Schedemei war Wissenschaftlerin und keine Wüstenreisende. Sie hatte kein großes Bedürfnis nach den Annehmlichkeiten der Stadt — sie gab sich genauso damit zufrieden, auf dem Boden oder einem Tisch zu schlafen, wie in einem Bett —, doch sie verabscheute es, von ihrem Labor fortgeschleppt worden zu sein, von ihrer Arbeit, von allem, was ihrem Leben Bedeutung gab. Sie hatte nie eingewilligt, sich an dieser halb verrückten Expedition zu beteiligen. Und doch war sie hier und schaukelte in der trockenen Hitze des Wüstenwindes auf einem Kamel hin und her, während sie beobachtete, wie das Hinterteil des Reittiers vor ihr in einem anderen Rhythmus schwankte. Die Hitze und die Bewegung erzeugten bei ihr eine leichte Übelkeit und Kopfschmerzen.
Sie war mehrmals fast umgekehrt. Den Weg hätte sie problemlos gefunden; sie hätte nur in die Nähe Basilikas zurückkehren müssen, und ihr Computer hätte sich mit dem der Stadt verbunden und ihr den Rest des Rückwegs gezeigt. Allein wäre sie schneller vorangekommen — vielleicht hätte sie es noch vor Anbruch der Dunkelheit nach Basilika zurück geschafft. Und man würde sie bestimmt wieder in die Stadt lassen — sie war mit keinem aus dieser Gruppe durch Blut oder Ehe verwandt. Sie war lediglich mit ihnen ins Exil geschickt worden, weil sie ihnen die Trockenbehälter voller Samen und Embryos besorgt hatte, mit denen man auf der Erde einen Teil der alten Flora und Fauna wiederherstellen wollte. Sie hatte ihrer alten Lehrerin einen Gefallen getan, mehr nicht — und dafür konnte man sie doch kaum ins Exil zwingen.
Doch gerade wegen dieser Fracht kehrte sie nicht zurück. Wer sonst konnte die Myriaden Spezies wiederbeleben, die diese Kamele trugen? Wer sonst wußte, welche zuerst ausgesetzt werden mußten, damit sie sich etablierten, bevor ihnen andere Spezies folgten, die sich von ihnen ernährten?
Es ist nicht fair, dachte Schedemei zum tausendsten Mal. Ich bin die einzige in dieser Gruppe, die diese Aufgabe bewältigen kann — aber für mich stellt sie nicht die geringste Herausforderung dar. Das ist keine Wissenschaft, das ist Agrikultur. Ich bin nicht hier, weil die Aufgabe, für die die Überseele mich vorgesehen hat, so anspruchsvoll ist, sondern weil die anderen in dieser Hinsicht zutiefst unwissend sind.
»Du siehst wütend und unglücklich aus.«
Schedemei drehte sich um und sah, daß Rasa ihr Kamel auf dem breiten, steinigen Pfad zu dem ihren hatte auf schließen lassen. Rasa, ihre Lehrerin — fast ihre Mutter. Aber nicht in Wirklichkeit ihre Mutter, nicht durch das Blut, nicht von Rechts wegen.
»Ja«, sagte Schedemei.
»Wütend auf mich?« fragte Rasa.
»Zum Teil«, sagte Schedemei. »Du hast uns alle in diese Lage gebracht. Ich habe nichts mit diesen Leuten gemein, außer durch dich.«
»Wir alle haben etwas gemein«, sagte Rasa. »Die Überseele hat dir einen Traum geschickt, nicht wahr?«
»Ich habe nicht darum gebeten.«
»Wer von uns hat das schon?« sagte Rasa. »Nein, ich verstehe, was du meinst, Schedja. Alle anderen haben Entscheidungen gefällt, die dazu führten, daß sie ins Exil gehen mußten. Nafai und Luet und Huschidh und ich sind freiwillig mitgekommen … mehr oder weniger. Und Elemak und Meb — ganz zu schweigen von meinen Töchtern, gesegnet seien ihre bösen kleinen Herzen — sind hier, weil sie ein paar dumme und gemeine Entscheidungen getroffen haben. Die anderen sind hier, weil sie Eheverträge haben, obwohl für einige die Entscheidung, uns zu begleiten, den ursprünglichen Fehler nur noch schlimmer macht. Aber dich, Schedemei, dich führt lediglich dein Traum hierher. Und deine Treue zu mir.«
Die Überseele hatte ihr einen Traum geschickt, in dem sie durch die Luft schwebte, Samen verstreute und beobachtete, wie er wuchs, wie sich eine Wüstenei in Wälder und Wiesen verwandelte, voll von üppigem Grün, wimmelnd vor Tieren. Schedemei schaute sich in der öden Wüstenlandschaft um, sah die paar dornigen Pflanzen, die sich hier und da ans Leben klammerten, und wußte, daß ein paar Eidechsen von den wenigen Insekten lebten, die genug Wasser zum Überleben fanden. »Das ist nicht mein Traum«, sagte sie.
»Aber du bist gekommen«, sagte Rasa. »Zum Teil wegen des Traums und zum Teil aus Zuneigung zu mir.«
»Weißt du, es besteht keine Aussicht auf Erfolg«, sagte Schedemei. »Das sind keine Kolonisten. Nur Elemak hat die nötigen Fertigkeiten, um hier zu überleben.«
»Er ist der Erfahrenste, was Wüstenreisen betrifft. Njef und Meb schlagen sich ebenfalls recht gut. Und wir anderen werden es lernen.«
Schedemei schwieg. Sie wollte nicht streiten.
»Ich kann es nicht ausstehen, wenn du einem Streit auf diese Weise ausweichst«, sagte Rasa.
»Ich mag keine Konflikte«, sagte Schedemei.
»Aber du machst immer dann einen Rückzieher, wenn du der anderen Person gerade genau das sagen willst, was die sich unter die Nase reiben sollte.«
»Ich weiß nicht, was andere Personen sich unter die Nase reiben sollten.«
»Sag, woran du gerade gedacht hast«, forderte Rasa sie auf. »Sag mir, warum du glaubst, daß unsere Expedition zum Scheitern verdammt ist.«
»Basilika«, sagte Schedemei.
»Wir haben die Stadt verlassen. Sie kann uns jetzt keinen Schaden mehr zufügen.«
»Basilika wird uns in tausenderlei Hinsicht Schaden zufügen. Sie wird uns immer an ein sanfteres, einfacheres Leben erinnern. Wir werden immer von der Sehnsucht bedrängt werden, zu ihr zurückzukehren.«
»Aber das Heimweh bereitet dir doch bestimmt keine Sorgen«, sagte Rasa.
»Wir tragen die halbe Stadt bei uns«, sagte Schedemei. »Alle Krankheiten der Stadt, aber keine ihrer Stärken. Wir kennen den Luxus des Müßiggangs, haben aber nicht den Reichtum und den Besitz, der ihn erst ermöglicht. Wir sind daran gewöhnt, uns vielen unserer Gelüste hinzugeben, denen man sich aber in einer so winzigen Kolonie, wie die unsrige es sein wird, niemals hingeben darf.«
»Wir sind nicht die ersten, die die Stadt verlassen und eine Kolonie gründen.«
»Ich weiß. Die, die sich anpassen wollen, werden sich anpassen«, sagte Schedemei. »Aber wie viele wollen das? Wie viele sind bereit, ihre Gelüste hintanzustellen, zum Wohl von uns allen darauf zu verzichten? Nicht einmal ich bin so hingebungsvoll. Mit jedem Kilometer, den wir uns weiter von meiner Arbeit entfernen, werde ich wütender.«
»Nun, dann haben wir ja Glück«, sagte Rasa. »Sonst hatte niemand hier eine Arbeit, die der Rede wert ist. Und die, die eine hatten, haben alles verloren, so daß sie sowieso nicht zurückkehren könnten.«
»Mebs Arbeit wartet hier auf ihn«, sagte Schedemei.
