»Für mich ...? Nicht ein bißchen«, versetzte der Schauspieler.

»Sie wurden es vielleicht nicht gewahr, Monsieur. Aber ich denke, es verhielt sich so. Hierdurch erklärt sich auch Carlottas Abneigung gegen Lady Edgware. Sie haben Miss Adams von der erlittenen Niederlage erzählt, nicht wahr?«

»Nun . ja . ich mußte mich zu irgend jemandem aussprechen, und sie .«

». war teilnehmend«, ergänzte mein kleiner Freund. »Eh bien, was ereignet sich dann? Ronald Marsh wird verhaftet. Unverzüglich verbessert sich Ihre Stimmung; die Angst schwindet. Obgleich Ihr eigentlicher Plan dadurch fehlschlug, daß Lady Edgware sich in letzter Minute zur Teilnahme an Sir Montagues Gesellschaft entschloß, hat sich doch ein Sündenbock gefunden, der sie von aller Sorge um Ihre eigene Person erlöst. Und dann hören Sie bei einem Lunch Donald Ross, diesen netten, aber ziemlich beschränkten jungen Mann, etwas zu Hastings sagen, aus dem Sie entnehmen, daß Sie keineswegs sicher sind.«

»Es ist nicht wahr!« heulte Martin Bryan auf. Schweißtropfen rannen über sein verzerrtes Gesicht. »Bei meiner Seele schwöre ich Ihnen, daß ich nichts hörte, nichts, nichts, nichts .«

Und nun kam der heftigste Schlag dieses Vormittags.

»Ja, das stimmt«, sagte Poirot ruhig. »Und ich hoffe, Sie sind jetzt hinreichend dafür bestraft worden, daß Sie mir - mir, Hercule Poirot - mit einer Schwindelgeschichte zu kommen wagten, Monsieur.« Wir atmeten alle auf.

»Sie sehen, ich enthülle Ihnen meine sämtlichen Irrtümer«, fuhr mein Freund verträumt fort. »Fünf Fragen hatte ich mir gestellt - Hastings weiß es. Eine betraf Lord Edgwares plötzliche Sinnesänderung wegen der Scheidung. Entweder beabsichtigte er eine neue Ehe einzugehen - aber nichts deutete darauf hin -, oder irgendeine Art von Erpressung gab den Ausschlag. Lord Edgware war ein Mann mit sonderbaren Neigungen. Die Möglichkeit bestand, daß anrüchige Tatsachen über ihn durchgesickert waren, die nach englischem Recht seiner Frau zwar keine Handhabe zur Scheidung boten, jedoch von ihr als Druckmittel benutzt werden konnten. Daß sich an seinen Namen ein offener Skandal heftete, wünschte Lord Edgware aber nicht. Daher gab er nach, obwohl die Wut über diesen Zwang sich in dem mörderischen Ausdruck seines Gesichts, als er sich unbeobachtet wähnte, verriet.

Zwei Fragen aber machten mir unendlich zu schaffen. Sie drehten sich um den Kneifer in Miss Adams' Tasche, der ihr nicht gehörte, und um den telefonischen Anruf, der Lady Edgware von der Tafel weggeholt hatte. Mit keiner von beiden vermochte ich Mr. Bryan in Verbindung zu bringen.

Infolgedessen sah ich mich zu der Folgerung genötigt, daß ich entweder in bezug auf Mr. Bryan oder in bezug auf die beiden Fragen unrecht hatte. In heller Verzweiflung las ich jenen Brief von Miss Adams abermals sorgfältig durch. Und ich fand etwas! Ja, ich fand etwas .!

Hier ist der Brief! Sie sehen, daß diese eine Seite abgerissen ist. Uneben, rauh, wie es oft passiert. Oben an der linken Ecke fehlt sogar ein Stück - scheinbar infolge unachtsamen Abreißens. Aber es ist nicht Unachtsamkeit gewesen, sondern wohlüberlegte Absicht. Denn dort oben, wo das Stückchen fehlt, stand ein Name oder vielleicht der erste Buchstabe eines Namens mit einem Punkt dahinter.

Nach dieser Entdeckung plagte mich mehr als je der Buchstabe D, der in der Golddose eingraviert war. Aber es gab keinen Mitspieler in diesem Drama, dessen Name mit D begann. Vielleicht aber eine Frau .?

