Aleksander Puškin

Eugen Onegin


»Pétri de vanité, il avait encore plus de cette espèce d'orgueil, que fait avouer avec la même indifférence les bonnes comme les mauvaises actions, suite d'un sentiment de supériorité, peut-être imaginaire.«

Tiré d'une lettre particulière


Nicht auf die Gunst gestrenger Kenner,

Auf warmen Anteil nur bedacht,

Sei dir allein, als treuem Gönner,

Dies Pfand der Freundschaft dargebracht.

Dir, dessen Geist seit Jugendtagen,

Von heil'ger Phantasie belebt

Und von der Dichtkunst Hauch getragen,

In lautrem Ernst zur Höhe strebt.

Wohlan denn, laß ihn dir behagen,

Den anspruchslosen, bunten Strauß

Von oft so trüb', oft heitren Klängen,

Volksweisen, Idealgesängen,

Wie meinem Hirn sie wirr und kraus

Bei flücht'gem Musenspiel entsprossen:

Aus Träumen ferner Jugendzeit,

Dem Unmut bittrer Lebensglossen

Und meines Herzens tiefstem Leid!


Erstes Buch

Er stürmt durchs Leben hin, beschleunigt sein Gefühl.

Fürst Wjasemski


I

»Mein Onkel tut sehr brav und bieder,

Jetzt plötzlich sterbenskrank zu sein:

So schätzt man ihn doch einmal wieder;

Gescheitres fiel ihm selten ein.

Sein Beispiel – andern eine Lehre!

Wenn nur, o Gott, die Qual nicht wäre,

Vom siechen Greis bei steter Wacht

Nicht loszukommen Tag und Nacht!

Und diese Last gemeinster Pflichten:

Solch halbem Leichnam beizustehn,

Mit Arzenei zur Hand zu gehn,

Wehleidig ihm sein Pfühl zu richten –

Da seufzt man wohl und denkt für sich:

Wann endlich holt der Teufel dich!«


II

So machte seine bittren Glossen

In Extrapost ein junger Fant,

Dem als der Sippe letztem Sprossen

Das Glück der Erbschaft vorbestand.

Euch, die ihr Ruslan und Ludmillen

So warm empfingt mit Freundeswillen,

Sei meines Versromanes Held

Hier mit Verlaub gleich vorgestellt:

Mein Freund Onegin ward geboren

Am Newastrand, der auch wohl gar,

O Leser, deine Wiege war,

Zu deines Namens Glanz erkoren!

Einst kam auch ich dort gut zurecht –

Doch mir bekommt der Norden schlecht.

III


Sein Vater lebte bloß vom Borgen,

Seit der den Dienst mit Fug quittiert,

Vergaß bei Tanz und Schmaus die Sorgen –

Und war dann schließlich ruiniert.

Das Schicksal blieb Eugen gewogen:

Nachdem Madame es süß verzogen,

Gab man, weil trotzig, wenn auch gut,

Das Kind Monsieur l'abbé in Hut.

Der zage Franzmann hielt in Sachen

Des Unterrichts von Sanftmut viel,

Von Strenge wenig, mit dem Ziel,

Dem kleinen Schalk es leicht zu machen;

Ließ gehn, was irgend Zucht noch litt,

Und nahm ihn hübsch zum Stadtpark mit.


IV

Doch als die Zeit der bangen Wonnen,

Wo junge Sehnsucht schwärmt und klagt,

Auch für des Zöglings Herz begonnen,

Da ward Monsieur davongejagt.

Jetzt trat Eugen als freies Herrchen,

Geschniegelt wie ein Dandy-Närrchen,

Modern frisiert und angetan

Erstmalig auf den Weltenplan.

Französisch war ihm ganz zu eigen,

Er sprach und schrieb es tadellos,

War als Masurkatänzer groß

Und konnte sich scharmant verbeugen:

Braucht's mehr, damit die liebe Welt

Uns für gescheit und reizend hält?

V


Gelernt hat jeder von uns allen

Sein Pröbchen, minder oder mehr:

Drum ist, durch Bildung aufzufallen,

Bei uns, gottlob, nicht eben schwer.

Onegin war nach Ansicht vieler

(Berufner Kenner, streng subtiler)

Ein kluger Kopf, wenn auch Pedant:

Er pflegte nämlich höchst gewandt

Unaufgefordert dreinzuschwätzen,

Wo irgend nur geredet ward,

Sich zu Disputen ernstrer Art

Stumm würdevoll dazuzusetzen,

Und gab sie dann dem Damenkreis

Mit raschem Witz zum Lachen preis.


VI

Latein ist heut nicht mehr so wichtig.

Drum, frei herausgesagt, Eugen

War da so weit, um leidlich richtig

Widmungsinschriften zu verstehn,

Von Juvenal was vorzulügen

Und Briefen vale beizufügen,

Auch stand ihm aus Virgil zur Not

Ein magres Verschen zu Gebot.

Sich mit Historie abzuplagen

War nicht sein Fall, er wühlte nie

Im Staub der Weltchronologie;

Doch Anekdoten seit den Tagen

Des Remus bis auf unsre Zeit

Hatt' er im Kopfe stets bereit.

VII


Den Reiz, für Poesie zu leben,

Begriff er nicht, auch nimmerdar,

Soviel ich mir auch Müh' gegeben,

Was Iambus, was Trochäus war,

Und schalt Homer und andre Geister.

Doch Adam Smith war recht sein Meister,

Drum unterhielt er spät und früh

Papa mit Staatsökonomie,

Zum Beispiel: wie Kredit sich wandelt,

Wenn Wohlstand zunimmt, Arbeit nährt,

Und wie ein Land kein Gold entbehrt,

Sofern es Rohprodukte handelt.

Papa, der nichts vom Kram verstand,

Nahm Hypotheken auf sein Land.


VIII

Noch Weitres dieser Art zu melden,

Erübrigt sich und führt zu weit.

Doch was den Genius meines Helden

Mehr dartat als Gelehrsamkeit,

Was ihm seit frühen Jugendtagen

Zur Quelle ward von Lust und Plagen,

Wodurch er sich zur Leidenschaft

Aus leerem Nichtstun aufgerafft –

War – daß er um die Triebe wußte,

Die einst Ovid so reich besang,

Wofür der Dichter lebenslang

Fern von Italien büßen mußte,

Aus jungem Ruhm und Glück verbannt

Ins öde Moldausteppenland.

IX


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X


Wie früh verstand er schon die Künste

Der Eifersucht und Heuchelei,

Der Überredung Truggespinste,

Des Launenspiels, der Ziererei,

Die Kunst, bald sanft, bald stolz und eigen,

Bald dienstbar sich, bald kühl zu zeigen!

Wie karg und stumm war hier sein Mund,

Dort wie gesprächig kunterbunt,

Im Liebesbrief wie überschwenglich!

Wie selbstlos schien sein Herz allein

Von einem Trieb erfüllt zu sein!

Und dieser Blick, bald dreist-verfänglich,

Bald schamhaft-zärtlich, der sogar

Erlogner Tränen fähig war!

XI


Wie täuschend er den Neuling spielte,

Sich harmlos stellte, schüchtern tat,

Verzweifelt schien, nach Rührung schielte,

So schmeichelsüß um Neigung bat,


Dann, lauernd auf das kleinste Schwanken,

Der Unschuldsjahre keusche Schranken

Mit List und Feuer überwand;

Auf scheue Zärtlichkeit gespannt.

Zum Austausch drang von Liebesschwüren,

Um schnell beim ersten Herzenslaut,

Schon immer mehr und mehr vertraut,

Ein Stelldichein herbeizuführen,

Wo schleunigst nach Verführerart

Der Unterricht vollendet ward.

XII


Wie früh verfing in seinen Netzen

Sich selbst die erzkokette Frau!

Und wie verstand er still zu hetzen,

Verdacht zu streun und boshaft schlau

Des Leumunds Gift herumzutragen,

Um Nebenbuhler abzuschlagen!

Nur ihr glücksel'gen Eheherrn

Saht ihn als Hausfreund immer gern:

Der Schelm sowohl, der selbst hienieden

Faublas' galante Wege lief,

Der Greis, der ohne Argwohn schlief,

Wie auch der Hahnrei, stets zufrieden

Mit seinem Wanst, so satt und dick,

Sich selbst und seinem Eheglück.

XIII/XIV


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XV


Meist, eh er aufsteht, sind beizeiten

Schon Kärtchen da. Was gibt's, laß sehn;

Man lädt ihn richtig von drei Seiten

Zum Abend ein und bittet schön

Hier zum Geburtstag, dort zu Bällen.

Wie soll mein Schelm sich dazu stellen?

Wohin zuerst? Ach, einerlei,

Er schafft es schon für alle drei.

Einstweilen läßt er sich frisieren,

Stülpt auf den Kopf den Bolivar,


Fährt aus, stellt fein den Weltmann dar

Und geht geruhsam promenieren,

Bis allgemach die Stunde schlägt,

Da unser Freund zu speisen pflegt.


XVI

Schon dunkelt's. Schlitten her: geschwinde

Geht's »Platz da!« sausend übers Eis;

Zu Frost bereift bei scharfem Winde

Sein Biberkragen silberweiß.

Dort bei Talon zu guter Stunde

Harrt seiner schon die Tafelrunde,

Er tritt herein, der Pfropfen knallt,

Es strömt des Elfers Vollgehalt;

Zum blut'gen Roastbeef gibt's die Blüte

Von Frankreichs Küche, Trüffeln just,

Für junge Gaumen höchste Lust,

Straßburgs Pasteten erster Güte,

Limburger Käse unter Glas

Und schließlich goldne Ananas.

XVII


Man würde gern noch weiterzechen,

War das Menü doch reichlich fett,

Allein, die Uhr mahnt aufzubrechen:

Schon läutet's drüben zum Ballett.

Nun eilt Onegin ins Theater,

Allwo er sich als Kunstberater

Und Primadonnenfavorit

Nach Laune um Erfolg bemüht,

Und jeder kritisch sich betätigt,

Hier Beifall klatscht dem entrechat,

Dort mit Gezisch Kleopatra

Und Phädra abzutreten nötigt,

Vor allem Lärm macht, möglichst toll,

Damit man rings ihn hören soll.


XVIII

O Zauberwelt erlauchter Geister!

Wo einst so kühn die Geißel schwang,

Fonwisin, der Satire Meister,

Knjashnin manch klassisch Werk gelang;

Wo mit Semjonowa, der schönen,

Sich Oserow den Zoll der Tränen

Und Beifallsstürme spenden ließ;

Katenin seine Kunst bewies,

Der uns Corneille erst schätzen lehrte;

Wo Schachowskoi mit seiner Schar

Komödien – Liebling aller war,

Und wo Didelot sich stets bewährte –

Dort, dort in der Kulissen Raum

Träumt' ich so manchen Liebestraum.

XIX


Wo seid ihr göttlich Anmutsgleichen?

Ist euer Wirbel heut verrauscht?

Habt ihr mit andern, ach, nicht gleichen

Zu meinem Schmerz den Platz getauscht?

Tönt euer Sang noch süß belebend?

Wird Rußlands Terpsichore schwebend

Mein Aug' und Herz noch an sich ziehn?

Soll ich vergebens mich bemühn,

Ein teures Antlitz aufzufinden?

Und achtlos, mit dem Glas bewehrt,

Das fremden Reizen zugekehrt,

Enttäuschung mühsam nur verwinden,

Um gähnend unter all dem Schein

Entschwundnen Glücks gedenk zu sein?


XX

Schon ist das Haus gefüllt bis oben,

Parterre und Logen – dichter Hauf';

Die Galerie beginnt zu toben;

Da endlich rauscht der Vorhang auf:

Und lächelnd, in der Nymphen Reigen,

Umkost vom Zaubersang der Geigen,

Steht feenhaft im Märchenglanz

Istomina: sie hebt zum Tanz

Ihr Füßchen, kreist in leichten Ringen,

Dem Boden sanft nur angeschmiegt,

Schnellt auf – und plötzlich fliegt sie, fliegt Wie zarter Flaum auf Zephirs Schwingen;

Dreht blitzschnell Wirbel Schwung um Schwung

Und schließt graziös im Trillersprung.

XXI


Der Beifall rast. Jetzt kommt gewichtig

Onegin, zwängt sich stolpernd vor,

Erhebt sein Glas, durchmustert flüchtig

Der Logen reichen Damenflor,

Läßt Schmuck, Kostüm und Coiffüren

Sehr nonchalant Kritik passieren

Und dreht sich unbefriedigt um;

Grüßt da und dort ins Publikum

Mit streng bemeßner Etikette,

Beschaut dann, steif zurückgelehnt,

Die Bühne, kehrt sich ab und gähnt

Und murmelt: »Viel zuviel Ballette;

Das Personal taugt gar nichts mehr,

Und auch Didelot enttäuscht mich sehr.«


XXII

Noch flattern Engel, toben, dräuen

Lindwurm und Höllenkreatur,

Noch schnarcht der müde Troß Lakaien,

Die Pelze hütend, auf dem Flur;

Noch rauscht Musik, noch tönt dazwischen

Das Husten, Schneuzen, Klatschen, Zischen;

Noch breiten übers ganze Haus

Laternen ihren Schimmer aus;

Noch stampfen schauernd in den Strängen

Die Pferde, knirschen, schlagen sich,

Derweil die Kutscher ärgerlich

In Frost und Wärmefeuer drängen;

Doch fort schon ist Eugen: für ihn

Ist's Zeit, daheim sich umzuziehn.

XXIII


Soll nun vom Kabinett ich melden,

Wo unser Freund jetzt wohlbedacht

Als Muster junger Modehelden

Subtilste Toilette macht?

Was irgend London schwerbereichert

An Weltimporten aufgespeichert

Und gegen Holz und Talg und Teer

Zu Schiff uns austauscht übers Meer,

Und was Paris durch Kunstvermögen

Und als Geschmacksbeherrscherin

An Mitteln aufbringt, um den Sinn

Für Pracht und Luxus anzuregen –

Mit all dem schmückte seinen Hof

Der achtzehnjähr'ge Philosoph.


XXIV

Da sah man Stambuls Bernsteinpfeifen,

Nippes, Bronzen, Porphyr, Medaillons

Und (nur für Kenner) feinste Seifen,

Kristallgerät, Odeurflakons

Nebst kleinen Feilen, weichen Schwämmen,

Diversen Scheren, Messern, Kämmen

Und Bürsten jeder Wahl und Art

Für Zähne, Nägel, Kopf und Bart.

Man weiß, wie sich Rousseau beklagte,

Weil Grimm, der Weltmann, ruhig dreist

Vor ihm, dem lauten Feuergeist,

Die Nägel sich zu putzen wagte.

Doch war der Kämpfer für das Recht

In diesem Fall höchst ungerecht.

XXV


Es kann als Mensch sehr viel bedeuten,

Wer sonst auf saubre Nägel hält.

Weshalb auch gegen Mode streiten?

Regiert sie doch die ganze Welt.

Drum war Onegin, im Bestreben,

Nie Anlaß zur Kritik zu geben,

In seinem Äußren als Pedant

Fast übertrieben elegant,

Saß stundenlang, sich eifrig schmückend,

Vorm Spiegel, eh er fertig war,

Und glich dann wirklich auf ein Haar

Der lockren Venus, die berückend,

Als flotter junger Mann frisiert,

Zum Maskenball davonkutschiert.


XXVI

Ich könnte nun, nachdem ihr eben

Der Toilette Glanz gesehn,

Um Bildungswünschen nachzugeben,

Ans Schildern seiner Kleidung gehn.

Bei solchem Wagnis wird indessen

Die Nennung von Kostümfinessen,

Frack, Pantalons, Gilet, zur Pflicht, Und – all das gibt's auf russisch nicht.

Auch ist ja leider, mir zum Schaden,

Mein ungelenker, trockner Stil

Seit Anbeginn schon viel zuviel

Mit Fremdwortflittern überladen,

So heiß ich auch studiert' genug

Das akadem'sche Wörterbuch.

XXVII


Doch halten wir mit derlei Fragen

Uns hier nicht auf, um unverweilt

Zum Ball zu gehn, wohin im Wagen

Onegin schon vorausgeeilt.

Vor stummen Häusern, nachtumdunkelt,

Entlang der stillen Straße funkelt

In freundlich heller Doppelspur

Der Kutschlaternen Lichterschnur.

Buntfarbnen Scheins, den Schnee bestrahlend,

Besät mit Lampen flammt die Pracht

Der stolzen Hausfront durch die Nacht,

Und an den Fenstern, Schatten malend,

Huscht flüchtig Kopf um Kopf dahin

Von Kavalier und Tänzerin.


XXVIII

Da rollt Eugen zum Vestibüle:

Flugs eilt er am Portier vorbei

Treppaufwärts durch die Marmordiele,

Streicht übers Haar und schreitet frei

Zum Saal hinein: Gedrängte Massen;

Noch hat Musik nicht nachgelassen,

Geräuschvoll wogt Masurkatanz,

Rings helle Lust, bewegter Glanz;

Die blanken Gardesporen klirren,

Graziöser Füßchen holder Schwung

Entzündet heiße Huldigung,

Die Wangen glühn, die Blicke schwirren,

Und scheeler Zungen Spott und Hohn

Verschlingt der Geigen Jubelton.

XXIX


Im Jugenddrang nach Lust und Scherzen

Ließ so ein Ball mir keine Ruh':

Man angelt nirgends leichter Herzen

Und spielt sich kleine Briefchen zu.

Ihr Herrn Gemahle, seht, ich stelle

Mich euch zu Dienst für derlei Fälle:

Bedenkt mein Wort im vorhinein,

Ich will euch nur ein Warner sein.

Auch ihr Mamas, daß auf die Blüte

Der lieben Tochter scharf ihr paßt,

Nie das Lorgnon vom Auge laßt,

Sonst könnte, könnte – Gott verhüte!

Das schreib' ich hier so offen hin,

Weil ich nun längst gesittet bin.


XXX

Was hab' ich, ach, auf lockren Pfaden

Für schöne Zeit vertan! Und doch:

Wär's meinem Ruf nur nicht zum Schaden –

Auf Bälle flög' ich heute noch.

Wie lieb' ich all den bunten Trubel,

Die frische Lust, den Glanz und Jubel,

Der Damen Anmut, Duft und Schein,

Und ihre Füßchen erst! ... Allein

In Rußlands grenzenloser Weite

Gibt's hübscher Füßchen kaum drei Paar.

Ach, unvergeßlich immerdar

Bleibt eines mir! ... Noch heute, heute,

So ernst ich bin, verfolgt es mich,

Und selbst im Traume zittre ich.

XXXI


Wann nur, in welchen Wildnisbanden

Schlägst du sie, Tor, dir aus dem Sinn?

O Füßchen, Füßchen! Wo zulanden

Schwebt heut ihr über Blumen hin?

Gehätschelt in des Südens Milde,

Ließt ihr im öden Schneegefilde

Des rauhen Nordens keine Spur;

Dem wohlig weichen Teppich nur

Wart ihr gewohnt euch anzuschmiegen.

Vergaß ich blinder Schwärmer nicht

Verbannung, Heimat, Ruhm und Pflicht,

Um eurem Zauber zu erliegen?

Mein junges Glück entschwand im Blühn,

Gleich eurer Spur im Wiesengrün.


XXXII

Dianens Busen, Floras Wangen,

O Freunde, reizen meinen Sinn!

Und dennoch zieht mich mehr Verlangen

Zum Füßchen Terpsichores hin.

Denn, wie es Augen selig blendet

Und, Gunst verheißend, Wonne spendet,

Entfesselt es in Lust und Qual

Der Wünsche ungemeßne Zahl.

Das Füßchen lieb' ich, o Elvine,

Am Tische, vom Damast verhüllt,

Auf Wiesen, die der Lenz erfüllt,

Am Winterabend vorm Kamine,

Im glatten Ballsaal, hoch am Strand,

Auf schroffgranitner Klippenwand.

XXXIII


Ich sah das Meer an Sturmestagen:

Mit welchem Neid genoß ich dann,

Wie Flut um Flut herangetragen

Liebkosend ihr zu Füßen rann!

Wie wünscht' ich damals mit den Wellen

Im Kuß an sie heranzuschwellen!

Nein, nicht im tollsten Jugenddrang,

Da Gier mich trieb und Überschwang,

Empfand ich mich so hingerissen,

Holder Armiden süßen Mund,

Erblühten Busens volles Rund,

Entflammter Wangen Glut zu küssen;

Nein, nie hat sonst der Sinne Macht

In mir solch heißen Wunsch entfacht!


XXXIV

Noch andre teure Bilder schweben

Durch meiner Seele Traumesland:

Ich darf sie in den Bügel heben,

Ich fühl' ihr Füßchen auf der Hand;

Und wieder stürmt's in meinem Innern,

Holder Berührung süß Erinnern

Treibt jäh zum Herzen mir das Blut –

Erneute Qual, erneute Glut! ...

Genug. Es sind die stolzen Schönen

Nicht würdig, daß Gesang sie ehrt,

Sie sind der Leidenschaft nicht wert,

Der Lieder nicht, die ihnen tönen;

Ihr Mund, ihr lächelnd Auge lügt

Genau so, wie ihr Füßchen trügt.

XXXV


Na, und Eugen? Der fährt vom Balle

Schlaftrunken heim, aufs Bett bedacht,

Derweil ringsum bei Trommelschalle

Das Treiben Petersburgs erwacht.

Der Kaufmann rüstet, Boten fliegen,

Zur Börse rollt's von Droschkenzügen,

Die Milchmagd stapft, so schnell sie kann,

Durch knarrend frischen Schnee heran;

Der Frühlärm schallt als froher Wecker

Vor offnen Läden, blauer Rauch

Steigt kraus empor, und längst geht auch

Beim flinken Deutschen dort, dem Bäcker

Im weißen Hut, ohn' Unterlaß

Klapp-auf, klapp-zu sein »Was-ist-das«.


XXXVI

Inzwischen schläft, vom Ball ermüdet,

Vertauschend Nacht mit Morgenschein,

Das Kind der Weltlust wohlumfriedet

Bis in den hellen Tag hinein.

Erst mittags wird er sich erheben,

Und dann beginnt das gleiche Leben,

Dann lockt der gleichen Freuden Schar,

Und morgen folgt, was heute war.

Ob freilich dieser unbedachte,

Durch nichts gehemmte Vollgenuß

Von Jugend, Glanz und Überfluß

Eugen auch wirklich glücklich machte?

Erhielt sich, so von Lust betört,

Sein Herz trotz allem unversehrt?

XXXVII


Nein, sein Gefühl war bald erstorben,

Die bunte Welt erschien ihm leer;

Und, die er sonst so heiß umworben,

Die Schönen reizten ihn nicht mehr:

Er war es satt, genarrt zu werden.

Auch Freundschaft schuf ihm nun Beschwerden,

Denn ewig konnte man doch nicht

Zum Beefsteak oder Nachgericht

Champagner durch die Kehle jagen,

Und auf Verlangen obendrein

Mit schwerem Kopf noch geistreich sein;

Ja, sonst bereit, sich gleich zu schlagen,

Selbst Ehrenhändel ließ er nun,

So Degen wie Pistole, ruhn.


XXXVIII

Ein Leiden, welches aufzuklären,

Obschon verwandt mit Englands Spleen,

Die Ärzte längst verpflichtet wären,

Kurz: Rußlands Trübsinn hatte ihn

Seitdem bedenklich in den Krallen.

Sich aber einfach totzuknallen,

Das, Gott sei Dank, mißfiel ihm just;

Nur schwand ihm jede Lebenslust.

Und nun erschien er auf den Festen

Gleich Ritter Harold eisig stumm

Und blieb für Tanz und Spiel ringsum,

Für holde Seufzer, zarte Gesten,

Skandalgeschichten, Spott, Bonmots

Vollkommen kalt und teilnahmslos.

XXXIX/XL/XLI


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XLII


Ihr launenhaften großen Damen!

Euch ließ er ganz zuerst im Stich.

Der »feine Ton« im steifen Rahmen

Langweilt ja heut auch fürchterlich.

Zwar wissen manche höchst Aparten

Mit Say und Bentham aufzuwarten,

Doch was man sie so plappern hört,

Ist schaudervoll und mitleidswert.

