Auf ihre traute Heimatswelt:
»Lebt wohl, ihr Höhn, ihr goldnen Wogen,
Und du, mein blauer Himmelsbogen,
Du schöner Wald, du grünes Tal,
Lebt wohl! O laß zum letztenmal,
Beglückte Schöpfung, dich umfassen!
Bald muß ich, ach, um eitlen Tand,
Um Schein und Prunk dich, stilles Land,
Und dich, geliebte Freiheit, lassen!
In welche Zukunft, ach wofür
Treibt mich das Schicksal fort von hier?«
XXIX
So macht sie täglich weite Gänge:
Hier lädt der Bach, der Wiesenrain,
Dort laden schattig grüne Hänge
Zu andachtsvollem Rasten ein.
Vorm Abschied will sie Grüße tauschen
Mit Blumen, Quell und Waldesrauschen,
Mit allem, was ihr teuer ist.
Doch kurz nur währt des Sommers Frist.
Der bleiche Herbst erscheint, und klagend,
Mit letztem Gold von Hain und Flur
Geschmückt als Opfer, stirbt Natur ...
Schon faucht und wettert, Wolken jagend,
Der Nordwind – bis auf eis'gem Pfad
Im Zauberkleid der Winter naht.
XXX
Er kommt und streut im Flockentanze
Sein glitzernd Weiß auf Busch und Baum,
Deckt rings die Höhn in lichtem Kranze,
Die Flur mit wellig weichem Flaum
Und wandelt Wiesengrund und Bäche
In eine spiegelglatte Fläche;
Es blinkt der Frost. O Winterszeit,
Wir freun uns deiner Herrlichkeit!
Nur Tanjas Herz, statt mitzufühlen,
Verschließt sich diesmal all der Lust,
Sie lockt es nicht, sich Stirn und Brust
Beim Morgenbad im Schnee zu kühlen,
Wie sonst nach frisch gesunder Art:
Es bangt ihr vor der Winterfahrt.
XXXI
Für diese, lang hinausgefristet,
Rückt nun der letzte Tag heran.
Der alte Schlitten wird gerüstet
Und repariert, so gut man kann.
Drei Fachkibitken läßt man kommen,
Denn auch Gepäck wird mitgenommen:
Bratpfannen, Koffer, Bettzeug, Öl,
Saftkruken, Stühle, Salz und Mehl,
Verschläge mit lebend'gen Hühnern,
Geschirr und Kram et cetera –
Viel Plunder, doch man braucht ihn ja.
Das Hausgesinde nebst den Dienern
Hantiert und flennt; ringsum Rumor.
Drauf führt man achtzehn Klepper vor
XXXII
Und schirrt sie an die Schlittenstränge.
Die Köche packen Zehrung ein,
Man staut die Lasten im Gedränge,
Die Kutscher fluchen, Weiber schrein;
Auf dürrem Gaul, voran als Leiter
Thront stolz im Bart der Spitzenreiter,
Die ganze Dorfschaft strömt zuletzt
Zum Ausgang, alles winkt – und jetzt,
Jetzt endlich rutscht die Kavalkade
Mit Ach und Krach zum Tor hinaus.
»Leb wohl, mein teures Elternhaus,
Lebt wohl, ihr trauten Heimatspfade!
Gibt's je ein Wiedersehn für mich?«
Und unser Kind weint bitterlich.
XXXIII
Geht Rußland einst aus Finsternissen
Zur Zivilisation voran
(Was etwa, nach gelehrten Schlüssen,
Ein halb Jahrtausend dauern kann),
Dann wird sich künftig auch daneben
Der Zustand unsrer Straßen heben:
Chausseen ziehn dann kreuz und quer
Verbindend durch die Ferne her,
Gewalt'ge Eisenbrücken thronen,
Man sprengt die Felsen, ebnet Land,
Bohrt Tunnels durch der Berge Wand,
Und rings auf allen Poststationen
Stellt orthodoxer Christensinn
Uns ein Büfett zur Stärkung hin.
XXXIV
Einstweilen sind die Wege greulich,
Die Brücken morsch, der Dreck verflucht;
Im Gasthaus wird man nachts abscheulich
Von Floh und Wanze heimgesucht;
Mit Kostversorgung steht's noch schlimmer.
Und während sich im kalten Zimmer
Ein Preiskurant erbärmlich spreizt
Und zwecklos unsern Magen reizt,
Ist drauß im Hof mit Schmiedebeilen
Der Dorfzyklop auf frischer Tat,
Europas leichtes Fabrikat
Echt russisch plump zurechtzukeilen,
Und schwitzt und segnet still erfreut
Der Heimat Unergründlichkeit.
XXXV
Hat's aber Frost und Schnee gegeben,
Dann fährt sich's leicht und angenehm,
Dann sind die Bahnen flach und eben,
Wie manch modernes Verspoem,
Die Rosselenker frisch und friedlich,
Die strammen Troiken unermüdlich,
Und einem Zaun gleich saust die Reih'
Der Meilenstangen jäh vorbei.
Mit Larins abgetriebnen Pferden
Ging's ohne Vorspann so geschwind
Nun leider nicht, und unser Kind
Genoß drum alle Fahrtbeschwerden
Vollauf bei solchem Schneckengang:
Man kutschte sieben Tage lang.
XXXVI
Doch endlich winkt das Ziel: im Schimmer
Der weißen Mauern leuchtend nah,
In goldner Kreuzeskuppeln Flimmer
Liegt groß und herrlich Moskau da!
Ach, wie ich doch vor Freude bebte,
Als dies betürmte, glanzbelebte,
Buntfarbne Stadtbild imposant
Auf einmal wieder vor mir stand!
Wie oft in meinem tiefsten Grame,
In meines Wanderschicksals Nacht,
O Moskau, hab' ich dein gedacht!
Moskau ... Wie packt doch dieser Name
Das Russenherz mit Ungestüm!
Was spricht nicht alles, klingt aus ihm!
XXXVII
Schon grüßt aus einem Wald von Eichen
Zar Peters düstres Schloß herauf
Als heldisch ernstes Ruhmeszeichen.
Hier harrte, stolz vom Siegeslauf,
Napoleon umsonst der Stunde,
Daß mit des Kremls Schlüsselbunde
Sich Moskau beuge seinem Fuß.
Nein, Moskau bot ihm nicht den Gruß,
Tat keinen Schritt zum Triumphator!
Und nicht mit Hymnen noch Tribut –
Nein, nur mit Brand und Feuersglut
Empfing's den harten Imperator!
Von hier aus sah er grausig schön
Sein Glück in Flammen untergehn ...
XXXVIII
Leb wohl, du Spur aus großen Tagen,
Du Peterschloß! Die Stunde drängt,
Rasch vorwärts: weiße Säulen ragen
Als Tor empor, der Schlitten schwenkt
Und holpert durch die Twersche Straße.
