3. TEIL. Die Reise zum Gelobten Haus

Trappistes

Eine große Expedition will vorbereitet sein.

Die Mäuse verwendeten lieber den Begriff Expedition als Auszug, weil sie nicht wahrhaben wollten, daß es ein Abschied für immer sein könnte. Alle außer Trödler waren im Haus geboren, in dem auch ihre Eltern, Großeltern und Urgroßeltern gelebt hatten und gestorben waren. Dies war das Land ihrer Seele, in dem die Geister wohnten, das Land ihrer Väter und Mütter, ihrer Schreine und Götter. Den Gedanken, das Haus ohne die geringste Hoffnung auf Rückkehr zu verlassen, hätten sie nicht ertragen. Also betrogen sie sich mit dem Wort Expedition, das - wenn auch nicht für sie selbst, so doch vielleicht für ihre Nachkommen - eine Heimkehr verhieß.

Astrid würde Trödlers Stellvertreterin sein. Gunhild teilte die Mäuse in Gruppen ein, die jeweils von einer Maus angeführt wurden. Da es im Winter wenig Geburten gab, waren die Jungen alt genug, allein zu laufen, und mußten nicht von den Erwachsenen getragen werden.

Sie verbrachten einen ganzen Tag und eine Nacht damit, sich geistig auf den Abschied vorzubereiten. Dem Haus muß es vorgekommen sein, als seien die Mäuse bereits aufgebrochen, denn sie lagen einfach nur still an ihren Lieblingsorten und hingen der Vergangenheit nach. Sie entdeckten die Geister alter Gefährten hinter den Balken, in der Halle, auf dem Treppenabsatz. Sie verabschiedeten sich von ihren Vorfahren. Es gab geheime Winkel, die ein Lebewohl verdienten, Ritzen und Spalten, die sie vor dem Aufbruch noch einmal markieren wollten, Verstecke, deren Lage sie sich einprägten.

Grauenhafte Geräusche rissen die Mäuse aus dem Schlaf. Ein Scheppern und Klirren drang aus der Halle und die Treppe herauf. Junge Nacktlinge waren ins Haus eingedrungen. Sie zerbrachen die Fensterscheiben und polterten mit Nagelstiefeln durch die Flure und Zimmer. Sie rissen Türen aus den Angeln, entfachten auf dem Boden eines Schlafzimmers ein kleines Feuer, demolierten das Treppengeländer und schleuderten Glühbirnen wie Handgranaten durch die Luft. Zwei Stunden lang herrschte ein unbeschreiblicher Tumult im Haus. Dann verschwanden die Nacktlinge auf ihren Fahrrädern.

Nun drang der Winter durch die zerbrochenen Fenster und die offene Tür herein. Frost schlich sich ins Haus und zwickte die Mäuse schmerzhaft, die reglos in ihren Nestern lagen. Welkes Laub wurde ins Haus geweht. Es hatte den Mäusen stets Wärme und trockene Behaglichkeit geboten, doch nun herrschten Kälte und Zwielicht. Das Haus unterwarf sich den Gewalten der Natur.

Astrid verabschiedete sich von ihren weinenden Schatten. Sie war das einzige Lebewesen, das sie jemals zur Kenntnis genommen hatte und mit ihnen in Verbindung getreten war. Nun herrschte große Traurigkeit. Die Schatten erklärten, ohne Astrids Gegenwart würden sie in den Mondnächten weniger schwarz und gespenstisch sein. Sie würden nicht mehr in den Ecken und Winkeln hocken, in denen sie sich immer getroffen hatten. »Paß auf dich auf, Astrid«, warnten sie.

»Und ihr auf euch«, antwortete die Priesterin.

»Wir vermuten, daß du neue Schatten zum Reden findest -du wirst uns bald vergessen.«

»Ich werde meine alten Schatten nie vergessen«, murmelte die Priesterin. »Wann immer sich das Licht ändert, werde ich mich an euch erinnern.«

Zur selben Zeit sprachen sich in einem anderen Teil des Hauses Furz und Fusel für die kommende Herausforderung Mut zu.

»Klappt schon, Kumpel - wird gar nicht so schlimm, wie's aussieht.«

»Hab keine Angst um mich, Alter. Du machst mir Sorgen. Bist doch ein Nesthocker.«

»Na ja, solang wir zusammen sind, ist es doch egal. Uns beide kriegen sie nicht klein ...«

Frych die Gefleckte rief ihren ganzen Stamm zusammen. »Buchverschlinger!« redete sie ihn an. »Diese feierliche Versammlung wurde einberufen, damit ich euch über die Fährnisse belehre, die euch unterwegs erwarten. Wir müssen Wüsteneien durchwandern, gewaltige Gewässer überschreiten; wir werden auf Gebirgszüge, dichten Dschungel, Hecken und Gräben stoßen. Dies ist kein unbedeutender Ausflug. Gürtet eure Lenden!«

Die Versammelten wußten, wo sich ihre Lenden befanden. Vielleicht hatten sie sonst nichts von Frychs Worten verstanden, doch ihre Lenden kannten sie. Jedes Mitglied des Stamms schnappte begierig nach dem Wort und schaute zwischen seinen Vorderbeinen hindurch auf seine Lenden. Wie sollte man diesen lebenswichtigen Bereich des Leibes gürten? Welche Folgen würde ein Nicht-Gurten haben? Niemand, auch Frych nicht, wußte genau, wie es vonstatten ging.

»Ich erwarte«, rief Frych und schaute auf ihre Untertanen, die alle die Köpfe zwischen die Vorderbeine gesteckt hatten, »eure Aufmerksamkeit, wenn ich über das Thema Überleben spreche. Nun ist es an der Zeit, euren Nabel zu betrachten .«

Auf dem Dachboden hielt Wisperer eine ähnliche Rede. Er pries mit Donnerstimme seinen Stamm als besten im Haus und sagte, er sei davon überzeugt, daß seine Gefährten ihn nicht enttäuschen würden. »Wir sind ein Stamm, auf den wir stolz sein können«, dröhnte er. »Unsere Mitglieder haben Dachratten besiegt, Eulen getrotzt und den Dachboden erfolgreich gegen die Angriffe anderer Stämme verteidigt. Nun sind wir aufgerufen, unser Zuhause zu verlassen und fern davon neue Dachböden zu finden, die wir friedlich besiedeln können. Einer von uns wurde erwählt, bei diesem Unternehmen der Anführer zu sein - Trödler, den manche eine Außenmaus nennen -, der aber zu uns kam und eine Unsichtbare zur Gefährtin nahm .«

Trödler, der hinten in der Menge stand, nickte bei diesen Worten seinen Freunden und Bekannten zu. Leichtfuß drängte sich dicht an ihn. Sie wußte, wie schwer die Verantwortung auf ihm lastete. Trödler würde auf der bevorstehenden Reise ihre Unterstützung brauchen.

Da es jetzt in der Küche zu zugig war, lauschte die Armee der Wilden im Schrank unter der Treppe ihrer neuen Anführerin Gunhild. Sie selbst bevorzugte den Titel General. Die Mäuse standen ordentlich in Reih und Glied, immer eine Schnurrhaarlänge voneinander entfernt, alle mit erhobener Nase. Zu Gunhilds Freude bildeten sie einen wunderbar geschlossenen Block aus Mäuseleibern. Sie hatte dafür gesorgt, daß die mit dem dunkleren Fell an den vier Ecken des Quadrats Stellung bezogen. Nach innen wurden die Felle immer heller. Symmetrie, so erklärte sie ihnen, sei das A und O. Niemand achte eine schlampige Armee. Ordnung sei der Kern jeder erfolgreichen Expedition in die Wildnis.

»Marschieren oder sterben«, schnappte sie, »das ist unsere Devise. Marschieren oder sterben! Ich erwarte kluge, disziplinierte Soldaten. Ich werde euch in Ränge einteilen, bevor wir aufbrechen. Es wird Unteroffiziere, Feldwebel, Leutnante, Hauptleute, Majore, Oberste und Brigadegeneräle geben - jeder bekommt einen Rang. Ihr müßt ihn euch allerdings verdienen. Ich werde jeden sorgfältig beobachten, seine Einsatzfreude beurteilen, seine Fähigkeiten einschätzen. Trödler ist auf diesem Marsch unser Generalfeldmarschall. Ich nehme seine Befehle entgegen. Diese Befehle werden durch die Ränge hinunter weitergegeben, von den Brigadegenerälen zu den Ober-sten, den Majoren und so weiter. Es ist von wesentlicher Bedeutung, daß ihr euch an diese Befehle haltet. Wenn einer nicht gehorcht, kommt der Rest der Truppe aus dem Tritt .«

Wie betäubt lauschten die Versammelten dieser Ansprache. Die meisten von ihnen waren gar nicht scharf darauf, Soldaten zu werden, hatten aber keine andere Wahl. Hätten sie doch nur jemanden wie Gytha Schönbart als vorübergehenden Anführer gewählt! Er wirkte zwar ein wenig feminin, verzichtete aber auf diesen ganzen Militärmist. Vereinzelte Komplotte wurden geschmiedet, um sich von dieser wahnsinnigen Generalin zu befreien, die Gorm der Alte als seine Nachfolgerin vorgeschlagen hatte.

Gorm selbst stand am Ende der letzten Reihe, da sein Fell dunkelgrau war, und hörte befriedigt zu. Schon bald würden sie ihm wieder seine alte Stellung als Stammesführer anbieten, da war er ganz sicher. Noch immer konnte er die meisten von ihnen im Zweikampf schlagen, wollte aber nicht auf diese Weise an die Spitze des Stammes gelangen; das würde ihm nur Wunden eintragen. Besser, sie bekamen eine starke Dosis Generalin Gunhild und wehrten sich mit einer Revolte gegen diese Roßkur. In der Zwischenzeit konnte er sich von seinen Verletzungen erholen.

