Montag, der 26. Dezember, als Michel »Das große Aufräumen von Katthult« veranstaltete und die Maduskan in der Wolfsgrube fing

Bevor es Weihnachten werden konnte, musste man erst den kalten und regnerischen dunklen Herbst überstehen und der ist wohl nirgendwo besonders lustig. Das war er auch nicht auf Katthult. Alfred ging im Nieselregen hinter den Ochsen her und pflügte den steinigen Acker und hinter ihm in der Furche trabte Michel. Er half Alfred die Ochsen anzutreiben, die träge und unmöglich waren und überhaupt nicht begriffen, wozu Pflügen gut sein sollte. Aber es wurde ja schnell dunkel und Alfred spannte aus und dann trotteten sie nach Hause, Alfred, Michel und die Ochsen.

Nachher kamen Alfred und Michel mit großen Erdklumpen an den Stiefeln in die Küche und brachten Lina zur Weißglut, denn sie war besorgt um ihren frisch gescheuerten Fußboden.

»Sie ist zu pingelig«, sagte Alfred. »Wer sie heiratet, hat keine ruhige Stunde mehr in seinem Erdenleben.«

»Ja, und das wirst wohl du sein«, sagte Michel.

Alfred schwieg und dachte nach. »Nee, siehst du,

das werde ich nicht«, sagte er schließlich. »Ich trau mich nicht. Aber ich trau mich auch nicht ihr das zu sagen.«

»Willst du, dass ich es sage?«, fragte Michel, der sehr mutig und verwegen war.

Doch das wollte Alfred nicht.

»Das muss ihr schonend beigebracht werden«, sagte er, »damit sie nicht traurig wird.« Alfred dachte lange darüber nach, wie er es anstellen sollte Lina beizubringen, dass er sie nicht heiraten wollte, aber er hatte keine gute Idee.

Nun lag die Herbstdunkelheit schwer über Katthult.

Schon nachmittags gegen drei Uhr musste man in der der Küche die Petroleumlampe anzünden, und dann saßen sie alle dort, und jeder war für sich beschäftigt. Michels Mama ließ das Spinnrad laufen und spann feines weißes Garn - daraus sollten für Michel und Ida Strümpfe werden. Lina kämmte Wolle, und das tat Krösa-Maja auch, wenn sie da war. Michels Papa flickte Schuhe und sparte damit eine Menge Geld, das sonst der Dorfschuster eingesteckt hätte. Alfred war nicht weniger tüchtig, er stopfte sich seine Strümpfe selbst.

Sie hatten an den Zehen und Fersen immer große Löcher, aber die zog Alfred schnell zusammen.

Lina wollte ihm gern helfen, aber Alfred erlaubte es nicht.

»Nee, siehst du, denn dann säße ich in der Falle«, erklärte er Michel. »Und nachher hilft es nichts mehr, wie schonend man es ihr auch beibringt.«

Michel und Ida saßen oft unter dem Tisch und spielten mit der Katze. Einmal versuchte Michel Ida einzureden, dass die Katze eigentlich ein Wolf sei, und als sie es nicht glauben wollte, stimmte er ein Wolfsgeheul an, dass alle in der Küche zusammenfuhren. Seine Mama wollte wissen, was das Geheul bedeute, und da sagte Michel:

»Wir haben hier unterm Tisch einen Wolf.« Sofort begann Krösa-Maja von Wölfen zu erzählen und da krochen Michel und Ida fröhlich unterm Tisch hervor, um zuzuhören. Jetzt würde es etwas Gruseliges geben, das wussten sie, denn es waren immer nur Gruselgeschichten, die Krösa-Maja erzählte. Wenn es nicht um Mörder oder Einbrecher oder Geister ging, dann ging es um schreckliche Enthauptungen und fürchterliche Feuersbrünste und schreckliches Unglück und tödliche Krankheiten oder gefährliche Tiere. Wie zum Beispiel Wölfe.

»Als ich klein war«, begann Krösa-Maja, »da gab es hier in Smaland viele Wölfe.«

»Aber dann kam König Karl XII. und schoss sie ab -zum Glück«, sagte Lina.

Da wurde Krösa-Maja böse. Alt war sie ja, aber nicht so alt, wie Lina glaubte.

»Du redest doch nur, wie du es verstehst«, sagte Krösa-Maja und wollte nichts mehr erzählen. Michel aber schmeichelte und drängte und schließlich fing sie wieder an und erzählte sehr viel Schauriges von Wölfen und davon, wie man früher, als sie noch klein war, Wolfsgruben machte und Wölfe darin fing.

»Also da brauchte Karl XII. dann nicht mehr zu kommen ...«, fing Lina von neuem an, hörte aber schnell auf, denn Krösa-Maja wurde wieder böse, und das war auch kein Wunder. Karl XII. war ein König, der vor Hunderten von Jahren gelebt hatte, musst du wissen, und so alt oder uralt war Krösa-Maja ja nicht.

Aber Michel kriegte sie wieder herum. Und da erzählte Krösa-Maja von Werwölfen, die die fürchterlichsten aller Wölfe wären und die nur im Mondschein umherschlichen. Die Werwölfe könnten sprechen, sagte Krösa-Maja, denn sie wären keine gewöhnlichen Wölfe, sie wären so etwas zwischen Wolf und Mensch und die schrecklichsten Ungeheuer. Träfe man einen Werwolf im Mondschein, dann könnte man der Welt getrost gute Nacht sagen, denn schlimmere Raubtiere gäbe es nicht. Und deshalb sollten die Menschen nachts drinnen bleiben, wenn Mondschein wäre, sagte Krösa-Maja und starrte Lina böse an.

»Obwohl Karl XII ....«, begann Lina. Da schleuderte Krösa-Maja die Wollkämme von sich und sagte, dass sie nun nach Hause gehen müsse, denn jetzt fühle sie sich wirklich alt und müde.

Aber am Abend, als Michel und Ida in ihren Betten in der Kammer lagen, redeten sie wieder von den Wölfen.

»Es ist gut, dass es jetzt keine mehr gibt«, sagte Ida.

»Keine mehr gibt?«, antwortete Michel. »Woher weißt du das, wenn du keine Wolfsgrube hast, um sie darin zu fangen?«

Lange lag er wach und dachte darüber nach und je länger er nachdachte, desto sicherer war er, dass er nur eine Wolfsgrube brauchte; dann würde er schon einen Wolf darin fangen. Flink wie er war, begann er gleich am nächsten Morgen, sich zwischen dem Tischlerschuppen und der Vorratskammer eine Wolfsgrube zu graben. Es war die Stelle, wo im Sommer die vielen Brennnesseln wuchsen, die aber jetzt schwarz und verwelkt am Boden lagen.

Es dauert eine ganze Zeit, bis eine Wolfsgrube gegraben ist. Tief musste sie sein, wenn der Wolf nicht wieder herauskommen sollte, nachdem er einmal hineingefallen war. Alfred half Michel hin und wieder mit einigen Spatenstichen - trotzdem war die Grube erst gegen Weihnachten fertig.

»Ist doch gut so«, sagte Alfred, »denn die Wölfe kommen nicht eher aus dem Wald heraus, bevor es kalter Winter ist und sie richtig ausgehungert sind.« Klein-Ida schüttelte sich, wenn sie an die hungrigen Wölfe dort hinten im Wald dachte, die in der kalten Winternacht angeschlichen kommen und heulend um die Hausecken streichen würden. Aber Michel schüttelte sich nicht. Er sah Alfred mit glitzernden Augen an und freute sich schon auf den Wolf, der in seine Grube fallen sollte.

