Allein geblieben

Braune Granitfelsen ragen düster in die regungslose, kalte Luft. An ihrem Fuße schleichen langgestreckte, zottige Tiere umher, die kümmerlich entwickelten Vorderbeine träge voreinandersetzend. Ihr silbriges Fell glänzt in den Strahlen der untergehenden Sonne. Hin und wieder nähert sich das eine oder andere einem hohen Felsen, duckt sich wie zum Sprung zu Boden und starrt mit unbeweglichen graugrünen Augen zum Gipfel hinauf.

Auf dem Gipfel des Felsens liegt ein Mensch. Er hat den Kopf auf den gewinkelten linken Arm gelegt. Die Rechte umklammert den blitzenden Stahl eines Revolvers.

Der Mensch liegt schon lange dort. Er ist sterbensmüde.

Längst hat er die Hoffnung auf Rettung aufgegeben. Er kann nicht hinuntersteigen, kann nicht zu dem weißen Wagen mit den blanken Fenstern gelangen, der Rettung und Leben bedeutet. Verlockend nahe steht der Wagen, aber auf dem Weg dorthin lauert der Tod, der grauenvolle Tod im Rachen eines Ungeheuers.

Nein, alles, nur das nicht! Mag lieber der Sauerstoff ausgehen, der die Maske speist, die der Mensch auf dem Gesicht trägt.

Die Sonne steht ganz niedrig über dem Horizont. Gleich wird die rasch hereinbrechende Tropennacht alles verdunkeln. Die Luft wird noch kühler werden, eisig kalt.

Aber daran denkt der Einsame nicht. Was kümmert ihn der Frost, wenn der Sauerstoff nur noch eine Stunde reicht.

Dort in dem weißen Wagen, fünfzig Meter von ihm entfernt, liegen Flaschen mit dem belebenden Gas, doch was nützt ihm das? Sie sind ihm ebenso fern wie die Trabanten des Mars, die jetzt dort oben am dunkelnden Himmel leuchten.

Der Mensch weiß, daß er dem Tode verfallen ist, aber seine Augen unter den dichten buschigen Brauen blicken ruhig und gefaßt. Seine Bewegungen sind sicher und gemessen. Er führt die Hand an die Augen und schaut auf die Uhr. Die Zeiger stehen auf acht Uhr zehn. Er richtet sich auf, scheint zu horchen. Aber ringsum herrscht Totenstille.

Auch nicht ein Laut durchdringt das Schweigen der Wüste.

Mit ärgerlicher Gebärde legt er sich von neuem auf den kalten Granit.

Wieder vergehen zehn Minuten. Die Sonne versinkt hinter dem Horizont. Die Luft wird rasch kälter. Der Nachtfrost setzt ein. An die Ohren des Mannes dringt ein Laut.

Er richtet sich auf, beugt sich mit dem ganzen Körper nach der Seite, von der das so lang erwartete Geräusch kommt.

Immer lauter wird es, als habe sich in einem fernen Gebirge eine Steinlawine gelöst und rolle mit unheimlichem Getöse zu Tal. Das Gesicht des Lauschenden wird kreideweiß, aber um seine Mundwinkel huscht ein beifälliges Lächeln.

Das Geräusch ebbt allmählich ab, und in das Gesicht des Mannes kehrt die Farbe zurück. Mit einer unendlich müden Bewegung läßt er sich auf sein steiniges Lager nieder.

Vorbei. Er ist allein auf dem Mars. Allein auf dem riesigen Planeten I Der Tod wird nicht lange auf sich warten lassen.

Noch dreißig, vierzig Minuten — dann ist alles zu Ende!

Aber was ist das?

Von neuem erhebt sich das Geräusch. Immer lauter, immer deutlicher … Es kommt näher, schwillt an zu ohrenbetäubendem Lärm … Am Horizont bricht ein greller Lichtstrahl hervor, fährt herab auf den Boden des Planeten, entreißt der Dunkelheit hier dichtes Gestrüpp, dort die Eisfläche eines zugefrorenen Sees.

