KAPITEL DREI EIN TODTSTELZER ZU SEIN

Es war ein weiterer vollkommener Tag im Paradies. Auf dem Planeten Virimonde erstreckten sich weite grüne Felder unter einem blauen Himmel, hier und da durchzogen von niedrigen Mauern, stachligen Hecken und uralten ausgetretenen Pfaden.

Hinter den Feldern erstreckten sich ausgedehnte Wälder mit großen Bäumen und üppigem Grün, kühle Zufluchtsorte vor der Hitze der sommerlichen Sonne. Glitzernde Russe und Bäche plätscherten um polierte Steine und über plötzlich auf-tauchende Stromschnellen und kleine Wasserfälle. Vieh aller Art graste friedlich auf den Weiden, und was auf Virimonde als Vogel durchging, sang sich unter dem wolkenlosen Himmel und der strahlenden Sonne die Seele aus dem Leib. Eine wundervolle, offene, friedliche Welt der natürlichen Gaben und der Ruhe. Und all das gehörte David Todtsteltzer.

Der Todtsteltzer und sein Freund Kit Sommer-Eiland, von einigen Kid Death genannt , jagten mit ihren frisierten Fliegern mit atemberaubender Geschwindigkeit zwischen den Bäumen umher und jauchzten vor Vergnügen. Die Flieger waren kaum mehr als Antigravschlitten: ein Brett , um darauf zu stehen, und ein senkrechter Pfosten, an dem die Kontrollen angebracht waren, abgespeckt auf das Allernotwendigste, um höhere Geschwindigkeit und bessere Manövrierfähigkeit zu ermöglichen.

David und Kit schalteten die Energieschirme ab, damit sie den Wind spüren konnten, der an ihren Gesichtern vorüberwehte und ihnen die Tränen in die zusammengekniffenen Augen trieb. Wenn irgend etwas schiefging, wenn sie die Geschwindigkeit oder Entfernung oder ihre Reflexe falsch einschätzten oder mit einem harten, unnachgiebigen Objekt kollidierten, wären sie ohne die Energieschirme auf der Stelle tot – doch keiner der beiden gab einen Dreck darauf.

Sie waren jung, durchtrainiert und reich. Sie besaßen die blitzschnellen Reflexe und die Instinkte des Kriegers, und deswegen waren sie unsterblich. Unfälle waren Dinge, die anderen Leuten zustießen.

Und so flogen sie dahin, wedelten zwischen den Bäumen hindurch und schossen so rasend schnell durch das Dämmerlicht des Waldes, daß ringsherum nur ein verschwommenes Braun und Grün zu sehen war. Sie wechselten sich in der Führung ab, während jeder versuchte, dichter als der andere um die Bäume zu kurven, ohne dagegen zu rasen. Es war eine Mut-probe. Sie beanspruchten ihr Glück aufs äußerste, und die ganze Zeit über lachten sie atemlos.

Der Todtsteltzer und der Sommer-Eiland: Enge Freunde und die Köpfe ihrer beider Clans. Jung und wagemutig und noch immer auf der Suche nach ihrem wirklichen Ich. David war groß und hübsch und stets untadelig gekleidet. Er besaß dunkles Haar und dunkle Augen und ein wildes Herz; ein Krieger, dem seine Bewährungsprobe im Kampf noch bevorstand.

David Todtsteltzer war ein Cousin Owens und entstammte einer unbedeutenden Seitenlinie der alten Familie – bis Owens Verbannung ihn unvermutet zum Kopf des Todtsteltzer-Clans und zum Lord von Virimonde gemacht hatte. Hin und wieder unterstützte er heimlich die Rebellion, hauptsächlich, weil es Spaß machte.

Und Kit, genannt Kid Death, der lächelnde Killer: Eine ge-schmeidige Gestalt in Schwarz und Silber, blaß und ungewöhnlich schlank. Er besaß eisig blaue Augen und flachsblondes widerspenstiges Haar, und er war zum Anführer seiner Familie geworden, indem er in einer Reihe von mehr oder weniger legalen Duellen den eigenen Vater, die Mutter und seine sämtlichen Brüder und Schwestern umgebracht hatte. Kit Sommer-Eiland, der für einige Zeit der Liebling der Eisernen Hexe gewesen war, und dann den Untergrund unterstützt hatte – er war ein gefährlicher, einsamer Mann, der immer dorthin ging, wo das Töten stattfand.

Bis er David Todtsteltzer kennengelernt hatte.

Nach einer Weile machte sie das viele Adrenalin im Kreislauf schwindlig, und so nannten sie das Rennen unentschieden.

Sie brachen durch das Blätterdach des Waldes und rasten in den blauen Himmel . Sie nahmen die Geschwindigkeit zurück, bis die Maschinen nur noch ein gemütliches Tempo flogen, stützten sich schwer auf ihre Kontrollen und grinsten, bis die Wangen schmerzten, während sie darauf warteten, wieder zu Atem zu kommen.

David war froh, Kit lächeln zu sehen. Der Sommer-Eiland war von Natur aus ein düsterer Mann, und normalerweise vergnügte er sich in der Hitze der Schlacht und beim Töten. Doch hier auf Virimonde, weit weg vom Hof und seinen Intrigen und Zwängen und in der Gesellschaft eines guten Freundes blühte der berüchtigte Killer tatsächlich zu einem liebenswerten, sym-pathischen jungen Mann auf. Hier auf Virimonde konnten David und Kit einfach zwei junge Aristos sein, deren Macht gefe-stigt und deren Position sicher war, und sie konnten die Tage im Müßiggang verbringen, wie sie gerade Lust verspürten.

Sie ließen sich mit dem Wind treiben. David sah auf die Welt hinab, die sich unter ihm bewegte, und er fand sie gut. Der Wald erstreckte sich in alle Richtungen. Er wurde seit zahllosen Generationen von Förstern gehegt, die wußten, was sie taten. Sie benötigten weder die Hilfe noch den Rat des jüngsten Lords von Virimonde, genausowenig wie die Tiere. Beide kannten ihren Platz und ihre Aufgabe im Imperium.

Irgendwo auf Davids Ländereien waren Bauern bei der Feld-arbeit, und Arbeiter bereiteten die Landefelder des einzigen Raumhafens für die Ankunft des nächsten Schiffes vor. Die Transporter brachten Güter für die Einwohner von Virimonde und nahmen Getreide und Fleisch mit. Virimonde war ein Agrarplanet gewesen, solange die Aufzeichnungen zurück-reichten, und es versorgte Arm und Reich gleichermaßen mit Nahrung und hin und wieder auch mit Luxus. Neunzig Prozent der Oberfläche dienten auf die eine oder andere Weise der Produktion von Nahrungsmitteln, und die Menschen, die hier lebten, kannten nichts anderes. Virimonde mochte vielleicht nicht den Nervenkitzel, die Aufregungen und die glitzernden Städte anderer, reicherer Planeten bieten; doch es war eine ruhige, friedliche Welt, wo ein Mann sich seiner Berufung, der Sicherheit der Tradition und der Freude hingeben konnte, der gesamten Menschheit zu dienen.

Und den Lord von Virimonde unermeßlich reich machen.

Die Menschen mochten vielleicht über Ländereien, Geld und Politik streiten; aber sie mußten essen, gleichgültig, auf welcher Seite sie standen, und Virimonde diente allen gleichermaßen unparteiisch. David Todtsteltzer sah auf seine Welt hinunter und war zufrieden. Milliarden über Milliarden Kredits wei-deten und wuchsen dort unten, und alles gehörte ihm. Mehr Geld, als er in seinem ganzen Leben ausgeben konnte – obwohl ihn das natürlich nicht daran hindern würde, es zu versuchen.

Kit kam von hinten heran und schubste Davids Schlitten ver-spielt zur Seite, und beide schwankten einen Augenblick lang gefährlich. »Du hast schon wieder diesen Ausdruck im Gesicht, Todtsteltzer. Diesen Das-gehört-mir-alles-ganz-allein-Blick.

Wenn du so weitermachst, wirst du irgendwann nur noch den lieben langen Tag Berichte lesen, dir Gedanken über Ernteer-träge und Exporttarife machen und keine Zeit mehr für meinesgleichen übrig haben. Ein alter Mann, lange vor der Zeit.«

»Niemals«, widersprach David fröhlich. »Ich bezahle andere Leute, damit sie sich für mich den Kopf zerbrechen. Leute wie den Steward, Gott segne seine pflichterfüllte Seele und Ausdauer. Der Mann ist ungefähr so lustig wie ein Hagelsturm im Juli, und er geht mir manchmal ganz gewaltig auf die Nerven, aber er versteht was von seiner Arbeit. Und solange er sie erledigt, muß ich mich nicht darum kümmern.

Ich unterschreibe einfach alles, was er mir vorlegt und lese nur jedes zehnte Dokument, quasi als Stichprobe , damit er mich nicht betrügt, und den Rest überlasse ich ihm. Hätte ich hart arbeiten wollen, wäre ich sicher nicht als Aristokrat zur Welt gekommen. Nein, Kit. Diese Welt hier ist ein einziger riesiger Goldesel, und ich werde jeden Tag reicher. Und alles, was ich dafür tun muß, ist mich zurückzulehnen und es geschehen lassen.«

»Aber welchen Nutzen hat all dein Reichtum, wenn es nichts gibt, wo du dein Geld ausgeben kannst?« konterte Kit. »Die wenigen größeren Städte auf dieser Welt sind ja wohl nicht gerade Lasterhöhlen, oder? Die einzige Aufregung besteht darin, beim Pferderennen zu betrügen. Was hast du eigentlich mit all diesen Feldern und Wäldern im Sinn, David?«

»Ich genieße sie«, antwortete der Todtsteltzer. »Komm schon, Kit, wir haben praktisch keine Gelegenheit ausgelassen, uns auf Golgatha zu amüsieren, und nichts von alledem hat uns länger als ein paar Wochen interessiert. Wir haben in illegalen Kasinos unser Leben in die Waagschale geworfen, haben in der Arena gegen jeden gekämpft, der sich uns stellen wollte, haben uns durch die Freudenhäuser gevögelt, bis unsere Rücken krumm waren, und trotzdem haben wir uns am Ende mehr gelangweilt als alles andere. Deswegen haben wir uns ja auch der Rebellion angeschlossen. Nein, Kit, wir brauchen ein wenig Ruhe. Einfacheres Streben nach einfacheren Zielen. Ich bin die Zivilisation leid. Ich habe sie gesehen und ihren Segen genossen, bis ich mir das Hemd vollgekotzt und in die Hosen gepin-kelt habe. Mir gefällt es hier, Kit. Nichts, als auf der faulen Haut zu liegen und zu essen und zu trinken, bis man langsam fett wird. Man kann sich an den Abenden schön langsam be-trinken und sich mit den hübschen Bauerntöchtern herumtrei-ben. Man kann mit dem Schlitten durch die Luft jagen, bis man außer Atem ist. Ich amüsiere mich prächtig. Du etwa nicht?«

»Doch«, gestand Kit. »Zu meiner eigenen Überraschung amüsiere ich mich. Und das, obwohl ich schon seit Wochen niemanden mehr umgebracht habe. Erstaunlich. Stell dir vor, wir sind eigentlich als Agenten des Untergrunds hergekommen; aber wir haben seit unserer Ankunft noch keinen einzigen Bericht abgeschickt. Meinst du nicht, daß wir uns darum kümmern sollten?«

»Ganz bestimmt nicht«, widersprach David entschieden.

»Das firmiert unter dem Oberbegriff Arbeit, und die habe ich mir abgewöhnt. Ich arbeite erst wieder, wenn Weihnachten, Ostern und die großen Ferien auf einen Tag fallen, und noch ein paar andere Feiertage dazu. Die Pest soll die Löwenstein und den Untergrund holen! Hier sind wir in Sicherheit und haben Ruhe vor den streitenden Fraktionen und ihren unverschämten Forderungen. Welchen Verlauf die Rebellion auch nehmen mag, niemand schert sich einen Dreck um Virimonde.

Wer auch immer gewinnt, sie brauchen weiterhin Nahrung.

Obwohl ich gestehen muß, daß das Leben als Rebell mir ziemlich gut gefallen hat. All die geheimen Treffen, die versteckten Agendas, die Paßwörter und so weiter.«

»Stimmt«, sagte Kit. »Mir hat das mit den Paßwörtern auch gut gefallen. Ich liebe es, Dinge zu wissen, von denen andere Leute keine Ahnung haben. Aber selbst das wurde nach einiger Zeit langweilig. Die anderen haben die Sache viel zu ernst genommen.«

»Und wir haben genug von Ernsthaftigkeit«, ergänzte David.

»Ich denke, wir haben uns das Recht verdient, für eine Weile belanglos und albern zu sein. Nichts tun, keine Forderungen, keine Pflichten. Aufstehen, wann wir wollen; tun, was wir wollen, und spielen, solange wir Lust haben. Als wären wir wieder Kinder.«

»Ich weiß nicht so recht«, entgegnete Kit. »Ich hatte nie eine Kindheit. Ich wurde praktisch von dem Augenblick an, an dem ich laufen lernte, zu einem Krieger und Soldaten erzogen. Ich spielte mit einem Dolch, statt mit einer Rassel . Ich hatte Duell-partner statt Freunde . Ich mußte als Schwertkämpfer genausogut wie mein berühmter Vater und mein legendärer Großvater sein, ob ich das nun wollte oder nicht. Wie sich dann herausstellte, war ich besser als beide. Sie schienen nicht einmal überrascht, als ich es ihnen dadurch bewies, daß ich sie umbrachte.

Ich genoß es. Ich ließ sie leiden, wie sie mich mein ganzes Leben hatten leiden lassen. Ich durfte niemals Kind sein, verstehst du? Ich hatte keine Zeit für so belanglose Dinge wie Spielen oder Lachen oder einfach nur Freude. Nichts als endloses Training und Disziplin , um mich auf eine Zukunft vorzubereiten, die ich mir freiwillig niemals ausgesucht hätte.«

»Du fängst an, wie mein Cousin Owen zu reden«, sagte David und bemühte sich um einen leichten Plauderton. Kit hatte sich noch nie so weit vor ihm geöffnet, und er wollte ihn nicht dadurch entmutigen, daß er ihm zeigte, wie sehr es ihn bewegte.

»Wohl kaum«, widersprach Kit. »Ich benutzte meine Ausbildung, um etwas aus mir zu machen. Und wenn mir nicht immer gefallen hat, was ich tat… nun, so ist das Leben.

Ich bin froh, daß du mich mitgenommen hast, David. Ich füh-le mich hier so… frei. Frei von den Erwartungen der anderen, frei davon, der Sommer-Eiland sein zu müssen und mich so zu verhalten. Es ist gar nicht leicht, die ganze Zeit Kid Death zu spielen, weißt du? Hier gibt es keinen Druck, keine Zwänge, und hier muß ich nicht ständig das einzige tun, was ich am besten kann. Ich schätze, das macht für andere Menschen den Begriff Kindheit aus. Ich hätte gern eine Gelegenheit, endlich einmal Kind zu sein.«

»Hier hast du sie«, sagte David. »Zur Hölle mit der Löwenstein und dem Untergrund. Hier ist Feiern angesagt! Wir können tun und lassen, was wir wollen, Kit. Kein Todtsteltzer und kein Sommer-Eiland, keine Sprößlinge alter Blutlinien, kein Zorn und kein Kid Death nichts als zwei Freunde, die endlich frei sind.«

»Es wird nicht ewig dauern«, sagte Kit. »Das weißt du selbst.«

»Es wird so lange dauern, wie wir es wollen«, entgegnete David. »Wir müssen niemals von hier weg, wenn wir nicht wollen. Vermißt du irgend etwas von Golgatha?«

»Höchstens die Arena«, sagte Kit. »Das Toben der Menge, der Geruch von frischem Blut auf dem Sand. Das Krachen von Stahl auf Stahl und die Freude im Herzen, wenn deine Feinde von deiner eigenen Hand sterben. Die Verlockung, seine Fähigkeiten auf die einzige Weise auf die Probe zu stellen, die wirklich zählt: im Kampf auf Leben und Tod.«

»Sie mochten uns nie«, entgegnete David. »Ich meine die Menge. Ihnen gefiel die Vorstellung nicht, daß wir nur zu unserem eigenen Vergnügen kämpfen könnten, statt zu ihrem. Außerdem haben wir in der Arena alles erreicht, was wir erreichen konnten.«

»Das stimmt nicht ganz«, widersprach Kit. »Ich hatte niemals eine Gelegenheit, dem Maskierten Gladiator gegenüberzutreten.«

»Leg es unter ›unerledigte Arbeiten‹ ab«, empfahl ihm David.

»Ich hätte ihn schlagen können.«

»Sicher. Wahrscheinlich hättest du ihn schlagen können.

Wenn seine Manager dich in seine Nähe gelassen hätten, was ich sehr bezweifle. Es muß eine Menge Geld damit zu verdienen sein, ganz zu schweigen von der Ehre, der unbesiegte Champion der Arena von Golgatha zu sein. Am Schluß wurde der Maskierte Gladiator äußerst vorsichtig, was die Wahl seiner Gegner anbelangte.«

Kit zuckte die Schultern. David hoffte, er würde das Thema auf sich beruhen lassen. Er hatte es Kit gegenüber nie zugegeben; aber er war froh gewesen, als sie der Arena schließlich den Rücken zugekehrt hatten. David hatte nicht gefallen, was die Arena aus ihm machte. Er war stets ein guter Kämpfer und stolz darauf gewesen; doch dort draußen auf dem blutigen Sand und vor der tobenden Menge, da hatte er ein dunkles Vergnügen und eine Freude am Akt des Mordens gefunden, die ihn zutiefst beunruhigte. Es paßte überhaupt nicht ins Bild, das er immer von sich gehabt hatte, paßte nicht zu dem Mann, der er sein wollte, und es jagte ihm eine Heidenangst ein. Sosehr er Kit auch mochte, er wollte auf gar keinen Fall ein zweiter Kid Death werden. Und so war er bei der ersten sich bietenden Gelegenheit nach Virimonde aufgebrochen, um wieder ein anderer Mensch zu werden, jemand, der sich an kleinen Vergnügen und einem friedlichen Leben erfreuen konnte. Und vielleicht fand ja auch Kid Death hier seinen Frieden, weit entfernt von den dunklen Trieben, die ihn beherrschten.

»Ich bin dir dankbar, daß du mich hierher mitgenommen hast«, sagte Kit unvermittelt. »Dafür, daß du mein Freund bist.

Ich weiß, daß das nicht leicht ist. Ich weiß einen Freund manchmal nicht zu schätzen. Ich glaube, mir fehlt einfach die Erfahrung. Solange ich mich erinnern kann, war ich immer nur allein, und ich kannte nichts anderes als Töten. Niemand mochte mich, niemand hat mir je vertraut, selbst dann nicht, wenn sie mich benutzten, um sich das zu holen, was sie anders nicht bekommen hätten. Ich hatte vor dir noch nie einen Freund, David. Ich habe niemals wirklich gelebt, bevor du mich nicht gelehrt hast, was Leben eigentlich heißt.«

David streckte die Hand aus und schlug Kit auf die Schulter; dann drückte er sie beruhigend. »Der Tag ist viel zu schön für so finstere Gedanken, Kit! Vergiß doch die Vergangenheit.

Niemand hier schert sich um das, was du früher warst, und niemand aus der Vergangenheit kann uns hier behelligen. Wir sind frei, uns selbst zu finden. Wir können alles sein , was wir wollen. Los , komm, wir fliegen zurück zur Festung. Der Verlierer zahlt die ganze Nacht die Drinks!«

»Du hast schon verloren!« rief Kit und gab Gas. Sein Schlitten schoß vor und wurde rasch schneller. David schrie in gespielter Empörung auf und jagte hinter seinem Freund her.

Gemeinsam verschwanden sie in der Ferne, und ihr Lachen klang klar und fröhlich und unbekümmert durch den stillen Sommertag.

Sie stellten ihre Schlitten in den dunklen Höhlen unter der Todtsteltzer-Festung ab und gingen nach oben in das große alte Haus, wobei sie sich freundlich darüber stritten, wer denn nun das Rennen gewonnen habe. Wie stets war das Ergebnis so eng, daß sie sich schließlich auf ein Unentschieden einigten.

Keiner von beiden war wirklich darauf erpicht, gegen den Freund zu gewinnen, und das war für beide eine ganz neue Erfahrung. Sie stapften durch die weitläufigen Korridore und Hallen bis zum großen Bankettsaal, und David blickte sich voller Stolz in seiner Festung um. Sie war seit vielen Generationen der Sitz des Todtsteltzer-Clans, und sie hatte schon auf vielen Planeten gestanden . Owen hatte das riesige Gebäude Stein für Stein abtragen und nach Virimonde schaffen lassen, gleich nachdem er die Lordschaft über den Planeten erworben hatte . Es war Familientradition, daß jeder neue Kopf des Clans seinen Regierungssitz auf einen anderen Planeten verlegte; doch David kümmerte das nicht. Virimonde gefiel ihm ganz ausgezeichnet, und es machte ihm Freude, gegen die Familientradition zu verstoßen, selbst wenn es nur mit einer so unbedeutenden Nebensächlichkeit war. Er wollte nicht einfach nur ein weiterer Todtsteltzer sein.

David hatte viel Zeit damit verbracht, sämtliche Spuren Owens aus der Festung zu entfernen. Er war jetzt der Lord, und er wollte auf keinen Fall, daß hier irgend etwas an seinen Vorgänger erinnerte. Also hatte er alles, was Owen gehört hatte, entweder aus dem Fenster geworfen oder verbrannt, und anschließend hatte er die zahlreichen Räume mit seinen eigenen Habseligkeiten gefüllt. Um ehrlich zu sein, wirkten seine Sie-bensachen in dem gewaltigen Haus ein wenig verloren und fehl am Platz neben all den Schätzen und Trophäen, die Generationen von Todtsteltzern zusammengetragen hatten; doch das hät-te David niemals gegenüber einem anderen Menschen zugeben – mit Ausnahme von Kit Sommer-Eiland vielleicht. Schließlich zählte im Grunde genommen nur eins: Die Festung und die Welt, auf der sie stand, gehörten jetzt ihm, und wenn er erst fertig war, würde sich kein Mensch mehr daran erinnern, daß es jemals einen anderen Lord von Virimonde gegeben hatte.

Sie hatten beinahe den Speisesaal erreicht, als der Steward David abfing. David warf einen Blick auf den dicken Stapel Papiere, die der Steward ihm entgegenstreckte, und stöhnte laut. Er haßte Papierkram, und er hatte sichergestellt, daß der Steward es wußte. Trotzdem bestand David darauf, die wirklich wichtigen Geschäfte selbst zu regeln. Der Steward mochte sich mit Alltagskram herumschlagen; aber er würde auf gar keinen Fall Entscheidungen treffen, die das rechtmäßige Privileg des Lords von Virimonde waren. David vertraute dem Steward nicht. Er hatte keinen Augenblick gezögert, sich gegen Owen zu wenden, als die Eiserne Hexe Davids Cousin verbannt hatte, und ein Mann, der einen Todtsteltzer verraten hatte, würde auch einen zweiten verraten.

Der Steward war eine langweilige Gestalt. Groß und dürr wie eine Bohnenstange, grauhaarig, in grauen Anzügen und mit einem grauen, leidenschaftslosen Gesicht. Seine Stimme war stets ein respektvolles Murmeln, und seine Augen waren immer ehrfürchtig auf den Boden gerichtet; doch David wurde das Gefühl nicht los, daß der Mann sich insgeheim über ihn lustig machte. Er schien sich für nichts anderes zu interessieren als für den laufenden Betrieb und die Verwaltung der Liegen-schaften mitsamt der kostbaren, niemals enden wollenden Bürokratie, und manchmal erweckte er den Eindruck, als betrachte er die Festung insgeheim als sein Eigentum und die verschiedenen Todtsteltzer nur als Besucher. Todtsteltzer mögen ja kommen und gehen, schien das Benehmen des Stewards auszudrücken, aber ich und meine Leute bleiben. Er knabberte ununterbrochen an kleinen Brotstückchen ohne Butter und Belag, und er knackte laut mit den Fingerknöcheln, wenn man ihn warten ließ. David verabscheute den Steward, doch er versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen. Er wußte, daß er die Festung ohne den Steward nicht leiten konnte .

»Noch mehr Papiere?« fragte er resignierend. »Kann das nicht bis nach dem Essen warten?«

»Ganz genau das sagten Euer Lordschaft auch schon beim Frühstück«, erwiderte der Steward mit seiner ruhigen grauen Stimme. Wie immer klang der Titel aus seinem Mund wie eine Beleidigung. »Die verschiedenen Angelegenheiten sind, wenn überhaupt, seit dem Frühstück noch dringlicher geworden. Ich muß respektvoll insistieren, Euer Lordschaft…«

»Schon gut, schon gut«, unterbrach ihn David. »Wir haben doch ein Büro direkt auf diesem Korridor, oder nicht? Gehen wir dorthin. Und eins sage ich Euch: Diese Angelegenheiten sind besser wirklich wichtig, oder ich lasse Euch das Tafelsil-ber nachzählen. Kit, du bleibst bei mir. Wenn ich leide, sollen alle anderen das auch.«

»Ich würde mir dieses Schauspiel um nichts in der Welt entgehen lassen«, antwortete Kit Sommer-Eiland gelassen. »Ich mag es, wie die Adern auf deiner Stirn anschwellen, wenn du mit längeren Wörter kämpfst. Außerdem ist Leiden gut für den Charakter. Hat man mir jedenfalls gesagt. Allerdings kann ich es nicht aus eigener Erfahrung bestätigen, weil alle, die jemals versucht haben, mich leiden zu lassen, tot und begraben sind, manchmal auf mehrere Orte verteilt.«

David setzte sich in dem kleinen staubigen Büro hinter den Schreibtisch und begann, die Papiere zu studieren. Manche Arbeit war eben nicht zu vermeiden, wenn man nicht eines Morgens aufwachen und überrascht feststellen wollte, daß das Personal einem alles unter dem Hintern weg gestohlen hatte, was man besaß. David empfand ein diebisches Vergnügen dabei, seine Unterschrift so unleserlich wie nur irgend möglich zu gestalten. Genaugenommen hätte er jedes Dokument mit Wachs und Familiensiegel stempeln müssen; aber Owen hatte den Ring mitgenommen – die Pest an seinen Hals. David hatte einen neuen Siegelring in Auftrag gegeben, doch er hatte sich noch nicht endgültig für ein Design entschieden. Irgendwann überflog er nur noch Papiere, um sicherzustellen, daß er nicht sein eigenes Todesurteil unterschrieb. Zu viele eng bedruckte Blätter ließen ihn schwindeln. Kit saß an der Seite und summte leise vor sich hin. Der Sommer-Eiland liebte das Singen, aber er konnte einen Ton nicht einmal dann halten, wenn er auf beiden Seiten Griffe gehabt hätte. Doch da noch nie jemand den Mut besessen hatte, ihm das zu sagen, blieb er in seliger Un-wissenheit, was seine Stimme anging. Nicht einmal David brachte es über sich, Kit die Wahrheit zu sagen. Im Augenblick amüsierte sich Kit damit, den Steward so lange anzustarren, bis der Mann sich in seinen hochgeschnürten Stiefeln wand. Der Sommer-Eiland machte den Steward entschieden nervös.

Zur Hölle, der Sommer-Eiland machte jeden nervös.

David unterschrieb schwungvoll das letzte Dokument und lehnte sich mit theatralischem Seufzen in seinem Sitz zurück.

Er beobachtete den Steward verdrießlich , während der Mann die Papiere zusammenschob. Er erinnerte den neuen Todtsteltzer an seine zahlreichen Lehrer (von denen sich keiner lange gehalten hatte), die sich nach Kräften abgemüht hatten, dem Jungen ein paar nützliche Dinge in den rebellischen Kopf zu trichtern. Nicht einer von ihnen hatte darauf verzichtet, ständig auf Davids intellektuellen Cousin Owen zu verweisen , den be-rühmten, wenn auch unbedeutenden Historiker. Andauernd wurde Owen als Beispiel für alles zitiert, was David nicht war und niemals sein wollte.

Somit war es nicht überraschend, daß David seinen älteren Cousin bereits verachtet hatte, bevor sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Sie standen sich nicht sonderlich nahe, und sie waren nicht einmal wirklich miteinander verwandt: Owens Vater, Arthur Todtsteltzer, hatte einen jüngeren Bruder gehabt, Saul. Saul hatte Louise geheiratet, deren Schwester Margaret Davids Mutter war. Unter normalen Umständen hätte David nicht den Hauch einer Chance besessen, eines Tages zum Oberhaupt des Clans aufzusteigen; doch das Erbe der Todtsteltzer, der Zorn, tötete viele von ihnen, bevor sie das Erwachsenenalter erreichten.

Und so hatte sich David nach Owens Verbannung unvermittelt im Besitz eines Titels und von Verantwortlichkeiten wie-dergefunden, die er weder erwartet, noch jemals angestrebt hatte.

Ganz besonders dann nicht, wenn er als der Todtsteltzer nichts anderes zu tun hatte, als andauernd irgendwelche verdammten Papiere zu unterschreiben.

Der Steward nickte knapp und erklärte sich für den Augenblick zufrieden, und David warf demonstrativ den Stift aus dem Fenster, bevor der Steward es sich anders überlegen konnte.

»So«, sagte er gereizt. »Kann ich jetzt endlich zu meinem Essen, oder gibt es irgendwo in der Festung noch einen Fetzen Papier, auf den ich noch nicht meinen Namen gekritzelt habe?«

»Das war das letzte Dokument, Mylord«, antwortete der Steward gelassen. »Aber draußen wartet eine Abordnung der Bauern auf Euch. Ihr hattet ihnen fest zugesagt, sie zu empfangen, Mylord.«

»Habe ich das?« fragte David stirnrunzelnd. »Ich muß betrunken gewesen sein.«

»Laß sie bis nach dem Essen warten«, schlug Kit Sommer-Eiland vor. »Dafür sind Bauern schließlich da.«

»Nein, Kit. Wenn ich ihnen versprochen habe, sie zu empfangen, dann werde ich das auch tun. Wo sind die Bauern, Steward? In der Großen Halle? Schön, dann führt mich hin.

Und wagt es nicht zu bummeln, sonst trete ich Euch in den Arsch.«

Der Steward bedachte David mit einer ganz genau bemessenen Verbeugung, die nur mit Wohlwollen nicht als Beleidigung zu interpretieren war, und ging voraus. David und Kit trotteten hinter ihm her. Kits Magen rumpelte laut, und der Sommer-Eiland schniefte.

»Zum Geburtstag wünsche ich mir, daß ich ihn töten darf, David.«

David mußte lachen. »Tut mir leid, Kit. So sehr ich es hasse, es zuzugeben, aber ich brauche ihn. Er ist der einzige in der gesamten Festung, der sich mit der Führung der Geschäfte aus-kennt. Ich wüßte nicht einmal, womit ich anfangen sollte. Es wäre ein Alptraum, den Steward ersetzen zu müssen. Er hat sich unentbehrlich gemacht, und der selbstgefällige graue Bastard weiß das leider nur allzu genau.«

»Warum empfängst du die Bauern überhaupt? Es ist schließlich nicht so, als müßtest du das?«

»Doch, ganz genau so ist es. Erstens, weil ich will, daß die Einheimischen mich mögen. Owen hat sich nie etwas aus ihnen gemacht, und deswegen stand er ganz alleine da, nachdem die Eiserne Hexe ihn verbannt hatte. Das wird mir nicht passieren.

Außerdem – je mehr Kontakt und Gespräche ich mit den Bauern pflege, desto geringer ist der Einfluß des Stewards. Ich will, daß sie mich als ihren Herrn ansehen, nicht ihn. Und drittens experimentieren die Bauern in letzter Zeit ein wenig mit lokaler Demokratie, und ich will sie dabei ermutigen.«

»Warum denn das zur Hölle?« fragte Kit ehrlich schockiert.

»Bauern haben das zu tun, was man ihnen sagt! Das ist der Grund, aus dem sie Bauern sind! Wenn wir ihnen erlauben, eigene Entscheidungen zu treffen , dann schreien wir ja förmlich nach Schwierigkeiten! Nicht zuletzt von der Löwenstein.

Wenn sie herausfindet…«

»Sie wird nichts unternehmen, solange die Versorgung mit Nahrungsmitteln nicht beeinträchtigt wird«, unterbrach ihn David gelassen. »Das Imperium ist auf das angewiesen, was wir produzieren, und das weiß die Eiserne Hexe ganz genau.

Und wenn du wissen willst, warum ich die Bauern ermuntere: Ich bewundere ihre Tapferkeit, und ich verstehe durchaus ihr Bedürfnis nach ein wenig Unabhängigkeit. Und es amüsiert mich, wenn ich daran denke, wie die Löwenstein hilflos vor Wut schäumt. Nebenbei hält uns eine lokale Demokratie den Untergrund und die Rebellen vom Leib. Mach dir keine Sorgen, Kit. Ich weiß ganz genau, was ich tue. Indem ich den Bauern Mut mache und die Stellung des Stewards untergrabe, bekomme ich Dinge zu hören, die mir andernfalls verborgen bleiben würden. Niemand wird mich mit heruntergelassenen Hosen überraschen wie meinen Vetter Owen.«

Das Treffen verlief nach Plan. Die Bauern verneigten sich respektvoll vor ihrem Lord und vor Kit, sagten genau die richtigen Dinge und unterbreiteten dem Todtsteltzer einige gemäßig-te Vorschläge. David gab vor, ein paar Minuten darüber nachzudenken, und willigte schließlich ein. Die lokale Demokratie auf Virimonde blühte und gedieh; der Steward schäumte insgeheim vor Wut, und soweit es David betraf, war die Welt in Ordnung. Es gefiel ihm, seine Bauern glücklich und den Steward wütend zu sehen. David war eben im Grunde genommen ein Mann, der sich an kleinen Dingen erfreute.

Die Bauern verbeugten sich erneut und verließen die Festung fröhlich und zufrieden. Endlich konnte David wieder seine Mahlzeit ins Auge fassen. Und genau in diesem Augenblick präsentierte ihm der Steward seine kleine Überraschung.

»Was soll das heißen, noch mehr geschäftliche Dinge?« brauste David auf. »Ich habe alles unterschrieben, was sich nicht bewegt, und ich habe mit jedem gesprochen, der sprechen kann! Was auch immer sonst noch zu tun ist, es kann warten, bis ich gegessen, verdaut und ein kleines Nickerchen gemacht habe!«

»Ich fürchte leider nicht, Mylord«, widersprach der Steward ungerührt. »Wir haben eine Nachricht von der Imperatorin persönlich erhalten. Es geht um Löwensteins Pläne für die Zukunft von Virimonde. Pläne, die, wie ich bedauerlicherweise feststellen muß, Eure Zugeständnisse gegenüber den Bauern sowohl überflüssig, als auch bedeutungslos machen.«

David blickte den Steward überrascht an. Das war das erste Mal, daß der Lord von Virimonde etwas über Pläne für Virimondes Zukunft gehört hatte – ganz besonders von Seiten der Imperatorin. David hätte nicht geglaubt, daß die Löwenstein überhaupt wußte, wo Virimonde lag. Außerdem – als Lord des Planeten und seiner Bewohner hätte man ihn kontaktieren müssen, lange bevor irgendwelche Pläne geschmiedet wurden. In der Stimme des Stewards war ein Unterton zu hören gewesen, den David überhaupt nicht mochte: Selbstgefälligkeit und Wissen. David musterte den Steward mißtrauisch und sank in seinen Sessel zurück. Wenn es um etwas ging, von dem der Steward dachte, daß David es nicht gutheißen würde, dann wollte er es gefälligst auf der Stelle wissen.