Ah, da war Geraldine Marsh, die ihr Vetter in meiner Gegenwart einmal zufällig Dina angeredet hatte. Zudem haßte sie ihren Vater, hatte es mir selbst gesagt. Sie war ein neurotischer, nervöser Menschentyp. Wie nun, wenn sie bei ihrer heimlichen Rückkehr den Vater erstochen und dann hinaufgegangen wäre, um die Perlen zu holen?

Dann war da noch Miss Jenny Driver .«

Mein Freund zögerte und schaute Jenny an. Sie schaute mit spitzbübischem Lächeln zurück.

»Nun, und was ist mit mir?«

»Nichts, Mademoiselle. Nur eben Ihr Name, der mit D beginnt, und Ihre Freundschaft mit Martin Bryan.«

»Das ist nicht gerade viel«, meinte sie lakonisch und zündete sich eine Zigarette an. »Fahren Sie fort!«

»War Mr. Bryans Alibi echt oder nicht? Darüber mußte ich mich entscheiden. Wenn es echt war, wen hatte dann Ronald Marsh ins Haus gehen sehen? Und plötzlich fiel mir etwas ein, nämlich die erstaunliche Ähnlichkeit zwischen Mr. Bryan und dem schönen Butler aus Regent Gate. Ihn hatte Hauptmann Marsh gesehen. Und allgemach entwickelte sich auch hierüber eine Theorie. Ich bin der Meinung, daß er als erster seinen ermordeten Herrn entdeckte. Neben dem Toten lag ein Umschlag, der französische Banknoten im Werte von hundert Pfund enthielt. Er eignete sich die Noten an, schlüpfte aus dem Haus, brachte sie bei einem seiner sauberen Freunde in Sicherheit und kehrte zurück, indem er sich vermittels Lord Edgwares Schlüssel ungesehen Eingang ins Haus verschaffte. Die Entdeckung des Verbrechens überließ er dem Hausmädchen. Gefahr für sich befürchtete er nicht, da er ganz überzeugt war, daß Lady Edgware die Tat verübt habe. Und die Noten befanden sich bereits außerhalb und würden schon gewechselt sein, bevor man ihren Verlust wahrnahm. Als jedoch Lady Edgware ein Alibi nachweisen konnte und Scotland Yard sein Vorleben zu erforschen begann, wurde ihm der Boden unter den Füßen zu heiß, und er verduftete.«

Inspektor Japp gab seine Zustimmung durch ein Nicken kund.

»Nunmehr wende ich mich der Kneiferfrage zu. Gab es Personen, die in irgendwelchen, und sei es noch so lockeren Beziehungen zu dem einen oder anderen Beteiligten standen und einen Kneifer trugen? Ja, da war vor allem Miss Carroll, die Sekretärin des Ermordeten. Sie hielt sich an jenem Abend im Haus auf, sie hatte bereits von dem Wunsch getrieben, Lady Edgware zu belasten - ungenaue Aussagen gemacht, und überdies war sie eine Frau mit Umsicht und Kaltblütigkeit. Einen Beweggrund sah ich zwar nicht; immerhin mochte während der vieljährigen Tätigkeit bei Lord Edgware einer entstanden sein, von dem wir nichts ahnten. Miss Carroll hätte auch den Brief an Lady Edgware unterschlagen können. Und als sie mit Carlotta Adams die Einzelheiten festlegte oder sich mit ihr am Mordabend traf, war der Kneifer vielleicht aus Versehen in Carlottas Handtäschchen geraten.

Aber ein geschickt angestelltes Experiment bewies mir, daß der Kneifer nicht Miss Carroll gehörte. Etwas niedergeschlagen wanderte ich mit Hastings heim, mit dem Versuch beschäftigt, die Dinge in meinem Hirn methodisch zu ordnen. Und dann geschah das Wunder!

Zuerst sprach mein Freund Hastings von Donald Ross und der Tafelrunde der Dreizehn bei Sir Montague Corner und erwähnte, wie Ross zuerst aufgestanden sei. In meine eigenen Grübeleien verstrickt, hörte ich nur mit halbem Ohr hin. Es schoß mir nur flüchtig der Gedanke durch den Kopf, daß das eigentlich, strenggenommen, nicht stimmte. Am Ende des Dinners mochte Donald Ross zuerst aufgestanden sein, doch in Wirklichkeit war Lady Edgware die erste gewesen, da sie sich erhob, um zum Telefon zu gehen. Und wie ich an sie dachte, fiel mir ein gewisses Rätsel ein - ein Rätsel, das meines Erachtens gut mit ihrer etwas kindischen Mentalität in Einklang stand. Ich gab es Hastings auf, der sich nicht dafür begeisterte. Als nächstes überlegte ich mir, wen ich wohl über Mr. Bryans Gefühle für Jane Wilkinson ausfragen könnte. Sie selbst würde mir nicht Rede und Antwort stehen. Und als wir gerade den Fahrdamm kreuzten, äußerte ein Passant einen ganz einfachen Satz.