Rasa schaute einen Augenblick lang verwirrt drein. »Ich wüßte nicht, daß Meb irgendeine Arbeit hatte, wenn du nicht seine traurige kleine Laufbahn als Schauspieler meinst.«
»Ich meine sein lebenslanges Vorhaben, sich mit jeder Frau in Basilika zu paaren, die nicht mit ihm blutsverwandt, ausgesprochen häßlich oder tot ist.«
»Oh«, sagte Rasa und lächelte fahl. »Diese Arbeit.«
»Und er ist nicht der einzige«, sagte Schedemei.
»Oh, ich weiß«, sagte Rasa. »Du bist zu freundlich, um es zu sagen, aber meine eigenen Töchter sehnen sich zweifellos danach, dort wieder anzufangen, wo sie mit ihrer Version dieses Vorhabens aufgehört haben.«
»Ich wollte dich nicht beleidigen«, sagte Schedemei.
»Ich bin nicht beleidigt. Ich kenne meine Töchter viel zu gut. Sie haben zu viel von ihrem Vater in sich, als daß ich nicht wüßte, was ich von ihnen zu erwarten habe. Aber sage mir ganz ehrlich, Schedja, welchen dieser Männer sie wohl attraktiv finden werden?«
»Nach ein paar Wochen oder ein paar Tagen werden für sie alle Männer immer besser aussehen.«
Rasa lachte leise. »Ich bin geneigt, dir beizupflichten, meine Liebe. Aber alle Männer in unserer kleinen Gruppe sind verheiratet — und du kannst darauf wetten, ihre Frauen werden dafür sorgen, daß niemand in ihr Territorium eindringt.«
Schedemei schüttelte den Kopf. »Rasa, du gehst von einer falschen Voraussetzung aus. Nur weil du dich entschlossen hast, mit ein und demselben Mann verheiratet zu bleiben, den Vertrag mit ihm seitdem Jahr für Jahr zu erneuern — nun ja, zumindest seit du Nafai geboren hast —, bedeutet das noch lange nicht, daß irgendeine der anderen Frauen hier so besitzergreifend und eifersüchtig auf ihren Ehemann achten wird.«
»Meinst du nicht?« sagte Rasa. »Meine liebe Tochter Kokor hätte ihre Schwester Sevet fast umgebracht, weil sie mit Kokors Gatten Obring geschlafen hat.«
»Also … wird Obring nicht noch einmal versuchen, mit Sevet zu schlafen. Das hindert ihn aber nicht daran, es zum Beispiel bei Luet zu versuchen.«
»Bei Luet!« sagte Rasa. »Sie ist ein wunderbares Mädchen, Schedja, aber sie hat nicht die Schönheit, die ein Mann wie Obring sucht, und sie ist auch sehr jung, und sie ist eindeutig in Nafai verliebt. Doch am wichtigsten ist, daß sie die Wasserseherin von Basilika ist und Obring viel zu viel Angst hat, um sich ihr zu nähern.«
Schedemei schüttelte den Kopf. Begriff Rasa nicht, daß alle diese Argumente mit dem Lauf der Zeit zur Bedeutungslosigkeit verblassen würden? Begriff sie nicht, daß Menschen wie Obring und Meb, Kokor und Sevet für die Jagd lebten und sich nur wenig darum kümmerten, wer die Beute war?
»Und wenn du glaubst, daß Obring es bei Eiadh versuchen wird, lache ich laut auf«, sagte Rasa. »Ja, er möchte vielleicht gern, aber Eiadh ist ein Mädchen, das bei einem Mann nur Starke liebt und bewundert, und diese Tugend wird Obring niemals haben. Nein, ich glaube, Obring wird Kokor ziemlich treu bleiben.«
»Rasa, meine liebe Lehrerin und Freundin«, sagte Schedemei, »bevor dieser Monat verstrichen ist, wird Obring versucht haben, sogar mich zu verführen.«
Rasa sah Schedemei mit einer Verblüffung an, die sie nicht verbergen konnte. »Jetzt hör aber auf«, sagte sie. »Du bist nicht sein …«
»Sein Typ ist jede Frau, die in letzter Zeit nicht nein zu ihm gesagt hat«, erwiderte Schedemei. »Und ich warne dich – unsere Gruppe ist zu klein, um sexuelle Spannungen tolerieren zu können. Wären wir Paviane, und waren unsere Frauen nur ein paar Mal zwischen den Schwangerschaften sexuell attraktiv, könnten wir die improvisierten, kurzen Partnerschaften eingehen, die auch die Paviane bilden. Wir könnten die periodischen Konflikte zwischen den Männern ertragen, weil sie schnell wieder ein Ende finden und wir dann den Rest des Jahres über Frieden haben würden. Aber leider sind wir Menschen, und wir gehen andere Beziehungen ein. Unsere Kinder brauchen Stabilität und Frieden. Und wir sind zu wenige, um hier und da ein paar Morde tolerieren zu können.«
»Morde«, sagte Rasa. »Schedemei, was ist nur in dich gefahren?«
»Nafai hat bereits einen Menschen getötet«, sagte Schedemei. »Und er ist wahrscheinlich der netteste dieser Gruppe, von Vas vielleicht abgesehen.«
»Die Überseele hat es ihm aufgetragen.«
»Ja. Also ist Nafai der einzige in dieser Gruppe, der der Überseele gehorcht. Die anderen werden wahrscheinlich eher ihrem Gott gehorchen.«
»Und was ist das für einer?«
»Er baumelt zwischen ihren Beinen«, sagte Schedemei.
»Ihr Biologen habt eine furchtbar zynische Sicht von uns Menschen«, sagte Rasa. »Man könnte glauben, ihr haltet uns für die niedrigsten aller Tiere.«
»Ach, nicht für die niedrigsten. Unsere Männchen versuchen nicht, ihre Jungen zu fressen.«
»Und unsere Weibchen verschlingen nicht ihre Gefährten«, sagte Rasa.
»Obwohl einige es versucht haben.«
Beide lachten. Sie hatten ziemlich leise gesprochen, und ihre Kamele waren ein gutes Stück von den anderen entfernt, doch ihr Gelächter drang zu ihnen hinüber, und einige drehten sich zu ihnen um.
»Schenkt uns gar keine Beachtung!« rief Rasa. »Wir haben nicht über euch gelacht!«
Aber Elemak schenkte ihnen Beachtung. Er war an der Spitze der Karawane geritten. Nun lenkte er sein Tier herum und ritt an den anderen vorbei, bis er sie erreicht hatte. Sein Gesicht war von kalter Wut gezeichnet.
»Du mußt versuchen, etwas mehr Selbstbeherrschung zu zeigen, Herrin Rasa«, sagte er.
»Was«, sagte Rasa, »war mein Gelächter zu laut?«
»Dein Gelächter — und dann dein kleiner Scherz. Alles aus vollster Kehle. Der Wind kann eine Frauenstimme hier kilometerweit tragen. Diese Wüste ist nicht dicht besiedelt, doch sollte jemand dich hören, kannst du ganz schnell vergewaltigt, ausgeraubt und getötet werden.«
Schedemei wußte natürlich, daß Elemak recht hatte — er hatte schon zahlreiche Karawanen durch die Wüste geführt. Aber sie konnte die Herablassung in seinem Tonfall, den Sarkasmus, nicht ausstehen. Kein Mann hatte das Recht, so mit Herrin Rasa zu sprechen.
