7. KAPITEL

Leise schlurfte Robert Rawlins durch das Große Westliche Tor ins Innere des Münsters von York und ging langsam am Mittelschiff entlang. Hinter ihm strömte die Sonne durch das große Fenster und brachte das krummlinige Flechtwerk mit dem Herz von Yorkshire in der Mitte und den strahlenden Farben des bleiverglasten Fensters zum Leuchten. Rawlins wirkte dagegen wie ein Zwerg, eine graue, unscheinbare Maus zwischen den gewaltigen weißen Säulen. Fast dreißig Meter über ihm zeigten wunderbare goldene Abbildungen auf der gewölbten Decke wichtige Begebenheiten der christlichen Geschichte. Das war zugleich Verehrung und Warnung, ein ewiger Tribut an das, was vorbei war, und eine klare Anweisung für das, was in der Zukunft geschehen sollte.

Rawlins stand im Seitenschiff, blickte sich um und betrachtete dieses Wunder, gleichzeitig begeistert und gedemütigt von diesem architektonischen Juwel, das zur Ehre Gottes errichtet worden war, wobei er sich durchaus der zahllosen Todesfälle bewußt war, die das Bauwerk gekostet hatte. Er sank auf dem rauhen Stein auf die Knie und sandte ein Bittgebet zum Himmel. Besorgt und voller Angst war er hierhergekommen, um Zuflucht zu finden, und befand sich schon bald in einem inneren Gespräch mit seinem Schöpfer.

Eine Stunde verstrich. Da wurde die Stille von einem lieblichen Klang unterbrochen. Hinter dem Lettner mit seinen Königsstatuen und Stuckengeln hatte der Münsterchor Aufstellung genommen. Stimmen in zarter Harmonie sangen eine Messe. In seiner geistigen Verfassung schien es Robert Rawlins, als hätten die Engel persönlich ihre Stimmen erhoben. Wie gebannt lauschte er dem Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei und sprach die altvertrauten lateinischen Worte, die von jugendlichen Stimmen in solcher Schönheit und mit so viel Ausdruck gesungen wurden. Das war ein solcher Balsam für seine Ohren und so viel Beistand für seine Seele, daß ihm Freudentränen über die Wangen rollten.

Der Chormeister hatte jetzt beschlossen, eine Hymne zu proben. Als sich die Stimmen wieder erhoben und die ganze Kathedrale mit honigsüßen Tönen erfüllten, erzielten sie jedoch ein ganz anderes Ergebnis.

Alle Menschen auf der Erde singen dem Herrn ein freudiges Lied. Dient ihm mit Furcht, preist seinen Namen, kommet zu ihm und freuet euch.

Robert Rawlins sprang voller Entsetzen auf die Füße. Nicht nur, weil das Singen von Hymnen von den Puritanern als Teil ihrer Verunglimpfungskampagne gegen die Priester und in ihrem Bemühen, die Kirchengemeinde in den Gottesdienst einzubeziehen, eingeführt worden war. Was ihm besonders im Magen lag, war diese Version des Psalms 100 - Jubilate Deo. Aus dem von Rawlins so geliebten Latein in die Umgangssprache übertragen, war dies das Werk eines gewissen William Kethe, einem Hymnenschreiber, der während Marys Herrschaft aus England geflohen war und als Flüchtling in Genf lebte, zusammen mit Extremisten wie John Knox, Goodman, Whittangham und Foxe. Solche Namen, solcher Glauben und solche Verbindungen waren für Robert Rawlins etwas sehr Anstößiges, und er hielt es für ein Sakrileg, eine solche Hymne an einem solchen Ort zu singen.

Er drehte sich auf dem Absatz um, ging durchs Mittelschiff zum Großen Westlichen Tor zurück. Der Trost, den er gesucht hatte, war ihm verweigert worden. Gott hatte kein Ohr für seine Bitten.

Wieder einmal trat er in eine feindliche Welt hinaus.

Die übergroße Freude, Anne Hendrik wiederzusehen, wurde durch die Tatsache geschmälert, daß er keine Zeit hatte, die er allein mit ihr hätte verbringen können. Nicholas Bracewell sah sich gezwungen, mit ihr zu sprechen, während er mit der Konstruktion eines Kulissenbaumes für die bevorstehende Aufführung von »Robin Hood und seine Lustigen Gesellen« beschäftigt war. In einer Ecke im Innenhof des Wirtshauses betätigte sich der Regisseur als Zimmermann, unterstützt durch die zweifelhafte Hilfe eines George Dart. Sein Gespräch mit Anne Hendrik wurde deshalb immer wieder von dem Rasseln der Säge und heftigem Hämmern unterbrochen. Romantische Töne konnten da überhaupt nicht aufkommen.

»Ich kann mein Glück kaum fassen, daß ich dich gefunden habe«, sagte sie.

»Ich habe dir gesagt, daß es so kommen würde.«

»Wenn nur die Umstände etwas glücklicher wären.«

»Ja, wirklich.«

»Gibt es immer noch keine Neuigkeiten von Dick Honeydew?«

»Leider nicht.«

»Wer hätte ihn denn entführen können?«

»Alle möglichen Leute«, sagte Nicholas seufzend. »Er ist ein hübscher Junge und fällt überall auf, wo wir auftreten. Dick wäre nicht der erste Lehrling, der entführt wird, weil irgend jemand Gefallen an dem Burschen gefunden hat.«

»Ist er in Gefahr?«

»Wir wollen hoffen, daß das nicht der Fall ist.«

»Was glaubst du, wo er sein könnte, Nick?«

»Ich hab' mir das Gehirn zermartert, um darauf eine Antwort zu finden, aber es war umsonst. Ich habe nichts als Ahnungen und Vermutungen.«

»Und was sagen die dir?«

»Banbury's Men.«

»Würden die denn ein solches Verbrechen begehen?«

»Sie haben uns bereits unsere Stücke und unser Publikum gestohlen«, argumentierte er. »Warum sollte das alles sein? Wenn sie uns Dick Honeydew stehlen, versetzen sie uns einen viel schlimmeren Schlag.«

»Glaubst du, der Junge ist bei ihnen?«

»Dafür ist Master Randolph zu gerissen. Wenn er die Entführung befohlen hat - und mein Instinkt sagt mir, daß das so war—, dann hat er damit irgendeinen Kerl beauftragt und ihm befohlen, Dick irgendwo getrennt von der Gruppe hinter Schloß und Riegel zu halten, damit er nicht gefunden werden kann.«

Annes mütterliche Gefühle gewannen jetzt bei ihr die Oberhand. Sie kannte die vier Schauspielschüler gut, am besten Richard Honeydew, und spürte das Unbehagen einer Mutter über sein plötzliches Verschwinden. Ihre Einbildungskraft verstärkte ihre Angst auch noch.

