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Die Stellungsmaschine — präziser: das Zentrale Arbeitsregister — befand sich in der großen Eingangshalle einer geodätischen Kuppel, hundertachtzig Meter breit. Die Kuppel war mit Platinspray von drei Molekülen Dicke überzogen. Im Inneren, an den Wänden der Kuppel, waren die äußeren Erscheinungsformen der Computeranlagen angebracht, die sich anderswo befanden. Ein arbeitsames, unbelebtes Gehirn arbeitete ohne Unterlaß daran, Beschäftigungsangebote aufzulisten und sie mit Voraussetzungen zu vergleichen.

Norm Pomrath fuhr mit dem Schnellboot zur Stellungsmaschine. Er hätte zu Fuß gehen und auf Kosten einer Stunde Zeit eine Münze sparen können, zog es aber vor, das nicht zu tun. Das war bewußte Verschwendung. Seine Zeit war nahezu unbegrenzt, sein Barbestand trotz der Großzügigkeit der Hohen Regierung nicht. Die wöchentliche Arbeitslosenunterstützung, die er durch die Güte von Danton und Kloofman und der anderen Mitglieder der herrschenden Elite in Scheckform erhielt, deckte alle Grundkosten für die vierköpfige Familie Pomrath, ging aber nicht weit darüber hinaus. Pomrath war gewöhnlich sparsam. Er haßte die Alu natürlich, aber es bestand wenig Aussicht, daß er je eine feste Anstellung finden würde, so daß er, wie jedermann, die unpersönliche Wohltätigkeit hinnahm. Niemand verhungerte auf dieser Welt, wenn er das nicht aus freien Stücken tun wollte, und selbst dann mußte man sich anstrengen.

Es war für Pomrath eigentlich ganz unnötig gewesen, sich zu der Maschine zu begeben. Telefonleitungen verbanden jede Wohnung mit jedem Computer, der öffentlichem Zugang offenstand. Pomrath konnte anrufen, um sich zu informieren, außerdem hätte sich die Maschine mit ihm schon in Verbindung gesetzt, wenn seine Einstellungskurve nach oben gezeigt hätte. Er zog es trotzdem vor, das Haus zu verlassen. Er kannte die Antwort der Stellungsmaschine im voraus, so daß das nur ein Ritual war, eines der vielen Stützrituale, die es ihm gestatteten, mit der betäubenden Tatsache fertigzuwerden, daß er ein gänzlich nutzloser Mensch war.

Unterboden-Scanner summten, als Pomrath das Gebäude betrat. Er wurde überprüft, abgetastet und erkannt. Hätte er auf einem der Register bekannter Anarchisten gestanden, wäre ihm nicht erlaubt worden, über die Schwelle zu treten. Klampen, aus dem Marmorboden heraufkommend, hätten ihn schmerzlos festgehalten, bis man ihn hätte entwaffnen und entfernen können. Pomrath wollte der Maschine jedoch nichts Böses zufügen. Er hegte feindselige Gedanken, aber sie richteten sich gegen das Universum im allgemeinen. Er war zu intelligent dafür, seinen Zorn an Computer zu verschwenden.

Die gütigen Gesichter von Benjamin Danton und Peter Kloofman strahlten ihn aus den Höhen der geodätischen Kuppel an. Riesige 3 D-Simulacra baumelten an den schimmernden Tragstützen des großen Bauwerks. Danton vermochte selbst beim Lächeln streng zu wirken. Kloofman, angeblich ein Mann von großer Humanität und Herzenswärme, erschien zugänglicher. Pomrath erinnerte sich an eine Zeit vor ungefähr zwanzig Jahren, als die öffentlichen Vertreter der Hohen Regierung ein Triumvirat gebildet hatten, bestehend aus Kloofman und zwei anderen, deren Namen ihm immer mehr entfielen. Dann war eines Tages Danton aufgetaucht, und die Bilder der beiden anderen waren abgenommen worden. Ohne Zweifel würden eines Tages auch Kloofman und Danton verschwinden, und an den öffentlichen Gebäuden würden zwei — oder drei — oder vier neue Gesichter erscheinen. Pomrath befaßte sich nicht sehr eindringlich mit Veränderungen in der Zusammensetzung der Hohen Regierung. Wie die meisten Menschen hatte er grundlegende Zweifel am Vorhandensein von Kloofman und Danton. Es gab gute Gründe für die Vermutung, daß die Computer alles betrieben, und das schon seit mindestens einem Jahrhundert. Trotzdem versäumte er nicht, den Projektionen ehrfürchtig zuzunicken, als er das Gebäude betrat. Was ihn anging, war es durchaus möglich, daß Danton ihn durch die kalten Augen des riesigen Simulacrums persönlich beobachtete.

