Ich überlegte, ob ich das Badewasser noch ein zweites Mal aufbessern sollte. Aber es war verbraucht, ich spürte, daß ich raus mußte. Das Bad hatte meinem Knie nicht gutgetan, es war wieder geschwollen und fast steif. Als ich aus der Wanne stieg, rutschte ich aus und fiel beinahe auf die schönen Kacheln. Ich wollte Zohnerer sofort anrufen und ihm vorschlagen, mich in eine Artistengruppe zu vermitteln. Ich trocknete mich ab, steckte mir eine Zigarette an und betrachtete mich im Spiegel: ich war mager geworden. Beim Klingeln des Telefons hoffte ich einen Augenblick lang, es könnte Marie sein. Aber es war nicht ihr Klingeln. Es hätte Leo sein können. Ich humpelte ins Wohnzimmer, nahm den Hörer auf und sagte: »Hallo.«
»Oh«, sagte Sommerwilds Stimme, »ich habe Sie doch hoffentlich nicht bei einem doppelten Salto gestört.«
»Ich bin kein Artist«, sagte ich wütend, »sondern ein Clown — das ist ein Unterschied, mindestens so erheblich wie zwischen Jesuiten und Dominikanern — und wenn hier irgend etwas Doppeltes geschieht, dann höchstens ein Doppelmord.«
Er lachte. »Schnier, Schnier«, sagte er, »ich mache mir ernsthaft Sorgen um Sie. Sie sind wohl nach Bonn gekommen, um uns allen telefonisch Feindschaft anzusagen?«
»Habe ich Sie etwa angerufen«, sagte ich, »oder Sie mich?«
»Ach«, sagte er, »kommt es wirklich so sehr darauf an?«
Ich schwieg. »Ich weiß sehr wohl«, sagte er, »daß Sie mich nicht mögen, es wird Sie überraschen, ich mag Sie, und Sie werden mir das Recht zugestehen müssen, gewisse Ordnungen, an die ich glaube und die ich vertrete, durchzusetzen.«
»Notfalls mit Gewalt«, sagte ich.
»Nein«, sagte er, seine Stimme klang klar, »nein, nicht mit Gewalt, aber nachdrücklich, so wie es die Person, um die es geht, erwarten darf.«
»Warum sagen Sie Person und nicht Marie?«
»Weil mir daran liegt, die Sache so objektiv wie nur möglich zu halten.«
»Das ist Ihr großer Fehler, Prälat«, sagte ich, »die Sache ist so subjektiv, wie sie nur sein kann.«
Mir war kalt im Bademantel, meine Zigarette war feucht geworden und brannte nicht richtig. »Ich bringe nicht nur Sie, auch Züpfner um, wenn Marie nicht zurückkommt.«
»Ach Gott«, sagte er ärgerlich, »lassen Sie Heribert doch aus dem Spiel.«
»Sie sind witzig«, sagte ich, »irgendeiner nimmt mir meine Frau weg, und ausgerechnet den soll ich aus dem Spiel lassen.«
»Er ist nicht irgendeiner, Fräulein Derkum war nicht Ihre Frau — und er hat sie Ihnen nicht weggenommen, sondern sie ist gegangen.«
»Vollkommen freiwillig, was?«
»Ja«, sagte er, »vollkommen freiwillig, wenn auch möglicherweise im Widerstreit zwischen Natur und Übernatur. «
»Ach«, sagte ich, »wo ist denn da die Übernatur?«
»Schnier«, sagte er ärgerlich, »ich glaube trotz allem, daß Sie ein guter Clown sind — aber von Theologie verstehen Sie nichts.«
»Soviel verstehe ich aber davon«, sagte ich, »daß Ihr Katholiken einem Ungläubigen wie mir gegenüber so hart seid wie die Juden gegenüber den Christen, die Christen gegenüber den Heiden. Ich höre immer nur: Gesetz, Theologie — und das alles im Grunde genommen nur wegen eines idiotischen Fetzens Papier, den der Staat — der Staat ausstellen muß.«