Und dabei tun sie noch so wichtig,

So arg gebildet, stolz und fein,

Sind allesamt so engelrein,

So unzugänglich, keusch und züchtig,

So ganz den Männern abgeneigt,

Daß schon ihr Anblick Spleen erzeugt.

XLIII


Auch euch, ihr Dämchen freier Liebe,

Die ihr in sinnlich toller Hast

Spätnachts durch Petersburgs Getriebe

Von Droschken euch entführen laßt,


Auch euch beschloß er kühl zu meiden.

Und gründlich satt der wilden Freuden

Spann gähnend er zu Haus sich ein

Und nahm sein Schreibzeug vor. Allein,

Entwöhnt, mit Arbeit sich zu quälen,

Und weil der Feder nichts entfloß,

Mißlang's ihm, sich als Zunftgenoß

Den kecken Leuten beizuzählen,

An denen sich nicht gerne reibt,

Wer, so wie ich, ihr Handwerk treibt.

XLIV


Aufs neu dem Nichtstun preisgegeben,

Verstimmt, sich seelisch leer zu sehn,

Verfiel er drauf als löblich Streben,

Der Weisheit andrer nachzugehn.

Nun ließ er Haufen Bücher kommen,

Las, las, doch ohne Nutz und Frommen:

Hier war nur Unsinn, Trug und Tand,

Dort weder Einsicht noch Verstand,

Kurz, lauter Schund von blöden Schreibern;

Die alten waren nichts mehr wert,

Die neuen dreist und gleich verkehrt.

Deshalb verließ er nächst den Weibern

Nun auch der Bücher staub'ges Chor

Und überwarf's mit Trauerflor.

XLV


Gleich ihm entflohn der Weltlust Plagen,

Befreit aus hohler Formen Bann,

Ward ich sein Freund in jenen Tagen.

Er zog als Mensch mich lebhaft an

Mit seinem Hang zum Phantasieren,

Den unnachahmlichen Manieren,

Dem unbeirrbar scharfen Geist.

Ich war verbittert, er vereist,

Uns beide hatte schon das Leben,

Der Leidenschaften Spiel genarrt,

Uns beiden war das Herz erstarrt;

Wir hatten Jugend hingegeben,

Und nur Fortunas blinden Hohn

Und unsrer Mitwelt Haß zum Lohn.

XLVI


Wer lebt und urteilt, lernt beizeiten,

Wie tief verächtlich Menschen sind;

Wer fühlt, dem muß es Schmerz bereiten,

Wie schnell des Lebens Wahn zerrinnt.

Er kann nun all den Zauber missen,

Verzehrt sich in Gewissensbissen

Und spürt der Reue dumpfe Pein ...

Dergleichen spendet insgeheim

Der Unterhaltung reiche Würze.

Erst quälte mich Onegins Ton;

Doch ich gewöhnte bald mich schon

An seine blendend scharfe Kürze,

Den spöttisch überlegnen Stil,

Das fein geschliffne Redespiel.

XLVII


Wie oft – wenn in der sommerhellen,

Durchsicht'gen Nacht, des Mondes bar,

Sich in der heitern Newa Wellen

Spiegelten leuchtend, weiß und klar

Die endlos hohen Himmelsräume –

Ging unser Flug ins Reich der Träume,

Gedachten wir der Jugendzeit,

Der ersten Liebe Lust und Leid,

Und schwelgten in Erinnerungen,

Vom tiefen Zauber stumm berauscht!

Wie ein Gefangner träumend lauscht,

Zum grünen Wald sich wähnt entsprungen,

So trug uns lockend Schwärmersinn

Zum Frühling unsres Lebens hin.

XLVIII


Dann stand Eugen, sich heimlich sehnend,

Gedankenvoll, elegisch trüb

Und schweigsam am Granitbord lehnend,

Wie ein Poet sich einst beschrieb.

Ganz still war's; nur vereinzelt schollen

Der Schildwach' Rufe; fernes Rollen

Von spätem Fuhrwerk hallte matt

Aus der in Schlaf versunknen Stadt.

Im Strom, der schlummernd ausgebreitet

Dahinfloß, sich ein Kahn verlor,

Und fernher glitt zu unserm Ohr


Ein heitrer Sang, vom Horn begleitet ...

Oh, um wie voller man genießt,

Wo Tassos Lied die Nacht versüßt!

XLIX


O Adrias kristallne Wogen!

O Brenta! Doch – ich schaue euch,

Geschwellten Herzens hingezogen

Zu eurer Klänge Zauberreich!

Sie sind Apollos Enkeln teuer

Und mir durch Albions stolze Leier

Längst innig kund in tiefster Brust.

Ich will in sel'ger Nächte Lust

Italiens goldne Wonnen schlürfen,

In stiller Gondel zärtlich warm,

Venedigs holde Maid im Arm,

Bald stumm, bald plaudernd schwelgen dürfen,

Bis meinen Lippen süß vertraut

Petrarcas und der Liebe Laut!

L


Wird meiner Freiheit Stunde schlagen?

O schnell, schon treibt's mich ohne Ruh'

Zum Ufer hin, den Wind zu fragen,

Schon wink' ich Segeln Grüße zu.

Wann endlich gönnt mir Schicksalswille,

Durch Sturmwind oder Meeresstille

Frei hinzuziehn ins Sonnenland?

Bloß fort von diesem öden Strand

Mir feind gewordner Elemente,

Auf daß ich froh des Südens, nah

Dem Himmel meines Afrika,

Vom Düster Rußlands träumen könnte,

Wo Liebe mich und Leid bedrängt,

Wo ich mein Herz ins Grab gesenkt ...

LI


Zum Plan, uns reisend aufzufrischen,

War auch Onegin schon bereit;

Allein das Schicksal trat dazwischen

Und trennte uns für lange Zeit:

Sein Vater starb. Mit harten Blicken

Begannen Gläub'ger ihn zu drücken.


Ein jeder tut, was ihm gefällt:

Onegin, vor die Wahl gestellt,

Entschloß sich, um von Schachernöten

Nicht weiter drangsaliert zu sein,

Der eklen Sippschaft insgemein

Den magren Nachlaß abzutreten;

In stiller Ahnung offenbar,

Wie nah des Oheims Ende war.

LII


Schon kam auch wirklich mit Stafette

Bericht vom Gutsvogt an Eugen:

Sein Oheim, siech im Sterbebette,

Verlange dringlichst ihn zu sehn.

Sofort bestieg nach diesen Zeilen

Eugen die Post, um hinzueilen,

Mit stillem Groll darauf gefaßt,

Daß ihm so manche Pein und Last

Bei Wehgestöhn und Seufzermienen

Ums liebe Geld zu tragen blieb

(Wie ich's zu Anfang schon beschrieb);

Doch, kaum auf Oheims Gut erschienen,

Fand er den Greis schon aufgebahrt

Im Leichenschmuck zur Grabesfahrt.

LIII


Der Gutshof schwoll von Dienerscharen;

Von fern und nah zum Trauerhaus

Kam Freund und Feind herbeigefahren,

Begierig auf den Leichenschmaus.

Kaum barg das Grab die Erdenreste,

Bezechten Popen sich und Gäste

Und taten beim Nachhausegehn,

Als wär's in frommer Pflicht geschehn.

Mein Freund besaß nun weite Länder,

Mit Äckern, Mühlen, Wald und Flur,

War Gutsherr, bis vor kurzem nur

Ein Ordnungsfeind und Geldverschwender,

Und froh, weil seiner Lebensbahn

Solch Umschwung sichtbar wohlgetan.

LIV


Zwei Tage lang gefiel die Stille,


Das freie Land ihm wirklich gut,

Der dunkle Wald, die Saatenfülle,

Des Bächleins leise Murmelflut;

Am dritten schien der Fluren Segen

Ihn freilich kaum noch anzuregen!

Und endlich ließ ihn alles kalt.

Ihn drückte nun auch hier sehr bald

Dieselbe Langeweile nieder,

Wie dort bei Prunk und Stadtgewühl,

Theater, Ball und Kartenspiel.

Der alte Trübsinn kehrte wieder

Und hing ihm wie sein Schatten an,

Wie Weiber am geliebten Mann.

LV


Dafür kann ich so recht genießen,

Wenn mir des Dörfleins Ruhe winkt,

Wo im verborgnen Lieder sprießen,

Der Leier Stimme süßer klingt.

Dort darf ich schlendern, wunschlos sinnen,

Im Nachen schaukelnd Träume spinnen,

Dem far niente still geweiht.

Mit froher Ungebundenheit

Beschenkt mich jeder neue Morgen:

Ich lese wenig, schlafe viel

Und frage kaum nach Zweck und Ziel.

War's nicht dies Dasein ohne Sorgen,

In goldner Freiheit auf dem Land,

Wo ich das reinste Glück empfand?

LVI


O Blumen, Liebe, Flur und Frieden,

Euch geb' ich mich von Herzen hin!

Es freut mich, daß ich so verschieden

Von meinem Freund Onegin bin,

Weil nun kein Leser, mich bespöttelnd,

Noch jemand sonst, der, Arges zettelnd,

Mich selbst mit ihm vergleicht, fortan

Gewissenlos behaupten kann,

Ich hätte mich sehr unverfroren,

Von Byrons stolzer Art verführt,

Hier deutlich selber porträtiert;

Als müßten alle Herrn Autoren

Nur immerfort mit sich allein,


Dem lieben Ich beschäftigt sein!

LVII


Beiläufig: Dichter schwärmen immer,

Sobald ihr Herz von Liebe quillt.

Auch mich entzückte früh der Schimmer

Süßholder Wesen, deren Bild

Mir heimlich in der Seele webte,

Bis es der Muse Hauch belebte;

Und so besang ich froh-bereit

Mein Ideal, des Berglands Maid,

Die am Salgir gefangnen Schönen.

Nun fragt ihr lieben Freunde mich

Jetzt gar so oft: »Für wen, o sprich,

Entströmt dein Schmerz in Leiertönen?

Wem aus der eifersücht'gen Schar

Der Mädchen bringst du Opfer dar?

LVIII


Wes Zauberblick voll Seligkeiten

Belohnte mit der Liebe Dank

Den tiefen Wohllaut deiner Saiten?

Sprich, wen vergöttert dein Gesang?«

Ei, niemand, Freunde, Gott zum Zeugen!

Der Leidenschaften Sturmesreigen

Warf Trostes bar mich an den Strand.

O glücklich, wer dem Sinnenbrand

Des Sanges reine Glut vermählte,

Zwiefach so steigernd ihren Glanz

Und mit Petrarcas Ruhmeskranz

Begnadet – alles, was ihn quälte,

Vom Herzen warf! Nur mich allein

Zwang Liebe, blöd und stumm zu sein.

LIX


Sie schwand; die Muse kehrte wieder,

Der Schleier fiel von meinem Blick.

Befreit nun ruf' ich alte Lieder,

Gefühl, Gedanken mir zurück.

Mein Herz ist still, derweil ich schreibe;

Die Feder malt zum Zeitvertreibe

Kein Köpfchen, keine Füßchen mehr,

Wie sonst, um meine Strophen her.


Kein Funke kann im Busen zünden,

Der Seufzer starb, ich traure nur,

Und bald wird auch die letzte Spur

Der einst'gen Seelenstürme schwinden.

Gleich fang' ich ein Poem sodann

In fünfundzwanzig Sängen an.

LX


Schon hab' ich nebst der Form des Planes

Mir einen Helden ausgedacht –

Inzwischen hier des Versromanes

Ersten Gesang zum Schluß gebracht;

Hab' viel gebessert, viel gestrichen,

Zwar wimmelt's noch von Widersprüchen,

Doch sei's darum. Und kurz und gut:

Dem Zensor zahl' ich gern Tribut,

Und übergebe zur Vernichtung

Mein Werk der Rezensentenhand.

So zieh denn hin zum Newastrand,

Du, meine neugeborne Dichtung,

Und wirb mir dort des Sängers Lohn:

Mißdeutung, Undank, Spott und Hohn!


Zweites Buch

O rus!

Horaz


O Rußland!


I

Der Landsitz, wo Onegin gähnte,

War recht ein Plätzchen zum Gedeihn;

Dort durfte, wer nach Glück sich sehnte,

Dem Himmel wahrhaft dankbar sein.

An eines Bächleins klarem Spiegel

Stand unterm Windschutz sanfter Hügel

Allein für sich ein Herrenhaus.

Sein Giebel schaute frei hinaus

Auf Saatengold und grüne Matten;

Rings lagen Dörfchen still verstreut,

Viehherden grasten weit und breit,

Und flüsternd wölbte seine Schatten

Des Parks verträumter Wipfelwald,

Ernster Dryaden Aufenthalt.


II

Das Schloß, von ernst behäb'gen Zügen,

Wie sich's für Schlösser so gebührt,

War würdevoll und streng gediegen

Nach alter Baukunst ausgeführt:

Hochhelle Räume, breite Gänge,

Im Saal schwerseidne Wandbehänge,

Des Zaren Bild in Hermelin

Und bunte Fliesen am Kamin.

Heut gilt das alles für veraltet,

Weiß Gott warum; wie dem auch sei,

Für meinen Freund blieb's einerlei,

Welch ein Geschmack darin gewaltet:

Denn gähnend fand er's ganz egal,

Ob alter, ob moderner Saal.

III


Er fand im selben Raum Behagen,

Wo vierzig Jahr' lang frommbeseelt

Der Dorfgreis Fliegen totgeschlagen

Und mit der Magd herumkrakeelt.

Ein schlichtes Zimmer: eichne Diele,

Zwei Schränke, Sofa, Tisch und Stühle,

Kein kleinster Tintenfleck zu sehn.

Die Schränke prüfend fand Eugen:

Hier Wirtschaftsbücher, dort die Spender

Des Seelentrostes: Schnaps, Likör

Und Apfelwein, ein ganzes Heer;

Von Anno acht den Volkskalender.

Sonst hatte bei der Pflichten Last

Der Greis kein Buch mehr angefaßt.


IV

Allein inmitten seiner Güter,

Auch weil er sonst noch nichts getan,

Verfiel Eugen als Ortsgebieter

Auf einen neuen Wirtschaftsplan:

Als freier Geist in engen Zeiten

Erließ er seinen armen Leuten

Die altererbte harte Fron;

Sie dankten ihm mit Gotteslohn.

Darob erboste sich im Winkel

Der geiz'ge Nachbar, weil für ihn

Solch Beispiel höchst gefährlich schien;

Gespottet ward sogar aus Dünkel,

Und endlich kam man überein:

Das muß ein schlimmer Vogel sein!

V


Erst gab's noch oft Besuch und Gönner;

Doch weil er sich verschmitzt erwies

Und jedesmal sich flugs den Renner

Im Hinterhofe satteln ließ,

Sobald er vorn die stark beschwerte

Familienkutsche rumpeln hörte,

Verschnupfte diese Prellerei,

Und mit der Freundschaft war's vorbei.

»Der Nachbar ist verrückt, ein Flegel

Und Umsturzmann, so frech wie roh;

Sitzt immerfort beim Glas Bordeaux;

Vergißt vor Fraun die Anstandsregel;

Brummt weiter nichts wie ja und nein, Der Tropf!« So hieß es allgemein.


VI

Dortselbst erschien in jenen Tagen

Ein neuer Gutsherr auf dem Land,

An dem mit gleichem Unbehagen

Die Nachbarschaft zu kritteln fand:

Wladimir Lenski, ein im Busen

Göttingisch freier Sohn der Musen,

Von jugendfrischem Hauch umweht,

Anhänger Kants, dazu Poet.

Er brachte aus Germaniens Nebeln

Die Früchte reifer Wissenschaft:

Verstand, sehr tief, doch rätselhaft,

Freiheitsbegeisterung, kaum zu knebeln,

Beredsamkeit, höchst wunderbar,

Und langes, schwarzes Lockenhaar.

VII


Noch rein und unberührt geblieben

Vom Lastertreiben dieser Welt,

War noch von Freundschaft, treuem Lieben

Sein ahnungsloses Herz geschwellt.

Noch stand es holdem Irrtum offen,

Noch wiegte ihn ein süßes Hoffen,

Und gläubig gab sein Schwärmersinn

Sich noch dem Trug des Lebens hin.

Den Zweifel, wenn er leis erwachte,

Verscheuchte seiner Träume Spiel,

Wobei er sich des Daseins Ziel

Als abgrundtiefes Rätsel dachte,

Sich oft den Kopf darum zerbrach

Und von der Zukunft Wundern sprach.


VIII

Er glaubte, eine Seele wäre

Für ihn bestimmt, durch Sympathie,

Die trostlos sich in Harm verzehre

Und seiner harre spät und früh;

Er glaubte, treue Freunde ließen

Sich gern für ihn in Ketten schließen

Und seien hilfreich jederzeit

Zu Beistand in Gefahr bereit;

Daß Menschen leben, die in Gnade

Erwählt vom Schicksal ...

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IX


Sein Mitleid mit der Not auf Erden,

Sein Wahrheitstrieb und Edelmut

Sowie der Wunsch, berühmt zu werden,

Erregten früh sein junges Blut.

Die Welt durchschwärmend mit der Leier,

War ihm an Schillers, Goethes Feuer

In deren Himmel seine Brust

Emporgeloht in Sangeslust.

Und seiner Muse holde Gaben

Entweihte er, der Reine, nie:

Der Hochflug seiner Poesie

War über Erdenstaub erhaben,

Von träumerisch naivem Schwung

Und schöner, keuscher Mäßigung.


X

Er sang von demutsvoller Liebe,

Und harmlos war sein Lied und rein

Wie eines Mägdleins Unschuldstriebe,

Wie Kindestraum, wie Mondenschein,

Dem, wenn er nachts so friedlich leuchtet,

Die Sehnsucht ihren Kummer beichtet;

Er sang von Wehmut, Trennungsharm,

Von Nebelduft und andrem Schwarm,

Von Rosen, die romantisch sprossen;

Er sang von Ländern fern und weit,

Wo in verschwiegner Einsamkeit

Einst bitter seine Zähren flossen;

Er sang von frühem Tod sogar –

Ein halbes Kind von achtzehn Jahr!

XI


In dieser Wüste, wo von allen

Ihn nur Eugen nach Wert bemaß,

Empfand er wenig Wohlgefallen

An seiner Nachbarn derbem Spaß

Und ihren lauten Trinkgelagen;

Auch ihr Gespräch von Wirtschaftsfragen,

Heuernte, Dung und Ackerfrucht,

Familie, Wein und Hundezucht

Gebrach zu sehr an Geistesblüten,

Poetisch reiner Harmonie,

Verstand, Gefühl und Phantasie,

Um für den Ton Ersatz zu bieten;

Das Schlimmste freilich war dabei

Der bessern Hälften Klatscherei.


XII

Als hübscher Bursch mit viel Vermögen

Kam Lenski als ein Freiersmann

Den Landfamilien sehr gelegen:

Jedweder Mutter lag daran,

Den »halben Russen« einzufangen.

Er kommt: gleich wird drauflosgegangen,

Wie öde doch das Einerlei

Des Hagestolzenlebens sei;

Zum Samowar wird herbefohlen,

Schön-Dunja macht den Tee geschwind,

Man flüstert: »Sei recht lieb, mein Kind!«

Dann läßt man die Gitarre holen,

Und Dunja flötet (wehe dir!):

»Komm auf mein güldnes Schloß zu mir!«

XIII


Doch Lenski schien aus guten Gründen

Solch zarte Fesseln noch zu scheun

Und wünschte, statt sich schon zu binden,

Vorerst Onegins Freund zu sein.

Es glückte. Zwischen Fels und Fluten,

Gesang und Prosa, Eis und Gluten

Gab's eher noch ein Bindeglied.

Auch schuf der Wesensunterschied

Den beiden anfangs viel Beschwerden;

Doch man gefiel sich, wurde warm,

Ritt täglich aus, ging Arm in Arm,

Um schließlich eng vertraut zu werden.

Wie denn (mir selber ist's passiert)

Faulenzerei zur Freundschaft führt.


XIV

Zwar ist auch solche Freundschaft selten,

Weil unser blinder Dünkel meint,

Daß andere bloß für Nullen gelten,

Wodurch man selbst als Eins erscheint.

Uns dünkt, wir seien Bonaparte,

Und blicken von der steilen Warte

Auf die zweibein'ge Kreatur:

Für uns ist sie ein Werkzeug nur.

Da war Eugen noch gut zu leiden;

Denn eben, weil er ganz und gar

Kein Freund der lieben Menschheit war,

Verstand er scharf zu unterscheiden,

So daß er manchen gelten ließ

Und seinem Herz Respekt erwies.

XV


Drum ließ er Lenski ruhig schwärmen,

Begeistert in den Himmel schaun,

Sich an der Rede Glanz erwärmen

Und arglos seinen Sinnen traun;

Ihm war's so neu, so ungewöhnlich.

Auch hielt er, von Natur versöhnlich,

Mit kühlem Widerspruch zurück

Und dachte: soll ich ihm dies Glück

Der kurzen Täuschung jetzt schon rauben?

Das tut die Zeit ja später doch.

Mag denn dies Herz einstweilen noch

Ans Paradies der Erde glauben,

Und Nachsicht drum dem jungen Blut,

Dem jungen Wahn, der jungen Glut!


XVI

Sie stritten über jede Frage,

Die Stoff zum Disputieren bot:

Das Völkerschicksal grauer Tage,

Das Leben vor und nach dem Tod,

Das Vorurteil, an dem wir kranken,

Und unsrer Weisheit enge Schranken,

Ja, oft sogar ward Gott und Welt

Noch ernster Prüfung unterstellt.

Wenn dann sein Dichterherz ihm pochte,

Trug Lenski, der sich gern verlor,

Fragmente seiner Lyrik vor,

Und Freund Eugen, der lächeln mochte,

Ergab sich mit Geduld darein

Und ließ ihn hochpathetisch sein.

XVII


Ihr liebstes Thema war daneben

Der Leidenschaften Tyrannei.

Eugen, schon mehr gereift im Leben,

Beschränkte sich zumeist dabei

Auf melancholisch ernste Glossen.

Wohl dem, der Liebe tief genossen

Und ihr zuletzt sich doch entwand;

Noch besser, wer sie nie gekannt,

Der Lockung durch Verzicht begegnet,

Dem Haß durch Spott; im warmen Nest

Bei Weib und Freund sich wohl sein läßt,

Von Argwohn frei sein Schicksal segnet

Und nie sein hübsch ererbtes Geld

Dem Spieltisch zur Verfügung stellt!


XVIII

Sobald wir in der Weisheit Hafen

Nach manchem Sturm gelandet sind,

Begierden, Wunsch und Triebe schlafen,

Und nun dies ganze Labyrinth

Durchkämpfter Qual, verfehlter Ziele,

Der Nachhall einst'ger Hochgefühle,

Die mühsam wir zur Ruh' gebracht –

Uns nur noch leise lächeln macht,

Dann lauschen wir mit Wohlbehagen

Der heißen Jugend Herzenswahn.

Hört doch der blinde Veteran,

Der einst im Feld sich brav geschlagen,

Noch gern in seiner Altersruh'

Berichten jüngrer Krieger zu.

XIX


Wogegen, immer überschwenglich,

Die Jugend nicht zu schweigen weiß:

Ihr rascher Mund gibt unbedenklich

Haß, Liebe, Glück und Kummer preis.

Sich selbst als Veteranen fühlend,

Vernahm Eugen, den Ernsten spielend,

Wie sein Poet so nach und nach

Das Siegel seines Herzens brach

Und sein Geheimnis zarter Triebe

Dahingab an des Freundes Schoß.

Und so empfing er mühelos,

Die scheue Beichte erster Liebe,

Ein bunt Gewirr von Schwärmerei,

Das alte Lied, doch ewig neu.


XX

Er liebte, ach, wie heutzutage,

Kein einz'ger mehr in Lieb' entflammt,

Und wie vom Los zur Liebesplage

Nur der Poet ist noch verdammt:

In steter Sehnsucht, steter Trauer,

In ewig gleichem Wonneschauer,

In ungemindert heißem Brand!

Kein Aufenthalt in fremdem Land,

Kein hold Getändel mit den Musen,

Nicht Studium, nicht Trennungszeit,

Nicht Freundschaft noch Geselligkeit

Noch andrer schöner Mädchen Busen –

Nichts hatte je das Band, gesprengt,

Den Trieb des Herzens abgelenkt.

