Von dem Briefwechsel zwischen Fjodor Michailowitsch und seinem älteren Bruder sind leider gerade die Briefe aus den ersten Jahren seines freien Lebens außerhalb der Anstalt verloren gegangen. Noch diese Lücke wird zum Teil durch die um so wertvolleren Aufzeichnungen des Arztes Dr. A. E. Riesenkampf ausgefüllt.
Nachdem Dr. Riesenkampf im Juli 1842 mit dem älteren Dostojewski in Reval wieder zusammengewesen war, begann er im Herbst, nach seiner Rückkehr nach Petersburg, den jüngeren Bruder, über dessen wenig günstige wirtschaftliche Lage er von Michail Michailowitsch schon zur Genüge gehört hatte, häufiger zu besuchen. Er stellte fest, daß von der ganzen großen Wohnung, die F. M. Dostojewski gemietet hatte, tatsächlich nur das Arbeitszimmer geheizt wurde. Auf Vergnügungen hatte Fjodor Michailowitsch bereits vollkommen verzichtet, nachdem er 1841 und zu Anfang des Jahres 1842 nicht wenig für das zu der Zeit glänzende Alexandertheater ausgegeben hatte, zum Teil auch für das Ballett, das er damals aus irgend einem Grunde liebte, und für teure Konzerte solcher Berühmtheiten, wie Ole Bull und Franz Liszt u. a. Jetzt jedoch (im Herbst 1842) saß er tagaus tagein, nach dem Besuch der Offiziersklassen am Vormittage, eingeschlossen in seinem Arbeitszimmer und beschäftigte sich nur mit Literatur. Seine Gesichtsfarbe war fahl; ein trockener Husten quälte ihn beständig, besonders am Morgen; an seiner Stimme fiel die ständige starke Heiserkeit auf; zu diesen Krankheitszeichen gesellten sich dann noch geschwollene Halsdrüsen. Doch all dies wurde von Dostojewski hartnäckig verheimlicht oder abgeleugnet, und selbst dem Arzt und Freunde Riesenkampf gelang es nur mit Mühe, ihm wenigstens einige Mittel gegen den Husten aufzudrängen und ihn dazu zu bewegen, doch ein wenig mäßiger zu rauchen. Von seinen Freunden besuchte ihn damals des öfteren nur D. W. Grigorowitsch,Dmitri Wassiljewitsch Grigorowitsch (1822–99), Romanschriftsteller. Entdecker der russischen Bauern für die russische Literatur. Urteil Ssaltykoffs über seine beiden ersten (1847) Erzählungen »... Dorf« und »Anton Goremyka«: »Durch Grigorowitsch blieb der Gedanke, daß es den Bauern gibt und daß auch er ein Mensch ist, fest in der russischen Dichtung und russischen Gesellschaft verwurzelt«. Siehe im übrigen die deutsche Ausgabe der Briefe Dostojewskis und die ihnen beigegebenen Berichte der Zeitgenossen. E. K. R. der in vieler Beziehung sein größter Gegensatz war.
»Jung, gewandt, eine schöne Erscheinung,« so schildert ihn Dr. Riesenkampf, »elegant, hübsch und geistreich, der Sohn eines reichen Husarenobersten, dessen Frau eine französische Aristokratin war, Freund des Leutnants Todleben, der schon damals die Anlagen zu seinen späteren Leistungen verriet, Freund berühmter Künstler, Liebling und Verehrer des schönen Geschlechts, der sich nur in den besten Kreisen der Petersburger Gesellschaft bewegte – dieser Grigorowitsch also hatte sich aus Leidenschaft zur Literatur dem menschenscheuen Dostojewski angeschlossen, der wie ein Einsiedler lebte.« Nach Dr. Riesenkampf hat Grigorowitsch damals ein französisches Drama, das in China spielte, übersetzt, Dostojewski aber hat sich, nachdem er die Fortsetzung seiner »Maria Stuart« aufgegeben, mit Eifer an seinen »Boris Godunoff« gemacht, der freilich gleichfalls nie beendet worden ist. Außerdem beschäftigten ihn schon damals verschiedene Novellen und Erzählungen, Pläne, die sich in seiner fruchtbaren Phantasie nur so drängten und einander ablösten. Diese Fruchtbarkeit der Phantasie wurde bei Dostojewski durch unausgesetzte Lektüre natürlich noch mehr angeregt und aufs äußerste gesteigert. (Dr. Riesenkampf hat übrigens nie etwas davon gehört, daß Dostojewski angeblich schon in der Ingenieurschule an seinen »Armen Leuten« gearbeitet habe.) Von russischen Schriftstellern las Dostojewski damals mit besonderer Vorliebe Gogol, aus dessen »Toten Seelen« er gern ganze Seiten auswendig vortrug. Von französischen Schriftstellern las er, außer Balzac, George Sand und Victor Hugo, die er schon früher besonders gern gelesen hatte, nach Dr. Riesenkampf: Lamartine, Frédéric Soulié (dessen »Mémoires du diable« er besonders liebte), ferner Emile Souvestre und hin und wieder sogar Paul de Kock. So ist es wohl zu verstehen, daß Dostojewski, bei seiner stetig wachsenden Neigung zur Literatur, den Besuch der Offiziersklassen als Last empfinden mußte. Er hätte sich von dieser Fessel wohl schon viel früher befreit, wenn sein Vormund nicht gedroht hätte, ihm in dem Falle die Rente nicht mehr auszuzahlen – Dostojewski aber befand sich fortwährend in Geldnot.
