An jedem letzten Mittwoch im Oktober war Jahrmarkt in Vimmerby und da war etwas los in dieser Stadt, vom frühen Morgen bis zum späten Abend, das kann ich versichern. Alle Menschen aus Lönneberga und den anderen Gemeinden fuhren dorthin, um Ochsen und Kühe zu verkaufen oder zu kaufen, um Pferde zu tauschen und um Leute zu treffen und um sich einen Bräutigam zu besorgen und um Zuckerstangen zu lutschen und um Polka zu tanzen und um sich zu prügeln und um seinen Spaß zu haben - jeder auf seine Weise.
Einmal hatte Michels Mama Lina gefragt, ob sie die großen Feiertage des Jahres aufzählen könne, denn sie wollte wissen, wie schlau Lina war.
»Ja, das dürften Weihnachten und Ostern sein und dann der Jahrmarkt in Vimmerby, glaube ich!« Nun begreifst du, warum alle Menschen am 31. Oktober nach Vimmerby wollten und schon um fünf Uhr in der Frühe, als es noch stockfinster war, spannte Alfred die Pferde Markus und Julia vor den großen Wagen und dann ging es los mit ganz Katthult: Michels Papa und Michels Mama, Alfred und Lina, Michel und Klein-Ida. Nur Krösa-Maja sollte zu Hause bleiben und das Vieh versorgen.
»Arme Krösa-Maja, willst du nicht auch zum Jahrmarkt fahren?«, fragte Alfred, der eine freundliche Seele war.
»Ich bin doch nicht verrückt«, sagte Krösa-Maja.
»Heute, wo der große Komet kommt! O nein, danke! Ich will in Lönneberga sterben, wo ich gelebt habe.« Es war nämlich so: Die Leute in Smaland warteten auf einen großen Kometen, der kommen sollte, und jetzt hatte in der »Vimmerby-Post« gestanden, dass der Komet genau am 31. Oktober in rasender Fahrt kommen und vielleicht die Erdkugel rammen würde, sodass sie in tausend Stücke zerspringen musste.
Du weißt wohl nicht, was ein Komet ist, und ich weiß es auch kaum, aber ich glaube, das ist ein Stück von einem Stern, das sich gelöst hat und heruntergefallen ist und das ein bisschen hierhin und dahin im Weltraum herumsaust. Alle Smaländer hatten eine Riesenangst vor dem Kometen, der so plötzlich die ganze Erde in Stücke schlagen und Schluss machen würde mit allem, was schön war.
»Klar, dass dieses Ekel von einem Kometen sich gerade die Zeit aussuchen muss, wenn Jahrmarkt in Vimmerby ist«, sagte Lina wütend. »Aber egal, vielleicht kommt er erst gegen Abend, sodass man das meiste doch noch mitmachen kann.«
Sie lächelte pfiffig und gab Alfred, der neben ihr auf dem hinteren Sitz saß, mit dem Ellenbogen einen Stoß. Lina erwartete sich viel von diesem Tag.
Vorn saß Michels Mama mit der kleinen Ida auf dem Schoß und Michels Papa mit Michel auf dem Schoß.
Rate mal, wer kutschierte! Natürlich Michel. Ich habe vergessen zu erzählen, was für ein tüchtiger Kutscher Michel war. Von klein auf hatte ihm Alfred alles beigebracht, was man über Pferde wissen muss, und schließlich wusste Michel mehr als irgendjemand in ganz Lönneberga und konnte mit Pferden besser umgehen als Alfred. Jetzt saß er bei seinem Papa auf dem Schoß und fuhr wie der tollste Kutscher - ja, der Bengel wusste, wie man die Zügel halten musste! In der Nacht hatte es geregnet, Dunkelheit und Nebel lagen wie eine Decke über Lönneberga und ganz Smaland an diesem trüben Oktobermorgen. Noch war kein Licht über den Baumspitzen zu sehen und der Wald stand an beiden Seiten des Weges schwarz und regenschwer, als die Katthulter in ihrem Wagen dort entlangfuhren. Aber sie waren trotzdem alle fröhlich und Markus und Julia trabten dahin, dass der Schlamm auf dem lehmigen Weg unter ihren Hufen aufspritzte.
Julia war sicherlich nicht so besonders froh. Sie war alt und kraftlos und wollte am liebsten zu Hause im Stall stehen. Michel hatte seinem Papa schon lange in den Ohren gelegen, er solle sich ein Jungpferd anschaffen, das besser mit Markus zusammen laufen konnte, und jetzt wäre doch die beste Gelegenheit, wo nun schon einmal Markt war, meinte Michel.
Aber Michels Papa sagte: »Du glaubst wohl, wir könnten uns alles und noch mehr leisten? Nein, nein, die alte Julia muss schon noch ein paar Jahre mitmachen, da hilft alles nichts.«
Und Julia machte mit, ganz gewiss. Tapfer trabte sie die Steigungen hinauf und Michel, der Julia gern hatte, sang ihr etwas vor, wie er es machte, wenn er sie ein bisschen aufmuntern wollte:
»Mein’ Mähre läuft nicht wie der Wind,
weil ihre Bein’ so klapprig sind.
Was macht das?
Sie trägt mich doch in guter Hut
und traben tut sie auch noch gut -
auf geraden Wegen.«
Als die Katthulter nun nach Vimmerby gekommen waren und als Erstes einen guten Platz für Markus und Julia nicht weit von der Viehkoppel entfernt besorgt hatten, wollte jeder etwas anderes erledigen. Michels Mama, die kleine Ida an den Rockschößen, ging ein blaues Schreibheft kaufen. Außerdem wollte sie auf dem Markt Wolle und Eier verkaufen, die sie mitgebracht hatte. Lina wollte sofort mit Alfred in eine Konditorei gehen, um Kaffee zu trinken, und sie kriegte ihn wirklich mit, obwohl er anfangs zog und zerrte und loszukommen versuchte, weil er mit Michel und Michels Papa zur Viehkoppel gehen wollte.