Auch bei den Totenköpfen und den 13-K fanden Vorbereitungen statt. Überall wurden Ansprachen gehalten.

»Wenigstens hat mein alter Vater nicht den Oberbefehl«, sagte Ulf im Holzschuppen zu seiner Bande. »Jetzt ist er nur noch ein einfacher Soldat in Gunhilds Truppe. Geschieht dem alten Teufel recht!«

Trotz seiner Worte war Ulf insgeheim tief bekümmert. Nun, da sein Vater entehrt worden war, verspürte er den heftigen Wunsch, die Drahtzieher dafür zu bestrafen. Schließlich gehörte Gorm noch immer zur Familie.

Als sich die Versammlungen auflösten, huschten die Mäuse durchs Haus und pinkelten überall hin, um wenigstens ihre Markierungen zu hinterlassen. Manche trösteten sich damit, daß sie immerhin die Nacktlinge besiegt hatten. Sicher, sie hatten sich damit selbst in Schwierigkeiten gebracht, doch die Nacktlinge waren ihnen auf den Leim gegangen. Nacktlinge waren und blieben eben blöd. Das einzig Bemerkenswerte an ihnen schien ihre Größe zu sein.

Mäuse unterschieden sich nach eigenem Ermessen beträchtlich von ihnen. Sie waren normal groß, überaus klug und die wagemutigsten Säugetiere auf vier Beinen.

Was die Säuger auf zwei Beinen anging - genug der Worte, Schluß, aus!

Haloumi

Unmittelbar bevor sie aufbrachen, riefen die Mäuse Ulug Beg im Baumhaus zu, daß sie sich auf den Weg in ein neues Land machten. Niemand wußte, ob sie diese Nachricht hörte. Vielleicht lebte die uralte Maus überhaupt nicht mehr. Wenn ja, wollten es die meisten ohnehin nicht wissen, denn Ulug Begs Tod würde nur zur allgemeinen Schwermut beitragen.

Die Mäuse beschlossen, den Tunnelausgang zu nehmen, anstatt einfach zur Tür hinauszugehen. Sie wollten durch Tunnel-gräberins Labyrinth marschieren und es ihr zum Abschied einmal richtig zeigen. Trödler konnte diesen Plan nicht gutheißen, sagte aber nichts, da er sich von der Spitzmaus verabschieden wollte, mit der er bis zum Unentschieden gekämpft hatte.

Und so nahmen die Mäuse mit einer Außenmaus an der Spitze Abschied vom Ort ihrer Geburt und dem Heim ihrer Vorfahren, um das Gelobte Haus zu suchen.

Die Spitzmaus hatte von dem bevorstehenden Aufbruch erfahren und erwartete sie mit gesenkter Nase im Labyrinth.

Trödler sprach sie an. »Leb wohl, Tunnelgräberin. Wir sind gekommen, um dir für deine Großzügigkeit zu danken. Ich meine, weil du uns dein Labyrinth zur Verfügung gestellt hast, als der Gasmacher kam.«

»Vergiß es«, meinte Tunnelgräberin knapp.

»Na gut«, sagte Trödler, der sich unbehaglich fühlte. »Vor allem ich wollte mich von dir verabschieden. Wir haben einen harten Kampf ausgetragen, und ich werde dich nicht vergessen.« Er nickte ihr zu und führte die Mäuse ins Mondlicht.

Eine nach der anderen defilierte an der schlechtgelaunten Spitzmaus vorüber. Manche grinsten, doch niemand wagte eine Bemerkung. Selbst die Totenköpfe waren angesichts der unberechenbaren und boshaften Natur der Spitzmäuse auf der Hut. Schließlich kam Gorm der Alte zu Tunnelgräberin. Er bildete die Nachhut.

Als er an ihr vorüberlief, sagte die Spitzmaus ruhig: »Geh zum Teufel!«

»Danke gleichfalls«, erwiderte Gorm, ohne sie anzusehen.

Und so brachen die Mäuse alle Brücken zum Haus hinter sich ab.

Vom Garten aus führte Trödler seine Nation zur Straße. Es war kalt, am Himmel standen blasse Sterne. Der Atem der Mäuse hing dampfend vor ihren Gesichtern. Hoffentlich fand Trödler für die Ruhepausen warme Löcher. Die Erde knirschte frostig, und die bereiften Gräser ragten wie kleine Speerspitzen empor.

Unterwegs kamen sie an dem Ort vorbei, an dem Stones Klo stand - oder besser: gestanden hatte, denn zu ihrer Überraschung war es verschwunden. Die jungen Nacktlinge hatten es umgeworfen und die Bretter im Obstgarten verstreut.

Stone selbst war noch da. Er wirkte verwirrt. Eigentlich hätte er schon seinen Winterschlaf halten sollen, doch der Schock hatte ihn wachgehalten. »Sie haben mein Versteck zerstört«, sagte er fassungslos zu Trödler. »Sie sind einfach gekommen und haben es zertrümmert.«

Trödler betrachtete den jetzt kahlen ehemaligen Standort des Monuments, in dessen Schatten Stone so lange gelebt hatte. Das große Bauwerk war ein Teil der Landschaft gewesen, und nun sah die Welt plötzlich ganz anders aus. Auch der Gestank hatte sich verzogen. Ohne ihn war Stones Heimat nicht mehr dieselbe. Die Haselmaus sah aus, als habe man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen.

»Du kannst mit uns kommen«, lud ihn Trödler ein, »auf unserer Reise in ein besseres Land.«

Stone schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Hier gehöre ich hin; außerdem muß ich erst einmal den Winter verschlafen.« Er schien ein wenig aufzuleben und fuhr fort: »Ich bin froh, daß ihr doch noch zur Vernunft gekommen seid. Zurück zur Natur, was? Ausgezeichnet! Gibt nichts Besseres als frische Luft. Nach draußen auf die Landstraße, was?«

Sein Blick schweifte über die Mäuseschar. »Du lieber Himmel, hier sind ja wirklich alle versammelt. Einfach jeder. Selbst der graue Gorm.«

»Auf das Grau kann ich verzichten«, knurrte der Alte.

»Und der Kleine Prinz«, meinte Stone kopfschüttelnd. »Der Kleine Prinz ist hier, und mein Klo ist verschwunden - ich verstehe die Welt nicht mehr ...«

Völlig verblüfft schauten sich die Mäuse um. »Kleiner Prinz? Wovon redet er bloß? Wo ist der Kleine Prinz?« Schließlich zuckten sie die Achseln.

»Der alte Knabe wird senil«, meinte Furz.

Dies schien der Wahrheit zu entsprechen, da Stone die Anwesenheit der Mäuse völlig vergessen und einen seltsamen Singsang angestimmt hatte. »Hallo, ihr Blumen, hallo, ihr Bäume, hallo, ihr Gräser .«

Und so marschierte die Kolonne weiter und überließ die alte Haselmaus ihrem Zwiegespräch mit der Natur.

Sie überquerten die Straße ohne Probleme, da sie am frühen Morgen wenig befahren war. Dann liefen sie eine Weile über den eisbedeckten Boden des Grabens, bis Trödler nach Norden auf ein kahles Feld abbog. Zum Schutz vor Raubvögeln hielten sie sich in einer Ackerfurche. Sie kamen nur langsam voran, weil ständig einige von ihnen stehen blieben, um gefrorene Körner vom Boden aufzuheben und zu fressen. Schließlich erreichten sie das Ende des Feldes und legten eine Pause ein.

Die Welt wirkte sehr friedlich, doch die Mäuse wußten, daß draußen im Mondlicht Füchse und Hermeline, Wiesel und Dachse mit hungrigen Mägen lauerten. Dies war die Zeit der mageren Nächte, in der alle Tiere ständig nach Nahrung suchten. Die Augen der Raubtiere waren schärfer, die Nasen überaus empfänglich, ihr Gehör arbeitete besser als sonst. Die Mäuse konnten nur auf ihr Glück vertrauen und hoffen, daß sie keinen umherstreifenden Mördern zum Opfer fielen.

Ein vorüberkommender Hase beäugte sie neugierig. Vermutlich wunderte er sich, warum so viele Mäuse an einem Ort versammelt waren. Sie beneideten ihn um seine langen Beine. Er brauchte sich nicht vor Füchsen zu fürchten, da er ihnen mit Leichtigkeit entwischen konnte. Tatsächlich richteten sich diese Hasen oft auf den Hinterbeinen auf, um ihrem Gegner anzuzeigen, daß sie ihn gesehen hatten. »Hallo, Fuchs, ich wollte dir nur sagen, daß ich hier bin. Du brauchst gar nicht erst näher zu kommen.« Was hätten die Mäuse darum gegeben, einmal so schnell laufen zu können!

Astrid vergaß alle Zurückhaltung und kuschelte sich an Iban. Niemand stieß sich an ihrer Zweisamkeit, nicht einmal Skrang. Iban selbst war insgeheim froh, daß sie sich nicht mehr verstecken mußten, denn damit waren auch die Tage der Erpressung durch die Bibliotheksmäuse vorüber. Er wollte einfach den Rest seiner Nächte mit Astrid verbringen.