Der Mann auf dem Felsen preßt den Körper ans Gestein, als fürchte er, gesehen zu werden.

Er hat in der Tat Angst davor. Sofort durchzuckt ihn der Gedanke an den weißen Wagen. Wenn der Scheinwerferstrahl ihn berührt, wird das lackierte Verdeck hell aufleuchten, und jene, die das gleißende Licht herunterschicken, werden den Wagen entdecken.

Tausend schwere Granateinschläge scheinen sich zu einem einzigen, für die Ohren unerträglichen Gedröhn zu verdichten. Die dünne Luft gerät in Bewegung. Pfeifend fährt ein jäh aufkommender Wind gegen die Felsen. Breite Tragflächen verdecken den Himmel über dem Kopf des Mannes. Der Scheinwerferstrahl huscht vorbei. Das Gelände hüllt sich in gespenstisches rotes Licht.

Das Heck der vorüberjagenden Maschine speit eine lange grellrote Flamme aus, die wieder erlischt. Das Donnern erstirbt in der Ferne.

Der Einsame atmet erleichtert auf. Er fährt sich mit der Hand über die Stirn, wie um unerwünschte Gedanken zu verscheuchen.

Das Geräusch ertönt von neuem, aber nicht mehr so laut wie vorher. Die Maschine kommt zurück. Sie fliegt in zwei Kilometer Entfernung an dem Felsen vorbei, auf dem der Mann sie gespannt verfolgt. Diesmal erhebt er sich: man kann ihn nicht sehen. Der Scheinwerferstrahl gleitet über den Boden hin und beleuchtet sekundenlang die Felsen im Umkreis. Doch selbst diese kurze Zeit genügt dem Mann, etwas zu bemerken, was sein Herz mit unbändiger Freude erfüllt: Die Tiere sind weg!

Im roten Widerschein der Flamme erblickt er springende Schatten, die sich schnell entfernen. Die zu Tode erschreckten Echsen suchen ihr Heil in der Flucht. Der Mensch ist frei.

Rasch läßt er sich an dem Seil hinunter und läuft zu dem weißen Wagen. Mehrere Male stürzt er im Dunkeln hin, stößt sich schmerzhaft an scharfen Gesteinskanten. Aber was bedeutet schon der Schmerz im Vergleich zu dem Bewußtsein, dem gräßlichen Los, von den Beherrschern des Mars gefressen zu werden, entronnen zu sein!

Mag ihn trotzdem der Tod erwarten — den gierigen Rachen der Raubtiere wird sein Leib nicht zum Fraß dienen.

Er sitzt bereits in dem gepolsterten Wagen, als er noch einmal das Weltraumschiff erblickt, sein ureigenes Werk, von dem er nun für ewig Abschied nimmt.

Es fliegt in großer Entfernung vorüber, aber er braucht nur die Hand auszustrecken, auf einen Knopf zu drücken, und auf dem Verdeck des Geländewagens erstrahlt ein starker Scheinwerfer. Der mächtige Vogel wird das Licht sehen und sich niederlassen. Gerade weil er das hofft, überfliegt er so beharrlich den Raum, in dem sich sein verschollener Kommandant befinden kann.

Die Kameraden suchen ihn immer noch. Sie haben viel Zeit verloren. Die ferne Erde nähert sich unerbittlich dem Punkt, an dem das Raumschiff ihr begegnen soll. Wenn der Planet diesen Punkt überschritten hat, ist er nicht mehr einzuholen. Das hieße für alle der Tod. In dem müden Kopf des Mannes jagt ein Gedanke den anderen.

Aus den Motoren läßt sich noch viel herausholen. Man könnte den Flug beschleunigen und es doch noch schaffen.

Hier ist der Knopf, ganz nahe … Den Scheinwerfer einschalten … Sich retten … Der Selbsterhaltungstrieb läßt die Hand nach dem rettenden Knopf greifen. Schon haben die Finger seine Fläche berührt. Nur noch ein leichter Druck … Aber Wille und Vernunft siegen.

