17

Ich hatte das Glück, dass ich den Tor-Raum am Rand eines abgelegenen Nicht-Radchaai-Systems verlassen hatte, einer Ansammlung von Habitaten und Bergbaustationen, die von stark modifizierten Leuten bewohnt wurden — keine Menschen, jedenfalls nach Radchaai-Standards, Leute mit sechs oder acht Gliedmaßen (und ohne Garantie, dass manche davon Beine waren), ans Vakuum angepasste Haut und Lungen, Gehirne, die so sehr mit Implantaten und Drähten durchsetzt waren, dass man sich fragte, ob sie vielleicht nicht mehr als bewusste Maschinen mit einem biologischen Interface waren.

Für sie war es ein Rätsel, wie sich irgendjemand für die primitive Gestalt entscheiden konnte, mit der die meisten Menschen, die ich kannte, geboren wurden. Aber sie waren sehr stolz auf ihre Isolation, und es war ein in Ehren gehaltener Grundsatz ihrer Gesellschaft, dass man mit nur wenigen Ausnahmen (von denen sie die meisten eigentlich nicht zugeben wollten) eine Person niemals zu etwas aufforderte, wozu sie nicht freiwillig bereit war. Sie betrachteten mich mit einer Mischung aus Verblüffung und leichter Verachtung und behandelten mich, als wäre ich ein Kind, das sich zu ihnen verirrt hatte und das sie vielleicht ein bisschen im Auge behalten sollten, bis meine Eltern mich wiedergefunden hatten, aber in Wirklichkeit waren sie nicht für mich verantwortlich. Sofern irgendjemand von ihnen meine Herkunft erraten hatte — was sicherlich der Fall war, denn dazu mussten sie nur einen Blick auf mein Shuttle werfen —, erwähnten sie es nicht, und niemand bedrängte mich mit Fragen, was sie als furchtbar unhöflich empfunden hätten. Sie waren still, eigenständig und vor allem ihrem Clan verpflichtet, aber gleichzeitig zu unberechenbaren Gelegenheiten überraschend großzügig. Wäre dem nicht so gewesen, wäre ich immer noch dort oder vielleicht tot.

Ich bemühte mich sechs Monate lang zu verstehen, wie man irgendetwas machte — nicht nur, wie ich der Herrin der Radch meine Nachricht überbringen konnte, sondern wie ich als ich selbst lief und atmete und schlief und aß. Als ein ich selbst, das nur ein Fragment dessen war, was ich vorher gewesen war, ohne vorstellbare Zukunft außer dem ewigen Wunsch nach dem, was vergangen war. Dann traf eines Tages ein Menschenschiff ein, und die Kapitänin war gern bereit, mich an Bord zu nehmen, im Austausch gegen das wenige Geld, das mir von der Verschrottung des Shuttles geblieben war — das hätte mich Andockgebühren gekostet, die ich nicht mehr hätte bezahlen können. Später fand ich heraus, dass ein vier Meter langer Aal mit Tentakeln den Restbetrag meiner Flugkosten entrichtet hatte, ohne es mir zu sagen, weil ich, wie diese Person der Kapitänin erzählt hatte, nicht hierhergehörte und anderswo gesünder leben würde. Seltsame Leute, wie ich bereits sagte, und ich habe ihnen eine Menge zu verdanken, auch wenn sie beleidigt und bestürzt auf die Vorstellung reagieren würden, dass irgendjemand ihnen etwas schuldig sein mochte.

In den neunzehn Jahren seit damals hatte ich elf Sprachen und 713 Lieder gelernt. Ich fand Möglichkeiten zu verbergen, was ich war — selbst, in diesem Punkt war ich mir ziemlich sicher, vor der Herrin der Radch persönlich. Ich hatte als Köchin gearbeitet, als Hausmeisterin, als Pilotin. Ich hatte mich für einen Plan entschieden, wie ich vorgehen wollte. Ich war einem religiösen Orden beigetreten und hatte sehr viel Geld gemacht. Während dieser ganzen Zeit hatte ich nur ein Dutzend Personen getötet.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte sich die Anwandlung gelegt, Seivarden alles zu erzählen, und sie schien ihre Fragen vergessen zu haben. Bis auf eine. »Und wohin jetzt?« Sie fragte es beiläufig, als sie auf der Bank neben meinem Bett saß, gegen die Wand gelehnt, als würde sie sich nur aus Langeweile für die Antwort interessieren.

Wenn sie sie hörte, beschloss sie vielleicht, lieber allein zu bleiben. »Zum Omaugh-Palast.«

Sie runzelte die Stirn, aber nur leicht. »Ist der neu?«

»Das nicht gerade.« Er war vor über siebenhundert Jahren erbaut worden. »Aber schon nach Garsedd.« Mein rechter Fußknöchel begann zu kribbeln und zu jucken, ein sicheres Zeichen, dass das Korrektiv mit der Arbeit fertig war. »Sie haben das Radchaai-Territorium ohne Genehmigung verlassen. Und Sie haben zu diesem Zweck Ihre Rüstung verkauft.«

»Außergewöhnliche Umstände«, sagte sie, immer noch gegen die Wand gelehnt. »Ich werde ein Gesuch einreichen.«

»Das wird Ihnen auf jeden Fall eine Verzögerung einbringen.« Jede Bürgerin, die die Herrin der Radch sprechen wollte, konnte einen entsprechenden Antrag stellen, auch wenn die Reise umso komplizierter, kostspieliger und zeitaufwendiger sein würde, je weiter man von einem Provinzpalast entfernt war. Manchmal wurden solche Anträge abgelehnt, wenn die Entfernung zu groß war und die Angelegenheit als hoffnungslos oder unbegründet beurteilt wurde — und die Antragstellerin nicht in der Lage war, die Kosten selbst zu tragen. Aber Anaander Mianaai war für jede Angelegenheit die letzte Revisionsinstanz, und dieser Fall war alles andere als Routine. Außerdem wäre sie bereits vor Ort in der Station. »Sie müssten monatelang auf eine Audienz warten.«

Seivarden gestikulierte ihre Sorglosigkeit. »Was wollen Sie dort tun?«

Versuchen, Anaander Mianaai zu töten. Aber das konnte ich nicht sagen. »Mir die Sehenswürdigkeiten anschauen. Ein paar Souvenirs kaufen. Mich vielleicht um ein Treffen mit der Herrin der Radch bemühen.«

Sie hob eine Augenbraue. Dann warf sie einen Blick auf meinen Rucksack. Sie wusste von der Waffe, und natürlich verstand sie, wie gefährlich sie war. Sie glaubte immer noch, ich wäre eine Agentin der Radch. »Die ganze Zeit undercover? Und wenn Sie das« — sie deutete mit einem Schulterzucken auf meinen Rucksack — »der Herrin der Radch überreichen, was dann?«

»Ich weiß es nicht.« Ich schloss die Augen. Ich konnte nicht weiter blicken als bis zur Ankunft im Omaugh-Palast, hatte nicht einmal den leisesten Schatten einer Idee, was ich danach tun sollte, wie ich nahe genug an Anaander Mianaai herankommen konnte, um die Waffe zu benutzen.