Gleich flimmert's, wogt's im Übermaße:
Volk, Bauern, Weiber, Bettelei,
Bucharen, Trödler, Polizei,
Kosaken, Schlitten aller Sorten,
Laternen, Buden, Frachtenschwall,
Kaufläden, Klöster, Turm und Wall,
Paläste, Gärten, Löwenpforten,
Balkons, Kapellen nebst Altar
Und hoch ums Kreuz die Dohlenschar.
XXXIX/XL
Nachdem man zwei geschlagne Stunden
In diesem Strom umhergeirrt,
Hat man sich endlich durchgewunden:
In einem Seitengäßchen wird
Am Haus der Tante vorgefahren,
Der alten Dame, die seit Jahren
Brustleidend war. Die Klingel schrillt;
Dienstfertig öffnet, stier bebrillt,
Im Kaftan mit zerschlißner Kante,
Den Strickstrumpf zwirbelnd, ein Kalmück.
Herein! Im selben Augenblick
Ertönt der Willkommschrei der Tante
Vom Diwan her – Umarmung, Kuß
Und freud'ger Tränenüberfluß:
XLI
»Comtesse, mon ange!« – »Pachette!« – »Aline!« –
»Welch seltnes Glück!« – »So ist's denn wahr?« –
»Ihr bleibt doch?« – »Tausend Dank, Kusine!« –
»Nimm Platz! Mein Gott, wie wunderbar!
Ein Wiedersehn wie im Romane!« –
»Und hier mein Töchterchen Tatjane.« –
»O Herzchen, komm in meinen Arm!
Kusine, hast du deinen Schwarm,
Den Grandison, noch nicht vergessen?« –
»Wie, Grandison ... Ach, der, ja, ja;
Wie geht's ihm?« – »Gut, wohnt hier ganz nah, War Samstag erst bei mir zum Essen,
Scharmant wie sonst, hat viel erzählt,
Auch hat sein Sohn sich jüngst vermählt.«
XLII
»Und der ... Doch erst zu unsern Sachen,
Nicht wahr? Und morgen mußt du hier
Mit Tanja gleich Visiten machen.
Ich, leider, darf nicht vor die Tür,
Bin ganz von Kräften, schlimmerweise!
Doch ihr seid müde von der Reise,
Wir gehn wohl besser gleich zur Ruh'.
Oh, meine Brust ... es schnürt mich zu ...
Nicht bloß der Kummer, meine Liebe,
Selbst Freude drückt mich jetzt so schwer;
Ich tauge schon zu gar nichts mehr!
Ach, wenn man altert, wird es trübe ...«
Und unter Tränen hub sie dann,
Total erschöpft, zu husten an.
XLIII
Die warme Zärtlichkeit der Kranken
Rührt Tanja tief, nur fühlt sie sich
Bedrückt und fremd hier, wie in Schranken;
Im ungewohnten, wunderlich
Geschmückten, reichen Kabinette,
Dem dicht mit Samt verhangnen Bette
Verbringt sie schlaflos lange Zeit,
Um schon beim Glocken-Frühgeläut
Aus halbem Schlummer aufzufahren.
Es dämmert, rings wird Leben wach;
Sie eilt ans Fenster – aber, ach,
Was muß ihr Blick enttäuscht gewahren:
Statt ihrer Felder sieht sie nur
Hof, Küche, Stall und Treppenflur.
XLIV
Jetzt wird sie täglich bei Verwandten
Zur Mittagstafel präsentiert
Und einem Schwarm von Onkeln, Tanten
Als scheues Nichtchen vorgeführt,
Auch allenthalben froh willkommen
Und äußerst liebreich aufgenommen,
Bestaunt, geherzt und abgeküßt:
»Nun sag mir eins, wie groß du bist!
Und hab' dich noch getauft, mein Kindchen!« –
»Und ich das Pätschchen dir gedrückt!« –
»Und ich das Öhrchen dir gezwickt!« –
»Bonbons gestopft ins Zuckermündchen!«
Und alles wunderwerkt und kräht:
»Gott, nein, wie doch die Zeit vergeht!«
XLV
Man selber nur in trockner Schöne
Blieb unverändert wie zuvor:
Die alte Exzellenz Helene
Trägt immer noch den Spitzenflor,
Noch geht geschminkt Lukerja Lwowna,
Noch immer lügt Ljubow Petrowna,
Noch ist Iwan der biedre Tropf,
Semjon der geiz'ge Rappelkopf.
Frau Bas' Pelagia scherzt noch täglich
Mit Herrn Finemouche, dem Hausgalan,
Hat noch den Spitz, den tauben Mann,
Und der ist immer noch verträglich,
Hat seinen Klub und sein Gemüt
Und seinen Bärenappetit.
XLVI
Der Grazienflor der Stadtkusinen
Erwidert zierlich Tanjas Gruß
Und mustert sie mit Gönnermienen
Erst lange stumm von Kopf zu Fuß,
Worauf man findet, daß die Kleine
Zwar linkisch provinzial erscheine,
Auch etwas blaß und wenig frei,
Doch immerhin ganz niedlich sei.
So knüpft sich denn, nach kurzem Stocken,
Naturgemäß das Freundschaftsband,
Man küßt sich, drückt sich warm die Hand,
Frisiert dem Bäschen Modelocken
Und kramt der süßen kleinen Maus
Kokett sein klein' Geheimnis aus:
XLVII
Schwarm, Späßchen, Balleroberungen,
Kabalen, Wünsche, Herzbeschwer –
Geschwätz naiver Mädchenzungen,
Ein Quentchen Bosheit nebenher.
Und dann wird Tanja trotz Erröten
Allseits bestürmt und heiß gebeten,
Zu Lohn und Dank für solch Vertraun
Auch endlich selber aufzutaun
Und ihre Beichte herzusagen.
Sie aber starrt in ihren Schoß,
Sitzt stillverträumt und teilnahmslos,
Birgt ihren Schatz an Glück und Klagen,
Wahrt unverbrüchlich, was sie litt,
Und schweigt und teilt sich keiner mit.
XLVIII
Sie sucht nun im Gesellschaftskreise
Belehrungsstoff und lauscht gespannt:
Allein auch dort wird gleicherweise
Nichts vorgebracht als bloßer Tand;
Gehaltlos, nüchtern fließt die Rede,
Sogar der Klatsch wirkt flach und öde;
Geplapper ohne Sinn und Witz
Tagaus, tagein; kein Geistesblitz,
Kein kleinstes Wort, das treffend wäre
Durch Zufall, aufs Geratewohl.
O große Welt, wie bist du hohl,
Wie frostig ist's in deiner Sphäre,
Wo nicht einmal ein Scherz gelingt,
Selbst Dummheit nicht zum Lachen zwingt!
