10

Miß Henderson wurde von der Plattform gestoßen. Ich drängte mich nach vorn. Alles schien um mich zu kreisen. Ich wußte kaum, was ich tat. Es war, als träumte ich.

»Jason?« fragte sie.

Dem Wächter reichte ich die Quittung über die achtundneunzig Tarsks, die ich bezahlt hatte. Der Mann versetzte dem Mädchen einen Tritt. »Weißt du nicht, daß du vor deinem Herrn niederknien mußt?« knurrte er.

Hastig ließ sie sich nieder.

Ich zerrte sie hoch und nahm sie in die Arme.

»Bist du es, Jason?« flüsterte sie. »Bist du es wirklich?«

»Ja«, antwortete ich. »Ja.«

Sie begann zu weinen, und ich drückte sie an mich. Sie erbebte schluchzend in meinen Armen. Ich spürte ihre Tränen durch meine Tunika. »Ich bin ja so glücklich«, sagte sie.

»Ja«, sagte ich. »Ja.« Vorsichtig streichelte ich ihr über den Kopf.

»Du hast mich gekauft, Jason«, sagte sie. »Ich bin deine Sklavin.« Ich verstand kaum, was sie sagte. »Ich will versuchen, dir zu gefallen – ich möchte nicht ausgepeitscht werden.«

»Was meinst du?« fragte ich.

Sie lehnte sich in meinen Armen ein Stück zurück und hob den Kopf. In ihren Augen standen Tränen, ihre Lippen zitterten. Sie schien ungemein glücklich zu sein. »All die Dinge, die du je mit mir anstellen wolltest«, fuhr sie fort, »kannst du jetzt tun. Alles, was du dir je von einer Frau erträumt hast, muß ich dir jetzt geben. Ich muß dir in allen Dingen gehorchen.«

»Den Schlüssel!« rief ich.

»Den Schlüssel?« fragte sie.

Der Schlüssel zum Verkaufskragen des Mädchens wurde mir in die Hand gedrückt, und ich öffnete damit das stählerne Band.

»Herr, was tust du?« fragte sie erschrocken.

»Nenn mich nicht ›Herr‹!« rief ich mit erstickter Stimme.

Männer verfolgten ratlos die Szene.

»Wo ist dein Kragen für mich?« fragte sie.

»Ich habe keinen Kragen für dich«, sagte ich.

»Herr?«

»Nenn mich nicht ›Herr‹!«

»Nein, Herr«, erwiderte sie. »Ich meine: ›Nein, Jason!‹«

»Du bist eine Frau von der Erde«, sagte ich. »Du weißt, wie du dich benehmen mußt.«

»Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Rede mir nicht davon, daß du dich mir in allem unterwerfen willst«, fuhr ich fort. »Daß du mir gehorchen oder dienen willst.«

»Aber ich bin Sklavin«, sagte sie. »Und ich gehöre dir!«

»Nein.«

»Ich trage das Brandzeichen.«

»Das hat nichts zu bedeuten – es ist nicht deine Schuld.«

»Aber die Schuld von Männern – und du kannst dir vorstellen, was es für ein Mädchen bedeutet, das Zeichen zu tragen! Was hast du mit mir vor?«

»Ich will dich freigeben«, sagte ich. »Ich gebe dir, was dein Herz am meisten ersehnt, deine absolute Freiheit.«

Sie starrte mich entsetzt an. »Du willst mich nicht«, flüsterte sie.

»Sei unbesorgt«, fuhr ich fort, »ich werde deine Situation nicht ausnutzen und dich auch nicht mißbrauchen. Du wirst mit dem Respekt behandelt, der dir zusteht. In allen Dingen wirst du mir gleichgestellt sein.«

»Wie kann eine Sklavin ihrem Herrn gleichgestellt sein?« fragte sie.

»Du bist frei«, sagte ich.

»Irgendein Goreaner hätte mich kaufen können«, sagte sie, »der mich in Ansehen gehalten und verehrt hätte, der mich dazu gebracht hätte, ihm gut und hingebungsvoll zu dienen.«

»Ich habe dir die Freiheit gegeben. Bist du nicht glücklich?« fragte ich verwirrt.

»Ich bin nackt«, sagte sie.

»Verzeih!« Ich eilte zu einem der Käfigwärter und erstand für einen kleinen Tarsk eines der Sklaventücher, in denen die Mädchen auf den Block geführt wurden.