Er sagte zu seiner Begleiterin, daß irgendwer >Ellis hätte fragen sollenc. Und in derselben Sekunde lag das ganze bisher so Dunkle in blendender Helle vor mir.«

Er sah sich im Kreise um.

»Ja, ja, der Kneifer, der Telefonanruf, die kleine Frau, die in Paris die Dose abholte. Ellis, natürlich, Jane Wilkinsons Kammerfrau. Jetzt ging ich im Geist Schritt für Schritt rückwärts . die Kerzenbeleuchtung . das Dämmerlicht . Mrs. van Düsen ... alles. Ich war wissend geworden!«

30

Abermals sah er uns der Reihe nach an.

»Und jetzt, meine Freunde«, sagte er freundlich, »lassen Sie mich Ihnen die wirklichen Begebnisse jener Nacht erzählen.

Carlotta Adams verläßt um sieben Uhr ihre Wohnung. Von dort begibt sie sich mit einem Taxi zum Piccadilly Palace.«

»Was?« rief ich dazwischen.

»Jawohl, zum Piccadilly Palace, wo sie zu einer früheren Tageszeit als Mrs. van Düsen ein Zimmer genommen hat. Sie trägt ein paar scharfe Augengläser, die, wie wir alle wissen, das Aussehen beträchtlich verändern. Wie ich bereits erwähnte, nimmt sie ein Zimmer, mit dem Bemerken, daß sie mit dem Nachtzug nach Liverpool fährt und ihr Gepäck schon vorausgegangen ist. Um acht Uhr dreißig kommt Lady Edgware, fragt nach ihr und wird hinauf in ihr Zimmer geführt. Dort wechseln sie die Kleider. Mit einer blonden Perücke, einer weißen Tafttoilette und einem Hermelincape verläßt Carlotta Adams - und nicht Jane Wilkinson - das Hotel und fährt nach Chiswick. Ja, ja, es ist vollkommen möglich. Ich bin abends in Sir Montagues Haus gewesen. Die lange Tafel im Speisezimmer wird nur von Kerzen erhellt, die Lampen tragen dämpfende Seidenschirme, niemand dort kennt Jane Wilkinson sehr gut. Und das goldblonde Haar, die bezaubernde Stimme, ihr wohlbekanntes Gebaren - alles ist vorhanden. Oh, es ist ganz leicht. Und wenn doch jemand die Täuschung gewahr geworden wäre - nun, auch dafür hatte man Vorsorge getroffen. Lady Edgware, mit einer dunklen Perücke und dem Kneifer versehen, in Carlottas Kleidung gehüllt, zahlt die Hotelrechnung, läßt ihre Handtasche in ein Taxi tragen und fährt zum Euston Bahnhof. Im Waschraum entledigt sie sich ihrer dunklen Perücke und gibt hernach den Koffer in der Aufbewahrung ab. Bevor sie sich nach Regent Gate begibt, ruft sie in Chiswick an und verlangt Lady Edgware zu sprechen. So war es vereinbart worden. Wenn alles gutgegangen ist, soll Carlotta nur antworten: Ja, Lady Edgware persönlich. Ich brauche wohl nicht hervorzuheben, daß Miss Adams von dem wahren Zweck des Anrufs nicht das mindeste ahnt. Nachdem Jane Wilkinson die vereinbarte Antwort erhalten hat, führt sie ihren Plan weiter durch. Sie fährt nach Regent Gate, fragt nach Lord Edgware, nennt offen ihren Namen und geht unangemeldet in die Bibliothek. Und dort begeht sie ihren ersten Mord. Allerdings weiß sie nicht, daß Miss Carroll von oben Zeuge ihres Erscheinens und ihres Verhandelns mit dem Butler war; Jane Wilkinson ist vielmehr in dem Wahn verfangen, daß lediglich die Aussage des Butlers, der sie nie zuvor im Leben gesehen hat und gegen dessen Blick sie überdies der schräg sitzende Hut schützt, der Aussage von zwölf wohlbekannten hochgeachteten Leuten gegenüberstehen wird.