Wenn du einmal an einem Jahrmarktstag in Vim-merby gewesen bist, dann weißt du, was das ist, eine Viehkoppel, nämlich der Platz, wo man Kühe und Pferde kauft und verkauft. Um diese Zeit war das lustige Treiben auf der Koppel bereits in vollem Gang. Dorthin wollte Michel sofort und sein Vater hatte nichts dagegen ihm zu folgen, wenn er auch nicht gerade daran dachte etwas zu kaufen - er wollte nur gucken.
»Aber denk daran, dass wir um zwölf Uhr bei Frau Petrell zum Mittagessen eingeladen sind«, sagte Michels Mama, bevor sie mit der kleinen Ida verschwand.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, dass ich eine solche Sache vergesse«, sagte Michels Papa und dann ging er mit Michel los.
Michel war noch keine fünf Minuten auf der Koppel, da sah er schon das Pferd! Das Pferd, das er haben wollte und das sein Herz hüpfen ließ, wie es nie zuvor gehüpft hatte. Was für ein Pferd! Es war ein kleiner prachtvoller brauner Dreijähriger. Angebunden am Zaun stand er da und schaute Michel so sanftmütig an, als hoffte er, Michel würde ihn kaufen. Das wollte
Michel, oh, wie er das wollte! Er sah sich nach seinem Papa um: Jetzt würde er anfangen so fürchterlich zu quengeln, dass sein Papa einfach gezwungen war, das Pferd zu kaufen, um dem Ganzen ein Ende zu machen.
Aber kann man sich ein solches Elend vorstellen: Sein Papa war verschwunden! Er hatte den richtigen Moment abgepasst und war untergetaucht in dem Gewühl von Bauern, die lärmten, schrien und lachten, und von Pferden, die wieherten und stampften, und von Ochsen und Kühen, die wild durcheinander muhten.
So ist es immer, dachte Michel verbittert. Man kann ihn nirgendshin mitnehmen. Als Erstes läuft er immer weg.
Und gerade jetzt war es so eilig. Da kam schon ein stämmiger Pferdehändler aus Malilla und richtete seinen Blick auf Michels Pferd.
»Wieviel kostet der da?«, fragte er den Bauern, der das Pferd verkaufen wollte. Es war ein kleiner Blasser aus Tuna.
»Dreihundert Kronen«, sagte der Tunabauer und Michel bekam Bauchschmerzen, als er das hörte. Aus seinem Papa dreihundert Kronen herauszuquetschen, das wäre ebenso schwer gewesen, wie sie direkt aus einem Felsen zu schlagen - das wusste Michel.
Aber versuchen kann ich es ja mal, dachte er. Er war ja der eigensinnigste Junge in ganz Lönneberga und ganz Smaland. Also sauste er los durch das Volksgedränge, um schnell seinen Papa zu finden. Hierhin und dorthin rannte er. Immer wilder wurde er, er zog und zerrte an allen möglichen Bauern, weil er dachte, sie wären sein Papa - von hinten sahen sie so aus. Aber wenn man sie umdrehte, dann war es jedes Mal ein wildfremder Bauer aus Södra Vi oder Locknevi und niemals Anton Svensson von Katthult in Lönneberga.
Glaub nun nicht, dass Michel deshalb aufgab! Da stand ein kleiner Fahnenmast auf der Viehkoppel und schon kletterte Michel auf seine Spitze, damit ihn alle sehen konnten, und er schrie mit voller Kraft: »Hallo, hallo, kennt jemand diesen Jungen hier oben? Sein Vater ist weggekommen!« Da sah er, dass unter ihm in dem Gewimmel von Bauern und Kühen und Pferden etwas geschah. Es entstand gleichsam eine Rinne durch das Gewimmel, jemand kam im Galopp zum Fahnenmast, und das war kein anderer als Michels Papa.
Anton Svensson schüttelte seinen Sohn vom Fahnenmast wie einen reifen Apfel aus dem Apfelbaum und dann zog er ihn am Ohr.
»Lausebengel«, sagte er, »wo warst du? Musst du immer als Erstes weglaufen?« Michel hatte keine Zeit darauf zu antworten.
»Komm«, sagte er, »da ist ein Pferd, das du sehen musst!«
Ja, sicher sah Michels Papa das Pferd, aber da war es schon verkauft! Kann man sich so was Schreckliches vorstellen? Michel und sein Papa kamen gerade richtig, um zu sehen, wie der Pferdehändler aus Malilla drei Hunderterscheine aus der Brieftasche zog und sie dem Bauern aus Tuna in die Hand drückte.
Da weinte Michel.
»Das ist doch wohl ein freundliches Pferd?«, fragte der Pferdehändler.
»Und wie freundlich«, sagte der Bauer. Er guckte aber zur Seite, als er das sagte, und es sah aus, als ob er sich dabei etwas dachte.
»Es hat noch keine Hufeisen, sehe ich«, sagte der Pferdehändler. »Das muss ich erledigen, bevor ich nach Hause fahre.«
Michel stand da und weinte und er tat seinem Papa so Leid.
»Nun wein doch nicht, Michel«, sagte er und dann nickte er entschlossen.
»Wir kaufen eine Tüte Zuckerstangen - koste es, was es wolle.«
Er nahm Michel mit zum Markt, wo die Bonbonfrauen in ihren Bonbonständen saßen, und kaufte Michel für zehn Öre gestreifte Zuckerstangen. Aber dann traf er einen Lönnebergabauern und fing an mit ihm zu reden und vergaß Michel. Michel stand da, den Mund voller Zuckerstangen und die Augen voller Tränen und dachte an das Pferd. Plötzlich sah er Alfred. Lina kam mit ihm daher. Er sah recht müde aus, der arme Alfred, und das war kein Wunder, denn Lina hatte ihn - hin und zurück - siebzehnmal am Juwelierladen vorbeigeführt und jedes Mal versucht, ihn dort hineinzuziehen, damit er Verlobungsringe für sie kaufte.
»Wenn ich mich nicht mit beiden Füßen dagegen gestemmt hätte - wer weiß, wie es ausgegangen wäre«, sagte Alfred glücklich. Er freute sich natürlich, als er Michel sah. Michel beeilte sich, ihm von dem Pferd zu erzählen, und sie standen da und seufzten zusammen über das Pferd, das niemals nach Katthult kommen sollte. Nachher kaufte Alfred einen Tonkuckuck für
Michel beim Töpfer, der auf dem Markt stand und sie anbot.
