16. Kapitel Der Gehenkte

Als ich gegen Ende Juni 1841 von einer meiner Reisen nach Italien zurückkam, fand ich wie gewöhnlich eine große Anzahl Briefe, die mich erwarteten.

Im allgemeinen und zur Erbauung derer, die mir schreiben, möchte ich sagen, daß ich die Durchsicht immer sehr schnell vorgenommen habe: Die Briefe, die ich als von Freunden stammend erkenne, werden beiseite gelegt und gelesen; die anderen werfe ich unbarmherzig ins Feuer.

Einer von diesen Briefen jedoch, mit dem Poststempel Toulon, dessen Handschrift durchaus keine Erinnerung in mir erweckte, erhielt Begnadigung wegen seiner seltsamen Adresse.

Die Adresse lautete: »Herrn Alexandre Dumas, dramatischen Schriftsteller in Europa, im Vorübergehen im Hotel de Paris nachzusehen, ob er nicht etwa dort ist.«

Ich entsiegelte den Brief und suchte den Namen des Schmeichlers, der ihn mir geschickt hatte. Er war mit Rossignol unterzeichnet. Zunächst schien mir dieser Name so unbekannt wie die Handschrift, doch als ich den Stempel betrachtete, begann ich klarer zu sehen; die ersten Worte nahmen übrigens jeden Zweifel.

Er kam von einem der zwölf Galeerensklaven, die in meinem Dienst gewesen waren, während ich die kleine Bastide im Fort Lamalgue bewohnte. Da dieser Brief nicht nur im Zusammenhang mit der von mir soeben erzählten Geschichte steht, sondern sie zu Ende führt, will ich ihn hier der Einfachheit dem Leser vorlegen.

»Herr Dumas!

Verzeihen Sie einem Menschen, den sein Unglück für einen Augenblick von der Gesellschaft getrennt hat (ich bin, wie Ihnen bekannt, nur für eine bestimmte Zeit hier), daß er so kühn ist, an Sie zu schreiben; doch seine Absicht wird ihn entschuldigen; er unternimmt es in der Hoffnung, Ihnen einen Gefallen zu tun.«

Das Vorwort war, wie man sieht, ermutigend; ich fuhr fort:

»Sie werden sich gewiß Gabriel Lamberts erinnern, den man den Doktor nannte; Sie wissen wohl, der, welcher im Fort Lamalgue das ausgezeichnete Frühstück nicht holen wollte, mit dem Sie uns zu bewirten die Güte hatten. Der Dummkopf!

Sie müssen sich seiner erinnern, denn Sie erkannten in ihm einen Menschen, den Sie einst in der großen Welt getroffen hatten, und er hatte Sie auch erkannt, und das beschäftigte Sie so sehr, daß Sie den armen Vater Chiverny, den Aufseher, der trotz seines boshaften Gesichtes ein braver Mann ist, mit Fragen bestürmten.

Hören Sie also, was ich Ihnen über Gabriel Lambert zu sagen habe.

Als Gabriel hier eingeliefert wurde, bekam er einen guten Burschen namens Accacia als Kettenkameraden, der wegen einer Albernheit bei uns war.

Vier Jahre nach Ihrem Aufenthalt in Toulon, nämlich im Jahre 1838, nahm Accacia eines Morgens von uns Abschied.

Am Abend zuvor war mein Kettenkamerad zufällig gestorben.

Infolge beider Ereignisse waren Gabriel und ich allein, und man kettete uns zusammen.

Gabriel hatte, wenn Sie sich erinnern, nicht das lieblichste Aussehen.

Die Nachricht, daß ich mit ihm zusammengeschlossen werden sollte, berührte mich also nicht gerade auf das angenehmste.

Ich bedachte indessen, daß ich nicht in Toulon war, um nach meinem Wohlbehagen zu leben, und da ich Philosoph bin, fügte ich mich.

Am ersten Tag sprach er mit mir überhaupt nicht, was mich ungemein langweilte, insofern ich meiner Natur nach redselig bin; mich beunruhigte das um so mehr, als Accacia mehr als einmal mit mir über sein Mißgeschick, an einen Stummen gekettet zu sein, gesprochen hatte.