»Werden sie dem Jungen etwas antun?«

»Dazu haben sie keinen Grund«, meinte er und versuchte, sie und auch sich selber zu beruhigen. »Ihr einziges Ziel ist es, Westfield's Men zu schädigen, und das tun sie, indem sie uns einen unserer wichtigsten Schauspieler entführen.«

»Was wird denn mit dem Jungen passieren?«

»Ich denke, sie werden ihn irgendwann laufenlassen.«

»Wann könnte das sein?«

»Sobald sie uns vernichtend geschlagen haben.«

Nicholas schlug ein paar Nägel ein, dann stellte er den kleinen Baum auf die Bodenplatte, die er gerade gezimmert hatte. Er wankte auf dem unebenen Pflaster leicht hin und her. Anne war voller Mitgefühl.

»Das ist aber keine Arbeit für einen Regisseur.«

»Hier muß jeder mit zupacken.«

»Kannst du diese Arbeiten nicht den anderen übertragen?«

Als Antwort kam ein Schmerzensschrei. George Dart hatte den Nagel verpaßt, den er einschlagen sollte, und statt dessen seinen Daumen erwischt. In seinem Schmerz hüpfte er umher, schüttelte die Hand, als ob sie eine Glocke sei, und steckte sie in einen Eimer mit kaltem Wasser, den ein Stallknecht gebracht hatte. Nicholas betrachtete ihn mit amüsiertem Mitleid.

»Da siehst du, warum ich alles überwachen muß, Anne«, sagte er. »Unsere Leute sind eifrig, aber ungelernt. Wenn ich nicht da wäre und auf sie aufpaßte, hätten sie alle zusammen kaum mehr als drei gesunde Finger übrig.«

Nicholas übernahm die Arbeit, die George Dart verlassen hatte. Als Kirchenglocken ihr Geläut ertönen ließen, wandte sie sich einem anderen Thema zu. Ein leichter Hauch von Eifersucht schwang in ihrer Stimme.

»Erzähl mir noch etwas über Eleanor Budden.«

»Da gibt es nichts mehr zu erzählen.«

»Du sagst, sie hat dich im Fluß angesprochen?«

»Nur, weil sie mich für jemand anderen hielt.«

»Für mich bist du nicht der Herr Jesus.«

»Das höre ich besonders gern.« Sie lachten liebevoll. »Mach dir wegen Mistress Budden keine Gedanken. Sie war nur ein unwichtiges Ereignis an einem langen, arbeitsreichen Tag. Ich habe sie abgeschüttelt.«

»Kannst du dessen sicher sein, Nick?«

»Sie wird nicht mit uns reisen.«

»Aber Master Quilley reist mit.«

»Nur aufgrund einer besonderen Vereinbarung.«

»Kann sie nicht auf den gleichen Gedanken kommen?«

»Das ist jenseits aller Möglichkeiten«, sagte Nicholas voller Zuversicht. »Master Firethorn hat keine Zeit für sehnsüchtige Missionare. Er wird sie glatt abweisen. Wir sind eine Gruppe von Schauspielern, die ihre eigenen Probleme mit sich herumschleppen. Hier wird eine offene Sprache gesprochen. Wir haben keinen Platz für mädchenhafte Bescheidenheit und noch weniger für echte Pilger. Mistress Eleanor Budden vergeudet nur ihren Atem. Es gibt keine Möglichkeit, daß sie mit uns nach York reist.«

»Es ist also vereinbart«, sagte Firethorn. »Ihr kommt mit uns.«

»Oh, Sir!« sagte sie überschwenglich. »Eure Freundlichkeit wird Euch Freunde im Himmel schaffen. Ich küsse Euch die Hand.«

»Nein, Madam. Ich küsse Eure.«

Er ergriff die ausgestreckte Hand von Eleanor Budden mit wohlbemessener Liebenswürdigkeit und gab ihr einen ehrenhaften Kuß. Sie verbeugte sich tief vor ihm, und auch er deutete eine Verbeugung an. Für einen Mann, der Westfield's Men normalerweise mit besitzergreifender Sorge bewachte, war er bemerkenswert großzügig. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden hatte er zugestimmt, daß ein Künstler und eine selbsternannte Missionarin seine Gruppe begleiteten. Lawrence Firethorn redete sich selbst gut zu, daß beide Entscheidungen richtig waren.

»Vergeßt nicht das Geld, gute Frau.«

»Das werde ich mitbringen.«

»Wird es denn keine Schwierigkeiten mit Eurem Gatten geben?«

»Der kann mich nicht aufhalten.«

»Dann bin ich zufrieden.«

»Und ich stehe tief in Eurer Schuld, Master Firethorn.«

Wieder verbeugte sie sich tief und gestattete ihm einen weiteren Blick auf die Schönheiten, die schließlich den Ausschlag gegeben hatten. Eleanor Budden war wirklich ein prächtiges Weib, und ihr religiöser Eifer brachte ihre Eigenschaften nur noch mehr zur Geltung. Ihm gefiel die Sanftheit ihrer Haut, ihr rundes Gesicht und die vielversprechenden Formen ihres Körpers. Nachdem er ihre Bitte zunächst rundweg abgelehnt hatte, hatte er ihrer freundlichen Hartnäckigkeit gelauscht und ihr langes blondes Haar bewundert. Beides zusammen hätte ihn dazu gebracht, seine erste Entscheidung nochmals zu überdenken.

Firethorn bemühte sich, ihre Beziehung klarzulegen.

»Da gibt es bestimmte Bedingungen, Mistress.«

»Ich akzeptiere alles, was Ihr von mir verlangt, Sir.«

»Wenn das wahr wäre!« murmelte er vor sich hin.