»Das ist mein Jahrmarktsgeschenk für dich«, sagte Alfred und da fühlte Michel sich innendrin, wo alles so traurig war, gleich etwas freundlicher an.
»Jaja, Kuckuckspfeifen kannst du kaufen«, sagte Lina.
»Übrigens - wann kommt eigentlich dieser Komet? Ich finde, es wäre jetzt Zeit.«
Aber ein Komet war nicht zu sehen. Es war ja auch erst kurz vor zwölf Uhr mittags, deshalb brauchte er sich noch nicht zu beeilen.
Alfred und Lina mussten nun nach Markus und Julia sehen und etwas essen - sie hatten einen Korb mit Essen unter der Bank im Wagen. Michel wäre gern mit ihnen gegangen, aber er wusste, dass er um zwölf Uhr bei Frau Petrell zu Mittag essen sollte, und er sah sich nach seinem Papa um. Und - glaub es mir oder nicht -sein Papa war wieder verschwunden! Er hatte den richtigen Moment abgepasst und war im Getümmel des Marktes zwischen all dem Marktvolk, den Bonbonfrauen und Töpfern und Korbflechtern und Bürstenbindern und Ballonverkäufern und allen anderen Jahrmarktsleuten untergetaucht.
»Unglaublich, wie dieser Mensch immer wegkommen kann«, sagte Michel. »Wenn ich das nächste Mal in die Stadt fahre, muss er zu Hause bleiben, denn so was mach ich nicht mehr mit.«
Michel gab nicht auf, weil sein Papa verschwunden war. Er war schon früher in der Stadt gewesen und wusste ungefähr, wo Frau Petrell wohnte. Sie hatte irgendwo, in der Nähe der Hauptstraße, ein schmuckes weißes Haus mit einer Glasveranda.
Es kann nicht unmöglich sein, dorthin zu finden, dachte Michel.
Frau Petrell war eine der vornehmsten Frauen in Vimmerby. Es war also schon eigenartig, dass sie die Katthulter zum Mittagessen einlud. Ich kann mir nicht denken, dass sie es nur wegen der guten Wurst tat, die Michels Mama immer für sie mitbrachte - so verrückt nach Wurst kann doch kein Mensch sein. Nein, es war so, dass Frau Petrell jeden Schmaus auf Katthult gern mitmachte, den Kirchenschmaus, das Krebsessen, das
Käsekuchenfest und all die anderen Festessen, wo man Wurst und Rippchen und Kalbsrouladen und Fleischklößchen, Omeletts und Aal in Gelee und noch vieles andere mehr bekam. Nun kann man schließlich nicht immer zu Festessen fahren ohne auch einmal einzuladen, meinte Frau Petrell. Es muss ja irgendwie gerecht zugehen, sagte sie sich, und deshalb hatte sie diesen Markttag genutzt, an dem die Katthulter sowieso in der Stadt waren, und hatte sie eingeladen, um zwölf Uhr zum Mittagessen zu kommen. Sie sollten tatsächlich aufgewärmten Fischpudding und Blaubeersuppe bekommen, hatte sie sich ausgedacht. Frau Petrell selbst aß etwa um elf Uhr nur ein kleines Kalbsfilet und ein großes Stück Marzipantorte, weil der Fischpudding knapp war. Es hätte doch wirklich komisch ausgesehen, wenn sie selbst dagesessen und in den Fischpudding reingehauen hätte, und ihre Gäste wären nicht satt geworden! Nein, das tat Frau Petrell nicht!
Nun saßen sie bereits am Tisch auf der Veranda, Michels Papa, Michels Mama und Klein-Ida.
»Dieser Lausejunge - es wäre leichter, einen Sack voll Flöhe zu hüten, die verliert man nicht so schnell«, sagte Michels Papa.
Er sprach von Michel.
Michels Mama wollte sofort hinauslaufen und nach ihrem kleinen Jungen suchen, obwohl Michels Papa versicherte, dass er schon überall nach ihm gesucht hätte.
Aber Frau Petrell sagte: »Wie ich Michel kenne, findet er schon her.«
Da hatte Frau Petrell ein wahres Wort gesprochen.
Gerade in diesem Augenblick nämlich war Michel auf dem Weg durch ihre Gartenpforte. Aber da sah er etwas, was ihn aufhielt. Neben Frau Petrell wohnte der Bürgermeister der Stadt in einem schönen Haus mit einem Garten ringsherum und dort zwischen den Apfelbäumen stolzierte auf hohen Stelzen ein Junge umher. Das war der kleine Gottfried vom Bürgermeister.
Er entdeckte Michel und sauste sofort kopfüber in einen Fliederstrauch. Wenn du jemals versucht hast auf Stelzen zu laufen, dann weißt du warum. Es ist nicht leicht, auf so einem Paar langer Stangen zu balancieren, die nur jede einen kleinen Holzklotz haben, worauf man seine Füße stellen kann. Gottfried steckte bald die Nase aus dem Busch und guckte Michel interessiert an. Wenn sich zwei kleine Jungen aus demselben Schrot und Korn zum ersten Mal treffen, dann leuchtet gleichsam ein Licht in ihren Augen auf. Gottfried und Michel sahen einander an und lächelten.
»So eine Müsse wie du möchte ich auch gern haben«, sagte Gottfried. »Leihst du sie mir?«
»Nee«, sagte Michel, »aber du kannst mir dafür deine Stelzen leihen.«
Gottfried fand, es sei ein guter Tausch.
»Aber ich glaub nicht, dass du damit gehen kannst«, sagte er. »Denn es ist schwer.«
»Werden wir ja sehen«, sagte Michel.
Er war unternehmungslustiger, als Gottfried ahnte. In einem Hui war er oben auf den Stelzen und wackelte hastig zwischen den Apfelbäumen hindurch. Das Mittagessen bei Frau Petrell hatte er völlig vergessen.
