Der Weltmeister

Den ganzen Tag – das heißt, soweit die Kunden uns Zeit dazu ließen – hatten wir im Büro der Tankstelle am Tisch gehockt und die Rosinen präpariert. Sie waren dick und weich, weil sie in Wasser gelegen hatten, und wenn man sie mit einer Rasierklinge ritzte, sprang die Haut auf, und das gelbe Fleisch quoll heraus. Alles ging so glatt, wie man es nur wünschen konnte.

Aber es handelte sich um insgesamt hundertsechsundneunzig Stück, und so wurden wir erst am späten Nachmittag fertig.

«Sehen sie nicht herrlich aus?», rief Claud und rieb sich die Hände. «Wie spät ist es, Gordon?»

«Kurz nach fünf.»

Durch das Fenster sahen wir einen Kombiwagen an den Pumpen vorfahren. Er wurde von einer Frau gelenkt, und hinten saßen acht oder neun Kinder, die Eis schleckten.

«Wir müssen bald aufbrechen», sagte Claud. «Die ganze Geschichte wird ein Reinfall, wenn wir nicht vor Sonnenuntergang draußen sind, das ist dir wohl klar.» Zweifellos, er fing an, nervös zu werden. Sein Gesicht hatte den gleichen aufgeregten, etwas glotzäugigen Ausdruck wie vor einem Hunderennen oder einem abendlichen Rendezvous mit Clarice.

Wir gingen beide hinaus, und Claud gab der Frau so viele Gallonen Benzin, wie sie verlangte. Als sie fort war, blieb er mitten auf dem Fahrweg stehen und blinzelte besorgt zu der Sonne hinauf, die nur noch eine Handbreit von der Baumlinie des Hügelrückens auf der anderen Talseite entfernt war.

«Schön», sagte ich, «schließ ab.»

Er ging rasch von Pumpe zu Pumpe und befestigte jeden Schlauch mit einem kleinen Vorhängeschloss am Halter.

«Diesen gelben Pullover solltest du lieber ausziehen», meinte er.

«Warum denn?»

«Weil du sonst im Mondschein wie ein verdammter Leuchtturm wirkst.»

«Es wird schon gehen.»

«Wird es nicht», widersprach er. «Tu mir den Gefallen, Gordon, zieh ihn aus. Wir treffen uns in drei Minuten.» Er verschwand in seinem Wohnwagen hinter der Tankstelle, und ich ging hinein, um meinen gelben Pullover mit einem blauen zu vertauschen.

Als ich zurückkam, hatte Claud schwarze Hosen an und einen dunkelgrünen Sweater mit Rollkragen. Auf dem Kopf trug er eine braune Stoffmütze, deren Schirm er tief in die Stirn gezogen hatte. Er sah aus wie ein Apachendarsteller aus einem Nachtclub.

«Was hast du da drunter?», fragte ich und deutete auf einen Wulst um seine Hüften.

Er zog den Sweater hoch und zeigte mir zwei schmale, aber sehr lange, weiße Baumwollsäcke, die fest um seinen Bauch gebunden waren. «Für den Transport», antwortete er in geheimnisvollem Ton.

«Aha.»

«Gehen wir», sagte er.

«Ich bin noch immer dafür, den Wagen zu nehmen.»

«Viel zu riskant. Man würde ihn stehen sehen.»

«Bis zum Wald sind’s aber reichlich drei Meilen.»

«Ja», bestätigte er. «Die Sache ist nur so, dass wir jeder sechs Monate ins Kittchen kommen, wenn sie uns erwischen.»

«Davon hast du mir gestern nichts gesagt.»

«Nein?»

«Ich gehe nicht mit», erklärte ich. «Das lohnt sich nicht.»

«Ach was, der Spaziergang wird dir guttun, Gordon. Komm nur.»

Es war ein stiller, sonniger Abend. Kleine, leuchtend weiße Wolkenstreifen hingen unbeweglich am Himmel, und das Tal war kühl und sehr ruhig, als wir am Grasrand der Straße entlangwanderten, die zwischen den Hügeln nach Oxford führt.

«Hast du die Rosinen?», fragte Claud.

«Ja, in der Tasche.»

Zehn Minuten später bogen wir von der Hauptstraße nach links ab, und nun ging es auf einem schmalen Weg zwischen hohen Hecken bergan.

«Wie viele Wildhüter sind dort?», erkundigte ich mich.

«Drei.»

Claud warf seine halb aufgerauchte Zigarette weg und zündete sich sofort eine neue an.

«Im Allgemeinen bin ich nicht für neue Methoden zu haben», sagte er. «Jedenfalls nicht bei so was.»

«Natürlich.»

«Aber bei Gott, Gordon, ich glaube, diesmal wird’s ein Treffer.»

«Meinst du?»

«Gar keine Frage.»

«Hoffentlich hast du recht.»

«Wir werden einen neuen Meilenstein in der Geschichte des Wilderns errichten», schwärmte er. «Aber du darfst keiner Menschenseele erzählen, wie wir’s angefangen haben, verstehst du? Denn wenn das durchsickert, wird’s jeder Dummkopf in der Gegend ebenso machen, und dann bleibt nicht ein Fasan übrig.»

«Kein Wort verrate ich.»

«Du kannst sehr stolz auf dich sein», fuhr er fort. «Jahrhundertelang haben sich kluge Männer mit diesem Problem beschäftigt, und keiner von ihnen ist jemals auf eine Idee gekommen, die auch nur halb so schlau war wie deine. Warum hast du mir nicht schon eher davon erzählt?»

«Du hast mich nie nach meiner Meinung gefragt», erwiderte ich.

Und so war es. Bis zum Tage zuvor hatte Claud nie mit mir über das geheiligte Thema, nämlich das Wildern, gesprochen. Oft genug hatte ich an Sommerabenden beobachtet, wie er nach getaner Arbeit mit der Mütze auf dem Kopf aus seinem Wohnwagen schlüpfte und in Richtung der Wälder verschwand. Wenn ich ihm vom Bürofenster aus nachschaute, hatte ich mich mitunter gefragt, was er wohl vorhabe, was für hinterlistige Streiche er dort oben im stockdunklen Wald verüben wolle. Selten kam er vor Mitternacht zurück, und nie, schlechterdings nie, brachte er bei seiner Heimkehr Beute mit. Und doch – ich hatte keine Ahnung, wie er das machte – hing am nächsten Tag immer etwas zu essen in unserer Vorratskammer – ein Fasan, ein Hase oder ein Paar Rebhühner.

In diesem Sommer war Claud besonders rührig gewesen, und in den letzten beiden Monaten hatte er sein Tempo derart gesteigert, dass er wöchentlich vier oder fünf solcher Ausflüge unternahm. Und das war noch nicht alles. Mir schien, dass sich seine Einstellung zum Wildern neuerdings auf eine subtile, mysteriöse Weise verändert hatte. Er kam mir so zielbewusst, verschlossen, ja verbissen vor wie noch nie, und ich hatte den Eindruck, es handle sich nicht mehr um eine Spielerei, sondern um einen Kreuzzug, um eine Art Privatkrieg, den Claud ganz allein gegen einen unsichtbaren, verhassten Feind führte.

Aber gegen wen?

Ich war meiner Sache nicht sicher, hatte jedoch den Verdacht, es sei kein anderer als Mr. Hazel, der berühmte Mr. Victor Hazel, dem die Wälder und die Fasanen gehörten. Dieser Herr, der Besitzer einer großen Brauerei, zeichnete sich durch unglaubliche Arroganz aus und war über alle Maßen reich. Seine Ländereien erstreckten sich meilenweit auf beiden Seiten des Tales. Er war ein Selfmademan ohne jeglichen Charme und mit bemerkenswert wenigen Vorzügen, verachtete alle Menschen in untergeordneter Stellung, obgleich er selbst einmal zu ihnen gehört hatte, und machte verzweifelte Anstrengungen, in jene Gesellschaftskreise zu gelangen, die er für die richtigen hielt. Er veranstaltete Parforcejagden, gab große Jagdgesellschaften, trug phantastische Westen und fuhr an jedem Wochentag auf dem Weg zur Fabrik in seinem riesigen schwarzen Rolls-Royce an unserer Tankstelle vorüber. Manchmal erspähten wir dann für einen Moment über dem Lenkrad sein feistes, glänzendes Brauergesicht, rot wie ein Schinken, aufgedunsen und erhitzt von übermäßigem Biergenuss.