»Sie verwechseln Anlaß und Ursache«, sagte er, »ich verstehe Sie, Schnier«, sagte er, »ich verstehe Sie.« »Sie verstehen gar nichts«, sagte ich, »und die Folge wird ein doppelter Ehebruch sein. Der, den Marie begeht, indem sie euren Heribert heiratet, dann den zweiten, den sie begeht, indem sie eines Tages mit mir wieder von dannen zieht. Ich bin wohl nicht feinsinnig und nicht Künstler, vor allem nicht christlich genug, als daß ein Prälat zu mir sagen würde: Schnier, hätten Sie's doch beim Konkubinat gelassen.«
»Sie verkennen den theologischen Kern des Unterschieds zwischen Ihrem Fall und dem, über den wir damals stritten.«
»Welchen Unterschied?« fragte ich, »wohl den, daß Besewitz sensibler ist — und für euren Verein eine wichtige Glaubenslokomotive?«
»Nein«, er lachte tatsächlich. »Nein. Der Unterschied ist ein kirchenrechtlicher. B. lebte mit einer geschiedenen Frau zusammen, die er gar nicht kirchlich hätte heiraten können, während Sie — nun, Fräulein Derkum war nicht geschieden, und einer Trauung stand nichts im Wege.«
»Ich war bereit zu unterschreiben«, sagte ich, »sogar zu konvertieren.«
»Auf eine verächtliche Weise bereit.«
»Soll ich Gefühle, einen Glauben heucheln, die ich nicht habe? Wenn Sie auf Recht und Gesetz bestehen — lauter formalen Dingen —, warum werfen Sie mir fehlende Gefühle vor?«
»Ich werfe Ihnen gar nichts vor.«
Ich schwieg. Er hatte recht, die Erkenntnis war schlimm. Marie war weggegangen, und sie hatten sie natürlich mit offenen Armen aufgenommen, aber wenn sie hätte bei mir bleiben wollen, hätte keiner sie zwingen können, zu gehen.
»Hallo, Schnier«, sagte Sommerwild. »Sind Sie noch da?«
»Ja«, sagte ich, »ich bin noch da.« Ich hatte mir das Telefongespräch mit ihm anders vorgestellt. Um halb drei Uhr morgens ihn aus dem Schlaf wecken, ihn beschimpfen und bedrohen.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte er leise.
»Nichts«, sagte ich, »wenn Sie mir sagen, daß diese Geheimkonferenzen in dem Hotel in Hannover einzig und allein dem Zweck dienten, Marie in ihrer Treue zu mir zu bestärken — dann will ich es Ihnen glauben.«
»Zweifellos verkennen Sie, Schnier«, sagte er, »daß Fräulein Derkums Verhältnis zu Ihnen in einer Krise war.«
»Und da müßt ihr gleich einhaken«, sagte ich, »ihr eine gesetzliche und kirchenrechtliche Lücke zeigen, sich von mir zu trennen. Ich dachte immer, die katholische Kirche wäre gegen die Scheidung.«
»Herrgott noch mal, Schnier«, rief er, »Sie können doch von mir als katholischem Priester nicht verlangen, daß ich eine Frau darin bestärke, im Konkubinat zu verharren. «
»Warum nicht?« sagte ich. »Sie treiben sie in Unzucht und Ehebruch hinein — wenn Sie das als Priester verantworten können, bitte.«
»Ihr Antiklerikalismus überrascht mich. Ich kenne das nur bei Katholiken.«
»Ich bin gar nicht antiklerikal, bilden Sie sich nichts ein, ich bin nur Anti-Sommerwild, weil Sie unfair gewesen sind und doppelzüngig sind.«
»Mein Gott«, sagte er, »wieso?«
»Wenn man Ihre Predigten hört, denkt man, Ihr Herz wäre so groß wie ein Focksegel, aber dann tuscheln und mogeln Sie in Hotelhallen herum. Während ich im Schweiße meines Angesichts mein Brot verdiene, konferieren Sie mit meiner Frau, ohne mich anzuhören. Unfair und doppelzüngig, aber was soll man von einem Ästheten anders erwarten?«