Doch Rasa schien die Beleidigung, die Eljas Worte ausdrückten, nicht mitzubekommen. »Eine so große Gruppe wie die unsrige?« fragte Rasa unschuldig. »Ich dachte, Räuber würden sich von uns fernhalten.«
»Sie hoffen geradezu auf Gruppen wie die unsrige«, sagte Elemak. »Mehr Frauen als Männer. Langsames Tempo. Schwer beladen. Unvorsichtig laute Gespräche. Zwei Frauen bleiben zurück und trennen sich vom Rest der Gruppe.«
Erst da wurde Schedemei klar, wie verletzbar sie und Rasa gewesen waren. Es machte ihr angst. Sie war es nicht gewohnt, so zu denken — darüber nachzudenken, wie man einen Angriff vermeiden konnte. In Basilika waren sie sicher gewesen. Frauen waren in Basilika immer sicher gewesen.
»Und sieh dir doch einmal die Männer unserer Karawane an«, sagte Elemak. »Von wem kannst du erwarten, daß er für dich kämpft und dich vor einer Bande von nur drei oder vier Räubern rettet, geschweige denn vor einem Dutzend?«
»Von dir«, sagte Rasa.
Elemak betrachtete sie einen Augenblick lang ruhig. »Hier auf offenem Gelände, wo man sie schon in einiger Entfernung bemerken würde, könnte ich das wohl. Aber mir wäre es lieber, ich müßte es nicht. Also bleibt bei den anderen und seid leise. Bitte.«
Das Bitte am Ende trug nur wenig dazu bei, die Strenge seines Tonfalls zu mildern, doch das hinderte Schedemei nicht daran, ihm aus vollstem Herzen beizupflichten. Sie hatte nicht Rasas Zuversicht, daß Elemak sie auch nur vor einer kleinen Gruppe Plünderer schützen konnte.
Elemak warf Schedemei einen kurzen Blick zu, doch sie konnte den Ausdruck in seinen Augen nicht deuten. Dann zog er sein Kamel herum, und es schwankte zur Spitze der kleinen Karawane voran.
»Mal sehen, ob dein Gatte oder Elemak herrscht, sobald wir Wetschiks Lager erreicht haben«, sagte Schedemei.
»Schenke Eljas Poltern keine Beachtung«, sagte Rasa. »Mein Gatte wird herrschen.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Elemak vereinnahmt die Autorität auf ganz natürliche Art und Weise.«
»O ja, er mag das Gefühl, das sie mit sich bringt«, sagte Rasa. »Aber er kann sie nur durch Furcht aufrechterhalten. Ist ihm nicht klar, daß die Überseele diese Expedition schützt? Wenn irgendwelche Plünderer auch nur auf den Gedanken kommen, sich in unsere Nähe zu begeben, wird die Überseele dafür sorgen, daß sie die Idee sofort wieder vergessen. Wir sind so sicher, als lägen wir zu Hause im Bett.«
Schedemei erinnerte sie nicht daran, daß sie sich noch vor ein paar Tagen in ihren Betten ziemlich unsicher gefühlt hatten. Und sie erwähnte auch nicht, daß Rasa gerade Schedemeis Standpunkt bewiesen hatte — wenn Rasa an Heimat und Sicherheit dachte, hatte sie Basilika im Sinn. Der Geist ihres alten Lebens in der Stadt würde sie noch lange heimsuchen.
Nun hielt Kokor ihr Tier an und wartete darauf, daß Rasa. zu ihr aufschloß. »Du warst böse, nicht wahr, Mama?« sagte sie. »Mußte der abscheuliche alte Elemak kommen und dich zurechtweisen?«
Schedemei widerte Kokors kleinmädchenhafte Albernheit an — aber andererseits widerte Kokor sie eigentlich immer an. Ihr Benehmen schien immer falsch und manipulativ zu sein. Schedemei wunderte sich nur darüber, daß dieser Trick bei den Leuten ziemlich oft funktionieren mußte, sonst hätte Kokor sich schon längst einen neuen einfallen lassen.
Nun, bei wem auch immer Kokors kleinmädchenhaftes Gehabe funktionieren mochte, bei ihrer Mutter jedenfalls nicht. Rasa bedachte Kokor lediglich mit einem eisigen Blick. »Schedja und ich haben uns unter vier Augen unterhalten, meine Liebe. Es tut mir leid, daß du uns falsch verstanden und gedacht hast, wir hätten dich eingeladen, dich an unserem Gespräch zu beteiligen.«
Kokor brauchte einen Augenblick, bis sie verstanden hatte; und als sie begriff, verdunkelte ihr Gesicht sich einen Augenblick lang — vor Wut? Dann bedachte sie Schedemei mit einem steifen, schmalen Lächeln. »Mutter ist fortwährend enttäuscht, daß ich nicht wie du geworden bin, Schedja. Aber ich fürchte, weder mein Gehirn noch mein Körper hatten dafür genug innere Schönheit.« Dann trieb Kokor ihr Kamel unbeholfen an und ritt schon bald wieder ein Stück vor ihnen.
Schedemei wußte, daß Kokor sie hatte beleidigen wollen, indem sie sie daran erinnerte, daß die einzige Schönheit, die Schedemei je besitzen würde, die innere war. Doch Schedemei war schon lange aus ihrer pubertären Eifersucht auf körperlich schöne Mädchen herausgewachsen.
Rasa mußte ähnlich gedacht haben. »Ist es nicht seltsam, daß körperlich unscheinbare Menschen imstande sind, bei anderen körperliche Schönheit zu sehen, während moralisch verkrüppelte Menschen für Güte und Anstand blind sind? Sie glauben wirklich, daß es diese Eigenschaften gar nicht gibt.«
»Oh, sie wissen schon, daß es sie gibt«, sagte Schedemei. »Sie wissen nur niemals, welche Menschen sie haben. Nicht, daß meine Gefühle in diesem Augenblick mich als moralische Schönheit qualifizieren würden.«
»Du denkst an Mord, nicht wahr?« fragte Rasa.
»Ach, an nichts so Direktes oder Endgültiges«, sagte Schedemei. »Ich habe mir nur gewünscht, daß sie sich im Sattel fürchterlich wund reitet.«
»Und Elemak? Hast du ihm auch einen Fluch auferlegt, der ihm Unannehmlichkeiten bereiten soll?«
»Keineswegs«, sagte Schedemei. »Es war vielleicht überflüssig, daß er uns, wie du festgestellt hast, durch Furcht zum Gehorsam zwingen wollte. Aber ich glaube, er hat recht. Schließlich hat die Überseele nicht gerade den besten Ruf, wenn es darum geht, Gefahren von uns abzuwenden. Nein, Elja gegenüber hege ich keinen Groll.«
»Dann wünschte ich, ich wäre so reif wie du. Ich habe verabscheut, auf welche Art er mit mir sprach. So herablassend. Ich weiß natürlich, warum er es tat — er befürchtet, daß mein Status in der Stadt für seine Autorität hier draußen eine Bedrohung darstellt, und so mußte er mich zurechtweisen. Aber er müßte begreifen, daß ich klug genug bin, seine Führung anzuerkennen, ohne daß er mich vorher erniedrigen muß.«
»Es steht nicht zur Debatte, was du brauchst«, sagte Schedemei. »Das spielt überhaupt keine Rolle. Die Frage lautet, was er braucht. Er muß sich dir überlegen fühlen. Und was dies betrifft, so ist es bei mir genauso, du dumme alte Frau.«
Einen Augenblick lang sah Rasa sie entsetzt an. Als Schedemei dann gerade erklären wollte, daß sie gescherzt hatte — warum verstand einfach niemand ihren Humor? —, grinste Rasa sie an. »Ich bin lieber eine dumme alte Frau, als eine dumme junge«, sagte sie. »Dummen alten Frauen unterlaufen nicht so spektakuläre Fehler.«
»Ach, da bin ich mir aber nicht sicher«, sagte Schedemei. »Uns zum Beispiel auf dieser Expedition zu begleiten …«
»Ein Fehler?«
»Für mich ganz bestimmt. Mein Leben ist die Genetik, doch den Rest meines Lebens werde ich mich ihr höchstens nähern können — falls es mir gelingt, meine Gene zu reproduzieren.«
»Du klingst so verzweifelt. Es ist gar nicht so schrecklich, Kinder zu haben. Nicht alle sind wie Kokor, und vielleicht wird sogar sie einmal zu einem Menschen heranwachsen.«
»Ja, aber du hast deine Gatten geliebt«, sagte Schedemei. »Mit wem werde ich mein Leben verbringen, Tante Rasa? Mit deinem verkrüppelten Sohn? Oder mit Gaballufix’ Bibliothekar?«
»Ich glaube, Huschidh will Issib heiraten«, sagte Rasa. Ihre Stimme war kalt, doch Schedemei störte sich nicht daran.
