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Ich kreischte aus vollem Halse in der Dunkelheit und zerrte meinen Fuß vom Drahtgeflecht zurück, das mich umgab. Ich hatte versehentlich das Bein gegen das Gitter gedrückt und spürte jetzt, daß ich am Fußgelenk blutete; die Wunde schmerzte. Ich versuchte meinen rechten Fuß gegen die Wunde zu drücken, um die Blutung zu stillen. Ich sah die blitzenden Augen der langhaarigen Schiff-Urt auf der anderen Seite des Gitters.

»Laßt mich raus!« rief ich. »Laßt mich raus!«

Manchmal gelingt es einer Urt, sich durch das Drahtgitter oder durch eine der senkrechten Käfigtüren zu beißen. Das gefangene Mädchen ist dem widerlichen Tier dann hilflos ausgeliefert.

»Sei doch still!« sagte ein Mädchen aus dem Nachbarkäfig. Ich konnte sie in der Dunkelheit nicht sehen.

Ich versuchte still zu sein. Angewidert wand ich mich auf dem primitiven Holzboden des Käfigs.

Ich hatte darum gefleht, in einen Deckskäfig gesteckt zu werden. Dabei handelte es ich um kleine Käfige, die in frischer Luft an Deck eines Sklavenschiffes festgemacht waren. Dieses Schiff jedoch war klein und verfügte über nur zwanzig solcher Käfige, die mittschiffs in zwei Doppelreihen angeordnet waren. Der Kapitän aber hatte mich nur angesehen und den Befehl gegeben, mich im Laderaum einzusperren.

Der Laderaum enthielt acht Sklavenplattformen, jede mit sechs Reihen. Diese Plattformen waren durch schmale Gänge getrennt. In jeder Plattform-Etage befanden sich fünf Mädchen, insgesamt also zweihundertundvierzig. Jeder Käfig war von engen Drahtmaschen umgeben, besaß einen Holzboden und eine Holzdecke, die zugleich der Boden des darüberlie genden Käfigs war. Die Mädchen konnten in den Käfigen, die an Kopf- und Fußende jeweils eine Luke hatten, nur liegen. Die winzigen Abteile waren nur etwa fünfundzwanzig Zoll breit, achtzehn Zoll hoch und gut sechs Fuß lang. Ich befand mich in der vierten Etage.

Plötzlich wurde die senkrechte Klappe hinter mir aufgehakt und geöffnet. Ich hob den Kopf.

»Herr«, sagte ich. Aber ich brachte kein weiteres Wort heraus, denn schon wurde mir der Schnabel des Wassersacks zwischen die Zähne gestoßen, und ich mußte trinken.

Als der Schnabel zurückgezogen wurde, versuchte ich von neuem zu sprechen. Doch eine schwere Hand schob mir Brot in den Mund, Sa-Tarna-Brot in Krusten.

Dann ging er zum nächsten Käfig, wo meine Nachbarin auf gleiche Weise versorgt wurde.

Nach kurzer Zeit würde er zurückkehren, um meine Mahlzeit mit einem zweiten Schluck Wasser, einem Löffel Salz und einer Scheibe der bitteren Tospitfrucht zu beenden. Ich gab mir größte Mühe, mich nicht zu verschlucken, und kaute mühsam die harten Brotbrocken, mit denen mir der Mund vollgestopft worden war.

Und wieder hörte ich den Mann hinter meinem Kopf. Zu sehen bekam ich ihn nie. Nach dem zweiten Schluck Wasser flüsterte ich hastig: »Bitte, Herr, darf ich etwas sagen?«

»Ja.«

»Nimm mich aus dem Käfig«, bat ich. »Laß mich an Deck gehen. Dafür tue ich alles!«

»Als Sklavin bleibt dir auch gar nichts anderes übrig!« sagte er.

»Ja, Herr«, antwortete ich bedrückt.

»Den Mund auf!« befahl er.

