19

Am nächsten Morgen kaufte ich Kleidung. Die Inhaberin des Ladens, den Inspektionsleiterin Skaaiat mir empfohlen hatte, stand bereits kurz davor, mich hinauszuwerfen, als mein Kontostand auf ihrer Konsole aufblitzte, unaufgefordert, wie ich vermutete. Offenbar wollte die Station ihr die Verlegenheit ersparen — und mir gleichzeitig mitteilen, wie genau sie mich im Auge behielt.

Ich brauchte auf jeden Fall Handschuhe, und wenn ich die Rolle der vermögenden und großzügigen Touristin spielen wollte, musste ich noch viel mehr kaufen. Doch bevor ich irgendetwas in dieser Richtung sagen konnte, holte die Inhaberin Ballen aus Brokat, Samt und Satin in einem Dutzend Farben hervor. In Purpur und Orangebraun, drei Grüntönen, Gold, Hellgelb sowie Eisblau, Aschgrau und Tiefrot.

»Diese Kleider können Sie nicht tragen«, sagte sie mir gebieterisch, während eine Untergebene mir Tee reichte und es schaffte, ihre Abscheu vor meinen bloßen Händen mehr oder weniger zu verbergen. Die Station hatte mich gescannt und meine Maße durchgegeben, sodass ich nichts tun musste. Einen halben Liter Tee, zwei unerträglich süße Kekse und ein Dutzend Beleidigungen später verließ ich den Laden in einer orangebraunen Jacke mit dazu passenden Hosen, einem frostweißen steifen Hemd darunter und dunkelgrauen Handschuhen, die so dünn und weich waren, dass es sich fast wie barhändig anfühlte. Zum Glück bevorzugte die aktuelle Mode Jacken und Hosen, die weit genug geschnitten waren, um darunter meine Waffe verstecken zu können. Der Rest — zwei weitere Jacken und Hosen, zwei Handschuhpaare, ein halbes Dutzend Hemden und drei Paar Schuhe — würden in meine Unterkunft geliefert, wie die Inhaberin mir versicherte, wenn ich meinen Besuch im Tempel beendet hatte.

Ich trat aus dem Laden, bog um eine Ecke auf die Hauptpromenade, auf der sich zu dieser Zeit viele Radchaai drängten, die den Tempel oder den eigentlichen Palast betraten oder verließen, die (zweifellos teuren und modischen) Teeläden besuchten oder sich lediglich in passender Gesellschaft sehen ließen. Als ich zuvor hier entlanggelaufen war, auf dem Weg zum Bekleidungsgeschäft, hatten die Leute gestarrt und geflüstert oder nur die Augenbrauen hochgezogen. Jetzt war ich, wie es schien, die meiste Zeit unsichtbar, abgesehen von einer gelegentlichen, ähnlich gut gekleideten Radchaai, die den Blick auf meine Jacke fallen ließ, um nach Hinweisen auf meine Familienzugehörigkeit zu suchen und schließlich überrascht die Augen aufzureißen, als sie keine sah. Oder das Kind, das sich mit einer behandschuhten Hand am Ärmel einer Erwachsenen festhielt und sich umdrehte, um mich offen anzustarren, bis es weitergezerrt wurde und außer Sichtweite war.

Im Tempel drängten sich die Bürgerinnen um die Blumen und den Weihrauch, während Juniorpriesterinnen, die jung genug waren, um in meinen Augen wie Kinder auszusehen, Körbe und Kisten mit Nachschub heranschafften. Als Hilfseinheit stand es mir nicht zu, Tempelopfer zu berühren oder selbst darzubringen. Aber das wusste hier niemand. Ich wusch mir die Hände im Becken und kaufte eine Handvoll gelb-orangefarbener Blumen und ein Stück von dem Weihrauch, den Leutnantin Awn bevorzugt hatte.

Im Tempel musste es einen Ort geben, der Gebeten für die Toten vorbehalten war, und es gab Tage, die für solche Opfergaben günstig waren, obwohl heute kein solcher Tag war. Als Fremde hätte ich eigentlich auch keine verstorbenen Radchaai haben können, derer ich gedenken wollte. Stattdessen betrat ich den hallenden Hauptsaal, wo Amaat stand, eine juwelenbesetzte Emanation in jeder Hand, bereits knietief in Blumen versunken, ein Hügel aus Rot und Orange und Gelb so hoch wie mein Kopf, der immer weiter anwuchs, während die Besucherinnen weitere Blüten auf den Haufen warfen. Als ich die erste Reihe der Menge erreicht hatte, fügte ich meine hinzu, vollführte die Gesten und sprach lautlos das Gebet, warf den Weihrauch in den Kasten, der, wenn er voll war, von anderen Juniorpriesterinnen geleert wurde. Es war nur ein Zeichen, und man würde alles zum Eingang zurückbringen, wo es erneut verkauft wurde. Wenn all der geopferte Weihrauch tatsächlich verbrannt würde, wäre die Luft im Tempel viel zu verräuchert gewesen, um sie noch atmen zu können. Und heute war nicht einmal ein Feiertag.