»Schimpfen Sie nur«, sagte er, »tun Sie mir Unrecht, bitte. Ich kann Sie ja so gut verstehen.«
»Nichts verstehen Sie, Sie haben Marie ein verfluchtes, gepanschtes Zeug eingetrichtert. Ich trinke nun mal lieber reine Sachen: reiner Kartoffelschnaps ist mir lieber als ein gefälschter Kognak.«
»Reden Sie nur«, sagte er, »reden Sie — es klingt ganz, als wären Sie innerlich beteiligt.«
»Ich bin daran beteiligt, Prälat, innerlich und äußerlich, weil es um Marie geht.«
»Es wird der Tag kommen, an dem Sie einsehen, daß Sie mir Unrecht getan haben, Schnier. In dieser Sache und im allgemeinen —« seine Stimme nahm eine fast weinerliche Färbung an, »und was mein Panschen betrifft, vielleicht vergessen Sie, daß manche Menschen Durst haben, einfach Durst, und daß ihnen Gepanschtes lieber sein könnte als gar nichts zu trinken.«
»Aber in Ihrer Heiligen Schrift steht doch die Sache von dem reinen, klaren Wasser — warum schenken Sie das nicht aus?«
»Vielleicht«, sagte er zittrig, »weil ich — ich bleibe in Ihrem Vergleich —, weil ich am Ende einer langen Kette stehe, die das Wasser aus dem Brunnen schöpft, ich bin vielleicht der hundertste oder tausendste in der Kette und das Wasser ist nicht mehr ganz so frisch — und noch eins, Schnier, hören Sie?« — »Ich höre«, sagte ich. — »Sie können eine Frau auch lieben, ohne mit ihr zusammenzuleben.«
»So?« sagte ich, »jetzt fangen Sie wohl von der Jungfrau Maria an.«
»Spotten Sie nicht, Schnier«, sagte er, »das paßt nicht zu Ihnen.«
»Ich spotte gar nicht«, sagte ich, »ich bin durchaus fähig, etwas zu respektieren, was ich nicht verstehe. Ich halte es nur für einen verhängnisvollen Irrtum, einem jungen Mädchen, das nicht ins Kloster gehen will, die Jungfrau Maria als Vorbild anzubieten. Ich habe sogar einmal einen Vortrag darüber gehalten.«
»So?« sagte er, »wo denn?«
»Hier in Bonn«, sagte ich, »vor jungen Mädchen. Vor Maries Gruppe. Ich bin von Köln rübergekommen an einem Heimabend, habe den Mädchen ein paar Faxen vorgemacht und mich mit ihnen über die Jungfrau Maria unterhalten. Fragen Sie Monika Silvs, Prälat. Ich konnte mit den Mädchen natürlich nicht über das reden, was Sie das fleischliche Verlangen nennen! Hören Sie noch?«
»Ich höre«, sagte er, »und staune. Sie werden recht drastisch, Schnier.«
»Verflucht noch mal, Prälat«, sagte ich, »der Vorgang, der zur Zeugung eines Kindes führt, ist eine ziemlich drastische Sache — wir können uns auch, wenn es Ihnen lieber ist, über den Klapperstorch unterhalten. Alles, was über diese drastische Sache gesagt, gepredigt und gelehrt wird, ist Heuchelei. Ihr haltet im Grunde eures Herzens diese Sache für eine aus Notwehr gegen die Natur in der Ehe legitimierte Schweinerei — oder macht euch Illusionen und trennt das Körperliche von dem, was außerdem noch zu der Sache gehört — aber gerade das, was außerdem dazu gehört, ist das Komplizierte. Nicht einmal die Ehefrau, die ihren Eheherrn nur noch erduldet, ist nur Körper — und nicht der dreckigste Trunkenbold, der zu einer Dirne geht, ist nur Körper, sowenig wie die Dirne. Ihr behandelt diese Sache wie eine Sylvesterrakete — und sie ist Dynamit.«
