21. Die lange Reise

Fisherman's Island hatte sich nicht verändert. Wir ankerten fast am gleichen Punkt des Korallenriffes wie vorher; Bob arbeitete am Kommunikator, während wir die Pumpen einsetzten, um den letzten Tropfen Wasser herauszuholen.

Bob warf mir einen besorgten Blick zu. »Ich kann von Thetis nur die Mitteilung erhalten, wir sollen uns zur Abholung bereithalten. Jim, das klingt mir nicht gut.«

Onkel Stewart rieb sich das lange Kinn. »Ist auch nicht richtig«, gab er zu. »Jungens, wir haben dem Oktopus den Kopf abgehackt, aber die Arme sind ja auch noch da. Die Sperrys sind aus dem Weg, aber die Männer, die sie an die Macht gebracht haben, sind noch in Thetis.«

»Du meinst, Sperrys Seepolizei will uns Schwierigkeiten machen?« fragte ich.

»Ob ich das meine?« Mein Onkel deutete auf den Mikrosonarschirm. »Was sagst du dazu?«

Da war etwas Großes, noch ziemlich weit weg, doch es näherte sich sehr schnell. »Ich kann es mir nicht denken. Wie ein Polizeischiff von Marinia sieht es nicht aus. Und für einen Frachter ist es viel zu schnell.«

Stewart Eden schüttelte den Kopf. »Ich weiß auch nicht, Jungens ... Aus Marinia ist das nicht. Oder sie haben etwas Neues auf Kiel gelegt, als ich da unten in den Tiefen lag. Na, wir werden es bald wissen.«

Das Schiff flog förmlich durch das Wasser auf uns zu. So schnell wäre vielleicht die Isle of Spain oder ein anderes Linienschiff gewesen, aber von deren Routen waren wir weit weg.

Gideon hüstelte. »Und was passiert, wenn es die Seepolizei ist?«

»Dann gibt's vermutlich Ärger«, meinte mein Onkel grimmig. »Es kommt ganz darauf an.« Er sah mich mit düsterem Humor an. »He, Jim, damit hast du wohl nicht gerechnet. Ich wollte dich auch bestimmt nicht in solche Dinge hereinziehen. Für dich hatte ich ganz andere Pläne; viel Geld aus den Lizenzen für das neue Edenit, die Minen in den Tiefen . . . Aber wir können nicht immer vorher wissen, wie etwas ausgeht.«

»Sie haben doch noch all das, Mr. Eden«, sagte Bob.

Stewart Eden schüttelte den Kopf. »Der Claim auf die Tiefen läuft ab. Hallam Sperrys Trick, mit dem er mich für eine Weile ausschaltete, hat dafür schon gesorgt. Und das neue Edenit habe ich ja der Welt geschenkt

Das kann ich doch nicht zurücknehmen.« Er legte mir seine Hand auf die Schulter und blinzelte. »Würde ich auch nicht tun, wenn ich's könnte. Es gibt genug Geld zu verdienen und Dinge zu tun. Wenn wir Geld brauchen, verdienen wir's uns. Und wenn nicht — was nützt uns das Geld, wenn wir keines brauchen?«

»Onkel Stewart«, sagte ich, »mir ist es nie um Geld gegangen, und ich will es auch jetzt gar nicht haben. Ich habe das bekommen, was ich mir am allermeisten auf der ganzen Welt gewünscht habe.«

Stewart Eden schaute mich lange an. Wir Edens zeigen unsere Gefühle nicht gern, und er sagte auch nichts. Es war nicht nötig.

»Das Ding, das da kommt, ist jetzt innerhalb von tausend Metern«, meldete Gideon.

Wir wandten uns alle zum Mikrosonar um, wir ein wenig besorgt, Onkel Stewart mit einem Lächeln. Ich verstand ihn nicht recht. Es sah meinem Onkel so gar nicht ähnlich, ruhig und unbesorgt dazusitzen, wenn sich eine unbekannte Gefahr so rasch näherte. Ich war richtig verblüfft.

