Das Geborgene Land, Königinnenreich Weyurn, Nordgrenze des Roten Gebirges, 6241. Sonnenzyklus, Spätsommer.
»Lass einmal sehen, was sich unter deinem Helm verbirgt«, sagte Tungdil und fasste unter den Rand, um den Kinnriemen zu lösen, als warnender Lärm ertönte und die ersten Bruchstücke der Zahnräder an ihm vorbeiflogen. Er wandte erschrocken den Kopf zu Rodario. »Was hast du getan, Unglaublicher?« »Den Antrieb zerstört, wie du es wolltest«, gab er beleidigt zurück. »Es wird gleich vorüber sein.« Die Geräusche sprachen eine ganz andere Sprache. Ketten und Antriebsbänder zerrissen, und das Unheil pflanzte sich durch den Innenraum der Maschine fort. Aus allen Richtungen dröhnte die Sinfonie des Untergangs, und noch mehr Splitter schössen umher. Auf einem Schlachtfeld, das von eintausend Bogenschützen mit Pfeilen eingedeckt wurde, war es sicherer als im eisernen Bauch der Maschine.
»Raus!«, schrie Tungdil und bekam einen Schlag gegen den Rücken. Das Kettenhemd hatte den Eisenbolzen abgehalten, dennoch schmerzte es übel.
Sie suchten den Weg zurück. Unterwegs fand Sirka eine andere Klappe, durch die sie über einen schmalen Eisensteg zu einem zweiten Ausgang gelangten. Der Unauslöschliche wehrte sich vorerst nicht. Es war auch in seinem Sinn, die berstende Maschine zu verlassen, anstatt in ihrem Innern zu Grunde zu gehen. Es dauerte nicht lange, und sie gelangten ins Freie, sprangen zurück in den Staub und liefen zu den Loren. Erst dann gönnten sie sich eine Rast.
»Erinnere mich daran, dass ich dir nie wieder den Auftrag erteile, etwas lahm zu legen«, sagte Tungdil zu Rodario halb im Ernst, halb im Spaß.
Mit einem lauten Geräusch, das wie der Schrei einer uralten, finsteren Kreatur klang, kam der Bohrer zum Stillstand, und das Stampfen der Maschine endete. Das letzte bisschen Staub rieselte zu Boden, dann war es still. Die Ruhe war unheimlich. Tungdil hörte es immer noch rumpeln, seine Ohren spielten ihm einen Streich. »Wir haben es geschafft!«, jubelte Rodario und tastete an sich herum, um zu sehen, ob er eine Verletzung an sich übersehen hatte. »Die Helden von einst sind die Helden des Umlaufs! Das Geborgene Land ist sicher, meine Freunde.«
»Nicht ganz.« Tungdil streckte die Hand aus, um dem Alb den Helm abzunehmen und ihn nach dem Stein zu befragen, da zuckte dessen Fuß nach vorn, und die Stiefelspitze traf den Zwerg an der Stirn. Der Unauslöschliche hatte entweder nur so getan, als wirke der Zauber, oder Lot-Ionan vermochte diesen nicht länger aufrecht zu erhalten. Er riss dem Ubari neben sich das Schwert aus der Hand und versetzte dem Krieger, der ihn festhielt, einen Stoß mit dem gepanzerten Ellbogen ins Gesicht; bewusstlos brach der Ubari zusammen. »Wie könnt ihr es wagen, mich aufhalten zu wollen?«, rief der Alb unter dem Helm hervor und schwang das Schwert gegen Flagur, der den Hieb parierte und einen Faustschlag auf die Nase bekam. Blut spritzte und haftete feucht glitzernd an dem Panzerhandschuh des Unauslöschlichen. »Ich schlage euch die Knie durch und lasse euch in eurem Blut vor mir knien.«
»Lot-Ionan!«, rief Rodario und wich vor dem Feind zurück, der sich unfassbar schnell und geschmeidig bewegte.