Um auf Claud zurückzukommen – tags zuvor hatte er ganz unvermittelt zu mir gesagt: «Ich gehe heute Abend wieder in Hazels Wälder hinauf. Willst du mich nicht begleiten?»

«Ich?»

«Für dieses Jahr wird’s dann wohl aus sein mit Fasanen», fügte er hinzu. «Die Jagd wird am Sonnabend eröffnet, und später sind die Vögel in alle Winde verstreut – sofern welche übrig bleiben.»

«Warum diese plötzliche Einladung?», fragte ich misstrauisch.

«Kein besonderer Grund, Gordon. Gar keiner.»

«Ist es gefährlich?»

Darauf gab er mir keine Antwort.

«Ich nehme an, du hast da oben eine Flinte oder so was versteckt?»

«Eine Flinte!», rief er entsetzt. «Kein Mensch schießt Fasanen, weißt du das nicht? In Hazels Wäldern brauchst du nur eine Kinderpistole abzufeuern, und schon fallen die Wildhüter über dich her.»

«Wie machst du’s denn sonst?»

«Ach», sagte er nur und senkte geheimnistuerisch die Lider. Erst nach längerem Schweigen sprach er weiter. «Traust du dir zu, dass du den Mund halten kannst, wenn ich dir das eine oder andere erzähle?»

«Ganz entschieden.»

«Noch nie in meinem Leben habe ich jemandem ein Wort davon gesagt, Gordon.»

«Ich fühle mich sehr geehrt», antwortete ich. «Du kannst dich vollständig auf mich verlassen.»

Er wandte den Kopf und blickte mich mit seinen blassen Augen an. Sie waren groß und feucht wie die eines Ochsen und so dicht vor mir, dass ich im Zentrum, verkehrt herum gespiegelt, mein Gesicht sah.

«Ich werde dir jetzt die drei besten Arten der Welt schildern, Fasanen ohne Flinte zu erlegen», begann er. «Und da du auf diesem kleinen Spaziergang mein Gast bist, darfst du bestimmen, wie wir es heute machen wollen. Einverstanden?»

«Dahinter steckt etwas.»

«Nichts steckt dahinter, Gordon. Ich schwöre.»

«Gut. Also weiter.»

«Pass auf», fuhr er fort, «hier kommt das erste große Geheimnis.» Er hielt inne, um kräftig an seiner Zigarette zu ziehen. «Fasanen», flüsterte er, «sind wild auf Rosinen.»

«Rosinen?»

«Auf gewöhnliche Rosinen. Das ist bei ihnen geradezu eine Manie. Mein Vater hat das vor mehr als vierzig Jahren entdeckt. Und er hat auch alle drei Methoden entdeckt, die ich dir jetzt beschreiben werde.»

«Hast du nicht mal gesagt, dass dein Vater ein Säufer war?»

«Allerdings. Aber er war auch ein großer Wilderer, Gordon. Vielleicht der größte, den es je in der Geschichte Englands gegeben hat. Mein Vater studierte das Wildern wie eine Wissenschaft.»

«Tatsächlich?»

«Es ist mein Ernst, Gordon. Mein voller Ernst.»

«Ich glaub dir’s ja.»

«Weißt du», erzählte er weiter, «mein Vater hielt immer eine Schar junger Hähne auf unserem Hof. Nur zu Versuchszwecken.»

«Hähne?»

«Ganz recht. Und sooft er sich etwas Neues ausgedacht hatte, um Fasanen zu fangen, probierte er die Wirkung zuerst an einem Hahn aus. Auf diese Weise hat er die Sache mit den Rosinen entdeckt. Und auch die Rosshaarmethode.» Claud warf einen raschen Blick über die Schulter, als wollte er sich vergewissern, dass uns niemand belauschte. «Man macht das so», erklärte er. «Zuerst legt man ein paar Rosinen über Nacht in Wasser, damit sie hübsch rund und saftig werden. Dann nimmt man ein schönes steifes Rosshaar und schneidet es in fingernagellange Stücke. Darauf sticht man durch jede Rosine ein solches Stück Rosshaar, und zwar so, dass es rechts und links ein wenig herausschaut. Verstanden?»

«Ja.»

«Nun kommt also der alte Fasan und frisst eine von den Rosinen, nicht wahr? Du stehst hinter einem Baum und beobachtest das. Und wie geht’s weiter?»

«Ich nehme an, das Haar bleibt ihm in der Kehle stecken.»

«Selbstverständlich, Gordon. Aber das Erstaunliche, das, was mein Vater entdeckt hat, ist Folgendes: Sowie das geschieht, kann der Fasan nicht mehr die Füße heben. Er steht da wie angenagelt, steht da und bewegt seinen albernen Hals wie einen Pumpenschwengel auf und ab. Du brauchst nur noch aus deinem Versteck hervorzukommen und ihn in aller Ruhe mit den Händen zu packen.»

«Das glaube ich nicht.»

«Ich schwör’s dir», beteuerte er. «Hat ein Fasan erst mal das Rosshaar verschluckt, dann kannst du dicht an seinem Ohr ein Gewehr abfeuern, ohne dass er auch nur einen Sprung macht. Das ist eine von jenen unerklärlichen Kleinigkeiten, die zu entdecken es eines Genies bedarf.»

Er schwieg eine Weile, und in seinen Augen blitzte Stolz auf, während er sich der Erinnerung an seinen Vater, den großen Erfinder, überließ.

«Das war die Methode Nummer eins», fuhr er fort. «Methode Nummer zwei ist sogar noch einfacher. Man braucht dazu nur eine Angelschnur. Auf den Haken wird als Köder eine Rosine gesteckt, und dann kann man die Fasanen genau wie Fische angeln. Man wirft die Schnur weit aus, legt sich im Gebüsch auf den Bauch und wartet, bis einer anbeißt. Dann holt man ihn ein.»

«Das hat aber bestimmt nicht dein Vater erfunden.»

Claud zog es vor, meinen Einwurf zu überhören. «Diese Methode ist bei Sportanglern sehr beliebt. Vor allem bei solchen, die nicht so oft, wie sie möchten, an die Küste fahren können. Es verschafft ihnen etwas von der altgewohnten Spannung. Das Dumme ist nur, dass es ziemlichen Lärm macht. Wenn man die Schnur einholt, schreit der Fasan wie verrückt, und alle Wildhüter im Walde kommen angerannt.»

«Und wie ist die Methode Nummer drei?», fragte ich.

«Oh», antwortete er, «Nummer drei ist eine bildschöne Sache. Die letzte, die mein Vater vor seinem Tode noch erfunden hat.»

«Die Krönung seines Lebenswerkes, wie?»