»Oh, ich weiß, daß du uns füreinander bestimmt hast. Aber sag mir, Tante Rasa, hätte Nafai nicht zufällig den Bibliothekar mitgeschleppt, als er den Index stahl … hättest du mich dann auch mitgenommen?«
Rasas Gesicht war wie versteinert. Ihre Antwort ließ lange auf sich warten.
»Komm schon, Tante Rasa. Ich bin keine Närrin, und mir wäre es lieber, du würdest mich auch nicht wie eine behandeln.«
»Wir brauchen deine Fähigkeiten, Schedja. Die Überseele hat dich ausgewählt, nicht ich.«
»Du bist ganz sicher, daß nicht du es warst, nachdem du die Männer und Frauen durchgezählt hattest und dafür sorgen wolltest, daß eine gerade Zahl herauskommt?«
»Die Überseele hat dir diesen Traum geschickt.«
»Das Traurige daran ist …« sagte Schedemei, »abgesehen von dir hat noch keiner von uns bewiesen, daß er Kinder bekommen kann. Vielleicht hast du einem dieser Männer eine sterile Frau zugeteilt. Oder vielleicht hast du für eine von uns Frauen einen sterilen Mann vorgesehen.«
Rasas kalte Wut verwandelte sich allmählich in heißen Zorn. »Ich habe doch gesagt, nicht ich habe die Auswahl getroffen … auch Luet hatte eine Vision, und …«
»Wirst du mit gutem Beispiel vorangehen? Wirst du noch weitere Kinder bekommen, Tante Rasa?«
Rasa schien jetzt völlig verwirrt zu sein. »Ich? In meinem Alter?«
»Du hast noch ein paar gute Eier in dir. Ich weiß, du hast die Menopause noch nicht erreicht, denn du hast gerade deine Tage.«
Rasa sah sie konsterniert an. »Warum lege ich mich nicht einfach unter eins deiner Mikroskope?«
»Da würdest du nie drunter passen. Ich müßte dich in rasierklingendünne Scheibchen schneiden.«
»Manchmal habe ich das Gefühl, als hättest du das schon getan.«
»Rasa, du läßt uns mehrmals am Tag anhalten. Ich weiß, daß du deine Blase besser beherrschen kannst. Wir alle wissen, daß du die Tränen des Mondes vergießt.«
Rasa runzelte kurz die Stirn, eine Art Achselzucken mit dem Gesicht. »Also weitere Kinder.«
»Dir bleibt wohl keine andere Wahl. Du mußt uns allen ein Vorbild sein«, sagte Schedemei. »Verstehe doch, wir unternehmen nicht nur eine Reise. Wir sind eine Kolonie. Die wichtigste Aufgabe von Kolonisten ist die Reproduktion. Jeder, der keine Kinder bekommt, ist so gut wie wertlos. Und ganz gleich, wie neidisch Elemak auf deine Autorität ist, du bist die Führerin der Frauen. Du mußt uns allen als Modell dienen. Wenn du bereit bist, während dieser Reise schwanger zu werden, werden die anderen nachziehen, besonders, da die Ehemänner beweisen wollen, daß nicht nur der alte Wetschik, sondern auch sie eine Frau schwängern können.«
»Er ist nicht mehr Wetschik«, sagte Rasa, obwohl es nichts zur Sache tat. »Er ist Volemak.«
»Aber er kann noch seine ehelichen Pflichten erfüllen, oder?«
»Also wirklich, Schedemei, gibt es eine Frage, die du nicht zu stellen wagst? Demnächst bittest du uns noch, dir Proben von unserem Stuhlgang zur Verfügung zu stellen.« — »Bevor diese Reise zu Ende ist, werde ich mir wohl Proben von fast allem ansehen. Ich bin diejenige von uns, die einer Ärztin am nächsten kommt.«
Rasa kicherte plötzlich. »Ich kann mir bildlich vorstellen, wie Elemak dir eine Samenprobe bringt.«
Schedemei mußte bei dem Gedanken, ihn darum zu bitten, ebenfalls lachen. So ein Anschlag auf seine Würde als Führer dieser Karawane!
Ein paar Minuten lang ritten sie schweigend weiter. Dann ergriff Rasa das Wort. »Wirst du es tun?« fragte sie.
»Was?«
»Zdorab heiraten?«
»Wen?«
»Zdorab, den Bibliothekar.«
»Ihn heiraten«, seufzte Schedemei. »Ich hatte nie heiraten wollen.«
»Heirate ihn und bekomme seine Kinder.«
»Ach, das werde ich wohl müssen«, sagte Schedemei. »Aber nicht, wenn wir nach dem Pavian-Gesetz leben.«
»Nach dem Pavian-Gesetz!«
»Wie in Basilika — jedes Jahr mit einem Wettstreit für neue Gefährten. Ich werde diesen Mann mittleren Alters nehmen, den ich gar nicht kenne, ich gehe mit ihm ins Bett, bekomme seine Kinder und ziehe sie mit ihm groß — aber nicht, wenn ich darum kämpfen muß, ihn zu behalten. Nicht, wenn ich zusehen muß, daß er jedesmal, wenn unser Ehevertrag ausläuft, Eiadh oder Huschidh oder Dolja oder … oder Kokor den Hof macht und dann zu mir zurückgekrochen kommt und mich bittet, den Vertrag mit ihm um ein weiteres Jahr zu verlängern, aber nur, weil keine der wirklich begehrenswerten Frauen ihn haben will.«
Rasa nickte. »Ich begreife jetzt, was du zuvor hast sagen wollen. Es ging nicht um Kokors eheliche Untreue, sondern um die Gebräuche, mit denen wir alle aufgewachsen sind.«
»Genau«, sagte Schedemei. »Wir sind eine zu kleine Gruppe, als daß wir die alten Ehegebräuche Basilikas beibehalten könnten.«
»Es ist wirklich nur eine Frage des Maßstabs, nicht wahr?« sagte Rasa. »Wenn in der Stadt eine Frau den Vertrag mit einem Mann nicht verlängert oder er nicht darum bittet, kann man einander aus dem Weg gehen, bis der Schmerz nachläßt. Man findet schnell jemand anderen, weil es so viele tausend Menschen gibt, unter denen man wählen kann. Aber wir sind nur sechzehn Personen. Acht Männer, acht Frauen. Es wäre unerträglich.«
»Jemand wird vielleicht einen aus unserer Gruppe töten wollen, wie Kokor es versucht hat«, sagte Schedemei. »Und andere wollen vielleicht sterben.«
»Du hast recht, du hast recht, du hast recht«, murmelte Rasa; sie schien jetzt laut zu denken. »Aber wir können es ihnen jetzt noch nicht sagen. Einige von ihnen würden umkehren — Wüste hin oder her, Banditen hin oder her. Lebenslange Monogamie — nun ja, ich bezweifle, daß Sevet und Kokor schon mal eine ganze Woche lang treu geblieben sind. Und Meb hat bislang aus gutem Grund noch nicht geheiratet. Er hat nicht die Absicht, treu zu sein, doch es mangelt ihm an der Fähigkeit meiner Töchter, sich völlig unredlich zu benehmen. Und nun werden wir ihnen sagen, daß sie treu bleiben müssen. Keine Einjahres-Verträge, keine Chance, sich einen neuen Partner zu nehmen.«
»Es wird ihnen nicht gefallen.«
»Also werden wir es ihnen erst sagen, wenn wir Volemaks Lager erreicht haben. Wenn es zu einer Umkehr schon viel zu spät ist.«
Schedemei konnte kaum glauben, daß ausgerechnet Rasa so etwas sagte. Trotzdem war ihre Antwort nicht barsch. »Aber vielleicht bin ich der Ansicht«, sagte sie, »daß wir sie ruhig umkehren lassen sollten, wenn sie es unbedingt wollen. Schließlich sind sie doch freie Menschen, nicht wahr?«
Rasa drehte sich scharf zu ihr um. »Nein, das sind sie nicht«, sagte sie. »Sie waren frei, bis sie die Entscheidungen trafen, die sie hierher gebracht haben. Doch nun sind sie nicht mehr frei, weil unsere Kolonie, unsere Reise ohne sie nicht erfolgreich verlaufen kann.«
»Du bist so sicher, daß du die Leute dazu bringen kannst, zu ihren Verpflichtungen zu stehen«, murmelte Schedemei.