Als ich mich vor der Göttin verneigte, trat eine Schiffskapitänin in brauner Uniform neben mich. Sie wollte gerade ihre Handvoll Blüten werfen, als sie innehielt und mich anstarrte. Die Finger ihrer leeren Hand zuckten leicht. Ihre Züge erinnerten mich an Hundert-Kapitänin Rubran Osck. Doch während Kapitänin Rubran schlaksig gewesen war und ihr Haar lang und glatt getragen hatte, war diese Kapitänin kleiner und stämmiger und hatte kurz geschnittenes Haar. Ein Blick auf ihren Schmuck bestätigte, dass sie eine Cousine von Rubran Osck war, eine Angehörige des gleichen Zweiges des gleichen Hauses. Ich erinnerte mich, dass Anaander Mianaai nicht in der Lage gewesen war, Kapitänin Rubrans Loyalität vorherzusagen, und nicht zu fest am Netz aus Klientinnenschaften und Verträgen zerren wollte, zu der die Hundert-Kapitänin gehört hatte. Ich fragte mich, ob das immer noch der Fall war oder ob sich Osck für die eine oder andere Seite entschieden hatte.

Es spielte keine Rolle. Die Kapitänin starrte immer noch und erhielt inzwischen vermutlich Antworten auf ihre Fragen. Die Station oder ihr Schiff würden ihr sagen, dass ich eine Fremde war, und ich ging davon aus, dass die Kapitänin dann das Interesse verlieren würde. Oder auch nicht, wenn sie von Seivarden erfuhr. Ich wartete ihre Reaktion nicht ab, sondern beendete mein Gebet, drehte mich um und schob mich durch die Leute, die ebenfalls ihre Opfer darbringen wollten.

An den Seiten des Tempels gab es kleinere Schreine. In einem standen drei Erwachsene und zwei Kinder um einen Säugling, den sie an die Brust von Aatr gelegt hatten. Das Bildnis war zu diesem Zweck gestaltet worden, die Arme unter den oft im Fluch angerufenen Brüsten der Göttin angewinkelt. Anscheinend hoffte die Familie auf ein verheißungsvolles Schicksal oder wenigstens ein Zeichen, was die Zukunft für dieses Kind bereithalten mochte.

Alle Schreine waren sehr schön, sie glitzerten mit Gold und Silber, Glas und polierten Steinen. Das gesamte Gebäude dröhnte von den Echos zahlloser leiser Gespräche und Gebete. Keine Musik. Ich dachte an den fast leeren Tempel der Ikkt, wie die Göttliche der Ikkt mir von Hunderten längst verstorbener Sängerinnen erzählt hatte.

Ich hielt mich fast zwei Stunden lang im Tempel auf, um die Schreine der Nebengöttinnen zu bewundern. Er schien diesen gesamten Teil der Station einzunehmen, der nicht zum eigentlichen Palast gehörte. Beide waren zweifellos miteinander verbunden, da Anaander Mianaai hier regelmäßig als Priesterin fungierte, auch wenn die Zugänge bestimmt nicht allzu offenkundig waren.

Den Totenschrein hob ich mir bis zuletzt auf. Zum einen, weil es der Teil des Tempels war, der höchstwahrscheinlich mit Touristinnen überfüllt war, zum anderen, weil ich wusste, dass er mich traurig machen würde. Er war größer als die anderen Nebenschreine, fast halb so groß wie der riesige Hauptsaal, gefüllt mit Regalen und Kisten voller Opfer für die Toten. Überall Speisen oder Blumen. Überall Glas. Gläserne Teetassen mit Glastee, von dem Glasdampf aufstieg. Haufen aus zierlichen Glasrosen mit Glasblättern. Zwei Dutzend unterschiedliche Früchte, Fische und Gemüsesorten, die fast ein Phantomaroma meines Abendessens am Vortag abgaben. Man konnte massenproduzierte Versionen davon in Geschäften kaufen, die ein gutes Stück von der Hauptpromenade entfernt waren, und sie in den häuslichen Schrein legen, für Göttinnen oder für die Toten, aber diese waren anders, jede ein Kunstwerk mit sorgfältig gearbeiteten Details, jede unübersehbar mit den Namen der lebenden Spenderin und der toten Empfängerin beschrieben, damit jede Besucherin die Frömmigkeit der Trauernden — und den Wohlstand und Status — sehen konnte.

Wahrscheinlich hatte ich genug Geld, um ein solches Opfer in Auftrag zu geben. Aber wenn ich es tat und die entsprechenden Namen angab, wäre es das Letzte, was ich jemals tun würde. Und zweifellos würden die Priesterinnen es ablehnen. Ich hatte bereits überlegt, ob ich Leutnantin Awns Schwester Geld schicken sollte, aber auch das würde ein unwillkommenes Ausmaß an Neugier auf sich ziehen. Vielleicht konnte ich es so arrangieren, dass zumindest das, was übrig blieb, an sie ging, nachdem ich getan hatte, weswegen ich hierhergekommen war, aber ich vermutete, dass es unmöglich war. Trotzdem versetzten mir die Gedanken daran und an mein luxuriöses Zimmer und die teure, schöne Kleidung einen schuldbewussten Stich.