In der Glasveranda aber saßen die Katthulter und stopften den Fischpudding in sich hinein. Das war schnell getan und danach war es Zeit, zur Blaubeer-suppe überzugehen. Davon gab es viel. Eine bis an den Rand gefüllte Riesenschüssel stand mitten auf dem Tisch.
»Esst nur«, sagte Frau Petrell. »Ich hoffe, ihr habt Appetit.«
Sie selbst hatte keinen besonderen Appetit und rührte die Blaubeersuppe nicht an. Dafür redete sie umso mehr. Sie redete von dem großen Kometen, denn das taten alle Menschen an diesem Tag in Vimmerby.
»Es wäre ja zu schrecklich«, sagte sie, »wenn ein Komet allem ein Ende bereiten sollte.« »Ja, wer weiß, die Blaubeersuppe ist vielleicht das Letzte, was man in diesem Leben isst«, sagte Michels Mama und da schob Michels Papa schnell seinen Teller vor.
»Kann ich noch etwas haben?«, fragte er. »Für alle Fälle.«
Bevor Frau Petrell ihm aber den Teller füllen konnte, geschah etwas Furchtbares. Da gab es ein Krachen und da war ein Schrei - und da kam hinter Frau Petrell etwas durch den großen Fensterrahmen gesaust und plötzlich wirbelten Glasscherben und Blaubeersuppe in der ganzen Veranda durcheinander.
»Der Komet!«, schrie Frau Petrell und fiel - plumps - ohnmächtig zu Boden.
Doch es war nicht der Komet. Es war nur Michel, der wie eine Kanonenkugel durchs Fenster gekracht kam und mit dem Kopf genau in die Blaubeersuppe fuhr, dass es nur so um ihn spritzte.
Ach, das war ein Durcheinander in der Glasveranda! Michels Mama schrie, sein Papa brüllte und Klein-Ida weinte. Nur Frau Petrell verhielt sich vollkommen still, sie lag ja ohnmächtig auf dem Boden.
»Schnell raus in die Küche! Kaltes Wasser!«, rief Michels Papa. »Wir müssen ihr die Stirn kühlen!« So schnell sie konnte, rannte Michels Mama los und Michels Papa rannte hinterher und trieb sie an, weil es noch schneller gehen sollte.
Michel krabbelte langsam mit einem knallblauen Gesicht aus der Schüssel.
»Warum hast du es immer so eilig, wenn du essen willst?«, fragte die kleine Ida vorwurfsvoll.
Darauf antwortete Michel nicht. »Gottfried hatte Recht«, sagte er. »Auf Stelzen kann man nicht über einen Zaun steigen. Auf jeden Fall ist das bewiesen.«
Dann sah er die arme Frau Petrell auf dem Fußboden liegen und sie tat ihm Leid. »Dauert es wirklich so lange etwas Wasser herzuholen?«, sagte er. »Schnell muss hier geholfen werden, schnell!« Michel war nicht zimperlich. Rasch nahm er die Schüssel mit der Blaubeer-suppe und schüttete alles, was noch übrig war, Frau Petrell mitten ins Gesicht.
Glaub mir oder nicht - es half.
»Blupp«, sagte Frau Petrell und kam blitzschnell auf die Beine. Da sieht man, wie gut es ist, viel Blaubeersuppe zu kochen, dann reicht sie auch bei Unglücksfällen.
»Ich hab sie schon kuriert«, sagte Michel stolz, als seine Mama und sein Papa endlich mit dem Wasser aus der Küche angelaufen kamen.
Michels Papa sah ihn finster an und sagte: »Ich weiß einen, der im Tischlerschuppen kuriert wird, wenn wir nach Hause kommen.«
Frau Petrell war noch immer wirr im Kopf. Und im Gesicht genauso blau wie Michel. Aber Michels Mama, die schnell und behände war, legte Frau Petrell aufs Sofa und nahm eine Scheuerbürste.
»Hier muss sauber gemacht werden«, sagte sie und begann zu schrubben, zuerst Frau Petrell, dann Michel und dann den Boden der Veranda. Bald sah man nicht mehr die geringste Spur von der Blaubeersuppe - außer einem kleinen Rest in einem Ohr von Michel.
Seine Mama kehrte noch die Glasscherben zusammen. Sein Papa lief zum Glaser und holte eine neue Scheibe, die er dort einkittete, wo vorher die alte gesessen hatte. Michel kam und wollte helfen, aber sein Papa ließ ihn nicht mal in die Nähe der Fensterscheibe kommen.
»Halt du dich da raus«, zischte er. »Verschwinde nach draußen und komm nicht wieder, ehe wir nach Hause fahren!«
Michel hatte nichts dagegen nach draußen zu verschwinden. Er wollte gern noch etwas mit Gottfried reden. Aber er war hungrig. Er hatte ja nichts im Magen außer einem kleinen Schluck Blaubeersuppe, den er in sich hineingeschlürft hatte, während er mit dem Kopf in der Schüssel steckte.
»Hast du was zu essen im Haus?«, fragte er Gottfried, der noch immer hinter dem Zaun stand.
»Na, das will ich meinen«, sagte Gottfried. »Papa wird heute fünfzig Jahre alt, und das soll groß gefeiert werden. Da gibt es Essen, dass sich die Speisekammertüren biegen.«
»Gut«, sagte Michel. »Ich könnte vielleicht etwas davon probieren und sehen, ob es richtig gesalzen ist.« Gottfried dachte nicht lange nach. Er ging in die Bürgermeisterküche und kam zurück mit einer Menge guter Sachen auf einem Teller: mit Würstchen und Fleischklößen, mit kleinen Pasteten und von jedem etwas. Dann standen sie da, Gottfried und Michel, jeder auf seiner Seite des Zaunes, und aßen alles auf und Michel war glücklich und zufrieden.
Bis Gottfried sagte: »Heute Abend machen wir Feuerwerk, das größte, das es jemals in Vimmerby gegeben hat!«
Der arme Michel hatte in seinem ganzen Leben noch nie ein Feuerwerk gesehen - für solche Torheiten hatten die Leute in Lönneberga nichts übrig - und nun grämte er sich bitter, dass hier ein Riesenfeuerwerk stattfinden sollte, das er auch nicht sehen konnte, weil die Katthul-ter schon lange vor dem Abend nach Hause fahren mussten.