»Also schön. Legt es auf den großen Schirm. Wir wollen sehen, was die Eiserne Hexe uns zu sagen hat.«

Der Steward nickte feierlich und trat an die Kontrollen. Der Bildschirm wurde hell, und der Alptraum nahm seinen Anfang.

Die Löwenstein sprach den Kommentar im Hintergrund; doch die Bilder waren auch so unschwer zu deuten. Virimonde sollte zu einer vollständig automatisierten Welt umgebaut werden.

Eine einzige riesige Fabrik, die sich von Pol zu Pol erstreckte.

Die Städte und Dörfer, die riesigen Felder und Wälder – all das würde unter meilenlangen Ställen verschwinden. Das Vieh würde in Pferche eingesperrt werden, die zu Hunderten übereinander gestapelt waren. Es würde in den Klonstationen geboren werden, ein kurzes, künstlich gemästetes Leben fristen und es bald darauf in den benachbarten Schlachthöfen aushauchen, ohne jemals die Sonne gesehen zu haben. Durch Schläuche ernährt , lobotomisiert , damit es Ruhe hielt , und von Maschinen geschlachtet. Landwirtschaft und Landschaft waren nicht mehr nötig. Keine Bauernhöfe, keine Bauern. Alles würde von Lektronen gesteuert werden. Man würde die Bauern zusammen-treiben und zu anderen Welten deportieren, wo sie in Fabriken nützlichere Arbeit verrichten würden. Die geplante Fleischpro-duktion würde schon im ersten Jahr um das Tausendfache steigen, und der Umbau würde sich in weniger als zehn Jahren amortisiert haben.

Und so lautete Löwensteins Plan für die friedliche grüne Welt Virimonde. Es war eine Zukunft, in der es keinen Platz mehr gab für Menschen und die Arbeit ihrer Hände. Die letzte Szene auf dem großen Bildschirm war eine Lektronensimulation dessen, wie die neue Welt Virimonde aussehen würde: eine Landschaft voller endloser Ställe und Fabriken, mit dichtem schwarzem Rauch, der aus den Verbrennungsöfen der Schlachthöfe aufstieg, wo Knochen und Hufe und andere nicht verwertbare Dinge gekocht und geschmolzen wurden, um daraus Leim herzustellen. Nichts würde in der vollautomatisierten Welt verschwendet werden.

Der Schirm wurde dunkel, und die Nachricht war zu Ende.

Der Steward hüstelte höflich, um David daran zu erinnern, daß er noch immer zugegen war.

»Irgendwelche Fragen, Mylord?«

»Hat sie ihr bißchen Verstand jetzt ganz verloren?« brauste David auf. »Glaubt sie wirklich, ich ließe da s da mit mir machen? Sie kann doch nicht einfach so eine ganze Welt mitsamt ihrer Kultur zerstören! Die Menschen hier haben eine Tradition, die Jahrhunderte zurückreicht!«

»Sie sind nur einfache Bauern, Mylord«, erwiderte der Steward gelassen. »Ihre einzige Pflicht und ihr Sinn besteht darin zu arbeiten und zu dienen, ganz gleich wo, und dem Befehl der Imperatorin zu gehorchen. Die neue Methode der Viehzucht wird viel effizienter sein. Ich habe hier die voraussichtlichen Zahlen für die nächsten zehn Jahre, falls Ihr einen Blick darauf werfen möchtet.«

»Stopft Euch die Zahlen sonstwo hin! Dieser ganze Plan ist falsch! Das hier ist eine von Menschen besiedelte Welt und keine Niederlassung von Shub!«

»Ihr solltet stolz sein, Mylord! Virimonde wird der erste derartige Planet. Die Prototypwelt. Sobald sich der Wert der Methode hier bestätigt hat, werden sämtliche anderen Agrarwelten auf die gleiche Weise umgewandelt. Euer Reichtum wird sich vervielfachen!«

»Wen kümmert das schon?« knurrte David und brachte sein Gesicht ganz dicht vor das des Stewards. »Wer will schon über eine stinkende Fabrikwelt herrschen? Nein, diese Obszönität wird auf gar keinen Fall stattfinden. Nicht, solange ich der Lord von Virimonde bin!«

»Was kannst du schon dagegen unternehmen?« fragte Kit.

»Ich meine, sie ist die Imperatorin! Sie trifft die Entscheidungen. Streite mit ihr, und sie erklärt dich zum Verräter, genau wie sie es mit Owen getan hat.«

»Sie würde niemals einen ganzen Planeten zerstören«, sagte David. »Oder doch?«

»Ganz bestimmt sogar«, erwiderte Kit. »Es ist noch gar nicht so lange her, daß sie die Welt Tannim für abtrünnig erklärt hat und den ganzen Planeten sengen ließ. Oder hast du das vergessen?«

David runzelte die Stirn. Er erinnerte sich nur allzu gut. Milliarden von Menschen hatten sterben müssen. Eine ganze Zivilisation war in Flammen aufgegangen , weil die Imperatorin es befohlen hatte. »Dabei ging es um Politik«, sagte er. »Das hier ist etwas ganz anderes.«

Kit zuckte die Schultern. »Ob du es glaubst oder nicht: Das ist Ansichtssache.«

»Ja«, gestand David. »Ich weiß, warum sie das tut. Warum sie ausgerechnet mit meiner Welt anfangen will. Es kommt daher, daß ich ein Todtsteltzer bin, und weil Owen einen so großen Sieg auf der Nebelwelt errungen hat. Sie kann ihm nichts anhaben, also läßt sie ihre Wut an mir aus, diese kindi-sche Kuh. Nein, Kit! Ich werde ihr das auf gar keinen Fall durchgehen lassen!«

»Und was, bitteschön, willst du dagegen unternehmen?« fragte Kit ernst.

»Ich fürchte, nichts, Mylord«, mischte sich der Steward ein.

Seine Stimme klang respektvoll wie immer; doch David war sicher, in den Augen des Mannes eine heimliche Befriedigung zu erkennen. »Die Imperatorin hatte noch nie viel Zeit für Sen-timentalitäten gehabt, und ich bezweifle, daß Ihr sie mit Eurem Protest umstimmen könnt. Soweit ich es verstanden habe, ist die Umwandlung der Agrarwelten Teil der Bemühungen, im Laufe des geplanten Krieges gegen die Fremdwesen einen ununterbrochen Strom von Nahrung für das Imperium sicherzustellen. Deswegen handelt es sich um eine Frage der Sicherheit, und aus diesem Grund steht sie auch nicht zur Debatte. Durch niemanden.«

»Ihr wußtet von ihrem Plan?« brauste David auf. Er packte den Steward mit beiden Händen am Kragen und schleuderte ihn gegen die Wand. »Sie hätte ihren Plan unmöglich so weit ausarbeiten können, ohne vorher mit Euch darüber zu reden!

Sie brauchte Zahlen und Fakten , und nur Ihr hattet Zugang zu den Informationen! Redet, verdammter Kerl!«

»Er kann nicht reden, David«, sagte Kit ruhig. »Du drückst ihm die Luft ab. Beruhige dich. Wir wollen hören, was er zu sagen hat. Später können wir ihn immer noch töten.«

David ließ den Steward los und trat einen Schritt zurück. Er atmete schwer. Der Steward umklammerte seinen Hals und rang nach Luft, und er funkelte David ohne jede Spur und Unterwürfigkeit an. »Die Imperatorin war so freundlich, mich um meinen Rat zu ersuchen, jawohl. Ich tat mein Bestes, um ihr behilflich zu sein, wie es meine Pflicht ist. Ihr wurdet nicht informiert, weil Ihr nichts Sinnvolles zur Diskussion beizutragen hattet, und weil wir darüber hinaus genau diese Art von infantilem Verhalten Eurerseits erwartet haben. Ihr könnt nichts mehr daran ändern, Mylord. Absolut gar nichts.«

»Ich kann mich an die Versammlung der Lords wenden«, sagte David. »Und an das Parlament, wenn es denn sein muß.

Kein anderer Lord wird wollen, daß das mit einem seiner Planeten geschieht. Wer ist schon gerne Lord ohne Untertanen, vor denen er sich aufspielen kann? Diese neue Effizienz würde uns zu Fabrikdirektoren degradieren! Geschäftsleute! Nein, die Lords werden diesen Plan niemals akzeptieren. Verdammt, ich bin hergekommen, weil ich Ruhe und Entspannung suchte, und nicht, weil ich den Umbau meiner Welt zu einer verdammten Mastfarm beobachten möchte. Aus meinen Augen, Steward!

Mir wird ganz schlecht von Eurem Anblick.«

Der Steward verbeugte sich kalt und ging. David lehnte sich schwer atmend gegen die Wand. Kit sah seinen Freund nachdenklich an.

»Können wir sie wirklich aufhalten?« fragte er leise. »Wenn sie daraus eine Sicherheitsangelegenheit gemacht hat…?«

»Nun, wir werden damit anfangen, daß ich ihr eine Antwort schicke, daß ihr die Ohren qualmen! Wenn sie glaubt, sie kann mich unter Druck setzen, nur weil ich noch nicht so lange Lord bin, dann hat sie sich getäuscht. Wir müssen sie aufhalten, Kit.

Diese Pläne würden die Macht eines jeden Lords unterminieren. Sie versucht, uns unsere Macht wegzunehmen und uns mit Geld abzuspeisen. Schön, diesmal hat sie sich verrechnet. Ein Lord zu sein, hat nichts mit einem dicken Bankkonto zu tun.

Die Loyalität unserer Bauern galt schon immer zuerst uns und dann der Krone. Sie waren schon immer eine potentielle Armee, die wir einsetzen konnten, um uns gegen Imperiale Ag-gression zu verteidigen. Verflucht , das geht viel weiter , als ich dachte! Das ist ein Schlag gegen die grundlegenden Rechte und die Macht aller Lords! Wenn unsere Welten von Lektronen kontrolliert und unsere Bauern über Dutzende anderer Welten verstreut werden , dann besitzen wir keine echte Machtbasis mehr! Wenn sie damit durchkommt, könnte die verfluchte Löwenstein die Macht der Lords ein für allemal brechen!«

»Nicht die Macht aller Lords, David«, widersprach Kit. »Nur die der Familien, deren Reichtum an Menschen und Planeten gebunden ist. Andere Clans, wie zum Beispiel der Clan der Wolfs, ziehen ihre Macht und ihr Ansehen dieser Tage aus Technologien.«

»Du hast recht«, sagte David langsam. »Es würde nur die älteren, traditionelleren Clans treffen. Die Familien , die der Löwenstein mißtrauisch gegenüberstehen. Und es würde die Position der jüngeren Clans stärken, die sie tendenziell unterstützen. Verdammt, ist das kompliziert! Verschachtelt bis zum geht nicht mehr. Zur Hölle, ich kann jetzt nicht mehr darüber nachdenken. Davon bekommt man ja Kopfschmerzen!«

»Laß uns essen gehen«, sagte Kit. »Nach einer guten Mahlzeit sieht die Welt wieder ganz anders aus.«

»Zur Hölle mit dem Essen!« fluchte David. »Ich brauche jetzt einen Drink. Eine Menge Drinks. Laß uns in die Stadt gehen. Wir setzen uns in die Taverne und treffen Alice und Jenny.«

»Ein guter Vorschlag«, stimmte Kit zu.

Hoch im Orbit über Virimonde schwebte der Imperiale Sternenkreuzer Elegance, und seine Anwesenheit war den meisten unten auf der Oberfläche verborgen . Der Herr der Elegance, General Shaw Beckett, saß unglücklich in seinem Privaten-quartier und trommelte mit den Fingern einer Hand auf die Armlehne seines Sessels. Er verspürte nicht die geringste Lust auf seinen gegenwärtigen Auftrag, doch die Befehle der Imperatorin waren deutlich und unmißverständlich gewesen. Als guter Soldat würde Beckett genau das tun, was man ihm befahl.

Es war nicht das erste Mal, daß er Befehle ausführte, die ihm nicht schmeckten, und er bezweifelte, daß es das letzte Mal sein würde. So war das Leben nun mal unter der Fuchtel von Löwenstein XIV., der Eisernen Hexe.

Beckett war ein großer Mann und extrem fett. Sein Sessel stöhnte protestierend unter jeder unvorsichtigen Bewegung.

Sämtliche geladenen Gäste kamen zu spät; doch Beckett konnte nichts tun, um sie zur Eile anzutreiben . Zu viele Bedenken würden ihm als Schwäche angelastet werden, und die Eingela-denen waren denkbar ungeeignet, um vor ihnen Schwäche zu zeigen. Sie würden es nur für ihre Zwecke ausnutzen. Beckett sah sich prüfend in seinem Quartier um. Ihm war danach, mit Gegenständen zu werfen, doch er hatte nichts zur Hand, das nicht irgendeinen persönlichen oder wenigstens Erinnerungs-wert besaß. Beckett umgab sich gerne mit persönlichen Dingen, wenn er unterwegs war. Es bedeutete ein Stück Zuhause in einer ansonsten vollkommen fremden Umgebung . Und wenn nicht einmal ein General das Recht auf Komfort in seinem eigenen Quartier besaß, wer zur Hölle besaß es dann?

Beckett dachte darüber nach, um seine Gedanken von anderen Dingen abzulenken. In naher Zukunft gab es so einiges, an das er lieber erst denken wollte, wenn es unbedingt sein mußte.

Der Türsummer ertönte und kündigte den ersten von Becketts Gästen an. Der General brummte ein unfreundliches »Herein!«, und die Tür glitt auf. Im Eingang stand Lord Valentin Wolf in all seiner morbiden Pracht. Der Wolf steckte in hervorragend geschneiderten Kleidern aus einem blendenden Weiß und trug einen schwarzen Umhang mit purpurnem Futter darüber. Sein langes hageres Gesicht war weiß wie gebleichte Knochen, mit Ausnahme der dick geschminkten Augen und dem breiten, grinsenden lippenstiftroten Mund. Eine Mähne aus pech-schwarzem Haar fiel in pomadengetränkten Locken bis auf die Schultern. In den Händen hielt Valentin Wolf eine langstielige rote Rose mit fleischiger, dicker Blüte. Der Stiel trug unübersehbar bösartige Dornen, die Beckett schon bei ihrem Anblick zusammenzucken ließen.

Valentin Wolf blieb einen Augenblick lang im Eingang stehen, damit Beckett gebührend beeindruckt sein konnte; dann schwebte er lässig in das Privatquartier des Generals. Hinter ihm glitt die Tür wieder zu, und Beckett verspürte einen kurzen, wenngleich sehr realen Anflug von Unruhe, als wäre er nun zusammen mit einem tödlichen Raubtier im gleichen Zimmer gefangen – was er in einem sehr realen Sinn schließlich auch zutraf.

Valentin blickte sich gelassen in Becketts Quartier um. Er musterte die zahlreichen interessanten Einrichtungsgegenstän-de mit seinen dunklen, geschminkten Augen und hob kaum merklich eine seiner Brauen. Vor General Beckett blieb der Wolf stehen und verbeugte sich formell. Beckett erwiderte den Gruß ebenso knapp und machte sich noch nicht einmal die Mühe, vorher aufzustehen. Es kostete viel zuviel Kraft, eine derart gewaltige Körpermasse wie die seine aus dem Sessel zu wuchten, und Beckett wollte verdammt sein, wenn der Wolf diese Mühe wert war. Er deutete mit einer fetten Hand auf einen der freien Sessel, und Valentin sank matt hinein.

»Gruß und Ave, mein lieber General. Ihr habt wirklich erstaunliche Dinge in Eurem Quartier zustande gebracht. Nicht, daß es mir gefiele – aber mein Geschmack gefällt anderen ja auch nur selten.«

Beckett schnaufte verächtlich. »Vielleicht liegt das daran, daß Ihr ein mit Drogen vollgepumpter Degenerierter seid, der schon so weit hinüber ist, daß man eine Münze werfen muß, um herauszufinden, wo oben und wo unten ist.«

»Möglicherweise liegt es wirklich daran. Wollt Ihr vielleicht eine kleine Kleinigkeit ausprobieren , General?« erkundigte sich Valentin liebenswürdig.

»Auf gar keinen Fall«, antwortete Beckett. »Ich habe nicht das geringste Interesse, meinen Verstand mit Chemikalien zu benebeln, wenn wichtige Arbeit auf mich wartet.«

»Das ist aber eine sehr engstirnige Einstellung, mein lieber Beckett«, sagte Valentin leichthin und sog den köstlichen Duft seiner Rose ein, während er kurz an einem der Blütenblätter knabberte. »Ich habe oft die Erfahrung gemacht, daß die richtigen Substanzen in der richtigen Menge und Mischung die Gedanken eines Mannes positiv anregen und zu größerer Klarheit und besserem Verständnis führen können. Ich habe schon viele Einsichten gewonnen, während rings um mich herum alles in Dunkelheit zu verschwinden drohte. Wenn Ihr nur die Dinge sehen könntet, die ich schon gesehen habe, mein lieber General, und die zahllosen Wunder, die sich mir enthüllt haben! Ich reite auf meinem erweiterten Bewußtsein wie auf einem ungezügelten Pferd, und ich zertrample niedrigere Seelen unter meine Hufen. Allerdings stehe ich – für den Augenblick jedenfalls – völlig zu Euren Diensten. Ich sterbe fast vor Neugier, alles über Eure Mission hier über Virimonde zu erfahren.«

»Da müßt Ihr schon warten, bis die anderen sich ebenfalls endlich einzufinden geruhen«, erwiderte Beckett stumpf, ohne in die Falle zu tappen. »Die Befehle der Imperatorin waren recht deutlich.«

»Gott schütze unsere Imperatorin!« sagte Valentin. Er schlug ein langes, weiß gekleidetes Bein über das andere und ließ es leise vor- und zurückschwingen, und das Licht glänzte auf seinen spiegelglatt polierten Schuhen. Beckett kam der Gedanke, daß der Wolf aussah wie eine Federzeichnung. Ganz genau die Art von Figuren, die man in Benimmbüchern fand – wahrscheinlich mit dem Wort Ausschweifung darunter. Beckett bewunderte insgeheim die Ruhe des Wolfs, selbst wenn die Ursache dafür aller Wahrscheinlichkeit nach in einer Pillen-schachtel zu suchen war. Mit dem Debakel auf Technos III und der völligen Zerstörung seiner Fabrik für den neuen Hyperraumantrieb hatte die Erfolgssträhne des Valentin Wolf einen ernsthaften Dämpfer erhalten. Einst war der Wolf-Clan eine der führenden Familien des Imperiums gewesen, und Valentin hatte einen festen Platz zur Rechten der Eisernen Hexe gehabt.

Heute war er bei Hofe gerade noch geduldet, und das auch nur, weil die anderen sich über ihn amüsieren konnten. Die Produktion des neuen Hyperraumantriebs war dem Clan Chojiro übertragen worden, der von Grund auf neu beginnen mußte. Das hatte der Löwenstein überhaupt nicht gefallen. Die Eiserne Hexe hätte den neuen Antrieb lieber gestern als heute in den Schiffen der Flotte installiert.

Die beiden für das Fiasko auf Technos III verantwortlichen Wolfs, Daniel und Stephanie, waren wie vom Erdboden verschwunden und hatten Valentin allein die Schuld untergescho-ben, die er mit einem Schulterzucken, einem Kopfschütteln und einem charmanten Lächeln auf sich genommen hatte. So etwas passierte halt.

Jeder andere wäre vielleicht ruiniert gewesen und in Ungnade gefallen, und wahrscheinlich hätte er sogar den Kopf verloren.

Doch Valentin Wolf war aus anderem Holz geschnitzt. Er hatte sämtliche finanziellen Verluste aus der eigenen Tasche ausge-glichen, ohne mit der Wimper zu zucken, seine verschwunde-nen Geschwister in aller Öffentlichkeit enterbt und mit einer Trumpfkarte zurückgeschlagen, von deren Existenz nur die wenigsten auch nur etwas geahnt hatten. Valentin besaß Zugang zu einer geheimen Quelle extrem fortschrittlicher Technologien, und nur das hatte ihn heute hierher geführt und ihm eine Chance eröffnet, sich in Löwensteins Augen zu rehabilitieren.

Valentin hatte niemandem verraten, daß seine geheime Quelle die abtrünnigen KIs von Shub waren, die offiziellen Feinde der Menschheit. Es hätte nur unnötige Aufregung verursacht.

Der Türsummer ertönte erneut, und die Tür öffnete sich auf Becketts Befehl hin. Es erschien der Hohe Lord Dram, Oberster Krieger des Imperiums und offizieller Gemahl der Imperatorin persönlich, auch genannt der Witwenmacher, wenn auch nur hinter seinem Rücken. Er war groß, geschmeidig, muskulös und gekleidet in das übliche Schwarz. Außerdem trug er wie immer eine Kampfrüstung. Dram verbeugte sich vor General Beckett und nickte Valentin einen knappen Gruß zu. Beckett erwiderte Drams Gruß. Der Wolf winkte jovial mit den langen weißen Fingern. Dram gab vor, es nicht gesehen zu haben, und machte es sich in dem am weitesten von Valentin Wolf entfernt stehenden Sessel mit lang ausgestreckten Beinen bequem.

Dram war auf eine wenig spektakuläre Art und Weise attraktiv, doch seine dunklen Augen und das ständige leichte Grinsen waren kalt wie ein Grab. Ebenso wie Valentin, so hatte Dram auch sich während der Reise nach Virimonde überwiegend abseits gehalten, war in seiner Kabine geblieben und hatte nur mit seinen eigenen Leuten geredet. Innerlich schürzte Beckett die Lippen. Wahrscheinlich hielt sich Dram für zu bedeutend, um sich mit den niedrigeren Ständen abzugeben. Nicht, daß Beckett sich darüber beschweren wollte. Das letzte, was ihm fehlte, war ein Prinzgemahl der Eisernen Hexe, der ihm ständig über die Schulter spähte und sich anschließend Notizen machte.

Dram hatte niemandem erzählt, daß er genaugenommen nicht der echte Witwenmacher war, sondern nur ein Klon des Originals, den man auf Befehl der Eisernen Hexe herangezogen hatte. Es hätte die Leute nur unnötig in Aufregung versetzt.

»Wie lange noch, bis die Operation beginnt, General?« wandte sich Dram gelassen an Beckett. »Man hat mich informiert, daß meine Leute voll ausgerüstet sind und auf den Einsatzbefehl warten.«

»Bald, Mylord«, erwiderte Beckett. »Sehr bald. Das hier ist unsere letzte Einsatzbesprechung . Wir warten nur noch auf das Eintreffen der letzten Hauptdarsteller.« Die Tür summte. »Ah, das werden sie sein. Herein!«

Die Tür glitt auf, und Kapitän Johan Schwejksam trat ein, zusammen mit Investigator Frost und dem Sicherheitsoffizier K.

Stelmach. Der Wolf und der Hohe Lord Dram setzten sich beim Anblick der drei ein wenig gerader in ihre Sessel. Die drei Offiziere der berühmten Unerschrocken waren jedem im Imperium ein Begriff, der einen Holoschirm besaß. Ihre bewegte Karriere war häufiger hoch- und runtergegangen als das Nachtgewand einer Braut. Sie waren so schnell von Helden zu Ausgestoßenen und wieder zu Helden geworden, daß einige Zuschauer vom Hinsehen schwindlig geworden waren. Ihr gegenwärtiger Status war nicht ganz klar. Auf der einen Seite war es ihnen nicht gelungen, ihren Auftrag zu erfüllen und den be-rüchtigten Verräter und Banditen Owen Todtsteltzer zu fangen – sie waren von seinen Rebellenverbündeten geschlagen und nach Hause getrieben worden –, und auf der anderen Seite hatten sie im Alleingang die Heimatwelt Golgatha vor dem Angriff eines geheimnisvollen, mächtigen feindlichen Schiffes gerettet. Laut den letzten Nachrichten waren die drei zusammen mit der Unerschrocken auf Strafpatrouille bei den Welten am Abgrund versetzt worden, bis die Eiserne Hexe geruhte, ihnen zu vergeben. Und jetzt befanden sie sich hier an Bord der Elegance, weit weg von ihrem berühmten Schiff. Beckett, Valentin und der Hohe Lord Dram verbeugten sich kurz in Richtung der Neuankömmlinge und musterten sie mit offener Neugier. Legenden in Fleisch und Blut bekam man schließlich nicht alle Tage zu sehen.

Schwejksam war ein großer schlanker Mann in den Vierzi-gern mit dünner werdendem Haar und einem kleinen Bauchan-satz . Auf einem Holoschirm mochte er nicht viel hermachen, doch aus der Nähe war seine Persönlichkeit überwältigend.

Jeder im Raum wußte, daß Schwejksam ein gefährlicher Mann war; aber jetzt wußten sie auch warum. Der Mann strahlte eine gelassene Selbstsicherheit und eine unbeirrbare Direktheit aus.

Johan Schwejksam wußte, wohin er ging, und nur ein Dummkopf hätte sich ihm dabei in den Weg gestellt.

Investigator Frost war Ende Zwanzig. Sie war groß und geschmeidig muskulös wie alle Investigatoren. Sie war von Kindesbeinen an ausgebildet und trainiert worden, Fremdwesen zu studieren und zu töten – und auch alles andere, was eine Bedrohung für das Imperium darstellen konnte. Selbst jetzt noch, da sie still und entspannt an der Seite ihres Kapitäns stand, erweckte sie den Eindruck, als könnte sie jederzeit jemanden umbringen, und wahrscheinlich sogar mit bloßen Händen. Kalte blaue Augen leuchteten in einem blassen, kontrollierten Gesicht, das von kastanienblondem, kurzgeschnittenem Haar ein-gerahmt wurde. Frost war keine ausgesprochene Schönheit; doch sie wurde von einer definitiv einschüchternden Aura umgeben, die gleichzeitig attraktiv und unheimlich wirkte. Sie hatte die Hände wie stets in der Nähe der Waffen und stand an Johan Schwejksams Seite, als würde sie genau dorthin gehören und als wäre das schon immer so gewesen.

Neben diesen beiden gottgleichen Wesen mußte ein einfacher Sicherheitsoffizier wie K. Stelmach wie eine Ernüchterung wirken, und genau das war er auch. Ein stiller, nichtssagender Mann, der mehr nach einem anonymen zivilen Diener aussah als nach einem Offizier der Imperialen Flotte. Heutzutage war das eben so, wenn man als Sicherheitsoffizier arbeitete – selbst auf der ganz und gar erstaunlichen Unerschrocken. Stelmach stand offensichtlich nervös ein wenig hinter Schwejksam und Frost, und seine Augen hetzten von einem zum andern, als erwarte er, jeden Augenblick, weggeschickt zu werden. Und doch hatte dieser kleine, wenig beeindruckende Mann bei der Entwicklung jener Technologie mitgeholfen, mit deren Hilfe die Imperatorin die tödlichen Fremdwesen kontrollierte, die unter dem Namen Grendel bekannt geworden waren. Und zusammen mit Frost und Schwejksam hatte er Missionen überlebt, die viele geringere Männer sicher getötet hätten . Also mußte mehr an dem Burschen sein, als es den Anschein hatte.

Beckett nahm sich im stillen vor, die Akte des Mannes genauer durchzugehen, und wenn auch nur, um herauszufinden, wofür das K. in seinem Namen stand.

Der General bedeutete den drei letzten Besuchern, auf den verbleibenden freien Sesseln Platz zu nehmen, und sie kamen der Aufforderung nach. Schwejksam und Frost schienen vollkommen entspannt; doch Beckett bemerkte, daß ihre Hände noch immer wie beiläufig in der Nähe der Waffen schwebten.

Stelmach saß ganz vorn auf der Kante seines Sessels und hatte die Hände fest ineinander verschränkt, damit niemand ihr Zittern bemerken konnte . Beckett räusperte sich, um die Aufmerksamkeit aller auf sich zu lenken, und bedauerte es im gleichen Augenblick wieder. In dieser Art von Gesellschaft konnte ein solches Räuspern nur schwach und unsicher klingen.

»Nun, da wir endlich alle beisammen sind, können wurmt der abschließenden Besprechung beginnen. Ihr alle habt auf dem Weg nach Virimonde ausreichend Gelegenheit gehabt, die allgemeinen Befehle und Ziele dieser Operation zu lesen; doch erst jetzt werde ich den großen Gesamtplan enthüllen. Virimonde soll wieder dem direkten Befehl des Imperiums unter-stellt werden, und zwar unter Einsatz aller dazu erforderlichen Mittel. Die einheimische Bevölkerung praktiziert verbotene Formen der Demokratie, lebt nach eigenen Regeln und widersetzt sich allgemeinen Imperialen Edikten. Nach dem zu urteilen, was uns der Steward der Todtsteltzer-Festung mitgeteilt hat, erweist sich der Lord von Virimonde, David Todtsteltzer, als ein schwacher und unfähiger Führer, der seine Pflichten und Geschäfte vernachlässigt und nicht nur darin versagt hat, diesen Verrat niederzuschlagen, sondern ihn sogar noch ermutigt.

Damit hat er sich selbst zum Verräter gemacht, und die Imperatorin hat ihm seine Lordschaft aberkannt. Er ist zu verhaften und zusammen mit seinem Gefährten, dem Lord Kit Sommer-Eiland, zurück nach Golgatha zu schaffen , wo man die beiden vor Gericht stellen wird.

Wir rechnen mit Widerstand. Der Todtsteltzer und der Sommer-Eiland sind beide berühmte Kämpfer, und wir haben darüber hinaus Grund zu der Annahme, daß die Einwohnerschaft Virimondes gründlich mit Agenten der Rebellen infiltriert ist.

Deswegen ist die gesamte Bevölkerung Virimondes zu befrieden und unter direkte Imperiale Kontrolle zu stellen, mit allen dazu erforderlichen Mitteln. Niemand weiß, wie gut vorbereitet und wie gut bewaffnet die Bauern sind, und daher müssen wir unter der Annahme des schlimmsten Falls agieren. Wir gehen keinerlei Risiko ein und gewähren kein Pardon. Dies ist eine Strafexpedition. Wir statuieren hier ein Exempel. Eine hohe Zahl von Verlusten bei der Bevölkerung ist zu erwarten.

Lord Wolf hat den Befehl über die Imperialen Kriegsmaschinen. Er wird von Professor Wax von der Universität Golgatha unterstützt. Der Professor kann leider nicht bei uns sein – wie es scheint, bekommt ihm das Reisen nicht. Wir können nur hoffen, daß sich sein Zustand bessert, wenn er erst wieder festen Boden unter den Füßen hat.

Die Bodentruppen stehen unter dem Befehl des Hohen Lords Dram. Eine volle Armee von Marineinfanteristen und Söldnern wird die Bevölkerungszentren ausschalten und für die Beset-zung durch andere Truppen vorbereiten. Kapitän Schwejksam, Investigator Frost und Sicherheitsoffizier Stelmach – Ihr drei seid persönlich verantwortlich für die Gefangennahme von David Todtsteltzer und Kit Sommer-Eiland. Bringt sie lebend an Bord, falls irgend möglich. Ihre durchlauchtigste Majestät hat sich in den Kopf gesetzt, die beiden vor Gericht zu stellen.

Ich werde alle drei Operationen beaufsichtigen und koordinieren. Lord Wolf, Ihr werdet Euch auf die städtischen Gebiete konzentrieren. Lord Dram, Ihr werdet Euch um die weiter ver-streuten ländlichen Gemeinden kümmern. Wir wollen versuchen, uns nicht gegenseitig in die Quere zu kommen, ja? Ich will, daß diese Operation den Vorschriften gemäß ausgeführt wird, ruhig und effizient und mit einem Minimum an Blutvergießen. Dies ist zwar eine Strafexpedition, aber wir wollen nicht vergessen, daß tote Bauern nicht mehr arbeiten können.

Und jetzt, meine Herren, wollen wir über die Logistik der Operation sprechen.«

Das Treffen zog sich noch eine Weile hin. Einzelheiten wurden besprochen, Probleme aufgeworfen und neue Lösungen erarbeitet. Valentin Wolf überraschte alle mit seinem messerscharfen Verstand, während der Hohe Lord Dram ungewöhnlich zurückhaltend war. Schwejksam und Frost sahen die jüngsten Berichte über den Todtsteltzer und den Sommer-Eiland und ihre letzten bekannten Stammlokale und Lieblingsplätze durch. Stelmach schwieg in einem fort und beschränkte sich darauf, an den wesentlichen Stellen zu nicken.

Virimonde war eine der wichtigsten Nahrung produzierenden Welten des Imperiums und daher zu schade, um einfach aus dem Orbit herausgesengt zu werden. Trotzdem konnte man die Bewohner bestrafen. Die Bauern mußten wissen, wo ihr Platz in der Gesellschaft war – und was mit jenen geschah, die sich darüber zu erheben versuchten.

Der Joker der ganzen Operation war Valentin Wolf mit seinen Kriegsmaschinen. Es war das erste Mal, daß sie in einer so groß angelegten Operation zum Einsatz kamen. Die Imperatorin war schon immer von den Möglichkeiten von Kriegsmaschinen beeindruckt gewesen, und bei Manövern hatten sie sich auch stets bewährt; doch bisher waren nur wenige im Feuer richtiger Schlachten getestet worden. Virimonde würde das ändern. Virimondes Zukunft und sein Platz im Imperium hingen vom Erfolg der Kriegsmaschinen ab, und Valentins Zukunft bei Hofe und im Imperium ebenfalls.

Schließlich hatten sie sich über den letzten Kompromiß geei-nigt und den letzten Knick ausgebügelt, und heraus kam ein Schlachtplan, mit dem alle leben konnten. Beckett richtete eine aufmunternde Rede an die anderen, die so knapp war, wie man sich nur denken konnte; dann wünschte er mit lauter Stimme Gott segne die Imperatorin, und die Versammlung löste sich auf.

Alle verbeugten sich mehr oder weniger respektvoll voreinander, lächelten sich mit leeren Gesichtern an und gingen wieder ihrer Wege. Dram kehrte zu seinen Truppen zurück, Valentin Wolf zu seinen Maschinen, und Schwejksam, Frost und Stelmach zu ihren Quartieren. Keiner der drei machte sich über ihren Teil der Operation Illusionen. Der Todtsteltzer und Kid Death waren als zwei der gefährlichsten Kämpfer im gesamten Imperium bekannt, und sie zu überraschen und zu überwältigen, würde alles andere als leicht werden – ganz zu schweigen von der Aufgabe, sie lebend zurückzubringen und vor Gericht zu stellen.

Andererseits hatten die drei einen Ruf entwickelt, das Un-mögliche möglich zu machen, und so hatte die Eiserne Hexe sie freiwillig zu dieser Aufgabe abkommandiert. Ihre Belohnung – sollten sie überleben – wäre die Rückkehr der Unerschrocken von den Welten am Rand und die Wiedergewinnung der Imperialen Gunst Ihrer Eisernen Majestät.