Es war voll hier. Pomrath ging zur Mitte des Marmorbodens und blieb kurz stehen, um Gesurr und Lärm der Maschine zu genießen. Links von ihm war Speicher Rot für Versetzungen. Damit hatte Pomrath nichts zu tun; man brauchte erst einmal eine Beschäftigung, bevor man eine Versetzung beantragen konnte. Direkt vor ihm befand sich Speicher Grün für langfristig Arbeitslose wie ihn. Rechts erstreckte sich Speicher Blau, wo neu in den Beschäftigungsprozeß eintretende Personen Arbeitsanträge einreichten. Jede der langen Speicherreihen war belagert von einer langen Menschenschlange. Jugendliche rechts; ein ganzer Haufen von übereifrigen Leuten Stufe Zehn, die Beförderung suchten, links; in der Mitte die armseligen Scharen der Arbeitslosen. Pomrath stellte sich bei Speicher Grün an.

Es ging rasch. Niemand sprach ihn an. Eingehüllt in sich selbst, mitten in der Menge, fragte Pomrath sich, wie schon oft, wo sein Leben aus der Bahn geraten war. Er hatte einen hohen Intelligenzquotienten, das wußte er. Gute Reflexe. Entschlossenheit. Ehrgeiz und Anpassungsfähigkeit. Ja, er hätte inzwischen Stufe Acht erreichen können, wäre alles zu seinen Gunsten verlaufen.

Das war nicht der Fall gewesen und würde auch nie mehr eintreten. Er hatte sich als Meditechniker ausbilden lassen, in der Meinung, Krankheit sei selbst in einer wohlgeordneten Welt eine Konstante, also werde es für ihn immer Arbeit geben. Leider hatten viele andere junge Männer seiner Generation dasselbe gedacht. Wie bei den Gliederfüßer-Rennen, dachte Pomrath. Man wählte seinen Lieblingshummer mit Bedacht aus, schätzte seine Fähigkeiten und die Aggressivität mit aller Klugheit ab, die einem zu Gebote stand. Die Faktoren zur Einschätzung waren vorhanden. Das Dumme war nur: Es gab noch viele andere Leute, die ebensoviel Ahnung hatten wie man selbst; war man selbst in der Lage, ein wirklich überlegenes Renntier zu finden, konnten andere das auch, und bis man die Wette abschloß, standen die Chancen oft bei 11 zu 10 oder noch schlechter. Gewann man, kam man praktisch nur wieder zu seinem Geld. Das Geheimnis bestand darin, die Chance 50 zu 1 zu finden, die auch gewann. Aber wenn der Kandidat gewinnen konnte, gab es keine solche Quote. Das Universum ist nicht ungerecht, dachte Pomrath, es interessiert sich einfach nicht.

Er war auf Nummer Sicher gegangen, und sein Gewinn war entsprechend schmal ausgefallen: ein paar Wochen schöne Arbeit, viele Monate beschäftigungslos. Pomrath war ein guter Techniker. Er hatte seine Fähigkeiten, und sie entsprachen mindestens denen eines echten Arztes vor einigen Jahrhunderten. Heutzutage wurden echte Ärzte — es gab nicht viele — in Stufe Drei geführt, knapp unter den niedrigeren Rängen der Hohen Regierung. Pomrath dagegen, als bloßer Techniker, saß auf Stufe Vierzehn mit all ihren Nachteilen fest, und Fortschritte mit seiner Bewertungskurve konnte er nur erzielen, wenn sich seine Erfahrung steigerte, aber es gab keine Arbeit. Oder nicht sehr viel.

Was für eine Ironie! dachte er. Joe Quellen, der überhaupt nichts gelernt hat, ist ein großer Macher auf Stufe Sieben. Alleinwohnung, nichts geringeres. Und ich sitze doppelt so weit unten. Aber Quellen war Mitglied der Regierung — freilich nicht der Hohen Regierung, nicht bei der Gruppe der Leute, die entschieden; nur der Regierung —, also mußte Quellen Rang besitzen. Sie mußten einen Quellen einfach deshalb in eine der höheren Klassen stecken, damit er seine Autorität durchsetzen konnte. Pomrath kaute an einem zerfledderten Fingernagel und fragte sich, warum er nicht den Verstand besessen hatte, in den Staatsdienst zu gehen.

