17 Der Pfad der Toten. Raistlins neue Freunde

Der Lärm von Metall, das auf den Tempelboden aufschlug, riß Tanis aus einem tiefen Schlaf. Er richtete sich alarmiert auf, seine Hand suchte das Schwert.

»Tut mir leid«, sagte Caramon und grinste beschämt. »Mein Brustharnisch ist heruntergefallen.«

Tanis holte tief Luft, was zu einem Gähnen wurde, streckte sich und legte sich auf seine Decke zurück. Der Anblick von Caramon, der seine Rüstung anlegte – mit Tolpans Hilfe —, erinnerte den Halb-Elfen daran, was ihnen heute bevorstand. Sturm war ebenfalls mit seiner Rüstung beschäftigt, während Flußwind sein Schwert polierte. Tanis versuchte bewußt, nicht daran zu denken, was ihnen heute zustoßen könnte.

Es war keine leichte Aufgabe, besonders für den Elfenteil in Tanis - Elfen verehren das Leben, und obwohl sie glauben, daß der Tod nur eine Bewegung auf eine höhere Seinsstufe hin bedeutet, wird der Tod jedes Lebewesens als Verringerung des Lebens dieses Planeten angesehen. Tanis zwang sich also, seiner menschlichen Seite das Übergewicht zu geben. Er würde töten müssen, und vielleicht müßte er den Tod eines oder mehrerer seiner Freunde hinnehmen. Er erinnerte sich, wie er sich am Vortag gefühlt hatte, als er glaubte, Flußwind zu verlieren. Der Halb-Elf runzelte die Stirn und richtete sich plötzlich auf. Ihm war, als wäre er aus einem schlimmen Traum erwacht.

»Sind alle auf?« fragte er und kratzte sich den Bart. Flint stampfte zu ihm hinüber und reichte ihm ein Stück Brot und einige Streifen Wildbret. »Auf und schon gefrühstückt«, grummelte der Zwerg. »Du hättest glatt die Umwälzung verschlafen können, Halb-Elf.« Tanis biß ohne Appetit ins Fleisch. Dann krauste er die Nase und schnüffelte. »Was ist das für ein komischer Geruch?« »Eine Erfindung des Magiers.« Der Zwerg zog eine Grimasse und ließ sich neben Tanis fallen. Flint holte ein Stück Holz hervor und begann eifrig zu schnitzen. »Er hat irgend etwas in einer Tasse zu Pulver zerstoßen und Wasser beigemischt, es verrührt und getrunken, aber erst, als es zu stinken anfing. Ich bin glücklicher, nicht zu wissen, was es ist.«

Tanis nickte zustimmend und kaute weiter. Raistlin las nun in seinem Zauberbuch, murmelte immer wieder Worte, bis er sie auswendig wußte. Tanis fragte sich, über was für einen Zauber gegen Drachen Raistlin verfügte. Er erinnerte sich nur noch vage an Drachenlegenden – von denen er vor langer Zeit vom Elfenbarden Quivalen Soth erfahren hatte —, daß nur der Zauber sehr großer Magier eine Chance besaß, Drachen zu beeinflussen. Denn sie arbeiteten mit ihrer eigenen Magie, was alle bezeugen konnten.

Tanis blickte auf den zerbrechlichen jungen Mann, der in sein Zauberbuch vertieft war, und schüttelte den Kopf. Raistlin ist für sein Alter wohl mächtig und sicherlich verschlagen und klug. Aber Drachen waren uralt. Sie waren auf Krynn noch vor den ersten Elfen, der ältesten aller Rassen, dagewesen. Falls ihr Plan funktionierte, den sie in der vorigen Nacht ausgearbeitet hatten, würden sie vielleicht gar nicht auf den Drachen treffen. Sie hofften, die Höhle zu finden und einfach mit den Scheiben zu entkommen. Es war ein guter Plan, dachte Tanis, und höchstwahrscheinlich genausoviel wert wie Rauch im Wind. Verzweiflung begann sich wie naßkalter Nebel einzuschleichen.

»Nun, ich bin gerüstet«, verkündete Caramon fröhlich. Der Krieger fühlte sich in seiner Rüstung bedeutend wohler. Und der Drache schien zum kleinen Ärgernis geworden zu sein. Er summte ein altes Schlachtlied, als er seine schlammverdreckten Kleidungsstücke in den Rucksack stopfte. Sturm, der seine Rüstung sorgfältig angelegt hatte, saß abseits von den Gefährten, hatte die Augen geschlossen und führte ein geheimes Ritual durch, mit dem sich Ritter geistig auf eine Schlacht vorbereiten. Tanis erhob sich, steif und kalt, und bewegte sich, um seinen Kreislauf anzuregen und die schmerzenden Muskeln zu lockern. Elfen taten nichts vor einer Schlacht, außer daß sie innerlich um Vergebung für das Töten baten.

»Wir sind auch bereit«, sagte Goldmond. Sie war in eine schwere graue Tunika aus weichem Leder gekleidet. Ihr langes silbergoldenes Haar hatte sie um ihren Kopf geflochten - eine Vorsichtsmaßnahme, damit der Feind sie nicht bei den Haaren packen konnte.

