2. Kadett Eden meldet sich zum Dienst

Die Bermuda-Sonne blendete. Der Wagen vom Flughafen ließ mich, den künftigen Tiefsee-Kadetten, an den Korallentoren aussteigen. Ein Kadett in seeroter Paradeuniform präsentierte zackig seine Waffe.

Ich stand da, hatte meinen Kleidersack in der Hand und überlegte unsicher, ob ich vielleicht salutieren sollte. Der grinsende Taxifahrer röhrte davon, und der Kadett nahm mir die Entscheidung aus der Hand.

»Komm her und mach Meldung«, knurrte er.

Ich versuchte strammzustehen. »James Eden meldet sich zur Stelle«, sagte ich. »Hier ist mein Befehl.«

Ich reichte ihm meine Reisedokumente, die ich in der vorhergehenden Woche mit der Post erhalten hatte. Der Kadett blätterte sie rasch durch.

»Weitergehen, Kadett Eden«, befahl er mir barsch. Dann ver-schwand für einen Moment die Ladestockförmlichkeit aus seinem Gesicht, und er lachte. »Und viel Glück«, fügte er hinzu und kehrte an seinen Posten zurück.

So sah ich zum erstenmal die Tiefsee-Akademie.

Ich ging durch das Tor. Jimmy Eden verschwand. An seiner Stelle wurde Kadett Eden, J., U.S.S., geboren.

Die ersten paar Stunden flogen nur so dahin. Es war eine Hetzjagd an ärztlichen Untersuchungen, Fragebögen, Unterredungen und Instruktionen; ich mußte meine gesamte Ausrüstung fassen und mein Quartier suchen. Die Kleiderkammer war riesig wie eine Scheune. Ein Maß-Roboter tastete mit seinen Spinnenfingern meinen ganzen Körper ab, klickte und zwitscherte dabei unaufhörlich, und unmittelbar danach nahm gleich nebenan meine Uniform Gestalt an.

Es war der seegrüne Drillichanzug der Tiefsee-Leute. Jetzt waren meine Maße festgehalten, und die übrigen Uniformen konnte ich holen, sobald ich die Sachen brauchte. Die Arme des dreidimensionalen Pantographen zeichneten den Jackenschnitt, und die Plastikspinner webten und schossen hin und her, um den Schnitt in Material zu übertragen. »He, Mister!« bellte der Leiter der Kleiderkammer, »zieh das Zeug an! Die Gezeiten warten nicht!«

Doch er hätte seinen Atem sparen können. Die Klappe schwang auf, und die Uniform schob sich heraus. Sie glänzte noch von den Tropfen der chemischen Reinigungsmittel, als ich hineinkletterte. Die Plexiglasklappe schwang wieder zu, und da sah ich mich wie in einem Spiegel. Ich konnte ein breites Grinsen nicht unterdrücken, denn jeder konnte jetzt sehen, daß ich ein Tiefsee-Mann war!

Aber schon wurde ich vom nächsten Mann angebellt. Ich hatte keine Zeit, mein Spiegelbild zu bewundern.

Ich stolperte aus der Kleiderscheune hinaus und ächzte unter den fast hundert Pfund meiner Ausrüstung, den Geräten und sonstigem Kram meines neuen Lebens. Als ich dann an der Tür stand, kam sie mir wie die Feuertür eines Hochofens vor, so knallte die karibische Sonne auf mich herab. Diese Hitze war nach der Kühle in der Scheune wie ein körperlicher Schlag.

Der Schlafraum, in den ich eingewiesen worden war, lag in hundert Meter Entfernung an der anderen Seite eines großen, viereckigen Hofes. Als ich dort ankam, taumelte ich.

Vielleicht war es der Schweiß, der mir in die Augen lief, daß ich den scharlachrot gekleideten Oberklassenmann nicht sah, der zackig eine Rechtsschwenkung machte und vor mir die Stufen hinaufging.

Ich knallte direkt in ihn hinein.

Meine ganze Ausrüstung kollerte über die Stufen hinab. Ich stöhnte und murmelte »Entschuldigung.« Ich bückte mich, um mein Zeug zusammenzuklauben und meine Mütze aufzuheben.