Er gab sich die Antwort selbst: Dort standen die Aussichten noch schlechter. Quellen hatte Glück gehabt. Vielleicht auch ein wenig Tüchtigkeit, räumte Pomrath widerwillig ein. Wenn ich in den Staatsdienst gegangen wäre, statt Mediziner zu werden, wäre ich heute vermutlich ein Angestellter Stufe Vierzehn mit regelmäßiger Arbeit, aber mit nicht mehr Vorteilen als jetzt. Das Universum ist nicht ungerecht, doch es kann manchmal schrecklich konsequent sein.

Pomrath war jetzt ganz vorgerückt.

Er stand einer blanken Aluminiumtafel gegenüber, die gut einen Quadratmeter groß war. In der Mitte war eine runde Scannerplatte aus genarbtem Glas eingelassen. Die Platte leuchtete grün, und Pomrath legte im alten, vertrauten Ritual die Hand darauf.

Mit der Stellungsmaschine brauchte man nicht zu reden. Sie wußte, weshalb Pomrath hier stand, wer er war und was ihn erwartete. Trotzdem sagte Pomrath mit seiner tiefen, heiseren Stimme: »Wie war’s denn mit ein bißchen Arbeit?« und drückte auf die Taste.

Er bekam seine Antwort rasch.

Irgend etwas in der Wand hinter der glänzenden Aluminiumtafel erzeugte ein surrendes, keckerndes Geräusch. Wahrscheinlich nur der Wirkung wegen, dachte Pomrath. Die Proleten sollten glauben, die Maschine leiste wirklich etwas. In der Tafel öffnete sich ein kleiner Schlitz, und ein Minizettel rollte heraus. Pomrath riß ihn ab und überflog ihn ohne sonderliches Interesse.

Der Streifen trug seinen Namen, seine Eignungsbeurteilung und den Rest des Ident-Kauderwelsches, das bei seiner Reise durch die Welt an ihm kleben blieb. Darunter stand in deutlich lesbarer Blockschrift das Urteil:


EINSTELLUNGSPROGNOSE DERZEIT UNGÜNSTIG. WIR INFORMIEREN SIE, SOBALD SICH GELEGENHEITEN FÜR SINNVOLLE BESCHÄFTIGUNG ENTWICKELN. WIR EMPFEHLEN DRINGEND GEDULD UND VERSTÄNDNIS. VORÜBERGEHENDE BELASTUNGEN VERHINDERN DIE VON DER HOHEN REGIERUNG ERSTREBTE VOLLBESCHÄFTIGUNG.


»Sehr bedauerlich«, murmelte Pomrath. »Herzliches Beileid der Hohen Regierung.« Er warf den Streifen in den Schlucker, drehte sich um und zwängte sich durch das Gedränge leidenschaftsloser Männer, die auf ihren Anteil an den schlechten Nachrichten warteten. Soviel zum Besuch bei der Stellungsmaschine.

»Wie spät ist es?« fragte er.

»Halb nach Sechzehn«, sagte seine Ohrenuhr.

»Ich glaube, ich gehe bei meinem gemütlichen Schnüffellokal vorbei. Hältst du das für eine gute Idee?«

Die Ohrenuhr war auf solche Dinge nicht programmiert. Für das doppelte Geld bekam man eine, die richtig mit einem redete und auch andere Dinge mitteilte als die genaue Uhrzeit. Pomrath war nicht der Meinung, daß ihm in diesen schweren Zeiten solcher Luxus zustand. Außerdem war er nicht so scharf auf Gesellschaft, daß er sich die Konversation einer Ohrenuhr ersehnt hätte. Immerhin, er wußte, daß es Leute gab, die sich von dergleichen trösten ließen.

Er trat hinaus in den blassen Sonnenschein des Frühlingsnachmittags.

Das Schnüffellokal, das er bevorzugte, war vier Straßen entfernt. Es gab viele davon, Dutzende innerhalb eines Umkreises von zehn Straßen hier, aber Pomrath besuchte immer dasselbe. Warum nicht? In jedem wurde dasselbe Gift verabreicht, so daß der einzige Punkt, in dem sie sich unterschieden, die Art der Bedienung war. Selbst ein arbeitsloser Vierzehner möchte sich für einen geschätzten Stammgast oder dergleichen halten, auch wenn es nur in einem Schnüffellokal ist.