Tungdil stellte sich dem Alb in den Weg. »Du hast etwas, was dir nicht gehört!«
Der Unauslöschliche redete nicht mit ihm. Stattdessen schlug er zu, und die Wucht des Treffers, den Tungdil mit der Axt abfing, ließ ihn einknicken. Vermutlich würde ein solcher Schlag auch einen Ork in die Knie zwingen. »Wie erbärmlich ihr seid«, sagte der Alb angewidert und mit hohler Stimme. »Ihr habt den Untergang wahrlich verdient.« Beiläufig tauchte er unter dem Schlag eines Ubari weg und hielt den Druck auf das Schwert und damit auf Tungdil spielend leicht aufrecht.
»Die Maschine ist zerstört«, ächzte der Zwerg und schob seinen Feind zurück, drängte ihn Flagur entgegen, der zum Schlag ausgeholt hatte.
»Ich brauche sie nicht mehr. Ich werde den Rest mit der Macht des Diamanten durchbrechen.« Der Unauslöschliche zog das Schwert in einer fließenden Bewegung weg und brachte Tungdil aus dem Gleichgewicht; sodann nutzte er den Schwung, um die Waffe dem letzten Gefolgsmann Flagurs in den Leib zu stechen. »Sobald ich euch niedergeworfen habe.« Er drückte sich ab, sprang auf die Lore und katapultierte sich mit dem Schwert voraus gegen Lot-Ionan.
Der Magus reckte dem Alb die Hand entgegen und schloss die Augen. Eine einzige Silbe kam über seine Lippen - und der Unauslöschliche hing wie an Schnüren aufgehängt frei in der Luft.
Flagur sprang herbei, schwang die beiden Waffen des Albs und stieß sie ihm durch den Oberkörper. Die scharfen Klingen durchdrangen die Rüstung. Der Unauslöschliche schrie hell auf. »So haben sich meine Leute gefühlt, Alb«, grollte er genüsslich, und die rosafarbenen Augen leuchteten auf. Dann rüttelte er an den Griffen, um die Schmerzen zu verstärken. »Leide, du Scheusal. Leide, bis du endlich verreckst!«
Wieder verlor der Zauber allzu schnell seine Wirkung, und der Unauslöschliche fiel auf den Boden. Mit einem wütenden, animalischen Kreischen, zog er sich die eigenen Schwerter aus dem Leib und attackierte Flagur damit. Man sah nicht einmal, was genau der Alb tat. Die Klingen wirbelten, Bluttröpfchen spritzten umher, und dann versank der Ubari im grauen Staub, der wie Wasser über ihm zusammenschwappte.
»So habe ich mir das vorgestellt«, murmelte Rodario. »Schon wieder ich gegen einen Wahnsinnigen. Wie damals in Porista.«
Der Alb wich vor ihnen zurück, langte an den Gürtel und nahm den Diamanten aus dem Beutel. Der Panzerhandschuh schloss sich fest darum, es knirschte und knackte.
»Vernichtet ihn!«, rief Tungdil und sprang vorwärts. Er hatte genau gehört, dass der Alb in seiner Sprache redete und vermutlich eine magische Beschwörung versuchte. Sirka und Rodario griffen von verschiedenen Seiten an, um es dem Unauslöschlichen unmöglich zu machen, allen Attacken zu entgehen.
Da erstrahlte der Diamant.
Grelle Lichtstrahlen suchten sich ihren Weg durch die Lücken zwischen den gepanzerten Fingern hindurch und beleuchteten die Tunnelwand. Das Tionium wurde durchsichtig, man sah die Knochen in der Hand des Albs, der zwei Finger ausstreckte und sie gegen Lot-Ionan richtete.
Tungdil hegte keinen Zweifel daran, dass sich gleich ein Strahl lösen und seinen Ziehvater treffen würde. »Vraccas, ich brauche deinen Beistand!« Er senkte den Kopf und machte einen gewaltigen Satz nach vorn, die Schneide der Axt zielte auf das Handgelenk des Unauslöschlichen.
Und sie traf!
Tungdil spürte einen Augenblick lang den Widerstand der Rüstung und der Knochen, doch weder das eine noch das andere hielt die Klinge auf. Abgetrennt fiel das Gliedmaß in den Staub, das Strahlen des Steins erlosch. Der aufkreischende Alb schlug augenblicklich nach ihm.