XXI


Er hatte früh schon aus der Ferne

Sich an Klein-Olgas Reiz erbaut

Und unschuldsvoll, ein Knabe, gerne

Dem Spiel der Kleinen zugeschaut,

Es oft im Garten selbst geleitet

Und so die Neigung vorbereitet,

Bis hier Mama und dort Papa

Im Geist das künft'ge Pärchen sah.

Auf diesem stillen Erdenfleckchen

War sie erblüht zu keuscher Pracht,

Von Elternaugen treu bewacht,

Wie ein verborgnes Maienglöckchen,

Im Grün versteckt, das holde Ding,

Vor Bienchen wie vor Schmetterling.


XXII

Sie schenkte ihm zu stiller Feier

Den ersten Traum der Seligkeit;

Der erste Seufzer seiner Leier

War ihrem süßen Bild geweiht.

Ade, ihr goldnen Jugendspiele!

Nun zog es ihn zur Waldeskühle,

Wo Einsamkeit und Schweigen wohnt,

Zur dunklen Nacht, zu Stern und Mond,

Dem guten Mond, der Himmelsleuchte,

Die uns auf jungem Liebespfad

So oft ein treuer Kamerad,

So oft ein Trost in Tränen deuchte ...

Und die man später nur noch kennt,

Wenn sonstwo kein Laternchen brennt.

XXIII


Stets artig, folgsam, sanft, bescheiden,

Stets heiter wie das Morgenrot,

Unschuldig wie des Dichters Freuden,

Gleich einem Kuß, den Liebe bot,

Die Augen blau, die blonden Zöpfchen,

Der Gang, der Wuchs, das feine Köpfchen,

Dies alles zwang in Olgas Bann.

Jedoch in jedem Schundroman –

Man liest ihn wohl in Mußestunden –

Wird euch ihr Konterfei beschert.

Ich selber hab' es einst verehrt,

Doch später recht banal gefunden.

Drum laßt uns, ohne umzusehn,

Zur ältren Schwester übergehn.


XXIV

Sie hieß Tatjana ... Solcherweise

Bin ich's zuerst, der unverzagt

Euch diesen Namen niedrer Kreise

Gar im Roman zu bieten wagt.

Warum auch nicht? Er klingt poetisch,

Obschon, ich weiß es, zart ästhetisch

Geschulten Ohren sehr trivial,

Vulgär. Nun, in der Namenwahl

(Von unsern Versen ganz zu schweigen)

Vermögen wir trotz Bildungslack,

Wir alle, weder viel Geschmack

Noch eben viel Kultur zu zeigen;

Uns blieb vom Segen höhern Lichts

Nur Affektiertheit – weiter nichts.

XXV


Kurzum: Tatjana hieß sie eben.

Mit jener frischen Wangenpracht,

Der Schönheit und dem quicken Leben

Der Schwester war sie nicht bedacht.

Schwermütig, wortkarg, ernst und eigen,

Scheu wie ein Reh im Waldesschweigen,

Erschien sie im Familienkreis

Wie ein verpflanztes, fremdes Reis.

Den Eltern zärtlich anzuhängen

Verstand sie nicht; als Kind sogar

Vermied sie schon, sich in die Schar

Der Spielgenossen einzumengen,

Und hockte lieber ganz allein

Am Fenster, um für sich zu sein.


XXVI

Solch stundenlanges Träumespinnen,

Von Kindheit auf ihr liebster Hang,

Verklärte ihren weichen Sinnen

Den dörflich stillen Alltagsgang.

Zum Nähen wie zu Handarbeiten

Gelang es nicht sie anzuleiten,

Dergleichen häuslich frohe Pflicht

Geriet den zarten Händchen nicht.

Den Trieb zum Herrschen offenbaren

Sonst Mädchen zeitig: schon das Kind

Erzieht sein Püppchen, lernt geschwind

Die spätre Kunst in jungen Jahren

Und wiederholt mit strengem Ton

Dem kleinen Balg Mamas Lektion.

XXVII


Doch selbst in diesen Kindestagen

Ließ Tanja derlei Spielzeug ruhn,

Sie mochte nie die Püppchen tragen,

Mit ihnen schwatzen, zärtlich tun,

Auch nichts von Kinderspäßen hören.

Allein bei schönen Schauermären

Am warmen Herd zur Winterzeit

Ward ihr das Herzchen wohlig weit.

Selbst wenn die Amme Spielgenossen

Zum Fangball auf die Wiese rief

Und Olga fröhlich sprang und lief,

Tat sie nicht mit und schien verdrossen,

Weil Lust und Lärm der kleinen Schar

Dem ernsten Kind zuwider war.


XXVIII

Vor Tagesanbruch stand sie gerne

Schon am Balkon, vom Schlaf erfrischt,

Wenn nach und nach der Chor der Sterne

Am bleichen Horizont verlischt,

Die fernen Hügel rot zerfließen,

Frühwinde sanft den Morgen grüßen

Und dann im Glanz der Tag erwacht.

Im Winter selbst, wenn tiefe Nacht

Noch hüben in den Tälern schlummert

Und drüben blaß und still der Mond

Auf dunklen Wolkenschleiern thront,

Der graue Osten träge schlummert –

War sie gewohnt bei Kerzenschein

Schon zeitig aus dem Bett zu sein.

XXIX


Dem stillen jungen Mädchen galten

Romane längst als höchste Lust;

Rousseaus und Richardsons Gestalten

Belebten ihre Schwärmerbrust.

Ihr Vater, der als komisch trister,

Beschränkter Kauz und Hausphilister

Nie Bücher las, deshalb den Kram

Für harmlos leichten Plunder nahm,

Versäumte, weil er nichts entdeckte,

Beizeiten auf der Hut zu sein,

Welch Schmöker seinem Töchterlein

Nachtsüber unterm Kissen steckte;

Obzwar ja doch Mama sogar

Durch Richardson ganz närrisch war.


XXX

Die hielt auf ihn so große Stücke,

Nicht weil sie selbst ihn etwa las,

Und Lovelace, diesen Schuft voll Tücke,

Mit Grandison, dem Edlen, maß;

Nein, bloß weil einstmals die Kusine

In Moskau, die Komteß Pauline,

Von beiden gar so oft erzählt.

Da war sie selbst noch unvermählt,

Verlobt zwar, aber glomm in Schmerzen

Für einen andern jungen Mann,

Der ihre Neigung rasch gewann,

Ein Grandison nach ihrem Herzen,

Ein Spieler, dabei sehr galant,

Ein Geck und Gardeleutenant.

XXXI


Sie trug sich, wie dies Wunderwesen,

Stets ganz modern und höchst geziert,

Ward aber ohne Federlesen

Doch mit dem ersten kopuliert.

Der fuhr in wohlerwogner Eile,

Damit ihr wundes Herzchen heile,

Mit ihr davon aufs stille Gut.

Dort kam zunächst die Tränenflut,

Sie sträubte sich und schrie und stöhnte,

Bis allgemach nach Zwist und Zank,

Beschwichtigt durch den Wirtschaftsgang,

Ihr Trotz sich friedsam eingewöhnte.

Hat Gott doch dem, der Glück entbehrt,

Gewohnheit als Ersatz beschert.


XXXII

Sie half den Kummer überwinden,

Der andern Balsam von sich wies,

Und lehrte bald ein Mittel finden,

Das jeden Schmerz vergessen ließ:

Und zwar die Kunst, durch feine Schlingen

Den Gatten unters Joch zu zwingen,

Um selbst das Räderwerk zu drehn.

Und gleich ging alles wunderschön:

Sie zankte mit den Ackerleuten,

Schor Köpfe, salzte Pilze ein,

Nahm alles selbst in Augenschein,

Ließ samstags sich ihr Bad bereiten,

Ohrfeigte ab und zu die Magd

Und ließ den Gatten ungefragt.

XXXIII


Wenn vormals sie den Schwarm nur kannte,

Mit Blut ins Album Verse schrieb,

Das Bäschen süß »Pauline« nannte,

Die Stimme bis zum Flöten trieb,

Die Taille ganz unglaublich schnürte

Und unser N, das ungezierte,

Französisch durch die Nase sprach –

Ließ jetzt solch Unfug gründlich nach:

Korsett und Album nebst »Pauline«,

Das Näseln, das Gebildettun

Ward abgetan, sie rief auch nun

Kurzweg Akulka statt »Seline«

Und trug zu guter Letzt im Haus

Nur Haube noch und Watteflaus.


XXXIV

Ihr Mann, gewohnt, sich still zu schicken,

Stets sanft und liebreich im Verstehn,

Vertraute ihr in allen Stücken

Und ließ sich nur im Schlafrock sehn.

Sein Tag verfloß in Ruh' und Frieden,

Und kamen abends, froh beschieden,

Die Nachbarn zum Besuch kutschiert,

Dann ward gemütlich diskutiert,

Der liebe Nächste vorgenommen,

Ein heitres Späßchen laut belacht

Und prächtig so die Zeit verbracht,

Bis Olga mit dem Tee gekommen,

Hernach geschmaust, die Uhr befragt

Und schließlich gute Nacht gesagt.

XXXV


Sie hielten sich im schlichten Rahmen

Altbiedrer Art behaglich frisch;

Stets in der Fastnachtwoche kamen

Die fetten Plinsen auf den Tisch,

Und zweimal jährlich ging man beichten.

Der Mummenschanz und Christmarkt reichten

Zu ihrer Kurzweil völlig aus.

Am Pfingsttag, wenn im Gotteshaus

Die Bauern gähnend Messe hören,

Vergossen sie so rührsam nett

Paar Tränchen auf ihr Pfingstbukett.

Bei Tisch kam stets der Kwaß zu Ehren,

Und Gästen ward, wie sich's gebührt,

Genau nach Stand und Rang serviert.


XXXVI

So kamen beide in die Jahre,

Bis eines Tags der Alte starb

Und, friedlich schlummernd auf der Bahre,

Sich einen neuen Kranz erwarb.

Er starb ein Stündchen vor dem Essen,

Von allen Nachbarn unvergessen

Und Weib und Kindern laut beweint,

Als treue Seele, niemand feind.

Er war als Herr so sanft und gnädig,

Und über seinem Totenschrein

Verkündet ein Gedächtnisstein:

»Hier ruht in Gott, der Sünden ledig,

Erlöst von aller Erdenqual,

Herr Dmitri Larin, General.«

XXXVII


Alsbald, nachdem er heimgekommen,

Trat Lenski vor die stille Gruft,

Die teure Ruhstatt dieses Frommen,

Und machte sich in Seufzern Luft,

War sturmbewegt und weinte lange.

»Poor Yorick!« sprach er wehmutsbange:

»Auf seinen Armen trug er mich;

Ließ oft das Knäblein väterlich

Mit seinen blanken Orden spielen;

Er hatte Olga mir geweiht,

Er sprach: ›Erleb' ich noch die Zeit?‹«

Und übermannt von Schmerzgefühlen,

Schrieb Lenski mit erhabnem Sinn

Ein Verschen auf den Grabstein hin,


XXXVIII

Um gleichen Ortes unter Zähren

Auch seiner Eltern Trauermal

Mit einem ernsten Spruch zu ehren ...

Ach, hier im bunten Erdental

Ist kurz Erblühn und schnell Erkalten

Nach unerforschtem Schicksalswalten

Das Erbteil aller Kreatur,

Und eine folgt der andern Spur ...

So sprießt in kurzen Erdentagen

Die Menschensaat und welkt hinab,

Zu ihrer Ahnen dunklem Grab.

Auch uns wird bald die Stunde schlagen,

Da unsern Leib, wie's Gott so lenkt,

Der Enkel in die Grube senkt!

XXXIX


Drum, Freunde, schlürft in vollen Zügen

Des Lebens kurzbemeßne Lust!

Ich freilich kenne seine Lügen,

Bin mir der Täuschung kühl bewußt

Und mag den Irrwahn nicht mehr teilen.

Ein leiser Wunsch nur quält zuweilen

Mein Herz mit ungewisser Pein:

Ich möchte nicht verurteilt sein,

Ganz spurlos aus der Welt zu scheiden;

Begehre keinen eitlen Ruhm –

Nur soll mein Erdenpilgertum

Sich noch in solchen Schimmer kleiden,

Daß freundlich, wenn auch matt beschwingt,

Ein Schall doch von mir Kunde bringt,


XL

Um da und dort ein Herz zu rühren;

Daß, vom Geschick bewahrt, fortan

Mein Lied im Strom sich nicht verlieren,

In Lethes Nacht versinken kann;

Ja, daß vielleicht (o schönstes Hoffen!)

Einst noch der dümmste Narr betroffen

Vor meinem Bilde stille steht

Und staunend ausruft: »Welch Poet!«

Dir aber sag' ich treuverbunden,

O Freund der Musen, wärmsten Dank,

Wenn mein bescheidner, flücht'ger Sang

In deiner Brust Asyl gefunden

Und gönnerhaft dein Finger rührt

Den Lorbeer, der das Haupt mir ziert.


Drittes Buch

Elle était fille, elle était amoureuse.

Malfilâtre


I

»Schon fort? Ein Kreuz mit euch Poeten!« –

»Leb wohl, Onegin, höchste Zeit!« –

»Schön, schön, ich will dich nicht verspäten; Doch wohin eilst du? Gib Bescheid.« –

»Zu Larins.« – »Hm ... Gesteh mal ehrlich:

Ist's auf die Dauer nicht beschwerlich,

Dies Hocken in Familie, sprich?« –

»Durchaus nicht.« – »Traun, das wundert mich; Man malt sich solche Dorfgeschichte –

So ist's doch? – schon von weitem aus:

Ein russisch-philiströses Haus,

Sehr gastfrei, eingemachte Früchte,

Nebst ewig gleichem Redeschwall

Von Wetter, Flachs und Rinderstall ...« –


II

»Das läßt sich immer noch ertragen.« –

»Man stirbt vor Langerweile, Freund.« –

»Dir mag die große Welt behagen,

Mich lockt ein Heim, wo traut vereint

Zwei Herzen ...« – »Himmelst du schon wieder?

Freund, bitte, keine Schäferlieder!

Du fährst nun, schade. Noch ein Wort:

Hör, Lenski, könnt' ich wohl mal dort

Die Phyllis sehn, die all dein Dichten

Begeistert, stets im Traum dir nah,

Und Harm und Schwarm et cetera? ...

Stell mich doch vor.« – »Du scherzt.« – »Mitnichten!« –

»Dann gern.« – »Wann also?« – »Gleich, steig ein, Wir werden sehr willkommen sein.« –

III


»Wohlan!« – Sie fahren los, gelangen

Ans Ziel und sehn sich allbereit

Behaglich-würdevoll empfangen

Mit umstandsreicher Gastlichkeit.

Hier ist die alte Zeit zu spüren:

Auf kleinen Tellern Konfitüren,

Gastfreundlich wird herangeschafft

In hohem Kruge Beerensaft.

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IV

Der Abend kommt, die Freunde scheiden

Und kutschen heim bei Dämmerlicht.

Nun laßt uns hören, was die beiden

Zu reden haben. Lenski spricht:

»Du gähnst, Onegin?« – »Laß das Fragen,

Gewohnheit, Freund, hat nichts zu sagen.« –

»Doch mehr als sonst.« – »Ach was, egal!

Wie schnell es dunkelt, schau doch mal!

Andrjuschka, zugefahren! Scheußlich,

Dies öde Feld ... Na, tut mir leid:

Mama wirkt etwas bäurisch breit,

Scheint aber sonst ganz brav und häuslich ...

Daß der verdammte Beerensaft

Mir nur keine Beschwerden schafft!

V


Hm ja, die Töchter ... wer von beiden

War Tanja?« – »Jene, die so trüb

Und schweigsam, wie um uns zu meiden,

Ans Fenster trat und abseits blieb.« –

»Dich reizt die Jüngre?« – »Ja – weswegen?« –

»Mir wär' an jener mehr gelegen,

Wär' ich, wie du, apollbeseelt:

Den Augen deiner Olga fehlt,

Gleichwie van Dycks Madonnen, Leben;

Ihr Rosenlärvchen, prallgesund,

Gleicht dort dem Mond, der dumm und rund

Sich anschickt, uns Geleit zu geben.«

Wladimir wich der Antwort aus

Und schwieg verdrossen bis nach Haus.


VI

Bei Larins hatte mittlerweile

Eugens Besuch sehr vorteilhaft

Und tief gewirkt. Mit Windeseile

Drang dies Gerücht zur Nachbarschaft:

Die Neuigkeit ward flugs verbreitet,

Es ward geklatscht, geraunt, gedeutet,

Und man verriet sich mitteilsam

Tatjanens künft'gen Bräutigam.

Ja, ganz Erfahrne wollten wissen,

Die Heirat sei perfekt, jedoch

Verschoben, denn man habe noch

Um neue Ringe schreiben müssen.

Daß Olga Lenski zugedacht,

Galt allen längst als ausgemacht.

VII


Tatjana nahm Geschwätz und Fragen

Unwillig auf, doch insgeheim

Empfand sie leises Wohlbehagen –

Unmerklich wuchs der Neigung Keim;

Bis endlich, was den Blick noch trübte,

Der klaren Sonne wich: sie liebte ...

So aus dem Schoß der Erde sprießt

Die Saat, sobald der Frühling grüßt.

Längst trieb ein scheues Glücksverlangen

Sie ruhelos durch Qual und Lust,

Längst sehnte sich die junge Brust

Aus tiefem Wirrsal, stetem Bangen

In keuschen Wonnen aufzugehn:

Das Seelchen suchte – irgendwen


VIII

Und harrte ... Endlich kam der Rechte.

»Der ist es!« rief ihr Herz befreit.

Ach, nun ist alles, Tag und Nächte,

Der stille Traum der Einsamkeit

Von ihm erfüllt, und all ihr Denken,

Ihr Hoffen, Fühlen, Sichversenken

Gilt einzig ihm! Sie weicht im Haus

Dem heitren Wort der Ihren aus,

Entzieht sich treubesorgten Fragen.

Sie wandelt wie verstört umher

Und kann nun kaum die Gäste mehr

Mit ihrem Alltagsklatsch ertragen,

Die stets im Kommen so geschwind

Und zum Verzweifeln seßhaft sind.

IX


Wie jetzt Romane sie beglücken,

Wie eifrig sie nun liest und liest,

Mit immer steigendem Entzücken

Der holden Täuschung Reiz genießt!

Der Phantasie geschäftig Walten

Haucht Leben in die Traumgestalten,

Der Freund der Julia Volmar,

Malek-Adhel und de Linar

Und Werther, dieses Herz in Flammen,

Selbst Grandison in seiner Pracht

(Der mich gewöhnlich schläfern macht),

Sie fließen all in eins zusammen,

In eines einz'gen herrlich Bild:

Eugen, dem ihre Sehnsucht gilt.


X

Sie malt sich aus, die Heroine

Der Lieblingsdichtungen zu sein,

Clarissa, Julia, Delphine;

Durchstreift mit ihrem Buch allein

Den stillen Wald, um dort zu träumen;

Was sie bekümmert, im geheimen

Ihr Herz beseligt, Harm und Glück,

Es spiegelt ihr das Buch zurück.

Und während sie mit allen Sinnen

Bei fremdem Leid und fremder Lust,

Beginnt ihr Geist, halb unbewußt,

An ihn ein Briefchen auszuspinnen ...

Allein, was sonst mein Held auch war –

Ein Grandison doch nimmerdar.

XI


Ein idealisch reiner Schimmer

Umfloß den Dichter alter Zeit:

Er malte seinen Helden immer

Als Muster der Vollkommenheit.

Der Liebling mußte tausend Plagen,

Verfolgung, Haß und Pein ertragen,

War stets an Geist ein Phänomen,

Gefühlvoll und bezaubernd schön.

Im Vollbesitz solch reicher Mittel

Vergießt er, groß an Opfermut,

In stetem Kampf sein edles Blut,

Bis endlich dann im Schlußkapitel

Das schwarze Laster unterliegt

Und, Gott sei Dank, die Tugend siegt.


XII

Doch heut ist unser Sinn umnebelt,

Moral ein überwundner Wahn;

Das Laster, früher fest geknebelt,

Nun triumphiert es im Roman.

Was Englands Musen wild gebären,

Kommt dräuend, unsern Schlaf zu stören:

Der jüngste Backfisch sieht zumal

Im Vampir heut sein Ideal,

In allen Köpfen spukt's gigantisch

Vom ew'gen Juden, vom Korsar,

Vom düstren Melmoth, vom Sbogar.

Lord Byron kam uns hochromantisch

Und hob, der Willkür Ebenbild,

Den Egoismus auf den Schild.

XIII


Wohin, o Freunde, soll das führen?

Kann sein, daß bald ein Gott mich zwingt,

Mein Ränzel als Poet zu schnüren

Und, ob auch Phöbus zürnend winkt

(Ein neuer Dämon wird mich lenken),

Zur schlichten Prosa abzuschwenken.

Dann kehr' ich friedlich im Roman

Zurück zur alten, biedren Bahn,

Und werde keine Spukgeschichten

Von schwarzen Sündern, Gift und Blut,

Nein, nur was harmlos, brav und gut

Am stillen Herd sich spinnt, berichten:

Getreue Lieb' und Herzeleid

Und alte, fromme Redlichkeit;


XIV

Ich bring' vergeßne schlichte Worte,

Vom Vater und vom Ohm gehört,

Erzähl', wie an verborgnem Orte

Sich traf das Pärchen ungestört,

Und führ' es sacht durch Kuß und Freuden,

Durch Eifersucht und Harm und Leiden

Zum frohen Ende Hand in Hand

Beseligt in den Ehestand ...

Und schwelge wieder in den süßen,

Glutvollen Worten, wunderbar,

An denen ich so reich einst war,

Da ich, ein Jüngling noch, zu Füßen

Des heißgeliebten Mädchens saß,

Und die ich, ach, so lang vergaß.

XV


Tatjana, holdes, teures Wesen!

Nun wein' ich mit dir, weil du blind

An den Tyrannen, ach, den bösen,

Dein Schicksal hingabst, armes Kind!

Du gehst zugrunde, liebe Kleine,

Und wirst zuvor dich noch im Scheine

Trügrischer Hoffnung süß ergehn,

Des Lebens Wonnen vor dir sehn,

Den Giftkelch des Verlangens trinken,

In Träumen schweben für und für,

Und allerorten werden dir

Verstecke sel'gen Kosens winken;

Wohin auch deine Schritte fliehn,

Wird dein Versucher mit dir ziehn.


XVI

Nun ist's um Tanjas Ruh' geschehen;

Sie irrt im Garten trüb umher

Und bangt und seufzt, bleibt sinnend stehen,

Starrt vor sich hin und atmet schwer:

Ihr Busen wogt, die Wangen flammen,

Der Kummer preßt ihr Herz zusammen,

Es rauscht und hämmert ihr im Ohr,

Den Blick verhüllt ein Tränenflor ...

Schon breitet Nacht die dunklen Schwingen;

Von droben schaut mit mildem Schein

Der Mond herab; im Fliederhain

Beginnt die Nachtigall zu singen.

Nur Tanja findet keine Ruh'

Und flüstert ihrer Amme zu:

XVII


»Wie schwül ... kein Schlummer will mir kommen!

Das Fenster auf – mich drückt's so schwer.« –

»Was ist dir, Schatz?« – »Nichts – nur beklommen; Erzähl mir etwas, setz dich her.« –

»Ja, was denn, Kind? In Jüngern Tagen,

Da freilich wußt' ich viele Sagen

Aus alten Zeiten, wunderschön,

Von bösen Geistern, guten Feen;

Doch jetzt ist's alle, ich behalte

Rein gar nichts mehr, der Kopf wird dumm,

Die bessern Jährchen sind herum,

Es geht bergab ...« – »Ach, gute Alte,

Besinn dich, was es sonst noch gibt –

Sag, warst du selber mal verliebt?«


XVIII

»Ei Kind! Man hat in unsern Jahren

Nicht erst nach Liebe viel gefragt;

Sonst hätte, wenn sie das erfahren,

Mich auch die Schwieger schön geplagt.« –

»Wie wurdest du denn Braut?« – »Ach, Tanja,

Das kam, wie's Gott so fügt. Mein Wanja

War jünger noch als ich, das Ding

Von dreizehn Jahr. Die Muhme ging

Zwei Wochen lang bei beiden Teilen

Mit Werbung um; zuletzt in Ruh'

Gab Vater seinen Segen zu,

Und ich bekam vor Schreck das Heulen.