»Komm doch näher«, drängte sie ihn. »Der Boden ist kalt und feucht. Machen wir ein Nickerchen. Wir sind leider keine jungen Hüpf er mehr. Die 13-K würden uns wohl kaum in ihre Reihen aufnehmen.«

Iban ließ es sich nicht zweimal sagen. »Die 13-K sind auch nicht mehr die jugendlichen Rebellen von einst. Sie gehen stark aufs mittlere Alter zu. Irgendwann wird einer von Ulfs Söhnen zu der Ansicht gelangen, daß sein Vater viel zu konservativ ist. Dann haut er ebenfalls ab und gründet eine eigene Rebellenbande, um seinen Vater herauszufordern.«

Sie zuckte belustigt mit den Schnurrhaaren. »Vermutlich hast du recht. Die Welt ist schon komisch, was?«

»Die Dinge wiederholen sich einfach«, meinte Iban.

»Los jetzt«, rief Trödler nach kurzer Zeit, »auf die Pfoten! Wir müssen bis Tagesanbruch tief in diesem Wald dort drüben sein. In Wäldern gibt es zwar Füchse, Hermeline und Dachse -wahrscheinlich auch Eulen -, dafür aber weniger Falken. Die meisten Falken fliegen nur im offenen Gelände.«

»Wunderbar«, bemerkte Gorm sarkastisch. »Dann brauchen wir uns ja keine Sorgen zu machen. Keine Falken, nur ein Dutzend anderer Räuber. Wirklich ausgezeichnet!«

In einem anderen Teil des Mäusezuges rappelte sich Furz gerade hoch. In den vergangenen zwei Stunden war er mehr gelaufen als in seinem ganzen bisherigen Leben. An verschiedenen Stellen war er wund, seine Muskeln schmerzten, in den Knochen zog es rheumatisch. Schweratmend setzte er sich wieder in Bewegung. Trotzdem sorgte er sich in erster Linie um seinen Gefährten.

Fusel blieb am Boden liegen, obwohl alle anderen bereits aufgestanden waren und Trödler folgten.

»Auf!« schrie Furz. »Wir kommen sonst nicht mit!«

»Kann nicht«, keuchte Fusel. »Zu viel getrunken.« Ihm rann eine Träne aus dem Augenwinkel. »Ich kann einfach nicht weiter.«

»Natürlich, du Trottel«, schalt ihn Furz, der es mit der Angst bekam.

Gorm der Alte, der die Nachhut der Kolonne bildete, rief: »Los, ihr mottenzerfressenen Kellermäuse, schwingt die Beine!

Ich übernehme keine Verantwortung für euch.«

»Schon gut, schon gut«, antwortete Furz. Er war froh, daß er seinen Arger an Gorm auslassen konnte. »Fahr nicht gleich aus dem Fell - wir kommen ja.« Wieder wandte er sich an seinen Kumpel, der ausgestreckt auf der gefrorenen Erde lag. »Bitte, Fusel«, flehte er, »du mußt.« Dabei warf er verzweifelte Blicke nach der verschwindenden Mäusekolonne.

»Kann bloß hier liegen, bis ich festgefroren bin«, war die Antwort.

»Jetzt hör mal zu«, brüllte Furz in einem letzten Versuch, »du stehst jetzt auf, oder ich hol' Iban! Der verpaßt dir einen Ik-to-Biß, der sich gewaschen hat!«

Nach diesen Worten suchte Fusel sich aufzurichten. Er haßte Schmerzen. Furz begriff, daß sich sein Freund in einem wahrhaft beklagenswerten Zustand befand. Als Fusel seine Beine endlich in Gang setzte, schwankte er hin und her und drohte jeden Augenblick zusammenzubrechen.

Furz spürte einen Kloß im Hals. »Geht schon, Kumpel. Ich sag' Trödler, er soll noch eine Pause einlegen. Komm, wir müssen jetzt hinterher ...« Er schaute auf den dunklen, bedrohlichen Wald.

Gorm kam irgendwann zurück, knurrte sie an und rannte wieder zur Truppe. Furz ermutigte seinen Stamm unaufhörlich, feuerte ihn an, die vier Pfoten voreinanderzusetzen, die Augen auf den Horizont zu richten und einfach zu marschieren.

»Marschieren«, grollte Fusel, als sie den ersten Baum erreichten. »Marschieren? Ich könnte keinen -«

»Keinen was?« fragte Furz und drehte sich um. Er sollte nie erfahren, was Fusel ihm sagen wollte. Denn dieser war wie vom Erdboden verschluckt.

Furz schaute instinktiv nach oben. Eine Eule mit zerzausten Flügeln schoß quer über das Angesicht des Mondes. Sie hielt etwas Kleines, Erbarmungswürdiges in ihren Krallen, dessen Schwanz und Beine herabbaumelten. Ironischerweise hatte diese Eule große Ähnlichkeit mit Gnadenvoll.

Furz geriet in Panik und rannte zur Spitze der Kolonne, vorbei an verblüfften Mäusen, die sich Steilhänge hinaufquälten, an denen wilder Thymian wuchs. »Trödler!« rief er keuchend. »Wir müssen anhalten, unbedingt. Eine Eule hat Fusel geschnappt. Wir müssen zurück ...«

Die Kolonne blieb stehen, als sich Trödler umdrehte und auf den entsetzten Furz zuging. »Anhalten? Was sollen wir denn tun, Furz? Wenn wirklich eine Eule Fusel geholt hat, tut es mir sehr leid, aber wir müssen weiter. Es hat keinen Sinn, jetzt kehrtzumachen.«

Furz schrie wild: »Sie hat Fusel geholt. Wir müssen ...« Er schaute Trödler flehend an.

»Wir müssen was, Furz?« fragte dieser freundlich.

»Wir müssen ihm helfen!« brüllte Furz und brach vor aller Augen zusammen.

Gorm kam von hinten zu ihnen. »Was ist los?« knurrte er.

»Eine Eule hat Fusel geholt«, schluchzte Furz.

»Dürfte ihr gehörige Bauchschmerzen bereiten«, meinte Gorm. »Aber warum sind wir stehengeblieben? Ist doch nichts mehr zu machen, oder? Auf geht's! Dieser Wald ist gefährlich genug, auch ohne daß wir herumstehen und warten, daß uns die Eulen ebenfalls fressen. Los, Leute, setzt euch in Bewegung! Trödler, du bist doch der Anführer dieser Meute. Zeig mal ein bißchen Führungskraft!«

Und so verloren sie das erste Mitglied der Expedition an ein Raubtier der Wildnis. Furz stolperte mit der Kolonne weiter, doch nach diesem Erlebnis war er eine Zeitlang nicht mehr derselbe. Sein Überschwang war dahin, seine bombastische Art zerplatzt wie ein Ballon. Sein einziger Freund bewegte sich nun im Zeitlupentempo durch die Gedärme einer Eule. Dann noch ein Rülpsen, ein Husten, und die Überreste des ehrenwerten Fusel würden in Gestalt einer Kugel aus Fell und Knochen aus dem Schlund der Eule hervorschießen.

Auch Trödler empfand den Verlust. Nicht, daß er Fusel gerngehabt hätte, doch er fühlte sich für jedes Mitglied der Expedition verantwortlich. Er diente ihnen als Pfadfinder. Vielleicht hätte er die Tragödie verhindern können, doch er sagte sich, daß es noch mehr Todesfälle geben würde, bevor sie ihr Ziel erreichten. Man konnte nicht mit Dutzenden von Mäusen durch die Wildnis wandern, ohne die eine oder andere zu verlieren. Trödler teilte nach diesem Zwischenfall Späher ein - jeweils zwei an der Spitze, an den Seiten und am Ende der Marschkolonne.

Im Wald fiel ihnen das Marschieren leichter. Der Boden war weich und bemoost, und sie fanden alte Samenkörner und Nüsse. Auch verschrumpelte Herbstpilze und Holzäpfel boten ihnen Nahrung. Bei Gefahr konnten sie in Schlupfwinkel unter den Baumwurzeln und in den Stämmen huschen. Trödler mochte Wälder, obwohl ihm seine alte Hecke am liebsten gewesen war. Damals hatte er sich gefühlt, als lebe er in einem langgestreckten Wald, eingerahmt von einem kühlen Wassergraben und den offenen Feldern voller Futter.

»Zerstreuen!« schrie jemand. »Fuchs!«

Zum Glück überstiegen die Mäuse gerade die kräftigen Wurzeln einer hochgewachsenen Eiche, die den Boden bedeckten und unter denen sich zahlreiche Löcher als Versteck anboten. Die Mäuse schlüpften hinein, fanden sie jedoch schon von wilden Artgenossen besetzt. Da die Löcher sehr geräumig waren, gab es noch Platz für die Ankömmlinge. Allerdings schienen die wilden Mäuse nicht viel von ihren Besuchern zu halten. In der Dunkelheit kam es zu einem erregten Wortwechsel.

»Was zum Teufel wollt ihr hier? Hinaus mit euch!« brüllte eine große Waldmaus.

»Wir suchen Schutz vor einem Fuchs - einer Füchsin, glaube ich. Wir gehen, sobald sie verschwunden ist«, antwortete Trödler.

»Ihr geht jetzt, oder es gibt Ärger«, meinte die Waldmaus grob.

»Hör zu«, meinte Leichtfuß, »wir sind euch fünf zu eins überlegen. Ich glaube, der Stamm der Wilden allein könnte es mit euch aufnehmen.«

»Der Stamm der Wilden?« wiederholte die Waldmaus mißtrauisch. »Wer soll das sein?«

»Wir sind die Wilden. Wenn ihr Ärger macht, schlitzen wir euch von der Schnauze bis zum Schwanz auf«, fauchte Gunhild.

»Tatsächlich?« rief ein anderer Bewohner. Seine Stimme klang allerdings nicht sehr selbstsicher, »Ja«, dröhnte Wisperer, »und wenn die Wilden mit euch fertig sind, fressen die Unsichtbaren die traurigen Überreste.«

»Und danach«, meldete sich Ulf, »polstert die 13-K-Bande ihre Nester mit euren Fellen aus.«

»Außer die Buchfresser verwenden sie für ihre magischen Rituale«, kreischte Frych die Gefleckte.