XLIX
Die stolzen jungen Adelssprossen
Begaffen Tanja spöttisch kühl
Und machen heimlich ihre Glossen
Mit dünkelhaftem Selbstgefühl.
Ein scheuer Taps nur bringt verlegen
Im stillen ihr sein Herz entgegen
Und dichtet sie, so süß er kann,
Elegisch aus der Ferne an.
Ein Schöngeist nimmt aus Langerweile
Mit ihr vorlieb, bezeigt Humor
Und schwätzt ihr blaue Wunder vor,
Worauf ein alter Geck in Eile
Vorm Spiegel seine Löckchen streicht
Und voller Neugier näher schleicht.
L
Dort freilich, wo im Schaugepränge
Melpomene mit Leidenschaft
Vor einer stumpfen Hörermenge
Den flittergoldnen Mantel rafft,
Thaliens hehre Kunst entschwindet
Und kaum noch lauen Beifall findet,
Dieweil der jungen Lebewelt
Bloß Terpsichorens Tanz gefällt
(Wie das, ihr Leser, schon zur meinen,
Nicht erst zu eurer Zeit so war),
Dort wandte sich aus all der Schar
Kein Blick nach unsrer schlichten Kleinen,
Kein Opernglas und kein Lorgnon
Aus Logen, Sperrsitz noch Balkon.
LI
Nun wird sie ausgeführt auf Bälle:
Der Andrang hier, der Kerzenglanz,
Der schwüle Saal, die Menschenwelle,
Der Wirbel von Musik und Tanz,
Das reiche Bild, die stolzen Namen,
Die Fülle junger schöner Damen
Zur Brautwahl rings in Galerie,
All dies betäubt, bewältigt sie.
Hier macht in Musterexemplaren
Geziertes Geckentum sich breit
Mit Augenglas und Albernheit;
Hier wird von flotten Tanzhusaren
Im Flug der Urlaub ausgenützt,
Geklirrt, scharmiert – und fortgeflitzt.
LII
An Sternen ist der nächt'ge Himmel,
An schönen Mädchen Moskau reich;
Doch keines aus dem Glanzgewimmel
Kommt Lunas vollem Wunder gleich.
So leuchtet sie, mir ewig teuer,
Der doch zu nahn sich meine Leier
Nicht anmaßt, aus der Anmut Chor
Gleich sieghaft wie der Mond hervor.
Wie sie den Schimmer rings verdunkelt,
Wenn göttlich stolz sie niederschwebt,
Wie sich ihr Busen herrlich hebt,
Ihr tiefes Auge zaubrisch funkelt! ...
Poet, du schwärmst, halt ein, halt ein,
Des Wahnsinns muß ein Ende sein!
LIII
Scherz, Komplimente, Rauschen, Wehen,
Galopp, Masurka – Drang und Glut ...
Derweil sitzt abseits, ungesehen,
In zweier alter Tanten Hut
Tatjana, scheu zurückgezogen,
Und schaut verwirrt in Lärm und Wogen.
Ihr ist so schwül hier, Herz und Sinn
Zieht's heimlich in die Ferne hin,
Zum stillen Dorf, den schlichten Räumen,
Dem trauten Obdach, zur Natur,
Mit Quell und Blumen, Wald und Flur,
Zu ihren Büchern, ihren Träumen,
Zum schattig dunklen Lindenpfad,
Dorthin, wo er einst vor sie trat.
LIV
So schwebt ihr Geist hinaus ins Weite,
Gelöst von allem um sich her ...
Derweil fixiert sie von der Seite
Ein ernster hoher Militär.
Die Muhmen tauschen wechselweise
Zufriedne Blicke, zupfen leise
Tatjanens Arm und flüstern: »Kind,
Sieh rasch nach links, geschwind, geschwind!«
»Links? Wo? Was soll's denn, meine Lieben?« –
»Ei, Närrchen, kannst du denn nicht sehn:
Dort, wo die Herrn in Gruppe stehn,
In Uniform der Große drüben –
Jetzt wendet, kommt er, schau doch mal ...«
»Wer? Dort der dicke General?«
LV
Und damit wünschen wir Tatjanen
Von Herzen zum Erfolge Glück
Und kehren auf verlaßnen Bahnen
Zum Helden unsres Lieds zurück.
Um eins zuvor noch anzubringen:
»Vom jungen Freunde will ich singen,
Will seiner Launen Künder sein.
O Muse, geuß den Segen drein
Und kröne meine Dichtermühen!
Leih huldreich deinen Stab mir her,
Sonst geh' ich fehl die Kreuz und Quer'.«
So! Endlich ist er doch gediehen,
Der Anruf, den ich langehin
Dem Klassizismus schuldig bin.
Achtes Buch
Fare thee well, and if for ever,
Still for ever fare thee well.
Byron
I
Als ich in froher Schulzeit Tagen
Noch im Lyzeumsgarten saß
Und Apulejus mit Behagen,
Doch Cicero nur ungern las,
Damals im Lenz – die Knospen sprangen,
Die Wasser rauschten, Schwäne sangen –
Erschien im goldnen Frühlingsstrahl
Die Muse mir zum erstenmal.
Da füllte sich mit Himmelssonne
Mein enges Stübchen: freudig-hell
Erschloß sich mir der Dichtung Quell,
Ich sang von meiner Kindheit Wonne,
Von Kampf und Sieg der Väterzeit
Und meines Herzens erstem Leid.
II
Der Beifall kam mir froh entgegen,
Mich hob der jung erstrittne Preis:
Dershawin gab mir seinen Segen,
Der grabesmüde Dichtergreis.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III
Allein ich frönte heißbegehrend
Nur zaumlos wilder Leidenschaft
Und tollte, Geist und Herz entehrend,
Mit meiner Muse lasterhaft,
Bei Trinkgelagen, wüsten Feiern,
Nächtlichen Straßenabenteuern:
Und dort im Rausch verstreute sie
Die Gaben, die einst Gott ihr lieh,
Sang lüstern vor den Zechgenossen
Und führte sich bacchantisch auf,
Und unsre Jugend zog zuhauf
Ihr lärmend nach durch alle Gassen ...
Wobei ich Frechling selber gar
Noch stolz auf ihren Leichtsinn war!
IV
Dann trieb das Schicksal hart und feindlich
Mich weit hinweg ... Sie blieb mir treu:
Wie oftmals hat sie sanft und freundlich
In meiner Irrfahrt Ödenei
Durch Trost im Liede mich erhoben,
Mit mir im Kaukasus da droben,
Lenoren gleich, in Vollmondnacht
Zu Roß den wilden Ritt gemacht!
Wie oft mich, wenn des Pontus Rauschen
An Tauris' Strande nächtlich schwoll,
Zum Meer geführt, um andachtsvoll
Der Nereiden Sang zu lauschen,
Der Wogen ew'gem Donnerton,
Dem Hymnus vor des Schöpfers Thron!
