Schwein

I

Vor langen Jahren begab es sich, dass in der Stadt New York ein reizender kleiner Junge zur Welt kam, dem die Eltern den Namen Lexington gaben. Kaum war die Mutter mit Lexington in den Armen aus der Klinik in ihr Heim zurückgekehrt, da sagte sie zu ihrem Mann: «Liebling, heute musst du unbedingt mit mir ausgehen. Wir werden in dem allerbesten Restaurant essen, um die Geburt unseres Sohnes und Erben zu feiern.»

Ihr Mann umarmte sie zärtlich und versicherte ihr, dass eine Frau, die ein so schönes Kind wie Lexington zur Welt gebracht habe, durchaus berechtigt sei, einen solchen Wunsch zu äußern. Und dann erkundigte er sich, ob sie denn schon kräftig genug sei, spätabends in der Stadt herumzulaufen.

Nein, sagte sie, das nicht, aber darum kümmere sie sich kein bisschen.

Am Abend warfen sie sich also in Gala, ließen den kleinen Lexington in der Obhut einer ausgebildeten Kinderpflegerin, die sie täglich zwanzig Dollar kostete und obendrein aus Schottland stammte, und gingen in das feinste und teuerste Restaurant der Stadt. Dort aßen sie jeder einen riesigen Hummer und teilten sich eine Flasche Champagner. Dann zogen sie in einen Nachtclub, wo sie eine zweite Flasche Champagner tranken und ein paar Stunden Hand in Hand sitzen blieben, um mit höchster Bewunderung über sämtliche körperlichen Vorzüge ihres entzückenden neugeborenen Sohnes zu sprechen. Gegen zwei Uhr morgens kehrten sie zu ihrem Haus im östlichen Manhattan zurück. Der Mann bezahlte den Taxichauffeur und fing dann an, in seinen Taschen nach dem Hausschlüssel zu suchen. Nach einer Weile wurde ihm klar, dass er ihn in der Tasche seines anderen Anzugs vergessen hatte, und er schlug vor zu läuten, damit die Kinderpflegerin herunterkäme. Eine Nurse für zwanzig Dollar täglich müsse darauf gefasst sein, gelegentlich nachts aus dem Bett geholt zu werden, fügte er hinzu.

Er klingelte also. Sie warteten. Nichts geschah. Der Mann läutete noch einmal, lange und laut. Sie warteten wieder eine Minute. Schließlich stellten sie sich mitten auf die Straße und riefen den Namen der Nurse (McPottle) zu den Fenstern des Kinderzimmers im dritten Stock hinauf. Keine Antwort. Das Haus blieb dunkel und stumm. Die Frau machte sich Sorgen. Dort oben war ihr Baby eingesperrt. Allein mit McPottle. Und wer war McPottle? Man hatte sie erst seit zwei Tagen und wusste kaum mehr von ihr, als dass sie schmale Lippen, einen missbilligenden Blick, einen gestärkten Busen und offenbar einen für ihren Beruf viel zu festen Schlaf hatte. Wenn sie die Haustürglocke nicht hörte, wie konnte sie dann erwarten, ein Baby schreien zu hören? Vielleicht hatte das arme Würmchen in eben diesem Augenblick seine Zunge verschluckt oder war in seinem Kissen erstickt.

«Er hat ja gar kein Kissen», erwiderte der Mann. «Du brauchst dich wirklich nicht aufzuregen. Aber wenn du hineinwillst – bitte sehr, das schaffen wir schon.» Nach all dem Champagner war er glänzender Laune. Er bückte sich, band einen seiner Lackschuhe auf und zog ihn aus. Dann packte er ihn an der Spitze und warf ihn mit kräftigem Schwung durch die Fensterscheibe des Esszimmers im Erdgeschoss.

«Na also», sagte er grinsend. «Das ziehen wir McPottle vom Lohn ab.»

Er ging hin, griff sehr vorsichtig durch das Loch im Glas, öffnete den Riegel und schob das Fenster auf.

«So, jetzt werde ich dich hineinheben, Mütterchen», erklärte er, nahm seine Frau um die Taille und hob sie hoch. Das brachte ihre schwellenden roten Lippen sehr nah an seinen Mund, und er fing an, sie zu küssen. In dieser Stellung mit baumelnden Beinen und im Übrigen unfähig, sich zu rühren, lassen sich Frauen sehr gern küssen, das wusste er aus Erfahrung, und deshalb blieb er eine Weile dabei, während sie mit den Füßen strampelte und glucksende Laute ausstieß. Schließlich drehte er sie um und schickte sich an, sie behutsam durch das offene Fenster ins Esszimmer zu schieben. In diesem Augenblick näherte sich auf der Straße geräuschlos ein Streifenwagen der Polizei. Er hielt etwa dreißig Schritte vom Haus entfernt, drei Polizisten irischer Abstammung sprangen heraus, zogen ihre Revolver und rannten auf das Ehepaar zu.

«Hände hoch!», riefen sie. «Hände hoch!» Diesem Befehl konnte der Mann jedoch unmöglich folgen, ohne seine Frau loszulassen, und hätte er das getan, so wäre sie entweder auf das Pflaster gestürzt oder teils innerhalb, teils außerhalb des Hauses hängen geblieben, was für eine Frau eine höchst unbequeme Stellung ist. Also fuhr er ritterlich fort, sie hochzustemmen. Die Polizisten, die alle schon Medaillen für das Töten von Verbrechern bekommen hatten, eröffneten sofort das Feuer, und obwohl sie im Laufen schossen und obwohl ihnen die Frau nur ein sehr kleines Ziel bot, brachten sie es fertig, jeden Körper mehrmals zu treffen – was in beiden Fällen tödlich wirkte.

So geschah es, dass der kleine Lexington bereits im Alter von zwölf Tagen Waise wurde.

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