»Ganz unnötig«, grollte Gorm. »Ich und Furz knöpfen uns diese Gestalten vor und machen sie so richtig zur Sau, nicht wahr, Furz?«

»Klar, Kumpel«, bestätigte Furz. Er war beinahe wieder der alte, stellte sich auf die Seite der Überlegenen und prahlte wie eh und je.

Nach dieser Flut von Drohungen herrschte Schweigen in den Löchern. Die Bewohner beschwerten sich nicht länger über den vorübergehenden Besuch. Ihre einzige Sorge galt nun ebenfalls der Füchsin.

Diese hatte bemerkt, daß die Mäuse in den Löchern verschwunden waren, und schnüffelte an den Eingängen. Sie sah sehr kräftig aus. Eine rote Riesin mit einer Schnauze voller scharfer Zähne, die wie geschaffen waren, Mäuse aufzuspießen. Der Gestank der Füchsin erfüllte das ganze Tunnellabyrinth, und jede Maus zitterte, Gorm der Alte eingeschlossen. Keine der Hausmäuse war je zuvor einem anderen Hundearti-gen als dem gutmütigen, alten Hirnlos begegnet, und dieses Ungeheuer hier draußen war nicht mit ihm zu vergleichen. Die Füchsin wirkte klug und lebhaft und spähte mit brennenden Augen in die Löcher. Sie verfügte über Krallen, mit denen sie graben konnte.

»Das haben wir euch zu verdanken«, flüsterte einer der Bewohner. »Sie wird nicht verschwinden, ohne wenigstens eine von uns mitzunehmen.«

Die Füchsin kratzte am Eingang eines Loches. Das Moos ließ sich leicht abreißen. Sie steckte die Nase in die vergrößerte Öffnung und schnüffelte hörbar.

Furz war nur zwei Körperlängen von der schwarzen, schnaubenden Schnauze entfernt. »Scheiße«, stöhnte er. »Wenn bloß der alte Fusel hier wäre, dann könnten wir zusammen sterben.«

»Sie riecht nach Kaninchen«, flüsterte einer der Bewohner. »So hungrig kann sie also nicht sein.«

»Sie denkt bestimmt, ein Häppchen Maus als Nachtisch kann nicht schaden«, stöhnte Frych.

Da die Füchsin witterte, daß ihre Beute ganz nah war, grub sie mit wachsender Begeisterung weiter.

Plötzlich schrie eine Maus etwas zu ihr hinaus: »Donata o oyobi dess ka?«

Die Füchsin hielt inne. Sie schien völlig verblüfft angesichts dieser unterirdischen Stimme, die ihre eigene Sprache beherrschte. »Donata-sama dess ka?« antwortete sie.

Auch die Bewohner der Löcher waren äußerst erstaunt, daß sich einer dieser Neuankömmlinge mit einer Füchsin unterhielt. Wie war er bloß nahe genug an diese schrecklichen Wesen herangekommen, um ihre Sprache zu erlernen? Sie waren erleichtert, daß die sich nicht auf einen Kampf mit diesen Eindringlingen eingelassen hatten. Die Fremdlinge durfte man offensichtlich nicht unterschätzen.

»Was hast du zu ihr gesagt?« wollte Trödler vom Kleinen Prinzen wissen.

»Ich habe gefragt, mit wem sie sprechen möchte.«

»Und was hat sie gesagt?«

»Sie wollte wissen, wer da in der Sprache der Hundeartigen mit ihr spricht.«

»Frage sie noch einmal, mit wem sie sprechen möchte.«

Der Kleine Prinz wiederholte seine Frage, und die Füchsin nannte daraufhin den Namen eines Freundes.

»Tut mir leid.« Der Kleine Prinz wagte sich bis zum Eingang vor, so daß ihn die Füchsin sehen konnte. »Dein Freund ist gerade nicht da. Moshi-wake gozai-asen ga gai-shuts chu dess. Ashta mo ichido odenwas itadake-masen ka. Komm morgen wieder.«

Die Füchsin stieß ein langgezogenes Bellen aus. »Du bist eine sehr komische Maus. Sehr komisch!« sagte sie dann. »Ich denke, ich lasse dich leben, ich bin nicht sehr hungrig. Ich komme morgen wieder. Ich mag Mäusegeschmack.«

»Das ging mir einmal genauso«, murmelte der Kleine Prinz, »aber ich habe es seither oft bereut.«

Es war kaum zu glauben, doch die Füchsin verzog sich.

Eine Welle der Erleichterung schwappte durchs Labyrinth. Trödler spürte förmlich, wie sich die Spannung löste. Offensichtlich hatte die Füchsin genug gefressen und wollte sich für ein paar Brocken Maus nicht die Pfoten schmutzig machen.

Trödler wandte sich an die Bewohner. »Ich schlage vor, ihr sucht euch morgen eine neue Bleibe. Sie wird euch sicher noch einen weiteren Besuch abstatten.«

»Vielen Dank auch!« brummte einer der Gastgeber sarkastisch. »Wie schön, daß ihr sie angelockt habt. Kommt doch noch mal auf ein Schwätzchen vorbei.«

Trödler entschuldigte sich und beorderte seine Kolonne aus den Löchern. Er war bestrebt, diesen Wald endlich hinter sich zu lassen. Draußen sprach er den Kleinen Prinzen an. »Ich habe gehört, was du da drinnen gesagt hast - von wegen bereuen. Meinst du das ehrlich? Tut es dir aufrichtig leid?«

»Ich hoffe, niemand außer dir hat es gehört. Ja, ich fühle mich jetzt gut und bin froh darüber. Du hast mir klargemacht, daß ich auch noch eine andere Seite habe. Ich verabscheue mein früheres Selbst, finde es abstoßend. Ich weiß zwar, daß ich niemals eine so gute Maus wie du werden kann, aber ich werde mein Bestes geben.«

Trödler schaute den Kleinen Prinzen an und fragte sich, ob das alles der Wahrheit entsprach. Das Gesicht des anderen schien wirkliche Scham auszudrücken, und in den Augen lag echte Reue.

»Ich glaube nicht, daß ich eine gute Maus bin, freue mich aber über deinen Sinneswandel«, meinte Trödler. »Das tröstet mich mehr als ein ganzer Haufen Tugendmäuse.«

Eine Stunde später erreichten sie den Waldrand und wanderten einen Abhang hinunter. Am Ende der Wiese, die vor ihnen lag, entdeckte Trödler eine Hecke. Instinktiv wußte er, daß sie dort ihr Nachtlager aufschlagen konnten. Sie mußten einfach wieder richtig schlafen. Der Weg zum Gelobten Haus war weit. Trödler wußte selbst nicht, wo genau sie es finden würden, doch die Stimmen der Vorfahren trieben ihn voran. Sie dienten ihm als einziger Wegweiser.

Zum Glück war die Wiese im Herbst gemäht worden. Viele Tierpfade schlängelten sich durch das kurzgeschnittene Gras. Die Mäuse marschierten einfach hindurch, setzten Pfote vor Pfote, viel zu müde, um die herrliche, freie Natur zu genießen. Fast glaubten sie, die Stimme des naturliebenden Stone zu hören, der seine Litanei über die Rückkehr zu den Wurzeln herunterbetete. Die Muskeln schmerzten die Mäuse unerträglich, ihre Beine fühlten sich bleischwer und watteweich zugleich an, die Schwänze ließen sie achtlos über den Boden schleifen. Manche konnten kaum noch die Augen offenhalten und verließen sich auf ihre Vorderleute, die den Weg finden sollten, und auf die Mäuse hinter ihnen, die ihnen dann und wann einen Schubs versetzten. Gerüchte kursierten, nach denen die Ver-treibung der Nacktlinge vielleicht nur ein Traum gewesen war.

Der Himmel bewölkte sich, die Sterne verschwanden. Als sie die Wiese zur Hälfte durchquert hatten, begann es zu regnen. Es war ein eisiger Graupelschauer, der auf ihre Felle trommelte.

Obwohl Trödler nicht mitten auf der Wiese anhalten wollte, da sie ihnen keinen Schutz vor Räubern bot, erkannte er, daß seine Mäuse dringend einen Unterschlupf benötigten. »Sucht euch irgendeine Deckung«, sagte er. »Sobald es zu regnen aufhört, marschieren wir weiter.«

Sie fanden Ampfer und andere großblättrige Pflanzen, die sie vor dem Regen schützten. Einige fragten, ob hier vielleicht auch Rhabarber mit seinen dicken, riesigen Schirmblättern wachse, aber Trödler erklärte ihnen, daß Rhabarber nicht auf Wiesen vorkomme.

»Wieso nicht?« wollte Gruffydd Grünzahn wissen. »Draußen vor dem Haus gab es Rhabarber.«

»Ich habe ihn bisher nur in Hausgärten gesehen«, antwortete Trödler. »Vielleicht findet ihr Hirschzunge oder Braunwurz, die erfüllen auch ihren Zweck.«

»Werde ich wohl kaum finden, wenn ich nicht weiß, wie sie aussehen«, meckerte Gruffydd. »Hätte ich bloß ein Buch über breitblättrige Pflanzen gefressen, bevor ich die Bibliothek verließ!«

Früher hatten sie den Regen nur gehört, wenn er auf das Dach des Hauses trommelte. Sie wußten zwar, daß er naß war, aber die Dachziegel hatten sie davor geschützt. Das Geräusch wirkte damals beinahe tröstlich. Nun lernten sie die andere Seite des Regens kennen. Sie wunderten sich über die donnernden Laute, mit denen das Wasser auf die Blätter prasselte und sie herabdrückte. Manche Blätter trugen an der Unterseite kleine Stacheln, Haken oder Haare, die die Haut reizten. Wer sich deswegen aus dem Schutz der Pflanze wagte, wurde von den harten Regentropfen getroffen.