Michel seufzte. Wenn man nachdachte, dann war das ein trauriger Jahrmarktstag. Kein Pferd, kein Feuerwerk, nur Kummer und zu Hause ein Tischlerschuppen, der einen erwartete. Das also war aus allem geworden.
Trübsinnig sagte er Gottfried auf Wiedersehen und machte sich auf den Weg, um Alfred zu suchen, seinen Freund und seinen Trost, wenn er traurig war.
Aber wo war Alfred? Die Straßen waren voll gestopft mit Menschen, mit Marktbauern und Einwohnern von Vimmerby, alles durcheinander. Alfred in diesem Durcheinander zu treffen, das war nicht das Leichteste. Michel trabte herum und suchte einige Stunden lang und machte in der Zeit ziemlich viel Unfug, der aber nie in ein Schreibheft eingetragen wurde, weil keiner dahinter kam. Alfred aber fand er nicht.
Im Oktober wird es zeitig dunkel. Bald würde es dämmern, bald würde der Jahrmarktstag für immer vorbei sein. Die Marktbesucher dachten schon an ihre Heimfahrt und eigentlich hätten die Vimmerbyer auch allmählich anfangen müssen, sich in ihre Häuser zurückzuziehen, aber das wollten sie nicht. Sie wollten noch immer draußen auf den Straßen lachen und miteinander reden und Krach machen. Sie wirkten alle so seltsam aufgeregt - ja, aber bedenke, was für ein Tag das auch war! Jahrmarktstag und Geburtstag des Bürgermeisters und vielleicht der letzte Tag der Welt, falls dieser Komet nun tatsächlich angezischt kommen sollte. Du verstehst sicher, wie eigenartig es für die Vim-merbyer war, in der Dämmerung herumzugehen und zu warten und nicht zu wissen, ob es etwas Lustiges oder Schreckliches war, worauf sie warteten.
Wenn Menschen fröhlich und ängstlich zugleich sind, machen sie mehr Krach als gewöhnlich. Deshalb nahmen Leben und Lärm auf den Straßen immer mehr zu. In den Häusern aber war es still und friedlich und niemand war zu Hause als die Katzen und die eine oder andere Großmutter, die auf die Enkelkinder aufpassen musste.
»Wenn du schon einmal durch eine kleine Stadt wie Vimmerby geschlendert bist, vielleicht an einem Markttag und vielleicht gerade in der Dämmerung, dann weißt du, wie schön es ist, dort durch die kleinen kopfsteingepflasterten Straßen zu gehen und hinter den Fenstern der kleinen Häuser die Großmütter und Enkelkinder und Katzen zu sehen. Und du weißt auch, wie spannend es ist, durch finstere Gänge und Tore zu schleichen und in dunkle Höfe zu kommen, wo die Marktbesucher ihre Fuhrwerke abgestellt haben und nun noch herumstehen, eine Flasche Bier in der Hand, bevor sie anspannen und heimfahren.«
Michel fand es auch schön und spannend. Bald hatte er vergessen, wie unzufrieden er eben noch gewesen war, und er war sicher, dass er Alfred früher oder später finden würde. Er fand ihn auch, aber zuerst fand er etwas anderes.
Wie er so durch eine kleine Gasse ging, hörte er den wildesten Lärm aus einem dunklen Hof. Er hörte Männer, die fluchten und schimpften, und ein Pferd, das wieherte. Rasch huschte Michel durch das Tor hinein, um rauszukriegen, was da los war. Was er sah, war wirklich keine Freude für ihn. In diesem Hof war eine alte Hufschmiede und im Schein des Feuers sah er mitten in einem Haufen aufgeregter, wütender Männer sein Pferd, sein schönes braunes Pferdchen.
Und rat mal, warum sie wütend waren? Nur, weil das braune Pferd sich keine Hufeisen aufnageln lassen wollte. Sobald der Hufschmied ein Bein des Pferdes hochzuheben versuchte, legte es los mit den wildesten Sprüngen, mit Ausschlagen und Bocken, dass die Männer nur so auseinander stoben. Der Schmied raufte sich die Haare und wusste nicht, was er machen sollte.
»In meinem Leben habe ich schon viele Pferde beschlagen«, sagte er, »aber so eins ist mir noch nie vorgekommen.«
Du weißt vielleicht nicht, was ein Hufschmied ist? Das ist ein Mann, der den Pferden Schuhe anpasst. Ja, Pferde brauchen Schuhe genau wie du, sie würden sonst ihre Hufe abnutzen und auf abschüssigen Wegen rutschen und sehr schlecht laufen können. Natürlich haben sie keine gewöhnlichen Schuhe an, sondern gebogene Eisen, die man auf den Hufen festnagelt: ganz einfach Hufeisen - falls du solche schon mal gesehen hast.
Das braune Pferd aber hatte sich offensichtlich entschlossen keine Eisen zu dulden. Es stand so still und fromm, wie man es sich nur wünschen konnte, solange niemand eins der Hinterbeine berührte; kam aber der Hufschmied mit seiner Hand und streifte ein Bein, dann begann derselbe wilde Zirkus wie vorher, und das Pferd stieß sich frei, obwohl ein halbes Dutzend Männer es zu halten versuchten. Der Pferdehändler aus Malilla, der das Pferd gekauft hatte, wurde von Mal zu Mal grimmiger.
»Jetzt mach ich’s selbst ...«, sagte er schließlich und packte energisch ein Hinterbein des Pferdes. Aber da bekam er einen Tritt, dass er sich mitten in eine Regenpfütze setzte.
»Jaja, so geht es«, sagte ein Bauer, der dastand und zusah. »Glaubt mir, es ist nicht möglich, dieses Pferd zu beschlagen, denn das haben die zu Hause in Tuna schon mindestens zwanzigmal versucht.« Da begriff der Pferdehändler, dass er bei seinem Pferdekauf betrogen worden war, und tobte noch mehr.
»Das Pferdevieh mag nehmen, wer will!«, schrie er.
