KAPITEL 3

Wesley Geflügelfarm, Blackness Road — Sommer 1922


Elsie liebte Normans kleine Hütte. So glücklich wie an den Wochenenden auf der Farm war sie noch nie gewesen. Sie nahm sich ein Zimmer bei Mr. und Mrs. Cosham, die ein Stück die Straße hinunter wohnten, und marschierte morgens zur Farm hinaus. Sie half beim Füttern und beim Einsammeln der Eier, aber sie war nicht bereit, die Hühnerhäuser sauber zu machen.

»Von dem Geruch wird mir schlecht«, erklärte sie Norman mit gerümpfter Nase. »Außerdem kann ich mich nicht mit dem Gestank in den Kleidern in den Zug nach London setzen.«

Norman machte das nichts aus. Er ließ Elsie gern herumsitzen und Däumchen drehen, Hauptsache, sie war hier. Ihre fröhliche Zuversicht war ansteckend, und allmählich glaubte er wirklich, dass das Unternehmen ein Erfolg werden würde. Zwar produzierte er mehr Eier, als er verkaufen konnte, aber die Junghähne und Bruthennen machten ihre Sache gut. Er hatte inzwischen Massen von Junghühnern, die er nur noch mästen und dann zum Kochen oder Braten verkaufen musste.

Elsie fragte ihn, wie er sie töten würde.

»Ich brech ihnen das Genick«, sagte er.

»Mein Vater hat erzählt, seine Mutter in Schottland hat es immer mit dem Messer gemacht.«

»Ich will kein Blut auf den Halsfedern haben.«

»Musst du sie denn nicht sowieso rupfen, Schatz? Wer kauft schon ein ungerupftes Huhn?«

»Nur der Rumpf muss gemacht werden, Else. Kopf und Hals lässt man, wie sie sind, damit der Metzger die Hühner ins Fenster hängen kann. Wenn Blut dran ist, schauen sie nicht so appetitlich aus.«

Sie ging in die Hocke, um sich ein Nest voll flaumiger Küken anzusehen. »Die armen Kleinen.«

»Du solltest lieber mich bedauern«, bemerkte Norman. »Ich werde bestimmt noch im Schlaf rupfen, wenn das Geschäft erst läuft. Die Federn lassen sich ziemlich leicht rausziehen, solange der Vogel noch warm ist, aber es ist trotzdem harte Arbeit.«

»Da kommt eine ganze Menge Federn zusammen, Bärchen. Was machst du mit denen?«

»Keine Ahnung.« Er sah sich um. »Vielleicht verbrenne ich sie. Dann wird's hier zwar eine Weile richtig stinken, aber ich bin sie wenigstens los.«

Schwieriger war es mit dem verschmutzten Stroh aus den Hühnerställen. Er ließ es verrotten, um es als Kompost zu verkaufen, aber das war ein ziemlich langwieriger Prozess, und mit den ständig wachsenden Misthaufen sah die Farm noch schäbiger und heruntergekommener aus, als sie ohnehin schon war. Anfangs schien es Elsie nicht aufzufallen. Aber nach einigen Wochen begann sie zu nörgeln.

»Deine Eier kauft doch niemand, der mal gesehen hat, woher sie kommen. Da muss man ja denken, dass sie schlecht sind. Du musst die Hühnerställe streichen. Sie müssen sauber aussehen.«

»Das kann ich mir nicht leisten«, entgegnete er patzig. »Farbe kostet Geld.«

»Lass dir von deinem Vater noch was geben.«

»Der hat schon genug für mich getan.«

Als ihre Nörgeleien ihm zu viel wurden, meinte er, sie könne ihm ja das Geld für die Farbe geben. »Du sagst immer, dass du heiraten willst, Elsie, aber dazu wird es nicht kommen, wenn die Farm Pleite macht. Ich weiß, dass du etwas Geld gespart hast. Es wird ja wohl nicht gleich die Bank sprengen, wenn du mir ein paar Pfund leihst.«

»Mein Vater bringt mich um, wenn ich einem Mann Geld leihe, mit dem ich nicht verlobt bin«, erklärte sie geziert. »Da musst du mir schon zuerst einen Ring anstecken, Bärchen.«

»Und womit soll ich den kaufen? Kennst du einen Juwelier, der Diamanten gegen Hühner tauscht?«


Aber trotz gelegentlicher Streitereien übers Geld und Heiraten waren dieser Sommer und der Herbst eine glückliche Zeit. Im September und Oktober war das Wetter warm, und Elsie fuhr beinahe jedes Wochenende nach Sussex. Samstags faulenzten sie und Norman an einem Feuer vor der Hütte, wenn die Arbeit getan war. Sonntagmorgens gingen sie in die Methodistenkirche in der Ortsmitte und aßen anschließend das Mittagessen, das Elsie für sie gekocht hatte.