Ich dachte, ich, der ich auf zwanzig Jahre hier bin und folglich noch zehn Jahre durchzumachen hatte (mein Urteil, ein sehr ungerechtes Urteil, das sicherlich kassiert worden wäre, wenn ich Fürsprecher gehabt hätte, ist vom 24. August 1828), würde mit Gabriel zehn nur wenig ergötzliche Jahre vor mir haben.

In der Nacht überlegte ich mir deshalb, was ich tun sollte; da fiel mir das Mittel ein, das der Fuchs gebraucht hat, um den Raben zum Sprechen zu bringen, und ich sagte, als es Tag geworden war: >Herr Gabriel, erlauben Sie, daß ich mich nach Ihrer Gesundheit erkundige?<

Er schaute mich erstaunt an, denn er wußte nicht, ob ich im Ernst sprach oder spottete.

Ich bemühte mich um den größten Ernst.

>Wie, nach meiner Gesundheit?< erwiderte er.

Das war, wie Sie sehen, schon etwas. Ich hatte ihm die Zähne aufgebrochen.

>Ja, nach Ihrer Gesundheit<, versetzte ich. >Sie schienen eine schlimme Nacht gehabt zu haben.<

Er seufzte.

>Ja, schlimm<, sagte er. >Doch so sind alle meine Nächte.<

>Teufel!< rief ich.

Ohne Zweifel täuschte er sich im Sinn meines Ausrufs, denn nach kurzem Stillschweigen fuhr er fort: >Seien Sie übrigens unbesorgt;

wenn ich nicht schlafe, werde ich wenigstens ruhig sein und versuchen, Sie nicht aufzuwecken.<

>Geben Sie sich meinetwegen nicht soviel Mühe, Herr Lambert<, erwiderte ich, >ich fühle mich so geehrt, Ihr Kettenkamerad zu sein, daß ich gern einige Unbequemlichkeiten ertragen würde.<

Gabriel schaute mich mit neuem Erstaunen an.

So hatte sich Accacia nicht benommen, um ihn zum Sprechen zu bringen, er hatte ihn geschlagen, bis er gesprochen hatte; doch obgleich er ein Resultat erreicht hatte, so war doch dieses Resultat nie befriedigend gewesen, und es hatte immer ein gespanntes Verhältnis zwischen beiden geherrscht.

>Warum sprechen Sie so mit mir, mein Freund?< fragte mich Gabriel Lambert.

>Weil ich weiß, mit wem ich spreche, mein Herr, und weil ich kein Bauernlümmel bin, das dürfen Sie mir glauben.<

Gabriel schaute mich mit einer mißtrauischen Miene an, aber ich lächelte mit solcher Freundlichkeit, daß ein Teil seines Argwohns zu verschwinden schien.

Es kam die Frühstücksstunde. Man brachte uns wie gewöhnlich unseren Napf, doch statt sogleich meinen Löffel in die Suppe zu tauchen, wartete ich achtungsvoll, bis er zu Ende gegessen hatte, um anzufangen. Diese Aufmerksamkeit rührte ihn so sehr, daß er mir nicht nur den größten Teil, sondern auch die besseren Stücke überließ.

Ich sah, daß man in dieser Welt durch Höflichkeit gewinnen kann.

Kurz, nach acht Tagen waren wir, abgesehen von einer gewissen stolzen Miene, die er nicht ablegte, die besten Freunde.

Leider hatte ich dadurch, daß ich meinen Gefährten zum Reden brachte, nicht viel gewonnen: Seine Gespräche waren äußerst schwermütig, und ich bedurfte wahrhaftig der ganzen natürlichen Heiterkeit meines Geistes, daß ich mich nicht selbst in einer solchen Schule verdarb.

So brachte ich zwei Jahre hin, während deren er immer düsterer wurde. Von Zeit zu Zeit bemerkte ich, daß er mir ein Geständnis machen wollte.

Ich schaute ihn dann, um ihn zu ermutigen, mit der treuherzigsten Miene an, die mir zu Gebot stand; aber sein halbgeöffneter Mund schloß sich wieder, und ich sah, daß die Sache auf einen anderen Tag verschoben war.

