Zweiter Teil. Watership Down

18. Watership Down


Was jetzt bewiesen ist, war einst nur gedacht.

William Blake The Marriage of Heaven and Hell


Es war der Abend des darauffolgenden Tages. Den nördlichen Steilabhang von Watership Down, der seit dem frühen Morgen im Schatten lag, erwischte jetzt die westliche Sonne eine Stunde vor der Abenddämmerung. Hundert Meter stieg der Down auf einer Strecke von nicht mehr als zweihundert Metern senkrecht in die Höhe - ein steiler Wall von dem dünnen Baumgürtel am Fluß bis zum Kamm, wo der jähe Abhang sich wieder abflachte. Das volle, weiche Licht lag wie eine goldene Schale über dem Rasen, dem Stechginster, den Eibenbüschen, den vom Wind verkümmerten Dornbüschen. Vom Kamm aus schien das Licht den ganzen Hang unten träge und still zu bedecken. Aber im Gras selbst, zwischen den Büschen, in dem dichten, von den Käfern, den Spinnen und der Spitzmaus bevölkerten Hügelland war das sich bewegende Licht wie ein Wind, der unter ihnen tanzte, um sie zum Huschen und Schlängeln zu bringen. Die roten Strahlen flimmerten zwischen den Grashalmen, blitzten in jeder Minute auf häutigen Flügeln auf, warfen lange Schatten hinter die dünnsten faserartigen Beine, brachen jeden Fleck kahlen Bodens in eine Unzahl individueller Adern auf. Die Insekten summten, wimmerten, brummten, schwirrten und dröhnten, als die Luft sich im Sonnenuntergang erwärmte. Lauter, jedoch ruhiger als sie, klangen zwischen den Bäumen die Goldammer, der Hänfling und der Grünfink. Die Lerchen stiegen auf und zwitscherten in der duftenden Luft über dem Down. Vom Gipfel aus war die augenscheinliche Unbeweglichkeit der weiten blauen Ferne da und dort unterbrochen von Rauchfetzen und winzigem, flüchtigem Aufblitzen von Glas. Tief unten lagen die Felder, grün von Weizen, die fetten Weiden mit den grasenden Pferden, das dunklere Grün der Waiden Auch sie waren, wie der Dschungel des Abhangs, voll abendlichen Lärms, aber von der fernen Höhe der Stille verwandelt, ihre Wildheit gemildert durch die Luft, die dazwischenlag.

Am Fuße des Rasenvorsprungs hockten Hazel und seine Gefährten unter den niedrigen Zweigen von zwei oder drei Spindelbäumen. Seit dem vergangenen Morgen waren sie fast drei Meilen gewandert. Sie hatten Glück gehabt; denn jeder, der das Gehege verlassen hatte, war noch am Leben. Sie waren durch zwei Bäche geplanscht und angstvoll in den tiefen Waldungen westlich von Ecchinswell gewandert. Sie hatten im Stroh einer einsamen Scheune geruht und waren durch den Angriff von Ratten geweckt worden. Silver und Buckthorn hatten mit Hilfe von Bigwig den Rückzug gedeckt, und als sie alle draußen waren, hatten sie die Flucht ergriffen. Buckthorn war ins Vorderbein gebissen worden, und die Wunde, wie alle Rattenbisse, war entzündet und schmerzte. Als sie an einem kleinen See entlangwanderten, hatten sie verblüfft auf einen großen grauen Fischreiher gestarrt, der im Schilf herumstakste und planschte, bis ein Schwärm wilder Enten sie mit ihrem Geschrei verscheucht hatte. Sie hatten mehr als eine halbe Meile offenen Weidelandes ohne eine Spur von Deckung überquert, jeden Augenblick in Erwartung eines Angriffs, der nicht kam. Sie hatten das unnatürliche Summen eines Hochspannungsmastes in der Sommerluft vernommen und waren tatsächlich unter ihm entlanggegangen, auf Fivers Versicherung hin, daß er ihnen nichts anhaben könne. Jetzt lagen sie unter den Spindelbäumen und schnupperten voller Ermüdung und Zweifel an dem fremden, kahlen Land um sie herum.

Seitdem sie das Fallen-Gehege verlassen hatten, waren sie vorsichtiger, schlauer, eine zähe Schar geworden, die sich besser verstand und zusammenhielt. Es gab keinen Streit mehr. Die Wahrheit über das Gehege war ein scheußlicher Schock gewesen. Sie waren sich nähergekommen, verließen sich aufeinander und schätzten die Fähigkeiten des einzelnen ganz anders ein. Sie wußten jetzt, daß ihr Leben einzig und allein von diesen abhing, und sie würden nichts schwächen, was sie gemeinschaftlich besaßen. Trotz Hazels Bemühungen neben der Falle war nicht einer unter ihnen, der sich nicht hundeelend bei dem Gedanken fühlte, daß Bigwig tot sein könnte, und sich wie Blackberry fragte, was dann aus ihnen geworden wäre. Ohne Hazel, ohne Blackberry, Buckthorn und Pipkin - wäre Bigwig gestorben. Und wäre er nicht Bigwig -er wäre gestorben; denn hätte nicht jeder andere, derartig zugerichtet, aufgegeben? Bigwigs Stärke, Fivers Scharfblick, Blackberrys geistige Kraft oder Hazels Autorität wurden nicht mehr in Frage gestellt. Als die Ratten kamen, hatten Buckthorn und Silver Bigwig gehorcht und ihre Stellung behauptet. Die übrigen waren Hazel gefolgt, als er sie aufgejagt und ihnen ohne nähere Erklärung befohlen hatte, schnell die Scheune zu verlassen. Später hatte Hazel gesagt, es bliebe gar nichts anderes übrig, als das offene Weideland zu überqueren, und unter Silvers Leitung hatten sie es überquert; Dandelion war immer vorausgerannt, um auszukundschaften. Als Fiver sagte, der Eisenbaum sei harmlos, glaubten sie ihm.

Strawberry war es schlecht ergangen. Sein Elend machte ihn schwerfällig und unüberlegt, und er schämte sich der Rolle, die er in dem Gehege gespielt hatte. Er war schlapp und viel mehr an Trägheit und gutes Futter gewöhnt, als er zuzugeben wagte. Aber er beklagte sich nicht, und es war offensichtlich, daß er entschlossen war zu zeigen, was er konnte, um nicht zurückgelassen zu werden. Er hatte sich als nützlich im Waldland erwiesen, da er besser an dichte Wälder gewöhnt war als die anderen. »Er wird sich bewähren, weißt du, wenn wir ihm eine Chance geben«, sagte Hazel am See zu Bigwig. »Hoffentlich, verdammt noch mal«, erwiderte Bigwig, »der große Dandy!« - denn nach ihren Maßstäben war Strawberry peinlich sauber und eigen. »Nun, ich möchte, wohlgemerkt, nicht, daß man ihn einschüchtert, Bigwig. Das wird ihm nicht helfen.« Das hatte Bigwig, wenn auch ziemlich verdrießlich, akzeptiert und war selbst weniger anmaßend geworden. Die Falle hatte bei ihm Schwäche und Überreiztheit hinterlassen. Er war es, der das Alarmzeichen in der Scheune gegeben hatte, denn er konnte nicht schlafen und war bei dem scharrenden Geräusch sofort aufgeschreckt. Er wollte Silver und Buckthorn nicht allein kämpfen lassen, hatte sich aber gezwungen gesehen, das Schlimmste ihnen beiden zu überlassen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Bigwig sich zu Mäßigung und Vorsicht gezwungen gesehen.

Als die Sonne tiefer sank und den Saum des Wolkengürtels am Horizont berührte, kam Hazel unter den Ästen hervor und musterte achtsam den unteren Abhang. Dann starrte er nach oben über die Ameisenhügel zu dem offenen, ansteigenden Hügelland. Fiver und Acorn folgten ihm hinaus und begannen, an einem Fleck Schildklee zu knabbern. Er war neu für sie, aber man brauchte ihnen nicht zu sagen, daß er gut war, und es hob ihre Stimmung. Hazel drehte sich um und gesellte sich zu ihnen zwischen die großen rosig geäderten, purpurfarbenen Blüten-Ähren.

»Fiver«, sagte er, »um es klipp und klar zu sagen: Du willst, daß wir hier hinaufklettern, wie weit auch immer es sei, und Schutz auf dem Gipfel suchen. Stimmt das?«

»Ja, Hazel.«

»Aber der Gipfel muß sehr hoch sein. Ich kann ihn nicht einmal von hier aus sehen. Dort wird es ungeschützt und kalt sein.«

»Nicht am Boden - und die Erde ist so leicht, daß wir mühelos eine Deckung herauskratzen können, wenn wir den richtigen Ort finden.«

Hazel überlegte wieder. »Der Anfang macht mir Sorgen. Hier sind wir, alle übermüdet. Ich bin sicher, daß es gefährlich ist, hier zu bleiben. Wir können nirgendwohin laufen. Wir kennen das Land nicht, und wir können uns nicht unter die Erde verkriechen. Aber es kommt nicht in Frage, daß wir heute nacht da hinaufklettern. Wir wären dort noch weniger sicher.«

»Wir werden gezwungen sein zu graben, nicht wahr?« fragte Acorn. »Dieser Ort liegt beinahe so offen da wie die Heide, die wir überquerten, und die Bäume werden uns vor nichts, das auf vier Füßen jagt, verbergen.«

»Es wäre immer dasselbe gewesen, ganz gleich, wann wir gekommen wären«, sagte Fiver.

»Ich sage ja nichts dagegen, Fiver«, sagte Acorn, »aber wir brauchen Löcher. Es ist ein schlechter Ort, wenn man nicht unter die Erde gehen kann.«

»Ehe alle auf den Gipfel gehen«, sagte Hazel, »sollten wir ausfindig machen, wie es da oben aussieht. Ich gehe selbst hinauf, um mich umzusehen. Ich werde mich beeilen, so sehr ich kann, und ihr müßt dem Glück vertrauen, bis ich zurück bin. Ihr könnt auf jeden Fall ausruhen und fressen.«

»Du gehst nicht allein«, sagte Fiver fest.

Da jeder von ihnen bereit war, trotz Ermüdung mitzugehen, gab Hazel nach und wählte Dandelion und Hawkbit aus, die weniger erschöpft schienen als die anderen. Sie begannen, den Berghang zu erklimmen, suchten sich ihren Weg von einem Busch und Büschel zum anderen und hielten dauernd inne und starrten auf die große Grasfläche, die sich auf beiden Seiten erstreckte, so weit sie sehen konnten.

Ein Mensch geht aufrecht. Es ist anstrengend für ihn, einen steilen Berg hinaufzusteigen, weil er dauernd seine eigene senkrechte Masse aufwärts schieben muß und keine Schwungkraft erlangen kann. Das Kaninchen ist besser dran. Seine Vorderläufe stützen seinen waagegerechten Körper, und die großen Hinterläufe tun die Arbeit. Es gelingt ihnen besser, die leichte Masse vor ihnen den Berg hinaufzustoßen, und sie können ziemlich schnell bergauf gehen. Sie haben so viel Antriebskraft hinter sich, daß sie es unangenehm finden, bergab zu laufen, und manchmal, auf der Flucht einen steilen Hang hinunter, kullern sie tatsächlich kopfüber. Andererseits ist der Mensch nahezu zwei Meter über dem Hang und kann sich überall umblicken. Ihm mag der Boden steil und holperig vorkommen, aber im großen ganzen ist er eben; und er kann seine Richtung leicht von der Spitze seines beweglichen 2-Meter-Turmes wählen. Die Ängste und die Anstrengung der Kaninchen beim Erklettern des Hügels waren deshalb anderer Art, als Sie, verehrter Leser, sie erleben würden. Ihre Hauptschwierigkeit war nicht die körperliche Ermüdung. Als Hazel sagte, sie seien todmüde, hatte er gemeint, daß sie den Streß anhaltender Unsicherheit und Angst empfanden.

Kaninchen, die nicht in erprobter, vertrauter Umgebung in der Nähe ihrer Löcher sind, leben über dem Boden in fortwährender Furcht. Wenn sie heftig genug wird, können sie durch sie paralysiert werden - tharn, um ihr eigenes Wort zu gebrauchen. Hazel und seine Gefährten waren fast zwei Tage unterwegs gewesen. In der Tat hatten sie sich nach dem Verlassen ihres Heimatgeheges vor fünf Tagen einer Gefahr nach der anderen gegenübergesehen. Sie waren alle nervös, schreckten manchmal grundlos zusammen und legten sich andererseits wieder in jedem Fleck Gras nieder, der sich ihnen bot. Bigwig und Buckthorn rochen nach Blut, und alle waren sich dessen bewußt. Was Hazel, Dandelion und Hawkbit beunruhigte, war die offene Lage und die Fremdheit des Hügellandes und ihr Unvermögen, sehr weit voraus zu sehen. Sie kletterten nicht über, sondern durch das sonnenrote Gras, inmitten des erwachten Insektenlebens und des lodernden Lichts. Das Gras wogte um sie herum. Sie guckten über Ameisenhügel und blickten vorsichtig um Gruppen von Kardendisteln herum. Sie konnten nicht sagen, wie weit entfernt der Kamm sein mochte. Sie stiegen auf jeden kurzen Hang, bloß um einen anderen darüber zu finden. Hazel schien es ein geeigneter Platz für Wiesel - oder eine weiße Eule könnte vielleicht im Zwielicht die Böschung entlangfliegen und mit ihren starren Augen einwärts blicken, bereit, sich ein paar Meter nach der Seite zu wenden und vom schräg abfallenden Hang alles aufzulesen, was sich bewegte. Einige elil lauern ihrer Beute auf, aber die weiße Eule ist ein Sucher, und sie kommt still.

Während Hazel immer noch hinaufkletterte, begann der Wind zu wehen, und der Juni-Sonnenuntergang rötete den Himmel bis zum Zenit. Hazel war es, wie beinahe alle wildlebenden Tiere, nicht gewöhnt, zum Himmel zu blicken. Was er für den Himmel hielt, war der Horizont, der gewöhnlich von Bäumen und Hecken unterbrochen war. Jetzt jedoch fand sein nach oben gerichteter Blick den Kamm, als über den Horizont still die rotschattierten Kumuluswolken glitten. Ihre Bewegung war beunruhigend, der von Bäumen oder Gras oder Kaninchen nicht ähnlich. Diese großen Massen bewegten sich stetig, geräuschlos und immer in derselben Richtung. Sie waren nicht von seiner Welt.

»O Frith«, dachte Hazel und wandte den Kopf einen Augenblick zu der hellen Röte im Westen, »schickst du uns aus, um unter den Wolken zu leben? Wenn du wahrhaftig zu Fiver sprachst, hilf mir, ihm zu vertrauen.« In diesem Augenblick sah er Dandelion, der eine ganze Strecke vorausgerannt war, klar gegen den Himmel abgezeichnet auf einem Ameisenhaufen hocken. Beunruhigt sprang er nach vorn.

»Dandelion, komm herunter!« sagte er. »Warum sitzt du da oben?«

»Weil ich sehen kann«, erwiderte Dandelion mit einer Art erregter Freude. »Komm und schau! Du kannst die ganze Welt sehen.«

Hazel kam zu ihm herauf. In der Nähe war ein anderer Ameisenhügel, und er tat es Dandelion nach, setzte sich aufrecht auf seine Hinterläufe und blickte sich um. Er merkte jetzt, daß sie sich auf fast ebenem Boden befanden. Wahrhaftig, es war nur ein sanfter Hang auf einem Teil der Strecke, die sie gekommen waren; aber er war von dem Gedanken einer Gefahr unter freiem Himmel besessen gewesen und hatte den Wandel nicht beachtet. Sie waren oben auf dem Hügelland. Hoch über dem Gras sitzend, konnten sie weit in alle Richtungen sehen, Ihre Umgebung war leer. Wenn irgend etwas sich bewegt hätte, hätten sie es unverzüglich gesehen, und wo das Grasland endete, begann der Himmel. Ein Mensch, ein Fuchs - sogar ein Kaninchen -, die über das Land kämen, würden auffallen. Fiver hatte recht gehabt. Hier oben wären sie vor jeder Annäherung sofort gewarnt.

Der Wind zerzauste ihr Fell und zerrte an dem Gras, das nach Thymian roch. Die Einsamkeit schien wie eine Erlösung und ein Segen. Die Höhe, der Himmel und die Entfernung stiegen ihnen zu Kopf, und sie hüpften im Sonnenuntergang. »O Frith auf den Bergen!« rief Dandelion. »Er muß es für uns gemacht haben!«

»Mag sein, daß er es für uns gemacht hat, aber Fiver hat für uns daran gedacht«, antwortete Hazel. »Warte nur, bis wir ihn hier heraufkriegen! Fiver-rah!«

»Wo ist Hawkbit?« fragte Dandelion plötzlich.

Obgleich es noch hell genug war, konnten sie Hawkbit nirgendwo auf dem Hochland sehen. Nachdem sie sich einige Zeit suchend umgeblickt hatten, rannten sie zu einem kleinen, etwas entfernten Hügel hinunter und schauten wieder umher. Aber sie sahen nichts außer einer Feldmaus, die aus ihrem Loch herauskam und in einem Fleck geschossenem Gras herumsauste.

»Er muß hinuntergegangen sein«, sagte Dandelion.

»Nun, ob er gegangen ist oder nicht«, sagte Hazel, »wir können jedenfalls nicht weiter nach ihm suchen. Die anderen warten, und sie sind vielleicht in Gefahr. Wir müssen selbst hinuntergehen.«

»Was für ein Jammer, ihn zu verlieren«, sagte Dandelion, »nachdem wir Fivers Hügel erreicht haben, ohne einen einzigen einzubüßen. Er ist so ein Dummkopf; wir hätten ihn gar nicht mit heraufnehmen sollen. Aber wie könnte irgend etwas ihn erwischt haben, ohne daß wir's gesehen hätten?«

»Nein, er ist sicherlich zurückgegangen«, sagte Hazel.

»Wer weiß, was Bigwig ihm erzählen wird! Hoffentlich beißt er ihn nicht wieder. Wir sollten uns lieber beeilen.«

»Wirst du sie heute Abend heraufbringen?« fragte Dandelion.

»Ich weiß nicht«, sagte Hazel. »Das ist so ein Problem. Wo finden wir ein Obdach?«

Sie gingen auf den steilen Rand zu. Das Licht begann zu schwinden. Sie fanden ihre Richtung durch eine Gruppe verkümmerter Bäume, an denen sie auf ihrem Weg herauf vorbeigekommen waren. Diese bildeten eine Art Oase - ein kleines, für die Downs übliches Charakteristikum. Ein halbes Dutzend Dornbüsche und zwei oder drei Holunderbüsche wuchsen über und unter einem Damm ineinander. Zwischen ihnen war die Erde kahl, und die nackte Kreide zeigte ein bleiches, schmutziges Weiß unter der cremefarbigen Holunderblüte. Als sie sich näherten, sahen sie plötzlich Hawkbit zwischen den Dornstümpfen sitzen und sich das Gesicht mit seinen Pfoten säubern.

»Wir haben dich gesucht«, sagte Hazel. »Wo in aller Welt bist du gewesen?«

»Es tut mir leid, Hazel«, erwiderte Hawkbit unterwürfig. »Ich habe mir diese Löcher angesehen. Ich dachte, sie wären uns vielleicht von Nutzen.«

In der niedrigen Böschung hinter ihm befanden sich drei Kaninchenlöcher. Es gab noch zwei weitere in dem flachen Boden zwischen den dicken, knorrigen Wurzeln. Sie konnten keine Fußspuren und keinen Mist sehen. Die Löcher waren eindeutig verlassen.

»Bist du unten gewesen?« fragte Hazel und schnüffelte herum.

»Ja, bin ich«, sagte Hawkbit. »Jedenfalls in dreien. Sie sind nicht tief und ziemlich uneben, aber da ist kein Geruch nach Tod oder Krankheit, und sie sind gut erhalten. Ich dachte, sie würden für uns genügen - für den Augenblick jedenfalls.«

Ein Mauersegler flog im Zwielicht kreischend über ihnen, und Hazel wandte sich an Dandelion.

»Neuigkeiten! Neuigkeiten!« sagte er. »Bring sie hier herauf.«

So kam es, daß einer aus dem Mannschaftsstand einen glücklichen Fund machte, der sie endlich zu den Downs brachte - und wahrscheinlich ein oder zwei Leben rettete; denn sie hätten kaum die Nacht im Freien verbringen können, weder auf dem Hügel noch unten an seinem Fuß, ohne von einem Feind angegriffen zu werden.

19. Furcht im Dunkeln


»Wer ist im nächsten Zimmer? - Wer?

Eine Gestalt bleich Mit einer Botschaft für einen da drin von etwas Bevorstehendem?

Werde ich ihn sofort erkennen?«

»Ja, er; und er brachte dergleichen; und du wirst ihn sofort erkennen.«

Thomas Hardy »Who's in the Next Room?«


Die Löcher waren wirklich uneben - »Gerade recht für einen Haufen Vagabunden[8] wie wir«, sagte Bigwig -, aber die Erschöpften und diejenigen, die im fremden Land umherwandern, sind nicht wählerisch bei ihren Quartieren. Zumindest war Platz für zwölf Kaninchen, und die Baue waren trocken. Zwei der Läufe - die zwischen den Dornbäumen - führten direkt zu Höhlen hinunter, die aus der oberen Kalkerdschicht gescharrt worden waren. Kaninchen polstern ihre Schlafstellen nicht aus, und ein harter, beinahe felsiger Boden ist unbehaglich für diejenigen, die nicht daran gewöhnt sind. Die Löcher in der Böschung jedoch hatten die üblichen bogenförmigen Läufe, die zu dem Kalk hinunter und dann wieder zu Bauen mit festgetrampelter Erde hinaufführten. Es gab keine Verbindungsgänge, aber die Kaninchen waren zu müde, sich darum zu sorgen. Sie schliefen zu viert in einem Bau, gemütlich und sicher. Hazel blieb noch eine Weile wach und leckte Buckthorns Lauf, der steif und empfindlich war. Er war beruhigt, als er keinen Infektionsgeruch wahrnahm, aber alles, was er über Ratten gehört hatte, bestimmte ihn, dafür zu sorgen, daß Buckthorn ausreichend Ruhe bekam und saubergehalten wurde, bis die Wunde verheilt war. Das ist schon der dritte von uns, der verletzt wurde; trotzdem, alles in allem hätte es schlimmer kommen können, dachte er und schlief ein. Die kurze JuniDunkelheit glitt in ein paar Stunden vorbei. Das Licht kehrte sehr früh zu dem hochgelegenen Land zurück, aber die Kaninchen rührten sich nicht. Lange nach der Frühdämmerung schliefen sie immer noch, ungestört in einer Stille, die tiefer war, als sie sie je gekannt hatten. Heutzutage ist der Geräuschpegel in Feldern und Wäldern tagsüber hoch - für einige Tierarten zu hoch und unerträglich. Wenige Orte sind weit genug von menschlichen Geräuschen entfernt -Autos, Bussen, Motorrädern, Traktoren, LKWs. Das Geräusch einer Ansiedlung ist am Morgen über eine weite Entfernung zu hören. Leute, die den Gesang von Vögeln aufnehmen wollen, tun das im allgemeinen sehr früh - vor sechs Uhr -, wenn sie können. Bald danach dringt der entfernte Lärm zu beständig und laut in die meisten Waldgebiete. In den letzten fünfzig Jahren ist die Stille in weiten Teilen des Landes zerstört worden. Aber hier, auf Watership Down, trieben nur schwache Spuren der Tagesgeräusche von unten herauf.

Die Sonne stand schon hoch, wenn auch nicht so hoch wie der Down, als Hazel erwachte. Bei ihm im Bau waren Buckthorn, Fiver und Pipkin. Er lag der Mündung des Loches am nächsten und weckte sie nicht, als er den Lauf hinaufschlüpfte. Draußen hielt er an, um hraka zu machen, und hopste dann durch die Dornenstelle ins offene Gras. Das Land unten war mit Frühnebel bedeckt, der sich aufzulösen begann. Da und dort, weit entfernt, waren die Umrisse von Bäumen und Dächern zu erkennen, von denen Nebelfetzen wie Wasser über Felsen herabströmten.

Der Himmel war wolkenlos und von einem tiefen Blau, das sich malvenfarbig am Rand des Horizontes verdunkelte. Der Wind hatte sich gelegt, und die Spinnen hatten sich in das Gras verzogen. Es würde ein heißer Tag werden.

Hazel streifte in der Weise umher, wie es ein Kaninchen beim Fressen zu tun pflegt - fünf oder sechs langsame, wiegende Hopser durch das Gras; eine Pause, um sich umzublicken, dabei aufrecht sitzend, die Ohren aufgerichtet; dann wieder kurze Zeit emsig knabbernd, und wieder ein paar Hopser weiter. Zum erstenmal seit vielen Tagen fühlte er sich entspannt und sicher. Er fragte sich, ob sie über ihr neues Heim viel lernen müßten.

Fiver hatte recht, dachte er. Das ist genau der richtige Ort für uns. Aber wir werden uns erst daran gewöhnen müssen, und je weniger Fehler wir machen, desto besser. Was wohl aus den Kaninchen geworden sein mag, die diese Löcher gegraben haben? Haben sie aufgehört zu laufen, oder sind sie einfach weggegangen? Würden wir sie aufstöbern, könnten sie uns viel erzählen.

In diesem Augenblick sah er ein Kaninchen ziemlich zögernd aus einem Loch herauskommen, das am weitesten von ihm entfernt lag. Es war Blackberry. Auch er machte hraka, kratzte sich, hopste dann ins volle Sonnenlicht und kämmte seine Ohren. Als er zu fressen begann, schloß Hazel sich ihm an, knabberte an dem Tussockgras und wanderte mit dorthin, wo es seinem Freund gefiel. Sie kamen zu einem Fleck mit Kreuzblumen - so blau wie der Himmel -, die mit langen Stielen durchs Gras krochen, wobei jede ihrer winzigen Blüten ihre zwei oberen Blätter wie Flügel ausbreitete. Blackberry schnupperte daran, aber die Blätter waren zäh und nicht schmackhaft.

»Was ist das, weißt du es?« fragte er.

»Nein«, sagte Hazel. »Ich habe es noch nie gesehen.«

»Wir wissen eine ganze Menge nicht«, sagte Blackberry. »Ich meine, über diesen Ort. Die Pflanzen sind neu, die Gerüche sind neu. Wir werden selbst neue Ideen brauchen.«

»Nun, du bist genau der Richtige für neue Ideen«, sagte Hazel. »Ich weiß nie etwas, bis du mir's sagst.«

»Aber du gehst voran und übernimmst das Risiko«, antwortete Blackberry. »Wir haben es alle gesehen. Und jetzt ist unsere Reise beendet, nicht wahr? Dieser Ort ist sicher, wie Fiver es vorausgesagt hat. Nichts kann ohne unser Wissen in unsere Nähe kommen, das heißt, solange wir riechen, sehen und hören können.«

»Das können wir alle.«

»Nicht, wenn wir schlafen, und wir können nicht im Dunkeln sehen.«

»Es ist nun einmal dunkel bei Nacht«, sagte Hazel, »und Kaninchen müssen schlafen.«

»Im Freien?«

»Nun, wir können diese Löcher weiterbenutzen, wenn wir wollen, aber ich sehe voraus, daß eine ganze Anzahl draußen liegen wird. Schließlich kannst du nicht von einem Haufen Rammler verlangen, daß er gräbt. Sie mögen ein oder zwei Kratzer machen - wie damals, nachdem wir über die Heide kamen -, aber mehr tun sie nicht.«

»Darüber habe ich gerade nachgedacht«, sagte Blackberry. »Diese Kaninchen, die wir verlassen haben - Cowslip und die übrigen -, taten eine Menge Dinge, die für Kaninchen unnatürlich waren - Steine in die Erde stoßen, Fressen unter die Erde tragen und Frith weiß was noch alles.«

»Threarahs Salat wurde schließlich auch unter die Erde geschafft.«

»Genau. Meinst du nicht, daß sie das, was Kaninchen natürlicherweise tun, geändert haben, weil sie glaubten, es besser machen zu können? Und wenn sie ihre Lebensweise änderten, können wir es auch tun, wenn wir wollen. Du sagst, Rammler graben nicht. Das stimmt. Aber sie könnten, wenn sie wollten. Nehmen wir an, wir hätten tiefe, bequeme Baue, in denen wir schlafen könnten, wären aus schlechtem Wetter heraus und unter der Erde bei Nacht - dann wären wir wirklich sicher. Und nichts anderes hindert uns daran als die Tatsache, daß Rammler nicht graben. Nicht nicht graben können - sondern nicht graben wollen.«

»Was schlägst du also vor?« fragte Hazel halb interessiert, halb widerwillig. »Willst du, daß wir diese Löcher in ein richtiges Gehege verwandeln?«

»Nein, diese Löcher taugen nichts. Man kann leicht sehen, weshalb sie verlassen worden sind. Schon etwas tiefer stößt man auf diesen harten weißen Stoff, in dem man nicht graben kann. Es muß dort bitterkalt im Winter sein. Aber da ist ein Gehölz genau hinter dem Gipfel des Hügels. Gestern nacht, als wir kamen, habe ich einen flüchtigen Blick von ihm erhascht. Wie war's, wenn wir höher hinaufgingen, nur du und ich, und uns die Sache ansähen?«

Sie rannten hügelauf zum Gipfel. Der Buchenabhang lag etwas weiter nach Südosten, auf der anderen Seite eines Graspfades, der auf dem Kamm verlief.

»Es sind einige große Bäume da«, sagte Blackberry. »Die Wurzeln müssen den Boden ziemlich tief aufgebrochen haben. Wir könnten Löcher graben und uns so wohl fühlen wie je im alten Gehege. Aber wenn Bigwig und die anderen nicht graben wollen oder sagen werden, sie könnten nicht - nun, dann ist es zu kahl und ungeschützt hier. Deshalb ist es natürlich einsam und sicher; aber wenn schlechtes Wetter einsetzt, werden wir ganz gewiß von den Hügeln vertrieben werden.«

»Es wäre mir nie eingefallen, einen Haufen Rammler zum Graben wirklicher Löcher überreden zu wollen«, sagte Hazel zweifelnd, als sie den Hang hinunter zurückkehrten. »Kaninchenjunge brauchen natürlich Löcher, aber wir?«

»Wir wurden alle in einem Gehege geboren, das gegraben wurde, bevor unsere Mütter geboren wurden«, sagte Blackberry. »Wir sind Löcher gewohnt, und nicht einer von uns hat je geholfen, eines zu graben. Und wann immer ein neues entstand, wer grub es? Ein Weibchen. Ich bin ganz sicher, daß wir nicht sehr lange hierbleiben können, wenn wir nicht unsere natürliche Lebensweise ändern. Irgendwo anders vielleicht, aber nicht hier.«

»Das bedeutet eine Menge Arbeit.«

»Schau, da kommen Bigwig und einige der anderen herauf. Legen wir ihnen die Frage vor, um zu hören, was sie sagen.«

Während silflay erwähnte Hazel Blackberrys Idee niemandem außer Fiver gegenüber. Später, als die meisten Kaninchen zu Ende gefressen hatten und entweder im Gras spielten oder in der Sonne lagen, schlug er vor, daß sie zu dem bewaldeten Abhang hinübergehen sollten - »bloß um zu sehen, was für Gehölz es ist«. Bigwig und Silver stimmten sofort zu, und zum Schluß blieb keiner zurück.

Es war anders als das Wiesengestrüpp, das sie verlassen hatten: ein schmaler Baumgürtel, vier- bis fünfhundert Meter lang, aber kaum fünfzig breit, eine Art Windschutz, der auf den Downs üblich ist. Er bestand beinahe gänzlich aus gutgewachsenen Buchen. Die großen glatten Stämme standen bewegungslos in ihrem grünen Dunkel, ihre Äste breiteten sich, einer über dem anderen, in lichtgesprenkelten Lagen ebenmäßig aus. Zwischen den Bäumen war die Erde frei und bot kaum Deckung. Die Kaninchen waren verblüfft. Sie verstanden nicht, weshalb das Gehölz so hell und still war und sie so weit zwischen den Bäumen hindurchgehen konnten. Das dauernde sanfte Rascheln der Buchenblätter war anders als die Geräusche in einem niedrigen Wäldchen von Nußsträuchern, Eichen und Silberbirken.

Sie bewegten sich unsicher am Rande des Abhanges entlang und kamen zur Nordostecke. Hier war eine Böschung, von der aus sie die leeren Grasflächen dahinter überblicken konnten. Fiver, lächerlich klein neben dem ungeschlachten Bigwig, wandte sich mit einer Miene glücklichen Vertrauens an Hazel.

»Ich bin sicher, daß Blackberry recht hat, Hazel«, sagte er. »Wir sollten alles tun, um hier einige Löcher zu graben. Ich bin jedenfalls bereit, es zu versuchen.«

Die anderen waren bestürzt. Pipkin jedoch schloß sich Hazel bereitwillig am Fuß der Böschung an, und bald begannen zwei oder drei weitere, in dem lockeren Boden zu kratzen. Das Graben war leicht, und obgleich sie es unterbrachen, um zu fressen oder einfach in der Sonne zu sitzen, war Hazel vor Mittag außer Sicht, einen unterirdischen Gang zwischen den Baumwurzeln grabend.

Der bewaldete Abhang mochte wenig oder kein Unterholz haben, aber wenigstens boten die Äste Deckung gegen den Himmel; und Turmfalken, das merkten sie bald, gab es in dieser Einsamkeit häufiger. Obgleich Turmfalken selten auf etwas Größeres als eine Ratte Jagd machen, greifen sie doch manchmal junge Kaninchen an. Zweifellos ist das der Grund, weshalb die meisten erwachsenen Kaninchen nicht unter einem schwebenden Turmfalken verharren. In Kürze machte Acorn einen aus, der von Süden heranflog. Er trommelte und riß in die Bäume aus, und die anderen Kaninchen, die im Freien waren, schlossen sich ihm an. Sie waren erst kurze Zeit wieder mit Graben beschäftigt, als sie einen anderen -vielleicht auch denselben - sahen, der in einiger Entfernung hoch über jenen Feldern schwebte, die sie am vergangenen Morgen überquert hatten. Hazel stellte Buckthorn als Wachtposten auf, während die Arbeit aufs Geratewohl weiterging, und noch zweimal am Nachmittag wurde Alarm gegeben. Am frühen Abend wurden sie von einem Reiter gestört, der über den am Nordende des Gehölzes vorbeiführenden Kammpfad trabte. Sonst sahen sie den ganzen Tag nichts Größeres als eine Taube.

Nachdem der Reiter sich nahe dem Gipfel von Watership nach Süden gewandt hatte und in der Ferne verschwunden war, kehrte Hazel zum Rand des Gehölzes zurück und blickte hinüber nach Norden zu den hellen, stillen Feldern und der verschwommenen Hochspannungsleitung, die sich in der Ferne nördlich von Kingsclere verlor. Die Luft war kühler, und die Sonne erreichte wieder die nördliche Böschung.

»Ich glaube, wir haben genug getan«, sagte er, »für heute jedenfalls. Ich würde gerne hügelabwärts laufen und wirklich gutes Gras suchen. Dieses Zeug ist nicht gerade schlecht, aber es ist ziemlich herb und dürr. Hat jemand Lust, mitzukommen?«

Bigwig, Dandelion und Speedwell waren bereit, aber die anderen zogen es vor, ihren Weg zu den Dornbäumen zurückzuweiden und mit der Sonne unter die Erde zu gehen. Bigwig und Hazel suchten die Strecke aus, die die meiste Deckung bot, und machten sich mit den anderen auf den knapp fünfhundert Meter langen Weg zum Fuß des Berges. Sie stießen auf keine Schwierigkeiten, fraßen bald im Gras am Rande des Weizenfeldes und boten das typische Bild von Kaninchen in einer abendlichen Landschaft, Hazel vergaß trotz seiner Müdigkeit nicht, sich nach einer Deckung umzusehen, falls Alarm geschlagen werden sollte. Er hatte Glück: Er traf auf einen kurzen alten Graben, der teilweise verfallen und so dicht mit Wiesenkerbel und Nesseln bewachsen war, daß er fast soviel Schutz wie ein Tunnel bot; und alle vier vergewisserten sich, daß sie ihn schnell vom Freien aus erreichen konnten.

»Das wird notfalls genügen«, sagte Bigwig, schmatzend Klee kauend und an der herabgefallenen Blüte eines Strauches schnuppernd. »Meine Güte, wir haben einiges gelernt, seit wir das alte Gehege verlassen haben, nicht wahr? Mehr als wir unser Leben lang dort gelernt hätten. Und Graben! Nächstens wird es noch Fliegen sein, schätze ich. Habt ihr bemerkt, daß dieser Boden ganz anders ist als der im alten Gehege? Er riecht anders und gleitet und fällt auch ganz anders.«

»Das erinnert mich an etwas«, sagte Hazel. »Ich habe eine Frage. Eines gab es in diesem fürchterlichen Gehege von Cowslip, das mir sehr imponiert hat - den großen Bau. Den würde ich gerne nachbilden. Es ist ein herrlicher Gedanke, einen Ort unter der Erde zu haben, wo alle zusammen sein können - reden und Geschichten erzählen und so weiter. Was hältst du davon? Könnten wir das schaffen?«

Bigwig überlegte. »Ich weiß nur eines«, sagte er. »Wenn du einen zu großen Bau machst, stürzt das Dach ein. Wenn du also so einen Ort haben willst, brauchst du etwas, um das Dach zu halten. Was hat Cowslip gehabt?«

»Baumwurzeln.«

»Nun, wo wir graben, gibt es welche. Aber sind das die richtigen?«

»Wir fragen lieber Strawberry, was er über den großen Bau weiß, aber wahrscheinlich wird es nicht viel sein. Ich bin sicher, daß er damals noch nicht lebte, als der entstand.«

»Er ist vielleicht auch noch nicht tot, wenn der zusammenfällt. Dieses Gehege ist tharn wie eine Eule bei Tag. Es war klug von ihm, zu gehen.«

Zwielicht hatte sich über das Kornfeld gesenkt; denn obgleich lange rote Strahlen das obere Hügelland noch erleuchteten, war die Sonne unten bereits verschwunden. Der ungleichmäßige Schatten der Hecke war verblaßt und vergangen. Es herrschte ein frischer Geruch nach Feuchtigkeit und nahender Dunkelheit. Ein Maikäfer summte vorbei. Die Heuschrecken waren still geworden.

»Die Eulen werden herauskommen«, sagte Bigwig. »Gehen wir wieder hinauf.«

In diesem Augenblick war aus dem sich verdunkelnden Feld ein auf dem Boden trommelndes Geräusch zu hören. Es folgte ein zweites, näher bei ihnen, und sie erhaschten einen flüchtigen Blick auf einen weißen Schwanz. Sie rannten beide sofort in den Graben. Nun, da sie ihn wirklich benutzen mußten, fanden sie ihn noch enger, als sie gedacht hatten. Es war gerade genug Platz, sich am anderen Ende umzudrehen, und während sie das taten, purzelten Speedwell und Dandelion hinter ihnen herein.

»Was ist das?« fragte Hazel. »Was habt ihr gehört?«

»Es kommt etwas an der Hecke herauf«, erwiderte Speedwell. »Ein Tier. Macht auch eine Menge Lärm.«

»Hast du es gesehen?«

»Nein, riechen konnte ich es auch nicht. Es ist nicht in Windrichtung. Aber ich habe es deutlich genug gehört.«

»Ich auch«, sagte Dandelion. »Etwas ziemlich Großes - so groß wie ein Kaninchen auf jeden Fall -, das sich unbeholfen bewegte, sich aber zu verbergen versuchte, so schien es mir jedenfalls.«

» Homba?«

»Nein, das hätten wir gerochen«, sagte Bigwig, »mit und ohne Wind. Nach dem, was du sagst, klingt es verdammt nach Katze. Ich hoffe, es ist kein Wiesel. Hoi, hoi, u embleer hrair! Was für ein Ärgernis! Wir bleiben lieber sitzen, wo wir sind. Aber seid bereit, euch aus dem Staube zu machen, wenn es uns entdeckt.«

Sie warteten. Bald wurde es dunkel. Nur ein schwaches Licht drang durch das verstrickte Sommergewächs über ihnen. Das entgegengesetzte Ende des Grabens war so überwachsen, daß sie nicht darüber hinaussehen konnten, aber die Lücke, durch die sie hereingekommen waren, zeigte sich als ein Fleck Himmel - ein Bogen von sehr dunklem Blau. Als die Zeit verstrich, kroch ein Stern aus den überhängenden Gräsern hervor. Er schien in einem Rhythmus zu pulsieren, der so schwach und unregelmäßig wie der des Windes war. Schließlich wandte Hazel die Augen von ihm ab.

»Nun, wir könnten hier ein wenig schlafen«, sagte er. »Die Nacht ist nicht kalt. Ganz gleich, was ihr gehört habt, wir sollten das Risiko, hinauszulaufen, nicht eingehen.«

»Hört«, sagte Dandelion. »Was ist das?«

Einen Augenblick konnte Hazel nichts hören. Dann fing er einen fernen, aber klaren Ton auf - eine Art Wimmern oder Weinen, zitternd und stoßweise. Obgleich es nicht wie ein Jagdruf klang, war es so unnatürlich, daß es ihn mit Furcht erfüllte. Als er lauschte, hörte es auf.

»Was in Friths Namen macht so ein Geräusch?« sagte Bigwig, dessen große Fellmütze sich zwischen seinen Ohren angriffslustig sträubte.

»Eine Katze?« fragte Speedwell mit aufgerissenen Augen.

»Das ist keine Katze!« sagte Bigwig, die Lippen in einer steifen, unnatürlichen Grimasse zurückgezogen. »Das ist keine Katze! Wißt ihr nicht, was das ist? Eure Mutter -« Er brach ab. Dann sagte er sehr leise: »Eure Mutter hat es euch erzählt, nicht wahr?«

»Nein!« rief Dandelion. »Es ist ein Vogel - eine Ratte -verletzt -«

Bigwig stand auf. Sein Rücken war gekrümmt, und sein Kopf nickte auf steifem Nacken.

»Das Schwarze Kaninchen von Inle«, flüsterte er. »Was sonst - an einem Ort wie diesem?«

»Rede nicht so!« sagte Hazel. Er zitterte und stützte seine Beine gegen die Seiten des schmalen Grabens.

Plötzlich erklang das Geräusch wieder, näher, und jetzt konnte es keinen Zweifel mehr geben: Was sie hörten, war die Stimme eines Kaninchens, aber bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Es hätte aus den kalten Weiten des dunklen Himmels draußen kommen können, so unirdisch und trostlos war der Klang. Zuerst war nur Wehklagen, dann hörten sie deutlich und ohne Zweifel - sie alle hörten es - Worte.

»Zorn! Zorn![9] « rief die furchtbare Stimme. »Alle tot! O zorn!«

Dandelion wimmerte. Bigwig scharrte in der Erde herum.

»Sei still!« sagte Hazel. »Und hör auf, mich mit Erde zu bewerfen! Ich möchte horchen.« In diesem Augenblick rief die Stimme ganz deutlich: »Thlayli! O Thlayli!«

Darüber gerieten alle vier Kaninchen in einen Zustand äußerster Panik. Sie wurden starr. Dann begann Bigwig mit glasigen und stieren Augen, sich den Graben zur Öffnung hinaufzuziehen. »Man muß gehen«, murmelte er so dumpf, daß Hazel die Worte kaum verstehen konnte. »Man muß gehen, wenn man gerufen wird.«

Hazel war so erschrocken, daß er seine fünf Sinne nicht mehr beisammenhalten konnte. Wie auf der Flußböschung wurde seine Umgebung unwirklich und traumhaft. Wer - oder was - rief Bigwig beim Namen? Wie konnte irgendein lebendes Geschöpf an diesem Ort seinen Namen kennen? Nur ein Gedanke beherrschte ihn - Bigwig mußte daran gehindert werden, hinauszugehen; denn er war hilflos. Er krabbelte neben ihn und drückte ihn an die Seite des Grabens.

