Im Dunkel der Nacht

Am 10. Juli stand Charles Hapgoods Weltraumschiff startbereit auf einem eigens dafür errichteten Gerüst inmitten des weiten Feldes, das sich Hapgood als Raketenflugplatz ausgewählt hatte.

Schon am frühen Morgen umringte eine riesige Menschenmenge das Flugfeld. Die Gegend war nur dünn besiedelt, und den überwiegenden Teil der Menge bildeten Leute, die aus den verschiedensten Städten des Landes, sogar aus New York und Washington, herbeigeeilt waren, um dem Start des Weltraumschiffes beizuwohnen.

Der Start war auf acht Uhr morgens angesetzt. Die von Bason eigens hergebetene Sportkommission überprüfte ein letztes Mal die Siegel an den Geräten des Steuerpultes, verabschiedete sich und verließ das Schiff.

Hapgood und Bason waren allein. Beide hatten Gummianzüge an. Um die schädliche Wirkung der aufs Fünffache gesteigerten Schwerkraft abzuschwächen — die Beschleunigung beim Aufstieg sollte fünfzig Meter in der Sekunde betragen —, mußten sie unter Wasser tauchen.

Hapgood schloß die Eingangstür. Sie befanden sich in einer engen Kabine, der einzigen im Schiff, die vollgestopft war mit Proviantkisten, Behältern mit flüssigem Sauerstoff und sonstigem Gerät, so daß kaum ein freies Plätzchen blieb.

Hapgood warf einen Blick auf die Uhr.

„Legen Sie sich hin!“ sagte er zu Bason.

Bason hielt die Gummihaube unschlüssig in der Hand und starrte entsetzt auf den langen Aluminiumkasten, der wie ein Sarg aussah. „Aber wie komme ich denn da wieder heraus, wenn Ihnen etwas zustößt?“ fragte er.

„Wenn mir was zustößt, hat es für Sie auch keinen Zweck mehr, herauszukommen“, entgegnete Hapgood. „Ist es nicht einerlei, auf welche Art man stirbt? Ohne mich sind Sie sowieso verloren. Sie können das Raumschiff doch nicht steuern.“

Bason stieß einen tiefen Seufzer aus und stülpte sich die Haube über den Kopf. Es kostete ihn große Überwindung, in den Kasten zu steigen. Endlich war er drin. Er hörte noch, wie Hapgood die Luftzufuhrschläuche anschloß und den Deckel des Kastens zuschraubte, dann füllte sich sein „Sarg“ mit Wasser. Nun lag er in diesem Kasten eingesperrt, außerstande, allein wieder herauszukommen. Die Luft, das wußte er, reichte für vierzig Minuten. Wurde er bis dahin nicht herausgeholt, mußte er elendiglich ersticken.

Sein Leben hing von Hapgood ab. Wenn dem aber etwas zustieß! Warum klopfte Hapgood nicht, wie vereinbart, an den Kastendeckel, um zu erfahren, ob alles in Ordnung war? Er brauchte ja nur den Luftleitungshahn abzudrehen, und gleich wäre alles zu Ende …

Da, das Atmen wurde schon schwerer! …

Dann hörte Bason es deutlich dreimal an den Kastendeckel pochen. Das vereinbarte Klopfzeichen! Ja, die Luft strömte ungehindert ein … Es atmete sich leicht …

Das Klopfen wiederholte sich. Bason hob die Hand und antwortete mit drei Schlägen.

Nachdem Hopgood sich vergewissert hatte, daß sein Begleiter wohlauf war, prüfte er noch einmal den Deckelverschluß und trat ans Fenster.

Draußen, auf dem weiten Feld des Raketenflugplatzes, liefen Reporter mit Filmapparaten und Kameras hin und her, verfolgt von motorisierten Polizisten, die sich vergeblich bemühten, sie aus der verbotenen Kilometerzone hinauszudrängen.

Hapgood sah auf die Uhr und fluchte. Bis zum Start waren es keine zehn Minuten mehr. Begriffen diese Leute denn nicht, welcher Gefahr sie sich aussetzten, wenn sie der Rakete so nahe blieben?

Eilig traf er die letzten Vorbereitungen. Er sah nochmals die Schläuche nach, die beide Kästen, den Basons und den eigenen, mit Atemluft versorgten, und überprüfte die Leitungen, mit deren Hilfe er den Atom-Düsenmotor anlassen wollte.

