zyklopen. Aber er riss sich zusammen und sagte: »Ja. Äh … ein dreifaches Hurra für Tyson!«

»HURRRRRAAAAAARRRRR!«, brüllten die Zyklopen.

»Bitte, fresst mich nicht«, murmelte Grover, aber ich glaube nicht, dass irgendwer ihn hörte.

Wieder ertönten die Muschelhörner. Die Zyklopen wichen auseinander und mein Vater schritt in den Thronsaal. Er trug seine Rüstung und der Dreizack leuchtete in seinen Händen.

»Tyson!«, brüllte er. »Gut gemacht, mein Sohn. Und Percy …« Sein Gesicht wurde streng. Er drohte mir mit dem Finger und für eine Sekunde fürchtete ich, er würde mir eine scheuern. »Ich verzeihe dir sogar, dass du dich auf meinen Thron gesetzt hast. Du hast den Olymp gerettet!«

Er breitete die Arme aus und umarmte mich. Ich war ein wenig verlegen und mir wurde klar, dass ich meinen Dad noch nie umarmt hatte. Er war warm – wie ein Mensch – und roch nach salzigem Strand und frischer Seeluft.

Als er zurückwich, lächelte er mich freundlich an. Ich muss zugeben, das war ein so gutes Gefühl, dass mir die Tränen kamen. Ich glaube, bis zu diesem Moment hatte ich mir nicht einzugestehen gewagt, wie sehr ich mich die letzten Tage gefürchtet hatte.

»Dad …«

»Pssst«, sagte er. »Kein Held ist über Furcht erhaben, Percy. Und du hast jeden anderen Helden übertroffen. Nicht einmal Herkules …«

»POSEIDON!«, brüllte eine Stimme.

Zeus hatte seinen Thron bestiegen. Er starrte meinen Dad quer durch den Saal an, während die anderen Götter ihre Plätze einnahmen. Sogar Hades war dabei, er saß auf einem schlichten Gästestuhl aus Stein am Fuße der Feuerstelle. Nico saß im Schneidersitz zu Füßen seines Dads auf dem Boden.

»Na, Poseidon?«, knurrte Zeus. »Bist du zu stolz, um dich unserem Rat anzuschließen, mein Bruder?«

Ich dachte schon, Poseidon würde in Wut geraten, aber er sah mich nur an und zwinkerte. »Es wäre mir eine Ehre, Herr Zeus.«

Na ja, Wunder gibt es eben immer wieder. Poseidon ging zu seinem Angelstuhl und der Olympische Rat war zusammengetreten.

Während Zeus sprach – er hielt eine lange Rede über die Tapferkeit der Götter und so weiter –, kam Annabeth herein und stellte sich neben mich. Sie sah gut aus dafür, dass sie gerade noch ohnmächtig gewesen war.

»Viel verpasst?«, flüsterte sie.

»Bisher will uns noch niemand töten«, flüsterte ich zurück. »Zum ersten Mal heute.«

Ich kicherte, aber Grover versetzte mir einen Rippenstoß, weil Hera uns wütend anstarrte.

»Was meine Brüder angeht«, sagte Zeus, »sind wir dankbar …« Er räusperte sich, als brächte er die Worte nur mit Mühe heraus. »Äh, dankbar für die Hilfe des Hades.«

Der Herr der Toten nickte. Er sah ziemlich zufrieden mit sich aus, aber ich fand auch, dass er jedes Recht dazu hatte. Er klopfte seinem Sohn auf die Schulter und Nico sah glücklicher aus, als ich das je erlebt hatte.

»Und natürlich …«, sagte jetzt Zeus, obwohl er aussah, als ob seine Hose Feuer gefangen hätte, »… müssen wir auch … äh … Poseidon danken.«

»Verzeihung, Bruder«, sagte Poseidon. »Wie war das gerade?«

»Wir müssen Poseidon danken«, knurrte Zeus. »Ohne den … es nicht leicht gewesen wäre …«

»Nicht leicht?«, fragte Poseidon unschuldig.