Sie verläßt das Haus, kehrt nach Euston zurück, verwandelt sich von einer blonden Frau wieder in eine dunkle und holt ihren Koffer. Jetzt muß sie ausharren, bis Carlotta, mit der sie eine ungefähre Stunde ausgemacht hat, von Chiswick kommt. Deshalb wartet sie in Lyons Corner House; wobei sie öfter auf die Uhr schaut, denn die Zeit verrinnt langsam. Gleichzeitig aber bereitet sie den zweiten Mord vor. Sie legt die kleine, in Paris bestellte Golddose in Carlottas Handtäschchen, das natürlich bei ihr geblieben ist. Vielleicht findet sie bei dieser Gelegenheit den Brief, vielleicht hat sie ihn auch schon früher entdeckt. Wie es auch sei - sobald sie die Adresse sieht, wittert sie Gefahr. Vorsichtig öffnet sie den Umschlag und sieht schwarz auf weiß die Bestätigung ihres Argwohns.

Vermutlich war ihre erste Eingebung, den Brief gänzlich zu vernichten. Aber dann kommt ihr ein besserer Gedanke. Wenn man die eine Seite entfernt, stempelt man den Brief zu einem Ronald Marsh schwer belastenden Dokument - Ronald, der alle Ursache hat, seinen Onkel zu hassen. Doch selbst wenn Hauptmann Marsh über ein Alibi verfügen sollte, bleibt nach wie vor die Anklage gegen einen Mann bestehen, sofern nur das verfängliche J., das oben auf der linken Seite steht, mit weggerissen wird. Und folglich trennt sie den halben Bogen ab und mit ihm das winzige Stückchen, das der schmale Buchstabe J. beansprucht hat. Nach vollbrachter Tat schiebt sie das übrige in den Umschlag zurück und legt ihn wieder in Carlottas Handtäschchen.

Als die Zeit gekommen ist, schlägt sie die Richtung nach dem Savoy-Hotel ein. Sobald das Auto vorbeifährt, in dem angeblich sie selbst sitzt, beschleunigt sie ihren Schritt, betritt fast gleichzeitig mit Carlotta Adams die Hotelhalle und geht, in unauffälliges Schwarz gekleidet, schnurstracks die Treppe hinauf.

Oben ist auch Carlotta Adams gerade erst im Zimmer angelangt, die Kammerfrau hat die keineswegs außergewöhnliche Anweisung erhalten, sich frühzeitig zur Ruhe zu begeben. Dann tauschen sie wiederum ihre Kleider, und hierauf, vermute ich, schlägt Lady Edgware einen kleinen Trunk vor -als Feier für das glänzende Gelingen. In jenem Trunk befindet sich das tödliche Gift. Sie gratuliert ihrem Opfer und verspricht für den morgigen Tag die Überweisung des Schecks. Carlotta Adams, bereits mit beginnender Müdigkeit kämpfend, fährt heim. Dort versucht sie noch einen Freund anzurufen, wahrscheinlich Hauptmann Marsh oder Martin Bryan, die beide zum Amt Victoria gehören, aber die Schläfrigkeit ist stärker als ihr Wille. Sie geht zu Bett ... und wacht nie wieder auf.

Somit ist das zweite Verbrechen erfolgreich ausgeführt worden. Nun folgt das dritte. Mrs. Widburn hat zu einem Lunch geladen, und während man bei Tisch sitzt, macht irgendwer eine Bemerkung über das >Urteil des Parisc. Jane Wilkinson, die schöne, aber wissensarme Jane Wilkinson, wendet dieses Wort Paris auf das einzige Paris an, das sie kennt - das Paris der Kleider und Hüte. Ihr schräg gegenüber aber sitzt ein junger Mann, der auch an jenem Dinner in Chiswick teilgenommen und gehört hat, wie die Lady Edgware jener Nacht über Homer und griechische Kultur im allgemeinen sprach, denn Carlotta Adams war ein hochgebildetes, belesenes Mädchen. Er kann das nicht begreifen . er starrt sie an . und plötzlich gehen ihm die Augen auf: Das ist ja gar nicht dieselbe Frau! Eine schreckliche Erregung bemächtigt sich seiner, er will an die Wahrheit seiner eigenen Entdeckung nicht glauben. Einen Rat braucht er, einen Rat! Da denkt er an mich, spricht mit Hastings .

