Tauben als Brandstifter

Der Vogelschwarm näherte sich. Er durchbrach die Nacht wie eine Funkengarbe. Sein Ziel war unverkennbar: Das Schiff, auf dem der junge Pharao sich befand.

»Du wolltest nicht glauben, Herr, daß uns jene drüben eine Falle gestellt haben«, wandte sich Ata an Mirinri, der die Feuerturbine beobachtete.

»Wer dirigiert denn die Vögel?« fragte der Jüngling.

»Die Bastanbeter! Siehst du nicht die flammenden Pfeile zu beiden Seiten des Schwarms? Sie verhindern, daß die Tauben auseinanderflattern. Diese feurigen Linien sind wie ein glühendes Netz!«

»Ich dachte nicht, daß wir ernstlich Gefahr liefen. Aber unsere Segel sind ja herabgelassen, die Vögel werden darüber hinfliegen.«

»Der Brennstoff, den sie am Schwanz tragen, kann gerade auf uns niederfallen und unser Schiff in Brand stecken. Schau nur hin, die Feuerbündel fallen gleich«, rief Ata. »Wir müssen aus dem Kanal heraus! – Beeilt euch«, befahl er den Äthiopiern. »Seht ihr denn nicht, daß die Tauben schon kommen?«

In diesem Augenblick ließ sich die Stimme Nefers vernehmen. Das Mädchen hatte bisher stumm zugehört. »Laßt nur! Ich werde den Vögeln meinen Fluch entgegenschleudern. Isis, die den Zauberinnen hold ist, wird mich erhören und uns vor einer neuen Gefahr schützen.«

Ein ungläubiges Lächeln umspielte Mirinris Lippen. »Versuch es«, sagte er.

Sie eilte zu der Hinterseite des Schiffs, stieg auf eine erhöhte Stelle und breitete die Arme nach den Lichtern aus, die schon vereinzelt in den Nil fielen.

»O, Isis, hohe Göttin, erhöre mich!« rief sie mit heller Stimme.

»Beschütze den Sonnensohn vor Gefahr! Komm, Horus[22], mit deinem Sperber! Ist dieser auch klein, ist dieser auch schwach, so kannst du ihm doch Kräfte verleihen, daß er die schreckliche Vogelschar vertreibe. Du, Göttin des Schmerzes, und du, Gott des Lichts, rettet euren Sohn. O Sonne, laß deine Zunge sprechen! O großer Osiris, hebe deine Hand und zeige deine Macht! Kommt alle, alle! Befreit ihn, rettet ihn, den jungen Pharao! Gott des Lichts, Göttin des Schmerzes und Göttin der Toten, helfet!«

Während die Zauberin so sprach, zitterte sie heftig, als ob eine geheimnisvolle Kraft sich ihrer bemächtigt hatte. Ihre Armspangen und Knöchelringe klirrten.

Mirinri schaute sie an. Ihre langen, schwarzen Haare hingen ihr über die entblößten Schultern. Ist sie von einem Gott geschaffen oder von einem bösen Geist? dachte er.

Da wandte sie sich langsam zu ihm um und lächelte ihn an. »O Sonnensohn«, flüsterte sie, kaum hörbar. »Für dich würde ich in das Reich der Finsternis gehen, für dich sterben!«

Plötzlich tönte ein Freudenschrei aus der Äthiopier Mitte.

Der Durchgang war frei! Der bisher von der Masse der Schlingpflanzen zurückgehaltene Strom brach gurgelnd in den Kanal, den die Äxte der Männer leergeräumt hatten. Das Schiff begann sich zu bewegen und glitt rauschend voran.

»Die Segel gehißt«, kommandierte Ata, der sofort ans Steuerruder geeilt war. »Der Wind weht von Süden. Isis hat die Bitte der Zauberin erhört!«

Es schien in der Tat, als ob die Göttin ihnen günstig gesinnt war. Die Feuerbündel wurden spärlicher, ebenso die flammenden Pfeile, welche die Vogelschar führten. Der Brennstoff, den die Vögel trugen, verbreitete zwar noch immer ringsum ein bläuliches Licht, ähnlich flüssigem Schwefel. Fiel eine Anzahl Tauben, von der Feuermasse ergriffen, ins Wasser, so hörte der Stoff nicht auf zu brennen; er knisterte zwischen den Papyrusstauden und Lotosblumen. Endlich aber flog mit schwindelnder Schnelligkeit der Vogelschwarm an der Hinterseite des Seglers vorbei dem entgegengesetzten Ufer zu. Es war ein phantastisches Bild inmitten der Dunkelheit.

Nefer hatte ihren Platz am Schiffsrand nicht verlassen, obgleich mehrfach Vögel um sie herum in die Tiefe glitten. Aufrecht stehend, mit zur Beschwörung erhobenem Arm, hatte sie der drohenden Gefahr getrotzt. »O Isis, erhabene Göttin, schütze den jugendlichen Sonnensohn!« wiederholte sie immer wieder. Erst als die Flammen sich drüben jenseits des Waldes verloren hatten, wandte sie sich zu Mirinri um. »Du bist gerettet«, sagte sie.

»Was für eine übernatürliche Macht besitzt du?« fragte dieser. »Ich bemerke in deinen Augen ein Feuer, das die Pharaonentochter nicht hatte.«

Nefer zuckte zusammen. Ein schmerzlicher Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. Sie fragte: »Von welcher Pharaonentochter sprichst du?«

»Von derselben, der du die Zukunft prophezeit hast.«

»Kennst du sie denn?«

»Ich habe sie vom Tod errettet.«

»Wie du mich gerettet hast!« sprach sie leise. »Aber sie hat dir dafür das Herz gestohlen.«

»Woher weißt du das?«

Da unterbrach Ata ihr Gespräch: »Die Bastanbeter scheinen uns nicht mehr zu behelligen. Natürlich müssen wir aber weiterhin die größte Vorsicht walten lassen, sonst läßt uns König Pepi verhaften, noch ehe wir die Obelisken von Memphis gesehen haben. Ich bin jetzt sicher, daß man schon weiß, daß mein Schiff den Sohn des großen Teti birgt.«

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