Zur Zeit der großen Fasten im Jahre 1842 war, wie Dr. Riesenkampf noch zu berichten weiß, wieder ein Geldzufluß bei Dostojewski bemerkbar, und er gönnte sich Erholung von der Arbeit durch den Besuch von Konzerten (Liszt, Rubini u.+a.). Nach Ostern traf ihn Dr. Riesenkampf in einer Aufführung von Puschkins »Ruslan und Ludmila«. Doch schon im Mai versagte er sich wieder alle Vergnügungen, um sich nun zur letzten Prüfung – vom 20. Mai bis zum 20. Juni – vorzubereiten. In derselben Zeit hatte auch Dr. Riesenkampf sein Schlußexamen zu bestehen, erkrankte aber, infolge von Überanstrengung, und mußte noch am 30. Juni das Bett hüten. An diesem Tage erscheint nun plötzlich Dostojewski bei ihm, in einer Weise verändert, daß er kaum wiederzuerkennen ist. Heiter, gesund aussehend, zufrieden mit dem Schicksal, – so teilt er ihm mit, daß er das Examen bestanden hat und aus dem Institut mit dem Range eines Leutnants entlassen worden ist (als Feldingenieur), ferner daß er vom Vormund eine Summe erhalten habe, die es ihm möglich gemacht, alle seine Schulden zu bezahlen, und schließlich, daß er einen Urlaub auf 28 Tage in der Tasche trage, den er bei seinem Bruder in Reval verbringen werde, wohin er am nächsten Tage reisen wolle. Dann zog er den Freund mit Gewalt aus dem Bett, setzte ihn in eine Droschke und fuhr mit ihm ins Restaurant Lerch am Newski-Prospekt. Dort verlangte er ein Zimmer mit einem Klavier, bestellte ein großartiges Mittagessen mit Weinen und zwang den Kranken zum Mitessen und Mittrinken. Wie unmöglich das diesem zu Anfang auch erschien: das Beispiel Dostojewskis wirkte so ansteckend, daß er schließlich mit Vergnügen aß, sich dann an den Flügel setzte und – gesund war.
Am folgenden Tage begleitete er ihn zum Dampfschiff, und drei Wochen später fuhr er selbst nach Reval, wo er ihn, in der Familie seines Bruders seine Freiheit genießend, antraf. Inzwischen war Dostojewski auch mit der Revalenser Gesellschaft in Berührung gekommen und die hatte, wie Dr. Riesenkampf berichtet, »... ihrem überlieferten Kastengeist, ihrer Scheinheiligkeit, ihrem Nepotismus und Pietismus, der noch durch die fanatischen Predigten des damaligen Modepastors, des Herrnhuters Hunn, geschürt wurde, sowie durch ihre Unduldsamkeit besonders dem russischen Militär gegenüber« auf Dostojewski einen überaus schlechten Eindruck gemacht. Dieser Eindruck ist ihm für sein ganzes späteres Leben geblieben. Damals fühlte er sich hierdurch um so mehr enttäuscht, als er mit der Erwartung hingekommen war, in dieser so gepflegten Gesellschaft gesunde Anzeichen von Kultur zu finden. »... mit Mühe konnte ich ihm klar machen,« erzählt Dr. Riesenkampf, »... all dies ein rein örtliches Kolorit war und eben nur die Revalenser kennzeichnete... Doch bei seiner Neigung zur Verallgemeinerung blieb in ihm seitdem ein gewisses Vorurteil gegen alles Deutsche.«
Michail Michailowitsch hatte inzwischen mit Hilfe seiner Frau den Bruder mit Wäsche und Kleidern, die in Reval so billig waren, vollkommen ausgestattet. Doch da er wußte, daß sein Bruder niemals auch nur ahnte, was und wieviel er eigentlich besaß, bat er den Freund Riesenkampf, in Petersburg doch mit Fjodor Michailowitsch zusammen zu wohnen und dann nach Möglichkeit mit seinem Beispiel deutscher Ordnungsliebe auf den Bruder einzuwirken. Das versuchte Riesenkampf denn auch, nachdem er im September 1843 nach Petersburg zurückgekehrt war. Dostojewski saß, als Riesenkampf ihn dort aufsuchte, ohne eine Kopeke zu Hause und lebte nur von Milch und Brot, die er auf Borg aus dem nächsten kleinen Laden bekam. »Fjodor Michailowitsch,« bemerkt Dr. Riesenkampf, »gehörte zu jenen Menschen, mit denen zu leben für alle angenehm ist, die aber selbst beständig in Not sind. Er wurde jämmerlich bestohlen, doch bei seiner Vertrauensseligkeit und Güte wollte er sich das nicht eingestehen oder gar die Dienstboten und deren Krippenreiter, die seine Arglosigkeit mißbrauchten, des Diebstahls überführen«. So kam es, daß selbst das Zusammenleben mit dem Doktor für Dostojewski dauernd Veranlassung zu neuen Ausgaben wurde, denn er war bereit, jeden Armen, der um ärztlichen Rat zum Doktor kam, wie einen teuren Gast zu empfangen. »Da ich mich daran mache, das Leben der armen Menschen zu schildern,« pflegte er dann, gleichsam zu seiner Rechtfertigung, zu sagen, »so freue ich mich der Gelegenheit, das Proletariat der Großstadt näher kennen zu lernen«. Doch die riesigen Rechnungen, die am Ende des Monats selbst ein einzelner Bäcker schickte, standen, wie sich bei einer Untersuchung herausstellte, weniger mit der erwähnten Gastfreundschaft Fjodor Michailowitschs in Zusammenhang, als mit seinem Bedienten Ssemjon, der innige Beziehungen zur Wäscherin unterhielt und nicht nur diese, sondern auch deren ganze Familie und sogar ihren Freundeskreis auf Rechnung seines Herrn versorgte. Auf ähnliche Weise erklärte sich bald auch die schnelle Abnahme des Wäschebestandes, der übrigens alle drei Monate von Dostojewski ergänzt wurde, nämlich jedesmal, wenn er das Geld aus Moskau erhielt. Und sein Ssemjon war nicht der einzige, der sein Vertrauen so mißbrauchte. Dasselbe taten auch der Schneider, der Schuster, der Barbier usw.; und ebenso mußte man ihn zu der ernüchternden Erkenntnis bringen, daß durchaus nicht alle von ihm bewirteten Patienten Dr. Riesenkampfs eine solche Teilnahme verdienten.
Seine völlige Geldlosigkeit dauerte damals gegen zwei Monate. Da, eines Tages, begann er plötzlich ganz anders in seinem Saal umherzugehen: laut, selbstbewußt, beinahe stolz. Er hatte aus Moskau 1000 Rubel erhalten. »Doch schon am nächsten Morgen,« erzählt Dr. Riesenkampf, »... er wieder in seiner leisen, schüchternen Art in mein Schlafzimmer und bat mich, ihm 5 Rubel zu leihen.« Der größte Teil der erhaltenen 1000 Rubel war zur Tilgung der Schulden draufgegangen, das übrige hatte er zum Teil verspielt, und die letzten 50 Rubel waren ihm dann noch gestohlen worden: von einem unbekannten Spielpartner, den er – als bemerkenswertes Subjekt für seine Beobachtungen – am Abend zu sich eingeladen und einen Augenblick im Zimmer allein gelassen hatte.