Mit Tränen löste man mein Haar,

Und mit Gesang ging's zum Altar.

XIX


So lernt' ich denn die Fremde kennen ...

Ja, hast du denn auch zugehört?« –

»Ach, Amme, meine Schläfen brennen,

Und diese Angst, die mich verzehrt –

Ich könnte weinen ohne Ende! ...« –

»Kind, du bist krank, so heiße Hände –

Allmächt'ger Gott, erbarme dich!

Schnell, schnell, was soll ich holen, sprich ...

Weihwasser wird das Fieber stillen;

Du glühst, bist krank ...« – »Nicht krank – betrübt; Ach, Amme ... hör ... ich bin verliebt.« –

»Gott steh dir bei, um Christi willen!«

Die Alte hebt, vor Schreck gebannt,

Bekreuzigend die greise Hand.


XX

»Ich liebe ...«, seufzt Tatjana wieder

Und birgt ihr fiebernd Angesicht.

»O Kind, du leidest, leg dich nieder.« –

»Ich liebe – laß mich, stör mich nicht.«

Und still und stiller wird's im Zimmer ...

Der Mond läßt seinen sanften Schimmer

Um Tanjas aufgelöstes Haar,

Ihr kummerbleiches Wangenpaar,

Um ihre feuchten Wimpern fließen

Und um die alte, schlichte Frau

In Wams und Häubchen, müd und grau,

Auf niedrem Schemel ihr zu Füßen;

Sein Zauber webt im stillen Raum,

Und alles schweigt und ruht im Traum.

XXI


Und sinnend schaut die Sehnsuchtkranke

Zum Vollmond auf – ihr ist so weh ...

Da kommt ihr plötzlich ein Gedanke:

»Ich will allein sein, Amme, geh.

Erst Feder noch und Tinte, schiebe

Das Tischchen her ... und nun, du Liebe,

Gut Nacht, schlaf wohl.« Sie ist allein.

Das Haupt gestützt, vom Mondenschein

Beleuchtet, schreibt sie, schreibt mit Schmerzen, Im Geist bei seinem teuren Bild,

Und was die krausen Zeilen füllt,

Es strömt aus keuschem Mädchenherzen.

Sie ist am Schluß; nun seufzt sie tief ...

Tatjana, sprich! wem gilt der Brief?


XXII

Ich kannte schöne Weiblichkeiten,

Keusch, unerbittlich, kalt wie Eis,

Unangreifbar, nicht auszudeuten,

Durch nichts gerührt, um keinen Preis.

Bewundernd sah ich ihre Jugend,

Die makellose, strenge Tugend

Und – lief entsetzt von ihnen fort;

Mir schien, als ob das Höllenwort

Auf ihrer Stirn geschrieben stünde:

»Laß alle Hoffnung weit zurück.«

Abstoßend sein heißt ihnen – Glück,

Und Herzen an sich ziehen – Sünde.

Vielleicht sind euch am Newastrand

Solch edler Damen mehr bekannt.

XXIII


Ich sah noch andre stolze Schönen,

Umringt von der Trabanten Schar,

An deren Hochmut Liebessehnen

Und Schmeichelei vergeudet war.

Doch was bemerkt' ich mit Erstaunen?

Erst wiesen sie durch spröde Launen

Den brünst'gen Sklaven rauh zurück,

Um hinterher mit süßem Blick

Das Närrchen wieder anzulocken;

Zumal im Klang der Worte schien

So täuschend echte Gunst zu glühn,

Daß jener, eben noch erschrocken,

Aufs neu vertrauensvoll naiv

Nach seinem holden Irrlicht lief.


XXIV

Ist Tanjas Schuld nun wirklich schlimmer?

Wenn sie, des klaren Blicks beraubt,

Umgaukelt von der Täuschung Schimmer,

An goldne Ideale glaubt?

Wenn sie, beseelt von reinem Triebe,

In ungekünstelt echter Liebe

Sich hingibt dem erträumten Ziel?

Weil Gott ihr Sinnen, ihr Gefühl

Zur Zärtlichkeit, zur Güte lenkte,

Sie mit Verstand und Willenskraft,

Beglückend warmer Leidenschaft

Und einem starken Herz beschenkte?

Soll, was die Unschuld gläubig rein

Zur Irrung führte, Sünde sein?

XXV


Kokette Mädchen ziehen Schranken,

Tatjana liebt naiv und blind

Und überläßt sich ohne Wanken

Der Neigung, wie ein holdes Kind.

Sie sagt nicht: hübsch behutsam, leise,

Das steigert unsre Gunst im Preise,

Fängt auch den Freier sichrer ein;

Erst lassen wir ihn selig sein,

Im Glücksrausch eitler Hoffnung gleiten,

Und stürzen dann sein Herz in Nacht,

Bis Eifersucht ihn rasend macht;

Weil sonst, verwöhnt durch Zärtlichkeiten,

Ein launenhafter junger Mann

Leicht unversehns entwischen kann.


XXVI

Nun kommt mir eins noch ungelegen:

Daß ich Tatjanas Brieferguß

Der nationalen Ehre wegen

Erst förmlich übersetzen muß.

Ihr Russisch konnte wenig gelten,

Journale las sie auch nur selten,

Und schrieb drum, weil sie offenbar,

Des Heimatlauts nicht mächtig war,

Französisch ... Nun, dergleichen Sitten

Sind schuld, wenn unsre Damenwelt

Noch immer nicht für schicklich hält,

Ihr Herz auf russisch auszuschütten:

Die eigne Sprache, stolz und tief,

Ist noch verpönt beim Liebesbrief.

XXVII


Ich weiß, daß man zum Russischlesen

Die Damen drängt. O Unverstand!

Man denke sich ein holdes Wesen,

Den »Wohlgesinnten« in der Hand!

Nein, ihr Poeten sollt mir sagen,

Die ihr in lockren Jugendtagen

Dem Gegenstand der Zärtlichkeit

Manch heimlich süßes Lied geweiht:

War's nicht das reizend ungeschickte,

Halbrussisch-wirre Kunterbunt!

Das, einem roten Mädchenmund

Entsprudelnd, uns so hoch beglückte?

Was fragte unser Herz danach,

Wenn solcher Mund Französisch sprach?


XXVIII

Daß Gott mich bloß davor bewahre,

Auf Bällen mich umringt zu sehn

Von Löckchen, die zum Seminare,

Und Zöpfen, die studieren gehn!

Gleich roten Lippen ohne Lachen,

Sind Mädchen, die nicht Fehler machen

Beim Russischsprechen, mir verhaßt.

Zwar wird ja bald, ich fürcht' es fast,

Ein neuer Nachwuchs junger Schönen,

Vom Pädagogenwitz belehrt

(Und mit poet'scher Kost genährt!)

Uns an korrekten Stil gewöhnen ...

Ich aber – ja, wie sollt' ich auch? –

Ich schwöre auf den alten Brauch.

XXIX


Dies hold verlegne Radebrechen,

Der schalkhaft regellose Bach

Der Worte läßt Erinnerung sprechen,

Ruft alte Wonnen in mir wach.

Drum bleib' ich, sei's auch ungezogen,

Den Gallizismen wohlgewogen,

Wie meinem sünd'gen Lebensmai,

Wie Bogdanowitschs Reimerei.

Doch still – wir haben nachzutragen:

Tatjanens Brief versprech' ich euch;

Ich gab mein Wort zum Pfand, obgleich

Entschlossen fast, mich loszusagen.

Der Ton Parnys liegt uns zu fern;

Gefühlvoll sein ist unmodern.


XXX

Wärst du, schwermüt'ger Freund und Sänger,

Der du die »Feste« schufst, noch hier,

Dann trüg' ich meine Last nicht länger

Und bäte dich, das Briefchen mir

Melodisch zart zu übertragen,

Das Tanja, um ihr Leid zu klagen,

In fremden, wirren Lauten schrieb.

Wo bist du? Hilf mir – dir zulieb

Begeb' ich mich der eignen Rechte ...

Doch fern, im felsig-rauhen Nord

Vereinsamt, taub dem Freundeswort,

Irrt er durch Finnlands stumme Nächte,

Und seine Seele hört es nicht,

Wie bang zu ihr die meine spricht.

XXXI


Hier leg' ich denn mein Kleinod nieder:

Tatjanens lieben, holden Brief.

Ich les' ihn oft – und immer wieder

Bewegt er mich so seltsam tief.

Wer lehrte sie die süßen Worte,

So frei, und doch am rechten Orte,

Wer dieser Sprache schlichte Kraft,

Den Herzenston der Leidenschaft,

So kühn, so rührend überschwenglich?

Ich weiß es nicht – und bringe nur

Statt lebenswarmer Vollnatur

Ein Nachbild, matt und unzulänglich,

Wie wenn ein Stümper, der nicht fühlt,

Den »Freischütz« euch herunterspielt.


Tatjanens Brief an Onegin

»Ich bin so kühn, an Sie zu schreiben –

Ach, braucht es mehr als dies allein?

Nun wird gewiß – was soll mir bleiben? –

Verachtung meine Strafe sein!

Doch wenn, wo Angst und Qual mich treiben,

Ein Fünkchen Mitleid für mich spricht –

O dann verwerfen Sie mich nicht!

Erst wollt' ich schweigen, hätte nimmer,

Was nun zu Schmach und Schande ward,

Dem strengen Auge offenbart,


Ach, bliebe nur ein winz'ger Schimmer

Von Hoffnung, Sie von Zeit zu Zeit

In unsrer Abgeschiedenheit

Zu sehn, zu grüßen, im geheimen

Mich ihres klugen Worts zu freun,

Um selig-froh für mich allein

Vom nächsten Wiedersehn zu träumen ...

Doch heißt's, Ihr Stolz vertrüge nicht,

In niedren Hütten einzukehren;

Und wir – sind klein, gering und schlicht,

Nur dankbar, einen Gast zu ehren.


Ach, warum kamen Sie aufs Land,

Wo wir so still verborgen waren?

Ich hätte nimmer Sie gekannt

Und nie solch Herzeleid erfahren.

Ich hätte, klüger mit den Jahren,

Vielleicht ein ander Ziel erstrebt

Und, einem andern treu verbunden,

Ein friedlich Glück bei ihm gefunden

Und frommer Mutterpflicht gelebt.

Ein andrer ... Nein! Es kann auf Erden

Mein Herz sich keinem andern weihn!

So ließ des Schöpfers Hand mich werden,

So will's der Himmel: ich bin Dein.

Dich zu gewinnen, war mein Leben

Ein einzig' Pfand nur, fort und fort;

Gott selber hat Dich mir gegeben,

Bis an das Grab bist Du mein Hort ...

Du warst's, der mich im Traum beglückte,

Längst liebt' ich Dich, eh' ich Dich sah;

Dein Antlitz strahlte mir so nah,

Und Deiner Stimme Klang entzückte

Mich längst ... Das war kein Traum, o nein!

Sowie Du eintratst, gleich erkannte

Mein Herz Dich wieder, jauchzte, brannte

Und rief: er ist's, er muß es sein!

War's nicht Dein Hauch, der mich umwehte,

Mir zusprach, wenn ich einsam stand,

Wenn ich der bittren Armut Nöte

Zu lindern ging, wenn im Gebete

Die bange Seele Tröstung fand?

War's nicht Dein Bildnis, glanzumwoben,

Das nächtlich dann vom Himmel droben

Herabglitt in mein Schlafgemach,

Sich flüsternd an mein Kissen schmiegte

Und mich mit süßen Worten wiegte,


Aus denen sel'ge Hoffnung sprach?

O komm und löse meine Zweifel:

Wer bist Du, Engel oder Teufel,

Versucher oder Schutz und Freund?

Ach, wenn nun Träume nur mich narren,

Mein töricht' Herz vergeblich weint,

Und andre Lose meiner harren ...?

Gleichviel! Es ruht ja mein Geschick

Von nun an doch in Deinen Händen,

Dich sucht mein tränenfeuchter Blick,

Nur Du vermagst mir Trost zu spenden ...

O sieh: hier steh' ich ganz allein,

Niemand versteht mich, unbeachtet

Verwelkt mein Herz, mein Geist verschmachtet, Ich muß vergehn in stummer Pein.

O komm: der Seele banges Hoffen

Belebt ein einz'ger Blick von Dir;

Wenn anders – dann zernichte mir

Dies Wahngebilde hart und offen!


Ich schließe! Wie mich Wort um Wort

Schon reut – ich fühle Scham und Grauen ...

Doch Ihre Ehre sei mein Hort:

Ihr will ich frei mich anvertrauen ...«

XXXII


Nun holt sie Atem, tief erschüttert,

Und bebt und seufzt aus Herzensgrund;

Die ros'ge Briefoblate zittert

An ihrem fieberheißen Mund.

Sie neigt das Haupt in bangem Sinnen

Und merkt kaum, daß das zarte Linnen

Von ihrer weißen Schulter glitt ...

Schon naht des Morgens leiser Schritt:

Der Mond verblaßte, Nebel wallen,

Aus lichten Schleiern grüßt das Tal;

Vom Fluß her blitzt ein Silberstrahl;

Man hört das Horn des Hirten schallen;

Es tagt – das Dorf ist längst erwacht:

Tatjana hat auf gar nichts acht,

XXXIII


Bleibt von der Morgenröte Schimmer

Wie unberührt, sitzt stumm gebückt


Und hat das Petschaft auch noch immer

Dem kleinen Brief nicht aufgedrückt.

Da knarrt die Tür: behutsam leise

Erscheint Filipjewna, die greise,

Und bringt den Morgentee herein.

»Wach auf, wach auf, mein Töchterlein!

Ei, sieh doch, munter schon? Willkommen,

Du kleine Frühaufsteherin!

Du bist gesund, wie froh ich bin!

Gottlob, mir ist die Angst genommen,

Das böse Fieber ist entflohn,

Die Wänglein frisch wie roter Mohn!«

XXXIV


»Ach, Amme, tu mir eine Liebe ...« –

»Gern, gern, mein Schatz.« – »Versprich mir noch: Denk ja nicht ... wirklich ... ich betriebe ...

Glaub mir ... indes ... o tu es doch!« –

»Kind, was es sei, ich will's erfüllen.« –

»Schick deinen Enkel denn im stillen

Mit diesem Brief zu O ... nun ja,

Zum Nachbarn ... Sag, er soll mir da

Kein Wort verraten, mich nicht nennen,

Soll unbedingt verschwiegen sein.« –

»Schön, doch zu wem, mein Töchterlein?

Ich weiß mich da nicht auszukennen.

Dazu ist mein Verstand zu dumm –

Es gibt viel Nachbarn hier herum.« –

XXXV


»Ach, Amme, kannst du denn nicht fassen?« –

»Geliebtes Kind, bin schon so alt,

Da will der Kopf zu nichts mehr passen;

Ja, früher, da verstand ich bald:

Die Herrschaft durfte bloß befehlen ...« –

»Ach, Amme, nur nicht lang erzählen,

Was braucht es denn viel Kopf dafür?

Du siehst ja doch, dies Briefchen hier

Soll zu Onegin.« – »Ah, nun eben.

Sei drum nicht bös, du weißt ja, Kind,

Wie täppisch alte Leute sind ...

Doch wie du blaß wirst, süßes Leben!« –

»Belanglos! Sorg dich nicht um mich;

Nur schnell den Boten, spute dich.«


XXXVI


Doch keine Antwort, nichts ... So scheidet

Der Tag; am nächsten – wieder nichts!

Seit frühem Morgen angekleidet,

Harrt Tanja bleichen Angesichts.

Wladimir kommt am Nachmittage;

Mama empfängt ihn mit der Frage:

»Wo steckt denn eigentlich Ihr Freund?

Der Herr vergaß uns, wie mir scheint.«

Tatjana fühlt ihr Herz erkalten ...

»Er sagte mir, er käme heut«,

Entgegnet Lenski ihr zerstreut,

»Vielleicht hat Post ihn aufgehalten.«

Erschrocken schaut Tatjana fort:

Ihr klingt's wie Vorwurf aus dem Wort.

XXXVII


Schon dämmert's; drinnen summt beschaulich

Der Samowar sein Abendlied;

Im bunten Teetopf brodelt's traulich,

Und weißer Dampf zischt auf und sprüht.

Der duftig-goldne Trank, bereitet

Von Olgas Händen, quillt und gleitet

In blanke Tassen; nebenbei

Gibt's süßen Rahm und Näscherei.

Tatjana bleibt am Fenster sitzen,

Haucht stumm die kalten Scheiben an

Und sinnt und seufzt und zeichnet dann

Mit ihren zarten Fingerspitzen

Aufs trübe Glas in ernstem Weh

Die teuren Chiffren O und E.

XXXVIII


Und härmt sich; ihre Augen schwimmen,

Ihr ist die Brust wie zugeschnürt.

Horch: Hufschlag ... nah und näher ... Stimmen ...

Ihr Herz erstarrt: dort galoppiert

Onegin auf den Hof! Sie flüchtet

Blind fort durch Haus und Diele, richtet

Zur Gartentür in Hast den Lauf,

Rennt, rennt und schaut vor Angst kaum auf,

Springt über Beete, Rasen, Steige,


Läuft durch den Lindengang zum Hain,

Am Weiher hin, zertritt am Rain

Die Blumen, knickt die Fliederzweige,

Flieht atemlos den Bach entlang –

Und sinkt erschöpft auf eine Bank ...

XXXIX


»Er hier, Eugen!« Sie stöhnt und wimmert;

»Mein Gott, was hat er wohl gedacht!«

Ein letztes Fünkchen Hoffnung schimmert

Durch ihrer Seele trübe Nacht:

Sie bebt und horcht, die Wangen glühen –

Nichts regt sich ... Nur von ferne ziehen

Vertraute Klänge an ihr Ohr:

Dort sang der fleiß'gen Mägde Chor

Beim Beerenpflücken muntre Lieder

(Wie strengstens anbefohlen war,

Damit kein Mäulchen aus der Schar

Sich unterm Strauch so hin und wieder

Am Obst der Herrschaft gütlich tat:

Ja, kluge Gutsherrn wissen Rat!).


Gesang der Mädchen

»Mädchen, frisches junges Blut,

Herzensmädchen, lieb und gut,

Laßt am muntren Spiel uns freun,

Frohen Sinns und lustig sein!

Stimmt ein Liedchen an und singt,

Daß es hell ins Weite klingt.

Und den Burschen jung und schlank

Lockt euch her zu Spiel und Sang.

Merkt er auf und tappt herbei,

Hurtig dann und mit Juchhei

Flieht und lacht und werft dem Tropf

Rote Beeren an den Kopf,

Rote Kirschen über ihn,

Muß der Schelm von dannen ziehn.

Ei, was geht dich losen Mann

Unser frohes Spielchen an?

Troll dich weiter, schau nicht zu,

Laß uns Mädchen fein in Ruh'!«

XL


So klingt ihr heitres Lied herüber.

Tatjana lauscht und zittert, fühlt

Nach Herz und Stirn, ob nicht das Fieber,

Das innen zehrt, sich endlich kühlt,

Das Rot von ihren Wangen schwindet –

Umsonst, nur immer mehr entzündet,

Entflammt sich ihr erregtes Blut,

Und heißer, heißer sengt die Glut.

So zappelt, mit den Flügeln schlagend,

Ein armer, bunter Schmetterling,

Den spielend sich der Knabe fing;

So kauert sich, vor Angst verzagend,

Ein Häschen in die junge Saat,

Wenn drohend ihm der Jäger naht.


XLI

Doch endlich kann sie sich erheben;

Mit einem Seufzer lenkt sie still

Zum Haus zurück. Doch wie sie eben

Den Lindengang betreten will,

Steht plötzlich, wie der Nacht entstiegen,

Gespenstisch groß, mit finstern Zügen

Und Feuerblick, vor ihr – Eugen!

Und starr vor Schrecken bleibt sie stehn.

Doch weil mir heut die Kräfte fehlen

Zu schildern, was für unser Paar

Die Folge der Begegnung war,

Will ich, ermattet vom Erzählen,

Vorerst mal ruhn, »spazierengehn« –

Und irgendwie dann weiter sehn.


Viertes Buch

La morale est dans la nature des choses.

Necker


I/II/III/IV/V/VI

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII


Ein Weib wird um so heißer lieben,

Je kühler man sich abseits hält,

Und wird dann leicht ins Netz getrieben,

Das die Verführung ausgestellt.

Der wahren Kunst zu lieben rühmte

Sich einst die schamlos unverblümte

Genußsucht: lüstern und verwöhnt,

Hat nur der Wollust sie gefrönt.

Dies ekle Spiel entsprach den Tücken

Verlebter Affen aus der Zeit

Großväterlicher Herrlichkeit:

Doch roter Absatz und Perücken

Sind längst verstaubt, wie auch der Ruhm

Der Lovelace und ihr Kennertum.


VIII

Bekommt man doch dies Schellenläuten

Und fade Heucheln schließlich satt,

Dies Wichtigtun mit Albernheiten,

Die jeder längst begriffen hat.

Wo nach maskierten Hindernissen

Bedenken erst zerstreut sein müssen,

Die nicht einmal bei einem Kind

Von dreizehn Jahren glaubhaft sind!

Wem wird nicht schlimm bei all den Schwüren,

Dem Schmachten, Trotzen, Jammern, Drohn,

Dem Briefgeschwall, dem Klatsch und Hohn,

Der Tränenflut, dem Spionieren

Von Müttern, Tanten, nebst der Qual

Der Freundschaft mit dem Herrn Gemahl!

IX


So dachte auch Eugen. Im Feuer

Der ersten, frischen Jugendkraft

Verlor er sich in Abenteuer,

Ein Spielball toller Leidenschaft.

Umschmeichelt von des Lebens Wogen,

Hier schnell und flüchtig angezogen,

Dort schnell gesättigt, abgekühlt,

Von Sehnsucht nach Genuß durchwühlt,

Und im Genuß nach Sehnsucht schmachtend;

Ernüchtert zwar vom Rausch der Lust,

Und doch die Warnung seiner Brust

Durch Spott zu übertäuben trachtend –

So zehrte er in wildem Lauf

Acht seiner besten Jahre auf.


X

Jetzt freilich warb er um Sirenen

Nur noch zum Zweck der Tändelei:

Ward ihm ein Korb – gab's andre Schönen,

Der Laufpaß – nun, dann war er frei.

So nüchtern, so ironisch heiter,

Wie er gekommen, ging er weiter,

Von Haß und Liebe kaum berührt.

So etwa setzt, durch nichts geniert,

Ein Abendgast zum Whist sich nieder,

Spielt ruhig seine Karten aus,

Kutschiert nach Schluß getrost nach Haus,

Erfreut durchs Bett die müden Glieder

Und ahnt noch kaum, wenn früh erwacht,

Wo er sein nächstes Spielchen macht.

XI


Doch als er Tanjas Brief gelesen,

War Freund Onegin ernst bewegt,

Von dieses Kindes reinem Wesen

Im tiefsten Innern aufgeregt.

Er sah die kummerbleichen Wangen,

Ihr bittend Auge, florumfangen –

Und fühlte, wie ein süßer Bann

In seiner Seele Macht gewann.

Vielleicht war alte Sinnenliebe

Vorübergehend mit im Spiel –

Doch sträubte sich sein Ehrgefühl

Vor Mißbrauch keuscher Unschuldstriebe.

Nun schnell zum Garten, wo das Paar

Sich unverhofft begegnet war.


XII

In erster Überraschung blieben

Sie beide stumm; dann nahm Eugen

Das Wort: »Sie haben mir geschrieben,

Kein Leugnen macht es ungeschehn.

Ich las der Neigung hold Bekenntnis,

Der reinen Seele zart Geständnis;

Ihr edles Zutraun rührt mich tief.

Was lang vergessen in mir schlief,

Ward aufgeweckt zu neuem Leben.

Doch leeres Schmeicheln liegt mir fern:

Dem offnen Herzen will ich gern

Mit gleichem Freimut Antwort geben.