»Wäre nicht meine Besatzung, ich hätte der Eisernen Hexe glatt gesagt, daß sie sich zur Hölle scheren soll«, knurrte Schwejksam, ohne sich darum zu kümmern, ob der Sicherheitsoffizier mithörte oder nicht. »Ich hasse Selbstmordmissio-nen. Und soweit ich weiß, wurden weder der Todtsteltzer noch der Sommer-Eiland jemals im Kampf besiegt. Zur Hölle, sie haben sich in der Arena jedem gestellt, der es mit ihnen aufnehmen wollte, und am Ende war niemand mehr da!«

» Uns haben sie noch nie gegenübergestanden, Kapitän«, sagte Investigator Frost. »Wir können sie schaffen, Kapitän. Vorausgesetzt, wir finden sie, bevor die Invasion losgeht und alles in Aufruhr und Chaos versinkt.«

»Ich wünschte, ich könnte mich Eurer Zuversicht anschließen«, murmelte Stelmach. »Ich weiß ja noch nicht einmal, warum die Imperatorin wollte, daß ich mit Euch komme.«

»Ihr seid unser Maskottchen, Kühnhold«, erwiderte Schwejksam. »Haltet Euch im Hintergrund und bleibt aus der Schußlinie, und wir erledigen die Arbeit.«

»Mit Freuden«, sagte Stelmach. Er hoffte nur, daß die beiden seine Lüge nicht bemerkten. K. Stelmach wußte ganz genau, warum die Eiserne Hexe ihn nach Virimonde geschickt hatte.

Seit einiger Zeit waren an Schwejksam und Frost beinahe übermenschliche Fähigkeiten festzustellen gewesen. Sie waren schneller, stärker und um einiges intelligenter als früher . Seit ihrer Begegnung mit dem rätselhaften Bauwerk der Fremdwesen auf der verlorenen Welt Haden, das unter dem Namen Labyrinth des Wahnsinns bekannt war, hatten sie Kräfte und Fähigkeiten zur Schau gestellt, die ans Wunderbare grenzten. Und die Imperatorin hatte nicht die Absicht , potentiell abtrünnige Esper mit derartigen Fähigkeiten und Begabungen unbeauf-sichtigt herumlaufen zu lassen. Also war diese Mission mit ihren zahlreichen offensichtlichen und noch zahlreicheren verborgenen Gefahren ganz speziell für Schwejksam und Frost arrangiert worden, um ihre Kräfte zum Vorschein zu bringen.

Und Stelmach würde an Ort und Stelle sein, um alles zu beobachten und hinterher Bericht zu erstatten .

Er war durch einen heiligen Eid zum Schweigen verpflichtet worden, bei Androhung der Todesstrafe, und des zerriß ihn innerlich. Stelmach betrachtete Schwejksam und Frost als seine Freunde; doch er durfte keinen Befehl ablehnen, der direkt von der Herrscherin kam. Also hielt er den Mund, machte sich Sorgen, bis er Magenkrämpfe bekam und versuchte unablässig, einen Ausweg aus seiner prekären Lage zu finden, der nicht zu seinem Tod führte egal ob durch die Imperatorin oder durch seine Freunde Schwejksam und Frost. Falls sie wirklich geheimnisvolle Kräfte besaßen – und davon war Stelmach ganz und gar nicht überzeugt –, dann mußte es einen guten Grund dafür geben, warum sie nicht darüber sprachen. Stelmach hoffte nur, daß es etwas war, was er in seinem Bericht erwähnen konnte – falls sich überhaupt irgendwelche Kräfte zeigten. Und bis dahin zerbrach er sich weiter den Kopf und zuckte regelmäßig zusammen, wenn Frost oder Schwejksam ihn anredeten.

»Wie tief sind wir nur gesunken?« knurrte Schwejksam angewidert. »Bezahlte Meuchelmörder, bis auf den Namen. All dieser Unsinn, von wegen lebendig gefangennehmen, um die beiden vor Gericht zu stellen nichts als Vernebelungstaktik.

Die da oben wissen ganz genau, daß wir den Todtsteltzer und den Sommer-Eiland niemals besiegen können, ohne sie zu töten. Und ganz genau das erwarten sie auch von uns. Weil wir ihnen die Peinlichkeit ersparen sollen, zwei Lords und Oberhäupter ihrer Clans vor Gericht zu zerren.«

»Das ist die einzige Möglichkeit, wie wir unser Schiff vom Rand wegholen können«, entgegnete Frost. »Und wenn ich als Preis dafür zwei Fremde töten muß, dann habe ich damit kein Problem. Ich habe schon früher auf Befehl der Imperatorin getötet, sowohl Fremdwesen, als auch Menschen, und ich werde es ohne Zweifel wieder tun. Das gehört nun mal zu meinem Job.«

»Aber nicht zu meinem«, entgegnete Schwejksam tonlos.

»Ich bin nicht zur Hotte gegangen, um politische Gegner der Eisernen Hexe zu ermorden.«

»Dann wart Ihr allerdings bemerkenswert naiv, Kapitän, wenn ich das sagen darf«, sagte Frost. »Im Grunde genommen geht es nämlich immer nur genau darum. Wir kämpfen und töten diejenigen, die von der Eisernen Hexe zu Feinden des Imperiums erklärt worden sind.«

»Wir sollten besser die wirklichen Feinde bekämpfen«, sagte Schwejksam. »Der Todtsteltzer und der Sommer-Eiland sind nur zwei Kinder, die zuviel Freizeit haben. Wahrscheinlich hatten beide noch nie im Leben einen politischen Gedanken.

Die wirklichen Feinde des Imperiums stecken in der Untergrundbewegung. Die Rebellen. Owen Todtsteltzer und seine Freunde. Die Löwenstein nimmt sie nicht ernst genug. Ihr habt selbst gesehen, was auf der Wolflingswelt geschehen ist. Was aus Owen und seinen Leuten geworden ist. Ich für meinen Teil weiß nicht einmal, ob sie noch Menschen sind. Das ist die wirkliche Gefahr, und das ist der einzige Grund, warum ich das hier mache. Wir müssen unbedingt wieder in eine Position zu-rück, in der wir die Imperatorin vor der bevorstehenden Rebellion beschützen können. Die Eiserne Hexe braucht uns, ob sie das nun zugibt oder nicht.«

»Ihr scheint die Imperatorin nicht zu mögen«, stellte Stelmach fest.

»Zur Hölle, Kühnhold! Niemand mag die Imperatorin«, er-klärte Frost. »Sie ist bestenfalls eine gutgelaunte Psychopathin.

Aber sie ist die Imperatorin. Ich habe einen Eid geschworen, bei meinem Blut und meiner Ehre, daß ich ihr dienen und sie bis ans Ende meiner Tage schützen werde. Oder vielleicht nicht, Kapitän?«

»Genau«, stimmte ihr Schwejksam zu. »Vielleicht ist sie eine Psychopathin, aber sie ist immer noch unsere Psychopathin.

Unsere Imperatorin. Außerdem kann sie ja nicht ewig leben, und wenn sie mal nicht mehr ist, dann gibt es das Imperium immer noch, wenn wir unsere Arbeit richtig gemacht haben. Im Endeffekt gilt unsere Loyalität nämlich dem Thron, stimmt’s?

Ganz gleich, wer gerade zufällig darauf sitzt. Wir schützen das Imperium, mitsamt all seinen Fehlern, weil die Alternativen noch schlechter sind. Ohne die zentrale Kontrolle durch die Heimatwelt, die alles am Laufen hält, würde alles ganz schnell auseinanderfallen. Unsere Welten würden in Barbarei versinken, und Milliarden würden in Hungersnöten sterben . Nicht zu vergessen die Bedrohung von außerhalb durch die verschiedenen Fremdrassen. Wir müssen stark und organisiert sein, um gegen sie bestehen zu können, wenn sie eines Tages kommen.

Wir können uns keinen Luxus wie unterschiedliche Meinungen mehr leisten. Oder irre ich mich, Stelmach?«

»Was? O nein, natürlich nicht. Richtig, Kapitän. Wir müssen loyal sein, Kapitän. Was auch immer uns das kosten mag.«

Valentin Wolf kehrte allein in sein Quartier zurück. Es waren kahle, einfache, unpersönliche Räume, und das kam Valentin ganz gelegen. Was er im Innern seines Kopfes fand, war sowieso viel interessanter als die Welt da draußen. Für den Augenblick war er lediglich angenehm betäubt, doch das war auch schon alles. Er mußte schließlich nachdenken .

Valentin flegelte sich in seinen Lieblingsstuhl und aktivierte das Massageprogramm. Er konnte am besten denken, wenn sein Körper in guten Händen war. Der Wolf zupfte eines der dicken fleischigen Blätter von seiner langstieligen Rose und stopfte es sich in den Mund. Der Wolf-Clan steckte in tiefen Schwierigkeiten, und wie immer lag es an Valentin, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Der Clan hatte seine Lizenz zur Produktion des neuen Raumschiffsantriebs verloren, als die Rebellen auf Technos III die Fabrikanlagen zerstört hatten. Allerdings hatte Valentin noch seine geheimen Kontakte zu den ab-trünnigen KIs von Shub besessen, und die unvergleichliche Technologie, mit der die KIs ihn versorgten, hatte ihm einen Ausweg aus der mißlichen Lage eröffnet. Er hatte der Löwenstein einen Teil seiner Erungenschaften präsentiert, als Geschenk, um seine Loyalität unter Beweis zu stellen, und dann darauf hingewiesen, daß er als Meister dieser Technologien die perfekte Wahl darstellte, um die Imperialen Kriegsmaschinen bei ihrem ersten großen Einsatz zu kommandieren. Und so war es ihm nicht schwergefallen, die Gunst der Eisernen Hexe wie-derzuerlangen.

Selbstverständlich hing jetzt alles davon ab, wie gut die Maschinen sich auf Virimonde bewährten, doch Valentin sah darin kein Problem. Er grinste, und der purpurne Saft des Rosenblat-tes rann über sein Kinn. Er war hellwach und so im Einklang mit sich selbst, daß er spüren konnte, wie seine Fingernägel wuchsen. Nichts konnte schiefgehen. Er würde Erfolg haben.

Es war seine Bestimmung. Valentin freute sich schon auf das, was seine Metallarmee mit den armen Bauern anstellen würde.

Blut und Zerstörung und Feuer und Tod, und all das in einem Ausmaß, das selbst für jemanden wie ihn neu war. Er seufzte wohlig. So viel Spaß.

Und wenn er hier auf Virimonde erst einen guten Eindruck hinterlassen hatte, würde die Eiserne Hexe dem Wolf-Clan die Massenproduktion der Imperialen Kriegsmaschinen übertragen, und er konnte endlich wieder seinen Platz an Löwensteins Seite einnehmen, denn dort gehörte er hin . Es gefiel ihm überhaupt nicht, einer der geringeren Lords zu sein. Das war eine Beleidigung für sein empfindliches Selbstwertgefühl. Alte Feinde waren nur allzu schnell bereit gewesen, sich über ihn herzumachen, als die Imperatorin ihm ihre Gunst entzogen hatte. In seiner momentanen Schwäche hatten sie eine günstige Gelegenheit gewittert, alte Dispute auszutragen, vorzugsweise in Blut. Jetzt warteten sie nur darauf, daß er auf Virimonde versagte, und dann würden sie ihn bei Hofe umkreisen wie die Haie, die vom Blutgeruch im Wasser angezogen wurden. Valentin schniefte verächtlich. Er würde sich an ihre Namen erinnern . Und sobald er wieder zu Macht gekommen war…

Natürlich gab es auch noch andere Probleme. Seit dem Debakel auf Technos III waren seine Schwester Stephanie und sein Bruder Daniel verschwunden. Das waren gute und schlechte Neuigkeiten zugleich. Gut, weil sie ihm kein Messer mehr in den Rücken stoßen konnten, und schlecht, weil er so nicht sicher sein konnte, was sie als nächstes planten. Daniel war offensichtlich aufgebrochen, um den toten Vater zu suchen. Der alte Wolf war das letzte Mal bei Hofe gesehen worden, wo sein von einer KI kontrollierter Leichnam als Botschafter von Shub aufgetaucht war. Wie es schien, glaubte Daniel fest daran, daß ihr Vater noch lebte und sich nichts sehnlicher wünschte, als gerettet zu werden.

Valentin hoffte nur, daß Daniel sich irrte. Er wollte seinen Vater nicht noch einmal töten müssen. Und nachdem die KIs Daniel erwischt und umgebracht hatten, konnte er sie vielleicht dazu überreden, seinen Bruder als Geistkrieger oder Furie zu-rückzuschicken. Daniel würde bei Hofe sicher einen nützlichen Verbündeten abgeben , sobald ihm sein eigener beschränkter Verstand nicht mehr in den Weg kommen konnte.

Valentins Schwester Stephanie hingegen war verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Niemand schien zu wissen, wohin sie gegangen war, und das beunruhigte Valentin zutiefst.

Seine Schwester gehörte nicht zu der schweigsamen, nachdenklichen Sorte. Wo auch immer Stephanie steckte, sie plante neue Schwierigkeiten für Valentin, soviel war sicher. Es lag in der Familie; obwohl es in ihrem Fall ziemlich lange gedauert hatte, bis diese Veranlagung zum Vorschein gekommen war.

Stephanie besaß keine Geduld für verschlungene Intrigen.

Im Augenblick suchten Valentins Agenten nach seiner Schwester, und sie hatten Anweisung, Stephanie zu ihm zu-rückzubringen – vorzugsweise natürlich in mehreren kleinen Päckchen.

Der andere Haken an der Geschichte war der verdammte Professor Ignatius Wax, der Kybernetikexperte von der Universität von Golgatha. Wax war der verantwortliche Kopf für das Design der meisten Kriegsmaschinen gewesen, die auf Virimonde eingesetzt werden sollten, und so hatte sich Valentin gezwungen gesehen, die Hilfe des Professors anzunehmen; obwohl er genau wußte, daß der Professor in Wirklichkeit nur aus einem Grund mitgekommen war: Er sollte Valentin Wolf beobachten und nach der Quelle der revolutionären neuen Technologie suchen. Wax bedeutete keine Gefahr. Es war mehr als unwahrscheinlich, daß er die Geheimnisse der Shub-Technologie durchdringen konnte. Nicht einmal Valentin mit seinem chemisch erweiterten Bewußtsein konnte mehr tun als die Systeme bedienen.

Trotzdem, der Mann hatte sich als ein Ärgernis herausgestellt, und so hatte Valentin Schritte unternommen, um sicherzustellen, daß der gute Professor ihm nicht in die Quere kommen konnte, während er unten auf Virimonde seinen Geschäften nachging. Sehr… amüsante Schritte. Valentin grinste fröhlich. Er würde die Maschinen unten auf Virimonde zum Sieg führen, würde über Städte herfallen und sie dem Erdboden gleichmachen, und die Löwenstein würde ihn wieder lieben.

Und dann… Gnade Gott seinen Feinden.

Der Mann, der in Wirklichkeit gar nicht der Hohe Lord Dram war, ging nachdenklich in seiner Kabine auf und ab. Das hier würde sein erster Versuch werden, Truppen im Feld zu kommandieren, und er freute sich nicht im geringsten darauf. Er hatte sich mit dem Thema befaßt, so gut er konnte, ohne Verdacht zu erregen; doch keine noch so guten theoretischen Kenntnisse konnten praktische Erfahrungen wettmachen. Der ursprüngliche Dram hatte zu zahlreichen Gelegenheiten Truppen geführt und große Erfolge errungen; aber der ursprüngliche Dram war auf Haden getötet worden, der verlorenen Welt, die auch als Wolflingswelt bekannt war. Und jetzt mußte sein Klon in die Rolle schlüpfen, damit niemand hinter die Wahrheit kam. Der Klon mußte Dram sein und sich verhalten, wie Dram sich verhalten hätte. Er war verantwortlich für die Niederschla-gung der Bauern, und die Löwenstein hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, daß er besser daran tat, erfolgreich zu sein, was auch immer es kosten mochte. Es würde hart werden für die Bauern, aber es war schließlich ihre eigene Schuld. Warum mußten sie auch versuchen, sich über ihren Stand hinaus zu erheben?

Der Mann, den alle als Dram kannten, seufzte tief und setzte sich. Der Tag hatte kaum angefangen, und schon mußte er so schnell laufen, wie er nur konnte, um den Anschluß nicht zu verlieren. Er mußte mit den anderen mithalten, mußte durch Versuch und Irrtum lernen und sich ununterbrochen den Anschein geben, als wäre er ein Mann, der sich in Kriegführung auskannte. Dabei half ihm auch nicht gerade, daß ihm seine eigenen Leute mißtrauten. Offensichtlich war der ursprüngliche Dram ein richtiges Monster gewesen, hart und unnachgiebig in jeder Beziehung und stets bereit, die eigenen Leute zu opfern, wenn er nur so zum Sieg kommen konnte.

Genau deswegen hatte er ja auch den Beinamen Witwenmacher erhalten, obwohl er nur hinter seinem Rücken ge-flüstert wurde. Der neue Dram war nicht ganz sicher, ob er diese Rolle ausfüllen konnte. Jedenfalls fiel es ihm nicht leicht, Leben auf diese Art einfach wegzuwerfen. Aber wenn er sich nicht genauso verhielt wie der ursprüngliche Dram oder nicht wenigstens den Anschein erweckte, dann würde man vielleicht herausfinden, daß er nicht derjenige war, für den er sich ausgab. Bei Hofe gab es schon jetzt entsprechende Gerüchte. Falls man ihn jemals als Klon enttarnte, würde sein kurzes Leben ein frühes und gewaltsames Ende finden. Ein Klon, der einen Mann von Macht und Einfluß ersetzte – das war einer der schlimmsten Alpträume der Lords.

Wenn es ihm allerdings gelang, diese Sache durchzustehen – die Bauern niederzuschlagen, die Kontrolle über die Nah-rungsmittelproduktion zurückzugewinnen und seine Truppen unter den Augen aller zum Sieg zu führen –, dann hatte die Löwenstein ihm die Lordschaft über Virimonde versprochen.

David Todtsteltzer hatte seinen Anspruch in dem Augenblick verwirkt, in dem er die ersten Anfänge einer Demokratie auf seiner Welt gestattet hatte. Natürlich war es keine besondere Lordschaft – die Löwenstein hatte Pläne mit Virimonde, die den Titel zu wenig mehr als einem Ehrentitel machten –, doch trotz seiner Position bei Hofe als Oberster Krieger und offizieller Prinzgemahl der Imperatorin hatte Dram stets gewußt, daß ein Lord ohne Ländereien kein richtiger Lord war. Das würde Virimonde ändern. Und die Veränderungen auf dem Planeten würden ihn mit der Zeit zu einem der reichsten Männer des Imperiums machen. Also stand eine ganze Menge auf dem Spiel.

Dram lehnte sich in seinem Sessel zurück und schloß die Augen. Er wünschte sich, er könnte den Rest der Welt einfach verschwinden lassen. Valentin Wolfs Gegenwart war ein Problem, auf das er sehr gut hätte verzichten können. Der Wolf und der ursprüngliche Dram hatten insgeheim in der Untergrundbewegung von Golgatha mitgemischt und hatten gewis-sermaßen eine gemeinsame Vergangenheit, von der Dram der Klon nur sehr wenig wußte. Jedesmal, wenn er mit Valentin sprach, riskierte er, sich zu verraten, weil ihm vielleicht eine Anspielung oder eine gemeinsame Erfahrung entging. Also achtete er den größten Teil der Zeit sorgfältig darauf, Distanz zu dem Wolf zu wahren und ließ Valentin denken, was er wollte. Eine gewisse Kälte war schließlich bei Dram normal und wurde erwartet. Der ursprüngliche Dram hatte den Untergrund von Golgatha ja auch an die Sicherheitskräfte verraten. Aber was mochte Valentin Wolf sonst noch über den Hohen Lord Dram wissen, was seinem Klon entgangen war? Der ursprüngliche Dram hatte ausführliche Tagebücher hinterlassen, doch es gab sicher eine ganze Reihe von Dingen, die niederzuschreiben er zu vorsichtig oder zu schlau gewesen war, weil sie im Fall einer Entdeckung gegen ihn verwendet werden konnten. Dram der Klon seufzte resignierend. Das Leben als Klon war schon schwer genug, auch ohne die Tatsache, daß das Original ein verschlagener, heimtückischer und doppelzüngiger Bastard gewesen war.

Der Nachrichtenmann Tobias Shreck, in besseren Tagen auch als Tobias der Troubadour bekannt, traf zusammen mit seinem Kameramann Flynn in einer großen hölzernen Kiste auf dem Planeten Virimonde ein. Die Kiste war außen mit dem Aufdruck Maschinenteile gekennzeichnet. Der Abstieg durch die Atmosphäre in dem dunklen, eisigkalten Hangar des Frachtschiffs war ein immer schlimmer werdender Alptraum aus Stoßen und Rütteln. Tobias hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt und den Kopf zwischen die Beine gelegt, um sich nicht dauernd an dem niedrigen Kistendeckel zu stoßen. Er klammerte sich mit den Händen grimmig an die eigens dazu ge-schaffenen Handgriffe und lenkte sich ab, indem er sich böse Todesanzeigen für die Bastarde ausdachte, die auf die Idee gekommen waren, Flynn und ihn auf diese Weise nach Virimonde einzuschleusen.

Im Grunde genommen war es seine eigene Schuld. Nach den Traumata und Tränen und der verdammt harten Arbeit der Berichterstattung von drei aufeinanderfolgenden Kriegsschauplätzen hatten Tobias und Flynn sich förmlich danach gesehnt, eine Reportage von einem Ort zu liefern, wo man nicht unablässig auf sie schoß. Und als der Rat der Untergrundbewegung ihnen angeboten hatte, zu einer bäuerlichen Agrarwelt weitab vom Geschehen, irgendwo im Hinterhof des Imperiums zu gehen, da hatten Tobias und Flynn sich gegenseitig zu übertrumpfen gesucht, wer am schnellsten Ja! rufen konnte. Der Auftrag war den beiden wie ein Kinderspiel erschienen. Sie sollten eine Studie des friedlichen ländlichen Lebens auf Virimonde abliefern, das von der wachsenden Mechanisierung der Nahrungs-mittelproduktion bedroht war. Sie sollten dokumentieren, wie jahrhundertealte Traditionen und der Lebensunterhalt hilfloser Menschen durch die verantwortungslose Imperiale Verwaltung zunichte gemacht wurden. Es war die Sorte Geschichte, die Tobias und Flynn auf dem Kopf stehend und mit verbundenen Augen hätten abliefern können, wären da nicht ein paar private Vorbehalte gewesen. Nach Tobias’ Erfahrung tendierten lange bestehende ländliche Kommunen zur Inzucht, sowohl was die Menschen, als auch was ihre Vorstellungen anging. Das Ergebnis waren Gesellschaften, die sich jeder Veränderung wi-dersetzten, egal ob zum Guten oder Schlechten, und Familien mit weniger als der üblichen Anzahl Augen im Kopf, einem völlig Verblödeten in ihrer Mitte und einem durchschnittlichen Intelligenzquotienten, der in der Höhe der Zimmertemperatur – wenn auch in Fahrenheit lag. Lieblingssportarten: Den Ochsen des Nachbarn verführen, Katzen von hohen Dächern werfen, um herauszufinden, ob sie tatsächlich auf allen vieren landeten und Hexenverbrennungen – oder Journalisten, wenn keine Hexen zur Hand waren. Aber selbst unter Berücksichtigung all dessen mußte Virimonde einfach besser sein als Technos III, die Nebelwelt oder Hakeldamach. Also packte Flynn seine verführerischste Unterwäsche ein, und Tobias schmiedete Pläne für ausgedehntes Faulenzen und so wenig Arbeit wie nur irgend möglich. Schließlich gingen sie an Bord des Schiffes nach Virimonde. Tobias schwante in dem Augenblick zum ersten Mal, daß die Dinge doch nicht so laufen würden wie geplant, als der Kapitän sie beide mit hinunter in den Frachthangar nahm und ihnen die große Holzkiste mit dem Aufdruck Maschinenteile zeigte.

Nach einer Ewigkeit in völliger Finsternis, unendlich vielen gemurmelten Flüchen und der gelegentlichen Unsicherheit, wo oben und wo unten war, landete das Frachtschiff schließlich auf dem Raumhafen. Lange Zeit geschah gar nichts; dann wurde die Kiste ausgeladen und mit nach Tobias’ fester Überzeugung unnötig großer Wucht zu Boden gelassen. Dann wieder nichts, bis auf das Geräusch des startenden Frachtschiffs. Tobias wartete nervös schwitzend im Dunkel. Nur wenig Licht strömte durch die Ritzen in der Kiste. Sie wußten nicht, wo sie landen würden, oder ob freundliche Helfer in der Nähe waren.

Sie konnten auch von einer ganzen Horde schwer bewaffneter Zollbeamter ohne jeglichen Sinn für Humor umgeben sein.

Plötzlich wurden sie in ihrer Kiste durchgerüttelt, und Brech-stangen attackierten den Deckel. Dann wurde es unvermittelt hell, und grelles Sonnenlicht strömte herein . Tobias riß instinktiv die Hände vors Gesicht, um die tränenden Augen abzuschir-men. Schwielige Hände packten ihn grob, hoben ihn heraus und stellten ihn auf die Beine. Tobias öffnete vorsichtig die Augen und blickte in ein freundlich grinsendes Gesicht. Er hätte es küssen mögen; doch er tat es nicht. Er wollte nicht, daß Flynn auf dumme Gedanken kam.

Auf Virimonde herrschte früher Abend, und zwischen den dunkler werdenden Wolken leuchtete der Himmel in intensi-vem Rot. Die Dämmerung näherte sich rasch, und in der kühlen Luft hing ein erwartungsvolles Schweigen. Tobias und Flynn gingen draußen vor dem Farmhaus der Dakers auf und ab und bemühten sich, die verkrampften Muskeln in Rücken und Beinen wieder ein wenig zu entspannen. Die Luft roch wundervoll klar und unverschmutzt, wenn man von dem reich-haltigen Aroma des Dungs der verschiedenen Arten von Nutz-vieh absah, das auf dem Hof gehalten wurde.

Das Haus war ein großes, massives Steingebäude mit einem strohgedeckten Dach und primitiven Wasserspeiern, und es war so alt, daß niemand in der Familie sich daran erinnerte, wann es eigentlich gebaut worden war. Tobias wußte, ohne nachzu-fragen, daß dies genau die Sorte Haus war, die nur eine Außen-toilette besaß. Er lächelte bei der Besichtigung des Hauses und verteilte höflich Komplimente, während er bei sich dachte, daß es höllisch heruntergekommen aussah.

Die umgebende Landschaft war auch nicht das, was Tobias sich erhofft hatte: hauptsächlich Moorland mit weißer und roter Erika; Weideland für die zahllosen Tiere zwischen dem Haus und dem Horizont. Es sah eigentlich ganz idyllisch aus, aber entschieden zu rauh. Jedenfalls war es absolut nicht die Sorte Gegend, wo man sich zum Sonnenbaden hinbegab. Tobias seufzte innerlich und lauschte den Ausführungen seiner Gastgeber. Adrian Daker, das Familienoberhaupt, war ein kleiner stämmiger Bursche mit kurzgeschnittenem, grauem Haar, der ununterbrochen freundlich grinste und eine Tonpfeife im Mundwinkel hängen hatte. Seine Stimme klang nur wenig rauchig, und sein Gesicht sah völlig normal aus: alles am richtigen Platz. Adrians Frau Diana war ein großes fettes Weibsbild mit roten Wangen, Sommersprossen und leuchtendroten Haaren.

Sie sprühte nur so vor Leben und Freundlichkeit und munterte Tobias mit dem Versprechen auf, ihm so viel derbe Haus-mannskost aufzutischen, wie er nur essen konnte.

Als Tobias und Flynn sich endlich so weit erholt hatten, daß sie wieder stehen konnten, ohne vor Schmerz zusammenzuzuk-ken, führten die Dakers sie in die Küche ihres Hauses und hießen sie am großen Tisch Platz zu nehmen. Anschließend wu-selten die beiden geschäftig umher und bereiteten ein warmes Essen vor. Adrian deckte den massiven hölzernen Tisch mit einer blendend weißen Decke und legte dann das schüchtern aus, was offensichtlich das beste Geschirr und Besteck der Dakers war. Diana schwebte über ihrem gußeisernen Herd wie eine Glucke, hob Topfdeckel und kostete den Inhalt von Töpfen und Pfannen und wollte nicht aufhören, Tobias und Flynn zu versichern, daß sie nur allzu gerne schon bei ihrer Ankunft eine warme Mahlzeit bereitgehalten hätte, wenn nur der Untergrund nicht so vage gewesen wäre, was ihre genaue Ankunfts-zeit betraf. Tobias verstand nur zu gut, was sie meinte. Der Rat der Rebellen hatte ihn bisher nicht gerade durch Effizienz beeindruckt.

Er lehnte sich zurück und blickte sich gutgelaunt in der Küche um. Der Raum war klein, ohne beengt zu wirken, und es war behaglich warm und gemütlich. Die Regale an den Wänden drohten, unter einer Sammlung von Nippes zusammenzubrechen, offensichtlich handgearbeitete Stücke, von denen einige erstaunlich freizügig und vulgär wirkten. Adrian brachte eine Steinflasche mit dunklem Apfelwein zum Vorschein und schenkte großzügig in Porzellanbecher aus, die wie dicke alte Männer geformt waren. Er erklärte den beiden Nachrichtenleuten, daß diese Becher Tobybecher genannt würden, und sie alle lachten, obwohl Tobias den Witz nicht verstanden hatte.

Mehrere Haustiere teilten die Küche mit den Menschen, anscheinend durch Gewohnheitsrecht und Brauch. Tobias zählte drei Hunde mit grausilbernen Mäulern, die zu alt waren, um noch Schafe zu hüten, ein halbes Dutzend Katzen verschieden stark ausgeprägter Arroganz und ein paar dumme Hühner, die umherwanderten und ständig gegen irgendwelche Dinge stießen. Die Hühner zeigten ein außergewöhnliches Interesse an Tobias’ und Flynns Knöcheln und pickten neugierig daran herum, bis Diana ihre Arbeit unterbrach und das Federvieh ver-scheuchte.

Die Hunde schnüffelten ob des Essensgeruchs hoffnungsvoll in der Luft; aber sie waren zu gut erzogen, um aufdringlich zu werden. Einer ging zu Tobias und setzte sich vor dem Nachrichtenmann hin, und legte den Kopf in Tobias’ Schoß, um sich kraulen zu lassen. Tobias streichelte ihn vorsichtig. Er hatte nicht viel Erfahrung mit Tieren, und schon gar nicht aus so großer Nähe. Doch der Hundeschwanz wedelte glücklich über den Steinfußboden; also schien Tobias alles richtig zu machen.

Genaugenommen machte es ihm sogar mächtig Spaß. Flynn hatte die Herzen der Katzen erobert. Zwei von ihnen drängten sich in seinen Schoß, während eine dritte auf seiner Schulter saß und neugierig in die Runde spähte. Flynn erzählte ihnen fröhlichen Unsinn, und die Katzen antworteten mit glücklichem Schnurren. Was Tobias verunsicherte war die Tatsache , daß die verdammten Biester tatsächlich zuzuhören schienen.

Schließlich war das Essen fertig; eine einfache Mahlzeit, aber reichlich und kochend heiß obendrein. Tobias hielt es für das beste Essen, das er je gekostet hatte, und als er das laut sagte, wurde sein Teller erneut bis zum Rand gefüllt. Auch die zweite Portion war in Rekordzeit verschlungen, und Tobias dachte bereits ernsthaft über die Möglichkeit einer weiteren Portion nach, als das Dessert eintraf: Eine gewaltige Mousse au Choco-lat mit cremiger Vanillesauce. Tobias glaubte, im Himmel zu sein. Nach einer Weile hatte er einen Punkt erreicht, wo selbst mit aller Macht nichts mehr in ihn hineinging. Er ließ sich zu-rücksinken, lockerte seinen Gürtel und seufzte glückselig. Diese Mission versprach großartig zu werden. Adrian Daker grinste ihn freundlich an.

»Als ich Euch zum ersten Mal sah, wußte ich gleich, daß Ihr gerne und gut eßt. Keine Angst, mein Sohn; die Frau wird Euch gutes und gesundes Essen auftischen, soviel Ihr wollt, während Ihr unsere Gäste seid. Sie mag es, wenn man ihre Küche zu schätzen weiß.«

»Ganz ausgezeichnet«, sagte Flynn unter seinen Katzen. Er hatte einen Teller von allem gegessen und war rundum satt und zufrieden.

»Und das ist nur ein Teil von dem, was wir verlieren werden, wenn die Mechanisierung so weitergeht«, sagte Adrian ernst.

»Dieses Leben und einfaches Essen und einfache Freuden, die uns nicht weniger wichtig sind. Wenn die Gerüchte zutreffen, steht hier alles vor dem Ende. Ich hoffe nur, das Ihr das in Eurem Bericht deutlich macht.«

»Es wird mir eine Freude sein«, erwiderte Tobias. »Ich schätze, wir fangen mit ein paar Einstellungen von Euch und Eurer Familie an, die zeigen, wie alle auf der Farm arbeiten.

Wie viele Mitglieder hat Eure Familie?«

»Sieben Söhne und drei Töchter«, antwortete Diana fröhlich.

»Gute starke Söhne und hübsche Töchter. Die Jungen sind noch draußen bei der Arbeit; Ihr werdet sie später kennenlernen . Liz und Meg arbeiten in der Stadt; sie kommen morgen vorbei und sagen Guten Tag. Beide sind sehr hübsche Mädels, wenn ich das sagen darf. Sie könnten schon längst verheiratet sein, aber sie sind sehr wählerisch. Ich nehme nicht an, daß einer von Euch beiden Herren…?«

»Laß sie in Ruhe, Mutter«, unterbrach sie Adrian mit Lach-fältchen um die Augen. »Das ist nicht der Grund, warum sie hergekommen sind. Wir haben noch eine dritte Tochter, Alice; aber ich glaube nicht, daß Ihr viel von ihr zu sehen bekommen werdet. Sie ist mit dem jungen Todtsteltzer zusammen und verbringt den größten Teil ihrer Zeit in seiner Gesellschaft.«

»Wie ist er?« fragte Tobias. »Er gehört zu den Leuten, über die wir berichten sollen.«

Adrian zuckte die Schultern und stopfte sich seine Pfeife mit einem dunklen, aromatischen Tabak. »Er scheint harmlos zu sein. Reich, gutaussehend und zum Glück größtenteils nicht daran interessiert, sich in unser Leben einzumischen. Wahrscheinlich das Beste, was uns passieren konnte. Außerdem sind wir ein wenig stolz darauf, daß er sich mit unserer Alice einge-lassen hat.«

»Das interessiert die Herren bestimmt nicht, Vater«, sagte Diana. Sie beugte sich in ihrem Stuhl vor und legte die schweren Arme auf den alten Holztisch. »Sie wollen wissen, wie weit wir mit unserer Demokratie gekommen sind, nicht wahr? Das ist es, was die Untergrundbewegung von Golgatha wirklich interessiert, oder? Das dachte ich mir. Wir fingen damit an, als Owen noch der Todtsteltzer war. Wir wollten herausfinden, wie weit wir gehen konnten. Owen kümmerte es nicht. Er war damals noch anders. Zufrieden mit seiner Mätresse und seinen Studien, und er wollte nicht von uns belästigt werden. Der Steward war schon immer gegen uns; aber ohne Rückendek-kung durch Owen konnte er nichts unternehmen. Wir fingen klein an und fügten einen kleinen Sieg zum andern, bis wir dort anlangten, wo wir heute stehen. Inzwischen halten wir regelmäßig Wahlen für die Stadtverwaltung ab, und die meisten Entscheidungen über Ackerbau und Viehzucht werden regional gefällt. Wir alle haben gutes Geld verdient, seit wir selbst mit den großen Transportunternehmen verhandeln dürfen. Wir führen heute unser eigenes Leben, soweit das im Imperium überhaupt möglich ist. Der Steward ist ganz und gar nicht glücklich darüber; aber David Todtsteltzer hat uns sogar darin ermutigt.