Als ich am Tempeleingang gerade auf die Promenade hinaustreten wollte, versperrte mir eine Soldatin den Weg. Menschlich, keine Hilfseinheit. Sie verbeugte sich. »Entschuldigen Sie. Ich habe eine Nachricht von der Bürgerin Vel Osck, der Kapitänin der Gnade der Kalr

Die Kapitänin, die mich angestarrt hatte, als ich Amaat mein Opfer dargebracht hatte. Die Tatsache, dass sie eine Soldatin schickte, um mich anzusprechen, verriet mir, dass es ihr einige Mühe wert war, da sie eine Nachricht auch durch die Systeme der Station hätte übermitteln lassen können, aber sie ging nicht so weit, eine Leutnantin zu beauftragen oder persönlich an mich heranzutreten. Obwohl es auch an einer gewissen gesellschaftlichen Unbeholfenheit liegen mochte, wenn sie die Kontaktaufnahme auf eine Soldatin abschob. Es war schwer, die etwas ungeschickte Formulierung eines Satzes zu überhören, der dazu gedacht war, eine höfliche Anrede zu vermeiden. »Verzeihung, Bürgerin«, sagte ich. »Ich kenne die Bürgerin Vel Osck nicht.«

Die Soldatin gestikulierte eine respektvolle Entschuldigung. »Die Omen des heutigen Morgens deuteten an, dass der Kapitänin eine schicksalhafte Begegnung bevorsteht. Als sie bemerkte, wie Sie Ihre Opfergaben darbrachten, war sie davon überzeugt, dass Sie damit gemeint waren.«

Eine Fremde im Tempel, zumal in einem so großen Gebäude wie diesem, war kaum eine schicksalhafte Begegnung. Ich fühlte mich leicht gekränkt, dass die Kapitänin nicht einmal versucht hatte, sich etwas mehr Mühe zu geben. Schon ein paar Sekunden des Nachdenkens hätten sie auf etwas Besseres bringen müssen. »Wie lautet die Nachricht, Bürgerin?«

»Die Kapitänin pflegt am Nachmittag Tee zu trinken«, sagte die Soldatin ausdruckslos und höflich und nannte einen Laden, der nicht weit von der Promenade entfernt war. »Sie würde sich geehrt fühlen, wenn Sie ihr dabei Gesellschaft leisten würden.«

Zeit und Ort der Verabredung deuteten darauf hin, dass dieses Treffen eher eine Zurschaustellung von Einfluss und Verbindungen sein sollte, bei der vorgeblich inoffizielle Geschäfte abgeschlossen wurden.

Kapitänin Vel hatte keine geschäftliche Beziehung zu mir. Und sie würde keinen Vorteil erringen, wenn sie mit mir gesehen wurde. »Wenn die Kapitänin sich mit Bürgerin Seivarden treffen möchte …«, begann ich.

»Es war nicht Kapitänin Seivarden, der Kapitänin Vel im Tempel begegnete«, erwiderte die Soldatin, wieder in entschuldigendem Tonfall. Zweifellos war ihr bewusst, wie durchsichtig ihr Auftrag war. »Aber wenn Sie Kapitänin Seivarden mitbringen möchten, würde sich Kapitänin Vel selbstverständlich geehrt fühlen, sie kennenzulernen.«

Selbstverständlich. Und obwohl sie ohne Haus und bankrott war, würde Seivarden eine persönliche Einladung von einer Person erhalten, die sie kannte, und keine Nachricht über ein Stationssystem oder eine beinahe beleidigende Einladung von Kapitänin Vels Botin. Aber es war genau das, was ich gewollt hatte. »Ich kann natürlich nicht für Bürgerin Seivarden sprechen«, sagte ich. »Bitte danken Sie Kapitänin Vel für die Einladung.« Die Soldatin verbeugte sich und ging.

Abseits der Promenade fand ich ein Geschäft, das Kartons mit etwas verkaufte, das lediglich als »Mittagessen« beworben wurde — wieder Fisch, mit Früchten gedünstet. Ich kehrte damit zu meinem Zimmer zurück und setzte mich an den Tisch, um zu essen, wobei ich über die Konsole an der Wand nachdachte, die eine sichtbare Verbindung zur Station darstellte.

Die Station war so intelligent wie ich, als ich noch ein Schiff gewesen war. Jünger. Weniger als halb so alt wie ich. Dennoch nicht zu unterschätzen, auf gar keinen Fall. Wenn ich enttarnt wurde, dann mit großer Wahrscheinlichkeit durch die Station.

Die Station hatte meine Hilfseinheiten-Implantate nicht bemerkt, die ich allesamt deaktiviert und so gut wie möglich verborgen hatte. Hätte ich es nicht getan, wäre ich längst verhaftet worden. Aber die Station konnte zumindest die Grundwerte meines emotionalen Zustands sehen. Konnte mit genügend Informationen über mich erkennen, ob ich log. Und beobachtete mich zweifellos sehr genau.

Aber emotionale Zustände waren aus der Sicht der Station, aus meiner Sicht, als ich die Gerechtigkeit der Torren gewesen war, lediglich Ansammlungen von medizinischen Daten, die ohne Kontext bedeutungslos waren. Wenn ich in meiner gegenwärtigen trüben Stimmung einfach nur von Bord eines Schiffes gegangen wäre, würde die Station meine Gefühle erkennen, aber nicht verstehen, und könnte auch keine Schlussfolgerung aus dieser Beobachtung ziehen. Doch je länger ich mich hier aufhielt, je mehr die Station sah, desto mehr Daten hätte sie zur Verfügung. Dann konnte sie selbst einen Kontext rekonstruieren, sich ein eigenes Bild von mir machen. Und dann wäre sie in der Lage, es mit dem Zustand zu vergleichen, in dem ich mich ihrer Einschätzung nach befinden sollte.