»Das ist noch nie zuvor jemandem gelungen. Kannst du es jetzt?«
»Es geht nicht nur um die Expedition«, sagte Rasa. »Es ist zu ihrem eigenen Besten. Die Überseele hat klargemacht, daß Basilika zerstört werden wird — und die Menschen mit ihr, wären sie noch dort, wenn es soweit ist. Wir retten ihnen das Leben. Aber diejenigen, die am liebsten umkehren würden, sind gleichzeitig auch diejenigen, die am wenigsten an die Visionen glauben, die die Überseele uns gezeigt hat. Um ihnen das Leben zu retten, müssen wir also …«
»Sie täuschen?«
»Einige Erklärungen bis zu einem späteren Zeitpunkt zurückhalten.«
»Weil du viel besser als sie weißt, was gut für sie ist?«
»Ja«, sagte Rasa. »Ja, das weiß ich.«
Dies erzürnte Schedemei. Alles, was Rasa gesagt hatte, mochte durchaus zutreffen, aber es änderte nichts an Schedemeis Überzeugung, daß die Menschen das Recht hatten, sich sogar für ihren eigenen Untergang zu entscheiden, wenn sie es unbedingt wollten. Vielleicht war dies ein weiterer Luxus, den man genoß, wenn man in Basilika lebte — der Luxus, das Recht zu haben, durch eigene Dummheit oder Kurzsichtigkeit in den Untergang zu gehen —, aber Schedemei war noch nicht bereit, darauf zu verzichten. Es war eine Sache, den Leuten zu sagen, daß treue Monogamie eine der Bedingungen war, wollten sie bei der Gruppe bleiben. Dann konnten sie sich entscheiden, ob sie bleiben und gehorchen oder gehen und nach anderen Regeln leben wollten. Aber sie zu belügen, bis es zu spät für eine solche Entscheidung war … hier stand die Freiheit auf dem Spiel, und nur die Freiheit machte das Überleben der Mühe wert. »Tante Rasa«, sagte Schedemei, »du bist nicht die Überseele.«
Und mit dieser Bemerkung trieb Schedemei ihr Kamel zu einem schnelleren Gang an und ließ Rasa hinter sich zurück. Nicht, daß Schedemei nichts mehr zu sagen gehabt hätte. Aber sie war zu wütend, um dort zu bleiben; die Vorstellung, mit Tante Rasa zu streiten, war unerträglich. Schedemei konnte Streitigkeiten überhaupt nicht ausstehen. Nach einem jeden Streit hing sie tagelang düsteren Gedanken nach. Und sie hatte derzeit schon genug, worüber sie nachdenken mußte.
Zdorab. Was für ein Mann wird Archivar eines machthungrigen Mörders wie Gaballufix? Was für ein Mann läßt zu, daß ein Junge wie Nafai ihn dazu manipuliert, seinen Herren zu verraten, ihm den wertvollen Index zu geben, und folgt dem Dieb dann noch aus der Stadt? Was für ein Mann läßt sich von Nafai unterwerfen und leistet ihm dann noch den Eid, mit ihm in die Wüste zu gehen und nie nach Basilika zurückzukehren?
Schedemei wußte genau, um was für einen Mann es sich dabei handelte: um einen langweiligen, dummen Schwächling. Um einen schüchternen, geistig schwerfälligen Feigling, der sie vor jedem seiner peinlichen Versuche, sie zu schwängern, formell um Erlaubnis bitten würde. Um einen Mann, dachte sie, der weder Freude in unsere Ehe bringen noch welche an mir finden wird. Um einen Mann, der sich wünschen wird, er hätte irgendeine der anderen Frauen hier geheiratet, nur nicht mich, und der nur bei mir bleiben wird, weil keine andere ihn haben will.
Zdorab, mein zukünftiger Gatte, ich kann es kaum erwarten, dich kennenzulernen.
In ihrer dritten Nacht in der Wüste bereitete es ihnen weniger Schwierigkeiten, die Zelte aufzuschlagen. Mittlerweile wußte jeder, welche Arbeit er leisten mußte — und welche er vermeiden konnte. Rasa stellte mit Verachtung fest, daß sowohl Meb als auch Obring mehr als die Hälfte ihrer Zeit damit verbrachten, ihren Frauen bei ›Aufgaben‹ zu helfen, die sowieso schon so einfach waren, daß jedes Kind sie hätte erledigen können. Sie mußten so einfach sein, sonst hätten weder Dolja noch Kokor sie übernommen. Nicht, daß Dol nicht bereit war, manchmal zu arbeiten, doch solange Kokor und Sevet keine schwierigen Arbeiten übernahmen, würde sie sich nicht unter die beiden stellen. Schließlich war Dol ja eine berühmte Schauspielerin gewesen, als Kokor und Sevet noch ihre kleinen Kinderlieder gezwitschert hatten. Rasa wußte, wie Dol dachte. Zuerst der Status, dann menschlicher Anstand.
Doch zumindest war der Anstand auf ihrer Liste überhaupt vertreten. Was sind das für Menschen, die ich großgezogen und unterrichtet habe? Diejenigen, die zu selbstsüchtig sind, um sich abzuplacken, bedrohen unseren Frieden, und doch sind einige der anderen der Überseele gegenüber so unterwürfig, daß ich um sie sogar noch größere Befürchtungen habe.
Ich bin nicht mehr für ihr Leben verantwortlich, mahnte Rasa sich. Ich bin dafür verantwortlich, die Leinen des Zeltes so straff zu ziehen, daß es nicht beim ersten Windstoß in sich zusammenbricht.
»Es wird bei einem schlimmen Sturm zusammenbrechen, ganz gleich, was du tust«, sagte Elemak. »Also mußt du es nicht so stabil errichten, daß es einen Wirbelsturm übersteht.«
»Nur einen Sandsturm?« Rasa spürte, daß ein Schweißtropfen in ihr Auge rollte und dort brannte. Sie versuchte, ihn mit dem Ärmel wegzuwischen, doch ihr Arm war selbst unter dem leichten Musselin noch verschwitzter als ihr Gesicht.