Nein. Das stimmte nicht. In diesem Moment kam mir der Ansatz eines Plans in den Sinn, aber er war furchtbar unpraktisch, insbesondere weil er von Seivardens Diskretion und Unterstützung abhing.

Sie hatte sich ihre eigene Vorstellung von dem gebildet, was ich tat und warum ich in der Rolle einer fremden Touristin zur Radch zurückkehren wollte. Warum ich Anaander Mianaai persönlich Bericht erstatten wollte und nicht einer Sondereinsatzoffizierin. Das konnte ich benutzen.

»Ich begleite Sie«, sagte Seivarden, als hätte sie meine Gedanken erraten, und fügte hinzu: »Sie können zu meiner Audienz mitkommen und ein Wort für mich einlegen.«

Ich traute mir nicht zu, ihr eine Antwort zu geben. Kleine Nadeln wanderten durch mein rechtes Bein, tauchten auch in meinen Händen, Armen, Schultern und im linken Bein auf. Ein leichter Schmerz setzte in meiner rechten Hüfte ein. Etwas war nicht ganz richtig verheilt.

»Schließlich ist es nicht so, dass ich nicht wüsste, was vor sich geht«, sagte Seivarden.

»Das bedeutet, wenn Sie mich noch einmal bestehlen, wird es nicht mehr genügen, Ihnen die Beine zu brechen. Dann müsste ich Sie töten.« Ich hatte die Augen immer noch geschlossen und konnte ihre Reaktion darauf nicht sehen. Vielleicht hielt sie es nur für einen Scherz.

»Das werde ich nicht tun«, antwortete sie. »Sie werden es erleben.«

Ich verbrachte noch einige Tage in Therrod, um mich so weit zu erholen, dass die Ärztin mich gehen ließ. Die ganze Zeit und auch anschließend während der Fahrt den Lift hinauf verhielt sich Seivarden höflich und respektvoll.

Das machte mir Sorgen. Ich hatte mein Geld und meine Sachen oben am Nilt-Lift versteckt und würde sie holen müssen, bevor wir aufbrachen. Alles war eingepackt, also konnte ich es tun, ohne dass Seivarden mehr sah als ein paar Schachteln. Aber ich machte mir keine Illusionen, dass sie nicht versuchen würde, sie bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu öffnen.

Wenigstens hatte ich wieder Geld. Und vielleicht war das die Lösung des Problems.

Ich nahm ein Zimmer in der Lift-Station, ließ Seivarden dort mit der Anweisung zurück, auf mich zu warten, und zog los, um meine Sachen zu holen. Als ich zurückkehrte, saß sie auf dem Einzelbett — keine Laken oder Decken, so etwas wurde hier als zusätzliche Leistung betrachtet — und zappelte herum. Ein Knie hüpfte auf und ab, sie rieb sich mit bloßen Händen die Oberarme — ich hatte unsere schweren Außenmäntel und die Handschuhe am Fuß des Bandes verkauft. Sie beruhigte sich, als ich hereinkam, und sah mich erwartungsvoll an, sagte aber nichts.

Ich warf ihr etwas in den Schoß, einen Beutel, der bei der Landung klirrte.

Seivarden blickte stirnrunzelnd darauf und wandte sich dann wieder mir zu, ohne den Beutel zu berühren oder sonst wie in Besitz zu nehmen. »Was ist das?«

»Zehntausend Shen«, sagte ich. Das war die üblichste Währung, die in dieser Region im Umlauf war, in leicht zu transportierenden (und auszugebenden) Scheinen. Mit zehntausend konnte man hier eine Menge kaufen. Dafür bekam man die Passage in ein anderes System und behielt noch genug übrig für wochenlange Exzesse.

»Ist das viel?«

»Ja.«

Sie riss die Augen auf, nur ein wenig, und eine halbe Sekunde lang sah ich ihren berechnenden Gesichtsausdruck.

Es wurde Zeit für mich, direkt zu werden. »Dieses Zimmer ist für die nächsten zehn Tage bezahlt. Danach …« Ich deutete auf den Beutel in ihrem Schoß. »Damit müssten Sie eine Weile zurechtkommen. Oder länger, wenn es Ihnen wirklich ernst damit ist, kein Kef mehr anzurühren.« Aber dieser Blick, als ihr bewusst wurde, dass sie Geld zur Verfügung hatte, überzeugte mich mehr oder weniger davon, dass sie nicht dazu bereit war. Nicht wirklich.

Sechs Sekunden lang blickte Seivarden auf den Beutel in ihrem Schoß. »Nein.« Sie hob den Beutel vorsichtig mit spitzen Fingern auf, als wäre es eine tote Ratte, und ließ ihn auf den Boden fallen. »Ich werde Sie begleiten.«

Ich antwortete nicht, sah sie nur an. Das Schweigen zog sich in die Länge.