O hören Sie die Beichte an,

Ihr eigner Spruch entscheide dann.

XIII


Wär' es mein höchster Wunsch auf Erden,

Geborgen sein im Eheglück,

Und hätte Gatte, Vater werden

Mir vorbestimmt ein hold Geschick;

Wenn der Familie süße Bürde

Mich auch nur flüchtig locken würde –

Ich hätte einzig in der Welt

Nur Sie als Braut mir zugesellt.

Ja, ich bekenn' es unumwunden:

In Ihnen hätte meine Wahl

Das einst erträumte Ideal,

Den Halt, den Trost im Leid gefunden;

Der größte Schatz, er wäre mein,

Und ich – ich könnte glücklich sein!


XIV

Doch bin ich nicht dafür geboren,

Nie hat mein Sinn danach begehrt;

Ihr Liebreiz ist für mich verloren,

Der holden Gunst bin ich nicht wert.

O glauben Sie (mein Wort zum Pfande):

Wir trügen schwer am Ehestande.

Wie warm ich auch für Sie gefühlt,

Ich wäre bald doch abgekühlt;

Sie weinen dann – allein durch Tränen

Wird nimmermehr mein Herz erweicht,

Nein, nur verbittert, fortgescheucht.

Dies sind die Rosen dann, die schönen,

Die uns, vielleicht für Lebenszeit,

Gott Hymen auf die Pfade streut!

XV


Was kann's auf Erden Schlimmres geben,

Als Ehen, wo die arme Frau

Sich härmt um ihr verfehltes Leben,

Derweil der Mann, zu Hause rauh,

Gelangweilt, bitter, stumm, verdrossen,

Wiewohl ihr Wert ihm voll erschlossen,

Vor Eifersucht die Augen rollt

Und mürrisch seinem Schicksal grollt!

Derart bin ich. Und Sie, Sie lieben

Solch Wesen, haben rührend schlicht,

In keuscher, reiner Zuversicht,

Ihm, was Ihr Herz bewegt, geschrieben?

Darf solch ein Los voll bittrer Pein

Das Endziel Ihrer Wünsche sein?


XVI

Die Jugend flieht, ihr Wahn entschwindet;

Mein Busen wurde hoffnungsleer ...

Nur wie des Bruders Herz empfindet,

So lieb' ich Sie – vielleicht auch mehr.

Sie dürfen ohne Groll mir glauben:

Wie sich mit neuem Grün belauben

In jedem Lenze Busch und Baum,

So löst im Mädchenherz ein Traum

Den andern ab mit bunten Flügeln.

So war's von je. Auch Ihr Gefühl

Entdeckt sich bald ein neues Ziel ...

Nur lernen Sie Ihr Herz zu zügeln:

Nicht jeder achtet es wie ich –

Wer Schaden fürchtet, hüte sich.«

XVII


So klang die Predigt aus. Sie hörte

Mit tränenfeuchtem Angesicht

Verhaltnen Atems zu, doch wehrte

Sie seinen strengen Worten nicht.

Dann bot er ihr den Arm entgegen;

Sie nahm, wie wir zu sagen pflegen,

Mechanisch an; und stumm gebeugt,

Das Köpfchen tief herabgeneigt,

So schlich sie heim mit müden Schritten.

Selbander kamen sie nach Haus,

Und niemand machte Wesen draus:

Das Land hat schöne, freie Sitten,

Die es mit gleichem Recht bewahrt,

Wie Moskau seine Großstadtart.


XVIII

Ihr werdet anerkennen müssen,

Daß unser Held sich ritterlich

Des rücksichtsvollsten Takts beflissen.

Nicht hier bloß, glaubt mir, zeigte sich

Sein Herz von dieser zarten Seite,

Wenn auch die Mißgunst andrer Leute

An ihm kein gutes Härchen ließ.

Bei Freunden (die, wie sich erwies,

Oft mehr zu fürchten) wie bei Feinden

War er gewöhnlich übel dran.

Nun, Feinde hat ja jedermann,

Doch Gott bewahr uns vor den Freunden!

Ich kannte selber ehedem

Von dieser Sippschaft – trau, schau, wem.

XIX


Wieso? Nun so. Doch keine Klagen,

Ich will nicht unnütz bitter sein

Und nur in Parenthese sagen:

Es gibt kein Schmähwort, erzgemein,

Von Buben euch zum Schimpf ersonnen

Und von den Schwätzern fortgesponnen,

Kein unverschämtes Spottgedicht,

Kein noch so übles Schandgerücht,

Das nicht der Freund (dazu unendlich

Durch Klatsch vermehrt) höchst wohlgelaunt

Vor euren Gönnern ausposaunt –

In aller Unschuld, selbstverständlich!

Denn sonst liebt euch der Ehrenmann,

Wie nur – Verwandtschaft lieben kann.


XX

Hm, hm! Sind deine Vettern alle,

Geneigter Leser, hübsch gesund?

Dann hörst du auch in diesem Falle

Gewiß sehr gern durch ihren Mund,

Was so Verwandtschaft meist bedeute: Verwandte sind die biedern Leute,

Die man in Herzensüberfluß

Verehren, lieben, hätscheln muß

Und denen man aus reinstem Triebe

Zum Wiegenfeste sehr gerührt

Selbst oder schriftlich gratuliert,

Damit uns ihre Nächstenliebe

(Gott soll sie segnen!) für den Rest

Des Jahres – ungeschoren läßt.

XXI


Da ist man doch bei hübschen Kindern,

Was Liebe angeht, besser dran,

Weil kein Zerwürfnis uns behindern,

Die zarten Rechte schmälern kann.

Gewiß, doch wenn die Moden wandeln,

Die Launen nach Belieben handeln,

Der Eigensinn sein Ziel erreicht –

Ach, Weiberart ist federleicht!

Zudem, weil ehelich verbunden,

Ein keusches Täubchen vorsichtsvoll

Des Gatten Ehre hüten soll.

Ist auf versprochene Schäferstunden

Für uns mitunter kein Verlaß ...

Mit Liebe scherzt ja Satanas.


XXII

Wen also lieben? Wem vertrauen?

Gibt's einen, der verläßlich ist?

Der, ohne rechts und links zu schauen,

Die Welt nach unsrem Zollstock mißt?

Uns hinterm Rücken nicht beleidigt,

Vielmehr herausstreicht, lobt, verteidigt,

Nachsichtig urteilt, wenn man irrt,

Und niemals unausstehlich wird?

Nein, solche Engel, wie beschrieben,

Gibt's nirgendwo; drum geb' ich dir,

Mein hochverehrter Leser, hier

Den klugen Rat: dich selbst zu lieben,

Und dies Objekt wird obendrein

Dir zweifellos das liebste sein!

XXIII


Und jener tränenreichen Stunde

Ergebnis? Ach, ihr ahnt es, hört:

Des armen Kindes Herzenswunde

Brennt heißer nur, Verzweiflung mehrt

Den Aufruhr aller jungen Triebe;

Die stumme Qual verschmähter Liebe

Verdoppelt nur die Leidenschaft.

Der Schlummer flieht, ihr sinkt die Kraft;

Und Anmut, Lebensfrische, Güte,

Ihr Lächeln, ihr gesunder Sinn,

Sie sind wie leerer Schall dahin;

Es welkt Tatjanens Jugendblüte.

So hüllt sich, wenn ein Wetter droht,

In Schwarz das schönste Morgenrot.


XXIV

Ach, grausam ward ihr Herz getroffen,

Bleich irrt sie, teilnahmslos umher;

Ihr Mädchentraum, ihr selig Hoffen

Zerrann ... Sie spricht kein Wörtchen mehr.

Die Nachbarn schaun sich wechselweise

Kopfschüttelnd an und flüstern leise:

»Wenn doch nur bald ein Freier käm'!« ...

Genug. Ich möchte außerdem

Euch wieder heitre Bilder gönnen

Von junger Liebe Lust und Glück.

Aus Mitleid kann sich oft mein Blick

Nur schwer von Gram und Kummer trennen;

Verzeiht mir: denn ihr alle wißt,

Wie lieb mir meine Tanja ist!

XXV


Von Tag zu Tage mehr umsponnen

Vom Liebreiz seiner Schäferin,

Gab Lenski sich den süßen Wonnen

Der Neigung vollen Herzens hin.

Stets weilt er bei ihr. Treuverbunden

Durchplaudern sie die Dämmerstunden:

Und jeder Morgen, gottgesandt,

Sieht sie im Garten, Hand in Hand.

Und wie berauscht von Hochgefühlen,

Wagt er's mitunter, heiß vor Glück,

Ermutigt durch der Holden Blick,

Mit ihrem Lockenhaar zu spielen,

Wonach er schamhaft sich vermißt

Und ihres Kleides Zipfel küßt.


XXVI

Oft liest er ihr zu Nutz und Frommen

Romane vor (von Qualität),

Wo leider manchmal Dinge kommen,

Die kaum Chateaubriand verrät.

Weshalb er dann gewisse Seiten

Voll unerwünschter Deutlichkeiten

(Für keusche Ohren ein Verdruß)

Errötend überschlagen muß.

Auch sitzen sie zurückgezogen

Für sich allein und spielen Schach

Und denken tief und gründlich nach

Bei aufgestützten Ellenbogen,

Bis Lenski, der zu träumen pflegt,

Zerstreut die eignen Türme schlägt.

XXVII


Sogar daheim in seinen Wänden

Schafft er für Olga stillbeglückt,

Wobei er ihr mit fleiß'gen Händen

Die Blätter ihres Albums schmückt:

Und zeichnet hier ein Dorf am Weiher,

Dort Tempel, Urnen, eine Leier,

Durch die ein Taubenpärchen huscht,

Nett ausgeführt und angetuscht.

Auf andern widmungsstolzen Seiten

Entwirft er mit bescheidnem Sinn

Ein schlichtes Verschen untenhin,

Als stummes Denkmal sel'ger Zeiten,

Als zarte Spur der Träumerei,

Die ewig zeugt: ich bin dir treu.


XXVIII

Ihr kennt ja wohl aus kleinen Städtchen

Solch Backfischalbum Blatt für Blatt,

Worin die Feder aller Mädchen

Sich kreuz und quer verewigt hat,

Und Verse wimmeln, nach Belieben,

Verbalhornt oder falsch geschrieben,

Die hier die Freundschaft wohlgemeint

Zu einem bunten Strauß vereint.

Voran steht meist französisch zierlich:

»Qu'écrirez-vous sur ces tablettes?«

Darunter: »t.a.v. Annette.«

Und ganz zum Schluß, bewußt possierlich:

»Wer dich noch lieber hat als ich,

Versuch's und schreibe hinter mich.«

XXIX


Da sieht man jedesmal zwei Herzen

Nebst Kranz und Fackel, brennendrot,

Und zwischen allerliebsten Scherzen

Den Schwur: »Getreu bis in den Tod.«

Ein Leutnant auch, der gottlos witzelt,

Hat flotten Unfug beigekritzelt.

In solch ein Album, schmuck und fein,

Da schreib' ich selber gern mich ein,

Weil hier die anspruchslose Gabe

Auch immer anspruchslos erfreut

Und ich von solcher Kleinigkeit

Nie hinterher den Ärger habe,

Daß Scheelsucht erst mal prüft und mißt,

Ob mein Geflunker geistreich ist!


XXX

Doch euch, ihr protzig aufgeblähten

Prunkalbums, die ihr leider heut

Als Marter für Salonpoeten

Bei stolzen Fraun in Mode seid,

Wo hingezaubert um die Wette

Die Grazie von Tolstois Palette

Sich paart mit Baratynskis Witz –

O träf' euch sämtlich Gottes Blitz!

Wenn eine Gnäd'ge mir zuweilen

Solch Ding in Quarto überreicht

Und mich die blinde Wut beschleicht,

Ein Epigramm zurechtzufeilen,

Giftscharf und blank, wie aus Metall –

Da schreibe wer ein Madrigal!

XXXI


Nun freilich, Madrigale schriebe

Freund Lenski nie in Olgas Band,

Aus seiner Feder quillt nur Liebe,

Sie prunkt nicht eisig mit Verstand.

Was er von ihr erlauscht, erkundet,

Wird hübsch zu Reimen abgerundet,

Und seiner Elegien Strauß

Haucht nur den Duft der Keuschheit aus.

So singst auch du, Komet auf Erden,

Jasykow, leidenschaftdurchglüht,

Weiß Gott, für wen dein Schwärmerlied,

Und deine Elegien werden

Dereinst ein treuer Widerschein

Der Irrfahrt deines Lebens sein.


XXXII

Doch pst! Der Kritikus, o Schrecken,

Befiehlt den Elegienstrauß

Hinwegzuschleudern, schwingt den Stecken,

Zankt uns Poetenvölkchen aus

Und schimpft: »Jetzt still mit eurem Leiern,

Dem Gackern über alten Eiern,

Dem faulen Kram, der nicht mehr zieht;

Singt endlich mal ein ander Lied!«

»Fürwahr, wir sollten ernstlich streben,

Durch Tuba, Maske, Dolch einmal

Dem toten Geisteskapital

Erneute Kraft und Schwung zu geben.

Das ist doch deiner Wünsche Kern?« –

»Ach was, schreibt Oden, junge Herrn, XXXIII


Wie unsrer großen Vorzeit Söhne

Sie einst uns sangen stolz und frei.« –

»Die ew'gen Jubelodentöne!

Bah, Freundchen, ist's nicht einerlei?

Beherz'ge doch des Spötters Worte!

Ist sie denn mehr wert, diese Sorte

Von Schwulst und Pathos, als zur Zeit

Der Überschwang an Traurigkeit?« –

»Die Elegie ist Schund dagegen,

Ihr Ziel erbärmlich, wesenlos,

Doch das der Ode klar und groß,

Erhaben, würdig.« – Meinetwegen;

Ich schüre keinen Bruderzwist

Und schweige, weil es klüger ist.


XXXIV

Freund Lenski freilich, tief durchdrungen

Von patriotisch heil'ger Pflicht,

Er hätte Oden gern gesungen –

Nur Olga las dergleichen nicht.

Ob je dem heißgeliebten Wesen

Sein schmachtend' Verschen vorzulesen

So ein Poet die Gunst besaß?

Es heißt, dies Glück sei ohne Maß.

Und wahrlich, höchste Wonne leuchtet

Dem Sänger, der mit keuschem Sinn

Vor seiner Herzenskönigin

In Tönen seine Liebe beichtet –

Sofern nicht, sonstwie abgelenkt,

Sie selbst an ganz was andres denkt.

XXXV


Ich freilich lese meine Reime,

So schön sie sind, nur einem Ohr:

Dem Schutzgeist meiner Kinderträume,

Der lieben alten Amme vor.

Und wenn gelangweilt ich nach Tische

Den Nachbarn mal am Zaun erwische,

Betäub' ich ihn mit einem Guß

Tragödien, daß er ächzen muß.

Oft auch (dies ohne Scherz!) benommen

Vom Schweigen in der Musen Reich,

Bin ich als Bummler auf dem Teich

Den wilden Enten unwillkommen:

Vor meiner Strophen Harmonie

Entfleucht das ganze Federvieh.


XXXVI/XXXVII

Nun, und Eugen? – Ganz recht, natürlich!

Nun soll zur Sühne meiner Schuld

Sein Tagewerk euch ganz ausführlich

Geschildert werden, nur Geduld:

Anachoret mit Wohlbehagen,

Erhob sich an den Sommertagen

Um sieben, trabte dann von Haus

Im Negligé zum Fluß hinaus,

Durchschwamm ihn, gleich Gülnarens Sänger,

Als Hellespont, trank nach dem Bad

Den Kaffee, las sein tristes Blatt,

Bis endlich, kürzer oder länger,

Sich anzuziehn beschlossen ward ...

XXXVIII/XXXIX


Spazieren, tüchtig schlafen, lesen,

Rast an der Quelle, Waldesruh';

Von hübschen, blondgelockten Wesen

Gelegentlich ein Kuß dazu;

Ein scharfer Ritt auf edlem Renner,

Ein feingewürztes Mahl für Kenner,

Ein guter Tropfen, stets bereit,

Das Hochgefühl der Einsamkeit –

Das war Onegins Schlemmerleben,

Dem er sich hingab unbewußt,

Ja, ohne auf des Sommers Lust

Vor lauter Wohlsein achtzugeben;

Der Unrast, der die Großstadt frönt,

Und seiner Freunde längst entwöhnt.


XL

Doch unser Sommer, kurz bemessen,

Das weiß ja jeder, der ihn kennt,

Ist leider nur ein Zerrbild dessen,

Was man im Süden Winter nennt.

Schon weht es herbstlich kühl herüber,

Die Tage werden kürzer, trüber,

Die liebe Sonne sieht man kaum;

Verzagt entblößt sich Baum für Baum

Des lauschig dichten Schmucks der Blätter;

Im Nebel welkt das letzte Grün;

Geschwader wilder Gänse ziehn

Hellkreischend südwärts; ödes Wetter,

Des Jahres schlimmste Zeit begann:

Schon rückt November grau heran.

XLI


Nun kommt das Frührot träg und schauernd,

Der Feldarbeiten Klang verhallt,

Schon zeigen, dreist auf Beute lauernd,

Sich Wolf und Wölfin vor dem Wald;

Der Klepper, der das Raubzeug wittert,

Bäumt auf und schnaubt, der Fuhrmann zittert

Und peitscht drauflos in wildem Zorn.

Verstummt ist nun das Hirtenhorn,

Bei dessen sonst vertrautem Klingen

Das Vieh zur Trift zog früh vor Tag

Und mittags satt der Ruhe pflag.

Jetzt schnurrt das Spinnrad, Mägde singen,

Und durch das niedre Stübchen streut

Der Kienspan Winters Heimlichkeit.


XLII

Schon fror's zur Nacht; auf Halm und Moosen

Blinkt silberweißen Reifes Glast ...

(Der Leser harrt des Reimworts »Rosen«

Schön, wie's beliebt, nur zugefaßt!)

Wie Glanzparkett im Spiegelsaale

Bedeckt das Eis den Bach im Tale,

Und jauchzend tummelt sich darauf

Die Bubenschar beim Schlittschuhlauf.

Dort wackelt plump auf roten Socken

Die fette Gans zum Eis daher,

Und patscht, als wenn das Wasser wär',

Und purzelt hin. In dichten Flocken

Kommt's lustig wirbelnd aus der Höh',

Millionen Sternchen: erster Schnee!

XLIII


Was tut man jetzt vor Langerweile

Auf einem Dorf? Spazierengehn?

Wo doch im Umkreis einer Meile

Nur kahles, ödes Land zu sehn.

Im Sattel durch die Steppe jagen?

Der Hengst verliert, nur stumpf beschlagen,

Auf Glatteis jeden sichren Tritt:

Stürzt hin und reißt den Reiter mit.

Da heißt es denn zu Hause bleiben

Und mit de Pradt und Walter Scott

Und Rechnungskram, du lieber Gott,

Sich irgendwie die Zeit vertreiben,

Bis stumpf und dumpf nach langer Frist

Der Winter überstanden ist.


XLIV

Auch Freund Eugen ging nun im Hause

Gelangweilt, wie ein Harold, um:

Nahm früh sein Bad mit kalter Brause,

Verblieb im Zimmer, nahm sich stumm

Ein Queue und spielte, Bälle prüfend

Und in Berechnung sich vertiefend,

Am Billard stundenlang allein.

So bricht die Dunkelheit herein:

Erlösung! Fort mit Queue und Bällen!

Ein Tischchen, am Kamin gedeckt,

Hat längst den Appetit geweckt;

Onegin harrt. Horch, Lenskis Schellen:

Die Graufuchs-Troika hält vorm Haus.

He, aufgetragen! Wein heraus!

XLV


Gesagt, getan: in kurzem prangen

Moet und Veuve Cliquot, ganz frisch

In Eis gekühlt und froh empfangen,

Vor unsrem Dichter auf dem Tisch.

Champagner perlt wie Hippokrene:

Für seine goldne Schaumfontäne

(Gemahnend an so mancherlei)

Ward ich zu jeder Narretei,

Ihr wißt es, Freunde, fortgerissen

Und gab mein letztes Silberstück,

Was hat sein Strom uns nicht an Glück,

An sel'gen Räuschen spenden müssen,

Bei Scherz und Streit, Gesang und Glut

Und fessellosem Übermut!


XLVI

Allein ich fühl's, daß meinem Magen

Sein toller Schaumgeist wenig frommt,

Und daß mir heut in allen Lagen

Ein Glas Bordeaux viel mehr bekommt.

Champagner hat die gleichen Tücken

Wie Weiber, die mit Zauberblicken

Uns süß umgarnen – und geschwind

Enttäuschen, weil sie Blendwerk sind.

Doch du, Bordeaux, du gleichst dem schlichten Erprobten Freunde, immerdar

Bereit, die Herzen wunderbar

In Gram und Sorgen aufzurichten,

Du machst Betrübte wieder froh,

Drum sei gepriesen, Freund Bordeaux!

XLVII


Die Flamme starb; der Rest der Kohlen

Verglimmt zu Asche; blasser Rauch,

Kaum sichtbar, ringelt sich verstohlen

Empor; ein letzter Wärmehauch

Strömt vom Kamin; zu fahlen Streifen

Zerfließt der Qualm der Tabakspfeifen.

Noch immer füllt sich, schäumt und blinkt

Der Weinpokal; der Abend sinkt ...

Wie schön doch in der Dämmerstunde

Sich's plaudern läßt beim Glase Wein;

In Frankreich heißt sie allgemein

Die Stunde »zwischen Wolf und Hunde«

(Weshalb, das weiß ich freilich nicht).

Jetzt nimmt Eugen das Wort und spricht:


XLVIII

»Nun, und wie steht's bei Tanja drüben

Und Olga, deiner süßen Maus?« –

»Ein Schlückchen noch – genug; den Lieben

Geht's, danke, gut; das ganze Haus

Ist wohl und läßt sich dir empfehlen.

Ach, Freund, was könnt' ich nicht erzählen!

Wie Olga aufblüht! Eine Lust

Für Aug' und Herz! Eugen, du mußt

Durchaus mal hin, auch wird sich's schicken;

Du fühlst es selber ja sofort:

Nur zweimal warst du flüchtig dort

Und ließt dich dann nicht wieder blicken.

Doch halt: (ein solcher Tropf zu sein!)

Sie laden dich zum Samstag ein.« –

XLIX


»Mich?« – »Ja, denn Samstag, mußt du wissen,

Ist Tanjas Namenstag; Mama

Und Olga möchten dich nicht missen.

Sei Kavalier und sage ja!« –

»Nur kommen dann die Anverwandten

Nebst einem Schwarm von Gratulanten ...« –

»Kein Mensch, wir werden ganz allein,

Ganz harmlos in Familie sein:

Entschließ dich, tu es mir zu Ehren!

Nun? ...« – »Also ja.« – »Wie freundschaftlich!«

Er war entzückt, beeilte sich,

Sein Glas auf Tanjas Wohl zu leeren,

Und schwärmte dann fast überlaut

Nur noch von Olga, seiner Braut.


L

Er war so froh: in wenig Wochen

War ihm der Wünsche höchstes Ziel,

Der Brautnacht Seligkeit versprochen,

Da sollte ihn der Minne Spiel,

Der Liebe zartes Band beglücken!

Ach, Hymens Bosheit, Hymens Tücken,

Des grauen Alltags Last und Pflicht,

Sie ahnte unser Lenski nicht.

Derweil wir andern herzlos Kalten

Die Ehe für den gröbsten Wahn,

Den abgeschmacktesten Roman

Im Lafontaineschen Genre halten ...

Er freilich war, so rein beseelt,

Für jenen Stand wie auserwählt.

LI


Er war geliebt (das heißt: so glaubte

Sein Schwärmerherz) und war beglückt.

Wohl dem, dem nichts die Einfalt raubte.

Der ohne Mißtraun weltentrückt

Sich näher träumt dem schönsten Ziele,

Wie ein Betrunkner auf dem Pfühle,

Gefäll'ger: wie der Schmetterling,

Der duftberauscht am Blümchen hing.

Doch wie bedauernswert dagegen,

Wer nie sich mehr am Schein erfreut,

Ernüchtert durch die Wirklichkeit

Gewohnt ist, stets Verdacht zu hegen,

Sein Herz versperrt, sich nie vergißt

Und keines Leichtsinns fähig ist!