»Bleib, wo du bist«, sagte er keuchend. »Was immer das für ein Kaninchen ist, ich werde selbst nachsehen.« Dann zog er sich, wobei seine Beine fast unter ihm nachgaben, ins Freie hinauf.

Einige Augenblicke konnte er wenig oder nichts sehen; aber die Gerüche nach Tau und Holunder waren unverändert, und seine Nase stieß an kühle Grashahne. Er setzte sich auf und blickte sich um. Es war kein Geschöpf in der Nähe.

»Wer ist da?« fragte er.

Stille, und er wollte schon wieder sprechen, als die Stimme rief: »Zorn! O zorn!«

Es kam aus der Hecke auf der Feldseite. Hazel wandte sich dem Ton zu und machte in wenigen Augenblicken unter einem Büschel Schierling die zusammengesunkene Gestalt eines Kaninchens aus. Er näherte sich ihm und sagte:

»Wer bist du?«, aber es kam keine Antwort. Während er noch zögerte, vernahm er hinter sich eine Bewegung.

»Ich bin hier, Hazel«, sagte Dandelion mit würgendem Keuchen.

Sie traten gemeinsam näher. Die Gestalt bewegte sich nicht, als sie herankamen. In dem blassen Sternenlicht sahen sie beide ein Kaninchen, das so wirklich wie sie selbst war: ein Kaninchen im letzten Stadium der Erschöpfung, die Hinterbeine hinter seinem niedergedrückten Rumpf lang ausgestreckt, als wären sie gelähmt, ein Kaninchen, das das Weiße in seinen Augen von einer Seite zur anderen rollte, ohne etwas zu sehen, das keine Erlösung aus seiner Angst fand und elend an einem aufgerissenen und blutigen Ohr leckte, das ihm schlaff über das Gesicht hing, ein Kaninchen, das plötzlich aufschrie und heulte, als wollte es die Tausend anflehen, von allen Seiten zusammenzuströmen und es von dem unerträglichen Elend zu befreien.

Es war Hauptmann Holly von der Sandleford-Owsla.

20. Eine Honigwabe und eine Maus


Sein Gesicht war das von jemandem, der eine lange Reise unternommen hat.

Gilgamesch-Epos


Im Sandleford-Gehege war Holly ein Kaninchen von Bedeutung gewesen. Der Threarah brachte ihm großes Vertrauen entgegen, und er hatte mehr als einmal schwierige Aufträge mit großem Mut ausgeführt. Im Frühjahr, als ein Fuchs ins benachbarte Unterholz gezogen war, hatte Holly ihn mit zwei oder drei Freiwilligen mehrere Tage überwacht und alle seine Bewegungen gemeldet, bis er eines Abends so plötzlich verschwand, wie er gekommen war. Obgleich er aus eigenem Antrieb beschlossen hatte, Bigwig zu verhaften, stand er nicht im Ruf, rachsüchtig zu sein. Er ließ sich nichts vormachen, wußte genau, wann pflichtgemäß gehandelt werden mußte, und tat es von allein. Ein prächtiger Kerl, anspruchslos, gewissenhaft, dem es ein wenig an dem kaninchenhaften Übermut mangelte, war er sozusagen der geborene stellvertretende Kommandeur. Es wäre sinnlos gewesen, ihn zu überreden, das Gehege zusammen mit Hazel und Fiver zu verlassen. Ihn überhaupt in Watership Down zu finden war daher erstaunlich genug. Aber ihn in so einer Verfassung zu finden war beinahe unglaublich.

In den ersten Augenblicken, nachdem sie das arme Geschöpf unter dem Schierling entdeckt hatten, waren Hazel und Dandelion so verblüfft, als wären sie unter der Erde auf ein Eichhörnchen oder auf einen Bach, der bergauf floß, gestoßen. Sie glaubten, ihren Sinnen nicht zu trauen. Die Stimme im Dunkel hatte sich nicht als übernatürlich erwiesen, aber die Wirklichkeit war entsetzlich genug. Wie konnte Hauptmann Holly hier, am Fuße des Hügellandes, sein? Und was konnte ihn - gerade ihn - in diesen Zustand gebracht haben?

Hazel riß sich zusammen. Gleichgültig, welche Erklärung es geben mochte, das Wichtigste war zunächst einmal, eines nach dem anderen anzupacken. Sie waren zu nächtlicher Zeit in freiem Land, fern von jeder Zuflucht, wenn man von dem überwachsenen Graben absah, mit einem Kaninchen, das nach Blut roch, das unbändig weinte und aussah, als könnte es sich nicht bewegen. Es konnte sehr gut in diesem Augenblick ein Wiesel auf seiner Spur sein. Wenn sie ihm helfen wollten, dann mußte das schnell geschehen.

»Geh und sag Bigwig, wer es ist«, sagte er zu Dandelion, »und komm mit ihm zurück. Schicke Speedwell zu den anderen auf dem Hügel und sag ihm, er soll ihnen klarmachen, daß niemand herunterkommen darf. Sie könnten doch nicht helfen, und es würde die Sache nur riskanter machen.«

Kaum war Dandelion gegangen, als Hazel sich bewußt wurde, daß sich noch etwas in der Hecke bewegte. Er hatte keine Zeit zu überlegen, was es sein könnte, denn beinahe sofort erschien ein anderes Kaninchen und humpelte zu Holly hinüber.

»Du mußt uns helfen, wenn du kannst«, sagte es zu Hazel. »Uns ist es sehr schlecht ergangen, und mein Herr ist krank. Können wir hier unter die Erde gelangen?«

Hazel erkannte in ihm eines der Kaninchen, die Bigwig hatten verhaften wollen, aber er wußte seinen Namen nicht.

»Warum bist du in der Hecke geblieben und hast ihn im Freien herumkriechen lassen?« fragte er.

»Ich rannte fort, als ich dich kommen hörte«, erwiderte das andere Kaninchen. »Es gelang mir nicht, den Hauptmann weiterzubekommen. Ich dachte, du seist elil und es hätte keinen Zweck, dazubleiben und getötet zu werden. Ich glaube nicht, daß ich es mit einer Feldmaus aufnehmen könnte.«

»Kennst du mich?« fragte Hazel. Aber ehe der andere antworten konnte, kamen Dandelion und Bigwig aus der Dunkelheit. Bigwig starrte Holly einen Augenblick an, hockte sich dann vor ihn und stupste Nase an Nase.

»Holly, hier ist Thlayli«, sagte er. »Du hast mich gerufen.«

Holly antwortete nicht, blickte nur starr zurück. Bigwig sah auf. »Wer ist der andere, der mit ihm kam?« fragte er. »Oh, du bist's, Bluebell. Wie viele von euch noch?«

»Keine weiter«, sagte Bluebell. Er wollte noch etwas hinzufügen, als Holly sprach.

»Thlayli«, sagte er. »Also haben wir dich gefunden.«

Er setzte sich mühsam auf und blickte sich unter ihnen um.

»Du bist Hazel, nicht wahr?« fragte er. »Und das - oh, ich müßte es eigentlich wissen, aber ich bin in einer sehr schlechten Verfassung, fürchte ich.«

»Es ist Dandelion«, sagte Hazel. »Hör zu - ich sehe, daß du erschöpft bist, aber wir können nicht hier bleiben. Wir sind in Gefahr. Kannst du mit in unsere Löcher kommen?«

»Hauptmann«, sagte Bluebell, »weißt du, was der erste Grashalm zum zweiten sagte?«

Hazel sah ihn scharf an, aber Holly erwiderte: »Nun?«

»Er sagte: >Schau, da ist ein Kaninchen! Wir sind in Gefahr! <«

»Es ist nicht die Zeit«, begann Hazel.

»Laß ihn«, sagte Holly. »Wir wären überhaupt nicht hier ohne sein Blaumeisen-Geschwätz. Ja, ich kann jetzt gehen. Ist es weit?«

»Nicht allzuweit«, sagte Hazel und hielt es nur für zu wahrscheinlich, daß Holly nie hinkommen würde.

Sie brauchten lange, um den Hügel hinaufzuklettern. Hazel verteilte sie, wobei er selbst bei Holly und Bluebell blieb, während Bigwig und Dandelion an den Seiten gingen. Holly mußte mehrmals anhalten, und Hazel, angsterfüllt, hatte Mühe, seine Ungeduld zu unterdrücken. Erst als der Mond aufging - der Rand seiner großen Scheibe wurde am Horizont heller und heller -, bat er schließlich Holly, sich zu beeilen.

Während er sprach, sah er im weißen Licht Pipkin zu ihnen herunterkommen.

»Was tust du?« fragte er streng. »Ich habe Speedwell doch gesagt, daß keiner herunterkommen soll.«

»Es ist nicht Speedwells Schuld«, sagte Pipkin. »Du hast mir am Fluß beigestanden, ich dachte deshalb, ich sollte dich suchen, Hazel. Auf jeden Fall sind die Löcher gleich hier. Ist es wirklich Hauptmann Holly, den du gefunden hast?«

Bigwig und Dandelion näherten sich.

»Ich will dir was sagen«, meinte Bigwig. »Diese beiden brauchen ziemlich lange Ruhe. Wie war's, wenn Pipkin und Dandelion sie in einen leeren Bau brächten und bei ihnen blieben, solange sie wollen? Wir anderen halten uns lieber fern, bis sie sich besser fühlen.«

»Ja, das ist das beste«, sagte Hazel. »Ich gehe jetzt mit dir hinauf.«

Sie rannten die kurze Strecke zu den Dornbäumen. Alle anderen Kaninchen waren außerhalb der Löcher, warteten und flüsterten miteinander.

»Haltet's Maul«, sagte Bigwig, ehe irgend jemand eine Frage gestellt hatte. »Ja, es ist Holly, und Bluebell ist bei ihm - sonst niemand. Es geht ihnen sehr schlecht, und sie dürfen nicht gestört werden. Wir werden dieses Loch für sie leer lassen. Ich verschwinde jetzt nach unten, und wenn ihr Verstand habt, tut ihr's auch.«

Doch ehe er ging, wandte sich Bigwig an Hazel: »Du bist aus diesem Graben da unten statt meiner hinausgegangen, nicht wahr, Hazel? Das werde ich nicht vergessen.«

Hazel erinnerte sich an Buckthorns Bein und nahm ihn mit sich hinunter. Speedwell und Silver folgten ihnen.

»Sag mal, was ist eigentlich passiert, Hazel?« fragte Silver. »Es muß etwas sehr Schlimmes gewesen sein. Holly würde den Threarah nie verlassen.«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Hazel, »keiner weiß es bis jetzt. Wir werden bis morgen warten müssen. Holly hört vielleicht auf zu rennen, aber ich glaube nicht, das Bluebell aufhört. Jetzt laß mich in Frieden, damit ich mich um Buckthorns Bein kümmern kann.«

Die Wunde sah sehr viel besser aus, und bald schlief Hazel ein.

Der nächste Tag war so heiß und wolkenlos wie der vergangene. Weder Pipkin noch Dandelion waren beim Morgen-silflay, und Hazel nahm die anderen erbarmungslos zum Buchenhang hinauf, um mit dem Graben weiterzumachen. Er fragte Strawberry über den großen Bau aus und erfuhr, daß seine Decke, außer daß sie von einem Gewirr kleiner Wurzeln überwölbt war, von senkrecht in den Boden hinunterlaufenden Wurzeln verstärkt wurde. Er äußerte, daß er sie nicht bemerkt hätte.

»Es sind nicht viele, aber sie sind wichtig«, sagte Strawberry. »Sie übernehmen einen Großteil der Last. Wenn diese Wurzeln nicht wären, würde die Decke nach starkem Regen einstürzen. In stürmischen Nächten konnte man den besonderen Druck der Erde spüren, aber es bestand keine Gefahr.«

Hazel und Bigwig gingen mit ihm unter die Erde. Die Anfänge des neuen Geheges waren unter den Wurzeln einer der Buchen ausgescharrt worden. Es war immer noch nicht mehr als eine kleine unregelmäßige Höhle mit nur einem Eingang. Sie machten sich an die Arbeit, sie zu vergrößern, gruben zwischen den Wurzeln und trieben einen Stollen nach oben, um einen zweiten Lauf zu erhalten, der innerhalb des Gehölzes herauskommen würde. Nach einiger Zeit hörte Strawberry mit dem Graben auf und begann, zwischen den Wurzeln hin und her zu laufen, schnuppernd, beißend und mit den Vorderpfoten in der Erde scharrend. Hazel nahm an, daß er müde war und so tat, als sei er beschäftigt, während er sich ausruhte, aber schließlich kam er zu ihnen zurück und sagte, er habe einige Vorschläge zu machen.

»Es ist folgendermaßen«, erklärte er. »Hier oben gibt es kein ausgedehntes, gut ausgebildetes Wurzelwerk. Das war ein glücklicher Zufall in dem großen Bau, und ich glaube nicht, daß wir erwarten können, so etwas noch mal zu finden. Aber trotz allem kommen wir ganz gut mit dem aus, was wir haben.«

»Und was haben wir?« fragte Blackberry, der den Lauf bei diesen Worten heruntergekommen war.

»Nun, wir haben mehrere dicke Wurzeln, die direkt hinunterführen - mehr, als in dem großen Bau waren. Das beste wird sein, um sie herum zu graben und sie dort zu lassen. Sie sollten nicht durchgenagt und entfernt werden. Wir werden sie brauchen, wenn wir eine Halle von einiger Größe haben werden.«

»Dann wird unsere Halle voll dieser dicken, senkrechten Wurzeln sein?« fragte Hazel. Er war enttäuscht.

»Ja«, erwiderte Strawberry, »aber ich sehe nicht ein, weshalb sie schlechter sein sollte. Wir können zwischen ihnen hinein- und hinausgehen, und sie werden keinen, der spricht oder eine Geschichte erzählt, daran hindern. Sie machen den Ort wärmer und tragen dazu bei, Geräusche von oben herunterzuleiten, was eines Tages ganz nützlich sein könnte.«

Das Ausgraben der Halle (die bei ihnen als Honigwabe bekannt wurde) entpuppte sich als so etwas wie ein Triumph für Strawberry. Hazel begnügte sich mit der Organisation der Ausgrabungsarbeiten und überließ es Strawberry, anzuordnen, was tatsächlich getan werden mußte. Die Arbeit wurde in Schichten ausgeführt, und die Kaninchen fraßen, spielten und lagen abwechselnd oben in der Sonne. Tagsüber blieb die Einsamkeit von Geräuschen, Menschen, Traktoren oder Vieh unbeeinträchtigt, und es wurde ihnen immer klarer, was sie Fivers Hellsichtigkeit verdankten. Gegen Spätnachmittag nahm der große Bau Gestalt an. Am nördlichen Ende bildeten die Buchenwurzeln eine Art unregelmäßiger Kolonnade. Diese machte einem freieren, zentralen Raum Platz, und dahinter, wo keine stützenden Wurzeln mehr waren, ließ Strawberry Pfeiler von Erde unberührt, so daß das südliche Ende aus drei oder vier getrennten Abteilungen bestand. Diese verengten sich zu niedrigen Läufen, die in Schlafbaue führten.

Hazel, der jetzt viel zufriedener war, nachdem er selbst sehen konnte, wie sich die Sache machte, saß mit Silver in der Mündung des Laufes, als plötzlich getrommelt wurde: »Habicht! Habicht!« und die Kaninchen, die draußen waren, in Deckung stürzten. Hazel, dort, wo er war, in Sicherheit, blieb da und blickte über den Schatten des Gehölzes ins offene, sonnenbeschienene Gras hinaus. Der Turmfalke segelte in Sicht und nahm seinen Posten ein, der schwarzrandige Schwanz senkte sich, und seine zugespitzten Flügel rüttelten, als er das Land unter sich auskundschaftete.

»Glaubst du, er würde uns wirklich angreifen?« fragte Hazel und beobachtete, wie er sich tiefer fallen ließ und sein Rütteln wiederaufnahm. »Der ist doch viel zu klein.«

»Wahrscheinlich hast du recht«, erwiderte Silver. »Trotzdem, würdest du gerne da hinausgehen und fressen?«

»Ich hätte große Lust, es mit einigen dieser elil aufzunehmen«, sagte Bigwig, der hinter ihnen den Lauf heraufgekommen war. »Wir haben vor zu vielen Angst. Aber ein Vogel aus der Luft wäre unangenehm, besonders wenn er schnell käme. Er könnte selbst ein großes Kaninchen besiegen, wenn er es überrumpelte.«

»Seht ihr die Maus?« fragte Silver plötzlich. »Da, schaut. Armes kleines Tier.«

Sie konnten alle die Feldmaus sehen, die auf einem Fleck weichen Grases preisgegeben war. Offensichtlich hatte sie sich zu weit von ihrem Loch entfernt und wußte jetzt nicht, was sie tun sollte. Der Schatten des Turmfalken war noch nicht über sie hinweggestrichen, aber das plötzliche Verschwinden der Kaninchen hatte sie unruhig gemacht, und sie drückte sich an die Erde und blickte unsicher dahin und dorthin. Der Turmfalke hatte sie noch nicht gesehen, würde sie aber sofort bemerken, sobald sie sich bewegte.

»Es kann jeden Augenblick passieren«, sagte Bigwig gleichgültig.

In einer plötzlichen Regung hopste Hazel die Böschung hinunter und lief ein kurzes Stück in das offene Gras hinaus. Mäuse sprechen nicht die Kaninchensprache, aber es gibt eine sehr einfache, begrenzte lingua franca des Hecken- und Waldlandes. Hazel gebrauchte sie jetzt.

»Lauf«, sagte er. »Hierher, schnell.«

Die Maus sah ihn an, bewegte sich aber nicht. Hazel sprach wieder, und die Maus begann plötzlich auf ihn zuzurennen, als der Turmfalke drehte und über die Seite abwärts glitt. Hazel eilte zum Loch zurück. Hinausblickend sah er, wie die Maus ihm folgte. Als sie den Fuß der Böschung beinahe erreicht hatte, huschte sie über einen abgefallenen Zweig mit wenigen grünen Blättern. Der Zweig drehte sich, eines der Blätter fing das zwischen den Bäumen schräg einfallende Sonnenlicht auf, und Hazel sah es einen Augenblick aufblitzen. Sofort näherte sich der Turmfalke im Schrägflug, schloß die Flügel und ließ sich fallen.

Ehe Hazel von der Mündung des Loches zurückspringen konnte, war die Maus zwischen seine Vorderpfoten gehuscht und wurde zwischen seinen Hinterläufen zu Boden gedrückt. Im selben Augenblick schlug der Turmfalke, ganz Schnabel und Krallen, auf der lockeren Erde unmittelbar vor dem Eingang wie ein vom Baum herabgeworfenes Geschoß auf. Er scharrte wild, und einen Augenblick sahen die drei Kaninchen seine runden dunklen Augen direkt in den Lauf hinunterstarren. Dann war er verschwunden. Die Geschwindigkeit und Stärke seines Angriffs, so aus der Nähe betrachtet, waren erschreckend, und Hazel fuhr zurück, Silver dabei aus dem Gleichgewicht stoßend. Sie zappelten sich schweigend wieder auf.

»Möchtest du's gerne mit dem da aufnehmen?« fragte Silver, sich zu Bigwig umblickend. »Laß mich wissen, wann. Ich komme dann und sehe zu.«

»Hazel«, sagte Bigwig, »ich weiß, daß du nicht dumm bist, aber was haben wir dadurch gewonnen? Wirst du in Zukunft jeden Maulwurf und jede Spitzmaus schützen, die sich nicht unter die Erde retten können?«

Die Maus hatte sich nicht bewegt. Sie hockte immer noch im Lauf, auf der Höhe ihrer Köpfe sich gegen das Licht abzeichnend. Hazel sah, wie sie ihn beobachtete.

»Vielleicht Habicht nicht gegangen«, sagte er. »Du jetzt bleiben. Später gehen.«

Bigwig wollte wieder etwas sagen, als Dandelion in der Mündung des Loches erschien. Er sah die Maus an, schob sie sanft beiseite und kam den Lauf herunter.

»Hazel«, sagte er, »vielleicht sollte ich dir jetzt über Holly berichten. Es geht ihm heute Abend viel besser, aber er hatte eine sehr schlechte Nacht und wir auch. Jedesmal, wenn er einzuschlafen schien, schreckte er auf und fing an zu weinen. Ich dachte schon, er würde den Verstand verlieren. Pipkin redete mit ihm - er war erstklassig -, und er scheint eine ganze Menge von Bluebell zu halten. Bluebell machte weiterhin seine Späße. Er war erschöpft, ehe der Morgen kam, genau wie wir anderen - wir haben den ganzen Tag geschlafen. Holly war so ziemlich der alte, als er heute nachmittag aufwachte, und er ist zum silflay auf gewesen. Er fragte, wo du und die anderen heute Abend sein würden, und da ich es nicht wußte, wollte ich dich fragen.«

»Ist er also in der Lage, mit uns zu reden?« fragte Bigwig.

»Ich glaube, ja. Es wäre das beste für ihn, soweit ich das beurteilen kann: Wenn er mit uns allen zusammen wäre, hätte er bestimmt keine zweite so schlechte Nacht.«

»Nun, und wo werden wir schlafen?« fragte Silver.

Hazel überlegte. Die Honigwabe befand sich immer noch im Rohbau und war erst halb fertig, aber wahrscheinlich wäre sie ebenso bequem wie die Löcher unter den Dornbäumen. Und wenn es sich herausstellte, daß es nicht so wäre, hätten sie um so mehr Anlaß, sie zu verbessern. Zu wissen, daß sie sich tatsächlich die schwere Arbeit des Tages zunutze machen würden, müßte jedermann anspornen, und wahrscheinlich zogen sie dies einer dritten Nacht in den Kreidelöchern vor.

»Ich würde sagen, hier«, meinte er. »Aber wir werden sehen, was die anderen davon halten.«

»Was tut diese Maus hier?« fragte Dandelion.

Hazel erklärte es. Dandelion war genauso verblüfft, wie Bigwig es gewesen war.

»Nun, ich gebe zu, ich hatte keine besondere Absicht, als ich hinausging, um ihr zu helfen«, sagte Hazel. »Aber jetzt habe ich eine Idee, und ich werde später erklären, welche. Doch vor allem sollten Bigwig und ich zu Holly gehen und mit ihm reden. Und, Dandelion, du erzählst den anderen, was du mir gesagt hast, ja? Und stelle fest, was sie heute Abend tun wollen.«

Sie fanden Holly mit Bluebell und Pipkin auf dem Rasen bei dem Ameisenhaufen, von dem aus Dandelion zuerst über das Land geblickt hatte. Holly schnüffelte an einem Knabenkraut. Die malvenfarbigen Blüten schaukelten sanft auf ihrem Stengel, als er die Nase dagegen stieß.

»Erschrecke sie nicht, Meister«, sagte Bluebell. »Sie könnte wegfliegen. Schließlich hat sie eine Menge Stellen, die sie wählen kann. Schau, wie sie überall zwischen den Blättern verteilt sind.«

»Ach, geh schon, Bluebell«, antwortete Holly gutgelaunt. »Wir müssen uns über das Gelände hier informieren. Die Hälfte der Pflanzen sind mir fremd. Diese ist zwar nicht eßbar, aber wenigstens gibt es eine Menge Pimpinellen, und das ist immer gut.« Eine Fliege setzte sich auf sein verletztes Ohr, und er zuckte zusammen und schüttelte den Kopf.

Hazel sah mit Freude, daß Holly offenbar in besserer Verfassung war. Er sagte, er hoffe, daß er sich wohl genug fühle, sich den anderen anzuschließen, aber Holly unterbrach ihn bald mit Fragen.

»Seid ihr viele?« fragte er.

»Hrair«, antwortete Bigwig.

»Alle, die mit dir das Gehege verließen?«

»Jeder einzelne«, erwiderte Hazel stolz.

»Niemand verletzt?«

»Oh, mehrere sind schon verletzt worden.«

»Ist nie wirklich langweilig gewesen«, sagte Bigwig.

»Wer kommt da? Ich kenne ihn nicht.«

Strawberry kam den Abhang heruntergerannt, und als er sich zu ihnen gesellte, begann er dieselbe merkwürdige Tanzgeste mit dem Kopf und den Vorderpfoten zu machen, die sie zum ersten Mal in der regennassen Wiese vor Eintritt in den großen Bau gesehen hatten. Er zügelte sich etwas verwirrt, und um Bigwigs Zurechtweisung zuvorzukommen, sprach er sofort Hazel an.

»Hazel-rah«, sagte er (Holly sah überrascht aus, sagte aber nichts), »jeder will heute nacht im neuen Gehege bleiben, und sie hoffen alle, daß Hauptmann Holly in der Lage sein wird, ihnen zu erzählen, was passiert ist und wie er hierher kam.«

»Nun, natürlich wollen wir es alle gerne wissen«, sagte Hazel zu Holly. »Das ist Strawberry. Er hat sich uns auf unserer Reise angeschlossen, und wir waren froh, ihn bei uns zu haben. Aber glaubst du, daß du es schaffst?«

»Ich schaffe es«, sagte Holly. »Aber ich muß euch warnen: Mein Bericht wird das Herz eines jeden einzelnen von euch erstarren lassen.«

Er selbst sah so traurig und düster aus, während er sprach, daß keiner etwas erwiderte, und nach einigen Augenblicken machten sich die sechs Kaninchen schweigend auf den Weg den Hang hinauf. Als sie die Ecke des Gehölzes erreichten, trafen sie die anderen beim Fressen an oder wie sie sich in der Abendsonne an der Nordseite der Buchenbäume aalten. Nach einem flüchtigen Blick auf sie ging Holly zu Silver hinüber, der mit Fiver in einem Fleck gelber Kleeblätter fraß.

»Ich freue mich, dich hier zu sehen, Silver«, sagte er. »Wie ich höre, ist es dir ziemlich schlecht ergangen.«

»Es ist nicht leicht gewesen«, antwortete Silver. »Hazel hat Wunder bewirkt, und wir schulden auch Fiver hier eine Menge.«

»Ich habe von dir gehört«, sagte Holly, sich an Fiver wendend. »Du bist das Kaninchen, das alles kommen sah. Du sprachst mit dem Threarah, nicht wahr?«

»Er sprach mit mir«, sagte Fiver.

»Wenn er nur auf deinen Rat gehört hätte! Nun, jetzt ist nichts mehr zu ändern, bis Eicheln auf Disteln wachsen. Silver, ich möchte etwas sagen, und ich kann es leichter dir als Hazel oder Bigwig sagen. Ich habe nicht die Absicht, Schwierigkeiten zu machen - Schwierigkeiten für Hazel, meine ich. Er ist jetzt euer Oberkaninchen, das ist klar. Ich kenne ihn kaum, aber er muß gut sein - oder ihr wäret alle tot; und es ist nicht die Zeit, sich zu zanken. Wenn jemand von den anderen Kaninchen sich fragt, ob ich vielleicht die Dinge ändern möchte, würdest du sie bitte wissen lassen, daß ich das nicht vorhabe?«

»Ja, das werde ich«, sagte Silver.

Bigwig kam heran. »Ich weiß, es ist noch nicht Eulenzeit«, sagte er, »aber alle sind so begierig, dich zu hören, Holly, daß sie sofort unter die Erde gehen wollen. Ist dir das recht?«

»Unter die Erde?« entgegnete Holly. »Aber wie könnt ihr alle mich unter der Erde anhören? Ich nahm an, daß ich hier sprechen sollte.«

»Komm und sieh selbst«, sagte Bigwig.

Holly und Bluebell waren von der Honigwabe beeindruckt.

»Das ist etwas ganz Neues«, meinte Holly. »Was hält das Dach oben?«

»Es braucht nicht gehalten zu werden«, sagte Bluebell. »Es ist schon oben auf dem Hügel.«

»Wir stießen unterwegs auf diese Idee«, sagte Bigwig.

»Lag in einem Feld«, witzelte Bluebell. »Schon gut, Meister, ich werde still sein, während du sprichst.«

»Ja, das mußt du«, sagte Holly. »Bald wird niemand mehr Witze hören wollen.«

Beinahe alle Kaninchen waren ihnen nach unten gefolgt. Die Honigwabe, obgleich groß genug für alle, war nicht so luftig wie der große Bau, und an diesem Juniabend schien sie ein bißchen eng.

»Wir können sie leicht kühler machen, weißt du«, sagte Strawberry. »In dem großen Bau pflegten sie Tunnel für den Sommer zu öffnen, die sie im Winter verschlossen. Wir können morgen noch einen Lauf auf der Abendseite graben und die Brise auffangen.«

Hazel wollte gerade Holly bitten, zu beginnen, als Speedwell den östlichen Lauf herunterkam. »Hazel«, sagte er, »dein - äh - Gast - deine Maus. Sie will mit dir sprechen.«

»Oh, ich hatte sie ganz vergessen«, sagte Hazel. »Wo ist sie?«

»Im Lauf oben.«

Hazel ging hinauf. Die Maus wartete am Ende.

»Du jetzt gehen?« sagte Hazel. »Du halten für sicher?«

»Jetzt gehen«, sagte die Maus. »Nicht warten Eule. Aber ich möchte sagen. Du helfen einer Maus. Eines Tages eine Maus dir helfen. Du sie brauchen, sie kommen.«

»Großer Frith!« murmelte Bigwig weiter unten im Bau.

»Und ihre Brüder und Schwestern auch. Ich sage euch, daß es von ihnen wimmeln wird. Warum bittest du sie nicht, uns einen Bau oder zwei zu graben, Hazel?«

Hazel sah der Maus nach, wie sie im hohen Gras verschwand. Dann kehrte er zur Honigwabe zurück und ließ sich neben Holly nieder, der soeben zu sprechen begonnen hatte.

21. »Auf daß El-ahrairah weine«


Liebe die Tiere. Gott hat ihnen die Grundlagen des Denkens und die ungetrübte Freude geschenkt. Störe sie nicht, quäle sie nicht, beraube sie nicht ihres Glücks, gehe nicht gegen Gottes Absicht an.

Dostojewski Die Brüder Karamasow


Unrechtstaten, getan

Zwischen der untergehenden und aufgehenden Sonne,

Liegen in der Geschichte wie Gebeine, jede einzelne.

W. H. Auden Der Aufstieg von F. 6


»An dem Abend, als ihr das Gehege verließt, rückte die Owsla aus, um euch zu suchen. Wie lange scheint das heute her zu sein! Wir folgten eurem Geruch den Bach hinunter, aber als wir dem Threarah sagten, daß ihr anscheinend stromab aufgebrochen wäret, sagte er, es hätte keinen Sinn, euch zu folgen und das Leben zu riskieren. Wenn ihr fort wäret, wäret ihr fort. Aber sollte jemand zurückkommen, würde er sofort verhaftet werden. Worauf ich die Suche abbrach.

Am anderen Tag trug sich nichts Ungewöhnliches zu. Es gab gewisses Gerede über Fiver und die Kaninchen, die mit ihm gegangen waren. Jeder wußte, daß Fiver gesagt hatte, etwas Schlimmes würde passieren, und alle möglichen Gerüchte gingen um. Viele Kaninchen meinten, an der Sache sei nichts dran, aber einige glaubten, daß Fiver möglicherweise Männer mit Gewehren und Frettchen vorausgesehen hatte. Das war das Schlimmste, was sich jemand vorstellen konnte - das oder die weiße Blindheit.

Willow und ich beredeten das alles mit dem Threarah. >Diese Kaninchen<, sagte er, >die behaupten, das zweite Gesicht zu haben - ich habe ein oder zwei zu meiner Zeit gekannt. Aber gewöhnlich ist es nicht ratsam, ihnen viel Beachtung zu schenken. Erstens einmal sind viele bloß boshaft. Ein schwaches Kaninchen, das nicht hoffen kann, durch Kämpfen weit zu kommen, versucht manchmal, sich auf andere Art wichtig zu machen, und Prophezeien ist sehr beliebt. Es ist merkwürdig - wenn seine Prophezeiung sich als falsch erweist, scheinen seine Freunde es selten zu bemerken, solange er seine Rolle gut spielt und drauflosredet. Zum anderen aber hat man vielleicht ein Kaninchen, das wirklich diese sonderbare Gabe hat - denn es gibt sie -, es sagt eine Überschwemmung voraus oder Frettchen und Gewehre. Gut, es wird also eine gewisse Zahl von Kaninchen nicht mehr draußen herumlaufen.

Was ist die Alternative? Die Evakuierung eines Geheges ist eine gewaltige Sache. Einige weigern sich zu gehen. Das Oberkaninchen bricht mit all denen auf, die mitkommen wollen. Seine Autorität wird wahrscheinlich auf die härteste Probe gestellt, und wenn es sie verliert, wird es sie so bald nicht zurückerlangen. Bestenfalls hat man einen Haufen hlessil, die im Freien umherwandern und wahrscheinlich Weibchen und Junge im Schlepptau haben. Elil erscheinen in Horden. Die Arznei ist schlimmer als die Krankheit. Fast ist es für das Gehege als Ganzes besser, wenn die Kaninchen sich nicht vom Fleck rühren und alles daransetzen, den Gefahren unter der Erde auszuweichen.<«

»Natürlich habe ich mich nie hingesetzt und habe überlegt«, sagte Fiver. »Das hat sich der Threarah alles ausgedacht. Mich packte einfach das fürchterliche Entsetzen. Großer goldener Frith, hoffentlich passiert mir das nie wieder! Ich werde es nie vergessen - das und die Nacht, die ich unter der Eibe verbrachte. Es gibt entsetzlich viel Böses in der Welt.«

»Es kommt vom Menschen«, sagte Holly. »Alle anderen elil tun, was sie müssen, und Frith leitet sie, wie er uns leitet. Sie leben auf der Erde, und sie brauchen Nahrung. Aber die Menschen werden nicht ruhen, bis sie die Erde verwüstet und die Tiere vernichtet haben. Doch ich fahre lieber in meiner Erzählung fort.

Am nächsten Tag begann es nachmittags zu regnen.«

(»Das war, als wir die Kratzer in die Böschung machten«, flüsterte Buckthorn Dandelion zu.)

»Alle waren unter der Erde, Kügelchen kauend oder schlafend. Ich war einige Minuten nach oben gegangen, um hraka zu machen, und befand mich am Rande des Gehölzes, ganz nahe dem Graben, als ich einige Männer auf dem Gipfel des gegenüberliegenden Hanges neben diesem Brett-Ding durch die Pforte kommen sah. Ich weiß nicht, wie viele es waren - drei oder vier, nehme ich an. Sie hatten lange schwarze Beine und verbrannten weiße Stengel im Mund. Sie schienen kein besonderes Ziel zu haben. Sie liefen langsam im Regen herum, besahen sich die Hecken und den Bach. Nach einiger Zeit überquerten sie den Bach und trampelten auf das Gehege zu. Wann immer sie zu einem KaninchenLoch kamen, stach einer von ihnen hinein; und sie redeten ununterbrochen. Ich erinnere mich an den Duft der Holunderblüte im Regen und den Geruch der weißen Stengel. Später, als sie näher kamen, glitt ich wieder unter die Erde. Ich konnte sie noch einige Zeit herumstochern und sprechen hören. Ich dachte immer: Schließlich haben sie keine Gewehre und keine Frettchen. Aber irgendwie gefiel mir die Sache nicht.«

»Was sagte der Threarah?« fragte Silver.

»Ich habe keine Ahnung. Ich habe ihn nicht gefragt, und soviel ich weiß, tat es auch sonst niemand. Ich ging schlafen, und als ich erwachte, war kein Geräusch über mir zu hören. Es war Abend, und ich beschloß, silflay zu machen. Es hatte sich eingeregnet, aber ich trödelte herum und fraß trotz allem eine Weile. Ich konnte nicht entdecken, daß irgend etwas sich geändert hatte, außer daß hier und da die Mündung eines Loches eingestoßen war.

Der nächste Morgen war klar und schön. Alle waren draußen für silflay wie gewöhnlich. Ich erinnere mich, daß Nightshade zu dem Threarah sagte, er solle vorsichtig sein und sich nicht zu sehr ermüden, da er nun in die Jahre komme; und der Threarah sagte, er werde ihm zeigen, wer hier in die Jahre komme, und knuffte ihn und stieß ihn die Böschung hinunter. Es war nur zum Scherz, wißt ihr, aber er tat es, um Nightshade zu zeigen, daß er mit dem Oberkaninchen immer noch zu rechnen hätte. Ich ging an diesem Morgen hinaus, um nach Salat zu suchen, und aus irgendeinem Grund hatte ich beschlossen, allein zu gehen.«

»Drei bilden gewöhnlich einen Salat-Trupp«, sagte Bigwig.

»Ja, ich weiß, gewöhnlich sind es drei, aber es gab einen besonderen Grund, weshalb ich an diesem Tag allein ging. O ja, ich erinnere mich: Ich wollte sehen, ob es schon einige frühe Mohrrüben gab - ich dachte, sie würden gerade soweit sein -, und ich schätzte, ich wäre allein besser dran, wenn ich einen unbekannten Teil des Gartens durchsuchte. Ich war die meiste Zeit des Morgens draußen, und es kann nicht lange vor ni-Frith gewesen sein, als ich durch das Gehölz zurückkehrte. Ich kam die Stille Böschung hinunter - ich weiß, daß die meisten Kaninchen die Grüne Lockere vorzogen, aber ich ging beinahe immer die Stille Böschung entlang. Ich kam in den offenen Teil des Gehölzes, wo es zu dem alten Zaun hin abfällt, als ich in dem Feldweg oben auf dem gegenüberliegenden Hang einen hrududu bemerkte. Er stand am Tor neben dem Brett, und eine Menge Männer kamen heraus. Ein Junge war bei ihnen, der ein Gewehr hatte. Sie nahmen einige große lange Dinger herunter - ich weiß nicht, wie ich sie euch beschreiben soll. Sie waren aus demselben Material gemacht wie ein hrududu, und sie müssen schwer gewesen sein, weil zwei Männer nötig waren, eines zu tragen. Die Männer trugen diese Dinger auf die Wiese, und die wenigen Kaninchen, die über der Erde waren, gingen hinunter. Ich nicht. Ich hatte das Gewehr gesehen und dachte, sie würden vielleicht Frettchen und möglicherweise Netze benutzen. Also blieb ich, wo ich war, und beobachtete weiter. Ich dachte: Sobald ich sicher bin, was sie vorhaben, gehe ich und warne den Threarah.

Dann noch mehr Gerede und noch mehr weiße Stengel. Menschen haben es nie eilig, nicht wahr? Dann nahm einer von ihnen einen Spaten und schickte sich an, die Mündungen aller Löcher zu füllen, die er finden konnte. An jedem Loch, zu dem er kam, stach er den Rasen darüber ab und schob ihn in das Loch. Das kam mir komisch vor, weil sie ja mit Frettchen die Kaninchen heraustreiben wollten. Aber ich erwartete, daß er ein paar Löcher offen lassen und sie mit einem Netz umgeben würde; obgleich das eine dumme Art wäre, mit Frettchen zu jagen, weil ein Kaninchen, das einen blockierten Lauf hinaufginge, unter der Erde getötet werden würde, und dann würde der Mann sein Frettchen nicht leicht zurückbekommen, wie ihr wißt.«

»Mach es nicht zu schlimm, Holly«, sagte Hazel; denn Pipkin zitterte bei dem Gedanken an den blockierten Lauf und das nachsetzende Frettchen.

»Zu schlimm?« erwiderte Holly böse. »Ich habe noch kaum begonnen. Möchte jemand gerne weggehen?« Keiner bewegte sich, und nach einigen Augenblicken fuhr er fort:

»Dann holte ein anderer Mann einige lange, dünne, gekrümmte Dinger. Ich finde keine Worte für all diese Menschen-Dinge, aber sie sahen so ähnlich aus wie sehr dicke Brombeerzweige. Jeder der Männer nahm einen und schob ihn auf eines der schweren Dinger. Es gab eine Art zischendes Geräusch und - und - ich weiß, ihr werdet das schwer verständlich finden, aber die Luft wurde schlecht. Aus irgendeinem Grund bekam ich einen starken Geruch in die Nase von dem Zeugs, das aus dem Brombeerzweig kam, obgleich ich ein Stück entfernt war, und ich konnte nicht sehen oder denken. Ich schien zu fallen. Ich versuchte aufzuspringen und zu laufen, aber ich wußte nicht, wo ich war, und merkte, daß ich zum Rand des Gehölzes auf die Männer zulaufen würde. Ich hielt noch zur rechten Zeit an. Ich war verwirrt und hatte jeden Gedanken aufgegeben, den Threarah zu warnen. Danach setzte ich mich bloß hin, wo ich war.

Die Männer stopften einen Dornenstrauch in jedes Loch, das sie offengelassen hatten, und danach passierte eine Weile nichts. Und dann sah ich Scabious - erinnert ihr euch an Scabious? Er kam aus einem Loch an der Hecke - eines, das sie nicht bemerkt hatten. Ich konnte sofort sehen, daß er das Zeugs gerochen hatte. Er wußte nicht, was er tat. Einige Augenblicke sahen ihn die Männer nicht, und dann streckte einer von ihnen den Arm aus, um zu zeigen, wo er war, und der Junge schoß auf ihn. Er tötete ihn nicht - Scabious begann zu schreien -, und einer der Männer ging hinüber, hob ihn hoch und schlug ihn tot. Ich glaube wirklich, daß er nicht sehr viel gelitten hat, weil die schlechte Luft ihn benommen gemacht hatte; aber ich wünschte, ich hätte es nicht gesehen. Danach stopfte der Mann das Loch, aus dem Scabious gekommen war, zu.

Inzwischen mußte die vergiftete Luft sich durch die unterirdischen Läufe und Baue verbreitet haben. Ich kann mir vorstellen, wie das gewesen sein muß -«

»Das kannst du nicht«, sagte Bluebell. Holly hielt inne, und nach einer Pause fuhr Bluebell fort.

»Ich hörte den Beginn der Aufregung, ehe ich das Zeugs selbst roch. Die Weibchen schienen es zuerst zu kriegen, und einige von ihnen versuchten hinauszugelangen. Aber diejenigen, die Junge hatten, wollten sie nicht verlassen und griffen jedes Kaninchen an, das ihnen zu nahe kam. Sie wollten kämpfen - um die Jungen zu schützen. Sehr bald waren die Läufe mit kratzenden und übereinanderpurzelnden Kaninchen überfüllt. Sie rannten die Läufe hinauf, die sie gewöhnlich benutzten, und fanden sie blockiert. Einigen gelang es, sich umzudrehen, aber sie konnten wegen der heraufkommenden Kaninchen nicht zurück. Und dann verstopften sich die Läufe weiter unten allmählich mit toten Kaninchen, und die lebenden Kaninchen rissen sie in Stücke.

Ich werde nie erfahren, wie ich durch das, was ich tat, davonkam. Es war eine Chance eins zu tausend. Ich war in einem Bau in der Nähe eines der Löcher, die die Männer benutzten. Sie machten eine Menge Lärm, als sie das brombeerähnliche Ding hineinstopften, und mir kam der Gedanke, daß es wohl nicht richtig funktionierte. Sobald ich den Geruch des Zeugs wahrnahm, sprang ich aus dem Bau, noch ziemlich klar im Kopf. Ich kam den Lauf herauf, genau als die Männer das Zweigding wieder herausnahmen. Sie betrachteten es alle und redeten und bemerkten mich nicht. Ich drehte mich um, genau in der Mündung des Loches, und ging wieder hinunter.