Ich lief zu ihr zurück und blieb, den Stoff in der Hand haltend, vor ihr stehen. Einen Sekundenbruchteil lang war mir schwindelig, so wunderschön war sie. Hätte ich sie nicht nackt durch die Straßen Victorias führen sollen, zum Ergötzen anderer Männer, als stolzer Besitzer dieser Schönheit?

»Schau mich nicht an, du lüsternes Ungeheuer!« rief sie. »Bedecke mich, schnell!«

Hastig legte ich das Tuch um sie, und sie griff von innen danach und zog den Stoff eng um sich. Die Umrisse ihrer kleinen Fäuste zeichneten sich deutlich unter dem Gewebe ab.

»Wir wollen von hier verschwinden«, sagte ich.

»Ja, dies ist ein widerlicher Ort«, bemerkte sie. »Mich stört der Sklavengestank.«

Hastig verließen wir den Sklavenmarkt des Lysander.

»Wo wohnst du?« fragte sie.

»Ich habe beim Hafen ein ganz kleines Zimmer gemietet.«

»Ich werde auch eins brauchen.«

»Ich kann mir nicht viel leisten.«

»Dann müssen wir das Zimmer irgendwie aufteilen.«

»Selbstverständlich«, sagte ich.

»Außerdem mußt du losgehen und Kleidung für mich kaufen«, forderte sie. »Ich kann doch nicht immer in diesem Tuch herumlaufen.«

»Wie wär’s mit einer Sklaventunika?«

»Mach keine Witze, Jason!«

»Hier entlang«, sagte ich und deutete auf eine Straße, die zum Fluß führte.

»Ich habe kein Geld«, sagte sie, »und keinen Heimstein. Und ich habe keinen Beruf erlernt.«

»Ein Beruf steht allen Frauen offen«, stellte ich fest.

»Ich hab’ dir schon eben gesagt, scherze nicht mit mir! Das ist nicht amüsant.«

»Köchin«, sagte ich.

»Sehr komisch!«

»Wie gedenkst du dir deinen Unterhalt zu verdienen?« wollte ich wissen.

»Ich habe nicht die Absicht, mir meinen Unterhalt zu verdienen«, antwortete sie. »Das erwarte ich vielmehr von dir.«

»Und was willst du dafür tun?«

»Nichts, absolut nichts«, entgegnete sie. »Ich habe nicht darum gebeten, gekauft zu werden.«

»Es sieht nicht so aus, als hätte ich mit dir eine gute Investition gemacht«, sagte ich.

»Du kannst mir ja jederzeit eine Glocke und einen Münzbecher umhängen und mich zum Anschaffen auf die Straße schicken«, sagte sie.

»Das wäre ein Gedanke!« rief ich.

Sie schnaubte zornig durch die Nase, und wir setzten unseren Weg fort.

»Hast du Arbeit?« fragte sie.

»Nein.«

»Du mußt dir welche beschaffen.«

»Das wäre wohl angebracht«, erwiderte ich. Ich spielte mit dem Gedanken, als Ruderer oder Hafenarbeiter anzuheuern. Ich war kräftig. Auf keinen Fall wollte ich mir weiter Geld verdienen, indem ich in Tavernen andere Männer zum Kampf herausforderte. Dabei konnte ich leicht auf Gegner stoßen, die mit Messer oder Schwertern antraten. Erst vorhin war ich von einem ziemlich heruntergekommenen Mann gerettet worden, Callimachus, der vielleicht aus Port Cos stammte, weiter unten am Fluß. Wäre er nicht eingeschritten, hätte mich der Pirat Kliomenes bestimmt umgebracht.

»Wir müssen uns feste Regeln für unsere gemeinsame Unterkunft geben«, sagte sie.

»Selbstverständlich.«

»Ich werde als erste baden.«

»Wir haben eine kleine Kupferwanne«, bemerkte ich.

»Und jeder wird seinen Anteil besorgen beim Kochen, Saubermachen und der sonstigen Hausarbeit.«

»Ich soll am Tage arbeiten«, widersprach ich, »und dann noch die halbe Hausarbeit machen?«

»Du kannst nicht erwarten, daß ich die Schmutzarbeit für dich tue«, sagte sie. »Ich bin eine freie Frau. Ich kümmere mich um meine Sachen, du um die deinen.«

»Ich verstehe.«

»Das Zimmer liegt doch nicht etwa in diesem schrecklichen Haus!« Ziemlich entsetzt blickte sie in den Schein einer Pendellaterne, die über der Schwelle einer Schänke hing.