Hat er das Recht, das Leben der Kameraden zu gefährden und den Erfolg der ersten großen kosmischen Reise aufs Spiel zu setzen, nur weil er das eigene Leben retten will? Das Raumschiff muß zur Erde zurückkehren. Und es wird zurückkehren.

Kamow läßt entschlossen die ausgestreckte Hand sinken.

Fern am Horizont, in der Richtung, die das Raumschiff beim Abflug zur Erde einschlagen muß, taucht ein kurzer roter Strich auf, der langsam emporzusteigen scheint.

Schon hat er sich in einen Punkt verwandelt, wird immer kleiner und verliert sich unmerklich aus den Augen.

Das ist die Feuerspur hinter dem Heck des Weltraumschiffes, das sich vom Mars entfernt.

Kamow schließt die Augen.

* * *

Der Geländewagen folgte langsam seiner alten Spur. Den Geländewagen wollte er neben dem Obelisk aufstellen, dann fände die nächste Expedition ihn sofort. Und darin würde man auch den Brief entdecken, den er, Kamow, vor seinem Tode verfaßt.

Der nächste Flug zum Mars würde voraussichtlich in zwei, drei Jahren stattfinden. Der Wagen dürfte diese Zeit in dem trockenen Klima gut überstehen. Man brauchte dann nur die Akkumulatoren auszuwechseln und konnte ihn wieder benutzen.

Kamow schaltete ab und zu den Scheinwerfer ein, um zu kontrollieren, ob er richtigen Kurs hielt. Er bediente sich des Lichtes nicht allzu oft, da er befürchtete, in der Nähe herumstreifende Tiere anzulocken.

Er fuhr langsam, zur Eile bestand kein Grund, bis zum Sonnenaufgang war es noch weit. Mit dem Vorrat an komprimiertem Sauerstoff in den Behältern kam Kamow mindestens zwei Wochen aus. Die Energie der Akkumulatoren würde bei ununterbrochener schnellster Fahrt vierzig Stunden reichen. Nahrungsmittel konnte er sich aus Hapgoods Raumschiff holen, vorausgesetzt, daß er es fand.

Im amerikanischen Schiff mußte auch Papier zu finden sein. Arbeit hatte er genug für die Zeit, die ihm noch blieb.

Er konnte und mußte die Betrachtungen und Berechnungen niederschreiben, die er in bezug auf Weltraumflüge angestellt hatte.

In Hapgoods Schiff gab es natürlich auch Sauerstoff.

Wenn Kamow wollte, konnte er sich weit länger als zwei Wochen am Leben erhalten.

Jedem Menschen auf der Erde, der in eine scheinbar aussichtslose Lage gerät, bleibt trotzdem die Hoffnung, daß ihm der Zufall andere Menschen zuführt, die ihm helfen.

Er muß bis zum Letzten um sein Leben kämpfen. Kamow aber hatte absolut nichts, worauf er hoffen durfte. Niemand konnte ihm zu Hilfe kommen. Er war allein auf einem fremden Planet. Die Erde war weit von ihm entfernt, unvorstellbar weit. Das Raumschiff wird sie in anderthalb Monaten erreichen. Selbst wenn es dann unverzüglich zurückflog — was an und für sich völlig unmöglich war —, würde es doch erst nach vier Monaten wieder auf dem Mars eintreffen. So lange reichte der Sauerstoff im amerikanischen Schiff nicht aus. Daß es vernünftige Wesen auf dem Mars gab, war ausgeschlossen, und gar Hilfe von sonstwoher zu erhoffen, einfach unsinnig.

Systematisch durchdachte Kamow alle Möglichkeiten zu seiner Rettung, weil er sich überzeugen wollte, daß es nicht einmal theoretisch eine Möglichkeit gab.