Dann setzte er sich die Haube auf, befestigte sie an seinem Gummianzug und zog den luftdicht schließenden Kragen fest zu. Hierauf stieg er in den Kasten und legte die Luftschläuche an. Als er den Deckel von innen zugeschraubt hatte, ließ er Wasser einlaufen. Alles war zum Abflug bereit.

Durch die Brille der Haube sah er das Leuchtzifferblatt seiner Armbanduhr. Es fehlten noch zwei Minuten.

Hapgood war völlig ruhig. Obwohl er wußte, daß das von ihm gebaute Raumschiff noch längst nicht vollkommen war, fürchtete er die Gefahren nicht, die beim Start drohten. Er wollte einfach nicht an sie denken. Der große Augenblick, dem er sein Leben gewidmet hatte, war gekommen. Er startete zu einem Weltraumflug. Alles andere existierte für ihn nicht mehr.

Noch eine Minute!

Er dachte an Kamow. Sein Rivale flog jetzt da irgendwo im Raum, weit weg von der Erde, ohne zu ahnen, daß Hapgoods Raumschiff ihm nachjagte, daß dieses Raumschiff eher auf dem A4ars sein würde als seins …

Der Sekundenzeiger riß Hapgood aus seinen Gedanken.

Es war soweit!

Hapgood drückte mit fester Hand auf den Knopf.

* * *

Unerträglich langsam verstrich die Zeit … Hundertsiebzig Flugtage, Tage qualvoller Untätigkeit, die sich durch nichts voneinander unterschieden, schlichen in trostloser Eintönigkeit dahin.

Das Außergewöhnliche der Situation, das Gefühl der Schwerelosigkeit und das grandiose Bild des Weltalls, das sich vor den Fenstern der Rakete ausbreitete, büßte schnell den Reiz der Neuheit ein. Es gab absolut nichts zu tun.

Die Rakete flog, den ewigen Gesetzen des Universums gehorchend, und mußte sie zum Ziel tragen, falls sie nicht unterwegs gegen einen Himmelskörper prallten, der Hapgoods Aufmerksamkeit entgangen war. Übrigens glaubte Hapgood nicht an die Möglichkeit einer solchen Begegnung.

Mit Ralph Bason hatte er sich ein für allemal verkracht.

Das kam so: Als man beraten hatte, welche Nahrungsmittel mitgenommen werden sollten, war Bason mit Hapgood einer Meinung gewesen, daß man auf alkoholische Getränke verzichten müsse; doch am zweiten Flugtag sagte er plötzlich: „Ich langweile mich zu Tode! Kommen Sie, Charles, trinken wir einen!“

„Was meinen Sie?“ fragte Hapgood aufhorchend. Er konnte sich nicht erklären, woher Bason Alkohol haben konnte, denn er selbst hatte vor dem Start die ganze Ladung des Raumschiffes genau überprüft. ›Wenn er ohne mein Wissen zwei, drei Flaschen mit an Bord geschmuggelt hat, ist das ja weiter nicht schlimm‹, dachte er. Aber die Sache erwies sich als durchaus nicht so harmlos.

Hapgood war aufs höchste empört, als er erfuhr, daß Bason insgeheim mit dem Lieferanten abgemacht hatte, einen Behälter statt mit flüssigem Sauerstoff mit Whisky zu füllen. „Idiot!“ schrie er, außer sich vor Zorn. „Was sollen wir denn am Ende der Reise atmen? Ihren verdammten Schnaps wohl?“

Basons eigenmächtiges Vorgehen konnte die schwersten Folgen haben. Das Schiff hatte zwölf Sauerstoffbehälter geladen. Durch den Verlust auch nur eines Behälters wurde die ganze Expedition gefährdet.

„Sie haben doch selber gesagt“, versetzte Bason gelassen, ohne sich an den Wutausbruch seines Begleiters zu kehren, „daß der Luftvorrat für den ganzen Flug ausreicht, auch für den Rückflug. Wozu brauchen wir so viel! Wir füllen eben unsere Behälter auf dem Mars nach.“

„Womit denn?“

„Womit schon? Mit Marsluft natürlich, eine Pumpe haben wir ja.“

Hapgood starrte Bason sekundenlang an, außerstande, auch nur ein Wort hervorzubringen.