Erinnert ihr euch an den Toten Lauf? Ich glaube, daß kaum ein Kaninchen zu unserer Zeit dort hinunterging - er war sehr tief und führte nirgendwohin. Niemand weiß genau, wer ihn gemacht hat. Frith muß mich geführt haben; denn ich lief direkt in den Toten Lauf hinunter und begann dort entlangzukriechen. Tatsächlich mußte ich zeitweise graben. Überall stieß ich auf lockere Erde und heruntergefallene Steine. Und alle möglichen vergessenen Schächte waren da und Senkungen, die von oben herunterführten und durch die die schrecklichsten Geräusche herunterdrangen - Hilferufe, Junge, die nach ihren Müttern schrien, Owsla, die versuchten, Befehle zu geben, Kaninchen, die sich verfluchten und bekämpften. Einmal kam ein Kaninchen einen der Schächte heruntergepurzelt, und seine Klauen kratzten mich wie eine Roßkastanie, die im Herbst vom Baum fällt. Es war Celandine, und er war tot. Ich mußte ihn fortzerren, ehe ich über ihn hinwegkam - die Stelle war so niedrig und eng -, und dann ging ich weiter. Ich konnte die schlechte Luft riechen, aber ich war so tief unten, daß ich dem Schlimmsten entzogen war.

Plötzlich entdeckte ich, daß noch ein Kaninchen bei mir war. Es war das einzige, das ich auf der ganzen Strecke des Toten Laufes traf. Es war Pimpernel, und ich merkte sofort, daß es ihm sehr schlecht ging. Er spuckte und keuchte, aber er konnte weitermarschieren. Er fragte, ob ich in Ordnung sei, aber alles, was ich erwiderte, war: >Wo kommen wir hier heraus?< - >Das kann ich dir zeigen<, sagte er, >wenn du mir weiterhilfst.< Ich folgte ihm also, und jedesmal, wenn er anhielt - er vergaß dauernd, wo wir waren -, schob ich ihn kräftig. Ich habe ihn sogar einmal gebissen. Ich fürchtete, daß er sterben und den Lauf blockieren würde. Endlich kamen wir nach oben und konnten frische Luft riechen. Wir stellten fest, daß wir in einen dieser Läufe gelangt waren, die in das Gehölz hinausführen.

Die Männer hatten ihre Arbeit schlecht getan«, fuhr Holly fort. »Entweder wußten sie nichts von Waldlöchern, oder sie gaben sich nicht die Mühe, sie zu verstopfen. Beinahe jedes Kaninchen, das auf der Wiese heraufkam, wurde erschossen, aber ich sah zwei davonkommen. Eines war Guck-in-die-Luft, aber ich erinnere mich nicht, wer das andere war. Der Lärm war furchterregend, und ich wäre selbst gerannt, aber ich wartete, um zu sehen, ob der Threarah kommen würde. Nach einer Weile merkte ich, daß noch ein paar andere Kaninchen im Gehölz waren. Pine-needles war da, wie ich mich erinnere, und Butterbur und Ash. Ich schnappte mir, wen ich konnte, und befahl ihnen, in Deckung zu bleiben und sich nicht vom Fleck zu rühren.

Nach einer langen Zeit beendeten die Männer ihre Arbeit. Sie nahmen die dünnen Dinger aus den Löchern, und der Junge steckte die Kadaver auf einen Stock -«

Holly hielt inne und drückte seine Nase in Bigwigs Flanke.

»Nun, reg dich nicht darüber auf«, sagte Hazel mit ruhiger Stimme. »Erzähle uns, wie du entkamst.«

»Ehe das geschah«, fuhr Holly fort, »kam ein großer hrududu über den Pfad auf die Wiese. Es war nicht der, mit dem die Männer gekommen waren. Er war sehr laut und gelb - so gelb wie ein Hederich; und vorn war ein großes silbernes, glänzendes Ding, das er in seinen riesigen Vorderpfoten hielt. Ich weiß nicht, wie ich es euch beschreiben soll. Es sah wie Inle aus, aber es war breit und nicht so strahlend. Und dieses Ding - wie soll ich es euch sagen? - zerriß die Wiese in Stücke. Es zerstörte die Wiese.«

Er hielt wieder inne.

»Hauptmann«, sagte Silver, »wir alle wissen, daß du unvorstellbare Dinge gesehen hast. Aber sicherlich ist es nicht ganz das, was du meinst.«

»Bei meinem Leben«, sagte Holly zitternd, »es grub sich in den Boden und schob große Erdmassen vor sich her, bis die Wiese zerstört war. Alles wurde wie ein Viehweideland im Winter, und man konnte nicht mehr sagen, wo irgendein Teil der Wiese zwischen dem Gehölz und dem Bach gewesen war. Erde und Wurzeln und Gras und Büsche schob es vor sich her - und andere Dinge auch, von unter der Erde.

Nach langer Zeit ging ich durch das Gehölz zurück. Ich hatte ganz vergessen, noch andere Kaninchen zu sammeln, aber drei schlossen sich mir doch an - Bluebell hier und Pimpernel und der junge Toadflax. Toadflax war das einzige Mitglied der Owsla, das ich gesehen hatte, und ich fragte ihn nach dem Threarah, aber er antwortete nur wirres Zeug. Ich fand nie heraus, was mit dem Threarah geschah. Ich hoffe, er starb schnell.

Pimpernel war wirr im Kopf - plapperte Unsinn -, und Bluebell und mir ging es nicht viel besser. Aus irgendeinem Grund konnte ich nur an Bigwig denken. Ich erinnerte mich, wie ich ihn verhaften wollte - töten wollte, genaugenommen -, und ich hatte das Gefühl, ich müßte ihn finden und ihm sagen, daß ich im Unrecht war; und dieser Gedanke war die ganze Vernunft, die mir noch blieb. Wir vier wanderten fort, und wir müssen fast in einem Halbkreis gegangen sein, weil wir nach langer Zeit zum Bach unterhalb unserer einstigen Wiese kamen. Wir folgten ihm in einen großen Wald hinunter; und in jener Nacht, während wir uns noch im Wald befanden, starb Toadflax. Er war kurz davor bei klarem Verstand, und ich erinnere mich an etwas, was er sagte. Bluebell hatte erklärt, er wisse, die Menschen haßten uns, weil wir in ihre Ernten und Gärten einfielen, und Toadflax antwortete: »Das war nicht der Grund, weshalb sie das Gehege zerstörten. Wir waren ihnen einfach im Weg. Sie töteten uns, weil es ihnen so paßte.« Bald danach legte er sich schlafen, und ein bißchen später, als wir durch irgendein Geräusch erschraken, versuchten wir, ihn zu wecken, und merkten, daß er tot war.

Wir ließen ihn dort liegen und liefen weiter, bis wir den Fluß erreichten. Ich brauche ihn nicht zu beschreiben, weil ich weiß, daß ihr ihn alle kennt. Inzwischen war es Morgen geworden. Wir dachten, daß ihr irgendwo in der Nähe wäret, liefen auf der Böschung stromauf und suchten euch. Es dauerte nicht lange, bis wir die Stelle fanden, wo ihr ihn überquert haben mußtet. Da waren Spuren - sehr viele - im Sand unter einer steilen Böschung und etwa drei Tage alter hraka. Die Spuren gingen nicht stromauf oder stromab, ich wußte also, daß ihr übergesetzt sein mußtet. Ich schwamm hinüber und fand auf der anderen Seite noch mehr Spuren; darauf kamen die anderen auch herüber. Der Fluß war angeschwollen. Ich nehme an, ihr habt es vor dem vielen Regen leichter gehabt.

Die Felder auf der anderen Seite des Flusses gefielen mir nicht. Da war ein Mann mit einem Gewehr, der überallhin lief. Ich führte die anderen beiden über einen Weg hinüber, und bald kamen wir an einen schlimmen Ort - alles Heidekraut und weiche schwarze Erde. Das war eine schwere Zeit, aber wieder traf ich auf hraka, etwa drei Tage alt, und es fehlten Anzeichen von Löchern oder Kaninchen; also überlegte ich mir, daß sie möglicherweise eure waren. Bluebell war in Ordnung, aber Pimpernel hatte Fieber, und ich hatte Angst, auch er würde sterben.

Dann hatten wir ein bißchen Glück - jedenfalls glaubten wir das damals. In jener Nacht trafen wir ein hlessi am Rande der Heide - ein altes, zähes Kaninchen, dessen Nase ganz verkratzt und voll Narben war. Es sagte uns, daß ganz in der Nähe ein Gehege sei, und es zeigte uns den Weg. Wir kamen wieder durch Wälder und Felder, waren aber so erschöpft, daß wir nicht nach dem Gehege suchen konnten. Wir krochen in einen Graben, und ich wagte nicht, einem der anderen zu befehlen, wachzubleiben. Ich versuchte, selbst wachzubleiben, aber es gelang mir nicht.«

»Wann war das?« fragte Hazel.

»Vorgestern«, sagte Holly, »am frühen Morgen. Als ich aufwachte, war es immer noch einige Zeit vor ni-Frith. Ringsum war es ruhig, und alles, was ich riechen konnte, war Kaninchen, aber ich fühlte sofort, daß etwas nicht stimmte. Ich weckte Bluebell und war gerade dabei, auch Pimpernel zu wecken, als ich merkte, daß ein ganzer Haufen Kaninchen um uns herum war. Es waren große Burschen, und sie hatten einen eigentümlichen Geruch. Es war wie - nun, wie -«

»Wir wissen, was es war«, sagte Fiver.

»Ich dachte mir schon, daß ihr's wahrscheinlich wüßtet. Dann sagte eines von ihnen: >Mein Name ist Cowslip. Wer seid ihr, und was tut ihr hier?< Ich mochte die Art nicht, wie er sprach, konnte mir aber nicht denken, daß sie einen Grund hatten, uns übelzuwollen, daher sagte ich ihm, daß wir eine schlimme Zeit hinter uns hätten und einen weiten Weg gekommen wären und daß wir Kaninchen aus unserem Gehege suchten - Hazel, Fiver und Bigwig. Sobald ich diese Namen nannte, wandte sich das Kaninchen an die anderen und rief: >Ich wußte es! Reißt sie in Stücke!< Und alle fielen über uns her. Eines von ihnen packte mich am Ohr und schlitzte es auf, ehe Bluebell es wegziehen konnte. Wir schlugen uns mit der ganzen Bande. Ich wurde so überrumpelt, daß ich zuerst nicht viel ausrichten konnte. Aber das Komische war, daß sie, obgleich sie so groß waren und nach unserem Blut schrien, gar nicht kämpfen konnten; offensichtlich kannten sie die Elementarregeln des Kämpfens nicht. Bluebell schlug ein paar, die doppelt so groß wie er waren, zusammen, und obgleich mein Ohr von Blut troff, war ich nie echt in Gefahr. Trotzdem waren es zu viele für uns, und wir mußten rennen. Bluebell und ich hatten gerade den Graben hinter uns, als wir merkten, daß Pimpernel immer noch dort war. Er war krank, wie ich euch schon sagte, und er wachte nicht rechtzeitig auf. So wurde der arme Pimpernel nach allem, was er durchgemacht hatte, von Kaninchen getötet. Was sagt ihr dazu?«

»Ich halte es für eine verdammte Gemeinheit«, sagte Strawberry, ehe irgendein anderer etwas sagen konnte.

»Wir rannten neben einem kleinen Bach durch die Wiesen«, fuhr Holly fort. »Einige dieser Kaninchen jagten uns noch immer, und plötzlich dachte ich: >Nun, einen von ihnen will ich auf jeden Fall kriegen.< Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, nichts weiter zu tun, als einfach davonzulaufen, um unsere Haut zu retten - nicht nach Pimpernel. Ich sah, daß dieser Cowslip allen anderen voraus und allein war, also ließ ich ihn herankommen, und dann drehte ich mich plötzlich um und ging auf ihn los. Ich hatte ihn untergekriegt und wollte ihn gerade zerreißen, als er kreischte: >Ich kann dir sagen, wohin deine Freunde gegangen sind.< >Beeile dich<, sagte ich, meine Hinterläufe in seinen Magen drückend. >Sie sind zu den Hügeln gegangen<, keuchte er. >Die hohen Hügel, die du drüben sehen kannst. Sie gingen gestern morgen.< Ich gab vor, ihm nicht zu glauben, und tat so, als ob ich ihn töten wollte. Aber er blieb bei seiner Geschichte, also zerkratzte ich ihn und ließ ihn laufen, und so kamen wir davon. Es war klares Wetter, und wir konnten die Hügel deutlich sehen. Danach hatten wir die allerschlimmste Zeit. Wenn Bluebell mit seinen Witzen und seinem Geplauder nicht gewesen wäre, wären wir bestimmt nicht weitergerannt.«

»Hraka von der einen, Witze von der anderen Seite«, sagte Bluebell. »Ich ließ einen Witz fallen, und wir beide rannten ihm nach. Und so gelangten wir immer weiter.«

»Ich kann euch nicht viel über den Rest erzählen«, sagte Holly. »Mein Ohr schmerzte entsetzlich, und immerzu mußte ich denken, daß Pimpernels Tod meine Schuld war. Hätte ich mich nicht schlafen gelegt, wäre er nicht gestorben. Einmal versuchten wir, wieder zu schlafen, aber meine Träume waren mehr, als ich ertragen konnte. Ich war wirklich kaum bei Sinnen. Ich hatte nur einen Gedanken - Bigwig zu finden und ihm zu sagen, daß er recht hatte, das Gehege zu verlassen.

Schließlich erreichten wir die Hügel, genau bei Einbruch der Nacht am nächsten Tag. Es war uns gleichgültig - wir überquerten das flache, offene Land zur Eulenzeit. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Ihr wißt, daß man sich zuweilen einredet, alles käme in Ordnung, wenn man nur an einen bestimmten Ort gelangte oder eine bestimmte Sache machte. Aber wenn man hinkommt, entdeckt man, daß es nicht so einfach ist. Ich nehme an, daß ich die törichte Vorstellung hatte, Bigwig wurde uns erwarten. Wir fanden die Hügel riesig - größer als alles, was wir je gesehen hatten. Keine Gehölze, keine Kaninchen - und die Nacht brach an. Und dann schien alles in Stücke zu fallen. Ich sah Scabious - so deutlich wie Gras - und hörte ihn auch schreien; und ich sah den Threarah und Toadflax und Pimpernel. Ich versuchte, mit ihnen zu sprechen. Ich rief Bigwig, aber ich erwartete eigentlich nicht, daß er es hörte, weil ich sicher war, daß er nicht da war. Ich kann mich erinnern, daß ich aus einer Hecke ins Freie kam, und ich weiß, daß ich tatsächlich hoffte, die elil würden kommen und mich erledigen. Aber als ich wieder zu mir kam, war Bigwig da. Mein erster Gedanke war, daß ich tot sein müßte, aber dann begann ich zu überlegen, ob er leibhaftig war oder nicht. Nun, ihr wißt das übrige. Es tut mir leid, daß ich euch so sehr erschreckt habe. Aber wenn ich nicht das - Schwarze Kaninchen war, gibt es kaum ein lebendes Geschöpf, das ihm je näher war als wir.« Nach kurzem Schweigen fügte er hinzu: »Ihr könnt euch vorstellen, was es für Bluebell und mich bedeutet, uns unter Freunden unter der Erde zu befinden. Nicht ich habe versucht, dich zu verhaften, Bigwig - das war ein anderes Kaninchen, vor langer, langer Zeit.«

22. Die Geschichte von El-ahrairahs Prozeß


Hat er nicht ein Schurkengesicht?... Hat ein verfluchtes Tyburn-Gesicht ohne das Vorrecht der Geistlichkeit.

Congreve Love for Love


Kaninchen sind in vieler Hinsicht wie menschliche Wesen (sagt Mr. Lockley). Ganz gewiß gehört dazu ihre unerschütterliche Fähigkeit, dem Unglück zu widerstehen und sich vom Strom ihres Lebens weitertragen zu lassen, hinweg über Schrecken und Verlust. Sie haben eine bestimmte Eigenschaft, die mit Gleichgültigkeit oder Gefühllosigkeit zu beschreiben nicht zutreffend wäre. Es ist eher eine glückliche Einbildungskraft und ein intuitives Gefühl, daß das Leben Jetzt ist. Ein Futter suchendes wildes Geschöpf, vor allem auf Überleben bedacht, ist stark wie das Gras. Insgesamt bleiben Kaninchen geschützt aufgrund von Friths Versprechen El-ahrairah gegenüber. Kaum ein ganzer Tag war vergangen, seit Holly im Delirium an den Fuß des Watership Down gekrochen gekommen war. Und doch war er der Genesung sehr nahe, während der sorglosere Bluebell nach der schrecklichen Katastrophe, die er überlebt hatte, sogar noch weniger übel dran war. Hazel und seine Gefährten hatten während Hollys Geschichte Kummer und Entsetzen bis zum äußersten durchlitten. Pipkin hatte geweint und mitleiderregend über den Tod von Scabious gezittert, und Acorn und Speedwell waren von krampfhaftem Würgen ergriffen worden, als Bluebell von dem Giftgas erzählte, das unter der Erde mordete. Und doch, wie bei primitiven menschlichen Wesen, brachte gerade die Stärke und Heftigkeit ihres Mitleids eine echte Erlösung mit sich. Ihre Gefühle waren nicht falsch oder vorgetäuscht. Während die Geschichte erzählt wurde, hörten sie sie ohne jene Reserve oder Distanzierung an, die der gütigste, zivilisierte Mensch bewahrt, wenn er seine Zeitung liest. Sie glaubten, selbst in den vergifteten Läufen zu zappeln und vor Wut über das Schicksal des armen Pimpernel aufzulodern. Das war ihre Art, die Toten zu ehren. Als die Geschichte vorüber war, begannen die Forderungen ihres eigenen schweren, harten Lebens in ihren Herzen, ihrem Blut, ihren Nerven und Trieben sich wieder geltend zu machen. Oh, wären die Toten nicht tot! Aber es muß Gras gefressen, müssen Kügelchen gekaut, hraka gemacht, Löcher gegraben und muß geschlafen werden. Odysseus bringt nicht einen einzigen Mann mit an die Küste. Und doch schläft er tief neben Calypso, und als er erwacht, denkt er nur an Penelope.

Noch ehe Holly mit seiner Geschichte zu Ende war, hatte Hazel an seinem verletzten Ohr geschnüffelt. Es war ihm nicht möglich gewesen, sich vorher das Ohr genau anzusehen, doch als er es jetzt tat, merkte er, daß Entsetzen und Ermüdung wahrscheinlich nicht die Hauptursache für Hollys Zusammenbruch gewesen waren. Er war schwer verletzt -schwerer als Buckthorn. Er mußte eine Menge Blut verloren haben. Sein Ohr war in Fetzen gerissen und stark verschmutzt. Hazel ärgerte sich über Dandelion. Als mehrere Kaninchen, von der milden Juninacht und dem Vollmond angezogen, mit silflay begannen, bat er Blackberry zu warten. Silver, der gerade durch den anderen Lauf hinausgehen wollte, kehrte zurück und schloß sich ihnen an.

»Dandelion und die anderen beiden scheinen dich wieder aufgeheitert zu haben«, sagte Hazel zu Holly. »Es ist schade, daß sie dich nicht auch gesäubert haben. Dieser Schmutz ist gefährlich.«

»Nun, sieh mal -«, begann Bluebell, der neben Holly geblieben war.

»Mach keinen Witz«, sagte Hazel. »Du scheinst zu glauben -«

»Wollt' ich gar nicht«, sagte Bluebell. »Ich wollte nur sagen, daß ich das Ohr des Hauptmanns säubern wollte, aber es ist zu empfindlich, als daß man es anrühren könnte.«

»Er hat ganz recht«, sagte Holly. »Ich fürchte, ich bin selbst schuld daran, daß sie es vernachlässigt haben, aber tu, was du für das Beste hältst, Hazel. Ich fühle mich jetzt viel wohler.«

Hazel fing selbst an dem Ohr an. Das Blut war schwarz verkrustet, und die Aufgabe erforderte Geduld. Nach einer Weile bluteten die langen Rißwunden von neuem und wurden langsam sauber. Dann übernahm Silver die Sache. Holly, der es, so gut er konnte, ertrug, knurrte und scharrte, und Silver suchte nach etwas, um ihn abzulenken.

»Hazel«, fragte er, »was war das für ein Gedanke, den du da mit der Maus hattest? Du sagtest, du würdest es später erklären. Wie wär's, wenn du es jetzt versuchtest?«

»Nun«, sagte Hazel, »der Gedanke ist einfach der, daß wir in unserer Lage es uns nicht leisten können, etwas zu vergeuden, das uns von Nutzen sein könnte. Wir befinden uns an einem fremden Ort, von dem wir nicht viel wissen, und wir brauchen Freunde. Nun, elil können uns offensichtlich nicht von Nutzen sein, aber es gibt viele Geschöpfe, die nicht elil sind - Vögel, Mäuse, yonil und so weiter. Zwar haben Kaninchen gewöhnlich nicht viel mit ihnen zu tun, aber meistens sind ihre Feinde auch unsere Feinde. Ich finde, wir sollten alles nur Mögliche tun, um uns diese Geschöpfe zu Freunden zu machen. Es könnte sich erweisen, daß die Mühe sich lohnt.«

»Ich kann nicht sagen, daß mir die Idee sonderlich gefällt«, sagt Silver, Holly das Blut aus der Nase wischend. »Diese kleinen Tiere sind eher gering und nicht als verläßlich einzuschätzen, vermute ich. Was können die uns schon nützen? Sie können nicht für uns graben, sie können keine Nahrung für uns holen, sie können nicht für uns kämpfen. Sie würden sagen, sie seien uns freundlich gesinnt, zweifellos, solange wir ihnen helfen; aber damit hat sich's. Ich hörte diese Maus heute Abend - >Du sie brauchen, sie kommen< Natürlich kommt sie, solange es was zu fressen und Wärme gibt, aber sicherlich wollen wir nicht, daß das Gehege von Mäusen und Hirschkäfern wimmelt, oder?«

»Nein, ganz so habe ich es nicht gemeint«, sagte Hazel. »Ich schlage nicht vor, Feldmäuse zu suchen und sie einzuladen, sich zu uns zu gesellen. Sie würden uns sowieso nicht dafür danken. Aber diese Maus heute Abend - wir haben ihr das Leben gerettet -«

»Du hast ihr das Leben gerettet«, sagte Blackberry.

»Nun, ihr Leben wurde gerettet. Das wird sie nicht vergessen.«

»Aber wie soll uns das helfen?« fragte Bluebell.

»Vor allem kann sie uns sagen, was sie von dem Ort weiß -«

»Was Mäuse wissen. Nicht, was Kaninchen dringend wissen müssen.«

»Nun, ich gebe zu, daß eine Maus nützlich sein kann oder auch nicht«, sagte Hazel. »Aber sicherlich könnte ein Vogel uns von Nutzen sein, wenn wir nur genug für ihn täten. Wir können nicht fliegen, aber einige von ihnen kennen das Land im weiten Umkreis. Sie wissen auch gut über das Wetter Bescheid. Ich sage ja nur dies: Wenn einer ein Tier oder einen Vogel findet, der nicht sein Feind ist und der Hilfe braucht, dann laßt um Himmels willen die Gelegenheit nicht vorbeigehen. Das wäre, als ob man Mohrrüben in der Erde verfaulen ließe.«

»Was hältst du davon?« fragte Silver Blackberry.

»Ich denke, es ist eine gute Idee, aber wirkliche Gelegenheiten der Art, wie Hazel sie sich vorstellt, ergeben sich nicht sehr oft.«

»Ich glaube, das stimmt so ungefähr«, sagte Holly zusammenzuckend, als Silver das Lecken wiederaufnahm. »Die Idee ist schon recht, aber sie wird sich nicht oft praktizieren lassen.«

»Ich bin bereit, einen Versuch zu machen«, sagte Silver. »Ich schätze, er wird sich lohnen, und wenn wir bloß sehen, wie Bigwig einem Maulwurf Bettgeschichten erzählt.«

»El-ahrairah hat es mal getan«, sagte Bluebell, »und es hat funktioniert. Erinnert ihr euch?«

»Nein«, sagte Hazel, »diese Geschichte kenne ich nicht. Laß sie uns hören.«

»Laßt uns erst silflay gehen«, sagte Holly. »Dieses Ohr hat vorläufig alles gehabt, was ich ertragen kann.«

»Nun, wenigstens ist es jetzt sauber«, sagte Hazel. »Aber ich fürchte, es wird nie wieder so gut wie das andere. Du wirst ein zerfetztes Ohr zurückbehalten.«

»Schadet nichts«, meinte Holly. »Ich habe trotzdem Glück gehabt.«

Der Mond, der am wolkenlosen östlichen Himmel voll aufgegangen war, bedeckte die hohe Einsamkeit mit seinem Licht. Wir sind uns des Tageslichtes nicht als etwas bewußt, das die Dunkelheit verdrängt. Selbst wenn die Sonne wolkenlos ist, scheint das Tageslicht uns einfach der natürliche Zustand von Erde und Luft. Wenn wir an die Downs denken, denken wir an die Downs bei Tag, wie wir an ein Kaninchen mit seinem Fell denken. Es mag Leute geben, die sich das Skelett im Inneren eines Pferdes vorstellen, aber die meisten von uns tun das nicht; und wir stellen uns gewöhnlich die Downs nicht ohne Tageslicht vor, selbst wenn das Licht nicht Teil der Downs ist, wie die Haut Teil des Pferdes ist. Wir nehmen das Tageslicht als selbstverständlich hin. Aber mit dem Mondlicht ist das etwas anderes. Es ist unbeständig. Der Mond nimmt ab und wieder zu. Wolken können ihn in einem Ausmaß verdunkeln, wie sie es beim Tageslicht nicht vermögen. Wasser benötigen wir, aber einen Wasserfall nicht. Wo man ihn antrifft, ist er etwas Besonderes, eine schöne Zierde. Wir brauchen das Tageslicht, und in gewissem Maß ist es eine Frage der Nützlichkeit, aber das Mondlicht brauchen wir nicht. Wenn es kommt, dient es keiner Notwendigkeit. Es verwandelt. Es fällt auf Böschungen und das Gras, trennt einen langen Halm von dem anderen, verwandelt eine Wehe brauner, mit Reif überzogener Blätter aus einem einzigen Haufen in zahllose blitzende Splitter oder schimmert längs nassen Zweigen, als ob das Licht selbst dehnbar wäre. Seine langen Strahlenbündel strömen weiß und scharf zwischen die Baumstämme, aber ihre Klarheit vergeht, wenn sie bei Nacht in die dunkle Ferne von Buchenwäldern zurückweichen. Im Mondlicht scheinen zwei Äcker gemeinen Straußgrases wogend und knöcheltief, zerzaust und struppig gleich einer Pferdemähne, wie eine Bucht von Wellen, voll von schattigen Rinnen und Vertiefungen. Es ist so dick und verfilzt, daß selbst der Wind es nicht bewegt, aber das Mondlicht scheint ihm Stille zu verleihen. Wir nehmen das Mondlicht nicht als selbstverständlich hin. Es ist wie der Schnee oder wie der Tau an einem Julimorgen. Es enthüllt nicht, sondern verwandelt, was es bedeckt. Und seine geringe Intensität -soviel geringer als die des Tageslichtes - macht uns bewußt, daß es dem Hügelland etwas Zusätzliches verleiht, um ihm für kurze Zeit eine einzigartige, wunderbare Eigenschaft zu geben, die wir bewundern sollten, solange wir können, denn bald wird es wieder verschwunden sein.

Als die Kaninchen das Loch innerhalb des Buchenwaldes heraufkamen, fuhr ein schneller Windstoß durch die Blätter und fleckte den Boden darunter mit einem bunten Muster, tanzendes Licht unter die Zweige sendend. Sie horchten, aber außer dem Rauschen der Blätter kam von dem offenen Land draußen kein Ton, nur das Tremolo einer Heuschrecke weit weg im Gras.

»Was für ein Mond!« sagte Silver, »Laßt ihn uns genießen, solange er da ist.«

Als sie die Böschung überquerten, trafen sie Speedwell und Hawkbit, die zurückkamen.

»O Hazel«, sagte Hawkbit, »wir haben mit noch einer Maus gesprochen. Sie hatte von dem Turmfalken heute Abend gehört und war sehr freundlich. Sie erzählte uns von einer Stelle auf der anderen Seite des Waldes, wo das Gras kurz gemäht worden ist - hat etwas mit Pferden zu tun, sagte sie. >Du mögen ein hübsches Gras? Ein sehr feines Gras?< Darauf gingen wir hin. Es ist erstklassig.«

Die Rennstrecke erwies sich als gute vierzig Meter breit, heruntergemäht auf knapp fünfzehn Zentimeter. Hazel machte sich mit dem köstlichen Gefühl, recht gehabt zu haben, an einen Kleefleck. Alle kauten einige Zeit schweigend.

»Du bist ein kluger Bursche, Hazel«, sagte Holly schließlich. »Du und deine Maus. Natürlich hätten wir diese Stelle früher oder später auch gefunden, aber nicht so früh.«

Hazel hätte ihm am liebsten vor Genugtuung die Kinndrüsen gedrückt, erwiderte aber nur: »Wir brauchen nicht mehr so oft den Hügel hinunterzugehen.« Dann fügte er hinzu: »Aber Holly, du riechst nach Blut, weißt du? Das kann gefährlich sein, selbst hier. Gehen wir ins Gehölz zurück. Es ist eine so schöne Nacht, daß wir neben den Löchern sitzen können, um Kügelchen zu kauen, und Bluebell kann uns seine Geschichte erzählen.«

Sie fanden Strawberry und Buckthorn auf der Böschung, und als alle bequem kauten, die Ohren zurückgelegt, begann Bluebell.

»Dandelion sprach gestern Abend von Cowslips Gehege und wie er die Geschichte vom Salat des Königs erzählte. Das rief mir diese hier ins Gedächtnis zurück, noch bevor Hazel seine Idee erklärte. Ich pflegte sie von meinem Großvater zu hören, und er sagte immer, daß sie sich zutrug, nachdem El-ahrairah sein Volk aus den Sümpfen von Kelfazin herausgeholt hatte. Sie gingen zu den Wiesen von Fenlo, und dort gruben sie ihre Löcher. Aber Fürst Regenbogen hatte ein wachsames Auge auf El-ahrairah, und er war entschlossen, dafür zu sorgen, daß er keinerlei Schliche mehr anwenden konnte.

Nun, eines Abends, als El-ahrairah und Rabscuttle auf einer sonnigen Böschung saßen, kam Fürst Regenbogen durch die Wiesen; in seiner Begleitung befand sich ein Kaninchen, das El-ahrairah noch nie gesehen hatte.

>Guten Abend, El-ahrairah<, sagte Fürst Regenbogen. >Das ist eine große Verbesserung gegenüber den Sümpfen von Kelfazin. Ich sehe alle eure Weibchen damit beschäftigt, Löcher an der Böschung zu graben. Haben sie auch ein Loch für dich gegraben?<

>Ja<, sagte El-ahrairah. >Dieses Loch gehört Rabscuttle und mir. Uns gefiel diese Böschung beim ersten Anblick.<

>Eine sehr hübsche Böschung<, sagte Fürst Regenbogen. >Aber es tut mir leid, dir sagen zu müssen, El-ahrairah, daß ich strenge Anweisung von Frith, dem Herrn, persönlich habe, dir nicht zu erlauben, ein Loch mit Rabscuttle zu teilen.<

>Kein Loch mit Rabscuttle teilen?< fragte El-ahrairah. >Warum denn nicht?<

>El-ahrairah<, sagte Fürst Regenbogen, >wir kennen dich und deine Schliche, und Rabscuttle ist beinahe so gerissen wie du. Ihr beide zusammen in einem Loch, das wäre zuviel des Guten. Ihr würdet die Wolken vom Himmel herunterstehlen, ehe der Mond zweimal wechselt. Nein -Rabscuttle muß gehen und die Löcher am anderen Ende des Geheges beaufsichtigen. Darf ich vorstellen: Das ist Hufsa. Ich möchte, daß du sein Freund wirst und dich um ihn kümmerst.<

>Woher kommt er?< fragte El-ahrairah. >Ich habe ihn bestimmt noch nie gesehen.<

>Er kommt aus einem anderen Land<, sagte Fürst Regenbogen, >aber er unterscheidet sich nicht von anderen Kaninchen. Ich hoffe, du wirst ihm helfen, sich hier einzuleben. Und während er den Ort allmählich kennenlernt, wirst du sicher gern dein Loch mit ihm teilen.<

El-ahrairah und Rabscuttle waren sehr ärgerlich, daß man ihnen nicht erlaubte, zusammen in einem Loch zu leben. Aber El-ahrairah hatte es sich zur Regel gemacht, es niemanden merken zu lassen, wenn er sich ärgerte, und außerdem tat ihm Hufsa leid, weil er annahm, daß er sich einsam und verlegen fühlte, da er von seinen eigenen Leuten so weit weg war. Er hieß ihn also willkommen und versprach, ihm zu helfen, sich häuslich niederzulassen. Hufsa war sehr freundlich und schien begierig, jedem gefällig zu sein, und Rabscuttle zog zum anderen Ende des Geheges hinunter.

Nach einiger Zeit jedoch entdeckte El-ahrairah, daß irgend etwas mit seinen Plänen immer schiefging. Als er eines Nachts im Frühling einige seiner Leute in ein Kornfeld führte, um die grünen Sprossen zu fressen, trafen sie auf einen Mann mit einem Gewehr, der im Mondlicht herumlief, und konnten sich gerade noch ohne Mißgeschick aus dem Staube machen. Ein andermal, nachdem El-ahrairah den Weg in einen Rübengarten ausgekundschaftet und ein Loch unter den Zaun gekratzt hatte, fand er es am anderen Morgen mit Draht versperrt, und er begann zu argwöhnen, daß seine Pläne zu Leuten durchsickerten, die nichts von ihnen erfahren sollten.

Eines Tages beschloß er, Hufsa eine Falle zu stellen, um herauszufinden, ob der hinter dem ganzen Ärger steckte. Er zeigte ihm einen Feldweg und sagte ihm, er führe zu einer einsamen Scheune, die voll Steck- und Kohlrüben sei, und er fügte noch hinzu, daß er und Rabscuttle die Absicht hätten, am nächsten Morgen hinzugeben. In Wirklichkeit hatte El-ahrairah nichts dergleichen vor und hütete sich, irgend jemandem vom Feldweg oder von der Scheune zu erzählen. Aber am nächsten Tag, als er vorsichtig den Pfad entlangging, entdeckte er eine im Gras ausgelegte Schlinge. Das machte El-ahrairah wirklich böse; denn irgendeiner seiner Leute hätte gefangen oder getötet werden können. Natürlich nahm er nicht an, daß Hufsa die Schlingen selbst auslegte oder daß er gewußt hatte, daß eine Schlinge gelegt werden würde. Aber offensichtlich stand Hufsa mit jemandem in Verbindung, der nicht davor zurückschreckte, eine Schlinge zu legen. Schließlich kam El-ahrairah zu dem Schluß, daß Fürst Regenbogen Hufsas Information wahrscheinlich an einen Farmer oder einen Wildhüter weitergab und sich nicht darum kümmerte, was dann geschah. Das Leben seiner Kaninchen war durch Hufsa in Gefahr - von dem Salat und den Rüben ganz zu schweigen, die sie vermißten. Nach diesem Vorfall versuchte El-ahrairah, Hufsa gar nichts mehr zu sagen. Aber es war schwierig, ihn daran zu hindern, Neuigkeiten mit anzuhören, weil, wie ihr alle wißt, Kaninchen sehr gut Geheimnisse anderen Tieren gegenüber bewahren können, aber ganz und gar nicht untereinander. Das Leben im Gehege ist nicht für Geheimnisse geeignet. Er überlegte, ob er Hufsa töten sollte. Aber er wußte, wenn er es täte, käme Fürst Regenbogen, und sie würden noch mehr Ärger bekommen. Ihm war entschieden unbehaglich zumute, sogar wegen der Geheimhaltung vor Hufsa, weil er glaubte, daß Hufsa, sobald er merkte, daß sie in ihm einen Spion erkannt hatten, es Fürst Regenbogen sagen würde, und Fürst Regenbogen würde ihn wahrscheinlich fortholen und sich etwas Schlimmeres ausdenken.

El-ahrairah dachte nach und grübelte. Er dachte immer noch nach, als am folgenden Abend Fürst Regenbogen dem Gehege einen seiner Besuche abstattete.

>Du hast in letzter Zeit einen besseren Charakter bekommen<, sagte Fürst Regenbogen. >Wenn du nicht aufpaßt, werden die Leute anfangen, dir zu vertrauen. Da ich gerade vorbeikam, dachte ich, ich könnte kurz haltmachen und dir für deine Freundlichkeit danken, mit der du dich um Hufsa kümmerst. Er scheint sich bei dir wie zu Hause zu fühlen.<

>Ja, das tut er, nicht wahr?< sagte El-ahrairah. >Wir wachsen in Schönheit Seite an Seite; wir füllen ein Loch mit Freuden. Aber ich sage meinen Leuten immer: Traue weder den Fürsten noch irgendwelchen -<

>Nun, El-ahrairah<, unterbrach ihn Fürst Regenbogen, >sicherlich kann ich dir trauen. Und um das zu erproben, habe ich beschlossen, einen hübschen Haufen Mohrrüben auf dem Feld hinter dem Hügel anzupflanzen. Es ist ein ausgezeichneter Boden, und ich bin sicher, sie werden gut gedeihen. Besonders, da niemand daran denken wird, sie zu stehlen. Du kannst mitkommen und zusehen, wenn du willst.< >Gerne<, sagte El-ahrairah. >Das wird reizend sein.< El-ahrairah, Rabscuttle, Hufsa und mehrere andere Kaninchen begleiteten Fürst Regenbogen zum Feld hinter dem Hügel, und sie halfen ihm, lange Reihen von Mohrrübensamen auszusäen. Es war ein leichter, trockener Boden - genau das richtige für Mohrrüben -, und die ganze Sache erboste El-ahrairah, weil er wußte, daß Fürst Regenbogen das nur tat, um ihn zu ärgern und zu zeigen, wie sicher er war, ihm die Klauen endlich beschnitten zu haben.

>Das wird sich großartig machen<, sagte Fürst Regenbogen, als sie fertig waren. >Natürlich weiß ich, daß niemand im entferntesten daran denken würde, meine Mohrrüben zu stehlen. Sollte jemand aber - sollte jemand sie dennoch stehlen, El-ahrairah - wäre ich in der Tat sehr böse. Wenn König Darzin zum Beispiel sie stehlen würde, bin ich sicher, daß Frith, der Herr, ihm sein Königreich wegnehmen und es einem anderen geben würde.<

El-ahrairah wußte, daß Fürst Regenbogen meinte, er wurde ihn entweder töten oder verbannen und ein anderes Kaninchen über seine Leute setzen, wenn er ihn beim Stehlen der Mohrrüben erwischte; und der Gedanke, daß das andere Kaninchen wahrscheinlich Hufsa sein würde, ließ ihn mit den Zähnen knirschen. Aber er sagte: >Natürlich, natürlich. Sehr richtig und angemessen.< Und Fürst Regenbogen ging fort.

Eines Nachts, im zweiten Mond nach der Aussaat, gingen El-ahrairah und Rabscuttle nach den Mohrrüben sehen. Niemand hatte sie gelichtet, und die Spitzen waren dick und grün. El-ahrairah schätzte, daß die meisten Wurzeln etwas dünner als eine Vorderpfote sein mußten. Und wie er sie sich im Mondlicht so ansah, reifte in ihm ein Plan. Er war so vorsichtig gegenüber Hufsa geworden - und in der Tat wußte nie jemand, wo Hufsa nächstens sein würde -, daß er und Rabscuttle sich auf dem Rückweg zu einem Loch in einer einsamen Böschung begaben und hinuntergingen, um zu reden. Da versprach El-ahrairah Rabscuttle nicht nur, daß er Fürst Regenbogens Mohrrüben stehlen würde, sondern auch, daß sie dafür sorgen würden, Hufsa ein für allemal loszuwerden. Sie kamen aus dem Loch heraus, und Rabscuttle ging zur Farm, um Saat zu stehlen. El-ahrairah verbrachte den Rest der Nacht damit, Schnecken zu sammeln; ein scheußliches Geschäft.

Am nächsten Abend ging El-ahrairah zeitig hinaus und traf nach einer kleinen Weile Yona, den Igel, der an der Hecke herumtrödelte.

>Yona<, sagte er, >würdest du gerne eine Menge hübscher fetter Schnecken haben?<

>Ja, gerne, El-ahrairah<, sagte Yona, >aber die sind nicht so leicht zu finden. Du wüßtest das, wenn du ein Igel wärst.< >Nun, hier sind einige hübsche<, sagte El-ahrairah, >und du kannst sie alle haben. Aber ich kann dir noch viel mehr geben, wenn du tust, was ich sage, ohne Fragen zu stellen. Kannst du singen?<

>Singen, El-ahrairah? Kein Igel kann singen.<

>Gut<, sagte El-ahrairah. >Ausgezeichnet. Aber du wirst es versuchen müssen, wenn du diese Schnecken haben willst. Ah! Ich sehe da eine alte leere Kiste, die der Farmer im Graben gelassen hat. Noch besser. Jetzt hör mich an.<

Inzwischen sprach Rabscuttle im Wald mit Hawock, dem Fasan.

>Hawock<, sagte er, >kannst du schwimmen?<

>Ich gehe nie in die Nähe von Wasser, wenn ich es vermeiden kann, Rabscuttle<, sagte Hawock. >Ich mag es gar nicht. Aber ich nehme an, wenn ich müßte, könnte ich mich wohl eine kleine Weile über Wasser halten.<

>Großartig<, sagte Rabscuttle. Jetzt paß auf. Ich habe eine ganze Menge Getreide - und du weißt, wie knapp es zu dieser Jahreszeit ist -, du kannst alles bekommen, wenn du bloß ein bißchen in dem Teich am Rande des Waldes herumschwimmst. Laß es dir erklären, während wir da hinuntergehen.< Und sie gingen durch den Wald davon.

Gegen fu Inle schlenderte El-ahrairah in sein Loch und traf Hufsa Kügelchen kauend an. >Ah, Hufsa, da bist du ja<, sagte er. >Das ist fein. Ich kann niemandem sonst trauen, aber du wirst mit mir kommen, nicht wahr? Nur du und ich - niemand darf etwas davon erfahrene >Warum, was gibt es, El-ahrairah?< fragte Hufsa.

>Ich habe mir diese Mohrrüben von Fürst Regenbogen angesehen<, erwiderte El-ahrairah, >und ich kann es nicht mehr aushalten. Es sind die besten, die ich je gesehen habe. Ich bin entschlossen, sie zu stehlen - jedenfalls die meisten. Natürlich, wenn ich eine Menge Kaninchen auf eine Expedition dieser Art mitnähme, wären wir bald in Schwierigkeiten. Die Sache würde durchsickern, und Fürst Regenbogen würde bestimmt davon hören. Aber wenn du und ich allein gehen, wird niemand je erfahren, wer es getan hat.<

>Ich komme mit<, sagte Hufsa. >Gehen wir morgen nacht.< Denn er dachte, das würde ihm Zeit lassen, es Fürst Regenbogen zu sagen.

>Nein<, sagte El-ahrairah. >Ich gehe jetzt. Sofort.<

Er fragte sich, ob Hufsa versuchen würde, ihn von dieser Idee abzubringen, aber er konnte Hufsa ansehen, wie er dachte, das wäre das Ende von El-ahrairah und er selbst würde nun König der Kaninchen werden.

Sie machten sich zusammen im Mondlicht auf.

Sie waren eine gute Strecke an der Hecke entlanggegangen, als sie auf eine alte Kiste stießen, die im Graben lag. Auf der Kiste saß Yona, der Igel. Auf seinen Stacheln steckten überall Heckenrosen, und er machte ein merkwürdig quietschendes, grunzendes Geräusch und schwenkte seine schwarzen Pfoten. Sie blieben stehen und sahen ihm zu.

>Was tust denn du da, Yona?< fragte Hufsa erstaunt.

>Ich singe den Mond an<, antwortete Yona. >Alle Igel müssen den Mond ansingen, damit die Schnecken kommen. Das weißt du doch sicher?

Schneckenmond, Schneckenmond,

Gib deinem treuen Igel Segen!<

>Was für ein entsetzliches Geräusch!< sagte El-ahrairah, und das war es wirklich. >Gehen wir schnell weiter, ehe er all die elil um uns herbeiruft.< Und sie gingen weiter.