Pomrath ging mit raschen Schritten. Die Straßen waren überfüllt; zu Fuß zu gehen, war in letzter Zeit wieder Mode geworden. Der nicht sehr große, untersetzte Pomrath hatte wenig Geduld mit den Hindernissen auf seinem Weg. Innerhalb von fünfzehn Minuten erreichte er das Lokal. Es befand sich im vierzigsten Untergeschoß eines gewerblichen Tank-Gebäudes; nach dem Gesetz mußten alle Stätten des Illusionsverkaufs unter der Erde liegen, damit leicht zu beeindruckende Kinder auf Straßenhöhe nicht vorzeitig verdorben wurden. Pomrath betrat den Tank und nahm den Expreß-Fallschacht nach unten. Mit großer Würde sank er hundertfünfzig Meter hinunter. Der Tank besaß achtzig Etagen und endete an einem Tiefgleis, das ihn mit mehreren Nachbargebäuden verband, aber so tief unten war Pomrath noch nie gewesen. Er überließ derartige unterirdische Abenteuer den Mitgliedern der Hohen Regierung und hatte keine Lust, irgendwo in den Tiefen der Erde plötzlich Danton von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen.

Das Schnüffellokal war außen mit bunter, leicht defekter Argonbeleuchtung bestückt. Die meisten dieser Lokale waren vollmechanisiert, aber hier gab es menschliche Bedienung. Deshalb gefiel es Pomrath hier. Er ging hinein, und der gute alte Jerry stand neben der Tür und tastete ihn mit authentischen, blutunterlaufenen Menschenaugen ab.

»Norm. Fein.«

»Weiß nicht so recht. Das Geschäft?«

»Miserabel. Nehmen Sie eine Maske?«

»Gern«, sagte Pomrath. »Die Frau? Schon geschwängert?«

Der dicke Mann hinter der Theke lächelte.

»Mache ich solche Dummheiten? Brauche ich auf Stufe Vierzehn ein Haus voller Kinder? Ich habe den Steril-Eid geleistet, Norm. Schon vergessen?«

»Kann schon sein«, sagte Pomrath. »Na gut. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte das auch getan. Geben Sie mir die Maske.«

»Was schnüffeln Sie?«

»Butylmercaptan«, sagte er aufs Geratewohl.

»Hören Sie doch auf. Sie wissen, daß wir nicht —«

»Dann Benztraubensäure. Mit einem Schuß Laktatdehydrogenase 5.« Pomrath erregte dadurch Gelächter, aber es kam mechanisch und war das Lachen eines Unternehmers, der es einem geschätzten, wenn auch ein wenig verbitterten Kunden recht machen will.

»Hier, Norm. Hören Sie auf, mein Hirn zu vergiften, und nehmen Sie das. Schöne Träume. Sie haben Liege Neun und schulden mir eineinhalb Stück.«

Pomrath griff nach der Maske, warf ein paar Münzen auf die ausgestreckte Hand und zog sich zu einer leeren Liege zurück. Er zog die Schuhe aus und streckte sich aus. Er preßte die Maske auf das Gesicht und atmete ein. Ein harmloses Vergnügen, ein schwaches Halluzinationsgas, eine rasche Illusion, um den Tag zu beleben. Als er untertauchte, spürte er, wie Elektroden sich an seinen Schädel schoben. Um als Überwacher seiner Alphawellen zu dienen, lautete die offizielle Erklärung; wenn seine Illusion zu gewalttätig wurde, konnte die Geschäftsführung ihn wecken, bevor er sich selbst Schaden zufügte. Pomrath hatte gehört, daß die Elektroden einem anderen, düsteren Zweck dienten: um die Halluzinationen zu speichern, sie für Millionäre von Stufe Zwei aufzuzeichnen, die den Stellvertreterkitzel erleben wollten, einmal eine Zeitlang im Hirn eines Proleten zu sitzen. Pomrath hatte Jerry danach gefragt, aber Jerry hatte es bestritten. Was nahelag. Es spiele kaum eine Rolle, dachte Pomrath, ob das Schnüffellokal Halluzinationen aus zweiter Hand verhökern wolle. Ihm war es egal, sie konnten seine Alphas plündern, wenn sie wollten. Solange er für seine eineinhalb Stück anständige Unterhaltung bekam, sollte es damit sein Bewenden haben.

Er verlor das Bewußtsein.