»Was muß ich tun?«

»Mischt Euch nicht in unsere Angelegenheiten ein. Wir sorgen für Eure Sicherheit auf der Reise, behalten uns aber das Recht vor, unterwegs unsere Kunst vorzuführen. Ihr dürft uns weder bei den Proben noch bei den Aufführungen in irgendeiner Weise behindern.«

»Das werde ich auch nicht, Sir. Ich verbringe meine Zeit im Gebet.«

»Vielleicht finden wir andere Dinge für Euch.«

»Ich brauche nichts.«

Die Geradlinigkeit ihrer Absichten war durchaus anrührend. Doch gleichzeitig konnte er nicht glauben, daß das für den ganzen Weg nach York und schon gar nicht bis Jerusalem ausreichen würde. Eleanor Budden war zeit ihres Lebens niemals weiter als zehn Meilen von Nottingham entfernt gewesen, und das auch nur in Begleitung ihres Ehemannes. Ihr würde die lange Reise nach York beschwerlich und gefährlich vorkommen, und sie würde sich zunehmend an Firethorn um Hilfe wenden. Der Gedanke gefiel ihm. Noch nie hatte er eine Heilige verführt.

»Darf ich Master Bracewell sehen?«

»Jeden Tag. Ihr sitzt neben ihm auf dem Kutschbock.«

»Mein Freudenbecher läuft schon über.«

»Vielleicht wird es mir auch so ergehen.«

Er gab ihr einen weiteren Handkuß, dann begleitete er sie zur Wirtshaustür. Sie winkte ihm voller Dankbarkeit zu und hüpfte rasch davon. Firethorn gluckste in sich hinein, dann ging er in den Schankraum, um Barnaby Gill und Edmund Hoode mit den letzten Entwicklungen vertraut zu machen. Sie waren dagegen.

»Das ist Wahnsinn!« kreischte Gill. »Ich verbiete es!«

»Nicht besonders klug, Lawrence«, meinte Hoode.

»Die Sache bringt uns Geld und Begleitung.«

»Wer will denn deren Begleitung?« konterte Gill. »Sie soll doch ihr Geld behalten und es den Armen als Almosen geben. Wir sind Schauspieler und keine Leibwächter, die sich jeder mieten kann. Die Freiheit ist unser einziges Privileg, und genau das werft Ihr weg und holt Euch irgendeine Jungfrau Maria, die über uns zu Gerichte sitzt.«

»Das ist keine Jungfrau Maria«, sagte Firethorn rasch.

»Die Dame ist eine Ablenkung«, sagte Hoode. »Für sie gibt es bei uns keinen Platz. Genauowenig wie für Master Quilley. Die sollen sich andere Möglichkeiten für die Reise nach Norden aussuchen.«

Firethorn tat sein Bestes, um sie zu überzeugen, aber sie ließen sich einfach nicht überzeugen. Er wußte, daß er als letzte Rettung ihnen seinen Willen aufzwingen konnte, doch das wollte er unter allen Umständen vermeiden. Es war wichtig, ihre Zustimmung zu gewinnen. Er wollte, daß Eleanor Budden ihn als den Kopf der Gruppe ansah, die sich darum bemühte, jeden seiner Wünsche zu erfüllen, und nicht als einen kleinen Tyrannen, der die anderen so lange einschüchtert, bis sie zustimmen.

Seine beiden Kollegen verabschiedeten sich mit ernsten Warnungen.

»Ich widersetze mich der Sache, Lawrence!« sagte Gill.

»Das würde Eurem Teint nicht gut bekommen.«

»Ich stehe auf Barnabys Seite«, sagte Hoode. »Ihr habt hier etwas in die Wege geleitet, das uns nichts als Schwierigkeiten bringt.«

Die beiden gingen, Firethorn blieb zurück und konnte darüber nachdenken, was sie gesagt hatten. Er war nicht gekränkt, sie hatten immer etwas gegen seine Ideen einzuwenden. Es ging ganz einfach darum, ihnen genug Zeit zu lassen, daß sie sich an den Gedanken gewöhnen konnten. Wenn sie erst mal gemerkt hatten, daß Eleanor Budden eine ganz harmlose Frau war, würden sie ihre Meinung schon ändern. Firethorn gefiel das neue Arrangement. Er ließ sich noch ein Glas Sherry bringen.

Beim ersten Schluck erschien sie.

»Ich hatte gehofft, Euch hier zu finden, Sir.«

»Susan, mein Täubchen! Setz dich zu mir und mach es dir bequem.«

»Ich bin gekommen, um dir meine Entscheidung mitzuteilen«, sagte sie mit breitem Grinsen, während sie sich auf einem Stuhl niederließ. »Deine einsamen Nächte sind vorbei, Lawrence.«

»Beweis mir das lustvoll zwischen den Bettlaken.«

»Genau das werde ich, Sir.«

»Du bist einem Mann die größte Freude, Susan.«

»Deshalb will ich Euch ja jetzt auch nicht verlassen.«

»Gott segne dich, Lady.«

»Master Gill hat mir bei der Entscheidung geholfen.«

»Barnaby?«

»Ja. Er hat mir gerade von Mistress Budden berichtet.«

»Ah, ja«, sagte er geringschätzig. »Eine heilige Frau, die die Stimme Gottes vernommen hat. Ein armes, verwirrtes Wesen, für die ein Christenmensch Mitleid empfinden muß.«

»Ist sie alt oder jung?«

»Uralt, fürchte ich. Und sie sieht so schlecht aus, daß ein Mann sich scheuen kann, sie genau anzuschauen. Das ist der einzige Grund, daß ich sie mitgenommen habe. Für die bockgeilen Mitglieder unserer Gruppe stellt Mistress Budden keine Versuchung dar.«

Susan Beckets Augen glitzerten lustig.

»Ich sah die Dame gerade von dir weggehen. Wenn die uralt ist, dann bin ich seit zehn Jahren tot und begraben. Sie hat etwas an sich, womit sie einen Bischof verführen könnte.«

»Wie konnte ich solche Eigenschaften nur übersehen?«

»Weil du mit den Gedanken ganz fest bei mir warst, Lawrence.«

»In der Tat, in der Tat«, schmeichelte er.