»Nimm mich«, flehte ich, »wenn das nächstemal ein Mädchen aus dem Laderaum die Seeleute erfreuen soll!«

»Nein, mich!« rief das Mädchen von nebenan.

»Ich bin eine Vergnügungssklavin!« sagte ich.

»Ich auch!« rief das Mädchen zu meiner Linken.

Ich spürte den Löffel an meinen Lippen: gleich darauf wurde mir Salz in den Mund geschüttet.

»Ihr alle kommt an die Reihe«, sagte der Mann. »Jede darf einmal eine halbe Ahn an Deck verbringen.«

»Vielen Dank, Herr«, sagte ich. Dann wurde mir die Tospitscheibe in den Mund geschoben. Das Gatter hinter mir knallte zu. Ich biß in die bittere, aber saftige Frucht, eine Köstlichkeit, die ich genoß, so lange es ging. Ich kaute noch darauf herum, als die Mahlzeit beendet war und die Luke des Laderaums wieder geschlossen wurde. Absolute Dunkelheit umgab uns. Ich warf den Kopf in den Nacken und genoß den Wind und das Sonnenlicht. Die Frische der Luft kam mir unglaublich vor, die Winde des Thassa unvorstellbar, die Helligkeit des Himmels märchenhaft.

Am Morgen war ich zusammen mit anderen Mädchen aus dem Käfig geholt worden, um mit Lappen und Eimer die Gänge zwischen den Sklavenplattformen sauberzumachen. Dabei war mir mehrmals so schlecht geworden, daß ich nicht weiterarbeiten konnte. Zweimal hatte mich die Peitsche wieder angetrieben. Mit vier anderen Mädchen leerte ich anschlie ßend die Bilge, die sich in der Mitte unter dem Laderaum befindet, unter einem losen Holzgitter.

Später hatten wir an Deck steigen dürfen, um die Eimer auszuleeren. Danach durften wir uns mit Seewasser reinigen. Zum Glück hatte man uns sämtliche Haare abrasiert, damit wir von Läusen verschont blie ben, da war die Reinigung besonders einfach. Schließlich wurden wir einige Minuten an Deck angebunden und durften hier verweilen.

Tellius, der Helfershelfer der Lady Elicia aus Ar, hatte mich mit einem Tarn nach Schendi gebracht. Die ser berüchtigte Hafen ist die Basis der bekannten schwarzen Sklavenhändler von Schendi, einer Organisation, die für ihre grausamen Piratenakte bekannt ist; zugleich ist die Stadt aber ein Freihafen unter der Verwaltung schwarzer Kaufleute, ein Hafen, der im Hinblick auf seine nördlichen Binnenmärkte stark frequentiert wird. Man nimmt an, daß zwischen den Kaufleuten Schendis und den Angehörigen der Liga schwarzer Sklavenhändler ein Bündnis besteht – eine Vermutung, die man in Schendi aber nicht offen äußern darf. Der Beweis hierfür scheint zu sein, daß die schwarzen Sklavenhändler alle Schiffe, die Schendi anlaufen oder verlassen, von ihren Räubereien ausnehmen. Sie arbeiten im allgemeinen weiter im Norden und betrachten Schendi als Heimathafen.

Das Schiff, auf dem ich mich befand, war das Frachtschiff Wolke von Telnus, in Cos registriert, doch mit Schiffsdokumenten, die ihm das Anlaufen von Schendi-Gewässern gestatteten. An der breitesten Stelle maß das Schiff etwa zwanzig Fuß und war insgesamt hundertundzwanzig Fuß lang. Es verfügte über zwei Masten mit stehender Takelage. Zugleich war es mit Rudern ausgerüstet, die aber vorwiegend nur im Hafengebiet verwendet wurden.

Das Rundschiff verläßt sich im Gegensatz zum Langschiff oder Kriegsschiff in erster Linie auf seine Segel. Die Wolke von Telnus galt als mittelgroßes Schiff. Die tiefen Laderäume konnten mehrere Tonnen aufnehmen. Abgesehen von den elenden Verhältnissen im Laderaum hielt ich es für ein schönes Schiff, das unter vollen Segeln ein besonders anmutiges Bild bot.