Schlagartig war er Stufe Zwei, Bewohner einer Villa auf einer künstlichen Insel im Mittelmeer. Er trug nichts als einen grünen Stoffstreifen um die Hüften und lag behaglich auf einem dicken Pneumostuhl am Meeresufer. Ein Mädchen schwamm im kristallklaren Wasser träge hin und her. Ihre gebräunte Haut glänzte, wenn sie an die Oberfläche kam. Sie lächelte ihn an. Pomrath winkte beiläufig. Sie sieht im Wasser sehr reizvoll aus, dachte er.

Er war Vizekönig für zwischenmenschliche Beziehungen im Moslem-Osten, eine schöne, bequeme Pfründe für Stufe Zwei. Man hatte nicht mehr zu tun, als gelegentlich Mekka zu besuchen und jeden Winter in Kairo ein paar Konferenzen zu bestreiten. Er hatte ein schönes Haus bei Fargo in North Dakota, eine anständige Wohnung in der Zone New York von Appalachia und natürlich diese Insel im Mittelmeer. Er rechnete fest damit, beim nächsten Personalwechsel in der Hohen Regierung Stufe Eins zu erklimmen. Danton besprach sich häufig mit ihm. Kloofman hatte ihn mehrmals zum Abendessen unten in Etage Hundert eingeladen. Sie hatten über Weine gesprochen. Kloofman war Kenner; er und Pomrath hatten einen angenehmen Abend damit verbracht, die Vorzüge eines Chambertin zu besprechen, der von den Synthetikgeräten 74 geschaffen worden war. Ein gutes Jahr, 74. Vor allem für die großen Burgunder.

Helaine stieg aus dem Wasser und stand strahlend nackt vor ihm, ihr sonnengebräunter, üppiger Körper schimmerte im warmen Sonnenschein.

»Liebling, warum kommst du nicht schwimmen?« fragte sie.

»Ich habe nachgedacht. Sehr diffizile Pläne.«

»Du weißt, daß du davon Kopfschmerzen bekommst. Gibt es denn nicht eine Regierung, die dir das Denken abnimmt?«

»Subalterne wie dein Bruder Joe? Sei nicht albern, Schatz. Da ist die Regierung, und da ist die Hohe Regierung, und die beiden unterscheiden sich völlig. Ich habe meine Verantwortung. Ich muß hier sitzen und nachdenken.«

»Worüber denkst du nach?«

»Wie ich Kloofman helfen kann, Danton durch ein Attentat zu beseitigen.«

»Wirklich, Liebes? Aber ich dachte, du gehörst zu Dantons Clique.«

Pomrath lächelte.

»Das war einmal. Kloofman ist aber Weinkenner. Er hat mich überredet. Weißt du, was er sich für Danton hat einfallen lassen? Großartig. Ein selbsttätiger Laser, so programmiert, daß er einen Strahl genau in dem Augenblick durch seinen Körper jagt, wenn er —«

»Sag es mir nicht«, unterbrach ihn Helaine. »Ich verrate das Geheimnis vielleicht.« Sie wandte sich ab und zeigte ihm ihre Rückenansicht. Pomrath ließ seinen Blick über ihren vollsaftigen, üppigen Körper gleiten. Nie hatte sie reizvoller ausgesehen, dachte er. Er fragte sich, ob er an Kloofmans Attentatsplänen teilnehmen sollte. Danton mochte ihn für solche Informationen reich belohnen. Weitere Überlegung lohnte.

Der Butler kam aus der Villa gerollt und pflanzte sich auf vier Teleskop-Stummelbeinen vor Pomraths Liegestuhl auf. Pomrath betrachtete den grauen Metallkasten voll Zuneigung. Was gab es Besseres als einen homöostatischen Butler, auf den Zyklus des Alkoholverbrauchs seines Herrn programmiert?

»Rum, gefiltert«, sagte Pomrath.

Er ließ sich das Glas geben, das ihm von einem Spinnenarm aus geflochtenen Titanfasern dargereicht wurde. Er schlürfte. Hundert Meter vom Strand entfernt begann die See schlagartig zu brodeln und zu sieden, so als mahle sich irgendein Ungeheuer aus den Tiefen empor. Eine riesige korkenzieherförmige Schnauze tauchte auf. Ein Metallkrake zu Besuch. Pomrath vollführte die Abwehrbewegung, und augenblicklich zogen die Wächterzellen der Insel einen Pfostenzaun aus Kupferdraht hoch, jeder Strang zweieinhalb Meter hoch und eineinhalb Millimeter dick. Zwischen den Drähten leuchtete das Abwehr-Kraftfeld.