»Doch.«

»Da müssen wir uns noch verbessern!«

Ich musterte sie von oben bis unten und spielte mit dem Gedanken, ihr das Tuch vom Leibe zu reißen. Dann aber brachte ich mir zu Bewußtsein, daß sie eine freie Frau war und vom Planeten Erde stammte, meiner Heimatwelt. Sie war keine Goreanerin, sondern etwas Höheres, Feineres – eine Erdenfrau.

»Du hast nicht mal einen vollen Silber-Tarsk für mich bezahlt!« sagte sie zornig. »Andere Mädchen haben zwei bis drei Silber-Tarsk gebracht.«

»Das waren auch sehr schöne Frauen, zum Teil aus hoher Kaste, die zu Vergnügungssklavinnen ausgebildet worden waren.«

»Und du würdest mich am liebsten auch wieder versklaven!«

»Das ginge ohne weiteres!« sagte ich zornig.

»Du würdest es nicht wagen!«

»Bring mich nicht in Versuchung!« schäumte ich.

»Du bist zu schwach, um mich als Sklavin zu behandeln, als Frau!« sagte sie herausfordernd.

Ich packte sie an den Oberarmen und schüttelte sie. »Oh!« japste sie. »Bitte, Herr, geh sanft mit mir um!« Erschrocken blickte sie zu mir auf.

»Das Wort ›Herr‹ ging dir aber sehr leicht über die Lippen«, stellte ich fest.

Sie raffte das Gewebe um sich und senkte den Blick.

»Verzeih mir!« rief ich. »Es tut mir leid, ich habe mich wie ein Idiot benommen.«

»Ich bin eine Frau von der Erde«, sagte sie leise, »kein goreanisches Mädchen.«

»Das weiß ic h sehr wohl. Es tut mir ehrlich leid.«

»Ich weiß, du wirst mich nicht deiner Kraft unterwerfen.«

»Entschuldige, aber ich war wütend geworden.«

»Du bist ein Mann von der Erde«, sagte sie, »anständig und rücksichtsvoll, zärtlich und zuvorkommend, von dem Wunsch beseelt, einer Frau Freude zu bereiten. Du solltest dir immer vor Augen halten, daß Frauen von Männern wie dir nichts zu befürchten haben.«

»Verzeih.«

»Und künftig faßt du mich nicht mehr an!«

Wie sehr hatte ich Miß Henderson gekränkt!

»Ich werde dafür sorgen, daß ich deines Respekts würdig bin – und meiner eigenen Selbstachtung als freie Frau.«

»Bist du nicht dankbar, daß ich dich aus der Sklaverei befreit habe?«

»Sehr sogar«, erwiderte sie. »Du kannst dir ja nicht vorstellen, wir herrlich es ist, frei zu sein. Genau das wünscht sich jede Frau.«

»Du hast deine Dankbarkeit aber noch nicht sonderlich deutlich zum Ausdruck gebracht.«

»Und wie hast du dir als Mann das vorgestellt?« fragte sie schneidend.

Errötend senkte ich den Blick.

»Hast du mich gekauft, damit ich dir als schwache, dumme Frau in Dankbarkeit meine Gunst erweise?«

Ich hob den Blick nicht.

»Eine Gunst, die auf andere Weise zu erringen du zu schwach warst.«

»Es tut mir leid.«

»Aber denke nur nicht, daß ich nicht dankbar bin«, fuhr sie fort, »ich werde dich lehren, ein echter Mann zu sein, rücksichtsvoll und umgänglich, so ungefähr.«

»Ich verstehe«, sagte ich und berührte ihre Wange mit meinen Lippen.

»Genug!« rief sie. Wieder hatten sic h meine Hände um ihre Oberarme gelegt. »Du bist kräftig, Jason«, sagte sie. Ohne es zu merken, hatte ich sie von den Füßen gehoben.

»Daß du mich nie wieder mit solcher Lust anschaust!« forderte sie. »Ich bin eine Frau der Erde!«

Ich zuckte ärgerlich die Schultern.

»Es wird nicht leicht sein, dich zu einem echten Mann zu machen.«

»Ich möchte dich noch einmal küssen«, sagte ich.

»Nach dem, was da eben passiert ist, werde ich dir so schnell nicht wieder gestatten, mich zu küssen – wenn überhaupt.«

»Bitte, Beverly!«

»Es war ein anstrengender Tag, ich habe Kopfschmerzen«, sagte sie. »Außerdem müssen wir noch die Trennung des Zimmers arrangieren. Und morgen mußt du früh aufstehen und mir Kleidung kaufen und zum Markt gehen. Anschließend gilt es Arbeit zu finden.«

»Ja, Beverly«, sagte ich und folgte ihr in die Schänke.

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