»Und deshalb habe auch ich meine Entscheidung getroffen. Mistress Budden ist ein Kind der Natur und von großer Ungeduld. Ich werde ihr wie eine Mutter sein und diese geilen Böcke daran hindern, sich an ihr zu ergötzen. Sie wird mir noch dankbar dafür sein.«

»Ich verstehe nicht, was du damit meinst, Susan.«

»Deine Wärmeflasche fährt mit dir, Sir.«

»Die ganze Strecke?« fragte er ängstlich.

»Bis zum letzten Zentimeter.«

»Ich könnte dir diese Mühe niemals zumuten.«

»Es wird mir ein Vergnügen sein.«

Ihr Ausdruck unerschütterlicher Entschlossenheit ließ all seine Pläne für die Reise in Scherben gehen. Susan Becket war eine alte Flamme, die er in Nottingham auspusten wollte, doch sie hatte sich jetzt wieder entzündet. Lawrence Firethorn konnte sein Bedauern nicht verhehlen. Jetzt nahm er eine Frau zuviel mit nach York.

Der Sherry war blitzschnell in seiner Kehle verschwunden.

*

Sir Clarcnce Marmion spazierte mit seinem unauffällig gekleideten Begleiter durch den Garten. Der Garten, groß und intelligent angelegt und voller leuchtender Farben, war ein Beweis für das Können und die harte Arbeit seiner Gärtner, aber an diesem Morgen hatte der Hausherr kein Auge für ihre Leistungen. Seine Gedanken waren von etwas gefesselt, das ihm ganz besonders große Sorgen machte.

»Er wollte keine Namen preisgeben.«

»Seid Ihr sicher, daß er welche wußte?«

»Das steht völlig außer Frage, Sir.«

»Habt Ihr ihn in diesem Punkt unter Druck gesetzt?«

»So sehr, wie man es nur wagen kann.«

Robert Rawlins rieb sich unzufrieden die Hände.

»Laßt mich einmal mit dem Burschen reden, Sir Clarence.«

»Das wird nichts bringen.«

»Vielleicht habe ich ja Erfolg, wo andere versagt haben.«

»Dafür seid Ihr jetzt zu spät gekommen.«

»Ich werde ihm geistige Gewichte anlegen.«

»Er würde nichts davon spüren, Master Rawlins.«

»Was sagt Ihr da?«

»Der Mann ist tot.«

»Seit wann?«

»Seit ich Befehl gab, ihn umzubringen.«

»Sir Clarence!«

Schockiert riß Robert Rawlins die Hand an den Mund und stützte sich schwer auf einen steinernen Engel. Es war nicht das erste Mal, daß sein Gastgeber ihn überraschte, seit er in Yorkshire eingetroffen war, aber dies war eindeutig das Beunruhigendste von allem. Protestierend hob er den Arm, doch sein Begleiter zeigte eine brutale Gelassenheit.

»Der Mann hat ein christliches Begräbnis bekommen«, sagte er.

»Nachdem er umgebracht worden war.«

»Hingerichtet, Sir. Wie Anthony Rickwood.«

»Auge um Auge?«

»Wir zeigten ihm alle Gerechtigkeit, die er verdiente.«

»Ich hätte für Milde plädiert.«

»Bei einem Verbrecher wie ihm?«

»Jeder Mensch hat etwas Gutes in sich.«

»Aber nicht dieser Teufel mit seinem schwarzen Herz«, sagte Sir Clarence mit scharfer Stimme. »Einer von Walsinghams Hyänen. Er hat Dutzende Katholiken in den Tod getrieben, und zwar ohne das geringste Mitleid. Sollte ich ihn freilassen, Sir, damit er verkündet, ich sei ein Teil der Verschwörung? Und daß Robert Rawlins ein Missionar der römischen Kirche ist?«

»Mir gefällt die Sache nicht.«

»Wir hatten keine andere Wahl.«

»Ihr hattet die christliche Lehre, die Euch hätte leiten können.«

»Die hatte auch Anthony Rickwood, und was hat sie ihm eingebracht? Er landete auf einer Speerspitze in Bishopsgate, bis wir ihn da runterholten.« Sein Ton wurde schärfer. »Und was ist mit Neville Pomeroy? Welche Hilfe hat er durch die christliche Lehre gehabt? Sie hat ihm den kürzesten Weg in den Tower gezeigt!«

»Es war nicht meine Absicht, Euch zu ärgern, Sir Clarence.«

»Wir können Feuer nur mit Feuer bekämpfen!«

»Mord sollte ausgeschlossen sein.«

»Rache besitzt ihre eigene Würde.«

Robert Rawlins unterdrückte weitere Bemerkungen und versuchte, das zu verstehen, was passiert war. Sir Clarence Marmion war ein guter Freund und ein liebenswürdiger Gastgeber, wenn er wollte, aber jetzt zeigte sich eine ganz andere und viel härtere Seite seines Charakters. Das war im höchsten Maße beunruhigend. Untrennbar durch den gleichen Vorsatz miteinander verbunden, hatten die beiden Männer doch unterschiedliche Auffassungen, wie man das gemeinsame Ziel am besten erreichen konnte.

Sir Clarence bemühte sich, das Unbehagen des anderen zu verringern. »Er ruht jetzt bei Gott.«

»Wird das Gesetz nicht nach ihm suchen?«

»Sechs Fuß unter meinem Grund und Boden wird man ihn nicht finden.«

»Ich gebe zu, daß ich sehr beunruhigt bin.«

»Wäre es Euch lieber, wenn man uns begraben hätte?«

»Natürlich nicht, Sir Clarence.«

»Dann freut Euch über den Tod eines Feindes.«

Sie schritten über einen Kiesweg, der den Rosengarten unterteilte. Langsam gelangte Robert Rawlins zu der Auffassung, daß Sinn hinter dem steckte, was gesagt worden war. Sein Gastgeber ließ einen vorsichtigen Optimismus durchklingen.