Der Krake wälzte sich ans Ufer. Er nahm es mit dem Kraftfeld nicht auf. Sieben Meter aus dem Wasser ragend, warf das massige, grünlich-graue Ding einen langen Schatten auf Pomrath und Helaine. Es hatte große gelbe Augen. Im röhrenförmigen Kopf öffnete sich eine Klappe, eine Platte schob sich heraus, von der eine menschliche Gestalt herabstieg. Der Krake war also nur ein Transportmittel, erkannte Pomrath. Er kannte die Gestalt, die ans Ufer kam, und ließ das Kraftfeld in sich zusammenfallen.

Es war Danton.

Kalte Augen, scharfe Adlernase, schmale Lippen, dunkler Teint zeugten für eine über das Maß hinausgehende gemischte Herkunft: Danton. Als der Potentat Stufe Eins ans Ufer trat, nickte er der nackten Helaine höflich zu und hielt dem ängstlichen Pomrath beide Hände ausgestreckt entgegen. Pomrath tippte auf die Steuertafel des Butlers; der Metallkasten huschte davon, um dem Besucher einen Pneumostuhl zu bringen. Danton ließ sich nieder. Pomrath ließ sich ein volles Glas für ihn geben. Danton bedankte sich herzlich. Helaine legte sich auf den Bauch in die Sonne.

Danton sagte leise: »Zu Kloofman. Die Zeit ist reif —«

Pomrath wurde wach. Sein Mund schmeckte nach alten Lumpen.

So war es immer, dachte er traurig. Gerade wenn die Halluzination wirklich aufregend wurde, hörte die Wirkung auf. Ab und zu hatte er versuchsweise für eine doppelt starke Dosis bezahlt, damit er den Tagtraum länger genießen konnte. Aber selbst da war die Unterbrechung mitten in der Halluzination die Regel. FORTSETZUNG FOLGT, erklärte die Maske stets, als der Vorhang fiel. Aber was erwartete er? Eine schön abgerundete Episode, Anfang, Mitte, Höhepunkt, Auflösung? Seit wann ging es im Universum so zu? Er stemmte sich von der Liege hoch und ging zum Eingang, um die Maske abzugeben.

»War es gut, Norm?« fragte Jerry.

»Großartig«, sagte Pomrath. »Ich bin zu Stufe Zwanzig degradiert und in einen Hochsicherheitstrakt gesteckt worden. Dann fanden sie Arbeit für mich als Gehilfe eines Sanitärroboters. Ich war derjenige, welcher den Gummischrubber führen durfte. Danach bekam ich Krebs im Innenohr und —«

»He, erzählen Sie doch nichts! So einen Traum wollen Sie hier gehabt haben?«

»Sicher«, sagte Pomrath. »Nicht schlecht für eineinhalb Stück, wie? So etwas macht Spaß.«

»Sie haben einen seltsamen Humor, Norm. Ich weiß nicht, wo einer wie Sie das hernimmt.«

Pomrath lächelte schief.

»Das ist ein Geschenk des Himmels. Da stellt man keine Fragen. Man bekommt es ganz von selbst, wie Krebs im Innenohr. Auf bald, Jerry.« Er ging hinaus und nahm den Schacht zur Oberseite des Tanks. Es war schon spät, fast Zeit zum Abendessen. Er war in der Stimmung, zu Fuß zu gehen, aber er wußte, daß Helaine einen Anfall bekommen würde, wenn er auf dem Heimweg so lange herumtrödelte, und ging deshalb zur nächsten Schnellboot-Rampe. Als er darauf zuging, sah Pomrath eine abgerissene Gestalt eilig auf sich zukommen. Pomrath spannte die Muskeln an. Ich bin auf alles gefaßt, dachte er. Der soll es nur versuchen.

»Lesen!« sagte der Mann und drückte Pomrath einen zerknüllten Minizettel in die Hand.

Pomrath faltete den harten gelblichen Kunststoffstreifen auseinander. Die Mitteilung war knapp, in roten Buchstaben auf die Streifenmitte gedruckt.


ARBEITSLOS?
ZU LANOY

Interessant, dachte Pomrath. Ich muß inzwischen ganz das Aussehen des ewig Arbeitslosen haben. Arbeitslos? Gewiß! Aber wer, zum Teufel, ist dieser Lanoy?

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