Schließlich wandte sie den Blick ab, verschränkte die Arme. »Gibt es hier keinen Tee?«

»Nicht die Art von Tee, die Sie gewohnt sind.«

»Das ist mir egal.«

Nun gut. Ich wollte sie hier nicht allein mit meinem Geld und meinen Sachen zurücklassen. »Also kommen Sie mit.«

Wir verließen das Zimmer, suchten uns einen Laden am Hauptkorridor, in dem Dinge verkauft wurden, die heißem Wasser Geschmack verliehen. Seivarden schnupperte an einer Mischung, die angeboten wurde. Rümpfte die Nase. »Das soll Tee sein?«

Die Ladeninhaberin beobachtete uns aus dem Augenwinkel, weil sie offenbar vermeiden wollte, dass wir es bemerkten. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es nicht das ist, was Sie gewohnt sind. Und Sie sagten, es wäre Ihnen egal.«

Darüber dachte sie einen Moment lang nach. Zu meiner großen Überraschung beklagte sie sich nicht weiter über die unbefriedigende Beschaffenheit des fraglichen Tees, sondern sagte ruhig: »Was würden Sie empfehlen?«

Ich gestikulierte meine Ungewissheit. »Ich habe nicht die Angewohnheit, Tee zu trinken.«

»Nicht die …« Sie starrte mich an. »Oh. Trinkt man in der Gerentate keinen Tee?«

»Nicht auf die Weise, wie es andere Leute tun.« Außerdem war Tee natürlich etwas für Offizierinnen. Für Menschen. Hilfseinheiten tranken Wasser. Tee war ein Luxus, der zusätzliche, unnötige Kosten verursachte. Also hatte ich es mir nie angewöhnt. Ich wandte mich an die Ladeninhaberin, eine Nilter, klein und blass und fett, in Hemdsärmeln, obwohl die Temperatur hier bei konstant vier Grad Celsius lag. Seivarden und ich trugen immer noch unsere Innenmäntel. »Welche von diesen Sorten enthält Koffein?«

Sie antwortete recht freundlich und wurde noch freundlicher, als ich nicht nur 250 Gramm von beiden Teesorten kaufte, sondern außerdem eine Kanne mit zwei Tassen sowie zwei Flaschen und Wasser, um sie damit zu befüllen.

Seivarden trug alles zurück zu unserer Unterkunft. Sie lief neben mir, ohne etwas zu sagen. Im Zimmer verteilte sie unsere Einkäufe auf dem Bett, setzte sich daneben und hob die Kanne auf, um sich über die ungewöhnliche Gestaltung zu wundern.

Ich hätte ihr zeigen können, wie sie funktionierte, entschied mich aber dagegen. Stattdessen öffnete ich mein zurückerhaltenes Gepäck und kramte eine dicke goldene Scheibe heraus, deren Durchmesser drei Zentimeter mehr betrug als jene, die ich bei mir getragen hatte, und eine kleine flache Schale aus gehämmertem Gold, mit einem Durchmesser von acht Zentimetern. Ich schloss die Kiste, stellte die Schale darauf und aktivierte das Bild auf der Scheibe.

Seivarden blickte auf und beobachtete, wie es sich zu einer weiten, flachen Blüte in Perlmutt entfaltete, in deren Zentrum eine Frau stand. Sie trug ein knielanges Gewand aus dem gleichen irisierenden weißen Material mit goldenen und silbernen Intarsien. In einer Hand hielt sie einen menschlichen Schädel, der mit Edelsteinen in Rot, Blau und Gelb besetzt war, und in der anderen ein Messer.

»Das ist wie das andere«, sagte Seivarden mit leidlich interessiertem Tonfall. »Aber es sieht Ihnen nicht so ähnlich.«

»Richtig«, antwortete ich und hockte mich im Schneidersitz vor die Kiste.

»Ist das eine Gerentate-Göttin?«

»Es ist eine, der ich bei meinen Reisen begegnet bin.«

Seivarden stieß einen unverbindlichen Hauchlaut aus. »Wie ist ihr Name?«

Ich sprach eine lange Folge von Silben aus, auf die Seivarden verblüfft reagierte. »Das bedeutet Sie, die der Lilie entsprang. Sie ist die Schöpferin des Universums.« Damit war sie nach Radchaai-Begriffen mit Amaat identisch.

»Ah«, sagte Seivarden in einem Tonfall, der ganz offensichtlich bedeutete, dass sie ebenfalls diese Gleichsetzung vollzogen hatte, dass sie dieser fremdartigen Göttin eine vertraute Zuordnung gegeben und sie sicher in ihr Weltbild eingefügt hatte. »Und die andere?«

»Eine Heilige.«

»Äußerst bemerkenswert, dass sie eine so große Ähnlichkeit mit Ihnen hat.«

»Ja. Obwohl sie nicht die Heilige ist. Das ist der Kopf, den sie hält.«

Seivarden blinzelte, runzelte die Stirn. Das war sehr unradchaaianisch. »Trotzdem.«

Nichts war einfach nur ein Zufall, nicht für die Radchaai. Solche merkwürdigen Fügungen konnten Radchaai auf eine Pilgerreise schicken, sie anregen, bestimmte Göttinnen zu verehren, eingefleischte Angewohnheiten zu ändern. Es waren direkte Botschaften von Amaat. »Ich werde jetzt beten«, sagte ich.

Mit einer Hand machte Seivarden eine Geste der Bestätigung. Ich klappte ein kleines Messer auf, stach mir in den Daumen und ließ das Blut in die goldene Schale tropfen. Ich blickte nicht auf, um Seivardens Reaktion zu sehen — keine Radchaai-Göttin nahm Blut an, und ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, mir vorher die Hände zu waschen. So etwas löste bei Radchaai garantiert ein Stirnrunzeln aus, weil sie es als fremdartig und sogar primitiv einstuften.

Aber Seivarden sagte nichts. Sie saß schweigend einunddreißig Sekunden lang da, während ich die ersten der 322 Namen der Hundert der Weißen Lilie intonierte, bis sie ihre Aufmerksamkeit der Kanne zuwandte und sich daran machte, Tee zuzubereiten.

Seivarden hatte gesagt, dass sie ihren letzten Versuch, mit dem Kef aufzuhören, sechs Monate lang durchgehalten hatte. Es dauerte sieben Monate, um eine Station mit einem Radchaai-Konsulat zu erreichen. Vor der ersten Reiseetappe hatte ich der Flugbegleiterin in Seivardens Hörweite gesagt, dass ich eine Passage für mich und meine Dienerin benötigte. Sie hatte nicht reagiert, das hatte ich genau gesehen. Vielleicht hatte sie es nicht verstanden. Aber ich hatte mit mehr oder weniger verärgerten Vorwürfen gerechnet, wenn wir unter uns waren und sie feststellte, welchen Status sie hatte. Doch sie ging mit keinem Wort darauf ein. Und von nun an wachte ich auf und fand neben mir den fertig zubereiteten Tee vor.