Doch die Dame belauscht die beiden. Sie ist verschmitzt und schlau genug, um sich zu vergegenwärtigen, daß sie sich irgendwie eine Blöße gegeben hat. Hastings gibt die Auskunft, daß ich erst gegen fünf wieder daheim sein werde. Was tut Jane Wilkinson .? Und zwanzig Minuten vor fünf sucht sie Donald Ross auf, der ihr zwar erstaunt, aber ohne Furcht Eintritt gewährt. Ein starker, behender junger Mann wird sich doch nicht vor einer Frau fürchten! Er geht mit ihr ins Eßzimmer, wo sie ihn mit irgendeiner Geschichte überfällt. Vielleicht sinkt sie vor dem Sitzenden auf die Knie und schlingt ihre Arme um seinen Nacken. Und dann, schnell und sicher, sticht sie zu - wie vordem. Vielleicht reicht seine Kraft noch aus, einen erstickten Schrei herauszuwürgen, mehr aber bestimmt nicht. Auch er ist zum ewigen Schweigen gebracht .«

Stumm saßen wir im Kreis.

Der erste, der Worte fand, war Inspektor Japp.

»Aber warum morden, nachdem Lord Edgware ihr seine Zustimmung zur Scheidung gegeben hatte?«

»Weil der Herzog von Merton eine Säule der Anglo-katholischen Kirche ist«, erläuterte Poirot. »Nie würde er eine geschiedene Frau geheiratet haben, deren Gatte noch lebt; er ist trotz, seiner Jugend ein Mann von starren Grundsätzen. Als Witwe jedoch - oh, da würde es der schönen Jane gewiß gelingen, ihn zur Heirat zu bewegen. Fraglos hat sie es an-fänglich mit der Scheidung probiert, bis sie einsah, daß all ihre bezaubernde Schönheit diese Grundsätze nicht ins Wanken zu bringen vermochte.«

»Zugegeben, das hat Hand und Fuß. Warum aber wurden Sie dann noch zu Lord Edgware geschickt?«

»Ah, parbleu!« Von dem korrekten, sachlichen Englisch fiel Poirot plötzlich in seine Heimatsprache zurück. »Um mir Sand in die Augen zu streuen, mon ami. Um in mir einen Zeugen für die Tatsache zu haben, daß kein Grund für ein Verbrechen vorlag! Ja, sie erdreistete sich, mich, Hercule Poirot, zu ihrem Werkzeug zu machen. Ma foi, es gelang ihr sogar! Oh, dies merkwürdige Hirn kindlich und gerissen zugleich. Parbleu, sie kann schauspielern! Wie gut sie eine Überraschung zur Schau zu tragen wußte, als man ihr von dem Brief erzählte, den ihr Gatte ihr geschrieben und den sie angeblich nie erhalten hatte . ! Fühlte sie auch nur die leisesten Gewissensbisse wegen eines ihrer drei Opfer? Nein - das will ich beschwören.«

»Ich habe sie Ihnen geschildert!« rief Martin Bryan. »Ich wußte, daß sie ihn töten würde, das heißt, ich fühlte es. Und ich fürchtete, daß sie straflos ausging. Sie ist ungeachtet ihrer sonstigen Einfalt verteufelt gescheit. Und ich wollte, daß sie kennenlernte, was leiden heißt. Ich wollte, daß sie für ihre Tat büßte, daß sie gehenkt würde.«

Sein Gesicht hatte sich dunkelrot gefärbt, die Sätze kamen stoßweise aus seinem Mund.

»Na, na«, sagte Jenny Driver, in dem gleichen Ton, mit dem ich einmal im Park eine Bonne ihren kleinen Pflegebefohlenen beruhigen hörte.

»Und die goldene Dose mit dem Buchstaben D und Paris, November im Deckel?« fragte Japp.

»Lady Edgware hat sie brieflich bestellt und dann ihre Ellis nach Paris gesandt, um sie abzuholen. Natürlich forderte Ellis lediglich das Paket, für das sie, ahnungslos über den Inhalt, den geforderten Preis bezahlte. Von Ellis entlieh Lady Edgware auch den Kneifer, den die sogenannte Mrs. van Düsen trug; hinterher aber vergaß sie ihn, und er blieb in Carlotta Adams' Handtäschchen - ein folgenschweres Versehen.