»Schnier«, sagte er matt, »ich bin erstaunt, wieviel Sie über die Sache nachgedacht haben.«
»Erstaunt«, schrie ich, »Sie sollten erstaunt sein über die gedankenlosen Hunde, die ihre Frauen einfach als rechtmäßigen Besitz betrachten. Fragen Sie Monika Silvs, was ich den Mädchen damals darüber gesagt habe. Seitdem ich weiß, daß ich männlichen Geschlechts bin, habe ich fast über nichts so sehr nachgedacht — und das erstaunt Sie?«
»Ihnen fehlt jede, aber auch die geringste Vorstellung von Recht und Gesetz. Diese Dinge – wie kompliziert sie auch sein mögen — müssen doch geregelt werden.«
»Ja«, sagte ich, »von euren Regeln habe ich ein bißchen mitbekommen. Ihr schiebt die Natur auf ein Gleis, das Ihr Ehebruch nennt — wenn die Natur in die Ehe einbricht, bekommt Ihr es mit der Angst zu tun. Gebeichtet, verziehen, gesündigt — und so weiter. Alles gesetzlich geregelt.«
Er lachte. Sein Lachen klang gemein. »Schnier«, sagte er, »ich merke schon, was mit Ihnen los ist. Offenbar sind Sie so monogam wie ein Esel.«
»Sie verstehen nicht einmal etwas von Zoologie«, sagte ich, »geschweige denn vom homo sapiens. Esel sind gar nicht monogam, obwohl sie fromm aussehen. Bei Eseln herrscht vollkommene Promiskuität. Raben sind monogam, Stichlinge, Dohlen und manchmal Nashörner. «
»Marie offenbar nicht«, sagte er. Er mußte wohl gemerkt haben, wie mich dieser kleine Satz traf, denn er fuhr leise fort: »Tut mir leid, Schnier, ich hätte es Ihnen gern erspart, glauben Sie mir das?«
Ich schwieg. Ich spuckte den brennenden Zigarettenstummel auf den Teppich, sah, wie die Glut sich verteilte, kleine, schwarze Löcher brannte. »Schnier«, rief er flehend, »glauben Sie mir wenigstens, daß ichs Ihnen nicht gern sage.«
»Ist es nicht gleichgültig«, sagte ich, »was ich Ihnen glaube? Aber bitte: ich glaubs Ihnen.«
»Sie sprachen eben soviel von Natur«, sagte er, »Sie hätten ihrer Natur folgen, hinter Marie herreisen und um sie kämpfen sollen.«
»Kämpfen«, sagte ich, »wo steht das Wort in euren verdammten Ehegesetzen.«
»Es war keine Ehe, was Sie mit Fräulein Derkum führten.«
»Gut«, sagte ich, »meinetwegen. Keine Ehe. Ich habe fast jeden Tag mit ihr zu telefonieren versucht und ihr jeden Tag geschrieben.«
»Ich weiß«, sagte er, »ich weiß. Jetzt ist es zu spät.«
»Jetzt bleibt wohl nur der offene Ehebruch«, sagte ich.
»Sie sind dessen unfähig«, sagte er, »ich kenne Sie besser als Sie glauben, und Sie mögen schimpfen und mir drohen, soviel Sie wollen, ich sags Ihnen, das Schreckliche an Ihnen ist, daß Sie ein unschuldiger, fast möchte ich sagen, reiner Mensch sind. Kann ich Ihnen helfen... ich meine...«
Er schwieg.
»Sie meinen mit Geld«, fragte ich.
»Auch das«, sagte er, »aber ich meinte beruflich.«
»Ich komme vielleicht drauf zurück«, sagte ich, »auf beides, das Geld und das Berufliche. Wo ist sie denn?« Ich hörte ihn atmen, und in der Stille roch ich zum erstenmal etwas: ein mildes Rasierwasser, ein bißchen Rotwein, auch Zigarre, aber schwach. »Sie sind nach Rom gefahren«, sagte er.
»Flitterwochen, wie?« fragte ich heiser.
»So nennt man's«, sagte er.