»Glauben Sie, daß es die Seepolizei ist?« fragte Bob nun.

Zu meinem größten Staunen lachte Onkel Stewart breit. Er mußte meine Bestürzung bemerkt haben, denn er lachte nun laut. »Nein, Bob«, antwortete er, »das ist nicht die Seepolizei. Was hat man euch auf der See-Akademie beigebracht?«

Ich sah Bob an, er mich, dann schauten wir beide auf den Schirm und dann . . .

»Ja, natürlich!« rief Bob, und sogar Gideon lehnte sich zurück und seufzte erleichtert.

Wir kletterten durch die Luke hinaus und kamen gerade rechtzeitig auf Deck, um die Nase der langen, grauen Nares auftauchen zu sehen, die das Flaggschiff des PatrouillenKommandos der Tiefsee-Flotte von Marinia ist.

Das Kommando hatte Flottenkapitän Bogardus, ein strenger Mann mit vier Ärmelstreifen und einer Brust voll Bändern. Seine Augen waren durchdringend schwarz. Wir wurden mit allen militärischen Ehren zur Kommandokabine geführt, und dazu gehörte auch ein bewaffneter Posten in Paradeuniform.

Sie sagten uns nicht, ob sie ein Ehrengeleit waren oder Gefangenenwärter, und ich hatte gewiß keine Lust, zu fragen.

Bob und ich salutierten zackig, wie wir es auf der Akademie gewohnt waren. Gideon und mein Onkel taten es ziviler. »Danke, Captain, daß Sie uns aufgepickt haben«, sagte mein Onkel Stewart. »Sie haben uns wirklich einen Gefallen getan.«

»Das«, antwortete der Kapitän frostig, »wird sich erst herausstellen. Es wird Sie interessieren zu hören, daß der Gouverneur von Marinia diesem Kommando den Befehl erteilte, Sie abzuholen.«

»Ich weiß seine Besorgnis zu schätzen«, erwiderte Onkel Stewart gemessen.

»Nein, wirklich.« Der Kapitän nickte. »Gentlemen, Sie können sich setzen. Ich brauche kaum zu erwähnen, daß Sie in den letzten vierundzwanzig Stunden einen ganz 'schönen Wirbel machten. Anschuldigungen gegen den Bürgermeister von Thetis . . .«

»Den verstorbenen Bürgermeister von Thetis«, berichtigte mein Onkel.

»Gut. Den verstorbenen dann. Schön. Aber er war eine verantwortliche Persönlichkeit der Öffentlichkeit, und ist er jetzt tot, so müssen die Umstände seines Todes untersucht werden, Mr. Eden. Sehr genau, wie Sie wissen. Und Sie werden beweisen müssen, daß er und sein Sohn versucht haben, Sie zu rammen.«

»Selbstverständlich«, sagte mein Onkel. Und nun hielt Flottenkapitän Bogardus die Hand auf zum Zeichen, daß Onkel Stewart noch nicht gehen sollte. Mir schien seine Miene jetzt weniger frostig zu sein.

»Ich brauche natürlich nicht zu erwähnen, Mr. Eden, daß Ihr Wort einiges Gewicht hat. Angenommen, Sie fangen jetzt ganz von vorne an und erzählen mir, was es mit dem ganzen Durcheinander auf sich hat. . .«

Länger als eine Stunde erzählten wir und beantworteten die Fragen des Kapitäns, und ein Seemann nahm alles auf einem Diktiergerät auf. Dann entschuldigte sich der Kapitän und ließ uns kurz allein.

Bob war schon wieder etwas nervös geworden, als wir draußen das scharfe Klicken von Absätzen hörten; Flottenkapitän Bogardus kam herein.

»Ich hatte Verbindung mit dem Gouverneur von Marinia«, berichtete er. »Ich bekam meine Befehle, und wir sind unterwegs nach Thetis.«

Ein schneller Kreuzer der Tiefsee-Flotte frißt die Meilen nur so in sich hinein. Wir hatten kaum Zeit, zu essen und uns ein wenig in Ordnung zu bringen, da waren wir auch schon in Thetis.