Das konnte gefährlich werden, wenn diese beiden Dinge nicht zusammenpassten. Ich schluckte meinen letzten Bissen hinunter und blickte zur Konsole. »Hallo«, sagte ich. »Ich meine die KI, die mich beobachtet.«

»Geehrte Ghaiad Breq«, sagte die Station mit ruhiger Stimme durch die Konsole. »Hallo. Ich werde gewöhnlich als Station angesprochen.«

»Also Station.« Ich nahm einen weiteren Bissen Fisch und Obst. »Also beobachten Sie mich tatsächlich.« Ich war ehrlich besorgt über die Überwachung. Das würde ich nicht vor der Station verbergen können.

»Ich beobachte jede Person, Geehrte. Haben Sie immer noch Probleme mit Ihrem Bein?« Die hatte ich, und zweifellos konnte die Station sehen, wie ich es schonte, bemerkte es wahrscheinlich sogar an meiner Sitzhaltung. »Unsere medizinischen Einrichtungen sind ausgezeichnet. Ich bin mir sicher, dass eine unserer Ärztinnen eine Lösung für Ihr Problem finden wird.«

Eine besorgniserregende Aussicht. Aber ich konnte meine Bedenken völlig verständlich erscheinen lassen. »Nein, vielen Dank. Ich wurde vor den medizinischen Einrichtungen der Radchaai gewarnt. Ich würde lieber ein gewisses Unwohlsein ertragen und die bleiben, die ich bin.«

Einen Moment lang Stille. Dann fragte die Station: »Meinen Sie die Eignungsprüfungen? Oder die Umerziehung? Nichts davon würde etwas an dem ändern, was Sie sind. Und für beides sind Sie nicht qualifiziert, das kann ich Ihnen versichern.«

»Trotzdem.« Ich legte das Besteck zurück. »Wo ich herkomme, haben wir ein Sprichwort: Macht benötigt weder Erlaubnis noch Vergebung.«

»Ich bin nie zuvor einer Person von der Gerentate begegnet«, sagte die Station. Darauf hatte ich mich natürlich verlassen. »Ich vermute, Ihre irrtümliche Ansicht ist verständlich. Fremde haben oft keine Vorstellung davon, was die Radchaai wirklich sind.«

»Ist Ihnen bewusst, was Sie gerade gesagt haben? Genau genommen, dass Unzivilisierte nichts von Zivilisation verstehen. Ist Ihnen bewusst, dass sehr viele Leute außerhalb des Radch-Territoriums sich als zivilisiert betrachten?« Dieser Satz war auf Radchaai fast unmöglich, ein Widerspruch in sich.

Ich wartete auf ein Das habe ich nicht gemeint, aber es kam nicht. Stattdessen sagte die Station: »Wären Sie auch hierhergekommen, wenn Bürgerin Seivarden nicht gewesen wäre?«

»Möglicherweise«, antwortete ich im Bewusstsein, dass ich die Station nicht unverblümt belügen konnte, nicht während sie mich aufmerksam beobachtete. Und im Bewusstsein, dass jetzt jede Wut oder Verärgerung — oder auch nur eine gewisse Vorsicht gegenüber Amtsinhaberinnen der Radchaai — auf meine grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich der Radch zurückgeführt würden. »Gibt es an diesem sehr zivilisierten Ort irgendwelche Musik?«

»Ja«, antwortete die Station. »Obwohl ich nicht glaube, dass ich Musik von der Gerentate habe.«

»Wenn ich nur Musik von der Gerentate hören wollte«, sagte ich leicht verärgert, »hätte ich mich niemals von dort fortbegeben.«

Das schien die Station nicht aus der Fassung zu bringen. »Würden Sie lieber ausgehen oder in Ihrer Unterkunft bleiben?«

Ich wollte bleiben. Die Station rief ein Unterhaltungsprogramm für mich auf, aus diesem Jahr, aber angenehm vertraut klingend. Ein Stück über eine junge Frau von bescheidener Herkunft und mit der Hoffnung, die Klientin eines renommierteren Hauses zu werden. Eine eifersüchtige Rivalin, die ihre Bemühungen untergräbt und die avisierte Patronin über ihr wahres, edles Wesen täuscht. Endlich die Anerkennung der überragenden Tugend der Heldin, ihre Loyalität selbst in den schwersten Prüfungen, obwohl es noch gar keine vertragliche Bindung gibt, und der Niedergang ihrer Rivalin, gipfelnd im lang ersehnten Klientinnenvertrag und zehnminütigem triumphierendem Gesang und Tanz, das letzte von elf solchen Zwischenspielen in vier einzelnen Episoden. Das Werk war relativ kurz, denn andere liefen über mehrere Dutzend Episoden, die sich zu Tagen oder gar Wochen summierten. Das Ganze war anspruchslos, aber die Lieder waren nett und verbesserten meine Stimmung beträchtlich.