»Dann laßt es uns hinter uns bringen.« Tanis seufzte, als er den Langbogen und den Köcher aufhob. Außerdem war er mit einem Dolch und seinem Langschwert bewaffnet. Sturm trug sein zweihändiges Schwert. Caramon hatte seinen Schild, ein Langschwert und zwei Dolche. Flint hatte seine verlorengegangene Schlachtaxt mit einer aus dem Drakonierlager eingetauscht. Tolpan hatte seinen Hupak und einen kleinen Dolch, den er gefunden hatte. Er war sehr stolz auf ihn und tief verletzt, als Caramon ihm erklärte, er wäre sicher nützlich, sollten sie unterwegs auf Hasen stoßen. Flußwind trug sein Langschwert und immer noch Tanis' Dolch. Goldmond hatte als Waffe nur den Stab. Wir sind gut bewaffnet, dachte Tanis düster.

Die Gefährten verließen Mishakals Kammer, Goldmond ging als letzte. Sie berührte im Vorbeigehen sacht die Statue der Göttin mit ihrer Hand und flüsterte ein leises Gebet. Tolpan führte fröhlich springend die Gruppe an, sein Zopf hüpfte auf und ab. Er würde einen echten, lebendigen Drachen sehen! Der Kender konnte sich nichts Aufregenderes vorstellen. Auf Caramons Anweisung gingen sie Richtung Osten, passierten zwei weitere goldene Doppeltüren und betraten einen riesigen, kreisförmigen Raum. Eine hohe, mit Schlamm überwucherte Säule stand in der Mitte – sie war so hoch, daß nicht einmal Flußwind erkennen konnte, ob und was oben auf ihrer Spitze war. Tolpan starrte sehnsüchtig nach oben.

»Gestern abend habe ich versucht hochzuklettern«, sagte er. »Aber es war zu glitschig. Ich frage mich, was da oben wohl ist.«

»Nun, was auch immer es ist, es wird für immer außer Reichweite von Kendern sein«, schnappte Tanis ärgerlich. Er ging zur Treppe, die sich nach unten in die Dunkelheit schlängelte. Die Stufen waren zerfallen und mit fauligen Pflanzen und Pilzen bewachsen.

»Der Pfad der Toten«, sagte Raistlin plötzlich.

»Was?« Tanis fuhr zusammen.

»Der Pfad der Toten«, wiederholte der Magier. »So wird diese Treppe genannt.«

»Woher bei Reorx weißt du das?« knurrte Flint.

»Ich habe einiges über diese Stadt gelesen«, erwiderte Raistlin flüsternd.

»Gut, daß wir endlich davon erfahren«, sagte Sturm eisig. »Was weißt du denn noch, was du uns noch nicht erzählt hast?«

»Viele Dinge, Ritter«, entgegnete Raistlin mit finsterem Blick. »Während du und mein Bruder mit Holzschwertern gespielt habt, verbrachte ich meine Zeit mit Lernen.«

»Ja, das Lernen über Dinge, die dunkel und geheimnisvoll sind«, spottete der Ritter. »Was ist wirklich mit dir in den Türmen der Erzmagier geschehen, Raistlin? Du hast doch diese wunderbaren Kräfte nicht gewonnen, ohne nicht auch etwas dafür herzugeben. Was hast du in diesem Turm geopfert? Deine Gesundheit - oder deine Seele?«

»Ich war mit meinem Bruder im Turm«, sagte Caramon. Das normalerweise fröhliche Gesicht des Kämpfers wirkte nun verhärmt. »Ich sah ihn gegen mächtige Magier und Zauberer mit nur wenigen Zaubersprüchen kämpfen. Er hat sie besiegt, obwohl sie seinen Körper zerstörten. Ich trug ihn sterbend von diesem schrecklichen Ort. Und ich...« Der große Mann zögerte. Raistlin trat schnell vor und legte seine kalte dünne Hand auf den Arm seines Zwillingsbruders. •»Sei vorsichtig mit dem, was du sagst«, zischte er.

Caramon holte Luft und schluckte. »Ich weiß, was er geopfert hat«, sagte der Kämpfer mit heiserer Stimme. Dann hob er stolz den Kopf. »Uns wurde verboten, darüber zu sprechen. Aber du kennst mich seit vielen Jahren, Sturm Feuerklinge, und ich gebe dir mein Ehrenwort - du kannst meinem Bruder vertrauen, so wie du mir vertraust. Falls je eine Zeit kommen sollte, wo das nicht mehr gilt, wird mein Tod – und seiner – nicht weit entfernt sein.«

Raistlins Augen wurden bei diesem Schwur zu schmalen Schlitzen. Er bedachte seinen Bruder mit einem nachdenklichen, düsteren Blick. Dann sah Tanis die Lippen des Magiers sich kräuseln, die ernsthafte Miene wurde durch seinen üblichen Zynismus weggewischt. Es war eine erschreckende Veränderung. Einen Augenblick lang war die Ähnlichkeit der Zwillinge so deutlich gewesen. Jetzt waren sie wieder so verschieden wie Tag und Nacht.

Sturm trat nach vorn, nahm Caramons Hand und hielt sie wortlos fest. Dann wandte er sich zu Raistlin, unfähig, ihn ohne offensichtlichen Abscheu anzusehen. »Ich entschuldige mich, Raistlin«, sagte der Ritter steif. »Du solltest dankbar sein, solch einen loyalen Bruder zu haben.«

»Oh, das bin ich«, wisperte Raistlin.