Sie wurde sehr erfinderisch in der Zubereitung von Hühnchen. Meistens waren die Vögel alt und mussten erst mit Karotten und Zwiebeln weichgekocht werden. Aber ab und zu spendierte Norman einen jungen Gockel, der in Bauchspeck von der benachbarten Schweinefarm gebraten werden konnte. Es war mehr wie im Zeltlager als in einem richtigen Haushalt, aber Elsie meinte schwärmend: »Es ist wie in den Ferien«.

Normans Vater hatte seinem Sohn einmal erklärt, dass es das Dümmste sei, sich im Urlaub zu verlieben. »Die Menschen sind anders, wenn sie von zu Hause weg sind, mein Junge. Du kannst nicht danach gehen, wie sich ein Mädchen im Urlaub an der See verhält.«

Das ging Norman jedes Mal durch den Kopf, wenn Elsie vom Heiraten sprach. Wer war die richtige Elsie Cameron? Die launische, sprunghafte, die bei ihren Eltern in London lebte und ihre Arbeit hasste? Oder die Unbekümmerte, die ihn in Sussex besuchte und die Ehefrau spielte? Er wusste, dass sie beinahe genauso viel an den Akt dachte wie er. Manchmal, wenn er sie an sich zog, ihren Hintern umfasste und sein hartes Glied an sie drückte, kamen sie der Sache ganz nahe. Immer vergingen ein oder zwei Sekunden, bevor sie zu kichern begann und ihn wegstieß.

»Du frecher Kerl«, sagte sie dann und drohte ihm mit dem Finger. »Erst musst du vor mir auf die Knie fallen und mir einen Heiratsantrag machen, Norman. Versprich mir, dass du mich zur Mrs. Thorne machst, dann überleg ich's mir vielleicht.«

»Sobald ich hier einigermaßen über die Runden komme.«

»Und wann soll das sein?«

»Ich weiß es nicht. Ich tue, was ich kann.«

»Das sagst du immer. Wenn du mich genauso sehr lieben würdest wie ich dich, würdest du mich in die Arme nehmen und mich trotzdem bitten, dich zu heiraten. Mir macht's nichts aus, in einer Hütte zu leben.«

»So würdest du nicht reden, wenn du jeden Tag so leben müsstest, Elsie. Das ist was anderes als Urlaub. Wenn ich keinen Metzger finde, der mir meine Hühner abnimmt, muss ich mit den verflixten Biestern von Tür zu Tür hausieren gehen. Und niemand zahlt den vollen Preis — jedenfalls nicht, wenn die merken, wie dringend ich sie loswerden muss. Ein totes Huhn hält nicht lang.«

Sie in der Hütte aufzuheben, ging nicht. Man hätte die toten Vögel höchstens am Mittelbalken aufhängen können, und in der Hitze wurden sie schnell schlecht. Er hatte es zwei- oder dreimal versucht, und die Kadaver am Ende jedes Mal auf dem Feld verscharren müssen. Kein Mensch wollte Geflügel haben, das nicht taufrisch war. Und zu allem Überfluss lockte der Verwesungsgeruch auch noch Füchse und Ratten an.

Seine Geldprobleme waren so leicht nicht zu lösen. Es war naiv von ihm gewesen, die ganze Sache anzufangen, ohne sich vorher genauer über die Geflügelhaltung zu informieren. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Er konnte sich nur damit trösten, dass er sich immer wieder sagte, am Ende werde schon alles gut werden. Er hatte gelernt, dass Gott denen hilft, die sich selbst helfen. Und dass Fleiß und harte Arbeit belohnt werden. Trotzdem fraß ihn die Sorge fast auf.

Und wenn es nun gar nicht so war? Wenn Gott ihm vielmehr eine Lektion in Demut erteilen wollte? Wie sollte er seinem Vater die Vergeudung von einhundert Pfund erklären? Wie sollte er Elsie erklären, dass er sie vielleicht nie würde heiraten können?