Ich hatte nichts Dringendes zu tun, bis es etwas Neues zu Seivardens Gesuch gab, und wenn Seivardens Bitte um Audienz, bei der ich sie begleiten sollte, stattgegeben wurde, würde das auf eine weitere, noch längere Wartezeit hinauslaufen. Ich stand auf, strich meine neuen Hosen glatt, zog Schuhe und Jacke an. »Station«, sagte ich. »Wissen Sie, wo ich die Bürgerin Seivarden Vendaai finde?«

»Die Bürgerin Seivarden Vendaai«, antwortete die Station mit ihrer stets gleichmäßigen Stimme aus der Konsole, »befindet sich im Sicherheitsgewahrsam auf Unterebene neun.«

»Wie bitte?«

»Es gab einen Kampf«, sagte die Station. »Normalerweise hätte der Sicherheitsdienst ihre Familie kontaktiert, aber sie hat hier keine.«

Natürlich gehörte ich nicht zu ihrer Familie. Und sie hätte mich anrufen können, wenn sie etwas von mir gewollt hätte. Trotzdem. »Können Sie mich zum Sicherheitsdienst auf Unterebene neun führen, bitte?«

»Selbstverständlich, Geehrte.«

Das Sicherheitsbüro auf Unterebene neun war winzig, eigentlich nicht mehr als eine Konsole, ein paar Stühle, ein Tisch mit nicht zusammenpassendem Teegeschirr und ein paar Lagerschränke. Seivarden saß auf einer Bank an der Rückwand. Sie trug graue Handschuhe und eine schlecht sitzende Jacke und Hosen aus einem steifen, groben Stoff, ein Kleidungsstück, das nicht genäht, sondern auf Abruf in Form gepresst wurde, wahrscheinlich in einer vorgegebenen Auswahl an Größen. Als ich ein Schiff gewesen war, waren meine eigenen Uniformen auf diese Weise hergestellt worden, aber sie hatten besser ausgesehen. Natürlich hatte ich für jede die richtige Größe bestimmt, was damals eine einfache Sache für mich gewesen war.

Die Vorderseite von Seivardens grauer Jacke war mit Blut bespritzt, und ein Handschuh war damit getränkt. Sie hatte verkrustetes Blut an der Oberlippe, und die kleine durchsichtige Hülle eines Korrektivs steckte auf ihrem Nasenrücken. Ein weiteres Korrektiv lag über einem blauen Fleck, der sich auf einer Wange bildete. Sie starrte stumpf geradeaus, ohne zu mir oder zur Sicherheitsoffizierin aufzublicken, die mich hereingelassen hatte. »Hier ist Ihre Freundin, Bürgerin«, sagte die Sicherheitsoffizierin.

Seivarden runzelte die Stirn. Blickte auf, schaute sich im kleinen Zimmer um. Dann sah sie mich genauer an. »Breq? Bei Aatrs Titten, Sie sind es. Sie sehen …« Sie blinzelte. Öffnete den Mund, um den Satz zu vervollständigen, hielt erneut inne. Nahm einen weiteren schweren Atemzug. »Anders«, sagte sie schließlich. »Sie sehen wirklich ganz anders aus.«

»Ich habe nur neue Kleidung gekauft. Was ist mit Ihnen geschehen?«

»Es gab einen Kampf«, sagte Seivarden.

»Und der ist einfach so von selbst passiert, oder?«

»Nein«, räumte sie ein. »Mir wurde ein Quartier zum Schlafen zugeteilt, aber dort wohnte bereits jemand. Ich habe versucht, mit ihr zu reden, aber ich konnte sie kaum verstehen.«

»Wo haben Sie letzte Nacht geschlafen?«, fragte ich.

Sie blickte auf den Boden. »Ich bin zurechtgekommen.« Blickte erneut auf, zu mir, zur Sicherheitsoffizierin neben mir. »Aber es war klar, dass ich nicht allzu lange zurechtkommen würde.«

»Sie hätten zu uns kommen sollen, Bürgerin«, sagte die Sicherheitsoffizierin. »Jetzt haben Sie eine Verwarnung in Ihrer Akte. So etwas können Sie nicht gebrauchen.«

»Und ihre Gegnerin?«, fragte ich.

Die Sicherheitsoffizierin machte eine verneinende Geste. Danach sollte ich nicht fragen.

»Ich bin nicht besonders gut darin, allein zurechtzukommen, nicht wahr?«, sagte Seivarden betrübt.

Trotz Skaaiat Awers Missbilligung kaufte ich Seivarden neue Handschuhe und eine neue Jacke, dunkelgrün, ebenfalls aus der Strangpresse, aber wenigstens passte sie besser, und die höhere Qualität war nicht zu übersehen. Die grauen Sachen ließen sich nicht mehr reinigen, und ich wusste, dass die Versorgungsstelle nicht so schnell Ersatz zur Verfügung stellen würde. Als Seivarden sie angezogen und die alte Kleidung zum Recycling gegeben hatte, sagte ich: »Haben Sie schon etwas gegessen? Ich hatte vor, Sie zu einer Abendmahlzeit einzuladen, als die Station mir sagte, wo Sie sind.« Sie wusch sich das Gesicht und sah nun mehr oder weniger vorzeigbar aus, abgesehen vom blauen Fleck unter dem Korrektiv auf ihrer Wange.

