Epilog

Die schwarzgewandete Magierin trat durch die jüngst wieder aufgebauten Nordtore. Wie immer blieben die Leute stehen, um sie anzustarren, und Kinder brüllten ihren Namen und liefen ihr hinterher.

Rothen beobachtete Sonea forschend. Obwohl er heute als ihre Eskorte fungierte, war diese Pflicht keineswegs der Grund für seine Sorge. Sonea hatte nicht mehr so blass ausgesehen, seit sie sich vor so langer Zeit in seinem Quartier verbarrikadiert hatte. Als sie seinen Blick spürte, drehte sie sich zu ihm um und lächelte. Er entspannte sich ein wenig. Wie er vorausgesagt hatte, hatte ihr die Arbeit in den Hüttenvierteln gut getan. Ein wenig Leben war in ihre Augen zurückgekehrt, und auch ihr Gang hatte etwas von seinem früheren Schwung zurückgewonnen.

Das Hospital an den Toren war binnen weniger kurzer Monate erbaut worden. Er hatte erwartet, dass es einige Zeit dauern würde, bis die Hüttenleute ihren Hass und ihr Misstrauen Magiern gegenüber überwinden würden, aber an dem Tag, an dem das Hospital zum ersten Mal seine Pforten geöffnet hatte, waren sie in großer Zahl herbeigeströmt, genauso wie an jedem Tag seither.

Der Grund dafür war Sonea. Sie liebten sie. Sie war eine von ihnen gewesen, sie hatte die Stadt gerettet und war in die Hüttenviertel zurückgekehrt, um den Menschen dort zu helfen.

Dorrien war von Anfang an an ihrer Seite gewesen. Seine umfangreicheren Kenntnisse der Heilkunst waren unerlässlich, und er hatte Erfahrung darin, das Vertrauen von Bauern und Waldarbeitern zu gewinnen, was es ihm leichter machte, auch mit den Hüttenleuten zurechtzukommen. Andere Heiler hatten sich ihnen angeschlossen. Es sah so aus, als sei Sonea nicht die einzige Magierin, die glaubte, die Heilkunst solle keine Dienstleistung sein, die nur den reichen Häusern zur Verfügung stand.

Als Sonea das Hospital erreichte und durch die Türen trat, kam ihr Lord Darlen entgegen, um sie zu begrüßen.

»Wie war die Nachtschicht?«, fragte sie.

»Arbeitsreich.« Er lächelte kläglich. »Wann wäre sie das nicht? Oh, ich habe noch eine potenzielle Novizin gefunden. Ein Mädchen von ungefähr fünfzehn Jahren; sie heißt Kalia. Sie wird später mit ihrem Vater noch einmal herkommen, falls er sich damit einverstanden erklärt, sie der Gilde beitreten zu lassen.«

Sonea nickte. »Wie ist es um unsere Vorräte bestellt?«

»Schlecht, wie immer«, antwortete Darlen. »Ich werde mit Lady Vinara reden, wenn ich in die Gilde zurückkehre.«

»Vielen Dank, Lord Darlen«, sagte Sonea.

Darlen nickte, dann ging er auf die Tür zu. Sonea hielt kurz inne, um sich in dem Raum umzusehen. Rothen, der ihrem Blick folgte, registrierte die Schar wartender Patienten, die Hand voll Wachen, die für Ordnung sorgen sollten, und die Kräuterfrauen, die ihre medizinischen Kenntnisse zur Verfügung stellten, um bei den minder schweren Fällen zu helfen. Sonea sog plötzlich scharf die Luft ein, dann drehte sie sich zu einem Wachposten in der Nähe um.

»Diese Frau da drüben mit dem Kind, das in eine grüne Decke gehüllt ist. Bring sie zu mir in mein Sprechzimmer.«

»Ja, Mylady.«

Rothen wollte nach der Frau Ausschau halten, aber Sonea war bereits gegangen. Er folgte ihr in einen kleinen Raum, in dem ein Tisch, ein Bett und mehrere Stühle standen. Sie setzte sich und trommelte mit den Fingern auf die Tischkante. Rothen zog sich einen Stuhl zu ihr heran.