Ein besonderes Interesse hatte er, aus dem gleichen Grunde, namentlich für einen der Patienten des Doktors: für den Bruder des Klavierlehrers Keller. Es war das ein kleiner, unruhiger, schmeichlerischer, ziemlich heruntergekommener Deutscher, von Beruf Agent, doch in Wirklichkeit eigentlich nur ein Schmarotzer. Nachdem dieser Keller nun die arglose Gastfreundschaft Dostojewskis sozusagen entdeckt hatte, wurde er für eine Zeitlang sein täglicher Gast: er kam zum Tee, blieb zum Mittagessen, blieb zum Abend, und Dostojewski hörte geduldig seine Erzählungen von dem Petersburger Großstadtproletariat an. Oft schrieb er sich das Gehörte auf, und wie Dr. Riesenkampf später feststellen konnte, spiegelte sich manches aus diesem ursprünglich von Keller stammenden Material in den Romanen »Arme Leute«, »... Doppelgänger«, »Njetotschka Neswanowa« u.+a. wieder.
Im Dezember 1843 war Dostojewski abermals ganz mittellos. Am 1. Februar 1844 erhielt er aus Moskau wieder 1000 Rubel, doch schon am Abend desselben Tages besaß er nur noch 100 Rubel und dieses Hundert wanderte noch vor der Nacht in die Tasche eines gewandten Spielers, der ihm ein angeblich »ganz unschuldiges, ehrliches Spiel« (es handelte sich um Domino) hatte beibringen wollen. Am folgenden Tage begann dann von neuem das Geldborgen, oft gegen die ungeheuerlichsten Prozente. Im März dieses Jahres mußte Riesenkampf Petersburg verlassen – ohne daß es ihm gelungen war, Dostojewski deutsche Genauigkeit und etwas mehr Wirklichkeitssinn anzugewöhnen.
Vom Jahre 1844 an haben sich wieder Briefe Dostojewskis an den Bruder erhalten. Sie bestätigen nur, was Dr. Riesenkampf berichtet. In einem dieser Briefe ist u.+a. die Rede davon, daß er in den Weihnachtsfeiertagen »Eugénie Grandet« übersetzt habe, und daß die Übersetzung im Selbstverlage erscheinen solle: sein Freund Potton werde 700 Rubel geben, dessen Mutter werde dem Sohn 2000 Rubel (zu 40% !!) leihen und er selbst wolle sich aufs äußerste einschränken, um 500 Rubel beisteuern zu können. Seine Phantasie verheißt ihm einen Gewinn von 4000 Rubel. Doch zum Schluß des Briefes gesteht er, daß er kein Geld – zum Abschreiben der »Eugénie Grandet« habe; und er bittet den Bruder »um der himmlischen Engel willen«, ihm 35 Rubel zu senden. »... schwöre dir beim Olymp,« so schließt er, »... bei meinem Juden Jankel (im soeben beendeten Drama)Welches Drama er hiermit meint, läßt sich nicht feststellen, ebensowenig wo dieses Manuskript, wie das der unbeendeten Dramen »Maria Stuart« und »Boris Godunoff«, geblieben ist. O. M. und wobei noch? – es sei denn bei dem Schnurrbart, der mir irgend einmal, wie ich hoffe, doch wachsen wird, daß die Hälfte von dem, was ich für die ›Eugénie‹ bekomme, Dein sein soll«. Doch schon am 14. Februar 1844 schreibt er, daß aus der Sache wohl nichts werde. »... leid mir das tut, mein Freund, und wie leid du mir tust. Verzeih, Liebster, auch mir Armen...«
Dann folgen Briefe, in denen von der Übersetzung des »... Carlos« die Rede ist, die der Bruder begonnen hatte, sowie davon, daß er selbst George Sand übersetze und 25 Rubel für den Druckbogen erhalte. Eine Nachschrift am Rande sagt: »... Dienst ist mir zuwider. Er widersteht mir schon wie Kartoffeln... Im September komme ich zu euch, wenn ich den Abschied genommen habe.« Am 30. September 1844 schreibt er, daß er sein Abschiedsgesuch eingereicht habe, »... nehme den Abschied, weil ich nicht länger dienen kann... Warum soll ich meine besten Jahre verlieren? Die Hauptsache aber ist, daß man mich in die Provinz abkommandieren wollte; sage doch bitte selbst, was könnte ich ohne Petersburg anfangen? Wozu würde ich noch taugen? Du wirst mich sicher begreifen. Ich werde immer meinen Lebensunterhalt verdienen können,« fügt er hinzu, wie um etwaigen Einwendungen zuvorzukommen. »... werde furchtbar viel arbeiten. Ich bin ja jetzt frei.« Doch unmittelbar darauf folgt eine Aufzählung seiner Schulden und die Klage, daß man ihm aus Moskau immer nur ein Drittel von der Summe sende, um die er bäte. »Noch weiß niemand,« schreibt er, »... ich den Abschied nehme... Ich habe nicht einmal Geld, um mir Zivilkleider zu kaufen. Ich quittiere den Dienst am 14. Oktober... Wenn ich nicht sofort Geld aus Moskau bekomme, bin ich verloren. Man wird mich in allem Ernst ins Gefängnis sperren (das ist klar).« Und er ist bereit, auf seinen Anteil am väterlichen Gut zu verzichten, wenn man ihm sofort 500 Rubel als runde Summe auszahlt und die anderen 500 zu je 100 Rubel im Monat. »Bitte, sage du für mich gut, Liebster, ... daß ich dann keine Forderungen mehr erheben werde.