Der Wolkenbruch dauerte eine halbe Stunde, die den heimatlosen Mäusen wie eine Ewigkeit erschien.

Trödler rief wieder: »Marschieren!«

»Oder sterben!« fügte Gunhild grimmig hinzu.

Die lange Wanderung wurde fortgesetzt. Plötzlich stieß Thorkils Dreibein einen Schrei aus.

»Der Kleine Prinz! Der Kleine Prinz ist mitten unter uns! Er hat sich unter dem Namen Eh-he eingeschlichen!«

Die ganze Kolonne hielt an und versammelte sich um die zitternde weiße Maus, »Es war der Regen, meine Lieben. Er hat den Schmutz von eurem süßen Kleinen Prinzen gewaschen. Keine Sorge, ich tue euch nichts. Ich bin jetzt ein gutes Mäuschen, nicht wahr, Trödler? Trödler, wo bist du?«

Der Anführer war schon unterwegs, um zu verhindern, daß der Kleine Prinz überwältigt und totgebissen wurde.

Gorm der Alte schrie: »Du willst uns nichts tun? Natürlich nicht! Ich habe das Recht auf den ersten Biß in diese Kreatur!«

»Ich auf den zweiten!« rief Furz.

»Wie ungezogen«, flüsterte der Kleine Prinz. »Aber was sein muß, muß sein. Hier ist meine Kehle. Zerreißt sie.«

Gorm nahm die Einladung sofort an und trat vor.

»Warte! Halt!« rief Trödler und drängte sich durch die Menge. Als er neben dem Kleinen Prinzen stand, sagte er: »Diese Maus hat uns soeben aus der Patsche geholfen. Ohne sie hätte uns die Füchsin gefressen. Wollt ihr jemand töten, der euch das Leben gerettet hat?«

»Ja«, knurrte Gorm, ohne zu zögern.

Limburger

Die Mäuse rückten mit grimmig entschlossenen Mienen näher. Viele von ihnen hatten schon lange darauf gewartet, sich an dem verhaßten Haustier des Kopfjägers zu rächen, dessen Kannibalismus die Stämme seit Generationen im Empörung versetzte. Es schien einfach nicht gerecht, daß es so viel länger lebte als anständige Mäuse. Sie wollten sein Leben hier und jetzt beenden.

»Eine herrliche Nacht, ihr Süßen«, rief der Kleine Prinz mit schriller, nervöser Stimme, während sie ihn immer enger umkreisten. »Stellt euch einfach vor, ihr wärt in eurer hübschen Küche oder auf dem Dachboden mit dem wunderbaren Gerumpel oder zwischen den Büchern eurer Bibliothek ... Vorsicht, kommt mir nicht zu nahe; ihr solltet mich nicht unterschätzen.«

»Halt!« schrie Trödler und stellte sich schützend vor den Kleinen Prinzen. »Ich will nicht, daß unsere Expedition mit dem Blut eines Artgenossen besudelt wird.«

»Eines Artgenossen?« ereiferte sich Furz. »Er ist bloß eine Nacktlingspuppe, nicht wahr?«

»Er ist eine Maus«, antwortete Trödler fest.

»Dann ist er bald eine tote Maus«, knurrte Thorkils Dreibein.

»Dann nehmt mich zuerst«, erwiderte Trödler. »Ich werde keinen Widerstand leisten.« Er machte eine Gebärde der Unterwerfung. »Tötet mich. Laßt die weiße Maus leben und nehmt mich statt ihrer.«

»Nein!« schrie Leichtfuß.

»Du bist total bekloppt«, meinte Furz.

»Bescheuert«, fügte Nichtschwimmer hinzu.

»Vollkommen durchgedreht«, bestätigte Marredud.

Gorm der Alte wandte sich überraschend mit einer Rede an die Mäuse. »Schaut euch um«, grollte er, »seht euch nur um.«

Die Mäuse gehorchten. Sie blickten zur großen, dunklen Himmelsglocke empor, die sich unermeßlich und unerreichbar über ihnen wölbte. Sie richteten sich auf den Hinterbeinen auf, so daß ihre Köpfe gerade über das Gras schauten. Die Felder dehnten sich unendlich weit aus. Über ihnen ein schwarzer Ozean, um sie herum ein Meer von Gras. Der Anblick ließ sie erschauern.

»Ganz schön furchterregend«, meinte Gorm. »Ich gebe es gerne zu. Nicht ein Haus in Sicht - gar nichts. Ich habe keine Ahnung, wo wir sind. Ich würde auch den Rückweg nicht mehr finden . Tut mir leid, wir können Trödler nicht töten. Er ist zu wichtig. Folglich können wir auch den Kleinen Prinzen nicht töten, da Trödler ihn um jeden Preis beschützen will.«

»Ich will einfach keine unnötigen Verluste auf diesem Marsch«, erklärte Trödler. »Wir werden auch so genügend Mäuse verlieren. Fusel hat es bereits erwischt.«

Bei diesen Worten schluchzte Furz leise.

»Der Kleine Prinz hat seinen Wert bewiesen«, fuhr Trödler fort. »Ich vermute, wir werden ihn noch öfter brauchen. Versucht, seine furchtbare Vergangenheit zu vergessen, die auch ich zutiefst bedaure. Er ist klüger als einer von uns - und er hat Mut. Solche Eigenschaften werden wir brauchen, um zu überleben. Wir sind nicht Genies, das müßt ihr zugeben. Vielleicht schlau und trickreich, aber nicht wirklich klug . Der Kleine Prinz hat mir versichert, daß er ein neues Leben angefangen hat. Ich glaube ihm. Aber da ist noch etwas. Die Stimmen meiner Vorfahren sagen mir, daß eine weiße Maus Großes vollbringen und von uns verehrt werden wird. Der Kleine Prinz ist die einzige weiße Maus, die ich kenne.«

Der Kleine Prinz ergriff die Gelegenheit und wandte sich an die Menge. »Ja, wahrlich, ich sage euch, wenn ich jemals wieder einer Maus ein Leid zufüge, werde ich mich züchtigen und strafen, bis ich nicht mehr unter den Lebenden weile, und das ist die reine Wahrheit. Sollte eine Maus in Bedrängnis geraten, werde ich ihr zu Hilfe eilen. Sollte eine Maus schwer geprüft werden, werde ich ihr Trost spenden. Sollte eine Maus hungrig sein, werde ich selbst nicht essen, um ihren Magen zu füllen. Ich opfere mich für die Mausheit.«

»Was sagt er?« fragte Gorm.

»Er sagt, er wird so gut sein, wie sein Fell weiß ist«, erläuterte Frych.

»Das will ich ihm auch geraten haben«, knurrte Gorm.

Trödler übernahm wieder die Führung. »So, wir wandern jetzt zu der Hecke. Wenn wir sie nicht vor Einbruch der Dämmerung erreichen, haben wir ein Problem. Los!«

Und wieder setzten sie sich in Marsch. Jarl Gabelbart stieß den Kleinen Prinzen zwar in den Rücken und sagte: »Dich kriegen wir noch«, doch die weiße Maus durfte weiterleben. Ihr Leben verdankte sie Trödler.

Kurz vor der Dämmerung hatten sie die Hecke erreicht. Dort gebar Leichtfuß fünf Junge. Nicht einmal Trödler hatte sie von ihrer Schwangerschaft erzählt; der war in den vergangenen Nächten viel zu beschäftigt gewesen, um ihren schwellenden Bauch zu bemerken.

»Warum hast du mir nichts davon gesagt?« fragte er vorwurfsvoll.

»Weil es dich abgelenkt hätte«, sagte sie leise. »Im Haus herrschte Anarchie, dann mußtest du die Expedition planen. Es waren hektische Zeiten. Du solltest nicht nur an mich denken, da doch das Schicksal der Nation auf dem Spiel stand.«

»Aber - wieso hast du jetzt geworfen? Ausgerechnet im Winter.«

»Mäuse, die in Häusern leben, achten nicht weiter auf die Jahreszeiten.«

»Das solltet ihr aber.«

Vermutlich hatte er recht damit, denn alle Jungen bis auf eines starben in dieser Nacht. Schließlich hatte dessen Mutter während der Schwangerschaft gehungert und war dann wie eine Wilde marschiert. Doch Trödler und Leichtfuß waren dankbar, daß wenigstens dieses eine Junge überlebte.

Es war ein Weibchen und erhielt den Namen Gypsy. Leichtfuß erklärte, nach ein paar Stunden Rast könne sie Gypsy in der Schnauze tragen.

Der Rest der Nation war so müde, daß die Mäuse mehrere Stunden schliefen. Leichtfuß konnte während dieser Zeit neue Kraft sammeln. Frych die Gefleckte kam als erfahrene Mutter zu ihr und kümmerte sich um das Junge. Sie half Leichtfuß voller Freude, das Kleine abzulecken. Danach lief sie zu Hywel dem Bösen und schlug ihm vor, im ersten besten Haus ein gemeinsames Nest zu beziehen.

Insgeheim war Trödler froh, daß Gypsy ausgerechnet in einer Hecke zur Welt gekommen war, da er ja selbst von einem solchen Ort stammte. Auch wenn seine Tochter später in einem Haus lebte, hatte sie zumindest diese eine Verbindung zur Welt ihres Vaters. Trödler war glücklich, wieder in einer Hecke zu sein, auch wenn es sich nicht um seine handelte.