Telnus, unser Ziel, ist die Hauptstadt der Insel Cos, eines der beiden größten See-Ubarate auf dem Planeten. Cos liegt nördlich von Tyros und westlich von Port Kar, einer Stadt, die sich im Tamber-Golf befindet, unmittelbar südlich vom Voskdelta. Auf Cos gibt es vier große Städte – Telnus, Salnar, Temos und Jad. Telnus ist die größte und verfügt über den besten Hafen. Der Ubar von Cos ist Lurius aus der Stadt Jad. Die Hauptstadt Tyros’, des anderen großen Meeresubarats, ist Trentium. Der hier herrschende Ubar heißt Chendar. Er stammt aus Kasra und wird überall der Meeressleen genannt. Vor einigen Jahren legten Tyros und Cos zum Kampf gegen Port Kar ihre Flotten zusammen, wurden aber in einer großen Seeschlacht geschlagen. Port Kar fehlte es später an Macht und Schiffsraum, um nach diesem Sieg durchzugreifen; so befanden sich Cos und Tyros nach wie vor im Kriegszustand mit Port Kar.

Das Deck unter meinen Knien fühlte sich weich und glatt an. Die Planken waren mit Deckssteinen abgeschabt, dann gewässert und erneut geschrubbt worden. Für diese Arbeit waren die Mädchen aus den Deckskäfigen zuständig.

Ich starrte auf das Meer hinaus. Der Himmel war hell.

Ich hörte den Mann im Ausguck rufen, der sich auf dem höheren, dem hinteren der beiden Mäste befand. Er meldete ein Segel und seine Position. Von Deck aus war nichts zu erkennen. Männer eilten zur linken Seite des Schiffes, einige stiegen in die Wanten. Der Kapitän gab Befehle.

Die beiden Männer an den Hecksteuerrudern ließen das Schiff nach rechts schwingen.

Männer eilten zu den Bänken und ließen Ruder durch die Öffnungen in der Schiffsflanke gleiten; die Ruder setzten sich im Gleichtakt in Bewegung.

Männer rannten herum. Einige kümmerten sich um die Takelage. Andere banden lose Gegenstände an Deck fest. Waffen wurden ausgegeben; Sand und Wasser bereitgestellt. Luken wurden geschlossen und gesichert.

Mir war bekannt, daß viele Schiffe das Thassa befuhren, darunter auch Piratenschiffe. Man hatte mir erzählt, daß sich Cos und Ar wegen der Voskpiraten im Kriegszustand befänden. Ar aber besaß keine Marine, allenfalls eine Flotte von Flußschiffen, die den Vosk bewachten. Das fremde Schiff konnte natürlich aus Port Kar oder einem der nördlichen Häfen kommen, vielleicht sogar aus Torvaldsland.

»Schafft die Sklavinnen unter Deck!« rief ein Offizier.

Ich und die anderen Mädchen, die gleichzeitig mit mir an Deck verweilen durften, wurden an den Armen gepackt und über das Deck gezerrt. Die Luke zum Laderaum wurde aufgerissen. Zu meinem Entsetzen sah ich, wie meine Leidensgenossinnen einfach die Leiter hinabgestoßen wurden. Meine Proteste nützten nichts – ich wurde ebenfalls in die Öffnung gestoßen und stürzte in die Tiefe. »Nein!« schrien andere Stimmen über uns, aber den Mädchen aus den Deckskäfigen erging es nicht besser. Sie wurden ebenfalls zur Luke gezerrt und in den Laderaum verbannt.

»Was für ein Geruch!« rief eine und rümpfte die Nase. Aber schon erhielt sie einen Stoß und landete am Fuß der Leiter. Zwanzig Mädchen kamen auf diese Weise zu uns in den Laderaum. Dann wurde die schwere Luke verschlossen und verriegelt.

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