V
Und ferne von der Hauptstadt Freuden,
Entrückt dem Strom der großen Welt,
Gewöhnte sie auf dürren Heiden
Der Moldau im Zigeunerzelt
Sich an nomadisch rauhes Leben,
Vergaß, von niedrem Volk umgeben,
Der Göttersprache hehren Laut
Und schwärmte, fremder Art vertraut,
Für feurig-wilde Steppenweisen ...
Dann riß ein Wirbel jäh mich um –
Worauf ich sie bedrückt und stumm
Als Fräulein aus Landadelskreisen
In meinem Garten auf dem Land
Französisch lesend wiederfand.
VI
Heut stell' ich sie zum ersten Male
Auf einem Rout dem Adel vor
Und weide mich im vollen Saale
An ihrem frischen Jugendflor.
Sie schlüpft behend durch Diplomaten,
Vornehme Fraun, Aristokraten
Und elegantes Militär,
Nimmt sittsam Platz und schaut umher,
Entzückt vom Toilettenreigen,
Dem Stimmgewirr, dem edlen Prunk,
Dem Takt, mit welchem alt und jung
Sich grüßend vor der Hausfrau neigen,
Und all den Schönen, Stern an Stern,
Umrahmt von schwarzbefrackten Herrn.
VII
Das oligarchisch sichre Wesen,
Die noble Art, die Harmonie
Von Rang und Alter, auserlesen
In Form und Ton, bezaubert sie.
Doch wer ist dort mit finstren Zügen
Der Fremde, der sich kalt verschwiegen
Vom Festestreiben abseits hält?
So teilnahmslos in diese Welt
Des Glanzes schaut? Der unbeweglich
Mokante, steife Kavalier?
Hat wohl den Spleen? Was will er hier?
Wer mag das sein? Doch wie – wär's möglich?
Doch nicht Eugen? ... Er selber, ja!
»Seit wann ist der denn wieder da?
VIII
Noch immer mit demselben Sparren
Wie früher? Oder abgekühlt?
Was dünkt Sie, was er uns zum Narren
Wohl heut für eine Rolle spielt?
Stellt er sich wieder als Despoten,
Kosmopoliten, Patrioten,
Als Melmoth, Quäker oder gar
In noch viel blödrer Maske dar?
Statt als vernünft'ger Mensch zu leben,
Wie Sie und ich und jedermann!
Er täte wirklich wohl daran,
Den Unfug endlich aufzugeben,
Der anfängt, eine Qual zu sein.« –
»Sie kennen ihn?« – »Hm – ja und nein.«
IX
So kurz von ihm sich loszusagen,
Ist das nicht hart? Beweist das nicht,
Daß man zu vorschnell vom Betragen
Des lieben Nächsten Schlechtes spricht?
Daß eitle Selbstsucht hohler Tröpfe
Sich über Leichtsinn freier Köpfe
Als Eingriff in ihr Recht empört?
Weil Geist, der Spielraum braucht, sie stört?
Daß man bei Worten, bei Gebärden
Gleich Taten argwöhnt? Leicht vergißt,
Daß Dummheit blind-gehässig ist?
Daß Starke stärker fehlen werden?
Und bloß die Mittelmäßigkeit
Sich allgemeiner Gunst erfreut?
X
Wohl dem, der jung in jungen Jahren
Rechtzeitig zur Besinnung kam,
An dieser harten Welt Gebaren
Allmählich minder Anstoß nahm,
Nie blindlings nach Phantomen jagte,
Bei Neid und Unbill nicht verzagte,
Mit zwanzig Jahr ein lockrer Fink,
Mit Dreißig in den Ehstand ging,
Sich Schuldenlast und sonst'ge Bürden
Mit Fünfzig schlau vom Halse lud
Und wohl sein läßt bei Geld und Gut,
Im Glanz von Orden, Rang und Würden –
Weil schließlich ihn die ganze Welt
Für einen prächt'gen Menschen hält!
XI
Doch traurig, wenn wir einsehn müssen,
Daß unsre Jugend schal verflog
Und wir sie selber oft mit Wissen
Betrogen, wie sie uns betrog;
Daß alle Wünsche, die uns keimten,
Die Ideale, die wir träumten,
Der Reihe nach zerflattert sind
Wie welkes Laub im Wirbelwind.
O Ekel, wenn man dann durchs Leben
Wie durch erstarrte Formen zieht,
Nur Tafelfreuden vor sich sieht,
Wo eitle Nullen uns umgeben,
In deren Schwarm man gähnend weilt
Und weder Herz noch Denken teilt.
XII
Wer allseits in Verruf gekommen,
Wird schließlich unwirsch, wenn er sieht,
Daß ihn der Schwarm der Sittenfrommen
Bald für den ärgsten Störenfried,
Umstürzler, Querkopf, Überspannten,
Bald einen Byron-Komödianten,
Ja, selbst für einen Dämon hält.
Onegin (damit sieht die Welt
Ihn wieder) hatte unentschlossen,
Beruflos, ledig, ohne Plan
Schon sechsundzwanzig Jahr vertan,
Im Zweikampf seinen Freund erschossen
Und krankte, längst mit sich im Streit,
An Mangel jeder Tätigkeit.
XIII
Drum war er, stumpf vor Unbehagen,
Auf Ortsveränderung bedacht
(Ein Kreuz, das manche willig tragen,
Obschon es viel Beschwerden macht).
Verließ dann eilends Dorf und Felder,
Die stille Ruh' der dunklen Wälder,
Wo Tag und Nacht auf jedem Pfad
Ein blut'ger Schatten vor ihn trat,
Und fing nun ziellos an zu wandern,
Von einem Triebe nur gehetzt,
Bis auch zum Reisen ihm zuletzt
Die Lust schwand wie zu allem andern.
So kam er heim, in diesem Fall,
Wie Tschazki einst vom Schiff zum Ball.
XIV
Doch sieh, Bewegung herrscht im Saale,
Geflüster geht durch alle Reih'n ...
Von einem ernsten Generale
Gefolgt, trat eine Dame ein.
Sie glitt durch all die Huldigungen
Natürlich, frei und ungezwungen,
Sie hatte nichts von jener Art,
Die Dreistigkeit mit Hochmut paart.
Und nichts in Worten, Blick und Wendung,
Was reizen soll und leicht besticht ...
An ihr war alles vornehm-schlicht,
Sie war das Muster, die Vollendung
Du comme il faut ... (Schischkow, verzeih,
Mir fällt kein andrer Ausdruck bei!)
XV
Die Damen, jung und alt, empfingen
Sie freudig wie ein seltnes Glück,
Die Herren grüßten tief und hingen
Bewundernd stumm an ihrem Blick;
Der Fuß der Mädchen trat je näher,
Je leiser auf, und merklich höher
Als alle andern trug im Saal
Sein stolzes Haupt der General.