Außerdem ruinierte sie zwei Hemden, als sie versuchte, sie zu waschen, womit mir nur noch eins für einen ganzen Monat blieb, bis wir an der nächsten Station andockten. Die Kapitänin des Schiffs — sie war eine Ki, groß und von rituellen Narben überzogen — ließ auf indirekte, weitschweifige Weise die Bemerkung fallen, dass sie und ihre gesamte Besatzung glaubten, ich hätte Seivarden aus Wohltätigkeit mitgenommen. Was nicht so weit von der Wahrheit entfernt war. Jedenfalls stritt ich es nicht ab. Aber Seivarden besserte sich, und drei Monate später, auf dem nächsten Schiff, versuchte eine andere Passagierin, sie von mir abzuwerben.

Was keineswegs heißt, dass sie plötzlich eine ganz andere Person oder uneingeschränkt respektvoll geworden wäre. An manchen Tagen sprach sie in gereiztem Tonfall zu mir, ohne dass ich einen Grund dafür erkennen konnte, oder brachte Stunden zusammengerollt in ihrer Koje zu, mit dem Gesicht zur Wand, und stand nur auf, um ihre selbstauferlegten Pflichten zu erfüllen. Die ersten paar Male, als ich sie in dieser Stimmung ansprach, erhielt ich nur Schweigen zur Antwort, sodass ich sie von da an in Ruhe ließ.

Das Personal des Radchaai-Konsulats wurde vom Übersetzungsbüro gestellt, und die tadellose weiße Uniform der Konsulatsvertreterin — einschließlich blütenweißer Handschuhe — zeugten davon, dass sie entweder eine Dienerin hatte oder einen großen Teil ihrer Freizeit damit zubrachte, den Eindruck zu erwecken, sie hätte eine. Die geschmackvollen — und kostspielig aussehenden — mit Edelsteinen besetzten Strähnen in ihrem Haar sowie die Namen auf den Gedenknadeln, die überall auf der weißen Jacke funkelten, genauso wie die leichte Verachtung in ihrer Stimme, wenn sie zu mir sprach, deuteten auf Dienerin hin. Wenn auch vermutlich nur eine — schließlich befanden wir uns auf einem abgelegenen Außenposten.

»Als Nicht-Bürgerin auf Besuch sind Ihre Rechtsansprüche eingeschränkt.« Es war offensichtlich eine einstudierte Rede. »Sie müssen eine Kaution hinterlegen, mindestens im Gegenwert von …« Ihre Finger zuckten, als sie den Wechselkurs abrief. »Fünfhundert Shen für jede Woche Ihres Besuchs, pro Person. Wenn die Kosten für Ihre Unterkunft, für Verpflegung und weitere Einkäufe, Gebühren oder Bußgelder die Summe der Kaution übersteigen und Sie die Differenz nicht bezahlen können, sind Sie per Gesetz verpflichtet, eine Arbeit anzunehmen, bis Ihre Schulden beglichen sind. Als Nicht-Bürgerin sind Ihre Ansprüche auf Gerichtsentscheidungen oder Arbeitsplätze eingeschränkt. Wünschen Sie immer noch, in das Radch-Territorium einzureisen?«

»Ja«, sagte ich und legte zwei Scheine im Wert von je einer Million Shen auf den schmalen Schreibtisch zwischen uns.

Ihre Verachtung verflüchtigte sich. Sie setzte sich etwas gerader und bot mir Tee an, gestikulierte verhalten, zuckte wieder mit den Fingern, als sie mit einer anderen Person kommunizierte — ihrer Dienerin, wie sich herausstellte, die etwas gehetzt wirkte und Tee in einer kunstvoll emaillierten Kanne sowie dazu passende Tassen brachte.

Während die Dienerin einschenkte, holte ich meine gefälschten Gerentate-Ausweise hervor und legte sie ebenfalls auf den Schreibtisch.

»Sie müssen auch Identitätsnachweise für Ihre Dienerin vorlegen, Geehrte«, sagte die Konsulatsvertreterin, die nun die Höflichkeit in Person war.

»Meine Dienerin ist eine Radchaai-Bürgerin«, antwortete ich mit einem leichten Lächeln. Mit dem ich der nun folgenden Unannehmlichkeit die Schärfe nehmen wollte. »Aber sie hat ihre Identitätsnachweise und ihre Reisegenehmigung verloren.«

Die Konsulatsvertreterin erstarrte, als sie versuchte, das zu verarbeiten.

»Die geehrte Breq«, sagte Seivarden, die hinter mir stand, in altertümlichem, mühelosem und elegantem Radchaai, »besaß die Großzügigkeit, mich anzustellen und die Kosten für meine Heimreise zu übernehmen.«

Das löste das gelähmte Erstaunen der Konsulatsvertreterin nicht so wirkungsvoll auf, wie es sich Seivarden möglicherweise gewünscht hatte. Ein solcher Akzent passte nicht zu einer Dienerin, ganz zu schweigen von der Dienerin einer Nicht-Bürgerin. Und sie hatte Seivarden weder einen Platz noch Tee angeboten, weil sie sie als zu unbedeutend für derartige Aufmerksamkeiten eingestuft hatte.

»Zweifellos können Sie genetische Informationen beschaffen«, schlug ich vor.

»Ja, natürlich«, antwortete die Konsulatsvertreterin mit einem fröhlichen Lächeln. »Obwohl Ihr Visumsantrag mit Sicherheit bewilligt sein wird, bevor Bürgerin …«

»Seivarden«, ergänzte ich.

»… bevor Bürgerin Seivardens Reisegenehmigung erteilt wird. Je nachdem, von wo sie abgereist ist und wo sich ihre persönlichen Daten befinden.«

»Natürlich«, antwortete ich und nippte von meinem Tee. »Nichts anderes war zu erwarten.«

Nachdem wir gegangen waren, sagte Seivarden halblaut zu mir: »Was für eine Wichtigtuerin. War das echter Tee?«

»Ja.« Ich wartete darauf, dass sie sich beschwerte, weil sie keinen bekommen hatte, aber mehr sagte sie nicht dazu. »Er war sehr gut. Was wollen Sie tun, wenn statt Ihrer Reisegenehmigung ein Haftbefehl kommt?«

Sie machte eine abweisende Geste. »Warum sollte das passieren? Ich habe doch schon die Rückkehr beantragt. Also können sie mich verhaften, wenn ich dort eintreffe. Und ich werde mein Gesuch einreichen. Glauben Sie, die Konsulin lässt sich diesen Tee von zu Hause einfliegen, oder kann man ihn hier vielleicht kaufen?«

»Finden Sie es heraus, wenn Sie möchten«, sagte ich. »Ich werde ins Zimmer zurückgehen, um zu meditieren.«

Die Dienerin der Konsulatsvertreterin gab Seivarden freiheraus ein halbes Kilo Tee, wahrscheinlich aus Dankbarkeit für die Gelegenheit, die vorausgegangene Kränkung durch ihre Arbeitgeberin wiedergutmachen zu können. Und als mein Visum eintraf, war auch Seivardens Reisegenehmigung da — und kein Haftbefehl oder irgendein sonstiger Kommentar oder irgendwelche Informationen. Das machte mir Sorgen, wenn auch nur ein wenig. Aber vermutlich hatte Seivarden recht — warum sollten sie irgendetwas anderes tun? Wenn sie das Schiff verließ, wäre noch genug Zeit und Gelegenheit, ihre juristischen Schwierigkeiten anzusprechen.

