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»Tritt ein, Ritter der Schwarzen Rose«, wiederholte Dalamar.

Augen aus Flammen starrten Tanis an, der seine Hand auf den Knauf seines Schwertes gelegt hatte. Schlanke Finger berührten seinen Arm und ließen ihn zusammenschrecken.

»Misch dich nicht ein, Tanis«, sagte Dalamar leise. »Wir sind ihm gleichgültig. Er kommt nur wegen eines Wunsches.«

Der flammende Blick ging an Tanis vorbei. Kerzenlicht funkelte auf der uralten, altmodisch verzierten Rüstung, die immer noch unter den geschwärzten Brandstellen und den Spuren eigenen Blutes – vor langer Zeit zu Staub verwandelt – die schwachen Umrisse der Rose, das Symbol der Ritter von Solamnia, zeigte. Füße in Stiefeln, die keinen Laut von sich gaben, durchquerten den Raum. Die orangenen Augen hatten in einer dunklen Ecke ihr Ziel ausfindig gemacht – die zusammengekauerte Gestalt, die unter Tanis’ Umhang lag.

»Halte ihn fern!« hörte Tanis Kitiaras verzweifelte Stimme. »Ich habe dich immer geliebt, Halb-Elf!«

Lord Soth blieb stehen. Er kniete sich neben den Körper. Aber er schien ihn nicht berühren zu können, als ob er von einer unsichtbaren Kraft zurückgehalten würde. Er richtete sich auf, wandte sich um, und seine orangenen Augen flammten in der leeren Dunkelheit unter seinem Helm.

»Gib sie mir frei, Tanis, Halb-Elf«, sagte die hohle Stimme. »Deine Liebe bindet sie. Gib sie auf.«

Mit dem Schwert in der Hand machte Tanis einen Schritt nach vorn.

»Er wird dich töten, Tanis«, warnte Dalamar. »Er wird dich bedenkenlos umbringen. Laß sie zu ihm gehen. Ich glaube, daß er wohl der einzige von uns war, der sie wirklich richtig verstanden hat.«

Die orangenen Augen flackerten. »Sie verstanden? Sie bewundert! Wie ich war sie zum Herrschen geboren, zum Erobern geboren! Aber sie war stärker als ich. Sie konnte die Liebe beiseite werfen, die sie in Ketten zu legen drohte. Hätte nicht das Schicksal entschieden, hätte sie über ganz Ansalon geherrscht!«

Die hohle Stimme hallte im Raum wider, und ihre Leidenschaft und ihr Haß ließen Tanis zusammenfahren.

»Und dann!« Die gepanzerte Faust ballte sich. »Eingepfercht in Sanction wie in einem Käfig, Pläne schmiedend für einen Krieg, den zu gewinnen sie nie hoffen konnte. Ihr Mut und ihre Entschlossenheit ließen nach. Sie hatte sogar entschieden, sich wie ein Sklave in Ketten legen zu lassen wegen eines Dunkelelf-Liebhabers! Es war besser für sie, im Kampf zu sterben, als ihr Leben ausbrennen zu lassen wie eine tropfende Kerze.«

»Nein!« murmelte Tanis, und seine Hand klammerte sich um sein Schwert. »Nein...«

Dalamars Finger schlossen sich um sein Handgelenk. »Sie hat dich niemals geliebt, Tanis«, sagte er ruhig. »Sie hat dich benutzt, so wie sie uns alle benutzt hat, selbst ihn.« Der Dunkelelf sah kurz zu Soth. Tanis schien etwas sagen zu wollen, aber Dalamar kam ihm zuvor. »Sie hat dich bis zum Ende benutzt, Halb-Elf. Selbst jetzt streckt sie ihre Hand aus dem Jenseits und hofft, daß du sie retten wirst.«

Immer noch zauderte Tanis. In seinem Geist brannte das Bild ihres Gesichtes, es war so voller Entsetzen, wie er es zuletzt gesehen hatte. Das Bild brannte. Flammen stiegen empor...

Flammen füllten Tanis’ Blickfeld. Als er in das Feuer starrte, sah er ein Schloß, einst stolz und edel, jetzt schwarz und zerfallen, das von den Flammen zerstört wurde. Er sah ein wunderschönes, zierliches Elfenmädchen mit einem kleinen Kind in den Armen, das den Flammen zum Opfer fiel. Er sah Krieger laufen, er sah sie sterben und den Flammen zum Opfer fallen. Und aus der Flamme heraus hörte er Soths Stimme.

»Du hast das Leben, Halb-Elf. Du hast viel, für das es sich zu leben lohnt. Unter den Lebenden gibt es welche, die auf dich angewiesen sind. Ich weiß es, weil all das, was du hast, auch mir einmal gehörte. Ich warf es fort und wählte ein Leben in der Dunkelheit anstatt im Licht. Wirst du mir folgen? Wirst du alles, was du hast, wegwerfen für eine, die sich vor langer Zeit entschieden hat, auf den Pfaden der Nacht zu wandeln?«

»Ich habe die Welt«, hörte Tanis seine eigenen Worte. Lauranas Gesicht lächelte ihn an.

Er schloß seine Augen... Lauranas Gesicht: wunderschön, weise und lieblich. Licht glänzte auf ihrem goldenen Haar und glitzerte in ihren klaren Elfenaugen. Das Licht wurde heller. Wie ein Stern glänzte es rein und strahlend. Es schien auf ihn mit solch einer Helligkeit, daß er in seiner Erinnerung nicht mehr das kalte Gesicht unter dem Umhang sehen konnte.

Langsam zog Tanis die Hand von seinem Schwert fort.

Lord Soth wandte sich um. Er kniete sich nieder und hob den verdeckten Körper in seinen unsichtbaren Armen hoch. Der Umhang war jetzt vom Blut dunkel befleckt. Er sprach ein paar Worte der Magie. Tanis hatte plötzlich die Vision von einem dunklen Abgrund, der vor den Füßen des toten Ritters gähnte. Eine Kälte, die sich durch die Seele bohrte, fegte durch den Raum; wie bei einem bitterkalten Wind war er gezwungen, sein Gesicht abzuwenden.

Als er wieder hinsah, war die dunkle Ecke leer.

»Sie sind gegangen.« Dalamar ließ sein Handgelenk los. »Und auch Caramon.«

»Gegangen?« Tanis drehte sich unsicher um. Er zitterte, und sein Körper war von eiskaltem Schweiß durchnäßt. Wieder sah er in das Portal. Die brennende Landschaft war leer.

Eine hohle Stimme ertönte: »Wirst du alles, was du hast, wegwerfen für eine, die sich vor langer Zeit entschieden hat, auf den Pfaden der Nacht zu wandeln?«

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