10.

Atan und Hasso gingen zuerst in die Energiezentrale.

Sie untersuchten den Meiler und fanden nichts. Die Kabelstränge, die von den beiden Generatoren ausgingen, verschwanden in den großen Kästen, in denen sich die Sicherungen befanden. Stück für Stück suchten Atan und Hasso Wände und Verteiler ab.

»Hier ist nichts«, sagte Hasso und deutete auf das strahlensichere Schott, das den nächsten Korridor von der Energiezentrale trennte. »Suchen wir in Raum II weiter.«

Raum II war das Magazin. Die Männer fanden alle Arten von Verpackungsmaterial. Überall waren die Mengen und der Inhalt in terranischen Schriftzeichen angegeben. Einige tetraederförmige Behälter mit unbekannten erhabenen Schriftzügen oder Zeichnungen standen in der Mitte des Raumes. Atan war, als er die Einzelteile gesucht hatte, achtlos an ihnen vorbeigerannt.

»Das gehört unseren durchsichtigen Freunden«, sagte Hasso und stieß mit dem schweren Stiefel des Raumanzugs an das nachgiebige Material. »Wieder etwas, womit sich unsere Biologen beschäftigen können.«

»In den Korridoren und Schächten ist ebenfalls nichts«, sagte Hasso zu sich selbst und strich über sein kurzes weißes Haar. Wenn seine Hand das Kinn berührte, kratzte es. Er setzte den Helm wieder auf und verließ den Raum, um weiterzusuchen.

»Hasso?« rief Atan über Helmfunk.

»Hier - Nebenraum des Kontrollraums«, erwiderte Hasso schnell. »Hast du etwas gefunden?«

»Es sieht so aus. Ich bin gegenwärtig in der Nähe des Landeschachtes - an der Oberfläche des Asteroiden.«

»Paß auf«, sagte Hasso und öffnete schnell die Tür zu einem der Korridore. »Paß auf, daß du nicht wegfliegst und an den Magnetschirm stößt. Ist das künstliche Schwerefeld intakt?«

»Natürlich!«

»Entschuldigen Sie, wenn ich mich einschalte«, sagte plötzlich eine fremde Stimme dicht an Hassos Ohren. »Aber ich habe endlich die Wellenlänge Ihres Helmfunks erwischt. Wie geht es Ihnen dort unten?«

Hasso lachte und wußte, daß Atan mithörte.

Er ging schnell und entschlossen auf die Rampe zu, die den Bodenraum des Landeschachtes mit dem Vakuum des Alls verband, neben dem Schacht.

»Danke«, sagte er. »Sind Sie der Funker der BETEIGEUZE?«

»Richtig. Wir warten schon lange. Ihre Vorgesetzten warten ebenfalls gespannt auf Ihre Berichte.«

»Sollen sie warten«, sagte Hasso. »Wir müssen zuerst den Steuermechanismus finden, der die Magnetbarriere ausschaltet.«

»Finden Sie ihn.«

Hasso ging die Barriere hinauf und sah sich plötzlich der Unendlichkeit des Alls gegenüber. Die beiden Kreuzer waren wie Boten aus einer Welt, die unendlich fern lag. Jedenfalls trennten nur noch Stunden die Männer von der Zivilisation und von ihren Kameraden.

»Wo bist du, Atan?« rief Hasso drängend.

»Ich sehe dich. Rechts, dreißig Meter entfernt.«

Hasso drehte sich nach rechts. Über ihm funkelten die Sterne, durch das Fehlen einer Lufthülle mit ihren verzerrenden Schlieren starr und unbeweglich. Wie Diamanten auf Samt. Langsam ging der Mann vorwärts.

Die Lampe in seinem Gürtel flammte auf und beleuchtete den Weg. Er führte über zerklüftetes Gestein. Neben Hasso brannte ein rotes Licht: eine der Positionslampen des Schachtes. Er blieb stehen und sah nach unten - dort lag, bewegungsunfähig, die LANCET und sperrte den Schacht.

»Noch zwanzig Meter, Hasso!« sagte Atans Stimme.