»Unmöglich«, sagte Zeus. »Unmöglich gewesen wäre, Typhon zu besiegen.«

Die Götter murmelten zustimmend und schlugen auf ihre Waffen.

»Und damit bleibt uns nur noch«, sagte Zeus, »uns bei unseren heldenhaften jungen Halbgöttern zu bedanken, die den Olymp so gut verteidigt haben – auch wenn mein Thron einige Dellen aufweist.«

Er rief Thalia zuerst zu sich, da sie seine Tochter war, und versprach ihr Hilfe beim Anwerben neuer Jägerinnen.

Artemis lächelte. »Du hast gute Arbeit geleistet, meine Vertreterin. Du hast mich stolz gemacht, und alle Jägerinnen, die in meinem Dienst umgekommen sind, werden nicht in Vergessenheit geraten. Sie werden ins Elysium eingehen, da bin ich mir sicher.«

Sie starrte Hades vielsagend an.

Er zuckte mit den Schultern. »Vermutlich.«

Artemis starrte ihn weiter an.

»Na gut«, knurrte Hades. »Ich werde für sie das Aufnahmeverfahren vereinfachen.«

Thalia strahlte vor Stolz. »Vielen Dank, Herrin.« Sie verbeugte sich vor den Göttern, sogar vor Hades, dann hinkte sie neben den Thron der Artemis.

»Tyson, Sohn des Poseidon!«, rief Zeus. Tyson wirkte nervös, aber dann trat er mitten vor den Rat und Zeus grunzte.

»Lässt wohl nicht viele Mahlzeiten aus, was?«, murmelte Zeus. »Tyson, für deine Tapferkeit im Krieg und als Anführer der Zyklopen wirst zum General in der olympischen Armee ernannt. Du wirst hinfort deine Brüder in den Krieg führen, wann immer die Götter das verlangen. Und du bekommst ein neues … äh … was für eine Waffe hättest du denn gern? Ein Schwert? Eine Axt?«

»Stock!«, sagte Tyson und zeigte seine zerbrochene Keule vor.

»Sehr gut«, sagte Zeus. »Dann bekommst du einen neuen, äh, Stock. Den besten Stock, der sich auftreiben lässt.«

»Hurra!«, rief Tyson und alle Zyklopen jubelten und hämmerten ihm auf den Rücken, als er sich wieder zu ihnen stellte.

»Grover Underwood von den Satyrn!«, rief Dionysos.

Grover trat nervös vor.

»Kau nicht immer auf deinem Hemd herum«, tadelte Dionysos. »Ehrlich, ich tu dir schon nichts. Für deine Tapferkeit und deine Opferbereitschaft, bla, bla, bla, und weil wir eine unvorhergesehene Vakanz haben, halten die Götter es für angebracht, dich zum Mitglied im Rat der Behuften Älteren zu ernennen.«

Grover brach auf der Stelle zusammen.

»Na, reizend«, seufzte Dionysos, als mehrere Najaden angelaufen kamen, um Grover zu helfen. »Also, wenn er aufwacht, sollte irgendwer ihm sagen, dass er kein Ausgestoßener mehr ist, und dass alle Satyrn, Najaden und anderen Naturgeister ihn hinfort als Herrn der Wildnis mit allen Rechten, Privilegien und Ehren, bla, bla, bla, behandeln werden. Und jetzt nehmt ihn bitte mit, ehe er aufwacht und sentimental wird.«

»ESSSSSSEN«, stöhnte Grover, als die Naturgeister ihn davontrugen.

Ich ging davon aus, dass ich mir keine Sorgen um ihn zu machen brauchte. Er würde als Herr der Wildnis und in der Obhut schöner Najaden erwachen. Es gab Schlimmeres.

Athene rief: »Annabeth Chase, meine Tochter.«

Annabeth drückte meinen Arm, dann trat sie vor und kniete zu Füßen ihrer Mutter nieder.