«Genau das, Gordon. Ich kann mich noch deutlich an alles erinnern, sogar daran, dass es an einem Sonntag war. Stell dir vor, morgens kommt mein Vater plötzlich mit einem weißen Hahn unter dem Arm in die Küche und sagt: ‹Ich glaube, ich hab’s.» Er lächelt ein bisschen, in seinen Augen ist ein Schimmer von Stolz, er kommt sehr leise und ruhig herein, setzt den Vogel mitten auf den Küchentisch und sagt: ‹Bei Gott, diesmal ist die Sache goldrichtig.› Meine Mutter sieht von ihrem Abwasch auf und sagt: ‹Was ist goldrichtig? Nimm sofort den dreckigen Vogel von meinem Tisch, Horace.› Der Hahn hat einen komischen kleinen Papierhut auf dem Kopf, wie eine umgekehrte Waffeltüte für Eis, und mein Vater zeigt stolz mit dem Finger darauf. ‹Streichle ihn›, sagt er zu mir. ‹Er wird sich nicht vom Fleck rühren.› Der Hahn versucht, mit dem Fuß den Papierhut herunterzukratzen, aber der sitzt fest, als wäre er angeleimt. ‹Kein Vogel in der Welt läuft weg, wenn man ihm die Augen verdeckt›, erklärt mein Vater. Er stößt den Hahn mit dem Finger, pufft ihn und knufft ihn, ohne dass der Vogel im Geringsten Notiz davon nimmt. ‹Den kannst du haben›, sagt er zu Mutter, ‹schlachte ihn und tische ihn uns zur Feier der Erfindung auf, die ich soeben gemacht habe.› Damit packt er mich am Arm, läuft mit mir hinaus, und schon marschieren wir über die Felder zu dem großen Wald von Haddenham, der früher dem Herzog von Buckingham gehört hat. In weniger als zwei Stunden hatten wir fünf schöne, fette Fasanen gefangen, und zwar ohne jede Mühe. War ebenso einfach, wie sie im Laden zu kaufen.»

Claud hielt inne, um Atem zu schöpfen. Seine Augen waren groß, feucht und träumerisch von dem Rückblick in die Wunderwelt seiner Jugend.

«Etwas begreife ich aber nicht», sagte ich. «Wie hat er den Fasanen im Wald die Papierhüte auf den Kopf stülpen können?»

«Das wirst du nie erraten.»

«Bestimmt nicht.»

«Nun, die Sache ist so. Zuerst gräbt man ein kleines Loch in die Erde, dann dreht man aus einem Stück Papier eine Tüte, stellt sie mit der Spitze nach unten in das Loch, bestreicht das Innere der Tüte mit Vogelleim und tut ein paar Rosinen hinein. Auf der Erde legt man einen Streifen Rosinen aus, der zu dem Tütchen hinführt. Der alte Fasan folgt pickend der Spur, und wenn er an das Loch kommt, steckt er den Kopf hinein, um auch die letzten Rosinen zu verschlingen. Im nächsten Moment merkt er, dass er Papier über den Augen hat und nichts mehr sieht. Ist doch fabelhaft, worauf manche Leute verfallen, nicht wahr, Gordon?»

«Dein Vater war ein Genie», bestätigte ich.

«Dann entschließe dich. Such dir ganz nach Belieben eine von den drei Methoden aus, und die wollen wir dann heute Abend anwenden.»

«Findest du nicht, dass sie alle drei ziemlich grausam sind?»

«Grausam?», rief er entrüstet. «Du lieber Gott! Und wer hat in den letzten sechs Monaten fast täglich gebratenen Fasan gegessen, ohne einen Penny dafür zu bezahlen?»

Er drehte sich um und ging auf die Tür der Werkstatt zu. Ich sah ihm an, dass meine Bemerkung ihn tief verletzt hatte.

«Warte mal», sagte ich. «Geh nicht.»

«Kommst du heute Abend mit oder nicht?»

«Ja, aber ich habe noch eine Frage. Mir ist da gerade etwas eingefallen.»

«Behalt’s für dich», knurrte er. «Was verstehst du schon von Fasanen!»

«Erinnerst du dich an das Schlafmittel, das mir der Arzt vorigen Monat wegen meiner Rückenschmerzen gegeben hat?»

«Na und?»

«Warum sollte das Zeug nicht auch auf Fasanen wirken?»

Claud schloss die Augen und schüttelte mitleidig den Kopf.

«Warte», sagte ich.

«Darüber brauchen wir gar nicht erst zu reden», erwiderte er. «Kein Fasan in der Welt schluckt die lausigen roten Kapseln. Wenn dir nichts Besseres einfällt …»

«Du vergisst die Rosinen», unterbrach ich ihn. «Hör mal zu. Wir nehmen eine Beere, weichen sie ein, bis sie aufgequollen ist, machen mit einer Rasierklinge einen kleinen Einschnitt und höhlen sie ein bisschen aus. Dann öffnen wir eine von meinen roten Kapseln und schütten alles Pulver in die Rosine, worauf wir den Ritz mit Nadel und Faden sorgfältig zunähen. Nun …»

Aus den Augenwinkeln konnte ich beobachten, wie sich Clauds Mund langsam öffnete.

«Nun», fuhr ich fort, «haben wir eine hübsche, sauber aussehende Rosine, die zweieinhalb Gran Schlafpulver enthält, und jetzt will ich dir etwas sagen: Das reicht aus, einen erwachsenen Mann bewusstlos zu machen, also erst recht einen Vogel

Ich wartete zehn Sekunden, damit der Stoß seine volle Wirkung entfalten konnte.

«Und was noch wichtiger ist», fuhr ich fort, «diese Methode gestattet uns, in großem Maßstab zu operieren. Wenn wir Lust haben, können wir zwanzig Rosinen präparieren. Wir brauchen nichts weiter zu tun, als sie bei Sonnenuntergang auf den Futterplätzen auszustreuen und dann wegzugehen. Nach einer halben Stunde fangen die Pillen an zu wirken, die Fasanen, die sich zum Schlafen auf den Bäumen niedergelassen haben, werden schwindlig, sie taumeln, suchen sich im Gleichgewicht zu halten, aber bald fällt jeder Vogel, der auch nur eine einzige Rosine gefressen hat, bewusstlos herunter. Wie Äpfel vom Baum werden sie purzeln, und wir brauchen sie nur noch aufzusammeln.»

Claud starrte mich an. «Großer Gott», murmelte er dann.

«Ein weiterer Vorteil ist, dass uns niemand erwischen wird. Wir bummeln ganz harmlos durch den Wald, lassen hier und dort ein paar Rosinen fallen, und selbst, wenn man uns beobachtet, wird kein Mensch Verdacht schöpfen.»

«Gordon», sagte er, legte die Hand auf mein Knie und sah mich mit Augen an, die groß und leuchtend wie Sterne waren. «Gordon, wenn das glückt, wird es das Wildern revolutionieren.»

«Freut mich sehr.»

«Wie viele Pillen hast du denn noch?», fragte er.

«Neunundvierzig. Fünfzig waren in dem Glas, und ich habe nur eine genommen.»

«Neunundvierzig sind nicht genug. Wir brauchen mindestens zweihundert.»

«Bist du verrückt?», rief ich.

Er ging langsam zur Tür, blieb dort stehen, mit dem Rücken zu mir, und betrachtete den Himmel.

«Zweihundert sind das Minimum», sagte er ruhig. «Wenn wir die nicht haben, brauchen wir gar nicht erst anzufangen.»

Was soll das?, dachte ich. Was, zum Teufel, hat dieser Bursche vor?

«Es ist unsere letzte Chance, bevor die Jagd eröffnet wird», fügte er hinzu.

«Mehr kann ich nicht kriegen.»

«Sollen wir vielleicht mit leeren Händen heimkommen? Wie?»

«Aber warum so viele

Claud wandte den Kopf und blickte mich mit großen unschuldigen Augen an. «Warum nicht?», sagte er freundlich. «Hast du etwas dagegen?»

Plötzlich ging mir ein Licht auf. Mein Gott, dachte ich, der verdrehte Kerl will Mr. Victor Hazels festliche Eröffnung der Jagd torpedieren.

«Du besorgst zweihundert von diesen Pillen», befahl er. «Dann lohnt sich die Sache.»

«Das schaffe ich nie.»

«Du kannst es wenigstens versuchen, nicht wahr?»

Mr. Hazel eröffnete die Jagd alljährlich am ersten Oktober, und das war ein großes Ereignis. Schwächliche Herren in Tweedanzügen, teils Angehörige alter Adelsgeschlechter, teils Besitzer von sehr viel Geld, kamen in Begleitung ihrer Gewehrträger, Hunde und Gattinnen von weit her gefahren, und den ganzen Tag hallte das Tal vom Lärm der Schüsse wider. Fasanen gab es immer in Hülle und Fülle, denn jeden Sommer wurde der Bestand durch Dutzende und Aberdutzende junger Vögel aufgefrischt, was unglaublich teuer war. Ich hatte sagen hören, dass sich die Kosten für das Aufziehen und die Ernährung eines jeden Fasans, bis er schussreif war, auf mehr als fünf Pfund beliefen (annähernd der Preis für zweihundert Laib Brot). Aber Mr. Hazel fand, dass sich jeder Penny dieser Investition lohnte. Er wurde, wenn auch nur für wenige Stunden, ein großer Mann in einer kleinen Welt, und selbst das Oberhaupt der Grafschaft klopfte ihm beim Abschied auf den Rücken und versuchte, sich seines Vornamens zu erinnern.