Plötzlich dachte er an die Stunden, die hinter ihnen lagen, an die Gefahren, die jetzt bewältigt waren. Noch jetzt wurde ihm flau im Magen. Atan und er würden als Helden gefeiert werden. Sie hatten die Körper der Extraterrestrier geborgen. Sie hatten irgendwelche Materialien gefunden und sieben funkelnagelneue, unversehrte Schiffe erbeutet. Das alles geschah fast ohne ihr Zutun. Und sie waren mehrmals in Lebensgefahr gewesen.

Hasso blieb dicht vor Shubashi stehen.

»Das hier?« fragte er erstaunt.

»Ich habe nichts anderes gefunden. Ich glaube nicht, daß die Fremden noch mehr solcher Dinge versteckt haben.«

»Das ist nichts, was auf der Erde hergestellt wurde«, sagte Hasso und kauerte sich nieder. Das Licht seines Scheinwerfers blendete seinen Partner. Hasso beugte sich vor. Direkt an die rauhen Basaltfelsen angegossen, stand eine merkwürdige Konstruktion: ein Gebilde aus Kugeln, Rohren und Dreiecken, die sich nach allen Seiten streckten.

»Wenn du hier einen Schalter erkennen kannst«, sagte Atan, »dann drücke ihn bitte.«

Hasso suchte. Eine unvorstellbar fremde Technik war hier angewandt worden. Wie eine Geleemasse floß ein Fluß aus weißem Material über die Klippen und Steine, etwa zwei Meter im Durchmesser. Nach oben zu verjüngte sich die weiße Masse und bildete einen schlanken Stiel. Auf einer großen schwarzen Kugel befanden sich dreieckige Stacheln, an deren Spitzen wieder kleinere Kugeln von einem intensiv glühenden Rot befestigt waren. Gläserne Röhren, in denen eine purpurne Flüssigkeit pulsierte, verbanden in einem wirren Muster die kleineren Kugeln. Auf Hassos Seite war nichts zu erkennen, was wie ein Schalter aussah.

»Wie steht es bei Ihnen?« fragte der Funker der BETEIGEUZE.

»Noch kein Ergebnis!« sagte Atan mürrisch.

Er umrundete das zwei Meter hohe Gebilde.

Aus den obersten fünfzehn Kugeln wiesen je zwei geschwungene Dreiecke hinauf zu den Sternen. Has-sos Blick glitt an den Formen und Kurven entlang. Er suchte einen Sinn und fand keinen. Aber er sah in einer der Kugeln, etwa in Brusthöhe, ein etwa handgroßes Loch, aus dem ein verschwommenes Glimmen drang. Hassos Hand in dem dunklen Handschuh legte sich auf die Öffnung.

»BETEIGEUZE?« rief Atan sofort. »Können Sie eine Messung durchführen?« fragte er.

»Messung - welcher Art?«

Atan richtete seinen Blick auf die nebeneinander schwebenden Raumfahrzeuge, die schwach leuchtend über dem Asteroiden hingen und einen Teil der Sterne verdeckten.

»Eine Messung des Magnetfeldes. Offensichtlich müßte jetzt ein Anflug ohne Gefahr möglich sein«, sagte der Astrogator. »Ich kann mich täuschen, aber ich glaube, diesen leichten diffusen Schimmer um den Asteroiden nicht mehr zu sehen.«

»In Ordnung. Wir testen!«

Die zwei Männer auf der felsigen Oberfläche des winzigen Mondes warteten ungeduldig. Sie waren noch immer müde und hungrig, aber die Aufregung des Augenblicks ließ sie Müdigkeit und Hunger vergessen. Der andere Kreuzer war die KRÜGER 60, identisch mit der BETEIGEUZE und mit ORION VII. Denn die Schiffe entstammten einer der modernsten Bauserien.

»Das Magnetfeld ist verschwunden«, sagte der Funker.