Oh, das alles enthüllte sich mir, als ich dort inmitten des brandenden Verkehrs auf dem Fahrdamm stand! Höflich war es nicht, was die Autobuschauffeure mir zubrüllten - aber all ihre Flüche machten sich überreichlich bezahlt. Ellis! Ellis' Kneifer! Ellis, die die Dose bei dem Pariser Juwelier abholt. Ellis - und daher Jane Wilkinson. Höchstwahrscheinlich entlieh sie außer dem Kneifer auch noch etwas anderes von Ellis.«

»Was?«

»Ein Hühneraugenmesser .« Ich erschauerte.

Wieder saßen wir stumm da, und wieder ergriff Inspektor Japp zuerst das Wort. Er stellte eine Frage, aber man merkte, wie er die Antwort in gläubigem Vertrauen erwartete.

»Monsieur Poirot, ist das wahr?«

»Es ist wahr, mon ami.«

Dann sprach Martin Bryan, und was er sagte, war so kennzeichnend für ihn.

»Was habe ich denn damit zu tun?« nörgelte er. »Warum haben Sie mich hierher bestellt? Und warum haben Sie mich beinahe zu Tode geängstigt?« Poirot musterte ihn kühl.

»Um sie zu strafen, Monsieur, weil Sie sich eine Unverschämtheit erlaubten. Wie können Sie sich erkühnen, mit Hercule Poirot Ihr Spiel zu treiben?«

Und plötzlich erklang Jenny Drivers helles, lustiges Lachen.

»Geschieht dir ganz recht, Martin«, sagte sie zwischen einer neuen Lachsalve. Die nächsten Worte galten meinem kleinen Freund: »Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie froh ich bin, daß Ronnie Marsh, den ich immer gern leiden mochte, gerechtfertigt dasteht. Und froh - froh, froh, unendlich froh - bin ich auch, daß Carlottas Tod gerächt wird. Was aber diesen Übeltäter hier anbetrifft, Monsieur Poirot, so werde ich ihn heiraten. Und wenn er sich etwa einbildet, daß er nach bekanntem Hollywooder Muster im Hui sich scheiden lassen kann, um alle zwei Jahre eine neue Ehe einzugehen, so befindet er sich in dem größten Irrtum seines Lebens. Er wird mich heiraten und an mir klebenbleiben!«

Poirot betrachtete sie, betrachtete ihr energisches Kinn und ihr leuchtendes Haar.

»Das halte ich für sehr wahrscheinlich«, meinte er mit seinem aus Schalk und Güte gemischten Lächeln. »Sie haben Mut und genügend Nerven - um selbst einen Filmstar zu heiraten.«

31

Zwei Tage später wurde ich durch ein Kabel plötzlich nach Argentinien gerufen, und so kam es, daß ich Jane Wilkinson nie wiedersah und nur in der Zeitung ihren Prozeß und ihre Verurteilung las. Unerwarteterweise - unerwartet wenigstens für mich - brach sie völlig zusammen, als man ihr die Wahrheit vorhielt. Solange sie auf ihre Schlauheit stolz sein und ihre Rolle spielen konnte, beging sie keinen Fehler, doch als ihr Selbstvertrauen erschüttert wurde, weil ein anderer sie durchschaut hatte, zeigte sie sich unfähiger als ein Kind, eine Täuschung aufrechtzuerhalten.

Wie ich bereits früher einmal gesagt habe, begegnete ich bei jenem Lunch Jane Wilkinson zum letztenmal. Aber wenn ich an sie denke, sehe ich sie immer vor mir, wie sie in ihrem luxuriösen Hotelzimmer vollkommen von dem Probieren kostbarer schwarzer Gewänder in Anspruch genommen wurde. Ich bin überzeugt, daß dies keine Mache war; nein, sie benahm sich, wie es ihr inneres Wesen verlangte. Erfolgreich hatte sie ihren Plan durchgeführt und hatte deshalb keine weiteren Skrupel und Zweifel.

Ich gebe nun noch ein Schreiben wieder, das nach ihrem Tod wunschgemäß an Hercule Poirot gesandt wurde und das am besten die bezaubernde und gänzlich gewissenlose Dame charakterisiert.