Tanis blickte den Magier scharf an und fragte sich, ob er sich den Sarkasmus in der zischenden Stimme des Magiers nur eingebildet hatte. Der Halb-Elf befeuchtete seine trockenen Lippen, er hatte plötzlich einen bitteren Geschmack im Mund. »Kannst du uns führen?« fragte er abrupt.

»Das hätte ich tun können«, antwortete Raistlin, »wenn wir vor der Umwälzung hergekommen wären. Die Bücher, die ich studiert habe, sind einige hundert Jahre alt. Während der Umwälzung, als das glühende Gebirge Krynn spaltete, stürzte die Stadt Xak Tsaroth über den Rand einer Klippe. Ich erkenne diese Treppe nur wieder, weil sie noch unversehrt ist. Darüber hinaus...« Er zuckte die Schultern.

»Wohin führen die Stufen?«

»Zu einem Platz, der als die Ahnenhalle bekannt ist. Priester und Könige von Xak Tsaroth wurden dort in Grabkammern bestattet.« »Laßt uns weitergehen«, sagte Caramon barsch. »Wir machen uns doch hier nur selber angst.«

»Ja«, nickte Raistlin. »Wir müssen gehen, und zwar schnell. Wir haben nur bis Anbrach der Nacht Zeit. Morgen wird diese Stadt von der aus dem Norden kommenden Armee überrannt werden.«

»Pah!« Sturm ranzelte die Stirn. »Du magst viele Dinge wissen, wie du behauptest, Magier, aber das kannst du nicht wissen! Doch - Caramon hat recht - wir haben uns hier schon zu lange aufgehalten. Ich werde die Führung übernehmen.« Er begann die Stufen hinabzusteigen, bewegte sich vorsichtig, um nicht auf der glitschigen Oberfläche auszurutschen. Tanis sah Raistlins Augen - schmale Schlitze der Feindschaft -Sturm folgen.

»Raistlin, geh mit ihm und beleuchte den Weg«, befahl Tanis und ignorierte den wütenden Blick, den Sturm ihm zuwarf. »Caramon, du gehst mit Goldmond. Flußwind und ich bilden die Nachhut.«

»Und wo bleiben wir?« murrte Flint zum Kender, als sie hinter Goldmond und Caramon folgten. »In der Mitte, wie immer. Einfach nur unnützes Gepäck...«

»Dort oben könnte irgend etwas sein«, sagte Tolpan und blickte zur Säule zurück. Offensichtlich hatte er kein Wort der Unterhaltung mitbekommen. »Eine Kristallkugel oder ein magischer Ring, wie ich ihn einst besaß«, brummte Flint. »Habe ich dir jemals von meinem magischen Ring erzählt?« Tanis hörte die beiden plappern, als sie nach unten verschwanden. Der Halb-Elf wandte sich zu Flußwind. »Du warst hier - du mußt hier gewesen sein. Wir haben die Göttin gesehen, die dir den Stab gab. Bist du auch hier unten gewesen?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Flußwind müde. »Ich erinnere mich an nichts mehr. Nichts - außer an den Drachen.«

Tanis schwieg. Der Drache. Alles führte zum Drachen. Die Kreatur lauerte in den Gedanken aller. Und wie schwach diese kleine Gruppe schien gegen ein Ungeheuer, das aus Krynns dunkelsten Legenden entsprungen war. Warum wir? dachte Tanis bitter. Hatte es jemals eine unmöglichere Gruppe von Helden – zankend, murrend, streitend – gegeben, von der die eine Hälfte der anderen Hälfte nicht über den Weg traute. Tanis erinnerte sich an Raistlins Worte: »Wer wählte uns aus - und warum!« Der Halb-Elf begann inzwischen, sich dieselbe Frage zu stellen.

Schweigend stiegen sie die steile Treppe hinunter, die sich immer tiefer in den Berg wand. Anfangs war es sehr dunkel. Dann wurde der Weg heller, bis Raistlin das Licht an seinem Stab löschen konnte. Irgendwann hob Sturm seine Hand und brachte die anderen zum Halten. Vor ihnen erstreckte sich ein kurzer Flur. Er führte zu einer großen, geschwungenen Türöffnung, die einen weiten offenen Bereich freigab. Ein blasses graues Licht und der Geruch von Moder und Verfall erfüllten den Korridor.

Die Gefährten blieben stehen und lauschten aufmerksam. Ein Geräusch strömenden Wassers schien von der Tür her zu kommen und übertönte fast alles. Trotzdem meinte Tanis, noch etwas anderes gehört zu haben – ein deutliches Knacken – und eher gespürt als gehört hatte er ein Pochen und Klopfen vom Boden her. Dann, noch verwirrender, drang ein metallisches, kratzendes Geräusch zu ihnen durch, gelegentlich unterbrochen von einem schrillen Kreischen. Tanis blickte Tolpan fragend an.