»Ach-TUNG!«

Das war ein Peitschenschlag, der mein benebeltes Gehirn klärte.

Ich sprang sofort auf. »Verzeihung, Sir«, rief ich eifrig.

Der Kadett stand auf den Stufen über mir und schaute angewidert auf mich herab. Er war so groß wie ich, aber breiter und schwerer gebaut. Seine Augen unter der flachen Mütze waren kalt. Sie erschienen mir fast gefährlich.

»Mister Landratte, halt deine Klappe! Wenn ein Offizier oder ein Mann der Oberklasse wissen will, ob es dir leid tut, dann wird er dich schon fragen. Diese Information wird nicht freiwillig gegeben. Und strammstehen, Mensch! Stramm, sage ich, die Arme an den Seiten!«

»Aber dann laß ich ja meine Mütze fallen«, wandte ich ein.

»Mister Landratte!«

»Jawohl, Sir.« Ich ließ die Arme sinken. Die Mütze fiel wieder auf den Boden. Beim erstenmal hatte ich Glück gehabt, aber beim zweitenmal zerbrach der kristallene Schirm.

Dem Oberklassenmann war das egal.

Kalt starrte er mich für einen Moment an, dann kam er die Treppe herab und ging langsam um mich herum.

»Ich habe, Mister Landratte, in meinem Leben schon viele wenig wünschenswerte Exemplare gesehen«, sagte er fast im Unterhaltungston, »aber in zwei Jahren, drei Tagen und dreizehn Stunden an der Tiefsee-Akademie nicht eines wie dich, das so wenig Aussichten verriet, jemals ein annähernd formbares Material für wenigstens einen drittklassigen Pumpenschwengel und dessen zweiten Assistenten abzugeben.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich dich eine Affenschande für den Service und die Akademie nennen wollte, Mister Landratte, dann würde ich mich einer dicken Schmeichelei schuldig machen. Infolgedessen wird es völlig ausgeschlossen sein, daß du länger als zwei Wochen auf dieser Akademie aushalten wirst. Ich sollte mir wirklich nicht die Mühe machen, auch nur das geringste Interesse an dir zu zeigen. Ich verschwende nur die kostbare Zeit des Service, wenn ich das trotzdem tue. Aber, Mister Landratte, ein guter Tiefsee-Mann ist barmherzig. Mein weiches Herz zwingt mich zu tun, was ich kann, um deinen nutzlosen und unerfreulichen Aufenthalt bei uns so gut wie möglich zu verkürzen. Deshalb habe ich mir vorgenommen, mich für deine Bildung zu interessieren.«

Er stemmte die Hände auf die Hüften und starrte mich an. »Um einen guten Anfang zu machen, Mister Landratte, lade ich dich ein, die Regel Nummer eins kennenzulernen. Möchtest du sie mal hören? Du kannst in zwei Worten antworten, jedes hat einsilbig zu sein, das zweite Wort heißt ,Sir'.«

Meine Kiefermuskeln zuckten, doch ich wußte nicht recht, ob vor Wut oder nervösem Lachen. Gehorsam antwortete ich: »Ja, Sir.«

Er nickte. »Sehr gut. Das heißt, sehr gut für dich, wenn man sich's genau überlegt. Du hast in der richtigen Form geantwortet, und es war das erste Mal, daß du's versucht hast. Hm. Ich gratuliere dir, Mister Landratte. Vielleicht besteht doch eine kleine Hoffnung für dich. Vielleicht hältst du's hier drei Wochen aus, ehe das Komitee zum Schluß kommen muß, daß du hinauszuwerfen bist. Laß uns jedoch im Moment mit Regel eins beginnen. Achtung, Mister Landratte! Regel eins heißt: In Gegenwart eines Oberklassenmannes wirst du unweigerlich strammstehen, bis er dir ausdrücklich erlaubt, das Strammstehen durch eine andere Haltung zu ersetzen, oder bis er etwa durch seine Entfernung um mindestens fünf Meter anzeigt, daß er kein Interesse mehr an dem hat, was du tust. Hast du das verstanden?''