Obwohl es mich ehrlich überraschen würde, wenn er alles wüßte, was in den Städten und hier draußen auf dem Land so vor sich geht. Er und sein junger Freund Sommer-Eiland interessieren sich mehr für die Jagd, fürs Trinken und für die Mädchen.

Nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge, möchte ich hinzufügen.«

Diana und Adrian kicherten über ihren Witz. Tobias fand es nicht so lustig. »Erzählt mir mehr über den jungen Sommer-Eiland.«

Zum ersten Mal runzelte Adrian die Stirn. »Wir wollen verdammt sein, wenn wir wissen, was wir von ihm zu halten haben, was, Mutter? Er sieht gut aus und ist höflich. Er macht nicht sonderlich viel Aufhebens. Aber… er ist eiskalt. Schwer zu sagen, was in seinem Kopf vorgeht. Einmal war er hier, zusammen mit David, um unsere Alice abzuholen. Die Hunde warfen einen Blick auf den Sommer-Eiland und verkrochen sich unter dem Tisch. Sie kamen erst wieder hervor, als er gegangen war. Um ehrlich zu sein, ich wäre am liebsten ebenfalls verschwunden. An seinen Augen ist etwas… ich wußte nicht, ob er mich auf der Stelle töten wollte oder nicht. Ich wäre nicht überrascht, wenn er böses Blut in sich trägt.«

»Bei Hofe nennen sie ihn Kid Death«, sagte Flynn leise.

»Der lächelnde Killer.«

»Ich kann nicht sagen, daß mich das überrascht«, gestand Adrian. Er runzelte die Stirn und suchte nach den richtigen Worten. »Nicht, daß er irgend etwas gesagt oder getan hätte, an dem man Anstoß nehmen könnte, aber… Der Sommer-Eiland ist ein gefährlicher Mann, oder ich habe noch nie einen gesehen. Ich weiß nicht, was der junge Todtsteltzer an ihm findet, aber sie scheinen eng befreundet. Hängen ständig zusammen.«

»Zu oft, wenn du mich fragst, Vater«, sagte Diana.

»Mutter…«

»Meint Ihr, der Todtsteltzer könnte Einwände gegen unsere Anwesenheit hier auf Virimonde äußern?« erkundigte sich Tobias.

Adrian hob eine Augenbraue. »Ich dachte immer, er sympathisiert mit der Untergrundbewegung?«

»Das hat er auch. Aber er hat sich kürzlich… distanziert. Ich vermute, das kommt davon, wenn man unvermutet einen ganzen Planeten beherrscht.«

»Ich bezweifle, daß ihn Eure Anwesenheit auch nur im geringsten stört«, sagte Diana. »Aber vermutlich ist es besser, wenn wir den Steward ablenken, bis Ihr wieder verschwunden seid. Er ist ein harter Mann. Dem Imperium treu ergeben. Verneigt sich vor allem, was einen Titel trägt, und herrscht über uns, als wäre er selbst ein Aristokrat. Wahrscheinlich hält er sich für etwas Besseres, der verdammte Dummkopf. Ich erinnere mich noch, daß er keine zwanzig Meilen von hier auf einer Farm aufgewachsen ist. Nein, meine Herren, Ihr beide erledigt einfach Euren Auftrag, und wir sorgen dafür, daß Euch niemand dabei in die Quere kommt.«

»Wir freuen uns schon darauf, Euren Bericht zu sehen, wenn er fertig ist«, sagte Adrian. »Die Frau und ich, wir sind große Fans von Euch. Wir waren sehr beeindruckt von Eurem Bericht über die Geschehnisse auf Technos III.«

»Das habt Ihr gesehen?« fragte Flynn, während er sich be-mühte, eine weitere Katze daran zu hindern, auf seinen Kopf zu klettern.

»Wir haben einen Holoschirm«, erklärte Adrian stolz. »Wir sind hier draußen nicht am Ende der Welt, auch wenn es so aussieht.«

Ein lautes Summen ertönte aus dem Nachbarzimmer. Adrian und Diana warfen sich verblüffte Blicke zu. »Wenn man vom Teufel spricht«, sagte Adrian. »Das ist das verabredete Zeichen vom Untergrund. Eine Nachricht kommt herein. Ich habe allerdings keine erwartet.«

»Wahrscheinlich wollen sie mit unserem Besuch reden«, sagte Diana. »Sicherstellen, daß sie heil und unversehrt gelandet sind.«

»Zweifellos, Mutter. Ich gehe und sehe nach.«

Adrian erhob sich und ging paffend ins angrenzende Zimmer.

Als er wenige Augenblicke später wieder zurückkehrte, hielt er die Pfeife zitternd in der Hand, und jegliche Gelassenheit war aus seinem Gesicht verschwunden.

»Ihr kommt besser rasch«, sagte er zu Tobias und Flynn. »Sie wollen mit Euch reden. Mutter, ruf die Jungs herein. Wir müssen uns vorbereiten. Schlimme Dinge kommen auf uns zu.«

Diana sprang wortlos auf und rannte nach draußen. Flynn und Tobias schubsten die verschiedenen Katzen und Hunde von sich und folgten Adrian in das andere Zimmer, wo ein großer Holoschirm die halbe Wand einnahm. Ein unbekanntes Gesicht blickte streng aus dem Bildschirm auf die drei Menschen herab und schien seine Sorgen nur mit Mühe verbergen zu können .

»Shreck, Flynn, Ihr müßt aufbrechen. Augenblicklich. Es ist nicht mehr sicher für Euch.«

»Warum?« fragte Tobias. »Was ist geschehen? Wurden die Dakers denunziert? Weiß das Imperium von unserer Anwesenheit?«

»Nichts von alledem spielt noch eine Rolle«, erwiderte das Gesicht. »Bald kracht es auf Virimonde ganz gewaltig. Verschwindet, solange Ihr noch könnt. Jeden Augenblick können Imperiale Truppen landen, überall auf dem Planeten. Wir haben die Stevie Blues geschickt. Sie sind schon da und vertreten uns bei den einheimischen Rebellen. Sie müßten in Eure Richtung unterwegs sein. Seht zu, daß Ihr Euch ihnen anschließen könnt. Wenn das nicht geht, versucht die Todtsteltzer-Festung zu erreichen. Vielleicht kann der Todtsteltzer Euch schützen, bis wir eine sichere Passage für Euch organisiert haben.«

»Aber warum denn?« fragte Tobias erneut. »Was ist denn los?«

Das Gesicht wirkte mit einemmal müde und verhärmt , als wäre jegliche Kraft aus ihm gewichen. »Die Imperatorin hat David Todtsteltzer für vogelfrei erklärt, weil er seinen Bauern erlaubt hat, mit der Demokratie zu experimentieren . Der gesamte Planet steht unter Kriegsrecht , und jede Gegenwehr wird im Keim erstickt. Die Bevölkerung wird als aufständisch betrachtet. Jeder Mann , jede Frau und jedes Kind auf Virimonde werden unter Arrest gestellt, verurteilt und anschließend depor-tiert oder erschossen, wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Drei Imperiale Sternenkreuzer kreisen bereits im Orbit um Virimonde. Weitere sind auf dem Weg. Überall landen Truppen. Das Imperium hat den ausgiebigen Einsatz von Kriegsmaschinen gebilligt. Das wird eine harte und bösartige und verdammt blutige Angelegenheit, und zwar schon bald.

Verschwindet von Virimonde, so schnell Ihr könnt.«

Der Schirm wurde dunkel.

Die Hunde in der Küche bellten laut, als sie die Aufregung und Nervosität der Menschen spürten. Tobias und Flynn schauten sich an.

»Also schön«, meinte der Kameramann und bemühte sich um einen gelassenen Tonfall. »Soviel also zu unserem Versuch, einem Kriegsgebiet aus dem Weg zu gehen. Gehen wir zur Festung?«

»Ich schätze ja. Die Stevie Blues können überall sein, und bis zur Festung ist es nicht weit. Vielleicht haben wir unterwegs Gelegenheit, ein paar gute Aufnahmen zu schießen. Nur damit die Mission kein völliger Fehlschlag wird. Weißt du, ich wünsche mir nur ein einziges Mal, daß sich die Dinge so entwik-keln, wie ich sie geplant habe.«

Flynn zuckte die Schultern. »So ist das Leben, Tobias. Jedenfalls unser Leben. Wir sagen unseren Gastgebern jetzt besser auf Wiedersehen und machen uns auf den Weg. Wir können schließlich nicht wissen, wie nah die Truppen schon sind.«

Sie gingen in die Küche zurück. Die Hunde liefen aufgeregt durcheinander. Die Katzen hatten sich auf hohe Regale zurückgezogen und beobachteten das Geschehen unter sich aus wach-samen, erfahrenen Augen. Adrian Daker hatte den schweren Tisch zur Seite geschoben und eine bis dahin verborgene Fall-tür im Boden geöffnet. Eine Holztreppe führte in einen geheimen Kellerraum. Adrian kehrte soeben mit einem Arm voller Waffen aus dem dunklen Loch zurück . Er ruckte Flynn und Tobias ruhig zu und legte die Waffen auf den Tisch zu den anderen, die er bereits nach oben geschafft hatte. Es waren Unmengen von Waffen, größtenteils Projektilwaffen und Berge von Munition, aber auch ein paar Disruptoren. Auf dem Tisch einer einfachen Bauernfamilie sah der Waffenberg beeindruk-kend aus; doch Tobias wußte, daß sie damit nichts gegen eine anrückende Armee auszurichten vermochten, die zudem noch von Kriegsmaschinen unterstützt wurde.

»Besser, Ihr verschwindet jetzt von hier, Jungs«, sagte Adrian. »Wahrscheinlich wird es hier bald ziemlich laut. Sieht ganz danach aus, als hätte die Rebellion ein wenig zu früh angefangen.«

»Werdet Ihr hier denn sicher sein?« fragte Tobias.

»So sicher wie überall«, antwortete Adrian, während er mit schnellen, geübten Bewegungen die Schutzhüllen von den Waffen streifte. »Sie brauchen eine Armee, um dieses Haus zu stürmen, und mit Mutter und den Jungs bei mir wird das Imperium mit Blut und Leid für den Versuch bezahlen, uns das Land zu nehmen. Dieses Land hier ist seit unzähligen Generationen im Besitz der Dakers, und sie werden uns nicht von hier verjagen, solange noch eine Kugel in einem Gewehrlauf steckt und es einen Daker gibt, der die Waffe abfeuern kann. Geht jetzt, solange noch alles ruhig ist. Haltet Euch genau in Richtung Norden, dann kommt Ihr zur Festung. Im Stall hinter der Scheune findet Ihr einen Flieger . Die Energiekristalle sind ein wenig schwach, aber sie sollten für den größten Teil der Strek-ke reichen. Bleibt tief unten und haltet Euch in Deckung. Die Einheimischen wissen schließlich nicht, wer Ihr seid, und am Ende schießen noch beide Seiten auf Euch. Viel Glück, Jungs, und auf Wiedersehen.«

Die Tür flog krachend auf, und Diana stürmte herein. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie gestikulierte aufgeregt mit dem Kommunikator in der Hand. »Ich kann die Jungs nicht erreichen! Der Kanal ist offen, aber keiner antwortet!«

Weit in der Ferne erklang das Geräusch einer Explosion, unmittelbar gefolgt von einer zweiten . Alles rannte nach draußen.

Adrian riß eine Waffe vom Tisch und folgte. Draußen wurde es dunkel . Das Donnern von Energiewaffen durchschnitt klar und deutlich die Stille. Draußen auf dem von Erika überwucherten Moor rannte das Vieh verwirrt durcheinander, und etwas weiter weg schrie irgend jemand. Diana Daker trat zu ihrem Mann, der das Gewehr an die Brust drückte wie einen Talisman.

»Meine Jungs!« flüsterte Adrian Daker. »Meine armen Jungs!«

David Todtsteltzer und Kit Sommer-Eiland, die beiden brand-gefährlichen Kämpfer, lagen schlafend auf dem Boden der Stiefmütterchen-Taverne. Eine freundliche Seele hatte sie mit ihren Umhängen zugedeckt; doch sie waren zu betrunken gewesen, um dies zu bemerken. Der Todtsteltzer murmelte leise vor sich hin und knirschte im Schlaf mit den Zähnen. Vielleicht machte ihm ein Traum zu schaffen. Der Sommer-Eiland schlief friedlich, und sein Gesicht sah so unschuldig aus wie das eines Kindes. Nicht weit von den beiden entfernt saßen zwei gutaus-sehende junge Frauen an einer langen hölzernen Theke und klammerten sich an ihre nahezu leeren Bierkrüge. Sie musterten die schlafenden Gestalten mit gutmütiger Toleranz. Sie waren die Freundinnen der beiden schlummernden Freier, Alice Daker und Jenny März. Alice war ein großer, schlanker Rot-schopf mit einem wunderbaren Busen – oder, wie David zu sagen pflegte, mit einem Balkon, von dem herab man Shake-speare rezitieren konnte . Sie besaß ein breites Lächeln, fun-kelnde Augen und genug Geduld für den Humor des Todtsteltzers, der hin und wieder ein wenig… derb sein konnte. Sie trug die hübschesten und teuersten Seidenkleider, genug Schmuck und Juwelen, um damit ein eigenes Geschäft eröffnen zu können und war nach der neuesten Mode geschminkt und frisiert, und das alles verdankte sie dem Todtsteltzer. Sie war eine gute Zuhörerin, eine unermüdliche Tänzerin und kannte sämtliche Trinklieder, ganz besonders die zotigen.

Ihre Freundin Jenny war ein großer, geisterhaft blasser Typus mit rabenschwarzen Haaren, scharfen Gesichtszügen und einer noch schärferen Zunge. Sie besaß eine schlanke, fast knaben-hafte Figur und genügend nervöse Energie für eine kleinere Stadt. Auch sie war nach der neuesten Mode gekleidet und geschminkt, dank ihres Freundes, dem Sommer-Eiland. Jenny lächelte häufig , lachte fast nie und war immer auf der Suche nach dem ganz großen Los. Und im Augenblick sah alles ganz danach aus , als wäre Kit Sommer-Eiland dieses Los.

Es war früh am Morgen, beinahe drei Uhr. Das Ende eines weiteren langen Abends mit soviel Spaß und Alkohol, wie der Körper nur vertragen konnte. Und da der Todtsteltzer alles zahlte, fehlte es auch nicht an Freunden, die ihnen bei ihrem Gelage Gesellschaft leisteten. Schließlich jedoch hatte einer nach dem anderen aufgegeben und war in Richtung Heimat aus der Taverne gewankt. Der Inhaber der Taverne hatte gegen zwei Uhr morgens ebenfalls aufgegeben, hatte die Tür abgeschlossen und war zu Bett gegangen. Sollten die verbliebenen Zecher doch sehen, wie sie zurechtkamen. Es war schließlich nicht das erste Mal, daß dies geschehen war, und es war auch nicht so, daß er sich Gedanken machen müßte, sie würden seine Destille leer trinken. Irgendwann hatte auch die Konstitution des Todtsteltzers und des Sommer-Eilands nicht mehr durch-gehalten und nach Schlaf verlangt. Also hatten sie sich, anstatt sich auf den langen Weg nach Hause zu machen, einfach auf dem Boden der Taverne ausgestreckt und waren eingeschlafen.

Alice und Jenny, durch lange Erfahrung klug geworden, hatten nur langsam getrunken und befanden sich nun in jenem fröhlichen, kontemplativen Stadium der Trunkenheit, wo das Hinlegen und Schlafengehen einfach zuviel Anstrengung bedeutete.

Und so saßen sie einfach nur da und unterhielten sich leise über dem letzten Rest in ihren Gläsern.

Und vielleicht waren sie ein wenig offener als gewöhnlich.

»Gott, bin ich hungrig«, sagte Alice. »Meinst du, hinter der Theke gibt es noch irgendwas zu essen?«

»Und wenn schon. Ich würde nichts davon anrühren«, erwiderte Jenny. »Ich weiß nicht, was er in seine Fleischkuchen tut; aber ich finde es erstaunlich, daß man in dieser Taverne nie eine Ratte sieht. Sein Brot hüpft wie Gummi, in der Suppe schwimmen merkwürdige Brocken, und die Snacks gehören zu der Sorte, die Kriege auslösen. Ich glaube, er züchtet sie in irgendwelchen dunklen Ecken, wo niemand hinsieht.«

»Aber das Bier ist gut. Und der Wein. Und der Brandy auch.«

»Das ist auch besser so. Bei den Preisen hier!«

»Was kümmert’s dich?« fragte Alice grinsend. »Du mußt doch nichts davon bezahlen.«

»Zugegeben«, gestand Jenny. »Ja, zugegeben. Ich schätze, die Jungs sind doch zu etwas gut.«

Die beiden Frauen musterten das schlafende Paar. Alice liebevoll, Jenny ungerührt. Kit furzte im Schlaf. Keine der Frauen zuckte auch nur zusammen.

»David ist in Ordnung«, sagte Alice nach einer Weile. »Ja, wirklich. Er ist ganz in Ordnung. Er sieht gut aus, prahlt nicht damit herum, und er ist reich wie die Hölle. Und er ist immer für mich da. Er redet nicht andauernd über die nächsten Wahlen oder über die Rebellion, als würde beides irgend etwas hier am Arsch der Welt verändern. Er besteht nicht nur aus Arbeit, Pflichterfüllung und Politik. Er ist meistens gut gelaunt und lacht gerne, und hin und wieder ist er richtig amüsant. Warum sind die einheimischen Jungs nicht so?«

»Bauern!« antwortete Jenny verächtlich. »Sie wissen uns nicht zu schätzen. Das haben sie nie. Keiner von ihnen sieht weiter als bis zur nächsten Lämmerzeit oder Ernte, und sie machen sich nichts aus Mode, Stil oder Kunst und all den Dingen, die wirklich zählen. Und keiner von ihnen weiß, wie man eine Dame behandelt. Mein Gott, wie ich diese Gegend hasse! Ich will hier weg, weg von dieser Müllkippe, dieser Stadt, diesem ganzen stinkenden Planeten. Kit wird mich mit nach Golgatha nehmen. Er weiß es noch nicht; aber er wird mich mitnehmen.

Er ist meine Fahrkarte nach draußen!«

»Ich weiß nicht, wie du ihn ertragen kannst«, sagte Alice.

»Ich meine, er ist Davids Freund, also muß er auch seine guten Seiten haben, aber ich schwöre dir, manchmal sehe ich ihn an und kriege eine Gänsehaut. Er bedeutet Ärger. Er ist gefährlich.

Man sagt, er habe in der Arena von Golgatha eine ganze Menge Männer getötet.«

»Das hat David auch«, entgegnete Jenny. Sie trank den letzten Rest aus ihrem Krug und stellte ihn krachend auf die Tischplatte. »Meine Güte, ich würde so gerne die Arena besuchen! Zusehen, wie Männer zu meinem Vergnügen miteinander kämpfen und sterben! Direkt vor meinen Augen, nicht auf dem Holoschirm. Außerdem ist Kit gar nicht so übel, ehrlich nicht. Er ist großzügig und stellt keine Forderungen. Vielleicht ein wenig abartig im Bett, aber er ist schließlich auch ein Aristo. Nicht, daß mich das stören würde. Ich könnte ihm sicher noch die eine oder andere Sache zeigen.«

»Abartig?« erkundigte sich Alice grinsend. »Was meinst du mit abartig

Jenny erwiderte das Grinsen. »Nun, sagen wir einfach, Kit sieht mich am liebsten von hinten.«

»Jenny!« Alice versuchte schockiert dreinzublicken, doch es gelang ihr nicht. Die beiden begannen zu kichern und warfen Seitenblicke auf die Jungs, um sicherzugehen, daß sie noch immer sanft schlummerten.

»Und was ist mit David?« erkundigte sich Jenny schließlich.

»Hat er auch seine kleinen… Vorlieben oder Abneigungen?«

»Nicht wirklich«, antwortete Alice. »Ich glaube ehrlich gesagt, er hat nicht viel Erfahrung mit Frauen. Er wird in den merkwürdigsten Augenblicken scheu. Aber ich denke, er mag mich. Ich meine, er mag mich wirklich. Der Süße.«

»Kit ist da anders«, sagte Jenny. »Und dafür bin ich entschieden dankbar. Gefühle würden unsere Beziehung nur ver-komplizieren. Ich nehme von ihm, was ich kriegen kann, und das weiß er auch. Wir haben eine schöne Zeit, guten Sex, und keiner stellt Forderungen an den anderen. Ich glaube, Kit wüßte mit Liebe überhaupt nichts anzufangen, nicht einmal mit Zuneigung. Wahrscheinlich würde es ihn nur verwirren, weiter nichts.«

»Er steht David sehr nahe«, sagte Alice und runzelte die Stirn. »Obwohl David mich mag und manchmal sogar liebt, so ist zwischen den beiden eine Nähe, die ich nicht einmal annähernd erreiche. Als hätte keiner der beiden je einen Freund besessen. Trotzdem bin ich diejenige, die David wirklich liebt. Er wird mich sogar heiraten. Auch wenn er es jetzt noch nicht weiß.«

Jenny blickte ihre Freundin scharf an. »Heirat? Vergiß es, Alice. Vergiß es! Ein Bauernmädchen und ein Lord , das Familienoberhaupt eines mächtigen Clans? So etwas passiert nur in den Seifenopern auf dem Holoschirm. Wir sind nicht die, die Lords heiraten, Alice. Wir sind die Gespielinnen, mit denen man sich amüsieren kann, mit allem, was dazugehört. Wir kriegen ein paar gute Lacher und was sonst noch so dabei ab-fällt, und das war dann auch schon alles. Aristos mögen vielleicht Partys mit unsereinem feiern; aber sie heiraten uns nicht.

Sie heiraten nur untereinander.«

»Na gut, dann vielleicht nicht gerade heiraten« , sagte Alice.

»Aber ich könnte doch seine Mätresse werden. Die Konkubine, oder wie auch immer die höfliche Umschreibung heutzutage lautet. Aristos heiraten aus politischen Gründen und wegen des Fortbestands ihrer Clans, nicht aus Liebe. Alles hat mit Allian-zen und gegenseitigen Vorteilen und der Erhaltung der Blutlinien zu tun, aber nie mit Liebe. Vielleicht bekommt eine andere Frau seinen Namen; aber sein Herz gehört immer noch mir.«

»Auch wenn er im Bett nicht besonders gut ist?«

»Das könnte ich ihm beibringen.«

»Soll das vielleicht heißen, daß ich nicht dein süßer kleiner Deckhengst bin?« sagte David.

Die beiden Frauen zuckten unwillkürlich zusammen und wandten sich um. David lag auf den Ellbogen gestützt da und musterte sie mit verschlafenem Blick.

»Wie lange bist du schon wach?« fragte Alice in strengem Tonfall.

»Lange genug«, gähnte David. »Wirklich sehr aufschlußreich, worüber Frauen sich unterhalten, wenn sie meinen, niemand hört ihnen zu.«

»Was ist mit Kit?« fragte Jenny »Schläft der wenigstens noch?«

»Wer kann schon schlafen, wenn ununterbrochen irgend jemand redet?« sagte der Sommer-Eiland und setzte sich auf. Er fuhr sich mit den Fingern durchs wirre Haar, schmatzte ein paarmal und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ich könn-te schwören, das jede Nacht irgend etwas in meinen Mund kriecht und darin stirbt. Ich brauche dringend noch einen Drink.«

»Nein, brauchst du nicht«, sagte Jenny bestimmt. »Leg dich wieder hin und schlaf erst mal den Rausch aus, den du noch hast.«

»Machst du dir wirklich etwas aus mir?« fragte David und sah Alice aus großen Augen an.

»Ja«, antwortete Alice und lächelte. »Hab’ ich dir das nicht oft genug gesagt?«

»Ich muß es immer wieder hören«, erwiderte David. »Ich bin wirklich sehr schüchtern.«

»Alle Männer wünschen sich, geliebt zu werden«, erklärte Jenny. »Eine sehr einträgliche Schwäche, jedenfalls für uns Frauen.«

»Ich nicht«, sagte Kit. »Ich wüßte gar nicht, was ich mit Liebe anfangen sollte.«

»Stimmt, aber du bist ja auch ein wenig wirr«, entgegnete David .

Die beiden jungen Männer grinsten sich an, warfen die Um-hänge beiseite, die ihnen als Decken gedient hatten, und rappelten sich unter Ächzen und Stöhnen auf. Sie befanden sich genau in der verschwommenen Phase zwischen Trunkenheit und Kater. Sie setzten sich zu ihren Mädchen und gossen sich Ale aus dem großen Krug mitten auf dem Tisch in ihre Becher.

Es war warm und schmeckte abgestanden; aber so war das Leben halt manchmal. Die Taverne wirkte kühl und ruhig und irgendwie abgeschieden vom Rest der Welt – jedenfalls so früh am Morgen. David nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Becher und verzog das Gesicht.

»Gott, schmeckt das Zeug widerlich! Ich könnte schwören, daß mein Gaumen sich jedesmal schlafen legt, wenn ich diesen Laden betrete.«

»Wo sind sie denn alle hin?« fragte Kit. »Ich wollte gerade anfangen. Ich kann die ganze Nacht durchmachen, wenn ich will. Ein wenig Aufregung wäre jetzt nicht schlecht

»Ich bin hier«, sagte Jenny .

»Ich meine wirkliche Aufregung. Ich vermisse das Kämpfen und die Duelle, die wir auf Golgatha hatten. Hier gibt es niemanden, der einen Kampf wert ist. Welchen Sinn macht es schon, der Beste mit dem Schwert zu sein, wenn man nie die Gelegenheit hat, es auch zu beweisen?«

»Wer sagt denn, daß du der Beste bist?« fragte David. »Du magst vielleicht alle Tricks kennen, aber ich habe meinen Zorn

»Eines Tages werden wir es herausfinden müssen«, sagte Kit.

»Ja«, erwiderte David. »Eines Tages.«

Sie grinsten sich an und tranken weiter. »Jetzt mal ehrlich«, meinte David schließlich. »Hast du in der Arena nicht schon genug Blutvergießen gehabt? Ich meine, wir haben in unserer kurzen Zeit auf dem blutigen Sand eine ganze Armee von Gegnern niedergemacht.«

»Davon kann ich nie genug haben«, antwortete Kit. »Allerdings gibt es hier auf Virimonde ein paar ganz nette… Ablenkungen.«

»Freut mich zu hören«, sagte Jenny. Sie legte den Arm um Kits Schulter, und er grinste sie an.

»Wir können jederzeit wieder zurück nach Golgatha«, schlug David vor. »Nur für einen kurzen Besuch. Um zu sehen, ob wir vielleicht ein paar Leute durch die Arena scheuchen können.

Irgendein Dummkopf meint immer, er wäre mit dem Schwert unschlagbar.«

»Und was ist mit uns?« fragte Jenny.

»Was soll mit euch sein?« fragte Kit.

»Wenn ihr nach Golgatha geht, wollen wir mit euch kommen«, sagte Alice.

»Es würde euch nicht gefallen«, meinte David.

»Und warum nicht?« Jenny funkelte ihn wütend an. »Vielleicht, weil wir Bauern sind? Weil wir nicht kultiviert genug sind, um uns euren teuren Freunden und Familienmitgliedern zu präsentieren?«

»Nun ja, äh… ja«, gestand Kit.

»Fick dich!« schimpfte Jenny.

»Vielleicht später«, entgegnete Kit.

»Ihr könntet uns alles beibringen, was wir wissen müssen«, bettelte Alice. »O bitte, David! Ich wollte schon immer mal auf die Heimatwelt!«

»Wir werden sehen«, lenkte David ein. »Wenn du artig bist – vielleicht.«

»Oh, ich bin sehr artig«, sagte Alice. »Oder hast du das schon vergessen?«

Sie grinsten. Jenny funkelte Kit an, und der Sommer-Eiland erwiderte gelassen ihren Blick. Die Konversation hätte in jede Richtung weitergehen können und wäre es wahrscheinlich auch, wäre nicht in diesem Augenblick ein Raumschiff draußen vom Himmel gestürzt. Das erste, was die Besucher des Stiefmütterchens davon bemerkten, war ein langgezogenes, an-schwellendes Heulen von überlasteten Maschinen hoch oben am Himmel über der Taverne. Die vier kamen schwankend auf die Beine, öffneten ein Fenster und starrten hinaus. Die Luft war kühl und ernüchternd, und die Sonne erschien gerade erst am Horizont. Durch die Wolken schoß heulend ein Schiff heran, dessen Hülle in Flammen stand.

»Wer zur Hölle ist das?« fragte Alice.

»Ich kann keine Abzeichen erkennen«, antwortete der Sommer-Eiland gelassen. »Das ist keins von deinen Schiffen, David, oder?«

»Ich glaube nicht. Es trägt nicht mein Wappen. Außerdem weiß niemand , wo ich mich aufhalte. Wer auch immer das sein mag , er kommt verdammt schnell runter. Ich schätze , wir sollten vom Fenster verschwinden. Das ist sicherer. Falls das Schiff in der Nähe runterkommt, werden Wrackteile in alle Richtungen fliegen.«

»Ich denke , es ist noch immer unter Kontrolle« , sagte Jenny.

»Mehr oder weniger jedenfalls.«

Das brennende Schiff raste über die Taverne hinweg , und das Brüllen der Maschine war auf die geringe Entfernung ohrenbetäubend. Der Boden erzitterte unter ihren Füßen, und kleine Rinnsale aus Staub und Sägespänen rieselten von der Balkendecke. Instinktiv duckten sich die vier; doch bis sie reagiert hatten, war das Schiff längst herumgeschwenkt und näherte sich erneut. Die Maschinen erstarben stotternd und erwachten wieder zum Leben; dann fiel es aus dem Himmel. Halb stürzte es, halb landete es draußen im Hof vor der Taverne. Der Boden bebte und riß die vier neugierigen Zuschauer von den Beinen.

David rappelte sich als erster wieder auf, entriegelte den Eingang der Taverne und stürmte hinaus. Er hatte die wirre Vorstellung, Verletzte aus dem abgestürzten Schiff bergen zu wollen; doch in dem Augenblick, als die Tür den Blick auf das brennende Wrack freigab, blieb er wie angewurzelt stehen. Er riß einen Arm vors Gesicht, um sich vor der Hitze zu schützen, und Schweiß brach ihm aus allen Poren. Er wollte sich vorwärts zwingen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht. Die schreckliche Hitze war einfach zuviel. Eine Hand packte ihn von hinten und zog ihn in die Taverne zurück. Irgend jemand anderes warf die Tür wieder zu und sperrte die Hitze aus.

»Vergiß es« , sagte Kit und ließ David wieder los. »Niemand kommt lebendig aus dieser Flammenhölle.«

»Zur Hölle , und ob!« rief Jenny vom Fenster her. »Das müßt ihr sehen!«

Die anderen eilten zum Fenster und gesellten sich zu ihr.

Draußen auf dem Hof loderten die Flammen höher hinauf als die Taverne. Irgend jemand im Innern des Schiffs hatte den Notausstieg geöffnet, und zwei Gestalten kletterten nach draußen. David und die drei anderen beobachteten entgeistert, wie sich die Flammen von der Luke zurückzuziehen schienen.

Zwei Frauen mit identischen Gesichtern sprangen auf das geschwärzte Pflaster des Hofs und setzten sich auf die Taverne zu in Bewegung. Das flammende Inferno rings um sie herum schien sie nicht im mindesten zu beeindrucken.

»Ich kenne diese Gesichter«, sagte Kit. »Das sind die Stevie Blues!«

»Wie zur Hölle machen sie das nur?« fragte Jenny fasziniert.

»Sie sind Klone, nicht wahr?« rief Alice aufgeregt . »Ich habe noch nie im Leben Klone gesehen!«

»Wenn sie wegen uns gekommen sind, dann könnten wir in ernsthaften Schwierigkeiten stecken«, sagte David leise zu Kit .

»Wir schulden dem Untergrund eine Menge Berichte. Gut möglich, daß der Rat der Rebellen zu dem Schluß gelangt ist, daß ein wenig Überzeugungsarbeit nottut, um uns wieder in Reih und Glied zu zwingen.«

»Vielleicht wurden die Stevies auch geschickt, um uns zum Schweigen zu bringen«, sagte Kit. »Schließlich wissen wir eine ganze Menge über die Pläne der Untergrundbewegung. Gut gedacht, David. Ich mache schon noch einen richtigen Paranoi-ker aus dir.«

»Also schön«, sagte David. »Die Taverne besitzt einen Hin-terausgang. Ich schlage vor, wir benutzen ihn. Auf der Stelle.«

»Was ist los?« fragte Jenny. »Kennt ihr diese beiden?«

Kit ignorierte sie. »Ich renne vor niemandem davon«, erklär-te er. »Außerdem sind sie nur zu zweit.«

»Zwei Kampfesper und Feuerteufel sind mehr als genug, um diese Taverne zu Asche zu verbrennen, mitsamt allen, die dumm genug sind drinzubleiben, wenn sie erst einmal angefangen haben. Das da sind Elfen, Kit. Esper-Liberations-Front.

Der radikale Hügel des radikalen Flügels. Sie machen nie Gefangene, außer, sie sind hungrig.«

»Wir können es mit ihnen aufnehmen«, beharrte Kit.

»Prima. Du nimmst die linke, und ich nehme die Beine in die Hand. Wir können nicht kämpfen, Kit! Wir tragen die Verantwortung für die Mädels. Also schön, Plan B. Wir reden sie tot.

Niemand hat die Stevie Blues jemals übermäßiger Intelligenz bezichtigt. Sie sind impulsiv , psychotisch und tödlicher als ein wirklich schlecht gelaunter Hadenmann; aber sie sind nicht besonders helle. Wenn wir nicht den Kopf verlieren, können wir uns vielleicht aus allem herausreden, Kit.«

»Ich würde sie viel lieber umbringen«, schniefte der Sommer-Eiland.