Der Kender hob die Schultern. »Keine Ahnung«, sagte er und lauschte angestrengt weiter. »So etwas habe ich noch nie gehört, Tanis, außer einmal...« Er hielt inne und schüttelte dann den Kopf. »Möchtest du, daß ich nachsehe?« fragte er eifrig. »Geh.«

Tolpan schlich, von Schatten zu Schatten huschend, den schmalen Gang entlang. Eine Maus, die über einen dicken Teppich flitzt, macht mehr Geräusche als ein Kender, der nicht auffallen will. Er erreichte die Tür und spähte hindurch. Vor ihm erstreckte sich ein Raum, der einst eine riesige Zeremonienhalle gewesen sein mußte. Die Ahnenhalle, wie Raistlin sie genannt hatte. Jetzt war es eine Halle des Verfalls. Nach Osten hin war ein Teil des Bodens aufgebrochen, und aus dem Loch stieg fauliger weißer Dunst empor. Tolpan bemerkte weitere riesige Löcher im Boden und gewaltige Steinblöcke, die sich wie Grabsteine aufrichteten. Vorsichtig den Boden unter sich absuchend, trat der Kender in die Halle. Durch den Dunst konnte er einen dunklen Eingang an der südlichen Wand erkennen – und einen weiteren an der Nordwand. Das seltsame Kreischen kam von der Südseite. Tolpan wandte sich dorthin.

Plötzlich hörte er wieder das pochende und klopfende Geräusch im Norden hinter sich, und er spürte, wie der Boden bebte. Der Kender flitzte eilig zur Treppe zurück. Seine Freunde hatten auch das Geräusch gehört und sich mit gezogenen Waffen an der Wand aufgereiht. Das Pochen wurde zu einem lauten Zischen. Dann eilten zehn oder fünfzehn vierschrötige schattenhafte Gestalten durch den gewölbten Türeingang. Der Boden erzitterte. Sie hörten schweres Atmen und gelegentlich ein gemurmeltes Wort. Dann verschwanden die Figuren im Nebel in südlicher Richtung. Ein weiteres deutliches Knacken war zu hören, dann kehrte Stille ein.

»Was im Namen des Abgrundes war das?« rief Caramon aus. »Das waren keine Drakonier, falls sie nicht eine kurze, dickleibige Züchtung entwickelt haben. Und woher sind sie gekommen?« »Sie sind vom nördlichen Ende der Halle gekommen«, sagte Tolpan. »Dort ist ein Türeingang, und ein anderer ist am südlichen Ende. Das schaurige kreischende Geräusch kommt von Süden, wo diese Dinger hingegangen sind.«

»Was ist im Osten?« fragte Tanis.

»Dem Geräusch des Wassers nach zu urteilen, ein Wasserfall aus ungefähr dreihundert Metern Höhe«, erwiderte der Kender. »Der Boden ist eingestürzt. Ich würde diesen Weg nicht empfehlen.«

. Flint schnüffelte. »Ich rieche etwas... etwas Vertrautes. Kann aber nicht sagen, was es ist.«

»Ich rieche Tod«, sagte Goldmond schaudernd.

»Nein, noch etwas Schlimmeres«, murrte Flint. Dann riß er seine Augen auf, und sein Gesicht lief vor Wut rot an. »Ich hab's!« brüllte er. »Gossenzwerge!« Er holte seine Axt hervor. »Das waren diese kleinen, elenden Dinger. Nun, sie werden nicht mehr lange Gossenzwerge sein. Stinkende Leichname werden sie sein!«

Er stürzte vor. Tanis, Sturm und Caramon sprangen ihm nach, gerade als er das Ende des Korridors erreichte, und zogen ihn zurück.

»Beruhig dich!« wies Tanis den spuckenden Zwerg zurecht. »Nun, wie sicher bist du dir, daß es Gossenzwerge sind?« Der Zwerg schüttelte sich zornig aus Caramons Griff frei. »Todsicher!« begann er zu brüllen, dann verfiel er in ein lautes Wispern. »Haben sie mich denn nicht drei Jahre lang gefangengehalten?« »Haben sie?« fragte Tanis bestürzt.

»Darum habe ich dir nie erzählt, wo ich in den fünf Jahren gewesen bin«, sagte der Zwerg und errötete verlegen. Sein Gesicht verdunkelte sich. »Aber ich habe Rache geschworen. Ich werde jeden lebenden Gossenzwerg töten, der mir über den Weg läuft.«

»Warte einen Moment«, unterbrach Sturm. »Gossenzwerge sind nicht bösartig – auf keinen Fall so wie die Goblins. Was könnten sie hier bei den Drakoniern machen?«

»Sklaven«, antwortete Raistlin kühl. »Zweifellos leben die Gossenzwerge seit vielen Jahren hier, wahrscheinlich seitdem die Stadt aufgegeben wurde. Als die Drakonier hierhin geschickt wurden, vielleicht um die Scheiben zu bewachen, fanden sie die Gossenzwerge und benutzten sie für Sklavendienste.« »Sie könnten uns helfen«, murmelte Tanis.