Das amerikanische Raumschiff! Auf den ersten Blick der leichteste Weg zur Rettung. Nichts einfacher als das — einsteigen und zur Erde fliegen. So würde zweifellos jeder denken, der nicht mit der Steuertechnik kosmischer Schiffe vertraut ist und wenig Ahnung von Weltraumnavigation hat. In den unermeßlichen Weiten, über die sich das Sonnensystem erstreckt, sind Erde und Mars winzige Pünktchen. Will man von einem dieser Punkte zum andern gelangen, so muß man den kaum spürbaren Einflüssen, die von beiden Planeten, der Sonne und selbst anderen Planeten, insbesondere dem Jupiter, auf das Raumschiff ausgeübt werden, peinlichst Rechnung tragen. Der Kommandant eines Weltraumschiffes muß sein Schiff genau kennen, er muß wissen, wie groß und wie schwer es ist, wie die Motoren angeordnet sind, was sie leisten und welche Geschwindigkeit sie dem Schiff vermitteln; er darf sich nicht um einen Zentimeter in der Sekunde irren. Ohne diese Voraussetzungen würde sich das Schiff rettungslos in den Weiten des Raumes verlieren und sein Ziel nie erreichen. Kamow wußte das nur zu gut. Mit einem fremden Schiff, von dessen Konstruktion und Motoren man keine Daten hat, zur Erde fliegen zu wollen, war dasselbe, als wollte man mit verbundenen Augen ein Gewehr abschießen und gleich beim ersten Schuß ein zwei Kilometer entferntes Zwanzigkopekenstück treffen. Ein aussichtsloses Unterfangen!

Schluß! Alle nur erdenklichen Möglichkeiten einer Rettung, sogar die unwahrscheinlichsten waren durchdacht und erwogen, die Konsequenzen gezogen. Also genug!

Als Kamow den Scheinwerfer einschaltete, mußte er feststellen, daß er vom Weg abgekommen war. Er wendete und fuhr zurück. Bald stieß er wieder auf die alte Spur. Er hatte die Biegung nach Norden verpaßt.

Von der Wegbiegung bis zum Landeplatz des Raumschiffes waren es noch siebzig Kilometer.

Draußen herrschte strenger Frost, doch im Wagen war es heiß. Die hermetisch verschlossenen Fenster und Türen ließen keine Außenluft herein, und die Wände des Geländewagens wurden elektrisch geheizt.

Kamow knöpfte den Pelzoverall auf und nahm den Helm vom Kopf. Er war hungrig, aber er hatte nichts Eßbares bei sich.

Es waren noch anderthalb Stunden bis Sonnenaufgang, als sich der Wagen dem wohlbekannten Platz näherte. Undeutlich ragte auf der Lichtung die dunkle Silhouette des Stahlobelisk empor. In seinen glattpolierten Flächen spiegelten sich funkelnd die Sterne. Der zugefrorene See schien merkwürdig nahe an die Lichtung herangerückt. Es fehlte dazwischen der riesige Leib des Schiffes.

Den Sonnenaufgang verschlief Kamow. Der erschöpfte Organismus forderte sein Recht. Er erwachte erst gegen Mittag.

Kamow beschloß, Hapgoods Raumschiff aufzusuchen, sich daraus die nötige Menge Wasser und Nahrungsmittel zu nehmen und dann zu dem Obelisk zurückzukehren. Daß er es in dem amerikanischen Schiff weitaus bequemer haben konnte, daran mochte er nicht denken. Er wollte die letzten Tage hier verbringen.

Die Spuren der Gleisketten waren verweht: Wind und Sand hatten sie zugeschüttet.

Kamow lenkte den Wagen nach Westen. Dort wird er das Schiff suchen, wenn er hundertfünfzig Kilometer zurückgelegt hat. Er erinnerte sich, daß Paitschadse und er während der ersten Ausfahrt den Kurs genau nach Westen gehalten hatten und nirgends abgebogen waren. Dieser Umstand kam ihm sehr zustatten. Andernfalls wäre es eine unlösbare Aufgabe gewesen, das kleine Schiff inmitten der endlosen Wüste zu finden.