»Nun muss ich sie nur noch mit Ästen und Zweigen abdecken, damit der Wolf die Grube nicht vorher sieht«, sagte er zufrieden und Alfred stimmte zu.

»Das ist richtig! Listig muss man sein, sagte Stolle-Jocke und fing die Laus mit den Zehen«, sagte Alfred.

So pflegte man nämlich in Lönneberga zu sagen. Nur Alfred hätte es nicht sagen dürfen, denn Stolle-Jocke war sein Großvater, der im Armenhaus von Lön-neberga saß, und über seinen Großvater soll man sich nicht lustig machen. Alfred meinte es natürlich nicht böse, keineswegs. Er sagte nur das, was alle anderen sagten.

Dann war nur noch auf den Wolfswinter zu warten, der ja kommen musste. Und er kam auch. Kurz vor Weihnachten gab es Frost und mit einem Mal fing es an zu schneien, dass es eine Freude war. Es schneite über ganz Katthult und über ganz Lönneberga und über ganz Smaland, bis alles unter einer einzigen Schneedecke lag. Die Zaunlatten ragten gerade noch heraus, sodass man sehen konnte, wo die Wege waren.

Aber dass sich eine Wolfsgrube zwischen der Vorratskammer und dem Tischlerschuppen verbarg, das konnte jetzt niemand mehr erkennen. Darüber lag der Schnee, ein weicher weißer Teppich, und Michel betete jeden Abend, dass seine Äste und Zweige nicht brechen möchten, bevor der Wolf kam und in seine Grube plumpste.

Jetzt hatten sie in Katthult viel zu tun, denn dort wurde Weihnachten gründlich vorbereitet. Zuerst die

große Weihnachtswäsche. Lina und Krösa-Maja knieten auf dem eiskalten Steg am Katthultbach und spülten Wäsche. Lina weinte und hauchte auf ihre Finger, weil sie vor Frost schmerzten. Das große Weihnachtsschwein wurde geschlachtet und nun, sagte Lina, hatte man selbst kaum noch Platz in der Küche, zwischen all den Fleischwürsten, den Klößen, den Bratwürsten und Leberwürsten, die sich neben Schinken und Sülze und gepökelten Schweinsrippen und ich weiß nicht was noch allem drängten. Dünnbier gehörte auch dazu, wenn Weihnachten war. Das hatte Michels Mama in dem großen Holzbottich im Brauhaus gebraut. Gebak-ken wurde, dass einem schwindlig werden konnte: Sirupbrot, feines Roggenbrot und Safranbrot und Weizenbrot und Pfefferkuchen und besonders leckere kleine Brezeln und Sahnebaisers, bunte Kekse und Spritzgebäck, ja, aufzählen kann man nicht alles.

Kerzen musste man selbstverständlich auch haben. Michels Mama und Lina brachten fast eine ganze Nacht damit zu Kerzen zu ziehen, große Kerzen und kleine Kerzen und Baumkerzen, denn nun sollte hier wirklich Weihnachten werden. Alfred und Michel spannten Lukas vor den Holzschlitten, und fuhren in den Wald, um einen Weihnachtsbaum zu schlagen, und Michels Papa ging in die Scheune und kramte einige Hafergarben hervor, die er für die Spatzen aufbewahrt hatte.

»Es ist natürlich eine wahnsinnige Verschwendung«, sagte er, »aber wenn Weihnachten ist, sollen es die Spatzen auch einmal gut haben.«

Es gab noch mehr, an die man denken musste, mehr, denen es auch einmal gut gehen sollte, wenn Weihnachten war. All die Armenhäusler, die Menschen im Armenhaus! Du weißt sicher nicht, was es mit einem

Armenhaus auf sich hatte, und darüber kannst du nur froh sein. Ein Armenhaus war etwas, was es in früheren Zeiten gab, und wenn ich davon alles genau erzählen wollte, würde es schauerlicher werden als sämtliche Schreckensgeschichten von Krösa-Maja über Mörder und Geister und wilde Tiere. Wenn du dir eine schäbige kleine Hütte mit einigen Zimmern darin vorstellst und die Hütte voll mit armen, verbrauchten alten Menschen, die dort zusammen wohnen - in einem einzigen Durcheinander von Dreck und Schmutz und Läusen und Hunger und Elend, dann weißt du, wie damals diese Armen in einem Armenhaus lebten. In Lönneberga war das Armenhaus bestimmt nicht schlechter als anderswo, aber trotzdem war es schrecklich genug dort zu landen, wenn man alt geworden war und sich nicht mehr selbst helfen konnte.

»Armer Großvater«, pflegte Alfred zu sagen, »schöne Tage hat er nicht. Es ginge ja noch, wenn dort nur nicht die herrschsüchtige, zänkische Maduskan kommandieren würde.«

Dieser Drache von Weib hatte im Armenhaus zu bestimmen. Sicher, sie war auch nur eine Armenhäuslerin, aber sie war die größte und stärkste und boshafteste, und deshalb war sie es, die dort kommandierte, was niemals geschehen wäre, wenn Michel es geschafft hätte, schneller zu wachsen und

Gemeinderatspräsident zu werden. Aber jetzt war er leider noch ein kleiner Junge und konnte gegen diese Maduskan nichts ausrichten. Alfreds Großvater hatte Angst vor ihr und Angst vor ihr hatten auch die anderen im Armenhaus.

»Seht, sie geht wie ein reißender Löwe durch die Schafherde«, sagte Stolle-Jocke immer. Er war etwas wunderlich, der Jocke, und sprach, als lese er aus der Bibel vor, aber er war gutmütig und Alfred mochte seinen alten Großvater sehr.

Sie, die im Armenhaus lebten, konnten sich fast nie richtig satt essen, und das war eine Not, fand Michels Mama.

»Die Ärmsten, sie müssen doch auch was haben, wenn Weihnachten ist«, sagte sie. Und deshalb sah man einige Tage vor Weihnachten Michel und Ida mit einem großen Korb zwischen sich den verschneiten Weg hinauf zum Armenhaus wandern. In den Korb hatte Michels Mama allerlei gute Sachen gepackt. Da gab es Kostproben von allen Würsten und von der Fleischsülze und dem Schinken und Klößen und Weißbrot und Pfefferkuchen und Safranstollen und Kerzen und auch eine kleine Dose mit Schnupftabak für Stolle-Jocke.

Nur jemand, der selbst lange hat hungern müssen, kann sich vorstellen, wie froh sie im Armenhaus waren, als Michel und Ida zu ihnen kamen. Am liebsten hätten sie alle sofort angefangen zu essen: Stolle-Jocke und Kalle-Karo und Johann-Ein-Öre und Trödel-Niklas und Lumpen-Fia und Unken-Ulla und die Vibergsche

und Salia Amalia und wie sie alle hießen. Aber die Maduskan bestimmte:

»Nicht vor Heiligabend - damit ihr’s wisst!« Und dagegen wagte keiner etwas zu sagen.

Michel und Ida gingen nach Hause und dann wurde es Heiligabend. Es war schön in Katthult an diesem Tag und am Tag danach auch. Da fuhren sie alle zur Christmette in die Kirche von Lönneberga und Michel war richtig glücklich, wie er so im Korbschlitten dahinfuhr, denn Markus und Lukas liefen, dass der Schnee um ihre Hufe wirbelte und sie alle anderen Schlitten weit hinter sich ließen.