»Ich habe keinen Hunger«, sagte sie. Etwas huschte über ihr Gesicht. Reue? Verärgerung? Ich konnte es nicht zuordnen. Sie verschränkte die Arme und löste sie schnell wieder voneinander, eine Geste, die ich seit Monaten nicht an ihr beobachtet hatte.

»Kann ich Ihnen vielleicht Tee anbieten, während ich esse?«

»Ich würde liebend gern Tee trinken«, sagte sie mit emphatischer Aufrichtigkeit. Ich erinnerte mich daran, dass sie kein Geld hatte, dass sie sich geweigert hatte, etwas von mir anzunehmen. Der ganze Tee, den wir dabei hatten, befand sich in meinem Gepäck, und sie hatte nichts davon mitgenommen, als wir uns am Vorabend getrennt hatten. Und Tee war natürlich ein Luxusartikel. Der eigentlich alles andere als Luxus war. Jedenfalls nicht nach Seivardens Maßstäben. Was vermutlich genauso für alle Radchaai galt.

Wir suchten uns einen Teeladen, und ich kaufte etwas, das in Algenblätter eingewickelt war, sowie etwas Obst und Tee, und damit setzten wir uns an einen Tisch in einer Ecke. »Und Sie wollen wirklich nichts essen?«, fragte ich. »Vielleicht Obst?«

Sie täuschte Desinteresse am Obst vor und nahm sich dann doch ein Stück. »Ich hoffe, Sie hatten einen besseren Tag als ich.«

»Wahrscheinlich.« Ich wartete einen Moment, um zu sehen, ob sie über den Vorfall sprechen wollte, aber sie sagte nichts, sondern wartete nur, dass ich weiterredete. »Ich war heute früh im Tempel. Und lief dort einer Schiffskapitänin über den Weg, die mich recht unhöflich anstarrte und später eine Soldatin schickte, die mir eine Einladung zum Tee überbrachte.«

»Eine Soldatin.« Seivarden bemerkte, dass sie wieder die Arme verschränkt hatte, öffnete sie, hob ihre Teetasse auf, stellte sie wieder ab. »Eine Hilfseinheit?«

»Ein Mensch. Zumindest bin ich mir ziemlich sicher.«

Seivarden hob kurz eine Augenbraue. »Sie sollten nicht hingehen. Die Kapitänin hätte Sie persönlich einladen sollen. Sie haben zugesagt, nicht wahr?«

»Ich habe nicht abgesagt.« Drei lachende Radchaai betraten den Teeladen. Alle trugen die dunkelblauen Uniformen der Dockverwaltung. Eine von ihnen war Daos Ceit, die Assistentin von Inspektionsleiterin Skaaiat. Sie schien mich nicht zu bemerken. »Ich glaube, dass es bei dieser Einladung gar nicht um mich geht. Ich glaube, sie möchte, dass ich Sie mit ihr bekanntmache.«

»Aber …« Sie runzelte die Stirn. Blickte auf die Teetasse zwischen den Fingern ihres grünen Handschuhs. Strich sich mit der anderen Hand über die neue Jacke. »Wie ist ihr Name?«

»Vel Osck.«

»Osck. Nie gehört.« Sie nahm einen weiteren Schluck Tee. Daos Ceit und ihre Freundinnen kauften Tee und Gebäck, setzten sich an einen Tisch auf der anderen Seite des Raums und unterhielten sich angeregt. »Warum will sie sich mit mir treffen?«

Ich hob ungläubig eine Augenbraue. »Sie sind diejenige, die glaubt, jedes unwahrscheinliche Ereignis sei eine göttliche Botschaft«, gab ich zu bedenken. »Sie waren tausend Jahre lang verschollen, wurden zufällig wiedergefunden, verschwanden erneut und tauchten dann gemeinsam mit einer reichen Fremden bei einem Palast auf. Und Sie wundern sich, wenn das alles Aufmerksamkeit erregt?« Sie machte eine mehrdeutige Geste. »Als funktionierendes Haus existiert Vendaai nicht mehr. Sie müssen sich irgendwie etablieren.«

Für einen kurzen Moment wirkte sie so bestürzt, dass ich dachte, meine Worte hätten sie auf irgendeine Weise beleidigt. Aber dann schien sie sich wieder zu fassen. »Wenn Kapitänin Vel an meinem Wohlwollen interessiert ist oder ihr irgendetwas an meiner Meinung liegt, hat sie keinen guten Anfang gemacht, als sie Sie beleidigte.« Hinter diesen Worten versteckte sich ihre alte Arroganz, ein erstaunlicher Unterschied zum Trübsinn, den sie bis jetzt kaum verhohlen hatte.