Lieber Monsieur Poirot, ich habe hin und her überlegt und fühle, daß ich Ihnen schreiben muß. Wie ich weiß, veröffentlichen Sie bisweilen Berichte über Ihre Fälle. Aber haben Sie schon je einen Bericht von dem Täter selbst veröffentlicht? Ja, Monsieur Poirot, ich möchte gern, daß es all und jeder erfährt, wie ich es zuwege brachte. Auch heute denke ich noch, daß es gut eingefädelt war, und wenn Sie nicht gewesen wären, würde alles gut abgelaufen sein. Nicht wahr, Monsieur Poirot, Sie werden möglichst viele prominente Leute von dem Inhalt dieses Schreibens in Kenntnis setzen? Ich will, daß man sich meiner erinnert. Und ich denke, daß ich ein wirklich einzigartiger Mensch bin diese Meinung scheinen alle hier zu hegen.

Es begann in Amerika, als ich Mertons Bekanntschaft machte. Ich merkte sofort, daß er mich, wäre ich verwitwet, heiraten würde. Bedauerlicherweise hatte er ein sonderbares Vorurteil gegen die Scheidung, das ich zuerst zu bekämpfen suchte, aber ohne Erfolg. Und ich mußte vorsichtig zu Werke gehen, weil er ein leicht verletzbarer Mann war.

Bald gewann ich die Überzeugung, daß Lord Edgware einfach sterben mußte. Aber wie das veranlassen? Drüben in den Vereinigten Staaten kann man dergleichen viel leichter erledigen. Oh, wie habe ich gegrübelt und gegrübelt! und dann sah ich plötzlich Carlotta Adams' Vorstellung und gleichzeitig einen Weg. Mit ihrer Hilfe konnte ich mir ein Alibi verschaffen. Derselbe Abend führte mir Sie in den Weg, und es fiel mir ein, daß es nicht schlecht sei, wenn ich Sie zu meinem Mann schickte, damit Sie von ihm die Scheidung verlangten. Gleichzeitig wollte ich von der Absicht reden, Lord Edgware zu töten, denn ich habe immer bemerkt, daß niemand einem Glauben schenkt, wenn man in ziemlich einfältiger Weise die Wahrheit spricht. Bei Kontrakten habe ich dies Verfahren oft angewendet. Und es ist immer gut, dümmer zu erscheinen, als man ist. Bei meiner zweiten Begegnung mit Carlotta Adams brachte ich meinen Einfall zur Sprache. Ich gab an, es handele sich um eine Wette - und sie zeigte sich wundervoll gefügig. Sie sollte an meiner Statt eine Gesellschaft besuchen und hinterher zehntausend Dollar dafür erhalten. Wie sie sich begeisterte! Und einige gute Winke hinsichtlich des Kleiderwechsels, des Schminkens usw. verdanke ich ihr. Wegen Ellis konnten wir uns nicht bei mir umkleiden, und wegen ihres Mädchens nicht bei ihr. Carlotta begriff natürlich nicht, warum wir es nicht konnten. Das war der einzige etwas peinliche Augenblick. Ich sagte kurz und bündig nein. Und sie gab, obwohl sie mich wegen meiner dummen Grille ein bißchen auszankte, nach und erfand mit mir den Hotelplan, zu dem ich mich eines Ellis gehörigen Kneifers bediente.

Selbstverständlich sah ich ein, daß auch Carlotta Adams aus dem Weg geräumt werden müsse. Eigentlich schade um sie; andererseits aber waren all diese Nachahmungen, die sie vorführte, reichlich frech. Wenn es mir nicht so gut in den Kram gepaßt hätte, wäre ich über die Nachäffung meiner Person sehr erbost gewesen. Ich hatte selbst Veronal in meinem Besitz, obwohl ich es nicht regelmäßig zu nehmen pflegte. Aber mich dünkte es besser, den Anschein zu erwecken, als ob Carlotta dieser Gewohnheit huldigte. Mithin bestellte ich eine Dose - das Duplikat einer Dose, die ich selbst einmal als Geschenk erhalten hatte -, ließ die Anfangsbuchstaben von Miss Adams darauf anbringen, im Innendeckel die Ihnen bekannte Gravierung einätzen, und schickte Ellis über den Kanal, um sie abzuholen.