»Gossenzwerge!« explodierte Flint. »Du würdest diesen dreckigen kleinen Biestern trauen...«

»Nein«, sagte Tanis. »Natürlich können wir ihnen nicht trauen. Aber fast jeder Sklave ist bereit, seinen Herrn zu betrügen, und Gossenzwerge – wie die meisten Zwerge – empfinden wenig Loyalität gegenüber Fremden. Solange wir sie nicht um etwas bitten, was ihre eigene dreckige Haut gefährden würde, könnten wir ihre Hilfe kaufen.«

Flint schleuderte seine Axt zu Boden, riß seinen Rucksack auf und rutschte mit verschränkten Armen an der Wand hinunter. »Geht schon. Bittet eure neuen Freunde um Hilfe. Ich werde nicht mit euch gehen! Sie werden euch helfen, nun gut. In die Schnauze des Drachen werden sie euch helfen!«

Tanis und Sturm tauschten besorgte Blicke aus, beide dachten an den Vorfall mit dem Boot. Flint konnte unglaublich dickköpfig sein, und Tanis zweifelte, ob der Zwerg dieses Mal umzustimmen war. »Ich weiß nicht.« Caramon seufzte und schüttelte den Kopf. »Es wäre zu schade, wenn Flint zurückbleibt. Falls wir die Gossenzwerge bewegen, uns zu helfen, wer wird dann den Abschaum bei der Stange halten?« Überrascht über Caramons Raffinesse lächelte Tanis und spann den Faden weiter. »Sturm, nehme ich an.«

»Sturm!« Der Zwerg sprang auf die Füße. »Ein Ritter, der niemals einem Feind einen Dolchstoß in den Rücken verpassen würde? Ihr braucht jemanden, der diese stinkigen Kreaturen kennt...«

»Du hast recht, Flint«, sagte Tanis todernst. »Ich vermute, du mußt mit uns kommen.«

»Und ob«, brummte Flint. Er packte seine Sachen zusammen und stapfte den Korridor entlang. Dann drehte er sich um: »Kommt ihr endlich?«

Mit verstohlenem Lächeln folgten die Gefährten dem Zwerg in die Ahnenhalle. Sie hielten sich dicht an der Wand und vermieden den tückischen Boden. Sie gingen in die Richtung, die die Gossenzwerge genommen hatten, und betraten einen schwachbeleuchteten Durchgang, der sich nur einige hundert Meter nach Süden erstreckte und dann scharf nach Osten abbog. Wieder hörten sie knackende Geräusche. Das metallische Kreischen hatte aufgehört. Plötzlich waren Schritte hinter ihnen. »Gossenzwerge!« knurrte Flint.

»Zurück!« befahl Tanis. »Seid bereit, sie anzugreifen. Sie dürfen nicht dazu kommen, Alarm zu schlagen!«

Alle drückten sich mit gezückter Waffe an die Wand. Flint hielt mit erwartungsvollem Blick seine Streitaxt. Sie starrten zurück in die riesige Halle. Eine weitere Gruppe kleiner, dickleibiger Gestalten lief auf sie zu. Plötzlich sah der Führer der Gossenzwerge auf und erblickte sie. Caramon sprang auf die kleinen rennenden Gestalten zu und hob befehlend seinen riesigen Arm. »Halt!« sagte er. Die Gossenzwerge sahen zu ihm hoch, schwärmten um ihn herum und verschwanden um die Ecke in östlicher Richtung.

Caramon drehte sich um und sah ihnen erstaunt nach.

»Halt..«, sagte er halbherzig.

Ein Gossenzwerg kam zurückgehuscht und legte einen schmutzigen Finger auf seine Lippen. »Shhhh!« Dann verschwand die dicke Gestalt. Die knackenden und kreischenden Geräusche hoben wieder an.

»Was glaubt ihr, was da vor sich geht?« fragte Tanis leise. »Sehen sie alle so aus?« fragte Goldmond mit aufgerissenen Augen. »Sie sind so dreckig und zerlumpt, und überall auf ihren Körpern sind Wunden.«

»Und sie haben den Verstand eines Türgriffs«, brummte Flint. Die Gefährten schlichen vorsichtig um die Ecke. Ein langer schmaler Korridor erstreckte sich nach Osten, beleuchtet von Fackeln, die in der stickigen Luft flackerten und rauchten. Hinter den gewölbten Türeingängen stand nur Schwärze. »Die Grabkammern«, flüsterte Raistlin.

Tanis erschauderte. Von der Decke tröpfelte Wasser herab. Das metallische Kreischen wurde immer lauter und kam immer näher. Goldmond berührte den Halb-Elf am Arm und zeigte in eine Richtung. Tanis sah am fernen Ende des Korridors einen Türeingang. Hinter dem Eingang war ein weiterer Durchgang, und der war voller Gossenzwerge.

»Ich frage mich, warum diese kleinen Burschen in einer Reihe stehen«, sagte Caramon.

»Das werden wir gleich herausfinden«, sagte Tanis. Er wollte gerade aufbrechen, als er die Hand des Magiers an seinem Arm spürte.

»Überlaß das mir«, flüsterte Raistlin.

»Wir sollten lieber mitkommen«, bemerkte Sturm, »um dich zu decken, natürlich.«

»Natürlich«, erwiderte Raistlin verächtlich. »Na schön, aber stört mich nicht.«

Tanis nickte. »Flint, du und Flußwind, ihr bewacht dieses Ende des Korridors.« Flint öffnete den Mund, um zu protestieren, fluchte dann nur und stellte sich dem Barbaren gegenüber auf. »Bleibt aber hinter mir«, befahl Raistlin und schritt den Korridor entlang; sein rotes Gewand raschelte um seine Knöchel, der Stab des Magus klopfte bei jedem Schritt sacht auf den Boden. Tanis und Sturm folgten und hielten sich an den tröpfelnden Wänden. Kalte und stickige Luft strömte aus den Grabkammern. Tanis spähte in eine hinein und sah den dunklen Umriß eines Steinsargs im Fackelschein. Der Sarg war kunstvoll beschnitzt und goldverziert. Aber das Gold glänzte nicht mehr. Einige der Grabstätten schienen aufgebrochen und geplündert worden zu sein. Tanis sah kurz einen Schädel, der aus dem Dunkeln heraus grinste. Er fragte sich, ob die seit langer Zeit Toten Rache planten, da ihre Ruhe gestört worden war. Tanis zwang sich, sich wieder auf die Wirklichkeit zu konzentrieren, die trostlos genug war.