Hier kannte er niemand, doch vertraute Gerüche drangen ihm in die Nase, Gerüche von Geflecktem Aronstab, großen schwärzen Schnecken, Totengräberkäfern, Primeln, Kaninchendung, Schneckenspuren und einer Vielzahl anderer wacher und ruhender Pflanzen und Tiere. Als er die Augen schloß, saß er wieder mit Tinker und Diddycoy - ob letzterer wohl noch lebte? - in der Astgabel unter dem Nest der Drossel und fühlte sich eins mit Zweig und Blatt.

Und doch wußte er, daß er bald die Augen öffnen und seine Mäuse weiter durch die Wildnis führen mußte auf der entbehrungsreichen Suche nach einem neuen Haus, in dem die Stämme eine neue Gesellschaft aufbauen konnten.

Troo

Sie wanderten viele, viele Stunden, und die Pausen wurden immer kürzer. Es ging über Stock und Stein, über kahle, hartgefrorene Felder, durch vereiste Gebiete, in denen es kaum etwas zu fressen gab. Trödler mied die Straßen der Nacktlinge und folgte seinem eigenen Weg. Jedenfalls kam es den anderen Mäusen so vor, da sie die Stimmen der Vorfahren, die ihren Anführer leiteten, nicht hören konnten.

Die Reise wurde immer beschwerlicher. In der dritten Nacht stießen sie auf eine riesige Grasfläche, die von einem hohen Zaun umgeben war. Der Zaun bildete kein Problem, da die Mäuse einfach hindurchschlüpfen konnten. Hinter dem Gras ragte ein ungeheures Bauwerk empor, wie es nicht einmal die Buchfresser kannten. Es erstreckte sich beinahe bis zum Himmel hinauf, und seine Größe flößte den Mäusen Angst ein.

»Was ist das?« rief Furz. »Kann doch kein Haus sein, oder? Viel zu groß.«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Trödler aufrichtig, »aber der Anblick gefällt mir nicht. Es hat keine Fenster und nur diese beiden riesigen Türen. Sieht nicht gerade einladend aus.«

Iban meinte: »Warum warten wir nicht bis zum Morgen und schauen es uns bei Tageslicht an? Vielleicht wirkt es dann freundlicher.«

Sie nahmen Ibans Vorschlag an und drängten sich eng an den Zaun, um sich vor Eulen zu schützen.

Als sie aufwachten, entdeckten sie zu ihrer Überraschung ein ungeheures, ovales graues Gebilde, das vor dem Riesenbauwerk schwebte und mit Seilen und Ketten am Boden befestigt war. Am Bauch dieses Giganten befand sich ein großer, hausähnlicher Kasten. An den Seiten gab es eine Reihe von Fenstern und auch eine Tür.

Tolpatsch wurde ausgesandt, dieses unheimliche Etwas zu untersuchen. Mit ihrer üblichen Geschicklichkeit kletterte sie auf eines der Halteseile, um einen Blick in das Gebilde zu werfen. Kurz darauf tauchte sie wieder auf, lief über das Seil zurück und erstattete Bericht. »Da drinnen sind viele Stühle und Betten, die an der Wand befestigt sind, und eine Küche mit Unmengen von Futter.«

»Nacktlinge?« fragte Trödler.

»Ein paar, aber ich habe keine Katzen gerochen. Nur einen Haufen dummer Nacktlinge, die sich wie üblich vollstopften. Futter in Mengen! Ich habe sogar Käse gewittert!«

»Klingt für mich nach Haus«, brummte Gorm. »Ich riskiere es. Hab' genug vom Marschieren.«

»Warte noch«, bat Trödler. »Wir wissen doch gar nichts Genaues. Wo bitte war dieses schwebende Haus, als wir heute nacht angekommen sind?«

»Wen interessiert das?« schnarrte Thorkils Dreibein, der mehr als alle anderen unter schmerzenden Gliedmaßen und wunden Füßen litt, obwohl er weniger davon besaß. »Los, gehen wir hinein!«

Trödler wandte sich an Tolpatsch. »Gibt es dort noch andere Mäuse? Oder Ratten? Wie steht es mit Hunden?«

»Nichts dergleichen. Habe jedenfalls nichts gerochen«, entgegnete Tolpatsch. »Ich habe ausgiebig geschnuppert. Kein Kot, keine Urinmarkierungen - alles war sehr, sehr sauber.«

»Sauber? Mir kommt Sauberkeit grundsätzlich verdächtig vor«, meinte Trödler.

»Ich berufe eine Versammlung ein«, rief Gorm der Alte.

»Du hast gar nichts einzuberufen«, protestierte Gunhild.

Gorm trat vor. Der Augenblick für eine Rebellion erschien ihm ideal. »Nun, hier stehe ich«, knurrte er, »und wer zu mir kommen möchte, soll das tun. Ich habe genug von den Befehlen eines emporgekommenen Unteroffiziers und eines Heckengelbhalses. Los, wer steht Seite an Seite mit Gorm dem Alten?«

Es herrschte betretenes Schweigen, bis Thorkils Dreibein zu Gorm hinüberhuschte, gefolgt von Jarl Gabelbart. Die drei Mäuse standen trotzig da und starrten die übrigen Expeditionsmitglieder herausfordernd an. Schließlich lief auch der junge Elisedd, der Bibliotheksmäuserich, der den Kleinen Prinzen entdeckt hatte, zu ihnen über.

»Gut«, schnarrte Gorm, »das war's dann wohl. Wie steht es mit dir, Elfwin, und dir, Ulf? Wollt ihr euch von diesem Emporkömmling herumkommandieren lassen?«

Elfwin nickte. »Falls du Trödler meinst - ich glaube, er tut sein Bestes für uns.«

»Ich fühle mich hin- und hergerissen«, erklärte Ulf, »aber wir sollten dem Führer vertrauen, den wir gewählt haben.«

»Wie wär's mit mir, Süßer?« piepste der Kleine Prinz.

»Dich wollen wir nicht«, rief Gorm. »Du kannst zur Hölle fahren.«

»Huch - gleichfalls!« meinte die weiße Maus. »Ich habe doch nur Spaß gemacht.«

»Gut, dann kommt, Leute. Dies ist unser neues Haus. Dort werden wir Käse finden! Ich rieche ihn schon von hier aus.«

Die vier Rebellen marschierten auf eines der Halteseile zu, als Astrid einen Schrei ausstieß: »Nein, bleibt hier! Ich sehe ein blendend weißes Licht, das den Himmel erhellt! Ein alles-verschlingendes Weiß! Kommt zurück!«

Elisedd wirkte verängstigt, nachdem er die Prophezeiung der Hohepriesterin vernommen hatte. Er lief zur Hauptgruppe zurück.

»Feigling«, knurrte Gorm. »Wenn du dieser alten Hure glauben willst, bitte.«

»Sie hat immer recht behalten«, gab Trödler zu bedenken. »Beim letzten Mal hast du nicht auf sie gehört, und deshalb sind wir jetzt hier.«

»Sie ist eine Betrügerin«, brüllte Gorm, »hat beim letzten Mal nur gut geraten.« Mit diesen Worten kehrte er ihnen den Rücken zu und führte die anderen über das gefährliche Seil zum schwebenden Haus empor. Sie kletterten so hoch, bis sie nur noch drei kleine schwarze Punkte auf einer dünnen Linie waren. Einmal stolperte Thorkils Dreibein und baumelte an einer Kralle vom Seil, doch fand er wieder Halt und hangelte sich auf die Halteleine zurück.

Schließlich waren die drei Mäuse oben angelangt und verschwanden in dem schwebenden Haus. Danach wurden sie von den Mäusen unten auf der Erde nicht mehr gesehen.

Trödler und seine Truppe marschierten am Zaun entlang, um nicht die riesige Grasfläche überqueren zu müssen. Plötzlich erscholl ein Schrei aus der Nachhut. Trödler drehte sich um und entdeckte, daß seine Mäuse nach oben schauten. Er tat es ihnen nach und bemerkte erstaunt, daß das schwebende Haus, befreit von Halteleinen und Ketten, sanft mit dem Wind gen Himmel trieb.

Auf dem Boden liefen geschäftige Nacktlinge umher, drehten große Winden, sicherten die abgeworfenen Leinen. Offensichtlich hatten sie erwartet, daß das Haus wegfliegen würde, denn sie wiesen keinerlei Anzeichen von Panik auf. Manche schwenkten sogar Taschentücher und Hüte und stießen erregte Rufe aus.

Gorm, Thorkils und Jarl waren offensichtlich unterwegs zu einem großen Abenteuer über den Wolken. Fast beneidete sie Trödler. Sie bewegten sich in ihrem herrlichen, fliegenden Haus hoch oben zwischen den Vögeln. »Wie es ihnen wohl geht?« fragte er nachdenklich.

»Sie müssen sich wie Götter fühlen!« rief Elisedd, der die Reise beinahe mitgemacht hätte.

Doch der Kleine Prinz murmelte: »Ihnen geht es sicher schlecht, so wie das alles schwankt.«

Das große graue Gebilde drehte die Nase allmählich in die Richtung, die auch Trödler und seine Mäuse eingeschlagen hatten. Von einer unsichtbaren Kraft angetrieben, zog es hoch über den wandernden Stämmen dahin, bis die Wolken es ihren Blicken entrückten.

Bleu de Bresse

Erst eine ganze Nacht später stießen die Wanderer auf ein Nacktlingsdorf mit vier oder fünf Häusern. Eine Vorhut der besten Kämpfer wurde vorausgeschickt - Gunhild, Seiltänzer, Ulf, Drenchie, Wisperer, Skuli, Gruffydd Grünzahn und Rhodri. Diese furchtlosen Acht erkundeten die Häuser und trafen alle auf den erbitterten Widerstand ortsansässiger Stämme.