« Der Brief hat an den Seiten wieder Nachschriften, die sich auf seine Geldnot beziehen, und zum Schluß heißt es: »ChlestakoffIn Gogols Komödie »... Revisor« ist Chlestakoff – ein Petersburger Dandy, der in einer Provinzstadt aus Geldmangel seine Reise aufs Land nicht fortsetzen kann – schließlich darauf gefaßt, daß man ihn wegen seiner Schulden ins Gefängnis bringen werde. Dem entgeht er auch nur, weil man plötzlich in ihm den erwarteten Revisor vermutet. E. K. R. war schließlich bereit ins Gefängnis zu gehen, jedoch nur wenn es »... vornehme Weise geschah.« Wenn ich aber nicht einmal Hosen haben werde, wird es dann auch noch »... vornehme Weise« geschehen können?« Noch aus seiner beigefügten Anschrift ersehen wir, daß er seine kostspielige große Wohnung noch nicht aufgegeben hat. Eine Nachschrift am Rande lautet: »... bin mit meinem Roman außerordentlich zufrieden. Ich bin außer mir vor Freude. Für den Roman werde ich sicher Geld bekommen; was aber weiter kommt...«
Es handelt sich hier um seine erste Arbeit, den Roman »Arme Leute«. Von nun an ist in seinen Briefen immer wieder von diesem Werke die Rede: wie die Arbeit vorwärts geht, wie er – das schreibt er am 24. März 1845 –, nachdem der Roman im November fertig geworden, ihn im Dezember wieder umgearbeitet, im Februar aber wieder vieles gestrichen und anderes hineingebracht habe... Doch schon am 4. Mai berichtet er, daß er ihn von neuem umgearbeitet habe – »er hat dadurch, bei Gott, sehr viel gewonnen«. Wir ersehen daraus, wieviel Mühe ihm dieses erste Werk gemacht hat und wie für ihn trotz seiner schwierigen wirtschaftlichen Lage der künstlerische Wert dieses seines entscheidenden Versuches doch das wichtigste war. Neben derartigen Mitteilungen wiederholen sich immer wieder Erörterungen der Frage, wie und wo und wann es am besten und am vorteilhaftesten wäre, das Erstlingswerk zu veröffentlichen, das ja zugleich sein finanzieller Rettungsanker sein soll. Und zwischen all diesen Sorgen stehen Sätze wie: »... soeben las ich... von den deutschen Dichtern, die an Hunger, Kälte oder in Irrenhäusern gestorben sind. Es sind im ganzen an die zwanzig und was für Namen sind darunter!« oder »Wenn mir der Roman nicht gelingt, werde ich mich vielleicht erhängen...«. In einem anderen Briefe: »Wenn ich den Roman nicht unterbringe, so gehe ich vielleicht in die Newa. Was soll ich denn tun? Ich habe mir schon alles überlegt. Ich werde den Tod meiner idée fixe nicht überleben.«
Über das weitere Schicksal seines Erstlingswerkes – wie er das Manuskript zum erstenmal aus der Hand gab, welchen Eindruck es auf die ersten Leser (den Freund Grigorowitsch und den Dichter NjekrassoffNikolai Alexejewitsch Njekrassoff (1821 – 1877), lyrischer Dichter, von 1846 – 66 Herausgeber der literarischen Monatsschrift »... Zeitgenosse«. Zwischen ihm und Dostojewski trat schon Ende 1846 eine Entfremdung ein – man sagte ihm gar zu großen Geschäftssinn nach. Die liberale Richtung des »Zeitgenossen« führte später (1863) zur Gegnerschaft der Monatsschrift »... Zeit«, die von den Brüdern Dostojewski herausgegeben wurde. E. K. R. machte, und wie er seinen ersten Erfolg und die begeisterte Anerkennung des großen Kritikers BjelinskiWissarion Grigorjewitsch Bjelinski (1810 – 1848), der bedeutendste und einflußreichste Kritiker, Westler extrem-liberaler Richtung. E. K. R. damals (Mai 1845) erlebte, erzählt Dostojewski selbst 32 Jahre später in den »Erinnerungen«, die er dem Dichter Njekrassoff widmet.Im vorliegenden Bande. E. K. R. Aber auch in dem Roman »Erniedrigte und Beleidigte« (geschrieben 1860) finden wir im I. Teil (Kap. V, VI, X) und im III. Teil (Kap. V) mehrere autobiographische Stellen. Doch sowohl hier wie dort hat Dostojewski, wo er von der begeisterten Aufnahme seines ersten Werkes spricht, den Leser nicht darauf hingewiesen, daß wenigstens Bjelinski längst nicht das in dem Roman gesehen hat, was der Autor selbst in ihm sah. Und im Grunde hat die ganze damalige Kritik, bei aller Begeisterung, die »Armen Leute« überhaupt nicht in der ganzen Tiefe ihrer Bedeutung gewertet. Aber Dostojewski hat das damals, wie es scheint, gar nicht bemerkt – oder nicht bemerken wollen –, vielleicht weil er noch zu sehr unter dem lebendigen Eindruck eines Lobes stand, das seinem Ehrgeiz schmeichelte. Sein Ehrgeiz aber meldete sich bereits stark. Natürlich brauchte Dostojewski nach einem so schmeichelhaften Urteil des berühmten Kritikers Bjelinski sich das Geschimpfe, mit dem viele andere über ihn herfielen, nicht weiter zu Herzen zu nehmen, vielmehr konnte er sogar stolz darauf sein. Und das war er denn auch tatsächlich in nicht zu geringem Maße, wie aus seinen weiteren Briefen an den Bruder hervorgeht.