Während der ganzen Christmette saß Michel brav und still auf seinem Platz, ja, er benahm sich so gut, dass seine Mama darüber in ihr blaues Schreibheft schrieb: »Dieser Junge ist eigentlich fromm; in der Kirche macht er nicht den geringsten Unfug.« Den ganzen ersten Weihnachtstag war Michel genauso friedlich. Er und Ida spielten artig mit ihren Weihnachtsgeschenken und über Katthult lag der herrlichste Frieden.

Aber dann kam der zweite Weihnachtstag und Michels Papa und Michels Mama sollten zum Weihnachtsschmaus nach Skorphult fahren. Skorphult war ein Hof am anderen Ende der Gemeinde. Alle in Lön-neberga kannten ja Michel, und deshalb waren die Kinder nicht eingeladen worden.

»Ach, mir macht es nichts«, sagte Michel. »Bloß die Skorphulter können einem Leid tun. Die armen Menschen, so lernen sie mich ja nie kennen!«

»Nein, und mich auch nicht«, sagte Klein-Ida.

Nun war natürlich beabsichtigt, dass Lina zu Hause bleiben sollte, um auf die Kinder aufzupassen, aber schon früh am Morgen fing sie an zu heulen und wollte unbedingt ihre Mutter besuchen, die in einer Kate nah bei Skorphult wohnte. Lina hatte sich wohl vorgestellt, wie gut es wäre, im Schlitten mitfahren zu können, wenn er doch sowieso in die Richtung fuhr.

»Ach, ich kann auch auf die Kinder aufpassen«, sagte Alfred. »Zu essen ist ja da und ich werd schon aufpassen, dass sie keine Streichhölzer oder sonst was anrühren.«

»Sicher, aber du weißt doch, wie es mit Michel ist«, sagte Michels Papa und starrte düster vor sich hin.

Aber da sagte Michels Mama:

»Michel ist ein netter kleiner Junge. Er macht keinen Unfug - jedenfalls nicht, wenn Weihnachten ist. Heul nicht, Lina, du darfst mit!«

Und so kam es.

Alfred, Michel und Ida standen am Küchenfenster und sahen den Schlitten den Abhang hinunterfahren und als er nicht mehr zu sehen war, machte Michel einen zufriedenen Bocksprung.

»Hei! Jetzt werden wir Leben in dieses Haus bringen«, sagte er. Aber plötzlich zeigte Ida mit ihrem dünnen Zeigefinger auf den Weg draußen.

»Guckt mal, da kommt Stolle-Jocke«, sagte sie.

»Ja, wirklich«, sagte Alfred. »Da stimmt doch was nicht!«

Es war nämlich so, dass Stolle-Jocke nicht ausgehen durfte. Er war ja etwas seltsam im Kopf und konnte allein nicht zurechtkommen. Behauptete jedenfalls die Maduskan.

»Er findet weder hierhin noch dorthin«, sagte sie.

»Und ich hab keine Zeit herumzurennen und nach ihm zu suchen, wenn er sich verläuft.« Aber nach Kat-thult fand Jocke allemal und nun kam er den Weg entlang wie ein Häufchen Elend. Die weißen Haare flatterten ihm um die Ohren und bald stand er schluchzend in der Küchentür.

»Wir haben keine Klöße bekommen!«, sagte er. »Und Wurst auch nicht. Diese Maduskan hat alles genommen.«

Dann brachte er nicht mehr heraus, weil er so weinte.

Da wurde Michel wütend, so furchtbar wütend, dass Alfred und Ida ihn kaum anzusehen wagten. In seine Augen kam etwas Wildes und er nahm einen Napf aus Porzellan vom Tisch.

»Her mit dieser Maduskan!«, schrie er und schleuderte den Napf an die Wand, dass die Scherben flogen. »Und gebt mir meine Büsse!« Alfred kriegte richtig Angst.

»Beruhige dich doch erst mal«, sagte er. »Es ist gefährlich so wütend zu werden.«

Dann streichelte und tröstete Alfred seinen armen Großvater und wollte wissen, warum die Maduskan so etwas Schreckliches getan hatte, aber das Einzige, was Jocke sagen konnte, war: »Wir haben keine Klöße bekommen! Und keine Wurst. Und ich hab ihn nicht bekommen - meinen Schnu-hupf-hupf-tabak.« Da zeigte Ida auf den Weg draußen.

»Guckt mal, da kommt Unken-Ulla«, sagte sie.

»Um mich nach Hause zu holen«, sagte Jocke und begann am ganzen Körper zu zittern.

Unken-Ulla war eine flinke kleine Armenhaus-Alte und sie wurde jedes Mal von der Maduskan nach Kat-thult geschickt, wenn Jocke verschwunden war. Er ging oft nach Katthult - dort fand er ja Alfred und außerdem Michels Mama, die so freundlich war zu allen, die arm waren.

Von Unken-Ulla erfuhren sie dann, wie alles zugegangen war. Das Essen aus Katthult hatte die Maduskan in einen Schrank oben auf dem Dachboden gelegt, dort war es kalt um diese Jahreszeit. Als sie aber Heiligabend die Vorräte hervorholen wollte, fehlte ein kleines elendes Würstchen und da wurde sie wild und rasend.

»Wie ein reißender Löwe in der Schafherde«, sagte Stolle-Jocke und Unken-Ulla war seiner Meinung.

Hu, wie hatte diese Maduskan ihnen die Hölle heiß gemacht um die kleine Wurst und hatte mit aller Gewalt den Sünder herausfinden wollen, der sie gestohlen hatte.

»Denn sonst gibt es hier einen Heiligabend, dass Gottes Engel darüber weinen werden«, hatte sie gesagt.

Und es wurde auch so, versicherte Unken-Ulla. Da war nämlich keiner, der eingestehen wollte, dass er das Würstchen genommen hatte, wie sehr die Maduskan auch schrie und tobte. Einige aber glaubten, dass sie sich das nur ausgedacht hätte, um die Leckerbissen für sich allein zu behalten. Wie auch immer - es wurde jedenfalls ein Heiligabend, über den die Engel Gottes wirklich weinen konnten, sagte Unken-Ulla.

Die Maduskan saß den ganzen Tag oben in ihrem Dachbodenzimmer, brennende Kerzen auf dem Tisch, und aß Wurst und Klöße und Schinken und Safranstollen, dass sie beinahe platzte. Unten im Armenhaus aber saßen die anderen und weinten und hatten nur etwas gesalzenen Fisch zu essen, obwohl es Heiligabend war.

Und genauso war es am ersten Weihnachtstag. Die Maduskan schwor mehr als einmal, niemand würde auch nur einen halben Kloß bekommen, bevor der Wurstdieb hervorgekrochen käme und gestehen würde. Und während sie darauf wartete, saß sie oben in ihrem Zimmer und aß und aß und sprach mit niemandem. Unken-Ulla hatte die Maduskan ungefähr jede Stunde einmal durch das Schlüsselloch beobachtet und gesehen, wie all die Leckerbissen, die Michels Mama geschickt hatte, Stück für Stück in ihrem breiten Rachen verschwanden. Aber jetzt hatte sie wahrscheinlich Angst, dass Stolle-Jocke nach Katthult gegangen war, um sich dort zu beklagen, denn sie hatte Unken-Ulla gesagt, dass sie ihn, tot oder lebendig, auf der Stelle nach Hause schaffen sollte.