Nach einiger Zeit näherten sie sich einem Teich am Waldrand. Als sie herankamen, hörten sie ein Kreischen und Planschen, und dann sahen sie Hawock, den Fasan, im Wasser herumhuschen, und seine langen Schwanzfedern schwammen hinter ihm her.

>Was ist denn passiert?< sagte Hufsa. >Hawock, bist du angeschossen worden?<

>Nein, nein<, erwiderte Hawock. >Ich gehe immer bei Vollmond schwimmen. Mein Schwanz wächst dann länger, und außerdem würde mein Kopf ohne Schwimmen nicht rot, weiß und grün bleiben. Aber das wirst du sicherlich wissen, Hufsa. Jeder weiß das.<

>Die Wahrheit ist, daß er sich nicht gerne von anderen Tieren dabei überraschen läßt<, flüsterte El-ahrairah. >Gehen wir weiter.<

Etwas weiter kamen sie zu einem alten Brunnen neben einer großen Eiche. Der Farmer hatte ihn vor langer Zeit zugeschüttet, aber die Öffnung sah im Mondlicht sehr tief und dunkel aus.

>Ruhen wir uns ein bißchen aus<, sagte El-ahrairah, >nur kurz.< Bei diesen Worten kam ein höchst seltsam aussehendes Geschöpf aus dem Gras. Es ähnelte zwar einem Kaninchen, aber selbst im Mondlicht konnten sie sehen, daß es einen roten Schwanz und lange grüne Ohren hatte. In seinem Maul trug es das Ende eines der weißen Stengel, die die Männer verbrennen. Es war Rabscuttle, aber nicht einmal Hufsa konnte ihn erkennen. Er hatte Desinfektionsmittel für Schafe auf der Farm gefunden und sich hineingesetzt, um seinen Schwanz rot zu färben. Seine Ohren waren mit Girlanden von Zaunrüben geschmückt, und von dem weißen Stengel wurde ihm ganz schlecht.

>Frith behüte uns!< sagte El-ahrairah. >Was kann das sein? Hoffen wir bloß, daß es nicht einer der Tausend ist! < Er sprang auf, bereit, davonzurennen. >Wer bist du?< fragte er zitternd.

Rabscuttle spuckte den weißen Stengel aus.

>Also!< herrschte er ihn an. >Also hast du mich gesehen, El-ahrairah! Viele Kaninchen erreichen ein hohes Alter und sterben, aber wenige sehen mich. Wenige oder gar keine! Ich bin einer der Kaninchen-Boten von Frith, dem Herrn, die bei Tag im geheimen auf der Erde umhergehen und jede Nacht in seinen goldenen Palast zurückkehren! Er erwartet mich gerade jetzt auf der anderen Seite der Welt, und ich muß schnell durch das Herz der Erde zu ihm gehen! Leb wohl, El-ahrairah!<

Das ungewöhnliche Kaninchen sprang über den Rand des Brunnens und verschwand in der Dunkelheit.

>Wir haben gesehen, was wir nicht sehen sollten!< sagte El-ahrairah mit schreckerfüllter Stimme. >Wie entsetzlich ist dieser Ort! Gehen wir schnell fort!<

Sie eilten weiter und kamen bald zu Fürst Regenbogens Mohrrübenfeld. Wie viele sie stahlen, kann ich nicht sagen; aber El-ahrairah ist, wie ihr wißt, ein großer Fürst, und zweifellos wandte er Kräfte an, die euch und mir unbekannt sind. Mein Großvater sagte jedenfalls immer, daß das Feld vor Morgengrauen kahlgeplündert war. Die Mohrrüben wurden tief unten in einem Loch in der Böschung neben dem Gehölz versteckt, und El-ahrairah und Hufsa machten sich auf den Heimweg. El-ahrairah sammelte zwei oder drei Anhänger um sich und blieb mit ihnen den ganzen Tag unter der Erde, doch Hufsa ging nachmittags hinaus, ohne zu sagen, wohin er ging.

Als an jenem Abend El-ahrairah und seine Leute unter einem zart geröteten Himmel mit silflay begannen, kam Fürst Regenbogen über die Felder. Hinter ihm liefen zwei große schwarze Hunde.

>El-ahrairah<, sagte er, >du bist verhaftet.<

>Weswegen?< fragte El-ahrairah.

>Du weißt ganz genau, weswegen<, sagte Fürst Regenbogen. >Ich verbitte mir deine Schliche und deine Unverschämtheit, El-ahrairah. Wo sind die Mohrrüben?<

>Wenn ich verhaftet bin<, sagte El-ahrairah, >darf ich doch wohl erfahren, weshalb? Es ist nicht fair, mir zu sagen, ich sei verhaftet, und mir dann Fragen zu stellen.<

>Komm, komm, El-ahrairah<, sagte Fürst Regenbogen, >du verschwendest nur deine Zeit. Sage mir, wo die Mohrrüben sind, und ich werde dich nur in den hohen Norden schicken und dich nicht töten.<

>Fürst Regenbogen<, sagte El-ahrairah, >zum drittenmal, darf ich wissen, weshalb ich verhaftet bin?<

>Na schön<, sagte Fürst Regenbogen, >wenn du also sterben willst, El-ahrairah, dann sollst du die ganze Strenge des Gesetzes zu spüren bekommen. Du bist verhaftet, weil du meine Mohrrüben gestohlen hast. Verlangst du ernstlich einen Prozeß? Ich warne dich, ich habe unmittelbare Beweise, und es wird schlecht für dich ausgehen.<

Inzwischen strömten El-ahrairahs Leute zusammen und drängten sich so nahe heran, wie sie es der Hunde wegen wagten. Nur Rabscuttle war nirgends zu sehen. Er hatte den ganzen Tag damit verbracht, die Mohrrüben in ein anderes geheimes Loch zu bringen, und versteckte sich jetzt, weil er seinen Schwanz nicht wieder weiß bekam.

>Ja, ich hätte gerne einen Prozeß<, sagte El-ahrairah, >und ich würde gerne von einer Jury von Tieren abgeurteilt werden. Denn es ist nicht recht, Fürst Regenbogen, daß du sowohl mein Ankläger als auch mein Richter bist.<

>Eine Jury von Tieren sollst du haben<, sagte Fürst Regenbogen. >Eine Jury von elil, El-ahrairah. Denn eine Jury von Kaninchen würde sich trotz der Beweise weigern, dich zu verurteilend.<

Zu jedermanns Überraschung erwiderte El-ahrairah, daß er mit einer Jury von elil zufrieden wäre; und Fürst Regenbogen sagte, daß er sie noch in derselben Nacht bringen würde. El-ahrairah wurde in sein Loch hinuntergeschickt, und Hunde wurden als Wache draußen postiert. Keiner seiner Leute durfte ihn besuchen, obgleich viele es versuchten.

Die Hecken und Büsche hinauf und hinunter verbreitete sich die Nachricht, daß El-ahrairah unter Anklage um sein Leben stand und daß Fürst Regenbogen ihn vor eine Jury von elil bringen werde. Tiere strömten herbei. Gegen fu Inle kehrte Fürst Regenbogen mit den elil zurück - zwei Dachsen, zwei Füchsen, zwei Wieseln, einer Eule und einer Katze. El-ahrairah wurde heraufgebracht und zwischen die Hunde gestellt. Die elil saßen da und starrten ihn an, und ihre Augen funkelten im Mond. Sie leckten sich die Lippen, und die Hunde sagten knurrend, daß ihnen versprochen worden sei, das Urteil zu vollstrecken. Viele, viele Tiere waren da -Kaninchen und andere -, und jedes von ihnen war sicher, daß diesmal El-ahrairahs Stunde geschlagen hätte.

>Jetzt<, sagte Fürst Regenbogen, >wollen wir beginnen. Es wird nicht lange dauern. Wo ist Hufsa?<

Da erschien, sich verbeugend und den Kopf neigend, Hufsa, und er sagte den elil, daß El-ahrairah vorige Nacht gekommen sei, als er ruhig Kügelchen gekaut habe, und ihn unter Drohungen gezwungen habe, mit ihm Fürst Regenbogens Mohrrüben zu stehlen. Er habe sich weigern wollen, sei aber zu sehr in Schrecken versetzt worden. Die Mohrrüben wären in einem Loch versteckt, das er ihnen zeigen könnte. Er sei zu dieser Tat gezwungen worden, aber am nächsten Tag sei er so schnell wie möglich zu Fürst Regenbogen gegangen und habe es ihm erzählt; denn er sei sein treuer Diener.

>Wir werden die Mohrrüben später zurückholen<, sagte Fürst Regenbogen. >Nun, El-ahrairah, hast du irgendwelche Beweismittel, oder hast du etwas zu sagen? Beeile dich.<

>Ich möchte dem Zeugen gern einige Fragen stellen<, sagte El-ahrairah, und die elil waren der Meinung, daß dies nur gerecht sei.

>Nun, Hufsa<, sagte El-ahrairah, >können wir ein bißchen mehr über diese Reise hören, die du und ich angeblich gemacht haben sollen? Denn ich kann mich wirklich an nichts dergleichen erinnern. Du sagst, wir gingen aus dem Loch hinaus und machten uns in der Nacht auf den Weg. Was geschah dann?<

>Aber, El-ahrairah<, sagte Hufsa, >du kannst es unmöglich vergessen haben. Wir kamen am Graben vorbei, und erinnerst du dich nicht, daß wir einen Igel sahen, der auf einer Kiste saß und den Mond ansang?<

> Was tat der Igel?< fragte einer der Dachse.

>Er sang ein Lied an den Mond<, sagte Hufsa eifrig. >Sie tun das, weißt du, um die Schnecken anzulocken. Er hatte Rosenblätter überall, und er winkte mit den Pfoten und -< >Langsam, langsam<, sagte El-ahrairah. >Ich möchte nicht, daß du etwas sagst, was du nicht meinst. Armer Junge<, fügte er, zur Jury gewandt, hinzu, >er glaubt wirklich, was er sagt, müßt ihr wissen. Er meint es nicht böse, aber -!<

>Aber doch<, rief Hufsa, >er sang: »O Schneckenmond, o Schneckenmond! O gib -«<

>Was der Igel sang, ist kein Beweis<, erwiderte El-ahrairah. >Man fragt sich wirklich, was eigentlich Beweisstücke sind. Na schön. Wir sahen einen Igel, der mit Rosen bedeckt war und auf einer Kiste ein Lied sang. Was dann?<

>Nun<, sagte Hufsa, >dann gingen wir weiter und kamen an einen Teich, wo wir einen Fasan sahen.<

>Fasan, ha?< sagte einer der Füchse. >Ich wünschte, ich hätte ihn gesehen. Was machte er?<

>Er schwamm im Wasser herum -<, sagte Hufsa.

>Verwundet, was?<, fragte der Fuchs.

>Nein, nein<, sagte Hufsa. >Sie tun es alle, damit ihre Schwänze länger wachsen. Ich bin erstaunt, daß du das nicht weißt.<

>Damit was -?< rief der Fuchs.

>Damit ihre Schwänze länger wachsen<, sagte Hufsa schmollend. >Er hat es selbst gesagt.<

>Ihr habt euch dieses Geschwafel nur sehr kurz anhören müssen<, sagte El-ahrairah zu den elil. >Es erfordert schon einiges, sich daran zu gewöhnen. Schaut mich an. Ich war gezwungen, die letzten zwei Monate tagaus, tagein damit zu leben. Ich bin so gütig und verständnisvoll wie möglich gewesen, aber offenbar zu meinem eigenen Schaden.<

Schweigen senkte sich über die Versammlung. El-ahrairah wandte sich mit der Miene väterlicher Geduld wieder an den Zeugen.

>Mein Gedächtnis ist so schlecht<, sagte er. >Bitte, erzähle weiter.<

>Nun, El-ahrairah<, sagte Hufsa, >du heuchelst sehr gut, aber selbst du wirst nicht behaupten können, du hättest vergessen, was als nächstes passierte. Ein riesiges schreckliches Kaninchen mit einem roten Schwanz und grünen Ohren kam aus dem Gras. Es hatte einen weißen Stengel im Mund und stürzte durch ein großes Loch in die Erde hinunter. Es sagte uns, es würde durch die Mitte der Erde gehen, um Frith, den Herrn, auf der anderen Seite aufzusuchen.<

Diesmal sagte nicht ein einziges elil ein Wort. Sie starrten Hufsa an und schüttelten die Köpfe.

>Sie sind alle verrückt<, flüsterte eines der Wiesel, >widerliche kleine Biester. Die sagen alles, wenn sie in die Enge getrieben werden. Aber dies hier ist das Schlimmste, was ich je gehört habe. Wie lange müssen wir noch hierbleiben? Ich habe Hunger.<

El-ahrairah hatte im voraus gewußt, daß elil, wenngleich sie alle Kaninchen verabscheuen, dasjenige am wenigsten leiden können, das wie ein Trottel wirkt. Deswegen hatte er einer Jury aus elil zugestimmt. Eine Jury von Kaninchen könnte versucht haben, Hufsas Geschichte auf den Grund zu gehen; nicht so die elil, denn sie haßten und verachteten den Zeugen und wollten so bald wie möglich fortkommen, um zu jagen.

>Ich fasse also zusammen«, sagte El-ahrairah, >wir sahen einen mit Rosen bedeckten Igel, der ein Lied sang; und dann sahen wir einen vollkommen gesunden Fasan, der in einem Teich herumschwamm; und dann sahen wir ein Kaninchen mit rotem Schwanz, grünen Ohren und einem weißen Stengel, und es sprang direkt in ein tiefes Loch hinein. Stimmt das?<

>Ja<, sagte Hufsa.

>Und dann stahlen wir die Mohrrüben?<

>Ja.<

>Waren sie purpurrot mit grünen Flecken?<

>Was war purpurrot mit grünen Flecken?<

>Die Mohrrüben.<

>Na, du weißt doch, daß sie das nicht waren, El-ahrairah. Sie halten die übliche Farbe. Sie sind im Loch unten!< schrie Hufsa verzweifelt. >Unten im Loch! Geh und schau nach!<

Das Gericht vertagte sich, während Hufsa Fürst Regenbogen zu dem Loch führte. Sie fanden keine Mohrrüben und kamen zurück.

>Ich bin den ganzen Tag unter der Erde gewesen<, sagte El-ahrairah, >und ich kann es beweisen. Ich hätte schlafen sollen, aber es ist sehr schwer, wenn mein gelehrter Freund -na, lassen wir das. Ich meine nur, daß ich offensichtlich nicht draußen gewesen sein kann, um Mohrrüben zu verlagern oder sonstwas. Wenn es je Mohrrüben gegeben hätte<, fügte er hinzu. >Aber ich möchte nichts mehr sagen.<

>Fürst Regenbogen<, sagte die Katze, >ich hasse alle Kaninchen. Aber wir können ja wohl kaum behaupten, es sei bewiesen, daß dieses Kaninchen deine Mohrrüben stahl. Der Zeuge ist offenbar nicht bei Verstand - verrückt wie Nebel und Schnee -, und der Gefangene wird freigelassen werden müssen.< Sie stimmten alle zu.

>Verschwinde lieber schnell<, sagte Fürst Regenbogen zu El-ahrairah. >Geh in dein Loch hinunter, El-ahrairah, ehe ich dir persönlich etwas antue.<

>Werde ich, mein Herr<, sagte El-ahrairah. >Aber darf ich Euch bitten, dieses Kaninchen zu entfernen, das Ihr uns hineingesetzt habt; denn es stört uns mit seiner Albernheit.< Also ging Hufsa mit Fürst Regenbogen fort, und El-ahrairahs Leute wurden in Ruhe gelassen, nur daß sie eine Magenverstimmung von zu vielem Mohrrübenfressen bekamen.

Aber es dauerte sehr lange, bis Rabscuttle seinen Schwanz wieder weiß bekam, sagte mein Großvater immer.«

23. Kehaar


Der Flügel schleift wie ein Banner in der Vernichtung,

Um nie mehr den Himmel zu benutzen, sondern mit Hungersnot und Schmerz ein paar Tage zu leben.

Er ist stark, und der Schmerz ist schlimm für die Starken, Unfähigkeit ist schlimmer.

Niemand als der erlösende Tod wird diesen Kopf demütigen,

Die furchtlose Bereitschaft, die furchtbaren Augen.

Robinson Jeffers Hurt Hawks


Die Menschen sagen: »Es regnet nie, es gießt.« Das ist nicht sehr treffend; denn es regnet häufig, ohne daß es gießt. Das Sprichwort der Kaninchen bringt es besser zum Ausdruck. Sie sagen: »Eine Wolke fühlt sich einsam«, und es ist in der Tat wahr: Das Erscheinen einer einzigen Wolke bedeutet oft, daß der Himmel bald bedeckt sein wird. Nun, wie auch immer, schon der nächste Tag schuf eine dramatische zweite Gelegenheit, Hazels Idee in die Praxis umzusetzen. Es war am frühen Morgen; die Kaninchen kamen in die klare graue Stille herauf und begannen mit silflay. Die Luft war noch kühl. Es hatte stark getaut und war windstill. Fünf oder sechs Wildenten flogen über sie hinweg, in einem schnell sich bewegenden V, auf dem Weg zu einem fernen Bestimmungsort. Das Geräusch ihres Flügelschlages drang deutlich herunter und wurde schwächer, als sie nach Süden weiterflogen. Die Stille kehrte zurück. Mit dem Dahinschwinden des letzten Zwielichtes wuchs eine Art Erwartung und Spannung, als wäre tauender Schnee im Begriff, von einem schrägen Dach zu gleiten. Der ganze Hügel und alles im Umkreis, Erde und Luft, wich vor dem Sonnenaufgang zurück. Wie ein Stier mit leichter, aber unbezwingbarer Bewegung den Kopf unter dem Griff eines Mannes hochwirft, der sich über die Box beugt und lässig sein Horn hält, so drang die Sonne in die Welt mit einer ruhigen, ungeheuren Kraft. Nichts unterbrach oder verdunkelte ihr Kommen. Geräuschlos schimmerten die Blätter, und das Gras funkelte an der Böschung, die sich über Meilen erstreckte.

Jenseits des Waldstückes putzten Bigwig und Silver ihre Ohren, schnupperten die Luft und hopsten fort, folgten ihren eigenen langen Schatten zum Gras der Rennstrecke. Während sie sich über den kurzen Rasen bewegten - knabbernd, sich aufrichtend und sich umblickend -, näherten sie sich einer kleinen Mulde, nicht mehr als einen Meter im Durchmesser. Ehe sie den Rand erreichten, hielt Bigwig, der vor Silver ging, an und kauerte nieder, starrte. Obgleich er nicht in die Mulde hineingehen konnte, wußte er, daß sich irgendein Lebewesen darin befand - etwas ziemlich Großes. Er spähte durch die Grashalme und konnte die Krümmung eines weißen Rückens sehen. Was immer es sein mochte, es war fast so groß wie er selbst. Er wartete eine Zeitlang bewegungslos, aber es rührte sich nicht.

»Was hat einen weißen Rücken, Silver?« flüsterte Bigwig.

Silver überlegte. »Eine Katze?«

»Hier gibt es keine Katzen.«

»Woher weißt du das?«

In diesem Moment hörten sie beide ein leises, hauchendes Zischen aus der Mulde kommen. Es dauerte ein paar Augenblicke. Dann war wieder Stille.

Bigwig und Silver hielten viel von sich. Außer Holly waren sie die einzigen Überlebenden der Sandleford-Owsla, und sie wußten, daß ihre Kameraden zu ihnen aufblickten. Die Begegnung mit den Ratten in der Scheune war kein Spaß gewesen und hatte ihren Wert bewiesen. Bigwig, der großzügig und ehrlich war, hatte sich keinen Augenblick über Hazels Mut in jener Nacht geärgert, als abergläubische Furcht in ihm die Oberhand gewonnen hatte. Aber die Vorstellung, in die Honigwabe zurückzukehren und zu melden, daß er ein unbekanntes Geschöpf flüchtig im Gras erblickt und allein gelassen hatte, war mehr, als er schlucken konnte. Er wandte den Kopf und blickte Silver an. Als er sah, daß der mitmachen würde, schaute er sich den seltsamen weißen Rücken noch einmal gut an und ging dann stracks an den Rand der Mulde. Silver folgte.

Es war keine Katze. Das Geschöpf in der Mulde war ein Vogel - ein großer Vogel, beinahe dreißig Zentimeter lang. Keiner von beiden hatte je so einen Vogel gesehen. Der weiße Teil seines Rückens, den sie durch das Gras erspäht hatten, gehörte tatsächlich nur zu Schultern und Hals. Der untere Teil des Rückens war hellgrau, desgleichen die Flügel, die in lange, an den Spitzen schwarze Schwungfedern ausliefen und über dem Schwanz zusammengefaltet waren. Der Kopf war tief dunkelbraun - fast schwarz - und stand in so scharfem Kontrast zu dem weißen Hals, daß der Vogel aussah, als trüge er eine Art Haube. Das eine dunkelrote Bein, das sie sehen konnten, endete in einem Schwimmfuß und drei mächtigen Krallenzehen. Der am Ende leicht nach unten gekrümmte Schnabel war stark und scharf. Als sie hinstarrten, öffnete er sich und enthüllte einen roten Rachen und die Kehle. Der Vogel zischte wie wild und versuchte zuzustoßen, aber er bewegte sich trotzdem nicht.

»Er ist verletzt«, sagte Bigwig.

»Ja das sieht man«, erwiderte Silver. »Aber ich kann nicht sagen, wo er verwundet ist. Ich werde herumgehen -«

»Paß auf!« rief Bigwig. »Der wird dich kriegen!«

Als Silver um die Mulde herumwanderte, war er dem Kopf des Vogels näher gekommen und sprang gerade noch rechtzeitig zurück, um einem schnellen, gezielten Hieb des Schnabels auszuweichen.

»Das hätte dir deinen Fuß gebrochen«, sagte Bigwig.

Als sie dahockten und den Vogel anstarrten - denn beide fühlten intuitiv, daß er nicht aufstehen würde -, brach er plötzlich in laute, heisere Schreie aus - >Yark! Yark! Yark!< -, ein fürchterlicher Laut ganz aus der Nähe, der den Morgen zersplitterte und weit über das Hügelland zu hören war. Bigwig und Silver drehten sich um und rannten davon.

Sie sammelten sich wieder soweit, um kurz vor dem Waldstück anzuhalten und einen würdigeren Anmarsch zur Böschung zu machen. Hazel traf sie im Gras. Ihre aufgerissenen Augen und geblähten Nüstern waren nicht mißzuverstehen. »Elil?« fragte Hazel.

»Um dir die Wahrheit zu sagen, ich weiß es nicht«, erwiderte Bigwig. »Da ist ein so großer Vogel draußen, wie ich noch nie einen gesehen habe.«

»Wie groß? So groß wie ein Fasan?«

»Nicht ganz so groß«, gab Bigwig zu, »aber größer als eine Ringeltaube - und sehr viel wilder.«

»Hat der so geschrien?«

»Ja. Er hat mich ganz schön erschreckt. Wir waren direkt neben ihm. Aber aus irgendeinem Grund kann er sich nicht bewegen.«

»Stirbt er?«

»Ich glaube nicht.«

»Ich gehe und schaue ihn mir an«, sagte Hazel.

»Er ist bösartig. Um Himmels willen, sei vorsichtig.«

Bigwig und Silver gingen mit Hazel zurück. Die drei hockten sich außer Reichweite des Vogels hin, der scharf und verzweifelt von einem zum anderen blickte. Hazel sprach im Hecken-Kauderwelsch.

»Du verletzt? Du nicht fliegen?«

Die Antwort war ein rauhes Geplapper, das sie alle sofort für ausländisch hielten. Wo immer der Vogel herkam, es war von weit her. Der Akzent war merkwürdig und guttural, die Sprache verzerrt. Sie konnten hier und da ein Wort aufschnappen.

»Kommen ruhig - Kah! Kah! - Du kommen ruhig - Yark!

- Hältst mich erledigt - Ich nicht erledigt - Verletz' dich verdammt viel -« Der dunkelbraune Kopf zuckte von einer Seite zur anderen. Dann, ganz unerwartet, begann der Vogel seinen Schnabel in die Erde zu schlagen. Sie bemerkten zum ersten Mal, daß das Gras davor zerrissen und eingekerbt war. Einige Augenblicke hackte er hierhin und dorthin; dann gab er es auf, hob den Kopf und beobachtete sie wieder.

»Ich glaube, er hat Hunger«, sagte Hazel. »Wir sollten ihn füttern. Bigwig, geh und hole einige Würmer oder so etwas, sei ein guter Kerl.«

»Äh - was hast du gesagt, Hazel?«

»Würmer.«

»Ich soll nach Würmern graben?«

»Hat dich die Owsla nicht gelehrt - oh, schon gut, ich gehe selbst«, sagte Hazel. »Du wartest mit Silver hier.«

Nach einigen Augenblicken jedoch folgte Bigwig Hazel zum Graben und kratzte ebenfalls in der trockenen Erde. Es gibt nicht viel Würmer in den Downs, und es hatte tagelang nicht geregnet. Nach einiger Zeit blickte Bigwig auf.

»Wie war's mit Käfern? Bohrasseln oder so was?«

Sie fanden einige verfaulte Zweige und nahmen sie mit. Hazel schob einen vorsichtig vor.

»Insekten.«

Der Vogel trennte den Zweig in ein paar Sekunden in drei Teile und schnappte die wenigen Insekten auf. Bald lag ein kleiner Trümmerhaufen in der Mulde, als die Kaninchen alles anbrachten, was als Futter geeignet schien. Bigwig fand etwas Pferdemist auf dem Pfad, grub die Würmer heraus, überwand seinen Ekel und überbrachte sie einen nach dem anderen. Als Hazel ihn lobte, murmelte er etwas vom »ersten Mal, daß ein Kaninchen das getan hat, und sag es bloß nicht den Amseln«. Endlich, lange nachdem sie alle der Sache überdrüssig geworden waren, hörte der Vogel auf zu fressen und sah Hazel an.

»Genug fressen.« Er machte eine Pause. »Weshalb du tun?«

»Du verletzt?« fragte Hazel.

Der Vogel sah verschlagen aus. »Nicht verletzt. Viel kämpfen. Bleiben kleine Zeit, dann gehen.«

»Du hier bleiben, du erledigt«, sagte Hazel. »Schlechter Ort. Kommen homba, kommen Turmfalke.«

»Hol sie Teufel. Kämpfen viel.«

»Ich wette, der würde kämpfen«, sagte Bigwig und sah mit Bewunderung den fünf Zentimeter langen Schnabel und den dicken Hals an.

»Wir nicht wollen, daß du erledigt«, sagte Hazel. »Du bleiben hier, du erledigt. Vielleicht wir dir helfen.«

»Verpiß dir!«

»Kommt«, sagte Hazel sofort zu den anderen. »Lassen wir ihn allein.« Er begann in den Wald zurückzulatschen. »Soll er ruhig versuchen, die Turmfalken ein bißchen abzuhalten.«

»Was soll das heißen, Hazel?« fragte Silver. »Das ist ein wildes Tier. Du kannst es dir nicht zum Freund machen.«

»Du magst recht haben«, erwiderte Hazel. »Aber was nützt uns eine Blaumeise oder ein Rotkehlchen? Die fliegen nicht weit genug. Wir brauchen einen großen Vogel.«

»Warum aber willst du ausgerechnet einen Vogel?«

»Ich werde es später erklären«, sagte Hazel. »Ich möchte, daß Blackberry und Fiver es auch hören. Gehen wir jetzt hinunter. Wenn ihr nicht Kügelchen kauen wollt, ich will's.«

Im Laufe des Nachmittags organisierte Hazel noch weitere Arbeit am Gehege. Die Honigwabe war so gut wie fertig -obgleich Kaninchen nicht methodisch vorgehen und nie wirklich sicher sind, ob etwas fertig ist -, und die umliegenden Baue und Läufe nahmen Form an. Sehr früh am Morgen jedoch begab er sich wieder zu der Mulde. Der Vogel war noch da. Er sah schwächer und weniger wachsam aus, schnappte aber kraftlos nach Hazel.

»Noch hier?« sagte Hazel. »Du kämpfen Falke?«

»Nicht kämpfen«, sagte der Vogel. »Nicht kämpfen, aber lauern, lauern, immer lauern. Er nicht gut.«

»Hungrig?«

Der Vogel antwortete nicht.

»Hör zu«, sagte Hazel. »Kaninchen nicht Vögel fressen. Kaninchen fressen Gras. Wir helfen dir.«

»Warum mir helfen?«

»Schon gut. Wir machen dich sicher. Großes Loch. Auch zu fressen.«

Der Vogel überlegte. »Bein gut. Flügel nix gut. Er schlecht.«

»Gut, dann geh.«

»Du mich verletzen, ich dich verletzen wie verdammt.«

Hazel wandte sich ab. Der Vogel sprach wieder.

»Iiist langer Weg?«

»Nein, nicht weit.«

»Dann kommen.«

Er stand mit beträchtlichen Schwierigkeiten auf, schwankte auf seinen starken blutroten Beinen. Dann öffnete er die Flügel hoch über seinem Körper, und Hazel sprang, von der großen Spannweite erschreckt, zurück. Aber sofort schloß er sie wieder, schmerzverzerrt.

»Flügel nix gut. Ich kommen.«

Er folgte Hazel gehorsam über das Gras, aber dennoch war Hazel darauf bedacht, sich außerhalb seiner Reichweite zu halten. Ihre Ankunft am Waldrand rief eine Aufregung hervor, die Hazel mit gebieterischer Schärfe, ganz im Gegensatz zu seiner üblichen Art, unterband.

»Los, los, rührt euch«, sagte er zu Dandelion und Buckthorn. »Dieser Vogel ist verletzt, und wir werden ihm bei uns Schutz gewähren, bis es ihm besser geht. Bigwig soll euch zeigen, wie man ihm etwas zu fressen beschafft. Er frißt Würmer und Insekten. Versucht's mit Heuschrecken, Spinnen - mit allem. Hawkbit! Acorn! Ja, und du auch, Fiver - reiß dich aus deiner Versunkenheit oder was immer es ist. Wir brauchen bis zum Einbruch der Nacht ein offenes breites Loch, breiter als tief, mit einem flachen Boden, etwas unterhalb des Eingangs.«

»Wir haben den ganzen Nachmittag gegraben, Hazel -«

»Ich weiß. Ich werde euch gleich helfen kommen«, sagte Hazel. »Fangt schon an. Die Nacht bricht herein.«

Die erstaunten Kaninchen gehorchten ihm murrend. Hazels Autorität wurde sozusagen auf die Probe gestellt, hielt aber mit Bigwigs Unterstützung. Obgleich er keine Ahnung hatte, was Hazel vorschwebte, war Bigwig von der Stärke und dem Mut des Vogels fasziniert und hatte bereits den Gedanken akzeptiert, ihn aufzunehmen, ohne sich über den Grund Sorgen zu machen. Er leitete die Grabungsarbeiten, während Hazel, so gut er konnte, dem Vogel erklärte, wie sie lebten, wie ihre Schutzmaßnahmen vor ihren Feinden waren und die Art Zuflucht, die sie ihm gewähren konnten. Die Nahrungsmenge, die die Kaninchen herbeischafften, reichte nicht aus, aber nachdem der Vogel nun im Inneren des Waldes war, fühlte er sich spürbar sicherer und konnte herumhumpeln und sich sein eigenes Futter suchen.

Bis zur Eulenzeit hatten Bigwig und seine Helfer innerhalb des Eingangs eine Art Wandelgang zu einem der vom Wald herunterführenden Läufe gekratzt. Den Boden legten sie mit Buchenzweigen und Blättern aus. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde der Vogel hineingesetzt. Er war immer noch mißtrauisch, schien aber ziemliche Schmerzen zu haben. Da er offenbar keine bessere Lösung für sich sah, schien er bereit, es mit einem Kaninchenloch zu versuchen, um sein Leben zu retten. Von außen konnten sie seinen dunklen Kopf wachsam im Halbdunkel und seine schwarzen Augen aufmerksam lauern sehen. Er schlief noch nicht, als sie ein spätes silflay beendeten und hinuntergingen.

Lachmöwen sind gesellige Tiere. Sie leben in Kolonien, wo sie sich Nahrung suchen und fressen, schnattern und den ganzen Tag raufen. Einsamkeit und Zurückhaltung sind für sie unnatürlich. Sie ziehen in der Brutzeit nach Süden, und ein verletztes Tier wird dann wahrscheinlich zurückgelassen. Die Wildheit und das Mißtrauen der Möwe waren teils auf die Schmerzen und teils auf die quälende Gewißheit zurückzuführen, daß sie keine Kameraden hatte und nicht fliegen konnte. Am nächsten Morgen kehrte ihr natürlicher Instinkt, sich unter die Schar zu mischen und zu reden, zurück. Bigwig machte sich zu ihrem Gefährten. Er wollte nichts davon wissen, daß die Möwe zur Futtersuche hinausginge. Noch vor ni-Frith hatten die Kaninchen so viel herangeschafft, wie sie - für den Augenblick jedenfalls -fressen konnte, und ruhten sich während der Tageshitze aus. Doch Bigwig blieb bei der Möwe, machte kein Geheimnis aus seiner Bewunderung, redete und hörte ihr stundenlang zu. Beim Abendfressen gesellte er sich zu Hazel und Holly nahe der Böschung, wo Bluebell seine Geschichte von El-ahrairah erzählt hatte.

»Wie geht's dem Vogel jetzt?« fragte Hazel.

»Viel besser, glaube ich«, erwiderte Bigwig. »Er ist sehr zäh, weißt du? Meine Güte, was für ein Leben er geführt hat! Ihr wißt nicht, was ihr verpaßt! Ich könnte den ganzen Tag bei ihm sitzen und ihm zuhören.«

»Wie wurde er verletzt?«

»Eine Katze sprang ihn in einem Bauernhof an. Er hörte sie erst im letzten Augenblick. Sie zerfetzte den Muskel eines seiner Flügel, aber offenbar hinterließ er ihr auch einen Denkzettel, bevor sie abzog. Dann schleppte er sich irgendwie hier herauf und brach einfach zusammen. Stell dir vor, sich gegen eine Katze zur Wehr zu setzen! Ich erkenne jetzt, daß ich noch gar nicht richtig angefangen habe. Warum sollte ein Kaninchen sich nicht auch gegen eine Katze zur Wehr setzen können? Nehmen wir nur an, daß -«

»Aber was ist das für ein Vogel?« unterbrach Holly.

»Nun, ich kann es nicht genau herausbekommen«, antwortete Bigwig. »Aber wenn ich ihn richtig verstehe - ich bin allerdings nicht sicher, daß ich ihn völlig verstehe -, sagt er, dort, wo er herkäme, gäbe es Tausende seiner Art - mehr, als wir uns vorstellen können. Ihre Scharen machen die ganze Luft weiß, und in der Brutzeit sind ihre Nester so zahlreich wie Blätter in einem Wald - so sagt er.«

»Aber wo? Ich habe nie auch nur einen einzigen gesehen.«

»Er sagt«, entgegnete Bigwig und sah Holly direkt an, »er sagt, daß weit von hier die Erde aufhört und es keine mehr gibt.«

»Nun, offensichtlich hört sie irgendwo auf. Was gibt's dahinter?«

»Wasser.«

»Einen Fluß, meinst du?«

»Nein«, sagte Bigwig, »kein Fluß; er spricht von einer riesengroßen Wasserfläche, die nicht aufhört. Man kann die andere Seite nicht sehen. Es gibt keine andere Seite. Aber da ist doch eine, weil er dagewesen ist. Also, ich weiß nicht -ich muß zugeben, ich verstehe das Ganze nicht so recht.«

»Hat er dir erzählt, daß er außerhalb der Welt gewesen und wieder zurückgekommen ist? Das kann nicht wahr sein.«

»Ich weiß es nicht«, sagte Bigwig, »aber ich bin sicher, daß er nicht lügt. Dieses Wasser bewegt sich offenbar die ganze Zeit und stürzt dauernd gegen die Erde; und wenn er das nicht hören kann, vermißt er es. Sein Name ist - Kehaar. Es ist das Geräusch, welches das Wasser macht.«

Die anderen waren unwillkürlich beeindruckt.

»Nun, warum ist er hier?« fragte Hazel.

»Er sollte eigentlich nicht hier sein. Er sollte schon lange zu dieser großen Wasserfläche unterwegs sein, um zu brüten. Anscheinend gehen eine Menge von ihnen im Winter fort, weil es kalt wird und stürmisch. Dann kehren sie im Sommer wieder zurück. Aber er ist schon einmal in diesem Frühling verletzt worden. Es war nichts Ernstliches, aber es hielt ihn auf. Er ruhte sich aus und lungerte ein Weilchen in der Nähe einer Krähenkolonie herum. Dann wurde er wieder kräftiger und verließ sie, und er kam ganz gut voran, als er auf dem Bauernhof haltmachte und dieser dreckigen Katze begegnete.«

»Wenn es ihm besser geht, zieht er also weiter?« sagte Hazel.

»Ja.«

»Dann haben wir unsere Zeit verschwendet.«

»Warum, Hazel, was hast du vor?«

»Geh und hol Blackberry und Fiver - am besten auch Silver. Dann werde ich es erklären.«

Die Stille des Abend-silflay, während die westliche Sonne direkt auf die Hügelkette fiel, die Grasbüschel Schatten warfen, die doppelt so lang waren wie sie selbst, und die Luft nach Thymian und Heckenrosen roch, war etwas, das zu genießen sie alle gekommen waren, mehr noch als an den früheren Abenden in den Wiesen von Sandleford. Obgleich sie es nicht wissen konnten, war das Hügelland einsamer, als es Hunderte von Jahren zuvor gewesen war. Es gab keine Schafe, und die Dorfbewohner von Kingsclere und Sydmonton hatten keinen Anlaß mehr, über die Hügel zu gehen, weder geschäftlich noch zum Vergnügen. In den Wiesen von Sandleford hatten die Kaninchen fast jeden Tag Menschen gesehen. Hier hatten sie seit ihrer Ankunft nur einen einzigen gesehen - und den auf einem Pferd. Hazel blickte sich in der kleinen Gruppe, die sich im Grase versammelte, um und sah, daß alle - selbst Holly - kräftiger, glatter und in besserer Verfassung waren als bei ihrer Ankunft in dem offenen Hügelland. Was immer vor ihnen liegen mochte, er konnte für sich in Anspruch nehmen, sie soweit nicht im Stich gelassen zu haben.

»Uns geht es hier gut«, begann er, »so scheint es mir jedenfalls. Wir sind bestimmt nicht mehr ein Haufen hlessil. Aber trotzdem habe ich etwas auf dem Herzen, und ich bin wirklich erstaunt, daß ich der erste von uns sein sollte, der daran denkt. Wenn wir nicht eine Antwort darauf finden können, dann ist dieses Gehege so gut wie erledigt, trotz allem, was wir getan haben.«

»Nanu, wie kann das sein, Hazel?« sagte Bigwig.

»Erinnerst du dich noch an Nildro-hain?« fragte Hazel.

»Sie hörte auf zu laufen. Armer Strawberry.«

»Ich weiß. Und wir haben keine Weibchen - nicht eines -, und keine Weibchen bedeutet keine Jungen und in ein paar Jahren kein Gehege.«

Es mag unglaublich erscheinen, daß die Kaninchen einer so lebenswichtigen Frage bisher keinen Gedanken gewidmet hatten. Aber die Menschen haben denselben Fehler mehr als einmal gemacht - ließen die ganze Angelegenheit außer Betracht oder begnügten sich damit, dem Glück oder dem Zufall des Krieges zu vertrauen. Kaninchen leben in der Nähe des Todes, und wenn der Tod näher kommt als gewöhnlich, läßt der Gedanke ans Überleben wenig Raum für irgend etwas anderes. Aber jetzt, im Abendsonnenschein auf dem freundlichen, leeren Hügelland, mit einem guten Bau im Hintergrund und Gras im Bauch, das sich in Kügelchen verwandelte, wußte Hazel, daß er Sehnsucht nach einem Weibchen hatte. Die anderen waren still, und er konnte feststellen, daß seine Worte gewirkt hatten.

Die Kaninchen grasten oder nahmen ein Sonnenbad. Eine Lerche schwang sich zwitschernd in den helleren Sonnenschein weiter oben, stieg auf und sang und kam langsam wieder herunter, mit einem seitlichen Gleitflug und einem Bachstelzen-Lauf durch das Gras die Vorstellung beendend. Die Sonne sank tiefer. Schließlich fragte Blackberry: »Was sollen wir tun? Uns wieder auf den Weg machen?«

»Hoffentlich nicht«, sagte Hazel. »Ich möchte, daß wir uns ein paar Weibchen schnappen und sie hierherbringen.«

»Woher?«

»Aus einem anderen Gehege.«

»Aber gibt es überhaupt welche auf diesen Hügeln? Der Wind trägt nicht den geringsten Kaninchengeruch herüber.«

»Ich werde euch sagen, wie«, sagte Hazel. »Der Vogel. Der Vogel wird losziehen und für uns suchen.«

»Hazel-rah«, rief Blackberry, »was für eine glänzende Idee! Dieser Vogel kann in einem Tag auskundschaften, was wir selbst nicht in tausend entdecken könnten! Aber bist du sicher, daß wir ihn überreden können, es zu tun? Bestimmt wird er, sobald es ihm besser geht, einfach fortfliegen und uns verlassen.«

»Das kann ich nicht voraussagen«, antwortete Hazel. »Wir können ihn nur füttern und das Beste hoffen. Aber, Bigwig, da du dich mit ihm so gut zu verstehen scheinst, kannst du ihm vielleicht erklären, wieviel uns das bedeutet. Er braucht nur über das Hügelland zu fliegen und uns wissen zu lassen, was er sieht.«

»Überlaß ihn mir«, sagte Bigwig. »Ich glaube, ich weiß, wie ich's anstellen muß.«

Hazels Besorgnis und der Grund dafür waren bald allen Kaninchen bekannt, und jedes begriff, welcher Schwierigkeit sie gegenüberstanden. Was er gesagt hatte, war durchaus nicht überraschend. Er war nur einfach derjenige - und so sollte ein Oberkaninchen sein -, der ein starkes, im ganzen Gehege latentes Gefühl klar ausgesprochen hatte. Aber sein Plan, von der Möwe Gebrauch zu machen, erregte jeden und wurde als Einfall angesehen, auf den nicht einmal Blackberry gekommen wäre. Erkundung ist allen Kaninchen geläufig -tatsächlich ist das ihre zweite Natur -, aber die Idee, dafür einen Vogel zu nehmen, und dazu einen so fremden und wilden, überzeugte sie davon, daß Hazel, wenn er es wirklich fertigbrachte, so klug wie El-ahrairah selbst sein mußte.

Während der nächsten Tage ging eine Menge schwerer Arbeit damit drauf, Kehaar zu füttern. Acorn und Pipkin, die sich brüsteten, sie wären die besten Insektenfänger im Gehege, schleppten eine große Zahl von Käfern und Heuschrecken an. Zuerst mangelte es der Möwe vor allem an Wasser. Sie litt ziemlich und war schließlich gezwungen, aus den Halmen der langen Gräser Feuchtigkeit zu ziehen. Doch während ihrer dritten Nacht im Gehege regnete es drei oder vier Stunden, und Pfützen bildeten sich auf dem Pfad. Wechselhaftes Wetter setzte ein, wie es oft in Hampshire der Fall ist, wenn die Heuernte naht. Kräftige Winde aus dem Süden drückten das Gras tagsüber flach und verwandelten es in ein stumpfes Damaszenersilber. Die großen Zweige der Buchen bewegten sich wenig, wisperten aber laut. Der Wind brachte Regenböen mit. Das Wetter machte Kehaar ruhelos. Er ging ziemlich viel umher, beobachtete die fliehenden Wolken und schnappte nach allem, was die Futterholer brachten. Das Suchen wurde schwerer; denn in der Nässe verkrochen sich die Insekten in dem tiefen Gras und mußten herausgekratzt werden.