»Wir haben eine zweites Problem«, hörte er die Stimme Hasso Sigbjörnsons über den Helmfunk: »Unser Beiboot, die LANCET, steht bewegungsunfähig im Landeschacht. Sie erkennen ihn durch die Positionslichter. Als wir landeten, ließen uns die Fremden so wie ihre sieben Schiffe durch den Schirm. Sie zerstörten die Sauerstoffanlage des Beibootes und dabei auch sämtliche Hauptkabel der Steuerung. Können Sie helfen?«

»Natürlich«, sagte der Funker. Atan und Hasso hörten die Worte einer schnell geführten Unterhaltung. »Wir fliegen mit unserem Beiboot in den Landeschacht, befestigen Magnettrossen an der Hülle Ihres Fahrzeugs und ziehen es hoch. Wir stellen es hier auf dem Asteroiden ab und fliegen Sie zurück nach Terra.«

»In Ordnung«, sagte Hasso. »Wir warten.«

Sie verließen ihren Standort und gingen durch die Klippen zurück zu der schrägen Rampe. Wenige Minuten später standen sie in dem runden Raum, in den die Gitter der Landeanlage mündeten. Atan schloß die Schleuse und blieb neben Hasso stehen.

Der Rest war einfach. Es dauerte nur fünf Minuten.

Die LANCET, abgefeuert von der KRÜGER 60, beschrieb einen eleganten Bogen und senkte sich über den Landeschacht. Aus der Unterseite fielen Kunststoffseile mit Stahlkern, die an den Enden wuchtige Magnetteller trugen. Lautlos hefteten sich die Magnete an die LANCET. Dann schaltete der Pilot des Beibootes die Zusatzaggregate ein. Die LANCET schwebte nach oben und wurde fünfzig Meter von dem Landeschacht entfernt aufgesetzt. Dann ließ sich das Beiboot in den Schacht fallen. Die Schleuse öffnete sich langsam. Männer in Raumanzügen kamen heraus. Hasso hob die Hand und winkte.

Sie unterhielten sich leise durch Sprechfunk, bis sie in den gefluteten Kontrollraum kamen. Dort erst begrüßten sich die vier Männer.

»Commander Figueras vom Schnellen Kreuzer BETEIGEUZE«, sagte der hochgewachsene Mann und streckte die Hand im Handschuh aus, nachdem er den Helm abgenommen hatte. »Wir sind abkommandiert worden, Sie abzuholen - vor dem Geschwader, das mit Wissenschaftlern hier eintrifft.«

»Willkommen auf MZ 4«, sagte Hasso trocken.

»Können wir fliegen?« fragte Figueras und stellte seinen Ersten Offizier vor.

»Sicher«, erwiderte Atan. »Wir haben nicht viel Gepäck. Was geschieht mit den anderen Dingen hier?«

»Kurz nach uns sollen vier Schiffe gestartet sein. Sie haben eine Menge von Kosmobiologen, Technikern und Reportern an Bord. Sie werden hier einfallen und eine Menge Unruhe stiften«, sagte Figueras.

Neugierig betrachtete der Erste die auseinandergenommenen Geräte und die Unordnung, die hier herrschte. Er nickte anerkennend und deutete auf den Tisch.

»Nett haben Sie es hier«, sagte er und grinste. »Bis auf das Durcheinander.«

Hasso nickte ihm zu und erwiderte: »Ich hätte Sie hier gern an unserer Stelle zittern sehen wollen. Versuchen Sie einmal, mit einem von fremden Intelligenzen gestörten Funkgerät eine Kollision aus dem Hyperraum abzuwehren.«

»Das waren Sie?« fragte der Erste verblüfft.

»Natürlich«, erklärte Atan leichthin. »Wir, die Männer der ORION.«

»Bringen die Schiffe auch eine Ersatzmannschaft für den Asteroiden mit?« fragte Hasso weiter.

»Natürlich. Eine, die schwer bewaffnet ist«, sagte der Commander. »Ich habe Order, Sie so schnell wie möglich zu Wamsler und Villa zu bringen. Können wir gehen?«

»Ja!« sagten Atan und Hasso zweistimmig.

»Ich würde mir gern noch kurz die fremden Schiffe ansehen«, warf der Erste ein. Die leuchtenden blauen Augen unter dem blonden Haarschopf verzogen sich in einem kalten Lächeln. Die Männer kannten die Gefahr, die das Auftauchen jener Schiffe an den Grenzen hervorgerufen hatte. Je mehr sie von dieser Gefahr wußten, desto besser konnten sie sich wehren. Das hagere, hartgeschnittene Gesicht des Ersten verzog sich zu einer wütenden Grimasse.