Sie war kaum schön; doch Fluß und Formen
Der eleganten Prachtfigur
Verrieten nicht die kleinste Spur
Von dem, was nach Gesellschaftsformen
In Londons strenger Oberschicht
Man vulgar nennt. (Ich kann es nicht, XVI
Ich kann das Wort nicht übersetzen,
So lieb mir's ist; man scheint es bloß,
Weil fremd und neu, noch nicht zu schätzen,
Doch wird es künftig zweifellos
Im Epigramm sich gut bewähren.)
Doch, um zu ihr zurückzukehren:
In schlichter Anmut saß sie da,
Zu Petersburgs Kleopatra,
Nina Woronskaja, gewendet:
Hier konnte jedes Auge sehn,
Daß Nina, die wie Marmor schön,
Ein Anblick war, der reizt und blendet,
Trotz aller Künste, die sie trieb,
Vor jener doch im Schatten blieb.
XVII
»Ist's möglich? (denkt er) – Wenn sie's wäre ...?
Bei Gott ... sie selbst ... und dennoch, nein, Wie kann aus dörflich schlichter Sphäre ...«
Er späht durchs Glas: ein Widerschein
Von lang vergeßnen, keuschen Zügen
Erregt ihn, seine Sinne fliegen
Zu einem ländlich fernen Ort ...
»Mein Fürst, wer ist die Dame dort
Im rötlichen Barett, die eben
Zum spanischen Gesandten spricht?«
Der staunt ihn an: »Das weißt du nicht?
So fremd noch unserm Großstadtleben?
Komm mit, ich kenne sie genau.« –
»So sprich, wer ist sie?« – »Meine Frau.«
XVIII
»Du bist vermählt?« – »Schon seit zwei Jahren.« –
»Mit wem?« – »Mit einer Larin.« – »Wie –
Tatjana?!« – »Kennst du denn ...?« »Wir waren Ja Nachbarn!« – »Ei, dann mußt du sie
Sogleich begrüßen.« Faßt ihn unter,
Durchquert den Saal und stellt ihn munter
Als seinen Freund und Vetter vor.
Die Fürstin blickt zu ihm empor ...
Und wie sie auch erschrecken mochte,
Von jäher Regung übermannt –
Kein Laut, kein Zittern ihrer Hand
Verriet, wie stark das Herz ihr pochte;
Sogar den Ton behielt sie bei,
Und auch ihr Gruß war ruhig frei.
XIX
Wie seltsam! Nicht einmal die Wangen
Entfärbten sich, ihr Angesicht
Schien gänzlich klar und unbefangen ...
Auch selbst die Lippen zuckten nicht,
Wie auch sein Blick sich forschend mühte:
Von jener scheuen Mädchenblüte
War nichts an dieser Fürstin mehr.
Er wollte sprechen, kämpfte schwer
Und konnte doch kein Wörtchen finden.
Drauf fragte sie, wie lang er aus,
Woher er käme, ob von Haus?
Erhob sich, streifte beim Entschwinden
Den Herrn Gemahl mit müdem Blick ...
Und ließ Eugen betäubt zurück.
XX
Dies sollte Tanja sein? Das Wesen,
Dem er vor langer Zeit einmal
(Ihr habt's im Vierten Buch gelesen)
In ihrem fernen Heimatstal,
Vom Geist des Predigens geleitet,
Moral gepredigt, Weh bereitet?
Sie, deren Brief er noch bewahrt,
Darin ein Herz sich offenbart,
Das keusch nach seiner Liebe schmachtet?
Dies Mädchen – oder war's ein Traum? –
Die Kleine, die er damals kaum
In ihrem Winkel dort beachtet;
Unfaßbar, die bewies ihm heut
Solch überlegne Festigkeit?
XXI
Er flüchtet aus den lauten Räumen,
Fährt grübelnd heim und sinkt ins Bett,
Gequält von schmerzlich süßen Träumen,
Am Morgen weckt ihn ein Billett:
Fürst N. beehrt sich, Dero Gnaden
Zum Abend höflichst einzuladen.
»Zu ihr – O Gott! ... Wohlan, zu ihr!«
Rasch fliegt die Antwort aufs Papier:
Er folge dankbar dem Befehle.
Doch was bedeutet diese Glut?
Erhitzt dies sonst so träge Blut,
Entzündet diese kalte Seele?
Groll? Eitelkeit? Wenn nicht die Kraft
Erwachter Liebesleidenschaft?
XXII
Und wieder kann er's kaum ertragen,
Wie langsam Stund' um Stunde schleicht.
Da endlich hat es zehn geschlagen!
Er hat im Flug ihr Haus erreicht
Und steht, verzehrt von innrem Fieber,
Im Saal der Fürstin gegenüber ...
Sie ist allein, sie nötigt ihn
Zum Sessel. Seine Wangen glühn,
Er stottert mit verlegnem Munde,
Weiß kaum zu sprechen, quält sein Hirn,
Zermartert sich mit finstrer Stirn
Durch eine bange Viertelstunde,
Stiert vor sich hin, gedrückt und scheu –
Und sie bleibt ruhig, kühl und frei.
XXIII
Des Fürsten Zwischenkunft beendet
Dies unbequeme Tête-à-tête.
Er plaudert, zu Eugen gewendet,
Von Jugendstreichen, wird beredt
Und gibt zu lachen. Gäste kommen.
Rasch ist dem Ton der Zwang genommen,
Sprüht Witz und Laune reich empor;
Selbst vor der Hausfrau darf Humor
Ganz ungeniert die Schwingen heben,
Um bald Gesprächen ohne Streit,
Gemeinplatz, Schwulst und Förmlichkeit,
Kurz, ernsten Themen Raum zu geben,
In denen geistreich freie Art
Bewußt des Anstands Grenzen wahrt.
XXIV
Allein, des Adels höchsten Blüten
Sah man auch hier die Streberwelt
Nebst Protzentum und Parasiten,
Die nirgends fehlen, beigesellt:
Da waren alte, gift'ge Damen,
Die scheußlich aufgedonnert kamen;
Gezierte Fräulein, blaß und fein,
Bestrebt, recht fürnehm-steif zu sein;
Ein Diplomat sprach unverdrossen
Vom Reich und dessen Daseinszweck;
Und ein geschminkter alter Geck
Hielt seine greisenhaften Possen,
Worüber heut kein Mensch mehr lacht,
Für äußerst wirksam angebracht.
XXV
Auch war ein Pamphletist erschienen,
Der ewig was zu tadeln fand:
Den Ton der Herrn und ihre Mienen,
Der Damen krassen Unverstand,
Das Plappern von Romanen, Wetter
Und Politik, den Klatsch der Blätter,
Den Haushalt, weil der Tee zu flau,
Und nicht zuletzt die eigne Frau
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XXVI
Auch Herr Prolasow war zugegen,
Die Niedertracht im Ehrenkleid
(Von dir, St.-Priest, der Komik wegen
In allen Albums konterfeit).