»Ich weiß, Kit. Ich weiß. Aber das ist deine Standardantwort auf alles. Nur, daß die normale Taktik nicht bei jemandem funktioniert, der dein Schwert zum Schmelzen bringt, wenn er es nur ansieht.«

»Das ist ein Argument«, gestand Kit. »Also gut, rede mit ihnen. Ich versuche, mich von hinten an sie heranzuschleichen, nur für den Fall.«

»Klingt nach einem guten Plan«, sagte David. »Halt, Moment mal!« rief Alice. »Ihr kennt diese Leute? Ich höre dauernd Untergrund! Sind das vielleicht Rebellen?«

»Klasse!« jauchzte Jenny. »Ich wollte schon immer mal ein paar Rebellen von anderen Welten kennenlernen!«

Und dann schwang die Tür auf, und alle verstummten. Zwei Rebellinnen mit identischen Gesichtern betraten den Gastraum .

Die jungen Frauen steckten in abgetragenen Lederkleidern mit Metallnieten und baumelnden Ketten über einem schmutzigen T-Shirt mit dem legendären ›Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß‹. Sie waren beide ungewöhnlich klein und stämmig und ausgesprochen muskulös. Ihr langes dunkles Haar war von bunten geknoteten Bändern durchsetzt, und sie hatten sich Kleckse in den gleichen Farbtönen auf die Gesichter gemalt. Vielleicht wären sie hübsch gewesen, hätten sie nicht dieses mißmutige Stirnrunzeln und den ernsten, gefährlichen Blick in den Augen gehabt. Sie nickten dem Todtsteltzer einen knappen Gruß zu, funkelten den Sommer-Eiland feindselig an und ignorierten die beiden Frauen völlig.

»Ich bin Stevie Eins«, sagte die linke Frau. »Das da ist Stevie Drei. Verwechselt uns nicht, das können wir nämlich gar nicht vertragen!«

»Genau«, stimmte Stevie Drei ihrer Zwillingsschwester zu.

»Wir sind nämlich wirklich ganz verschieden, wenn man uns erst etwas näher kennt.«

»Schön, Euch wiederzusehen«, sagte David und bemühte sich nach Kräften, einen entspannten Tonfall und Gesichtsausdruck an den Tag zu legen. Es gelang ihm nicht ganz. »Was führt Euch den weiten Weg zu mir nach Virimonde, wenn ich fragen darf?«

»Ihr selbst«, erwiderte Stevie Eins. »Aber Ihr könnt die Hand von Eurem Schwert nehmen, Todtsteltzer. Und Sommer-Eiland, das ist der dilettantischste Versuch, sich von hinten an jemanden heranzuschleichen, den ich je erlebt habe. Entspannt Euch, Leute. Wir sind gekommen, um Euch zu helfen. Es bro-delt gewaltig über Virimonde, und bald bricht hier die Hölle los. Ihr wurdet für vogelfrei erklärt, David Todtsteltzer.«

Davids Kinnlade fiel herab. Er hörte das erschrockene Ächzen der Mädchen; doch für den Augenblick hatte es ihm die Sprache verschlagen. Er fühlte sich, als hätte ihm jemand in den Magen geboxt und dadurch die Luft aus seinen Lungen getrieben. »Was soll das heißen, vogelfrei?« stieß er schließlich mühsam hervor.

»Das soll heißen, die Löwenstein will Euren Kopf auf einem Pfahl«, antwortete Stevie Eins. »Eure Festung ist verwirkt. Virimonde gehört nicht länger Euch, und eine große Belohnung erwartet jeden, der Löwenstein Euren Kopf bringt, vorzugsweise ohne Körper daran, damit die Eiserne Hexe Euch ins Gesicht spucken kann.«

»Aber warum?« fragte David mit klagender Stimme. »Ich war ein guter Lord! Ich habe den Kopf unten gehalten und die Löwenstein nie geärgert. Genau wie mit dem Untergrund abgesprochen.«

»Sehr amüsant«, sagte Stevie Drei. »Ich glaube, die Eiserne Hexe weiß noch nicht einmal, daß Ihr zu den Rebellen gehört.

Sie will Euren Kopf, weil Ihr die lokale Demokratie zugelassen habt und weil Ihr Euch ihren Plänen zur Automatisierung dieser Welt widersetzt. Ihr hättet gegenüber Eurem Steward nicht so offen reden dürfen. Und Ihr hättet wirklich nicht damit drohen sollen, die Versammlung der Lords anzurufen. Für die Löwenstein bedeutet das Konspiration gegen die Krone. Jeder Lord des Imperiums versucht inzwischen, soviel Abstand zwischen sich und Euch zu bringen, wie nur irgend möglich. Alle spüren, aus welcher Richtung der Wind weht. Zum Glück für Euch gehören Alices Eltern zu den Rebellen. Sie haben uns verraten, wo wir Euch finden . Die schlechte Nachricht lautet, daß Imperiale Schiffe uns während der Landung unter Beschuß genommen haben. Unser Schiff ist hin. Vergeßt also die Hoffnung auf eine Mitfahrgelegenheit zu einer anderen Welt. Wir stecken hier alle zusammen fest. Am besten rennt Ihr wie der Teufel zu Eurer Festung zurück und verbarrikadiert Euch dort.

Wir werden in der Zwischenzeit versuchen, eine Fluchtmöglichkeit zu organisieren. Die Imperatorin darf Euch auf gar keinen Fall in die Hände bekommen. Ihr wärt eine so fette Beute, daß sie vor Selbstzufriedenheit platzen würde.«

»Na, ich danke auch schön«, sagte David.

»Halt, Moment mal«, unterbrach ihn Kit. »Was ist mit mir?

Bin ich ebenfalls vogelfrei?«

»Zur Hölle, nein!« sagte Stevie Eins. »Ihr seid noch immer der Liebling der Eisernen Hexe. Ihr Lieblingskiller, abgesehen vom Prinzgemahl.«

»Es sei denn, Ihr versucht, dem Todtsteltzer zu helfen und ihn zu verteidigen«, sagte Stevie Drei. »In diesem Fall werdet Ihr neben ihm vor Gericht gestellt.«

»Sie hat recht, Kit«, sagte David. »Besser , wir trennen uns.

Wenn sie dich in meiner Begleitung vorfinden, könnten sie dich der Komplizenschaft für schuldig erklären. Ich nehme den Flieger in der Scheune und mache mich auf den Weg zur Festung. Du und die beiden Stevies bringen die Mädchen in Sicherheit.«

»Vergiß es«, widersprach Kit. »Ich lasse dich nicht im Stich.

Ohne meine Hilfe würdest du keine zehn Minuten durchhalten.«

»Aber du riskierst dein Leben!« sagte David.

»Wunderbar«, erwiderte Kit. »Es war mir hier sowieso viel zu ruhig. Habe ich nicht dauernd gesagt, daß ich ein wenig Aufregung vertragen könnte? Ich schlage vor, wir benutzen zunächst einmal den Holoschirm der Taverne, um nachzusehen, wie es bei der Festung aussieht. Du hast nicht nur Freunde dort, wie du weißt.«

»Gutes Argument«, gab David zu. »Alice, Jenny, ihr verschwindet jetzt besser. Geht nach Hause und bleibt in Dek-kung, bis das hier alles vorbei ist. Wenn sie euch fragen, dann kennt ihr uns nur vom Sehen. Das ist wahrscheinlich sicherer für euch.«

»Ich fürchte, ganz so einfach wird es nicht«, bemerkte Stevie Drei. »Ihr habt noch nicht alles gehört.«

David starrte sie an. »Was denn, reicht das nicht?«

»Ihr seid nicht der einzige, dem es an den Kragen gehen soll«, sagte Stevie Eins. »Der gesamte Planet ist für vogelfrei erklärt worden. Normalerweise würde das bedeuten, ihn aus dem Orbit herab zu sengen, aber die Löwenstein hat Pläne mit Eurer Welt. Deswegen hat sie Truppen geschickt, um die Rebellen zu bestrafen und die Überlebenden unter direkten Befehl des Imperiums zu stellen. Die ersten Schiffe müßten in diesem Augenblick landen. Es herrscht Krieg, Todtsteltzer. Der ganze Planet wird angegriffen!«

»Meine Eltern!« flüsterte Alice wie betäubt vom Schock der Neuigkeiten. »Sie sind in führenden Positionen bei der lokalen Untergrundbewegung! Wenn das Imperium unsere Reihen infiltriert hat, dann werden sie zu Zielscheiben! Wir müssen sie warnen, David.«

»Das Wichtigste zuerst«, sagte Kit. »Zuerst sehen wir nach, wie es bei der Festung aussieht.«

»Du bist also auch eine Rebellin?« fragte David sein Mädchen. »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«

»Zur Hölle, wir sind alle Rebellen hier auf Virimonde. »Es gibt nicht viel Aufregendes auf so einem Hinterweltplaneten wie diesem

»Die Festung«, drängte Kit . »Wir müssen wissen, was mit der Festung ist.«

Sie versammelten sich vor dem Holoschirm an der Wand der Taverne, und David gab die Nummer der Festung ein, wobei er die Notfallkodes benutzte. Der Steward meldete sich augenblicklich, als hätte er den Anruf erwartet.

»Wo seid Ihr, Mylord? Seit Stunden versuche ich Euch zu finden! Es ist von allergrößter Wichtigkeit, daß Ihr in die Festung zurückkehrt, um Euch gegen die lächerlichen Anklagen zu verteidigen, die man gegen Euch erhoben hat.«

»Wo ist mein Sicherheitschef?« fragte David. »Er ist derjenige, der auf meinen Notfallkode antworten sollte.«

»Er hat im Augenblick keine Zeit, Mylord«, erwiderte der Steward. »Hier herrscht ein ziemliches Durcheinander, wie Ihr Euch sicher gut vorstellen könnt. Sagt mir, wo Ihr seid, Mylord, damit ich einen gepanzerten Flieger zu Euch schicken und Euch in Sicherheit bringen kann.«

»Schalte das Ding ab!« warnte Kit. »Wenn der Steward den Befehl hat, dann sind deine Leute tot. Der Steward ist der Bastard, der dich verraten hat.«

»Ich muß darauf bestehen, daß Ihr mir Euren Aufenthaltsort verratet, Mylord«, drängte der Steward. »Die Gefahr für Euch wächst von Minute zu Minute, wenn Ihr Euch nicht bald unter meinen Schutz begebt.«

»Schaltet endlich ab!« sagte Stevie Eins. »Bevor sie das Signal zurückverfolgen.«

David schaltete den Schirm aus. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Ihm war nie der Gedanke gekommen , daß seine eigenen Leute sich gegen ihn wenden könnten. Sicher, der Steward und er hatten sich bei mehr als einer Gelegenheit gestritten; aber die Familie zu betrügen, die einen von Geburt an ernährt und gekleidet und seinem Leben erst einen Sinn gegeben hatte…

Alles war viel zu schnell gegangen. In der einen Minute war er noch der Mann gewesen, der alles hatte und in der nächsten… nichts mehr, bis auf den Preis, der auf seinen Kopf ausgesetzt worden war.

Genau wie sein Vetter Owen. Vielleicht war der Planet verhext. David verspürte das Bedürfnis zu lachen, ein Gefühl nahe der Hysterie. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß Alice zu ihm sprach und an seinem Ärmel zupfte.

»Meine Eltern, David! Ich muß wissen, was mit meinen Eltern ist!«

»Selbstverständlich. Du weißt, wie das Gerät funktioniert.

Ich muß nachdenken. Kit, wenn der Steward im Besitz meiner Notfallkodes ist, dann sind meine geheimen Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr den Dreck unter dem Fingernagel wert.

Aber das funktioniert in beide Richtungen. Wenn er sich Zugang zu meinen Kodes verschafft hat, dann habe ich auch Zugang zu seinen.«

»Und was soll uns das nützen?« fragte Kit.

»Ich sollte in der Lage sein, mich in das Kommunikationssystem der Festung einzuschalten, und mit seiner Hilfe haben wir Zugriff auf den Funkverkehr der Imperialen. Wir können alles sehen, was sie auch sehen. Ich muß wissen, was anderswo auf meiner Welt vor sich geht. Ich kann beim besten Willen nicht glauben, daß die Eiserne Hexe die vollständige Eroberung von Virimonde befohlen hat. Die Verluste an Menschenleben wären gewaltig. Wirklich entsetzlich.«

»Seit wann hat die Eiserne Hexe sich von so etwas aufhalten lassen?«

»Kit!« sagte David. »Sie werden sagen, es sei alles meine Schuld! Meine Leute werden sterben, weil ich falsch gehandelt habe!«

»Ich bin mit der Farm verbunden«, sagte Alice plötzlich, und alle drehten sich zum Schirm um. Das Bild war verschwommen und unscharf. Alice beugte sich über die Konsole und fluchte leise, während sie versuchte, das Signal zu verstärken.

Mit einemmal wurde das Bild klar, und Alice wich mit halb erhobener Hand vom Schirm zurück, wie um sich zu schützen.

Sie hatte sich auf einen der externen Sensoren der Farm geschaltet, die das Haupthaus von außen zeigten. Das massive Steingebäude stand unter Beschuß. Das Mauerwerk war übersät mit Löchern von Energiestrahlen, und ein Teil des Dachs war weggesprengt. Der Rest des Strohdachs brannte lichterloh.

Zwei reglose Gestalten lagen auf dem Hof, und ihre toten Hän-de umklammerten die Griffe von Projektilwaffen. Beide waren von Energiewaffen in den Rücken getroffen worden.

Alice schüttelte langsam den Kopf, als könne sie nicht glauben, was ihre Augen sahen. »Das dort ist Sam. Und Matthew.

Meine Brüder. Wo sind die anderen? Wo sind Vater und Mutter?«

David legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter, doch Alice spürte es nicht. Die Eingangstür des Farmhauses flog krachend auf, und dichter schwarzer Rauch quoll hervor. Und aus dem Rauch stürzten Diana und Adrian Daker. Sie hielten Projektilwaffen in den Händen und feuerten auf einen unsichtbaren Feind, während sie in Richtung der Scheunen hinter dem Haus rannten. Die Kamera war zu weit entfernt, um ihre Gesichter deutlich zu zeigen; doch ihre Körpersprache verriet kühle Entschlossenheit. Sie waren jedenfalls nicht in Panik.

Rings um die beiden herum zuckten Energiestrahlen durch die Luft und rissen weitere Löcher in die Mauern des Farmhauses; aber die beiden rennenden Dakers waren schwer zu treffen.

Doch dann tauchte plötzlich eine Kompanie Imperialer Marineinfanteristen hinter dem Haus auf und versperrte ihnen den Fluchtweg. Adrian und Diana blieben stehen und warfen gehetzte Blicke in die Runde. Es gab keinen Ausweg mehr. Die Soldaten eröffneten das Feuer. Diana schrie auf, als ihr ein Bein unter dem Leib weggeschossen wurde, und erneut, als ein Energiestrahl durch den Bauch ihres Mannes fuhr und am Rük-ken wieder austrat. Adrian stürzte zu Boden, doch er ließ die Waffe nicht los. Diana wollte zu ihm kriechen, und Adrian streckte die Hand nach ihr aus. Ein weiterer Energiestrahl zerriß sie. Zwei Schüsse trafen Diana und durchtrennten ihren Rumpf in der Mitte. Der Torso rollte davon, und die Beine blieben zuckend liegen. Sie sah zu ihrem toten Ehemann und öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, und dann wich das Leben aus ihr, und sie rührte sich nicht mehr.

Alice gab gurgelnde Geräusche von sich. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten wie hypnotisiert auf die toten Eltern. Jenny nahm sie bei den Schultern und drehte sie mit Gewalt vom Schirm weg. Plötzlich schien sämtliche Kraft aus Alice zu weichen, und sie brach schluchzend in Jennys Armen zusammen.

David bedeutete Jenny mit einem Wink, Alice zur Bar zu führen und ihr einen harten Drink auszuschenken. Jenny nickte und schob ihre Freundin sanft zur Theke. Sie murmelte tröstende Worte, doch sie war nicht sicher, ob Alice sie überhaupt hörte. Am Schirm beugte sich David über die Kontrollen und schaltete den Empfänger auf Signale, die zur Festung gingen.

Er ging die einzelnen Übertragungen rasch durch in dem Versuch, eine Vorstellung von dem zu gewinnen, was auf seiner Welt vor sich ging. Erst jetzt begriff er langsam, welches Ausmaß der Überfall auf Virimonde tatsächlich hatte.

David und Kit beobachteten schweigend, wie Imperiale Truppen schreiend durch die Straßen eines einzelnen kleinen Dorfes rannten und auf alles schossen, was sich bewegte.

Plötzlich strömten Dorfbewohner aus ihren kleinen Häusern und warfen sich den Angreifern entgegen. Ihre Bewaffnung war spärlich; nur wenige hatten Schußwaffen, die meisten kämpften mit Schwertern und Äxten und irgendwelchen Stall-werkzeugen. Die Imperialen waren mit Energiewaffen, Kampfrüstungen und Energieschilden ausgerüstet, und trotzdem warfen sich die Männer und Frauen des Dorfes auf den Feind. Das Imperium mußte um jeden Zoll Bodengewinn kämpfen.

Doch die Soldaten waren in der Überzahl und viel besser bewaffnet, und schon bald hatten sie sich einen blutigen Weg durch die Dorfbewohner gebahnt und ließen Tote und Sterbende in den Straßen zurück. Es dauerte nicht lange, und sie schossen die Dorfbewohner fast schneller ab, als sie aus ihren Häusern stürmen konnten. Die nachrückenden Soldaten steckten methodisch alles in Brand und erschossen die Alten und Kinder, wenn diese schreiend flüchten wollten. Bald stand das gesamte Dorf lichterloh in Flammen, und dicker schwarzer Rauch quoll in den frühen Morgenhimmel.

Die Szene wechselte, und eine Stadt ganz in der Nähe erschien auf dem Schirm. Eine kleine Armee Imperialer Marineinfanteristen lief in den gepflasterten Gassen und Straßen Amok. Sie mordeten und brandschatzten und zerstörten jedes potentielle Widerstandsnest. Einheimische Beamte wurden aus ihren Büros auf die Straße gezerrt und an den nächsten Later-nenpfählen aufgeknüpft. Überall wurde geplündert, vergewal-tigt und gemordet. Blut floß in Strömen durch die Rinnsteine, und Männer, Frauen und Kinder flüchteten in Todesangst vor den heranrückenden Streitkräften, vertrieben von einem Feind, der auf den Sieg geradezu versessen war.

David und Kit erkannten die Strategie dahinter. Andere Städ-te und Dörfer sollten eingeschüchtert und dazu gebracht werden, sich ohne jeglichen Widerstand zu ergeben. Das war auch der Grund, warum die Bilder überhaupt durch den Äther geschickt wurden.

Und die Strategie ging auf. Der Bildschirm schaltete von Stadt zu Stadt und zeigte ganze Scharen von Einwohnern, die mit hoch erhobenen Händen wie Schafe aus ihren Häusern hinaus und auf die offenen Felder getrieben wurden. Zu Verhören war später noch Zeit. Wer sich nicht schnell genug bewegte, wurde erschossen. Wer zu protestieren wagte ebenfalls. Und überall brannten Häuser, hingen Leichen an Laternen und kreisten Aasfresser am Himmel.

Kriegsmaschinen rückten gegen andere Städte vor. Unaufhaltsame Kampfwagen schoben sich durch zerbröckelnde Stadtmauern, und Ziegel polterten wie dicke Hagelkörner von den gepanzerten Seiten herab. Mechanische Gebilde, denen Gefühle wie Angst oder Selbsterhaltung fremd waren, rannten , ohne langsamer zu werden , gegen das Sperrfeuer der Verteidiger an und ertrugen unglaublichen Beschuß, während ihre eigenen Energiewaffen durch Männer und Frauen und Häuser zugleich fuhren wie heiße Messer durch Butter. Ganze Blocks gingen in Flammen auf, als schwere Gravitationstorpedos Wand um Wand durchschlugen und gnadenlos schnurgerade Spuren der Verwüstung von einem Rand der Stadt zum anderen zogen. Kampfandroiden, Roboter, die wegen des psychologischen Effekts Menschengestalt besaßen, hackten und fetzten sich ihren Weg durch jede Form von Widerstands Fleisch wich vor unnachgiebigem Stahl, und Blut troff dick über Metallarme und von dornenbewehrten Eisenfäusten. Maschinen hoch am Himmel und so klein wie Insekten bildeten die alles sehenden Augen der mechanischen Armee, und gewaltige Metallhaufen, größer als Häuser, bewegten sich langsam durch das Kampfgebiet und zerstörten, was bisher unbeschädigt geblieben war.

Stein und Mauerwerk riß wie Papier; Holz brannte lichterloh, und Männer und Frauen starben schreiend unter gnadenlosen stählernen Panzerketten . Die Maschinen schlachteten alles, was ihnen in den Weg kam . Sie kannten keine Gnade , weil sie nicht darauf programmiert waren. Gebäude stürzten ein und Feuer raste durch die Stadt. Die Roboter marschierten; die Stadt fiel, und die Maschinen wanderten planmäßig weiter zu ihrem nächsten Ziel. »Nein!« sagte David schließlich. »Nein! Ich werde das nicht dulden!«

»Wir verschwinden besser von hier«, mahnte Kit. »Wir haben nicht die leiseste Ahnung, wie nah die Imperialen Streitkräfte bereits sind.«

»Ich bin der Lord dieses Planeten, und ich erlaube es nicht!«

David starrte voller ohnmächtiger Wut auf den Schirm. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt. »Das ist kein Krieg mehr! Das ist unmenschlich! Dafür wird die Löwenstein bezahlen! Das ist meine Welt; das sind meine Menschen, und ich dulde das einfach nicht!«

»Du kannst es nicht ändern«, sagte Kit. Er schaltete die Übertragung ab, und David funkelte ihn wütend an. Kit erwiderte seinen Blick gelassen. »Du bist für vogelfrei erklärt worden, David. Du besitzt keine Untertanen und keine Machtbasis mehr, und selbst deine eigene Festung ist kompromittiert . Du kannst nicht gegen sie kämpfen , und Ergeben kommt nicht in Frage . Also bleibt nur die Flucht

David schüttelte beharrlich den Kopf . »Wenn es mir gelingt, mich bis zur Festung durchzuschlagen, dann besteht immer noch die Chance, Kontakt mit der Versammlung der Lords aufzunehmen. Ich werde ihnen zeigen, was hier auf Virimonde geschieht und was die Löwenstein einem der ihren zufügt.

Wenn so etwas hier auf Virimonde geschehen kann, dann ist kein Lord mehr vor der Eisernen Hexe sicher

»Sie werden sich trotzdem nicht einmischen«, entgegnete Kit .

»Niemand hat gegen Owens Verbannung Einspruch erhoben, oder hast du das vergessen? Solange die Imperatorin die bewaffneten Streitkräfte und ihre Kriegsmaschinen im Rücken weiß, wird kein Lord das Risiko eingehen, sich mit ihr anzulegen.«

»Dann werde ich das, was hier geschieht, über einen offenen Kanal ins Imperium hinaus übertragen. Jeder im Imperium soll sehen, was im Namen der Imperatorin auf Virimonde geschieht

»Deine Festung befindet sich aller Wahrscheinlichkeit nach längst in der Hand des Stewards«, erinnerte Kit ihn geduldig .

»Dann werden wir sie ihm wieder wegnehmen!«

Kit nahm David bei den Schultern und sah dem Freund tief in die Augen. »David, laß es bleiben! Sie sind nur Bauern! Sie haben nichts mit uns zu tun! Virimonde ist verloren. Es war bereits verloren, als die Löwenstein beschloß, ihre Truppen und Kriegsmaschinen zu entsenden . Wir können nicht gegen sie kämpfen . Wir können nichts weiter tun als fliehen und hoffen, die eigene Haut zu retten.«

»Ich werde meine Leute nicht im Stich lassen!« sagte David tonlos.

»Sie sind nur Bauern!«

»Und was ist mit Alice und mir?« fragte Jenny von der anderen Seite des Raums her.

»Was soll mit euch sein?« entgegnete Kit.

»Du Bastard! Du würdest tatsächlich einfach weglaufen und uns zurücklassen!«

»Niemand läßt irgend jemanden zurück« erklärte David.

»Unser Flieger steht noch immer in der Scheune. Er kann vier Leute tragen. Irgendwo muß es doch organisierten Widerstand geben! Du und Alice, ihr bringt uns zu den nächstgelegenen Rebellennestern, und zusammen werden wir die Festung zu-rückerobern . Stevie Blues?«

Die beiden Klone sahen ihn vom Eingang her an. »Was gibt’s?«

»Wir verschwinden von hier. Kommt Ihr mit?«

»Wohl kaum«, erwiderte Stevie Eins. »Sobald Ihr sicher auf dem Weg seid, sind wir nicht mehr für Euch verantwortlich.

Wir werden zur nächsten Stadt aufbrechen, die noch nicht überrannt wurde, den Widerstand organisieren und überall dort sein, wo wir den größten Schaden anrichten können.«

»Genau das werden wir«, bestätigte Stevie Drei und stieß ei-ne Faust in die Luft. Blaue Flammen knisterten bösartig um ihre Hand.

»Dann ist es jetzt Zeit«, sagte David. Er blickte sich um, als sähe er die Taverne zum ersten Mal. »Ich hätte auf Owen hören sollen. Er hat versucht, mich zu warnen. Verdammt, ich wünschte nur, ich hätte ein paar Stunden länger geschlafen.

Der Schock hat den Nebel aus meinem Schädel vertrieben; aber ich fühle mich wie ein Haufen Scheiße.« Er unterbrach sich und sah einen langen Augenblick seinen Freund Kit an.

»Kit, du mußt nicht mit uns kommen«, sagte er schließlich.

»Du wurdest nicht geächtet, und wahrscheinlich wissen sie nichts von deinen Verbindungen zum Untergrund, oder es ist ihnen zumindest egal. Du könntest dich von uns trennen und auf eigenen Faust…«

»Könnte ich nicht«, unterbrach ihn Kit. »Du bist mein Freund, David, und wenn du auch entschlossen bist, ohne jeden vernünftigen Grund für eine verlorene Sache zu kämpfen, dann lasse ich dich trotzdem nicht im Stich. Ich werde an deiner Seite stehen . Ich bin Kid Death, der lächelnde Killer, und ich werde meinen Freund nicht in der Stunde der Not allein lassen.«

»Du bist ein wirklich guter Freund, Kit«, sagte David und grinste. »Verschroben wie die Hölle und furchteinflößend, wenn man dich nicht kennt; aber du bist ein guter Freund…

Ach was, zur Hölle!« sagte er plötzlich . »Ich habe sowieso angefangen, mich zu langweilen. Alles war viel zu friedlich und still.«

»Verdammt richtig«, stimmte ihm Kit zu. »Die Ferien sind vorbei, und jetzt geht es wieder an die Arbeit. Wir sind einfach nicht fürs Nichtstun geschaffen.«

Sie drehten sich zu den beiden Frauen um. Alice hatte aufgehört zu weinen. Ihr Mund bebte und zitterte zwar noch immer, aber sie hatte sich wieder halbwegs unter Kontrolle.

»Wir bleiben bei euch«, sagte sie tonlos. »Das hier ist auch unsere Welt. Wir haben ein Recht darauf, sie zu verteidigen.«

»Selbstverständlich habt ihr das«, erwiderte David. »Vielleicht finden wir ja unterwegs eine Gelegenheit für ein wenig persönliche Rache. Und jetzt laßt uns endlich aufbrechen.«

Sie gingen zur Hintertür und winkten den beiden Stevies zum Abschied zu. Jenny funkelte Kit wütend an. »Wenn du uns aufhältst, Sommer-Eiland, dann werfen wir dich vom Flieger, und du kannst sehen, wie du alleine zurechtkommst. Verstanden?«

Kit lächelte seine Freundin fröhlich an. »Ich wußte schon immer, daß du eine Frau ganz nach meinem Geschmack bist.«

Valentin Wolf saß entspannt in einem bequemen Sessel in seinem langsamen, gepanzerten Kommandofahrzeug. Er befand sich weitab von allen Kämpfen und beobachtete Tod und Zerstörung und das Gemetzel an der Bevölkerung auf zahlreichen Schirmen, und er war zufrieden. Sämtliche Kommandos und Befehle an die Imperialen Streitkräfte oder die Kriegsmaschinen liefen über seine Systeme und lieferten ihm umfassende Kenntnis vom Fortschritt der Invasion sowie die individuelle Kontrolle über seine Roboterverbände. Valentin saß in einem massiven, isolierten Stahltank, umgeben von Kontrollinstru-menten, und das einzige Licht stammte von den Reihen leuchtender Monitore. Der zehn Fuß große, mit Technik vollgepack-te Kubus wäre der Alptraum eines jeden Klaustrophoben gewesen , doch Valentin störte es nicht im geringsten.

Zahlreiche Drogen rasten durch seine Adern und kämpften um die Kontrolle über seinen Körper und Geist; aber Valentins Wille hielt sie allesamt im Zaum. Bevor er auf Virimonde gelandet war , hatte er schließlich der Versuchung nachgegeben und die Esper-Droge genommen, und sein Verstand hatte sich geöffnet wie die Blüte einer giftigen Blume. Er besaß nun direkte Kontrolle über seine autonomen Körperfunktionen, balancierte ein Hormon gegen das andere aus und schwebte ununterbrochen auf dem höchsten Punkt einer unendlichen Welle.

Und wenn das Universum und die Menschen darin nicht mehr ganz so real schienen – nun, daran war Valentin seit langem gewöhnt. Es war schließlich alles nur eine Frage der Dosie-rung. Er konnte schneller denken, weiter sehen und genauer im voraus planen als je zuvor, sogar während seine Emotionen Kapriolen schlugen und gewaltige Gefühlsstürme gegen die unnachgiebigen Felsen seiner Selbstbeherrschung anbrausten.

Valentin Wolf war in seinem Element, und er genoß es in vollen Zügen. Die Chemie seines Gehirns war so sehr verändert, daß es kein Zurück mehr gab, und er hätte nicht glücklicher sein können.

Menschen und Ereignisse waren vor seinem überscharfen geistigen Auge transparent geworden, bloße Dinge und Informationen, die er zu seinem größtmöglichen Vorteil manipulieren konnte. Valentin konnte zum Imperator werden, wenn er es wollte; doch er war nicht sicher, ob er sich der Mühe unterziehen sollte. Denn trotz all seiner chemischen Höhenflüge war er noch immer auf der Suche nach der ultimativen Droge, dem ultimativen Nervenkitzel und Wunder. Valentin wußte nicht genau, wie sie aussehen sollte oder wo er sie finden konnte, nur daß es sie gab, das stand für ihn außer Zweifel, und daß er sie noch nicht gefunden hatte. Da war noch immer etwas außerhalb seiner Reichweite, ein Schritt, den er noch gehen mußte; Valentin konnte es förmlich spüren. Und er wollte es. Er war bereit, jedes lebende Ding im Imperium dafür zu opfern.

Und bis es soweit war, beschäftigte er sich mit der Zerstörung Virimondes. Es war ein angenehmer, kurzweiliger Zeit-vertreib. Er beobachte seine Kriegsmaschinen bei der Zerstörung ganzer Städte und dem Abschlachten der Bevölkerung, und er lachte still in sich hinein. Sein großer purpurner Mund war eine klaffende Wunde in dem totenblassen Gesicht. Valentin erfreute sich über alle Maßen an dem endlosen Sterben und der Zerstörung , genoß es wie ein Festmahl aus zahlreichen köstlichen Gängen. Er stand im Begriff, ein Monster zu werden, und er wußte es. Er sonnte sich darin.

Die Maschinen gehorchten seinen Befehlen, wurden allein von seinem Willen gesteuert. Seine fortwährende Allianz mit den abtrünnigen KIs von Shub hatte ihm den Zugang zu Technologien eröffnet, die weiter entwickelt waren als alles, was das Imperium je hatte. Das letzte Geschenk war ein Lektronen-system gewesen, mit dessen Hilfe er sein Bewußtsein mit den metallenen Gedanken der Kriegsmaschinen verschmelzen und jede ihrer Erfahrung miterleben konnte. Valentin konnte zu einem Kriegswagen oder zu einem Androiden werden, in einem stählernen Kopf leben und sie steuern, wie er seinen eigenen Körper steuerte. Er konnte mit Hilfe ihrer Sensoren eine ganz neue Welt entdecken, die weit über das hinausging, was seine eigenen beschränkten menschlichen Sinne wahrnahmen.

Er konnte durch Wände brechen, hoch in der Luft über Gebäuden kreisen und auf stählernen Füßen durch Scharen angreifender menschlicher Gegner waten und sie mit stählernen Fäusten niederstrecken. Niemand sonst wäre dazu imstande gewesen; doch Valentins Verstand hatte sich durch Drogen, ESP und die Technologie Shubs so sehr verändert, daß er nicht mehr menschlich war. Valentin hatte sorgfältig darauf geachtet, diese Tatsache vor der Löwenstein zu verbergen. Die Eiserne Hexe war der Meinung, jeder könne die Kriegsmaschinen kontrollieren wie Valentin, sobald er das neue System erst einmal beherrschte. Valentin hatte sie in dem Glauben gelassen, weil es ihm gelegen kam.

Ihr Befehl, Virimonde zu erobern, hatte ihm eine Gelegenheit verschafft herauszufinden, wozu er und seine Technologie imstande waren.

Das Schlachten und Zerstören und das Leiden der Menschen war so herzerfrischend kurzweilig. Valentin fürchtete sich vor der Langeweile, wie vor nichts anderem auf der Welt, und er hatte die meisten gewöhnlichen Sünden und Laster längst bis obenhin satt.

Noch während sein Verstand in den Maschinen weilte, einzeln und in Massen, plante er die nächsten Schritte. Die gleichen Wissenschaftler, die früher den Hohen Lord Dram belie-fert hatten, versorgten inzwischen Valentin mit der Esper-Droge. Valentin hatte eine Kombination aus Drohung und Bestechung eingesetzt, und jetzt war er in ihrem Besitz. Und da der Hohe Lord Dram die unendlich abhängig machende Droge nicht mehr zu benötigen schien, wußte Valentin, daß er nicht der echte Dram sein konnte. Aber wer auch immer er sein mochte, eine Furie war er nicht; Shub hatte ihm das bestätigt, und die KIs hatten keinen Grund, Valentin zu belügen. Also blieben nur zwei Möglichkeiten: Dram war ein Klon, oder ein Fremdwesen hatte seinen Platz eingenommen. Beides eröffnete faszinierende Perspektiven. Für den Augenblick behielt Valentin sein Wissen für sich. Wissen war Macht. Vielleicht würde er zu einem späteren Zeitpunkt sein Wissen gebrauchen, um den falschen Dram zu kontrollieren… oder um ihn zu zerstören. Alles hing davon ab, wie Valentin sich zu jenem Zeitpunkt fühlen würde. Er liebte es, seinen Impulsen zu folgen.

Der Gedanke ließ sein Grinsen noch breiter werden, und er wandte den Blick zu dem Ergebnis seines letzten Impulses. Auf einem Regal stand ein durchsichtiges Glas, das vor Drähten und Anschlüssen nur so starrte , und darin schwamm das , was von dem namhaften Wissenschaftler Professor Wax noch übriggeblieben war, jenem Mann, der nach dem Willen der Löwenstein Valentin bei seinem Einsatz begleiten und assistieren und den Gebrauch der Kriegsmaschinen beobachten sollte.