»Gut!« stimmte Commander Figueras zu. »Wir schließen die Helme, stimmen den Sprechfunk ab und gehen hinauf. Versuchen wir, in eines der Schiffe einzudringen?«

»Wenn es möglich ist, Commander!« sagte der Erste.

Hasso und Atan stimmten ebenfalls zu. Sie waren an ihrer eigenen Entdeckung natürlich sehr interessiert.

»Anschließend starten wir!« sagte Figueras. »Es eilt.«

Sie kamen an den beiden Toten vorbei, die mitten während des Essens erstarrt waren, und betraten über die Rampe die Oberfläche der Steinkugel.

»Rechts!« sagte Atan kurz.

Sie kletterten hundertfünfzig Meter weit über die blauschwarzen Felsen. Die vier Lichtkegel aus den Gürtelscheinwerfern warfen scharfes Licht mit harten Schatten auf den Stein. Dann ragte vor ihnen das erste Schiff in die Höhe - eine Kugel von rund vierzig Metern Durchmesser.

Sie glänzte wie hochpoliertes Silber. In der Wandung spiegelten sich die Sterne und die regungslosen Körper der anderen Schiffe und der beiden terrani-schen Kreuzer.

Von dem Kugelkörper, der mit einem breiten Kranz von stählernen Dreiecken den Fels berührte, stachen zwei Fortsätze wie grazile Libellenflügel in die Höhe. An ihren Enden saßen kleinere Tropfen. Diese tropfenförmigen Enden glühten in dem flammenden Rot wie der Projektor des Magnetfeldes.

Sieben Schiffe standen in einer geschwungenen Reihe.

Das letzte war nur noch teilweise hinter dem Horizont des kleinen Felsmondes zu sehen. Figueras ging neben seinem Offizier an Atan und Hasso vorbei und berührte die Hülle des Schiffes mit dem Handschuh. Dann, einige Meter weiter, erkannten die Männer die Konturen einer Schleuse, die ebenfalls keine Ähnlichkeit mit einer terranischen aufwies.

Es war ein Verschluß, der aus reiner Energie zu bestehen schien.

Schwarz inmitten der silbernen Bordwand. Flirrend und bewegt. Der Commander schüttelte stumm den Kopf und sagte in das erregte Schweigen hinein: »Ich bin dafür, daß wir nichts anrühren. Sollen sich die Wissenschaftler darum kümmern.«

»Sie haben recht«, erklärte Hasso und wandte sich zum Gehen. »Die Ergebnisse der Untersuchungen erfahren wir in Raumfahrerkreisen sowieso zuerst.«

»Los!« sagte Atan nur.

Hintereinander gingen sie zurück, bogen in die Rampe ein und bestiegen die LANCET. Die plattgedrückte Kugel mit den vielen Kuppelfenstern löste sich vom Boden des Landeschachtes und flog hinauf zur BETEIGEUZE. Kaum schlossen sich die Schleusentore, schwenkten beide Schiffe ab und nahmen Fahrt auf.

Kubus Zehn/Nord 219: Die beiden Schiffe gingen, nachdem sie die Grenze der Lichtgeschwindigkeit erreicht hatten, in den Hyperraum. Das Klicken und Hämmern der arbeitenden Rechenmaschinen hörten weder Hasso Sigbjörnson noch Atan Shubashi. Beide Männer lagen unrasiert und erschöpft im tiefen Schlaf. Die Schiffe jagten durch das pulverige Grau des Hyperraumes der Erde entgegen.

Kubus Eins/Null Eins ...

Heulend erschienen die beiden Kreuzer über dem Meer. Sie bekamen sofort Landezeiten. Sie schlugen einen gewaltigen Kreis ein, der sie an vielen Punkten der Karten vorbeibrachte.

»Ortung Basis 104 an Schiffe KRÜGER und BETEIGEUZE!«

Die beiden Funker meldeten sich.

»Sie landen in genau hundert Sekunden. Haben Sie Shubashi und Sigbjörnson an Bord?«

»Wohlbehalten.«

»Sie melden sich in drei Stunden bei Oberst Villa.«

»Das war knapp!« flüsterte Atan, noch immer unter dem Eindruck des Geschehens.

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