Trotzdem. Es war möglich, dass die Radch-Behörden erkannt hatten, dass ich in Wirklichkeit keine Bürgerin der Gerentate war. Das war unwahrscheinlich, denn die Gerentate war sehr, sehr weit weg von dort, wohin ich unterwegs war. Außerdem waren die Beziehungen zwischen der Gerentate und der Radch recht freundlich — oder zumindest nicht offen feindselig —, aber die Gerentate gab generell keine Informationen über ihre Bürgerinnen heraus, auch nicht an die Radch. Wenn die Radch eine Anfrage stellte — was sie nicht tun würde —, würde die Gerentate weder bestätigen noch abstreiten, dass ich eine ihrer Staatsangehörigen war. Wäre ich von der Gerentate ins Radchaai-Territorium gereist, wäre ich wiederholt gewarnt worden, dass ich es auf eigene Gefahr tat und keine Hilfe erhalten würde, sollte ich in Schwierigkeiten geraten. Aber die Radchaai-Beamtinnen, die mit reisenden Fremden zu tun hatten, wussten das natürlich und wären bereit, meine Identität mehr oder weniger für bare Münze zu nehmen.

Die dreizehn Paläste von Anaander Mianaai waren die Hauptstädte der jeweiligen Provinzen. Die Stationen von der Größe einer Metropole bestanden zur einen Hälfte aus einer halbwegs gewöhnlichen großen Radchaai-Station — mitsamt KI — und zur anderen Hälfte aus dem eigentlichen Palast. Jeder dieser Paläste war die Residenz von Anaander Mianaai und der Sitz der Provinzverwaltung. Der Omaugh-Palast konnte also keine Hinterwäldlerstation sein. Ein Dutzend Tore führten in das System, und jeden Tag kamen und gingen Hunderte von Schiffen. Seivarden wäre nur eine von Tausenden von Bürgerinnen, die um eine Audienz ersuchten oder ein juristisches Urteil anfechten wollten. Auch wenn es zweifelsohne ein ungewöhnlicher Fall war, denn keine dieser anderen Bürgerinnen kehrte nach einer tausendjährigen Suspension zurück.

Ich verbrachte die monatelange Reise damit, mir zu überlegen, was zu tun war, wie ich diese Sache für mich ausnutzen wollte. Wie ich mit den Nachteilen umgehen, sie zu meinen Gunsten wenden konnte. Und ich dachte darüber nach, was ich eigentlich erreichen wollte.

Für mich ist es schwierig einzuschätzen, an wie viel von mir selbst ich mich erinnere. Wie viel ich vielleicht gewusst hatte, was ich vielleicht mein ganzes Leben lang vor mir selbst verborgen hatte. Zum Beispiel dieser letzte Befehl, die Anweisung, die ich, die Gerechtigkeit der Torren, mir, Eins Esk Neunzehn, gegeben hatte. Geh zum Irei-Palast, mach Anaander Mianaai ausfindig und erzähle ihr, was geschehen ist. Was hatte ich damit gemeint? Über die offensichtliche und bloße Tatsache hinaus, dass ich der Herrin der Radch die Nachricht überbringen wollte.

Warum war es so wichtig gewesen? Weil es das gewesen war. Es war keine Nebensache gewesen, sondern eine dringende Notwendigkeit. Damals schien alles klar gewesen zu sein. Natürlich musste ich die Nachricht überbringen, natürlich musste ich die richtige Anaander warnen.

Ich würde meine Befehle befolgen. Aber während der Zeit, in der ich mich von meinem Tod erholt hatte, als ich mich Schritt für Schritt dem Radch-Territorium genähert hatte, hatte ich beschlossen, auch noch etwas anderes zu tun. Ich würde der Herrin der Radch trotzen. Und vielleicht bewirkte mein Trotz gar nichts, wäre nur eine schwache Geste, die sie kaum bemerkte.

Die Wahrheit sah so aus, dass Strigan recht hatte. Mein Wunsch, Anaander Mianaai zu töten, war unvernünftig. Jeder ernsthafte Versuch, so etwas zu tun, war verrückt. Selbst wenn ich über eine Waffe verfügte, mit der ich mich der Herrin der Radch nähern konnte, die sie erst wahrnehmen würde, wenn ich meine Absichten offenbarte, konnte ich mir nicht mehr erhoffen als einen Schrei des Aufbegehrens, der bereits im nächsten Augenblick verklungen war, der sich leicht als unwichtig abtun ließ. Nichts, womit ich möglicherweise etwas bewirken konnte.

Dennoch. All diese geheimen Maßnahmen gegen sich selbst. Zweifellos zu dem Zweck, einen offenen Konflikt, einen allzu großen Schaden für die Radch zu vermeiden. Vielleicht auch, um Anaander Mianaais eigene Überzeugung zu schützen, eine einzige Person zu sein. Konnte sie, nachdem das Dilemma klar erkannt worden war, noch so tun, als würde es sich anders verhalten?

Und wenn es jetzt zwei Anaander Mianaais gab, könnte es dann nicht noch mehr geben? Vielleicht einen Teil, der gar nichts von ihrem eigenen inneren Konflikt wusste? Oder sich einredete, nichts davon zu wissen? Was würde geschehen, wenn ich das, was die Herrin der Radch vor sich selbst geheim hielt, offen ausgesprochen hätte? Zweifellos etwas Schlimmes, weil sie sich sonst nie so große Mühe gegeben hätte, es vor sich selbst zu verbergen. Würde sie sich zerreißen, sobald die Angelegenheit offen auf dem Tisch lag?