»Ich habe um Hilfe gebeten.«

»Ich auch, Sir Clarence. Jeden Tag.«

»Vielleicht bekommen unsere Gebete eine Antwort.«

»Gibt es Anzeichen dafür?«

»Keine äußerlichen, Master Rawlins.«

»Wie denn?«

»Es ist nicht mehr als ein Gefühl, aber es wächst und wächst jeden Tag. Der Mann, den wir suchen, braucht vielleicht doch nicht gejagt zu werden. Vielleicht gibt es noch andere Möglichkeiten, ihn zu finden.«

»Sagt mir, was das bedeuten soll.«

»Laßt den Schuft zu uns kommen.«

»Wird er das denn tun, Sir Clarence?«

»Da bin ich ganz sicher. Wenn ich mich auf meinen Instinkt verlasse, werde ich nur selten enttäuscht. Der Mann kommt näher, wir müssen uns darauf vorbereiten. Seid auf der Hut, Sir.«

»Das werde ich.«

»Er befindet sich auf dem Weg nach York.«

*

Christopher Millfield wußte durchaus einen guten Eindruck zu machen, wenn sich Gelegenheit dazu bot. Er hatte die Rolle des Will Scarlet bekommen und trug die Ballade vor, mit der die Proben zu »Robin Hood und seine Lustigen Gesellen« begannen. Er stolzierte über die Bühne, ließ sein feuerrotes Kostüm effektvoll aufleuchten und trug mit schöner Tenorstimme sein Lied vor, begleitet von einer kleinen Laute. Will Scarlet hatte seinen großen Auftritt in der Stadthalle von Nottingham.

Kommt und lauscht mir, meine Herren, die Ihr aus freiem Hause stammt. Ich singe Euch von einem braven Mann, sein Name war Robin Hood.

Robin war Bandit und stolz, als er noch bei uns lebte, freundlich war er, liebenswürdig, wie man sonst keinen fand. Robin stand im Sherwood Forest an einen Baum gelehnt. Little John stand ihm zur Seite, der sein bester Freund ihm war.

Die Probe hatte ein paar kritische Momente. Martin Yeo, der älteste und erfahrenste der vier Schauspielschüler, war kein vollwertiger Ersatz für Richard Honeydew in der wichtigen Rolle der Jungfer Marion. Seine Gesten und seine Körperhaltung waren ohne jeden Makel, dennoch fehlte ihm die Ausstrahlung seines Kollegen und dessen überragender Instinkt. Lawrence Firethorn, traditionsgemäß ganz in Lincoln-Grün, legte seine übliche Wichtigtuerei in die Rolle des Robin Hood, doch selbst er zeigte bei den Liebesszenen leichte Unsicherheiten. Barnaby Gill war ein drolliger Bruder Tuck, und Edmund Hoode glänzte als Much the Millers Son. Die »Lustigen Gesellen« waren allerdings eine einzige Katastrophe. Angereichert mit ein paar Hilfsstatisten, die man für die Aufführung angeheuert hatte, bewegten sie sich über die Bühne wie eine Herde aufgeregter Hammel, die in alle Richtungen stob, sobald Robin Hood einen Schwertkampf zu bestehen hatte.

Nicholas Bracewell hielt die ganze Sache in Gang und verringerte die Auswirkungen der meisten Schnitzer, doch selbst er konnte George Dart - einen durch und durch unlustigen Vertreter der »Lustigen Gesellen« - nicht davon abhalten, einen Baum umzulegen, indem er ganz zufällig dagegen rannte. Will Scarlet war der einzige, der unbeschädigt aus der ganzen Sache hervorging, und er war es auch, der das Stück mit einer weiteren Ballade zur Laute zu Ende brachte.

Dann sprach der gute Robin, wo er gerade stand:

»Nach Kirksley muß ich morgen gehn, soll meinen Tod erleiden. Sir Roger of Doncaster, der schlief mit der Äbtissin. Mit ihrem falschen Lügenspiel Robin Hood verrieten sie. Der Himmel sei ihm gnädig. Er starb dort auf dem Rad. Er war Bandit, ein tapfrer Mann, der armen Leuten Gutes tat.«

Robin Hood trieb jetzt seine lustigen Gesellen zusammen, als hätte jeder einzelne von ihnen versucht, ihn während der Probe umzubringen. Als Firethorn aufhörte, sie wegen ihrer Unfähigkeit und der bloßen Tatsache ihrer Existenz zusammenzustauchen, waren ihre Wangen so rot wie Will Scarlets Kostüm. Der Oberste Schauspieler sparte nicht mit seiner Kritik, selbst Barnaby Gill mußte einiges einstecken. Martin Yeo ließ sich durch die Kanonade vollständig demoralisieren. Der einzige Darsteller, der ungeschoren davonkam, war Christopher Millfield. Das versetzte ihn in eine heitere Stimmung.

»Wie habt Ihr es gefunden, Master Bracewell?«

»Es ist noch viel Arbeit daran erforderlich.«

»Ich sprach von meiner eigenen Darstellung.«

»Ihr habt besonders lieblich gesungen.«

»Und meine Darstellung des Will Scarlet?«

»Die war befriedigend«, sagte Nicholas ausweichend. »Ihr macht der Gruppe keine Schande, Sir.«

Millfield ärgerte sich über das schwache Lob. In seinem Wunsch, den anderen zu beeindrucken, hatte er ihn nur damit irritiert, als er so offensichtlich nach Komplimenten fischte. Er beobachtete, wie der Regisseur die Kontrolle übernahm. Jetzt, da die Probe vorbei war, verteilte Nicholas Dutzende von Jobs, die in den letzten beiden Stunden angefallen waren. Mehrere Kulissen waren beschädigt worden und mußten repariert werden; einer der Holzböcke, die die Bühne trugen, brauchte Verstärkung, und bei zwei Instrumenten mußten neue Saiten aufgezogen werden. Kostüme waren während der Kampfszenen beschädigt worden, George Dart erhielt die Aufgabe, sie mit Nadel und Faden wieder zusammenzuflicken. Bei Stephen Judd löste sich die Perücke in ihre Bestandteile auf.

Nicholas war so in seine Arbeit vertieft, daß er die Gefahr nicht bemerkte, die ihm drohte. Weil er der Bühne den Rücken zuwandte, bemerkte er nicht, daß zwei seiner Helfer damit beschäftigt waren, den Galgen abzubauen, den sie für die Schlußszene des Stückes brauchten. Der Galgen war für die beiden viel zu schwer und viel zu umständlich in der Handhabung, und schließlich gewann sein Gewicht die Oberhand. Bevor sie es verhindern konnten, kippte das große Rundholz um und fiel in Nicholas' Richtung.