»Deshalb ist es wohl besser, wenn wir jetzt gehen, Jocke«, sagte Unken-Ulla.

»Ja, Großvater«, sagte Alfred, »die Armen sind arm dran!«

Michel sagte nichts. Er saß auf der Holzkiste und knirschte mit den Zähnen. Noch lange, nachdem Jocke und Unken-Ulla gegangen waren, saß er da und man merkte, dass er nachdachte. Schließlich aber schlug er mit der Faust auf die Holzkiste und sagte: »Ich weiß einen, der ein Festmahl geben wird!« »Wer denn?«, fragte Ida.

Michel schlug noch einmal mit der Faust auf die Kiste.

»Ich!«, sagte er. Und dann erzählte er, wie es werden sollte. Ein Festmahl sollte es werden, dass es nur so krachte, denn nun sollten alle Menschen aus dem Armenhaus von Lönneberga hierher nach Katthult kommen, und zwar auf der Stelle!

»Ja, aber Michel«, sagte Klein-Ida ängstlich, »bist du sicher, dass das kein Unfug ist?«

Alfred wurde auch ängstlich und glaubte, es sei vielleicht Unfug. Aber Michel versicherte ihm, es sei wirklich keiner. Es sei eine gute Tat und Gottes Engel würden darüber ebenso in die Hände klatschen, wie sie vorher über das elende Weihnachten im Armenhaus geweint hätten.

»Mama wird sich auch freuen«, sagte Michel.

»Ja, aber Papa ...«, sagte Klein-Ida.

»Hm«, machte Michel. »Aber es ist auf keinen Fall Unfug.« Dann schwieg er und dachte wieder nach.

»Aber sie alle aus der Höhle des Löwen zu kriegen, das wird das Schwerste sein«, sagte er. »Kommt, wir gehen hin und versuchen es!«

Zu der Zeit hatte die Maduskan alle Wurste, alle Klöße, allen Schinken und die Fleischklöße, dazu den Rest des Safranstollens und die letzten Pfefferkuchen in sich hineingestopft und sie hatte sorgfältig den Schnupftabak von Stolle-Jocke aufgeschnupft. Nun saß sie in ihrem Zimmer unterm Dach und fühlte sich elend, so wie man sich fühlt, wenn man unrecht getan und außerdem viel zu viele Klöße gegessen hat. Hinunter zu den anderen wollte sie nicht gehen, die seufzten ja nur und glotzten sie an und sprachen kein Wort.

Wie sie so trübsinnig dasaß, hörte sie, dass jemand an die Außentür klopfte. Da hatte sie es eilig die Treppe runterzukommen um nachzusehen, wer es war.

Michel war es, der da draußen stand. Michel aus Katthult. Und nun kriegte sie es mit der Angst zu tun.

Vielleicht hatte Stolle-Jocke oder Unken-Ulla etwas erzählt und vielleicht kam Michel deshalb hierher.

Aber der kleine Michel machte nur höflich einen Diener und fragte: »Habe ich vielleicht mein Taschenmesser vergessen, als ich das letzte Mal hier war?«

Denk nur, wie pfiffig er war. Michels Taschenmesser steckte wohlbehalten in seiner eigenen Hosentasche. Aber er brauchte doch einen Vorwand, um ins Armenhaus zu gelangen, und deshalb hatte er sich diese Frage ausgedacht.

Die Maduskan versicherte, dass sie kein Taschenmesser gesehen hätten. Und dann fragte Michel: »Haben die Würste geschmeckt? Und die Sülze und all das andere?«

Die Maduskan schlug die Augen nieder, starrte auf ihre breiten Füße.

»Aber, aber«, sagte sie rasch. »Ja, die liebe Mutter auf Katthult - sie weiß schon, was der Arme braucht.

Grüß sie ganz herzlich!«

Und jetzt sagte Michel das, was er sagen wollte, weshalb er hergekommen war. Er sagte es allerdings so nebenbei, als sei es nichts besonders Wichtiges.

»Mama und Papa sind zum Weihnachtsschmaus auf Skorphult«, sagte er.

Da wurde sie neugierig.

»So, heute ist Schmaus auf Skorphult? Das wusste ich nicht.«

Nein, sonst wärst du schon längst dort, dachte Michel. Er wusste ebenso gut wie alle anderen in Lönne-berga, dass die Maduskan bestimmt in der Küchentür stand, sobald irgendwo geschmaust wurde, das war mal sicher. Und man wurde sie nicht eher wieder los, bevor sie nicht wenigstens etwas Käsekuchen bekommen hatte. Für Käsekuchen ging sie durchs Feuer.

Und wenn du jemals in Lönneberga bei einem Festessen gewesen bist, dann weißt du genauso gut wie die Maduskan, dass dort auf dem Tisch lange Reihen blinkender Kupferschüsseln mit Käsekuchen standen, den

die Gäste als Geschenk überreicht hatten - als »Mitbringsel«, wie es in Lönneberga hieß.

»Siebzehn Käsekuchen«, sagte Michel. »Was sagst du dazu?«

Nun konnte Michel ja unmöglich wissen, ob sie auf Skorphult siebzehn Käsekuchen hatten, und das behauptete er auch nicht, denn lügen wollte er nicht. Er sagte nur schlau: »Siebzehn Käsekuchen, was soll man dazu sagen?«

»Ja, das möchte ich auch wissen«, sagte die Madus-kan.

Dann ging Michel. Jetzt hatte er das seine getan. Er wusste, dass die Maduskan sich spätestens in einer halben Stunde auf den Weg nach Skorphult machen würde.

Und das hatte Michel sich richtig ausgerechnet. Er und Alfred und Klein-Ida lauerten hinter einem Holzstapel und sahen die Maduskan herauskommen, in ihr dickstes Umschlagtuch gehüllt und mit dem Bettelsack unter dem Arm: Jetzt wollte sie nach Skorphult. Aber -kann man sich so eine Hexe vorstellen? - sie schloss die Tür ab und steckte den Schlüssel ein! Das hatte sie sich fein ausgedacht! Nun waren die armen Wesen eingesperrt wie in einem Gefängnis. Und das war der Maduskan wohl nur recht. Jetzt sollte Stolle-Jocke nur versuchen wieder auszureißen, er würde schon sehen, wer hier die Macht hatte und mit wem nicht zu spaßen war!Und so schnell ihre dicken Beine sie trugen, trabte die Maduskan davon nach Skorphult.

Michel ging hin und rüttelte an der Tür und merkte, wie gründlich abgeschlossen sie war. Das taten auch Alfred und Klein-Ida - ja, sie war abgeschlossen, da gab es nichts zu rütteln.

Hinter den Fenstern drängten sich alle Armenhäusler und starrten erschrocken auf die drei, die draußen standen und hineinwollten. Michel aber rief: »Ihr sollt zum Festessen nach Katthult kommen! Wenn wir euch bloß rausholen könnten! « Im Armenhaus begann es zu summen wie in einem Bienenkorb. Das war einzigartig und wunderbar, zugleich aber war es ein Elend zum Verzweifeln, denn sie waren eingeschlossen und wussten sich keinen Rat, wie sie herauskommen sollten.