Ich setzte schon dazu an, zu sagen: Ja, Sir, aber ich schloß eiligst meinen Mund wieder. Er hatte mir noch nicht die Erlaubnis zum Sprechen erteilt. Ich lernte also schon die Regeln.

Aber leider nicht schnell genug. Fast geistesabwesend starrte er meine Kinnlade an.

»Gesichtszuckungen«, stellte er scheinbar ganz versunken fest. »Diese Person ist auch körperlich unternormal, wie mir scheint, auch seelisch, geistig, gefühlsmäßig, moralisch und in jeder anderen denkbaren Weise.« Er seufzte schwer. »Nun, genug davon. Mister Landratte, es ist weitgehend bekannt, daß es absolute Konzentration erfordert, schwierige Regeln zu lernen, ganz besonders dann, wenn sie aus vierundvierzig Worten bestehen. Um dir zu helfen, erlaube ich dir, fünfzehn Touren um dieses Hofviereck zu laufen. Das wird dir guttun. Mit einer Bestrafung hat das absolut nichts zu tun, sondern es soll dir nur zur Konzentration verhelfen.«

Er nickte mit einem Ausdruck kalter Befriedigung. »Jedoch ist auch die Frage der Bestrafung zu überlegen. Ein Benehmen, das für einen Seekadetten unpassend ist, um genau zu sein, das Herumtrampeln auf einem Oberklassenmann, erfordert fünf zusätzliche Touren um das Viereck. Und für leichtfertige Vernichtung von Regierungseigentum ...« — seine Augen hingen an dem zerbrochenen Mützenschild — »noch weitere zehn Runden. Du hast jetzt genug von meiner kostbaren Zeit beansprucht, Mister Landratte, also fang freundlicherweise sofort damit an. Die Gezeiten warten nicht!«

Ohne ein weiteres Wort an mich zu verschwenden, machte er kehrt und stieg die Stufen hinauf.

Das war also meine Einführung in die Tiefsee-Akademie.

Dreißigmal um das ganze Viereck herum mit hundert Metern pro Seite, das sind insgesamt mehr als sieben Meilen.

Ich schaffte sie. Dafür brauchte ich etwas mehr als drei Stunden, und die letzten paar Runden drehte ich in einem dem Koma ähnlichen Zustand.

Endlich war es vorüber.

Ich holte mein verstreutes Zeug zusammen. Etliche Dutzend Kadetten waren die Treppe hinaufgestiegen, während ich die Runden drehte, aber keiner hatte die Sachen auch nur angeschaut. Und dann fand ich auch noch den Weg in meinen Schlafsaal.

»Du mußt Eden sein«, sagte ein kleiner, erstaunlich jung aussehender Bursche, der strammgestanden hatte, als ich die Tür öffnete. Doch als er mich gesehen hatte, tat er gleich gemütlicher und streckte mir die Hand entgegen. »Ich heiße Eskow. Pech. Ich sah dich da draußen.«

Er grinste. Es war ein offenes, breites Grinsen, das mir gefiel. »Ich glaube, du hast jetzt schon einen großen Vorsprung vor uns«, fuhr er fort. »Aber der letzte bist du darin nicht. Früher oder später werden wir alle einmal draußen sein.«

Ich murmelte etwas, warf mein ganzes Zeug auf das Feldbett und besah mir das unordentliche Bild; ein ungemachtes Bett mit Kleidern, Büchern, Ausrüstungsgegenständen in einem Haufen darauf — nun, einladend sah das gewiß nicht aus und war ebenso zerrupft und ungepflegt wie ich.

Eskows Bett sah ganz anders aus. Es war ordentlich gemacht, eine Extradecke war straff über das Kissen gespannt; die Truhe am Fußende stand offen, und auch darin war alles in schönster Ordnung. Eskow selbst hatte rosa Wangen vom Bad und der Rasur, obwohl er, wie ich vermutete, auf das Rasieren noch eine Weile hätte verzichten können, bevor man an ihm einen Bartanflug bemerkt hätte.

Meine Gefühle mußten, alles in allem, deutlich zu erkennen gewesen sein.