Eines Nachmittags wurde Hazel, der jetzt wie in alten Tagen einen Bau mit Fiver teilte, von Bigwig geweckt, der ihm eröffnete, daß Kehaar ihm etwas zu sagen habe. Er ging in Kehaars Wandelgang, ohne dabei nach oben gehen zu müssen. Das erste, was er bemerkte, war, daß die Möwe sich mauserte und am Kopf weiß wurde, wenn auch ein dunkelbrauner Fleck hinter jedem Auge blieb. Hazel grüßte sie und war überrascht, eine Antwort in stockender, gebrochener Kaninchensprache zu erhalten. Offenbar hatte Kehaar eine kurze Rede vorbereitet.

»Miister Hazel, is' Kaninchen-Arbeit schwer«, sagte Kehaar. »Ich noch nicht beendet. Bald werde ich fein sein.«

»Das sind gute Nachrichten«, sagte Hazel. »Das freut mich.«

Kehaar fiel in den Hecken-Jargon zurück.

»Miister Pigvig, er viel guter Bursche.«

»Ja, das ist er.«

»Er sagen, ihr keine Mütter haben. Iis' aus mit Mütter. Viel Kummer für euch.«

»Ja, das ist wahr. Wir wissen nicht, was wir tun sollen. Nirgends Mütter.«

»Hör zu. Ich großen, feinen Plan. Mir gehen jetzt gut. Flügel, er besser. Wind zu Ende, dann ich fliegen. Fliegen für euch. Finden viel Mütter, dir sagen, wo sind, ya?«

»Was für eine großartige Idee, Kehaar! Wie gescheit von dir, daran zu denken! Du sehr feiner Vogel.«

»Iiis' Schluß mit Mütter für mich dies Jahr. Iiiis' zu spät. Alle Mütter sitzen auf Nest jetzt. Eier kommen.«

»Das tut mir leid.«

»Andere Zeit holen Mütter. Jetzt fliegen ich für euch.«

»Wir werden alles tun, was wir nur können, um dir zu helfen.«

Am nächsten Tag legte sich der Wind, und Kehaar machte ein paar kurze Flüge. Aber erst drei Tage später fühlte er sich imstande, zum Rundflug aufzubrechen. Es war ein vollkommener Junimorgen. Kehaar schnappte zahllose kleine weißschalige Unterlandschnecken aus dem nassen Gras auf und knackte sie in seinem großen Schnabel, als er sich plötzlich zu Bigwig umwandte und sagte:

»Jetzt fliegen ich für euch.«

Er öffnete die Flügel. Die 60-Zentimeter-Spannweite wölbte sich über Bigwig, der ganz still dasaß, während die weißen Federn die Luft um seinen Kopf in einer Art feierlichen Abschiedsgruß bewegten. Er legte seine Ohren flach in die fächelnde Zugluft und starrte zu Kehaar empor, als die Möwe sich ziemlich schwerfällig in die Luft erhob. Als sie flog, nahm ihr Körper, der am Boden so lang und graziös wirkte, das Aussehen eines dicken, gedrungenen Zylinders an, an dessen Vorderseite ihr roter Schnabel zwischen ihren runden schwarzen Augen vorsprang. Einige Augenblicke schwebte sie, ihr Körper hob und senkte sich zwischen den Flügeln. Dann begann sie zu steigen, segelte seitwärts über das Gras und verschwand nordwärts unter dem Rand der Böschung. Bigwig kehrte mit der Nachricht zurück, daß Kehaar aufgebrochen sei.

Die Möwe war mehrere Tage fort - länger, als die Kaninchen erwartet hatten. Hazel fragte sich, ob sie wirklich zurückkommen würde; denn er wußte, daß Kehaar ebenso wie sie den Paarungsdrang spürte, und er hielt es für sehr wahrscheinlich, daß er sich schließlich zu dem Großen Wasser und den heiseren, wimmelnden Möwenkolonien davongemacht hatte, von denen er so gefühlvoll zu Bigwig gesprochen hatte. Soweit es ihm möglich war, behielt er seine Besorgnis für sich, aber eines Tages, als sie allein waren, fragte er Fiver, ob er glaube, daß Kehaar zurückkehren werde.

»Er wird zurückkehren«, sagte Fiver ohne Zögern.

»Und was wird er mitbringen?«

»Wie soll ich das wissen?« erwiderte Fiver. Aber später, als sie unten waren, still und schlaftrunken, sagte er plötzlich: »Die Geschenke von El-ahrairah: Gaunerei, große Gefahr und Segen für das Gehege.« Als Hazel nachfragte, schien er sich nicht bewußt zu sein, gesprochen zu haben, und konnte nichts mehr hinzufügen.

Bigwig verbrachte die meisten Stunden des Tages damit, auf Kehaars Rückkehr zu lauern. Er neigte dazu, bestimmt und kurz angebunden zu sein, und einmal, als Bluebell bemerkte, er glaube, Muster Pigvigs Pelzkappe mausere sich aus Sympathie für abwesende Freunde, zeigte er ein Aufblitzen seines alten Feldwebelgeistes, beschimpfte und knuffte ihn zweimal in der Honigwabe herum, bis Holly dazwischentrat, um seinen treuen Possenreißer vor weiteren Unannehmlichkeiten zu bewahren.

Eines Spätnachmittags, ein leichter Nordwind wehte, und der Geruch nach Heu trieb von den Wiesen von Sydmonton herauf, kam Bigwig in die Honigwabe heruntergestürzt und verkündete, daß Kehaar zurück sei. Hazel unterdrückte seine Erregung und befahl den anderen, sich fernzuhalten, während er allein mit ihm spräche. Nach nochmaliger Überlegung nahm er jedoch Fiver und Bigwig mit.

Die drei fanden Kehaar wieder in seinem Wandelgang. Er war voll Mist, schmutzig und übelriechend. Kaninchen entleeren sich nicht unter der Erde, und Kehaars Gewohnheit, sein Nest zu beschmutzen, hatte Hazel schon immer mit Widerwillen erfüllt. Jetzt, in seiner Begierde, die Nachrichten zu hören, schien ihm der Guano-Geruch jedoch beinahe willkommen.

»Ich freue mich, daß du zurück bist, Kehaar«, sagte er. »Bist du müde?«

»Flügel, er noch müde. Fliegen ein bißchen, stoppen ein bißchen, alles gehen fein.«

»Hast du Hunger? Sollen wir Insekten holen?«

»Fein. Fein. Gute Kerls. Viele Käfer.« (Alle Insekten waren bei Kehaar »Käfer«.)

Offenbar hatte er ihre Bedienung vermißt und war bereit, seine Rückkehr zu genießen. Obgleich es nicht mehr unbedingt nötig war, daß man ihm Futter in den Wandelgang brachte, war er offensichtlich der Meinung, daß er es verdiente. Bigwig ging, um die Futterholer zu mobilisieren, und Kehaar beschäftigte sie bis zum Sonnenuntergang. Schließlich sah er Fiver schlau an und sagte:

»He, Miiister Kleiner, weißt du, was ich bringen, ya?«

»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Fiver ziemlich kurz angebunden.

»Dann ich sagen. All dies große Hügel, ich fliegen entlang ihn, hierhin und dorthin, wo Sonne aufgeht und Sonne untergeht. Iiiis' keine Kaninchen. Iiiis' nix, nix.«

Er hielt inne. Hazel sah Fiver besorgt an.

»Dann ich hinuntergehen, hinunter auf Boden. Is' Farm mit großen Bäumen all herum, auf kleinem Hügel. Ihr kennen?«

»Nein, wir kennen sie nicht. Weiter.«

»Ich euch zeigen. Sie nicht weit. Ihr sie sehen. Und hier is' Kaninchen. Is' Kaninchen leben in Kiste; leben bei Menschen. Ihr kennen?«

»Leben bei Menschen? Sagtest du: >leben bei Menschen

»Ya, ya, leben bei Menschen. In Schuppen; Kaninchen leben in Kiste in Schuppen. Menschen bringen Futter. Ihr kennen?«

»Ich weiß, daß so was vorkommt«, sagte Hazel. »Ich habe davon gehört. Das ist fein, Kehaar. Du bist sehr gründlich gewesen. Aber es nützt uns nichts, nicht wahr?«

»Ich glaube, es sein Mütter. In große Kiste. Aber sonst is' keine Kaninchen; nicht in Felder, nicht in Wälder. Keine Kaninchen, ich sehen nirgends.«

»Das hört sich schlimm an.«

»Warte, ich sagen mehr. Jetzt ihr hören. Ich fliegen den anderen Weg, wo Sonne am Mittag gehen. Du weißt, dieser Weg is' Großes Wasser.«

»Bist du zum Großen Wasser geflogen?« fragte Bigwig.

»Ne, ne, nicht so weit. Aber draußen diesen Weg is' Fluß, kennt ihr?«

»Nein, wir sind nicht so weit gekommen.«

»Is' Fluß«, wiederholte Kehaar. »Und hier is' Stadt von Kaninchen.«

»Auf der anderen Seite des Flusses?«

»Ne, ne. Du gehen diesen Weg, is' großes Feld überall. Dann nach langem Weg zu Stadt von Kaninchen kommen, sehr groß. Und nach dem is' Eisenweg und dann Fluß.«

»Eisenweg?« fragte Fiver.

»Ya, ya, Eisenweg. Ihr ihn nicht gesehen - Eisenweg? Menschen machen ihn.«

Kehaars Sprache war so fremdländisch und bestenfalls entstellt, daß sich die Kaninchen häufig nicht sicher waren, was er meinte. Die mundartlichen Worte für »Eisen« und »Weg«, die er jetzt gebrauchte und die den Seemöwen durchaus vertraut waren, hatten seine Zuhörer kaum je gehört. Kehaar wurde schnell ungeduldig und jetzt, wie so oft, fühlten sie sich im Nachteil angesichts seiner Vertrautheit mit einer weiterreichenden Welt als der ihren. Hazel überlegte schnell. Zwei Dinge waren klar: Kehaar hatte offenbar ein großes Gehege irgendwo in Richtung Süden gefunden; und was immer der Eisenweg sein mochte, das Gehege lag diesseits von ihm und einem Fluß. Wenn er richtig verstanden hatte, schien man daraus schließen zu können, daß der Eisenweg und der Fluß für ihre Zwecke nicht berücksichtigt zu werden brauchten.

»Kehaar«, sagte er. »Ich möchte sichergehen. Können wir zur Stadt der Kaninchen gelangen, ohne uns um den Eisenweg und den Fluß zu kümmern?«

»Ya, ya. Nicht gehen zu Eisenweg. Kaninchen-Stadt in Büschen von großen einsamen Feldern. Viel Mütter.«

»Wie lange würde es dauern, von hier zu - zu der Stadt zu gelangen?«

»Ich glaube, zwei Tage. Is' langer Weg.«

»Gut, Kehaar. Du hast alles getan, was wir uns erhofft haben. Ruh dich jetzt aus. Wir werden dich füttern, solange du willst.«

»Jetzt schlafen. Morgen viele Käfer, ya, ya.«

Die Kaninchen gingen in die Honigwabe zurück. Hazel wiederholte Kehaars Nachrichten, und eine lange, ungeregelte, zeitweilig unterbrochene Diskussion begann. Dies war ihre Art, zu einem Beschluß zu kommen. Die Tatsache, daß sich zwei oder drei Tagereisen gen Süden ein Gehege befand, flackerte und schwang zwischen ihnen, wie ein Penny durch tiefes Wasser hinuntertrudelt, dahin und dorthin sich bewegend, sich verlagernd, verschwindend, wiederauftauchend, aber immer dem festen Boden entgegensinkend. Hazel ließ dem Gerede freien Lauf, bis sie sich schließlich zerstreuten und einschliefen.

Am nächsten Morgen gingen sie ihren Beschäftigungen nach wie gewöhnlich, fütterten Kehaar und fraßen selbst, spielten und gruben. Aber währenddessen, wie ein Wassertropfen schwillt, bis er so schwer ist, daß er vom Zweig herunterfällt, wurde der Plan, was zu tun sei, einmütig und klar. Am folgenden Tag sah Hazel es deutlich. Und als er bei Sonnenaufgang mit Fiver und drei oder vier anderen auf der Böschung saß, schien die Zeit gekommen, zu sprechen. Es war nicht nötig, eine allgemeine Versammlung einzuberufen. Die Sache war entschieden. Wenn es ihnen zu Ohren kam, wurden diejenigen, die nicht dabei waren, akzeptieren, was er gesagt hatte, ohne ihn überhaupt gehört zu haben.

»Dieses Gehege, das Kehaar gefunden hat«, sagte Hazel, »er sagte, es sei groß.«

»Also können wir es nicht mit Gewalt nehmen«, meinte Bigwig.

»Ich glaube nicht, daß ich hingehen und mich ihm anschließen möchte«, sagte Hazel. »Du vielleicht?«

»Und von hier fortgehen?« erwiderte Dandelion. »Nach all unserer Arbeit? Außerdem schätze ich, daß es uns dreckig ergehen würde. Nein, ich bin sicher, daß keiner von uns das will.«

»Wir wollen ein paar Weibchen haben und sie hierherbringen«, sagte Hazel. »Wird das schwer sein, was meint ihr?«

»Ich glaube nicht«, sagte Holly. »Große Gehege sind oft überfüllt, und einige der Kaninchen können nicht genug zu fressen bekommen. Die jungen Weibchen werden gereizt und nervös, und manche haben aus diesem Grund keine Jungen. Die Jungen beginnen in ihrem Innern zu wachsen und lösen sich dann wieder in ihrem Körper auf. Ihr wißt das?«

»Ich habe es nicht gewußt«, sagte Strawberry.

»Weil es bei euch nie überfüllt war. Aber unser Gehege -das Gehege des Threarah - war vor einem oder zwei Jahren überfüllt, und eine Menge der jüngeren Weibchen resorbierten ihren Wurf, ehe er geboren wurde. Der Threarah erzählte mir, daß El-ahrairah vor langer Zeit ein Abkommen mit Frith traf. Frith versprach ihm, daß Kaninchen weder tot noch unerwünscht geboren werden sollten. Wenn wenig Aussicht auf ein anständiges Leben für sie besteht, ist es das Vorrecht eines Weibchens, sie in ihren Körper ungeboren zurückzunehmen.«

»Ja, ich erinnere mich an die Geschichte von dem Abkommen«, sagte Hazel. »Du glaubst demnach, daß es unzufriedene Weibchen gibt? Das klingt hoffnungsvoll. Wir sind uns also einig, daß wir eine Expedition zu diesem Gehege schicken sollten und daß wir eine gute Erfolgschance haben, ohne kämpfen zu müssen. Sollen alle mitkommen?«

»Ich würde sagen, nein«, entgegnete Blackberry. »Eine Zwei- oder Dreitagereise - und wir sind alle in Gefahr, auf dem Hin- wie auf dem Rückweg. Für drei oder vier Kaninchen wäre es weniger gefährlich als für hrair. Drei oder vier können sich schnell bewegen und fallen nicht auf. Und das Oberkaninchen dieses Geheges würde wahrscheinlich gegen ein paar Fremde, die eine höfliche Bitte vorbringen, weniger einzuwenden haben.«

»Das ist sicher richtig«, sagte Hazel. »Wir werden vier Kaninchen schicken, und die können erklären, wie wir in diese Verlegenheit kamen, und um die Erlaubnis bitten, einige Weibchen zu überreden, mit ihnen zu kommen. Ich sehe nicht, was ein Oberkaninchen dagegen einzuwenden haben könnte. Ich frage mich nur, wer von uns am besten geschickt werden soll.«

»Hazel-rah, du darfst nicht gehen«, sagte Dandelion. »Du wirst hier gebraucht, und wir wollen nicht riskieren, dich eventuell zu verlieren. Darüber sind wir uns alle einig.«

Hazel hatte schon geahnt, daß sie ihm die diplomatische Mission nicht übertragen würden. Es war zwar eine Enttäuschung für ihn, aber nichtsdestoweniger fühlte er, daß sie recht hatten. Das andere Gehege würde wenig von einem Oberkaninchen halten, das seine eigenen Botengänge machte. Außerdem war er weder äußerlich noch als Sprecher sonderlich beeindruckend. Dies war eine Aufgabe für jemand anderen.

»Na gut«, sagte er. »Ich wußte, daß ihr mich nicht gehen lassen würdet. Ich bin sowieso nicht der Richtige dafür -Holly wäre es. Er weiß genau, wie man sich im Freien bewegt, und er wird ein guter Sprecher sein, wenn er hinkommt.«

Niemand hatte etwas dagegen einzuwenden. Hollys Wahl war naheliegend, doch die Auswahl seiner Begleiter war weniger leicht. Alle waren bereit zu gehen, aber die Angelegenheit war so wichtig, daß sie zuletzt der Reihe nach jedes Kaninchen einzeln in Betracht zogen und darüber diskutierten, wer die lange Reise höchstwahrscheinlich überleben, in guter Verfassung ankommen und Anklang in einem fremden Gehege finden würde. Bigwig, der mit der Begründung abgelehnt wurde, daß er sich in fremder Gesellschaft streiten könnte, war zuerst geneigt zu schmollen, lenkte jedoch ein, als er sich vergegenwärtigte, daß er sich weiter um Kehaar kümmern konnte. Holly hätte gern Bluebell mitgenommen, aber Blackberry wandte ein, daß ein komischer Witz auf Kosten des Oberkaninchens alles verderben konnte. Schließlich wählten sie Silver, Buckthorn und Strawberry. Strawberry schien sichtlich erfreut. Er hatte viel erduldet, um zu zeigen, daß er kein Feigling war, und jetzt hatte er die Genugtuung, zu erfahren, daß er seinen Freunden etwas bedeutete.

Sie brachen frühmorgens im grauen Dämmerlicht auf. Kehaar hatte sich verpflichtet, im Laufe des Tages hinauszufliegen, um nachzuprüfen, ob sie den richtigen Weg eingeschlagen hätten, und Nachrichten von ihrem Vorankommen zu bringen. Hazel und Bigwig gingen zum südlichen Ende des Abhanges mit und beobachteten, wie sie davonhoppelten und die Richtung nach Westen zur fernen Farm einschlugen. Holly schien zuversichtlich, und die anderen drei waren in gehobener Stimmung. Bald waren sie im Gras nicht mehr zu sehen, und Hazel und Bigwig kehrten in das Gehölz zurück.

»Nun, wir haben unser Bestes getan«, sagte Hazel. »Der Rest hängt jetzt von ihnen und El-ahrairah ab. Aber es ist sicherlich richtig so.«

»Daran gibt es keinen Zweifel«, sagte Bigwig. »Hoffen wir nur, daß sie bald zurück sein werden. Ich freue mich schon auf ein hübsches Weibchen und einen Wurf Junge in meinem Bau. Eine Menge kleiner Bigwigs, Hazel! Bei dem Gedanken wirst du erzittern!«

24. Nuthanger Farm

Als Robin kam nach Nottingham,

Bestimmt ohne Hinterhalt,

betete er zu Gott und der milden

Maria, ihn sicher wieder herauszubringen.

Stand neben ihm ein großköpfig Mönch,

Ich bete zu Gott, wer er sei!

Doch dann erkannt' er gut Robin,

Sobald er ihn gesehen hat.

Child, Nr. 119 Robin Hood and the Monk


Hazel saß in der Hochsommernacht auf der Böschung. Es hatte nicht mehr als fünf Stunden Dunkelheit geherrscht, und das in einer blassen, zwielichtigen Art, die ihn schlaflos und ruhelos machte.

Alles verlief nach Wunsch. Kehaar hatte am Nachmittag Holly entdeckt und seinen Kurs etwas nach Westen korrigiert. Er hatte ihn im Schutz einer dichten Hecke, seines Weges zu dem großen Gehege sicher, zurückgelassen. Es schien jetzt gewiß, daß zwei Tage für die Reise genügen würden. Kehaar hatte einen heftigen Streit mit einem Turmfalken gehabt, hatte Beleidigungen mit einer Stimme geschrien, daß es einem angst und bange werden konnte, und obgleich es unentschieden ausgegangen war, sah es so aus, als ob der Turmfalke die Nachbarschaft des Abhanges in Zukunft mit gesundem Respekt betrachten würde. Die Dinge hatten nicht besser ausgesehen, seit sie von Sandleford aufgebrochen waren.

Hazel war in glücklicher und übermütiger Stimmung. Er fühlte sich wie an jenem Morgen, als sie den Enborne überquerten und er sich allein aufgemacht und das Bohnenfeld gefunden hatte. Er war zuversichtlich und zu einem Abenteuer aufgelegt. Aber was für eines? Eines, das erzählenswert wäre, wenn Holly und Silver zurückkehrten. Etwas, um - nun, nicht herabzusetzen, was sie vorhatten, nein, natürlich nicht, sondern um ihnen zu zeigen, daß ihr Oberkaninchen allem genauso wie sie gewachsen war. Er überlegte es sich, als er die Böschung hinunterhopste und einen Fleck mit Pimpinellen im Gras ausschnupperte. Was gäbe ihnen bloß einen kleinen, nicht unangenehmen Schock? Plötzlich dachte er: »Angenommen, ein oder zwei Weibchen wären bereits hier, wenn sie zurückkämen?« Und im selben Augenblick erinnerte er sich, was Kehaar von einer Kiste voller Kaninchen auf der Farm erzählt hatte. Was für Kaninchen konnten das sein? Kamen sie je aus der Kiste heraus? Hatten sie je ein wildes Kaninchen gesehen? Kehaar hatte gesagt, die Farm läge nicht weit vom Fuß des Hügellandes auf einem kleinen Hügel. Man konnte sie leicht am frühen Morgen erreichen, ehe ihre Bewohner auf waren. Hunde würden wahrscheinlich an der Kette liegen, aber die Katzen würden frei herumlaufen. Ein Kaninchen konnte schneller als eine Katze laufen, solange es sich im freien Gelände aufhielt und sie zuerst kommen sah. Am wichtigsten war, nicht unvermutet angepirscht zu werden. Es sollte ihm gelingen, die Hecke entlangzuschleichen, ohne elil anzuziehen, es sei denn, er hätte großes Pech.

Aber was wollte er eigentlich tun? Warum ging er zur Farm? Hazel fraß die letzte der Pimpinellen im Sternenlicht auf. »Ich werde mich bloß umschauen«, sagte er zu sich selbst, »und wenn ich diese Kaninchen finde, versuche ich, mit ihnen zu sprechen, nicht mehr. Ich werde kein Risiko eingehen - nun, jedenfalls kein wirkliches Risiko - nicht, bis ich sehe, daß es der Mühe wert ist.«

Sollte er allein gehen? Es wäre sicherer und angenehmer, einen Begleiter mitnehmen; aber nicht mehr als einen. Sie dürften keine Aufmerksamkeit erregen. Wer wäre der beste? Bigwig? Dandelion? Hazel lehnte sie ab. Er brauchte jemanden, der tat, was man ihm sagte, und nicht anfing, eigene Ideen zu haben. Sofort dachte er an Pipkin. Pipkin würde ihm folgen, ohne Fragen zu stellen, und alles tun, worum er ihn bat. In diesem Augenblick schlief er wahrscheinlich in dem Bau, den er mit Bluebell und Acorn teilte.

Hazel hatte Glück. Er fand Pipkin, bereits wach, dicht an der Mündung des Baues. Er brachte ihn hinaus, ohne die anderen beiden Kaninchen zu stören, und führte ihn durch den Lauf, der auf die Böschung hinausging. Pipkin sah sich unsicher um, verwirrt und halb eine Gefahr erwartend.

»Ist schon gut, Hlao-roo«, sagte Hazel. »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich möchte, daß du den Hügel mit hinunterkommst und mir hilfst, eine bestimmte Farm zu finden. Wir sehen uns nur um.«

»In einer Farm, Hazel-rah? Wozu? Wird es nicht gefährlich sein? Katzen und Hunde und -«

»Nein, es wird dir mit mir zusammen nichts passieren. Nur du und ich - ich will niemanden sonst mitnehmen. Ich habe einen geheimen Plan; du darfst den anderen nichts davon sagen - vorläufig wenigstens nicht. Ich möchte, daß gerade du mitkommst, kein anderer ist dafür geeignet.«

Das hatte genau die von Hazel beabsichtigte Wirkung. Er brauchte Pipkin nicht weiter zu überreden, und sie brachen zusammen auf, über den Graspfad, den dahinterliegenden Rasen und die Böschung hinunter. Sie liefen durch den schmalen Baumgürtel und kamen in das Feld, wo Holly im Dunkeln nach Bigwig gerufen hatte. Hier blieb Hazel schnuppernd und horchend stehen. Es war die Zeit vor der Frühdämmerung, wenn die Eulen zurückkehren, gewöhnlich unterwegs jagend. Obgleich ein ausgewachsenes Kaninchen durch Eulen nicht wirklich in Gefahr ist, gibt es wenige, die kein wachsames Auge auf sie haben. Wiesel und Füchse mochten auch draußen sein, aber die Nacht war still und feucht, und Hazel, sorglos in seiner fröhlichen Zuversicht, war sicher, daß er jeden vierbeinigen Jäger entweder riechen oder hören würde.

Wo immer die Farm auch sein mochte, sie mußte jenseits der Straße am gegenüberliegenden Rand des Feldes liegen. Hazel brach in gemächlichem Tempo auf, Pipkin dicht hinter ihm. Sie bewegten sich ruhig bald innerhalb der Hecke, bald außerhalb der Hecke, an der entlang Holly und Bluebell gekommen waren, und kamen auf ihrem Weg unter den in der Dunkelheit leise summenden Drähten vorbei. Es kostete sie nur ein paar Minuten, die Straße zu erreichen.

Es gibt Zeiten, da man mit Sicherheit weiß, daß alles gutgehen wird. Ein Schlagmann, der gut Kricket gespielt hat, wird nachher sagen, daß er gefühlt habe, er könne den Ball nicht verfehlen, und ein Sprecher oder Schauspieler kann an seinem Glückstag spüren, wie sein Publikum ihn auf einer wunderbaren, belebenden Woge trägt. Genau dieses Gefühl hatte Hazel im Augenblick. Um ihn herum war die ruhige Sommernacht, noch von Sternen erhellt, doch bereits zur Dämmerung auf der einen Seite verblassend. Es war nichts zu befürchten, und er fühlte sich in der Lage, hintereinander durch tausend Farmhöfe zu hopsen. Als er mit Pipkin auf der Böschung oberhalb der nach Teer riechenden Straße saß, war es für ihn kein unerwarteter Glücksfall, als er eine junge Ratte von der gegenüberliegenden Hecke vorbeiflitzen und in einem Klumpen verwelkendem Jungferngras unter ihnen verschwinden sah. Er hatte gewußt, daß irgendein Wegweiser auftauchen würde. Schnell krabbelte er die Böschung hinunter und stieß auf die im Graben herumschnüffelnde Ratte.

»Die Farm«, sagte Hazel, »wo ist die Farm - in der Nähe, auf einem kleinen Hügel?«

Die Ratte starrte ihn mit zuckendem Barthaar an. Sie hatte keinen besonderen Grund, freundlich zu sein, aber es lag etwas in Hazels Blick, das eine höfliche Antwort verlangte.

»Über Straße. Feldweg hinauf.«

Der Himmel wurde jeden Augenblick lichter. Hazel überquerte die Straße, ohne auf Pipkin zu warten, der ihn unter der Hecke, diesseits des kleinen Feldweges, einholte. Von hier aus erklommen sie nach einer weiteren Horchpause den Hang, der auf die nördliche Horizontlinie zuführte.

Nuthanger ist eine Farm wie aus einem Märchenbuch. Zwischen Ecchinswell und dem Fuß von Watership Down, ungefähr eine halbe Meile von beiden entfernt, liegt eine breite Bergkuppe, an der Nordseite steil, aber auf der südlichen - wie die Hügelkette selbst - sanft abfallend. Schmale Feldwege klettern beide Hänge hinauf und treffen sich in einem großen Ring von Ulmen, der den flachen Gipfel einfaßt. Jeder Wind - selbst der sanfteste - lockt von der Höhe der Ulmen ein brausendes Geräusch, vielblätterig und mächtig. Innerhalb dieses Ringes steht das Farmhaus mit seinen Scheunen und Nebengebäuden. Das Haus mag zweihundert Jahre alt oder älter sein, aus Ziegeln gebaut, mit einer mit Steinen verkleideten Vorderseite, die nach Süden, dem Hügelland zu liegt. Vor der Ostseite des Hauses steht eine Scheune auf Reitelsteinen frei über dem Boden, und gegenüber befindet sich der Kuhstall.

Als Hazel und Pipkin den Gipfel des Hanges erreichten, zeigte das erste Licht deutlich den Farmhof und die Gebäude. Die überall singenden Vögel waren ihnen aus früheren Tagen bekannt. Ein Rotkehlchen auf einem niedrigen Ast zwitscherte eine Phrase und horchte auf ein anderes, das ihm hinter dem Farmhaus antwortete. Ein Buchfink sang sein kleines herausforderndes Lied, und weiter weg, hoch in einer Ulme, begann ein Weidenzeisig zu rufen. Hazel hielt an und setzte sich dann auf, um die Luft besser zu prüfen. Mächtige Gerüche nach Stroh und Kuhdung mischten sich mit denen von Ulmenblättern, Asche und Viehfutter. Schwächere Spuren kamen in seine Nase, wie die Obertöne einer Glocke in einem geübten Ohr klingen. Tabak natürlich - eine Menge Katze und viel weniger Hund und dann plötzlich und ohne Zweifel: Kaninchen. Er blickte Pipkin an und sah, daß er den Geruch ebenfalls aufgefangen hatte.

Sie horchten auch, während die Gerüche sie erreichten, aber außer den leichten Bewegungen von Vögeln und dem ersten Summen der Fliegen in ihrer unmittelbaren Nähe konnten sie nichts als das ununterbrochene Rascheln der Bäume hören. Unter dem nördlichen steilen Abhang des Hügellandes war die Luft still gewesen, aber hier wurde die südliche Brise von den Ulmen mit ihren Myriaden kleiner flatternder Blätter verstärkt, genau wie die Wirkung von Sonnenlicht auf einen Garten durch Tau verstärkt wird. Das aus den obersten Zweigen kommende Geräusch störte Hazel, weil es auf ein ungeheures Nahen hinwies - auf ein Nahen, das nie vollendet wurde -, und er und Pipkin blieben eine Weile still, horchten gespannt auf dieses laute und doch bedeutungslose Ungestüm hoch über ihren Köpfen.

Sie sahen keine Katze, aber neben dem Haus stand eine Hundehütte mit flachem Dach. Sie konnten gerade einen flüchtigen Blick auf den schlafenden Hund darin erhaschen -ein großer glatthaariger schwarzer Hund, den Kopf auf den Pfoten. Hazel konnte keine Kette sehen; aber dann entdeckte er nach einem Augenblick einen dünnen Strick, der aus der Hüttentür herauskam und in einer Art Öse auf dem Dach endete. Warum ein Strick? fragte er sich und dachte dann: Weil ein ruheloser Hund in der Nacht nicht damit rasseln kann.

Die beiden Kaninchen begannen zwischen den Nebengebäuden umherzuwandern. Zuerst hielten sie sich vorsichtig in Deckung, dauernd nach Katzen Ausschau haltend. Aber sie sahen keine und wurden bald kühner, überquerten freie Stellen und hielten sogar an, um an Löwenzahn in den Flecken von Unkraut und hartem Gras zu knabbere. Von seinem Geruchssinn geführt, lief Hazel zu einem Schuppen mit niedrigem Dach. Die Tür war halb offen, und er überquerte ohne Zögern die Backsteinschwelle. Unmittelbar gegenüber der Tür, auf einem breiten hölzernen Bord - einer Art Plattform - stand eine Kiste, deren Vorderseite mit Draht versehen war. Durch die Maschen konnte er eine braune Schale, einiges grünes Gemüse und die Ohren von zwei oder drei Kaninchen sehen. Als er hinstarrte, kam eines der Kaninchen dicht an den Draht heran, blickte hinaus und sah ihn. Neben der Plattform, auf der linken Seite, lag ein umgestülpter Ballen Stroh. Hazel sprang mühelos hinauf und von da auf die dicken Bretter, die alt und glatt, staubig und mit Spreu bedeckt waren. Dann drehte er sich zu Pipkin um, der dicht an der Tür wartete.

»Hlao-roo«, sagte er, »es gibt nur einen Weg hier hinaus. Du wirst ständig nach Katzen Ausschau halten müssen, oder wir sitzen irgendwann in der Falle. Bleib an der Tür, und wenn du draußen eine Katze siehst, sag es mir sofort.«

»Gut, Hazel-rah«, sagte Pipkin. »Im Augenblick ist alles sicher.«

Hazel näherte sich der Kistenseite. Die drahtbespannte Vorderseite sprang über den Rand des Bordes vor, so daß er sie weder erreichen noch hineingehen konnte, aber in einem der Bretter vor ihm befand sich ein Astloch, und auf der anderen Seite konnte er eine zuckende Nase sehen. »Ich bin Hazel-rah«, sagte er. »Ich bin gekommen, um mit dir zu sprechen. Kannst du mich verstehen?«

Die Antwort kam in leicht fremder, aber vollkommen verständlicher Kaninchensprache.

»Ja, wir verstehen dich. Ich heiße Boxwood. Von wo kommst du?«

»Von den Hügeln. Meine Freunde und ich leben, wie es uns gefällt, ohne Menschen. Wir fressen das Gras, liegen in der Sonne und schlafen unter der Erde. Wie viele seid ihr?«

»Vier. Rammler und Weibchen.«

»Kommt ihr jemals heraus?«

»Ja, manchmal. Ein Kind holt uns heraus und steckt uns in einen Verschlag auf dem Gras.«

»Ich bin gekommen, euch über mein Gehege zu erzählen. Wir brauchen mehr Kaninchen. Wir wollen, daß ihr von der Farm weglauft und euch zu uns gesellt.«

»Hinten an der Kiste ist eine Drahttür«, sagte Boxwood. »Komm da hin, dann können wir uns besser unterhalten.«

Die Tür bestand aus einem auf einen Holzrahmen gespannten Drahtnetz, mit zwei Lederangeln an die senkrechten Pfosten genagelt, und einer Haspe und einer Krampe, die mit einem Stück Draht gesichert waren. Vier Kaninchen drängten sich gegen den Draht und drückten ihre Nasen durch die Maschen. Zwei - Laurel und Clover waren kurzhaarige schwarze Angoras. Die anderen, Boxwood und sein Weibchen, waren schwarze und weiße Himalajas.

Hazel sprach über das Leben auf den Downs und von dem Reiz und der Freiheit, wie sie wilde Kaninchen genossen. In seiner üblichen freimütigen Art erzählte er von der mißlichen Lage seines Geheges, keine Weibchen zu haben, und daß er gekommen sei, einige zu suchen. »Aber«, sagte er, »wir wollen eure Weibchen nicht stehlen. Ihr seid alle vier, Rammler und Weibchen, willkommen, euch uns anzuschließen. Es ist genug Platz auf den Hügeln für alle.« Er sprach weiter über das abendliche Fressen bei Sonnenuntergang und am frühen Morgen in dem hohen Gras.

Die Stallhasen schienen gleichzeitig verwirrt und fasziniert. Clover, das Angora-Weibchen - ein starkes, rühriges Kaninchen -, war von Hazels Schilderung deutlich erregt und stellte mehrere Fragen über das Gehege und die Downs. Es wurde offenkundig, daß sie ihr Leben in der Kiste für langweilig, aber sicher hielten. Sie hatten aus irgendeiner Quelle ziemlich viel über elil erfahren und schienen überzeugt, daß wenige wilde Kaninchen längere Zeit überlebten. Hazel merkte, daß sie zwar froh waren, mit ihm reden zu können, und seinen Besuch begrüßten, weil er ein bißchen Anregung und Abwechslung in ihr monotones Leben brachte, daß sie aber nicht die geistige Fähigkeit hatten, eine Entscheidung zu treffen und danach zu handeln. Sie wußten nicht, wie man sich entschließt. Für ihn und seine Gefährten waren Fühlen und Handeln zur zweiten Natur geworden, aber diese Kaninchen hatten nie handeln müssen, um ihr Leben zu retten oder sich selbst Futter zu suchen. Wenn er ihresgleichen zum Hügelland bringen wollte, mußten sie angetrieben werden. Er saß eine Weile ruhig da und naschte von der auf die Bretter außerhalb der Kiste verschütteten Kleie. Dann sagte er:

»Ich muß jetzt wieder zurück zu meinen Freunden auf den Hügeln, aber wir werden wiederkommen, eines Nachts, und dann, glaubt mir, werden wir eure Kiste so leicht öffnen wie der Farmer, und dann wird jeder von euch, der möchte, mit uns kommen können.«

Boxwood wollte gerade etwas erwidern, als sich Pipkin plötzlich von unten vernehmen ließ. »Hazel, da ist eine Katze im Hof!«

»Wir haben keine Angst vor Katzen«, sagte Hazel zu Boxwood, »solange wir im Freien sind.« Gemächlich, scheinbar ohne Eile sprang er über den Strohballen auf den Boden zurück und zur Tür hinüber. Pipkin schaute durch die Angel. Er fürchtete sich offenbar.

»Ich glaube, sie hat uns gerochen, Hazel«, sagte er. »Ich fürchte, sie weiß, wo wir sind.«

»Dann bleib nicht da hocken«, sagte Hazel. »Folge mir dicht auf den Fersen und renne, wenn ich renne.« Ohne zu zögern und erst noch durch den Türspalt hinauszugucken, ging er um die halboffene Tür herum und blieb auf der Schwelle stehen.

Die Katze, eine gescheckte mit weißer Brust und weißen Pfoten, strich am anderen Ende des kleinen Hofes langsam und vorsichtig an einem Holzhaufen vorbei. Als Hazel in der Tür erschien, sah sie ihn sofort und blieb stocksteif, mit starren Augen und zuckendem Schwanz stehen. Hazel hopste langsam über die Schwelle und verhielt wieder. Schon fiel das Sonnenlicht schräg über den Hof, und in der Stille summten die Fliegen um ein Häufchen Dung einige Meter entfernt. Der Geruch von Stroh, Staub und Weißdorn lag in der Luft.

»Du siehst hungrig aus«, sagte Hazel zu der Katze. »Die Ratten werden wohl zu schlau, nehm' ich an.«

Die Katze erwiderte nichts. Hazel saß blinzelnd in der Sonne. Die Katze preßte sich beinahe flach an den Boden, den Kopf zwischen ihren Vorderpfoten verschiebend. Dicht hinter ihm zappelte Pipkin nervös herum, und Hazel, die Katze immer im Auge behaltend, konnte fühlen, daß er zitterte.

»Hab keine Angst, Hlao-roo«, flüsterte er. »Ich krieg' dich schon fort, aber du mußt warten, bis sie herankommt. Halte dich still.«

Die Katze begann, mit dem Schwanz um sich zu schlagen. Ihr Hinterteil hob sich und wippte in steigender Erregung von einer Seite zur anderen.

»Kannst du laufen?« fragte Hazel. »Ich glaube nicht, du glotzäugiger Hintertür-Untertassen-Kratzer -«

Die Katze stürzte über den Hof, und die beiden Kaninchen flohen mit kräftigen Stößen ihrer Hinterläufe. Die Katze kam sehr schnell heran, und obgleich beide bereit gewesen waren, augenblicklich loszurennen, gelangten sie gerade noch rechtzeitig aus dem Hof. Sie rasten an der langen Scheune entlang und hörten den Neufundländer vor Aufregung bellen, als er bis zur vollen Länge seines Stricks lief. Eine Männerstimme rief ihn an. Aus der Deckung der Hecke neben dem Feldweg drehten sie sich um und blickten zurück. Die Katze war plötzlich stehengeblieben und leckte sich eine Pfote, Gleichgültigkeit vortäuschend.

»Sie lieben es nicht, dumm auszusehen«, sagte Hazel. »Die wird uns keinen Kummer mehr machen. Wenn sie nicht derart auf uns losgestürmt wäre, hätte sie uns viel weiter verfolgen können und wahrscheinlich noch eine andere Katze herbeigerufen. Und irgendwie kannst du nicht losstürzen, wenn die's nicht zuerst tun. Es war gut, daß du sie kommen sahst, Hlao-roo.«

»Ich bin froh, daß ich dir helfen konnte, Hazel. Aber was hatten wir eigentlich vor, und warum sprachst du mit den Kaninchen in der Kiste?«

»Ich werde dir alles später erzählen. Gehen wir jetzt zum Futtern auf die Wiese; dann können wir so langsam, wie du willst, nach Hause gehen.«

25. Der Überfall


Er willigte ein, sonst wäre er kein König... Es war niemandes Sache, zu ihm zu sagen: »Es ist Zeit, das Angebot zu machen.«

Mary Renault The King Must Die


Es ergab sich, daß Hazel und Pipkin nicht vor dem Abend zur Honigwabe zurückkehrten. Sie fraßen noch auf der Wiese, als es zu regnen begann und ein kalter Wind einsetzte, und sie suchten zuerst Schutz in dem nahe gelegenen Graben und dann - da der Graben an einem Hang lag und sich in ihm etwa zehn Minuten später eine ziemliche Flut von Regenwasser ansammelte - zwischen einigen Schuppen auf halbem Weg den Feldweg hinunter. Sie gruben sich in einen dicken Strohhaufen und horchten einige Zeit auf Ratten. Aber alles war ruhig, und sie wurden schläfrig und nickten ein, während es sich draußen für den Morgen einregnete. Als sie aufwachten, war es Spätnachmittag, und es nieselte immer noch. Es schien Hazel, daß sie keine sonderliche Eile hätten. Das Vorwärtskommen würde in der Nässe beschwerlich sein, und außerdem konnte kein Kaninchen, das etwas auf sich hält, gehen, ohne sich mit Futter um die Schuppen herum zu versorgen. Ein Haufen Mangold und Rüben beschäftigte sie eine Weile, und sie machten sich erst auf den Weg, als das Licht zu schwinden begann. Sie ließen sich Zeit und erreichten den Abhang kurz vor Eintritt der Dunkelheit, von nichts Schlimmerem geplagt als dem Unbehagen eines durch und durch nassen Fells. Nur zwei oder drei Kaninchen waren zu einem ziemlich gedämpften silflay in der Nässe draußen.

Niemand verlor ein Wort über ihre Abwesenheit, und Hazel ging sofort hinunter und bat Pipkin, vorläufig nichts von ihrem Abenteuer zu erzählen. Er fand seinen Bau leer, legte sich hin und schlief ein.

Als er aufwachte, fand er Fiver neben sich wie gewöhnlich. Es war kurz vor der Morgendämmerung. Der Erdboden fühlte sich angenehm trocken und gemütlich an, und er wollte schon wieder einschlafen, als Fiver sprach.