„Woher wissen Sie denn“, sagte er endlich, „daß sich die Marsluft zum Atmen eignet? Ist Ihnen etwa nicht bekannt, daß unsere Behälter nicht mit Luft, sondern mit flüssigem Sauerstoff gefüllt sind? Wir haben keine Möglichkeit, aus der Marsatmosphäre Sauerstoff zu gewinnen.“

„Was machen wir denn da?“ stammelte Bason verwirrt.

„Das es so ist, habe ich nicht gewußt. Fliegen wir schnell zur Erde zurück.“

„Umkehren kann ich nicht mehr. Hören Sie, was ich Ihnen als Kommandant des Raumschiffes sage: Sie werden Ihr Vergehen mit dem Leben bezahlen. Wenn der Sauerstoff nicht reicht, werfe ich Sie aus der Rakete hinaus.“

„Wir müssen eben weniger atmen!“ murmelte der Journalist erschrocken. „Vielleicht können wir mit dem Sauerstoff sparsamer umgehen.“

„Meinetwegen brauchen Sie überhaupt nicht zu atmen“, erwiderte Hapgood, der sich inzwischen wieder gefaßt hatte.

Als bis zum Mars noch sechs Tage verblieben waren, sagte Hapgood: „Die Landung ist gefährlich. Ich werde vielleicht Ihre Hilfe brauchen.“

Zu seiner Verwunderung gehorchte der Journalist ohne Widerrede.

Der letzte Flugtag brach an. Die Rakete näherte sich dem Ziel. Hapgood erklärte Bason, was er bei der Landung zu tun habe. „Wenn die Bremswirkung aufhört, öffnen Sie auf mein Kommando den Fallschirm.“

„Gut!“ antwortete Bason. „Wie werden Sie die Rakete bremsen?“

„Mit dem einen Motor, den wir haben“, sagte Hapgood, „können wir die Rakete nicht bremsen. Wir müssen uns die Reibung der Atmosphäre des Planeten zunutze machen.

Wenn meine Berechnungen stimmen, und daran zweifele ich nicht, dauert das zwölf Stunden und verlangt von mir ein Höchstmaß an Konzentration.“

Wie vorgesehen, flog die Rakete am 28. Dezember pünktlich um zwei Uhr am Mars vorüber, berührte leicht seine Atmosphäre und zog, nachdem sie einen Halbkreis beschrieben hatte, abermals an dem Planeten vorbei, diesmal von der andern Seite. So drang Hapgood, der in einer weit ausgezogenen Spirale einen Anflug nach dem andern unternahm, von Mal zu Mal immer tiefer in die Atmosphäre vor und minderte durch die dabei entstehende Reibung die kosmische Geschwindigkeit seines Raumes herab. Bei ihren letzten Runden kam die Rakete nicht mehr aus der Gashülle des Mars heraus. Als die Geschwindigkeit auf tausend Kilometer in der Minute gefallen war, entschloß sich Hapgood, den Flug abzubrechen. Der erhitzte Schiffskörper hatte die Temperatur im Innenraum auf fünfzig Grad erhöht, und die beiden Raumfahrer fühlten, daß sie eine solche Hitze nicht länger ertragen konnten. Aus Furcht, die Besinnung zu verlieren, lenkte Hapgood die Rakete auf die Planetenoberfläche, bis zu der es noch gegen fünftausend Meter waren.

„Den Fallschirm!“ rief er Bason zu. Der entscheidende Moment war gekommen. Würde der Fallschirm halten?

Hapgood verspürte einen starken Ruck. Über der Rakete spannte sich ein riesiges Seidendach aus. Die Geschwindigkeit nahm sofort ab. Der Fallschirm hatte standgehalten.

Schweißüberströmt, die Zähne schmerzhaft zusammengebissen, hielt Hapgood das Raumschiff in waagerechter Lage. Es bedurfte dazu übermenschlicher Anstrengung und größter Geschwindigkeit.

Als sie keine fünfhundert Meter mehr über dem Boden waren, wurde es plötzlich dunkel. Die Sonne verschwand am Horizont; an der Schnelligkeit, mit der die Nacht hereinbrach, merkte Hapgood, daß sie sich in den „Tropen“ des Mars befanden.