Aber wie konnte ich Anaander Mianaai irgendetwas direkt ins Gesicht sagen? Vorausgesetzt, ich erreichte den Omaugh-Palast, vorausgesetzt, ich konnte das Schiff verlassen und die Station betreten — wenn ich so weit kam, konnte ich mich auch mitten auf die Hauptpromenade stellen und laut meine Geschichte rufen, damit jeder sie hörte.

Vielleicht konnte ich damit beginnen, aber ich würde nie bis zum Ende kommen. Der Sicherheitsdienst würde mich abführen, vielleicht würden sogar Soldatinnen geschickt, und in den Nachrichten des Tages würde es heißen, eine Reisende hätte auf der Promenade den Verstand verloren, aber die Sicherheit hätte das Problem unter Kontrolle bekommen. Viele Bürgerinnen würden den Kopf schütteln und etwas über unzivilisierte Fremde murmeln und mich dann vergessen. Und welcher Teil der Herrin der Radch auch immer mich zuerst bemerkte, konnte mich zweifellos ohne Mühe als geistig geschädigt abtun — oder zumindest die verschiedenen anderen Teile von ihr überzeugen, dass ich es war.

Nein, ich brauchte die ungeteilte Aufmerksamkeit von Anaander Mianaai, wenn ich sagte, was ich zu sagen hatte. Wie ich sie bekam, war ein Problem, über das ich seit fast zwanzig Jahren nachgedacht hatte. Ich wusste, dass es schwieriger sein würde, eine Person zu ignorieren, deren Auslöschung man bemerken würde. Ich konnte die Station besuchen und mich bemühen, gesehen zu werden, mich bekannt zu machen, sodass mich nicht irgendein Teil von Anaander einfach kommentarlos beseitigen konnte. Aber ich glaubte nicht, dass so etwas genügen würde, um die Herrin der Radch — alle ihre Teile — zu zwingen, mir zuzuhören.

Aber ich hatte Seivarden. Kapitänin Seivarden Vendaai, vor tausend Jahren verschollen, zufällig wiedergefunden, erneut verschollen. Die nun im Omaugh-Palast auftauchte. Jede Radchaai wäre neugierig darauf, mit einer Neugier, die religiös aufgeladen war. Und Anaander Mianaai war eine Radchaai. Zwangsläufig würde ihr auffallen, dass ich in Gesellschaft von Seivarden zurückgekehrt war. Wie jede andere Bürgerin würde sie sich darüber wundern, wenn auch nur beiläufig, was das zu bedeuten hatte. Und bei einer Persönlichkeit wie ihr waren auch beiläufige Gedanken etwas sehr Substanzielles.

Seivarden würde um eine Audienz bitten. Und sie irgendwann bekommen. Und bei dieser Audienz hatte sie Anaanders ganze Aufmerksamkeit. Kein Teil von ihr würde ein solches Ereignis ignorieren.

Und zweifellos würde Seivarden die Aufmerksamkeit der Herrin der Radch haben, sobald wir aus dem Schiff stiegen. Genauso wie ich, wenn ich in Seivardens Gesellschaft eintraf. Furchtbar riskant. Vielleicht hatte ich meine Natur nicht gut genug verborgen, vielleicht erkannte man trotzdem, was ich war. Aber ich war fest entschlossen, es zu versuchen.

Ich saß auf der Koje und wartete auf die Erlaubnis, das Schiff verlassen und die Station Omaugh betreten zu dürfen. Mein Rucksack lag zu meinen Füßen, Seivarden lehnte sich lässig und gelangweilt gegen die Wand des Zimmers.

»Etwas macht Ihnen Sorgen«, stellte Seivarden beiläufig fest. Als ich nicht antwortete, fuhr sie fort: »Immer wenn Sie diese Melodie summen, sind Sie in Gedanken verloren.«

Mein Herz ist ein Fisch, der sich im Wassergras verbirgt. Ich hatte an alles gedacht, was schiefgehen mochte, von diesem Moment an, wenn ich das Schiff verließ und mit den Dockinspektorinnen konfrontiert wurde. Oder der Stationssicherheit. Oder Schlimmerem. Ich hatte daran gedacht, dass alles, was ich getan hatte, umsonst gewesen wäre, wenn ich verhaftet wurde, bevor ich auch nur die Docks betreten konnte.

Und ich hatte an Leutnantin Awn gedacht. »Bin ich so leicht zu durchschauen?« Ich zwang mich zu einem Lächeln, als wäre ich leicht amüsiert.

»Das nicht. Nur …« Sie zögerte. Runzelte ein wenig die Stirn, als hätte sie es plötzlich bereut, überhaupt etwas gesagt zu haben. »Sie haben ein paar Angewohnheiten, die mir aufgefallen sind, mehr nicht.« Sie seufzte. »Trinken die Dockinspektorinnen Tee? Oder warten sie nur, bis wir genügend gealtert sind?« Wir konnten das Schiff nicht ohne die Genehmigung des Inspektionsbüros verlassen. Die Inspektorin musste unsere Daten erhalten haben, als das Schiff eine Andockgenehmigung erbeten hatte. Also hatte sie genug Zeit gehabt, sie zu prüfen und zu entscheiden, was bei unserer Ankunft geschehen sollte.

Seivarden, die sich immer noch gegen die Wand lehnte, schloss die Augen und summte. Die Stimme schwankte, die Tonhöhe ging abwechselnd hinauf und hinunter, als sie falsche Intervalle sang. Aber es war trotzdem wiedererkennbar. Mein Herz ist ein Fisch. »Bei Aatrs Titten«, fluchte sie nach anderthalb Strophen, weiterhin mit geschlossenen Augen. »Jetzt mache ich es auch schon.«

Der Türsummer ertönte. »Herein«, sagte ich. Seivarden öffnete die Augen, richtete sich auf. War plötzlich angespannt. Ich vermutete, dass ihre Gelangweiltheit nur eine Pose gewesen war.

Die Tür glitt auf, und eine Person in der dunkelblauen Uniform einer Dockinspektorin — bestehend aus Jacke, Handschuhen und Hose — kam zum Vorschein. Sie war zierlich und jung, vielleicht drei- oder vierundzwanzig. Sie wirkte vertraut, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, an wen sie mich möglicherweise erinnerte. Die spärlicher verstreuten Edelsteine und Gedenknadeln verrieten es mir vielleicht, wenn ich genauer hinstarrte, um die Namen lesen zu können. Was sehr unhöflich wäre. Auf der anderen Seite des Raumes versteckte Seivarden die bloßen Hände hinter dem Rücken.