Athene lächelte. »Du, meine Tochter, hast alle Erwartungen übertroffen. Du hast deinen Verstand, deine Kraft und deinen Mut genutzt, um diese Stadt und den Sitz unserer Macht zu verteidigen. Wir haben gesehen, dass der Olymp … na ja, ein Schutthaufen ist. Der Titanenherrscher hat sehr viel Schaden angerichtet, der repariert werden muss. Wir könnten natürlich durch Zauber alles wiederherstellen und so aussehen lassen, wie es war. Aber die Götter sind der Meinung, dass vieles verbessert werden könnte. Wir betrachten das hier als interessante Gelegenheit. Und du, meine Tochter, wirst diese Verbesserungen entwickeln.«

Annabeth schaute verblüfft auf. »Aber … Herrin?«

Athene lächelte. »Du bist doch Architektin, oder? Du hast dich mit den Techniken von Dädalus vertraut gemacht. Wer wäre denn besser geeignet, den Olymp neu zu entwerfen und zu einem Wahrzeichen zu machen, das weitere Äonen bestehen wird?«

»Ihr meint … ich kann entwerfen, was immer ich will?«

»Was dein Herz begehrt«, sagte die Göttin. »Mach uns eine Stadt für viele Zeitalter.«

»Solange es jede Menge Statuen von mir gibt«, fügte Apollo hinzu.

»Und von mir«, sagte Aphrodite.

»He, und von mir«, rief Ares. »Große Statuen mit riesigen fiesen Schwertern und …«

»Schon gut«, fiel Athene ihm ins Wort. »Sie hat schon verstanden. Nun steh auf, meine Tochter, offizielle Architektin des Olymps.«

Annabeth erhob sich wie in Trance und kam zu mir zurück.

»Gut gemacht«, sagte ich grinsend zu ihr.

Dieses eine Mal fehlten ihr die Worte. »Ich … ich muss anfangen zu planen … ich brauche Zeichenpapier und, äh, Bleistifte …«

»PERCY JACKSON!«, verkündete Poseidon. Mein Name hallte im ganzen Saal wider.

Alle Gespräche verstummten. Alles im Raum war still, nur das Knistern des Herdfeuers war noch zu hören. Alle sahen mich an – Götter, Halbgötter, Zyklopen, Naturgeister. Ich ging in die Mitte des Thronsaales. Hestia lächelte mir ermutigend zu; sie hatte jetzt die Gestalt eines Mädchen und wirkte glücklich und zufrieden, weil sie wieder an ihrem Feuer saß. Ihr Lächeln gab mir den Mut weiterzugehen.

Zuerst verbeugte ich mich vor Zeus. Dann kniete ich zu Füßen meines Vaters nieder.

»Steh auf, mein Sohn«, sagte Poseidon.

Ich erhob mich nervös.

»Ein großer Held muss belohnt werden«, sagte Poseidon. »Will irgendwer hier bestreiten, dass mein Sohn sich verdient gemacht hat?«

Ich wartete darauf, dass irgendwer Einspruch erhob. Die Götter waren nie einer Meinung und viele konnten mich noch immer nicht leiden, aber nicht ein einziger protestierte.

»Der Rat ist übereingekommen, Percy Jackson«, sagte Zeus, »dass dir ein Geschenk der Götter zusteht.«

Ich zögerte. »Egal was?«

Zeus nickte düster. »Ich weiß, was du verlangen wirst. Das größte Geschenk von allen. Ja, wenn du es willst, dann gehört es dir. Die Götter haben dieses Geschenk seit vielen Jahrhunderten keinem sterblichen Helden mehr gemacht, aber, Perseus Jackson, wenn du willst, dann wirst du zum Gott erhoben werden. Unsterblich. Ewig lebend. Und du wirst in alle Ewigkeit als Leutnant deines Vaters Dienst tun.«