Nun sagst du vielleicht: Warum öffneten sie nicht ein Fenster und kletterten hinaus, das konnte doch nicht schwer sein? Man merkt, du hast nie etwas von Innenfenstern gehört. Im Winter konnte man im Armenhaus kein einziges Fenster öffnen - der Innenfenster wegen. Die waren ordentlich festgenagelt und an den Rahmen außerdem mit Papierstreifen verklebt, damit kein Wind durch die Ritzen pfeifen konnte. Aber wie lüftete man dann, fragst du vielleicht? Liebes Kind, wie kannst du so dumm fragen! Wer hat denn gesagt, dass man im Armenhaus lüftete? An solchen Verrücktheiten war niemand interessiert, denn keiner begehrte mehr frische Luft als das bisschen, das durch den Rauchfang oder durch Ritzen in undichten Wänden oder Fußbodendielen eindrang.

Nein, durch die Fenster konnten die Ärmsten nicht heraus! Ein Fenster, das man öffnen konnte, gab es allerdings, aber das war oben bei der Maduskan im Bodenzimmer und kein noch so hungriger Armenhäusler machte einen Sprung aus vier Meter Höhe, um zu einem Festessen zu kommen - das wäre ein Sprung geradewegs ins Himmelreich, das war ja klar.

Doch Michel gab wegen solcher Kleinigkeiten nicht auf. Er fand tatsächlich eine Leiter unter dem Holzschuppen versteckt und die stellte er an das Fenster des Bodenzimmers, das Unken-Ulla schon freudig geöffnet hatte. Alfred kletterte die Leiter hinauf. Er war groß und stark und konnte kleine schmächtige Armenhäusler tragen wie nichts. Zwar schrien sie ach und oh und jammerten, aber herunter kamen sie alle.

Nur Salia Amalia nicht. Sie traute sich nicht und wollte nicht. Die Vibergsche versprach aber, ihr so viel vom Festessen mitzubringen, wie sie nur tragen konnte, und damit war Salia Amalia zufrieden.

Wenn nun jemand an diesem Weihnachtstag, gerade als es anfing zu dämmern, den Katthult-Weg entlanggefahren wäre, er hätte sicher geglaubt, eine Reihe grauer Spukgestalten zu sehen, die sich dort hinkend und keuchend den Hügel hinauf nach Katthult bewegten. Sie sahen aber auch wirklich gespenstisch aus in ihren Lumpen, diese armen Alten, aber fröhlich wie Lerchen und munter wie Kinder waren sie. Ach, ach, ach. Es war ja schon so lange her, dass sie auf einem Weihnachtsschmaus gewesen waren! Sie freuten sich, wenn sie an die Maduskan dachten, die bald zurückkommen und ein leeres Armenhaus vorfinden würde, in dem nur ein einziges kümmerliches Wesen war: Salia Amalia.

»Hihi, das geschieht ihr recht«, sagte Johann-Ein-Öre, »hihi, da steht sie dann ohne uns! Soll sie doch merken, wie das ist!«

Darüber lachten alle zufrieden. Als sie aber nachher in die weihnachtliche Küche von Katthult kamen und Michel fünf große Kerzen anzündete, deren Schein sich in den frisch gescheuerten Kupferkesseln an den Wänden spiegelte, sodass alles schimmerte und glänzte, da waren sie zuerst ganz still und Stolle-Jocke glaubte, er sei schon im Himmel.

»Seht, da sind Lichter und Seligkeiten ohne Grenzen ...«, sagte er und weinte, denn weinen, das tat Stolle-Jocke immer, ganz gleich, ob er nun glücklich war oder traurig.

Aber da sagte Michel: »Jetzt wird hier aufgefahren!«

Und es wurde aufgefahren. Michel und Alfred und Klein-Ida holten alles, was sie nur schleppen konnten, aus der Speisekammer. Und nun sollst du wissen, was auf dem Küchentisch von Katthult an diesem ersten Weihnachtstag stand, als sie endlich alles aufgetragen hatten.

Da standen:

eine Schüssel mit Blutklößen,

eine Schüssel mit Schweinswürsten,

eine Schüssel mit Sülze,

eine Schüssel mit Leberpastete,

eine Schüssel mit Knackwürsten,

eine Schüssel mit Fleischklößen,

eine Schüssel mit Kalbskoteletts,

eine Schüssel mit gepökelten Schweinerippchen,

eine Schüssel mit kalter Bratwurst,

eine Schüssel mit frischer Leberwurst,

eine Schüssel mit Heringssalat,

eine Schüssel mit Rauchfleisch,

eine Schüssel mit leicht gesalzener Ochsenzunge,

eine Schüssel mit Rosinen-Grützwurst,

eine Platte mit dem großen Weihnachtsschinken,

eine Platte mit dem großen Weihnachtskäse,

ein Korb mit Weißbrot,

eine Schüssel mit Sirupbrot,

ein Korb mit feinem Roggenbrot,

eine Kanne Fruchtsaft, eine Kanne Milch,

eine Schüssel mit Buchweizengrütze, eine Platte mit Käsekuchen, eine Schale mit Backpflaumen, eine Platte mit Apfelkuchen, eine Schüssel mit Schlagsahne, eine Schale mit Erdbeerkompott, eine Schale mit Ingwerbirnen und

ein kleines, im Ganzen gebratenes Spanferkel mit weißem Kandiszucker garniert.

Das war alles, glaube ich. Ich kann nicht mehr als drei, höchstens vier, na ja, sagen wir sicherheitshalber fünf Sachen vergessen haben - sonst aber habe ich alles aufgezählt.

Und da saßen sie um den Tisch, die Armenhäusler aus Lönneberga, sehr geduldig saßen sie da und warteten, aber bei jeder Schüssel, die herbeigetragen wurde, waren sie zu Tränen gerührt.

Schließlich sagte Michel: »Bitte schön und nun haut rein!«

Wirklich, sie hieben hinein, das taten sie, und so, dass es zu hören war.

Alfred, Michel und Klein-Ida aßen auch. Ida konnte

nicht mehr als ein paar Fleischklöße runterbekommen, weil sie angefangen hatte zu denken. Sie fing an sich zu fragen, ob dies hier nicht doch Unfug war. Ihr fiel plötzlich ein, dass morgen, am zweiten Weihnachtstag, die Verwandten aus Ingatorp nach Katthult kommen wollten. Und hier wurde das Festessen von morgen schon heute aufgegessen. Sie hörte, wie es um den Tisch herum knabberte und knackte und schlürfte und schmatzte. Es war, als hätte sich ein Rudel Raubtiere über die Schüsseln und Schalen und Kannen hergemacht. Klein-Ida begriff: So isst nur der, der richtig ausgehungert ist, aber es war trotzdem schrecklich. Sie zog Michel am Ärmel und flüsterte, damit niemand außer ihm es hören konnte:

»Bist du sicher, dass dies hier kein Unfug ist? Denk dran, morgen kommen die aus Ingatorp!«

»Die sind schon dick genug«, sagte Michel ruhig. »Es ist doch wohl besser, das Essen kommt dahin, wo es was nützt.«

Aber danach machte er sich doch ein bisschen Sorgen, denn es sah aus, als würde nicht einmal ein halbes Fleischklößchen übrig bleiben, wenn dieser Festschmaus vorbei war. Was nicht in die Münder gestopft wurde, verschwand in Taschen und Beuteln und im Nu waren die Schüsseln leer.

»Jetzt hab ich großes Aufräumen mit den Schweinerippchen gemacht«, sagte Kalle-Karo und kaute auf dem letzten Knochen herum.