Christopher Millfield reagierte blitzschnell.

»Aufpassen da drüben!«

Er warf sich nach vorne, stieß den Regisseur beiseite und wurde selber von dem niederstürzenden Balken gestreift. Nicholas rappelte sich auf und drehte sich um, um zu sehen, was passiert war. Millfield saß auf dem Boden und rieb sich vorsichtig die Schulter.

»Seid Ihr verletzt, Christopher?«

»Nichts Ernstes.«

»Ich schulde Euch vielen Dank.«

Millfield grinste. »Ich habe Euch vor dem Galgen gerettet. «

»Und vor einer todsicheren Verletzung.«

Nicholas stauchte die Helfer zusammen, die den Unfall verursacht hatten, und ließ sie den Galgen wegräumen. Dann gab er Millfield die Hand und zog ihn auf die Füße. Der klopfte sich den Schmutz ab und rieb vorsichtig seine Schulter.

»Ich werde Euch das nicht vergessen«, sagte Nicholas.

»Ihr hättet für mich das gleiche getan.«

»Ich an Eurer Stelle hätte mich vielleicht zurückgehalten.«

»Weil Ihr mich nicht mögt?«

»Das wäre Grund genug.«

»Aber ich mag Euch, Master Bracewell.«

Jetzt war Nicholas mit Grinsen an der Reihe. Millfields Art war richtig entwaffnend, was es einem schwermachte, auf ihn böse zu sein. Der Regisseur machte eine Konzession.

»Eure Darstellung war ausgezeichnet, Christopher.«

»Dankeschön!«

»Um ohrlich zu sein, ich bin nicht sicher, ob Gabriol Hawkes das besser gemacht hätte.«

»Das ist für mich das schönste Lob.«

»Ein besseres bekommt Ihr auch nicht.«

Beide lachten, viel von der Spannung, die zwischen ihnen herrschte, löste sich auf. Alle Schauspieler suchten Lob und Anerkennung, aber Millfield schien besonders viel an einem Lob des Regisseurs zu liegen. Darüber konnte er die Schmerzen in seiner Schulter vergessen. Er streckte die Hand aus und nahm Nicholas' Arm.

»Ich möchte Euch etwas beichten«, sagte er.

»Muß ich jetzt Euer Priester sein?« scherzte der andere.

»Es ist mir Ernst, Master Bracewell.«

»Dann redet.«

»Gabriel war der bessere Schauspieler.«

»Nur in einigen Punkten.«

»Ich bin ehrlich genug, um es zuzugeben«, sagte Millfield ernsthaft. »Er hatte mehr Reichweite, mehr Tiefe. Als Ihr zwischen uns Eure Wahl traft, tatet Ihr gut daran, Gabriel Hawkes zu wählen.«

»Kein anderer Schauspieler würde das zugeben.«

»Warum soll man die Wahrheit verschweigen, wenn der Mann nicht mehr unter uns ist?« Sein Griff wurde fester. »Ich haßte ihn, weil er mir im Wege stand. Ich wünschte ihm den Tod, damit ich an seine Stelle treten konnte, aber ich habe sein Ende nicht herbeigeführt, das schwöre ich. Wenn er ermordet wurde, wie Ihr annehmt, dann war es jedenfalls jemand anders. «

Nicholas sah ihm tief in die Augen und spürte, wie viele der Verdächtigungen und Vorbehalte, die er diesem Mann gegenüber hegte, verschwanden. Christopher Millfield hatte seine Fehler, aber es waren größtenteils die typischen Fehler seines Berufes. Der Regisseur besiegelte ihre neue Freundschaft mit einem kräftigen Händedruck, der den anderen aufheulen ließ. Nicholas machte sich Sorgen.

»Laßt mich mal Eure Schulter sehen.«

»Das ist nur eine Kleinigkeit.«

»Aber ich sehe, daß Ihr immer noch Schmerzen habt.«

Millfield ließ sich schließlich dazu überreden, sein rotes Kostüm abzulegen, damit Nicholas die Verletzung untersuchen konnte. Die Schulter zeigte heftige Abschürfungen, wo sie von dem Balken getroffen worden war, aber es hatte nicht geblutet. Nicholas betastete die Verletzung mit vorsichtigen Fingern, dann ließ er Millfield den Arm steil nach oben strecken und im Kreis bewegen. Dann stellte er seine Diagnose.

»Ihr habt Glück, Christopher. Nichts ist gebrochen.«

»Ich komme mit ein paar Schrammen davon.«

»Und einer ziemlichen Steifheit«, sagte Nicholas. »Gebt mir etwas Zeit, dann mache ich eine Salbe zurecht, die wir auf die Schulter streichen. Das lindert die Schmerzen.«

»So etwas kann ich gut gebrauchen. Wie wollt Ihr sie machen?«

»Aus Kräutern.«

»Seid Ihr auch noch Arzt?«

»Ich habe viel vom Schiffsarzt gelernt, als ich zur See fuhr. Beulen und Schmerzen gehören zum täglichen Brot eines Seemannes, und ich habe die Mittel studiert, mit denen man sie lindern kann. Dieses Wissen hat mir schon häufig geholfen.«

»Ihr werdet keinen dankbareren Patienten als mich finden.«

»Der Dank kommt ganz von meiner Seite.«

»Eure Freundschaft ist mir Belohnung genug.«

»Die kommt mit der Salbe.«

Millfield grinste. »Beides ist mir sehr willkommen.«

Als der Schauspieler wegging, um sich umzuziehen, trat jemand anderer an Nicholas heran. Oliver Quilley hatte die Probe aufmerksam verfolgt. Wenn er ein Miniaturporträt des Ersten Schauspielers anfertigen sollte, mußte das Bild alle typischen Charaktereigenschaften (die am deutlichsten auf der Bühne zutage traten) enthalten. Quilley entging nichts.