Tungdil schaffte es zwar, die Axt zu heben, aber das Schwert fuhr durch den Stiel und traf ihn am rechten Oberarm. Es fraß sich tief durch Rüstung und Fleisch, erst im Knochen blieb es stecken. Ohne den Zusammenprall mit dem Axtstiel hätte er den Arm sicherlich verloren.
Schreiend schwankte er zur Seite, die Finger öffneten sich und er verlor den Stiel.
Aber Sirka ließ ihn nicht allein. Sie sprang vor ihn und griff den Alb an, um ihn von Tungdil wegzutreiben. LotIonan und Rodario wühlten in der Zwischenzeit nach der abgetrennten Hand und dem Diamanten. Aber auch Sirka war dem Unauslöschlichen nicht gewachsen. Er täuschte einen schrägen Hieb an und stach ihr stattdessen durch die linke Schulter. Dann riss er das Schwert nach oben und zerschnitt ihr Schlüsselbein. Ohne einen Laut von sich zu geben, fiel sie zu Boden und tauchte ebenfalls im Staub unter.
»Nein!« Tungdil stürmte blind vor Wut auf den Alb zu, der ihn mit erhobener Waffe erwartete und zum Todesstoß ausholte.
»Ich hab sie! Ich hab sie!« Rodario hatte die abgeschlagene Hand gefunden, schlug sie gegen die Lorenwand, um den Griff zu brechen, und fing den Stein geschickt auf. Er reichte ihn an den Magus weiter, der ihn ehrfürchtig entgegennahm.
Die Makellosigkeit hatte gelitten. In dem klaren Diamanten zeigten sich dunkle Einschlüsse und blinde Stellen, und Lot-Ionan glaubte sogar, Risse zu erkennen. Die Berührung durch den Alb hatte dem Stein nicht gut getan. »Palandiell und Sitalia, ich bitte euch, gewährt mir eure Hilfe«, sagte er und schloss die Finger darum. Er forschte und suchte nach der Macht, die in dem Stein schlummerte.
Tungdil hatte den Unauslöschlichen erreicht, zog seinen Dolch und zielte auf die untere der beiden Wunden des Gegners.
Aber er kam nicht einmal mehr in die Nähe. Der Alb schlug zu, das Schwert traf den Zwerg schräg in die linke Seite unter dem Arm hindurch. Sie wanderte durch die Eisenringe, durch die Rippen, in das Herz. Tungdils Blut verwandelte sich in flüssiges Bergesblut, ihm wurde im ganzen Leib heiß. Nur sein Herz erkaltete. »Dein Tod heißt Nagsör Inäste«, sprach der Alb getragen, ehe er die Klinge nach vorne und aus dem Herzen zog. Dunkelrotes Zwergenblut sprudelte aus dem klaffenden Schnitt, lief an Tungdils Kleidung hinab und tränkte den Staub. »Ich nehme dir das Leben, Unterirdischer. Es wird kein Grab für deine Gebeine geben, deine Seele wird umherziehen und verloren sein. So verloren wie das Geborgene Land, wenn ich zurückkehre.« »Ich...« Tungdil senkte trotzig die Stirn, machte noch zwei schwankende Schritte auf den Unauslöschlichen zu, hob seinen Dolch. »Sirka...« Vor den Füßen des Albs brach er auf die Knie und versank bis zum Hals im Staub. Die Kälte schoss von seinem Herz in den letzten Winkel seines Körpers und lähmte ihn. Es wurde dunkler und dunkler, der Alb verschmolz mit den Schatten und wurde unsichtbar. Dann sank er nach vorn und verschwand in dem Grau.
Rodario hatte das Ende seines Freundes mit angesehen. »Ehrenwerter Magus, Ihr müsst ein Wunder vollbringen«, sagte er tonlos und hob die Waffe. »Ich verschaffe Euch ein oder zwei Lidschläge Zeit.« Lot-Ionan fühlte die Stärke des Diamanten, die sich weigerte, ihm zu gehorchen.
»Es ist nicht so einfach, wie man denkt, nicht wahr?«, sagte eine bekannte Stimme neben ihm. Ein Schauer überlief den Magus, er wagte nicht, den Kopf zu drehen. »Nudin?«
»Das, was von ihm übrig blieb, alter Freund.«
Lot-Ionan schluckte und sah den Alb näher kommen, der sein Werk vollenden und den Diamanten zurückhaben wollte.