Valentin hatte sich nicht einen Augenblick lang täuschen lassen. Er erkannte einen Spion auf den ersten Blick. Also hatte er geeignete Schritte unternommen, um sicherzugehen, daß der Professor zwar immer noch alles beobachten, ihn aber nicht mehr stören konnte. Um genau zu sein: Valentin hatte dem Mann den Kopf abgeschlagen, und der Kopf war es, der sich jetzt in dem Glas befand.

Das Gehirn war direkt mit der Kommunikationsanlage von Valentins Kommandofahrzeug verbunden, so daß es alles sehen konnte, was geschah. Anfänglich hatte der Professor laut protestiert und geschrien; doch Valentin hatte einfach den Lautsprecher abgeschaltet, und irgendwann hatte der Kopf aufgegeben. Jetzt beschäftigte er sich die meiste Zeit damit, die Monitore zu beobachten und zu schmollen. Zweifellos würde die Löwenstein ihm wegen dieser Geschichte eine Strafpredigt halten, doch Valentin war ganz sicher, daß er imstande war, ihrem Imperialen Ärger zu entgehen. Es war ihm bisher immer gelungen. Und bis dahin machte sich der Kopf auf dem Regal als Raumdekoration gar nicht schlecht.

Valentin erfreute sich an dem Anblick des langen weißen Haars und des Schnurrbarts, die in der konservierenden Flüssigkeit des Glases schwebten, und an der Art und Weise, wie die Augen hervorquollen, wenn der Professor wütend wurde.

Darüber hinaus war Wax derjenige gewesen, der den größten Teil der Maschinen konstruiert hatte, die jetzt Valentins Befehlen gehorchten; also bestand immer noch die wenn auch kleine Chance, daß Wax’ Kenntnisse sich als nützlich erweisen konnten.

»Wie fühlt Ihr Euch, Professor?« fragte Valentin freundlich.

»Kann ich irgend etwas für Euch tun? Vielleicht wollt Ihr einige der blutigeren Kampfszenen noch einmal sehen?«

»Ich erfreue mich nicht an derartigen Dingen«, kam die steife Antwort des Kopfes durch den Lautsprecher. »Ich bin nicht wie Ihr. Ich interessiere mich für nichts anderes als für die Leistungen meiner Kreationen.«

»Ich hätte Euch im Leben nicht für zimperlich gehalten, Professor«, sagte Valentin. »Jedenfalls nicht nach den Tausenden von Tieren, die Ihr im Laufe Eurer Tests verstümmelt, zerfetzt und in den Tierhimmel geschickt habt, um die Fehler und Schwachstellen Eurer wunderbaren Maschinen auszumerzen.

Betrachtet doch die Rebellen hier einfach als besonders große Laborratten.«

»Die Rebellen sind mir egal«, erwiderte Wax. »Ihr Schicksal läßt mich vollkommen kalt. Mir interessiert einzig und allein, wie sich meine Maschinen schlagen.«

»Es sind nicht Eure Maschinen, Professor. Nicht mehr. Erst die technischen Erweiterungen, die ich in Eure Maschinen eingesetzt habe, versetzten sie in die Lage, im Feld zu bestehen.

Deswegen hat die Imperatorin mir ja auch den Befehl übertragen. Ich bin der Befehlshabende, und Ihr seid ein Kopf im Glas. Wollt Ihr vielleicht die Maschinen mit Hilfe meiner Kommlinks beobachten?«

»Ihr wißt ganz genau, daß ich das nicht kann! Ich glaube, niemand kann das außer Euch. Was ich im Grunde genommen sehr merkwürdig finde. Ihr nicht auch, Wolf? Weder Ihr noch die von Euch finanzierten Labors haben jemals etwas Vergleichbares produziert, und das bedeutet, daß Ihr Hilfe gehabt haben müßt. Hilfe von außerhalb. Ich frage mich von wem, Wolf. Ist es möglich, daß Ihr die Identität Eurer Komplizen deswegen geheimhaltet, weil Ihr wißt, daß die Löwenstein nicht erfreut wäre? Mit wem habt Ihr Eure schmutzigen Geschäfte gemacht, Wolf?«

»Ihr betretet gefährliches Gebiet, Professor«, sagte Valentin leise. »Ich gebe Euch den guten Rat, die Sache auf sich beruhen zu lassen, solange Ihr noch dazu in der Lage seid.«

»Oder was? Wollt Ihr mir vielleicht den Kopf abschlagen und in ein Marmeladenglas stecken?«

»Es gibt schlimmere Dinge, die Euch zustoßen könnten, Professor«, entgegnete Valentin. »Glaubt mir, viel schlimmere Dinge.«

Der Kopf im Glas murmelte ein paar unverständliche Worte und verstummte dann. Er schmollte wieder. Valentin grinste und konzentrierte sich wieder auf seine mentale Verbindung mit den Kriegsmaschinen. Im einen Augenblick war er ein Kampfandroid, der über ein frisch gepflügtes Feld stapfte. Das Gewicht des stählernen Kolosses ließ die Füße tief in die weiche Erde einsinken. Valentin griff mit seinem Bewußtsein nach draußen und war plötzlich ein ganzes Dutzend metallener Männer, dann eine Hundertschaft, die im Gleichschritt über das weite Feld marschierte. Ihre Füße hoben und senkten sich in vollendetem Gleichschritt, hundert Roboter mit menschlichen Formen und einem einzigen Ziel vor Augen, und sie bewegten sich wie ein Mann.

Sie marschierten über den Horizont hinaus und in eine Stadt.

Rebellen stürmten hervor und stellten sich den Angreifern mit Farmgeräten und gelegentlich mit einer Projektilwaffe. Klingen und Kugeln prallten wirkungslos von den stählernen Kolossen ab. Die Roboter packten die Rebellen und rissen ihnen die Gliedmaßen aus, eins nach dem anderen, brachen ihnen die Hälse mit stählernen Handkantenschlägen und rissen ihnen mit gezackten Metallhaken die Eingeweide heraus. Es war unvermeidlich, daß auch die Roboter ein paar Schäden davontrugen; doch solange auch nur noch ein Funken Energie in ihren System war, drängten sie weiter vor, marschierten, humpelten oder krochen auf den Rümpfen und hielten nicht einen Augenblick inne. Männer, Frauen und Kinder starben schreiend unter den stählernen Händen, und Valentin war mittendrin.

Er hatte sich gewundert, warum die KIs von Shub dar auf bestanden hatten, ihm dieses ganz spezielle Geschenk mitzugeben; doch jetzt glaubte er den Grund dafür zu kennen. Es war ihre Art, Valentin zu zeigen, was für ein Gefühl es war, lebendes Metall zu sein, umgeben von der Sicherheit von Stahl und Technik, frei von den Beschränkungen des Fleisches. Valentins purpurnes Lächeln reichte inzwischen von einem Ohr zum andern, und eine neue Befriedigung schimmerte in seinen lidschatten-umgebenen, fieberglänzenden Augen. Er verteilte sein Bewußtsein jetzt über die gesamte Armee aus Metall, wuchs unaufhörlich weiter und erblühte gleichzeitig in jedem einzelnen System.

Sein künstlich stimuliertes, drogenerweitertes Bewußtsein lebte im Innern jeder einzelnen Kriegsmaschine Virimondes, und er genoß jede einzelne Sekunde dieser Erfahrung.

Der Mann, der jetzt der Hohe Lord Dram war, führte seine Truppen unter lautem Geschrei durch die brennenden Straßen einer kleinen Stadt. Auf beiden Seiten standen brennende Ge-bäude, und dicker schwarzer Rauch stieg in den frühen Morgenhimmel. Die Hitze der Brände schmerzte auf dem ungeschützten Gesicht und den Händen, und glühende Asche schwebte in der Luft. Drams Männer schwärmten aus und stürmten durch Seitenstraßen und Gassen auf der Suche nach Widerstandsnestern. Plötzlich gab es Verluste in den Reihen der Angreifer. Heckenschützen hatten das Feuer eröffnet. Sie saßen im oberen Stockwerk eines noch unzerstörten Hauses ein Stück weiter vorn. Dram brüllte Befehle, und ein Dutzend Disruptoren feuerten gleichzeitig. Die Energiefinger zerfetzten das Obergeschoß des Gebäudes, und ein Trümmerregen und rote Wolken von pulverisierten Ziegelsteinen ergossen sich auf die Straße. Dram ordnete an, vorsichtshalber noch ein paar Split-tergranaten ins untere Stockwerk zu werfen; dann marschierten sie weiter. Dram führte seine Truppen an, den Disruptor in der einen, das Schwert in der anderen Hand. Blut troff von seiner Klinge. Überall ringsum ertönten Schreie und das Donnern von Explosionen, und Dram grinste so breit, daß seine Wangen schmerzten. Das war es, wofür er geboren war, wofür er geschaffen und auserwählt worden war, und er liebte jede einzelne Minute seines Handelns.

Eigentlich hätte er gar nicht hier unten auf dem Planeten sein sollen. Er hätte im Orbit und in Sicherheit bleiben und die Operation von dort aus leiten sollen und General Beckett erlauben, sich um die praktische Seite der ganzen Angelegenheit zu kümmern. Dram hatte anfänglich auch genau das getan; doch seine guten Absichten waren rasch dahingeschmolzen, als die Kämpfe eingesetzt hatten. Er hatte alles von den Monitoren auf der Brücke der Elegance aus beobachtet, versorgt von einem ununterbrochenen Strom neuer Informationen, und sein Blut war beim Anblick der Schlacht in Wallung geraten. Zuerst hatte er seine Männer noch mit größtmöglicher Effizienz zu steuern versucht, hatte nur die umbringen lassen, die getötet werden mußten und die Zerstörung der Städte und Dörfer auf das absolut notwendige Minimum beschränkt. Doch all das war mit einem Schlag vorbei gewesen, als die Rebellen plötzlich wie aus dem Nichts Waffen zum Vorschein gebracht und erbitterten Widerstand geleistet hatten. Dram hatte zugesehen, wie seine Männer starben und die Rebellen ihm die Stirn zu bieten wagten, und nackte Wut hatte ihn ergriffen, daß diese Bauern ihn herausforderten. Er hatte sie geschont, und das war der Dank dafür. Dram sah seine Männer sterben und wußte, daß er unten bei ihnen sein mußte, mitten im Schlachtgetümmel, wo er sie zum Sieg führen und persönlich diese frechen Bauern niederstrecken würde.

Er brauchte den Geruch von Blut und Tod und das Gefühl, wie seine Klinge tief in lebendes Fleisch eindrang und von Knochen abprallte. Und so schlug er Becketts Warnungen und Ratschläge in den Wind und landete mit der nächsten abgehen-den Pinasse mitten in der Hölle.

Er liebte es. Er schwang das Schwert mit einem Arm, der niemals zu ermüden schien, und niemand konnte ihm widerstehen. Er war der Oberste Krieger, der Witwenmacher, und er war alles, was das Original gewesen war und noch mehr. Er blieb an der Spitze seiner Truppen, überrannte Widerstandsnester der Rebellen mit Disruptoren und Granaten, und er führte seine Männer von einem glorreichen Sieg zum nächsten.

Ringsum gingen Häuser in Flammen auf; überall lagen toten Rebellen, und die Überlebenden flüchteten – und Dram hatte sich noch nie in seinem erst kurzen Leben so sicher gefühlt wie in diesen Augenblicken der Schlacht.

Das Herz hämmerte ihm in der Brust; sein Atem ging rauh und schnell, doch er fühlte sich, als könne er für immer so weiterkämpfen und sich niemals nach etwas anderem sehnen. Hin und wieder dämmerte ihm, daß er nicht gegen einen gesichtslo-sen Feind kämpfte, sondern daß die Leute, die er tötete, Seelen und Leben und ihre ganz persönlichen Geschichten hatten, daß Eltern oder Kinder um sie trauern würden; doch selbst das machte ihm nichts aus. Sie hatten ihn und seine Imperatorin herausgefordert, und das war die einzig mögliche Antwort darauf . Hätten sie sich ergeben , würde er sie verschont haben . Er war sicher, daß er sie verschont hätte. Sie wären vor Gericht gestellt worden. Viele wären zwar ohnehin exekutiert worden; doch für das jetzt stattfindende Gemetzel und Blutvergießen trugen sie ganz allein die Verantwortung, nicht Dram.

Und so marschierte er durch die engen kopfsteingepflasterten Straßen der Städte und tötete Menschen, weil er das Recht auf seiner Seite wußte – jedenfalls die meiste Zeit über; aber darauf gab er sowieso einen verdammten Dreck. Und das Wichtigste: Er amüsierte sich königlich dabei.

Hin und wieder ertönte General Becketts Stimme in Drams Komm-Implantat, die ihm riet, daß er genug getan habe, und daß er sich zurückziehen solle, während die Truppen den Rest erledigten; aber Dram hörte nicht darauf. Er wußte, daß er dort war, wo man ihn brauchte. Und als Becketts Stimme rauh wurde und Drams Handlungsweise und seine Motive in Frage stellte, da lachte der Hohe Lord nur und lud Beckett ein, selbst nach unten zu kommen und sich die Hände blutig zu machen. Beckett weigerte sich, und Dram lachte erneut. Nach der Unter-werfung dieses Dorfes hier würde es weitere geben, und dann kamen die Städte an die Reihe. Es gab noch jede Menge Arbeit, und Dram konnte kaum erwarten, damit anzufangen .

Irgendwann fragte er sich, ob sein Original genau das gleiche gespürt hatte, wenn er in den Kampf gezogen war. Er genoß die Vorstellung. Er war mehr als nur ein Schatten des ursprünglichen Hohen Lords Dram. Der erste Dram lebte in ihm weiter, geführt und geformt durch das Vermächtnis seiner Tagebücher und das Feuer, das in Dram dem Klon brannte. Jetzt war er der Oberste Krieger durch Volkes Wahl, der Echte Lord Dram und Witwenmacher , und das Schicksal hatte ihn seiner Bestimmung zugeführt.

Er marschierte vorwärts, durch Blut und Tod und die Feuer der Hölle, und niemand vermochte auch nur, sich ihm zu nähern. Es war, als wäre er… gesegnet. Und nicht ein einziges Mal stellte er sich die Frage, von wem oder warum.

Kapitän Schwejksam, Investigator Frost und Sicherheitsoffizier K. Stelmach stolperten aus den Trümmern ihrer abgestürzten Pinasse und rannten in den unvollkommenen Schutz eines ausgebrannten Gebäudes. Die Kriegsmaschinen waren überall, große und kleine, und sie zerstörten mit erbarmungsloser, unmenschlicher Präzision das, was einmal eine mittelgroße, von Menschen bewohnte Stadt gewesen war. Energiestrahlen blitzten in alle Richtungen, zerfetzten Mauerwerk und setzten Balken und strohgedeckte Dächer in Brand. Eben solch ein Strahl hatte auch die Pinasse getroffen, trotz der Sicherheitskodes, die Schwejksam ununterbrochen ausgestrahlt hatte. Investigator Frost hatte das Schiff und seine Insassen wiederholt über die Kommunikationsanlage angekündigt; doch niemand hatte ihnen zugehört. Die Disruptorstrahlen waren weiterhin aus dem dichten Rauch über der Stadt in den Himmel gezuckt und hatten immer und immer wieder die schwachen Schutzschirme des kleinen Schiffs durchschlagen. Die Maschinen waren nicht mehr rund gelaufen, und in der Kabine war Feuer ausgebrochen. Schwejksam hatte keine andere Wahl mehr gehabt, als eine Notlandung durchzuführen. Sie waren durch den Rauch-vorhang gebrochen und zwischen hohen Gebäuden und noch höheren Kriegsmaschinen hindurchgeschlittert. Schwejksam hatte die breiteste Straße in der unmittelbaren Umgebung ausgewählt und die Pinasse gelandet. Nur um Haaresbreite waren sie einem richtigen Absturz entgangen. Das Schiff war allerdings verdammt hart aufgeprallt und über die halbe Straße ge-rutscht, bevor es mit der Nase in eine Mauer gekracht war.

Aber die Pinasse hatte gehalten, und die Maschinen waren nicht explodiert. Und Schwejksam besaß genug Verstand, um seinem Schöpfer dankbar dafür zu sein.

Die drei kauerten sich in den Überresten des Gebäudes zusammen, die wenig mehr waren als nur ein halbes Dutzend feuer- und rußgeschwärzter Mauern, durchlöchert von unzähligen Disruptorstrahlen, sowie einem halben Dach, das noch immer leise vor sich hin schwelte. Schwejksam und Frost spähten abwechselnd durch das zersplitterte Fenster nach draußen.

Die Kriegsmaschinen donnerten hin und her und stampften die verbliebenen Gebäude in Grund und Boden. Feuer loderten; Menschen schrien, und Roboter in Menschengestalt trieben die Überlebenden zusammen und töteten sie mit schrecklicher Effizienz. Überall ertönten die Geräusche einer sterbenden Stadt und des Triumphs der Maschinen.

Schwejksam überprüfte die Ladung seines Disruptors und brummte wütend etwas über Köpfe, die bei seiner Rückkehr an Bord der Elegance rollen würden. Investigator Frost war gelassen wie immer und schätzte ihre Chancen mit professionellem Blick ab. Ohne die Sicherheitskodes, die Drams Bodentruppen verwendeten, würden die Kriegsmaschinen in den drei Notge-landeten legitime Ziele sehen, weiter nichts. Stelmach lehnte mit dem Rücken gegen eine Wand. Er weigerte sich, den Kopf aus dem Fenster zu stecken. Sein Herz klopfte wild, und er hatte Mühe zu atmen, aber die Waffe lag ruhig in seiner Hand.

Die Gegenwart von Schwejksam und Frost hatte ihn härter gemacht, als er selbst es für möglich gehalten hatte. Schwejksam wechselte einen Blick mit Frost.

»Wie weit sind wir von unserem geplanten Einsatzort entfernt?«

»Nach den letzten Anzeigen der Pinasse zu urteilen nicht besonders weit. Vielleicht eine halbe Meile. Unter normalen Um-ständen ein Spaziergang.«

»Das hier sind definitiv keine normalen Umstände.«

Schwejksam schnitt eine Grimasse, während er ihre Chancen abwog. »Wie die Dinge stehen, ist eine halbe Meile verdammt weit. Selbst für uns. Investigator, versucht noch einmal, die Todtsteltzer-Festung anzufunken.«

Frost betätigte ihr Komm-Implantat und schüttelte den Kopf.

»Keine Antwort. Die Kriegsmaschinen blockieren sämtliche Frequenzen außer ihren eigenen, und ich kenne ihre Sicherheitskodes nicht. Wir können nicht mit ihnen in Kontakt treten.

Sieht ganz danach aus, als müßten wir es aus eigener Kraft bis zur Festung schaffen.«

»Wir werden sterben«, murmelte Stelmach.

»Ein Spaziergang durch den Park«, erwiderte Schwejksam steif. »Also schön. Dort draußen läuft eine höllische Menge von Kriegsmaschinen herum; aber ihre Hauptaufgabe besteht in der Zerstörung der Stadt, und die Androiden sind nur damit beschäftigt, jeglichen Widerstand zu brechen. Solange wir die Köpfe unten halten und uns nicht einmischen, sollten wir halbwegs sicher sein.«

»›Sollten‹ ist genau das richtige Wort«, sagte Stelmach.

»Können wir nicht einfach hierbleiben und warten, bis es den Maschinen zu langweilig wird und sie weiterziehen?«

Und dann explodierte das Nachbargebäude in einer Wolke aus Rauch und Feuer, und Steinsplitter flogen durch die Gegend. Die drei zuckten zusammen. Eine Kriegsmaschine hatte das Haus mit ihren Disruptoren unter Beschuß genommen. Der Boden erzitterte unter den Füßen der Menschen, und ihr zertrümmertes Versteck ächzte und drohte vollends einzustürzen .

Ein gezackter Riß verlief quer durch die Wand, an die sich Stelmach gelehnt hatte, und er sprang erschrocken nach vorn .

Rinnsale aus Staub und Ruß rieselten aus der zerstörten Decke.

Flammen züngelten auf und verbrannten, was vom Nachbar-haus noch übrig war, und Schwejksam mußte vor der Hitze weichen, die durch das zerstörte Fenster drang.

»Diese Maschinen werden erst aufhören, wenn nichts mehr außer Trümmern übrig ist«, erklärte er tonlos. »Wir müssen rennen. Haltet Euch dicht bei uns, Stelmach, und Euch wird nichts geschehen.«

»Könnt Ihr mir das schriftlich geben?« erkundigte sich der Sicherheitsoffizier.

»Ihr könnt meinen Stiefelabdruck auf Eurem Hintern haben, wenn Ihr nicht bald aufhört zu jammern«, erwiderte Frost.

»Und jetzt setzt Euch gefälligst in Bewegung, sonst bringe ich Euch um.«

Stelmach funkelte Frost herausfordernd an; doch er besaß genug Verstand zu schweigen. Investigatoren waren nicht gerade für ihre Toleranz berühmt . Schwejksam schlich zu dem freien Raum, wo einmal eine Tür gewesen war, und spähte vorsichtig nach draußen. Der Großteil der Kriegsmaschinen schien sich zu entfernen . Die riesigen Kampfwagen rollten langsam und unaufhaltsam durch den Rauch davon . Andere Maschinen flogen hinterher, und ihre Disruptoren feuerten noch immer auf das hinunter, was von den Gebäuden der Stadt übriggeblieben war. Roboter in Menschengestalt stapften den Kolossen hinterher, und auf ihren Metallgliedern trocknete das Blut ihrer Opfer. Schwejksam starrte sie an und fühlte sich mit einemmal klein und unbedeutend. Er war nicht an dieses Ge-fühl gewöhnt, und er haßte es schon jetzt . Schließlich drehte er sich wieder zu den anderen um.

»In Ordnung. Wir verschwinden jetzt, solange die Rebellen noch genug Widerstand leisten, um die Kriegsmaschinen zu beschäftigen. Wenn wir es aus der Stadt hinaus schaffen, dann wird der Weg zur Festung relativ leicht. Investigator, wir rennen davon, ohne zu kämpfen. Ich möchte nicht, daß Ihr Euch in irgendeiner Form destruktiv betätigt . Es könnte die Aufmerksamkeit der Maschinen auf uns lenken . Habt Ihr mich verstanden?«

»Selbstverständlich, Kapitän«, antwortete Frost. »Ich soll mich anstrengen und nicht meine Beherrschung verlieren.«

»Das wäre das erste Mal«, murmelte Stelmach und verstummte, als Investigator Frost ihn mit kalten Blicken musterte.

»Los, Leute«, befahl Schwejksam und führte die kleine Gruppe durch das Loch nach draußen, wo früher einmal eine Tür gewesen war.

Sie blieben in Deckung, so gut es ging, und sie tauchten unter und rührten sich nicht mehr, wann immer eine der Maschinen zu nahe zu kommen drohte. Stelmach war außer sich vor Angst; doch er biß die Zähne zusammen, ballte die Fäuste und behielt seine Furcht für sich. Er wußte, warum die Kriegsmaschinen ihre Pinasse angegriffen hatten . Vorher, an Bord der Elegance, hatte General Beckett persönlich Stelmach auf die Seite genommen und ihm den Befehl erteilt, die Sicherheitskodes der Pinasse zu verändern, um sicherzustellen, daß sie in freundliches Feuer gerieten, wenn schon nicht in das der Rebellen . Die Imperatorin wollte unbedingt, daß Schwejksam und Frost mitten in die Kampfhandlungen gerieten, damit die beiden eine Gelegenheit erhielten , ihre angeblichen Kräfte zu demonstrieren. Und wenn sich keine natürliche Gelegenheit ergab, dann war Stelmach angewiesen, eine herbeizuführen, was auch immer dazu erforderlich sein sollte, um anschließend die Resultate zu berichten.

Stelmach hätte den Auftrag am liebsten abgelehnt. Er hatte Frost und Schwejksam warnen wollen. Aber er hatte es nicht getan. Er konnte nicht. Sie waren seine Freunde; doch er hatte seine Befehle vom Eisernen Thron persönlich erhalten. Die Loyalität gegenüber seinen Freunden stand der Loyalität gegenüber dem Thron entgegen, und Stelmach hatte einen Eid auf seinen Namen und seine Ehre geschworen, der Imperatorin für den Rest seiner Tage zu dienen – bis zum Tod, wenn es sein mußte. Seine Pflicht war sonnenklar, und trotzdem fühlte er sich nun, da er zwischen all dem Feuer und der Zerstörung runter Frost und Schwejksam herstolperte, so schlecht, daß er am liebsten im Erdboden wäre.

Er dachte so angestrengt über seine Lage nach, daß er den Kampfandroiden gar nicht bemerkte, der plötzlich aus einer Seitengasse trat und den Disruptor auf ihn richtete. Frost sah es und stieß Stelmach im letzten Augenblick zur Seite, und der Sicherheitsoffizier fiel auf die Knie. Der Energiestrahl ging über seinen Kopf hinweg und schlug in die Wand hinter ihm ein. Die obere Hälfte der Mauer verschwand in einer Wolke aus Ziegelstaub; doch die untere Hälfte kippte nach vorn und brach über Stelmach zusammen. Er schrie kurz auf und riß die Arme hoch, um seinen Kopf zu schützen; dann begruben ihn die Ziegel unter sich.

Schwejksam schoß dem Roboter mit einem einzigen Schuß den grinsenden Kopf weg; doch der Androide fiel nicht. Also schoß Frost ihm das Knie weg, nur um sicherzugehen. Der Androide krachte klappernd zu Boden und ruderte hilflos mit den verbliebenen Gliedmaßen. Frost trat vor, wand ihm den Disruptor aus der Hand und schoß der Maschine in die Brust. Sie rührte sich nicht mehr.

Schwejksam und Frost steckten ihre Waffen wieder weg und eilten zu dem Trümmerhaufen, unter dem Stelmach begraben lag. Der Sicherheitsoffizier konnte hören, wie die beiden arbeiteten, doch zu sehen war nichts. Rauch und Staub hatten seine Augen mit Tränen gefüllt. Er spürte das Gewicht der eingestürzten Mauer auf seinem Körper; aber er schien nicht ernsthaft verletzt zu sein. Hände und Füße spürte er noch, obwohl er sich nicht einen Zoll bewegen konnte. Er war gefangen unter einer ganzen Tonne Mauerwerk, oder wenigstens erschien es ihm so. Er lag ganz still und atmete flach unter der schweren Last auf seiner Brust. Stelmach und Frost riefen seinen Namen; aber er fand nicht die Kraft, ihnen zu antworten . Seine Schmerzen waren ganz weit weg. Ein Gefühl von tiefem Frieden machte sich in ihm breit.

Und dann vernahm er das Geräusch heranstapfender Metallfüße. Schwejksam und Frost schienen es nicht bemerkt zu haben. Sie waren noch immer damit beschäftigt, Stelmach auszugraben. Der Sicherheitsoffizier blinzelte mit den Augen, so heftig er konnte, und irgendwie gelang es ihm, den Staub und die Tränen zu vertreiben. Er sah wieder, was um ihn herum vorging. Schwejksam und Frost hatten einen Freiraum um Stelmachs Gesicht herum gegraben, damit er atmen konnte, und als er an den beiden vorbeisah, die noch immer bemüht waren, ihn freizuschaufeln, erblickte er eine ganze Kompanie von Kampfandroiden. Sie marschierten die Straße herab genau auf die drei Menschen zu. Stelmach kam der Gedanke, daß er sich einfach nur still verhalten mußte. Die Roboter würden ihn wahrscheinlich gar nicht bemerken. Schließlich lag er noch immer unter Trümmern begraben. Sie würden Schwejksam und Frost töten und weiterziehen, und Stelmach wäre völlig sicher.

Er mußte nichts weiter tun, als den Mund halten . Aber er konnte nicht . Sie waren seine Freunde.

Er zwang sich zum Schreien, so laut er konnte. Schwejksam und Frost wirbelten herum, sahen die marschierenden Roboter, und ihre Hände sanken auf die Waffen in den Holstern . Erst dann fiel ihnen ein, daß sie ihre Disruptoren bereits gegen den ersten Androiden eingesetzt hatten und die Energiekristalle noch ein wenig Zeit benötigten, bevor die Waffen wieder schußbereit sein würden . Sie hatten nichts als ihre Schwerter.

Metallklingen gegen Maschinen aus Stahl, die noch dazu allesamt mit Disruptoren bewaffnet waren. Stelmach rief Schwejksam und Frost zu, sich in Sicherheit zu bringen und ihn zurückzulassen; aber sie rührten sich nicht. Sie sahen sich an, Auge in Auge, und schienen die herannahenden Roboter völlig zu ignorieren. Irgend etwas wechselte zwischen den beiden hin und her – Wut oder Verzweiflung oder irgendein Gefühl, das Resignation sein mochte –, und sie wandten sich zu den Androiden um, die in diesem Augenblick ihre Waffen hoben. Stelmach wollte seinen Freunden erneut zurufen, daß sie verschwinden sollten, aber er brachte aufgrund des Staubs in seiner Lunge keinen Ton mehr heraus.

Und dann erhob sich eine gewaltige Macht rings um Schwejksam und Frost, eine Präsenz, die wie gigantische Flügel auf die Luft einschlug und mächtiger und mächtiger wurde, bis sie in einer alles überschwemmenden Woge auf die Roboter zurollte und sie zerriß und ihre zerschmetterten Glieder über die Straße wehte. Und so schnell sie entstanden war, löste sich die unheimliche Präsenz auch wieder auf, und Schwejksam und Frost waren nur noch ganz gewöhnliche Menschen, nichts weiter.

Sie blickten sich einen langen Augenblick in die Augen, dann wandten sie sich zu Stelmach um, der noch immer unter den Trümmern gefangen war. Er konnte sehen, wie es in den Köpfen der beiden arbeitete. Er wußte, was sie dachten… was sie denken mußten. Und doch überraschte es ihn nicht, als sie sich über ihn beugten und erneut anfingen, die Ziegelsteine beiseite zu räumen. Sie waren eben nicht wie er.

Schließlich hatten sie Stelmach befreit, und Schwejksam stützte ihn, während Frost grob den Staub aus seinen Kleidern klopfte . Es dauerte eine Weile, bis sich der Nebel in Stelmachs Kopf gelichtet hatte, doch als es soweit war, befreite er sich aus Schwejksams Griff und stand aus eigener Kraft aufrecht.

»Ihr habt mich gerettet«, sagte er mit einer Stimme, die so rauh war, daß es unmöglich allein vom Staub kommen konnte.

»Das mußtet Ihr nicht tun.«

»Doch, mußten wir, Stelmach«, erwiderte Schwejksam. »Ihr gehört schließlich zur Familie. Ihr hättet für uns das gleiche getan.«

»Ihr versteht nicht«, sagte Stelmach. Er zwang die Worte förmlich über seine Lippen. »Ich bin dafür verantwortlich, daß wir hier sind. Ich habe die Pinasse sabotiert. Der Imperatorin sind Gerüchte über Eure… Kräfte zu Ohren gekommen. Sie wollte einen Beweis. Also hat sie mir den Befehl erteilt, Euch in Gefahr zu bringen und dann zu beobachten.«

»Vertraue niemals einem Sicherheitsoffizier«, bemerkte Frost. Ihre Hand fiel auf den Griff des Disruptors. Stelmach rührte sich nicht.

»Er hätte es für sich behalten können«, sagte Schwejksam.

»Nein, hätte ich nicht«, widersprach der Sicherheitsoffizier.

»Wir sind eine Familie.«

Er grinste Schwejksam an , und Schwejksam erwiderte das Grinsen. Frost nickte nur – was für einen Investigator, der sich sonst nur am Töten erfreute, soviel wie ein Lächeln bedeutete – und nahm die Hand wieder von der Waffe.

»So«, sagte sie. »Und was machen wir jetzt?«

»Als erstes konzentrieren wir uns darauf, lebend zur Festung zu kommen«, antwortete Schwejksam. »Alles andere kann warten. Wir denken uns etwas aus. Uns ist bisher immer etwas eingefallen.«

»Ich hasse dieses ständige Improvisieren«, murrte Frost.

Sie zogen durch die Überreste der Stadt und kamen jetzt schneller voran, da sie sich nicht mehr länger vor den Kriegsmaschinen verstecken mußten. Schwejksam und Frost beschworen erneut ihre geheimnisvolle Kraft und verbargen sich und Stelmach vor den Sensoren der Maschinen. So beobachteten sie unangetastet, wie Roboter durch die Straße marschierten und eine verzweifelte Schar von Flüchtlingen vor sich her trieben. Männer, Frauen und Kinder rannten vor den Angreifern mit der Kraft der Todesangst davon, mit berstenden Lungen und ohne auf die Schmerzen in den Beinen zu achten. Die Langsamsten wurden ein Opfer der Maschinen, genau wie die, die nicht mehr weiterlaufen konnten. Roboter schlugen ihnen mit schnellen , präzisen Schlägen die Schädel ein. Blut strömte über die Pflastersteine und sammelte sich zäh in den Gullys.

Schließlich wurden die Roboter des Spiels überdrüssig , oder vielleicht hatten sie auch entschieden , daß ihre Prioritäten anderswo lagen. Sie fielen über die Flüchtlinge her und über-mannten sie innerhalb von Sekunden. Sie rissen ihnen die Gliedmaßen aus und metzelten alles nieder , was sich bewegte, bevor sie weiterzogen. Ihre metallenen Füße stampften durch einen See aus Blut und Eingeweiden. Die ganze Sache hatte nur Sekunden gedauert. Sie marschierten direkt an Frost, Schwejksam und Stelmach vorbei, ohne die drei zu bemerken .

Stelmach sah Schwejksam und Frost an. »Hättet Ihr nicht etwas unternehmen können? Ich meine, ich weiß, daß sie Rebellen waren, aber…«

»Kein Aber«, entgegnete Frost. »Die Strafe für Rebellion ist der Tod.«

»Ich weiß nicht«, sagte Schwejksam. »Das war keine Hinrichtung. Das war ein Gemetzel. Ich weiß, wie Krieg aussieht.

Ich habe gesehen, wie Menschen sich aus allen möglichen Gründen gegenseitig umbrachten; aber das waren immer noch Menschen, keine Maschinen. Unter den Rebellen waren Kinder…!«

Frost sah Schwejksam an. »Ihr werdet doch wohl nicht weich, Kapitän? Die Rebellen haben sich selbst zuzuschreiben, was mit ihnen geschieht. Sie haben die Köpfe zusammenge-steckt und Intrigen geschmiedet, und das ist die Folge davon.

Sie haben ihren Eid, ihre Pflicht und ihre Ehre verraten und schließlich sich selbst. Sie wußten, was sie erwartete.«

»Glaubt Ihr wirklich, die Kinder wußten, was sie erwartete?« fragte Schwejksam. »Meint Ihr allen Ernstes, sie wußten, warum man sie durch die Straßen trieb wie Vieh und anschließend abschlachtete?«

»Ihre Eltern tragen die Verantwortung«, entgegnete Frost.