Raistlin blieb stehen, als er sich dem Ende des Korridors genähert hatte. Die Gossenzwerge beobachteten ihn neugierig und ignorierten die anderen hinter ihm. Der Magier sagte nichts. Er griff nach einem Beutel unter seinem Gürtel und zog einige Goldmünzen hervor. Die Augen der Gossenzwerge leuchteten auf. Ein paar von ihnen traten näher auf Raistlin zu, um besser sehen zu können. Der Magier hielt eine Münze hoch, so daß alle sie sehen konnten. Dann warf er sie hoch in die Luft und... sie verschwand!

Die Gossenzwerge keuchten. Raistlin öffnete seine Hand mit einigen schwungvollen Gebärden, um die Münze zu enthüllen. Vereinzelt gab es Applaus. Mit offenen Mündern schlichen die Gossenzwerge heran.

Gossenzwerge - oder Aghar, wie ihre Rasse auch hieß - waren wahrhaftig ein erbärmlicher Haufen. Als niedrigste Kaste in der Zwergengeseilschaft waren sie überall auf Krynn zu finden, lebten an schmutzigen und verkommenen Plätzen, die von den meisten anderen Lebewesen, einschließlich Tieren, verlassen worden waren. Wie alle Zwerge lebten sie in Sippen, und häufig lebten mehrere Sippen zusammen und folgten ihrem großen Anführer oder einem besonders mächtigen Sippenführer. In Xak Tsaroth gab es drei Sippen - die Slude, die Bulpe und die Glupe. Mitglieder aller drei Sippen umringten nun Raistlin. Man sah, daß es Männer und Frauen waren, obgleich es nicht leicht war, die Geschlechter zu unterscheiden. Die Frauen hatten keine Barte am Kinn, sondern an den Wangen. Sie trugen zerfetzte Hemden, die in der Taille geschnürt wurden und bis zu den knochigen Knien gingen. Ansonsten waren sie genauso häßlich wie die männlichen Vertreter ihrer Rasse. Doch trotz ihres erbärmlichen Aussehens führten die Gossenzwerge im allgemeinen ein fröhliches Leben.

Raistlin ließ die Münze mit einer erstaunlichen Geschicklichkeit über seine Fingerknöchel tanzen. Dann ließ er sie verschwinden und im Ohr eines verblüfften Gossenzwerges wieder auftauchen, der den Magier bewundernd anstarrte. Dieser letzte Trick führte zu einer kurzen Unterbrechung seiner Darbietung, als Freunde des Aghars intensiv in dessen Ohr peilten, einer von ihnen steckte sogar seinen Finger hinein, um zu sehen, ob noch mehr Münzen herauskommen würden. Das tiefe Interesse schwand jedoch sofort, als Raistlin in einen anderen Beutel griff und eine kleine Pergamentrolle hervorholte. Er breitete sie mit seinen langen dünnen Fingern aus und begann einen Text leise singend vorzutragen. »Suh gangus moipar, äst äkular kalipar.« Die Gossenzwerge beobachteten ihn voller Faszination.

Als der Magier mit seinem Singsang fertig war, begannen die spinnenartig aussehenden Worte auf der Rolle zu brennen. Sie flackerten auf, verschwanden dann und ließen einen grünen Rauch zurück.

»Was war das denn gerade?« fragte Sturm argwöhnisch. »Sie sind jetzt verzaubert«, erwiderte Raistlin. »Ich habe einen Freundschaftszauber über sie geworfen.«

Die Gossenzwerge standen nun unter seinem Bann, und wie Tanis bemerkte, hatte sich ihr Interesse in offene Zuneigung für den Magier verwandelt. Sie streckten ihre schmutzigen Hände aus und streichelten ihn und plapperten in ihrer formlosen Sprache auf ihn ein. Sturm sah beunruhigt zu Tanis. Tanis wußte, was der Ritter dachte: Raistlin konnte jederzeit diesen Zauber auch auf sie werfen.

Tanis hörte Schritte und sah sich schnell zu der Stelle um, wo Flußwind und Flint Wache hielten. Der Barbar zeigte auf die Gossenzwerge, hielt seine Hände hoch und spreizte die Finger: Zehn weitere Zwerge waren im Anmarsch. Bald waren die neuen Aghar in Sichtweite und gingen an Flußwind mit einem flüchtigen Blick vorbei. Sie hielten erst an, als sie die Unruhe um den Magier sahen.

»Was los?« fragte einer und starrte zu Raistlin hoch. Die verzauberten Gossenzwerge waren um den Magier versammelt, zogen an seinem Gewand und schoben ihn in die Halle. »Freund. Das unser Freund«, plapperten sie aufgeregt in einer primitiven Form der Umgangssprache.