Rodario schob sich halb vor ihn und reckte das Schwert, auch wenn er wusste, dass er schneller als alle anderen fallen würde. Die Bewegungen der beiden erschienen ihm unglaublich langsam, als wögen sie Zentner, als würden ihre Arme und Beine an Schnüren gehalten.
»Du musst dich dem Stein öffnen«, sagte Nudin, dieses Mal von der anderen Seite. »Erlaube ihm, in deine Seele zu schauen. Wenn er der Meinung ist, dass du seine Macht verdienst, wird er dir gegen den Unauslöschlichen helfen.«
»Geh! Du bist ein Truggebilde«, zischte Lot-Ionan und konzentrierte sich.
»Nur zu einem gewissen Teil, alter Freund«, hörte er die Stimme des getöteten Magus in seinem Rücken. »Ich lebe in dir weiter.«
»Wie sollte dir das gelingen?«
Nudin lachte leise. »Was macht dein Rücken, Geduldiger? Schmerzt er bei manchen Bewegungen?« Lot-Ionan schaute sich nun doch um und glaubte, neben der Maschine den Umriss eines Mannes zu sehen, ohne dessen Gesicht zu erkennen. Nach einem Blinzeln war er verschwunden. »Was weißt du darüber?« »Solltest du nicht lieber Rodario beistehen, anstatt Geister zu jagen?«, kam es freundlich belehrend von allen Seiten. »Der Gute wird sterben, und danach schlägt dich der Unauslöschliche in Stücke.«
»Wieso konnte er den Stein nutzen?«
»Später, Lot-Ionan. Wenn du das Geborgene Land retten willst, dann gib dir Mühe.« Nach kurzem Zögern setzte die Stimme hinzu: »Oder soll ich dir helfen, alter Freund?«
»Nein«, kam es sofort über Lot-Ionans Lippen. Er presste die Lider fest zusammen, drückte den Diamanten nun mit beiden Händen, als ließe sich die Kraft wie aus einer Frucht quetschen. Es tat sich nichts. Da erklang der Schrei Rodarios, und er hörte den Aufprall eines Körpers.
»Zu langsam, alter Freund. Niemand steht mehr zwischen dem Unauslöschlichen und dir. Die tapfersten Helden des Geborgenen Landes sind besiegt«, sagte Nudin. »Mein Angebot steht noch, Geduldiger. Mit deiner berühmten Geduld wirst du heute nicht weit kommen, das sage ich dir gleich.«
Lot-Ionan öffnete die Augen und sah den Alb zwei Schritt von sich entfernt. Visionen eines zerstörten Geborgenen Landes flammten in seinem Verstand auf. Horden von Bestien in nie gekanntem Ausmaß strömten aus dem Norden, entsprungen aus der Schwarzen Schlucht, und vereinigten sich mit den Monstren aus dem Westen. Gemeinsam verwüsteten sie das schutzlose Land und brachten ihm den Untergang. Nichts blieb außer Enklaven des Grauens, verbrannt und geschändet, und die Menschen wurden zu Dienern des Bösen. Der Alb schob sein Visier nach oben und zeigte dem Magus sein anmutiges Gesicht, in dem zwei schwarze Löcher anstelle der Augen saßen.
Die Schönheit war lähmend und entwaffnend. Lot-Ionan spürte, wie sein Widerstand schwand und er sich wünschte, diesem Wesen jeden Wunsch zu erfüllen. Es müsste ihn nur um den Stein bitten, und er... »Nein«, schrie er dem Alb entgegen und bäumte sich gegen dessen Anziehung auf, auch wenn er sich ihr nicht auf Dauer zu entziehen vermochte. »Hilf mir, Nudin«, sagte er leise.
»Sehr gern, alter Freund.«
Ein brennender Schmerz durchfuhr Lot-Ionans Rückgrat, wanderte daran entlang, schoss durch die Schulter in den Arm und breitete sich bis in die Fingerspitzen aus. Sofort danach entflammte der Diamant in kaltem grünem Feuer.