»Du kennst diese Frau?«

Sie sah ihn an. »Ja. Es ist -« Ein Klopfen an der Tür unterbrach sie. »Komm herein.«

Er erkannte die Frau sofort. Soneas Tante lächelte und nahm auf der anderen Seite des Tisches Platz. »Sonea. Ich hatte gehofft, dass du es sein würdest, zu der man mich führt.«

»Jonna«, erwiderte Sonea und lächelte liebevoll – aber müde, wie Rothen auffiel. »Ich wollte euch besuchen, aber ich hatte so viel zu tun. Wie geht es Ranel? Wie geht es meinem Vetter und meiner Cousine?«

Jonna blickte auf das Baby hinab. »Hania hat schrecklich hohes Fieber. Ich habe alles versucht…«

Sonea legte dem kleinen Mädchen sanft eine Hand auf den Kopf. Sie runzelte die Stirn. »Ja. Sie brütet die Blaufleckenkrankheit aus. Ich kann ihr ein wenig von ihrer Schwäche nehmen.« Sie schwieg einen Moment. »So. Ich fürchte, den Rest wirst du einfach abwarten müssen. Gib ihr viel zu trinken. Wenn du ein wenig Marin-Saft in die Getränke mischst, wird das ebenfalls helfen.« Sonea blickte zu ihrer Tante auf. »Jonna, würdest du… würdest du zu mir kommen, um bei mir zu leben?«

Die Augen der Frau weiteten sich. »Es tut mir leid, Sonea. Das kann ich einfach nicht.«

Sonea senkte den Blick. »Ich weiß, dass du dich in der Nähe von Magiern nicht wohl fühlst, aber… bitte, denk darüber nach. Ich…« Sie sah Rothen an. »Ich schätze, es wird Zeit, dass Ihr es ebenfalls erfahrt, Rothen.« Dann wandte sie sich wieder an Jonna. »Ich hätte gern eine Vertraute und ganz gewöhnliche Menschen um mich.« Sie deutete auf das Kind. »Ich würde alle Heiler der Gilde mit Freuden gegen deinen praktischen Rat eintauschen.«

Jonna starrte Sonea an, und ihr Gesichtsausdruck spiegelte Rothens Verwirrung perfekt wider. Sonea schnitt eine Grimasse, dann legte sie sich eine Hand auf den Bauch. Jonnas Augen weiteten sich.

»Oh.«

»Ja.« Sonea nickte. »Ich habe Angst, Jonna. Das hier war nicht geplant. Die Heiler werden sich um mich kümmern, aber sie können mir meine Angst nicht nehmen. Ich denke, du wärst dazu vielleicht in der Lage.«

Jonna runzelte die Stirn. »Du hast mir erzählt, Magier hätten ihre eigenen Methoden, sich um solche Dinge zu kümmern.«

Zu Rothens Erstaunen lief Sonea dunkelrot an.

»Anscheinend ist es besser, wenn die Frauen… nun ja, wenn sie diese Art von Vorsichtsmaßnahmen übernehmen. Offenbar bringt man den Männern diese Fertigkeit nur dann bei, wenn sie darum bitten«, sagte sie. »Weibliche Novizen werden beiseite genommen, sobald die Heiler glauben, sie könnten demnächst ein gewisses Interesse an Jungen an den Tag legen, aber ich war so unbeliebt bei den anderen, dass niemand daran gedacht hat, mich in den entsprechenden Methoden zu unterweisen. Akkarin…« Sonea hielt inne und schluckte. »Akkarin muss geglaubt haben, sie hätten es getan. Und ich bin davon ausgegangen, dass er sich um diese Dinge kümmert.«

Als Rothen langsam dämmerte, worum es ging, starrte er Sonea an. Automatisch zählte er die Monate seit ihrer Verbannung aus Kyralia. Dreieinhalb, vielleicht vier. Die Roben würden es gut verbergen…

Sie sah ihn an und verzog dann entschuldigend das Gesicht. »Es tut mir leid, Rothen. Ich wollte es Euch in einem besseren Augenblick erzählen, aber als ich Jonna sah, musste ich die günstige Gelegenheit einfach -«

Sie zuckten beide heftig zusammen, als Jonna plötzlich in lautes Gelächter ausbrach und auf Rothen zeigte. »Diesen Blick habe ich nicht mehr gesehen, seit ich Ranel davon erzählt habe, dass ich unser erstes Kind erwarte! Ich denke, diese Magier sind vielleicht nicht gar so klug, wie sie es gern behaupten.« Sie grinste Sonea an. »Also. Du bekommst ein Baby. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Kind zu einem vernünftigen Erwachsenen wird, wenn es nur von Magiern umgeben ist.«

Sonea lächelte schief. »Ich auch nicht. Also, wirst du noch einmal darüber nachdenken?«

Jonna zögerte, dann nickte sie knapp. »Ja. Wir werden für eine Weile bei dir einziehen.«

Загрузка...