Sie mußten also blind landen, wobei sie Gefahr liefen, in einen der Seen zu geraten, von deren Tiefe Hapgood keine Vorstellung hatte. Aber ihm blieb keine andere Wahl. Die Rakete sank rasch tiefer und tiefer … Ein heftiger Stoß, das Klirren zerbrochenen Geräts am Armaturenbrett, ein Schreckensschrei Basons, und das Raumschiff hatte aufgehört zu fallen. Sie waren auf dem Mars.

Hapgood sah instinktiv nach der Uhr. Dreizehn Uhr vierunddreißig. Er wandte sich an Bason. „Notieren Sie!“ sagte er mit vor Erregung heiserer Stimme. „Am 28. Dezember 19.. um dreizehn Uhr vierunddreißig Washingtoner Zeit[2] erreichte das von Charles Hapgood konstruierte und gesteuerte amerikanische Raumschiff den Planeten Mars.“

„Mit der Besatzung, bestehend aus genanntem Charles Hapgood und dem Korrespondenten der Zeitung ›New York Times‹, Ralph Bason“, ergänzte der Journalist. „Aber das ist erst ein halber Sieg. Wollen wir uns den ganzen sichern, müssen wir aus der Rakete aussteigen und den Fuß auf den Boden des Planeten setzen. Das russische Raumschiff kann jeden Augenblick eintreffen.“

„Wenn es nicht schon da ist“, murmelte Hapgood.

„Schnell, Charles!“ In fieberhafter Eile holte der Journalist den Fotoapparat hervor.

Hapgood wußte, was Bason wollte. Ohne zu säumen, nahmen sie die Uhr vom Armaturenbrett herunter, die auf der Erde von einer Kommission mit einem Siegel versehen worden war. Das Zifferblatt, das nicht nur die Zeit, sondern auch das Datum anzeigte, mußte außerhalb des Raumschiffes fotografiert werden. Damit sollten unwiderlegbar Tag und Stunde ihrer Ankunft auf dem Mars nachgewiesen werden. Der Fotoapparat war ebenfalls versiegelt. Mit Sauerstoffmasken, Uhr, Fotoapparat und einer starken Magnesiumlampe versehen, krochen beide in die enge Ausstiegkammer des Schiffes.

Als sich die Innentür hinter ihnen geschlossen hatte, sagte Hapgood: „Eigentlich ist es unklug, bei dieser Dunkelheit hinauszugehen und unbekannten Boden zu betreten.“

„Dann lassen Sie es eben bleiben!“ entgegnete Bason.

„Ich gehe allein. Ich habe keine Lust, mich wegen Ihrer Feigheit um alle Früchte des Fluges bringen zu lassen.“

Vom Ehrgeiz gepackt, vergaß er in diesem Augenblick völlig, daß sie nur wenig Aussichten hatten, zur Erde zurückzukehren. „Machen Sie auf!“ rief er gebieterisch, als er sah, daß Hapgood zögerte.

Die Schlösser schnappten. Kalte Luft strömte in die Kammer und kühlte ihre erhitzten Körper. Die Tür öffnete sich.

Das erste, was Hapgood ins Auge fiel, war das vertraute Sternbild des Großen Wagens dicht über dem Horizont. In der dünnen Atmosphäre des Mars leuchteten die Sterne viel heller als auf der Erde.

„Steigen Sie aus!“ sagte Bason. „Ich will Ihnen nicht das Recht streitig machen, den Planeten als erster zu betreten.“

Das Raumschiff war am Ufer eines kleinen Sees gelandet. Die Tür befand sich gut anderthalb Meter über dem Sandboden. Nur mit Mühe überwand Hapgood eine unerklärliche Angst und sprang hinunter. Dank der geringen Anziehungskraft des Mars setzte er so leicht auf, als wäre er von einem Stuhl gesprungen. Bason reichte ihm Uhr, Lampe und Apparat und folgte nach.

Einige Meter von ihnen entfernt ragte das Gestrüpp unbekannter Pflanzen empor. Im nächtlichen Dunkel, nur vom Licht der Sterne erhellt, schien es voller unheimlicher, ungelöster Rätsel.