»Ihr da drinnen«, rief Gunhild, ohne viele Worte zu machen, »wollt ihr eure neuen Kameraden nicht willkommen heißen?«

»Verpißt euch!« lautete die Antwort.

»Wir sind stark und gesund«, brüllte Gunhild.

»Ach ja? Such dir dein eigenes Haus ...«

Als Trödler von den feindseligen Stämmen hörte, wußte er, daß sie das Gelobte Haus noch nicht gefunden hatten, spürte jedoch, daß es ganz in ihrer Nähe lag.

Draußen vor dem Dorf berief er eine Versammlung ein, um den Mäusen seine Ansicht mitzuteilen. Und so sammelten die Wanderer aus dem Haus der Stämme noch einmal ihre Kräfte und zogen wieder in die Wildnis. Sie waren allerdings noch nicht weit gekommen, als Gunhild und der Rest der Wilden mit Ausnahme von Astrid kundtaten, daß sie ins Dorf zurückkehren würden.

»Ich bin sicher, sie nehmen uns auf, wenn wir nicht so viele sind. Zieh weiter, Trödler, viel Glück.«

Und so marschierten die 13-K, die Buchfresser, die Totenköpfe und die Unsichtbaren ohne die Wilden weiter. Nach sieben Stunden waren sie endlich am Ziel.

Das Gelobte Haus stand an einer holprigen Straße: ein altertümliches Gebilde mit seltsamen Türmen, hohen Fenstern und Wällen. Das blaue Schieferdach war von rotem Efeu überwuchert. Auf einem Turm thronte ein Wetterhahn mit schwellendem Kamm. Das Anwesen war groß und wirkte recht gepflegt. Es gab nur wenige Blumenbeete, aber zahlreiche beschnittene Hecken. Im Garten standen ein solides Treibhaus, zwei Schuppen und ein Pavillon.

Die Mäuse betrachteten das vielversprechende Gebäude.

Astrid äußerte: »Ich habe mit einigen einheimischen Schatten gesprochen. Sie sagen, es seien gerade wieder Nacktlinge eingezogen; das Haus habe lange Zeit leergestanden.«

»Klingt gut«, meinte Trödler. »Vermutlich leben dann noch keine anderen Stämme darin.«

Wisperer wurde als Späher ausgeschickt und kam eine Stunde später zurück. »Nicht übel«, erklärte er. »Kaum Möbel oder Teppiche, aber eine riesengroße Küche, die für uns alle reicht. Sie riecht, als hätten sie noch vor kurzem darin gekocht. Und da hing auch so ein Hauch von Blauschimmel in der Luft .«

»Feindliche Stämme?« wollte Trödler wissen.

»Es gibt ein paar Mäuse, doch mir scheint, sie sind einzeln eingezogen. Scheinen überhaupt nicht organisiert zu sein. Ihre Markierungen sind ein wenig zufällig. Wir könnten sie ohne weiteres in unsere Reihen aufnehmen.«

»Gibt es eine Bibliothek?« wollte Frych wissen, die zum zig-sten Mal trächtig war, diesmal von Hywel dem Bösen.

»Und was für eine - ein Geschenk der Götter!«

»Dachböden?« erkundigte sich Zaghaft.

»Dutzende - jeder Turm hat seinen eigenen.«

»Klingt ideal.«

»Keller?« krächzte Furz.

»Weinregale, so weit das Auge reicht«, verkündete Wisperer. »Deine Leber versagt innerhalb einer Woche, Furz.«

»Worauf warten wir noch?« rief Leichtfuß. »Bringen wir un-sere Gypsy ins Warme.«

»Ja«, sagte Trödler, »geht hinein. Ich selbst werde, nachdem ich das Gelobte Haus gesehen habe, nicht mitkommen. Ich habe euch hergeführt und damit meine Pflicht als Pfadfinder erfüllt. Nun müßt ihr ohne mich weitermachen. Einer von euch wird euer Anführer sein. Ich kenne ihn und glaube, daß er sein Schicksal ebenfalls kennt, doch ihr braucht vielleicht ein wenig Zeit, um ihn anzunehmen.«

Die Mäuse schauten ihn verblüfft an.

Mycella

»Was sagst du da?« schrie Leichtfuß auf.

»Das meinst du nicht ernst - du mußt mitkommen - wir brauchen dich«, murmelte der Kleine Prinz.

»Meine Zeit mit euch ist vorüber, Kleiner Prinz, das weißt du besser als jeder andere. Du und ich saßen als einzige von uns hinter Gittern. Du hast beinahe eine Ewigkeit in Gefangenschaft verbracht. Aber durch deine Zeit bei den Nacktlingen hast du viel über sie erfahren. Du konntest nachdenken, deinen Verstand erweitern. Du bist die Maus, deren Wissen den alten Stämmen das Überleben ermöglichen wird ...«

Leichtfuß und einige andere Mäuse verstanden, daß Trödler mit diesen Worten den Kleinen Prinzen zu seinem Nachfolger ernannte. Falls sie diese Verwandlung vom Feind zum Führer ablehnten, sagten sie es nicht. Sie achteten Trödlers Entscheidung.

»Viel Glück euch allen«, sagte Trödler.

»Bist du dir ganz sicher?« wollte Ulf wissen.

»Ja«, erwiderte Trödler. »Ich bin mir sicher, aber ich möchte es nicht erklären - niemand außer Leichtfuß .«

Sie stand traurig in seiner Nähe.

Wisperer, Töricht, Nichtschwimmer, Tolpatsch, Grimmig, Zaghaft, Nesta, Mefyn und die anderen murmelten Abschiedsworte. Nur die Aufregung über das neue Haus dämmte ihre Traurigkeit ein wenig ein.

»Ist irgendwie nicht richtig, ohne dich hineinzugehen«, schniefte Furz mit einem Blick auf das Haus.

»Ich bin sehr gerührt«, entgegnete Trödler.

Furz drehte sich um und rümpfte die Nase, daß seine ungepflegten Schnurrhaare zuckten.

»Ich rede nicht von dir - hab' Fusel gemeint, klaro? Der alte Knabe ist wohl bloß noch Eulenmist, aber manchmal rede ich noch mit ihm, als wär' er hier.«

»Tut mir leid.«

»Schon gut, Meister«, meinte Furz versöhnlich. »Stoß auf mich an, wenn du das nächste Faß aufmachst.«

»Ganz bestimmt.«

Nacheinander zogen die Mäuse an Trödler vorbei und marschierten über die Wiese zum Haus. Schließlich blieb nur Leichtfuß übrig, die Gypsy in der Schnauze trug. Sie legte das Junge auf den Boden und schaute Trödler schweigend an.

Er blieb fest. »Ich muß in die Hecke zurückkehren.«

»Ich weiß.«

»Ich hätte Gypsy gerne aufwachsen sehen, aber sie wird schnell groß. Junge Mäuse brauchen ihre Eltern nicht lange.«

»Das stimmt«, meinte Leichtfuß.

»Ich glaube nicht, daß sie mich vermissen wird - es gibt so viele andere Mäuse im Haus.«

»Vermutlich nicht.«

»Und sie hat dich - das ist am allerwichtigsten«, meinte Trödler.

»Ja.«

»Ich werde irgendwann wiederkommen.«

Leichtfuß schüttelte den Kopf. »Nein, das wirst du nicht.«

Er seufzte. »Du hast recht - wahrscheinlich nicht. Ich würde dich bitten, mit mir zu kommen, aber in der Hecke könntest du keinen Monat überleben.«

»Ich weiß.«

»Tut mir leid.«

»Es macht nichts - ich meine, wir hatten eine wunderschöne Zeit miteinander. Paß auf dich auf in deiner Hecke. Und lege dich nicht mit den Füchsen an.«

»Nein. Lebe wohl, Leichtfuß.«

»Lebe wohl, Trödler.« Mit diesen Worten nahm Leichtfuß Gypsy in ihre Schnauze und huschte über die Wiese hinter den anderen her. Sie schaute noch einmal zurück, bevor sie das Gelobte Haus betrat.

Trödler stieß einen tiefen Seufzer aus und wandte sich nach Norden. In dieser Richtung vermutete er seine alte Hecke. Er war sich zwar nicht ganz sicher, daß sie dort lag, aber Sonne, Mond und Wind konnten ihm vielleicht den Weg nach Hause weisen.

Er war traurig wegen Leichtfuß, konnte und wollte aber in keinem Haus mehr leben. Als Landmaus mußte er zu seinen Wurzeln zurückkehren. Weißdorn und Schwarzdorn riefen nach ihm. Er wollte mit dem Geruch von Habichtskraut und Knoblauchsrauke in der Nase aufwachen. Er wollte im nächsten Frühling die Rotschwanzhummel sehen, die Maurerwespe und den Totengräberkäfer. Er wollte sein altes Nest unter dem breitblättrigen Ampfer beziehen, gleich neben den Larven des Maikäfers und den Puppen des braungeränderten Ochsenauges.

Er würde Leichtfuß einige Stunden vermissen, doch Mäuse blieben nur selten ein Leben lang zusammen. Dennoch würden sie einander nie vergessen. Leichtfuß war ein Teil von ihm und er ein Teil von ihr. Dieser Gedanke würde ihn bis ans Ende seines Lebens begleiten.

Quark

Die Nacht war beinahe zu Ende. Tinker, der alte Heckenmäu-serich, sammelte eifrig frisches Stroh für sein Nest. Da in den frühen Morgenstunden ein Sturm getobt hatte, bei dem ein wenig Wasser in den Bau eingedrungen war, mußte die durchnäßte Polsterung ersetzt werden. Tinker freute sich nicht gerade über die zusätzliche Arbeit, doch sein Rheumatismus verlangte ein trockenes Bett.