Am tiefsten sank seine Stimmung stets in den Stunden vor dem Morgengrauen. Dann lag er wach und sah sich in einer Falle, die er sich selbst gestellt hatte. Wäre er Elsie nicht begegnet… hätte er seinen Vater nicht um Geld gebeten… wäre Elsie jünger gewesen und nicht so versessen darauf zu heiraten…


Am ersten Weihnachtsfeiertag 1922 verlobten sie sich. Norman überließ es Mr. Cosham, seine Hühner zu füttern, und radelte über die Feiertage nach London. Er erzählte seinem Vater, die Geschäfte gingen so gut, dass er nun Elsie Cameron um ihre Hand bitten könne.

Mr. Thorne sah ihn stirnrunzelnd an. »Bist du sicher, mein Junge? Als wir zuletzt miteinander gesprochen haben, hast du in einem Schuppen gehaust. Ist das inzwischen anders?«

»Nein.«

»Und du erwartest, dass eine Frau dieses Leben mit dir teilt?«

»Wir verloben uns doch nur, Dad. Bis zur Hochzeit ist es noch eine Weile hin, und bis dahin habe ich bestimmt was zur Miete gefunden.«

»Hm. Von wem stammt denn die Idee? Von dir oder von Miss Cameron?«

Normans Gesicht bekam einen trotzigen Ausdruck. »Von mir.«

Mr. Thorne glaubte ihm nicht. »Ändert es etwas, wenn ich mich weigere, dir meinen Segen zu geben? Ich kann durchaus verstehen, dass Miss Cameron dringend einen Ehemann sucht — sie ist fast fünfundzwanzig — , aber du bist erst zwanzig, mein Junge. Viel zu jung, um eine Familie zu gründen.«

»Wir wollen ja gar nicht gleich Kinder haben.«

»Du vielleicht nicht, mein Junge, aber Miss Cameron ganz sicher, wenn du mich fragst.«

Norman sagte zähneknirschend: »Ich bin kein kleiner Junge mehr, Dad, und sie heißt Elsie. Kannst du nicht versuchen, sie so zu sehen wie ich? Sie ist herzensgut und will nur das Beste für mich.«

»Das will ich auch, Norman.«

»Es sieht aber manchmal nicht so aus.«

Mr. Thorne betrachtete ihn einen Moment. »Hat Elsie dir hundert Pfund gegeben?«

»Nein.«

»Dann wirf mir nicht vor, dass ich mir nichts aus dir mache.«

»Tu ich ja gar nicht«, entgegnete sein Sohn unglücklich. »Aber Geld ist nicht das Wichtigste im Leben, Dad.«

Mr. Thorne schüttelte den Kopf. »O doch, ist es, wenn man sich auf etwas einlässt, was man sich nicht leisten kann. Wenn der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht, hilft dir die ganze Liebe nichts.«


Wie anders ging es da bei der Familie Cameron zu, Elsies Vater schlug Norman auf die Schulter und sagte, er sei ein prima Kerl. »Unsere Elsie wollte immer schon heiraten. Sie bekam richtig Zustände, als ihr Bruder und ihre Schwester sich beide in diesem Jahr verlobt haben. Aber Ende gut, alles gut, sag ich immer. Wir freuen uns, dass Sie unser Schwiegersohn werden.«

Mrs. Cameron umarmte ihn. »Sie sind ein guter Junge, Norman. Ich habe gewusst, dass Sie sich früher oder später zu unserer Tochter bekennen würden. Elsie kann es kaum erwarten, eine Familie zu gründen.«

Norman lächelte verlegen. »Das wird noch eine Weile dauern, Mrs. Cameron. Zuerst brauchen wir ein Dach über dem Kopf.«

Elsie hakte sich bei ihm ein und spreizte die Finger, so dass der Feuerschein auf ihren Ring fiel. »So lange auch wieder nicht, Bärchen. Wer seiner Liebsten so einen Ring anstecken kann, der kann auch ein kleines Häuschen für sie finden, meinst du nicht?«

Norman dachte mit schlechtem Gewissen an die fünf Pfund, die er bei einem Geldverleiher aufgenommen hatte, um den Ring kaufen zu können. »Im nächsten Jahr vielleicht.«

Er meinte, nach einem Ablauf von mindestens zwölf Monaten, sprach also von 1924. Die Camerons glaubten, er meinte 1923. Elsies beide Geschwister wollten in diesem Jahr heiraten, warum nicht auch sie? Den ganzen ersten Weihnachtsfeiertag drehten sich die Gespräche um nichts anderes als Hochzeitskleider und Kinder.