Und auf einmal kehrte das Wissen des Magus zurück. Ihm fielen die Sprüche ein. Viele Sprüche. Sie kamen wie von selbst in seinen Verstand, sein Mund und seine Hände formten Zauber, um sie gegen den Alb zu schleudern. Der Unauslöschliche wurde von der Wucht der magischen Attacke überrascht. Eine Sphäre aus malachitfarbenem Licht schloss ihn ein, aus der er nicht hinausgelangte. Ein Gedanke von Lot-Ionan genügte, und die schimmernde Kugel verkleinerte sich, bis der obere Rand an den Helm des Albs stieß. Er ging in die Hocke und versuchte verzweifelt, ein Loch in sein Gefängnis zu schlagen, doch es misslang. Derweil schrumpfte die Sphäre weiter und weiter, drückte und presste den Alb zusammen. Das Tionium verbog sich, Knochen brachen, bohrten sich durch die Haut und durch die Organe des Unauslöschlichen; sein Blut floss in Strömen in den Staub. Schrill tönten seine Schreie durch den Stollen.
Die Kugel besaß inzwischen den Durchmesser eines kleinen Wagenrades, zog sich enger und enger zusammen, schrumpfte auf die Größe einer Kristallkugel, einer Murmel. Die Magie formte aus dem Unauslöschlichen ein blutiges Ding aus Fleisch und Metall, aus dem jegliches Leben gewichen war.
Lot-Ionan ließ die Sphäre verschwinden, und die kleine Kugel rollte in den Staub. Mithilfe seiner neu gewonnen Macht hob er sie an, ohne das widerliche Gebilde berühren zu müssen, und ließ es in die Maschine schnellen. »Bist du mit mir zufrieden, Geduldiger?«, erkundigte sich Nudins Stimme. »Ich finde, wir haben uns sehr gut ergänzt.«
Der Magus achtete nicht darauf, sondern kümmerte sich rasch um seine Begleiter. Für Tungdil kam jede Hilfe zu spät. Das Albschwert hatte das Herz zerschnitten. »Nein«, raunte er erschüttert. Erinnerungen an glückliche Zyklen stiegen aus der Tiefe seines Gedächtnisses, der friedliche Stollen, Tungdil am Amboss oder lachend in der Küche mit der Magd Frala und ihren Kindern, denen der Zwerg etwas vorlas. Wie viel hätte er gegeben, um in diese Zeit zurückzukehren. Mit allen, die er seitdem verloren hatte.
»Versuche es«, raunte Nudin verführerisch.
»Was soll ich versuchen?«
»Ihn zum Leben zu erwecken.«
»Ihn zu einem Untoten zu machen? Ich kann es nicht. Und selbst wenn es in meiner Macht stünde, nein, dann soll er lieber...«
Nudin lachte, wie ein Erwachsener über ein ahnungsloses Kind lacht. »Geduldiger, deine Macht ist unermesslich. Die Götter wären neidisch auf dich. Versuche es.«
»Nein.«
»Versuche es. Du wirst nicht enttäuscht werden.«
Zuerst legte Lot-Ionan zögernd die linke Hand auf den Körper des Zwergs, die rechte hielt den Stein umklammert. Heilungszauber mischten sich mit Bildern von einem lebendigen Tungdil.
Die Magie wirkte!
Als sich der Schnitt schloss und das Herz unter seinen Finger zu schlagen begann, konnte der Magus es selbst nicht glauben. Er hatte die Macht über Leben und Tod erlangt, eines der ältesten Ziele von Generationen von Magi und Magae! Einfach so, ohne zyklenlanges Forschen, Erfinden von Formeln und Experimentieren. Alles, was es bedurfte, hielt er in seinen Fingern.