»Und ich habe nun großes Aufräumen mit dem Heringssalat gemacht«, sagte Lumpen-Fia.

»Großes Aufräumen« sagten sie, und das bedeutete, dass sie alles verputzt hatten, sodass die Schüsseln jetzt leer waren.

»Nun haben wir großes Aufräumen mit allem gemacht«, sagte Trödel-Niklas zum Schluss und ein wahreres Wort hatte er nie gesprochen.

Deshalb wurde dieses Festessen später für alle Zeiten »Das große Aufräumen von Katthult« genannt, denn du musst wissen, dass man davon noch lange danach in Lönneberga und den anderen Gemeinden redete.

Nur eins war jetzt noch übrig, und das war das knusprig gebratene Spanferkel. Es stand auf dem Tisch und glotzte wehmütig aus seinen Kandiszuckeraugen.

»Hu, das Schwein sieht aus wie ein kleines Gespenst«, sagte Lumpen-Fia. »An das trau ich mich nicht ran!« Sie hatte noch nie ein im Ganzen gebratenes Spanferkel gesehen, ebenso wenig wie die anderen. Deshalb hatten sie so etwas wie Respekt vor diesem Ferkel und rührten es nicht an.

»Es ist wohl nicht noch eine kleine Wurst übrig?«, fragte Kalle-Karo, als alle Schüsseln geleert waren.

Aber da sagte Michel, dass es auf ganz Katthult in diesem Augenblick nur noch eine einzige Wurst gäbe, und die stecke auf einem Stock draußen in seiner

Wolfsgrube. Dort solle sie auch bleiben als Köder für den Wolf, auf den er warte. Nein, die konnte KalleKaro nicht bekommen und ein anderer auch nicht.

Da stieß die Vibergsche einen Schrei aus. »Salia Amalia!«, schrie sie. »Die haben wir vergessen!« Ratsuchend blickte sie umher und ihre Augen blieben an dem Spanferkel hängen.

»Dann kann sie wohl das dort bekommen, die Amalia? Wenn es auch aussieht wie ein Gespenst. Oder was meinst du, Michel?«

»Ja, sie muss es wohl haben«, sagte Michel mit einem Seufzer.

Nun waren sie alle so satt, dass sie sich kaum noch rühren konnten, und es war völlig unmöglich, dass sie sich auf ihren eigenen Beinen ins Armenhaus zurückschleppten.

»Wir müssen wohl den Holzschlitten nehmen«, sagte Michel.

Und so geschah es auch. Sie hatten auf Katthult ein langes und großes Ungetüm von einem Holzschlitten, er wurde als Lastenschlitten benutzt. Auf dem Lastenschlitten konnte man so viele Armenhäusler befördern, wie man wollte, auch wenn sie zufällig etwas dicker waren als sonst.

Es war jetzt Abend und am Himmel leuchteten die Sterne. Vollmond war auch und überall Neuschnee und mildes, herrliches Wetter, ein schöner Abend für eine Schlittenfahrt. Michel und Alfred halfen allen auf den Schlitten. Ganz vorn saß die Vibergsche mit dem Spanferkel, dann der Reihe nach alle anderen und ganz hinten Klein-Ida und Michel und Alfred.

»Jetzt geht’s los!«, schrie Michel. Und es ging los, die Katthulthügel hinunter, dass der Schnee nur so stob und die Alten auf dem Schlitten vor Freude kreischten, denn es war ja schon lange her, dass sie Schlitten gefahren waren. Oh, wie sie schrien! Nur das Spanferkel vorn stand ganz still zwischen den Händen der Viberg-schen und glotzte gespenstisch ins Mondlicht.

Na, aber die Maduskan, was tat die inzwischen? Ja, davon sollst du hören. Ich wünschte, dass du sie sehen könntest, wie sie von Skorphult, von ihrer Käsekuchentour zurückkam! Sieh nur, wie sie da ankommt mit ihrem grauen Wolltuch, fett und zufrieden, und wie sie den Schlüssel hervorholt und wie sie ihn ins Schloss steckt - sie gluckst vor Vergnügen, als sie daran denkt, wie bescheiden und zahm sie jetzt sein werden, all die Armen dort drinnen. Jaja, jaja, sie sollen es endlich lernen, wer hier bestimmt: Das ist allemal sie!

Und jetzt dreht sie den Schlüssel herum, jetzt steigt sie über die Schwelle, jetzt ist sie im Hausflur - aber warum ist es so still? Schlafen sie schon? Sitzen sie nur herum und lassen den Kopf hängen? Der Mond scheint durch die Fenster, jede Ecke ist hell - warum sieht sie kein lebendes Wesen? Deshalb, weil dort niemand ist! Nein, du Armenschreck, dort ist kein lebendes Wesen!

Die Maduskan beginnt am ganzen Körper zu zittern, sie hat mehr Angst, als sie je in ihrem Leben gehabt hat. Wer kann durch verschlossene Türen gehen? Niemand anders als Gottes Engel im Himmel ... Ja, so muss es sein! Die Armen, die sie um ihre Würste und Klöße und ihren Schnupftabak betrogen hat, die sind von Gottes Engeln an einen besseren Ort gebracht worden, als es das Armenhaus ist. Nur sie haben sie in all dem Jammer und Elend zurückgelassen, ach, ach, ach! Die Maduskan heult wie ein Hund.

Aber da kommt eine Stimme hinten von einem der Betten, wo etwas Kleines, Jämmerliches unter der Decke versteckt ist.

»Was heulst du?«, fragt Salia Amalia.

Wie schnell fasst die Maduskan sich wieder. Und wie schnell hat sie alles aus Salia Amalia herausgepresst. So was kann die Maduskan.

Im Nu ist sie auf dem Weg nach Katthult. Jetzt sollen sie nach Haus, ihre Alten. Schnell und vor allem leise muss es gehen; damit es nicht zu viel Gerede über die ganze Geschichte gibt in Lönneberga.

Katthult liegt so wundervoll im Mondlicht da. Aus dem Küchenfenster sieht sie es leuchten wie von vielen Kerzen. Aber jetzt schämt sie sich plötzlich und traut sich nicht mehr hineinzugehen. Erst einmal will sie durchs Fenster gucken und nachsehen, ob es wirklich ihre Alten sind, die dort sitzen und schmausen.

Aber dazu müsste sie etwas haben, worauf sie steigen kann, eine Kiste oder irgendetwas, sonst reicht sie nicht hinauf.

Sie macht eine kleine Runde zum Tischlerschuppen.

Vielleicht findet sie dort etwas. Und sie findet etwas. Keine Kiste. Sie findet eine Wurst. Kann man sich so etwas vorstellen, mitten im Mondschein, mitten im Schnee findet sie eine kleine Wurst, die auf einen Stek-ken gespießt ist. Nun ist sie gewiss zum Platzen satt von dem Käsekuchen, aber sie weiß auch, wie schnell man wieder hungrig wird, und eine ganze Wurst dort stecken und verderben lassen, das wäre doch verrückt, denkt die Maduskan. Und sie tut einen Schritt, einen einzigen großen Schritt.

So fing man in früheren Zeiten in Smaland Wölfe.

Gerade in dem Augenblick, gerade als die Maduskan in die Wolfsgrube fiel, war der Festschmaus von Kat-thult zu Ende und alle Armenhäusler kamen heraus und setzten sich in den Schlitten, um nach Hause zu fahren. Aus der Wolfsgrube war kein Laut zu hören, denn die Maduskan wollte nicht gleich um Hilfe schreien. Sie glaubte wohl, sie könnte ohne Hilfe herausklettern, und deshalb schwieg sie.