Norman trieb das nur dazu, den Kopf in den Sand zu stecken. Es war einfacher, immer nur zu nicken, statt ständig zu erklären, dass er sich Frau und Familie vorläufig nicht leisten konnte. Es beunruhigte ihn ein wenig, wie versessen Mr. und Mrs. Cameron allem Anschein nach darauf waren, ihre Tochter loszuwerden.

»Wenn sie erst einmal aus London heraus ist, wird sie sicher ruhiger werden«, sagte Mrs. Cameron. »Der Krach hier und die vielen Leute schlagen ihr aufs Gemüt. Lassen Sie sie nur nicht zu lange warten, Norman.«

Mr. Cameron sprach nach dem Mittagessen unter vier Augen mit ihm. »Elsie hat manchmal so fixe Ideen — aber das wissen Sie ja schon. Widersprechen Sie ihr dann lieber nicht. Man fährt am besten, wenn man ihr ihren Willen lässt.«

»Ich werde mich bemühen, Sir.«

»Braver Junge. Wenn Sie es irgendwie schaffen, mit ihr vor den Altar zu treten, ehe es bei ihren Geschwistern so weit ist, werden Sie sie zur glücklichsten Frau auf Erden machen.«

Norman wusste, dass das ausgeschlossen war, aber er sagte es nicht. Mit der Naivität des Zwanzigjährigen hoffte er, die ganze Sache werde einfach vorbeigehen. Solange kein Tag festgesetzt war, meinte er, könne er bis auf alle Ewigkeit auf Zeit spielen.

Man konnte keinen zwingen zu heiraten, bevor er dazu bereit war.

~~~

86 Clifford Gardens

Kensal Rise

London

30. Januar 1923


Mein liebster Norman,

jetzt ist das Schlimmste überhaupt passiert. Mr. Hanley hat mir heute gekündigt, Deine kleine Elsie hat also keine Arbeit mehr. Er war so gemein, Liebster. Er hat gesagt, dass er mich wegen der anderen entlässt. Sie haben wieder Lügenmärchen über mich erzählt, und nur, weil sie es nicht ertragen können, dass ich glücklich bin. Sie sind neidisch auf meinen Ring und neidisch, dass ich verlobt bin. Ich hasse sie alle miteinander.

Mein Vater sagte, ich muss mir eine neue Stellung suchen, aber das muss ich nicht, wenn wir bald heiraten können. Bitte sag, dass das geht. Ich kann es nicht erwarten, Deine Frau zu werden, Bärchen. Ich könnte mir in Deiner Nähe eine Stellung als Stenotypistin suchen und jeden Abend heim in die Hütte kommen. Wir schaffen das leicht, wenn ich verspreche, mit Kindern ein oder zwei Jahre zu warten.

Ach, mein Liebster, ich liebe Dich so sehr. Bitte, bitte sag ja.

Deine Dich liebende

Elsie xxx

~~~

Blackness Road

Crowborough

Sussex

3. Februar 1923


Liebe Elsie,

Es tut mir leid, dass Du Deine Arbeit verloren hast, aber ich finde, Dein Vater hat recht. Du musst Dir in London eine neue Stellung suchen. In der Hütte kann man nicht leben, und keine Ehefrau kann versprechen, keine Kinder zu bekommen. Sie kommen einfach, ob es einem nun passt oder nicht.

Zur Zeit ist es so kalt, dass das Trinkwasser für die Hühner jede Nacht gefriert. Ich muss im Mantel schlafen, um nicht auch zu Eis zu erstarren. Das würde Dir überhaupt nicht gefallen. Und niemand stellt eine Stenotypistin ein, die weder sich selbst noch ihre Kleider ordentlich waschen kann.

Geduld ist eine Tugend, Elsie. Wenn wir jetzt heiraten, werden wir bestimmt nicht so glücklich werden, wie wenn wir damit noch etwas warten. Deshalb ist es meiner Ansicht nach besser, geduldig zu sein.

Ich wünsche Dir, dass Du schnell eine neue Arbeit findest.

Dein Dich liebender

Norman

Загрузка...