Ich sann nach, was für ein Geständnis es sein könnte - und das war immer eine Beschäftigung, die mich ein wenig zerstreute -, als wir eines Tages neben einem Wagen hergingen, der mit alten Kanonen beladen war, die man zum Umgießen wegbrachte; dieser Wagen mochte wohl zehntausend Pfund schwer sein, und ich bemerkte, wie er sich ihm näherte und ihn auf eine Weise anschaute, die sagen wollte: >Hätte ich keine Angst vor dem Tod, würde ich meinen Kopf darunterlegen, und alles wäre abgetan.<

Von diesem Augenblick an war ich mir im klaren. Selbstmord kommt im Bagno sehr häufig vor.

Als wir eines Tages am Hafen arbeiteten und ich ihn mich auf seine gewöhnliche Weise anschauen sah, beschloß ich, seinen Bedenklichkeiten ein Ende zu machen. Ich muß Ihnen sagen, daß dergleichen nach und nach höchst peinlich war und daß es mir allmählich über die Ohren ging, so daß ich ihn ums Leben gern auf die eine oder andere Weise losgeworden wäre.

>Nun<, sagte ich, >lassen Sie hören, was haben Sie, daß Sie mich so anschauen?< >Ich? Nichts!< erwiderte er. >Doch, doch!< >Du täuschst dich.<

>Ich täusche mich so wenig, daß ich Ihnen, wenn Sie wollen, sagen werde, was Sie haben.< >Du?< >Ja.<

>Sprich!< >Sie möchten sich gern aus der Welt schaffen und haben nur Angst davor, sich Schmerzen zu bereiten.< Er wurde weiß wie ein Leinentuch. >Wer hat dir das gesagt?< >Ich habe es erraten.<

>Nun ja, Rossignol, du hast recht, es ist die Wahrheit; ich möchte mich gern töten, aber ich habe Angst davor.< >Es ist also richtig. Das Bagno langweilt Sie?< >Ich habe es hundertmal beklagt, daß ich nicht guillotiniert worden bin.<

>Jeder hat seinen Geschmack. Doch ich gestehe, obgleich die Tage, die man hier zubringt, nicht aus Gold und Seide gesponnen sind, sind sie mir doch noch lieber, als unter dem Rasen zu liegen.< >Ja, dir.<

>Ich begreife ja, daß Ihnen dieser Aufenthaltsort nicht gefällt. Wenn man hunderttausend Livres Rente hatte, wenn man in schönen Equipagen gefahren ist, wenn man sich in feines Tuch gekleidet und Zigarren zu vier Sous geraucht hat, ist es allerdings peinlich, die Kugel zu schleppen, rot gekleidet zu sein und Galgenknaster zu kauen; aber was wollen Sie! Man muß Philosoph sein in dieser Welt, wenn man nicht den Mut besitzt, den Paß für die andere zu unterzeichnen.< Gabriel stieß einen Seufzer aus, der einem Stöhnen glich. >Hast du nie Lust gehabt, dich zu töten?< fragte er. >Meiner Treu, nein.<

>Du hast also nie überlegt, welche von den verschiedenen Todesarten die leichteste und am wenigsten schmerzhafte sein könnte?<

>Teufel! Man hat immer einen Augenblick durchzumachen, der hart sein muß; doch das Hängen soll am leichtesten sein.< >Meinst du?<

>Gewiß glaube ich es; man sagt sogar, die Guillotine sei nur deshalb erfunden worden. Ein Gehenkter, dessen Strick gerissen war, hatte, wie es scheint, so angenehme Dinge davon erzählt, daß die

Verurteilten am Ende zum Galgen gingen, als ob es eine Hochzeit wäre.< >Wahrhaftig?<

>Bitte, ich habe das noch nicht versucht, doch hier sagt man so.< >Du würdest dich also hängen, wenn du dich zu töten entschlossen wärest?< >Gewiß.<

Er öffnete den Mund; ich glaube, er wollte mir den Vorschlag machen, wir sollten uns gemeinsam hängen, ohne Zweifel las er aber in meinem Gesicht, daß ich nicht zu dieser Vergnügungspartie geneigt war, denn er schwieg einen Augenblick. >Nun<, sagte ich, >sind Sie entschlossen?< >Noch nicht ganz, denn es bleibt mir eine Hoffnung.< >Welche?<

>Ich hoffe einen Kameraden zu finden, der dafür, daß ich ihm meine Habe und einen Brief hinterlasse, in dem ich bestätige, daß ich mich selbst umgebracht habe, mich zu töten einwilligt.<

Zu gleicher Zeit schaute er mich an, als wollte er mich fragen, ob ich nicht darauf eingehen würde.