»Ist Master Firethorn immer so hitzig?«

»Heute habt Ihr nur eine schwache Leistung von ihm gesehen.«

»Also kommt noch mehr Wildheit aus ihm?«

»Die verwahrt er für sein Publikum.«

»Ich warte mit großem Interesse«, sagte Quilley. »Wenn ich ein Porträt male, soll es so vollständig wie nur eben möglich sein. Ich erahne die Wahrheit einer Persönlichkeit.«

»Wieviel Zeit werdet Ihr für das Porträt brauchen, Sir?«

»Ich arbeite nach drei Sitzungen«, erklärte der Künstler mit fahrigen Handbewegungen. »Zunächst lege ich die groben Umrisse seiner Gesichtszüge fest, beginne mit der Stirn und benutze sie, um die Proportionen des Gesichtes zu berechnen. Bei der zweiten Sitzung notiere ich sorgfältig alle Farben der Haut, der Haare, der Kleidung und achte besonders - das ist das Geheimnis meiner Kunst - auf den Ausdruck der Augen und auf die Mundwinkel.«

»Und was passiert bei der dritten Sitzung, Master Quilley?«

»Ich beende das Bild mit den feinsten Details.«

»Ihr arbeitet rasch, Sir.«

»Auch Künstler müssen etwas essen.«

»Wie kommt es, daß Ihr Euch diesen Beruf ausgesucht habt?«

»Der Beruf wählte mich«, sagte Quilley. »Vor nunmehr dreißig Jahren war ich Lehrling bei einem Goldschmied in Eastcheap. Mein Lehrherr war ein reicher Mann und brachte es zum Stadtkämmerer in London und zum Zunftmeister seiner Gilde.«

»Ihr habt Euch den Lehrherrn sorgfältig ausgesucht.«

»Während der sieben Jahre, die ich unter dem Zeichen der Gilde ›Löwe und Feuer‹ verbrachte, war das Glück stets an meiner Seite. Ich wurde sehr geschickt in der Herstellung von Juwelen und Schmuckstücken und hatte viel Interesse für die Miniaturmalerei.«

»Wie fing alles an, Master Quilley?«

»Mit einer Lady am Hofe. Sie war eine Freundin meines Herrn und leicht zu beeindrucken. Das war meine erste Arbeit als Miniaturmaler und nicht ohne Mängel.«

»In welcher Beziehung?«

»Das Porträt war hervorragend wie alle meine Gemälde, aber ich übersah eine wichtige Einzelheit, Master Bracewell.«

»Wirklich?«

»Ich bekam kein Geld dafür.« Er rollte die Augen und warf die Hände in die Luft. »So ist das Leben eines Künstlers! Nie erhalten wir unseren gerechten Lohn. Worte bezeichnen mich als ein Genie, Aufträge kommen herein, aber bezahlen mich diese Leute dann auch wirklich für meine Mühen? Nur sehr selten, Sir! Sehr selten.«

»Aber Ihr müßt ein paar ehrliche Auftraggeber gehabt haben.«

»Ein paar. Master Anthony Rickwood gehörte dazu.«

»Der hingerichtet wurde?« fragte Nicholas überrascht.

»Ja, Sir. Er hat für seinen Verrat gebüßt, aber ich kann nur Gutes über seine Liebenswürdigkeit sagen. Master Rickwood gab mir doppelt soviel, wie ich verlangt hatte, und empfahl mich einer Anzahl seiner engen Freunde, darunter Master Neville Pomeroy von Hertfordshire.«

»Wir kennen den Gentleman.«

»Dann werdet Ihr seine Großzügigkeit kennen. Ein sehr freundlicher Mann. Es fehlte mir an nichts in seinem Hause.«

»Uns auch nicht, als wir in Pomeroy Manor auftraten.«

»Er sprach viel von seiner Leidenschaft fürs Theater.«

»Wir haben vor, ihn auf der Heimreise nach Süden wieder zu besuchen.«

»Unglücklicherweise werdet Ihr das nicht können, Sir.«

»Aber er hat uns eingeladen.«

»Er wird nicht dort sein, um Euch zu begrüßen.«

»Was sagt Ihr da?«

»Weil Master Pomeroy verhaftet wurde.«

»Aus welchem Grund?«

»Hochverrat. Er gehörte zu der Verschwörung, der auch Anthony Rickwood angehörte.«

»Ist das wirklich wahr?«

»Walsingham hat ihn in den Tower geworfen.«

»Was hat er zu erwarten?«

»Das denkbar Schlimmste.« Quilley lächelte schmerzlich. »Er wird den schimpflichen Tod eines Verräters sterben. Ich glaube nicht, daß Master Millfield auch ihn vor dem Galgen schützen kann.«

*

Miles Melhuish erbleichte. Er hatte geglaubt, Eleanor Budden könne ihn nicht mehr überraschen, aber da irrte er sich. Ihre neueste Ankündigung ließ ihn den Mund aufreißen. Er drehte sich zu ihrem Ehemann um, der in einer Ecke der Sakristei saß, aber Humphrey hatte sich keine Meinung gebildet. Seine Frau hatte ihn in jeder Beziehung vollständig in die Defensive gedrängt, er war der erbärmliche Rest des Mannes, der sie geheiratet und ihre Freuden genossen hatte. Humphrey Budden war still während des ganzen Gesprächs.

Melhuish gab sich den Anschein besonderer Überraschung.

»Das ist nicht klug, Mistress. Das ist nicht gut.«

»Ich glaube, daß es beides ist, Sir.«

»Mit einer Gruppe reisender Schauspieler zu fahren?«

»Sie kommen aus London«, sagte sie voller Stolz.

»Das macht es nur noch schlimmer. Ihr könnt Euch die Gelüste und Vorlieben solcher Kreaturen überhaupt nicht vorstellen. Schauspieler sind die Kinder der Hölle in menschlicher Gestalt.«

»Bisher haben sie mich anständig behandelt.«

»Dann wartet, bis Ihr schutzlos auf der Straße liegt.«

»Da kann nichts passieren. Gott ist allzeit bei mir.«

»Ja, Schwester«, sagte er beschwichtigend. »Gott ist mit uns allen, zu jeder Zeit. Aber es gibt Zeiten, da ist selbst Sein göttlicher Schutz nicht genug. Ihr schadet Euch nur, wenn Ihr Euch solchen Gefahren aussetzt.«

»Welchen Gefahren, Master Melhuish?«

Der Vikar räusperte sich und zupfte an seinem Kragen. Er warfeinen Blick auf Budden, aber von dort kam keine Hilfe. Kühn ging er dem Problem zu Leibe.