Ich starrte ihn sprachlos an. »Äh … zum Gott?« Zeus verdrehte die Augen. »Zu einem begriffsstutzigen Gott, offenbar. Aber ja. Mit der Zustimmung des gesamten Rates kann ich dich unsterblich machen. Und dann werde ich mich für immer mit dir rumschlagen müssen.«

»Hmmm«, sagte Ares nachdenklich. »Das bedeutet, ich kann ihn zu Brei schlagen, sooft ich will, und er wird immer wieder zurückkommen, um sich noch mehr Schläge abzuholen. Die Vorstellung gefällt mir.«

»Ich stimme ebenfalls zu«, sagte Athene, obwohl sie Annabeth ansah.

Ich schaute zu ihr hinüber. Annabeth versuchte, meinem Blick auszuweichen. Ihr Gesicht war blass. Ich dachte an die Zeit vor zwei Jahren, als ich gedacht hatte, sie werde das Gelübde der Artemis ablegen und sich den Jägerinnen anschließen. Ich hatte kurz vor einer Panik gestanden bei der Vorstellung, sie zu verlieren. Und jetzt sah sie so ziemlich genauso aus. Ich dachte an die drei Moiren und daran, wie mein Leben vor meinen Augen abgelaufen war. Alldem könnte ich jetzt entkommen: kein Altern, kein Tod, kein Leichnam im Grab. Ich würde immer ein Teenager sein, in Spitzenform, mächtig und unsterblich, und meinem Vater dienen. Ich hätte Macht und ewiges Leben.

Wer könnte dem widerstehen?

Dann sah ich wieder Annabeth an. Ich dachte an meine Freunde aus dem Camp: Charles Beckendorf, Michael Yew, Silena Beauregard, so viele andere, die jetzt tot waren. Ich dachte an Ethan Nakamura und an Luke.

Und ich wusste, was ich zu tun hatte.

»Nein«, sagte ich.

Der Rat schwieg. Die Götter schauten einander stirnrunzelnd an und schienen ihren Ohren nicht zu trauen.

»Nein?«, sagte Zeus. »Du … du lehnst unser großzügiges Geschenk ab?«

Seine Stimme hatte einen drohenden Unterton, als würde gleich ein Gewitter losbrechen.

»Ich fühle mich geehrt und überhaupt«, sagte ich. »Versteht das nicht falsch. Es ist nur … ich habe noch ganz schön viel Leben zu leben. Ich möchte nicht als Teenager schon auf der Stelle treten.«

Die Götter starrten mich wütend an, aber Annabeth hatte die Hände vor den Mund geschlagen. Ihre Augen leuchteten. Und das glich irgendwie alles aus.

»Ich möchte aber trotzdem ein Geschenk«, sagte ich. »Versprecht Ihr, meinen Wunsch zu erfüllen?«

Zeus überlegte. »Wenn es in unserer Macht liegt.«

»Das tut es«, sagte ich. »Und es ist nicht einmal schwer. Aber Ihr müsst beim Styx schwören.«

»Was?«, rief Dionysos. »Du vertraust uns nicht?«

»Mir hat einmal jemand erzählt«, sagte ich und sah Hades an, »dass man immer einen feierlichen Eid verlangen sollte.«

Hades zuckte mit den Schultern. »Schuldig.«

»Meinetwegen«, knurrte Zeus. »Im Namen des Rates schwören wir beim Styx, dir deinen vernünftigen Wunsch zu erfüllen, soweit das in unserer Macht liegt.«

Die anderen Götter murmelten zustimmend. Donner grollte und ließ den Thronsaal erzittern. Die Sache war abgemacht.

»Von jetzt an müsst Ihr alle Kinder der Götter anerkennen«, sagte ich. »Alle Kinder … von wirklich allen Gottheiten.«

Die Götter wirkten peinlich berührt.