»Nimm's nicht zu tragisch«, riet mir Eskow. »Ich helfe dir. Bis zum Abendessen haben wir sowieso nichts zu tun, und erst danach gibt es eine Inspektion. Hol mal tief Atem.«

Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen, während Eskow geschickt alles sortierte und meine Sachen einräumte.

Wenige Minuten später fühlte ich mich schon wohler und stand auf, um ihm zu helfen. Es würde wohl sehr lange dauern, bis sich meine Füße wieder normal anfühlten, doch trotzdem schien mir, ich hätte an diesem Tag nicht allzu großes Pech gehabt. Wenn Eskow für die nächsten vier Jahre mein Zimmerkamerad sein würde, so konnte ich mich, nach dem ersten Blick zu urteilen, recht glücklich schätzen.

Beim Abendessen sah ich diesen Oberklassenmann wieder. Er hatte am Ende der Speisehalle einen kleinen Tisch für sich selbst. Ich stieß Eskow an und deutete unauffällig hinüber.

Aus dem Mundwinkel heraus wisperte mir Eskow zu — Kadetten des ersten Jahres hatten keine Erlaubnis, sich bei Tisch zu unterhalten: »Heißt Sperry. Tut mir leid, Jim, aber der ist unser unmittelbarer Vorgesetzter, der Exec. Von dem wirst du eine Menge zu sehen kriegen, bis er selbst seine Abschlußprüfungen hinter sich hat . . . Sperry«, wiederholte er und sah starr vor sich hin, »ich überlegte mir, ob er . . .«

Einer der anderen Oberklassenmänner schaute zu uns her, so daß Eskow mir nicht mehr sagen konnte, was er überlegte.

Ich wußte es sowieso. Und die Antwort hieß ja. Executive-Cadet Officer Brand Sperry, diensthabender Kadett der Fletcher Hall, war der Sohn von Hallam Sperry, dem millionenschweren Bürgermeister von Thetis in Marinia.

Schon damals war mir etwas im Gesicht des jungen Sperry bekannt erschienen und, so seltsam es klingen mag, gefährlich. Ich wußte nur nicht recht, wo ich alles einordnen sollte.

Jetzt wußte ich's. Ich hatte Hallam Sperrys Bild sehr oft gesehen, und der Kadett an dem kleinen Tisch sah nun genau so aus wie Hallam Sperry, als dessen Fotos gemacht worden waren; ein Bild des älteren Sperry, meines Vaters und meines Onkels Stewart, und es stammte aus der Zeit, da Marinia nur aus einigen winzigen Tiefsee-Außenposten bestand. Alle drei Männer waren jung gewesen, und erst sehr viel später hatte ein erbitterter Kampf Sperry von den Edens getrennt.

Lange bevor mein Vater gestorben war, glänzte sein Name noch vor Berühmtheit, doch sein Vermögen und seine Besitztümer waren dahin.

Ich hob meine Gabel an die Lippen in der ruckhaften von der Akademie als passend anerkannten Art. Die Tradition des alten Annapolis und des noch älteren West Point und der Air Academy Colorado ergab einen Reichtum militärischen Erbes und vieler Regeln, die eine Landratte in den ersten Akademietagen ehrlich erschrecken konnten. Und das war ein Grund dafür, daß ich danach kaum wußte, was ich gegessen hatte.

Wenn der Sohn des Mannes, der meinen Vater betrogen und dasselbe bei meinem Onkel versucht hatte, mein Commander sein sollte, so hatte ich eine harte Zeit in der Tiefsee-Akademie vor mir. Ganz gewiß hatte ich einen schlechten Start gehabt, und das erste Zusammentreffen war eigentlich entmutigend gewesen. Es hätte sein können, daß er mich erkannt und ab-sichtlich diese Schau abgezogen hatte, um mir klarzumachen, daß er mich unter dem Daumen hatte ...

Nein, das konnte ich doch nicht recht glauben. Was immer auch Brand Sperry s Vater gewesen war und noch war, der Sohn war ein Kadetten-Offizier im Tiefsee-Dienst, und solange wir beide diesem Dienst angehörten, würde ich niemals einen Streit provozieren. Das versprach ich mir auf der Stelle.

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