»Ja«, sagte Raistlin mit sanfter, weicher Stimme, die so einnehmend war, daß Tanis einen Moment verblüfft war. »Ihr seid alle meine Freunde«, fuhr der Magier fort. »Und jetzt erzählt mir, meine Freunde – wohin führt dieser Korridor?« Raistlin zeigte nach Osten. Sofort hob ein Geplapper an.

»Korridor führt diesen Weg«, sagte einer und zeigte in östlicher Richtung. »Nein, er führt diesen Weg!« sagte ein anderer und deutete zum Westen.

Eine Rauferei brach aus, die Gossenzwerge schubsten und schoben sich hin und her. Bald flogen die Fäuste, und ein Gossenzwerg warf einen anderen zu Boden und trat ihn und gellte aus vollem Hals: »Der Weg! Der Weg!«

Sturm wandte sich zu Tanis. »Das ist lächerlich! Sie alarmieren nur die Drakonier! Ich weiß nicht, was dieser verrückte Magier angestellt hat, aber du mußt ihn aufhalten.«

Bevor sich Tanis jedoch einmischen konnte, hatte ein weiblicher Gossenzwerg die Angelegenheit in ihre Hände genommen. Sie warf sich in das Durcheinander, ergriff die beiden Kämpfer, schlug ihre Köpfe zusammen und ließ sie auf den Boden fallen. Die anderen, die die beiden angefeuert hatten, verstummten unverzüglich, und die Frau wendete sich zu Raistlin um. Sie hatte eine dicke Knollennase, und ihre Haare standen wild ab. Sie trug ein zerlumptes Flickenkleid, dicke Schuhe und Strümpfe, die an den Knöcheln zerrissen waren. Aber sie schien ein Anführer der Gossenzwerge zu sein, denn alle betrachteten sie mit Respekt. Der Grund dafür konnte auch in dem riesigen schweren Sack liegen, der über ihre Schulter hing. Der Sack schien für sie von ungeheurer Wichtigkeit zu sein. Wenn einer der Gossenzwerge versuchte, ihn zu berühren, wirbelte sie herum und schlug ihn ins Gesicht.

»Korridor führt zu große Herren«, sagte sie und nickte in die östliche Richtung.

»Danke, meine Gute«, sagte Raistlin und berührte ihre Wange. Er sprach einige Worte: »Tan-tago, musalah.«

Die Gossenzwergin sah fasziniert zu ihm auf. Dann seufzte sie bewundernd auf.

»Erzähl mir, Kleine«, sagte Raistlin. »Wie viele Herren?« Die Gossenzwergin runzelte die Stirn und hob dann eine schmuddelige Hand. »Einer«, sagte sie und hielt einen Finger hoch. »Und einer, und einer, und einer.« Triumphierend sah sie Raistlin mit vier erhobenen Fingern an und sagte: »Zwei.« »Ich fange an, mit Flint einer Meinung zu sein«, knurrte Sturm. »Pssst«, machte Tanis. Gerade in dem Moment hörte das kreischende Geräusch auf. Die Gossenzwerge blickten unruhig in den Korridor, als in der Stille wieder das rauhe knackende Geräusch zu hören war.

»Was ist das für ein Lärm?« fragte Raistlin seine verzauberte Bewunderin.

»Peitsche«, antwortete sie gleichgültig. Sie griff mit ihrer schmutzigen Hand nach Raistlins Gewand und zog ihn zum östlichen Ende des Korridors. »Herren sind sauer. Wir gehen.« »Was macht ihr für die Herren?« fragte Raistlin und hielt sie zurück.

»Wir gehen. Du siehst.« Die Gossenzwergin zog wieder an ihm. »Wir unten. Sie oben. Unten. Oben. Unten. Oben. Komm. Du gehst. Wir gehen unten.«

Raistlin wurde von den Aghar fast fortgetragen, sah zu Tanis zurück und gab ihm Zeichen. Tanis signalisierte Flußwind und Flint, und alle folgten den Gossenzwergen. Jene, die Raistlin verzaubert hatte, blieben dicht bei ihm, während die anderen vorliefen, als die Peitsche wieder knallte. Das kreischende Geräusch fing wieder an und wurde immer lauter. Die Gossenzwergin strahlte bei dem Geräusch. Sie und die anderen hielten an. Einige von ihnen lümmelten sich an die schleimigen Wände, andere ließen sich wie Säcke auf den Boden fallen. Die Frau blieb neben Raistlin stehen und hielt den Saum seines Ärmels in ihrer kleinen Hand. »Was ist das?« fragte er. »Warum haben wir angehalten?«

»Wir warten. Noch nicht an der Reihe«, informierte sie ihn. »Was werden wir machen, wenn wir an der Reihe sind?« fragte er geduldig.

»Unten gehen«, antwortete sie und himmelte ihn bewundernd an.

Raistlin sah zu Tanis und schüttelte den Kopf. Der Magier entschied, einen neuen Versuch zu starten.

»Wie heißt du, Kleine?« fragte er.

»Bupu.«

Caramon schnaufte verächtlich und hielt sich schnell eine Hand vor den Mund.