Fünftes Buch

Träume nie solch bösen Traum,

Holdes Kind, Swetlana!

Shukowski


I

Der Herbst hielt nach dem Fall der Blätter

Noch lange stand in diesem Jahr;

Es kam und kam kein Winterwetter.

Schnee fiel auch erst im Januar,

Am Dritten nachts. Als in der Frühe

Tatjana munter wurde, siehe,

War Hof und Garten weit und breit,

Der Zaun, die Dächer tief verschneit,

Am Fenster prangten Blumensterne,

Die Bäume standen silberschwer,

Es schwirrten Elstern froh umher,

Und alle Höhen in der Ferne

Bedeckte flimmernd Schnee und Eis.

Ringsum ein einzig blendend Weiß.


II

Winter ...! Der Landmann hat im Schlitten

Nun wieder herrlich freie Bahn;

Sein Rößlein stampft mit kurzen Tritten,

Die Nüstern blähend, durch den Plan.

Wie prächtig die Kibitka drüben

Dahinsaust, daß die Flocken stieben;

Der Kutscher, der die Zügel führt,

Im Pelz, mit rotem Gurt umschnürt.

Ein kleiner Schelm tollt ausgelassen

Mit seinem Schlittchen vor der Tür;

Der Hofhund spielt den Passagier

Und er das Pferdchen, macht Grimassen

Und friert und jauchzt, die Wangen rot,

Und merkt kaum, wie ihm Mutter droht.

III


Nun wird euch zwar an solchen Bildern

Wahrscheinlich nichts gelegen sein:

Die schlichte Wirklichkeit zu schildern

Gilt für prosaisch, für gemein.

Auch hat mich längst in diesen Stoffen

Ein andrer Dichter übertroffen

Und uns, von Poesie verklärt,

Den Sang vom ersten Schnee beschert.

Was er so reich an Winterfreuden,

Von Schlittenfahrten singt und sagt,

Hat euch gewiß viel mehr behagt.

Drum will ich mich vor ihm bescheiden,

Wie auch vor dir, Freund, dessen Lied

Für Finnlands schönstes Mädchen glüht.


IV

Tatjana schwärmte (weil sie eben,

Zwar unbewußt, ganz Russin war)

Für unser frisches Winterleben,

Den Eisesglanz, die wunderbar

Vom Rauhreif überhauchten Wälder,

Die Schlittenfahrt durch weiße Felder,

Der Morgenröte Farbenpracht,

Das Dunkel der Dreikönigsnacht.

Die war zu Haus seit alten Tagen

Als hocherwünschtes Fest bekannt:

Die Mägde kamen dann gerannt,

Um ihren Fräulein wahrzusagen,

Und stets war Geld und, hocherfreut,

Ein schmucker Krieger prophezeit.

V


Solch alten, dunklen Volksgebräuchen

Galt Tanjas scheue Sympathie:

An Mondeszauber, Wunderzeichen

Und Kartenlegen glaubte sie,

Auch daß die Träume Aufschluß bringen,

Daß in den unscheinbarsten Dingen

Geheime Vorbedeutung steckt –

Und ward von Ahnungen erschreckt.

Sobald der Kater auf dem Herde

Sich schnurrend übers Näschen strich,

Dann war's ein Wink, daß sicherlich

Noch heut Besuch erscheinen werde.

Erblickte sie den Silberrand

Des jungen Monds zur linken Hand,


VI

Dann überkam sie leises Bangen.

Wenn sich in dunkler Mitternacht

Sternschnuppen leuchtend niederschwangen,

War Tanja stets darauf bedacht,

Geschwind den Blick hinaufzulenken

Und an den liebsten Wunsch zu denken,

Bevor der kurze Glanz verblich.

Kam ihr im Feld gelegentlich

Ein schwarz vermummter Mönch entgegen,

Sprang unvermutet aus der Saat

Ein Häschen über ihren Pfad,

Dann schlug ihr Herz mit stärkren Schlägen,

Und sorgend eilte sie zurück:

Ihr ahnte künft'ges Mißgeschick.

VII


Es war der Reiz des Schauerlichen,

Den sie geheimnisvoll empfand:

So schuf uns, reich an Widersprüchen,

Natur mit rätselhafter Hand.

Es nahn die heiligen zwölf Nächte;

Da werden nun die Schicksalsmächte

Vom jungen Völkchen, das noch blüht

Und sorglos froh ins Leben sieht,

Befragt, was sein für Lose warten,

Und selbst das Alter, das gebeugt

Sich langsam schon zum Grabe neigt,

Legt sich noch einmal still die Karten.

Ob jung, ob alt – der gläub'ge Sinn

Gibt sich so gern der Täuschung hin.


VIII

Am Herd wird abends Wachs gegossen:

Seltsam sich formend tut es kund,

Was in der Zukunft Rat beschlossen;

Man fischt auf eines Eimers Grund

Nach eingeworfnen Fingerringen,

Wobei die Mädchen Lieder singen.

Kaum zieht man Tanjas Ring hervor,

Ertönt der alte Sang im Chor:

»Dort hausen eitel reiche Bauern,

Die scharren Silber Hauf um Hauf;

Und wen es trifft, und dem Glückauf!«

Doch in den dunklen Worten lauern

Gefahr und Harm ... ein zart Gemüt

Verspricht sich mehr vom Kätzchenlied.

IX


Es fror zur Nacht; am klaren Himmel

Zog schweigend seine ew'ge Bahn

Das diamantne Sterngewimmel ...

Da kommt, ganz leicht nur angetan,

Tatjana auf den Hof gegangen,

Den Mond im Spiegel aufzufangen:

Allein es zittert traurig blaß

Nur Lunas Bild im dunklen Glas ...

Da horch, es knarren Männerschritte

Im harten Schnee – auf Zehen schwebt

Sie rasch dahin, ihr Stimmchen bebt

Und haucht im Flötenton die Bitte:

»Dein Name, schnell!« Der will davon Und glotzt und stottert: »Agathon«.


X

Wie ihr die Amme vorgeschlagen,

Läßt Tanja nachts zur Zauberei

Ins Bad sich leis ein Tischchen tragen,

Geheimnisvoll gedeckt für zwei.

So harrt sie ... plötzlich graust's Tatjana –

Und beim Gedanken an Swetlana

Graust's mir noch mehr; drum schweig' ich still, Weil ich von Spuk nichts wissen will.

Nun löst sie Seidengurt und Mieder,

Entkleidet sich, steckt mit Bedacht

Den kleinen Spiegel für die Nacht

Noch unters Pfühl und legt sich nieder ...

Kupido naht im Zauberschein –

Rings wird es still. Sie schlummert ein.

XI


Und wundersame Träume schwirren

Durch ihren Geist: sie sieht sich weit

Auf schneebedeckten Feldern irren,

Umhüllt von tiefer Dunkelheit.

Ein Wildbach kommt mit finstren Wogen

Durch Klüfte Schnees herangezogen

Und wälzt in ungehemmter Wut

Dumpfbrausend seine schwarze Flut.

Ein paar vereiste dünne Stangen

Verbinden sich zu schwankem Steg:

Ihr Fuß kann nur auf diesem Weg

Zum andern Ufer hingelangen –

Und drunten tobt des Stroms Gewalt ...

Entsetzt und ratlos macht sie halt.


XII

Und schaudernd vor dem tiefen Schlunde

Klagt jammernd sie ihr Schicksal an,

Und späht verzweifelt in die Runde,

Ob ihr nicht Rettung werden kann.

Da plötzlich wird's im Schnee lebendig:

Was kriecht hervor? ein Bär, unbändig,

Groß, schwarz und zottig ... Sie erbleicht,

Schreit auf – er brummt sie an und reicht

Ihr seine Tatze mit den Klauen;

Und sie in ihrer Angst und Not

Erfaßt die Stütze, die er bot,

Und überschreitet so mit Grauen

Den Abgrund ... Wildnis um sie her.

Rasch eilt sie fort, ihr nach der Bär.

XIII


Sie wagt nicht hinter sich zu sehen,

Beflügelt ihren bangen Schritt:

Umsonst, sie kann ihm nicht entgehen,

Der rauhe Diener trottet mit,

Der Bär bleibt schnaufend ihr zur Seite;

Ein Wald erhebt sich; düstre, breite,

Turmhohe Fichten, Ast um Ast

Herabgebeugt von weißer Last;

Gewirr von Espen, Birken, Linden;

Durch kahle Wipfel blinkt die Pracht

Des Sternenheers der Winternacht;

Und nirgendwo ein Weg zu finden –

Gebüsch und Grund, wohin sie späht,

Sind rings vom Schneesturm zugeweht.


XIV

Sie läuft hinein – gefolgt vom Bären.

Im tiefen Schnee versinkt ihr Knie;

Des Dickichts dunkle Massen wehren

Der Flucht; Geäst verwundet sie,

Zerrt ihr die Ringe von den Ohren;

Ein Schuh bleibt stecken, geht verloren,

Die armen Füßchen tun ihr weh;

Jetzt fällt der Mantel in den Schnee,

Fort, fort! Allein sie fühlt mit Beben:

Der Bär verfolgt sie immer noch!

Sie strauchelt schon, und schämt sich doch,

Den Saum des Kleides aufzuheben.

So rennt sie, hinter ihr das Tier ...

Die letzten Kräfte schwinden ihr –

XV


Sie stürzt. Der Riese hebt die Bange

Behutsam auf und trägt sie fort;

Sie fügt sich willenlos dem Zwange,

Ihr Atem stockt ... An düstrem Ort,

In schaurig öder Waldesmitte

Steht einsam eine morsche Hütte,

Bis an den Giebel eingeschneit;

Schwach flimmert durch die Dunkelheit

Ein dünner Lichtstrahl; wüstes Lärmen

Und schrilles Kreischen tobt durchs Haus.

Der Zottel brummt: »Hier ruh dich aus,

Komm, mein Gevatter wird dich wärmen!«

Er trägt sie rasch zum Flur hinein

Und setzt sie ab. Sie ist allein.


XVI

Verängstet schaut sie auf, will fragen:

Der Bär ist fort! Ihr wird so bang ...

Und drinnen schallt, wie bei Gelagen,

Getös und lauter Becherklang.

Was geht hier vor? Sie schleicht zur Schwelle, Lugt durch den Türspalt in die Helle –

O Graus! Ein widerlich Gemisch

Von Ungeheuern zecht am Tisch:

Ein Hexenweib mit bärt'ger Lippe,

Ein krummgehörnter Hundekopf,

Ein dürrer Hahn mit rotem Schopf,

Ein süßlich grinsendes Gerippe,

Dort ein geschwänzter Zwerg, und hier

Ein langgeschnäbelt Katertier.

XVII


Es kommt noch toller: rittlings gaukelt

Ein Krebs auf ekler Spinnenbrut,

Auf langem Gänsehalse schaukelt

Ein Totenkopf mit rotem Hut;

Dazwischen klappert eine Mühle

Im Wirbeltanz um Tisch und Stühle –

Das heult und lacht und kräht und bellt

Und trampelt, daß die Stube gellt!

Doch welch Entsetzen faßt die Arme:

In diesem Pfuhl von Scheußlichkeit

Erkennt sie – ach, ihr Glück und Leid,

Ihn, ihn, Eugen! Im Höllenschwarme

Sitzt er leibhaftig mittendrin

Und blinzelt nach der Türe hin.


XVIII

Sein Blick macht jedes Haupt sich neigen,

Er hebt den Becher – alles trinkt,

Er schaut verdrossen – alle schweigen,

Er lacht – und alles johlt und springt.

Er kommandiert hier, ohne Frage.

Nun schreckt Tatjana dies Gelage

Nicht mehr so arg, die Wißbegier

Verleitet sie, sie klinkt die Tür –

Da faucht ein Windstoß durchs Gemäuer,

Die Lichter löschen sämtlich aus,

Ein toller Wirrwarr tobt im Haus,

Onegins Augen glühn wie Feuer,

Jäh springt er von der Tafel auf

Und stürmt zur Tür – ihm nach der Hauf'.

XIX


Vor Schrecken will die arme Seele

Entfliehn – umsonst! Um Hilfe flehn –

Auch das vergebens! – in der Kehle

Erstickt der Schrei: schon reißt Eugen

Die Tür weit auf – vor aller Blicken,

Vor dieser Brut voll Teufelstücken

Steht Tanja wehrlos! Laut ertönt

Gelächter, alles geifert, höhnt,

Und Hörner, Krallen, Rüssel, Schöpfe,

Geschwänztes Pack und Bocksgesicht,

Gewürm, Geschmeiß und Nachtgezücht,

Blutrote Lefzen, Totenköpfe,

Sie dringen wütend auf sie ein

Und kreischen gierig: »Mein, mein, mein!«


XX

»Mein!« ruft Eugen mit Zornesfunkeln.

Im Nu zerstiebt der grause Schwarm.

Sie steht mit ihm allein im Dunkeln ...

Er führt sie rücksichtsvoll am Arm

Zu einer Bank – dort sinkt sie nieder;

Noch zittern ihr vor Angst die Glieder.

Sie fühlt nur, wie er still versöhnt

Das Haupt an ihre Schulter lehnt.

Da blitzt ein Strahl – und sieh: verwegen

Tritt Lenski ein an Olgas Hand ...

Eugen springt auf, reckt wutentbrannt

Den Lauschern seine Faust entgegen

Und weist sie fluchend aus der Tür;

Tatjana wankt, es schwindelt ihr.

XXI


Der Streit wird ärger; Messer blinken –

Eugen sticht zu – und grauenvoll

Durchbohrt fällt Lenski ... Schatten sinken,

Nacht wird's umher; ein Schrei erscholl

So gellend, daß die Hütte krachte –

Und Tanja schreckensbleich erwachte ...

Verwundert schaut sie: helles Licht –

Durch frostbehauchte Scheiben bricht

Des frühen Morgens goldner Schimmer.

Die Tür geht auf: in ros'gem Duft,

Gleich einem Schwälbchen aus der Luft

Fliegt Olga frisch und froh ins Zimmer:

»Nun, Schwesterherz, verrate mir,

Von welchem Freier träumte dir?«


XXII

Doch die läßt sich im Bett nicht stören,

Bemerkt kaum ihren Frühbesuch

Und blättert, ohne hinzuhören,

Gedankenvoll in einem Buch.

Obschon dies freilich weder Sprüche

Der Lebenskunst noch bunte Stiche

Noch Poesie zu bergen schien –

So stand doch weder Scott, Racine

Noch Byron ihrem Herzen näher,

Kein neustes Modenblatt sogar

Bot jemals stärkre Reize dar

Als dies Geheimbuch vom »Chaldäer«,

Martin Sadeka, jenem Mann,

Der alle Träume deuten kann.

XXIII


Ihr hatte diesen Schatz vor Jahren

Ein Wandertrödler zugeführt

Und ihn als Perle seiner Waren,

Nachdem er lang erst lamentiert,

Doch endlich nebst »Malwinens Leben«

Um vierthalb Rubel hergegeben,

Entschädigt durch den dritten Band

Von Marmontel, verschiednen Tand,

Zwei stark vergilbte Petriaden

Und ein zerfetztes Diktionär.

Martin Sadeka blieb seither

Ihr Trost und Freund auf allen Pfaden

Und mußte selbst im Kämmerlein

Nachtsüber immer bei ihr sein.


XXIV

Nun macht der Traum ihr Angst und Sorgen.

Sie möchte gern den Sinn verstehn,

Das Grause, das in ihm verborgen,

Durch ihren Freund gedeutet sehn.

Zwar all die Schrecken, die sie plagen,

Sind im Register eingetragen:

Bär, Brücke, Dickicht, Hexe, Mord,

Nacht, Schädel, Schneesturm und so fort.

Doch ach, der Rätsel schwere Fülle,

Martin Sadeka löst sie nicht,

Das drohend wirre Traumgesicht

Blieb nach wie vor in dunkler Hülle,

So daß die Ärmste bang und trüb

Noch tagelang in Sorge blieb.

XXV


Doch sieh, schon führt mit Purpurhänden

Aurora, vor der Sonne Lauf

Vorangeeilt, aus Traumgeländen

Den heitren Namenstag herauf.

Von früh an herrscht Tumult und Wesen

In Larins Haus; in Kutschen, Chaisen

Und Schlitten traf mit groß und klein

Der Nachbarn ganze Sippschaft ein.

Im Vorhaus prallt die Flut zusammen;

Man zwängt sie durch den Korridor,

Grüßt, küßt, umarmt sich, stellt sich vor;

Dazwischen Lärm, Gekreisch von Ammen,

Getrampel, Lachen rauh und hell,

Babygeplärr und Mopsgebell.


XXVI

Nebst Gattin, an Gewicht nicht minder,

Erschien der Dickwanst Pustjakow;

Gwosdin, ein reicher Bauernschinder,

Der geckenhafte Petuschkow,

Provinzadonis ohnegleichen;

Skotinins, dürre Vogelscheuchen,

Nebst ihrer starken Kinderschar

Von anderthalb bis dreißig Jahr;

Sodann mein Bruderherz Bujanow,

In Flaus und Mütze, seinem Staat

(Wie ihr gewiß ihn oft schon saht),

Und Staatsrat außer Diensten Flianow,

Als Plappermaul, geschmierte Hand

Und blöder Vielfraß wohlbekannt.

XXVII


Dann Jungfrau Charlikow, im Schutze

Der Eltern, nebst Monsieur Triquet,

Dem Franzmann, der in eitlem Putze

Und Brille kam und ein Couplet

Nervös in seiner Tasche rollte,

Das er Tatjanen widmen wollte

Nach altbekannter Melodie:

Reveillez-vous, belle endormie.

Es stand mit andern schönen Dingen

In einem staub'gen Almanach,

Und mein Triquet, Poet von Fach,

Beschloß es neu ans Licht zu bringen,

Nachdem er geistreich belle Nina

Vertauscht mit belle Tatiana.


XXVIII

Zum Schluß erschien als treuer Ritter

Des ältern Flors vom Jungfernstand

Und letzte Hoffnung aller Mütter

Der Hauptmann mit dem Ordensband ...

Nebst einer Botschaft, froh vernommen:

Die Regimentsmusik wird kommen!

Herr Oberst selbst versprach sie heut.

Ein Ball – o welche Seligkeit!

Die junge Welt springt hoch vor Wonne.

Nun geht's zur Tafel. Paar um Paar

Stolziert heran, die Damenschar

Zieht rechts zu Tanja, die Kolonne

Der Herrn zur Linken; jeder schlägt

Ein Kreuz und setzt sich froh bewegt.

XXIX


Wie auf Befehl verstummt das Plappern:

Die Gaumen sind in Tätigkeit;

Rings hört man nichts wie Tellerklappern

Und Gläserklang. Nur kurze Zeit,

Denn bald schon fühlt man sich vertrauter,

Plauscht, trinkt sich zu, wird laut und lauter, Lacht, disputiert und schreit und kräht,

Bis keiner mehr sein Wort versteht.

Auf einmal öffnet sich die Pforte:

Eugen und Lenski treten ein.

Frau Larin ruft: »Herrje, wie fein,

Na endlich doch!« Begrüßungsworte,

Man stellt sich vor, rückt ab, hantiert,

Und beide werden rasch placiert –


XXX

Tatjanen grade gegenüber;

Die, unverhofft und jäh bedrängt,

Erbleichend, wie im kalten Fieber,

Die Blicke stumm zu Boden senkt.

Ihr Herzchen pocht mit lautem Schlage,

Das qualvoll Bittre ihrer Lage

Betäubt sie wie ein wirrer Traum;

Der Freunde Glückwunsch hört sie kaum,

Ist einer Ohnmacht nahe, sammelt

Die letzte Kraft, ihr Atem fliegt –

Allein die Selbstbeherrschung siegt,

Sie kämpft die Tränen nieder, stammelt

Ein Dankeswort mit mattem Blick

Und sinkt auf ihren Stuhl zurück.

XXXI


Tragisch-nervösen Ohnmachtsszenen

War unser Held von jeher gram,

Nichts war ihm mehr verhaßt als Tränen.

Schon dies verwünschte Fest benahm

Ihm alle Laune; augenscheinlich

Trug Lenski Schuld. Auch ihm war's peinlich

Mit anzusehn, wie jammervoll

Tatjana litt. Sein Unmut schwoll,

Und er beschloß mit Ärgermiene

Am heut'gen Abend nicht zu ruhn

Und Lenski einen Tort zu tun.

Einstweilen, bis zur bald'gen Sühne,

Bot ihm der Gäste bunte Schar

Objekte stiller Spottlust dar.


XXXII

Zwar hatte mancher bei der Fete

Den Fall bemerkt: doch eben kam,

Allseits begrüßt, die Fleischpastete,

Die Aug' und Mund in Anspruch nahm

(Nur leider stark versalzen schmeckte);

Auch ging, was lauten Jubel weckte,

Jetzt zwischen Braten und Dessert

Champagnerwein (vom Don) umher,

In Gläsern, schlank wie deine Glieder,

Sisi, du Herzensideal,

Du meiner Seele Lust und Qual,

Entzücken meiner jungen Lieder,

Du Liebeskelch, kristallenklar,

Davon ich selig trunken war!

XXXIII


Mit lautem Knall entströmt der Flasche

Das schäumend edle Naß. Jetzt zieht

Triquet sein Opus aus der Tasche,

Da er schon längst vor Eifer glüht,

In Tönen seine Kunst zu zeigen.

Rings herrscht erwartungsvolles Schweigen.

Tatjana bebt: Monsieur Triquet

Steht auf, entrollt sein Festcouplet

Und singt und detoniert empfindlich.

Applaus; sie dankt, so gut sie kann.

Und er, der anspruchslose Mann

Und große Dichter, bringt verbindlich

Ihr Wohl aus, lächelt angenehm

Und überreicht ihr sein Poem.


XXXIV

Bravo! und neues Applaudieren!

Sie dankt verwirrt und rot vor Scham.

Als nun jedoch beim Gratulieren

Auch Eugen an die Reihe kam

Und er die schmerzlich offenbarte

Hilflose, stumme Pein gewahrte,

Empfand er Mitleid, trat zurück,

Verbeugte sich und schwieg. Sein Blick

Schien seltsam weich und zart verbunden.

War dies nun wirklich Sympathie,

Wohlwollen oder Ironie,

Geheuchelt oder rein empfunden –

Gleichviel, es hatte unbemerkt

Tatjanens Seele neu gestärkt.

XXXV


Das Mahl ist aus; Rumor, Gedränge:

Gleich Bienen, die im Sonnenschein

Zur Wiese schwärmen, strömt die Menge

Geräuschvoll zum Salon hinein.

Die biedren, vollgeschmausten Dicken

Beginnen friedlich einzunicken,

Derweil die Damen zum Kamin,

Die Mädchen nach den Winkeln ziehn

Und plauschen. Für die Spielerseelen

Stehn grüne Tische rings bereit,

Zum Lomber, das die Alten freut,

Zum Boston, das die Kenner wählen,

Und Whist – drei Spiele, deren Ruf

Habgier und Langeweile schuf.


XXXVI

Acht Robber waren schon gewonnen,

Und achtmal hatten schon die Herrn

Den Platz getauscht und neu begonnen;

Da kam der Tee. Ich teile gern

Den Tag in Frühstück, Mittagessen

Und Abendbrot; die Zeit zu messen,

Belehrt uns auf dem Land Natur:

Der Magen ist die beste Uhr.

Auch merk' ich selber (doch ich bringe

Dies nur in Klammern hinterdrein),

Daß ich genau so oft von Wein

Und reichen Tafelrunden singe

Wie du, Homeros, den die Welt

Seit drei Jahrtausend' heilighält.

XXXVII/XXXVIII/XXXIX


Kaum also hielten unsre Damen

Ihr Täßchen Tee geziert im Schoß,

Als laut vom Saal her Töne kamen:

Fagott und Flöte legten los.

Musik! Im Nu sind Tee und Tassen,

Likör und Rum im Stich gelassen,

Herr Petuschkow, der schöne Mann,

Schassiert mit Olga flott voran,

Tatjana folgt an Lenskis Seite,

Bujanow schleppt Frau Pustjakow,

Triquet erwischt die Charlikow,

Die alte Jungfer auf der Freite,

Und alles wirbelt wie der Wind

Zum Saal hinein: der Ball beginnt.