»Damit die Hurerei komplett wird«, sagte ich. Ich legte auf, ohne ihm Danke oder auf Wiedersehen zu sagen. Ich blickte auf die schwarzen Pünktchen, die die Zigarettenglut in den Teppich gebrannt hatte, aber ich war zu müde, drauf zu treten und sie ganz zum Verlöschen zu bringen. Mir war kalt, und das Knie schmerzte. Ich war zu lange in der Badewanne gewesen.
Mit mir hatte Marie nicht nach Rom fahren wollen. Sie war rot geworden, als ich ihr das vorschlug, sie sagte: Italien ja, aber Rom nicht, und als ich sie fragte, warum nicht, fragte sie: Weißt Du's wirklich nicht? Nein, sagte ich, und sie hatte es mir nicht gesagt. Ich wäre gern mit ihr nach Rom gefahren, um den Papst zu sehen. Ich glaube, ich hätte sogar auf dem Petersplatz stundenlang gewartet, in die Hände geklatscht und Evviva gerufen, wenn er ans Fenster gekommen wäre. Als ich das Marie erklärte, wurde sie fast wütend. Sie sagte, sie fände es »irgendwie pervers«, daß ein Agnostiker wie ich dem Heiligen Vater zujubeln möchte. Sie war richtig eifersüchtig. Ich habe das oft bei Katholiken bemerkt: sie hüten ihre Schätze — die Sakramente, den Papst — wie Geizhälse. Außerdem sind sie die eingebildetste Menschengruppe, die ich kenne. Sie bilden sich auf alles was ein: auf das, was stark an ihrer Kirche, auf das, was schwach an ihr ist, und sie erwarten von jedem, den sie für halbwegs intelligent halten, daß er bald konvertiert. Vielleicht war Marie deshalb nicht mit mir nach Rom gefahren, weil sie sich dort ihres sündigen Zusammenlebens mit mir besonders hätte schämen müssen. In manchen Dingen war sie naiv, und sehr intelligent war sie nicht. Es war gemein von ihr, jetzt mit Züpfner dorthin zu fahren. Sicher würden sie eine Audienz bekommen, und der arme Papst, der sie mit Meine Tochter und Züpfner mit Mein guter Sohn anreden würde, würde nicht ahnen, daß ein unzüchtiges und ehebrecherisches Paar vor ihm kniete. Vielleicht war sie auch mit Züpfner nach Rom gefahren, weil sie dort nichts an mich erinnerte. Wir waren in Neapel, Venedig und Florenz gewesen, in Paris und in London, und in vielen deutschen Städten. In Rom konnte sie vor Erinnerungen sicher sein, und sicher hatte sie dort ausreichend »katholische Luft«. Ich nahm mir vor, Sommerwild doch noch anzurufen und ihm zu sagen, daß ich es besonders schäbig von ihm fände, mich wegen meiner monogamen Veranlagung zu verspotten. Aber fast alle gebildeten Katholiken haben diesen gemeinen Zug, entweder hocken sie sich hinter ihren Schutzwall aus Dogmen, werfen mit aus Dogmen zurechtgehauenen Prinzipien um sich, aber wenn man sie ernsthaft konfrontiert mit ihren »unerschütterlichen Wahrheiten«, lächeln sie und beziehen sich auf »die menschliche Natur«. Notfalls setzen sie ein mokantes Lächeln auf, als wenn sie gerade beim Papst gewesen wären und der ihnen ein Stückchen Unfehlbarkeit mitgegeben hätte. Jedenfalls, wenn man anfängt, ihre kaltblütig verkündeten ungeheuerlichen Wahrheiten ganz ernst zu nehmen, ist man entweder ein »Protestant« oder humorlos. Redet man ernsthaft mit ihnen über die Ehe, fahren sie ihren Heinrich den Achten auf, mit dieser Kanone schießen sie schon seit dreihundert Jahren, damit wollen sie kundtun, wie hart ihre Kirche ist, aber wenn sie kundtun wollen, wie weich sie ist, welch ein großes Herz sie hat, kommen sie mit Besewitz-Anekdoten, erzählen Bischofswitze, aber nur unter »Eingeweihten«, worunter sie — ob sie sich links oder rechts fühlen, spielt dann keine Rolle mehr — »gebildet und intelligent« verstehen. Als ich Sommerwild damals aufforderte, doch die Prälatenstory mit Besewitz einmal von der Kanzel herunter zu erzählen, wurde er wütend. Von der Kanzel herunter schießen sie, wenn es um Mann und Frau geht, immer nur mit ihrer Hauptkanone: Heinrich dem Achten. Ein Königreich für eine Ehe! Das Recht! Das Gesetz! Das Dogma! Mir wurde übel, aus verschiedenen Gründen, körperlich, weil ich seit dem elenden Frühstück in Bochum außer Kognak und Zigaretten nichts zu mir genommen hatte — seelisch, weil ich mir vorstellte, wie Züpfner in einem römischen Hotel Marie beim Ankleiden zusah.