»Was ist mit dieser Inspektionsleiterin?«, fragte ich. »Skaaiat, nicht wahr? Sie wirkte recht höflich. Und Sie schienen zu wissen, wer sie ist.«

»Alle Awers wirken recht höflich«, sagte Seivarden angewidert. Über ihre Schulter hinweg beobachtete ich, wie Daos Ceit über etwas lachte, was eine ihrer Begleiterinnen gesagt hatte. »Zu Anfang wirken sie völlig normal«, fuhr Seivarden fort, »doch dann haben sie plötzlich Visionen oder beschließen, dass mit dem Universum etwas nicht stimmt und sie es in Ordnung bringen müssen. Oder beides gleichzeitig. Sie sind alle verrückt.« Sie schwieg für einen Moment und drehte dann den Kopf, um zu sehen, was meine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Wandte sich wieder mir zu. »Ach, die. Sieht sie nicht irgendwie … provinziell aus?«

Ich wandte Seivarden meine ganze Aufmerksamkeit zu. Schaute sie an.

Sie blickte auf den Tisch. »Tut mir leid. Das war … das war einfach falsch. Ich habe keine …«

»Ich bezweifle«, unterbrach ich sie, »dass ihr Gehalt ihr ermöglicht, Kleidung zu tragen, in der sie … ›anders‹ aussieht.«

»Das habe ich nicht gemeint.« Seivarden blickte auf, mit offensichtlicher Verzweiflung und Verlegenheit in den Zügen. »Aber was ich meinte, war schlimm genug. Ich war nur … ich war nur überrascht. Die ganze Zeit bin ich vermutlich davon ausgegangen, dass Sie eine Asketin sind. Es hat mich einfach überrascht.«

Eine Asketin. Ich verstand, was sie zu dieser Vermutung geführt hatte, aber nicht, warum es eine Rolle spielte, dass sie falsch lag. Es sei denn … »Sie sind doch nicht etwa neidisch?«, fragte ich ungläubig. Ob nun gut gekleidet oder nicht, ich sah genauso provinziell aus wie Daos Ceit. Nur aus einer anderen Provinz.

»Nein!« Und im nächsten Moment: »Das heißt, ja, doch. Aber nicht so

In diesem Moment erkannte ich, dass es nicht nur andere Radchaai waren, die durch mein Kleidungsgeschenk vielleicht einen falschen Eindruck erhielten. Obwohl Seivarden sicherlich wusste, dass ich ihr keine Klientinnenschaft anbieten konnte. Obwohl ich wusste, dass sie nur länger als dreißig Sekunden darüber nachdenken musste, um zu erkennen, dass sie niemals von mir haben wollte, was dieses Geschenk implizierte. Sie konnte unmöglich glauben, dass ich das gemeint hatte. »Gestern sagte die Inspektionsleiterin zu mir, dass die Gefahr besteht, Sie könnten sich falsche Hoffnungen machen. Oder bei anderen einen falschen Eindruck erwecken.«

Seivarden stieß einen verächtlichen Laut aus. »Das wäre ausschließlich dann bedenkenswert, wenn ich auch nur das leiseste Interesse daran hätte, was Awer denkt.« Ich hob eine Augenbraue, und sie fuhr in reuevollerem Tonfall fort: »Ich dachte, ich könnte meine Angelegenheiten allein regeln, aber die ganze letzte Nacht und den ganzen heutigen Tag habe ich mir nur gewünscht, ich wäre bei Ihnen geblieben. Wahrscheinlich stimmt es, dass man sich um alle Bürgerinnen kümmert. Ich sehe keine Person, die hungert. Oder nackt ist.« Ihr Gesicht zeigte vorübergehend Abscheu. »Aber diese Kleidung. Und das Skel. Nur Skel, die ganze Zeit, sehr sorgfältig dosiert. Ich hätte nicht gedacht, dass ich damit ein Problem bekomme. Ich meine, ich habe nichts gegen Skel, aber ich könnte es einfach nicht hinunterwürgen.« Ich konnte mir vorstellen, in welcher Stimmung sie gewesen war, als sie in den Kampf verwickelt worden war. »Ich glaube, es war das Wissen, dass ich wochenlang nichts anderes bekommen würde. Und«, fügte sie mit einem reuevollen Lächeln hinzu, »das Wissen, dass ich es besser gehabt hätte, wenn ich Sie gebeten hätte, bei Ihnen bleiben zu dürfen.«

»Also möchten Sie Ihren alten Job wiederhaben?«, fragte ich.

»Scheiße, ja«, sagte sie nachdrücklich und erleichtert. Laut genug, um von der Gruppe auf der anderen Seite des Raumes gehört zu werden und einige tadelnde Blicke zu ernten.

»Ihre Ausdrucksweise, Bürgerin.« Ich nahm einen weiteren Bissen von meiner Algenrolle. In mehrfacher Hinsicht erleichtert, wie ich feststellte. »Sind Sie sich ganz sicher, dass Sie es nicht lieber mit Kapitänin Vel versuchen möchten?«

»Sie können Tee trinken, mit wem Sie möchten«, sagte Seivarden. »Aber sie hätte Sie persönlich einladen sollen.«

»Ihre Vorstellung von guten Manieren ist tausend Jahre alt«, gab ich zu bedenken.

»Gute Manieren sind gute Manieren«, erwiderte sie indigniert. »Aber wie ich bereits sagte, Sie können Tee trinken, mit wem Sie möchten.«

Inspektionsleiterin Skaaiat betrat den Teeladen, sah Daos Ceit und nickte ihr zu. Doch dann ging sie zu Seivarden und mir. Zögerte einen kurzen Moment, als sie die Korrektiva auf Seivardens Gesicht bemerkte, um dann so zu tun, als hätte sie sie nicht gesehen. »Bürgerin. Geehrte.«

»Inspektionsleiterin«, antwortete ich. Seivarden nickte nur.