Tungdils Lider flatterten, und dann schaute er seinen Ziehvater an. »Ehrenwerter Lot-Ionan? Bin ich tot?« Hustend richtete er sich auf, spuckte Blut und Staub aus. Ungläubig betastete er das zerschnittene Kettenhemd, das ihm sehr genau zeigte, wo das Schwert des Unauslöschlichen ihn getroffen hatte. »Ich muss tot sein.« Er runzelte die Stirn. »Er hat mich getroffen und...« Hastig schaute er sich nach dem Alb um und stand auf. Dabei bemerkte er, dass auch die schwere Verletzung an seinem Oberarm verschwunden war. »Wo ist der Unauslöschliche?«
»Tot.« Lot-Ionan strich ihm über den Kopf, wie er es früher getan hatte. »Der Diamant, Tungdil. Er ist unglaublich mächtig und vermag... Wunden zu heilen, wie nichts anderes im Geborgenen Land.« Er wollte nicht, dass sein Ziehsohn erfuhr, dass er eigentlich in Vraccas' Ewiger Schmiede stehen sollte. »Tot?« Tungdil wurde schwindlig, er musste sich an der Lore festhalten. »Wo ist sein Leichnam?« »Ich habe ihn vernichtet. Er liegt irgendwo in der Maschine.«
»Seid Ihr Euch sicher, dass...«
»Ja.« Der Magus eilte zu Rodario, um seine Verletzungen zu behandeln. Auch der Mime wäre zu den Toten gewandert, die Klinge des Unauslöschlichen hatte ihm den Bauch zerschlitzt und die Gedärme austreten lassen. Aber der Stein und die Magie schoben alles wieder an den rechten Platz, und die tödliche Wunde schloss sich, bevor Tungdil sie sehen konnte.
Danach erhielten Sirka und Flagur Linderung ihrer Wunden. Die übrigen fremden Seelen überließ Lot-Ionan dem Gott Ubar. Er wollte die Macht nicht zu freizügig verteilen. Auch sie erreichte gewiss einmal ein Ende. Tungdil durchsuchte den Karren, mit dem der Unauslöschliche zum Ende des Stollens gefahren war, weil er hoffte, die Feuer-Idinge zu finden. Ohne Erfolg. Dieses Mal hatte der Alb anscheinend dafür gesorgt, dass die legendäre Waffe verschollen blieb.
Sein Stiefel traf auf etwas Dünnes, Metallisches. Er bückte sich und holte eines der Schwerter hervor, das dem Unauslöschlichen gehört hatte.
»Eine Trophäe?«, merkte Rodario an, der sich nicht weniger über seine Rettung wunderte.
Bewundernd prüfte Tungdil die Beschaffenheit der Waffe und beschloss, sie mitzunehmen. »Ich werde mir daraus eine Axt schmieden«, sagte er. »Sie wird mir gute Dienste leisten, bis ich die Feuerklinge gefunden habe.« Er ging zu Sirka und schloss sie in die Arme. »Wir haben es geschafft«, raunte er erleichtert. »Der Diamant ist in Sicherheit.«
»Verlassen wir diesen Stollen«, schlug Rodario vor und deutete auf die zerschnittene Kleidung. »Ich weiß zwar immer noch nicht, wie ich das überstehen konnte, aber ich frage nicht weiter danach.« Er nickte dem Magus zu. »Endlich sehe ich, dass Magie auch eine wunderbare Sache zu tun vermag, ehrenwerter Lot-Ionan.« Er stieg in die Lore und legte die Hände auf die Kurbel. »Einsteigen, ihr Helden des Geborgenen Landes. Ich will an die Sonne.«
Tungdil las an den Gesichtern ab, dass keiner so recht fassen konnte, was geschehen war. Es lag daran, dass sie nicht mitbekommen hatten, was sich zwischen dem Unauslöschlichen und dem Magus abgespielt hatte. Die Freude überwog und legte sich wie ein erstickender Mantel über alle Fragen. Auch über seine eigenen. Flagur und Rodario kurbelten, die Fahrt zum Ausgang begann.
Lot-Ionan blickte über die Schulter. Wieder sah er den Schemen eines Mannes, der neben der Maschine stand und grüßend den Arm hob, als wolle er in dem Gang bleiben und auf ihre Rückkehr warten. Rasch wandte er den Kopf nach vorn; bei der Drehung gab es wieder einen Stich im Rücken.
Sie erreichten müde den Punkt, an dem ihre abenteuerliche Fahrt begonnen hatte. Durch den Einstieg über ihnen fiel kein Lichtstrahl, draußen war es Nacht geworden. Im Dunkeln erklommen sie die breite Treppe. »Stellt euch einmal vor: Ohne uns wären Heerscharen von Orks diese Stufen nach oben marschiert«, sagte Rodario auf der Hälfte der Strecke. »Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, was wir erreicht haben. Ha, welch ein Kampf! Dass ich einmal gegen einen Unauslöschlichen antrete, hätte ich niemals gedacht.«
»Warum bist du dann mitgekommen?«, wunderte sich Tungdil.