Wahrscheinlich würde er auch in ihrer Wäsche kramen. Diese korrekt gescheitelten, intelligenten, gerechten und gebildeten Katholiken brauchen barmherzige Frauen. Marie war für Züpfner nicht die richtige. Einer wie er, der immer tadellos angezogen ist, modisch genug, um nicht altmodisch, und doch nicht so modisch, um dandyhaft zu wirken; und einer, der sich morgens ausgiebig mit kaltem Wasser wäscht und sich mit einem Eifer die Zähne putzt, als gelte es einen Rekord zu gewinnen — für ihn ist Marie nicht intelligent genug und auch eine viel zu eifrige Morgentoilettemacherin. Er ist der Typ, der sich, bevor er zum Papst ins Audienzzimmer geführt wird, noch rasch mit dem Taschentuch über die Schuhe fahren würde. Mir tat auch der Papst leid, vor dem die beiden knien würden. Er würde gütig lächeln und sich herzlich freuen über dieses hübsche, sympathische, katholische deutsche Paar — und wieder einmal betrogen sein. Er konnte ja nicht ahnen, daß er zwei Ehebrechern seinen Segen erteilte.
Ich ging ins Badezimmer, frottierte mich, zog mich wieder an, ging in die Küche und setzte Wasser auf. Monika hatte an alles gedacht. Streichhölzer lagen auf dem Gasherd, gemahlener Kaffee stand da in einer luftdichten Dose, Filterpapier daneben, Schinken, Eier, Büchsengemüse im Eisschrank. Ich mache Küchenarbeit nur dann gern, wenn sie die einzige Chance ist, bestimmten Formen der Erwachsenengesprächigkeit zu entfliehen. Wenn Sommerwild von »Eros« anfängt, Blothert sein Ka... Ka... Kanzler ausspuckt oder Fredebeul einen geschickt kompilierten Vortrag über Cocteau hält — dann allerdings gehe ich lieber in die Küche, drücke Mayonnaise aus Tuben, halbiere Oliven und streiche Leberwurst auf Brötchen. Wenn ich allein in der Küche für mich etwas anrichten will, fühle ich mich verloren. Meine Hände werden ungeschickt vor Einsamkeit, und die Notwendigkeit, eine Büchse zu öffnen, Eier in die Pfanne zu schlagen, versetzt mich in tiefe Melancholie. Ich bin kein Junggeselle. Wenn Marie krank war oder arbeiten ging — sie hatte eine Zeitlang in Köln in einem Papierwarenladen gearbeitet —, machte es mir nicht soviel aus, in der Küche zu arbeiten, und als sie die erste Fehlgeburt hatte, hatte ich sogar die Bettwäsche gewaschen, bevor unsere Wirtin aus dem Kino nach Hause kam.
Es gelang mir, eine Büchse Bohnen zu öffnen, ohne mir die Hand zu ratschen, ich goß kochendes Wasser in den Filter, während ich an das Haus dachte, das Züpfner sich hatte bauen lassen. Vor zwei Jahren war ich einmal dort gewesen.