«Wie wär’s, wenn wir die Dosis verringerten?», schlug Claud vor. «Könnten wir nicht den Inhalt einer Kapsel auf vier Rosinen verteilen?»

«Ich glaube, das ließe sich machen.»

«Aber wird der vierte Teil einer Kapsel für einen Vogel genügen?»

Der Bursche schien Nerven wie Stricke zu haben. Es war gefährlich genug, um diese Jahreszeit auch nur einen einzigen Fasan aus Mr. Hazels Wäldern zu holen, und er wollte gleich mit dem ganzen Bestand aufräumen.

«Ein Viertel ist überreichlich», erwiderte ich.

«Bist du sicher?»

«Rechne dir’s selbst aus. Es geht nach Körpergewicht, und folglich würden die Fasanen immer noch etwa zwanzigmal mehr als nötig bekommen.»

«Dann werden wir’s also mit dem vierten Teil der Dosis probieren», entschied Claud und rieb sich die Hände. Er stellte eine kurze Berechnung an. «Das ergibt hundertsechsundneunzig Rosinen.»

«Ist dir auch klar, was das bedeutet?», fragte ich. «Das Präparieren wird stundenlang dauern.»

«Wenn schon!», rief er. «Dann gehen wir eben erst morgen. Wir weichen die Rosinen über Nacht ein und können sie vormittags und nachmittags fertig machen.»

Und so geschah es.

Nun, vierundzwanzig Stunden später, waren wir unterwegs. Wir schritten schnell aus, und nach ungefähr vierzig Minuten näherten wir uns der Stelle, wo der Pfad nach rechts abbog und auf dem Hügelkamm zu dem großen Wald führte, in dem die Fasanen lebten. Bis dahin hatten wir noch eine Meile zu gehen.

«Ich darf doch wohl annehmen, dass die Wildhüter keine Gewehre haben», sagte ich.

«Alle Wildhüter sind bewaffnet.»

Das hatte ich befürchtet.

«Hauptsächlich wegen der kleinen Raubtiere.»

«Aha.»

«Natürlich schließt das nicht aus, dass sie auch mal einem Wilderer eins aufbrennen.»

«Du machst Witze.»

«Keineswegs. Aber sie schießen nur von hinten. Wenn man wegrennt, meine ich. Sie knallen einem gern auf fünfzig Schritt Entfernung in die Beine.»

«Das dürfen sie nicht!», rief ich. «So etwas ist strafbar!»

«Wildern auch», versetzte Claud.

Eine Weile gingen wir stumm nebeneinanderher. Die Sonne stand hinter der hohen Hecke zu unserer Rechten, und der Weg lag im Schatten.

«Sei froh, dass wir heute leben und nicht vor dreißig Jahren», begann Claud von neuem. «Damals schossen sie sofort auf Anruf.»

«Glaubst du das?»

«Ich weiß es», erwiderte er. «Wenn ich als kleiner Bengel nachts in die Küche kam, habe ich meinen Alten oft genug bäuchlings auf dem Tisch liegen sehen, während ihm meine Mutter mit einem Kartoffelmesser die Schrotkugeln aus den Hinterbacken kratzte.»

«Hör auf», sagte ich. «Du machst mich nervös.»

«Jetzt glaubst du’s mir, wie?»

«Ja.»

«Zuletzt war er über und über mit kleinen weißen Narben bedeckt. Sah aus wie beschneit.»

«Ja», sagte ich. «Schon gut.»

«Wildererarsch nannte man es damals», fuhr Claud fort. «Und im ganzen Dorf gab es keinen Mann, der nicht wenigstens ein paar solcher Narben gehabt hätte. Aber mein Alter hielt den Rekord.»

«Gratuliere», murmelte ich.

«Ich wollte wirklich, er wäre jetzt hier», meinte Claud gedankenvoll. «Er hätte alles darum gegeben, heute Abend dabei zu sein.»

«Ich würde ihm gern meinen Platz abtreten», sagte ich.

Wir hatten den Kamm des Hügels erreicht und sahen nun den düsteren Hochwald über uns. Hinter den Bäumen ging die Sonne unter, und kleine Goldfunken blitzten durch das Geäst.

«Gib mir die Rosinen», sagte Claud.

Ich reichte ihm die Tüte, und er steckte sie in die Hosentasche.

«Im Wald wird nicht mehr gesprochen», mahnte er. «Geh immer hinter mir her und sieh zu, dass du keine Zweige abbrichst.»

Fünf Minuten später hatten wir es geschafft. Der Weg, von einer niedrigen Hecke begrenzt, führte drei- bis vierhundert Schritte am Waldrand entlang. Claud kroch auf allen vieren durch die Hecke, und ich folgte ihm.

Im Wald war es kühl und dunkel. Kein Sonnenlicht fiel herein.

«Das ist ja geradezu gespenstisch», sagte ich.

«Psst!»

Claud war ganz Auge und Ohr. Er ging dicht vor mir, hob die Füße sehr hoch und setzte sie vorsichtig auf den feuchten Boden. Sein Kopf war unaufhörlich in Bewegung; er ließ den Blick von einer Seite zur anderen wandern und hielt Umschau, ob irgendwo Gefahr drohte. Ich versuchte, das Gleiche zu tun, gab es jedoch bald auf, da ich hinter jedem Baum einen Wildhüter sah.

Im Dach des Waldes tauchte nun ein großes Stück Himmel auf, und ich wusste, dass wir uns der Lichtung näherten. Claud hatte mir erzählt, die Lichtung sei die Stelle im Wald, wo die jungen Fasanen Anfang Juli ausgesetzt und dann von den Wildhütern gefüttert, getränkt und bewacht würden. Viele Vögel blieben aus Gewohnheit bis zum Beginn der Jagd dort.

«In der Lichtung gibt es immer eine Menge Fasanen», hatte er gesagt.

«Und auch Wildhüter, nehme ich an.»

«Ja, aber ringsum ist Gebüsch, und das hilft.»

Wir liefen in raschen, kurzen Sprüngen geduckt von Baum zu Baum, machten immer wieder halt, warteten, lauschten, rannten dann weiter und knieten schließlich im Schutze einer dichten Gruppe von Erlen unmittelbar am Rande der Lichtung. Claud grinste, knuffte mich in die Rippen und deutete durch die Zweige auf die Fasanen.

Die Lichtung wimmelte von Vögeln. Es müssen mindestens zweihundert gewesen sein, die zwischen den Baumstümpfen herumstolzierten.

«Da siehst du’s», flüsterte Claud.

Der Anblick war überwältigend – eine Art Wirklichkeit gewordener Wilderertraum. Und wie nah sie waren! Einige standen kaum zehn Schritte von unserem Versteck entfernt. Die plumpen Hennen waren gelblich braun und so fett, dass ihre Brustfedern beinahe die Erde streiften. Die Hähne waren schön und geschmeidig, mit langen Schwänzen und leuchtend roten Ringen um die Augen, wie scharlachrote Brillen. Ich blickte Claud von der Seite an. Auf seinem breiten Gesicht lag ein Ausdruck höchster Verzückung. Mit leicht geöffnetem Mund starrte er aus glasigen Augen auf die Fasanen.

Ich glaube, dass alle Wilderer ähnlich reagieren, wenn sie Wild sichten. Sie sind wie Frauen, die im Schaufenster eines Juweliers riesige Smaragde erspähen. Der Unterschied ist nur, dass Frauen weniger wählerisch in den Methoden sind, deren sie sich später bedienen, um den Schmuck zu erbeuten. Ein Wildererarsch ist nichts gegen die Qualen, die ein weibliches Wesen bereitwillig auf sich nimmt.