Rodario zwinkerte ihm zu. »Weil ich dachte, dass man meine Klinge nicht benötigt, sondern mein Wissen. Und mein Mundwerk, was nach wie vor meine beste Waffe ist. Dicht gefolgt von etwas, was nur hübsche Damen zu Gesicht bekommen.«
»Das musste kommen«, meinte Tungdil und lachte. Die Stimmung hob sich, trotz ihrer Erschöpfung. »Ist es nicht herrlich?« Rodario schwelgte im Hochgefühl. »Die schwierigste Aufgabe, den Sieg über die Unauslöschlichen, haben wir überstanden. Jetzt erwartet uns eine lange, aber gefahrlose Reise ins Jenseitige Land.«
Tungdil grinste. »Wie kommst du auf gefahrlos, Unglaublicher?«
»Was soll geschehen, wenn man eine Eskorte von einhunderttausend Kriegern und einem mächtigen Magus sein Eigen nennen darf?« Er blieb im Dunkeln an der Treppenkante hängen und fiel vorwärts. »Verdammte Finsternis! So geht das nicht.« Er kramte in seiner Tasche.
»Was tust du da, Unglaublicher?«, fragte Tungdil.
Stein rieb über Metall, und ein Funkenbündel zuckte, sprang gegen den Docht einer Lampe und entzündete sie. Der warme Schein erhellte Rodarios vornehmen Züge. »Licht, Tungdil. Ich möchte nicht den Alb überstanden haben und von einer Treppe besiegt werden. Mein Genick ist mir heilig.« Er blickte hinter sich. »Was geschieht eigentlich mit dem Stollen?«
Es fauchte, und plötzlich stand die Luft um sie herum in Flammen. Es stank nach verbranntem Hörn. Ein lautes Pfeifen ertönte, und das Feuer schoss hinab in den Stollen. Das kleine Flämmchen hatte einen Vorgang ausgelöst/den Bergleute und Zwerge fürchteten.
»Du bist unglaublich dämlich, Unglaublicher«, zischelte Tungdil und schlug die kleinen Flämmchen auf seinem Schopf aus. Die Verpuffung hatte nicht ausgereicht, die Kleider zu entzünden. Er packte Sirkas Hand und rannte los.
Sie versuchten mit aller Kraft, dem drohenden Inferno zu entkommen. Eben hetzten sie aus der Höhle, da erschütterte ein gewaltiger Schlag den Boden unter ihren Füßen und warf sie auf den weichen Strand der Sandbank.
Schräg vor ihnen explodierte die Seeoberfläche, eine breite Fontäne stieg in den schwarzen Nachthimmel. Als sie in einhundert Schritt ihren Höhepunkt erreichte, schnellte eine Flamme daraus hervor und beleuchtete die Wassersäule von innen. Dampf quoll hervor und ließ Tungdil an eine heiße Springquelle denken, wie sie in den Bergen öfter zu finden waren. Die Kraft der Staubdetonation hatte die Verschalung durchbrochen und dem See einen Einlass verschafft.
Die Wassermassen fielen zurück und schufen hohe Wellen, welche über die Sandbank schwappten und die Zwerge, den Mensch und den Ubari davonschwemmten. Sie hörten es laut gluckern, als das Nass mit Macht in den Stollen strömte und ihn flutete. Mit aller Macht klammerten sie sich an den Felswänden fest, um nicht fortgesogen zu werden und unweigerlich in dem Tunnel zu ersticken.
Schließlich hatte sich der Hohlraum gefüllt, das Gluckern und Prusten des Wassers nahm ein Ende. Die schäumenden Wellen beruhigten sich, die letzten Strudel lösten sich auf, und Ruhe kehrte an die Oberfläche zurück.
Zu ihrer Erleichterung erschien die unversehrte Wogenschwinge und nahm sie an Bord. Unter Vollzeug ging es nach Osten.