XL

Ich war zu Anfang dieser Dichtung

(Vergleicht gefälligst: Erstes Buch!)

Im Anschluß an die Moderichtung

Der Neuzeit grade beim Versuch,

Den Petersburger Ball zu schildern;

Doch schwelgend in Erinnerungsbildern,

Betört von einem Füßchenpaar,

Erlag ich Schwärmer, der ich war,

Der süßen Lockung abzuschweifen.

Jetzt freilich, seit mein Leichtsinn schwand, Wird mit dem Alter mein Verstand,

Mit ihm auch Form und Inhalt reifen.

Drum will ich (endlich soll's geschehn)

Im Fünften Buch auf Ordnung sehn!

XLI


Vom Rausch der Rhythmen fortgezogen,

Blind rastlos, wie der Jugend Sinn,

Umschlingen sich des Walzers Wogen,

Kreist wirbelnd Paar um Paar dahin.

Jetzt soll Eugens Revanche kommen:

Rasch hat er Olgas Arm genommen

Und schwingt sie stürmisch kreuz und quer

Vor aller Welt im Saal umher,

Placiert sie lächelnd, bleibt daneben

Galant und heiter plaudernd stehn,

Um wie ein Pfeil im Handumdrehn

Aufs neu' mit ihr davonzuschweben.

Rings großes Staunen; Lenski glüht,

Kaum glaubt er, was sein Auge sieht.


XLII

Nun folgt Masurka. Wenn vor Zeiten

Solch Tanz begann, ja dazumal

Durchschwoll ein Sturm von Seligkeiten,

Ein Jubelbraus den weiten Saal,

Daß Fenster klirrten, Wände dröhnten!

Und heut? Heut trippeln wir Verwöhnten

Geziert auf Glanzparkett dahin.

Nur auf dem Land, bei frischem Sinn,

Da steht Masurka noch in Blüte,

Sind Kraft und Schönheit noch bewahrt:

Das wogt und stampft, keck weht der Bart –

Noch ganz wie sonst ... Und Gott verhüte,

Daß dies dem Fluch der heut'gen Welt,

Dem Modezwang zum Opfer fällt!

XLIII/XLIV


Da kommt Bujanow kühn im Bogen

Mit beiden Schwestern aus dem Schwarm

Auf unsern Helden losgezogen:

Der wählt geschmeidig Olgas Arm,

Fliegt lässig tänzelnd durch die Reihen

Und drückt ihr unter Schmeicheleien

Vielsagend warm die kleine Hand,

Erglühend strahlt sie, lustentbrannt,

Nichts hat das eitle Püppchen lieber.

Mein Lenski sieht's – ihm kocht das Blut,

Er schäumt vor Eifersucht und Wut,

Harrt bebend, bis die Tour vorüber,

Und engagiert sie sans façon

In blinder Hast zum Kotillon.


XLV

Sie ist versagt. Wie? Was? So plötzlich?

Je nun, man kam ihm schon zuvor:

Onegin hat den Tanz. – Entsetzlich!

Welch bittre Schmach vernimmt sein Ohr!

Sie konnte ...! Sie, das harmlos nette,

Halbreife Kind – und schon Kokette!

Sie treibt schon mit der Neigung Spott,

Verrät, betrügt ihn schon – o Gott!

Er taumelt, kann sich kaum erholen

Von diesem Schlage; tief verstört

Entfernt er sich, verlangt sein Pferd

Und rast davon ... Ein Paar Pistolen,

Zwei Kugeln – sind der Weisheit Schluß,

Der sein Geschick entscheiden muß.


Sechstes Buch

Là, sotto i giorni nubilosi e brevi,

Nasce una gente a cui l'morir non dole.

Petrarca


I

Seit Lenski sich in blinder Eile

Davongemacht, bekam Eugen

An Olgas Seite Langeweile;

Er schwieg, ihm war genug geschehn.

Auch Olgas Laune war im Schwinden,

Sie konnte Lenski gar nicht finden

Und schien erschöpft vom Kotillon.

Da endlich Schlußtour. Im Salon

Folgt noch ein Imbiß für den Magen.

Inzwischen wird bis unters Dach

In jedem Winkel von Gemach

Ein Heer von Betten aufgeschlagen.

Zufrieden streckt sich jeder aus.

Eugen als einz'ger fuhr nach Haus.


II

Rings wird es still: schon schnarcht im Saale Der biedre Dickwanst Pustjakow

Nebst seinem feisten Ehgemahle;

Gwosdin, Bujanow, Petuschkow

Und Flianow (schwer bezecht wie immer)

Auf Stühlen im Gesellschaftszimmer.

Triquet am Boden quer davor,

Die Zipfelmütze überm Ohr;

Und alle müden jungen Damen

Gesellte man den Schwestern zu.

Nur Tanja findet keine Ruh',

Sie härmt sich, lehnt am Fensterrahmen

Und schaut im bleichen Mondenschein

Mit Tränen in die Nacht hinein.

III


Daß er so unverhofft gekommen,

Anfangs durch Rücksicht sie gerührt,

Doch dann so seltsam sich benommen

Und gegen Olga aufgeführt,

Erschüttert sie; sie kann sein Wesen

Nicht deuten, nicht das Rätsel lösen

Und bebt vor eifersücht'ger Qual;

Ihr ist, als wenn ein kalter Stahl

Das Herz durchbohrt, vor ihren Schritten

Ein grausig finstrer Abgrund droht ...

Sie flüstert: »Ach, es ist mein Tod,

Doch selig, wenn durch ihn erlitten.

In Demut trag' ich mein Geschick –

Bei ihm erblüht mir doch kein Glück.«


IV

Auf, frisch voran, geliebte Strophe!

Jetzt kommt ein neuer Held in Sicht:

Bei Krasnogorje, Lenskis Hofe,

Verbringt seit langem brav und schlicht

Als Eremit von altem Schlage

Nachbar Sarezki seine Tage;

In jüngern Jahren zwar bekannt

Als Raufbold, Spieler, Intrigant,

Wirtshaustribun und arger Sünder,

Der aber nun, dem Leichtsinn feind,

Als biedrer Dörfler, treuer Freund

Und led'ger Vater vieler Kinder,

Kurz, als ein Mann von Ehre lebt.

Wie schnell doch heut Moral sich hebt!

V


Einst Hauptkumpan beim Zechgejohle,

Tat kühn er jeden Unfug mit;

Fürwahr, er schoß auch mit Pistole

Durchs blanke As auf zwanzig Schritt.

Erwies sich, mit Verlaub zu melden,

Auch einst im Krieg als Reiterhelden

Und fiel, berauscht fürs Vaterland,

Kopfüber in Franzosenhand –

Ein teurer Fang! Den Ruhm zu mehren,

War er sogleich nach Friedensschluß

Bereit, als neuer Regulus

In Feindeshaft zurückzukehren,

Um bei Véry tagaus, tagein

Auf Staatskredit bezecht zu sein.


VI

Er hatte stets als Schalk gegolten,

Gern jeden Dummkopf angeschmiert,

Auch Klügste, die sich brüsten wollten,

Ergötzlich hinters Licht geführt,

Was ihm, wenn er's zu derbe machte,

Mitunter stramme Püffe brachte,

So daß er nach mißglücktem Spaß

Oft selber in der Patsche saß.

Er konnte äußerst lustig streiten,

Gab ganz verblüffend gut heraus,

Hielt an sich bei entfachtem Strauß,

Damit die andern sich entzweiten,

Und blies dann Feuer in den Kram,

Bis ein Duell zustande kam.

VII


Half manchmal auch sie auszusöhnen,

Um dritter Mann beim Trunk zu sein

Und hinterher in allen Tönen

Gespött und Unglimpf auszustreun.

Sed alia tempora! Dem Triebe

Der Rauflust (wie dem Spuk der Liebe –

Zwei Plagen!) setzt die Zeit ihr Ziel.

Kurzum, erlahmt vom wüsten Spiel,

Bringt heute mein Sarezki drüben

In seines Gärtchens Schattenruh'

Wie einst Horaz sein Dasein zu,

Pflanzt philosophisch Kohl und Rüben,

Zieht sein Geflügel, schneidet Klee,

Und lehrt im Dorf das Abc.


VIII

Er war gescheit und welterfahren,

Drum lud Eugen, dem überdies

Sein Geist und Witz willkommen waren,

Zumal er Schwächen gelten ließ,

Den Nachbarn, dessen Ton ihm paßte,

Sehr oft und gern zu sich zu Gaste,

Weshalb es ihn nicht wundernahm,

Daß er so früh schon zu ihm kam.

Doch schien, der sonst'gen Art entgegen,

Sarezki heut verstockt zu sein,

Ging auf Gespräch nicht weiter ein

Und überreichte halb verlegen

Ein Schreiben von des Freundes Hand.

Eugen erbrach es, las – und fand:

IX


Mit dürren Worten angedeutet,

Nach allen Regeln – ein Kartell:

Kalt-förmlich, nur von Haß geleitet,

Entbot ihn Lenski zum Duell.

Sogleich und ohne Überlegung

Beschied Eugen in erster Regung

Den Bringer dieser Neuigkeit:

Er sei natürlich stets bereit.

Der schien es bündig aufzufassen,

Erhob sich, schützte da und dort

Geschäfte vor und eilte fort.

Doch kaum mit sich allein gelassen,

Empfand Eugen auf einmal klar,

Wie unklug sein Verhalten war.


X

Denn strenggenommen, vorm Gewissen,

War sein Betragen gestern schlecht,

Er hätte sich entschuld'gen müssen.

Zuerst mal war es schon nicht recht,

Der zarten Neigung des Poeten

So spöttisch dreist zu nah zu treten.

Und zweitens, wenn ein junger Tor

Von achtzehn Jahr'n den Kopf verlor,

So war's verzeihlich. Er dagegen,

Dem Freunde doch von Herzen gut,

Er durfte nicht aus Wankelmut

Sich gleich nach Knabenart erregen,

Gleich blindlings raufen wollen – nein,

Er mußte männlich, maßvoll sein.

XI


Er durfte sich vernünftig wehren,

Jedoch nicht sinnlos borstig tun;

Er hätte Lenskis Zorn beschwören,

Entwaffnen müssen. »Freilich nun –

Nun (denkt er) ist's zu spät, hat leider

Doch schon der alte Ehrabschneider

Und Duellant sich eingemischt,

Der gar zu gern im trüben fischt.

Was käme dann wohl zur Erscheinung,

Wenn der's herumträgt, bissig-scharf,

Und jeder Tölpel spotten darf ...!«

Da seht: die öffentliche Meinung,

Den Götzen, der die Ehre zwingt,

Dem alle Welt ihr Opfer bringt!


XII

Daheim harrt Lenski Stund um Stunde,

Von Ungeduld und Haß verzehrt,

Bis triumphierend mit der Kunde

Der Nachbar endlich wiederkehrt.

O wie das wohltat seinem Drange!

Schon war der Eifersücht'ge bange,

Der freche Spötter könnte ihn,

Um vor der Waffe feig zu fliehn,

Mit einem schnöden Vorwand prellen.

Doch nun sind alle Zweifel fort:

Gleich morgen, bei der Mühle dort,

Ist's abgemacht, sich einzustellen,

Und dann wird, wie's die Hand befiehlt,

Auf Schenkel oder Stirn gezielt.

XIII


Er will fortan die Falsche hassen,

Vorm Zweikampf nicht zu Olga gehn,

Kann abends aber doch nicht lassen,

Verstohlen nach der Uhr zu sehn,

Um schließlich – ach, was sind Bedenken! –

Zu seinen Larins abzuschwenken.

Er dachte: »Tret' ich so herein,

Wird Olga wie zerschmettert sein.«

Welch Irrtum! Frank und ungezwungen,

Die flücht'ge Hoffnung in Person,

So kam sie vor der Haustür schon

Auf unseren Dichter zugesprungen,

Beglückt und harmlos, frisch und klar,

Kurz – niedlich, wie sie immer war.


XIV

Ihr erstes Wort ist: »Sag, weswegen

Gingst gestern du so früh nach Haus?«

Ihn überläuft's, er steht verlegen

Und weiß vor Scham nicht ein noch aus.

Vor dieser Augen heller Güte,

Der Anmut dieser Mädchenblüte,

Vor dieser offnen Herzlichkeit

Flieht Groll und Argwohn, schmilzt sein Leid: Fürwahr, er hat umsonst gelitten,

Sie liebt ihn noch mit ganzer Huld!

Schon fühlt er reuig seine Schuld,

Schon will er um Verzeihung bitten,

Bebt, ringt nach Worten, zaudert, weilt –

Und ist beseligt, fast geheilt ...

XV/XVI/XVII


Und wiederum, die Stirn in Falten,

Steht Lenski trüb und zweifelnd da

Und wagt nicht, Olga vorzuhalten,

Was gestern auf dem Ball geschah.

Er überlegt: »Ich will sie retten,

Sie des Verführers Schmeichelketten

Entreißen, der mit Trug und List

Nach ihrer Unschuld lüstern ist,

Will hindern, daß mit gift'gem Bisse

Der Wurm den Liliensproß zersticht,

Auf daß die holde Blüte nicht,

Noch kaum entfaltet, welken müsse.«

Natürlich war damit gemeint:

Ich schieße mich mit meinem Freund.


XVIII

Ach, daß kein Blick ihm offenbarte,

Was Tanja litt in tiefster Brust!

Sie selbst das Unheil nicht gewahrte!

Sonst hätte, wenn sie drum gewußt,

Daß sich Eugen und Lenski grollten

Und morgen blutig kämpfen wollten,

Nach ihrer Liebe Kraft vielleicht

Der Freunde starren Sinn erweicht!

Doch, leider, niemand wußte eben

Um ihre stille Leidenschaft,

Onegin schwieg gewissenhaft,

Und sie verschloß sich stumm ergeben.

Nur vor der Amme Angesicht

Lag's offen, doch erriet sie's nicht.

XIX


Freund Lenski war den Abend heute

Sehr aufgeregt und wunderlich,

Bald trüb, bald froh – wie Dichtersleute

Nun einmal sind: erst ließ er sich

Mit düstrer Stirn am Piano nieder,

Griff Mollakkorde, seufzte wieder,

Sah dann verzückt nach Olga hin

Und hauchte: »Wie ich glücklich bin!«

Es wurde spät, der Abschied drängte.

Da war's, als wenn mit einemmal

Ein Übermaß von Seelenqual

Sein sorgenschweres Herz zersprengte.

Sie will ihn halten: »Hör, ein Wort –

Was fehlt dir?« – »Nichts.« So stürzt er fort.


XX

Kommt heim, sucht gleich sein Paar Pistolen

Vom Schrank hervor, prüft Hahn und Lauf,

Ist rasch entkleidet, schürt die Kohlen

Und schlägt im Bett den Schiller auf.

Doch kann sein Geist nicht Ruhe finden,

Sein Herz die Angst nicht überwinden,

Denn unbeschreiblich süß und mild

Umschwebt ihn Olgas Engelsbild.

Er muß das Buch vor Wehmut schließen,

Greift flugs zur Feder, um sein Leid

Und seiner Liebe Seligkeit

In Versen schmachtend auszugießen,

Und deklamiert sie voller Glut

(Wie oft im Rausch Freund Delwig tut).

XXI


Sie wurden später aufgefunden;

Hier folgt die Abschrift, wortgetreu:

»Wohin, wohin bist du entschwunden,

Du meiner Jugend güldner Mai?

Was bringt er mir, der künft'ge Morgen,

Des Antlitz, tief in Nacht verborgen,

Annoch unfaßbar meinem Blick?

Gleichviel, gerecht ist das Geschick.

Und fall' ich auch, ins Herz geschossen,

Soll mir das Blei vorübergehn –

Schlaf oder Wachen, mag geschehn,

Was droben über mich beschlossen.

Willkommen sei des Lebens Not,

Willkommen auch ein früher Tod!


XXII

Wenn mit der Morgenröte Prangen

Der neue Tag herniederlacht,

Bin ich vielleicht schon eingegangen

Ins Schattenreich der Grabesnacht;

Versenkt in Lethes finstren Gründen,

Wird des Poeten Namen schwinden

Und bald verwehn. Nur du allein,

O Engel, wirst mir Tränen weihn,

Zu meiner Urne seufzend wallen

Und sinnen: ach, er war mir gut,

Sein ganzes Herz, in junger Glut,

In Glück und Harm war mein vor allen! ...

O komm, Geliebte, komm zu mir,

Dein Freund – dein Gatte ruft nach dir! ...«

XXIII


So schrieb er schwülstig, trist und fade (»Romantisch« wird das heut genannt,

Doch mit Romantik hat's gerade

Nicht viel zu tun; was soll der Tand?),

Um kurz vor Tag mit matten Blicken

Schlaftrunken langsam einzunicken,

Und flüstert' schlafend noch einmal

Das Modewörtchen »Ideal«.

Ein Labsal, das nicht lange währte,

Weil gleich darauf der Kamerad

Geräuschvoll in sein Stübchen trat

Und seinen kurzen Frieden störte:

»Die Uhr ist sechs, auf, auf, mein Sohn,

Geschwind, Onegin wartet schon!«


XXIV

Er täuschte sich: noch tief im Traume

Lag unser Held, den Pflichten fern.

Schon dämmert's leis am Himmelssaume.

Der Hahn begrüßt den Morgenstern –

Noch ruht das Weltkind schlafumfangen.

Schon ist die Sonne aufgegangen

Und überstreut mit weißem Glanz

Kristallner Flocken Wirbeltanz –

Er aber träumt noch mit der Miene

Der Unschuld sanft im Schlafgemach.

Doch jetzt auf einmal wird er wach,

Gähnt, reckt sich, teilt die Bettgardine

Und schaut – bis plötzlich er gewahrt:

Es ist ja höchste Zeit zur Fahrt!

XXV


Er schellt: sofort erscheint am Bette

Guillot, ein Franzmann, sein Lakai,

Hilft emsig bei der Toilette

Und bringt Habit und Schuh' herbei.

Onegin schlüpft in seine Sachen

Und heißt Guillot sich fertigmachen,

Um mitzufahren; als Gepäck

Verlangt er nur sein Schießbesteck.

Der Schlitten jagt, wie anbefohlen,

Zur Mühle hin; dort irgendwo

Wird haltgemacht, dann muß Guillot,

Im Arm die grausen zwei Pistolen,

Dem Kavalier zur Seite gehn.

Der Schlitten bleibt beim Wäldchen stehn.


XXVI

Längst harrte Lenski bei der Schleuse

Voll Ungeduld; sein Kamerad

Besah derweil nach Kennerweise

Den Mechanismus. Endlich naht

Eugen, bedauert sein Verspäten

Und grüßt. Sarezki fragt betreten:

»Wo aber bleibt Ihr Sekundant?«

Denn er als alter Duellant

War für System in derlei Dingen

Und hielt darauf, den Menschen nur

Streng klassisch, wie die Kunst verfuhr,

Nach allen Regeln umzubringen,

Getreu dem Brauch, wie sich's gehört

(Das war unstreitig lobenswert).

XXVII


»Mein Sekundant?« Eugen wird heiter:

»Hier mit Verlaub: Monsieur Guillot,

Mein Freund; man fragt ja wohl nicht weiter

Nach Herkunft, noch warum, wieso;

Er ist ein Diener von Manieren

Und darf als Ehrenmann passieren.«

Sarezki schaut verdutzt und schweigt.

Onegin drauf: »Man scheint geneigt,

Kann's also losgehn?« – »Nach Belieben«,

Wirft Lenski hin. Die vier im Schritt

Ziehn querfeldein; Sarezki tritt

Nebst seinem Ehrenmann da drüben

Im ernsten Zwiegespräch zurück.

Die Gegner senken stumm den Blick.


XXVIII

Die Gegner! Nach so wenig Stunden

Durch grimmen Blutdurst schon entzweit?

Sind sie nicht jüngst noch eng verbunden,

Zwei gute Freunde, jederzeit

Mit ganzer Seele eins gewesen?

Und wollen nun, betört vom Bösen,

In unbegreiflich wilder Wut,

Erbfeinden gleich, mit kaltem Blut

Einander ins Verderben schicken –

Statt aufzulachen, froh zu sein,

Daß noch die Hand von Frevel rein,

Und sich versöhnt ans Herz zu drücken? ...

O falscher Ehrbegriff der Welt,

Der Schamgefühl für Schwäche hält!

XXIX


Schon wird geladen, Läufe blitzen;

Der feste Pfropfen wird vom Stahl

Gehämmert, bis die Kugeln sitzen;

Es knackt der Hahn zum erstenmal.

Dann streut man Pulver auf die Pfannen

Und eilt, das Drehschloß anzuspannen,

Das mit dem scharfen Feuerstein

Den Funken schlägt. Vor Angst und Pein

Verkriecht Guillot sich unterdessen.

Das Paar wirft rasch die Mäntel ab,

Sarezki, schweigsam wie ein Grab,

Hat zweiunddreißig Schritt vermessen,

Und jeder Gegner wählt den Stand

Und harrt, die Waffe in der Hand.


XXX

»Jetzt los!« Und bittren Ernstes schreiten

Zwei Feinde, noch den Hahn in Ruh',

Bedächtig, stumm, von beiden Seiten

Vier Schritte aufeinander zu.

Vier Schritte, die zum Jenseits führen.

Nun hebt in stetem Avancieren

Onegin, schweigend wie zuvor,

Ganz langsam sein Pistol empor.

Fünf Schritt noch sind zurückzulegen.

Jetzt hat auch Lenski haltgemacht,

Legt an und zielt – da plötzlich kracht

Onegins Schuß ... mit dumpfen Schlägen

Entschied das Los: der Dichter wankt,

Sein Arm versagt, die Waffe schwankt,

XXXI


Er führt die Linke still zum Herzen

Und fällt ... sein mattes Auge spricht

Von sanftem Sterben, ohne Schmerzen.

So von der Bergwand löst sich, bricht

Und stürzt, zerstäubt im Sonnenstrahle,

Die Schneelawine jäh zu Tale.

Ein eis'ger Schauer packt Eugen –

Er eilt herzu, er will ihn sehn,

Kniet nieder, ruft ihn an – vergebens:

Es ist vorbei, der Würfel fiel,

Der Jüngling fand ein frühes Ziel;

Es hat die Blüte dieses Lebens

Der Sturm geknickt im Morgenrot.

Das reine Licht erlosch im Tod.


XXXII

Da lag er, starr, mit bleichem Munde,

Entseelt, entrückt dem Erdenweh.

Noch immer troff aus seiner Wunde

Das Herzblut dampfend in den Schnee.

Und eben erst, noch vor Minuten,

Glomm dieses Herz in heil'gen Gluten,

Noch eben schlug's in junger Kraft

Für Liebe, Haß und Leidenschaft:

Und nun ist jeder Ton verklungen,

Wie im verlaßnen, leeren Haus –

Rings totenstill, die Lichter aus,

Die Fenster übertüncht, zersprungen,

Die Läden zu, kein Mensch darin,

Die Wirtin fort, Gott weiß wohin.

XXXIII


Dem Feind mit scharfen Epigrammen

Zu Leibe gehn ist eine Lust;

Ein Labsal, wenn in Zornesflammen

Der Tölpel, seiner Schmach bewußt,

Sich schämt, zum Spiegel hinzublicken,

Weil ihn verdiente Hörner schmücken;

Und köstlich, wenn er wütend flennt

Und seine Fratze selbst erkennt!

Weit schöner noch, sich kühl zu rächen,

Dem Kerl die Maske fortzuziehn

Und vornehm schweigend über ihn

Gesellschaftlich den Stab zu brechen.

Doch seinen Gegner töten – nein,

Kann nimmermehr vergnüglich sein.


XXXIV

Wie dann, wenn schwer von euch getroffen,

Ein Freund dahinsank, todesbleich,

Nur weil er sorglos, allzu offen

Im Übermut sich gegen euch

Beim Wein ein keckes Wort erlaubte,

Vielleicht sich selbst beleidigt glaubte

Und blind vor Zorn euch fordern ließ?