«Aha», hörte ich Claud leise sagen, «da ist ja der Wildhüter.»

«Wo?»

«Drüben auf der anderen Seite, hinter dem dicken Baum. Sei vorsichtig.»

«Mein Gott!»

«Schon gut. Er kann uns nicht sehen.»

Zusammengekauert beobachteten wir den Wildhüter. Der kleine Mann mit einer Mütze auf dem Kopf und einem Gewehr unter dem Arm stand unbeweglich. Er glich einem in die Erde gerammten Pfahl.

«Komm, wir gehen», flüsterte ich.

Das Gesicht des Mannes war von dem Mützenschirm beschattet, aber ich hatte den Eindruck, dass er zu uns herüberschaute.

«Ich bleibe hier nicht», sagte ich.

«Psst!», machte Claud.

Langsam, ohne die Augen von dem Wildhüter abzuwenden, griff er in die Tasche und holte eine Rosine heraus. Er legte sie in die rechte Handfläche und schleuderte sie mit einem kleinen Schwung des Handgelenks durch die Luft. Ich sah sie über die Büsche fliegen und dicht hinter zwei Hennen niederfallen, die neben einem alten Baumstumpf standen. Beide Vögel drehten sich rasch um, als die Rosine aufprallte. Die eine Henne hüpfte hin und pickte etwas auf, was zweifellos die Rosine war.

Ich behielt den Wildhüter im Auge. Er hatte sich nicht gerührt.

Claud warf eine zweite Rosine auf die Lichtung, dann eine dritte, eine vierte und eine fünfte.

In diesem Moment wandte der Wildhüter den Kopf, um in den Wald hinter sich zu blicken.

Blitzschnell zog Claud die Papiertüte aus der Tasche und schüttete einen Haufen Rosinen in die rechte Hand.

«Lass das», sagte ich.

Aber schon hatte er mit einer weit ausholenden Armbewegung die ganze Handvoll hoch über die Büsche auf die Lichtung geworfen.

Wie Regentropfen auf trockenes Laub fielen die Rosinen mit einem leisen, weichen Klatschen zu Boden, und jeder Fasan auf der Lichtung musste sie entweder gesehen oder gehört haben. Die Folge war ein großes Flügelschlagen, als alle herbeistürzten, um den Schatz zu finden.

Der Kopf des Wildhüters fuhr herum, als wäre im Hals eine Sprungfeder eingebaut. Die Vögel pickten mit wildem Eifer die Rosinen auf. Der Mann machte zwei schnelle Schritte vorwärts, und eine Sekunde fürchtete ich, er werde der Sache auf den Grund gehen. Aber nein – er blieb stehen und ließ den Blick aufmerksam in die Runde schweifen.

«Komm», flüsterte Claud. «Und nicht aufrichten!» Damit kroch er geschwind auf allen vieren davon, wie ein Affe.

Ich folgte ihm. Er hätte die Nase dicht über der Erde, und sein breites, kräftiges Hinterteil ragte gen Himmel. Nun verstand ich auch, warum der Wildererarsch in dieser Zunft eine Berufskrankheit geworden war.

So krochen wir ein gutes Stück.

«Jetzt rennen», befahl Claud.

Wir richteten uns auf, liefen weiter, und wenige Minuten später schlüpften wir durch die Hecke in die schöne Sicherheit des offenen Weges hinaus.

«Glänzend ist das gegangen», sagte Claud schwer atmend. «Hat es nicht wunderbar geklappt?» Sein Gesicht war scharlachrot und leuchtete vor Triumph.

«Ein Reinfall war es», knurrte ich.

«Was?», rief er.

«Natürlich war es ein Reinfall. Wir können doch jetzt unmöglich zurückgehen. Der Wildhüter weiß, dass jemand da war.»

«Gar nichts weiß er», antwortete Claud. «In fünf Minuten ist es im Wald stockdunkel, und dann verzieht er sich nach Hause zum Abendbrot.»

«Ich glaub, ich werde es ebenso machen.»

«Du bist ein schöner Wilderer», meinte Claud. Er setzte sich auf die Böschung an der Hecke und zündete sich eine Zigarette an.

Die Sonne war untergegangen, und über dem blassen Rauchblau des Himmels lag ein schwacher gelber Glanz. Im Wald hinter uns wurden die grauen Schatten zwischen den Bäumen allmählich schwarz.

«Wie lange dauert es, bis das Schlafmittel wirkt?», fragte Claud.

«Vorsicht», flüsterte ich. «Da kommt jemand.»

Der Mann war geräuschlos aus der Dämmerung aufgetaucht; als ich ihn erblickte, war er knapp dreißig Schritte von uns entfernt.

«Noch so ein elender Wildhüter», murmelte Claud.

Wir sahen dem Mann entgegen, der geradewegs auf uns zukam. Er trug eine Schrotflinte unter dem Arm, und ein schwarzweißer Hühnerhund folgte ihm dicht auf den Fersen. Kurz vor uns machte er halt. Auch der Hund blieb stehen und beobachtete uns zwischen den Beinen seines Herrn hindurch.

«Guten Abend», grüßte Claud freundlich.

Der Mann war etwa vierzig Jahre alt, ein großer, hagerer Kerl mit scharfem Blick, vorspringenden Backenknochen und harten, gefährlichen Händen.

«Ich kenne euch», sagte er ruhig und kam näher. «Ich kenne euch beide.» Claud schwieg.

«Ihr seid von der Tankstelle. Stimmt’s?»

Seine Lippen waren schmal und trocken und mit einer Art bräunlicher Kruste überzogen.

«Ihr seid Cubbage und Hawes von der Tankstelle an der Landstraße. Stimmt’s?»

«Was spielen wir hier eigentlich?», fragte Claud. «Quiz?»

Der Wildhüter spuckte einen dicken Klecks Speichel aus, den ich durch die Luft fliegen und sechs Zoll vor Clauds Füßen klatschend im Staub landen sah. Der schleimige Klumpen glich einer kleinen Auster.

«Schert euch weg», sagte der Mann. «Los, verschwindet!»

Claud saß auf der Böschung, rauchte seine Zigarette und betrachtete den Klecks Speichel.

«Los, los», wiederholte der Mann. «Verschwindet!»

Beim Sprechen hob sich seine Oberlippe und entblößte das Zahnfleisch. Ich sah eine Reihe kleiner, missfarbiger Zähne, von denen der eine schwarz war und die anderen gelb oder braun schimmerten.

«Dies ist zufällig ein öffentlicher Weg», antwortete Claud. «Ich ersuche Sie, uns nicht zu belästigen.»

Der Wildhüter nahm das Gewehr vom linken Arm in den rechten. «Ihr treibt euch hier herum und wollt offenbar ein Verbrechen begehen», sagte er. «Das würde ausreichen, euch festzunehmen.»

«O nein, das würde nicht ausreichen», erwiderte Claud. Dieses Gespräch machte mich ziemlich nervös.

«Ich habe schon seit einiger Zeit ein Auge auf dich», fuhr der Wildhüter fort, indem er Claud ansah.

«Es wird spät», sagte ich. «Müssen wir nicht nach Hause?»

Claud zertrat seine Zigarette und erhob sich langsam.

«Schön», sagte er, «ich habe nichts dagegen.»

Wir ließen den Wildhüter stehen und schlenderten den Weg zurück, den wir gekommen waren. In dem Halbdunkel war der Mann hinter uns bald außer Sicht.

«Das ist der Oberaufseher», erklärte Claud. «Er heißt Rabbetts.»

«Komm bloß weiter.»

«Nein, wir warten hier», entschied Claud.

Zu unserer Linken war ein Gatter, das auf ein Feld führte. Wir stiegen hinüber und setzten uns hinter die Hecke.

«Für Mr. Rabbetts ist jetzt Essenszeit», sagte Claud. «Der stört uns bestimmt nicht mehr.»