In einem Brief ohne Datum, doch ersichtlich aus dieser Zeit, schreibt er – offenbar nach der Rückkehr von einem Sommeraufenthalt beim Bruder –: »... traurig war mir zu Mute, als ich nach Petersburg hineinfuhr... Wenn mein Leben in diesem Augenblick aufgehört hätte, so wäre ich, scheint mir, mit Freuden gestorben.« Sein Roman, der als Manuskript so viel Aufsehen erregt hatte, ist noch nicht gedruckt, doch schon schreibt er an seinem »Doppelgänger«, denn seine finanziellen Verhältnisse sind noch äußerst traurig. »... schade,« schreibt er, »... man arbeiten muß, um leben zu können. Meine Arbeit duldet keinen Zwang.« Auch am 16. November 1845 ist sein Roman noch immer nicht erschienen, aber seine Stimmung ist nun nicht mehr düster, denn auch ungedruckt hat der Roman seinen Ruhm schon so verbreitet, daß er, wie er schreibt, »ganz berauscht« ist. »... Man bringt mir überall unglaubliche Achtung und kolossales Interesse entgegen. Ich habe eine Menge höchst anständiger Menschen kennen gelernt. Fürst Odojewski bittet mich um die Ehre meines Besuches und Graf Ssollogub rauft sich vor Verzweiflung die Haare aus: Panajeff hat ihm erklärt, es gäbe ein neues Talent, das sie alle in den Staub träte. Als Krajewsti (ein Verleger) neulich hörte, daß ich kein Geld habe, bat er mich ganz ergebenst, von ihm ein Darlehen von 500 Rubel anzunehmen... Ich habe eine Menge neuer Ideen; aber wenn ich auch nur etwas irgend jemandem, z. B. Turgenjeff, anvertraue, wird es schon morgen an allen Ecken und Enden von Petersburg heißen, daß Dostojewski jetzt dies und das schreibt... Ich glaube, daß ich bald viel Geld haben werde... gestern war ich zum ersten Male bei P. und habe mich, wie mir scheint, in seine Frau verliebt...«
Kurz, aus seinen Briefen, besonders aus seiner maßlosen Überschätzung seiner weiteren Arbeiten, an denen er nun schreibt (den »Doppelgänger« erklärt er schon für sein »Chef d'œuvre«) oder die er in einer Nacht geschrieben hat (»Roman in 9 Briefen«), ist zu ersehen, daß das große Lob dem jungen Schriftsteller entschieden zu Kopf gestiegen war. Das hat er schließlich wohl auch selbst empfunden, denn derselbe Brief schließt mit einer Nachschrift, die durch ihre Offenherzigkeit anzieht:
»... habe diesen Brief durchgelesen und festgestellt, daß ich erstens ungrammatisch schreibe und zweitens ein Prahlhans bin.«
In einer weiteren Randbemerkung dieses Briefes spielt, wie man annehmen darf, die Phantasie gleichfalls eine größere Rolle. Es steht da:
»Alle die Mienchen, Clärchen, Mariannen u. dgl. sind so schön geworden wie nur denkbar, kosten aber fürchterliches Geld. Turgenjeff und Bjelinski haben mich neulich wegen meines unordentlichen Lebens ausgescholten...«
Hier dürfte zur Richtigstellung eine Bemerkung Dr. Riesenkampfs am Platze sein, der ja, wie wir wissen, mehrfach über Dostojewskis Unordentlichkeit berichtet hat, über sein Unvermögen, einen Haushalt zu führen und mit dem Gelde sparsamer umzugehen. An einer anderen Stelle seiner Aufzeichnungen sagt nun Dr. Riesenkampf: »Junge Leute pflegen in ihren zwanziger Jahren gewöhnlich hinter weiblichen Idealen her zu sein und an hübschen Frauenzimmerchen zu hängen. Merkwürdigerweise war aber bei Fjodor Michailowitsch nichts Ähnliches zu bemerken. Zu weiblicher Gesellschaft schien er sich immer gleichgültig zu verhalten und fast hatte er sogar eine gewisse Abneigung gegen sie.« Übrigens fügt er gleich einen Vorbehalt hinzu und sagt: »Aber vielleicht hat er auch in der Beziehung manches verheimlicht; wenigstens wunderte es mich, daß er sich so sehr für die Gedichte des verliebten P. Ssuschkoff einsetzte, die bekanntlich an die Schauspielerin Assenkowa gerichtet waren, und daß er besonders die eine Romanze liebte: ›Vergib mir, wunderbares Wesen‹, die er fortwährend vor sich hinsummte.«
Am 1. Februar 1846 schreibt Dostojewski selbst: »... den Goljädkin habe ich genau 600 Rubel bekommen. Ich habe auch sonst noch eine Menge Geld verdient, so daß ich nach unserer letzten Begegnung mehr als 3000 Rubel verlebt habe. Ich lebe eben sehr unordentlich, das ist die Sache! Meine Wohnung habe ich aufgegeben und lebe jetzt in zwei sehr schön möblierten Zimmern. Ich lebe sehr gut.« (In demselben Hause ist Dostojewski später gestorben, doch als er dorthin ein paar Jahre vor seinem Tode umzog, hat er sich merkwürdigerweise nicht erinnert, daß er schon früher einmal in diesem Hause gewohnt hat.) »... bin so liederlich, daß ich gar nicht mehr ordentlich leben kann,« schreibt er, – d.h. natürlich in dem Sinne liederlich, wie Dr. Riesenkampf ihn schildert, denn nur von einer solchen Liederlichkeit kann man so offen und so ruhig sprechen...
Zwei Monate später (am 1. April 1846) schreibt er, daß die schlechte Kritik, die sein »Doppelgänger« nunmehr erfahre, ihn inzwischen ganz mutlos gemacht und so furchtbar gequält habe, daß er erkrankt sei. »... habe ein entsetzliches Laster: ich bin unerlaubt ehrgeizig und eitel.« ... Doch trotz der zeitweiligen »Hölle«, die er wegen seines »Doppelgängers« durchgemacht, ist das Selbstvertrauen des jungen Schriftstellers nach dem glänzenden Erfolge der »Armen Leute« immer noch sehr groß – zumal es von jenen gestützt wird, die er in seinen Briefen an den Bruder »... Unseren« nennt– und erreicht bisweilen allerdings einen gefährlichen Grad. Das gab natürlich seinen verschiedenen Neidern – wie hätten die ausbleiben sollen? – Anlaß, sich alle möglichen Übertreibungen auszudenken und als Ansprüche Dostojewskis in Umlauf zu bringen. Zu diesen Geschichten gehört auch die angebliche Forderung einer besonderen Schmuckleiste, ohne die er den Roman »Arme Leute« in Njekrassoffs »Petersburger Almanach« (er erschien am 15. Januar 1846) nicht habe veröffentlichen lassen wollen...
Am 1. Februar desselben Jahres erschien dann »... Doppelgänger« in den »Vaterländischen Annalen«, die der Verleger Krajewski herausgab. Die anderen Arbeiten, von denen er in seinen Briefen während dieser Zeit spricht, der nicht beendete »Rasierte Backenbart« und »... Geschichte von den abgeschafften Kanzleien« sind nicht erhalten geblieben, – wenn er die letztere nicht etwa in seinem »Herrn Prochartschin« verarbeitet hat?