Ich schüttelte den Kopf und erwiderte: >O nein, damit befasse ich mich nicht; darum hätten Sie Accacia bitten müssen, der war wegen eines Streiches dieser Art hier, und er hätte vielleicht eingewilligt; bei mir aber ist das unmöglich.<

>Doch du wirst mir wenigstens helfen, wenn ich einmal entschlossen bin, mich zu töten?<

>Das heißt, ich werde Sie nicht hindern, Ihr Vorhaben auszuführen. Teufel, ich bin nur auf bestimmte Zeit hier und will mich nicht gefährden.< Hier endete unser Gespräch.

Es vergingen sechs Monate, ohne daß auch nur einmal davon wieder die Rede gewesen wäre.

Ich sah jedoch, daß Gabriel immer trauriger wurde und sich immer mehr mit seinem Plan vertraut machte.

Da mich seine Betrachtungen durchaus nicht erheiterten, drängte es mich, ich muß es gestehen, ihn zu einem Entschluß kommen zu sehen.

Endlich eines Morgens, als er sich die ganze Nacht hin und her gewälzt hatte, stand er noch bleicher als gewöhnlich auf; und als er sein Frühstück nicht berührte, fragte ich ihn, ob er krank wäre. >Heute wird es geschehen<, erwiderte er. >Oh, entschieden?< >Ohne Aufschub.<

>Und Sie haben alle Vorsichtsmaßregeln getroffen?< >Hast du gestern nicht gesehen, daß ich einen Brief schrieb?< >Ja, doch ich war nicht so unbescheiden, darauf zu achten.< >Hier ist er.<

Er gab mir ein kleines, zusammengelegtes Papier, und ich las:

>Da mir das Leben im Bagno unerträglich geworden ist, bin ich entschlossen, mich morgen, am 5. Juni 1841, zu erhängen.

Gabriel Lambert<

>Nun!< sagte er, als wäre er erfreut über den Beweis, den er mir von seinem Mut gab, >du siehst, mein Entschluß ist gefaßt, und meine Hand hat beim Schreiben nicht gezittert.<

>Ja, ich sehe es<, antwortete ich. >Doch durch diesen Brief verschaffen Sie mir wenigstens einen Monat schweren Kerker.< >Warum?<

>Weil nichts sagt, daß ich Sie in Ihrem Falle nicht unterstützt habe, und ich lasse es auch nur zu, daß Sie sich hängen, wenn mir nichts Schlimmes daraus entsteht.< >Wie soll ich denn das machen?< >Schreiben Sie einen anderen Brief.< >Was soll darin stehen?< >Ungefähr folgendes:

Heute, während der Ruhestunde, wenn mein Kamerad Rossignol schlafen wird, gedenke ich den längst von mir gefaßten Entschluß auszuführen, mich zu töten, da mir das Leben im Bagno unerträglich geworden ist.

Ich schreibe diesen Brief, damit Rossignol auf keine Weise Schaden daraus ersteht.

Gabriel Lambert<

Gabriel billigte diesen Text, schrieb den Brief und steckte ihn in die Tasche.

Und wirklich an demselben Tag, als die Mittagsstunde geschlagen hatte, fragte mich Gabriel, der seit dem Morgen kein Wort mehr gesprochen hatte, ob ich einen geeigneten Ort kenne, seinen Plan auszuführen. Ich sah wohl, daß er schwankte und daß es wieder nichts werden würde, wenn ich ihm nicht half.