Bei der Auswahl des Strohs gab er sich viel Mühe, denn zwischen den trockenen Halmen verbargen sich oftmals Disteln, auf die er im Bett gut verzichten konnte. Nichts war schlimmer, als von einem Stich im Rücken aufzuwachen. Er schätzte Behaglichkeit über alles. Als junger Mäuserich hätte er sich einfach zusammengerollt, doch wenn er jetzt aufwachte, fiel ihm das Wiedereinschlafen schwer.

Trotz seiner schlechten Augen entdeckte er einen brauchbaren Halm, knabberte ihn säuberlich ab und schleppte seinen Fund ins Nest.

»Wo willst du hin, Alter?« knurrte ein großer Gelbhals, der vor dem Eingang zu Tinkers Nest herumlungerte.

Tinker blieb seufzend stehen. Eine Horde junger Randalierer hatte den Bau heimgesucht. Sie faulenzten herum und nahmen sich, was sie brauchten, ohne danach zu fragen, wem es gehörte. Sie stahlen Futter, besetzten die schönsten Nester - eine wahre Plage.

»Ich mache nur mein Bett«, erklärte Tinker.

»Dann mach es schön bequem«, höhnte der Bursche.

Ein anderer stieß zu ihnen.

»Vielleicht möchten wir bald ein Nickerchen halten«, erklärte der erste.

»Nachdem wir bei Tageslicht unseren Spaß gehabt haben«, johlte der andere.

Tatsächlich feierten sie am hellen Tag, lärmten rücksichtslos und störten die anderen Mäuse beim Schlafen. Nachts, wenn die anständigen Mäuse Futter suchten und Nester bauten, schliefen sie natürlich. Ihr Treiben störte die Ruhe und Harmonie im Bau.

Nachdem er seinen Halm im Nest niedergelegt hatte, kehrte Tinker an die Oberfläche zurück und sammelte unter den Pöbe-leien der Jungmäuse weiter Nistmaterial. Auf dem Rückweg zum Nest entdeckte er eine einsame Gestalt, die zwischen den Riesennesseln den Graben entlangwankte. Diese Maus, die nicht mehr die jüngste zu sein schien, kam ihm irgendwie bekannt vor. Er hätte schwören mögen, daß sie seinem Vetter glich, der die Hecke vor über zweihundert Nächten verlassen hatte, um ein Haus in der Fremde aufzusuchen.

Plötzlich blieb der Wanderer stehen und schaute Tinker an. »Bist du es?« fragte er. »Tinker, mein Vetter?«

»Trödler?« fragte Tinker verblüfft. »Ich dachte, du wärst verschollen oder tot.«

Trödler blickte sich um. »Ich bin froh, wieder zu Hause zu sein.«

Tinker wurde ganz aufgeregt. »Bist du jemals ins Haus gelangt? Was hast du erlebt? Natürlich kursierten Geschichten und Gerüchte - Neuigkeiten dringen auch bis zur Hecke vor -aber wer glaubt schon daran? Ich meine, sie wurden von Wieseln verbreitet. Schieß los!«

»Ich bin ins Haus der Stämme gelangt. Allein das ist schon eine lange Geschichte. Doch das Erstaunlichste war der Heimweg zur Hecke, nachdem ich das Gelobte Haus gefunden hatte.«

»Das Gelobte Haus?«

»Es kommt mir vor, als sei alles in einer anderen Welt passiert. Du würdest nicht glauben, welche Abenteuer ich erlebt habe. Ich kann von Glück sagen, daß ich noch heil und gesund bin. Bin ich doch, oder?« Er schaute an sich hinunter.

Tinker sagte mit einem abwägenden Blick auf seinen Vetter: »Du siehst ganz passabel aus, bis auf ein paar verbogene Schnurrhaare. Und die Schwanzspitze fehlt. Wie ist denn das passiert? Du mußt mir alles erzählen - jede Einzelheit. Fang mit dem Haus der Stämme an - wie war es? Voller Nacktlinge?«

»Laß mich erst zur Ruhe kommen. Ich möchte mein altes Nest sehen ...«

Tinker lachte. »Dein altes Nest? Das ist schon lange besetzt. Zuerst ist ein Weibchen eingezogen, dann ein Männchen. Du lieber Himmel, wir konnten es doch nicht leerstehen lassen! Wer hätte geahnt, daß du eines Tages wieder auftauchst?«

»Niemand natürlich«, erwiderte Trödler ein wenig verwirrt. »Dann gehen wir eben in dein Nest. Vielleicht kannst du mich für ein paar Stunden aufnehmen, bis ich etwas Eigenes gefunden habe. Zunächst jedoch muß ich noch etwas erledigen.«

Tinker wartete beim Bau. Trödler nahm einen Schluck Wasser aus dem Graben und suchte nach der Hagebutte, die er vor so vielen Nächten bei seinem Abschied vergraben hatte. Zuerst konnte er die Stelle nicht finden, entdeckte sie nach einigem Suchen aber doch.

Zu seiner Freude sproß ein Schößling aus der Erde, ein sicheres Willkommenszeichen. Dieses neue Leben bedeutete auch, daß er, Trödler, einen neuen Zweig in die unsterbliche Hecke geflochten hatte. Er hatte seinen Teil zu der Welt beigetragen, in der er lebte, und eines Tages würde hier eine Heckenrose blühen und untrennbar mit ihr verbunden sein. Er spuckte das Wasser auf die neue Pflanze und kehrte zu Tinker zurück.

Dieser stand am Eingang zum Bau. Zwei fette junge Mäuseriche lagen in seiner Nähe und starrten Trödler unverschämt entgegen. Zweifellos hatten sie ihn beim Gießen des Heckenrosenschößlings beobachtet.

»Was glaubst du eigentlich, wer du bist, Wasserschnauze?« grollte der größere Gelbhals. »Ich könnte einfach hingehen und mir diesen saftigen Sproß als Abendessen holen. Was sagst du dazu?«

Trödler schaute Tinker an. Dessen Gesichtsausdruck verriet ihm, daß es mit dem Bau nicht zum Besten stand. »Ich sage, das würde mich sehr, sehr wütend machen«, entgegnete Trödler laut und deutlich.

»Ach ja?« meinte der andere. »Noch etwas. Du glaubst wohl, du könntest einfach so in unseren Bau marschieren -«

Trödler sprang blitzartig und äußerst flink für sein Alter los und packte die größere Maus an der Kehle. Der Angriff kam so plötzlich, daß er die Randalierer völlig überrumpelte. Der Gelbhals rollte sich sofort auf den Rücken und starrte Trödler entsetzt an. Dieser ließ ihn los und packte den zweiten an der Schwanzwurzel. Der Gelbhals heulte vor Schmerz. Zufrieden ließ Trödler los, trat neben seinen Vetter und schaute die Randalierer prüfend an.

Weitere übermütige Gelbhälse tauchten aus dem Bau auf, blieben aber bei dem Anblick wortlos und mit erhobener Nase stehen.

»Ich heiße Trödler«, verkündete der heimgekehrte Held. »Ihr solltet euch meinen Namen merken. Auf andere Bezeichnungen höre ich nämlich nicht. Wenn ihr mir einen anderen Namen anhängt, kann ich sehr, sehr wütend werden . Da wäre noch etwas. Dieser Schößling ist eine heilige Pflanze, und wir wissen doch, was mit Mäusen passiert, die heilige Pflanzen fressen, oder nicht? Sie leiden unter schrecklichen Alpträumen, in denen sie der Herr dieser Pflanze heimsucht.«

Die beiden Randalierer hatten erkannt, daß sie einer ernsthaften Verletzung oder dem Tod nur knapp entronnen waren, und schwiegen. Dieser Trödler zeigte nicht die geringste Furcht vor ihnen. Da sie nur mit Hilfe der Angst den Bau beherrscht hatten, war ihre Zeit vorüber. Mit Trödler war wirklich nicht zu spaßen.

Trödler wandte sich an die Randalierer. »Ihr solltet euch schleunigst einen anderen Bau suchen. Wenn ich euch noch einmal in dieser Gegend rieche, weiß ich, daß ihr lebensmüde seid.« Er zuckte die breiten Schultern und wandte sich ab. »Und jetzt gehen wir in dein Nest, Tinker ...«

»Woher weißt du, daß sie dich nicht angreifen?« flüsterte Tinker. »Du hast ihnen den Rücken gekehrt.«

»Weil ich sie zu Tode erschreckt habe«, murmelte Trödler. »Sie sind völlig verwirrt. Sie wissen nicht, wer ich bin und wo ich herkomme, das hat mir genützt. Es hat gar nichts mit Stärke zu tun, sondern mit dem Geheimnis alles Fremden. Entweder verschwinden sie, oder sie bitten mich um Verzeihung - jedenfalls haben sie den Respekt vor ihrem Anführer verloren.«

»Er könnte dich auch zum Zweikampf fordern.«

»Den würde er verlieren«, sagte Trödler nachdrücklich. »Und er weiß es auch.«

»Ich bin tief beeindruckt«, erklärte Tinker erfreut.

»Das solltest du nicht sein. Solche Schläger gehören leider zum Leben. Na ja, das Haus der Stämme war schon aufregend und das Gelobte Haus nicht zu verachten, aber der Rückweg erst - eine wahre Odyssee! Ich werde dir alles erzählen ... Aber zuerst muß ich etwas fressen, frisches Stroh für mein Nest sammeln, es mir gemütlich machen - und dann werde ich dir alles erzählen .«

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