In demselben Brief vom 1. April 1846 berichtet Dostojewski dem Bruder, daß viele neue Schriftsteller aufgetaucht seien, und nennt als die bedeutendsten, in denen er seine Nebenbuhler sieht, Alexander HerzenAlexander Herzen (1812-1870) stand damals, in den Jahren zwischen seiner Verbannung nach Wjätka und seiner Emigration nach Europa, in seiner »russischen Periode« und veröffentlichte u. a. den Roman »... ist schuld?« E. K. R. und GontscharoffIwan Gontscharoff (1812-1890) schrieb damals seinen ersten großen Roman »Eine gewöhnliche Geschichte«. E. K. R. – »beide werden über alle Maßen gelobt« –, doch sagt er selbstbewußt, trotz aller nunmehr sehr absprechenden Kritiken über ihn: »... habe aber vorläufig den Vorrang und hoffe, ihn für immer zu behalten. Im literarischen Leben war noch nie so viel los wie jetzt. Das ist ein gutes Zeichen...«
Einen Monat später – am 16. Mai – schreibt er aber schon recht bedrückt in einem Briefe, der an viele seiner früheren melancholischen Briefe erinnert: »Mich quält Langeweile, Trauer, Niedergeschlagenheit und eine fieberhafte, krampfhafte Erwartung von etwas Besserem.«
Im Sommer reist er wieder zum Bruder. Nach seiner Rückkehr teilt er ihm (am 17. September 1846) mit, daß er für 14 Silberrubel zwei kleine möblierte Zimmer gegenüber der Kasanschen Kathedrale gemietet habe, jedoch noch nicht umgezogen sei.Von anderer Seite (N. Hoffmann, »Dostojewski«) wird hierzu bemerkt, daß der Umzug in diese billigeren Zimmer unterblieben ist. E. K. R. Auch aus anderen Bemerkungen geht hervor, daß er sich nun nach Möglichkeit einschränkt: »Krajewski gab mir 50 Rubel, ich konnte aber schon von seinem Gesicht ablesen, daß er mir nichts mehr geben wird; ich werde es ziemlich schwer haben.«
Aus den gleichzeitigen Klagen über die Zensoren, die ihm die an sich ganz unschuldige Novelle »Herr Prochartschin« so zusammengestrichen haben, daß er sich von diesem Werk lossagt, ist zu ersehen, daß die Richtung Dostojewskis bereits die Aufmerksamkeit der Zensoren auf sich gelenkt hatte. Man wird bei der Beurteilung der erwähnten Novelle die zerstörende Arbeit der Zensoren natürlich nicht vergessen dürfen... Der Schluß dieses Briefes (vom 17. September 1846) verrät wieder Unzufriedenheit: »... uns herrscht entsetzliche Langeweile. Die Arbeit geht daher schlecht vorwärts. Ich habe bei euch wie im Paradiese gelebt; wenn es mir gut geht, muß ich immer alles mit meinem verdammten Charakter verderben...«
In den folgenden Briefen spricht er wieder von Plänen und Berechnungen, wie er seine Arbeiten im Selbstverlage herausgeben könnte, von den Unannehmlichkeiten mit den Verlegern Njekrassoff und Krajewski... Er denkt an eine Buchausgabe der »Armen Leute« und des »Doppelgängers«, die ihm die Mittel zum Leben verschaffen soll... Am 26. November schreibt er jedoch, daß aus allen seinen Absichten nichts geworden sei und er auch die Arbeit an dem »Rasierten Backenbart« aufgegeben habe, da er eingesehen, daß »alles nur eine Wiederholung des Alten und längst von mir Ausgesprochenen ist.«
Inzwischen scheint er in einem nicht mehr vorhandenen Briefe die Absicht geäußert zu haben, ins Ausland zu reisen – am 7. Oktober schreibt er gleichsam zu seiner Rechtfertigung: »... reise nicht zum Vergnügen, sondern zur Kur. Petersburg ist eine Hölle für mich«, – dasselbe Petersburg, ohne das er vor noch nicht langer Zeit glaubte, nicht leben zu können und »verloren« zu sein!
In einem Brief vom 26. November 1846 teilt er seinen Bruch mit Njekrassoff mit und daß sich Krajewski darüber so sehr gefreut hat, »... er mir Geld gab und außerdem alle meine Schulden zum 15. Dezember zu bezahlen versprach. Dafür muß ich bis zum Frühjahr für ihn arbeiten.«
Trotz aller Sorgen finden wir Dostojewski nicht mutlos, offenbar weil eine neue Arbeit (»... junge Weib«) ihm »wieder so leicht und frisch« gelingt, wie ehedem die »Armen Leute«: »mein Herz bebt jetzt wie noch nie vor all den neuen Gestalten... Ich mache jetzt nicht nur eine moralische, sondern auch eine physische Wandlung durch... ich verdanke dies in hohem Grade meinen guten Freunden... Ich machte ihnen schließlich den Vorschlag, zusammen zu wohnen. Wir mieteten uns eine große Wohnung und teilen alle Auslagen, sodaß höchstens 1200 Rubel für das Jahr auf den Kopf kommen. So groß sind die Segnungen des Genossenschaftsprinzips! Ich habe ein eigenes Zimmer und arbeite den ganzen Tag.«
Zu den hier erwähnten guten Freunden – den Brüdern Beketoff, Saljubezki und anderen –, die einen so günstigen Einfluß auf ihn gehabt hätten, gehörte auch S. D. Janowski, an den Dostojewski 1872 in einem Brief, in dem er auf diese Jugendjahre zu sprechen kommt, u. a. schreibt: »... liebten mich und gaben sich mit mir ab – der ich damals seelisch krank war (dessen bin ich mir ja jetzt bewußt), krank, bis zu meiner Reise nach Sibirien, wo ich dann gesund wurde.«
Von dieser nervösen Krankhaftigkeit spricht Dostojewski auch 1861 in seinem Roman »Erniedrigte und Beleidigte« offenbar aus eigener Erinnerung, wo er den jungen Schriftsteller Iwan Petrowitsch von sich sagen läßt, daß er jedesmal mit Beginn der Dämmerung einer Stimmung verfalle, die er... sein mystisches Grauen nenne. (Im I. Teil, Kapitel 10 folgt dann eine ausführliche psychiatrische Charakterisierung dieses Zustandes.)