»Percy«, sagte mein Vater. »Wie genau sollen wir das verstehen?«

»Kronos hätte sich nicht erheben können, wenn nicht eine Menge Halbgötter das Gefühl gehabt hätten, von ihren Eltern im Stich gelassen worden zu sein«, sagte ich. »Sie waren wütend, rachsüchtig und fühlten sich abgewiesen, und dazu hatten sie ja auch allen Grund.«

Zeus’ majestätische Nasenlöcher bebten. »Du wagst es, uns vorzuwerfen …«

»Keine nicht anerkannten Kinder mehr«, sagte ich. »Ihr versprecht, Eure Kinder anzuerkennen – alle Eure Halbgottkinder –, wenn sie dreizehn werden. Sie werden nicht mehr ganz allein den Monstern ausgeliefert sein. Ich will, dass sie anerkannt und ins Camp gebracht werden, damit sie eine anständige Ausbildung bekommen und überleben können.«

»Jetzt warte mal einen Moment«, sagte Apollo, aber ich war gerade so gut in Fahrt.

»Und die zweitrangigen Götter«, sagte ich, »Nemesis, Hekate, Morpheus, Janus, Hebe – sie alle verdienen eine Generalamnestie und einen Platz im Camp Half-Blood. Ihre Kinder dürfen nicht ignoriert werden. Kalypso und die anderen friedlichen Verwandten der Titanen müssen ebenfalls begnadigt werden. Und Hades …«

»Bezeichnest du mich etwa als zweitrangigen Gott?«, brüllte Hades.

»Das nicht, hoher Herr«, sagte ich eilig. »Aber Eure Kinder dürfen nicht ausgeschlossen werden. Sie brauchen eine Hütte im Camp. Nicos Fall hat das gezeigt. Es dürfen keine nicht anerkannten Halbgötter mehr in die Hermes-Hütte gepfercht werden und sich fragen müssen, wer ihre Eltern sind. Es muss viel mehr Hütten geben, für alle Götter. Und keinen Pakt der Großen Drei mehr. Der hat ja ohnehin nicht funktioniert. Also hört auf, Euch von mächtigen Halbgöttern befreien zu wollen. Wir werden sie ausbilden und akzeptieren. Alle Kinder der Götter sollen willkommen sein und mit Achtung behandelt werden. Das ist mein Wunsch.«

Zeus schnaubte. »Ist das alles?«

»Percy«, sagte Poseidon. »Du verlangst viel. Und du nimmst dir einiges heraus.«

»Ich verlasse mich auf Euren Eid«, sagte ich. »Ihr alle habt geschworen.«

Sie starrten mich eiskalt an. Seltsamerweise erhob dann ausgerechnet Athene ihre Stimme. »Der Junge hat Recht. Es war unklug, unsere Kinder zu ignorieren. In diesem Krieg hat sich das als strategische Schwäche erwiesen und hätte fast unseren Untergang herbeigeführt. Percy Jackson, ich habe an dir gezweifelt, aber vielleicht«, sie schaute zu Annabeth hinüber und redete dann weiter, als ob die Wörter bitter schmeckten, »vielleicht habe ich mich geirrt. Ich beantrage, den Wunsch des Jungen zu erfüllen.«

»Hmpf«, sagte Zeus. »Sich von einem Knaben Befehle erteilen lassen zu müssen. Aber ich denke …«

»Alle, die dafür sind«, sagte Hermes.

Alle Götter hoben die Hände.

»Äh, danke«, sagte ich.

Ich drehte mich um, aber ehe ich gehen konnte, rief Poseidon: »Ehrengarde!«

Sofort traten die Zyklopen vor und bildeten von den Thronsesseln bis zur Tür zwei Reihen – eine Gasse, durch die ich schreiten konnte.

»Heil dir, Perseus Jackson«, sagte Tyson. »Held des Olymps … und mein großer Bruder!«


Ein typischer Fall von Pferdenapping

Annabeth und ich waren auf dem Weg nach draußen, als wir in einem Nebenhof des Palastes Hermes entdeckten. Er starrte im Nebel eines Springbrunnens eine Irisbotschaft an.