>Ich habe, was Sie brauchen<, sagte ich, indem ich ihm ein Zeichen mit dem Kopf machte. >Sind Sie indessen noch nicht fest entschlossen, so verschieben Sie es auf einen anderen Tag.<

>Nein<, erwiderte er mit einer gewaltigen Anstrengung gegen sich selbst, >nein, ich habe gesagt, heute werde es geschehen, und es geschieht auch.<

>Es ist wahr<, versetzte ich mit nachlässigem Ton, >hat man seinen Entschluß gefaßt, ist es besser, wenn man ihn auch sogleich voll-bringt.<

>Zeig mir die Stelle<, sprach Gabriel.

Wir begaben uns auf den Weg; er ließ sich schleppen, doch ich stellte mich, als bemerkte ich das nicht.

Je mehr wir uns dem Ort näherten, den er so gut kannte wie ich, desto mehr machte er den Schleppfuß. Ich tat, als sähe ich nichts, und ging weiter.

>Ja, hier ist es<, murmelte er, als wir dort waren.

Ein Beweis, daß er den Platz so gut wie ich als sehr geeignet für sein Vorhaben erkannt hatte.

Neben einem der großen Bretterstapel, die Sie kennen, stand ein herrlicher Maulbeerbaum. Ich konnte mich stellen, als schliefe ich im Schatten dieses Stapels, und er konnte sich während dieser Zeit hängen.

>Nun<, sagte ich, >was halten Sie von dieser Stelle?< Er war bleich wie der Tod.

>Ah!< rief ich. >Ich sehe wohl, daß es heute noch nicht geschehen wird.<

>Du täuschst dich<, entgegnete er, >mein Entschluß ist gefaßt; es fehlt mir nur ein Strick.< >Wie<, versetzte ich, >Sie kennen den Ort nicht?< >Welchen Ort?<

>Den Ort, wo Sie den Strick verborgen haben, den Sie eines Tages in die Tasche schoben, als wir durch die Seilerei kamen.<

>In der Tat<, erwiderte er stammelnd, >ich glaube, ich habe ihn hier aufbewahrt.<

>Dort<, sagte ich und deutete auf die Stelle des Bretterstapels, wo ich ihn vierzehn Tage vorher den fraglichen Gegenstand hatte verstecken sehen.

Er bückte sich und schob seine Hand in eine der Öffnungen. >In der anderen<, sprach ich, >in der anderen.< Er suchte wirklich in der anderen und zog einen hübschen, drei Klafter langen Strick heraus.

>Verdammt<, rief ich, >da läuft einem das Wasser im Munde zu-sammen.< >Was soll ich nun tun?< fragte er.

>Bitten Sie mich sogleich, Ihnen die Sache abzunehmen, und es wird in aller Kürze geschehen sein.< >Nun gut<, versetzte er, >du würdest mir ein Vergnügen bereiten.< >Ich würde Ihnen ein Vergnügen bereiten?< >Ja.<

>Sie bitten mich darum?< >Ich bitte dich darum.<

>Einem Kameraden kann ich nichts abschlagen.<

Ich machte eine hübsche Schlinge, befestigte den Strick an einem der stärksten und höchsten Äste und stellte ganz nahe an dem Maulbeerbaum ein Holzscheit aufrecht, das er nur mit dem Fuß umzustoßen brauchte, um zwei Schuh leeren Raum zwischen sich und der Erde zu bekommen.

Das war gewiß mehr, als ein ehrlicher Mann brauchte, um richtig zu hängen.

Während dieser ganzen Zeit schaute er mir zu.

Er war nicht mehr bleich. Er war aschgrau.

Als ich mit meinen Vorbereitungen fertig war, sprach ich: >Das große Werk ist vorbereitet; mit ein bißchen Entschlossenheit wird es in einer Sekunde beendet sein.<

>Das ist leicht zu sagen<, murmelte er.

>Übrigens wissen Sie wohl, daß ich Sie nicht antreibe<, bemerkte ich. >Im Gegenteil, ich habe getan, was ich konnte, um Sie abzu-halten.<

>Ja, aber ich will es<, erwiderte er, während er entschlossen auf das Scheit stieg.

>Warten Sie doch, bis ich mich hingelegt habe.<

>Leg dich hin.<

Ich tat es.