Und ihre Armenhäusler fuhren also in rasender Fahrt die Hügel hinunter heim zum Armenhaus und fanden -merkwürdig genug - die Tür offen und sie gingen hinein und wankten sofort in ihre Betten, am Ende ihrer Kräfte vom Essen und vom Schlittenfahren, aber glücklicher, als sie seit vielen Jahren gewesen waren.

Michel, Alfred und Klein-Ida kehrten im Schein des Mondes und im Licht der Sterne nach Katthult zurück. Michel und Alfred zogen den Schlitten. Ida durfte auf dem Schlitten sitzen und die Hügel hinauffahren, weil sie ja noch so klein war.

Wenn du jemals mit deinem Schlitten auf einem solchen winterlichen Weg in der Lönnebergagegend an einem mondhellen Abend unterwegs gewesen bist, dann weißt du, wie merkwürdig still es ist, fast, als läge die ganze Welt im Schlaf. Und dann kannst du dir vielleicht vorstellen, wie entsetzlich es ist, wenn durch diese Stille plötzlich ein grässlicher Schrei klingt. Da kamen nun Michel, Alfred und Ida, nichts Böses ahnend, die letzte Steigung mit ihrem Schlitten herauf und hörten plötzlich von Michels Wolfsgrube her ein Schreien, das jedem das Blut in den Adern hätte erstarren lassen. Klein-Ida wurde bleich und in diesem Augenblick sehnte sie sich sehr nach ihrer Mama. Michel aber nicht! Er machte vor Freude einen Luftsprung.

»Ein Wolf ist in meiner Grube!«, schrie er. »Oh, wo habe ich meine Büsse?«

Das Schreien wurde schlimmer und schlimmer, je näher sie kamen. Es hallte wider rund um ganz Kat-thult, dass man hätte glauben können, der Wald sei voller Wölfe, die auf den Klageruf des gefangenen Wolfes antworteten.

Aber Alfred sagte: »Der Wolf klingt aber komisch! Hör mal!«

Sie standen still im Mondlicht und lauschten auf das fürchterliche Geheul des Wolfes.

»Hilfe, Hilfe, Hilfe!«, jaulte er.

In Michels Augen leuchtete es auf.

»Ein Werwolf«, schrie er. »Aber eigentlich glaub ich nicht, dass es ein Werwolf ist!«

Mit ein paar Sätzen war er vor den anderen an der Grube. Da sah er, was für einen Wolf er gefangen hatte. Überhaupt keinen Werwolf, sondern nur die elendige Maduskan! Michel wurde rasend - was hatte die in seiner Grube zu suchen! Er wollte doch einen richtigen Wolf fangen. Aber dann dachte er nach. Vielleicht hatte es doch einen Sinn, dass die Maduskan in seine Wolfsgrube gefallen war. Er überlegte, ob man sie nicht vielleicht ein bisschen zähmen könnte, damit sie etwas freundlicher wurde und nicht mehr so bösartig war. Ja, er dachte daran, ob man ihr nicht reinweg Flötentöne beibringen sollte. Denn das brauchte die Maduskan. Deshalb schrie er zu Alfred und Ida hinüber:

»Kommt her! Kommt, hier kriegt ihr ein hässliches, zottiges Biest zu sehen!«

Und dann standen sie alle drei an der Grube und sahen hinunter auf die Maduskan, die in ihrem grauen Wolltuch beinah aussah wie ein Wolf.

»Bist du sicher, dass das ein Werwolf ist?«, fragte Klein-Ida mit zitternder Stimme.

»Das kannst du glauben«, sagte Michel. »Ein boshaftes altes Werwolfweib ist es, und das sind die gefährlichsten, die es gibt.«

»Ja, denn die sind so gierig«, sagte Alfred.

»Klar, sieh dir diese nur an«, sagte Michel. »Die hat in ihrem Leben schon viel verschlungen. Aber nun ist Schluss damit. Alfred, gib mir meine Büsse!« »Aber, aber, kleiner Michel, siehst du denn nicht, wer ich bin?«, schrie die Maduskan, denn sie bekam Angst um ihr Leben, als Michel von seiner Büsse sprach. Sie wusste ja nicht, dass es nur ein Spielzeuggewehr war, das Alfred ihm geschnitzt hatte.

»Alfred, hast du gehört, was der Werwolf gesagt hat?«, fragte Michel. »Ich hab nichts gehört!«

Alfred schüttelte den Kopf.

»Nee, ich auch nicht.«

»Und außerdem kümmere ich mich auch gar nicht darum«, sagte Michel. »Gib mir meine Büsse, Alfred!«

Da schrie die Maduskan ganz verzweifelt: »Erkennt ihr denn nicht eine alte Bekannte?«

»Was sagt sie?«, rief Michel. »Fragt sie nach ihrer Tante?«

»Ja, aber die haben wir doch nicht gesehen«, sagte Alfred.

»Nein, und ihre Großtante zum Glück auch nicht«, sagte Michel. »Sonst hätten wir ja bald die Grube voll mit alten Werwölfen. Gib mir meine Büsse, Alfred!«

Da fing die Maduskan laut an zu heulen.

»Jetzt seid ihr gemein«, schluchzte sie. »Was habt ihr denn bloß?«

»Was sagt sie?«, fragte Michel. »Sie will einen Kloß?«

»Ja, den will sie«, sagte Alfred. »Wir haben aber keinen.«

»Nein, in ganz Smaland gibt’s nicht einen einzigen Kloß mehr«, sagte Michel. »Die hat doch alle die Maduskan verschlungen.«

Jetzt jaulte sie noch ärger als vorher, denn sie hatte nun begriffen, dass Michel wusste, wie schlecht sie sich gegenüber Stolle-Jocke und den anderen Armen verhalten hatte. Sie heulte so, dass Michel Mitleid mit ihr hatte, denn er besaß ja ein gutes Herz, der Junge. Wenn es aber besser werden sollte im Armenhaus, dann durfte man diese Maduskan nicht so leicht davonkommen lassen, und deshalb sagte er: »Hör mal, Alfred, wenn man diesen Werwolf genauer anguckt -glaubst du nicht, dass er der Maduskan aus dem Armenhaus irgendwie ähnlich sieht?« »Igitt, nee«, sagte Alfred. »Die ist doch wohl schlimmer als alle Werwölfe in ganz Smaland.« »Ja, das ist klar«, sagte Michel. »Sicher sind Werwölfe süße kleine Schoßhündchen im Vergleich zur Maduskan. Denn die gönnt keinem etwas. Ich frag mich übrigens, wer das kleine Würstchen aus dem Schrank gestohlen hat.«

»Das war ich«, schrie die Maduskan. »Das war ich! Ich gestehe alles, wenn ihr mir nur hier raushelft!«

Da sahen Michel und Alfred einander an und lächelten.