»Wenn ich ihn nur los bin!« Und wer trat jetzt vor? Natürlich Michel.
»Ich kann ihn nehmen«, sagte er.
Da lachte der Pferdehändler.
»Du kleiner Dreikäsehoch?«
Er hatte es ja nicht ernst gemeint, dass er das Pferd weggeben wolle, aber weil so viele herumstanden und zuhörten, musste er jetzt versuchen, auf pfiffige Art aus der Klemme zu kommen, und deshalb sagte er: »Natürlich, du sollst das Pferd haben, wenn du es so festhalten kannst, dass wir es beschlagen können!« Darüber lachten alle, die dort standen, denn sie hatten es ja selbst versucht und wussten, dass dies ein Pferd war, das niemand halten konnte.
Aber du darfst nicht glauben, dass Michel dumm war.
Er wusste mehr über Pferde als irgendeiner in ganz Lönneberga und in ganz Smaland, und als das braune Pferd am wildesten ausschlug und herumsprang und wieherte, da dachte Michel: Es stellt sich genauso an wie Lina zu Hause, wenn man sie kitzelt! Genauso war es und Michel war der Einzige, der das begriff. Das Pferd war ganz einfach kitzlig. Deshalb schnaubte es und stieß und schlug aus wie Lina, und wenn es so laut wieherte, dann nur, weil es sich, genau wie Lina, totlachte, sobald jemand seine Hinterbeine berührte. Du weißt ja selbst, wie das ist, wenn man gekitzelt wird.
Michel ging also zu dem Pferd und nahm dessen Kopf zwischen seine kleinen starken Hände.
»Hör mal, du«, sagte er, »mach jetzt keinen Ärger. Du sollst Hufeisen bekommen. Ich versprech dir, dich nicht zu kitzeln.«
Rate, was Michel dann machte! Er ging hinter das Pferd und nahm mit einem schnellen Griff einen Hinterhuf und hob ihn hoch. Das Pferd drehte nur den Kopf und guckte Michel so freundlich an, als wollte es sehen, was Michel eigentlich vorhatte. Denn, siehst du, in den Hufen hat ein Pferd nicht mehr Gefühl, als du in deinen Nägeln hast, und nun verstehst du sicher, dass es dort kein bisschen kitzlig ist.
»Bitte sehr«, sagte Michel zum Schmied, »kommen Sie mit dem Hufeisen! Ich halte fest.«
Da ging ein Raunen durch die Reihe der Männer und es raunte weiter, während Michel dem Hufschmied half, unter alle vier Hufe des Pferdes Eisen zu nageln.
Aber als das erledigt war, begann der Pferdehändler sich zu winden. Er wusste zwar, was er versprochen hatte, aber er wollte dieses Versprechen nicht halten.
Stattdessen nahm er einen Fünfkronenschein aus seiner Brieftasche und wollte ihn Michel geben.
»Das reicht wohl«, sagte er.
Da wurden die Bauern aber böse. Sie waren alle, wie sie dort standen, ehrenwert, und sie waren gewohnt ihr Wort zu halten.
»Versuch das gar nicht erst«, sagten sie. »Der Junge bekommt das Pferd!«
Und dabei blieb es. Der Pferdehändler war reich, das wussten alle, und anstandshalber musste er zu seinem Wort stehen.
»Na gut, dreihundert Kronen sind ja nicht die Welt«, sagte er. »Nimm das Pferdevieh und verschwinde!« Rate, ob Michel froh war! Er sprang auf sein frisch beschlagenes Pferd und ritt durch das Tor wie der kühnste General. Alle Bauern schrien »Hurra!« und der Hufschmied sagte:
»Solche Sachen sind das, die passieren, wenn Jahrmarkt in Vimmerby ist!«
Michel aber ritt durch das Marktgetümmel, glücklich und stolz, dass es um ihn herum nur so funkelte. Und auf der Hauptstraße, mitten im ärgsten Menschengewimmel, kam ihm tatsächlich Alfred entgegen.
Er blieb mit einem Ruck stehen und riss die Augen auf.
»Junge, Junge«, rief er, »was ist das für ein Pferd?«
»Mein Pferd«, sagte Michel. »Es heißt Lukas und du kannst mir glauben, es ist genauso kitzlig wie Lina.« Gerade da kam Lina angerannt und zog Alfred am Jak-kenärmel.
»Wir wollen nach Hause fahren«, sagte sie. »Der Bauer spannt schon an.«
Ja, nun war aller Spaß zu Ende - nun wollten die Katthulter wieder nach Lönneberga fahren. Etwas aber wollte Michel unbedingt noch tun: Er wollte Gottfried sein Pferd zeigen.
»Sagt Papa, dass ich in fünf Minuten komme«, rief er und ritt los, zum Bürgermeisterhaus, dass es auf den Pflastersteinen klapperte.
Die Oktoberdämmerung hatte sich über Haus und Garten des Bürgermeisters gesenkt, aber alle Fenster leuchteten festlich und aus dem Innern des Hauses hörte man Gelächter und Gerede. Das Fest des Bürgermeisters war in vollem Gang.
Draußen im Garten ging Gottfried auf und ab. Er machte sich nichts aus Festlichkeiten und hatte deshalb wieder seine Stelzen genommen. Aber als Michel angeritten kam, schoss er kopfüber in den Fliederstrauch.
»Wessen Pferd ist das?«, fragte er, kaum dass er die Nase hervorstreckte.
»Meins«, sagte Michel. »Es gehört mir!«
Zuerst wollte Gottfried es nicht glauben, aber als er endlich begriff, dass es wahr war, wurde er wütend.
Wie hatte er seinem Papa in den Ohren gelegen, ihm ein Pferd zu kaufen! Vom Morgen bis zum Abend hatte er um ein Pferd gebettelt - und was hatte sein Papa ihm immer wieder geantwortet?