Ein andrer Balldiktator lehnte
Gelangweilt an der Tür und gähnte
Und wirkte, in sein Nichts gehüllt,
Als koloriertes Modebild.
Zum Schluß bemühte sich vor allem
Ein Fremder, kürzlich zugereist,
Durch steifen Dünkel, trocknen Geist
Und Plumpheit närrisch aufzufallen:
Ein lächelnd ausgetauschter Blick
Verwies ihm stumm sein Ungeschick.
XXVII
Onegins Augen aber hingen
Nur an Tatjana wie gebannt,
Nicht jenem einstmals so geringen,
Verliebten, scheuen Kind vom Land,
Das er so kalt zurückgestoßen –
Nein, an der Fürstin, an der großen,
Vollkommnen Frau, dem nun so fern
Entrückten, strahlend hellen Stern
Der schönen, kaiserstolzen Newa.
Wie töricht seid ihr Menschen doch!
Euch lockt die Schlange immer noch
Zum Sündenbaum wie Mutter Eva:
Kein Eden hat euch je erfreut,
Wo nicht verbotne Frucht gedeiht!
XXVIII
Wie hatte Tanja sich entfaltet!
Wie schnell den sichren Ton erfaßt,
Der im Salon der Großen waltet,
Dem hohen Rang sich angepaßt!
Wer hätte hier, im goldnen Rahmen,
In dieser Königin der Damen
Die Schüchternheit vom Dorf erkannt?
Und einst war er der Gegenstand
All ihrer Wünsche, all ihr Sehnen!
Sie hatte schlaflos Nacht um Nacht
Mit bangen Seufzern sein gedacht,
Zum blassen Mond in bittren Tränen
Hinaufgeschaut, und ach – so oft
Ein Glück an seinem Arm erhofft!
XXIX
Ein jedes Alter frönt auf Erden
Der Liebe – doch der Jugend nur
Kann ihre Macht zur Wohltat werden,
Wie Lenzgewitter junger Flur:
Der Leidenschaften Maienregen
Entsprießt ein reicher Blütensegen,
Der in des Lebens Erntezeit
Zu voller, süßer Frucht gedeiht.
Doch wehe, wen in späten Tagen
Der Liebeswahnsinn übermannt!
Ihm hinterläßt er totes Land:
Wie wenn im Herbst, vom Sturm zerschlagen,
Der Wald sein welkes Laub verliert
Und Feld und Flur Morast gebiert.
XXX
Kein Zweifel mehr: zu Liebesgluten
Ist jetzt Onegins Herz entfacht,
Nur für Tatjana will es bluten,
Für sie nur schlägt es Tag und Nacht.
Der Einsicht Warnung überhörend
Erscheint er, sich im Wunsch verzehrend,
Nun früh und spät vor ihrer Tür,
Und wie ein Schatten folgt er ihr:
Ja, bloß von ihrem Arm zuweilen
Gestreift sein, sie mit duft'gem Schal
Umhüllen dürfen, vorm Portal
Den bunten Troß der Diener teilen,
Sich um ihr Taschentuch bemühn –
Schon das beglückt, beseligt ihn!
XXXI
Doch all sein Eifer, all sein Drängen
Ist nutzlos: sie bemerkt ihn nicht,
Kaum daß sie bei den Hausempfängen
Mit ihm drei flücht'ge Worte spricht.
Bald grüßt sie ihn mit leichtem Nicken,
Bald ist er Luft vor ihren Blicken.
Trotzdem kein Hauch Koketterie –
Denn Vornehmheit verabscheut sie.
Eugen wird stündlich bleicher, trüber;
Sie sieht's nicht, übergeht es wohl.
Er magert ab, wird schlaff und hohl,
In seinen Augen flackert Fieber.
Man warnt ihn allseits, drängt und rät
Zu Badereisen, Kur, Diät.
XXXII
Er aber sträubt sich, will nicht weichen,
Dann eben noch zum Tod bereit.
Auch jetzt von ihr kein Mitleidszeichen
(So hart ist oft die Weiblichkeit!).
Jedoch sein Starrsinn kann's nicht fassen,
Will nicht die Hoffnung sinken lassen,
Und dreist in kranker Leidenschaft
Entschließt er sich mit letzter Kraft,
Sein Herz ihr brieflich auszuschütten,
Obschon er sonst doch, wie bekannt,
Das Schreiben dumm und zwecklos fand;
Allein die Qual, die er gelitten,
Der Liebeswahnsinn riß ihn fort.
Hier steht's zu lesen, Wort für Wort:
Onegins Brief an Tatjana
»Ich weiß im voraus: dieser Brief
Voll bittren Wehleids wird Sie kränken.
Sie werden niedrig von mir denken
Und zürnen – ach, ich fühl' es tief!
Was will ich auch? Wie darf ich wagen,
Den Schrein des Busens unbedacht
Hier aufzuschließen, statt zu fragen,
Wie sehr mich dies verächtlich macht!
Einst führte Zufall uns zusammen.
Ich sah Ihr Herz in keuschen Flammen
Für mich erglühn – und trat zurück,
Zu kühl, um Wünschen nachzugeben.
Ich wollte frei sein – eitles Streben! –
Und schlug es aus, das holde Glück.
Dann hat noch eines uns geschieden:
Freund Lenski starb durch meine Hand ...
Da hab' ich ohne Ruh' und Frieden
Mein Herz von allem, was mich band
Und was mir lieb war, losgerissen.
Nun sollte Freiheit, wie zum Spott,
Mir Glück ersetzen ... Großer Gott,
Wie furchtbar hab' ich büßen müssen!
Nein: immerwährend um Sie sein,
Beständig Ihren Reiz vor Augen,
Ihr Lächeln, Ihrer Anmut Schein
Mit heißer Inbrunst in sich saugen,
Durchdrungen sein von Ihrem Wert,
Zu Ihren Füßen niedergleiten
Und wunden Herzens, qualverzehrt
Erlöschen – das sind Seligkeiten!
Und mir versagt ... Auf Ihrer Spur
Zieh' ich wie blind umher und leide;
Mein Leben zählt nach Tagen nur,
Und ich verschwende noch, vergeude
Der flücht'gen Stunden kurze Frist,
Die schon an sich bloß Trübsal ist.
Drum muß, so hilflos ich verderbe,
Soll nicht zu früh mein Hauch vergehn,
Mir jeder Morgen, eh ich sterbe,
Gewißheit schenken, Sie zu sehn ...