Der einzige Orientierungspunkt unterwegs, der „Sumpf“, lag fünfzig Kilometer entfernt; Kamow, der diese Strecke durchfuhr, gewann die Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein. Er erkannte die denkwürdige Stelle leicht, die zu erreichen er und Melnikow sich so beeilt hatten. Nun fuhr der Geländewagen schneller.

Als der Kilometerzähler anzeigte, daß hundertfünfzig Kilometer zurückgelegt waren, hielt Kamow den Wagen an, stieg aus und kletterte aufs Verdeck.

Das amerikanische Schiff war nirgends zu sehen.

Ohne Zweifel, er war vom damaligen Weg abgewichen.

Aber um wieviel?

Nach kurzem Überlegen beschloß Kamow, nach rechts abzubiegen und in dieser Richtung zehn Kilometer zu fahren. Wenn er das Schiff nicht entdeckte, wollte er auf der Wagenspur zurückkehren und das gleiche Manöver nach links wiederholen. Ließ sich das Schiff auch auf dieser Seite nicht finden, so würde er es weitersuchen, indem er immer größere Kreise beschrieb. Umzukehren, ohne das Schiff gefunden zu haben, bedeutete, Hungers zu sterben.

Kamow wußte, daß er nur wenig vom Weg abgewichen sein konnte. Das Ziel mußte irgendwo in der Nähe sein.

Tatsächlich, als er etwa acht Kilometer zurückgelegt hatte, sah er linker Hand einen Sandhügel. Im ersten Augenblick glaubte er, wiederum auf Felsen gestoßen zu sein; aber als er näher hinsah, erkannte er das amerikanische Raumschiff, vor dem der Sturm, der hier einem Hindernis begegnet war, einen Sandberg aufgehäuft hatte.

Die Eingangstür war unter diesem Berg verschüttet.

Kamow arbeitete nicht weniger als drei Stunden, bis er zu ihr vordringen konnte. Zum Glück waren die Spaten, die sie auf ihrer letzten Fahrt hierher mitgenommen hatten, im Wagen liegengeblieben. Ohne Spaten hätte er den Sand mit den Händen wegschaufeln müssen.

Zum dritten Male betrat er nun das Innere des amerikanischen Schiffes.

Neben dem Steuerpult sah er den dicken Briefumschlag, den er selbst hingelegt hatte, den Umschlag mit dem Protokoll über das Ableben des Kommandanten dieses Schiffes.

›Welch merkwürdige Fügung des Schicksals‹, dachte Kamow. ›Beide Weltraumschiffe haben auf dem Mars ihre Konstrukteure verloren.

Er fand den Aluminiumkasten, in dem Proviant lag, aber Getränke fand er nicht. Hatten die Amerikaner denn nichts zu trinken gehabt? Irgendwo mußte doch zumindest Wasser sein. Mehr noch als der Hunger plagte Kamow jetzt der Durst. Er begann zu suchen; dabei wunderte er sich immer mehr über das Durcheinander von Behältern, Flaschen, Kisten und verschiedenartigen Gefäßen, zwischen denen man sich kaum rühren konnte.

Als er den Hahn eines Stahlbehälters aufdrehte, entdeckte er darin Alkohol. Komischer Einfall‹, dachte er, Alkohol in solcher Menge auf eine kosmische Reise mitzunehmen, und noch dazu in einem so schweren Gefäß! In anderen Behältern war flüssiger Sauerstoff. Viele Behälter waren leer.

Ein großer Aluminiumtank enthielt Wasser. Es roch scharf nach Metall und, wie ihm schien, auch nach Gummi.

Von dem Tank führten Schläuche zu zwei länglichen, sargähnlichen Kästen. Das Wasser war offensichtlich nicht zum Trinken bestimmt.

Endlich fand er mehrere Flaschen mit Orangensaft. ›Sehr schön! Was will ich mehr?‹ dachte er.