»Es ist eine schweißtreibende Arbeit, ganz gleich, wie das Wetter ist«, sagte Elemak. »Ich helfe dir.«
Er hielt die Spannschnur fest, während sie den Knoten band. Sie wußte genau, daß er den Knoten problemlos selbst hätte binden können, ohne daß jemand ihm die Schnur halten mußte. Sie begriff augenblicklich, was er damit bezwecken wollte. Sie sollte lernen, ein Zelt aufzubauen, und er zeigte, daß er ihr vertraute, und wollte, daß sie das Gefühl hatte, etwas geschafft zu haben, wenn das Zelt stand. »Du bist gut darin«, sagte sie.
»Es ist nicht schwer, so einen Knoten zu binden, wenn man erst mal gelernt hat, wie man es macht.«
Sie lächelte. »Ah, ja, Knoten. Die bindest du hier zusammen?«
Er erwiderte das Lächeln — und sie sah, daß er ihr Lob in der Tat zu schätzen wußte. »Unter anderem, Herrin Rasa.«
»Du bist ein geborener Führer von Männern«, sagte Rasa. »Ich sage dies nicht als deine Stiefmutter, nicht einmal als deine Schwägerin, sondern als Frau, die schon Gelegenheit hatte, andere zu führen. Selbst die Faulen schämen sich, ihre Faulheit zu offensichtlich zu zeigen.« Sie erwähnte nicht, daß es ihm bislang nur gelungen war, die Autorität auf sich selbst zu konzentrieren — noch hatte niemand etwas verinnerlicht, so daß nichts geschah, wenn er nicht dabei war. Vielleicht war das alles, was er während seiner Jahre als Karawanenführer über die Autorität hatte lernen müssen. Aber wenn er über diese Expedition herrschen wollte (und Rasa war nicht so töricht, anzunehmen, daß Elemak seinem Vater mehr als die lediglich nominelle Autorität zugestehen würde), mußte er lernen, mehr zu tun, als die Leute nur von ihm abhängig zu machen. Das Wesen der Führung, mein lieber junger Herrscher, besteht darin, die Leute unabhängig zu machen und doch gleichzeitig zu überzeugen, einem freiwillig zu folgen. Dann werden sie die Prinzipien beachten, die du ihnen beigebracht hast, auch wenn du ihnen den Rücken zuwendest. Aber dies konnte sie nicht laut zu ihm sagen; er war noch nicht bereit, auf einen solchen Ratschlag zu hören. Statt dessen fuhr sie also damit fort, ihn zu loben, um sein Vertrauen zu stärken, bis er einen klugen Rat befolgen konnte. »Und ich habe weniger Streit und Beschwerden von meinen Töchtern gehört als je zuvor, als ihr Leben noch einfach war.«
Elemak verzog das Gesicht. »Du weißt genauso gut wie ich, daß die Hälfte von ihnen in diesem Augenblick wohl lieber nach Basilika zurückkehren möchte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich nicht auch zu dieser Hälfte zähle.«
»Aber wir kehren nicht zurück«, sagte Rasa.
»Es wäre wohl ziemlich enttäuschend, zu Muuzh’ Stadt zurückzukehren, nachdem er uns mit solchem Pomp davon geschickt hat.«
»Enttäuschend und gefährlich«, sagte Rasa.
»Nun ja, Nafai ist von dem Vorwurf freigesprochen worden, meinen geliebten Halbbruder Gaballufix getötet zu haben.«
»Er ist von gar nichts freigesprochen worden«, sagte Rasa. »Genausowenig wie du, Sohn meines Gatten.«
»Wie ich?« Sein Gesicht wurde hart, und er errötete leicht. Es war nicht gut, daß er seine Gefühle so offen zeigte. Darauf konnte ein Führer verzichten.
»Du mußt begreifen, daß wir auf keinen Fall nach Basilika zurückkehren können. Mehr wollte ich damit nicht sagen.«
»Sei versichert, Herrin Rasa, wollte ich nach Basilika zurückkehren, bevor ich meinen Vater wiedergesehen habe, würde ich es tun. Und vielleicht kehre ich auch zurück, nachdem ich ihn gesehen habe.«
Sie nickte leicht. »Ich bin froh, daß es des Nachts in der Wüste abkühlt. Wenn wir wissen, daß die Nacht sanft sein wird, können wir die brutale Hitze des Tages ertragen.«
Elemak lächelte. »Das habe ich nur für dich so arrangiert, Herrin Rasa.«
»Schedemei und ich haben uns heute unterhalten«, sagte Rasa.
»Ich weiß.«
»Über eine sehr ernste Angelegenheit«, sagte Rasa. »Über etwas, das unsere Kolonie leicht zerreißen könnte. Über Sex natürlich.«
Elemak war augenblicklich auf der Hut. »Ja?« fragte er — aber seine Stimme war ruhig.
»Insbesondere«, sagte Rasa, »über die Ehe.«
»Im Augenblick bin ich damit zufrieden, wie die Paare sich zusammengefunden haben«, sagte Elemak. »Kein Mann schläft unbefriedigt, was bei den meisten meiner Karawanen keineswegs der Fall war. Und was dich, Huschidh und Schedemei betrifft, so werdet ihr bald mit euren Gatten zusammen sein — oder den Männern, die ihr zu Gatten nehmen werdet.«
»Aber manche begehren weniger den Beischlaf an sich als die Verführung.«
»Ich weiß«, sagte Elemak. »Aber die Möglichkeiten sind begrenzt.«
»Und trotzdem wählen einige noch, obwohl sie ihre Wahl schon längst getroffen zu haben scheinen.«
Sie sah, wie er Nacken und Hals versteifte, vorgab, ruhig zu sein, und sich weigerte, sich zu ihr hinabzubeugen und ihr die Frage zu stellen, die er auf dem Herzen hatte. Er machte sich Sorgen um Eiadh, seine Braut, seine Geliebte. Rasa hätte nicht gedacht, daß er so scharfsichtig war, sich schon jetzt Sorgen zu machen.
»Sie müssen ihren Gattinnen treu bleiben«, sagte Rasa.
Elemak nickte. »Ich kann nicht behaupten, daß ich mich schon mal mit diesem Problem befassen mußte — bei meinen Karawanen sind die Männer allein, bis wir eine Stadt erreichen, und dann gehen die meisten von ihnen zu Huren.«
»Du auch?« sagte Rasa.
»Ich bin jetzt verheiratet«, sagte Elemak. »Mit einer jungen Frau. Einer guten Frau.«
»Eine gute Frau für einen jungen Mann«, sagte Rasa.
Ein Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. »Niemand bleibt ewig jung«, sagte er.
»Aber wird sie dir auch in fünf Jahren noch eine gute Frau sein? Oder in zehn?«
Er bedachte sie mit einem seltsamen Blick. »Woher soll ich das denn wissen?«
»Aber du mußt darüber nachdenken, Elja. Was für eine Frau wird sie in fünfzig Jahren sein?«
Er schaute verblüfft drein. Darüber hatte er sich keine Gedanken gemacht, und er wußte nicht einmal, wie man so tat, als hätte man darüber nachgedacht, so groß war seine Überraschung.
»Denn Schedemei hat mich darauf hingewiesen — und meine eigenen Überlegungen über diese Angelegenheit bestätigt: daß die Ehegebräuche Basilikas unmöglich auch hier in der Wüste Geltung haben können. Basilika war sehr groß, und wir werden nur sechzehn Seelen sein. Acht Paare. Wen sollte Eiadh heiraten, wenn du sie wegen einer anderen verläßt?« Natürlich wußte Rasa — und sie wußte auch, daß Elemak es ebenfalls wußte —, daß Eiadh sich aller Wahrscheinlichkeit nach eher entschließen würde, den Ehevertrag mit Elemak nicht zu verlängern, als zu riskieren, daß er sie verließ. Aber die Frage blieb dieselbe — wen würde Eiadh heiraten?
