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Mrs Upjohn saß am Straßenrand und blickte in eine tiefe Schlucht. Sie unterhielt sich auf Französisch – und mithilfe vieler Gesten – mit einer dicken Türkin, die ihr in allen Einzelheiten, soweit dies die sprachlichen Schwierigkeiten zuließen, ihre letzte Fehlgeburt schilderte. Sie erzählte, sie habe im Ganzen neun Kinder, acht Jungen und ein Mädchen, und dies war bereits ihre fünfte Fehlgeburt.

»Und Sie?« Sie stieß Mrs Upjohn freundschaftlich in die Rippen.

»Combien? Garçons? Filles? Combien?«

»Une fille«, erwiderte Mrs Upjohn.

»Et garçons?«

Um in der Achtung der Türkin nicht zu sinken und in einer Anwandlung von Nationalstolz entschloss sich Mrs Upjohn zu einer Lüge. Sie hielt alle fünf Finger ihrer rechten Hand hoch.

»Cinq«, sagte sie.

»Cinq garçons? Très bien!«

Die Türkin nickte anerkennend. Sie fügte hinzu, dass sie sich noch viel besser verstehen könnten, wenn ihre Kusine hier wäre, die fließend Französisch sprach. Dann fuhr sie fort, ihre Fehlgeburt zu schildern.

Die anderen Fahrgäste saßen in der Nähe; die meisten hatten Esskörbe bei sich, aus denen sie sich bedienten. Der staubige, verbeulte Autobus stand unter einem überhängenden Felsen, und der Fahrer machte sich mit einem anderen Mann am Motor zu schaffen. Mrs Upjohn lebte in einer zeitlosen Welt. Da zwei Landstraßen unter Wasser standen, mussten viele Umwege gemacht werden. Einmal hatten sie sieben Stunden gewartet, bis sie einen Fluss überqueren konnten. Sie wusste nur eins, dass sie Ankara in absehbarer Zeit erreichen würden.

Ihre Gedanken wurden plötzlich von einer Stimme unterbrochen, die in scharfem Gegensatz zu ihrer Umgebung stand.

»Sind Sie Mrs Upjohn?«, fragte die Stimme.

Mrs Upjohn blickte auf. In einiger Entfernung hielt ein Auto, aus dem der Herr, der ihr gegenüberstand, zweifellos gestiegen war. Sein Gesicht war so unverkennbar englisch wie seine Stimme. Er trug einen gut sitzenden grauen Flanellanzug.

»Mein Name ist Atkinson, vom Konsulat in Ankara«, sagte der liebenswürdige Fremde. »Wir versuchen seit Tagen, uns mit Ihnen in Verbindung zu setzen, aber die Straßen waren gesperrt.«

»Sie wollten sich mit mir in Verbindung setzen? Warum?« Mrs Upjohn sprang erregt auf. Die unternehmungslustige, vergnügte Reisende hatte sich mit einem Schlag in eine besorgte Mutter verwandelt.

»Julia? Ist meiner Julia etwas zugestoßen?«

»Nein, nein, es handelt sich nicht um Julia, der geht es gut«, beruhigte sie Mr Atkinson. »Merkwürdige Dinge haben sich in Meadowbank ereignet, und wir möchten, dass Sie so bald wie möglich nachhause kommen. Ich bringe Sie in meinem Wagen nach Ankara, und in einer Stunde werden Sie im Flugzeug nach London sitzen.«

»Würden Sie so freundlich sein, mir meinen Koffer vom Verdeck herunterzuholen?«, bat sie. »Es ist der dunkelblaue Handkoffer.« Sie wandte sich zu ihrer türkischen Reisegefährtin, schüttelte ihr die Hand und sagte: »Leider muss ich sofort nachhause fahren.« Sie winkte den anderen Reisenden freundlich zu, sagte ein paar türkische Abschiedsworte und folgte Mr Atkinson, ohne ihm irgendwelche Fragen zu stellen. Wie schon viele andere vor ihm stellte auch er fest, dass Mrs Upjohn eine sehr vernünftige Frau war.



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