Wir saßen mäuschenstill hinter der Hecke und warteten, dass der Wildhüter auf seinem Heimweg an uns vorbeiginge. Am Himmel blinkten ein paar Sterne, und ein heller Dreiviertelmond stieg im Osten über den Hügeln auf.

«Da ist er», flüsterte Claud. «Rühre dich nicht.»

Mr. Rabbetts näherte sich mit fast unhörbaren Schritten, und sein Hund tappte auf weichen Pfoten hinter ihm her. Wir beobachteten die beiden durch die Hecke.

«Heute Abend kommt er nicht mehr zurück», sagte Claud.

«Woher weißt du das?»

«Wenn ein Wildhüter deine Wohnung kennt, lauert er dir nie im Wald auf. Er geht zu deinem Haus, versteckt sich draußen und wartet, bis du kommst.»

«Das ist ja noch schlimmer.»

«Ach wo, man muss nur die Beute irgendwo unterstellen, bevor man heimgeht. Dann kann er einen nicht fassen.»

«Und was ist mit dem anderen – dem auf der Lichtung?»

«Der ist auch fortgegangen.»

«Das kannst du nicht wissen.»

«Ich habe diese Brüder monatelang beobachtet, Gordon. Verlass dich darauf, ich kenne alle ihre Gewohnheiten. Die Sache ist ganz ungefährlich.»

Widerstrebend folgte ich ihm. Oben im Wald war es stockfinster und sehr still, und als wir uns vorsichtig zwischen den Baumreihen vorwärts bewegten, schienen unsere Schritte widerzuhallen, als wären wir in einer Kathedrale.

«Von hier aus haben wir die Rosinen geworfen», sagte Claud.

Ich spähte durch die Büsche. In milchigen Dunst gehüllt, lag die Lichtung im Mondschein.

«Bist du auch sicher, dass der Wildhüter fort ist?»

«Ich weiß, dass er fort ist.»

Unter dem Mützenschirm konnte ich Clauds Gesicht sehen, die blassen Lippen, die weichen, blassen Wangen, die großen Augen, in denen vor Erregung kleine Funken tanzten.

«Schlafen sie?»

«Ja.»

«Wo?»

«Hier rundherum. Sie bleiben immer in der Nähe.»

«Was tun wir jetzt?»

«Wir warten. Ich habe dir eine Lampe mitgebracht», fügte er hinzu und gab mir eine jener kleinen Stablampen, die wie ein Füllfederhalter geformt sind. «Du wirst sie brauchen.»

Allmählich verflog meine Angst. «Wollen wir mal versuchen, ob wir irgendwo in den Bäumen Fasanen entdecken können?», fragte ich.

«Nein.»

«Ich möchte aber gern wissen, wie sie aussehen, wenn sie schlafen.»

«Wir treiben keine Naturstudien», erwiderte Claud. «Sei jetzt still.»

Lange standen wir und warteten, ohne dass etwas geschah.

«Mir kommt da gerade ein scheußlicher Gedanke», sagte ich. «Wenn sich ein schlafender Vogel auf seinem Zweig im Gleichgewicht halten kann, liegt eigentlich kein Grund vor, warum er dann wegen des Schlafpulvers herunterfallen sollte.»

Claud warf mir einen raschen Blick zu.

«Schließlich ist er ja nicht tot», fuhr ich fort. «Er schläft nur.»

«Er ist betäubt», verbesserte mich Claud.

«Das ist doch bloß eine tiefere Art von Schlaf. Warum soll er herunterfallen, nur weil er tiefer schläft?»

Düsteres Schweigen.

«Schade, dass wir’s nicht zuerst mit Hühnern ausprobiert haben», meinte Claud. «Mein Vater hätte das getan.»

«Dein Vater war ja auch ein Genie», antwortete ich.

In diesem Augenblick ertönte hinter uns ein leises Plumpsen.

«Was ist das?»

«Psst!»

Wir lauschten.

Bum!

«Hörst du’s?»

Es war ein tiefer, dumpfer Laut, als sei ein Sandsack aus Schulterhöhe zu Boden gefallen.

Bum!

«Das sind Fasanen!», rief ich.

«Warte noch!»

«Bestimmt sind es Fasanen!»

Bum! Bum!

«Du hast recht!»

Wir liefen in den Wald zurück.

«Wo sind sie?»

«Dort drüben! Da hat’s zweimal gebumst!»

«Ich dachte, es wäre auf der anderen Seite gewesen.»

«Schau nach», sagte Claud. «Weit können sie jedenfalls nicht sein.»

Wir suchten ungefähr eine Minute lang.

«Ich habe einen!», schrie er.

Ich lief zu ihm. Er hielt in beiden Händen einen herrlichen Fasanenhahn. Wir betrachteten ihn genau im Licht unserer Taschenlampen.

«Betäubt bis an die Kehllappen», sagte Claud. «Er lebt noch, ich fühle sein Herz, aber er ist betäubt bis an die Kehllappen.»

Bum!

«Noch einer!»

Bum! Bum!

«Wieder zwei!»

Bum!

Bum! Bum! Bum!

«Herr, du meine Güte!»

Bum! Bum! Bum Bum! Bum! Bum!

Ringsum regnete es Fasanen von den Bäumen. Wir liefen wie die Verrückten im Dunkeln hin und her und leuchteten den Erdboden mit unseren Lampen ab.

Bum! Bum! Bum!

Beinahe wären sie mir auf den Kopf gefallen. Ich stand unter dem Baum, als sie herunterkamen, und ich fand sie sofort – zwei Hähne und eine Henne. Sie waren schlaff und warm, und die Federn fühlten sich wundervoll weich an.

«Wo soll ich sie hinlegen?», rief ich, als ich die drei Vögel an den Beinen gepackt hatte.

«Bring sie rüber, Gordon. Wir werden sie hier aufeinanderschichten, wo es hell ist.»

Claud stand am Rande der Lichtung, von Mondlicht überflutet, in jeder Hand ein großes Bündel Fasanen. Sein Gesicht strahlte, seine Augen waren groß und glänzend, und er schaute sich um wie ein kleiner Junge, der gerade entdeckt hat, dass die ganze Welt aus Schokolade ist.

Bum!

Bum! Bum!

«Das gefällt mir nicht», sagte ich. «Es sind zu viele.»

«Prachtvoll ist es!», rief er, warf die Vögel hin, die er trug, und lief fort, um weiterzusuchen.

Bum! Bum! Bum! Bum!

Bum!

Jetzt waren sie leicht zu finden. Unter jedem Baum lagen zwei oder drei. Schnell hatte ich sechs gesammelt, lief zurück, drei in jeder Hand, und legte sie zu den anderen. Dann wieder sechs. Und noch einmal sechs.

Immer mehr plumpsten herab.

In einem Taumel der Ekstase stürmte Claud wie ein Besessener von Baum zu Baum. Ich sah den Lichtstrahl seiner Lampe durch das Dunkel zucken, und jedes Mal, wenn er einen Vogel fand, stieß er einen Triumphschrei aus.

Bum! Bum! Bum!

«Das müsste dieser Schuft Hazel hören!», rief er.

«Brüll nicht so», ermahnte ich ihn. «Ich habe Angst.»

«Was sagst du?»

«Du sollst nicht so brüllen. Es könnten Wildhüter in der Nähe sein.»

«Ach was, die sind alle beim Essen.»

Drei oder vier Minuten hielt der Fasanenregen noch an. Dann wurde es plötzlich still.

«Such weiter!», schrie Claud. «Unter den Bäumen liegen sie haufenweise!»

«Meinst du nicht, wir sollten uns verdrücken, solange die Luft noch rein ist?»

«Nein», antwortete er.

Wir suchten weiter. In einem Umkreis von hundert Schritten, im Norden, Süden, Osten und Westen der Lichtung, sahen wir unter jedem Baum nach, und schließlich hatten wir wohl die meisten gefunden. An unserem Sammelplatz lag ein Berg Fasanen, so groß wie ein Scheiterhaufen.