»Schauspieler sind notorische Wüstlinge, Eleanor.«

»Das habe ich noch nie gehört.«

»Sie haben die Moral der niedrigsten Tiere.«

»Warum sind sie dann so freundlich zu mir?«

»Nur, damit Eure Aufmerksamkeit nachläßt.«

»Master Firethorn ist aber nicht so«, sagte sie gefühlvoll. »Auch Master Bracewell nicht, und er ist der Grund, daß ich mit Westfield's Men reise.«

»Wer ist Master Bracewell?«

»Er hängt hinter Euch, Sir.«

Miles Melhuish fuhr erschrocken herum, aber hinter ihm war niemand. Eleanor deutete auf das Bleiglasfenster, dessen Bild von Jesus Christus mehr denn je wie der Regisseur aussah. Der Pfarrer bekam einen weiteren Schock.

»Wollt Ihr damit sagen, dieser Schauspieler… ist wie der Herr Jesus?«

»So genau wie zwei Erbsen im Kessel, Sir«, sagte sie. »Aber er ist kein Schauspieler. Master Bracewell ist der Regisseur der Theatergesellschaft und der aufrechteste Mann, den ich jemals getroffen habe. Ich würde ihm Leib und Seele anvertrauen, das würde ich!«

»Paßt auf, daß er Euer Vertrauen nicht mißbraucht.«

»Das würde er niemals tun.«

»Denkt an die langen Stunden der Nacht.«

»Mit dem Vögeln bin ich durch«, sagte sie schnippisch.

Humphrey Budden zuckte bei der Erwähnung dieses Wortes zusammen, eine traurige Stille senkte sich über seine Züge, als er seine Gedanken mit einigen robusten Erinnerungen spielen ließ. Melhuish machte weitere Überredungsversuche, aber alles war umsonst. Wenn Eleanor sich einmal für etwas entschieden hatte, hörte sie auf niemand mehr.

»Nehmt eine andere Frau mit«, riet er ihr. »Eine von Euren Dienstmägden, die Euch als Schutz dienen kann.«

»Gott ist mein Beschützer.«

»Vielleicht ist das für Ihn eine zu beschwerliche Arbeit.«

»Bezweifelt Ihr Seine Macht?«

»Aber nein, aber nein«, sagte Melhuish rasch. »So etwas würde ich niemals denken. Es ist nur, daß… nun, ich würde mich besser fühlen, wenn Ihr eine zusätzliche Garantie für Eure Sicherheit bei Euch hättet.«

»Die habe ich, Sir. Master Nicholas Bracewell.«

»Das ist nicht ganz das, was ich mir vorstelle.« Er sah zu dem schweigsamen Ehemann hinüber. »Habt Ihr keine Angst um Eure gute Frau auf dieser Reise, Sir?«

»Ich wüßte nicht warum«, brummte er.

»Sie ist mit diesen lockeren Menschen vom Theater unterwegs.«

»Ich wünsche ihnen viel Glück!« murmelte der andere.

»Beruhigt Euch, Sir«, sagte Eleanor zum Pfarrer. »Ich bin nicht der einzige Mitreisende bei der Gruppe. Ein Künstler begleitet uns auf der Reise nach York. Und auch noch eine andere Frau. Sie sorgt für meine Sicherheit.«

*

Die Pest stürzte sich jeden Tag mit neuer Kraft auf London, dennoch hätte Doli es vorgezogen, ihr Glück in der Stadt zu versuchen. Seitdem die Belagerung durch die Gläubiger eingesetzt hatte, war das Leben in dem Haus in Shoreditch wie eine sich ausbreitende Seuche. Margery Firethorn wurde täglich härter, ihre Angestellten bekamen das zu spüren. Doli schien sich immer in vorderster Schußlinie zu befinden, wenn ihre Herrin explodierte. Das Mädchen war klein und jung, zerzaust und überhaupt nicht in der Lage, den Forderungen ihrer gereizten Chefin zu entsprechen. Jeder Tag brachte ihr neue Pein und neue Erniedrigungen.

Margery Firethorn rief sie aus der Küche.

»Doli!«

»Ja, Mistress?«

»Hörst du die Türglocke denn nicht?«

»Nein, Mistress.«

»Dann mach die Ohren auf, Mädchen, oder es setzt etwas!«

Doll kam in die Küche gerannt, wo Margery bis zu den Ellenbogen im Mehl wühlte. Das Mädchen zitterte, brachte aber einen tiefen, wenn auch zornigen Knicks zustande. Die Türglocke läutete lauter.

»Hörst du sie jetzt, Mädchen?«

»Ja, Mistress.«

»Dann geh an die Tür.«

»Was soll ich sagen?«

»Wenn's ein Gläubiger ist, bin ich nicht zu Hause.«

»Und wenn es jemand anderes ist?«

»Dann kommst du hierher und gibst mir Bescheid. Los jetzt - weg mit dir!«

Doll raste hinaus, man hörte, wie sie die Tür öffnete und ein paar Sekunden mit jemandem sprach. Als sie zu Margery zurückkam, waren ihre Augen vor Erstaunen weit aufgerissen.

»Und?« schnappte Margery.

»Ihr habt Besuch, Mistress.«

»Wer ist es?«

»Vor dem Haus steht eine große Kutsche.«

»Wer ist es?«

»Der Diener hat geläutet.«

»Der Name, Mädchen! Wie lautet der Name meines Besuchers?«

»Lord Westfield.«

Doli war völlig perplex aufgrund der Tatsache, daß der Adel im Hause eines Schauspielers in Shoreditch einen Besuch machte, aber Margery handelte, als ob dies an der Tagesordnung sei. Sie wischte ihre bemehlten Arme an der Schürze ab und trat zum Spülbecken, um sich die Hände zu waschen. Dann wirbelte sie herum und starrte ihr Dienstmädchen an.

»Steh doch nicht einfach so rum, Doll.«

»Was soll ich tun, Mistress?«

»Führe Lord Westfield herein.«

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