Nun mußten mein Onkel und ich ein unerledigtes Geschäft zu Ende bringen.

Wir gingen zu einem gewissen Gebäude und durch eine ganz bestimmte Tür, und der Mann hinter dem Schreibtisch sprang in die Höhe und starrte uns an, als seien wir Gespenster.

»Stewart Eden!« ächzte der Mann.

»Ja, genau. Faulkner, was ist los?« fragte mein Onkel. »Glaubten Sie, ich sei endgültig aus dem Weg geschafft?«

Der Anwalt ließ sich zurückfallen. Er keuchte. »Mein Herz . .

. Dieser Schock . . .«

»Schlimm, schlimm, aber wir erlebten auch ein paar Schocks. Erkennen Sie meinen Neffen hier, den Sie umzubringen versuchten?«

»Umzubr . . . Unsinn! Dieser junge Mann wollte nur Wirbel machen, und außerdem ist er gar nicht Ihr Neffe, sondern ein Hochstapler. Ich habe den richtigen James Eden gesehen und...«

»Das genügt jetzt, Faulkner!« Onkel Stewards leise Stimme war wie ein Peitschenschlag. Er sah aus wie ein rächender Seegott, der einen Ungetreuen bestraft.

»Faulkner, von Ihnen haben wir jetzt genug Lügen gehört. Jetzt wollen wir die Wahrheit wissen. Alles!«

»Was . . . wollen Sie?« fragte er und war leichenblaß.

»Die Wahrheit, Faulkner! Die Wahrheit über Sie und Hallam Sperry, nur für den Anfang. Sie waren mein Anwalt, haben mein Geld genommen. Und die ganze Zeit über haben Sie mich an Sperry verkauft und jedes dreckige Geschäft mit ihm gemacht! Das stimmt doch, Faulkner?«

»Ich . . .« Er schluckte heftig. »Ja . . .«

»Sie haben Sperry sogar nachdrücklich geholfen, die Macht in Thetis an sich zu reißen, nicht wahr?« fuhr Onkel Stewart unbarmherzig fort. »Ihm haben Sie meine Edenit-Patente verkauft und den Kontrakt so gefälscht, daß ich meine Lizenzgebühren verlor. Richtig? Und mit diesem Geld und dieser Macht haben Sie ihm geholfen, hier ein Reich für ihn und sich aufzubauen.«

Faulkner nickte. Er starrte meinen Onkel so fasziniert an wie ein Kaninchen eine Schlange und konnte sich nicht mehr bewegen.

»Dann hat mich Sperry aus dem Weg geschafft. Dann kam Jim. Ihn wollten Sie mit Lügen abspeisen. Als er nicht darauf hereinfiel, versuchten Sie ihn hinauszukaufen. Als das auch nicht gelang, wollten Sie ihn umbringen. Das ging auch nicht, also ließen Sie ihn ausplündern, damit einer Ihrer Ganoven sich seiner Papiere bedienen konnte. Das stimmt doch alles, Faulk-ner?«

Etwas glitzerte in Faulkner s Augen, das ich vorher nicht gesehen hatte. Er schaute immer noch meinen Onkel an, aber von Zeit zu Zeit huschten seine Augen rasch zur Tür, als warte er auf jemanden.

»Ob das stimmt, Eden?« fragte Faulkner gereizt. »Natürlich stimmt's! Sie und Ihr Neffe waren von Anfang an Vollidioten, und Geld und Macht sind an Sie beide verschwendet!« Er stand auf und beugte sich über den Tisch. »Das will ich Ihnen beweisen. Reingekommen sind Sie, aber so leicht kommen Sie nicht wieder 'raus. Lebend nicht. Ich habe meine Befehle gegeben. Befindet sich in meinem Büro ein unwillkommener Besucher, so wartet mein Mann Bishop nur darauf, ihn zu gegebener Zeit hinauszuwerfen. Und die Zeit ist gekommen. Bishop! Schieß die beiden zusammen!«

Die letzten Worte schrie er triumphierend. Aber es war ein flüchtiger Triumph. Wie ein Blitz war Onkel Stewart an der Tür und riß sie auf. »Ihr Mann hat andere Pflichten übernommen, Faulkner. Sehen Sie selbst!«

Entsetzt starrte Faulkner seinen Neandertaler an, der sich hilflos im Griff zweier riesiger Männer der Tiefsee-Flotte wand.