Ich schaute zu Annabeth hinüber. »Wir treffen uns beim Fahrstuhl.«

»Sicher?« Dann schaute sie mir ins Gesicht. »Ja, du bist sicher.«

Hermes schien mich nicht zu bemerken. Die Bilder der Irisbotschaft wechselten so schnell, dass ich sie kaum erkennen konnte. Sterbliche Nachrichten aus dem ganzen Land huschten vorüber, Bilder der Zerstörung, die Typhon angerichtet hatte, die Trümmer, die unsere Schlacht in Manhattan hinterlassen hatte, der Präsident bei einer Pressekonferenz, der Bürgermeister von New York, Armeefahrzeuge in der Avenue of the Americas.

»Umwerfend«, murmelte Hermes. Er drehte sich zu mir um. »Dreitausend Jahre schon, und nie werde ich aufhören, über die Macht des Nebels zu staunen … und über die Ignoranz der Sterblichen.«

»Danke, sollte ich wohl sagen.«

»Ach, du bist nicht gemeint. Obwohl, vielleicht doch, wo du die Unsterblichkeit abgelehnt hast.«

»Das war die richtige Entscheidung.«

Hermes sah mich neugierig an, dann konzentrierte er sich wieder auf die Irisbotschaft. »Sieh sie dir an. Sie haben beschlossen, dass Typhon eine Serie von plötzlichen Stürmen war. Schön wär’s. Sie können noch nicht erklären, wieso alle Statuen in einem Teil von Manhattan von ihren Sockeln gefallen und in Stücke gehackt worden sind. Immer wieder zeigen sie ein Bild von Susan B. Anthony, die Frederick Douglass erwürgt. Aber ich vermute, selbst dafür werden sie eine logische Erklärung finden.«

»Wie übel ist die Stadt zugerichtet?«

Hermes zuckte mit den Schultern. »Überraschenderweise ist es gar nicht so schlimm. Die Sterblichen sind natürlich erschüttert. Aber das hier ist New York; ich habe noch nie eine so widerstandsfähige Bande von Sterblichen gesehen. In ein paar Wochen ist sicher alles wieder normal, und natürlich werde ich ihnen helfen.«

»Ihr?«

»Ich bin doch der Götterbote. Es ist meine Aufgabe, zu überwachen, was die Sterblichen sagen, und ihnen wenn nötig zu helfen, das Geschehene zu verstehen. Ich werde sie in Sicherheit wiegen. Glaub mir, sie werden ein überraschendes Erdbeben oder eine Sonnenexplosion dafür verantwortlich machen. Alles, nur nicht die Wahrheit.«

Er hörte sich verbittert an. George und Martha wickelten sich um seinen Caduceus, aber sie schwiegen, deshalb nahm ich an, dass Hermes wirklich sehr, sehr wütend war. Vielleicht hätte ich den Mund halten sollen, aber ich sagte: »Ich muss mich bei Euch entschuldigen.«

Hermes sah mich misstrauisch an. »Und warum das?«

»Ich habe Euch für einen schlechten Vater gehalten«, gab ich zu. »Ich habe gedacht, Ihr hättet Luke im Stich gelassen, weil Ihr seine Zukunft kanntet und nichts unternommen habt, sie zu verhindern.«

»Ich habe seine Zukunft tatsächlich gekannt«, sagte Hermes unglücklich.

