Ich legte mir das Übersetzungsgerät um den Hals und begann die Metallsprossen zu erklimmen. Sie schienen jedoch ziemlich alt zu sein, denn einige brachen mir unter den Fingern ab, so daß ich fast wieder zu Boden gestürzt wäre. Als ich endlich die Decke erreichte, sah ich, daß weitere Streben in Richtung Misk führten und daß jede eine kleine nach unten gebogene Rundung bildete, durch die ich mich fortzubewegen vermochte.
Ich nahm die Fackel in den Mund und setzte meinen Weg fort. Plötzlich brach eine der Streben unter mir, und im Herabstürzen griff ich hastig nach der nächsten, die ich im letzten Augenblick zu fassen bekam. Tief unter mir polterte die losgerissene Metallstrebe zu Boden.
Im nächsten Augenblick begann sich auch die Sprosse zu lösen, an der ich hing.
Langsam ließ ich mich hin und her schwingen, wartete einen günstigen Augenblick ab und ließ dann los, nur um im nächsten Sekundenbruchteil die folgende Sprosse zu ergreifen. Diese Strebe schien nun einigermaßen festzusitzen, und erleichtert zog ich mich hoch und hangelte mich vorsichtig zur nächsten. Wenige Augenblicke später hatte ich Misk erreicht.
Ich nahm die Mul-Fackel aus dem Mund. Misk musterte mich ruhig.
»Sei gegrüßt«, sagte ich.
»Sei gegrüßt, Tarl Cabot. Sarm hätte die Sprossen überprüfen müssen.«
»Ja, aber es ist schwierig, an alles zu denken.«
»Mach dich ans Werk und bring mich um.«
»Ich weiß nicht einmal, wie ich das anstellen soll.«
»Ja«, erwiderte Misk, »das wird nicht leicht sein, aber wenn du dir Mühe gibst, schaffst du es vielleicht.«
»Gibt es irgendein wichtiges Organ, auf das ich zielen könnte? Zum Beispiel ein Herz?«
»Da hätte ich nichts anzubieten«, sagte Misk. »Aber andererseits hast du bestimmt die nötige Zeit.«
»Das ist wohl richtig.«
Mein Blick fiel auf ein Metallobjekt, einen viereckigen Stab mit Vorsprüngen an einem Ende. Das Objekt hing einige Zentimeter außerhalb von Misks Reichweite an einem Haken.
»Was ist das?« fragte ich.
»Der Schlüssel zu meiner Kette.«
»Gut«, sagte ich, bewegte mich einige Sprossen vor, holte den Schlüssel und kehrte zu Misk zurück. Nach einigen Versuchen vermochte ich den Schlüssel in das Schloss seines Fesselringes zu stecken.
»Offen gesagt, ich würde empfehlen, daß du mich zuerst tötest und mich dann erst loskettest, um meinen Körper zu beseitigen; andernfalls könnte ich in Versuchung kommen, mich zu verteidigen.«
Ich drehte den Schlüssel im Schloss, und die Fessel sprang auf.
»Aber ich bin nicht hier, um dich zu töten«, sagte ich.
»Aber hat Sarm dich nicht geschickt?«
»Doch«, sagte ich.
»Warum willst du mich dann nicht töten?«
»Ich möchte dich nicht töten«, sagte ich. »Außerdem besteht Nestvertrauen zwischen uns.«
»Das ist wahr«, sagte Misk und entfernte mit den Vorderbeinen die Fessel von seinem Leib und ließ sie an der Kette baumeln. »Doch wirst du jetzt von Sarm getötet werden.«
»Das wäre wohl auf jeden Fall geschehen.« * Misk schien einen Augenblick zu überlegen. »Ja«, sagte er.
»Zweifellos.« Dann schaute er auf Mul Al-Ka und Mul Ba-Ta hinab. »Und die beiden muß er auch beseitigen.«
»Er hat ihnen bereits den Befehl gegeben, sich in den Vernichtungskammern zu melden. Aber sie haben sich wie richtige Menschen entschlossen, nicht hinzugehen.«
»Bemerkenswert«, sagte Misk. Mit fast zärtlich anmutender Bewegung streckte er ein Vorderbein aus, umfing mich und drückte mich gegen seinen Leib. »So ist es weitaus sicherer«, sagte er und setzte sich in Bewegung, wanderte an der Decke entlang, die Wand herab und blieb vor den beiden Muls stehen. Dort setzte er mich vorsichtig ab.
Ich wandte mich an den Priesterkönig und sagte: »Du musst dich verstecken.«
»Ja«, schaltete sich Mul Al-Ka ein, »du musst dir ein Versteck suchen und dort bleiben, bis Sarm eines Tages den Wonnen des Goldenen Käfers erliegt und du gefahrlos wieder auftauchen kannst.«
»Wir bringen dir zu essen und zu trinken«, sagte Mul Ba-Ta.
»Das ist sehr freundlich von euch«, sagte Misk und starrte auf uns herab. »Aber das ist natürlich unmöglich.«
»Warum nicht?« fragte ich verwirrt.