Sagt, könnte eure Seele dies

Verwinden, wenn, die Brust durchschossen,

Er daliegt, ihr ihn sterben seht,

Sein letzter Atemzug verweht,

Und nun, die Lippen fest geschlossen,

Er starr und taub vor euch sich streckt,

Kein Schmerzensschrei ihn auferweckt?

XXXV


Zerknirscht, die Waffe stumm in Händen,

Vermag Eugen in seiner Not

Vom Freunde keinen Blick zu wenden.

Sarezki murmelt: »Also tot.«

Tot! ... Aufgepeitscht von diesem Worte

Entflieht Eugen dem Schreckensorte

Und ruft zum Beistand Leute her.

Sarezki läßt behutsam schwer

Den Körper in den Schlitten tragen

Und führt sie heim, die kalte Last:

Die Pferde wittern graunerfaßt

Den blut'gen Leichnam, schnauben, jagen

Und netzen ihr Gebiß mit Schaum –

Sie hemmt kein Zügel, hält kein Zaum.


XXXVI

Der Ärmste dauert euch, der eben

Noch voll von Glück und Poesie,

Bevor sich kaum sein schönes Streben

Entfalten durfte, ach, zu früh,

Den Tod empfing! Und Jugendfülle,

Sein Wissenstrieb und hoher Wille,

Gelenkt von keuschem, edlem Sinn,

Sein glühend' Herz – wo sind sie hin?

Wohin sein Drang nach Licht und Klarheit,

Der Liebesreichtum seiner Brust,

Sein Abscheu vor gemeiner Lust,

Und du, Begeistrung, Quell der Wahrheit,

Die seiner Träume Schöpferflug

Zu himmlisch reinen Sphären trug?

XXXVII


Er war vielleicht zu großen Dingen,

Zum Heil der Menschheit ausersehn,

Um auf der Leier goldnen Schwingen,

Die nun zerbarst, in lichten Höhn

Unsterblich durch sein Lied zu werden.

Er hätte wohl schon hier auf Erden

Des Dichterruhms Zenit erreicht.

Sein blut'ger Schatten nahm vielleicht

Der Offenbarung schönste Gabe

Ins Jenseits mit hinweg, entflohn

Ist seines Mundes süßer Ton,

Und nimmer steigt von seinem Grabe

Als tausendfält'ger Jubelchor

Der Nachwelt Dank zu ihm empor.


XXXVIII/XXXIX

Ihm konnte freilich auch im Leben

Ein Alltagslos beschieden sein:

Er hätte Frische, Lust und Streben

Gemach verloren, hinterdrein

Enttäuscht die Musen satt bekommen,

Im Dorf gehockt, ein Weib genommen

Und sich als Hahnrei, stillvergnügt,

Im Schlafrock dieser Welt gefügt;

Geschmaust, geschnarcht und, hoch an Jahren,

Dann endlich, mürb vor Gicht und Fett,

Als Biedergreis im Sterbebett,

Umheult von Weib und Kinderscharen

Und von der Ärzte Kunst mißbraucht,

Den letzten Seufzer ausgehaucht.

XL


Sei dem nun schließlich, wie ihm wolle:

Der Sänger, der so rein empfand,

Der liebeswarme, seelenvolle –

Er starb dahin durch Freundeshand!

Gleich links beim Dörflein, wo in Zeiten

Des Musenglücks er schwärmte, breiten

Zwei Kiefern stumm ihr Zwillingsdach;

Aus deren Fuß, hinab zum Bach,

Entspringen, rieseln frische Quellen.

Dort lockt's zur Rast den Landmann hin,

Und mittags taucht die Schnitterin

Den blanken Krug in ihre Wellen.

Im Schatten dort, für sich allein,

Gedenkt ein schlichtes Grabmal sein.


XLI

Und wenn des Frühlings milder Segen

In Schauern durch die Fluren zieht,

Birgt hier der Hirt sich vor dem Regen,

Flicht bastne Schuh' und singt sein Lied.

Und manchmal, wenn von Lust getrieben

Die junge Städterin, die drüben

Im Dorf zur Sommerfrische weilt,

Beim Morgenritt vorübereilt,

Bemerkt sie wohl am Trauerorte

Den Grabstein, hemmt des Zelters Lauf,

Lenkt näher, hebt den Schleier auf,

Sucht, überfliegt die kurzen Worte

Der frommen Inschrift mitleidsvoll

Und spendet ihren Tränenzoll.

XLII


Dann wieder reitet sie vom Hange

Nachdenklich ernst im Schritt herab,

Und ihre Seele weilt noch lange

Bei Lenskis Los und frühem Grab;

Und sinnt: »Ob Olga für die Wunden

Wohl später Balsam, Trost gefunden?

Ergab ihr Herz sich bald darein?

Und wo mag jetzt die Schwester sein?

Und er, der längst uns fremd geworden,

Der Menschenfeind, Salonpedant

Und Damenspötter, dessen Hand

Gewagt, den Dichter hinzumorden?«

Ich will von allem, was geschehn,

Ein andermal euch Rede stehn,


XLIII

Nicht jetzt. Zwar bin ich meinem Helden

Sehr zugetan, und mein Gedicht

Soll auch noch weiter von ihm melden,

Allein für heut vermag ich's nicht;

Denn meine reifern Jahre neigen

Zur trocknen Prosa, sind dem Reigen

Des Versgetändels – ungewollt,

Doch seufzend fühl' ich's – wenig hold.

Die Feder, sonst beim Spiel der Reime

So keck zur Hand, versagt sich nun;

Die Pflicht zu andrem, ernstrem Tun

Heischt Nüchternheit, statt loser Träume,

Und gönnt mir in des Tages Hast

Wie auch im Schlummer keine Rast.

XLIV


Es wuchs in mir ein neu' Verlangen,

Wobei es nicht an Leid gebrach;

Vor jenem fühlt' ich leises Bangen –

Und traure altem Kummer nach.

Wo seid ihr stürmisch süßen Triebe?

Wo du (ihr ew'ges Reimwort), Liebe?

Ist euer Blütenkranz hinfort

Für immerdar verwelkt, verdorrt?

Ruft kein elegisch banges Klagen

Den Lenz der Jugend mir zurück?

Ist's wahr, daß all das einst'ge Glück

(Wie ich im Scherz oft vorgetragen)

Nun ohne Wiederkehr dahin?

Und daß ich selbst bald Dreißig bin?


XLV

So ist's. Mein Tag ist halb vollendet,

Ich seh' es wohl und bin bereit.

Nun also, da mein Pfad sich wendet,

Fahr wohl, du goldne Jugendzeit!

Hab Dank für deine tausend Wonnen,

Für Lust und Schmerz aus tiefstem Bronnen,

Für Not und Glück! Ich danke dir

Für alles, alles, was du mir

Geschenkt hast. Hab' ich dich genossen

Im Rausch der Sinne Zug um Zug

Bis auf den Grund – so sei's genug!

Fahr wohl! Geklärt und ernst entschlossen

Auf neuen Bahnen zieh' ich nun,

Vom frühern Leben auszuruhn.

XLVI


Ein letzter Gruß noch, eh' ich scheide,

Euch Stätten, wo ich hold im Bann

Von Leidenschaften, Spiel und Freude

Der Dichtung schönste Träume spann ...

Und nun, Begeistrung, ewig rege,

Beflügle meines Herzens Schläge,

Entzünde meine Phantasie,

Sei meine Zuflucht spät und früh,

Hilf, daß ich nicht verzweifeln müsse,

Nicht untergehe stumpf und schal

Vor Ekel, Scham und Seelenqual

Im Strudel dieser Weltgenüsse,

In diesem Pfuhl, drin alle wir

Uns wälzen, Freunde, ich und ihr.


Siebentes Buch

O Moskau, Rußlands liebste Tochter,

Wo gibt es eine, die dir gleicht?

Dmitrijew


Moskau nicht lieben, unsern Stolz?

Baratynski


Auf Moskau schimpfen! Ja, das macht das Reisen aus!

Wo ist's denn schöner? –

Wo wir nicht zu Haus.

Gribojedow


I

Schon schmilzt auf allen Bergen droben

Der Schnee im Frühlingssonnenstrahl

Und rinnt, zu trübem Naß zerstoben,

Ins quellenfeuchte Wiesental.

Mit Lächeln grüßt, noch traumbefangen,

Natur des Lenzes frische Wangen:

Der Himmel strahlt in lichtem Blau,

Der Wald beginnt sein kahles Grau

Mit zartem, grünem Flaum zu füllen.

Schon schwärmt aus ihrem Winterhaus

Nach Blütenkost die Biene aus,

Es sprießt die Flur, die Herden brüllen;

Schon singt im Buschwerk überall

Bei Mondenschein die Nachtigall.


II

Wie bangt mir doch bei deinem Kommen,

O Lenz, du Zeit der Liebeslust!

Welch tiefe Schwermut, dumpf beklommen,

Bedrängt, belastet meine Brust!

Mit welch entsagend leiser Trauer

Ergeb' ich mich dem Wonneschauer,

Spür' ich den Hauch der Frühlingszeit

In meines Dörfleins Einsamkeit!

Kann denn mein Herz nicht mitgenießen?

Muß, während alles strahlt und lebt

Und jauchzend nach dem Lichte strebt,

Sich meine Seele stumm verschließen,

Gefühllos bleiben, taub und kalt,

Wo ringsum heller Jubel schallt?

III


Bedenkt sie, statt sich mitzufreuen,

Daß alle Wipfel frisch belaubt,

Des Waldes Stimmen sich erneuen,

Wie schnell der Herbst die Zierde raubt?

Betrübt sie's, während reichgestaltet

Natur sich ewig neu entfaltet,

Daß eigner Jugend Glück und Wert

Mit keinem Lenz je wiederkehrt?

Wacht etwa, zaubrisch sich enthüllend,

Ein andrer, in der Jahre Lauf

Entschwundner, goldner Frühling auf,

Das Herz mit banger Sehnsucht füllend

Nach einem Land im Süden fern,

Mit Wundernächten, Mond und Stern? ...


IV

Wohlauf denn, ihr bequemen Reichen,

Ihr Schwelger ohne Pflicht und Amt,

Ihr Großfeudalen ohnegleichen,

Epikureer allesamt,

Buchwürmer ihr aus Lewschins Samen,

Und ihr, empfindungszarte Damen;

Herbei, der Frühling ist erwacht,

Da alles blüht und webt und lacht,

Die Zeit verschwiegner Promenaden

Und nächtlich süßer Schwärmerei ...

Aufs Land, aufs Land, herbei, herbei!

Geschwind gepackt und aufgeladen,

Kaleschen, Chaisen, Kutschen vor

Und ungesäumt hinaus zum Tor!

V


Auch du, mein Leser, eile, rüste

Und flieh den Lärm der dumpfen Stadt,

Soviel sie auch für Herz und Lüste

Den Winter durch gespendet hat:

Komm, laß poetisch dich geleiten,

Um fern in Waldeseinsamkeiten

Das weltverlorne Dorf zu sehn,

Wo jüngst noch unser Freund Eugen

Als Nachbar Tanjas, meiner stillen,

Geliebten, holden Träumerin,

Den öden, langen Winter hin

Sich stumm vergrub mit seinen Grillen

Und heut, entflohn dem Paradies,

Nur trübe Spuren hinterließ ...


VI

Dann folge mir zu jenen Hügeln,

In deren Halbrund unverweilt

Ein Bach, darin sich Linden spiegeln,

Gekrümmten Laufs durch Wiesen eilt.

Am Hange dort, wo Rosen klettern,

Im Frühling Nachtigallen schmettern

Und Quellen murmeln früh und spät,

Dort bei den Zwillingskiefern steht

Ein Grabmal, halb versteckt im Grünen,

Und eine Inschrift meldet dir:

»Wladimir Lenski schlummert hier,

Hinweggerafft vom Tod der Kühnen,

Des Alters soundso viel Jahr.

Ruh sanft, du junger Dichteraar!«

VII


Aus Zweigen, die im Morgenwinde

Sich niederbeugten übers Grab,

Hing sonst als treues Angebinde

Ein schlichter, kleiner Kranz herab;

Und gegen Abend kamen immer

Beim Pilgergang im Mondenschimmer

Zwei Schwestern her, umarmten sich

Und weinten lang und bitterlich.

Das ist vorüber ... längst verwirrte

Gestrüpp den Pfad zum stillen Ort,

Er liegt verwaist, der Kranz ist fort;

Und nur der alte fromme Hirte

Flicht seine dürftig bastnen Schuh'

Noch heute hier – und singt dazu.


VIII/IX/X

Mein armer Lenski! Olgas Trauer

War anfangs tief, doch bald vorbei;

Ist seinem Schmerz doch auf die Dauer

Ein junges Bräutchen selten treu.

Ein andrer bot sich ihren Blicken,

War bald ihr Tröster, ihr Entzücken,

Und trat als Sieger auf den Plan:

Ein hübscher, flotter Herr Ulan

Hat Herz und Hand im Flug gewonnen ...

Und sieh, schon steht sie am Altar,

Frisch, rosig, wie sie früher war,

Von weißem Schleier zart umsponnen,

Gesenkten Haupts, dem Glück geweiht,

Im Antlitz heiße Seligkeit!

XI


Mein armer Lenski! Ob die Kunde,

Wie wenig Olga sein gedacht,

Ihn wohl betrübte dort, im Grunde

Der wesenlosen Grabesnacht?

War ihm vielleicht zu sanftem Frieden

An Lethes Ufern Schlaf beschieden,

Der allen Erdenjammer stillt

Und in den Bann des Schweigens hüllt?

Ja, trostreich winkt uns das Vergessen

Im Jenseits dort: was Freund und Feind,

Was uns die Liebe nachruft, weint –

Verstummt auf ewig. Währenddessen

Der Erben Gier sich blinderregt

Noch lang um seinen Nachlaß schlägt.


XII

Sehr bald verklang im trauten Kreise

Der Larins Olgas muntrer Ton:

Den Herrn Ulan rief schnöderweise

Die Pflicht zurück zur Garnison.

Die Mutter schwamm in Tränenströmen,

Ihr fiel das bittre Abschiednehmen

Ganz über alle Maßen schwer.

Bloß Tanjas Augen blieben leer;

Ihr bleicher Ernst nur offenbarte,

Wie tief sie seelisch mitempfand.

Und als man dann am Tore stand,

Sich alles dort zusammenscharte,

Zum letzten Scheidegruß bereit,

Gab sie dem Wagen ihr Geleit.

XIII


Und winkte lange noch den Lieben

Umflorten Auges hinterdrein ...

Und nun war sie zurückgeblieben,

Zurückgeblieben ganz allein!

Die Schwester, ihr so treu verbunden,

Die Trautgefährtin froher Stunden,

Das Schicksal trug sie, ach, von Haus

Für immer in die Welt hinaus.

Nun irrt sie durch des Gartens Stille,

Vereinsamt, wie ein Schatten hin,

Nichts freut sie, nirgends weilt ihr Sinn;

Der unterdrückten Tränen Fülle

Vergrößert, steigert nur den Schmerz –

Ein Riß geht mitten durch ihr Herz.


XIV

Und im Alleinsein, im Entbehren,

Vertieft sich ihre Leidenschaft,

Und wieder nach Eugen begehren

Die Sinne mit erneuter Kraft.

Allein, sie muß ja von ihm lassen,

Sie muß den Brudermörder hassen,

Darf nie ihn wiedersehn ... Jedoch,

Wer weiß denn heut vom Dichter noch?

Er starb ... Schon längst gewann zur Ehe

Ein andrer seines Bräutchens Hand;

Sein flüchtig Angedenken schwand

Gleichwie Gewölk in blauer Höhe;

Und nun bewahren, trüb und stumm,

Es wohl zwei Herzen nur ... Warum?

XV


Am Abend war's, zur Dämmerstunde.

Bleich stand der Mond; der Strom ging sacht;

Die Käfer summten in der Runde;

Ein Fischerfeuer war entfacht;

Vom Dorf her schallte muntrer Reigen.

Und unterdessen, tief im Schweigen,

Streift einsam unsre Träumerin,

Tatjana, durch die Felder hin.

Weit, weit ... Da taucht vor ihren Schritten

Am Wiesenhang ein Landsitz auf

Und, klar umspielt vom Wasserlauf,

Ein dunkler Park, ein Schloß inmitten.

Und wie sie hinschaut – unbewußt

Pocht laut das Herz ihr in der Brust.


XVI

Unschlüssig schwankt sie, voll Erwarten:

»Was tu' ich? ob ich's wagen kann?

Er ist ja fort ... Auf Haus und Garten

Ein Blick – mich kennt man nicht; wohlan!«

Verhaltnen Atems steigt sie nieder,

Bleibt stehn, kommt näher, zögert wieder,

Schaut lange ratlos um sich her ...

Und schlüpft durchs Tor: der Hof ist leer.

Da plötzlich kläfft es ihr entgegen,

Ein Hundeschwarm – ihr lauter Schrei

Lockt eine Knabenschar herbei,

Die hurtig mit Geschrei und Schlägen

Die Köter auseinanderjagt

Und nach des Fräuleins Wünschen fragt.

XVII


»Wird man das Schloß wohl ansehn können?«

Ein kleiner Bursch war gleich so flink,

Zur alten Pförtnerin zu rennen,

Bei der des Hauses Schlüssel hing.

Bald war Anisja selbst zur Stelle,

Und schon steht Tanja auf der Schwelle,

Die stummen Räume öffnen sich,

Daraus Eugen erst jüngst entwich.

Sie schaut: noch Spuren sind geblieben,

Am Billard ein vergeßnes Queue,

Im Saal dort auf dem Kanapee

Die Gerte ... »Am Kamin da drüben«,

Fällt nun die Alte tonlos ein,

»Saß unser Gnäd'ger oft allein.


XVIII

Hier speisten im vergangnen Winter

Der weiland Lenski mit dem Herrn.

Und hier, belieben, gleich dahinter,

Sein Kabinett. Hier hat er gern

Vorm Aufstehn Kaffee eingenommen,

Hat dann vom Vogt Rapport bekommen

Und früh gelesen. Eben hier

War auch des alten Herrn Quartier ...

Des Sonntags saßen Seine Gnaden

Am Fenster, setzten feierlich

Die Brille auf und ließen mich

Zu einem Spielchen Schafskopf laden.

Gott gebe seiner Asche Ruh'

Und ew'ge Seligkeit dazu.«

XIX


Voll Rührung, wie in stiller Feier,

Schaut unsre Tanja ringsumher,

Es deucht ihr alles wert und teuer,

Füllt ihre Seele mehr und mehr,

Je tiefer sie darein versponnen,

Mit schmerzlich-süßen, scheuen Wonnen!

Der Tisch, die kleine Lampe drauf,

Die vielen Bücher, Hauf an Hauf,

Das schlichte Decktuch überm Bette,

Der Blick ins dämmerfahle Land,

Lord Byrons Bildnis an der Wand

Und dort, geformt zur Statuette,

In heldisch ernster Positur

Des finstren Korsen Erzfigur.


XX

In diesem modisch eignen Zimmer

Steht Tanja lange wie verzückt.

Schon wich des Abends letzter Schimmer,

Es dunkelt, traumhaft ferngerückt

Ruht Fluß und Hain im Nebelspiele;

Der Mond versank; nun mahnt die Kühle,

Daß unsre Pilgerin vor Nacht

Sich eiligst auf die Wandrung macht.

Und noch bestürmt von Herzensnöten,

Die sie nur seufzend bergen kann,

Schickt Tanja sich zum Heimweg an,

Nachdem sie Freiheit sich erbeten,

Hier öfters aus und ein zu gehn,

Um all die Bücher anzusehn.

XXI


Am Hoftor schied sie von der Alten.

Doch anderntags schon, wie im Traum,

Betrat, vor Sehnsucht nicht zu halten,

Sie wieder jenen stillen Raum

Und spann sich hier im Kabinette,

An der von ihm verlaßnen Stätte,

In ihren Gram versunken ein

Und weinte lang für sich allein.

Dann endlich fing sie an zu lesen:

Zwar erst mißfiel ihr alles noch,

Weil fremd und seltsam; bald jedoch

Ergriff sie dieses andre Wesen,

Und langsam in der Stunden Lauf

Ging eine neue Welt ihr auf.


XXII

Obschon Eugen, wie wir ihn kennen,

Nicht viel Geschmack an Büchern fand,

War dennoch manches Werk zu nennen,

Das hoch in seiner Schätzung stand:

So Byrons Schriften, des Titanen,

Nebst einer Auswahl von Romanen,

Worin die nackte Wirklichkeit,

Zumal der Mensch der heut'gen Zeit,

Sich scharfumrissen widerspiegelt,

Wie er, moralisch ohne Halt,

Voll Egoismus, nüchtern-kalt,

Beständig in Phantasmen klügelt,

An bittrer Weltverachtung krankt

Und inhaltslos durchs Leben wankt.

XXIII


Auf vielen Seiten waren Stellen

Vom Fingernagel angemerkt,

Und Tanja ward in solchen Fällen

Im Eifer nur noch mehr bestärkt.

So wird sie voll Bewundrung inne,

An welchem Ausdruck, welchem Sinne

Sich einst Eugen betroffen stieß,

Und was er schweigend gelten ließ;

Wird seiner scharfen Bleistiftzüge

Mit Staunen überall gewahr:

Aus allem spricht unmittelbar

Sein Geist in Urteil, Lob und Rüge,

Bald durch ein Kreuz, ein kurzes Wort,

Bald Fragezeichen hier und dort.


XXIV

Und nun beginnt ihr ganz allmählich

Schon mehr Verständnis aufzugehn

Für ihn, der, ach, unwiderstehlich

Ihr armes Herz bezwang, durch den

Zu leiden ihr bestimmt die Götter.

Doch dieser Sonderling und Spötter,

Den Himmel oder Hölle schuf,

Mit Engelsfittich, Teufelshuf –

Was stellt er vor? Ein bloßes Schemen,

Ein Trugbild? Ist er, wie's geschieht,

Ein Moskowitergeck, bemüht,

Childe Harolds Maske anzunehmen?

Ein Phrasenheld, der andern gleicht?

Nur eine Parodie vielleicht? ...

XXV


Ob wohl das rechte Wort gefunden,

Des Rätsels Sinn gedeutet ist?

So träumt sie oft; es fliehn die Stunden,

Längst wird sie schon daheim vermißt,

Allwo Mama mit noch zwei Alten

Ernst ihretwegen Ratschlag halten.

Frau Larin seufzt: »Man sieht doch klar,

Sie ist kein Kind mehr, Olga war

Die jüngre; täglich wird es schlimmer,

Was fang' ich mit dem Mädel an?

Die Zeit ist da, ihr fehlt ein Mann,

Kommt aber wer, dann heißt es immer:

›Ich mag nicht!‹ Jedem kommt sie dumm

Und schmollt und streift im Wald herum.«


XXVI

»Vielleicht verliebt?« – »Dann möcht' ich wissen, In wen? Bujanow schlug sie aus,

Auch Petuschkow hat abziehn müssen;

Hernach erschien Pychtin im Haus,

Der Herr Husar; du meine Güte,

Wie stramm sich der um sie bemühte!

Schon dacht' ich: Topp, das hat genützt;

Ja, Possen – wieder abgeblitzt!« –

»Ei, Nachbarin, weshalb Euch quälen,

Ihr solltet, um Erfolg zu sehn,

Nach Moskau auf den Brautmarkt gehn.« –

»Ach, Beste, wenn die Mittel fehlen ...« –

»Gott, über Winter langt's dafür,

Wenn nicht, na ja, dann borgen wir.«

XXVII


Das schien der Alten einzuleuchten,

Der Plan erwies sich wohlbedacht,

Sie überschlug: die Groschen reichten,

Und mit der Fahrt war's abgemacht.

Tatjana hört es, tiefbetroffen:

Nach Moskau gehn? Um dort sich offen

In scheuer Unbeholfenheit,

In provinzialem Putz und Kleid

Auf eleganten Großstadtbällen

Vor Dünkeltum mit Band und Stern,

Koketten Damen, Modeherrn

Und ihrem Spott zur Schau zu stellen?

Entsetzlich! Lieber hier allein,

Im tiefen Wald verborgen sein!


XXVIII

Jetzt zieht beim ersten Tagesgrauen

Der Kummer sie hinaus ins Feld,

Noch einmal scheidend hinzuschauen

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