„Wir müssen weiter weg gehen, damit ich die Rakete mit aufs Bild bekomme“, rief Bason, dessen Stimme durch die Sauerstoffmaske und in der dünnen Luft wie ein klägliches Piepsen klang.

Ringsum herrschte tiefe Stille. Nicht der leiseste Windhauch bewegte die eisige Luft. Und ebenso eisig wie die Luft war auch der Glanz der unzähligen Sterne, zwischen denen, hart am Horizont, ein großer Stern bläulich schimmerte.

„Die Erde!“ flüsterte Hapgood.

Als sie sich zehn Schritte von der Rakete entfernt hatten, machten sie halt. Hapgood nahm die Uhr in die Hand, Bason trat etwas beiseite, hielt mit der Linken die Magnesiumlampe hoch und drückte mit der Rechten auf den Auslöser des Apparates. Grelles Blitzlicht erhellte das dichte Gestrüpp, den Landeplatz, den See, die unbewegliche Rakete an seinem Ufer und die Gestalt Hapgoods mit der Uhr in der ausgestreckten Hand.

Wie er so dastand, mit der Sauerstoffmaske auf dem Gesicht, wirkte er wie ein phantastisches Wesen, wie ein Bewohner dieses fremden, unerforschten Planeten. So sollte Bason ihn sein Leben lang in Erinnerung behalten!

Schnell schaltete er die Lampe auf einen neuen Blitz ein.

Doch kaum hatte er sie für eine zweite Aufnahme hochgehoben, als er ein feines, zischendes Pfeifen vernahm. Ein langgestreckter dunkler Körper, der sich von dem etwas helleren Horizontstreifen abhob, schnellte dicht an ihm vorbei.

An Basons Ohr drang ein markerschütternder Schrei.

Mit einer unwillkürlichen Bewegung drückte er auf den Auslöser. Der milchigweiße Magnesiumblitz entriß der Finsternis ein Bild, das dem Journalisten augenblicklich kalten Angstschweiß aus allen Poren trieb.

Zwei Schritte entfernt, dort, wo eben noch Hapgood gestanden hatte, glänzte das silbrige Fell eines langen Tieres, das einer dicken Riesenschlange glich. Starr vor Schreck, sah Bason Hapgoods Beine unter dem Leib des Tieres hervorragen. Und da erlosch auch schon die Lampe.

Die wieder eingetretene Dunkelheit, die nach dem grellen Licht noch undurchdringlicher schien, erfüllte Basons Herz mit Todesangst. Mit einem wilden, gellenden Schrei schleuderte er die Lampe von sich und stürzte wie von Sinnen zum Raumschiff. Wie gehetzt jagte er durch die offene Tür der Ausstiegkammer und schlug sie hinter sich zu.

Kraftlos und unfähig zu denken, lag er im Dunkeln auf dem Boden der Kammer, von einem widerwärtigen, heftigen Zittern befallen. Vor seinen Augen stand unablässig das Bild des grauenhaften Endes seines Gefährten: das riesige zottige Schlangenungeheuer und die unter ihm hervorragenden Beine. Reglose Beine. ›Also war er schon tot‹, war der klare Gedanke, den er fassen konnte.

Die Übelkeit ging allmählich vorüber, auch das Zittern ließ nach. Bason richtete sich auf und lauschte. Ringsum herrschte Stille. Nicht ein Laut drang von draußen herein.

Er vernahm nur die schnellen Schläge seines Herzens, das sich noch nicht beruhigt hatte. ›Vielleicht hätte ich ihn doch retten können?‹ fragte er sich beklommen. ›Nein, unmöglich, er war schon tot!‹ beruhigte er sich.

Bason stand auf und knipste Licht an. Die Außentür war zu. Er wunderte sich darüber, denn ihm war entfallen, daß er sie selber zugeschlagen hatte. Dann nahm er die Sauerstoffmaske ab, die er immer noch aufhatte, und wankte ins Innere der Rakete. Eine unwiderstehliche Müdigkeit überkam ihn. Wie er ging und stand, sank er zu Boden und schlief augenblicklich ein.

Bason hätte nicht sagen können, wie lange er geschlafen hatte, aber als er die Augen öffnete, drang durch die schmalen Fenster Tageslicht. Er richtete sich auf und begann, den Kopf in die Hände gestützt, zu grübeln. Hapgood war tot, und er war nun allein auf dem Mars in einer Rakete, mit der er nichts anzufangen wußte. Sicherer Tod erwartete ihn.