»Und Kinder«, sagte Rasa. »Wir werden Kinder haben – aber keine Schulen, auf die wir sie schicken können. Sie werden bei ihren Müttern bleiben, und ein anderer Mann — oder andere Männer — werden sie großziehen.«
Sie sah, daß ihre Schilderung der Zukunft ihm zu schaffen machte. Sie wußte genau, was ihm die größten Sorgen bereitete, und Herrin Rasa schämte sich nicht, dieses Wissen zu nutzen. Schließlich entsprachen die Dinge, vor denen sie ihn warnte, der Wahrheit.
»Du siehst also, Elemak, solange wir nur sechzehn Seelen sind, die zusammenbleiben müssen, wollen sie in der Wüste überleben, müssen Ehen auf Dauer geschlossen werden.«
Elemak sah sie nicht an. Doch seine Gedanken waren von seinem Gesicht abzulesen, als er sich auf den Teppich niederließ, der in dem Zelt ausgebreitet worden war, um als Fußboden zu dienen und den sandigen Boden zu bedecken.
»Wir können diese Streitigkeiten nicht überleben«, sagte sie, »die verletzten Gefühle — dafür leben wir ganz einfach ununterbrochen zu eng zusammen. Sie müssen es erfahren. Deine Gattin ist jetzt auf ewig deine Gattin.«
Elemak legte sich auf dem Teppich zurück. »Warum sollten sie bei solch einer Angelegenheit auf mich hören?« sagte er. »Sie würden glauben, ich sage dies, um Eiadh behalten zu können. Ich weiß zufällig, daß andere sie schon sehnsuchtsvoll betrachten und hoffen, ihr den Hof machen zu können, wenn unsere paar Ehejahre vorbei sind.«
»Dann mußt du sie überzeugen, die Gründe für eine lebenslange monogame Ehe zu akzeptieren — sie müssen begreifen, daß es dir dabei nicht nur um dich selbst geht.«
»Sie überzeugen?« Elemak lachte einmal kurz und verbittert auf. »Ich bezweifle, daß ich Eiadh überzeugen kann.«
Sie sah, daß er diese letzte Bemerkung sofort bedauerte. Sie gestand zu viel ein. »Vielleicht ist ›überzeugen‹ auch der falsche Ausdruck. Wir müssen ihnen beibringen, daß wir alle diesem Gesetz gehorchen müssen, wollen wir verhindern, daß diese Kolonie bei einem gefühlsmäßigen und körperlichen Blutbad auseinanderbricht, genau, wie wir tagsüber während der Reise stets leise sein müssen.«
Elemak setzte sich auf und beugte sich zu ihr. In seinen Augen loderte — ja, was? Wut? Furcht? Schmerz? Steckt hinter dieser Sache noch etwas, wovon ich nichts weiß? fragte Rasa sich.
»Herrin Rasa«, sagte Elemak, »ist dieses Gesetz, das du erlassen willst, so wichtig, daß man dafür töten muß?«
»Töten? Gerade das Töten fürchte ich am meisten. Das müssen wir unbedingt vermeiden.«
»Wir sind in der Wüste, und wenn wir Vaters Lager erreichen, sind wir noch immer in der Wüste, und in der Wüste gibt es nur eine Strafe, ganz gleich, um welches Verbrechen es sich handelt. Den Tod.«
»Mach dich doch nicht lächerlich«, sagte Rasa.
»Es bleibt sich gleich, ob man jemandem den Kopf abschneidet oder ihn in der Wüste aussetzt — hier draußen ist ein Exil gleichbedeutend mit dem Tod.«
»Aber ich denke nicht im Traum daran, eine so schwere Strafe einzuführen.«
»Denk darüber nach, Herrin Rasa. Wo sollen wir jemanden einsperren, wenn wir jeden Tag unterwegs sind? Wer hat die Zeit, jemanden zu bewachen? Es gibt natürlich noch die Prügelstrafe, aber dann müßten wir uns um einen Verletzten kümmern und kämen nicht mehr sicher voran.«
»Wie wäre es damit, ein Privileg zu entziehen? Dem Täter etwas wegzunehmen? Wie eine Geldbuße. So, wie es in Basilika gehandhabt wurde.«
»Was sollten wir jemandem wegnehmen? Welche Privilegien sind uns geblieben? Wenn wir dem Gesetzesbrecher etwas wegnehmen, das er wirklich braucht — seine Schuhe? sein Kamel? —, verletzen wir ihn trotzdem, müssen langsamer reisen und setzen die gesamte Gruppe einem Risiko aus. Und wenn es etwas ist, das er nicht braucht, sondern nur schätzt, erfüllen wir ihn mit Groll und haben dann eine weitere Person, um die wir uns kümmern müssen, aber der wir nicht vertrauen können. Nein, Herrin Rasa, wenn die Scham nicht so stark ist, daß sie jemanden davon abhält, ein Verbrechen zu begehen, ist der Tod die einzige Strafe, die wirklich zählt. Der Gesetzesbrecher wird nie wieder das Gesetz brechen, und alle anderen wissen, daß man es wirklich ernst meint. Und jede andere Bestrafung hat genau die gegensätzliche Wirkung — der Gesetzesbrecher tut es einfach noch einmal, und niemand wird das Gesetz respektieren. Deshalb sage ich ja, bevor du entscheidest, daß wir während unserer Reise dieses Gesetz haben, solltest du vielleicht darüber nachdenken, ob es so wichtig ist, daß wir dafür töten.«
»Aber niemand wird glauben, daß du jemanden töten könntest, oder?«
»Meinst du?« sagte Elemak. »Ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, was am schwersten ist, wenn man auf einer Reise wie dieser jemanden bestraft: nämlich später seiner Witwe und seinen verwaisten Kindern sagen zu müssen, wieso man ihn nicht nach Hause gebracht hat.« »Oh, Elemak, ich hätte mir nie träumen lassen …« »Niemand läßt sich das je träumen. Aber die Männer der Wüste wissen es. Und wenn man jemanden ins Exil schickt, statt ihn sofort zu töten, läßt man ihm trotzdem keine Chance — kein Kamel, kein Pferd, nicht einmal Wasser. Man fesselt ihn sogar, damit er sich nicht mehr bewegen kann und die Tiere ihn schneller erwischen — denn wenn er noch lange lebt, könnten Banditen ihn finden, und dann wird er einen viel grausameren Tod sterben, und beim Sterben erzählt er den Banditen, wo die Karawane ist und aus wie vielen Leuten sie besteht und wie viele Männer Wache halten und wo die Wertsachen versteckt sind. Und er wird weitere Dinge verraten — den Kosenamen seiner Frau, die Spitznamen der Wachen, damit die Banditen wissen, was sie in der Dunkelheit sagen müssen, um die Wachen zu verwirren und sie zu einer Unvorsichtigkeit zu verleiten. Er wird ihnen verraten …«
»Hör auf!« rief Rasa. »Du machst das absichtlich.«
»Du glaubst, beim Leben in der Wüste ginge es um Hitze und Kälte, um Kamele und Zelte, darum, den Darm in den Sand zu entleeren und auf einem Teppich statt in einem Bett zu schlafen. Aber ich sage dir, was Vater und du und Nafai, gesegnet sei sein Herz, was ihr alle für uns bestimmt habt .,.«
»Was die Überseele bestimmt hat!«
»… ist das schwerste nur vorstellbare Leben, eine gefährliche und brutale Welt, in der der Tod einem ständig im Nacken sitzt und in der man töten muß, um die Ordnung aufrecht zu halten.«
»Ich lasse mir etwas anderes einfallen«, sagte Rasa. »Eine andere Möglichkeit, um das mit den Ehen zu regeln …«
»Aber dir wird nichts einfallen«, sagte Elemak. »Du wirst tagelang nachdenken und schließlich zu der einzigen Schlußfolgerung gelangen. Falls diese verrückte Kolonie überleben soll, muß sie in der Wüste und nach dem Gesetz der Wüste überleben. Das bedeutet, die Frauen sind ihren Männern treu oder werden sterben.«
»Und die Männer auch, wenn sie untreu sind«, sagte Rasa. Es konnte doch nicht sein Ernst sein, nur die Frauen zu bestrafen.