An dem fraglichen Abend ging alles wie am Schnürchen. Während Ellis in Paris war, versorgte ich mich mit einem ihrer scharfen, handlichen Hühneraugenmesser, das ich später an Ort und Stelle zurücklegte, so daß sie des vorübergehenden Fehlens nie gewahr geworden ist. Ein Arzt in San Franzisko zeigte mir einst, wo man den Stich ansetzen müsse. Er hatte über Punktur des Rückgrats gesprochen und setzte hinzu, daß dabei äußerste Vorsicht geboten sei, da man sonst die Cisterna magna durchbohre und in die Medulla oblongata stäche, das Hauptnervenzentrum, was den sofortigen Tod zur Folge haben würde. Verschiedene Male ließ ich mir von ihm die genaue Stelle zeigen, unter dem Vorwand, ich wolle die Ideen in einem Film verwenden. In Wirklichkeit sagte ich mir, daß mir dies Wissen eines Tages vielleicht nützlich sein könne.

Von Carlotta Adams finde ich es höchst unehrenhaft, daß sie ihrer Schwester von unserem Plan schrieb. Sie hatte mir strengstes Schweigen gelobt. War es nicht sehr geschickt, den halben Bogen abzureißen, Monsieur Poirot? Auf diesen klugen Einfall bin ich stolzer als auf alles andere. Da behauptet man von mir immer, ich habe kein Hirn - meinen Sie nicht auch, daß nur ein vorzügliches Hirn einen solchen Gedanken fassen kann ...? Als dann am Morgen nach dem Mord der Inspektor von Scotland Yard zu mir kam, hätte es mir Spaß gemacht, wenn er mich verhaftet hätte. Ich fühlte mich unbedingt sicher. Mußten denn nicht sämtliche Gäste Sir Montagues meine Anwesenheit dort bezeugen .?

Ach, ich fühlte mich so glücklich und zufrieden! Wenn mich die alte Herzogin auch abscheulich behandelte, so war ihr Sohn dafür desto zärtlicher. Er wünschte, mich so schnell wie möglich zu heiraten, und hegte nicht den geringsten Argwohn.

So glücklich wie diese wenigen Wochen bin ich noch nie gewesen. Als dann der Neffe meines Mannes verhaftet wurde, schien mir meine Sicherheit verbürgt. Leider ereignete sich später der Zwischenfall mit Donald Ross. Noch jetzt weiß ich nicht ganz genau, wie er mir auf die Spur kam. Irgendein Paris, das keine Stadt, sondern eine Person war, nicht? Keine Ahnung, wo dieser Mensch lebte oder gelebt hat. Jedenfalls finde ich den Namen sehr albern für einen Mann.

Es ist seltsam, wie das Glück, sobald es sich erst einmal gegen einen wendet, abtrünnig wird. Den jungen Ross mußte ich schnell unschädlich machen, hatte keine Zeit, für ein Alibi zu sorgen. Aber mit seinem Tod glaubte ich mir eine endgültige Sicherheit erkauft zu haben.

Natürlich erzählte mir Ellis, daß sie bei Ihnen gewesen sei und daß Sie ihr einige Fragen vorgelegt hätten. Meines Erachtens jedoch handelte es sich um Martin Bryan. Ich konnte unmöglich ahnen, wohin Sie zielten. Mit keiner Silbe hatten Sie ihr gegenüber das Paketchen aus Paris erwähnt. Warum nicht?

Glaubten Sie, daß ich dann Lunte riechen würde? So wie die Dinge lagen, war nachher alles eine vollkommene Überrumpelung für mich. Unheimlich erschien es mir, wie Sie über jeden meiner Schritte Bescheid wußten.

Ob Sie nicht doch manchmal Bedauern darüber fühlen, was Sie anrichteten? Was wollte ich denn, Monsieur Poirot? Doch lediglich auf meine eigene Art glücklich werden. Und wenn ich Sie nicht selbst hineingezogen hätte, würden Sie nie mit dem Fall in Berührung gekommen sein. Ich ließ mir nicht träumen, daß Sie so schrecklich gescheit sind - Sie sehen nämlich gar nicht gescheit aus.

Es ist spaßig, aber mein gutes Aussehen habe ich nicht eingebüßt, trotz der gräßlichen Gerichtsverhandlung und der Unmengen Fragen nicht, mit denen man mich plagte. Ich bin viel blasser und dünner, doch es steht mir. Alle Welt sagt, ich sei herrlich tapfer. Heutzutage wird man nicht mehr in aller Öffentlichkeit gehenkt, nicht wahr? Ich finde das schade.

Und nun muß ich Ihnen noch Lebewohl sagen. Komisch eigentlich, nicht? Morgen früh wird mich der Geistliche besuchen.

Es vergibt Ihnen (weil man doch seinen Feinden vergeben muß)

Ihre Jane Wilkinson.

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