Nachdem Kamow Hunger und Durst gestillt hatte, forschte er nach Schreibpapier. Hapgood war Wissenschaftler, sagte er sich, er muß Beobachtungen angestellt und niedergeschrieben haben.

Neben dem Steuerpult stand ein großer gelber Lederkoffer. Die Schlösser ließen sich nicht öffnen. Der Schlüssel fehlte. ›Das muß Hapgoods Koffer sein‹, überlegte Kamow. Sicherlich hat er darin seine Notizen verwahrt.‹ Die Schlösser waren stark und machten ihm lange zu schaffen.

Endlich war der Koffer geöffnet. Zwei dicke Hefte lagen obenauf. Kamow sah sie flüchtig durch und legte sie beiseite. Sie enthielten Aufzeichnungen astronomischer Beobachtungen. Ganz unten, auf dem Kofferboden, lagen eine lederne Aktentasche und ein Bündel Zeichnungen.

Kamow machte die Mappe auf. Ihr Inhalt waren engbeschriebene Blätter. Schon ein flüchtiger Blick genügte ihm, um zu begreifen, was das war. Kamow stockte der Atem.

In qualvoller Erregung griff er nach dem Bündel und schnürte es auf. Oh, wenn er das gewußt hätte — er wäre sofort hierhergeeilt! Was er jetzt vor Augen hielt, könnte ihn gerettet haben.

Vor ihm lag das Projekt des amerikanischen Raumschiffes. Was für ein Hohn des Schicksals, ihm diesen Fund in die Hände zu spielen, jetzt, da er völlig nutzlos für ihn war!

Zuviel Zeit hatte er schon verloren …

Kamow sah mechanisch Hapgoods Aufzeichnungen durch und suchte, ohne sich dessen bewußt zu sein, nach den Daten über die Geschwindigkeit des Schiffes.

„30,75 km in der Sekunde.“

„Und die Erde bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von neunundzwanzig Komma sechsundsiebzig“, sagte er laut. Die Bogen entglitten seinen Händen. Zu spät!

Mit knapp einem Kilometer in der Sekunde mehr konnte er die verlorene Zeit nicht wettmachen. Dieser Kilometer ermöglichte eine Einsparung von höchstens dreißig Stunden, und auch die drei Stunden, die Kamow zur Verfügung standen, um sich mit dem Raumschiff vertraut zu machen, reichten bei weitem nicht aus. Der Hoffnungsfunke erlosch.

Etwa zwei Stunden lang studierte Kamow das Projekt. In die Welt der Technik vertieft, vergaß er ganz seine verzweifelte Lage. Die Zeit hörte für ihn auf zu existieren.

Doch plötzlich zuckte er zusammen, und seine Augen hefteten sich auf eine kurze Formel, die mit einem Male ins Riesenhafte wuchs und alles andere verdrängte.

Aber natürlich! Daß er daran nicht gedacht hatte! Fünfzig Meter! — eine Beschleunigung, bei der sich die Schwerkraft verfünffacht!

Nun wurde ihm auch klar, welche Bewandtnis es mit den Aluminiumkästen und dem daran angeschlossenen Wasserbehälter hatte. Er bezweifelte jedoch, daß das Wasserbad den Schaden, den der Organismus durch eine solche Beschleunigung erleiden mußte, verringern konnte.

Aber wenn Hapgood nicht an eine begrenzte Beschleunigung gebunden war, dann hatte sein Motor vielleicht genügend Reserven, um auch diese Geschwindigkeit noch zu überschreiten …

Zum dritten Male im Lauf eines Tages keimte in Kamow die Hoffnung auf Rettung auf. Nachdem er die technischen Daten des Motors gefunden hatte, war es ihm ein leichtes, festzustellen, daß sich die Beschleunigung auf fünfund-fünfzig Meter erhöhen ließ.

Das entschied alles. Zwar konnte ihn eine derartige Beschleunigung gleich in den ersten Flugminuten töten, aber es war die einzige Möglichkeit, die Erde einzuholen.

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