»Geehrte Breq«, sagte die Inspektionsgehilfin mit einer leichten Verbeugung. Meine bloßen Hände schienen sie nicht zu beunruhigen. Vermutlich weil sie es gewohnt war, mit Fremden umzugehen. »Bürgerin Seivarden. Würden Sie mich bitte ins Büro der Inspektionsleiterin begleiten?«

Eigentlich hätte es nicht nötig sein sollen, dass wir persönlich bei der Inspektionsleiterin vorstellig wurden. Diese Gehilfin hatte die Befugnis, uns den Zugang zur Station zu gewähren. Oder unsere Verhaftung anzuordnen.

Wir folgten ihr durch die Schleuse in den Hangar, an einer weiteren Schleuse vorbei in einen Korridor, in dem es von Leuten wimmelte — Dockinspektorinnen in Dunkelblau, Stationssicherheit in Hellbraun, hier und dort das dunklere Braun von Soldatinnen und Tupfer in helleren Farben — vereinzelte nichtuniformierte Bürgerinnen. Dieser Korridor mündete in einen großen Raum mit einem Dutzend Göttinnen an den Wänden, die über die Reisenden und Händlerinnen wachten, an einem Ende der Eingang zur eigentlichen Station und gegenüber der Durchgang zum Inspektionsbüro.

Die Gehilfin eskortierte uns durch den Empfangsbereich, wo sich neun rangniedere Gehilfinnen in blauen Uniformen mit den Beschwerden von Schiffskapitäninnen auseinandersetzten. Dahinter lagen die Büros für vermutlich ein Dutzend ranghöhere Gehilfinnen mitsamt ihrem Personal. An diesen vorbei und in ein weiter hinten liegendes Büro mit vier Stühlen und einem kleinen Tisch und einer geschlossenen Tür in der Rückwand.

»Es tut mir leid, Bürg… Geehrte und Bürgerin«, sagte die Gehilfin, die uns hierhergeführt hatte. Ihre Finger zuckten, als sie mit jemandem kommunizierte, wahrscheinlich der Stations-KI oder der Inspektionsleiterin. »Die Inspektionsleitung war disponibel, doch dann kam etwas dazwischen. Ich bin mir sicher, dass es nicht länger als ein paar Minuten dauern wird. Bitte setzen Sie sich. Möchten Sie Tee?«

Also eine etwas längere Wartezeit. Und der Tee deutete darauf hin, dass es keinen Haftbefehl gab. Dass niemand bemerkt hatte, dass meine Dokumente gefälscht waren. Alle hier — einschließlich der Station — würden davon ausgehen, dass ich wirklich die war, die ich zu sein behauptete, eine reisende Fremde. Und vielleicht erhielt ich sogar die Gelegenheit herauszufinden, an wen diese junge Inspektionsgehilfin mich erinnerte. Nachdem sie nun etwas mehr gesprochen hatte, bemerkte ich einen leichten Akzent. Woher stammte sie? »Gern, danke«, sagte ich.

Seivarden reagierte nicht sofort auf das Angebot, Tee zu trinken. Sie hatte die Arme verschränkt und die bloßen Hände unter die Ellbogen gesteckt. Wahrscheinlich freute sie sich über den Tee, schämte sich aber für ihre unbehandschuhten Hände, die sie nicht verbergen konnte, wenn sie eine Tasse hielt. Zumindest glaubte ich das, bis sie sagte: »Ich kann kein Wort von dem verstehen, was sie sagt.«

Seivardens Akzent und Sprechweise mussten den meisten gebildeten Radchaai bekannt sein, aus alten Unterhaltungsprogrammen und der Art und Weise, wie Anaander Mianaais Sprache von angesehenen — oder auf Ansehen hoffenden — Familien nachgeahmt wurde. Ich hätte nicht gedacht, dass die Unterschiede in Aussprache und Vokabular so extrem waren. Aber ich hatte sie über einen langen Zeitraum miterlebt, während Seivarden noch nie ein gutes Ohr für Sprachen gehabt hatte. »Sie bietet uns Tee an.«

»Oh.« Seivarden warf einen kurzen Blick auf ihre verschränkten Arme. »Nein.«

Ich nahm die Teetasse, die die Gehilfin aus einer Kanne auf dem Tisch gefüllt hatte, bedankte und setzte mich. Das Büro war in Blassgrün gestrichen, und der Bodenbelag bestand aus etwas, das vermutlich wie Holz aussehen sollte, was möglicherweise sogar funktioniert hätte, wenn die Designerin jemals etwas zu Gesicht bekommen hätte, das keine Imitation einer Imitation war. In einer Wandnische hinter der jungen Gehilfin stand eine Ikone von Amaat und eine kleine Schale mit gekräuselten Blütenblättern in hellem Orange. Und daneben eine Messingkopie der Felswand im Tempel der Ikkt. Ich wusste, dass man so etwas kaufen konnte, während der Pilgersaison an Ständen auf dem Platz vor dem Vortempelteich.

Ich betrachtete noch einmal die Gehilfin. Wer war sie? Kannte ich sie? War sie die Verwandte einer Person, der ich begegnet war?

»Sie summen schon wieder«, sagte Seivarden leise.

»Verzeihung.« Ich nippte vom Tee. »Das ist eine Angewohnheit von mir. Entschuldigen Sie bitte.«

»Kein Problem«, sagte die Gehilfin und setzte sich ebenfalls auf einen Stuhl. Dies war recht offensichtlich ihr eigenes Büro, was bedeutete, dass sie die unmittelbare Assistentin der Inspektionsleiterin war — eine ungewöhnliche Stellung für eine so junge Person. »Ich habe dieses Lied seit meiner Kindheit nicht mehr gehört.«

Seivarden blinzelte verständnislos. Hätte sie es verstanden, hätte sie vermutlich gelächelt. Eine Radchaai konnte fast zweihundert Jahre alt werden. Diese Inspektionsgehilfin, die wahrscheinlich seit einem Jahrzehnt gesetzlich erwachsen war, war dennoch unvorstellbar jung.

»Ich kannte eine andere Person, die die ganze Zeit sang«, fuhr die Gehilfin fort.