»Aber Ihr habt mehr gewusst als nur den schlimmen Teil – dass er böse werden würde. Ihr habt gewusst, was er am Ende tun würde. Ihr habt gewusst, dass er die richtige Entscheidung treffen würde. Aber das konntet Ihr ihm nicht sagen, oder?«

Hermes starrte den Springbrunnen an. »Niemand kann das Schicksal verändern, Percy, nicht einmal ein Gott. Wenn ich ihm gesagt hätte, was passieren würde, oder wenn ich versucht hätte, seine Entscheidungen zu beeinflussen, hätte ich alles nur noch schlimmer gemacht. Zu schweigen, ihm aus dem Weg zu gehen … nichts ist mir je so schwergefallen.«

»Ihr musstet ihn seinen eigenen Weg gehen lassen«, sagte ich. »Und ihn seine Rolle bei der Rettung des Olymps spielen lassen.«

Hermes seufzte. »Ich hätte nicht so wütend auf Annabeth werden dürfen. Als Luke sie in San Francisco besucht hat … na ja, ich wusste, sie würde in seinem Schicksal eine Rolle spielen. So viel habe ich immerhin vorausgesehen. Ich dachte, sie könnte vielleicht tun, was ich nicht tun konnte, und ihn retten. Als sie sich geweigert hat, mit ihm zu gehen, konnte ich meinen Zorn kaum beherrschen. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich bin immer noch wütend auf mich selbst.«

»Annabeth hat ihn wirklich gerettet«, sagte ich. »Luke ist als Held gestorben. Er hat sich geopfert, um Kronos zu töten.«

»Ich weiß deine Worte zu schätzen, Percy. Aber Kronos ist nicht tot. Du kannst einen Titanen nicht töten.«

»Aber wo …?«

»Ich weiß es nicht«, knurrte Hermes. »Niemand weiß es. Zu Staub zerfallen. Vom Winde verweht. Mit etwas Glück ist er so weit verstreut worden, dass er nie wieder ein Bewusstsein haben wird, von einem Körper ganz zu schweigen. Aber du darfst ihn nicht für tot halten, Percy.«

Mein Magen schlug einen Purzelbaum und mir wurde fast schlecht. »Was ist mit den anderen Titanen?«

»Die haben sich versteckt«, sagte Hermes. »Prometheus hat Zeus eine Botschaft geschickt mit tausend Ausflüchten dafür, dass er Kronos unterstützt hat. ›Ich wollte nur versuchen, die Zerstörung möglichst klein zu halten‹, bla, bla, bla. Er wird sich für einige Jahrhunderte bedeckt halten, wenn er klug ist. Krios ist geflohen und der Othrys zu Ruinen zerfallen. Okeanos ist wieder in die Tiefe des Ozeans verschwunden, als Kronos’ Niederlage feststand. Mein Sohn Luke jedoch ist tot. Er ist in dem Glauben gestorben, ich liebte ihn nicht. Das werde ich mir nie verzeihen.«

Hermes durchschlug den Nebel mit seinem Caduceus. Das Irisbild verschwand.

»Vor langer Zeit«, sagte ich, »habt Ihr mir erzählt, zum Schwersten im Leben eines Gottes gehöre es, Euren Kindern nicht helfen zu können. Aber Ihr habt mir auch gesagt, dass man seine Familie nicht im Stich lassen darf, egal wie verlockend es ist.«

»Und jetzt weißt du, dass ich ein Heuchler bin?«

»Nein. Ihr hattet Recht. Luke hat Euch geliebt. Und am Ende hat er sein Schicksal erkannt. Ich glaube, er hat verstanden, warum Ihr ihm nicht helfen konntet. Er hat sich daran erinnert, was wirklich wichtig ist.«

»Zu spät für ihn und mich.«

»Ihr habt noch mehr Kinder. Ehrt Luke, indem Ihr sie anerkennt. Das sollten alle Götter tun.«

Hermes ließ die Schultern hängen. »Wir werden alle versuchen, unser Versprechen zu halten. Und vielleicht wird die Lage sich eine Zeit lang bessern. Aber es ist uns Göttern niemals leichtgefallen, unsere Versprechen zu halten. Du bist auch aufgrund eines gebrochenen Versprechens geboren worden, oder nicht? Irgendwann werden wir vergesslich. Das ist immer so.«

»Ihr könnt Euch ändern.«

Hermes lachte. »Nach dreitausend Jahren glaubst du, die Götter könnten ihr Wesen ändern?«