»Ich veranstalte morgen Abend eine kleine Zusammenkunft.« Sie nannte eine Adresse. »Nur Tee, nichts Förmliches. Ich würde mich geehrt fühlen, wenn Sie beide kommen würden.«

Seivarden lachte unverblümt. »Gute Manieren«, wiederholte sie, »sind gute Manieren.«

Skaaiat runzelte verdutzt die Stirn.

»Das ist heute schon die zweite derartige Einladung«, erklärte ich. »Bürgerin Seivarden sagte mir, der ersten hätte es eindeutig an Höflichkeit gemangelt.«

»Ich hoffe, meine wird Ihren hohen Ansprüchen gerecht«, sagte Skaaiat. »Wer hat es an Höflichkeit fehlen lassen?«

»Kapitänin Vel«, antwortete ich. »Von der Gnade der Kalr

Auf eine Person, die sie nicht besonders gut kannte, machte Skaaiat vermutlich den Eindruck, als hätte sie keine spezielle Meinung zu Kapitänin Vel. »Nun gut. Ich gebe zu, dass es meine Absicht war, Sie, Bürgerin, mit einigen meiner Freundinnen bekanntzumachen, die für Sie möglicherweise von Nutzen sind. Aber vielleicht finden Sie Kapitänin Vels Gegenwart angenehmer.«

»Sie müssen eine sehr schlechte Meinung von mir haben«, sagte Seivarden.

»Es ist möglich«, sagte Skaaiat — und wie seltsam es war, sie mit solchem Ernst sprechen zu hören, nachdem ich sie vor zwanzig Jahren ganz anders erlebt hatte —, »dass Kapitänin Vels Annäherungsversuch nicht ganz respektvoll gegenüber der geehrten Breq war. Aber ich vermute, dass Sie sie in anderer Hinsicht sympathisch finden werden.« Bevor Seivarden antworten konnte, fuhr Skaaiat fort: »Ich muss jetzt gehen. Ich hoffe, Sie beide morgen Abend zu sehen.« Sie blickte zum Tisch hinüber, an dem ihre Assistentin saß, worauf alle drei Inspektionsgehilfinnen aufstanden, um den Laden zu verlassen und ihr nach draußen zu folgen.

Seivarden schwieg für einen Moment und blickte auf die Tür, durch die sie gegangen waren.

»Gut«, sagte ich, und Seivarden sah mich wieder an. »Wenn Sie zurückkommen, denke ich, dass ich Sie entlohnen sollte, damit Sie sich etwas anständigere Kleidung kaufen können.«

Ein Ausdruck, den ich nicht ganz deuten konnte, blitzte auf Seivardens Gesicht auf. »Wo haben Sie Ihre erworben?«

»Ich glaube, so viel werde ich Ihnen nicht zahlen«, sagte ich.

Seivarden lachte. Nahm einen Schluck Tee, ein weiteres Stück Obst.

Ich war mir gar nicht sicher, ob sie wirklich schon gegessen hatte. »Möchten Sie wirklich nichts anderes bestellen?«, fragte ich.

»Nein. Was ist das überhaupt?« Sie blickte auf das letzte Stück meiner in Algen gewickelten Mahlzeit.

»Keine Ahnung.« So etwas hatte ich in der Radch noch nie zuvor gesehen. Es musste erst vor Kurzem erfunden worden sein, oder es war eine Idee, die von ganz woanders importiert worden war. »Aber es ist gut. Möchten Sie eins? Wir können es auch in die Unterkunft mitnehmen, wenn Sie möchten.«

Seivarden verzog das Gesicht. »Nein, danke. Sie sind abenteuerlustiger als ich.«

»Wahrscheinlich«, stimmte ich ihr freundlich zu. Ich beendete mein Abendessen, trank meinen Tee aus. »Aber Sie würden es niemals vermuten, wenn Sie mich nur heute beobachtet hätten. Ich habe den Vormittag im Tempel verbracht, wie eine gute Touristin. Und am Nachmittag habe ich mir in meinem Zimmer ein Unterhaltungsprogramm angesehen.«

»Lassen Sie mich raten!« Seivarden hob süffisant eine Augenbraue. »Das, von dem alle reden. Die Heldin ist tugendhaft und loyal, und die Geliebte ihrer potenziellen Patronin hasst sie. Am Ende siegt sie aufgrund ihrer unerschütterlichen Loyalität und Hingabe.«

»Sie haben es auch gesehen.«

»Mehr als nur einmal. Aber schon seit sehr langer Zeit nicht mehr.«

Ich lächelte. »Manche Dinge ändern sich nie?«

Seivarden lachte. »Anscheinend. Waren die Lieder halbwegs gut?«

»Ziemlich gut. Sie können es sich in der Unterkunft ansehen, wenn Sie möchten.«

Doch im Zimmer klappte sie die Dienerinnenpritsche herunter und sagte: »Ich will mich nur für einen Moment setzen.« Zwei Minuten und drei Sekunden später war sie eingeschlafen.

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