»Du warst ganz durchnäßt, Hazel.«

»Na und? Das Gras ist doch naß.«

»Du kannst nicht so naß bei silflay geworden sein. Du warst tropfnaß. Du warst gestern gar nicht hier, nicht wahr?«

»Oh, ich ging den Hügel hinunter Futter suchen.«

»Rüben gefressen - und deine Pfoten riechen nach Farmhof, Hühnermist und Kleie. Aber da ist noch etwas anderes Komisches - etwas, das ich nicht riechen kann. Was ist passiert?«

»Na ja, ich hatte ein kleines Scharmützel mit einer Katze, aber wozu die Aufregung?«

»Weil du etwas verbirgst, Hazel. Etwas Gefährliches.«

»Holly ist in Gefahr, nicht ich. Warum machst du dir über mich Sorgen?«

»Holly?« erwiderte Fiver überrascht. »Aber Holly und die anderen haben das große Gehege gestern am frühen Abend erreicht. Kehaar berichtete es uns. Willst du etwa sagen, du wußtest es nicht?«

Hazel fühlte sich ertappt. »Nun, dann weiß ich es jetzt«, erwiderte er. »Es freut mich, das zu hören.«

»So ist das also«, sagte Fiver. »Du bist gestern zu einer Farm gegangen und vor einer Katze geflohen. Und was immer du im Schilde geführt hast, du warst in Gedanken so sehr damit beschäftigt, daß du vergessen hast, gestern Abend nach Holly zu fragen.«

»Na schön, Fiver - ich sage dir alles. Ich nahm Pipkin mit und ging zu dieser Farm, von der Kehaar uns erzählt hat, wo Kaninchen in einem Stall sind. Ich fand die Kaninchen und redete mit ihnen, und ich habe größte Lust, eines Nachts zurückzugehen und sie herauszuholen, damit sie hierherkommen und sich uns anschließen.«

»Nun, zwei von ihnen sind Weibchen, dazu.«

»Aber wenn Holly Erfolg hat, werden wir bald reichlich Weibchen haben; und nach allem, was ich von Stallhasen gehört habe, gewöhnen die sich nicht leicht an das wilde Leben. Die Wahrheit ist, du versuchst nur, besonders schlau zu sein.«

»Besonders schlau zu sein?« sagte Hazel. »Nun, wir werden sehen, ob Bigwig und Blackberry auch so denken.«

»Du riskierst dein Leben und das anderer Kaninchen für etwas, das von geringem oder gar keinem Wert für uns ist«, sagte Fiver. »O ja, natürlich werden die anderen mitgehen. Du bist das Oberkaninchen. Du sollst entscheiden, was vernünftig ist, und sie vertrauen dir. Sie zu überreden wird nichts beweisen, aber drei oder vier tote Kaninchen werden beweisen, daß du ein Narr bist - wenn es zu spät ist.«

»Ach, sei still«, antwortete Hazel. »Ich will jetzt schlafen.«

Während silflay am anderen Morgen erzählte er, mit Pipkin als respektvollem Chor, den anderen von seinem Besuch auf der Farm. Wie er erwartet hatte, stürzte sich Bigwig förmlich auf die Idee eines Überfalles zur Befreiung der Stallhasen.

»Es kann nicht schiefgehen«, sagte er. »Es ist eine großartige Idee, Hazel! Ich weiß nicht, wie man einen Verschlag öffnet, aber Blackberry wird sich darum kümmern. Was mich ärgert, ist der Gedanke, daß du vor einer Katze davongelaufen bist. Ein gutes Kaninchen ist einer Katze jederzeit gewachsen. Meine Mutter griff einmal eine an, und sie gab ihr verdammt etwas zum Andenken, kann ich dir sagen, kratzte ihr Fell aus wie Weidenlaub im Herbst! Überlaß mir nur die Farmkatzen und eine oder zwei der anderen!«

Blackberry mußte etwas mehr überzeugt werden, aber er war, wie Bigwig und Hazel selbst, im geheimen enttäuscht, nicht mit Holly auf die Expedition gegangen zu sein, und als die anderen beiden darauf hinwiesen, daß sie sich beim Öffnen des Verschlages auf ihn verließen, stimmte er zu, mitzukommen.

»Müssen wir denn alle mitnehmen?« fragte er. »Du sagst, der Hund ist angebunden, und ich nehme an, es können nicht mehr als drei Katzen dasein. Zu viele Kaninchen werden im Dunkeln nur lästig sein; jemand wird sich verirren, und es kostet nur Zeit, ihn zu suchen.«

»Nun, dann Speedwell, Dandelion und Hawkbit«, sagte Bigwig, »und die anderen laß da. Hast du die Absicht, noch heute nacht zu gehen, Hazel-rah?«

»Ja, je eher, desto besser«, sagte Hazel. »Schnapp dir diese drei und sag es ihnen. Schade, daß es dunkel wird - wir hätten Kehaar mitnehmen können; er hätte seine Freude daran gehabt.«

Aber ihre Hoffnungen für diese Nacht wurden enttäuscht, denn der Regen kehrte vor der Abenddämmerung zurück. Es regnete sich unter einem Nordwestwind ein, der den süßsauren Geruch von blühendem Liguster aus den tiefer gelegenen Hecken auf den Hügel trug. Hazel saß auf der Böschung, bis das Licht ganz verblichen war. Schließlich, als es klar war, daß der Regen über Nacht anhalten würde, ging er zu den anderen in die Honigwabe. Sie hatten Kehaar überredet, aus Wind und Wetter herunterzukommen, und auf eine von Dandelions Geschichten von El-ahrairah folgte eine ungewöhnliche Erzählung, die jeden verblüffte, aber auch faszinierte. Sie handelte von einer Zeit, als Frith auf eine Reise gehen mußte und die ganze Welt von Regen bedeckt zurückließ. Ein Mann aber baute einen großen schwimmenden Verschlag, der alle Tiere und Vögel aufnahm, bis Frith zurückkam und sie herausließ.

»Heute nacht wird das nicht passieren, nicht wahr, Hazel-rah?« fragte Pipkin, auf den Regen in den Buchenblättern draußen horchend. »Hier gibt es keinen Verschlag.«

»Kehaar wird dich zum Mond hinauffliegen, Hlao-roo«, sagte Bluebell, »und du kannst auf Bigwigs Kopf heruntersegeln wie ein Birkenzweig im Frost. Aber zuerst wollen wir schlafen.«

Doch ehe Fiver einschlief, sprach er noch einmal mit Hazel über den Überfall.

»Ich nehme an, es hat keinen Zweck, dich zu bitten, nicht zu gehen«, sagte er.

»Hör mal zu«, antwortete Hazel, »hast du wegen der Farm eine deiner schlechten Vorahnungen? Wenn ja, warum sagst du's nicht geradeheraus? Dann wüßten wir alle, woran wir sind.«

»Wegen der Farm habe ich kein bestimmtes Gefühl«, sagte Fiver. »Aber das bedeutet noch lange nicht, daß es in Ordnung geht. Die Gefühle kommen, wann sie wollen - sie kommen nicht immer. Nicht für den lendri, nicht für den Raben. So habe ich zum Beispiel keine Ahnung, was Holly und den anderen zustößt. Es mag gut oder schlecht sein. Aber irgend etwas versetzt mich deinetwegen in Schrecken, Hazel- du bist es, nicht einer von den anderen. Du bist ganz allein scharf und klar wie ein toter Zweig gegen den Himmel abgezeichnet.«

»Nun, wenn du meinst, du könntest nur für mich und für keinen anderen Schwierigkeiten sehen, sag es ihnen, und ich überlasse es ihnen, zu entscheiden, ob ich mich heraushalten soll. Aber das würde mich eine Menge kosten, Fiver, weißt du? Selbst wenn dein Wort dahintersteht, muß man glauben, daß ich Angst habe.«

»Nun, meiner Meinung nach ist es nicht das Risiko wert, Hazel. Warum wartest du nicht ab, bis Holly zurückkommt? Das ist alles, was wir tun müssen.«

»Ich werde der Dumme sein, wenn ich auf Holly warte. Begreifst du nicht, daß es nur besonders darauf ankommt, die Weibchen hier zu haben, wenn er zurückkehrt? Aber Fiver, ich will dir was sagen. Ich traue dir in so hohem Maße, daß ich ganz besonders vorsichtig sein werde. Ich werde nicht selber in den Farmhof gehen. Ich bleibe draußen, am oberen Ende des Feldweges, und wenn das deinen Befürchtungen nicht halbwegs entgegenkommt, dann weiß ich nicht, was sonst.«

Fiver sagte nichts mehr, und Hazel beschäftigte sich in Gedanken mit dem Überfall und den Schwierigkeiten, die er voraussah, wenn es darum ging, die Stallhasen zu überreden, die Entfernung zum Gehege zurückzulegen.

Der nächste Tag war schön und trocken, mit einem frischen Wind, der die letzte Nässe wegtrocknete. Die Wolken rasten von Süden über den Kamm, wie damals an dem Maiabend, als Hazel zum ersten Mal auf die Hügel geklettert war. Aber jetzt waren sie höher und kleiner, bildeten schließlich einen Himmel voll Schäfchenwolken, der aussah wie ein Strand bei Ebbe. Hazel nahm Bigwig und Blackberry zum Rand der Böschung mit, von wo sie auf den kleinen Hügel von Nuthanger hinübersehen konnten. Er beschrieb den Hinweg und erklärte dann, wie man den Kaninchen-Verschlag finden konnte. Bigwig war in gehobener Stimmung. Der Wind und die Aussicht auf ein Unternehmen erregten ihn, und er verbrachte einige Zeit damit, vor Dandelion, Hawkbit und Speedwell so zu tun, als ob er eine Katze wäre, und ermutigte sie, ihn so realistisch wie möglich anzugreifen. Hazel, den die Unterhaltung mit Fiver etwas trübe gestimmt hatte, erholte sich, als er ihre Balgerei im Gras sah, und schloß sich ihnen sogar an, zuerst als Angreifer, dann als Katze, indem er genauso starrte und zitterte wie die gescheckte von Nuthanger.

»Ich werde ganz schön enttäuscht sein, wenn wir nach alldem auf keine Katze stoßen«, sagte Dandelion, als er darauf wartete, an die Reihe zu kommen, um zu einem gefallenen Buchenast zu rennen, ihn zweimal zu kratzen und wieder fortzuspringen. »Ich komme mir wie ein wirklich gefährliches Tier vor.«

»Du aufpassen, Miiister Dando«, sagte Kehaar, der im Gras in der Nähe auf Schneckenjagd war. »Miiister Pigwig, er macht euch denken, alles großer Spaß; macht euch tapfer. Katze, sie kein Spaß. Man sieht sie nicht, man hört sie nicht. Dann springen! Sie kommt.«

»Aber wir gehen nicht dahin, um zu fressen, Kehaar«, sagte Bigwig. »Das ist der große Unterschied. Wir werden nicht anhalten, um die ganze Zeit nach Katzen Ausschau zu halten.«

»Warum nicht die Katze fressen?« sagte Bluebell. »Oder eine zur Züchtung hierherbringen? Das müßte den Bestand im Gehege unglaublich verbessern.«

Hazel und Bigwig hatten beschlossen, daß der Überfall kurz nach Einbruch der Dunkelheit, wenn es auf der Farm still wurde, ausgeführt werden sollte. Das bedeutete, daß sie die halbe Meile zu den am Rande liegenden Scheunen bei Sonnenuntergang zurücklegen konnten, statt das Durcheinander einer Nachtreise über ein Gelände, das nur Hazel kannte, zu riskieren. Sie konnten ihr Futter zwischen den Steckrüben stehlen, bis zum Dunkelwerden haltmachen und die kurze Entfernung zur Farm nach einer guten Rast zurücklegen. Dann - vorausgesetzt, sie konnten mit den Katzen fertig werden - würde genug Zeit bleiben, den Verschlag in Angriff zu nehmen; wohingegen sie, wenn sie zur Frühdämmerung ankämen, gegen die Zeit arbeiten müßten, bevor Menschen auf den Schauplatz kämen. Außerdem würden die Stallhasen erst am anderen Morgen vermißt werden.

»Und vergiß nicht«, sagte Hazel, »diese Kaninchen werden wahrscheinlich lange für den Weg bis zu den Hügeln brauchen. Wir werden Geduld mit ihnen haben müssen. Ich würde es lieber in der Dunkelheit machen, elil hin, elil her. Wir wollen nicht im hellen Tageslicht herumbummeln.«

»Wenn alle Stricke reißen«, sagte Bigwig, »können wir die Stallhasen zurücklassen und uns aus dem Staub machen. Elil nehmen den hintersten, nicht? Ich weiß, es klingt hart, aber wenn wir Schwierigkeiten bekommen, sollten wir unsere eigenen Kaninchen zuerst retten. Doch hoffen wir, daß das nicht passiert.«

Als sie aufbrechen wollten, war Fiver nirgends zu sehen. Hazel war erleichtert, denn er hatte gefürchtet, daß Fiver vielleicht etwas sagen würde, das auf ihre Stimmung drückte. Aber sie sahen sich nichts Schlimmerem gegenüber als Pipkins Enttäuschung darüber, daß er zurückgelassen wurde; und die wurde zerstreut, als Hazel ihm versicherte, daß der einzige Grund dafür sei, daß er seinen Anteil schon geleistet habe. Bluebell, Acorn und Pipkin kamen mit ihnen zum Fuß des Hügels und sahen ihnen lange nach.

Sie erreichten die Schuppen im Zwielicht nach Sonnenuntergang. Der sommerliche Einbruch der Nacht war von Eulen ungestört und so ruhig, daß sie deutlich das periodische, monotone »Tschag, tschag, tschag« einer Nachtigall in den fernen Wäldern hören konnten. Zwei Ratten zwischen den Rüben bleckten die Zähne, überlegten es sich aber und ließen sie in Frieden. Als sie gefressen hatten, ruhten sie bequem im Stroh aus, bis das Licht aus dem Westen ganz erlosch.

Kaninchen benennen die Sterne nicht, aber trotzdem war Hazel mit dem Anblick der aufgehenden Kapella vertraut; und er beobachtete sie jetzt, bis sie golden und hell am dunklen nordöstlichen Horizont rechts von der Farm stand. Als sie einen von ihm bestimmten Punkt neben einem kahlen Ast erreicht hatte, rüttelte er die anderen auf und führte sie den Hang zu den Ulmen hinauf. Nahe dem Gipfel schlüpfte er durch die Hecke und brachte sie auf den Feldweg.

Hazel hatte Bigwig schon von seinem Versprechen Fiver gegenüber erzählt, daß er sich nicht in Gefahr begeben werde; und Bigwig, der sich im Vergleich zu früher sehr verändert hatte, fand daran nichts auszusetzen.

»Wenn Fiver das sagt, dann tu es lieber, Hazel!« sagte er. »Auf jeden Fall kommt es uns gelegen. Du hältst dich außerhalb der Farm an einem sicheren Ort auf, und wir bringen dir die Kaninchen heraus; und dann übernimmst du wieder die Führung und bringst uns alle weg.« Was Hazel nicht erwähnt hatte, war, daß der Gedanke, er solle auf dem Feldweg bleiben, sein eigener Vorschlag war und daß Fiver nur eingewilligt hatte, weil er ihn nicht überreden konnte, den Plan des Überfalls ganz und gar aufzugeben.

Sich unter einen abgefallenen Zweig am Rande des Feldweges duckend, beobachtete Hazel die anderen, als sie Bigwig zum Farmhof hinunter folgten. Sie gingen langsam, nach Kaninchenart - hopp, Schritt, Pause. Die Nacht war dunkel, und sie waren bald außer Sicht, obgleich er sie hören konnte, wie sie sich an der Seite der Scheune entlangbewegten. Er ließ sich nieder und wartete.

Bigwigs Hoffnungen auf einen Kampf wurden fast sofort erfüllt. Die Katze, auf die er stieß, als er das Ende der Scheune erreichte, war nicht Hazels gescheckte, sondern eine andere, rötlichgelb, schwarz und weiß (also ein Weibchen); eine dieser schlanken trottenden, sich schnell bewegenden, schwanzwedelnden Katzen, die im Regen auf FarmFenstersimsen sitzen oder an sonnigen Nachmittagen auf Säcken hocken und Wache halten. Sie kam flink um die Ecke der Scheune, sah die Kaninchen und blieb sofort stehen.

Ohne einen Augenblick zu zögern, ging Bigwig direkt auf sie zu, als handelte es sich um den Buchenast auf dem Hügel. Aber noch schneller als er stürzte Dandelion vor, kratzte sie und sprang weg. Als sie sich umdrehte, warf Bigwig sein volles Gewicht von der anderen Seite auf sie. Die Katze begann ein Handgemenge mit ihm, biß und kratzte, und Bigwig rollte über den Boden. Die anderen konnten ihn wie eine Katze fluchen hören und nach einem Halt suchen sehen. Dann senkte er einen Hinterlauf in die Flanke der Katze und schlug mehrere Male schnell rückwärts aus.

Jeder, der mit Katzen vertraut ist, weiß, daß sie auf einen entschlossenen Angreifer nicht besonders scharf sind. Ein Hund, der versucht, einer Katze gegenüber freundlich zu sein, kann sehr wohl für seine Bemühungen ein paar Kratzer abbekommen. Aber sollte derselbe Hund energisch auf sie losstürzen, so wird manch eine Katze den Angriff nicht erwidern. Die Farmkatze war durch die Schnelligkeit und die Wucht von Bigwigs Angriff verwirrt. Sie war kein Schwächling und ein guter Rattenfänger, aber sie hatte das Pech, einem entschlossenen Kämpfer gegenüberzustehen, der streitlustig war. Als sie aus Bigwigs Reichweite herauskrabbelte, knuffte Speedwell ihr ins Gesicht. Dies war der letzte Schlag; denn die verwundete Katze machte sich über den Hof davon und verschwand unter dem Zaun des Kuhstalls.

Bigwig blutete aus drei tiefen parallellaufenden Kratzern an der Innenseite des einen Hinterlaufes. Die anderen versammelten sich um ihn und lobten ihn, aber er fiel ihnen ins Wort, sah sich in dem dunklen Hof um und versuchte, sich zu orientieren.

»Los, los«, sagte er. »Und schnell, solange der Hund noch still ist. Der Schuppen, der Verschlag - wo geht es lang?«

Es war Hawkbit, der den kleinen Hof fand. Hazel war besorgt gewesen, die Schuppentür könnte vielleicht geschlossen sein, aber sie stand halb offen, und die fünf schlüpften einer nach dem anderen hinein. In der trüben Düsternis konnten sie den Verschlag nicht ausmachen, doch sie konnten die Kaninchen riechen und hören.

»Blackberry«, sagte Bigwig schnell, »du kommst mit mir und öffnest den Verschlag, ihr anderen drei paßt auf. Wenn noch eine Katze kommt, müßt ihr sie übernehmen.«

»Fein«, sagte Dandelion, »überlaß die nur uns.«

Bigwig und Blackberry fanden den Strohballen und kletterten auf die Bretter. Während sie das taten, sprach Boxwood sie aus dem Verschlag an.

»Wer ist da? Hazel-rah, bist du zurückgekommen?«

»Hazel-rah hat uns geschickt«, antwortete Blackberry. »Wir sind gekommen, dich herauszuholen. Wirst du mit uns kommen?«

Es trat eine Pause ein, und es entstand Bewegung im Heu, dann erwiderte Clover: »Ja, laß uns heraus.«

Blackberry schnupperte sich zur Drahttür hin und setzte sich auf, fuhr mit der Nase über den Rahmen, die Haspe und die Klampe. Er brauchte einige Zeit, bis er merkte, daß die Lederangeln weich genug waren, um durchgebissen zu werden. Dann entdeckte er jedoch, daß sie so glatt und dicht an dem Rahmen lagen, daß er sie nicht mit seinen Zähnen packen konnte. Mehrere Male versuchte er, einen Ansatz zu finden, und ließ sich schließlich verlegen auf seinem Gesäß nieder.

»Ich glaube nicht, daß mit dieser Tür etwas anzufangen ist«, sagte er. »Ich frage mich, ob es eine andere Möglichkeit gibt.«

In diesem Augenblick stellte Boxwood sich zufällig auf die Hinterläufe und stützte seine Vorderpfoten weiter oben gegen den Draht. Unter seinem Gewicht wurde die Tür leicht nach außen gedrückt, und die obere der beiden Lederangeln gab dort, wo der äußere Nagel sie am Verschlag hielt, geringfügig nach. Als Boxwood auf alle viere zurückfiel, sah Blackberry, daß die Angel sich verbogen hatte und aus dem Holz gehoben worden war.

»Versuch es jetzt«, sagte er zu Bigwig.

Bigwig setzte seine Zähne an der Angel an. Sie riß ein klein wenig ein.

»Bei Frith, das genügt«, sagte Blackberry genau wie der Herzog von Wellington bei Salamanca. »Wir brauchen bloß Zeit, das ist alles.«

Die Angel war gute Arbeit und gab erst nach, als sie noch ausgiebiger an ihr gezerrt und gebissen hatten. Dandelion wurde nervös und gab zweimal falschen Alarm. Bigwig, der merkte, daß die Wachtposten durch das tatenlose Aufpassen und Warten völlig zermürbt waren, tauschte mit ihnen den Platz und schickte Speedwell hinauf, um Blackberry abzulösen. Als Dandelion und Speedwell endlich den Lederstreifen vom Nagel gezogen hatten, kam Bigwig wieder zum Verschlag zurück. Aber sie schienen einem Erfolg nicht viel näher. Wann immer eines der Kaninchen drinnen aufstand und seine Vorderpfoten gegen den oberen Teil des Drahtes stützte, drehte sich die Tür leicht um die Achse der Klampe und der unteren Angel. Aber die untere Angel riß nicht. Bigwig blies vor Ungeduld durch den Backenbart und holte Blackberry von der Schwelle zurück. »Was kann man tun?« fragte er. »Wir brauchen irgendeinen Zaubertrick, wie dieses Holzstück, das du in den Fluß geschoben hast.«

Blackberry musterte die Tür, als Boxwood von innen wieder dagegen stieß. Der senkrechte Teil des Rahmens drückte gegen den unteren Lederstreifen, aber er hielt glatt und fest, bot keinen Ansatzpunkt für die Zähne.

»Stoßt in die andere Richtung - von vorn«, sagte er. »Du stößt, Bigwig. Sag dem Kaninchen drinnen, es soll heruntergehen.«

Als Bigwig aufstand und den oberen Teil der Tür nach innen drückte, drehte sich der Rahmen sofort viel weiter als vorher, weil sich an der Außenseite unten keine Schwelle befand, um ihn anzuhalten. Die Lederangel drehte sich, und Bigwig verlor fast das Gleichgewicht. Wenn die Metallklampe nicht gewesen wäre, um die Drehbewegung aufzuhalten, wäre er tatsächlich in den Verschlag hineingefallen. Verblüfft sprang er knurrend zurück.

»Nun, du sagtest, Zauber, nicht wahr?« sagte Blackberry mit Befriedigung. »Mach's noch mal.«

Kein Lederstreifen, der von einem einzigen flachköpfigen Nagel an jedem Ende festgehalten wird, kann lange wiederholtem Drehen widerstehen. Bald war einer der beiden Nagelköpfe unter den durchgescheuerten Rändern nicht mehr zu sehen.

»Vorsicht jetzt«, sagte Blackberry. »Wenn er plötzlich nachgibt, fliegst du hin. Zieh ihn einfach mit den Zähnen ab.«

Zwei Minuten später hing die Tür allein an der Klampe. Clover stieß die Angelseite auf und kam heraus, hinter ihm Boxwood.

Wenn mehrere Lebewesen - ob Menschen oder Tiere -gemeinsam an der Überwindung eines Widerstands gearbeitet haben, folgt oft eine Pause - als fänden sie es angemessen, dem Gegner, der einen so guten Kampf geliefert hat, ihre Achtung zu erweisen. Der große Baum fällt splitternd und krachend und rauscht in einem Blätterregen zum endgültigen zitternden Aufprall auf den Boden hinunter. Dann sind die Waldarbeiter still und setzen sich nicht gleich. Nach Stunden ist die tiefe Schneewehe weggeräumt, und der Lastwagen ist bereit, die Männer aus der Kälte nach Hause zu bringen. Aber sie stehen noch eine Weile auf ihre Spaten gestützt und nicken nur ernst, wenn die Autofahrer Dank winkend vorbeikommen. Aus der verflixten Verschlagtür war nichts anderes geworden als ein Stück Drahtnetz, an einem aus vier Leisten gemachten Rahmen befestigt; und die Kaninchen saßen auf den Brettern, beschnüffelten und witterten sie, ohne zu reden. Nach einer kleinen Weile kamen die anderen beiden Insassen des Verschlages, Laurel und Haystack, zögernd heraus und sahen sich um.

»Wo ist Hazel-rah?« fragte Laurel.

»Nicht weit«, sagte Blackberry. »Er wartet auf dem Feldweg.«

»Was ist der Feldweg?«

»Der Feldweg?« sagte Blackberry überrascht. »Aber bestimmt -«

Er hielt inne, als ihm einfiel, daß diese Kaninchen weder Feldweg noch Farmhof kannten. Sie hatten nicht die geringste Vorstellung von ihrer unmittelbaren Umgebung. Er dachte darüber nach, was dies bedeuten konnte, als Bigwig sprach.

»Wir dürfen hier nicht wartend herumstehen«, sagte er. »Folgt mir alle.«

»Aber wohin?« fragte Boxwood.

»Na, hinaus natürlich«, sagte Bigwig ungeduldig.

Boxwood sah sich um. »Ich weiß nicht -«, begann er.

»Nun, aber ich«, sagte Bigwig. »Kommt nur mit. Um alles andere braucht ihr euch nicht zu kümmern.«

Die Stallhasen sahen sich verwirrt an. Es war offensichtlich, daß sie vor dem großen hochfahrenden Rammler mit seinem eigenartigen Fellschopf und seinem Geruch nach frischem Blut Angst hatten. Sie wußten nicht, was sie tun sollten oder was von ihnen erwartet wurde. Sie erinnerten sich an Hazel; sie waren von dem Aufbrechen der Tür erregt gewesen und neugierig, hindurchzugehen, nachdem sie einmal offen war. Sonst aber hatten sie keinen Plan und keinerlei Mittel, einen zu entwickeln. Sie hatten nicht mehr Vorstellung, was damit verknüpft war, als ein kleines Kind, das sagt, es werde die Bergsteiger den Felsen hinaufbegleiten.

Blackberry sank das Herz. Was sollte er mit ihnen tun? Sich selbst überlassen, würden sie langsam um den Schuppen und im Hof herumhopsen, bis die Katzen sie erwischten. Aus eigenem Antrieb konnten sie ebensowenig zu den Hügeln rennen wie zum Mond fliegen. Gab es keine einfache, leicht verständliche Idee, die sie - oder wenigstens einige von ihnen - in Bewegung setzen würde? Er wandte sich an Clover.

»Ich nehme nicht an, daß ihr jemals bei Nacht Gras gefressen habt«, sagte er. »Es schmeckt viel besser als am Tage. Gehen wir alle und fressen ein bißchen, ja?«

»O ja«, sagte Clover, »das könnte mir gefallen. Aber wird es auch sicher sein? Wir haben alle große Angst vor den Katzen, weißt du? Sie kommen manchmal und starren uns durch den Draht an, und wir erzittern.«

Das zeigte wenigstens den Ansatz von gesundem Kaninchenverstand, dachte Blackberry.

»Das große Kaninchen nimmt es mit jeder Katze auf«, erwiderte er. »Er hat auf dem Weg hierher heute nacht beinahe eine umgebracht.«

»Und er möchte mit keiner mehr kämpfen, wenn er es vermeiden kann«, sagte Bigwig schnell. »Wenn ihr also beim Mondlicht Gras fressen wollt, dann gehen wir dahin, wo Hazel auf uns wartet.«

Als Bigwig in den Hof voranging, konnte er die Gestalt der vom Holzhaufen aus lauernden Katze ausmachen, die er geschlagen hatte. Nach Art aller Katzen war sie von den Kaninchen fasziniert und konnte sie nicht in Ruhe lassen, aber offenbar verspürte sie keine Neigung nach einem weiteren Kampf, und als sie den Hof überquerten, blieb sie, wo sie war.

Das Tempo war erschreckend langsam. Boxwood und Rover schienen begriffen zu haben, daß eine Art Dringlichkeit bestand, und taten offenbar alles, um Schritt zu halten, aber die anderen beiden Kaninchen setzten sich, nachdem sie einmal in den Hof gehopst waren, auf und sahen sich albern und in völligem Unverständnis um. Nach reichlicher Verzögerung, während welcher die Katze vom Holzhaufen heruntersprang und sich in aller Heimlichkeit auf die Seite des Schuppens zubewegte, gelang es Blackberry, sie in den Farmhof hinauszubringen. Aber hier, wo sie sich an einem noch ungeschützten Ort befanden, ließen sie sich in einer Art Gleichgewichtsstörung nieder, wie sie manchmal unerfahrene Bergsteiger befällt, die sich einer senkrechten Wand gegenübersehen. Sie konnten sich nicht bewegen, sondern saßen blinzelnd und in die Dunkelheit starrend da, nahmen keine Notiz von Blackberrys gutem Zureden oder Bigwigs Befehlen. In diesem Augenblick kam eine zweite Katze - Hazels gescheckte - um das andere Ende des Farmhauses herum und ging auf sie zu. Als sie an der Hundehütte vorbeikam, erwachte der Neufundländer und setzte sich auf, schob Kopf und Schultern hinaus und blickte zuerst nach der einen, dann nach der anderen Seite. Er sah die Kaninchen, rannte, soweit sein Strick reichte, und begann zu bellen.

»Kommt!« sagte Bigwig. »Wir können nicht hierbleiben. Den Feldweg hinauf, alle, und schnell!« Blackberry, Speedwell und Hawkbit rannten sofort los und nahmen Boxwood und Clover mit in die Dunkelheit unter der Scheune. Dandelion blieb neben Haystack, bat sie inständig, sich zu bewegen, und erwartete jeden Augenblick, die Katzenpfote in seinem Rücken zu fühlen. Bigwig sprang zu ihm hinüber.

»Dandelion«, sagte er ihm ins Ohr, »verschwinde, wenn du nicht getötet werden willst!«

»Aber die -«, begann Dandelion.

»Tu, was ich dir sage!« befahl Bigwig. Der Lärm des Hundegebells war schrecklich, und er selbst war einer Panik nahe. Dandelion zögerte noch einen Augenblick. Dann verließ er Haystack und raste den Feldweg neben Bigwig hinauf.

Sie fanden die anderen um Hazel versammelt unter der Böschung. Boxwood und Clover zitterten und schienen erschöpft. Hazel redete beruhigend auf sie ein, brach aber dann ab, als Bigwig aus dem Dunkel auftauchte. Der Hund hörte auf zu bellen, und es herrschte Ruhe.

»Wir sind alle da«, sagte Bigwig. »Sollen wir gehen, Hazel?«

»Aber es waren vier Stallhasen«, sagte Hazel. »Wo sind die anderen beiden?«

»Im Farmhof«, sagte Blackberry. »Wir konnten nichts mit ihnen anfangen, und dann begann der Hund zu bellen.«

»Ja, ich hörte es, sie sind also frei?«

»Die werden bald noch viel freier sein«, sagte Bigwig zornig. »Die Katzen sind da.«

»Warum hast du sie dann zurückgelassen?«

»Weil sie sich nicht rühren wollten. Es war schon schlimm genug, ehe der Hund anfing.«

»Ist der Hund angebunden?« fragte Hazel.

»Ja, er ist angebunden. Aber erwartest du von einem Kaninchen, ein paar Meter von einem bösen Hund entfernt die Stellung zu behaupten?«

»Nein, natürlich nicht«, erwiderte Hazel. »Du hast Wunder bewirkt, Bigwig. Sie haben mir, gerade bevor du kamst, erzählt, daß du eine der Katzen derart verhauen hast, daß sie sich nicht traute, zurückzukommen, um noch mehr Dresche zu beziehen. Jetzt hör zu, glaubst du, daß du zusammen mit Blackberry, Speedwell und Hawkbit diese beiden Kaninchen zum Gehege bringen kannst? Ich fürchte, du wirst beinahe die ganze Nacht dazu brauchen. Sie können nicht sehr schnell gehen, und du wirst Geduld mit ihnen haben müssen. Dandelion, du kommst mit mir, ja?«

»Wohin, Hazel-rah?«

»Die anderen beiden holen«, sagte Hazel. »Du bist der Schnellste, es wird also nicht gefährlich für dich sein, nicht wahr? Und jetzt lungere nicht herum, Bigwig, sei ein guter Junge. Auf Wiedersehen, bis morgen.«

Ehe Bigwig etwas erwidern konnte, war Hazel unter den Ulmen verschwunden. Dandelion blieb, wo er war, sah Bigwig unsicher an.

»Wirst du tun, was er sagt?« fragte Bigwig.

»Und du?« erwiderte Dandelion.

Bigwig brauchte nur einen Augenblick, um sich darüber klarzuwerden, daß ein totales Chaos ausbrechen würde, wenn er erklärte, er würde nicht tun, was Hazel sagte. Er konnte nicht alle anderen zur Farm zurückbringen, und er konnte sie nicht allein lassen. Er murmelte etwas, Hazel sei doch verdammt zu klug, schubste Hawkbit von einer Gänsedistel weg, an der er knabberte, und führte seine fünf Kaninchen über die Böschung ins Feld. Dandelion, allein gelassen, ging Hazel in den Farmhof nach.

Als er an der Scheunenseite entlangging, konnte er Hazel im Freien nahe dem Weibchen Haystack hören. Keiner der beiden Stallhasen hatte sich von der Stelle gerührt, wo er und Bigwig sie verlassen hatten. Der Hund war in seine Hütte zurückgegangen; aber obgleich er nicht zu sehen war, spürte Dandelion, daß er wach und wachsam war. Er kam vorsichtig aus dem Schatten heraus und ging auf Hazel zu.

»Ich habe gerade mit Haystack hier geplaudert«, sagte Hazel. »Ich habe erklärt, daß wir eine kleine Strecke zu gehen haben. Glaubst du, du könntest zu Laurel hinüberhopsen und ihn dazu bringen, sich uns anzuschließen?«

Er sprach beinahe fröhlich und unbekümmert, aber Dandelion konnte seine aufgerissenen Augen und das leichte Zittern seiner Vorderpfoten sehen. Er selbst bemerkte jetzt etwas Sonderbares - eine Art Leuchten - in der Luft. Es schien ein merkwürdiges Vibrieren irgendwo in der Ferne zu sein. Er blickte sich nach den Katzen um und sah, wie befürchtet, daß beide ein bißchen abseits vor dem Farmhaus hockten. Ihr Zögern, näher zu kommen, konnte Bigwig zugeschrieben werden, aber sie gingen nicht weg. Dandelion blickte zu ihnen über den Hof und wurde plötzlich von Schrecken gepackt.

»Hazel!« flüsterte er. »Die Katzen! Lieber Frith, warum funkeln ihre Augen so grün? Schau!«

Hazel setzte sich schnell auf, und gleichzeitig sprang Dandelion entsetzt zurück, denn Hazels Augen funkelten in der Dunkelheit in einem glühenden, tiefen Rot. Im selben Augenblick wurde das brummende Vibrieren lauter und übertönte das Rauschen der nächtlichen Brise in den Ulmen. Dann saßen alle vier Kaninchen, durch das plötzliche, blendende Licht, das sich wie ein Wolkenbruch über sie ergoß, wie versteinert da. Ihr Instinkt war von diesem furchtbaren Glanz wie betäubt. Der Hund bellte und wurde wieder still. Dandelion versuchte, sich zu bewegen, konnte aber nicht. Die schreckliche Helle schien ihm ins Gehirn zu dringen.

Der Wagen, der den Feldweg und über die Bergkuppe unter den Ulmen heraufgekommen war, fuhr noch ein paar Meter weiter und hielt.

»Lucys Kaninchen sind raus, schau!«

»Ah, bring sie schnellstens wieder zurück. Laß die Scheinwerfer an!«

Das Geräusch von Männerstimmen von irgendwo hinter dem grellen Licht brachte Hazel wieder zur Besinnung. Er konnte zwar nicht sehen, aber seinem Gehör oder seiner Nase war, wie er merkte, nichts geschehen. Er schloß die Augen und wußte sofort, wo er war.

»Dandelion! Haystack! Schließt eure Augen und lauft«, sagte er. Einen Augenblick später roch er die Flechte und die kühle Feuchtigkeit eines der Reitelsteine. Er befand sich unter der Scheune. Dandelion war neben ihm und ein bißchen weiter weg Haystack. Draußen scharrten und knirschten die Männerstiefel über die Steine.

»So ist's recht. Geh rum und hinterher.«

»Er wird nicht weit kommen!«

»Fang ihn dann ein!«

Hazel ging zu Haystack hinüber. »Ich fürchte, wir werden Laurel zurücklassen müssen«, sagte er. »Folge mir nur.«

Sich unter dem erhöhten Boden der Scheune haltend, flitzten alle drei zu den Ulmen hinüber. Die Männerstimmen blieben zurück. Als sie ins Gras nahe dem Feldweg hinauskamen, fanden sie die Dunkelheit hinter den Scheinwerfern voll von Auspuffgasen - ein feindlicher, erstickender Geruch, der ihre Verwirrung noch vergrößerte. Haystack setzte sich wieder hin und konnte nicht bewogen werden weiterzugehen.

»Sollten wir sie nicht hierlassen, Hazel-rah?« fragte Dandelion. »Schließlich werden ihr die Männer nichts tun -sie haben Laurel gefangen und ihn in den Verschlag zurückgebracht.«

»Wenn es ein Rammler wäre, würde ich ja sagen«, meinte Hazel. »Aber wir brauchen dieses Weibchen. Deshalb sind wir ja hergekommen.«

In diesem Augenblick witterten sie den Geruch von weißen Stengeln und hörten die Männer in den Farmhof zurückkehren. Man vernahm ein metallisches Geräusch, als sie im Wagen herumstöberten. Der Klang schien Haystack aufzurütteln. Sie sah sich nach Dandelion um.

»Ich möchte nicht in den Verschlag zurück«, sagte sie.

»Bist du sicher?« fragte Dandelion.

»Ja. Ich gehe mit dir.«

Dandelion drehte sich sofort zur Hecke um. Erst als er sie durchquert und den Graben dahinter erreicht hatte, merkte er, daß er sich auf der gegenüberliegenden Seite des Feldweges befand statt auf derjenigen, auf der sie sich zuerst genähert hatten. Er war in einem fremden Graben. Allerdings schien das nicht beunruhigend zu sein - der Graben führte den Hang hinunter, und das war der Heimweg. Langsam ging er ihn entlang und wartete darauf, daß Hazel sich anschlösse.

Hazel hatte den Feldweg ein paar Augenblicke nach Dandelion und Haystack überquert. Hinter sich hörte er, daß die Männer sich von dem hrududu entfernten. Als er die Böschung oben erreichte, strich der Strahl einer Taschenlampe über den Feldweg und machte seine roten Augen und seinen weißen, in der Hecke verschwindenden Schwanz aus.

»Da is'n wildes Kaninchen, schau!«

»Ah! Schätze, der Rest von unsern ist nicht weit weg. Werd' mal nachsehen.«

Im Graben überholte Hazel Haystack und Dandelion unter einem Dornengestrüpp.

»Weiter, weiter, schnell, wenn du kannst«, sagte er zu Haystack. »Die Männer sind genau hinter uns.«

»Wir können nicht weiter, Hazel«, sagte Dandelion, »ohne den Graben zu verlassen. Er ist blockiert.«

Hazel schnupperte voraus. Unmittelbar hinter dem Dornengestrüpp war der Graben mit einem Haufen Erde, Unkraut und Abfällen zugeschüttet. Sie würden ins Freie müssen. Schon hatten die Männer die Böschung überquert, und die Taschenlampe flimmerte an der Hecke auf und ab und durch die Dornenbüsche über ihren Köpfen. Dann vibrierten nur ein paar Meter entfernt Schritte am Grabenrand entlang. Hazel wandte sich an Dandelion.

»Hör zu«, sagte er, »ich renne jetzt über die Ecke des Feldes, von diesem Graben zum anderen, so daß sie mich sehen. Sie werden sicher versuchen, dieses Licht auf mich zu richten. Während sie das tun, kletterst du mit Haystack auf die Böschung, und ihr lauft über den Feldweg zu dem Steckrüben-Schuppen hinunter. Ihr könnt euch dort verstecken, und ich komme euch nach. Fertig?«

Es war keine Zeit für eine Widerrede. Einen Augenblick später brach Hazel beinahe unter den Füßen der Männer auf und rannte über das Feld.

»Da läuft es!«

»Halt die Taschenlampe drauf. Hübsch ruhig!«

Dandelion und Haystack krabbelten über die Böschung und ließen sich auf den Feldweg fallen. Hazel, den Strahl der Taschenlampe hinter sich, hatte den anderen Graben fast erreicht, als er einen harten Schlag an einem seiner Hinterläufe und einen heißen, stechenden Schmerz an der Seite fühlte. Der Knall der Patrone erklang einen Augenblick später. Als er, sich überschlagend, in einen Nesselhaufen auf dem Boden des Grabens fiel, erinnerte er sich lebhaft an den Geruch von Bohnenblüten bei Sonnenuntergang. Er hatte nicht gewußt, daß die Männer ein Gewehr hatten.

Hazel kroch durch die Nesseln und zog sein verwundetes Bein nach. In wenigen Augenblicken würden die Männer ihre Taschenlampen auf ihn richten und ihn schnappen. Er stolperte an der Innenwand des Grabens entlang und fühlte, wie ihm das Blut über die Pfote floß. Plötzlich wurde er sich eines Luftzugs an einer Seite seiner Nase, eines Geruchs nach etwas Feuchtem, Verfaultem und eines hohlen, widerhallenden Geräusches direkt an seinem Ohr bewußt. Er befand sich neben der Mündung eines Abzugskanals, der sich in den Graben leerte - ein glatter, kalter Tunnel, schmaler als ein Kaninchenloch, aber doch weit genug. Die Ohren flach an den Kopf gedrückt und den Bauch an den nassen Boden gepreßt, kroch er hinauf, einen kleinen Haufen dünnen Schmutzes vor sich herstoßend, und lag still, als er den dumpfen Schritt sich nähernder Stiefel spürte.

»Ich weiß nicht genau, ob du es getroffen hast oder nicht.«

»Na, ich hab' schon eins getroffen. Dis is' Blut da unten, siehst du?«

»Ach, dis bedeutet noch nichts. Es kann inzwischen schon weit fort sein. Schätze, du hast es verfehlt.«

»Ich schätze, es is' in diesen Nesseln.«

»Dann sieh nach.«

»Nein, is' es nicht.«

»Nun, wir könn' nicht die halbe verdammte Nacht hier rumsuchen. Mußten sie fangen, als sie aus 'm Verschlag kamen. Hättest nicht schießen sollen, John. Hast sie verschreckt, nich'? Kannst morgen noch mal suchen, ob es hier is'.«

Schweigen trat ein, aber Hazel lag immer noch bewegungslos in der flüsternden Kälte des Tunnels. Eine kalte Mattigkeit überfiel ihn, und er versank in eine träumende, träge Betäubung voller Krämpfe und Schmerz. Nach einer Weile begann ein Blutfaden über den Rand des Abzugsrohres in den zertrampelten, verlassenen Graben zu tröpfeln.

Bigwig, der dicht bei Blackberry im Stroh des Viehstalls hockte, sprang beim Geräusch des Schusses auf und floh zweihundert Meter den Feldweg hinauf. Er zügelte sich und wandte sich an die anderen.

»Rennt nicht!« sagte er schnell. »Wohin wollt ihr denn rennen? Hier sind keine Löcher.«

»Weg vom Gewehr«, erwiderte Blackberry mit aufgerissenen Augen.

»Warte!« sagte Bigwig horchend. »Sie laufen über den Feldweg. Könnt ihr sie nicht hören?«

»Ich kann nur zwei Kaninchen hören«, antwortete Blackberry nach einer Pause, »und eines klingt sehr erschöpft.«

Sie sahen sich an und warteten. Dann stand Bigwig wieder auf.

»Bleibt alle hier«, sagte er. »Ich gehe und hole sie herein.«

Draußen am Randstreifen fand er Dandelion, der die hinkende und verausgabte Haystack antrieb.

»Kommt schnell hier herein«, sagte Bigwig. »Um Friths willen, wo ist Hazel?«

»Die Männer haben ihn erschossen«, antwortete Dandelion.

Sie erreichten die anderen fünf Kaninchen im Stroh. Dandelion wartete ihre Fragen nicht ab.

»Sie haben Hazel erschossen«, sagte er. »Sie haben diesen Laurel gefangen und in den Verschlag zurückgebracht. Dann folgten sie uns. Wir drei waren am Ende eines blockierten Grabens. Hazel ging aus eigenem Antrieb hinaus, um ihre Aufmerksamkeit abzulenken, während wir entwischten. Aber wir wußten nicht, daß sie ein Gewehr hatten.«

»Bist du sicher, daß sie ihn getötet haben?« fragte Speedwell.

»Ich habe nicht direkt gesehen, daß er getroffen wurde, aber sie waren ganz dicht hinter ihm.«

»Warten wir lieber«, sagte Bigwig.