Misk richtete sich auf. »Weil das Fest von Tola begonnen hat und ich der Mutter Gur geben muß.«
»Aber du wirst entdeckt und dann von Sarm ermordet werden!«
»Natürlich.«
Ich spürte, daß Misk nicht mit sich reden lassen würde; sein Entschluß stand fest.
»Mich hat nur traurig gestimmt, daß ich vielleicht nicht in der Lage sein könnte, vor die Mutter zu treten und ihr Gur zu geben«, sagte der Priesterkönig. »Und dafür stehe ich ewig in eurer Schuld.« Er wandte sich an die beiden Muls. »Möge Nestvertrauen sein zwischen einem Priesterkönig und zwei Muls«, sagte er.
»Das ist unmöglich!« sagte Mul Ba-Ta.
»Dann zwischen einem Priesterkönig und zwei Menschen.«
Langsam, verängstigt, hoben Mul Al-Ka und Mul Ba-Ta die Hände, und Misk berührte sie mit seinen Fühlern.
»Ich werde für dich sterben«, sagte Mul Al-Ka.
»Und ich ebenfalls«, fügte Mul Ba-Ta hinzu.
»Nein«, sagte Misk, »ihr musst euch verstecken und am Leben bleiben.«
Die Muls sahen mich an, und ich nickte. »Ja, geht und versteckt euch und lehrt die anderen Menschen, menschlich zu sein. Was das bedeutet, musst ihr von Fall zu Fall selbst entscheiden.«
»Wir kommen lieber mit dir, Tarl Cabot«, sagte Mul Al-Ka, »und kämpfen gegen den Goldenen Käfer.«
»Was soll das?« wollte Misk wissen.
»Das Mädchen Vika aus Treve liegt in den Tunnels des Goldenen Käfers. Ich will sie befreien.«
»Dazu kommst du zu spät, denn die Käfer schlüpfen bald aus. Geh nicht, Tarl Cabot, denn es bedeutet deinen Tod.« »Aber ich muß gehen«, sagte ich.
»Ich verstehe«, sagte Misk, »es ist wie das Gurgeben an die Mutter.«
»Vielleicht«, erwiderte ich. »Ich weiß es nicht.« »Wir gehen mit dir«, sagte Mul Al-Ka.
»Nein«, erwiderte ich, »ihr geht zu den Menschen, zu allen Menschen hier im Nest, zu den niedrigsten und zu den höchsten.« »Auch zu den Gur-Trägern?« fragte Mul Ba-Ta schaudernd. »Auch zu ihnen«, sagte ich.
»Es sind Mutationen«, schaltete sich Misk ein, »vor langer Zeit für den Dienst in dunklen Tunnels gezüchtet und jetzt zeremoniellen Zwecken vorbehalten.«
»Wo immer sich Menschen oder ihre Abkömmlinge im Nest finden, müsst ihr eure Lehre verbreiten«, sagte ich.
»Ich verstehe«, sagten Mul Al-Ka und Mul Ba-Ta wie aus einem Munde.
»Gut«, sagte ich.
Mit einem letzten Handschlag wandten sich die beiden Männer um und verschwanden durch den Ausgang. Misk und ich blieben allein zurück.
»Das bringt Probleme«, sagte Misk, »für die du verantwortlich bist.«
»Aber die Entscheidung liegt letztlich bei den Priesterkönigen und den Menschen hier.« Ich blickte ihn an. »Es ist töricht, daß du zur Mutter gehen willst.«
»Es ist töricht, daß du die Tunnels des Goldenen Käfers aufsuchst.«
Ich zog mein Schwert, balancierte die geölte Klinge kurz in der Hand und steckte sie befriedigt wieder fort.
»Wo liegen die Tunnels des Goldenen Käfers?« fragte ich.
»Du brauchst nur zu fragen«, antwortete Misk. »Sie sind im Nest wohlbekannt.« t »Ist ein Goldener Käfer einfacher umzubringen, als ein Priesterkönig?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Misk. »Wir haben noch nie einen Goldenen Käfer getötet oder uns mit seiner Art beschäftigt.«
»Warum nicht?«
»Weil es sich nicht gehört. Es wäre ein großes Verbrechen, einen Käfer zu töten.«
»Ich verstehe«, sagte ich und überlegte einen Augenblick. »Könntest du mit deinen Hornklingen einen Priesterkönig töten?«
Misk neigte seine Vorderbeine und betrachtete die scharfen Kanten.
»Ja«, sagte er schließlich. »Aber das ist seit über einer Million Jahren nicht mehr vorgekommen.«
Ich hob meinen Arm. »Ich wünsche dir alles Gute«, verabschiedete ich mich auf die traditionelle goreanische Art.
Misk hob grüßend ein Vorderbein. Seine Fühler neigten sich in meine Richtung, und die winzigen goldenen Haare schienen sich mir entgegenzurecken. »Und ich wünsche dir alles Gute, Tarl Cabot«, sagte der Priesterkönig.
Und dann wandten wir uns um und gingen unserer Wege.