»Nun, Bupu«, sagte Raistlin schmeichelnd, »weißt du, wo die Höhle des Drachen ist?«

»Drache?« wiederholte Bupu erstaunt. »Du willst Drache?« »Nein«, sagte Raistlin hastig, »wir wollen nicht den Drachen nur die Höhle, wo der Drache lebt.« »Oh, weiß nicht.« Bupu schüttelte den Kopf. Dann klatschte sie in die Hände, als sie die Enttäuschung in Raistlins Gesicht sah. »Aber ich dich nehmen zum Großbulp, dem Großen. Er alles wissen.«

Raistlin zog die Augenbrauen hoch. »Und wie kommen wir zum Großbulp?«

»Unten!« sagte sie und grinste glücklich. Der kreischende Lärm hatte aufgehört. Man hörte das Aufschlagen der Peitsche. »Unsere Reihe jetzt nach unten gehen. Du kommst. Du kommst jetzt. Großbulp sehen.«

»Nur einen Moment.« Raistlin befreite sich aus ihrem Griff. »Ich muß mit meinen Freunden sprechen.« Er ging zu Tanis und Sturm. »Dieser Großbulp ist wahrscheinlich der Anführer der Sippe, vielleicht Anführer mehrerer Sippen.«

»Wenn er so intelligent ist wie dieses Pack, wird er nicht einmal wissen, wo seine Waschschüssel ist, geschweige denn der Drache«, knurrte Sturm.

»Er wird es wahrscheinlich wissen«, ließ sich Flint widerwillig hören. »Sie sind zwar nicht klug, aber sie erinnern sich an alles, was sie gesehen oder gehört haben, wenn man sie nur dahinbringt, daß sie es in Worten ausdrücken, die länger sind als eine Silbe.«

»Dann sollten wir lieber diesen großen Großbulp aufsuchen«, meinte Tanis kläglich. »Wenn wir uns nur wenigstens vorstellen könnten, was diese Auf-und-ab-Geschichte bedeutete und dieses quietschende Geräusch...« »Ich weiß es!« ertönte eine Stimme.

Tanis sah sich um. Er hatte Tolpan völlig vergessen. Der Kender kam aus einer Ecke gerannt, sein Zopf tanzte, und seine Augen leuchteten glücklich. »Es ist ein Aufzug, Tanis«, sagte er. »Wie in den Minen der Zwerge. Ich war einmal in einer Mine. Es war das Größte. Sie hatten einen Aufzug, der die Steine von unten nach oben zog. Und dies hier ist genauso. Nun, fast genauso. Siehst du...« Er fing plötzlich zu kichern an und konnte nicht mehr sprechen. Die anderen starrten ihn an, und der Kender unternahm einen angestrengten Versuch, sich wieder in Kontrolle zu kriegen.

»Sie verwenden einen gigantischen Schweinefettopf! Die Gossenzwerge, die sich in einer Reihe aufgestellt haben, rennen hervor, wenn einer dieser Drakodinger seine große Peitsche schwingt. Dann springen alle in den Topf, der mit einer Kette und einem Zahnrad verbunden ist, das in die Kettenglieder paßt - das ist das Quietschen! Das Rad dreht sich, und sie fahren nach unten, und ganz schnell kommt ein anderer Topf hoch...«

»Große Herren. Topf voll mit großen Herren«, sagte Bupu. »Voll mit Drakoniern!« wiederholte Tanis erschreckt. »Kommen nicht her«, sagte Bupu. »Gehen den Weg...« Sie winkte unbestimmt mit einer Hand.

Tanis blieb unruhig. »Das sind also die Herren. Wieviele Drakonier sind denn am Topf?«

»Zwei«, antwortete Bupu und hielt Raistlins Ärmel fest. »Nicht mehr als zwei.«

»In der Tat sind es vier«, sagte Tolpan mit einem entschuldigenden Blick zur Gossenzwergin. »Es sind die kleinen, nicht die großen, die zaubern können.«

»Vier.« Caramon spannte seine riesigen Arme an. »Mit vieren werden wir fertig.«

»Ja, aber wir müssen es so hinkriegen, daß nicht fünfzehn weitere nachkommen«, meinte Tanis.

Wieder knallte die Peitsche.

»Komm!« Bupu zog drängend an Raistlins Ärmel. »Wir gehen. Herren werden böse.«

»Ich denke, dies ist eine gute Zeit, wie jede andere«, sagte Sturm und zuckte die Achseln. »Die Gossenzwerge sollen rennen wie sonst auch. Wir folgen ihnen und überwältigen die Herren in der Verwirrung. Wenn ein Topf oben ist, um mit Gossenzwergen beladen zu werden, dann muß der andere Topf unten sein.«

»Das ist anzunehmen«, sagte Tanis. Er wandte sich den Gossenzwergen zu. »Wenn ihr am Aufzug angelangt seid - ich meine, Topf —, springt nicht hinein. Stellt euch an die Seite und bleibt aus dem Weg. In Ordnung?«

Die Gossenzwerge starrten Tanis mit tiefem Argwohn an. Der Halb-Elf seufzte und sah zu Raistlin. Mit einem leichten Lächeln wiederholte der Magier Tanis' Anweisungen. Sofort begannen die Gossenzwerge zu lächeln und begeistert zu nicken. Die Peitsche knallte wieder, und die Gefährten hörten eine barsche Stimme. »Macht schon, ihr Abschaum, oder wir hacken eure widerlichen Füße ab, dann habt ihr einen Grund, langsam zu sein!«

»Mal sehen, wessen Füße abgehackt werden«, sagte Caramon. »Das lustig werden«, sagte einer der Gossenzwerge feierlich. Die Aghar flitzten den Korridor entlang.

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