Sie warteten lange. Schließlich liefen Dandelion und Bigwig vorsichtig den Feldweg zurück. Sie fanden den Boden des Grabens zertrampelt und voller Blutspuren und kehrten zurück, um es den anderen zu erzählen.

Der Rückweg mit den drei hinkenden Stallhasen dauerte mehr als zwei beschwerliche Stunden. Alle waren niedergeschlagen und elend. Als sie endlich den Fuß des Hügellandes erreichten, bat Bigwig Blackberry, Speedwell und Hawkbit, sie zu verlassen und ins Gehege weiterzugehen. Sie näherten sich dem Gehölz gerade im ersten Licht, und ein Kaninchen rannte ihnen durchs nasse Gras entgegen. Es war Fiver. Blackberry blieb neben ihm stehen, während die anderen beiden schweigend weitergingen.

»Fiver«, sagte er, »schlechte Nachrichten. Hazel -«

»Ich weiß«, erwiderte Fiver. »Nun weiß ich es.«

»Wieso?« fragte Blackberry überrascht.

»Als ihr eben durch das Gras kamt«, sagte Fiver sehr leise, »war ein viertes Kaninchen hinter euch, hinkend und blutbedeckt. Ich rannte hin, um zu sehen, wer es war, und dann wart nur ihr drei nebeneinander da.«

Er verstummte und blickte über die Hügel hinüber, als wollte er immer noch das blutende Kaninchen suchen, das im Halblicht verschwunden war. Dann, als Blackberry nichts mehr sagte, fragte er:

»Weißt du, was passiert ist?«

Als Blackberry seinen Bericht erstattet hatte, kehrte Fiver ins Gehege zurück und ging in seinen leeren Bau hinunter. Etwas später brachte Bigwig die Stallhasen den Hügel herauf und rief sofort alle in der Honigwabe zusammen. Fiver erschien nicht.

Es war ein trostloses Willkommen für die Fremden. Nicht einmal Bluebell fand ein freundliches Wort. Dandelion war untröstlich, wenn er daran dachte, daß er Hazel hätte davon abhalten können, aus dem Graben auszubrechen. Das Treffen ging in ödem Schweigen und einem halbherzigen silflay zu Ende.

Am späten Vormittag kam Holly ins Gehege gehinkt.

Von seinen drei Begleitern war nur Silver munter und unversehrt. Buckthorn war im Gesicht verwundet, und Strawberry zitterte und war offensichtlich krank vor Erschöpfung. Sie hatten keine anderen Kaninchen bei sich.

26. Fiver


Auf dieser furchtbaren Reise, nachdem der Shaman durch dunkle Wälder und über große Bergketten gewandert ist,... erreicht er eine Öffnung im Boden. Die schwierigste Phase des Abenteuers beginnt jetzt. Die Tiefen der Unterwelt öffnen sich vor ihm.

Uno Harva, zitiert von Joseph Campbell in The Hero with a Thousand Faces


Fiver hatte sich auf dem Boden des Baus ausgestreckt. Die Downs lagen immer noch in der starken, hellen Nachmittagshitze. Tau und Sommerfäden waren früh von den Gräsern getrocknet, und die Finken vom Vormittag waren in Schweigen versunken. Über der weiten Fläche des borstigen Rasens zitterte die Luft. Auf dem Fußpfad, der an dem Gehege vorbeiführte, rieselten und glitzerten helle Lichtfäden wie Wasser - eine Luftspiegelung - über sehr kurzes, sehr weiches Gras. Aus der Ferne schienen die Bäume am Rande des Buchenhanges voll großer dichter Schatten, undurchdringlich für das geblendete Auge. Das einzige Geräusch war das »Zip, zip« der Heuschrecken, der einzige Geruch der nach warmem Thymian.

Im Bau schlief Fiver und erwachte durch die Hitze des Tages in unbehaglichem Gefühl, fuchtelte herum und kratzte sich, als die letzten Spuren von Feuchtigkeit aus der Erde über ihm austrockneten. Einmal, als pulverige Erde vorn Dach herunterrieselte, sprang er aus dem Schlaf auf und war schon in der Mündung des Laufes, ehe er zu sich kam und an seinen Platz zurückkehrte. Jedesmal, wenn er erwachte, erinnerte er sich an Hazels Fehlen und erlitt wieder die Qual der Erkenntnis, die ihn durchbohrt hatte, als das schattenhafte, hinkende Kaninchen im ersten Morgenlicht auf dem Hügelland verschwunden war. Wo war dieses Kaninchen jetzt? Wohin war es gegangen? Er begann, ihm auf den verschlungenen Pfaden seiner Gedanken über die kalte, taunasse Hügelkette und in den Frühnebel der darunterliegenden Wiesen zu folgen.

Der Nebel wirbelte um Fiver, als er durch Disteln und Nesseln kroch. Jetzt konnte er das hinkende Kaninchen vor sich nicht mehr sehen. Er war allein und hatte Angst und nahm doch alte, vertraute Geräusche und Gerüche wahr - die des Geländes, wo er geboren war. Das dichte Unkraut des Sommers war verschwunden. Er befand sich unter den kahlen Eschenästen und dem blühenden Schlehdorn des März. Er überquerte den Bach, ging den Hang hinauf zum Feldweg, zu der Stelle, wo Hazel und er auf die Anschlagtafel gestoßen waren. Ob die Tafel noch da war? Er blickte furchtsam den Hang hinauf. Die Sicht war vom Nebel verhangen, aber als er dem Gipfel näher kam, sah er einen Mann mit einem Haufen Werkzeugen beschäftigt - einem Spaten, einem Strick und anderen, kleineren Geräten, deren Verwendungszweck er nicht kannte. Die Anschlagtafel lag auf dem Boden. Sie war kleiner, als er sie in Erinnerung hatte, und an einem einfachen, langen viereckigen Pfosten befestigt, der am unteren Ende spitz zulief, um in die Erde gesteckt zu werden. Die Oberfläche der Tafel war weiß, genau, wie er es vorher gesehen hatte, und bedeckt mit scharfen schwarzen Linien wie Stöcke. Fiver kam zögernd den Hang hinauf und blieb dicht neben dem Mann stehen, der in ein tiefes, enges, zu seinen Füßen in den Boden gegrabenes Loch hinunterblickte. Der Mann drehte sich zu Fiver mit jener Liebenswürdigkeit um, die ein Ungeheuer seinem Opfer gegenüber zu zeigen pflegt, von dem beide wissen, daß er es töten und fressen wird, sobald es ihm paßt.

»Ha? Und was tue ich hier, hm?« fragte der Mann.

»Was tust du wirklich?« antwortete Fiver glotzend und vor Angst zuckend.

»Ich stell' die Anschlagtafel hier auf«, sagte der Mann. »Und ich nehm' an, du willst wissen, weshalb, hä?«

»Ja«, flüsterte Fiver.

»Es is' für den alten Hazel«, sagte der Mann. »Nur, wie es is', müssen wir ein bißchen 'ne Mitteilung aufstellen, seinetwegen, siehste? Und was glaubst du wohl, sagt sie, hä?«

»Ich weiß nicht«, erwiderte Fiver. »Wie - kann eine Tafel überhaupt etwas sagen?«

»Tja, aber sie tut's, siehste?« antwortete der Mann. »Da wissen wir was, was du nicht weißt. Deshalb bringen wir euch um, wenn es uns paßt. Jetzt mußte dir diese Tafel da genau ansehn, und dann wirste wahrscheinlich mehr wissen, als was de jetzt weißt.«

In dem fahlen, nebligen Zwielicht starrte Fiver die Tafel an. Als er hinstarrte, flimmerten die schwarzen Stöcke auf der weißen Oberfläche. Sie hoben ihre scharfen, keilförmigen kleinen Köpfe und plapperten miteinander wie ein Nest voll junger Wiesel. Der Ton, spöttisch und grausam, drang schwach an seine Ohren, wie durch Sand oder einen Sack gedämpft. »Zum Andenken an Hazel-rah! Zum Andenken an Hazel-rah! Zum Andenken an Hazel-rah! Ha ha ha ha ha!«

»Nun, das hätten wir, siehste?« sagte der Mann. »Und ich muß ihn an dieser Tafel hier aufhängen. Das heißt, sobald ich sie richtig aufgestellt hab'. Genau wie du hängen würdest, Tölpel. Ah! Ich werd' ihn aufhängen.«

»Nein!« rief Fiver. »Nein, das wirst du nicht!«

»Bloß, daß ich ihn nich' hab'«, fuhr der Mann fort. »Deshalb kann ich's nicht, Ich kann ihn nich' aufhängen, weil er in das verdammte Loch hinunter is', da is' er hin. Er is' das verdammte Loch hinunter, genau als ich ihn gesehen hatt' und so was alles, und ich kann ihn nicht rauskriegen.«

Fiver kroch bis zu den Stiefeln des Mannes hin und guckte in das Loch. Es war rund, ein Zylinder aus gebrannter Töpferware, der senkrecht im Boden verschwand. Er rief: »Hazel! Hazel!« Tief unten im Loch bewegte sich etwas, und er wollte schon wieder rufen, da bückte sich der Mann und schlug ihn zwischen die Ohren.

Fiver zappelte in einer dichten Wolke von weicher, pudriger Erde. Jemand sagte: »Ruhig, Fiver, ruhig!« Er setzte sich auf. Erde war in seinen Augen, Ohren und Nüstern. Er konnte nicht riechen. Er schüttelte sich und sagte: »Wer ist da?«

»Blackberry. Ich wollte sehen, wie es dir geht. Es ist alles in Ordnung; ein bißchen vom Dach ist herabgefallen, das ist alles. Es hat heute Einstürze im ganzen Gehege gegeben - es ist die Hitze. Auf jeden Fall hat es dich aus einem bösen Traum geweckt, wenn mich nicht alles trügt. Du hast um dich geschlagen und nach Hazel gerufen. Armer Fiver! Wie traurig, daß das passieren mußte! Wir müssen es, so gut wir können, tragen. Wir müssen alle eines Tages aufhören zu rennen. Man sagt, Frith kenne alle Kaninchen, jedes einzelne.«

»Ist es Abend?« fragte Fiver.

»Noch nicht, nein. Aber es ist gut nach ni-Frith. Holly und die anderen sind zurückgekommen. Strawberry ist sehr krank, und sie haben keine Weibchen mit - nicht eines. Alles ist so schlimm, wie es nur sein kann. Holly schläft noch - er war völlig erschöpft. Er sagte, er werde uns heute Abend berichten, was passiert ist. Als wir von dem armen Hazel erzählten, sagte er - Fiver, du hörst ja gar nicht zu. Ich nehme an, dir wäre es lieber, wenn ich still wäre.«

»Blackberry«, sagte Fiver, »kennst du die Stelle, wo Hazel erschossen wurde?«

»Ja, Bigwig und ich sahen uns den Graben an, ehe wir fortgingen. Aber du darfst nicht -«

»Könntest du jetzt mit mir hingehen?«

»Zurück? O nein. Es ist ein langer Weg, Fiver, und was würde es nützen? Das Risiko und diese furchtbare Hitze, und du würdest dich nur unglücklich machen.«

»Hazel ist nicht tot«, sagte Fiver.

»Doch, die Männer brachten ihn weg. Fiver, ich habe das Blut gesehen.«

»Ja, aber du hast nicht Hazel gesehen, weil er nicht tot ist, Blackberry. Du mußt tun, worum ich dich bitte!«

»Du verlangst zuviel.«

»Dann werde ich allein gehen müssen. Aber was ich dich zu tun bitte, ist, mitzukommen und Hazels Leben zu retten.«

Als Blackberry schließlich widerwillig nachgegeben hatte und sie sich den Hügel hinunter auf den Weg machten, lief Fiver fast so schnell, als renne er in Deckung. Immer wieder drängte er Blackberry, sich zu beeilen. Die Wiesen lagen leer in dem grellen Licht. Jedes Geschöpf, das größer als ein Brummer war, suchte Schutz vor der Hitze. Als sie die Außenschuppen neben dem Feldweg erreichten, erklärte Blackberry, wie er und Bigwig zurückgegangen waren, um zu suchen, aber Fiver unterbrach ihn.

»Wir müssen den Hang hinauf, das weiß ich, aber du mußt mir den Graben zeigen.«

Die Ulmen waren still - nicht der geringste Ton in den Blättern. Der Graben war voll von Wiesenkerbel, Schierling und langen Schweifen grünblühender Zaunrüben. Blackberry ging zu dem zertrampelten Nesselpfad voran, und Fiver saß still zwischen den Pflanzen, schnupperte und blickte sich schweigend um. Blackberry beobachtete ihn unglücklich. Ein leiser Windhauch stahl sich über die Wiesen, und eine Amsel begann von irgendwo hinter den Ulmen zu singen. Endlich bewegte sich Fiver über den Grabenboden. Die Insekten summten ihm um die Ohren, und plötzlich flog von einem vorstehenden Stein eine kleine Wolke aufgeschreckter Fliegen auf. Nein, kein Stein. Es war glatt und regelmäßig -eine kreisrunde Schnauze aus Steingut. Die braune Mündung eines Abflußrohrs, am unteren Rand durch einen dünnen, trockenen Blutfaden schwarz gefärbt: Kaninchenblut.

»Das blutige Loch!« flüsterte Fiver. »Das blutige Loch!« Er blickte in die dunkle Öffnung. Sie war blockiert. Blockiert von einem Kaninchen. Das konnte man deutlich riechen. Ein Kaninchen, dessen schwacher Puls in dem verschlossenen Tunnel gerade noch zu hören war. »Hazel?« fragte Fiver.

Blackberry war sofort neben ihm. »Was ist, Fiver?«

»Hazel ist in diesem Loch«, sagte Fiver, »und er lebt.«

27. »Du kannst es dir nicht vorstellen, wenn du nicht dagewesen bist«


My Godda bless, never I see sucha people.

Signor Piozzi, zitiert von Cecilia Thrale


In der Honigwabe warteten Bigwig und Holly darauf, die zweite Versammlung seit dem Verlust von Hazel zu eröffnen. Als die Luft kühler wurde, erwachten die Kaninchen und kamen, eines nach dem anderen, durch die Läufe, die von den kleineren Bauen herunterführten. Alle waren gedämpfter Stimmung und trugen Zweifel im Herzen. Wie der Schmerz einer schlimmen Wunde kommen die Folgen eines tiefen Schocks erst nach einer Weile zur Wirkung. Wenn man einem Kinde zum ersten Mal in seinem Leben sagt, daß jemand, den es gekannt hat, tot ist, wird es das zwar nicht bezweifeln, aber einfach nicht verstehen und später - oft mehr als einmal - fragen, wo die tote Person ist und wann sie zurückkommt. Als Pipkin in sich wie einen Baum die düstere Erkenntnis gepflanzt hatte, daß Hazel nie mehr wiederkehren würde, übertraf die Bestürzung seinen Schmerz, und er sah diese Bestürzung überall unter seinen Gefährten. Obwohl sie keiner Handlungskrise oder einer direkten Lebensbedrohung gegenüberstanden, waren die Kaninchen nichtsdestoweniger von der Überzeugung übermannt, daß ihr Glück sie verlassen hatte. Hazel war tot, und Hollys Expedition hatte vollkommen versagt. Was würde folgen?

Holly, hager und mit Kletten im borstigen Fell, sprach mit den drei Stallhasen und beruhigte sie, so gut er konnte. Niemand konnte jetzt sagen, Hazel habe sein Leben in einem verwegenen Streich weggeworfen. Die beiden Weibchen waren der einzige Gewinn, der einzige Wert des Geheges. Aber sie fühlten sich offensichtlich so unbehaglich in ihrer neuen Umgebung, daß auch Holly insgeheim der Meinung war, es sei wenig von ihnen zu erhoffen. Weibchen, die verwirrt und nervös sind, neigen dazu, unfruchtbar zu sein; und wie sollten diese Weibchen sich unter fremden Bedingungen und an einem Ort zu Hause fühlen, wo jedermann in so trostlose Gedanken verloren war? Sie würden vielleicht sterben oder fortwandern. Er stürzte sich darauf, zu versichern, daß bessere Zeiten kämen, und als er das tat, war er selbst von allen am wenigsten davon überzeugt.

Bigwig hatte Acorn geschickt, um die übrigen zu holen. Acorn kehrte zurück und sagte, Strawberry fühle sich zu schwach, und er könne weder Blackberry noch Fiver finden.

»Nun, laß Fiver«, sagte Bigwig. »Armer Junge, er wird eine Zeitlang lieber allein sein wollen, glaube ich.«

»Aber er ist nicht in seinem Bau«, sagte Acorn.

»Das macht nichts«, sagte Bigwig. Aber dann kam ihm ein Gedanke: »Fiver und Blackberry? Könnten sie das Gehege verlassen haben, ohne jemandem etwas zu sagen? Wenn ja, was passiert, wenn die anderen davon erfahren?« Ob er Kehaar bitten sollte, sie zu suchen, solange es noch hell war? Aber wenn Kehaar sie fand, was dann? Sie konnten nicht gezwungen werden zurückzukehren. Oder wenn sie gezwungen würden, was hätte das für einen Sinn, wenn sie fortwollten? In diesem Augenblick begann Holly zu sprechen, und alle wurden still.

»Wir wissen alle, daß wir in der Patsche sitzen«, sagte Holly, »und ich nehme an, daß wir uns sehr bald darüber werden unterhalten müssen, was am besten zu tun ist. Aber ich dachte, ich sollte euch zuallererst erzählen, wie es kommt, daß wir vier - Silver, Buckthorn, Strawberry und ich

- ohne Weibchen zurückgekommen sind. Ihr braucht mich nicht daran zu erinnere, daß bei unserem Aufbruch jedermann glaubte, es würde problemlos verlaufen. Und hier sind wir nun, ein Kaninchen krank, eines verwundet - und kein Gegenwert dafür. Ihr fragt euch alle, warum.«

»Niemand macht dir Vorwürfe, Holly«, sagte Bigwig.

»Ich weiß nicht, ob ich schuld habe oder nicht«, erwiderte Holly. »Aber das werdet ihr mir sagen, wenn ihr die Geschichte gehört habt.

Als wir an jenem Morgen aufbrachen, herrschte auf dem Marsch gutes Wetter für hlessil, und wir waren alle der Meinung, daß es keine Eile hätte. Es war kühl, erinnere ich mich, und es sah so aus, als ob es einige Zeit so bleiben würde, ehe der Tag wirklich hell und wolkenlos wurde. Nicht weit vom anderen Ende dieses Gehölzes entfernt liegt eine Farm, und obgleich so früh dort niemand auf den Beinen war, hatte ich keine Lust, diesen Weg zu gehen, also hielten wir uns auf höhergelegenem Gelände auf der Abendseite. Wir erwarteten alle, an den Rand des Hügellandes zu kommen, aber es gibt dort keinen steilen Rand wie im Norden. Das Hochland geht einfach immer weiter, offen, trocken und einsam. Es gibt genügend Deckung für Kaninchen - Getreide auf dem Halm, Hecken und Böschungen -, aber kein richtiges Waldland, nur große offene Wiesen leichten Bodens mit großen weißen Kieselsteinen. Ich hoffte, daß wir uns in einer Art Landschaft befinden würden, die wir kannten - Wiesen und Gehölze -, aber nein. Wie auch immer, wir fanden einen Pfad mit einer guten dichten Hecke auf der einen Seite und beschlossen, ihm zu folgen. Wir machten es uns leicht und hielten ziemlich oft an, weil ich darauf bedacht war, nicht auf elil zu stoßen. Ich glaube zwar, daß es für Wiesel und Füchse kein gutes Gelände ist, aber ich hatte keine Ahnung, was wir tun würden, wenn wir doch welche träfen.«

»Ich bin ziemlich sicher, daß wir dicht an einem Wiesel vorbeikamen«, sagte Silver. »Ich konnte es riechen. Aber du weißt ja, wie es mit elil ist - wenn sie nicht tatsächlich jagen, nehmen sie oft keine Notiz von einem. Wir hinterließen sehr wenig Geruch und vergruben unsere hraka, als wären wir Katzen.«

»Nun, vor ni-Frith«, fuhr Holly fort, »brachte uns der Pfad zu einem langen, lichten Gehölz, das über den Weg verlief, den wir gingen. Diese Unterland-Gehölze sind seltsam, nicht wahr? Dieses war nicht dichter als das hier über uns, aber es erstreckte sich in beiden Richtungen, soweit wir sehen konnten, in einer völlig geraden Linie. Ich mag gerade Linien nicht - die Menschen machen sie. Und tatsächlich fanden wir eine Straße neben diesem Gehölz. Es war eine sehr einsame, leere Straße, aber trotzdem. Ich wollte mich da nicht aufhalten, wir gingen also direkt durch das Gehölz hindurch und auf der anderen Seite hinaus. Kehaar erspähte uns in den Feldern dahinter und wies uns an, unsere Richtung zu ändern. Ich fragte ihn, wie wir vorwärts kämen, und er sagte, wir hätten ungefähr den halben Weg zurückgelegt; deshalb dachte ich, wir könnten ebensogut nach einem Nachtquartier suchen. Ins Freie wollte ich nicht, und schließlich machten wir Kratzer in den Boden einer kleinen Grube, die wir fanden. Dann hatten wir eine reichliche Mahlzeit und verbrachten die Nacht sehr ruhig.

Ich glaube nicht, daß wir euch alles über unsere Reise zu erzählen brauchen. Gleich nach dem Morgenfutter kam Regen auf, und es wehte ein häßlicher, kalter Wind; wir blieben also, wo wir waren, bis nach ni-Frith. Da hellte es sich auf, und wir gingen weiter. Wegen der Nässe kamen wir nicht sehr gut vorwärts, aber ich schätzte, daß wir am frühen Abend in der Nähe des Ortes sein mußten. Ich blickte mich um, als ein Hase durchs Gras kam, und ich fragte ihn, ob er von einem großen Gehege in der Nähe wisse.

>Efrafa?< fragte er. >Geht ihr nach Efrafa?<

>Wenn es so heißt<, antwortete ich.

>Kennt ihr es?<

>Nein<, sagte ich. >Wir wollen wissen, wo es ist.<

>Nun<, sagte er, >ich kann euch nur raten, fortzurennen, und zwar schnell.<

Ich fragte mich gerade, was ich davon halten sollte, als plötzlich drei große Kaninchen über die Böschung kamen, genau wie ich damals in jener Nacht, als ich dich verhaften wollte, Bigwig; und eines von ihnen sagte: >Kann ich eure Kennzeichen sehen?<

>Kennzeichen?< fragte ich. >Was für Kennzeichen? Ich verstehe nicht.<

>Ihr seid nicht von Efrafa?<

>Nein<, sagte ich, >wir sind auf dem Weg dahin. Wir sind Fremde.<

>Kommt mit.< Kein: Seid ihr von weit her? oder: Seid ihr durchnäßt? oder so etwas Ähnliches.

Dann nahmen uns diese drei Kaninchen also mit die Böschung hinunter, und so kamen wir nach Efrafa, wie sie es nennen. Und ich will versuchen, euch einiges darüber zu erzählen, damit ihr wißt, was für ein dreckiger kleiner Haufen triefnasiger Heckenkratzer wir sind.

Efrafa ist ein großes Gehege, viel größer als das, aus dem wir kamen - ich meine das des Threarah. Und die einzige Furcht eines jeden Kaninchens dort ist, daß die Menschen sie entdecken und sie mit der weißen Blindheit infizieren. Das ganze Gehege ist so organisiert, daß seine Existenz verborgen bleibt. Die Löcher sind alle versteckt, und die Owsla hat jedes Kaninchen am Ort unter Befehl. Du kannst dein Leben nicht dein eigen nennen, und als Gegenleistung hast du Sicherheit - wenn sie sie wert ist bei einem solchen Preis.

Außer der Owsla haben sie einen sogenannten Rat, und jedes der Ratskaninchen hat eine besondere Aufgabe zu erfüllen. Eines kümmert sich ums Fressen, ein anderes ist verantwortlich für die Art, wie sie sich verstecken, ein drittes kümmert sich um die Fortpflanzung und so weiter. Was die gewöhnlichen Kaninchen anlangt, so kann sich nur eine bestimmte Anzahl zur selben Zeit über der Erde aufhalten. Jedes Kaninchen wird als Junges gekennzeichnet; sie beißen sie - tief - unter dem Kinn oder in eine Keule oder Vorderpfote! Dann sind sie für den Rest ihres Lebens durch die Narbe zu identifizieren. Du darfst oberirdisch nicht angetroffen werden, wenn es nicht die richtige Tageszeit für dein Kennzeichen ist.«

»Wer soll einen daran hindern?« brummte Bigwig.

»Das ist der wirklich schreckenerregende Teil. Die Owsla - du kannst es dir nicht vorstellen, wenn du nicht dagewesen bist. Der Chef ist ein Kaninchen namens Woundwort -General Woundwort nennen sie ihn. Ich erzähle dir gleich mehr von ihm. Er hat drei Hauptleute unter sich - jeder hat ein Kennzeichen zu beaufsichtigen -, und jeder Hauptmann hat seine eigenen Offiziere und Wachen. Zu jeder Tages- und Nachtzeit ist ein Kennzeichen-Hauptmann mit seiner Truppe im Dienst. Wenn ein Mensch zufällig in die Nähe kommt, was nicht oft geschieht, geben die Posten rechtzeitig Alarm, lange ehe er so dicht herankommt, um etwas sehen zu können. Sie warnen auch vor elil. Sie hindern jeden, hraka fallen zu lassen, außer an bestimmten Stellen in den Gräben, wo sie vergraben wird. Und wenn sie ein Kaninchen oberirdisch sehen, das dort nichts zu suchen hat, fragen sie nach seinem Kennzeichen. Frith allein weiß, was passiert, wenn es sich nicht rechtfertigen kann - aber ich kann's mir ziemlich gut vorstellen. Kaninchen in Efrafa gehen oft tagelang nach oben, ohne Frith zu erblicken. Wenn sie ein Kennzeichen für Nacht-silflay haben, dann fressen sie bei Nacht, mag es naß oder schön, warm oder kalt sein. Sie sind alle gewohnt, sich in den unterirdischen Bauen zu unterhalten, zu spielen und sich zu paaren. Wenn ein Kennzeichen aus irgendeinem Grund nicht zur festgesetzten Zeit silflay gehen kann - sagen wir, ein Mensch arbeitet in der Nähe - Pech. Dann sind sie erst wieder am nächsten Tag an der Reihe.«

»Aber sicherlich verändert sie ein solches Leben sehr stark?« fragte Dandelion.

»In der Tat, sehr«, erwiderte Holly. »Die meisten von ihnen können nichts tun, außer was ihnen gesagt wird. Sie waren nie außerhalb von Efrafa und haben nie einen Feind gerochen. Das einzige Ziel eines jeden Kaninchens in Efrafa ist es, in die Owsla zu kommen, wegen der Sonderrechte und Vergünstigungen; und das einzige Ziel von jedem in der Owsla ist es, in den Rat zu kommen. Der Rat hat das Beste vom Besten. Aber die Owsla müssen sich sehr stark und widerstandsfähig halten. Sie tun der Reihe nach Dienst in der Weiten Patrouille. Sie gehen aufs Land hinaus - um das ganze Gehege herum - und leben mehrere Tage im Freien. Zum Teil, um soviel herauszufinden, wie sie können, zum Teil, um sie zu trainieren und sie zäh und schlau zu machen. Wenn sie hlessil finden, dann bringen sie sie nach Efrafa. Wenn sie nicht mitkommen wollen, töten sie sie. Sie halten hlessil für eine Gefahr, weil sie die Aufmerksamkeit von Menschen auf sich ziehen könnten. Die Weiten Patrouillen machen Meldung bei General Woundwort, und der Rat entscheidet, was mit allem Neuen, das vielleicht gefährlich sein könnte, geschehen soll.«

»Sie haben euch also beim Anmarsch verfehlt?« fragte Bluebell.

»O nein! Wir erfuhren später, daß einige Zeit, nachdem wir von diesem Kaninchen, Hauptmann Campion, aufgegriffen worden waren, ein Läufer von einer Weiten Patrouille ankam, der meldete, daß sie die Fährte von drei oder vier Kaninchen, die sich von Norden Efrafa näherten, ausgemacht hätten und ob man irgendwelche Befehle hätte? Er wurde zurückgeschickt mit dem Bescheid, daß wir unter Kontrolle stünden.

Auf jeden Fall nahm uns dieser Hauptmann Campion in ein Loch im Graben hinunter. Die Mündung des Loches bestand aus einem Stück alten Töpferrohrs, und wenn ein Mensch es herausgezogen hätte, wäre die Öffnung eingestürzt und hätte keine Spur von dem Lauf drinnen verraten. Dort übergab er uns einem anderen Hauptmann, weil er für den Rest seines Dienstes nach oben zurück mußte. Man führte uns in einen großen Bau und sagte uns, wir sollten es uns bequem machen.

Es befanden sich noch andere Kaninchen in dem Bau, und durch Zuhören und Fragenstellen erfuhr ich das meiste von dem, was ich euch erzählt habe. Wir unterhielten uns mit einigen Weibchen, und ich schloß Freundschaft mit einem namens Hyzenthlay[10]. Ich erzählte ihr von unserem Problem hier und warum wir gekommen waren, und dann erzählte sie uns von Efrafa. Als sie geendet hatte, sagte ich: >Es hört sich entsetzlich an. Ist das immer so gewesen?< Sie sagte, nein, ihre Mutter hätte ihr erzählt, daß in früheren Jahren das Gehege woanders und viel kleiner gewesen wäre, aber als General Woundwort kam, ließ er sie nach Efrafa ziehen, und dann arbeitete er dieses ganze Verstecksystem aus und vervollkommnete es, bis alle Kaninchen in Efrafa so sicher waren wie die Sterne am Himmel.

>Die meisten Kaninchen sterben hier an Altersschwäche, es sei denn, die Owsla beseitigt sie<, sagte sie. >Aber das Problem ist, daß es mehr Kaninchen gibt, als ein Gehege fassen kann. Jedes frische Graben, das genehmigt wird, ist unter Owsla-Überwachung durchzuführen, und sie tun es furchtbar langsam und sorgfältig. Es muß alles versteckt werden, weißt du? Wir sind überfüllt, und viele Kaninchen gehen nicht so oft nach oben, wie es nötig wäre. Und aus irgendeinem Grund gibt es nicht genug Rammler und zu viele Weibchen. Eine Menge von uns haben festgestellt, daß wir wegen der Überfüllung keinen Wurf austragen können, aber niemandem wird je die Erlaubnis erteilt zu gehen. Erst vor ein paar Tagen sind mehrere von uns Weibchen zum Rat gegangen und haben gefragt, ob wir eine Expedition bilden könnten, um woanders ein neues Gehege einzurichten. Wir sagten, wir würden weit, weit weggehen - so weit weg, wie sie wünschten. Aber sie wollten nichts davon hören - unter keinen Umständen. Die Dinge können nicht so weitergehen -das System bricht zusammen. Aber man kann nicht laut darüber reden.<

Nun, ich dachte, das klingt hoffnungsvoll. Sicherlich werden sie nichts gegen unsere Vorschläge einzuwenden haben. Wir wollen nur ein paar Weibchen und keine Rammler mitnehmen. Sie haben mehr Weibchen, als Platz für sie vorhanden ist, und wir wollen sie weiter wegbringen, als irgend jemand je gewesen sein kann.

Etwas später kam ein anderer Hauptmann und sagte, wir sollten zu einer Ratssitzung mitkommen.

Der Rat trat in einem großen Bau zusammen, der lang und ziemlich eng ist - nicht so gut wie unsere Honigwabe, weil sie keine Baumwurzeln haben, um ein breites Dach zu bauen. Wir mußten draußen warten, während sie alle möglichen Dinge besprachen. Wir waren nur ein Teil der täglichen RatsRoutine: >Fremde aufgegriffen.< Mit uns wartete noch ein anderes Kaninchen, das unter besonderer Bewachung stand -Owslafa nennen sie sie: die Ratspolizei. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der sich so fürchtete - ich glaubte, es würde verrückt vor Angst. Ich fragte einen dieser Owslafa, was denn los sei, und er sagte, daß dieses Kaninchen, Blackavar, erwischt worden sei, als es versuchte, aus dem Gehege auszubrechen. Nun, sie brachten es hinein, und zuerst hörten wir, wie der arme Kerl versuchte, sich zu rechtfertigen, und dann weinte er und bat um Gnade, und als er herauskam, hatten sie ihm beide Ohren in Fetzen gerissen, schlimmer als das eine hier von mir. Wir alle beschnupperten ihn, von Grauen gepackt; aber einer der Owslafa sagte: >Ihr braucht kein solches Getue zu machen. Der hat noch Glück gehabt, daß er lebt.< Während wir noch darüber nachgrübelten, kam jemand heraus und sagte, der Rat sei bereit.

Sobald wir drin waren, wurden wir vor diesem General Woundwort aufgestellt, und er ist wahrhaftig ein grausamer Bursche. Ich glaube, daß nicht einmal du ihm gewachsen wärest, Bigwig. Er ist beinahe so groß wie ein Hase, und in seiner bloßen Anwesenheit liegt etwas, das dich einschüchtert, als ob Blut und Kampf und Töten für ihn nur Teil seiner täglichen Arbeit wären. Ich dachte, er würde uns einige Fragen stellen, wer wir seien und was wir wünschten, aber er tat nichts dergleichen. Er sagte: >Ich werde euch die Vorschriften des Geheges und die Bedingungen erklären, unter denen ihr hier leben werdet. Ihr müßt sorgfältig zuhören, weil die Vorschriften einzuhalten sind und jede Verletzung bestraft wird.< Worauf ich sofort freiheraus sprach und sagte, daß ein Mißverständnis vorliegen müsse. Wir seien eine Gesandtschaft, sagte ich, kämen aus einem anderen Gehege und bäten Efrafa um eine Gefälligkeit und Hilfe. Und ich fuhr fort und erklärte, wir wollten nur ihre Zustimmung dafür, daß wir ein paar Weibchen überredeten, mit uns zu kommen. Als ich geendet hatte, sagte General Woundwort, das käme gar nicht in Frage - es gäbe nichts zu besprechen. Ich erwiderte, wir würden gerne ein paar Tage bei ihnen bleiben und sie zu überzeugen versuchen, sich eines anderen zu besinnen.

>O ja<, sagte er, >ihr werdet bleiben. Aber ihr werdet keine Gelegenheit mehr haben, die Zeit des Rats in Anspruch zu nehmen - jedenfalls nicht in den nächsten paar Tagen.<

Ich sagte, das wäre sehr hart. Unsere Bitte wäre gewiß vernünftig. Und ich war eben im Begriff, sie zu bitten, die Dinge doch von unserem Gesichtspunkt aus zu betrachten, als einer der Räte - ein sehr altes Kaninchen - sagte: >Ihr scheint zu denken, daß ihr hier seid, um mit uns zu argumentieren und zu feilschen. Aber wir sind diejenigen, die euch sagen, was ihr zu tun habt.<

Ich sagte, sie sollten nicht vergessen, daß wir ein anderes Gehege repräsentierten, selbst wenn es kleiner wäre als das ihrige. Wir hielten uns für ihre Gäste. Und erst als ich das gesagt hatte, wurde mir mit einem schrecklichen Schock klar, daß sie uns für ihre Gefangenen hielten - oder so gut wie Gefangene, wie immer sie es nennen mochten.

Nun, ich würde am liebsten über den Ausgang dieser Sitzung schweigen. Strawberry versuchte alles, um mir zu helfen. Er sprach sehr gut über die den Tieren angeborene Wohlanständigkeit und Kameradschaft. >Tiere verhalten sich nicht wie Menschen<, sagte er. >Wenn sie kämpfen müssen, kämpfen sie; und wenn sie töten müssen, töten sie. Aber sie setzen sich nicht hin und strengen ihren Verstand an, um Mittel und Wege zu ersinnen, anderen Geschöpfen das Leben sauer zu machen und sie zu verletzen. Sie haben Würde und Tierhaftigkeit.<

Aber es hatte alles keinen Zweck. Schließlich schwiegen wir, und General Woundwort sagte. >Der Rat kann jetzt keine Zeit mehr für euch erübrigen, und ich werde es eurem Kaninchen-Hauptmann überlassen, euch die Vorschriften zu erklären. Ihr werdet euch dem Rechte-Flanke-Kennzeichen unter Hauptmann Bugloss anschließen. Später werden wir euch Wiedersehen, und ihr werdet uns höchst freundlich und hilfreich Kaninchen gegenüber finden, die begreifen, was von ihnen erwartet wird.<

Worauf die Owsla uns hinausführte, damit wir uns dem >Rechte-Flanke<-Zeichen anschlossen. Offenbar war Hauptmann Bugloss zu beschäftigt, um uns zu empfangen, und ich trug Sorge, ihm aus dem Weg zu gehen, weil ich dachte, er würde uns vielleicht auf der Stelle kennzeichnen. Aber bald begann ich zu verstehen, was Hyzenthlay gemeint hatte, als sie sagte, daß das System nicht mehr richtig funktioniere. Die Baue waren überfüllt - jedenfalls für unsere Begriffe. Es war leicht, der Aufmerksamkeit zu entgehen. Selbst Kaninchen eines Kennzeichens kennen sich nicht alle. Wir fanden Plätze in einem Bau und versuchten zu schlafen, aber mitten in der Nacht wurden wir geweckt und zu silflay befohlen. Ich dachte, es bestünde vielleicht die Möglichkeit, im Mondlicht Reißaus zu nehmen, aber überall schienen Posten zu sein. Und außer den Wachtposten behielt der Hauptmann zwei Läufer bei sich, deren Aufgabe es war, sofort in jede Richtung loszuflitzen, aus der Alarm gegeben wurde.

Als wir gefressen hatten, gingen wir wieder hinunter. Beinahe alle Kaninchen waren unterjocht und gefügig. Wir mieden sie, denn wir hatten die Absicht, zu fliehen, sobald wir konnten, und wir wollten nicht bekannt werden. Aber wie sehr ich mich auch anstrengte, mir fiel kein Plan ein.

Anderentags fraßen wir wieder einige Zeit vor ni-Frith, und dann ging es wieder nach unten. Die Zeit schleppte sich entsetzlich dahin. Schließlich - es muß bei Einbruch der Dämmerung gewesen sein - schloß ich mich einer kleinen Kaninchengruppe an, die eine Geschichte hörte. Und wißt ihr, was es war? >Der Salat des Königs.< Das Kaninchen, das sie erzählte, kam nicht im entferntesten an Dandelion heran, aber ich hörte trotzdem zu, einfach um etwas zu tun. Und als die Stelle kam, wo El-ahrairah sich verkleidet und vorgibt, der Doktor in König Darzins Palast zu sein, da hatte ich plötzlich eine Idee. Sie war sehr riskant, aber ich dachte, vielleicht funktioniert sie, einfach weil jedes Kaninchen in Efrafa tut, was man ihm sagt, ohne Fragen zu stellen. Ich hatte Hauptmann Bugloss beobachtet, und er schien mir ein netter junger Kerl zu sein, gewissenhaft und ein bißchen schwach und ziemlich geplagt, weil er mehr zu tun hatte, als er bewältigen konnte.

In jener Nacht, als wir zu silflay gerufen wurden, war es stockdunkel und regnete; man macht sich in Efrafa über so eine geringfügige Sache keine Sorgen - man ist nur froh, hinauszugelangen und etwas zum Fressen zu bekommen. Alle Kaninchen versammelten sich, und wir warteten bis zuletzt. Hauptmann Bugloss war mit zwei seiner Wachtposten draußen auf der Böschung, und die anderen gingen vor mir hinaus, und dann kam ich keuchend heran, als ob ich gerannt wäre. >Hauptmann Bugloss?<

>Ja<, sagte er. >Was ist?<

>Du sollst sofort zum Rat kommen.<

>Wieso, was soll das heißen?< fragte er. >Weshalb?<

>Sicher werden sie dir das sagen, wenn sie dich sehen<, antwortete ich. >Ich würde sie nicht warten lassen, wenn ich du wäre.<

>Wer bist du?< fragte er. >Du bist keiner von den RatsLäufern. Ich kenne sie alle. Was für ein Erkennungszeichen bist du?<

>Ich bin nicht hier, um Fragen zu beantworten^ sagte ich. >Soll ich zurückgehen und ihnen sagen, daß du nicht kommen wirst?<

Er sah unschlüssig aus, und ich tat so, als ob ich ginge. Dann aber sagte er ganz plötzlich: >Na schön< - er sah schrecklich ängstlich aus, der arme Kerl -, >aber wer übernimmt hier die Führung während meiner Abwesenheit?<

>Ich<, sagte ich. >Auf Befehl von General Woundwort! Aber komm bald wieder zurück. Ich möchte nicht die halbe Nacht hier herumlungern und deine Arbeit machen.< Er flitzte davon. Ich wandte mich an die anderen zwei. >Bleibt hier und aufgepaßt! Ich gehe die Wachtposten kontrollierend

Nun, dann rannten wir vier in die Dunkelheit davon und wahrhaftig, wir waren ein kleines Stück gelaufen, da tauchten plötzlich zwei Posten auf und versuchten uns anzuhalten. Wir prallten direkt mit ihnen zusammen. Ich glaubte, sie würden ausreißen, aber nein. Sie kämpften wie besessen, und einer von ihnen zerkratzte Buckthorn die ganze Nase. Aber schließlich waren wir zu viert; und am Ende konnten wir durchbrechen und rasten einfach über das Feld. Wir hatten keine Ahnung, wohin wir in dem Regen und der Dunkelheit liefen, wir rannten nur. Ich glaube, die Verfolgung kam etwas langsam und nicht energisch genug in Gang, weil der arme alte Bugloss nicht da war, um Befehle zu geben. Auf jeden Fall hatten wir einen guten Vorsprung. Doch bald darauf konnten wir hören, daß man uns folgte, und - was noch schlimmer war - wir wurden eingeholt.

Die Efrafa-Owsla sind kein Spaß, glaubt mir. Sie werden alle nach Größe und Stärke ausgesucht, und sie wissen genau, wie man sich bei Nässe und Dunkelheit bewegt. Sie haben alle eine solche Angst vor dem Rat, daß sie sonst nichts auf der Welt fürchten. Es dauerte nicht lange, bis ich wußte, daß wir in Schwierigkeiten waren. Die Patrouille, die hinter uns her war, konnte uns in der Dunkelheit und im Regen schneller folgen, als wir weglaufen konnten, und nach kurzer Zeit waren sie dicht hinter uns. Ich wollte gerade den anderen sagen, daß uns nichts anderes übrigbliebe, als kehrtzumachen und zu kämpfen, als wir an eine große steile Böschung kamen, die beinahe senkrecht anstieg. Sie war steiler als dieser Hügel unter uns hier, und der Hang schien regelmäßig, als ob er von Menschen gemacht wäre.