»Alfred«, sagte Michel, »hast du denn keine Augen im Kopf? Siehst du nicht, dass das die Maduskan ist und kein Werwolf?«

»Donnerwetter!«, sagte Alfred. »Wie konnten wir uns so irren?«

»Ja, das versteh ich auch nicht«, sagte Michel. »Klar sehen sie sich ähnlich, das schon, aber ein Werwolf trägt doch kein Tuch, so viel ich weiß.«

»Nee, sicher nicht! Aber Schnurrhaare haben Wölfe auch - oder?«

»Pfui, Alfred, nun musst du aber nett zu der Maduskan sein«, sagte Michel. »Hol eine Leiter!« Sie bekam also eine Leiter in die Grube und sie kletterte laut heulend hinaus. Dann rannte sie los, dass es nur so um sie pfiff, denn jetzt wollte sie weg von Katthult für alle Zeiten. Niemals mehr wollte sie dort auch nur einen Fuß hinsetzen. Aber bevor sie hinter der Wegbiegung verschwand, drehte sie sich um und rief:

»Ja, ich hab die Wurst genommen! Gott verzeih mir, aber Heiligabend hatte ich es vergessen. Ich schwöre, dass ich es vergessen hatte.«

»Dann war’s ja gut, dass sie hier ein Weilchen sitzen durfte, damit es ihr wieder einfiel«, sagte Michel. »Auf jeden Fall sind Wolfsgruben gar nicht so schlecht.«

Die Maduskan aber flitzte, so schnell ihre fetten Beine sie tragen konnten, den Hügel hinunter. Und sie war ziemlich außer Atem, als sie beim Armenhaus ankam.

Nun schliefen sie alle in ihren verlausten Betten, alle ihre Armen, und sie wollte sie um nichts in der Welt wecken. Deshalb schlich sie sich leise wie ein Geist hinein, so leise war sie noch nie geschlichen.

Da lagen sie in guter Ruh, ihre Armen. Sie zählte sie wie Schafe. Stolle-Jocke und Kalle-Karo, Johann-Ein-Öre und Trödel-Niklas, Lumpen-Fia und Unken-Ulla, die Vibergsche und Salia Amalia, alle waren sie da, das sah sie. Aber plötzlich sah sie noch etwas. Auf dem Tisch neben Salia Amalias Bett - o Schreck, o Graus -, da stand ein Gespenst! Ja, bestimmt war das ein Gespenst, wenn es auch aussah wie ein Schwein - ein kleines gruseliges Mondscheinschwein. Oder vielleicht war es sogar ein Werwolf, der dort stand und sie mit seinen schrecklichen weißen Augen anglotzte.

So viele Schrecken an ein und demselben Tag, das war zu viel für die Maduskan. Mit einem Seufzer plumpste sie zu Boden. Da lag sie und erwachte nicht eher wieder zum Leben, als bis die Sonne durch die Fenster des Armenhauses schien, und das war am zweiten Weihnachtstag.

Am zweiten Weihnachtstag, ja, das war der Tag, an dem die Verwandten aus Ingatorp zum Festessen nach Katthult kommen würden, ach, ach, ach, was sollte das nur für ein Festessen werden? Na ja, es gab immerhin im Vorratshaus frisch eingelegtes Schweinefleisch im Salzfass und Schweinebraten mit Kartoffeln und Zwiebelsoße konnte man notfalls auch einem König vorsetzen.

Als aber Michels Mama an diesem Abend in ihr blaues Schreibheft schrieb, da war sie traurig - das muss zugegeben werden - und die Seite zeigt heute noch Flecken, als ob jemand darüber geweint hätte.

»Zweiter Weihnachtstag, abends, in meiner Not«, stand da als Überschrift. Und dann: »Heute hat es den ganzen Tag im Tischlerschuppen gesessen, das arme Kind. Sicher ist er eigentlich fromm, der Junge, obwohl ich manchmal glaube, er ist zu verrückt.«

Das Leben auf Katthult aber ging weiter. Bald war der Winter vorbei und es wurde Frühling. Michel saß oft im Tischlerschuppen, und wenn er das nicht tat, spielte er mit Ida oder ritt auf Lukas oder kutschierte den Milchwagen, ärgerte Lina und redete mit Alfred und stellte immer wieder neuen Unfug an, der sein Leben - vom Morgen bis zum Abend - reich und abwechslungsreich machte. Zu Beginn des Monats Mai hatte er nicht weniger als hundertfünfundzwanzig Holzmännchen auf dem Regal im Tischlerschuppen stehen, dieser tüchtige Junge!

Alfred machte keinen Unfug, aber er hatte trotzdem Sorgen, denn er hatte sich noch immer nicht getraut es Lina zu sagen, dass er sie nicht heiraten wollte.

»Es ist wohl besser, ich mach das«, sagte Michel, aber davon wollte Alfred nichts wissen.

»Ich hab dir doch erklärt, das muss schonend beigebracht werden, damit sie nicht traurig wird.«

Alfred war eine gute Seele, aber er wusste sich keinen Rat, wie er es Lina beibringen sollte. Doch an einem Samstagabend Anfang Mai, als Lina auf der Treppe vor der Knechtshütte saß und beharrlich darauf wartete, dass er kommen würde, um schön mit ihr zu tun -da beschloss Alfred, dass es geschehen sollte. Und er beugte sich aus dem Fenster und rief ihr zu: »Hör mal, Lina! Da ist eine Sache, die ich dir schon lange sagen wollte!«

Lina kicherte. Nun kam sicher was, was sie gern hören wollte.

»Was denn, mein lieber Alfred?«, rief sie zurück. »Was willst du mir sagen?«

»Ja, die Heiraterei, von der wir gesprochen haben -hörst du, die lassen wir sein. Das ist Schiet!« So sagte er - armer Alfred! Es ist schrecklich, das berichten zu müssen. Ich hätte es eigentlich auch nicht tun sollen, denn ich will dir ja nicht mehr hässliche Wörter beibringen, als du schon kennst. Aber du musst bedenken, dass Alfred nur ein armer Knecht in Lönneberga war, und das bist du nicht. Er konnte sich nicht feiner ausdrücken, obwohl er doch so lange darüber gegrübelt hatte, der arme Alfred.

Lina wurde übrigens nicht traurig.

»Denkst du, wie?«, sagte sie. »Na, das wirst du schon noch sehen!«

Und in diesem Augenblick begriff Alfred, dass er wohl nie von Lina loskäme. Nur an diesem Abend wollte er dennoch frei und glücklich sein. Deshalb ging er mit Michel zum Katthultsee hinunter und angelte Barsche.

Es war ein Abend, so schön, wie er fast nur in Smaland sein kann. Alle Kirschbäume auf Katthult blühten, die Amseln sangen, die Mücken schwirrten und die Barsche bissen an. Dort saßen sie, Michel und Alfred, und sahen ihre Korken auf dem blanken Wasser auf und nieder schaukeln. Sie sprachen nicht viel, aber sie fühlten sich wohl. Bis die Sonne unterging, saßen sie dort und dann gingen sie heim. Alfred trug die Barsche und Michel spielte auf einer Weidenflöte, die Alfred ihm geschnitzt hatte. Über die Wiese gingen sie, über einen Pfad, der sich unter frühlings grünen Birken entlangschlängelte. Michel blies auf seiner Flöte, dass die Amseln staunten; aber plötzlich hörte er auf zu blasen und nahm die Flöte aus dem Mund.

»Weißt du, was ich morgen machen werde?«, fragte er.

»Nee«, sagte Alfred. »Irgendeinen Unfug?« Michel steckte die Flöte wieder in den Mund und fing an zu spielen. Da ging er und blies eine Weile und dachte scharf nach.

»Ich weiß nicht«, sagte er schließlich. »Ich weiß das nie vor nachher.«

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