Thetis stand unter Kriegsrecht. Das hatte Flottenkapitän Bo-gardus auf Befehl des Gouverneurs von Marinia ausgerufen. Für uns war es ein neuer Tag. Die Sperrys gab es nicht mehr. Faulkner, seine Leute und ein paar Dutzend andere Gauner waren hinter Schloß und Riegel. Von Sperrys Macht war auch nicht mehr übrig als von einer Seifenblase.

Nach den ersten paar Stunden Kriegsrecht beruhigte sich die Lage wieder, doch es wurde nicht zurückgenommen, bis Wahlen stattfinden konnten. Lange dauerte das nicht. Nach ein paar Tagen hatte die Tiefsee-Flotte Thetis gesäubert. Bob Eskow und ich schlenderten einen breiten Boulevard entlang, vorbei an den vielen Bürgern von Thetis, die ihre Wahlkugeln warfen. Es herrschte Ruhe. Die Wahlkabinen wurden von einer ganzen Abteilung der Tiefsee-Flotte bewacht, und alles, was dem Patrouillenkommando von Marinia unterstand, war hier vertreten: die hellen scharlachroten Uniformen der Westlichen Alliierten, die seeblauen mit den verschlungenen Ankern der Europäischen Union, sogar die seegrundgrauen des Asiatischen Kommandos. Sie wechselten einander ab in der Polizeiaufsicht über Thetis.

Ich wußte genau, was Bob dachte, als wir diese Tiefseemänner sahen, und ich dachte wie er. Dann seufzte er. »Jetzt sind die Sperrys aus dem Geschäft, und ich bin meinen Job los.«

»Und ich suche mir auch besser einen«, antwortete ich.

Im Hotel, in dem wir mit meinern Onkel Stewart wohnten, fanden wir eine Mitteilung vor. »Sofort bei Flottenkapitän Bogardus melden.«

Mein Onkel war im Kommandoraum des Kapitäns und wartete auf uns. Er lachte. Vielleicht hätte ich etwas vermuten sollen, doch ich tat es nicht. Da reichte mir der Kapitän den vertrauten Umschlag mit dem Platinwappen, und jetzt erst dämmerte es mir. »Die Tiefsee-Flotte macht nicht oft einen Fehler, aber wenn sie's tut, gibt sie's immer zu«, sagte er. »Sie beiden sind unter Druck von der Akademie abgegangen, und jetzt läßt sich nicht mehr daran zweifeln, daß dieser Druck unzulässig war. Nun, das ist von der Akademie. Für Sie beide. Machen Sie nur auf!«

Die Worte tanzten vor meinen Augen, als ich las: »Mit Rücksicht auf neue Informationen ...«, hieß es da, und »... Ausscheiden mißbilligt« Am wichtigsten war der letzte Satz: »Die Kadetten Eden, J. und Eskow, R., werden daher mit dem nächsten schnellen Transportmittel zur Akademie reisen, um das Training sofort wieder aufzunehmen. Im Auftrag des Kommandanten, U.S.S.S.«

Wir waren wieder aufgenommen! Und rehabilitiert!

Wie betäubt schauten wir einander auf dem Gang vor der Kommandokabine an, Bob und ich. Wir konnten unser Glück nicht fassen.

»Na, schön«, meinte ich und tat ganz überlegen, »es sieht so aus, als brauchten wir uns eine Weile nicht um einen Job umzuschauen.«

»Na, klar«, antwortete Bob mit einem Pokergesicht, und dann grinste er von einem Ohr zum anderen. »Jim, wir haben's geschafft! Komm, du Landratte, wir müssen packen. Die Gezeiten warten nicht!«

ENDE

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