«Ein Wunder», murmelte Claud. «Verdammt nochmal, ein Wunder.» Er starrte die Vögel wie verzückt an.

«Am besten nehmen wir jeder ein halbes Dutzend und machen uns aus dem Staub», sagte ich.

«Du, Gordon, ich möchte sie zählen.»

«Dazu ist jetzt keine Zeit.»

«Ich muss sie zählen.»

«Nein», protestierte ich. «Komm.»

«Eins … zwei … drei … vier …» Er zählte langsam und sorgfältig, nahm einen Vogel nach dem anderen auf und legte ihn behutsam beiseite. Der Mond stand jetzt genau über uns, und auf der Lichtung war es taghell.

«Ich bleibe hier nicht länger stehen», erklärte ich und trat ein paar Schritte zurück, um im Schatten zu warten, bis er fertig war.

«Hundertsiebzehn … hundertachtzehn … hundertneunzehn … hundertzwanzig!», rief er. «Stell dir vor: einhundertzwanzig Fasanen! Das ist der absolute Rekord!»

Daran zweifelte ich keinen Augenblick.

«Mein Alter hat einmal fünfzehn in einer Nacht erwischt. Das war seine Höchstleistung, und danach war er acht Tage betrunken.»

«Du bist der Weltmeister», sagte ich. «Können wir jetzt gehen?»

«Gleich.» Er zog seinen Sweater hoch und wickelte die beiden weißen Baumwollsäcke ab, die er sich um den Bauch gebunden hatte. Einen davon drückte er mir in die Hand. «Hier ist deiner. Pack ihn voll, aber schnell.»

Das Mondlicht war so hell, dass ich den Aufdruck unten am Sack lesen konnte. J. W. Crump, stand da, Keston-Dampfmühlen, London SW 17.

«Ich muss immerzu daran denken, dass vielleicht der widerliche Kerl mit den braunen Zähnen hinter einem Baum steht und uns beobachtet», flüsterte ich.

«Ausgeschlossen», beruhigte mich Claud. «Du kannst mir’s glauben, der lauert uns bei der Tankstelle auf.»

Wir fingen an, die Fasanen in die Säcke zu stopfen. Die Vögel waren weich, ihre Köpfe hingen schlaff herab, und die Haut unter den Federn war noch warm.

«Unten auf dem Weg wartet ein Taxi», sagte Claud.

«Wie?»

«Ich fahre immer im Taxi zurück, Gordon. Wusstest du das nicht?»

«Nein.»

«Ein Taxi ist anonym», erklärte er. «Außer dem Chauffeur weiß niemand, wer darin sitzt. Das hat mir mein Vater beigebracht.»

«Und wer ist der Chauffeur?»

«Charlie Kinch. Der freut sich, wenn er mir einen Gefallen tun kann.»

Wir hatten nun alle Fasanen eingepackt, und ich versuchte, den schweren Sack auf die Schulter zu heben. Er enthielt etwa sechzig Vögel und wog mindestens anderthalb Zentner.

«Wie soll ich denn das schleppen?», murrte ich. «Wir müssen einen Teil der Beute zurücklassen.»

«Wenn’s nicht anders geht, wirst du den Sack eben ziehen», meinte Claud.

Wir stapften also durch den pechschwarzen Wald und schleiften die Säcke hinter uns her.

«Bis zum Dorf schaffen wir’s nie», sagte ich.

«Keine Angst», erwiderte Claud, «der alte Charlie hat mich noch nie im Stich gelassen.»

Wir erreichten den Waldrand und spähten durch die Hecke.

«Hallo, Charlie», wisperte Claud, und der alte Mann am Lenkrad des Taxis steckte den Kopf in den Mondschein hinaus. Sein zahnloser Mund verzog sich zu einem schlauen Grinsen. Wir zwängten uns durch das Gestrüpp und zerrten die Säcke bis zum Wagen. «Hallo», sagte Charlie. «Was ist denn das?»

«Kohlköpfe», antwortete Claud. «Mach die Tür auf.»

Zwei Minuten später saßen wir sicher im Taxi und fuhren langsam den Hügel hinunter auf das Dorf zu.

Jetzt war alles vorüber, ausgenommen die Freude. Claud triumphierte und war nahe daran, vor Stolz und Aufregung zu platzen. Immer wieder beugte er sich vor, schlug Charlie Kinch auf die Schulter und rief: «Na, was sagst du, Charlie? Ist das ein Fang oder nicht?» Und jedes Mal wandte sich Charlie um, blickte mit großen Augen auf die vollgestopften Säcke, die zwischen uns auf dem Boden lagen, und murmelte: «Mein Gott, Mann, wie hast du das bloß fertiggebracht?»

«Sechs Paar davon sind für dich, Charlie», erklärte Claud, und Charlie meinte: «Diesmal werden Mr. Hazels Gäste wohl nicht allzu viele Fasanen schießen», worauf Claud sagte: «Bestimmt nicht, alter Junge, bestimmt nicht.»

«Was willst du um Himmels willen mit hundertzwanzig Fasanen anfangen?», fragte ich.

«Sie für den Winter einfrieren», erwiderte Claud. «Ich packe sie mit dem Fleisch für die Hunde in unsere Kühltruhe.»

«Aber nicht heute Abend, wie?»

«Nein, Gordon, heute nicht mehr. Wir bringen sie über Nacht zu Bessie.»

«Zu was für einer Bessie?»

«Bessie Organ.»

«Bessie Organ

«Ja, die versteckt immer meine Beute. Wusstest du das nicht?»

«Gar nichts weiß ich», stammelte ich und glotzte ihn entgeistert an. Mrs. Organ war die Frau von Reverend Jack Organ, dem Vikar des Dorfes.

«Man darf seine Beute immer nur von einer ehrbaren Frau transportieren lassen», verkündete Claud. «So ist’s doch, Charlie, nicht wahr?»

«Bessie versteht ihre Sache», bestätigte Charlie

Inzwischen hatten wir das Dorf erreicht. Die Straßenlaternen brannten noch, und die Männer waren auf dem Heimweg vom Wirtshaus. Ich sah, wie Will Prattley durch die Seitentür seines Fischgeschäftes ins Haus schlüpfte, während Mrs. Prattley, ohne dass er es wusste, im ersten Stock aus dem Fenster schaute und ihn beobachtete.

«Der Vikar isst nichts lieber als Fasanenbraten», bemerkte Claud.

«Er lässt die Vögel achtzehn Tage hängen», fügte Charlie hinzu. «Dann schüttelt er sie ordentlich, und alle Federn fallen ab.»

Das Taxi bog nach links in den Pfarrhof ein. Im Haus brannte kein Licht, und niemand ließ sich blicken. Claud und ich warfen die Fasanen in den Kohlenschuppen, verabschiedeten uns dann von Charlie und kehrten im Mondschein mit leeren Händen zur Tankstelle zurück. Ob Mr. Rabbetts irgendwo auf der Lauer lag, weiß ich nicht. Gesehen haben wir jedenfalls nichts von ihm.

«Da kommt sie», sagte Claud am nächsten Morgen zu mir.

«Wer?»

«Bessie – Bessie Organ.» Er sprach den Namen mit einem gewissen Besitzerstolz aus, etwa so wie ein General seinen tapfersten Offizier erwähnt.

Ich folgte ihm nach draußen.

«Dort hinten.» Er deutete mit der Hand.

Auf der Straße, noch sehr weit entfernt, entdeckte ich eine kleine weibliche Gestalt, die auf uns zukam.

«Was schiebt sie?», fragte ich.

Claud sah mich verschmitzt an. «Es gibt nur eine sichere Methode, Wildererbeute zu transportieren», erklärte er. «Im Kinderwagen unter einem Baby.»

«Ja», murmelte ich, «ja, natürlich.»

«In dem Wagen sitzt Christopher Organ, anderthalb Jahre alt. Ein entzückender Junge, Gordon.»

Ich strengte meine Augen an, und nun sah ich auch das Kind. Es thronte hoch oben auf dem Wagen, dessen Verdeck heruntergeklappt war.