»Sie allein sind schuld an allem. Wir dürfen nicht schwach werden, Kapitän. Nicht jetzt. Das wißt Ihr selbst. Ihr wart es, der den Befehl zum Sengen des Planeten Unseeli erteilte.«

»Und diese Tat verfolgt mich noch immer«, sagte Schwejksam. »Ich dachte, es gäbe keinen anderen Weg. Und am Ende löste es keines unserer Probleme, oder habt Ihr das vergessen?

Vielleicht sollten wir ein wenig angestrengter nach anderen Möglichkeiten Ausschau halten?«

»Das ist nicht unsere Aufgabe«, sagte Frost. »Schließlich sind nicht wir diejenigen, die Politik machen. Wir können das große Bild nicht sehen.«

»Haben wir das je versucht?« fragte Schwejksam.

David Todtsteltzer und Kit Sommer-Eiland rasten zusammen mit Jenny und Alice auf ihrem Flieger der Festung entgegen.

Es war nicht der sicherste Ort, den David sich vorstellen konnte, vor allem dann nicht, wenn der Steward das Kommando übernommen hatte; aber sie hatten kaum eine andere Möglichkeit. Doch David hatte bei seiner Ankunft auf Virimonde Vorkehrungen getroffen. Die Sicherheitskräfte der Festung waren mit Leuten durchsetzt, die ihm besonders treu ergeben waren.

Nur für den Fall. Immerhin hatte der Steward auch schon Owen verraten. David konnte nur hoffen, daß seine Leute die Kontrolle übernommen hatten, bis er und seine Freunde in der Festung eingetroffen waren.

Sie flogen hoch über den Wolken mit der größtmöglichen Geschwindigkeit, die die überlasteten Maschinen des Fliegers zustande brachten. Kit hatte die Kontrollen übernommen, und David tröstete Alice. Sie hatte noch kein Dutzend Worte gesagt, seit der Hieger gestartet war. Sie hatte gesehen, wie ihre Familie gestorben und ihr Heim zerstört worden war, und ihr Gesicht war von rauhen, gebrochenen Linien durchzogen. David und Jenny redeten abwechselnd auf sie ein, versuchte sie zu einer Reaktion zu bewegen; aber Alice schien sie nicht zu hören. Irgend etwas in ihrem Innern war zerbrochen, und vielleicht wurde es niemals wieder heilen. David druckte ihr seinen Disruptor in die Hand, und sie schien das als eine Art Trost zu empfinden. Am Ende ließ er sie mit Jenny allein und ging nach vorn zu Kit.

»Wie kommen wir voran?«

»Den Umständen entsprechend« , erwiderte der Sommer-Eiland mit ruhiger Stimme. »Unsere Sicherheitskodes schützen uns wahrscheinlich nicht mehr länger vor Angriffen; aber in dieser Höhe und bei dieser Geschwindigkeit sind die meisten Maschinen am Boden kaum in der Lage , uns anzupeilen. Das wirkliche Problem sind die Energiekristalle des Fliegers. Nach den Instrumenten zu urteilen haben wir nicht mehr genug Energie, um den gesamten Weg bis zur Festung zurückzulegen und gleichzeitig die Schilde aufrechtzuerhalten.«

»Dann schalt die Schilde eben ab!« sagte David. »Unsere einzige Hoffnung besteht darin, die Festung zu erreichen.«

»Genau mein Gedanke«, erwiderte der Sommer-Eiland. »Wie geht es den Mädchen?«

»Den Umständen entsprechend. Ich kann immer noch nicht glauben, daß die ganze Situation so schnell außer Kontrolle geraten ist. Du hast gesehen, was unten auf der Oberfläche geschieht. Sämtliche Städte stehen in Flammen. Überall Kriegsmaschinen und Truppen. Das ist keine Strafexpedition, das ist eine Invasion!«

»Sieh’s doch von der positiven Seite«, sagte Kit. »Wenigstens sengen sie den Planeten nicht aus dem Orbit heraus

»Ich wage nicht einmal daran zu denken. Ich habe etwas wie das hier noch nie erlebt, Kit. Sie schlachten meine Leute ab.

Und alles wegen mir!«

»Nein, da irrst du dich. Es ist nicht wegen dir, sondern weil die Bauern so dumm waren, mit Demokratie zu experimentieren. Sie haben förmlich danach geschrien.«

»Ich habe es zugelassen! Ich hätte nein sagen können . Ich hätte mit meinen Sicherheitsleuten hart durchgreifen können.

Ich hätte ein paar Rädelsführer exekutieren und ein paar Farmen niederbrennen können, und alle anderen wären in Sicherheit gewesen. Ich habe versagt, Kit. Es war meine Pflicht, diese Leute zu schützen und Unheil von ihnen abzuwenden. Es war meine Pflicht als Todtsteltzer.«

»David, können wir uns vielleicht auf die wesentlichen Dinge konzentrieren? Zum Beispiel auf die Frage, was wir machen werden , wenn wir die Festung erreichen und der Steward alles unter Kontrolle hat?«

»Improvisieren. Es gibt Geheimgänge und versteckte Fallen , die nur meine Leute und ich kennen. Owen hat mir alle gezeigt.

Wenn der Steward die Festung in seine Gewalt gebracht hat , dann werde ich sie ihm wieder wegnehmen . Und anschließend werde ich ihm den verräterischen Kopf abschneiden und einen Fußschemel daraus machen.«

»Netter Gedanke. Vorausgesetzt, wir können die Festung in unsere Gewalt bringen. Und was dann? Wir werden uns nicht lange gegen die Kriegsmaschinen halten können, und wir haben nichts, womit wir Virimonde verlassen könnten. Außer natürlich, du hast irgendwo ein weiteres kleines Geheimnis versteckt?«

»Leider nicht«, entgegnete David. »Aber ich würde nicht fliehen, selbst wenn ich könnte. Meine Leute sterben. Ich werde sie nicht im Stich lassen.«

»Aber was kannst du daran ändern, David?«

»Ich werde mir schon etwas ausdenken! Ich bin immerhin ein Todtsteltzer!«

»Das ist genau das«, sagte der Sommer-Eiland, »was uns in erster Linie in Schwierigkeiten gebracht hat.«

David dachte über die Worte seines Freundes nach; dann blickte er ihm in die Augen. »Sie sind hinter mir her. Noch ist es nicht zu spät für dich. Du kannst dich von mir trennen.

Nimm die Frauen mit und geh in Deckung. Du warst immer schon Löwensteins Liebling. Sie nimmt dich vielleicht wieder auf, wenn du dich öffentlich von mir distanzierst.«

»Keine Chance« , widersprach der Sommer-Eiland. »Wir bleiben zusammen. Vergiß deine Selbstlosigkeit und denk weiter nach. Du bist der Kopf in dieser Partnerschaft. Finde einen Ausweg.«

»Laß mich ans Steuer«, sagte David. »Ich kenne die Gegend besser als du.«

Sie tauschten die Plätze, und Kit ging nach hinten, um die Frauen zu trösten und zu sehen, wie es ihnen ging. Er war nicht sonderlich gut in derartigen Dingen; aber er nahm an, daß er es wenigstens versuchen mußte.

Die Angriffsschiffe kamen aus dem Nichts. Disruptorfeuer riß die Seite des ungeschützten Fliegers auf. Explosionen schüttelten das kleine Gefährt, und in der Kabine brach Feuer aus. David kämpfte um die Kontrolle, doch der Flieger stürzte unaufhaltsam der Erde entgegen. Kit packte einen Feuerlöscher und verteilte Schaum über die nächstgelegenen Flammen.

Rauch erfüllte die Kabine. Jenny drückte Alice fest an sich. Die Maschine des Fliegers stotterte und erstarb, und dann fielen sie hinunter wie ein Stein.

David schaltete die Notaggregate ein. Er stieß eine endlose Serie monotoner Flüche aus. Der Flieger machte einen Satz nach vorn; doch er sank noch immer. Die Angriffsschiffe schlugen erneut zu, und das gesamte Heck des Fliegers explodierte. Die Luft entwich aus der Kabine, nahm den Rauch mit sich, und die Flammen loderten hoch auf. Kit mußte vor der Hitze zurückweichen . David schrie eine Warnung, daß sich alle gut festhalten sollten, und suchte hektisch auf den Schirmen nach einer einigermaßen flachen Stelle, wo er landen konnte.

Er fand ein Feld ganz in der Nähe eines größeren Waldstücks.

Das mußte reichen.

Er riß den Flieger herum und kämpfte auf dem gesamten Weg nach unten mit den Kontrollen. Der Boden sprang ihm förmlich entgegen.

Das Schiff prallte hart auf. Es hüpfte und tanzte über das Feld und pflügte einen mächtigen Graben durch das Gras, bevor es nur wenige Metern vor den ersten Bäumen zum Stillstand kam.

Die Kabine war erneut voller Rauch. Flammen fraßen sich fest.

David saß zusammengesunken im Pilotensitz, und nur die Sicherheitsgurte hielten ihn an seinem Platz . Von einem Schnitt auf seiner Stirn rann Blut über sein Gesicht, und er war sich verschwommen bewußt, daß er auf dem Weg nach unten mit dem Kopf gegen irgend etwas Hartes, Unnachgiebiges geprallt war . Rauch fing sich in seiner Kehle, und er kam mit einemmal zu sich, weil er husten mußte und fast erstickt wäre. Plötzlich war Kit bei ihm. Er befreite David aus den Sicherheitsgurten, und David wollte ihm helfen; doch seine Hände waren taub und gefühllos . Kit löste die letzten Gurte, und David erhob sich mühsam aus seinem Sitz. Er fühlte sich elend; aber sein Kopf wurde allmählich wieder klar. Er hustete erneut und starrte in den Rauch.

»Alice! Wo sind Alice und Jenny?«

»Es tut mir leid«, erwiderte Kit. »David, es tut mir so leid.«

David starrte seinen Freund sprachlos an. Dann schob er ihn zur Seite und kämpfte sich durch den Rauch und die größer werdenden Flammen zu der Stelle, wo Alice lag, direkt neben einem Riß in der Kabinenwand. Ein Disruptorschuß hatte die Hülle durchschlagen, und gezackte scharfe Ränder zeigten nach innen. Blut tropfte zäh von den scharfen Kanten. Alice war auf der gesamten rechten Seite aufgerissen worden. Deutlich waren ihre gebrochenen Rippen durch das rote Fleisch hindurch zu sehen, und ihre Eingeweide hingen aus der klaffenden Wunde. Ihre Augen waren glücklicherweise geschlossen . David zwang sich, den Blick von ihr abzuwenden und zu der Stelle zu sehen, wo Jenny eingeklemmt unter dem verbo-genen Metall lag. Sie war benommen; aber sie versuchte hektisch, sich zu befreien. David hob Alice auf und rief nach Kit.

»Ich nehme Alice! Du siehst zu, daß du Jenny befreist.«

Kit tauchte im Rauch auf und packte David am Arm. »David!

Sie ist…«

»Ich schaffe Alice hier raus! Du kümmerst dich um Jenny!«

Kit warf einen Blick auf Alice und die roten und purpurnen Eingeweide, die aus ihrer Seite baumelten; dann nickte er und kniete bei Jenny nieder. David stolperte zur Notschleuse, trat die Tür auf und sprang hinaus. Kit zerrte an dem gezackten Metall, das Jenny am Boden festhielt. Es war ein breites, schweres Stück, und die scharfen Kanten schnitten in Kits ungeschützte Hände. Er zog und zerrte mit all seiner Kraft, aber das Metall gab nicht einen Zoll nach. Jenny hatte inzwischen ihre Benommenheit abgeschüttelt und blickte ihn aus verzweifelten Augen an. Sie konnte ihm nicht helfen. Das Metallstück hatte ihre Arme an die Seiten gefesselt. Schweiß rann über beider Gesichter, hervorgerufen durch die unerbittliche Hitze der sich rasch nähernden Flammen. Kit gab seine Bemühungen auf und dachte angestrengt nach. Das Feuer kam näher, und die Flammen wurden heißer, während sie die Kabine Stück für Stück verschlangen. Wenn es ihm nicht bald gelang, Jenny zu befreien, würden die Flammen den Notausgang versperren .

Jenny sah ihm an, was er dachte.

»Kit! Laß mich nicht zurück! Bitte, laß mich nicht einfach verbrennen!«

»Nein«, sagte Kit. »Das wäre unmenschlich.«

Er zog das Messer und stieß es ihr durchs Auge. Er wollte, daß es schnell ging. Jenny bäumte sich kurz auf und lag still.

Kit zog das Messer wieder heraus, steckte es ein und ging zum Notausgang. Er hatte alles getan, was er tun konnte. Er sprang aus der Luke und eilte über das kurze ungedeckte Stück Feld, um zwischen den Bäumen Deckung zu suchen. Sie würden ihn zwar nicht vor Disruptorfeuer schützen; aber sie würden die Sensoren täuschen. Er mußte David finden. David würde wissen, was als nächstes zu tun war.

Er fand seinen Freund ein kurzes Stück tiefer im Wald. Er kauerte neben Alice am Boden. Er hatte sie an einen Baumstumpf gelehnt und war damit beschäftigt, die heraushängenden Eingeweide durch die klaffende Wunde in ihrer Seite zu-rückzuschieben. Seine Hände waren rot vor Blut und seine Kleidung an jenen Stellen damit vollgesogen, wo er Alice an sich gedrückt hatte. Er sah hoch, als Kit sich näherte. David weinte, und die Tränen zogen schmale Spuren durch das Blut, das ihm aus einer Wunde in der Stirn übers Gesicht rann.

»Sie ist tot«, sagte er zu Kit, und in seiner Stimme lag aller Schmerz der Welt. »Sie hat mir ihr Leben anvertraut, und ich habe sie im Stich gelassen. Ganz genau so, wie ich auch jeden anderen im Stich gelassen habe.«

»Es tut mir leid«, sagte Kit.

»Ich bin schuld an ihrem Tod, weißt du? Sie ist tot, weil sie bei mir war.«

»Mach dir keinen Vorwurf deswegen«, entgegnete Kit. Davids Tränen verwirrten ihn. Er wußte nicht, was er dagegen unternehmen sollte. »Sie töten jeden auf dieser Welt. Du hast versucht, Alice zu retten. Du hast getan, was du tun konntest.

Du hast dein Bestes gegeben.«

David nickte zögernd. Er war nicht überzeugt. Er wischte sich mit dem Handrücken das Blut und die Tränen aus dem Gesicht, schniefte ein paarmal und sah dann wieder hoch zu seinem Freund.

»Wo ist Jenny?«

»Tot. Sie starb an ihren Wunden, während ich versuchte, sie zu befreien.« Normalerweise hätte sich Kit nicht die Mühe gemacht zu lügen, aber er wollte seinen Freund nicht noch mehr aus der Fassung bringen. Er sah sich um. »Weißt du, wo wir sind?«

»Ja. Ich kenne die Gegend. Die Festung liegt keine fünf Minuten zu Fuß von hier. Auf der anderen Seite des Waldes. Wir hätten es fast geschafft, Kit! Wir waren so nah. Nur noch ein paar Minuten, und wir wären in Sicherheit gewesen. Wir alle.«

Kit kniete neben David nieder. »Das ist alles das Werk der Löwenstein. Sie allein trägt die Schuld. Und jetzt laß uns von hier verschwinden. Sie werden bald kommen und nach uns suchen.«

David nickte und stand auf. Kit stellte sich neben ihn. David sah auf Alice hinab. »Ich hasse den Gedanken, sie hier liegen zu lassen.«

»Sie ist tot, David. Sie hat keine Schmerzen mehr. Wir werden sie später rächen.«

»Ja. Wir werden sie rächen. Später.«

David wandte sich ab und stapfte los, tiefer in den Wald hinein, und Kit folgte ihm. Es war kühl und still unter den großen Bäumen, ein dunkler, geheimnisvoller Ort, der irgendwie weitab vom Rest der Welt zu liegen schien. Das Chaos war noch nicht bis hierher vorgedrungen. Die Luft war voll vom Geruch nach Gras und Humus und lebenden Dingen. Kit ging neben David einher, und er genoß die Ruhe und den Gesang der Vögel. David marschierte brütend und mit dunklen Augen über den schmalen Waldweg. Der Frieden ringsum erreichte ihn nicht. Kit überlegte ununterbrochen, was er zu seinem Freund sagen konnte, doch ihm wollte nichts einfallen.

Er hatte keine Erfahrung in diesen Dingen. Also stapfte er schweigend neben David her, die Hände auf den Waffen, und überließ den Freund seinen Gedanken. David würde früher oder später irgend etwas einfallen. Ihm war noch immer irgend etwas eingefallen.

Kit war von Natur aus wachsam und mißtrauisch; doch er bemerkte erst, daß sich nicht mehr allein im Wald unterwegs waren, als drei Gestalten ihnen den Weg versperrten. Eine der Gestalten trug die Uniform eines Imperialen Sternenflottenka-pitäns, die zweite war offensichtlich ein Investigator, und die dritte stand ein Stück zurück und hielt einen Disruptor in der Hand, allerdings nicht auf David und Kit gerichtet. Die beiden Freunde blieben unvermittelt stehen, und für eine lange Zeit geschah überhaupt nichts. Alle standen einfach nur da und musterten ihre Gegenüber. Die Wälder waren wie eine einzige große grüne Arena, ein Ort, an dem Schicksale entschieden wurden und alles mögliche geschehen konnte. Wirklich alles.

»Ich bin Kapitän Johan Schwejksam«, stellte sich der Mann in der Kapitänsuniform vor. Er hielt ein Schwert in der Hand.

»Das dort sind Investigator Frost und Sicherheitsoffizier K.

Stelmach. Ihr seid festgenommen, Mylords. Übergebt Eure Waffen und folgt uns.«

»Das glaube ich kaum«, erwiderte David. »Ich bin der Todtsteltzer, und meine Leute brauchen mich. Tretet beiseite und laßt mich passieren, oder sterbt an Ort und Stelle.«

»Gut gesprochen«, sagte Kit. Er grinste Frost an. »Ich wollte schon immer wissen, wie ich mich gegen einen leibhaftigen Investigator machen würde.«

»Ihr würdet sterben, Junge«, erwiderte Frost. »Werft Eure Waffen weg, und Ihr werdet bis zur Eurer Gerichtsverhandlung leben.«

»Geht aus dem Weg«, sagte David. »Ihr werdet mich nicht aufhalten.«

Der Kapitän zuckte die Schultern. »Tut, was Ihr tun müßt, Mylord. Am Ende heißt es immer Stahl gegen Stahl, nicht wahr?«

Er trat vor, und David zückte sein Schwert, um ihm zu begegnen. Ihre Klingen prallten aufeinander, Funken stoben, und das Krachen von Stahl auf Stahl durchdrang schmerzhaft laut die Stille. Kit Sommer-Eiland grinste sein berüchtigtes Totenkopfgrinsen und tänzelte leichtfüßig vor, um Frost zu begegnen. Sie umkreisten einander und suchten in den Augen des anderen nach Schwächen. Stelmach senkte seinen Disruptor und trat zurück. Er wußte, daß er nur die Rolle des Zuschauers innehatte.

David rief den Zorn herbei, das Erbe der Todtsteltzer, und neue Kraft und Energie wogte in ihm und vertrieb Müdigkeit und Erschöpfung. Doch auch das würde ihm nicht lange helfen, und er wußte es. Es war noch nicht lange her, da hatte er in der Stiefmütterchen-Taverne einen ganzen Abend getrunken und gefeiert. Fast lächelte er. Ihm schien, als sei es eine Ewigkeit her, doch sein Körper kannte die Wahrheit. Zuviel Alkohol und zuwenig Schlaf hätten ihn ohne den Zorn unendlich langsam gemacht, und selbst mit ihm bezweifelte er, lange genug durchhalten zu können. Also drängte er vor, verstärkte die Wucht seines Angriffs und legte seine ganze nicht unbeträchtliche Körperkraft in die Schläge. Schwejksam wich Schritt um Schritt zurück, aber er begegnete jedem Hieb des Todtsteltzers mit gleicher Wucht, was eigentlich unmöglich hätte sein müssen. Sie hieben und stießen, finteten und parierten und block-ten, und ihre Klingen bewegten sich mit solcher Geschwindigkeit, daß das menschliche Auge ihren Bewegungen nicht folgen konnte. Und dann blieb Schwejksam mit einemmal stehen und wich nicht mehr weiter zurück. Er begegnete den wilden Angriffen des Todtsteltzers mit ruhiger Gelassenheit und großem Geschick. Er ließ sich einfach nicht mehr weiter in die Defensive treiben.

Kit Sommer-Eiland, auch bekannt unter dem Namen Kid Death, der lächelnde Killer, trug seinen Angriff mit mehr Bedacht vor. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie einen Kampf verloren, und er beabsichtigte auf gar keinen Fall, ausgerechnet heute damit anzufangen. Aber Frost war Investigator. Kit und Frost umkreisten einander mißtrauisch, und hin und wieder zuckte eine ihrer Klingen vor, um die Reflexe und Geschwindigkeit des anderen zu testen. Sie waren beide Meister ihrer Kunst, und keiner von beiden sah einen Grund, warum er in Hektik verfallen sollte. Sie grinsten sich an und umkreisten sich weiter.

David kämpfte voller blinder Wut. Dieser eine Kapitän der Imperialen Flotte war zu ihm gekommen, und für den Augenblick repräsentierte er die gesamten Streitkräfte des Imperiums, die blinden, schrecklichen Mächte, die sein Leben und seine Welt zerstört hatten. Er hieb und stach mit zunehmender Wildheit, zehrte rücksichtslos von den Kräften, die der Zorn ihm verlieh, und es war nur eine Frage der Zeit, bis Schwejksam einen besonders wilden, ungezielten Schwinger zur Seite schlagen und David durchbohren würde. Schließlich heulte der junge Todtsteltzer vor Schreck und Schmerzen auf und sank in die Knie; aber er hielt das Schwert irgendwie noch immer in der Hand. Schwejksams Klinge hatte Davids Eingeweide durchbohrt und war auf der Rückseite wieder ausgetreten. Er spürte, wie das Blut aus ihm herausströmte, und er hörte, wie es zu Boden spritzte. Schwejksam riß sein Schwert wieder heraus, und David schrie erneut auf. Blut sprudelte aus seinem Mund und erstickte seine Laute. Er wollte sich wieder auf die Beine kämpfen, doch es ging nicht. Allein der Zorn hielt ihn bei Bewußtsein; aber all seine Kraft hatte ihn verlassen. Der Kapitän holte mit der Klinge zum tödlichen Schlag aus.

Kit sah, wie sein Freund getroffen wurde, und er verschwendete keine Zeit mit einem Wutschrei. Er erwischte Frosts Schwert mit einer knappen Parade und trat ihr hart gegen die Kniescheibe. Während sie um ihr Gleichgewicht kämpfte, riß er sich den Umhang herunter und schleuderte ihn über ihren Kopf. Er hätte sie nur allzu gerne in diesem Augenblick getötet, solange sie hilflos war, aber dazu war keine Zeit. Er rannte zu Schwejksam hinüber und schrie den Kapitän an, um ihn von David abzulenken. Schwejksam drehte sich rasch zu ihm um, und Kid Death duckte sich unter der ausgestreckten Klinge hindurch und rammte dem Kapitän die Schulter in den Magen.

Der Kapitän stolperte rückwärts und rang nach Luft, und Kit rannte zu David und riß ihn auf die Beine. Ein einziger Blick zeigte ihm, wie schwer David verwundet war; doch daran durfte Kit jetzt nicht denken. In der Festung würde man David helfen. Sie mußten ihm einfach helfen. Kit zerrte David mit sich, und dann hörte er hinter sich Schritte. Er drehte sich um. Der Kapitän war unglaublicherweise wieder auf den Beinen und griff erneut an. Kit griff nach dem Disruptor an seiner Seite und bemerkte, daß David schwer gegen die Waffe drückte. Der Kapitän war fast heran. Dann ertönte das Geräusch eines Dis-ruptorschusses, und Schwejksam sank in die Knie. Er war in den Rücken getroffen worden. Kit blickte in die Richtung, aus der der Schuß gekommen war, und sah den Sicherheitsoffizier.

Der Mann hielt die Waffe noch in der Hand, und in seinen Augen stand das nackte Entsetzen über seinen eigenen Fehler. Kit winkte ihm rasch seinen Dank zu, zog David noch fester an sich und führte ihn unter die Bäume davon.

Frost hatte sich gerade rechtzeitig aus dem Umhang befreit, um Schwejksam fallen zu sehen. Sie ignorierte die fliehenden Rebellen und den zitternden, stammelnden Stelmach und eilte zu Schwejksam. Sie kniete neben ihm nieder und untersuchte die Wunde. Der Energie-Strahl hatte den größten Teil seines linken Rippenkäfigs weggerissen. Er hatte die Arme um den Leib geschlungen, als könnte er durch reine Kraft seinen Körper zusammenhalten . Frost zog ihm sanft die Hände auseinander, um das ganze Ausmaß der Verwundung zu sehen .

Schwarze Stummel, die Überreste der Rippen, waren deutlich in der noch rauchenden Wunde zu sehen, halb kauterisiert von der Hitze des Strahls. Hinter ihr stammelte Stelmach, daß er einen Fehler begangen habe und daß es ihm leid täte, so unendlich leid; aber weder Frost noch Schwejksam hörten ihm zu.

Schwejksams Gesicht war kreideweiß, und er atmete in raschen, flachen Zügen. Jeder andere wäre längst tot gewesen.

Allein der Schock hätte dazu ausgereicht. Frost packte seine Hand und drückte sie rauh.

»Kapitän, hört mir zu! Ihr werdet nicht sterben! In Euch ist eine geheimnisvolle Macht. In uns beiden. Benutzt sie, Johan!

Verdammt, Ihr könnt Euch selbst heilen!«

Sie konzentrierte sich auf die Macht tief in ihrem Innern, zwang sie an die Oberfläche und in Kapitän Johan Schwejksam. Er ächzte einmal laut auf, dann umklammerte seine Hand die von Frost, und er versteifte sich mit weiten, überraschten Augen.

Sie sahen beide auf die klaffende Wunde in seiner Seite und beobachteten sprachlos, wie Fleisch und Haut und Knochen sich vor ihren Augen nahtlos miteinander verbanden, bis noch nicht einmal mehr die kleinste Spur der tödlichen Wunde zu erkennen war.

Schwejksam nahm probehalber einen tiefen Atemzug, innerlich auf den Schmerz gefaßt, der niemals kam; dann grinste er Frost an. Sie erwiderte sein Grinsen, und zusammen standen sie auf. Stelmach stand bei ihnen und war sprachlos vor Staunen.

»Ich… ich wußte nicht, daß Ihr dazu in der Lage seid«, meinte er nach einer ganzen Weile.

»Ich auch nicht«, entgegnete Schwejksam. »Man lernt doch tatsächlich jeden Tag etwas Neues hinzu.«

»Es tut mir leid, Kapitän. Es tut mir wirklich unendlich leid…«

Schwejksam hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. »Eure Entschuldigung ist angenommen, Kühnhold. Aber von heute an wagt es ja nicht, mir helfen zu wollen, wenn wir wieder einmal in einen Kampf verwickelt werden sollten.« Er drehte sich zu Frost um. Ihr Lächeln war verschwunden, und sie war wieder ganz der kühle, durch nichts aus der Fassung zu bringende Investigator.

»Willkommen daheim, Kapitän«, sagte sie. »Ich wußte immer, daß Ihr viel zu niederträchtig seid, um einfach so zu sterben.«

»Ich bin froh, daß es noch einmal gutgegangen ist, Investigator. In welche Richtung sind die Rebellen geflohen?«

»Tiefer in den Wald hinein, Kapitän. Die Spur müßte leicht zu verfolgen sein. Der Todtsteltzer verliert eine Menge Blut.

Seid Ihr wieder fit genug, um den beiden zu folgen?«

»Ich denke schon. Aber wir müssen uns nicht beeilen. Es gibt nur einen Ort, zu dem sie fliehen können, und das ist die Festung des Todtsteltzers. Und wenn er erst einmal dort ist, haben wir ihn.«

Kit Sommer-Eiland legte den schwer verwundeten David aufs Bett und blickte sich in dem luxuriös ausgestatteten Schlafzimmer um. Es gab nur die eine Tür sowie ein einziges Fenster, was es leichter machte, den Raum gegen Angreifer zu verteidigen. Im Augenblick befand sich die Festung unter der Kontrolle von Männern, die David gegenüber loyal waren. Allerdings war der verräterische Steward mit den meisten seiner Leute entkommen und hatte in der Zwischenzeit aller Wahrscheinlichkeit nach bereits Kontakt mit den Streitkräften des Imperiums aufgenommen. Es konnte nicht lange dauern, bis er zurückkehrte und an der Vordertür klopfte. David lag auf seinem Bett und atmete röchelnd. Einer der Diener hatte seinen Leib mit dicken Bandagen versorgt, aber es gab keinen Arzt in der Nähe. Der Verband war längst mit Blut vollgesaugt, und die kostbaren Bettlaken waren fleckig davon. Kit saß auf der Bettkante und überlegte, was er als nächstes tun sollte.

Er konnte einfach verschwinden. Der Todtsteltzer war für vogelfrei erklärt worden, nicht Kit Sommer-Eiland. Kit konnte die Festung verlassen, zu den nächsten Imperialen Streitkräften marschieren und den Schutz beanspruchen, der das Privileg seines Ranges war. Der Kapitän und diese Investigatorfrau, gegen die er gekämpft hatte, würden vielleicht versuchen, ihm Schwierigkeiten zu machen, aber er konnte jederzeit behaupten, aus reiner Notwehr gehandelt zu haben. Niemand würde wagen, sein Wort als Lord anzuzweifeln.

Trotzdem verwarf Kit den Gedanken rasch wieder. Er konnte David nicht im Stich lassen.

Der Todtsteltzer richtete sich unvermittelt auf und stöhnte laut. Kit war augenblicklich zur Stelle, um ihn zu stützen. Davids Gesicht war jetzt grau, und Schmerz und Erschöpfung waren unübersehbar, doch seine Augen blickten noch immer klar. Sein Blick ging zu seinem Schwert, das ganz in der Nähe auf dem Bett lag, und er schien ein wenig Kraft aus diesem Anblick zu schöpfen. Er deutete auf den Holoschirm an der Wand vor ihm.

»Schalt den Schirm ein«, bat er seinen Freund mit schwacher, aber fester Stimme. »Ich muß wissen, was auf meiner Welt vor sich geht.«

»Du solltest dich ausruhen«, widersprach Kit. »Möglicherweise müssen wir ganz schnell wieder von hier verschwinden, falls der Steward mit genug Truppen zurückkehrt, um die Festung zu erstürmen.«

»Ich gehe nirgendwo hin«, sagte David. »Das ist mein Heim und das Heim meiner Vorfahren, und ich werde hier bleiben.

Ich werde mich dem Feind stellen. Und jetzt schalt den verdammten Schirm ein!«

Kit zuckte die Schultern und tat, wie ihm geheißen. Gemeinsam sahen die beiden rebellischen Lords eine Reihe von Schreckensszenen der eroberten Welt Virimonde. Überall standen Gebäude in Flammen, in Dörfern, Städten und Großstätten ohne Unterschied. Tote lagen aufgestapelt auf den Schlachtfeldern wie dunkles, mißgestaltetes Gemüse. Lange Flüchtlings-trecks zogen sich bis zum Horizont. Was von ihrer Habe noch übrig war, trugen sie am Leib und auf dem Rücken. Noch immer regte sich vereinzelt Widerstand. Der Untergrund hatte viele Jahre Zeit gehabt, um auf Virimonde Fuß zu fassen. Die Rebellen waren ausgebildet und besaßen auch Waffen; aber nicht genug, um erfahrenen Bodentruppen und Imperialen Kriegsmaschinen gegenüberzutreten. Und trotzdem kämpften sie weiter, unterlegen in Zahl und Bewaffnung, und die Imperialen bezahlten noch immer für jeden Zoll an Bodengewinn.

David sah seine Leute kämpfen und sterben . Er sah, wie der Boden, auf dem sie standen , fleckig von ihrem eigenen und dem Blut ihrer Feinde wurde . Er sah , wie Imperiale Kriegsmaschinen durch zerstörte Dörfer marschierten und gewaltige Stahlkolosse in der Mitte zerstörter Städte thronten, und dann mußte er den Blick abwenden. Kit schaltete den Schirm wieder ab.

»Jetzt bleibt nur noch eins zu tun«, sagte David am Ende.

»Genau«, stimmte Kit ihm zu. »Wir raffen alles zusammen, was wir tragen können, und suchen das Weite. Irgend jemanden werden wir schon bestechen können , damit er uns von Virimonde wegschafft. Aber wohin? Vielleicht zur Nebelwelt?

Was meinst du?«

»Nein«, entgegnete David. »Ich hab’ dir schon einmal gesagt: Ich fliehe nicht. Ich werde mich ergeben.«

»Was? Hast du den Verstand verloren? Du kannst bestenfalls darauf hoffen, einen Schauprozeß und anschließend eine schnelle Hinrichtung zu erhalten. Auf Nebelwelt wären wir wenigstens…«

»Nein! Nein! Falls ich mich ergebe und den Rebellen sage, daß sie die Waffen niederlegen sollen, hören die Kämpfe auf.

Meine Leute wären in Sicherheit. Viel zu viele sind bereits gestorben, Kit. Warum die Qual unnötig verlängern? Für mich zählt nur noch eins: Ich muß mein Volk schützen, so gut ich kann.«

Kit funkelte den Todtsteltzer an. »Seit wann bist du so verdammt edel? Das sind nur Bauern, weiter nichts!«

»Nein«, widersprach David. »Das sind meine Bauern. Das Band der Verpflichtung und Treue gilt für beide Seiten. Ich habe es nur heute erst richtig begriffen.« Er grinste traurig.

»Lange genug hat es ja gedauert. Aber ich glaube, ich habe endlich verstanden, was es heißt, ein Todtsteltzer zu sein.

Schalt den Schirm wieder ein. Sieh zu, daß du einen der Verantwortlichen erreichen kannst

Kit erkannte die Entschlossenheit im Gesicht seines Freundes und verstummte. Wie sich herausstellte, war es überraschend einfach, den Mann zu erreichen, der die gesamte Invasion leitete. General Shaw Beckett an Bord des Imperialen Sternenkreuzers Elegance blickte vom Schirm herab auf die beiden Rebellen und verbeugte sich höfisch.

»Mylord Todtsteltzer, Mylord Sommer-Eiland. Gut, daß Ihr Euch meldet. Vergebt mir meine Offenheit, David, aber Ihr seht nicht gerade aus wie das blühende Leben.«

»Aber ich lebe noch, General«, erwiderte David mit ruhiger, gleichgültiger Stimme. »Ich möchte Euch meine Kapitulation anbieten.«

»Sehr ehrenhaft von Euch, Mylord. Ich begrüße Eure Geste.«

Beckett schnitt eine traurige Grimasse. »Unglücklicherweise habe ich in der Zwischenzeit neue Befehle von der Imperatorin persönlich. Ich darf Eure Kapitulation unter gar keinen Um-ständen akzeptieren. Sie will Euch tot, Mylord, und die Rebellion niedergeschlagen. Meine Truppen haben Holokameras mitgenommen. Überall im Imperium sind die Bürger live bei der Einnahme von Virimonde dabei. Die Imperatorin beabsichtigt, ein Exempel zu statuieren. Es tut mir leid. Ich kann Eurem Freund, dem Sommer-Eiland, einen gewissen Schutz gewähren, falls Ihr es wünscht. Ich habe keine Befehle für seinen unmittelbaren Tod. Ich gebe Euch mein Wort…«

»Ich denke drüber nach«, unterbrach ihn Kit.