Nichts konnte ihn mehr retten. Nichts, als … Aber durfte er denn hoffen, daß das sowjetische Raumschiff ausgerechnet hier landete? Der Planet war groß. Kamow konnte mit seinem Schiff auf jedem beliebigen Punkt der hundertfünfzig Millionen Quadratkilometer großen Marsoberfläche niedergehen. Es blieb also nicht einmal ein Hoffnungsschimmer… Wie lange würde sich seine Qual hinziehen? Die Luft würde ihm drei Monate reichen. Drei Monate …

Er trat ans Fenster. Ob der fürchterliche Marsbewohner noch da war? Ihm kam der Gedanke, daß es eigentlich nicht übel wäre, das Tier zu fotografieren. ›Das gäbe eine sensationelle Aufnahme‹, dachte er, aber gleich darauf lachte er bitter auf. ›Wer würde sie denn zu sehen bekommen? Draußen war es Tag. Nichts rührte sich in dem sonnenbeschienenen blaugrauen Gestrüpp und auf dem Platz, auf dem das Raumschiff gelandet war. Die Lampe, die Bason weggeworfen hatte, lag noch im Sand. Von Hapgood aber war nirgends eine Spur. Da fiel Basons Blick auf einen dunklen Fleck — an dieser Stelle hatten sie in der Nacht gestanden —, und er sah das Bein eines Menschen. Der Fuß, mit Hosenresten eines blauen Overalls, steckte in einem ihm wohlbekannten Schuh. Daneben lag eine zerdrückte Uhr. Der Fleck da war Blut, und das Stück Bein war alles, was die Marsschlange von seinem Gefährten übriggelassen hatte. Bason zitterte am ganzen Leib. Eine Schwäche in den Knien zwang ihn, sich an die Wand zu lehnen.

Nein, fort aus dieser schrecklichen Welt! … Schluß machen!

Doch plötzlich fuhr er zusammen und ließ die Hand sinken.

Nicht mehr als dreihundert Meter von der Rakete entfernt bewegte sich etwas Glitzerndes, das rasch näher kam.

Die Sonne spiegelte sich hell auf der offenbar metallenen Oberfläche; was für eine Form der Gegenstand hatte, war in dem Gestrüpp nicht zu erkennen. Bason preßte die Stirn gegen die Fensterscheibe und verfolgte den rätselhaften Gegenstand, der genau auf die Rakete zusteuerte.

„Das sieht ja aus wie das Verdeck eines Autos“, sagte er laut vor sich hin. Aber wo sollte auf dem Mars ein Auto herkommen? War der Planet wirklich bewohnt, und Marsmenschen näherten sich dem Weltraumschiff? Sollte das wirklich die Rettung in letzter Minute sein?

Jäh aufkeimende Hoffnung ließ Bason das Herz höher schlagen. Wenn die Marsmenschen ein Gefährt bauen konnten, das nach Erdbegriffen einem Auto glich, dann mußte ihre Technik einen hohen Stand haben.

›Aber vielleicht ist es nur der glitzernde Panzer eines Marstieres?‹ dachte Bason. ›Wer weiß, was noch für Wesen diesen Planeten bevölkern. Der funkelnde Gegenstand näherte sich indessen mit großer Geschwindigkeit. Es war offensichtlich: er hielt auf das amerikanische Raumschiff zu.

Einige Sekunden später wurde Bason klar, daß es sich nicht um ein Tier handelte, sondern um einen Wagen, der von Menschen oder von menschenähnlichen Wesen erbaut worden war. Er erkannte deutlich das weißlackierte Verdeck des geheimnisvollen Autos.

Der Rakete näherten sich denkende Wesen. Noch ein paar qualvolle Augenblicke vergingen, dann schoß, die Pflanzenstengel unter sich zermalmend, ein kleines blendendweißes Raupenfahrzeug auf den Sandplatz heraus, auf dem es scharf bremste und hielt. Hinter den Glasscheiben der Wagenfenster waren Menschen zu sehen. Als der Mann am Steuer sich nach vorn beugte, prallte Bason mit einem dumpfen Aufschrei zurück. Er hatte das ihm von Fotografien her bekannte Gesicht Paitschadses erkannt.

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