«Unter dem kleinen Burschen liegen mindestens sechzig bis siebzig Fasanen», behauptete Claud. «Stell dir das vor!»

«Sechzig oder siebzig Fasanen kann man unmöglich in einen Kinderwagen stopfen.»

«Man kann, wenn der Boden tief genug ist, und wenn man die Matratze herausnimmt. Die Vögel werden ganz eng gepackt, bis oben hin, dann kommt ein Laken darüber und fertig. Du wirst dich wundern, wie wenig Platz so ein schlaffer Fasan braucht.»

Wir standen neben den Pumpen und warteten auf Bessie Organ. Es war einer jener schwülen, windstillen Septembermorgen, an denen sich der Himmel allmählich bezieht und die Luft nach Gewitter riecht.

«Keck und unerschrocken mitten durchs Dorf», sagte Claud. «Gute alte Bessie.»

«Sie scheint es ziemlich eilig zu haben.»

Claud zündete sich eine neue Zigarette am Stummel der vorigen an. «So was gibt’s bei Bessie nicht», erwiderte er.

«Sieht aber ganz so aus», widersprach ich. «Schau doch hin.»

Er blinzelte durch den Rauch seiner Zigarette. Dann nahm er die Zigarette aus dem Mund, um besser sehen zu können.

«Tatsächlich, sie geht ein ganz klein wenig schnell», meinte er zögernd.

«Verdammt schnell geht sie.»

Eine Pause entstand. Claud wandte keinen Blick von der Frau, die rasch näher kam.

«Vielleicht möchte sie nicht vom Regen überrascht werden, Gordon. Ja, ich wette, das ist es. Sie denkt, es wird regnen, und will nicht, dass der Kleine nass wird.»

«Warum klappt sie dann nicht das Verdeck hoch?»

Auf diese Frage wusste er nichts zu erwidern.

«Sie rennt!», rief ich. «Sieh nur!» Bessie hatte sich plötzlich in Trab gesetzt.

Claud stand unbeweglich und beobachtete die Frau. In der Stille glaubte ich, das Kind schreien zu hören.

«Was ist denn da los?»

Er antwortete nicht.

«Mit dem Kleinen ist irgendwas nicht in Ordnung», sagte ich.

Bessie, die noch ungefähr zweihundert Schritte entfernt war, hastete auf uns zu.

«Hörst du ihn?», fragte ich.

«Ja.»

«Er schreit sich die Seele aus dem Leib.»

Die dünne, schrille Stimme wurde mit jeder Sekunde lauter. Das Kind schrie ununterbrochen, wild, gellend, fast hysterisch.

«Er hat Krämpfe», behauptete Claud.

«Kann schon sein.»

«Deswegen rennt sie so, Gordon. Sie möchte ihn schnell unter die kalte Dusche bringen.»

«Ich glaube, du hast recht», sagte ich. «Im Grunde weiß ich sogar, dass du recht hast. Hör bloß, wie er brüllt.»

«Du kannst Gift darauf nehmen, dass er Krämpfe oder sonst etwas in der Art hat.»

«Ich bin ganz deiner Meinung.»

Claud trat auf dem Kies unserer Einfahrt unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. «Mit so kleinen Kindern ist doch dauernd was los», bemerkte er. «Jeden Tag passieren da die unglaublichsten Sachen.»

«Natürlich.»

«Ich kannte mal ein Baby, das kam mit den Fingern in die Radspeichen des Kinderwagens. Glatt abgeschnitten wurden sie ihm. Alle fünf.»

«Ja.»

«Na, wie dem auch sei», schloss Claud, «ich wollte wirklich, sie hörte auf zu laufen.»

Hinter Bessie tauchte jetzt ein langer Lastwagen mit Ziegelsteinen auf. Der Chauffeur steckte den Kopf aus dem Fenster, fuhr neben Bessie her und glotzte sie an. Sie kümmerte sich nicht um ihn und eilte weiter. Nun war sie schon so nahe, dass ich ihr rundes, rotes Gesicht mit dem weit offenen, nach Luft schnappenden Mund sehen konnte. Ich bemerkte, dass sie elegante weiße Handschuhe trug und dazu ein lustiges weißes Hütchen, das wie ein Pilz auf ihrem Kopf saß.

Plötzlich flog ein riesiger Fasan aus dem Kinderwagen auf und schwang sich in die Luft.

Claud stieß einen Schreckensschrei aus.

Der Idiot in dem Lastwagen brüllte vor Lachen.

Der Fasan flatterte wie betrunken umher, bis ihn nach wenigen Sekunden seine Kräfte verließen und er am Straßenrand im Gras landete.

Ein Lieferwagen, der das Lastauto überholen wollte, begann laut zu hupen. Bessie rannte, so schnell sie nur konnte.

Und schon flog ein zweiter Fasan aus dem Wagen. Dann ein dritter, ein vierter, ein fünfter.

«Mein Gott!», keuchte ich. «Das Schlafmittel! Es wirkt nicht mehr!»

Claud sagte kein Wort.

Die letzten fünfzig Schritte legte Bessie in rasendem Tempo zurück. Sie kam die Einfahrt zur Tankstelle entlanggejagt, während die Vögel nach allen Himmelsrichtungen aufstiegen.

«Zum Teufel, was soll denn das heißen?», kreischte sie.

«Hintenherum!», rief ich. «Fahren Sie hintenherum!»

Aber sie stoppte scharf bei der ersten Pumpe, und bevor wir sie erreichen konnten, hatte sie das weinende Kind aus dem Wagen gerissen.

«Nein, nein!», schrie Claud, auf sie zustürzend. «Nehmen Sie den Jungen nicht hoch! Setzen Sie ihn hin! Halten Sie das Laken fest!»

Bessie hörte gar nicht auf ihn, und da der Gegendruck des Kindes auf einmal fehlte, quoll eine ganze Wolke von Fasanen aus dem Wagen, mindestens fünfzig bis sechzig große braune Vögel, die wild mit den Flügeln schlugen, um höher in die Luft zu steigen.

Verzweifelt mit den Armen fuchtelnd, liefen Claud und ich hin und her und versuchten, sie von dem Grundstück zu verscheuchen. «Fort mit euch!», schrien wir. «Husch, husch!» Die Fasanen nahmen jedoch keine Notiz von uns; sie waren noch halb betäubt. Es dauerte kaum dreißig Sekunden, da kamen sie wieder herunter und ließen sich wie ein Heuschreckenschwarm auf meine Tankstelle nieder. Alles war voll von ihnen. Flügel an Flügel saßen sie auf den Dachrändern und auf dem Schutzdach über den Pumpen.

Etwa ein Dutzend Vögel hatten sich auf dem Sims unseres Bürofensters zusammengedrängt. Einige hockten zwischen den Schmierölflaschen, andere rutschten auf den Motorhauben meiner Gebrauchtwagen herum. Ein Fasanenhahn mit prächtigem Schwanz thronte stolz auf einer Benzinpumpe, und viele, die noch zu betäubt waren, um sich aufzuschwingen, saßen mit gesträubten Federn und blinzelnden kleinen Augen im Kies zu unseren Füßen.

Auf der Straße hatte sich hinter dem Lastauto mit Ziegelsteinen und dem Lieferwagen bereits eine lange Wagenschlange gebildet. Leute kamen aus den Häusern, überquerten den Fahrdamm, um alles möglichst genau zu sehen. Ich schaute auf die Uhr. Zwanzig vor neun. Jeden Moment, dachte ich, kann sich vom Dorf her ein großer schwarzer Wagen nähern, und der Wagen wird ein Rolls-Royce sein, und das feiste, glänzende Gesicht hinter dem Lenkrad wird dem Brauereibesitzer Mr. Victor Hazel gehören.

«Sie haben ihn ganz zerpickt!», rief Bessie und presste das schreiende Kind an ihren Busen.

«Gehen Sie nach Hause, Bessie», sagte Claud, der kreidebleich war.

«Schließ zu», befahl ich. «Häng das Schild raus. Wir sind heute nicht da.»

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