»Ah, ich verstehe. Wenn zwei Menschen dieses Ehegesetz brechen, sollen beide sterben. Das willst du also? Wer ist denn jetzt die Blutdürstige? Auf eine Frau können wir leichter verzichten als auf einen Mann. Wenn du nicht vorschlägst, ich solle Kokor und Sevet beibringen, wie man kämpft. Wenn du nicht glaubst, Dol und Schedemei könnten tatsächlich die Zelte auf die Rücken der Kamele heben.«
»Also trägt in deiner von Männern beherrschten Welt die Frau die Hauptlast der …«
»Wir sind nicht mehr in Basilika, Herrin Rasa. Frauen gedeihen, wo die Zivilisation stark ist. Hier nicht. Nein, wenn du darüber nachdenkst, wirst du einsehen, daß man dieses Gesetz besser durchsetzen kann, wenn man nur die Frau bestraft. Denn welcher Mann flüstert schon ›Ich liebe dich!‹, wenn doch beide wissen, daß er in Wirklichkeit meint: ›Ich möchte dich unbedingt rammeln, und mir ist es egal, ob du deshalb stirbst.‹ Welchen Erfolg werden seine Verführungskünste dann haben? Und wenn er versucht, sie mit Gewalt zu nehmen, wird sie schreien — denn sie weiß, daß ihr Leben auf dem Spiel steht. Und wenn man ihn erwischt, wie er sie vergewaltigt, weil sie schreit, nun, dann stirbt der Mann. Verstehst du? Diese Regelung nimmt dem Flirten ziemlich viel Romantik.«
Elemak hätte fast über den schwer betroffenen Ausdruck auf Rasas Gesicht gelacht, als er sich umdrehte und ihr Zelt verließ. O ja, sie hielt sich noch immer für eine Führerin, selbst hier draußen in der Wüste, wo sie weniger als nichts über das Überleben wußte, wo sie für jeden eine ständige Gefahr war mit ihrem Geplauder, mit ihrer vermeintlichen Klugheit, die sie immer so bereitwillig teilte, mit ihrem befehlsgewohnten Gehabe. In Basilika, wo die Frauen die Männer mit Bräuchen und Sitten so eingezäunt hatten, daß sie Entscheidungen treffen konnten und die Leute ihnen gehorchten, hatte sie die Illusion von Macht verbreiten können. Doch hier würde sie bald herausfinden — fand sie bereits heraus —, daß es ihr am wahren Willen zum Herrschen mangelte. Sie wollte herrschen, aber nicht die unangenehmen Dinge tun, die das Herrschen forderte.
In der Tat, eine Ehe auf Dauer. Welche Frau konnte einen Mann, ganz gleich, wie stark er war, länger als ein oder zwei Jahre befriedigen? Er hatte nie vorgesehen, daß Eiadh mehr als seine erste Frau war. In dieser Rolle wäre sie ein großer Erfolg gewesen — sie hätte ihn in seinem ersten Haushalt in Basilika geschmückt, ihm seinen Erstgeborenen geschenkt, und dann wären sie weitergezogen. Elemak hatte sogar beabsichtigt, seine Kinder von Rasa persönlich unterrichten zu lassen — sie war eine hervorragende Ausbilderin von Jugendlichen. Elemak wußte, wo ihre wahren Werte lagen. Und nun der Gedanke, daß Eiadh sich auch noch an ihn klammern würde, wenn sie fett und alt war. Ob er dann bereit war, sie noch zu ertragen …
Aber in seinem Herzen wußte er, daß er sich selbst belog. Er konnte ja vorgeben, Eiadh nicht auf ewig haben zu wollen, doch in Wirklichkeit brachte er ihr nur Begehren entgegen. Ein starkes, besitzergreifendes Begehren, das nicht einmal ansatzweise nachzulassen schien. Eiadh und nicht Elemak war die Veränderliche. Sie hatte Nafai bewundert, als er Muuzh die Stirn geboten und das Angebot des Kriegsherrn, Konsul zu werden, zurückgewiesen hatte. Sie war so pathetisch, daß sie Njef, der die Macht zurückgewiesen hatte, stärker bewunderte als ihren eigenen neuen Gatten, der die Macht hatte und sie auch benutzte. Aber Eiadh war schließlich eine Frau und mit diesem seltsamen, mystischen Vertrauen in die Überseele aufgewachsen, und da die Überseele Nafai eindeutig ›erwählt‹ hatte, war er in ihren Augen nur um so attraktiver.
Und was Nafai betraf … Elemak wußte schon seit vielen Monaten, daß Nafai ein Auge auf Eiadh geworfen hatte. Deshalb war Eiadh von Anfang an so attraktiv für ihn gewesen — die Ehe mit ihr würde seinen rotzigen kleinen Bruder in seine Schranken verweisen. Sollte er sie doch später heiraten, – wenn sie bereits Elemaks erste Kinder hatte. Das würde Nafai lehren, wo er stand. Doch nun warf Eiadh ein Auge auf den Jungen — verdammt, wieso mußte auch ausgerechnet er Gaballufix töten! Das zog sie so an. Sie mochte die Illusion, Nafai sei stark. Nun, Eiadh, mein Schatz, Edhja, meine Geliebte, auch ich habe schon getötet, aber keinen Trunkenbold, der bewußtlos im Rinnstein lag. Ich habe einen Banditen getötet, der meine Karawane überfallen wollte, der Mord und Raub im Sinn hatte. Und ich kann erneut töten.
Ich kann erneut töten, und Rasa hat dem Grund dafür bereits zugestimmt. Das Gesetz der Wüste, ja, das wird Nafais Einmischungen ein Ende bereiten. Rasa ist überzeugt, daß ihr lieber, süßer, jüngster Sohn niemals das Gesetz brechen wird, dem sie zustimmen wird — dem sie alle zustimmen werden. Ein Gesetz, das die Todesstrafe nach sich zieht, wenn man es bricht. Und Nafai wird es brechen. Es wird so einfach sein, so symmetrisch, und dann kann ich ihn unter genau demselben Vorwand töten, den Njef selbst herangezogen hat, um Gabja zu töten — ich tue es für das Wohl von uns allen!
Als an diesem Abend das kalte Essen schwer in ihren Bäuchen lag und die kühle Nachtbrise sie alle in die Zelte getrieben hatte, ordnete Elemak an, daß Nafai die erste Wache übernahm. Ihm war klar, daß Nafai, der arme Bursche, genau wußte, wer in Elemaks Zelt auf ihn, Elemak, wartete. Er wußte, Nafai saß im kalten Sternenlicht und stellte sich vor, wie Elja den nackten Körper Eiadhs in die Arme nahm und wie heiß und feucht sie ihr Zelt machten. Er wußte, daß Nafai die leisen Schreie hörte — oder es sich zumindest einbildete —, die Eiadh ausstieß. Und wenn Elemak aus seinem Zelt kommen würde und der Schweiß und Geruch der Liebe ihm noch anhaftete, konnte Nafai die Verbitterung auskosten, in sein eigenes Zelt zurückzukehren, wo der unangenehm rundungslose Körper der Wasserseherin Luet der einzige Trost war, den der arme Junge finden würde. Elemak war fast versucht, Rasas Gesetz zu erlassen, denn dann würde Nafai neben ihm alt werden, Eiadh immer beobachten und wissen, daß sie Elemak gehörte und er sie niemals, niemals, niemals haben konnte.