»Ja«, sagte ich. »Das glaube ich.«

Das schien Hermes zu überraschen. »Du meinst … Luke hat mich am Ende doch geliebt? Nach allem, was passiert ist?«

»Ich bin sicher.«

Hermes starrte den Springbrunnen an. »Ich werde dir eine Liste meiner Kinder geben. Es gibt da einen Jungen in Wisconsin. Zwei Mädchen in Los Angeles. Und noch ein paar andere. Sorgst du dafür, dass sie ins Camp kommen?«

»Das verspreche ich«, sagte ich. »Und ich werde es nicht vergessen.«

George und Martha ringelten sich um den Caduceus. Ich weiß, dass Schlangen nicht lächeln können, aber sie schienen es zu versuchen.

»Percy Jackson«, sagte Hermes. »Vielleicht können wir von dir ja etwas lernen.«

Eine weitere Gottheit erwartete mich, als ich den Olymp verlassen wollte. Athene stand mitten auf der Straße, hatte die Arme verschränkt und machte ein Gesicht, bei dem ich »oha« dachte. Sie hatte ihre Rüstung gegen Jeans und eine weiße Bluse getauscht, sah aber weiterhin überaus kriegerisch aus. Ihre grauen Augen loderten.

»Okay, Percy«, sagte sie. »Du willst also unbedingt sterblich bleiben.«

»Äh, ja, Ma’am.«

»Ich möchte gern deine Gründe hören.«

»Ich möchte ein ganz normaler Junge sein. Ich möchte erwachsen werden. Die ganz normalen Highschool-Erfahrungen machen.«

»Und meine Tochter?«

»Die konnte ich nicht verlassen«, gab ich zu, und meine Kehle war wie ausgedörrt. »Und Grover auch nicht«, fügte ich rasch hinzu. »Und …«

»Komm mir ja nicht so.« Athene trat an mich heran und ich konnte spüren, wie ihre Aura aus Macht meine Haut prickeln ließ. »Ich habe dich mal gewarnt, Percy Jackson, dass du die Welt zerstören würdest, um einen Freund zu retten. Offenbar habe ich mich geirrt; du hast deine beiden Freunde und die Welt gerettet. Aber überlege dir sehr gut, wie du jetzt weitermachst. Bis jetzt habe ich ein Auge zugedrückt.«

Sozusagen um das zu unterstreichen, löste sie sich in eine Flammensäule auf und versengte mir vorn das Hemd.

Annabeth wartete beim Fahrstuhl auf mich. »Warum riechst du nach Rauch?«

»Lange Geschichte«, sagte ich. Dann fuhren wir nach unten. Wir schwiegen beide. Die Musik war grauenhaft – Neil Diamond oder so. Das hätte ich in meinen Wunsch an die Götter einschließen sollen: bessere Fahrstuhlmusik.

Als wir unten ankamen, stritten meine Mutter und Paul sich mit dem kahlköpfigen Portier, der jetzt wieder an seinem Posten saß.

»Ich sage es Ihnen doch!«, schrie meine Mom. »Wir müssen da rauf! Mein Sohn …« Dann sah sie mich und ihre Augen wurden ganz groß. »Percy!«

Sie quetschte mir den Atem aus der Brust.

»Wir haben das blaue Leuchten oben gesehen«, sagte sie. »Aber du bist nicht runtergekommen. Du bist schon vor Stunden hochgefahren!«

»Sie hat sich ein wenig Sorgen gemacht«, sagte Paul trocken.

»Mir geht’s gut«, versicherte ich, als meine Mom Annabeth umarmte. »Jetzt ist alles wieder in Ordnung.«

»Mr Blofis«, sagte Annabeth, »das war großartige Schwertarbeit.«

Paul zuckte mit den Schultern. »Schien mir irgendwie angesagt. Aber Percy, stimmt das wirklich … ich meine, das mit dem sechshundertsten Stock?«

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