Nun, es blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, wir kletterten also hinauf. Die Böschung war mit hartem Gras und Büschen bedeckt. Ich weiß nicht genau, wie weit es bis ganz nach oben war, aber ich schätze, daß sie so hoch wie eine ausgewachsene Eberesche war - vielleicht noch ein bißchen höher. Als wir nach oben kamen, befanden wir uns auf kleinen hellen Steinen, die rutschten, als wir darüberliefen. Das verriet uns vollends. Dann stießen wir auf breite, flache Holzstücke und zwei große festgemachte Stangen aus Metall, die ein Geräusch von sich gaben - eine Art tiefen, summenden Ton in der Finsternis. Ich sagte gerade zu mir: >Das ist natürlich von Menschen gemacht<, als ich auf der anderen Seite hinunterfiel. Ich hatte nicht gemerkt, daß der ganze Gipfel der Böschung nur sehr schmal und die andere Seite genauso steil war. Ich sauste kopfüber in der Dunkelheit die Böschung hinunter und kam an einem Holunderbusch zum Halten - und da lag ich.«

Holly hielt inne und schwieg, als ob er darüber nachsänne, woran er sich erinnerte. Schließlich sagte er:

»Es wird sehr schwer sein, euch zu schildern, was sich als nächstes zutrug. Obgleich wir alle vier dabei waren, begreifen wir es nicht. Aber was ich jetzt erzählen werde, ist die reine Wahrheit. Der Allmächtige Frith schickte einen seiner großen Boten, um uns vor der Efrafa-Owsla zu retten. Jeder von uns war da oder dort über den Rand der Böschung gefallen. Buckthorn, der halb blind von seinem eigenen Blut war, fiel beinahe bis zum Fuß des Abhangs hinunter. Ich rappelte mich auf und blickte zum Gipfel zurück. Es war gerade genügend Licht am Himmel, um die Efrafas sehen zu können, wenn sie herüberkamen. Und dann - dann kam ein riesiges Ding - ich kann euch keine Vorstellung davon geben: so groß wie tausend hrududil - größer - aus der Nacht herangerast. Es war voll Feuer und Rauch und Licht, und es brüllte und schlug auf die Metallstangen, bis der Boden darunter bebte. Es fuhr zwischen uns und die Efrafas wie tausend Gewitter mit Blitzen. Ich sage euch, ich war außer mir vor Furcht. Ich konnte mich nicht bewegen. Das Blitzen und der Lärm zerfetzten die Nacht. Ich weiß nicht, was mit den Efrafas passierte: Entweder rannten sie davon, oder es schlug sie nieder. Und dann plötzlich war es fort, und wir hörten es verschwinden, Rattern und Krach, Rattern und Krach, weit weg in der Ferne. Wir waren ganz allein.

Lange konnte ich mich nicht bewegen. Schließlich stand ich auf und fand nacheinander die anderen in der Dunkelheit. Keiner sagte ein Wort. Am Fuß des Hangs entdeckten wir eine Art Tunnel, der von einer Seite der Böschung zur anderen führte. Wir krochen hinein und kamen auf der anderen Seite wieder heraus, wo wir hinaufgeklettert waren. Dann liefen wir lange durch die Felder, bis ich schätzte, daß wir Efrafa weit hinter uns gelassen hatten. Wir krochen in einen Graben und schliefen dort bis zum Morgen. Es gab keinen Grund, warum nicht irgend etwas hätte kommen und uns töten können, und trotzdem wußten wir, daß wir sicher waren. Ihr mögt glauben, daß es eine wunderbare Sache ist, von dem Allmächtigen Frith gerettet zu werden - ich frage mich, wie vielen Kaninchen das widerfahren ist -, aber ich sage euch, es war viel furchterregender, als von den Efrafas gehetzt zu werden. Keiner von uns wird je vergessen, wie er im Regen auf dieser Böschung lag, während das Feuergeschöpf über unseren Köpfen vorbeifuhr. Warum kam es unsertwegen? Das ist mehr, als wir je wissen werden.

Am nächsten Morgen blickte ich mich ein bißchen um und wußte bald, welche Richtung wir einschlagen mußten. Ihr wißt ja, wie man sie immer findet. Es hatte aufgehört zu regnen, und wir machten uns auf den Weg. Wir waren lange vor dem Ende erschöpft - alle außer Silver; ich weiß nicht, was wir ohne ihn getan hätten. Wir alle wollten so bald wie möglich hierher zurückkehren. Als ich das Gehölz heute morgen erreichte, hinkte ich bloß noch wie in einem schlechten Traum dahin. Ich fürchte, mir geht es kaum viel besser als dem armen alten Strawberry. Er beklagte sich nie, aber er wird lange Ruhe brauchen, und ich glaube, ich auch. Und Buckthorn hat jetzt seine zweite böse Wunde. Aber das ist nicht das Schlimmste, nicht wahr? Wir haben Hazel verloren - das Schlimmste, was passieren konnte. Einige von euch haben mich heute Abend gefragt, ob ich Oberkaninchen sein möchte. Es freut mich, daß ihr mir vertraut, aber ich bin total erledigt und kann es unmöglich gleich übernehmen. Ich fühle mich so trocken und leer wie ein Bofist im Herbst - als ob der Wind mein Fell fortblasen könnte.«

28. Am Fuße des Hügels


Wunderbar glücklich war es, allein Zu sein und doch nicht einsam.

O aus Terror und Dunkelheit In die Sicht der Heimat zu kommen.

Walter de la Mare The Pilgrim


»Du bist nicht zu müde für silflay, oder?« fragte Dandelion. »Und zur Abwechslung mal zur richtigen Tageszeit? Es ist ein reizender Abend, wenn sich meine Nase nicht täuscht. Wir sollten versuchen, nicht unglücklicher als nötig zu sein, weißt du?«

»Ehe wir silflay gehen«, sagte Bigwig, »darf ich dir sagen, Holly, daß ich nicht glaube, irgend jemand anders hätte sich selbst und drei andere Kaninchen aus einem solchen Ort sicher herausgebracht.«

»Frith wollte uns zurückkehren lassen«, erwiderte Holly. »Das ist der wahre Grund, warum wir hier sind.«

Als er sich umwandte, um Speedwell durch den in das Gehölz hinaufführenden Lauf zu folgen, fand er Clover neben sich. »Du und deine Freunde mögen es seltsam finden, hinauszugehen und Gras zu fressen«, sagte er. »Du wirst dich daran gewöhnen, glaube mir. Und ich kann dir versprechen, daß Hazel-rah recht hatte, als er dir sagte, man könne hier besser leben als in einem Verschlag. Komm mit, und ich werde dir einen Flecken kurzes hübsches Kriechgras zeigen, wenn Bigwig nicht schon alles aufgefressen hat, während ich weg war.«

Holly hatte an Clover Gefallen gefunden. Sie schien robuster und weniger furchtsam als Boxwood und Haystack und gab sich offenbar Mühe, sich dem Leben im Gehege anzupassen. Über ihren Stammbaum war er sich nicht im klaren, aber sie sah gesund aus.

»Mir gefällt es unterirdisch sehr gut«, sagte Clover, als sie in die frische Luft heraufkamen. »Der geschlossene Bau ähnelt tatsächlich sehr einem Verschlag, außer daß er dunkler ist. Das Schwierige für uns ist, ins Freie zum Fressen zu gehen. Wir sind es nicht gewohnt, frei zu sein und hinzugeben, wo wir wollen, und wir wissen nicht, was wir mit all unserer Freiheit anfangen sollen. Ihr handelt alle so schnell, und oft weiß ich nicht, warum. Mir wäre es lieber, wenn wir uns beim Fressen nicht allzuweit vom Loch entfernten, falls du nichts dagegen hast.«

Sie bewegten sich langsam über das Sonnenuntergangsgras und knabberten dabei. Clover war bald ins Fressen versunken, aber Holly hielt dauernd an, um sich aufzusetzen und in der friedlichen, verlassenen Hügellandschaft herumzuschnuppern. Als er bemerkte, daß Bigwig, der etwas weiter entfernt war, unverwandt nach Norden starrte, folgte er sofort seinem Blick.

»Was ist?« fragte er.

»Es ist Blackberry«, erwiderte Bigwig. Es klang erleichtert.

Blackberry hopste ziemlich langsam vom Horizont herunter. Er wirkte sehr erschöpft, aber sobald er die anderen Kaninchen sah, kam er schneller heran und lief auf Bigwig zu.

»Wo bist du gewesen?« fragte Bigwig. »Und wo ist Fiver? War er nicht bei dir?«

»Fiver ist bei Hazel«, sagte Blackberry. »Hazel lebt. Er ist verwundet - schwer zu sagen, wie sehr -, aber er wird nicht sterben.«

Die anderen drei Kaninchen sahen ihn sprachlos an. Blackberry wartete, genoß die Wirkung.

»Hazel lebt?« fragte Bigwig. »Bist du sicher?«

»Ganz sicher«, sagte Blackberry. »Er befindet sich in diesem Augenblick am Fuße des Hügels, in jenem Graben, wo du in der Nacht warst, als Holly und Bluebell ankamen.«

»Ich kann es kaum glauben«, sagte Holly. »Wenn es wahr ist, ist das die beste Nachricht, die ich je in meinem Leben gehört habe. Blackberry, bist du wirklich sicher? Was ist passiert? Erzähle!«

»Fiver hat ihn, gefunden«, sagte Blackberry. »Er nahm mich mit, fast ganz bis zur Farm; dann ging er durch den Graben und entdeckte Hazel, der in einem Abflußrohr steckte. Er war durch den Blutverlust sehr geschwächt und konnte sich nicht allein aus dem Rohr befreien. Wir mußten ihn an seinem gesunden Hinterlauf herausziehen. Er konnte sich nämlich nicht umdrehen.«

»Aber wie um alles in der Welt wußte Fiver das?«

»Wie weiß Fiver, was er weiß? Da fragst du ihn am besten selber. Als wir Hazel in den Graben bekommen hatten, sah Fiver nach, wie schlimm er verletzt war. Er hat eine scheußliche Wunde in einem Hinterlauf, aber der Knochen ist zum Glück nicht gebrochen, und an einer Seite hat er einen Riß. Wir säuberten die Stellen, so gut wir konnten, und dann brachen wir auf, um ihn zurückzubringen. Wir haben den ganzen Abend dazu gebraucht. Könnt ihr euch vorstellen -Tageslicht, Totenstille und ein lahmes Kaninchen, das nach frischem Blut riecht? Glücklicherweise ist es der heißeste Tag gewesen, den wir diesen Sommer hatten - keine Maus rührte sich. Immer wieder mußten wir Deckung in den Wiesenkerbeln suchen und uns ausruhen. Ich fuhr dauernd zusammen, aber Fiver war wie ein Schmetterling auf einem Stein. Er saß im Gras und kämmte sich die Ohren. >Bloß nicht aus der Fassung bringen lassen<, sagte er immer wieder. >Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. Wir können uns Zeit lassen.< Nach dem, was ich gesehen hatte, hätte ich ihm sogar geglaubt, wenn er gesagt hätte, wir könnten Füchse jagen. Doch dann, als wir zum Fuß des Hügels kamen, war Hazel völlig erledigt und konnte nicht mehr weiter. Er und Fiver haben in dem überwucherten Graben Schutz gesucht, und ich lief weiter, um es euch zu melden. Und hier bin ich.«

Es herrschte Schweigen, während Bigwig und Holly die Nachricht in sich aufnahmen. Schließlich sagte Bigwig: »Werden sie die Nacht dort verbringen?«

»Ich glaube, ja«, erwiderte Blackberry. »Ich bin sicher, Hazel wird den Hügel nicht schaffen, ehe er sich nicht sehr viel kräftiger fühlt.«

»Ich gehe hinunter«, sagte Bigwig. »Ich kann helfen, den Graben etwas behaglicher zu machen, und wahrscheinlich wird Fiver noch jemand brauchen können, der sich um Hazel kümmert.«

»Dann würde ich mich an deiner Stelle beeilen«, sagte Blackberry. »Die Sonne wird bald untergehen.«

»Ha!« sagte Bigwig. »Wenn ich ein Wiesel treffe, sollte es sich in acht nehmen, das ist alles. Ich bringe euch morgen eins mit, soll ich?« Er raste davon und verschwand über den Rand des Hügels.

»Wir gehen zurück und holen alle zusammen«, sagte Holly. »Los, Blackberry, du wirst die ganze Sache von Anfang an erzählen müssen.«

Die Dreiviertelmeile von Nuthanger zum Fuß des Hügels in der strahlenden Sonne hatte Hazel mehr Schmerzen und Anstrengung gekostet als alles in seinem bisherigen Leben. Wenn Fiver ihn nicht gefunden hätte, wäre er in dem Abfluß gestorben. Als Fivers Hartnäckigkeit seine dunkle, abebbende Benommenheit durchdrungen hatte, hatte er zuerst tatsächlich versucht, nicht zu reagieren. Es war soviel leichter zu bleiben, wo er war, jenseits des Leidens, das er durchgemacht hatte. Später, als er in der grünen Düsternis des Grabens lag und Fiver seine Wunden untersuchte und ihm versicherte, daß er stehen und sich bewegen könne, konnte er sich immer noch nicht mit der Vorstellung befreunden, die Rückkehr zu wagen. Seine aufgerissene Seite pochte, und der Schmerz in seinem Hinterlauf schien seine Sinne beeinträchtigt zu haben. Ihm war schwindlig, und er konnte nicht richtig hören und riechen. Als ihm schließlich klar wurde, daß Fiver und Blackberry im hellen Tageslicht einen zweiten Gang zur Farm riskiert hatten, einzig und allein, um ihn zu finden und sein Leben zu retten, zwang er sich auf die Füße und stolperte den Hang hinunter zur Straße. Sein Blick verschwamm, und er mußte immer wieder anhalten. Ohne Fivers Ermutigung hätte er sich wieder hingelegt und aufgegeben. Die Böschung an der Straße konnte er nicht hinaufklettern, und er mußte am Rand entlanghinken, bis er unter einem Tor durchkriechen konnte. Viel später, als sie unter die Hochspannungsleitung kamen, erinnerte er sich an den überwucherten Graben am Fuße des Hügels und strengte sich an, ihn zu erreichen. Sowie er ihn erreicht hatte, legte er sich hin und fiel in einen Schlaf totaler Erschöpfung.

Als Bigwig kurz vor Dunkelwerden ankam, war Fiver dabei, sich einen Schnell-Imbiß im hohen Gras einzuverleiben. Es war völlig ausgeschlossen, Hazel durch Graben zu stören, und sie verbrachten die Nacht zusammengekauert neben ihm auf dem engen Grabengrund.

Als Bigwig im grauen Licht vor Sonnenaufgang herauskam, war das erste Geschöpf, das er erblickte, Kehaar, der zwischen den Holunderbüschen Futter suchte. Er klopfte auf den Boden, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, und Kehaar segelte mit einem Flügelschlag und einem Gleitflug zu ihm hinüber.

»Miiister Bigwig, du Miiister Hazel gefunden?«

»Ja«, sagte Bigwig, »er ist im Graben hier.«

»Er nicht tot?«

»Nein, aber er ist verwundet und sehr schwach. Die FarmMänner haben mit einem Gewehr auf ihn geschossen, weißt du?«

»Du schwarze Steine herausgekriegt?«

»Wie meinst du das?«

»Immer mit Gewehr kommen kleine schwarze Steine. Du sie nie gesehen?«

»Nein, ich weiß nichts über Gewehre.«

»Nimm schwarze Steine heraus, es wird besser werden. Er kommt jetzt zu sich, ya?«

»Ich werde nachsehen«, sagte Bigwig. Er ging zu Hazel hinunter und traf ihn wach und im Gespräch mit Fiver an. Als Bigwig ihm berichtete, daß Kehaar draußen wäre, schleppte er sich die kurze Strecke hinauf ins Gras.

»Die verdammte Gewehr«, sagte Kehaar. »Es steckt kleine Steine in dich, um dir weh zu tun. Ich nachsehen, ya?«

»Tu's nur«, sagte Hazel. »Mein Bein ist noch sehr schlimm, fürchte ich.«

Er legte sich hin, und Kehaars Kopf schnellte von einer Seite zur anderen, als würde er in Hazels braunem Fell nach Schnecken suchen. Er musterte sorgfältig die ganze aufgerissene Flanke.

»Hier sin' keine Steine«, sagte er. »Gehen hinein, kommen heraus - bleiben nicht. Jetzt dein Bein. Vielleicht dir weh tun, aber nicht lang.«

Zwei Schrotkörner waren im Muskel der Keule vergraben. Kehaar nahm sie durch den Geruchssinn wahr und entfernte sie genauso, wie er Spinnen aus einem Spalt herausgeholt hätte. Hazel hatte kaum Zeit zurückzuzucken, als Bigwig schon an den Schrotkörnern im Gras schnupperte.

»Jetzt mehr bluten«, sagte Kehaar. »Du bleiben und warten vielleicht ein, zwei Tage. Dann gut wie vorher. Diese Kaninchen da oben alle warten, warten auf Miiister Hazel. Ich ihnen sage, er kommen.« Er flog davon, ehe sie antworten konnten.

Es ergab sich, daß Hazel drei Tage am Fuße des Hügels blieb. Das heiße Wetter hielt an, und die meiste Zeit saß er unter den Holunderzweigen, döste wie ein einsamer hlessi und fühlte seine Kräfte wiederkehren. Fiver blieb bei ihm, säuberte seine Wunden und beobachtete seine Genesung. Oft sprachen sie stundenlang nicht miteinander, lagen in dem rauhen, warmen Gras, während die Schatten sich dem Abend zubewegten, bis schließlich die örtliche Amsel den Schwanz aufrichtete und sich zum Schlafen ins Versteck begab. Keiner sprach von der Nuthanger Farm, aber Hazel zeigte ganz offen, daß es künftig für Fiver nicht schwer wäre, ihn von einem Rat zu überzeugen.

»Hrair-roo«, sagte Hazel eines Abends, »was hätten wir ohne dich angefangen? Keiner von uns wäre hier, nicht wahr?«

»Bist du sicher, daß wir hier sind?« fragte Fiver.

»Das ist mir zu geheimnisvoll«, erwiderte Hazel. »Wie meinst du das?«

»Nun, es gibt einen anderen Ort, ein anderes Land, nicht wahr? Wir gehen dahin, wenn wir schlafen - und auch zu anderen Zeiten und wenn wir sterben. El-ahrairah kommt und geht vermutlich zwischen den beiden hin und her, wie es ihm gefällt, aber so ganz konnte ich das den Geschichten nie entnehmen. Einige Kaninchen werden dir erzählen, es sei dort alles leicht, verglichen mit den lebendigen Gefahren, wie sie sie verstehen. Aber ich glaube, das zeigt nur, daß sie nicht viel davon wissen. Es ist ein wilder Ort und sehr unsicher. Und wo sind wir nun wirklich - dort oder hier?«

»Unsere Körper bleiben hier - das genügt mir. Du solltest zu diesem Silverweed-Burschen gehen und mit ihm reden -vielleicht weiß er mehr.«

»Oh, erinnerst du dich an ihn? Das habe ich gefühlt, als wir ihm zuhörten, weißt du? Er erschreckte mich, und doch wußte ich, daß ich ihn besser verstand als irgend jemand an diesem Ort. Er wußte, wohin er gehörte, und es war nicht hier. Armer Junge, ich bin sicher, er ist tot. Die haben ihn gekriegt, die da in jenem Land. Sie geben ihre Geheimnisse nicht umsonst preis. Aber schau! Da kommen Holly und Blackberry, wir können also sicher sein, daß wir uns, jedenfalls im Augenblick, hier befinden.«

Holly war schon tags zuvor den Hügel heruntergekommen, um Hazel zu sehen und die Geschichte von seiner Flucht aus Efrafa zu erzählen. Als er von seiner Befreiung durch die große Erscheinung in der Nacht gesprochen hatte, hatte Fiver aufmerksam zugehört und eine Frage gestellt: »Hat es ein Geräusch von sich gegeben?« Später, als Holly gegangen war, sagte er zu Hazel, er wäre sicher, daß es eine natürliche Erklärung dafür gäbe, obgleich er keine Ahnung hätte, was es sein könnte. Hazel jedoch war nicht sonderlich interessiert. Für ihn war das Wichtige ihre Enttäuschung und der Grund dafür. Holly hatte nichts erreicht, und das war allein der unerwarteten Unfreundlichkeit der Efrafa-Kaninchen zuzuschreiben. Am Abend, sobald sie zu fressen begonnen hatten, kam Hazel auf die Sache zurück.

»Holly«, sagte er, »wir sind der Lösung unseres Problems kaum nähergekommen, nicht wahr? Du hast Wunder bewirkt und hast nichts dafür vorzuweisen, und der Farm-Überfall war nur ein dummer Spaß, fürchte ich - und ein teurer für mich obendrein. Das richtige Loch muß immer noch gegraben werden.«

»Nun«, erwiderte Holly, »du sagst, es war nur ein Spaß, aber zumindest hat er uns zwei Weibchen verschafft, und das sind die beiden einzigen, die wir haben.«

»Taugen sie was?«

Die Vorstellungen, die vielen Männern ganz selbstverständlich kommen, wenn sie an Frauen denken -Schutz, Treue, romantische Liebe usw. -, sind den Kaninchen natürlich unbekannt, obgleich Kaninchen häufiger Einzelbindungen eingehen, als die meisten Leute vermuten.

Jedoch sind sie nicht romantisch veranlagt, und es war nur natürlich, daß Hazel und Holly die beiden NuthangerWeibchen einfach als Zucht-Grundstock für das Gehege betrachteten. Dafür hatten sie schließlich ihr Leben riskiert.

»Nun, es ist schwer, das jetzt schon zu sagen«, erwiderte Holly. »Sie geben sich Mühe, hier bei uns heimisch zu werden - besonders Clover. Sie scheint sehr vernünftig. Aber sie sind außerordentlich hilflos, weißt du - ich habe noch nie so etwas gesehen -, und ich fürchte, sie werden auf schlechtes Wetter empfindlich reagieren. Sie könnten den nächsten Winter überleben, vielleicht aber auch nicht. Doch das konntest du nicht wissen, als du sie aus der Farm holtest.«

»Wenn wir ein bißchen Glück haben, kann jedes vor dem Winter einen Wurf haben«, sagte Hazel. »Ich weiß, daß die Fortpflanzungszeit vorbei ist, aber bei uns steht alles sowieso total auf dem Kopf.«

»Nun, du hast mich gefragt, was ich denke«, meinte Holly. »Ich werde es dir sagen. Ich finde, daß es viel zuwenig sind, um uns nach allem, was wir bisher fertiggebracht haben, vor dem Untergang zu bewahren. Ich glaube, daß sie durchaus einige Zeit keine Junge haben können, teils, weil dies nicht die richtige Zeit dafür ist, und teils, weil das Leben hier ihnen so fremd ist. Und wenn sie welche haben, werden die Jungen sehr wahrscheinlich eine Menge von dieser von Menschen gezüchteten Verschlag-Rasse in sich haben. Aber was soll man denn sonst erhoffen? Wir müssen das Beste aus dem machen, was wir haben.«

»Hat sich schon jemand mit ihnen gepaart?« fragte Hazel.

»Nein, keine von den beiden ist bisher bereit gewesen. Aber ich sehe einige ganz schöne Kämpfe ausbrechen, wenn es dazu kommt.«

»Das ist ein anderes Problem. Wir können mit diesen beiden Weibchen allein nicht weitermachen.«

»Aber was können wir denn sonst tun?«

»Ich weiß, was wir tun müssen«, sagte Hazel, »aber ich sehe noch nicht, wie. Wir müssen zurückgehen und einige Weibchen aus Efrafa herausholen.«

»Du könntest ebensogut sagen, du würdest sie vom Mond herunterholen, Hazel-rah. Ich fürchte, ich habe dir keine sehr klare Schilderung von Efrafa gegeben.«

»O doch, das hast du schon - die ganze Sache jagt mir einen unglaublichen Schrecken ein. Aber wir werden es dennoch tun.«

»Es wird dir nicht gelingen.«

»Es wird nicht durch Kampf oder schöne Worte gelingen, nein. Wir müssen eine List anwenden.«

»Es gibt keine List, mit der man diese Bande überrumpeln kann, glaube mir. Es sind viel mehr als wir. Sie sind sehr gut organisiert, und ich spreche die reine Wahrheit, wenn ich sage, sie können genauso gut kämpfen, rennen und eine Spur verfolgen wie wir, und viele von ihnen noch besser.«

»Die List«, sagte Hazel, sich an Blackberry wendend, der die ganze Zeit geknabbert und schweigend zugehört hatte, »die List wird drei Dinge bewirken müssen. Erstens wird sie die Weibchen aus Efrafa herausbringen müssen, und zweitens wird sie einer Verfolgung Rechnung tragen müssen. Denn eine Verfolgung wird es geben, und wir können kein zweites Wunder erwarten. Aber das ist nicht alles. Nachdem wir einmal den Ort endgültig hinter uns haben, muß es unmöglich sein, uns zu finden - wir müssen außerhalb der Reichweite jeder Weiten Patrouille sein.«

»Ja«, sagte Blackberry zweifelnd. »Ja, ich stimme mit dir überein. Um Erfolg zu haben, würden wir alle diese Dinge bewerkstelligen müssen.«

»Ja. Und diese List, Blackberry, wird von dir ersonnen werden.«

Der süße, widerliche Geruch von Hartriegel erfüllte die Luft; im Abendsonnenschein summten die Insekten um die dichten weißen Trugdolden, die tief über dem Gras hingen. Ein Paar braun-oranger Käfer, die von den Kaninchen gestört wurden, machten sich von einem Grasstengel davon und flogen, immer noch gepaart, fort.

»Die paaren sich, wir nicht«, sagte Hazel, ihnen nachblickend. »Eine List, Blackberry - eine List, die uns ein für allemal von den Sorgen erlöst.«

»Mir ist klar, wie sich das erste Problem lösen läßt«, sagte Blackberry. »Zumindest glaube ich es. Wenn es auch gefährlich ist. Die anderen beiden Dinge sind mir noch gar nicht klar, und ich möchte das mit Fiver besprechen.«

»Je eher Fiver und ich ins Gehege zurückkommen, desto besser«, sagte Hazel. »Mein Bein ist zwar schon ganz gut, aber ich glaube, wir werden es trotzdem heute nacht noch nicht tun. Mein lieber alter Holly, willst du ihnen sagen, daß Fiver und ich morgen früh zurückkommen werden? Es macht mir Sorgen, wenn ich daran denke, daß Bigwig und Silver wegen Clover jeden Augenblick aneinandergeraten könnten.«

»Hazel«, sagte Holly, »hör zu. Mir gefällt deine Idee ganz und gar nicht. Ich bin in Efrafa gewesen und du nicht. Du machst einen großen Fehler, und es kann durchaus sein, daß wir alle dabei umkommen.«

Es war Fiver, der antwortete. »Das ist ziemlich wahrscheinlich, ich weiß«, sagte er, »aber irgendwie ist es das auch wieder nicht, jedenfalls nicht für mich. Ich glaube, wir können es wagen. Auf jeden Fall hat Hazel recht, wenn er sagt, daß es die einzige Chance ist, die wir haben. Wie wär's, wenn wir noch eine Weile darüber redeten?«

»Nicht jetzt«, sagte Hazel. »Es ist Zeit, hinunterzugehen -los. Aber wenn ihr beide den Hügel hinaufrast, werdet ihr wahrscheinlich noch Sonnenschein auf dem Gipfel erwischen. Gute Nacht.«

29. Rückkehr und Aufbruch


Daß jeder, der nicht Lust zu fechten hat,

Nur hinziehn mag; man stell' ihm seinen Paß Und stecke Reisegeld in seinen Beutel;

Wir wollen nicht in des Gesellschaft sterben,

Der die Gemeinschaft scheut mit unserm Tod.

Shakespeare Henry V


Am folgenden Morgen waren alle Kaninchen beim silflay in der Frühdämmerung, und es herrschte große Aufregung, als sie auf Hazel warteten. Während der vergangenen paar Tage hatte Blackberry die Geschichte von der Reise zur Farm und wie sie Hazel im Abzugsrohr fanden, mehrere Male wiederholen müssen. Einer oder zwei hatten angedeutet, daß Kehaar Hazel gefunden und es insgeheim Fiver erzählt haben mußte. Aber Kehaar hatte dies bestritten, und als er bedrängt wurde, erwiderte er rätselhaft, daß Fiver einer wäre, der sehr viel weiter gereist sei als er. Was Hazel betraf, so hatte er in aller Augen eine Art magische Eigenschaft gewonnen. Im ganzen Gehege war Dandelion das letzte Kaninchen, das etwa einer guten Geschichte nicht Gerechtigkeit widerfahren ließ, und er holte das Beste aus Hazels heroischem Sprung aus dem Graben heraus, der seine Freunde vor den Farmern rettete. Niemand hatte auch nur angedeutet, daß es vielleicht leichtsinnig von Hazel gewesen sein könnte, auf die Farm zu gehen. Mit wenig Aussicht auf Erfolg hatte er ihnen zwei Weibchen verschafft, und jetzt brachte er das Glück ins Gehege zurück.

Kurz vor Sonnenaufgang sahen Pipkin und Speedwell Fiver durch das nasse Gras nahe dem Gipfel des Hügellandes kommen. Sie rannten ihm entgegen und warteten mit ihm, bis Hazel herankam. Hazel hinkte und hatte offenbar den Aufstieg sehr anstrengend gefunden, aber nachdem er kurze Zeit geruht und gefressen hatte, konnte er beinahe so schnell wie die anderen zum Gehege hinunterrennen. Die Kaninchen drängten sich um ihn, und jeder wollte ihn berühren. Er wurde beschnüffelt, es wurde mit ihm herumgebalgt, und er wurde im Gras gewälzt, bis er sich schließlich vorkam, als würde er angegriffen. Menschen sind bei Gelegenheiten dieser Art gewöhnlich erfüllt von Fragen, aber die Kaninchen drückten ihre Freude einfach dadurch aus, daß sie sich durch ihre Sinne bewiesen, daß es tatsächlich Hazel-rah war. Er hatte die größte Mühe, sich gegen dieses rauhe Spiel zur Wehr zu setzen. »Was würde wohl passieren, wenn ich kapitulieren würde?« dachte er. »Die würden mich rausschmeißen, glaube ich. Die würden kein lahmes Oberkaninchen haben wollen. Das ist ebenso ein Test wie auch ein Willkommen, wenn sie sich dessen auch nicht bewußt sind. Ich werde sie testen, die Schurken, bevor sie mich fertigmachen.«

Er stieß Buckthorn und Speedwell von seinem Rücken herunter und schoß zum Gehölzrand davon. Strawberry und Boxwood waren auf der Böschung, und er gesellte sich zu ihnen und wusch und putzte sich im Sonnenaufgang.

»Wir können ein paar Burschen mit gutem Benehmen wie dich gebrauchen«, sagte er zu Boxwood. »Schau dir diese rauhe Bande da draußen an - die haben mich beinahe erledigt! Was um alles in der Welt haltet ihr von uns, und wie habt ihr euch eingelebt?«

»Nun ja, wir finden es natürlich ungewöhnlich«, sagte Boxwood, »aber wir lernen. Strawberry hier hat mir viel geholfen. Wir probierten gerade aus, wie viele Gerüche ich im Wind ausmachen kann, aber das wird erst nach und nach kommen. Die Gerüche auf einer Farm sind furchtbar stark, weißt du, und sie bedeuten nicht viel, wenn man hinter Draht lebt. Soweit ich das beurteilen kann, beruht bei euch alles auf dem Geruch.«

»Geht am Anfang nicht zu viele Risiken ein«, sagte Hazel. »Haltet euch nahe den Bauen - geht nicht allein - und so was alles. Und wie geht's dir, Strawberry? Besser?«

»Mehr oder weniger«, antwortete Strawberry, »solange ich viel schlafe und in der Sonne sitze, Hazel-rah. Ich bin zu Tode erschreckt worden - das ist der Hauptgrund. Ich hab' tagelang das kalte Grausen gehabt. Ich habe mir immer wieder eingebildet, ich sei zurück in Efrafa.«

»Wie war es in Efrafa?« fragte Hazel.

»Ich würde lieber sterben, als nach Efrafa zurückzugehen«, sagte Strawberry, »oder zu riskieren, auch nur in die Nähe zu gelangen. Ich weiß nicht, was schlimmer war, die Langeweile oder die Angst. Trotzdem«, fügte er nach ein paar Augenblicken hinzu, »es sind Kaninchen dort, die genau wie wir wären, wenn sie nur natürlich leben könnten wie wir. Verschiedene wären nur zu froh, wenn sie den Ort verlassen könnten.«

Ehe sie unter die Erde gingen, redete Hazel mit fast allen Kaninchen. Wie er erwartet hatte, waren sie über den Mißerfolg in Efrafa enttäuscht und voller Entrüstung über die schlechte Behandlung von Holly und seinen Begleitern. Mehr als eines dachte wie Holly, daß die beiden Weibchen höchstwahrscheinlich Anlaß zu Schwierigkeiten geben würden.

»Es hätten mehr sein sollen, Hazel«, sagte Bigwig. »Wir werden uns bestimmt gegenseitig an die Kehle springen - ich weiß nicht, wie man es vermeiden könnte.«

Am Spätnachmittag rief Hazel seine Gefährten in der Honigwabe zusammen.

»Ich habe mir die Sache überlegt«, sagte er. »Ich weiß, daß ihr alle wirklich enttäuscht gewesen sein müßt, mich kürzlich in der Nuthanger Farm nicht losgeworden zu sein, und ich habe deshalb beschlossen, das nächste Mal noch ein bißchen weiter zu gehen.«

»Wohin?« fragte Bluebell.

»Nach Efrafa«, erwiderte Hazel, »wenn ich jemand dazu bringen kann, mitzukommen, und wir werden so viele Weibchen zurückbringen, wie das Gehege braucht.«

Erstauntes Gemurmel erhob sich, und dann fragte Speedwell: »Wie?«

»Blackberry und ich haben einen Plan«, sagte Hazel, »aber ich werde ihn aus folgendem Grund jetzt nicht erläutern: Ihr alle wißt, daß dies eine gefährliche Sache werden wird. Wenn einer von euch erwischt und nach Efrafa gebracht wird, werden sie euch zum Sprechen bringen, darauf könnt ihr euch verlassen. Aber wer einen Plan nicht kennt, kann ihn nicht verraten. Ich werde es später, zu gegebener Zeit, erklären.«

»Wirst du viele Kaninchen brauchen, Hazel-rah?« fragte Dandelion. »Nach allem, was ich höre, würde unser ganzer Haufen nicht genügen, gegen die Efrafas zu kämpfen.«

»Ich hoffe, wir werden überhaupt nicht kämpfen müssen«, erwiderte Hazel, »aber natürlich besteht immer die Möglichkeit. Auf jeden Fall wird es eine lange Rückreise mit den Weibchen werden, und wenn wir zufällig unterwegs eine Weite Patrouille treffen, dann müssen genug von uns dasein, um mit ihnen fertig zu werden.«

»Werden wir nach Efrafa hineingehen müssen?« fragte Pipkin furchtsam.

»Nein«, sagte Hazel, »wir werden -«

»Ich habe nie gedacht, Hazel«, unterbrach Holly, »ich habe nie gedacht, daß es einmal so weit kommen würde, daß ich gegen dich sprechen mußte. Aber ich kann nur noch einmal sagen, daß es wahrscheinlich eine vollkommene Katastrophe werden wird. Ich weiß, was du denkst - du rechnest damit, daß General Woundwort niemanden hat, der so klug wie Blackberry und Fiver ist. Da hast du ganz recht - ich glaube auch nicht, daß er jemanden hat. Aber es bleibt die Tatsache, daß niemand eine Gruppe von Weibchen aus diesem Ort herausholen kann. Ihr wißt alle, daß ich mein Leben mit Patrouillieren und Fährtensuchen im Freien zugebracht habe. Nun, es gibt in der Efrafa-Owsla Kaninchen, die es besser können als ich - ich gebe es zu -, und die werden euch zur Strecke bringen und euch töten! Großer Frith! Wir alle müssen irgendwann einmal unseren Meister finden! Ich weiß, daß du uns nur helfen willst, aber sei vernünftig und gib diesen Plan auf. Glaube mir, es ist das beste, sich einem Ort wie Efrafa so weit wie möglich fernzuhalten.«

Überall in der Honigwabe wurde losgeredet, »Das muß richtig sein!« - »Wer will in Stücke gerissen werden?« -»Dieses Kaninchen mit den verstümmelten Ohren -« - »Nun, Hazel muß wissen, was er tut.« - »Es ist zu weit.« - »Ich möchte nicht mitgehen.«

Hazel wartete geduldig auf Ruhe. Schließlich sagte er: »Es ist so: Wir können hierbleiben und versuchen, das Beste aus unserer jetzigen Lage zu machen. Oder wir können sie ein für allemal in Ordnung bringen. Natürlich ist damit ein bißchen Risiko verbunden: Jeder weiß das, der gehört hat, was Holly und den anderen passiert ist. Aber haben wir uns nicht einem Risiko nach dem anderen gegenübergesehen, seit wir das Gehege verlassen haben? Was wollt ihr nun tun? Hierbleiben und euch die Augen auskratzen wegen zweier Weibchen, wenn es in Efrafa welche im Überfluß gibt, die ihr aus Furcht nicht holen wollt, obgleich sie nur zu glücklich wären, wenn sie mitkommen und sich uns anschließen könnten.«

Jemand rief: »Was meint Fiver?«

»Ich gehe bestimmt«, sagte Fiver ruhig. »Hazel hat vollkommen recht, und an seinem Plan ist nichts auszusetzen. Aber ich verspreche euch allen eines: Wenn mir später Zweifel kommen sollten, werde ich sie nicht für mich behalten.«

»Und wenn das geschieht, werde ich sie nicht verwerfen«, sagte Hazel.

Es herrschte Schweigen. Dann sprach Bigwig.

»Ihr sollt alle wissen, daß ich ebenfalls mitgehe«, sagte er, »und wir werden Kehaar bei uns haben, falls euch das beruhigt.«

Ein Summen der Überraschung wurde laut.

»Natürlich sollten einige von uns hierbleiben«, sagte Hazel. »Von den Farm-Kaninchen können wir nicht erwarten, daß sie mitgehen, und ich bitte keinen, der das erste Mal dabei war, wieder mitzukommen.«

»Ich werde trotzdem mitkommen«, sagte Silver. »Ich hasse General Woundwort und seinen Rat von ganzem Herzen, und wenn wir sie wirklich zum Narren halten sollten, möchte ich dabeisein, solange ich nicht mit hinein muß - das könnte ich nicht ertragen. Aber schließlich braucht ihr jemanden, der den Weg kennt.«

»Ich komme mit«, sagte Pipkin. »Hazel-rah hat mich gerettet - ich meine, ich bin sicher, er weiß, was -« Er geriet durcheinander. »Auf jeden Fall komme ich mit«, wiederholte er mit sehr nervöser Stimme.

In dem Lauf, der vom Gehölz herunterführte, schlurfte jemand, und Hazel rief: »Wer ist da?«

»Ich bin's, Hazel-rah - Blackberry.«

»Blackberry!« sagte Hazel. »Ich dachte, du seist die ganze Zeit hier gewesen. Wo warst du?«

»Tut mir leid, daß ich nicht früher kommen konnte«, sagte Blackberry. »Ich habe mich mit Kehaar über den Plan unterhalten. Er hat ihn um vieles verbessert. Wenn ich mich nicht irre, wird General Woundwort ungewöhnlich dämlich aussehen, ehe wir mit ihm fertig sind. Ich glaubte zuerst, daß es nicht realisierbar wäre, aber jetzt bin ich sicher, daß es klappt.«

»Komm hin, wo das Gras grüner ist«, sagte Bluebell.

»Und der Salat in Reihen wächst

Und ein Kaninchen von freiem Benehmen

Durch seine zerkratzte Nase bekannt ist.

Ich glaube, ich werde mitkommen müssen, nur um meine Neugier zu befriedigen. Ich habe mein Maul geöffnet und geschlossen wie ein junger Vogel, um von diesem Plan etwas zu erfahren, und keiner hat was hineingesteckt. Ich nehme an, Bigwig wird sich als ein hrududu verkleiden und alle Weibchen übers Feld treiben.«

Hazel wandte sich scharf an ihn. Bluebell setzte sich auf seine Hinterläufe und sagte: »Bitte, General Woundwort, Sir, ich bin bloß ein kleiner hrududu und habe mein ganzes Benzin auf dem Gras gelassen, wenn ihr also nichts dagegen hättet, das Gras zu fressen, während ich diese Dame mitnehme -«

»Bluebell«, sagte Hazel, »halt's Maul!«

»Verzeihung, Hazel-rah«, erwiderte Bluebell überrascht. »Ich hatte nichts Böses im Sinn. Ich habe nur versucht, alle ein bißchen aufzuheitern. Schließlich sind die meisten von uns bei dem Gedanken, an diesen Ort zu gehen, entsetzt, und du kannst uns daraus keinen Vorwurf machen, nicht wahr? Es hört sich schrecklich gefährlich an.«

»Nun hört mal zu«, sagte Hazel. »Wir werden diese Sitzung jetzt beenden. Warten wir in Ruhe ab, was wir entscheiden - das ist Kaninchenart. Niemand muß nach Efrafa gehen, der nicht will, aber es ist ziemlich klar, daß einige von uns wollen. Und jetzt gehe ich zu Kehaar, um selbst mit ihm zu reden.«

Er fand Kehaar zwischen den Bäumen; mit seinem großen Schnabel schnappte und riß er an einem scheußlich riechenden Stück schuppigem braunem Fleisch, das an einem Flechtwerk von Knochen zu hängen schien. Hazel runzelte die Nase vor Ekel über den Geruch, der das Gehölz erfüllte und schon Ameisen und Schmeißfliegen anzog.

»Was in aller Welt ist das, Kehaar?« fragte er. »Es riecht fürchterlich!«

»Du nicht kennen? Er frischer Fisch, kommt aus Großem Wasser. Is' gut.«

»Kommt aus Großem Wasser? Hu! Hast du ihn dort gefunden?«

»Ne, ne. Männer haben ihn. Unten in Farm ist viel großer Müllplatz, alle möglichen Dinge da. Ich gehe für Nahrung, finde es, alles riecht wie Großes Wasser, zieh' ihn heraus, bring' ihn hierher - läßt mich an Großes Wasser denken.« Er begann wieder an dem halb gefressenen Bückling zu reißen. Hazel saß würgend vor Brechreiz und Ekel da, als Kehaar den Fisch ganz hob und an eine Buchenwurzel schlug, so daß kleine Teile um sie herumflogen. Er nahm sich mühsam zusammen.

»Kehaar«, sagte er, »Bigwig erzählt, du würdest mitkommen und uns helfen, die Mütter aus dem großen Gehege zu holen.«

»Ya, ya, ich komme für euch. Miiister Bigwig, er mich brauchen, ihm zu helfen. Als er da war, er mit mir reden, ich nicht Kaninchen. Plan ist gut, ya?«

»O ja. Es ist der einzig mögliche Weg. Du bist uns ein guter Freund, Kehaar.«

»Ya, ya, helfe euch, Mütter kriegen. Aber jetzt is' dies, Miiister Hazel. Immer will ich jetzt Großes Wasser - immer, immer. Ich höre Großes Wasser, will zu Großem Wasser fliegen. Bald geht ihr Mütter holen, ich helfe euch, wie du willst. Dann, wenn ihr Mütter habt, verlass' ich euch, fliege fort, komme nicht zurück. Aber ich kommen zu andere Zeit zurück, ya? Komme im Herbst, im Winter komme ich her und lebe mit euch, ya?«

»Wir werden dich vermissen, Kehaar. Wenn du zurückkommst, werden wir ein feines Gehege hier haben mit vielen Müttern. Du wirst dann stolz auf alles sein können, was du für uns getan hast.«

»Ya, wird so sein. Aber Miiister Hazel, wann geht ihr? Ich will euch helfen, aber ich will nicht lange auf Großes Wasser warten. Es is' jetzt schwer zu bleiben, weißt du? Dies was du tust, tu es bald, ya?«

Bigwig kam den Lauf herauf, steckte den Kopf aus dem Loch und hielt entsetzt an.

»Frith um alles in der Welt!« sagte er. »Was für ein schrecklicher Geruch! Hast du ihn getötet, oder starb er unter einem Stein?«

»Dir gefallen, Miiister Bigwig? Ich bringe dir ein hübsches kleines Stück, ya?«

»Bigwig«, sagte Hazel, »kannst du gehen und all den anderen sagen, daß wir morgen bei Tagesanbruch aufbrechen? Holly wird hier nach dem Rechten sehen, bis wir zurück sind, und Buckthorn, Strawberry und die Farm-Kaninchen sollen bei ihm bleiben. Und auch jedem anderen, der hierbleiben will, steht es vollkommen frei.«

»Mach dir keine Sorgen«, sagte Bigwig aus dem Loch. »Ich schicke sie alle hinauf, um mit Kehaar zu silflay. Die werden hingehen, wo du willst, ehe eine Ente tauchen kann.«

Загрузка...