Ich kannte sie. Hatte wahrscheinlich Lieder von ihr gekauft. Sie musste vier oder fünf Jahre alt gewesen sein, als ich Ors verlassen hatte. Vielleicht ein wenig älter, wenn sie sich halbwegs deutlich an mich erinnerte.

Die Inspektionsleiterin hinter jener Tür musste eine Person sein, die auf Shis’urna gelebt hatte, höchstwahrscheinlich sogar in Ors. Was wusste ich über die Leutnantin, die dort Leutnantin Awns Stellung als Verwalterin übernommen hatte? Wie wahrscheinlich war es, dass sie ihre militärische Stellung aufgegeben hatte und Dockinspektorin geworden war? So etwas hatte es durchaus schon gegeben.

Wer auch immer die Inspektionsleiterin war, sie hatte genügend Geld und Einfluss, um diese Gehilfin von Ors hierherzubringen. Ich wollte die junge Frau nach dem Namen ihrer Patronin fragen, aber das wäre äußerst unhöflich gewesen. »Ich habe gehört«, sagte ich in beiläufig neugierigem Tonfall, in den ich nur ein klein wenig meinen Gerentate-Akzent einfließen ließ, »dass die Edelsteine, die von Radchaai getragen werden, irgendeine Bedeutung haben.«

Seivarden warf mir einen verdutzten Blick zu. Die Gehilfin lächelte nur. »Einige davon.« Nachdem ich ihn identifiziert hatte, war ihr orsianischer Akzent völlig eindeutig. »Dieser hier zum Beispiel.« Sie schob einen behandschuhten Finger unter einen goldfarbenen Anhänger, der an ihrer linken Schulter festgesteckt war. »Das ist ein Gedenkabzeichen.«

»Darf ich es mir genauer ansehen?«, fragte ich. Als ich die Erlaubnis erhielt, rückte ich mit meinem Stuhl näher heran und beugte mich vor, um den Namen lesen zu können, der auf Radchaai in das glatte Metall graviert war, einer, den ich nicht kannte. Wahrscheinlich handelte es sich gar nicht um eine Orsai — ich konnte mir keine Person aus der Unterstadt vorstellen, die eine Bestattungszeremonie nach Art der Radchaai abhielt, oder zumindest keine Person, die alt genug war, um gestorben zu sein, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte.

Nicht weit vom Anhänger steckte an ihrem Kragen eine kleine Blumennadel. Jedes Blütenblatt war mit dem Symbol einer Emanation emailliert, und in der Mitte der Blüte war ein Datum eingraviert. Damit stand fest, dass diese junge Frau die kleine, verängstigte Blumenträgerin gewesen war, als Anaander Mianaai vor zwanzig Jahren im Haus von Leutnantin Awn als Priesterin fungiert hatte.

Es gab keine Zufälle, nicht für Radchaai. Ich war mir jetzt ziemlich sicher, dass ich Leutnantin Awns Nachfolgerin in Ors begegnen würde, wenn man uns ins Büro der Inspektionsleiterin einlassen würde. Die Inspektionsgehilfin war vielleicht eine ihrer Klientinnen.

»Sie werden für Bestattungen angefertigt«, sagte die Gehilfin, die in Gedanken immer noch bei den Gedenknadeln war. »Verwandte und enge Freundinnen tragen sie.« Und am Stil und der Ausführung des Stücks erkannte man, welche Stellung die verstorbene Person in der Radchaai-Gesellschaft gehabt hatte, und indirekt auch die Stellung der Trägerin. Aber die Gehilfin — ich wusste, dass ihr Name Daos Ceit war — erwähnte das nicht.

Dann fragte ich mich, was Seivarden von den Veränderungen der Mode seit Garsedd hielt — oder gehalten hatte —, wie sich die Gebräuche und Zeichen geändert hatten — oder auch nicht. Die Leute trugen immer noch solche vererbten Abzeichen und Gedenknadeln, die von ihren sozialen Verbindungen und dem Rang ihrer Vorfahren über mehrere Generationen kündeten. Größtenteils war das so geblieben, nur dass die »mehreren Generationen« bis Garsedd zurückreichten. Einige Abzeichen, die damals unbedeutend gewesen waren, waren jetzt von hohem Wert, und bei anderen war es umgekehrt. Und die Bedeutungen der Farben und Edelsteine, die in den letzten hundert Jahren oder so in Mode gewesen waren, konnten für Seivarden gar keinen Sinn mehr ergeben.

Die Inspektionsgehilfin Ceit hatte drei enge Freundinnen, von denen alle drei ähnliche Gehaltsstufen und Positionen hatten wie sie, wenn ich nach den Geschenken ging, die sie mit ihr ausgetauscht hatten. Zwei Beziehungen, die intim genug waren, um Abzeichen auszutauschen, aber nicht so intim, dass man sie als ausgesprochen ernsthaft betrachten konnte. Keine Edelsteinketten, keine Armreifen — obwohl diese Dinge sie vielleicht auch nur behinderten, wenn sie tatsächlich mit der Arbeit betraut wurde, Fracht oder Schiffssysteme zu inspizieren — und keine Ringe an ihren Handschuhen.

Und dort, an der anderen Schulter, wo ich es jetzt deutlich sehen und betrachten konnte, ohne dass es allzu unhöflich wirkte, war das Abzeichen, nach dem ich gesucht hatte. Ich hatte es mit etwas anderem verwechselt, das weniger beeindruckend war, hatte auf den ersten Blick das Platin für Silber gehalten und die Perle für Glas, das Zeichen eines Geschwistergeschenks. Die aktuelle Mode hatte mich in die Irre geführt. Dieses Stück war keineswegs billig, keineswegs unbedeutend. Aber es war auch kein Abzeichen einer Klientinnenschaft, obwohl das Metall und die Perle auf eine Beziehung zu einem besonderen Haus hinwies. Eine Beziehung zu einem Haus, das so alt war, dass Seivarden es sofort hätte erkennen können. Es vielleicht sogar erkannt hatte.

Die Inspektionsgehilfin stand auf. »Die Inspektionsleiterin hat jetzt Zeit für Sie«, sagte sie. »Ich entschuldige mich für die lange Wartezeit.« Sie öffnete die innere Tür und gab uns mit einer Geste zu verstehen, dass wir eintreten sollten.

Im inneren Büro stand, nun zwanzig Jahre älter und ein wenig schwerer als bei unserer letzten Begegnung, die Person, die jene Nadel geschenkt hatte — Leutnantin, nein, Inspektionsleiterin Skaaiat Awer.

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