Nur bangt mir, daß in meinen Klagen
Ihr Unmut schnöde List entdeckt,
Mein leiser Wunsch Ihr Mißbehagen,
Mein Seufzer Ihren Zorn erweckt!
O könnten Sie die Pein empfinden,
Wenn man, nach Liebe sehnsuchtsvoll
Verlangend, mit Verstandesgründen
Das heiße Blut beschwicht'gen soll –
Wenn Ihre Knie man umfassen,
Aufschluchzen möchte, allem Leid
In Tränen freien Lauf zu lassen,
Zu stammeln, was im Herzen schreit –
Und doch der strengen Form sich schicken
Und martern muß, in leichtem Ton
Zu plaudern, ja – zu allem Hohn –
Sie höflich lächelnd anzublicken! ...
Wohlan denn, sei es drum: mir schwand
Die letzte Kraft zu widerstreben;
An Ihrem Urteil hängt mein Leben,
Mein Schicksal ruht in Ihrer Hand!«
XXXIII
Kein Antwortbrief. Er schreibt zum zweiten-,
Zum drittenmal – verlorne Müh'.
Da endlich unter Fürstlichkeiten
Auf einem Ball erblickt er sie:
O wie sie ausweicht, kühl ihn schneidet,
Ihn keines Wortes würdigt, meidet!
In ihrer Haltung ihm so feind,
Von eis'gem Hauch umgeben scheint!
Wie dieser stolze Mund Bewegung
Und innern Unmut meistern kann!
Onegin starrt sie sprachlos an:
Wo sind die Spuren von Erregung,
Von Mitleid, Tränen, Zorn? – Nein, nein,
Dies Angesicht ist kalt wie Stein!
XXXIV
Wie, oder spielt sie nur die Rolle,
Damit ihr Mann und dieser Kreis,
Nichts von Vergangnem ahnen solle,
Davon nur er, Onegin, weiß? ...
Ach, eitler Wahn! Er eilt von hinnen,
Flucht seinen blindbetörten Sinnen,
Ihr Sklave dennoch fort und fort,
Und schließt zu Haus sich ein, um dort
Nun wiederum die Welt zu meiden.
Und hier in stummer Einsamkeit
Gedenkt er nun der frühern Zeit,
Da ihn inmitten lauter Freuden
Der graue Trübsinn nicht verließ
Und in den dunklen Winkel stieß.
XXXV
Jetzt fing er wieder an zu lesen,
Las kunterbunt Chamfort, Rousseau,
Manzoni, Herder, Gibbons Thesen,
Madame de Staël, Bichat, Tissot,
Den skeptisch ernsten Bayle im Fluge,
Dann Fontenelle in einem Zuge,
Griff endlich, mürrisch wie er war,
Zu unsern Russen, ja sogar
Zu Almanachen nebst Journalen,
Wo man uns heut mit Bildung speist
Und mich so arg herunterreißt,
Mich, den man dort in Madrigalen
Noch jüngst so pries als neuen Stern ...
E sempre bene, meine Herrn!
XXXVI
Doch nur sein Auge war gebunden,
Die Seele schweifte weit im Raum,
Verzehrt von Sehnsucht, krank an Wunden,
Gequält von blindem Hoffnungstraum.
Dem Schoß der engbedruckten Seiten
Entstiegen andre Wesenheiten,
Vom Geistesauge nur erschaut,
Geheimnisvoll und doch vertraut:
Vergeßne Märchen, Zaubersagen
Der Kindheit, Spuk und allerhand
Bedrohlich Dunkles, wirrer Tand,
Manch krauser Wahn aus frühen Tagen,
Verheißnes, das im Busen schlief –
Und eines Mädchens Liebesbrief.
XXXVII
Solch dumpfem Brüten hingegeben,
Betäubt sein Geist sich mehr und mehr,
Und immer neue Bilder schweben,
Phantastisch wechselnd, um ihn her:
Er sieht im Schnee mit starren Zügen
Den Körper eines Jünglings liegen,
Umstrahlt vom ersten Morgenrot,
Und Stimmen flüstern: »Also tot!«
Vorüber wallen die Gespenster,
Die Freunde, Feinde, Schar um Schar,
Manch treulos blitzend Augenpaar,
Ein Dorfidyll – durchs offne Fenster
Schwingt eine Abendmelodie:
Ein Mädchen harrt – Sie, ewig sie!
XXXVIII
Ihn bannte diese Zaubersphäre
So völlig, daß er fast verrückt,
Ja fast Poet geworden wäre
(Wie Gott denn solche Strafen schickt).
Erschloß sich ihm durch Magnetismus
Doch fast der ganze Mechanismus
Von Rußlands neuster Poesie ...
So daß, wenn ganz in Lethargie
Versunken am Kamin er lehnte,
Pantoffel bald und bald Journal
Ins Feuer warf und tief in Qual
Dazwischen »Benedetta« stöhnte
Nebst »Idol' mio, tröste mich« –
Er täuschend einem Dichter glich.
XXXIX
Die Zeit verrann; schon blies im Norden
Der Tauwind durch das Land. Und doch:
Eugen war kein Poet geworden,
Auch nicht verrückt – und lebte noch.
Der Lenz entreißt ihn seinen Träumen:
Und eines Morgens im geheimen
Verläßt er plötzlich sein Quartier,
Darin er wie ein Murmeltier
Gewintert unter müdem Grollen;
Sein Schlitten saust in scharfem Gang
Am Eis des Newastroms entlang.
Schon bricht's und schmilzt in blauen Schollen, Auf allen Straßen schwimmt Morast ...
Doch was bedeutet diese Hast?
XL
Wo stürmt er hin? Aus welchen Gründen?
Ihr ahnt es: Sie, die er verlor,
Tatjana will er wiederfinden,
Der unverbesserliche Tor!
Schon springt er leichenblaß vom Schlitten;
Das Haus scheint leer – mit raschen Schritten Durcheilt er Flur und Saal: auch hier
Kein Mensch ... er öffnet eine Tür –
Was ist's? Was hält ihn jäh gefangen?
Dort, dicht vor ihm, sitzt stumm gebeugt,
Das Haupt auf einen Brief geneigt,
Allein für sich, mit bleichen Wangen,
Die Fürstin, allen Schmucks entblößt,
Und ist in Tränen aufgelöst.
XLI
Wer hätte jetzt das milde Wesen
Der frühern Tanja nicht erkannt?
In diesen Zügen nicht gelesen,
Welch Leid darin geschrieben stand?
Und während ihre Tränen fließen,
Stürzt er sich jammernd ihr zu Füßen ...
Sie zittert, aber wehrt ihm nicht;
Ihr mitleidvolles Angesicht
Neigt ohne Groll zu ihm sich nieder ...
Was sein erloschnes Auge sagt,
In stummem Vorwurf fleht und klagt,
Sie weiß, sie fühlt es ... ist nun wieder
Das schlichte Mädchen, treu und klar,
Die Sanftmut, die sie früher war.