Die Bemerkung »so groß sind die Segnungen des Genossenschaftsprinzips« verrät schon seine wohl auf den Verkehr mit Bjelinski zurückzuführende Beschäftigung mit dem Sozialismus und seine damalige Begeisterung für ihn.
In seinen weiteren Briefen an den Bruder – bis zu seiner »Reise nach Sibirien«, wie er sich ausdrückt – schreibt er am 17. Dezember 1846, daß er mit Arbeit überhäuft sei: »... 5. Januar habe ich Krajewski versprochen, ihm den ersten Teil des Romans ›Njetotschka Neswanowa‹ zuzustellen«. Er schreibt Tag und Nacht, gönnt sich nur hin und wieder Erholung in der Italienischen Oper, wo er einen Platz auf der Galerie hat (wohl ein Hinweis auf seine Sparsamkeit). Seine Gesundheit ist gut. »Es scheint mir immer, daß ich einen Kampf gegen unsere gesamte Literatur aufgenommen habe... mit diesem Roman stelle ich auch für dieses Jahr meinen Vorrang zum Ärger meiner Feinde fest.«
Der Gedanke an eine Reise ins Ausland ist aufgegeben; statt dessen will er im Sommer wieder zum Bruder. Er lebt dann zusammen mit Beketoffs auf einer der Newa-Inseln – »nicht langweilig, gut und sparsam«. Er besucht Bjelinski, »... immer kränkelt«.
»... bezahle meine Schulden durch Krajewski,« schreibt er weiter. »... Wann werde ich jemals aus den Schulden herauskommen: es ist ein Elend, als Tagelöhner zu arbeiten! Damit verdirbt man alles – Begabung, Jugend, Hoffnung, die Arbeit wird leblos und man selbst wird schließlich zum Schmierer und nicht zum Schriftsteller.«
Diese materielle Seite seines damaligen Zustandes hat Dostojewski später gleichfalls in seinen »Erniedrigten und Beleidigten« geschildert: wenn er auch den Fürsten in der Schilderung der Lage des armen Iwan Petrowitsch das Selbsterlebte ein wenig übertreiben läßt, so stimmt doch die Hoffnung des letzteren, für die beendete Novelle vom Verleger, trotz seiner Verschuldung bei ihm, »wenigstens fünfzig Rubel« zu bekommen, buchstäblich: auf 50 Rubel hofft F. M. auch in seinen Briefen. Auf die Bemerkung der Heldin des Romans, daß bei anderen Schriftstellern alles so sorgsam durchgearbeitet sei, erwidert Iwan Petrowitsch, daß jene eben materiell sichergestellt seien und nicht zu einem bestimmten Termin fertig werden müßten, er aber müsse wie ein Postgaul arbeiten. (III. Teil, 10. Kap. und im Schlußkapitel »Letzte Erinnerungen«.)
Im nächstfolgenden Briefe, zu Anfang des Jahres 1847, bedauert er den Bruder, daß er, zwar in einer geliebten Familie, doch »ohne Menschen in der Umgebung« lebe. »Verliere aber nicht den Mut, Bruder!« ermuntert er ihn. »Es werden noch bessere Tage kommen... Natürlich, schrecklich ist die Dissonanz, schrecklich die Ungleichheit des Gewichts zwischen uns und der Gesellschaft.. Mein Gott! Es gibt so viele widerliche, gemeine und beschränkte graubärtige Weltweise, Kenner und Pharisäer des Lebens, die auf ihre Erfahrenheit, das heißt auf ihre Unpersönlichkeit (denn sie sind alle nach einer Schablone gearbeitet) stolz sind, Nichtswürdig, die ewig Zufriedenheit mit dem Schicksal, einen Glauben an irgend etwas, Beschränkung im Leben und Zufriedenheit mit dem eigenen Platz predigen– eine Zufriedenheit, die der klösterlichen Selbstkasteiung und Beschränkung gleichkommt, und die mit unerschöpflicher, kleinlichster Gehässigkeit jede starke, glühende Seele verurteilen, die ihr triviales Tagesprogramm und ihren Lebenskalender nicht erträgt. Schurken sind sie mit ihrem vaudevillehaften irdischen Glück! Schurken sind sie!...«
Diese Zeilen enthalten zweifellos jenen Protest in verneinendem Sinne, den Bjelinski aus dem Roman »Arme Leute« vor allem herauslesen wollte. Hier wird die klösterliche Selbstbeschränkung bereits verurteilt, während Dostojewski dort noch zweifellos einen positiven Zug darin sah, daß der arme Beamte Makar Djewuschkin sich schämte, Tabak zu rauchen, während Warenjka nicht einmal das Notwendigste besaß. Nach den angeführten Zeilen dieses Briefes ist anzunehmen, daß Bjelinski einen entscheidenden Einfluß auf Dostojewski erlangt hatte.
Es folgt wieder ein Hinweis auf seine Geldlosigkeit. »Wenn es nicht gute Menschen gäbe, wäre ich verloren. Die Zersetzung meines Ruhmes in den Zeitschriften gereicht mir mehr zum Vorteil als zum Nachteil. Um so schneller werden meine Verehrer, die, wie ich glaube, sehr zahlreich sind, nach dem Neuen greifen und mich verteidigen. Ich lebe in großer Armut: habe, seit ich Euch verließ, 250 Rubel verbraucht und 300 Rubel Schulden« (welch ein Unterschied zu dem, was er früher ausgab). »Am schlimmsten hat mich Njekrassoff hineingelegt, dem ich seine 150 Rubel zurückgab. Zum Frühjahr hin nehme ich einen großen Vorschuß von Krajewski und schicke Dir dann bestimmt 400 Rubel.« Ferner spricht er von einer Wasserkur im Sommer bei Prießnitz, mit dem Vorbehalt, das sei erst nur so »in der Phantasie«. Mit Reue denkt er daran zurück, wie schwerfällig und eckig er sich beim Bruder in Reval benommen habe, »... war damals krank... ich habe ja wirklich einen so schlechten, abstoßenden Charakter. Ich habe Dich aber immer über mich gestellt... Ich kann mich nur dann als ein Mensch von Herz und Gemüt zeigen, wenn die äußeren Umstände mich gewaltsam aus dem ewigen Alltag herausreißen... Der Roman ›Njetotschka Neswanowa‹ wird wie der ›Goljädkin‹ meine Beichte sein, wenn auch anders im Ton. Wer »Goljädkin« bekomme ich oft solche Äußerungen zu hören, daß mir ganz bange wird ...Manche sagen, dieses Werk sei ein wirkliches, doch unverstandenes Wunder... Nun fange ich schon wieder an, mich zu loben. Wie angenehm ist es aber, Bruder, richtig verstanden zu werden!... Wünsche mir Erfolg. Ich arbeite jetzt an dem ›Jungen Weibe‹.«
In seiner Beurteilung dieses Werkes sehen wir wieder eine Überschätzung, wie seinerzeit in der seines »Romans in neun Briefen«. »Eine Quelle von Begeisterung, die meiner Seele entspringt, leitet meine Feder. Es ist ganz anders als beim ›Prochartschin‹, an dem ich den ganzen Sommer gelitten habe...«
Nach einem solchen Entzücken mußte das vollkommen absprechende Urteil Bjelinskis begreiflicherweise einen sehr schweren Eindruck auf ihn machen. Doch aus seinen Briefen erfahren wir nichts davon.