>Gott befohlen, Rossignol<, sagte er.

Und er steckte seinen Kopf durch die Schlinge.

>Nehmen Sie doch Ihre Halsbinde ab<, sagte ich.

>Es ist wahr<, murmelte er.

Und er zog seine Halsbinde ab.

>Gott befohlen, Rossignol<, wiederholte er.

>Gott befohlen, Herr Lambert; Mut, Mut! Ich schließe die Augen, um das nicht zu sehen.<

Es war in der Tat furchtbar anzuschauen.

Zehn Minuten hielt ich die Augen geschlossen, aber nichts deutete mir an, daß etwas geschah.

Ich öffnete sie wieder. Er hatte immer noch seinen Hals in der Schlinge; seine Gesichtsfarbe war nicht mehr die eines Menschen, sondern einer Leiche.

>Nun?< fragte ich.

Er stieß einen Seufzer aus.

>Der Vater Chiverny!< rief ich, indem ich die Augen wieder schloß und eine Bewegung machte, durch die, glaube ich, das Scheit umfiel.

>Herbei, zu Hi.. .<, versuchte Lambert zu rufen, aber die Stimme erlosch.

Ich fühlte, daß krampfhafte Bewegung den Baum zittern machte, dann hörte ich etwas wie ein Röcheln.

Nach einer Minute war alles ruhig und still.

Ich wagte nicht, mich zu rühren, ich wagte nicht, die Augen zu öffnen, ich hatte den Aufseher, Sie wissen, den Vater Chiverny, auf mich zukommen sehen, ich hörte das Geräusch von Tritten; endlich fühlte ich, daß man mir einen gewaltigen Fußtritt in die Seite gab.

>Was gibt es, ihr Burschen?< rief ich, indem ich mich umdrehte und mich stellte, als erwachte ich.

>Was es gibt? Dein Kamerad hat sich erhängt, während du schläfst, Taugenichts!<

>Welcher Kamerad?< sagte ich, als ob ich gar nicht wüßte, was vorgefallen war.

Haben Sie je einen Gehenkten gesehen, Herr Dumas? Das ist sehr häßlich! Gabriel war besonders abscheulich. Es ist anzunehmen, daß er sich sehr zerarbeitet hatte, denn er war ganz entstellt.

Es scheint, mein Gesicht drückte ein solches Erstaunen aus, daß man an meine Unwissenheit glaubte.

Überdies durchsuchte man die Taschen Gabriels und fand darin das kleine Papier, das mich völlig entlastete. Man nahm den Leichnam herab, legte ihn auf eine Bahre und brachte uns beide in das Krankenhaus. Dann meldete man den Vorfall dem Inspektor.

Während dieser Zeit blieb ich bei dem Körper meines Gefährten, an den ich gekettet war.

Nach einer Viertelstunde kam der Inspektor; er untersuchte den Leichnam, hörte den Bericht des Vaters Chiverny und befragte mich.

Dann faßte er seine ganze Weisheit zusammen, um sein Urteil zu fällen, und sprach: >Den einen auf den Kirchhof, den anderen ins Gefängnis.<

>Aber, Herr Inspektor!< rief ich.

>Auf vierzehn Tage<, sagte er.

Ich schwieg. Ich hatte Bange, eine Verdoppelung der Strafe herbeizuführen, was gewöhnlich geschieht, wenn man reklamiert.

Man öffnete die Kette und führte mich in den Kerker, wo ich vierzehn Tage blieb. Als ich herauskam, fesselte man mich mit einem hübschen Jungen zusammen, den Sie nicht kennen; er sprach wenigstens.

Dies, Herr Dumas, sind die Begebenheiten, die ich Ihnen achtungsvoll mitteilen wollte, in der Überzeugung, sie müßten Ihnen interessant sein. Ist es mir gelungen, Ihren Beifall zu finden, so bitte ich Sie, unserem guten Doktor Lauvergne zu schreiben, er möge mir in Ihrem Auftrag ein Pfund Tabak geben.

Ich habe die Ehre zu sein mit tiefster Verehrung, mein Herr,

Ihr gehorsamster, untertänigster Diener Bossignol, wohnhaft in Toulon.«

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