»Dafür bist du zu klein. Es gibt keinen einzigen Jungen in deinem Alter, der ein Pferd hat!«
Was für eine himmelschreiende Lüge! Hier kam nun Michel - da konnte sein Papa sich ja überzeugen, wenn er Augen im Kopf hatte und wenn er nur herauskommen würde, um das zu sehen! Aber der saß drinnen bei Tisch und feierte, erklärte Gottfried Michel. Er saß fest in einem Haufen von Dummköpfen, die nur aßen und tranken und schwatzten und Reden hielten und niemals fertig wurden.
»Ich krieg ihn nicht heraus«, sagte Gottfried traurig und Tränen standen ihm in den Augen.
Michel tat Gottfried Leid und Michel war nie um einen Ausweg verlegen. Wenn der Bürgermeister nicht zum Pferd kommen konnte, dann konnte ja das Pferd zum Bürgermeister kommen, das war doch nicht schwer. Man brauchte nur die Treppe hinaufzureiten und durch die Tür und durch die Diele ins Esszimmer.
Das Einzige, was Gottfried zu tun hatte, war die Türen aufzuhalten.
Wenn du jemals auf einem Fest gewesen bist, wo plötzlich ein Pferd hereinkommt, dann weißt du, dass manche Menschen die Augen aufreißen und hochfahren, als ob sie noch nie im Leben ein Pferd gesehen hätten. Das taten sie auch bei dieser Feier. Besonders der Bürgermeister. Er zuckte so zusammen, dass ihm ein großes Tortenstück im Hals stecken blieb.
Deshalb konnte er zu seiner Verteidigung auch kein Wort hervorbringen, als Gottfried schrie:
»Was sagst du nun? Hier, hier siehst du doch, dass es welche gibt, die Pferde haben!«
Eigentlich waren die Festgäste von Herzen froh, als das Pferd hereinkam, und das war ganz natürlich, denn Pferde sind ja liebe Tiere. Alle wollten Lukas streicheln. Michel saß oben auf dem Pferderücken und lächelte zufrieden. Sein Pferd durften sie gern streicheln.
Aber da kam ein alter Major, der wollte zeigen, wie gut er sich auf Pferde verstand. Er wollte Lukas ein wenig in die Hinterbeine zwicken. Ach, ach, ach - er wusste ja nicht, wie kitzlig Lukas war!
Der Bürgermeister hatte eben das Tortenstück so einigermaßen aus dem Hals bekommen und wollte gerade das eine oder andere Wort zu Gottfried sagen, aber da,
gerade da zwickte der Major den Lukas in ein Hinterbein. Im selben Augenblick schlug Lukas aus und traf mit dem Huf einen kleinen Serviertisch, der dort stand, und schon sauste die ganze große Sahnetorte quer durchs Zimmer und landete mit einem Klatsch mitten im Gesicht des Bürgermeisters.
»Blupp«, sagte der Bürgermeister.
Merkwürdigerweise lachten alle los; sie verstanden es eben nicht besser.
Nur die Bürgermeisterin wagte nicht zu lachen.
Ängstlich kam sie mit dem Tortenheber angelaufen.
Hier galt es sofort mit einer Ausgrabung anzufangen, damit ihr armer Mann zumindest für die Augen ein Paar Gucklöcher bekam, sonst konnte er ja nicht sehen, was weiter auf seiner Geburtstagsfeier geschah.
Aber da fiel Michel plötzlich ein, dass er heim musste nach Lönneberga, und er ritt schnell zur Tür hinaus.
Gottfried lief ihm nach, denn jetzt war mit Papa doch nicht zu reden, weil er voller Sahne war, und außerdem konnte Gottfried sich nicht von Lukas trennen.
Draußen an der Gartenpforte wartete Michel, um ihm auf Wiedersehen zu sagen.
»Hast du ein Glück«, sagte Gottfried und streichelte Lukas ein letztes Mal.
»Ja, das hab ich«, sagte Michel.
Gottfried seufzte.
»Aber wir werden jedenfalls ein Feuerwerk haben«, sagte er, wie um sich selbst zu trösten. »Das da.«
Er zeigte Michel all die Feuerwerkskörper, die auf dem Gartentisch in der Fliederlaube lagen, und bei Michel zündete es sofort. Sicher hatte er es eilig - aber er hatte in seinem ganzen armen Leben auch noch nie ein Feuerwerk gesehen.
»Ich könnte einen zur Probe anstecken«, sagte er. »Um festzustellen, ob er in Ordnung ist.«
Gottfried dachte nicht lange nach. Er nahm einen Feuerwerkskörper aus dem Haufen heraus.
»Ja, aber nur diesen kleinen Knallfrosch«, sagte er.
Michel nickte und kletterte vom Pferd. »Ja, nur diesen kleinen Knallfrosch. Kann ich ein Streichholz haben?«
Das bekam er. Und - piff, paff - machte sich der kleine leuchtende Knallfrosch auf den Weg. Ja, der war in Ordnung! Hin und her schoss er und zum Schluss hopste er auf den Gartentisch zurück und legte sich wieder zwischen all die anderen Feuerwerkskörper. Er wollte wohl nicht allein sein, könnte ich mir denken.
Aber davon bemerkten weder Michel noch Gottfried etwas, denn sie hörten auf einmal lautes Rufen hinter sich. Das war der Bürgermeister, der auf die Treppe herausgelaufen kam und mit ihnen reden wollte. Er war nun fast frei von Sahne, nur der Bart schimmerte noch weiß im Oktoberdunkel.
Auf den Straßen von Vimmerby gingen die Vimmerby er immer noch spazieren und lachten, johlten und schrien und wussten nicht, ob sie auf etwas Lustiges oder auf etwas Schreckliches warteten.
Und da kam es! Da kam das Schreckliche, auf das sie insgeheim mit Schaudern gewartet hatten. Plötzlich stand über dem Bürgermeisterhaus der ganze Himmel in Flammen. Plötzlich war die Welt voll von glühenden, zischenden Schlangen und leuchtenden Kugeln und herabstürzendem Feuer. Es krachte und knatterte und puffte und zischte und wurde so schauerlich, dass die armen Vimmerbyer vor Schreck erbleichten.