In einem Briefe ohne Datum – vermutlich im Frühjahr 1847 geschrieben – schreibt er an den Rand: »Es ist nun schon das dritte Jahr meiner literarischen Tätigkeit, und ich bin wie im Rausche. Ich sehe das Leben um mich herum gar nicht, habe keine Zeit, zur Besinnung zu kommen; ich habe auch keine Zeit, um etwas zu lernen... Sie haben mir einen zweifelhaften Ruhm geschaffen, und ich weiß nicht, wie lange noch diese Hölle, diese Armut und die vielen eiligen Arbeiten dauern werden; o könnte ich einmal Ruhe haben!!«
Eine Schuld, die er Maikoffs nicht wiedergeben kann, quält ihn, »obgleich sie mich nicht daran erinnern«. Im Herbst hofft er nach dem beendeten Roman »Njetotschka Neswanowa« von Krajewski 1000 Rubel als unbefristeten Vorschuß zu erhalten. Njekrassoff und die anderen vom »Zeitgenossen« wollten ihn schon endgültig begraben – um so mehr werde sie dieser Roman verblüffen. In diesem Briefe denkt er auch wieder an Übersetzungen, doch – »in zehn Jahren wird man nicht mehr an sie zu denken brauchen«.
In dem Briefe erwähnt er zum erstenmal die Familie Maikoff. Nach den Aufzeichnungen S. N. Janowskis versammelten sich im Hause des bekannten Malers Nikolai Apollonowitsch Maikoff an jedem Sonntagabend »jene jungen Leute, die von Gott mit einer gewissen Dosis Begabung ausgestattet waren, deren Herz von Geburt an in Liebe zum Nächsten, zum Guten und zur Wahrheit brannte und deren Verstand in allem und überall Licht und nur Licht suchte. Neben dem Hausherrn und seiner Gattin Jewgenia Petrowna nahm den ersten Platz in diesem Kreise der an Jahren bereits etwas ältere I. A. Gontscharoff ein. Außer ihm erschienen gewöhnlich S. S. Dudyschkin (der Kritiker der »Vaterländischen Annalen« nach Bjelinskis Tode) und Walerian Maikoff,Der jung, im Jahre 1847, gestorbene Ästhetiker, Sohn des Malers und Bruder des Lyrikers. E. K. R. die Brüder Drushinin, der Dichter M. A. Jasykoff u. a.«
In diesem Kreise geschah es nun nicht selten, daß Fjodor Michailowitsch »... der ihm eigenen bis ins Kleinste eindringenden Analyse die Charaktere der Werke Gogols und Turgenjeffs auseinandersetzte und dann auch seinen ›Herrn Prochartschin‹ erklärte, der damals den meisten Lesern unverständlich blieb, bis schließlich alle Zuhörer nicht nur die an und für sich vollendeten Charaktere begriffen, sondern auch die Beziehung jeder kleinsten Einzelheit zu diesem oder jenem Charakter erkennen lernten«.
Mit dem Sohn des Hausherrn, dem bekannten Dichter A. Maikoff,Klassizistischer Lyriker, dessen erste Gedichtsammlung 1841 erschienen war. E. K. R.] hat Dostojewski in späteren Jahren einen umfangreichen Briefwechsel geführt.
Doch außer diesen Sonntagabenden bei Maikoffs gab es in jener Zeit noch andere Kreise, die sich gleichfalls an bestimmten Tagen versammelten, und die von Fjodor Michailowitsch mit nicht minderem Eifer besucht wurden.
Über seinen Verkehr in diesen Kreisen geben uns seine Briefe an den Bruder gar keinen Aufschluß. Der Briefwechsel weist hier eine große Lücke auf. Der letzte aus dieser Zeit noch vorhandene Brief Fjodor Michailowitschs an den Bruder nimmt Bezug auf Michail Michailowitschs Absicht, den Dienst zu quittieren. Er rät dem Bruder, nicht auf diejenigen zu hören, die ihm davon abraten, und sich nicht dadurch abschrecken zu lassen, daß ihm, Fjodor Michailowitsch, »... erste Pfannkuchen mißriet«... »Warte nur, Bruder, wir werden uns schon durchschlagen... es ist doch unmöglich, daß wir beide nicht auf den Weg kämen...«. Er erwähnt auch sein jüngstes Werk, das er soeben beende, sagt, daß er keine Zeit habe, den Roman »Arme Leute« in Buchform herauszugeben, obgleich er es durch eine Druckerei auf Kredit würde machen können. »... schade, daß du Schillers Dramen nicht zu Ende übersetzt hast.« Eine Randbemerkung lautet: »Erkennst du nun, was Zusammenschluß bedeutet? Wenn wir jeder für sich arbeiteten – würden wir fallen... Aber beide zusammen und für ein gemeinsames Ziel – das ist etwas ganz anderes.«
Inzwischen bereiteten sich im Leben Fjodor Michailowitschs mehr und mehr die Ereignisse vor, denen bestimmt war, in diesem Leben eine entscheidende Erschütterung hervorzurufen.