XLII
Und voll zu ihm, der schmerzzerrissen
Sich kniend beugt, den Blick gewandt,
Gewährt sie seinen heißen Küssen
Fast willenlos die matte Hand.
Wie mochte jetzt ihr Herz wohl bluten?
In stummer Pein vergehn Minuten.
Gefaßter endlich, spricht sie still:
»Genug denn; stehn Sie auf; ich will
Jetzt ohne Rückhalt mich erklären.
Onegin, denken Sie der Zeit,
Als damals ich voll Schüchternheit
Im Garten dort mich Ihren Lehren,
Den bittren, schweigend unterwarf?
Nun, heut bin ich's, die sprechen darf.
XLIII
Onegin, einst in jüngern Tagen
Hab' offen, in der Jugend Zier,
Mein Herz ich Ihnen angetragen;
Doch welche Antwort wurde mir?
Sie zogen vor, mich abzulehnen.
Ach, scheuer Mädchen Liebessehnen,
Sie kannten es ja längst zu gut.
Noch heute, Gott! erstarrt mein Blut,
Denk' ich des Worts aus Ihrem Munde
Und Ihres kalten Blicks! – Allein,
Das soll für Sie kein Vorwurf sein:
Sie zeigten mir in schwerer Stunde
Wahrhaftigkeit und edlen Sinn –
Wofür ich heut noch dankbar bin ...
XLIV
Damals, nicht wahr? in dürft'ger Lage,
Noch fern von Prunk und Üppigkeit,
Gefiel ich Ihnen nicht ... Ich frage:
Weshalb verfolgen Sie mich heut,
Bedrängen mich mit Gunstbeweisen?
Doch nur, weil zu den höchsten Kreisen
Mir heut die Pforten offenstehn,
Sie mich geehrt, beneidet sehn,
Mein Gatte Narben trägt vom Kriege,
Wofür der Hof uns höher stellt –
Doch nur, weil heut mich alle Welt,
Sobald ich einen Makel trüge,
Gleich lästern, aber Sie, den Mann,
Noch um Triumphe neiden kann!
XLV
Ich weine ... Wenn Ihr Herz in Treue
Noch Ihrer Tanja Bild bewahrt,
So hören Sie: die Scham, die Reue,
Ja, Ihre kränkend rauhe Art,
Dies alles wollt' ich lieber tragen
Als jetzt die Leidenschaft, die Klagen,
Die Tränen, diese Briefe hier.
Denn damals haben Sie mit mir,
Dem Kind, doch Mitgefühl besessen,
An meine Unschuld nicht gerührt ...
Und heut? Was hat Sie hergeführt?
Wie klein gedacht, wie ehrvergessen!
Gibt denn Ihr Herz, Ihr hoher Sinn
Sich solchen niedren Trieben hin?
XLVI
Und mir, Onegin, was bedeuten
Mir Glanz und Reichtum, Prunk und Schein,
Die Gunst des Hofs, die Festlichkeiten,
Der Fürstenrang, das Vornehmsein,
Dies ganze Maskeradenleben?
Wie wär' ich froh, es hinzugeben
Für meine liebe Bücherschar,
Den Garten, der mein Obdach war,
Das Elternhaus, so lang gemieden,
Für jenes stille Heimatstal,
Wo ich Sie sah zum erstenmal,
Ja für des Kirchhofs ernsten Frieden,
Wo unterm Kreuz in Gottes Hut
Die alte treue Amme ruht ...
XLVII
Und ach, wir konnten glücklich werden,
Das Glück war uns so nah gebracht! ...
Mir fiel ein andres Los auf Erden.
Ich tat auch selbst wohl unbedacht,
Doch Mutters Tränen, Mutters Bitten –
Da blieb, wie schwer sie auch gelitten,
Der armen Tanja keine Wahl ...
Ich ward vermählt. Zum letztenmal,
Eugen: Sie müssen mir entsagen:
Ich weiß auch, daß Ihr Edelmut,
Ihr Stolz von selbst das Rechte tut.
Ich liebe Sie – heut darf ich's klagen –
Doch hat ein andrer mich gefreit:
Ihm bleib' ich treu in Ewigkeit!«
XLVIII
So geht sie. Wie vom Blitz getroffen,
Zerschmettert bleibt Onegin stehn
Und sieht verzweifelt all sein Hoffen
Unwiederbringlich untergehn.
Horch: Schritte, Sporenklang – im Zimmer
Erscheint der Fürst ... Und hier für immer,
In diesem Augenblick der Not,
Da ihm Gefahr und Schrecken droht,
Entziehn wir uns dem Freund und scheiden
Für immer ... Unsre Dauerfahrt
Auf seiner Spur, o Leser, ward
Schon recht zur Last uns müden beiden.
Der Hafen ist erreicht, hurra!
Der lang ersehnte Schluß ist da!
XLIX
Ob du mein Freund, mein Feind gewesen,
Laß, lieber Leser, mich von dir
Zum Guten scheiden, nicht im Bösen.
Leb wohl! Was immer auch du hier
Gesucht im Strudel meiner Reime:
Nachklänge bunter Jugendträume,
Zerstreuung nach des Tages Müh',
Sarkasmen oder Poesie,
Nebst Schnitzern, die so unterfließen –
Wenn's glückte, fandest du darin
Zum Zeitvertreib für Herz und Sinn
Und, um es kritisch aufzuspießen,
Ein Körnchen, wenn auch noch so klein.
Und nun, leb wohl, gedenke mein!
L
Auch du leb wohl, mein Trautgefährte,
Und du, mein holdes Ideal!
Leb wohl, gewohnte, nun entbehrte,
Geliebte Arbeit! Euch zumal
Verdank' ich höchste Dichterfreuden:
Vergessenheit im Sturm der Leiden
Und Freundschaft, innig ausgetauscht.
Wie manches Jahr ist doch verrauscht,
Seitdem in Traumesphantasien
Tatjanens und Onegins Bild
Zum erstenmal sich mir enthüllt –
Da auch das Endziel meiner Mühen,
Im Zauberspiegel festgebannt,
Noch kaum im Umriß vor mir stand.
LI
Sie aber, denen treuverbunden
Ich einst die ersten Strophen bot ...
Sie sind, wie Sadi spricht, verschwunden,
Weithin zerstreut und manche tot –
Mein Werk ward ohne sie vollendet.
Und du, zu der mein Herz sich wendet,
Urbild Tatjanens, teures Haupt? ...
Viel, viel hat mir die Zeit geraubt!
Wohl dem, der auf das Fest des Lebens
Verzichtet, eh sein Glas geleert,
Die schale Neige nicht begehrt
Im Leidroman des Erdenstrebens –
Und kurz gefaßt von dannen zieht,
Wie ich von Freund Onegin schied.