»Der Komet!«, schrien sie. »Hilfe! Wir sterben!« Es wurde ein Geschrei und ein Weinen, wie man es nie zuvor in der Stadt gehört hatte, denn alle glaubten, ihre letzte Stunde sei gekommen. Arme Menschen, kein Wunder, dass sie kreischten und haufenweise auf den Straßen ohnmächtig wurden. Nur Frau Petrell saß völlig ruhig in ihrer Glasveranda und sah die Feuerkugeln draußen herumwirbeln.
»An Kometen glaube ich nicht länger«, sagte sie zu ihrer Katze. »Ich wette, das ist dieser Michel, der wieder in Fahrt ist.«
Damit sprach Frau Petrell ein wahres Wort. Natürlich waren es Michel und sein kleiner Knallfrosch, die das ganze Geburtstagsfeuerwerk »in Ordnung« gebracht und alles auf einmal in die Luft geknallt hatten.
Aber natürlich war es ein Glück, dass der Bürgermeister gerade im richtigen Augenblick herausgekommen war. Sonst hätte er von seinem großartigen Feuerwerk vielleicht nichts gesehen. Jetzt aber stand er dort, wo es am meisten wirbelte und knallte, und er hatte wirklich damit zu tun jedes Mal zur Seite zu springen, wenn ihm eine Feuerkugel um die Ohren pfiff. Michel und Gottfried begriffen, dass er es lustig fand, denn er stieß bei jedem Hopser kleine fröhliche Schreie aus.
Nur als eine Rakete zischend in eines seiner Hosenbeine fuhr, da wurde er sichtlich wütend. Warum sonst hätte er so ein kolossales Gebrüll angestimmt und das Gezeter so eigensinnig fortgesetzt, während er zur Wassertonne an der Hausecke lief und dort wie ein Rasender das Bein eintauchte? So was kann man mit Raketen nicht machen, die verlöschen dann ja, das hätte er sich doch denken können.
»Aber jetzt hab ich endlich ein Feuerwerk gesehen«, sagte Michel, der versteckt neben Gottfried hinter dem Holzschuppen des Bürgermeisters lag.
»Ja, jetzt hast du wirklich ein Feuerwerk gesehen«, sagte Gottfried.
Danach schwiegen sie und warteten. Auf nichts Besonderes, nur darauf, dass der Bürgermeister aufhören würde, wie eine große böse Hummel im Garten herumzuschwirren.
Aber als dann eine Weile später der Katthultwagen heim nach Lönneberga rollte, waren alle Sonnen und Feuerkugeln längst erloschen. Da leuchteten nur noch die Sterne über den Tannenspitzen. Dunkel war der Wald und dunkel war der Weg, Michel aber war glücklich und sang, während er auf seinem Pferd durch die Dunkelheit ritt:
»Hei-hopp - Vater mein!
So muss mein Pferdchen sein:
Das schnellste, das beste auf der Welt -und alles, alles - ohne Geld!«
Und sein Vater saß auf dem Wagen und kutschierte, sehr zufrieden mit seinem Michel. Sicher hatte der Junge mit seinem Unfug und seinen Kometereien Frau Petrell und ganz Vimmerby beinahe um den Verstand gebracht, aber hatte er es nicht auch zu einem Pferd gebracht? Und ohne auch nur ein Öre dafür zu bezahlen - das war schließlich die Hauptsache. Einen solchen Jungen gab es nicht in ganz Lönneberga und diesmal sollte er nicht in den Tischlerschuppen, dachte Michels Papa.
Er war übrigens in ausgelassener Stimmung, vielleicht deshalb, weil er, gerade als sie abfahren wollten, einen alten Bekannten getroffen hatte, der ihn zu ein paar Flaschen Bier eingeladen hatte. Normalerweise trank Michels Papa kein Bier, nein, so einer war er nicht, aber wenn er eingeladen wurde und wenn es nichts kostete - was sollte er da machen?
Michels Papa knallte munter mit der Peitsche, während er kutschierte, und rief mit Nachdruck: »Hier kommt der gute Katthult-Vater ... ein bedeuheu-heutender Mann!«
»Hoho, jaja«, sagte Michels Mama, »was für ein Glück, dass nicht jeden Tag Jahrmarkt ist. Oh, wie schön wird es sein, nach Hause zu kommen!«
Auf ihrem Schoß schlief Klein-Ida. Ihr Jahrmarktsgeschenk hielt sie mit den Händen fest umschlossen. Es war ein kleiner weißer Porzellankorb mit rosa Porzellanrosen. Darauf stand: »Andenken an Vimmerby«.
Hinten schlief Lina, an Alfreds Arm gelehnt. Alfreds Arm schlief auch, denn Lina hatte lange schwer auf ihm gelegen. Aber sonst war Alfred munter und bei bester Laune, genau wie sein Bauer, und er sagte zu Michel, der neben ihm ritt:
»Morgen fahren wir den ganzen Tag Mist, das wird lustig.«
»Morgen reite ich auf meinem Pferd«, sagte Michel. »Den ganzen Tag. Das wird lustig.«
Und genau in dem Augenblick schwenkte der Wagen um die allerletzte Wegbiegung und sie konnten das Licht im Küchenfenster sehen, zu Hause auf Katthult, wo Krösa-Maja mit dem Abendbrot wartete.
Nun glaubst du vielleicht, dass Michel aufhörte Unfug zu machen, nur weil er ein Pferd bekommen hatte.
Aber so war es nun doch nicht. Zwei Tage ritt er auf Lukas herum, aber schon am dritten Tag, also am 3. November, war er bereit wieder loszulegen. Rat mal, was er tat . hohoho, ich muss lachen, wenn ich daran denke! Es war so, dass Michel gerade an diesem Tag ... Nein, halt! Halt! Ich hab Michels Mama ja versprochen niemals zu erzählen, was er am 3. November angestellt hat, denn nach diesem Unfug sammelten die Lönneberger das Geld - du erinnerst dich doch - und wollten Michel nach Amerika schicken. Michels Mama wollte hinterher am liebsten alles vergessen. Sie hat es nicht einmal in das blaue Schreibheft geschrieben und warum also sollte ich davon erzählen? Nein, stattdes-sen sollst du erfahren, was Michel am zweiten Weihnachtstag tat. Es war