Der General nickte langsam. »Überlegt nicht zu lange, Mylord«, sagte er.

David grinste den General erschöpft an. »Dann haben wir uns vermutlich nichts mehr zu sagen, nicht wahr, Shaw? Das Schicksal hat für jeden von uns einen Weg vorgegeben , und wir können nichts weiter tun, als ihm bis zu seinem Ende zu folgen. Verzeiht mir, wenn ich Euch nicht viel Glück wünsche.«

»Ich verstehe, Mylord.« General Beckett verabschiedete sich mit militärischem Gruß. »Ich wünsche Euch einen guten Tod, Todtsteltzer.«

Sein Gesicht verschwand vom Schirm, und Kit schaltete den Empfänger ab. Er sah David an. »Leg dich wieder hin. Versuch dich ein wenig auszuruhen. Du mußt dir etwas einfallen lassen, wie wir aus dieser Sache wieder rauskommen. Du bist der Denker in dieser Partnerschaft, oder hast du das vergessen?«

»Er hat recht, Kit. Du solltest nicht hier bei mir bleiben.«

»Tu ich aber.«

Sie lächelten sich an. David streckte die Hand nach Kit aus.

Der Sommer-Eiland nahm sie in seine beiden Hände und drückte sie fest. Davids Hand war feucht und kalt wie der Tod.

David sank wieder aufs Bett zurück, und Kit half ihm dabei.

Seine ganze Seite war inzwischen blutig rot. Kit hielt noch immer seine Hand. Plötzlich wurde es draußen laut. Kit ließ Davids Hand los und trat zum Fenster. Vor dem Haupttor der Festung war der Steward mit seinen Männern und einer kleinen Armee Imperialer Truppen aufmarschiert. Sie wurden angeführt vom Hohen Lord Dram persönlich, und in seiner Begleitung befanden sich Kapitän Johan Schwejksam und Investigator Frost.

Tobias Shreck und sein Kameramann Flynn rannten eine enge Gasse entlang. Die Häuser zu beiden Seiten brannten lichterloh wie Freudenfeuer unter einem blutigroten Himmel. Die Luft war dick von fettem, schwarzem Ruß und glühender Asche, und es war so heiß, daß sie sich Gesicht und Hände verbrannten . Flynns Kamera tanzte über ihnen in der Luft, schoß die besten Aufnahmen, die unter diesen Umständen möglich waren, und schickte alles live hinaus. Hoch oben regneten Tod und Zerstörung aus Imperialen Kriegsschiffen herab, und Energiestrahlen von ganzen Batterien von Disruptorkanonen brachten Häuser zum Einsturz und zerfetzten Straßen. Überall rannten Leute durcheinander, und alle hielten irgendeine Art von Waffe in den Händen. Tobias wußte längst nicht mehr, wo auf Virimonde sie sich gerade befanden. Eine brennende Stadt sah aus wie die andere, und wohin sie auch kamen, überall legen Berge von Leichen im Weg. Männer, Frauen und Kinder lagen in anonymen, blutgetränkten Gruppen übereinander, niedergestochen und zerhackt oder verbrannt im Energiefeuer eines Disruptors. Tobias hatte in seinem Leben noch kein derartiges Gemetzel gesehen. Die Löwenstein mußte den Verstand verloren haben. Das hier ging weit über die Bestrafung eines Rebellionsversuchs hinaus, und es war auch weit mehr als ein Exempel, um andere Welten zu entmutigen. Nichts im Universum konnte ein derartiges Blutbad rechtfertigen. Hin und wieder kam ihm der Gedanke, daß seine Aufnahmen wahrscheinlich sensationell waren. Niemand hatte jemals zuvor eine Invasion aus so großer Nähe gefilmt. Er hoffte nur, daß irgend jemand es sah. Er traute den Imperialen Schiffen durchaus zu, alle Signale bis auf die eigenen zu stören. Tobias schnitt im Rennen eine Grimasse. Er war müde; doch er haßte den Gedanken, daß all seine Mühe umsonst gewesen sein könnte.

Die Explosion traf ihn völlig überraschend. Direkt neben ihm flog ein ganzes Haus in die Luft. Er hörte nur ein Geräusch wie Donner, und dann wurde er von irgend etwas gepackt und durch die Gasse geschleudert. Er prallte hart auf das Kopfsteinpflaster, und seine Kleidung zerriß. Er versuchte, seinen Kopf unter den hochgerissenen Armen zu schützen, als ringsum zerfetztes Mauerwerk niederprasselte. Steine trafen ihn auf dem Rücken und an Armen und Beinen, und er schrie laut auf; doch seine Stimme ging im allgemeinen Lärm unter. Irgendwann war es vorbei, und Tobias hob vorsichtig den Kopf und spähte um sich. Die halbe Straße lag in Trümmern. Flynn war nicht weit entfernt. Der Kameramann war halb unter zusam-mengebrochenem Mauerwerk begraben. Tobias zwang sich auf die Beine und stolperte zu Flynn. In seinen Ohren klingelte es; seine Hände zitterten, und seine Beine fühlten sich an, als ge-hörten sie jemand anderem; aber Tobias vergaß das alles, als er sich über Flynn beugte. O Gott, sei nicht tot, Flynn! Bitte sei nicht tot! Ich habe dich nicht zum Sterben mit genommen. Seine tastende Hand fand einen schwachen Puls an Flynns Hals, und Tobias entspannte sich wieder ein wenig. Er fing an, die Ziegelsteine von Flynn weg zuräumen, einen nach dem anderen. Ihm schien, als würden sie überhaupt nicht weniger.

Er hatte kaum richtig angefangen, als eine Kompanie Imperialer Marineinfanteristen im Laufschritt durch die Gasse marschierte. Sie hielten schußbereite Waffen in den Händen. Der Unteroffizier erblickte Tobias und richtete die Waffe auf ihn.

Tobias hob die Hände.

»Nicht schießen! Ich bin Reporter! Ich berichte über die Invasion!«

Der Sergeant rümpfte enttäuscht die Nase und bedeutete seinen Männern mit einem Wink, die Waffen zu senken und ste-henzubleiben. Dann funkelte er Tobias drohend von oben herab an. »Was macht Ihr dort? Ihr härtet diese Gegend längst verlassen sollen!«

»Mein Kameramann ist hier drunter verschüttet«, sagte Tobias und nahm vorsichtig die Hände runter. »Helft mir, ihn wieder auszugraben, und wir verschwinden von hier wie der Blitz.«

»Alles, wenn Ihr nur so schnell wie möglich verschwindet.

Ich weiß sowieso nicht, warum die Imperatorin Euch überhaupt hier haben wollte.«

Er winkte ein paar seiner Leute herbei, und sie halfen Tobias, die restlichen Trümmer über Flynn beiseite zu räumen. Und da erst bemerkte Tobias, daß entweder die Gewalt der Explosion, oder die scharfen Ränder der zerbrochenen Steine Flynns Kleider aufgerissen hatten und allen einen freizügigen Blick auf die spitzenbesetzte schwarze Frauenunterwäsche gestattete, die Flynn heute darunter trug. Die Strümpfe und die Strapse waren ganz besonders aufreizend. Sechs Marineinfanteristen wichen so hastig vor Flynn zurück, als hätten sie sich verbrannt, während ihre Kameraden anzügliche Witze rissen und zweideutige Kommentare abgaben.

Tobias’ Gedanken überschlugen sich.

»Das ist eine Art Talisman!« rief er. »Die Wäsche gehörte einer Kollegin von Flynn, die ihm sehr nahe stand, und seit ihrem Tod trägt er diese Unterwäsche als Erinnerung und als Glücksbringer. Ehrlich! Viele Kameramänner tun so etwas!

Das ist eine alte Tradition bei uns Reportern.«

»Haltet die Klappe«, sagte der Sergeant. »Das gilt auch für Euch, Männer! Ein Freak wie der dort kann sich unter gar keinen Umständen für die Frontberichterstatter der Armee qualifiziert haben, und das bedeutet, daß Ihr beide illegal auf Virimonde seid. Wahrscheinlich seid ihr nicht nur Degenerierte, sondern auch noch Rebellen!«

»Selbstverständlich sind wir keine Rebellen! Ich bin Tobias Shreck! Ihr müßt mich kennen! Sicher habt Ihr schon die ein oder andere meiner Reportagen gesehen!«

»Hab’ ich.« Der Sergeant sah seine Männer an. »Erschießt sie. Alle beide.«

Tobias stand wie erstarrt da. Für einen Augenblick, der ihm wie eine Ewigkeit erschien, geschah überhaupt nichts. Er besaß keine Waffe, um sich zu verteidigen, und es gab keine Fluchtmöglichkeit – selbst wenn er sich dazu hätte überwinden können, Flynn zurückzulassen. Er sah hilflos zu, wie die Soldaten ihre Waffen auf ihn richteten, und er dachte nur daran amüsiert, ob die Kamera auch alles filmte. Und dann fiel ihm der Unterkiefer herab, als der Sergeant und all seine Soldaten mit einemmal lichterloh in Flammen standen . Die Marineinfanteristen warfen ihre Waffen weg und rannten schreiend und in Panik durcheinander. Sie schlugen mit nackten Händen auf die Flammen ein, die immer stärker loderten und ihre Opfer ver-zehrten . Einer nach dem anderen gingen sie zu Boden, während die Flammen ihrem Atem den Sauerstoff stahlen, und schließlich lagen sie zuckend am Boden . Ihr Fleisch wurde schwarz, und ihr Haar brannte in hellen blauen Flammen. Dann traten zwei Frauen aus den Schatten, die beide gleich aussahen, und mit einemmal begriff Tobias, was geschehen sein mußte. Die Stevie Blues waren gekommen und hatten ihn wieder einmal gerettet.

Er grunzte ihnen ein hastiges Dankeschön zu und beugte sich erneut über Flynn, der benommen versuchte, sich aufzurichten.

Die beiden Stevies halfen ihm auf die Beine und zerrten ihn mit sich die Gasse entlang. Tobias eilte hinter ihnen her. Selbst im Chaos einer brennenden Stadt zeigten die Menschen noch genügend Instinkt, um den Stevie Blues aus dem Weg zu gehen. Sie kamen rasch voran, obwohl sie immer wieder marodierenden Abteilungen Imperialer Marineinfanteristen ausweichen mußten. Sie eilten durch eine Reihe weiterer enger Gassen, die in Tobias’ Augen allesamt gleich aussahen, und blieben schließlich vor einer nichtssagenden Tür in einer relativ unzerstörten Gegend stehen. Stevie Drei hämmerte mit der Faust an die Tür, und eine kleine Klappe wurde geöffnet. Dahinter kam ein Paar mißtrauischer Augen zum Vorschein. Stevie Drei erwiderte den Blick, und das Paneel wurde wieder zugeworfen. Dann ertönte das Geräusch von Riegeln, die zu-rückgeschoben, und von Schlössern, in denen Schlüssel gedreht wurden, und die Tür öffnete sich. Die Stevies führten Tobias und Flynn hinein, und hinter ihnen wurde die Tür wieder verschlossen und verriegelt .

Es war nicht viel mehr als ein Schlupfloch – ein einzelner großer Raum mit brettervernagelten Fenstern und nur einem einzigen Eingang. An einer Wand waren Pistolen und Gewehre aufgestellt, zusammen mit großen offenen Munitionskisten . Ein Dutzend schwerbewaffneter Männer und Frauen starrte durch Ritzen in den verbarrikadierten Fenstern nach draußen . Sie würdigten Tobias und Flynn kaum eines Blickes. Die Luft war dick und abgestanden und roch nach Schweiß und Anspannung. Stevie Eins unterhielt sich mit gedämpfter Stimme mit einem der Rebellen, während Stevie Drei eine Waffe entdeckte, die ihr zusagte, und sie begann, sie zu laden. Tobias half Flynn auf einen Stuhl. Der Kameramann sah inzwischen wieder ein wenig besser aus, doch der Zustand seiner Kleidung machte ihm inzwischen zunehmend zu schaffen.

»Das war meine schönste Unterwäsche«, beschwerte er sich bitter. »Ich wußte gleich, daß es keine gute Idee war, sie hier unten zu tragen.«

»Verdammt richtig«, sagte Tobias. »Um ein Haar wären wir beide deswegen umgebracht worden.«

Flynn rümpfte die Nase. »Marineinfanteristen haben eben keinen Sinn für Mode.« Die Kamera thronte auf seiner Schulter und schien zustimmend zu nicken.

Tobias drehte sich zu Stevie Drei um. »Wo sind wir hier?«

»Das sind die Reste einer Rebellenzelle, die ziemlich weit unten in der Kommandokette stand. Wahrscheinlich haben die Truppen sie nur deswegen noch nicht gefunden. Wir benutzen die Räume als Treffpunkt für Kameraden, die von der Invasion versprengt wurden. Wir warten auf neue Befehle; aber ich weiß nicht einmal, ob es in dieser Stadt überhaupt noch Überreste der Untergrundorganisation gibt. Wir sind schlimm getroffen worden. Die Kommunikation ist vor die Hunde gegangen, und wir haben kaum Esper bei uns. Ihr hattet Glück, daß meine Schwester und ich nach Versprengten gesucht haben. Wir hatten bereits entschieden, daß es unser letzter Versuch sein sollte.

Die Stadt ist gefallen; sie weiß es nur noch nicht.«

»Habt Ihr vielleicht Zeit für ein Interview?« fragte Tobias.

»Schließlich haben wir für den Augenblick nichts zu tun, und es besteht immer die Chance, daß irgend jemand gerade zusieht.«

Er gab Flynn einen Wink, und der Kameramann ruckte als Zeichen, daß seine Kamera noch immer funktionierte. Er setzte sie in eine bequeme Position auf der Schulter, und das rote Au-ge erwachte zum Leben. Es richtete sich auf Stevie Drei.

»Es gibt nicht viel zu erzählen«, sagte der Esper-Klon mit leiser Stimme. »Die Invasion hat uns alle überrascht. Die Kommandokette der Rebellen wurde beinahe augenblicklich zerstört. Wir haben nicht die geringste Vorstellung davon, was in den anderen Städten vor sich geht. Einige von uns wollten sich ergeben, als sie erkannten , wie schlimm es stand; aber die Imperialen Streitkräfte sind nicht daran interessiert, Gefangene zu machen. Meine Schwester und ich taten, was in unseren Kräften stand. Wir schalteten ein paar kleinere Kriegsmaschinen mit unserem Feuer aus und jagten Truppen, die von den Hauptstreitkräften getrennt worden waren, aber es waren einfach zu viele. Wir sind alle völlig erschöpft. So viele von uns sind tot. Unsere Munition geht zur Neige, und vielleicht bleibt uns keine andere Wahl mehr, als möglichst tapfer zu sterben und so viele von den verfluchten Bastarden mit uns zu nehmen, wie wir nur können.«

»Sie sind da!« rief Stevie Eins und starrte aus einem Schlitz im Fenster nach draußen. Alle schoben die Waffen durch die Öffnungen in den verbarrikadierten Fenstern und eröffneten das Feuer auf die vorrückenden Truppen. Der Lärm so zahlreicher Projektilwaffen in dem beengten Raum war ohrenbetäubend. Tobias und Flynn hielten sich die Ohren zu. Rauch und der Gestank nach Kordit erfüllten die Luft. Und dann schlug ein Energiestrahl einfach durch die verriegelte Holztür und den Körper eines dahinter Wache haltenden Rebellen, bevor er auf der anderen Seite wieder austrat .

»Ein Kriegswagen!« schrie Stevie Eins . »Er hat eine Disruptorkanone!«

Und dann schlugen aus allen Richtungen Disruptorstrahlen in das Schlupfloch ein . Sie krachten durch die Wände und erwischten die meisten Rebellen, bevor sie sich auf den Boden und in Deckung werfen konnten. Die Strahlen erfüllten den Raum mit blendend hellem Licht, und sie zuckten kreuz und quer und bildeten ein leuchtendes unheimliches Spinnennetz.

Die meisten Rebellen wurden innerhalb der ersten zwei Sekunden durchlöchert oder zerrissen, und ihre versengten und zerfetzten Glieder fielen zu Boden, wo sie noch eine Zeitlang zuckten. Einem Mann wurde der Kopf sauber weggeschossen, und sein Rumpf schwankte noch ein halbes Dutzend Schritte weit durch den Raum, bevor ein zweiter Schuß ihm die Beine abtrennte und er endgültig fiel.

Tobias hätte sich am liebsten in den Steinboden eingegraben.

Er hatte den Arm über den Kopf gelegt. Gleichzeitig hatte er Flynn gepackt und zu Boden gerissen, nachdem Stevie Eins ihre erste Warnung hinausgeschrien hatte. Tobias war kein Kämpfer. Noch immer zuckten Energiestrahlen durch den Raum, durchlöcherten die Wände und erfüllten die Luft mit dem Gestank von ionisierter Luft. Ein paar Rebellen schrien noch – entweder vor Schmerz oder Angst oder Schock –, aber es dauerte nicht lange. Schließlich endete der Beschuß, und alles war still, mit Ausnahme der leise knackenden Geräusche von den geschwächten Mauern. Das Licht des frühen Morgens strömte durch Hunderte von Löchern in den Wänden und wurde vom Pulverdampf und Staub zu einem diffusen Schein geschwächt. Langsam hob Tobias den Kopf und blickte sich um.

Überall lagen Tote: zerfetzt und zerrissen wie Puppen, die von wütenden Kindern weggeworfen worden waren, weil sie nicht mehr mit ihnen spielen wollten. Flynn lag neben Tobias und hielt beschützend seine kostbare Kamera in den Armen. Er nickte Tobias zu, als Zeichen, daß ihm nichts fehlte; aber er machte keinerlei Anstalten aufzustehen. Stevie Eins und Stevie Drei lagen beieinander, doch nur eine der beiden bewegte sich.

Langsam richtete Stevie Drei sich auf. Ihr halbes Gesicht mitsamt den Haaren waren verbrannt, als ein Energiestrahl sie gestreift hatte, doch ansonsten schien sie unverletzt. Stevie Eins war weniger glimpflich davongekommen. Sie war gleich mehrere Male getroffen worden. Den linken Arm hatte man ihr abgeschossen, und die rauchende Wunde war oberhalb des Ellbogens nur wenig kauterisiert. Stevie Drei wiegte ihre Schwester in den Armen.

Stevie Eins stöhnte leise und öffnete schließlich die Augen.

»Verdammt«, flüsterte sie mit schwerer Zunge. »Ich schätze, unsere Chancen haben sich noch weiter verschlechtert.«

»Sei still«, sagte Stevie Drei. »Ruh dich aus. Spar deine Kräfte.«

»Wofür? Es ist vorbei, Liebste. Das Imperium hat gewonnen.«

»Es ist erst dann vorbei, wenn wir es sagen«, widersprach Stevie Drei wild. »Wage es ja nicht, zu sterben und mich allein zu lassen. Wir haben zusammen gelebt , und wir werden zusammen sterben, und wir werden auf den Beinen sterben. Steh auf , verdammt noch mal! Komm schon, Liebste. Wir wollen der Imperatorin ein letztes Mal ins Gesicht spucken.«

Stevie Eins grinste . »Richtig.«

Stevie Drei half ihrer Schwester beim Aufstehen und stützte sie, bis sie halbwegs sicher stand. Sie blickten sich nach anderen Überlebenden um und entdeckten Tobias und Flynn, die sie entsetzt anstarrten. Stevie Drei grinste.

»Ich hätte es wissen müssen. Gute Männer und Frauen sterben, aber Reporter nie. Bleibt in Deckung, Jungs. Das ist nicht Euer Kampf.«

»Was habt Ihr vor?« erkundigte sich Tobias.

Stevie Drei sah zur Tür, und Tobias wußte, daß sie die Massen feindlicher Truppen davor abschätzte. Als sie nach einer Weile antwortete, klang ihre Stimme ruhig und beinahe sachlich.

»Einst gab es von uns vier. Klone, Schwestern, Liebende; wir standen uns näher, als Ihr es Euch jemals vorstellen könnt.

Zwei von uns starben im Kampf gegen das Imperium, das uns geschaffen hat, und jetzt sind wir ebenfalls an der Reihe. Wir wußten stets, daß wir eines Tages so enden würden. Brennend.

Nichts ist geblieben, bis auf eine letzte Geste des Trotzes

»Was habt Ihr vor?« wiederholte Tobias seine Frage. »Was könnt Ihr schon ausrichten?«

»Aufrecht sterben«, antwortete Stevie Eins, und Stevie Drei nickte.

»Manchmal ist das eben alles, was geht.«

»Nein!« widersprach Tobias mit einer Stimme, die von unvertrauten Emotionen rauh war. »Es muß einen anderen Weg geben. Es gibt immer einen anderen Weg.«

»Diesmal nicht«, sagte Stevie Drei beinahe freundlich.

»Nicht immer, und diesmal nicht. Jede Straße hört irgendwann einmal auf. Macht Eure Kamera bereit. Wir gehen nach draußen.«

Sie half ihrer Schwester zur Tür, entriegelte vorsichtig die Schlösser und schob die Bolzen einen nach dem anderen zu-rück. Flynns Kamera schwebte von seiner Schulter nach oben, um einen besseren Blickwinkel zu finden. Stevie Drei stieß die Tür weit auf, und sie krachte gegen die Wand. Die Esper-Klone standen einen Augenblick lang im Eingang und sahen auf die Männer und Maschinen, die tief gestaffelt vor ihnen in Stellung gegangen waren. Von irgendwo tief in ihrem Innern beschwor Stevie Eins die Kraft herauf, allein zu stehen. Stevie Drei warf einen Blick über die Schulter zu Tobias und Flynn und entblößte die Zähne zu einem Grinsen .

»Wir sehen uns in der Hölle, Jungs

Sie drehte sich wieder um und starrte auf die Soldaten, und dann gingen die beiden Stevies in Flammen auf. Grelles blaues Feuer loderte ringsum, wurde heller und verzehrte die Stevies, als sie all ihre verbliebene Kraft zusammennahmen zu einem letzten verzweifelten Akt des Widerstands. Sie rannten vor, ihren Kriegsruf auf den Lippen, und Feuer entsprang ihren drei ausgestreckten Händen und setzte Männer und Maschinen gleichermaßen in Brand. Die Imperialen Streitkräfte eröffneten das Feuer. Disruptorstrahlen durchbohrten die beiden Stevies immer und immer wieder und schüttelten sie, wie ein Hund eine Ratte schüttelt. Sie fielen übereinander, und ihre Flammen erloschen. Und dann gab es keine Stevie Blues mehr, nirgendwo im Imperium. Flynn bannte alles auf Film . Tobias wußte nicht, was er sagen sollte.

Ein Sergeant der Marineinfanteristen trat vor und tippte gelassen mit dem Fuß an die beiden Stevies, um sicherzugehen, daß sie tot waren. Er nickte zufrieden und ging dann ohne Eile zur Tür, wo er stehenblieb und Tobias und Flynn musterte.

Tobias erwartete seinen Tod. Er wußte nicht, wohin er fliehen sollte, und er hätte auch nicht gewußt, was er mit einer Waffe in der Hand anfangen sollte, selbst wenn er eine besessen hätte.

Er fühlte sich eigenartig unbeteiligt, als wäre es falsch, daß er noch immer am Leben war und alle anderen ringsum tot. Er starrte den Sergeant herausfordernd an und hoffte nur, daß Flynn bis zum letzten Augenblick filmte.

»Ihr seid ein rechter Glückspilz, Shreck«, sagte der Sergeant.

»Scheint, die Imperatorin ist ein Fan von Euch. Sie hat all Eure Berichte mit größtem Interesse verfolgt. Stellt Euch vor, wie überrascht und erfreut sie war, als die Elegance mit einemmal Euer Signal auffing! Ihr kommt mit uns. Zusammen mit Eurem Kameramann seid Ihr jetzt offiziell Imperiale Berichterstatter, und die Imperatorin wünscht, daß Ihr den Fall der Todtsteltzer-Festung dokumentiert. Und nein, Euch bleibt keine Wahl. Also Beeilung, meine Herren, sonst kommt Ihr noch zu spät.«

Er riß Tobias vom Boden hoch und klopfte grob den Staub aus seinen Kleidern. Flynn stand ohne fremde Hilfe auf. Der Sergeant starrte den Kameramann an und zuckte zusammen.

»Wir suchen besser einen Umhang für Euch. Selbst Reporter sollten einen gewissen Standard einhalten. Kommt jetzt, Burschen. Die Imperatorin will, daß das gesamte Reich sieht, was mit Menschen geschieht, die es wagen, ihrer weisen und gerechten Herrschaft zu trotzen. Macht Eure Arbeit gut, und vielleicht werdet Ihr dann hinterher nicht exekutiert, weil Ihr Euch mit dem Feind verbündet habt. Und jetzt: Bewegung!«

Tobias und Flynn stapften auf unsicheren Beinen aus dem Raum voller toter Rebellen und direkt in die Arme des wartenden Imperiums.

David Todtsteltzer saß in der altehrwürdigen Festung seines Clans auf der Bettkante und beobachtete auf dem Holoschirm, wie sein Planet starb. Er zappte durch sämtliche Kanäle; doch der Anblick war überall der gleiche: seine Leute, kämpfend und sterbend. Imperiale Bodentruppen, Kampfandroiden oder Kriegsmaschinen, und immer wieder seine sterbenden Leute.

Dörfer und Städte brannten, und das Land war voll mit Flüchtlingen, die von den Imperialen zusammengetrieben wurden.

Später würde jeder zehnte Überlebende exekutiert werden. Als Exempel. Die Löwenstein war sehr gründlich, was die Einhal-tung derartiger Traditionen anging.

David schaltete den Schirm ab, und plötzlich war es im Schlafzimmer totenstill. Er schlang die Arme um den Leib, so fest er konnte. Der Schmerz kam und ging, und David wußte nicht, ob das ein gutes Zeichen war oder ein schlechtes. Wenn die Schmerzen stark waren, konnte er nichts anderes tun, als regungslos dazusitzen und die Zähne zusammenzubeißen, um nicht laut aufschreien, und zu warten, daß der Schmerz verging, damit er wieder klar denken konnte. Ihm war abwechselnd heiß und kalt, und Schweiß tropfte von seiner Stirn. In Gedanken suchte er verzweifelt nach irgend etwas, was die Situation noch retten konnte. Sein Angebot zur Kapitulation war abgelehnt worden, und er konnte keine Nachricht nach draußen schicken, um die Hilfe des Untergrunds herbeizurufen.

Unten kämpften die wenigen Leute aus der Besatzung der Festung, die ihm noch treu ergeben waren, gegen die anrückenden Imperialen Streitkräfte und ihren Versuch, die Festung zu überrennen. Sie würden sich nicht mehr lange halten können.

Kit Sommer-Eiland stürmte durch die offene Tür, und David sah die Neuigkeiten bereits in seinem Gesicht.

»Kapitän Schwejksam und Investigator Frost führen einen Angriff auf das Hauptportal durch«, sagte er. »Unsere Leute können ihn unmöglich abwehren.«

David nickte langsam. »Das Portal war nie dazu geschaffen , einen derartigen Ansturm aufzuhalten.« Er bemühte sich , und Kit eilte herbei und half ihm dabei. David klammerte sich an seinen Freund. Seine Beine fühlten sich an, als müßten sie jeden Augenblick unter ihm nachgeben; doch er kämpfte gegen das Gefühl an. Er zwang sich dazu, aufrecht zu stehen, und grinste den Sommer-Eiland an.

»Das war’s, Kit. Sobald die Festung gefallen ist, hat die Rebellion auf dieser Welt aufgehört zu existieren. Ich glaube, jetzt endlich begreife ich, was es heißt, ein Todtsteltzer zu sein. Man kämpft auf der guten Seite, setzt alles ein, was man hat, selbst wenn man weiß, daß man nicht gewinnen kann.« Er deutete auf das Holoporträt des ursprünglichen Todtsteltzers, das über dem Fußende seines Betts an der Wand hing. »Sieh ihn dir nur an.

Wie irgendein böser alter Söldner und Barbar sieht er aus, mit seinem Zopf und der Lederkleidung. Giles, mein Vorfahr. Ich frage mich, was er wohl von mir halten mag? Wir hatten nie Gelegenheit zum Reden. Und dann ist da noch Owen. Ich glaube, ich verstehe ihn jetzt ein wenig besser. Er hat versucht, mich zu warnen, aber ich wollte nicht auf ihn hören. Er sagte, ich würde Virimonde niemals halten können, und er hatte recht. Die Imperatorin gibt, und die Imperatorin nimmt. Ganz nach Lust und Laune. Gott verdamme die Imperatorin!«

»Du hast Fieber«, sagte Kit. »Setz dich lieber wieder hin.«

»Nein. Wenn ich mich hinsetze, finde ich nie wieder die Kraft, um aufzustehen . Ich glaube, es wird Zeit, daß wir verschwinden.«

Kit sah ihn an. »Die Festung ist eingeschlossen, David. Sie haben alle Fluchtwege versperrt.«

»Einen gibt es noch, den sie nicht kennen David schlurfte zu dem Holoporträt und betätigte einen verborgenen Schalter.

Das Porträt schwang zur Seite und gab den Blick auf einen schmalen Durchgang frei. Licht schaltete sich ein und zeigte einen Gang, der nach unten in die Dunkelheit führte. David grinste müde, als er neue Hoffnung in den Augen seines Freundes aufkeimen sah. »Ein Geheimgang. Owen hat mir davon erzählt. Hat ihm den Hintern gerettet, als sie ihn jagten. Er führt zu den Höhlen unter der Festung, in einen kleinen Hangar. Wir schnappen uns einen Flieger, geben Vollgas und verschwinden wie der Blitz, bevor sie überhaupt wissen, wie ihnen geschieht. Ich darf noch nicht sterben, Kit. Mein Volk braucht mich. Und wenn ich es schon nicht retten kann, dann kann ich es vielleicht einrichten, daß es gerächt wird. Weißt du, Kit, ich weiß jetzt, was meine Pflicht und Ehre von mir verlangen.«

»Du hast Fieber, David«, sagte Kit. »Komm, wir gehen.«

Sie kamen nur langsam voran. David stützte sich schwer auf Kit. Die Wunde hatte wieder heftig zu bluten begonnen, und wenn er hustete, was manchmal trotz der damit verbundenen Schmerzen unumgänglich war, dann sprühte Blut über seine Lippen. Aber er ging weiter. Er wollte einfach nicht aufgeben.

Ein Todtsteltzer gab niemals auf. In seinem Kopf drehte sich alles, und manchmal glaubte er, Owen sei bei ihm, manchmal Giles; doch wenn er für ein paar Augenblicke wieder klar denken konnte, war es stets sein Freund Kit Sommer-Eiland: der einzige wirkliche Freund, den David je gekannt hatte.

Sie erreichten das Ende des Ganges und blieben stehen. Kit spähte vorsichtig um eine Ecke in den Hangar und riß augenblicklich den Kopf zurück und warf sich in Deckung. Ein Disruptorstrahl krachte in die Wand, wo er noch Sekundenbruchteile zuvor gestanden hatte. Trümmerstücke wirbelten durch die Luft. David verlor das Gleichgewicht und fiel der Länge nach zu Boden, wobei er Kit mit sich riß. Sie lagen nebeneinander auf dem Steinboden und atmeten schwer. Kit feuerte seinen Disruptor blindlings nach draußen in den Hangar ab, damit niemand auf den Gedanken kam, sie wären wehrlos. Er suchte nach Davids Waffe und stellte fest, daß der Todtsteltzer keine mehr bei sich trug.

»David«, sagte er drängend. »Wo zur Hölle ist dein Disruptor?«

»Ich gab ihn Alice, unmittelbar bevor wir abgestürzt sind. Sie hat ihn noch immer.« David spuckte Blut und schnitt eine Grimasse. »Kit, ich habe gerade versucht, den Zorn heraufzubeschwören, aber nichts ist passiert. Ich habe keine Energie mehr in mir. Ich kann nicht mehr kämpfen. Ich kann nicht weiter.«

»Halt den Mund«, sagte Kit. »Wir warten , bis du wieder zu Atem gekommen bist , und dann gehen wir durch den Gang zurück.«

»Nein , ich gehe nirgendwo mehr hin, Kit. Mir ist kalt. Entsetzlich kalt.«

Kit setzte sich auf, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und wiegte David in den Armen. Er drückte ihn an sich, so fest es ging, und versuchte, den sterbenden Freund ein wenig zu wärmen.

»Wir hatten eine schöne Zeit, nicht wahr, Kit?«

»Die beste.«

»Schade um Alice. Und um Jenny.«

»Ja.«

»Laß mich hier zurück, Kit.«

»Was?«

»Sie wollen mich, nicht dich. Es wäre sinnlos, wenn du mit mir zusammen stirbst.«

»Ich kann dich nicht im Stich lassen, David. Du bist mein einziger Freund.«

»Dann tu, worum ich dich bitte. Stirb nicht umsonst, Kit. Töte mich, und dann geh zu ihnen nach draußen. Mein Tod wird dich wieder in die Gunst der Löwenstein bringen. Zeig ihr meinen Kopf, und sie macht dich wahrscheinlich sogar zum Lord von Virimonde. Schließlich bleibt ihnen nichts anderes übrig, als zu glauben, du wärst einer von ihnen.«

»David… bitte. Ich kann dich nicht…«

»Doch, Kit. Du kannst. Du mußt, Kit. Ich will nicht Stück für Stück hier sterben und schreien, wenn die Schmerzen unerträglich werden. Tu es, Kit. Sei mein Freund. Ein letztes Mal.«

Er hustete heiser. Blut spritzte über sein Kinn. Er wollte noch etwas sagen, aber er brachte keinen Ton mehr hervor. Kit hielt ihn in den Armen, bis der Hustenanfall vorüber war; dann zog er sein Messer und stieß es Kit mit einer geübten Bewegung ins Herz. David atmete in einem langen Seufzer aus und lag still.

Kit saß noch eine Weile da und wiegte den Leichnam in seinen Armen. David hatte recht. Die Imperatorin würde ihn mit offenen Armen aufnehmen. Er hatte den Todtsteltzer zur Strecke gebracht. Die Eiserne Hexe hatte schon immer eine Schwäche für ihren lächelnden Killer gehabt. Außerdem war es nicht so, als wäre ihm eine andere Möglichkeit geblieben. Die Rebellion war vorbei. Jeder Blinde konnte das erkennen. Und damit blieb nur noch die Löwenstein übrig. Kit war ein Killer, und er ge-hörte dorthin, wo andere den Tod fanden . Vorsichtig ließ er Davids Leichnam zu Boden gleiten und verschränkte die Arme des Toten über der Brust. Er zog das Schwert und beugte sich über David. Das Gesicht des jungen Todtsteltzers strahlte Frieden und Ruhe aus. Kit beugte sich vor und küßte David auf die blutigen Lippen.

»Mein geliebter David.«

Er richtete sich auf und hob das Schwert.

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